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>v
Die Entwicklung ^
der
gelehrten Rechtsprechung
untersucht
auf Grund der Akten des Brandenburger Schöppenstuhls
Adolf
von
Band 1.
Berlin, 1901.
Verlag von Franz Vahlen.
W. 8, Mohrenstrassc 13 '14.
Der
Brandenburger Schöppenstuhl
Von
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Ado^f Stölzel.
Mit einer Abbildung von Brandenburger Schöppenstuhlssiegeln.
Berlin, 1901. .
Verlag von Franz Vahlen.
W. 8, Mohrenstrasse 13/14.
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0CT2 5 1921
Vorwort.
Es wird nicht vielen Schriftstellern das Glück zu theil,
dass sie zu wissenschaftlichen Untersuchungen, denen sie einst
mit Interesse obgelegen haben, nach einem Menschenalter
zurückkehren können, um sie zur Bestätigung und Bestärkung
der früher gefundenen Resultate weiter zu führen.
Als ich im Jahre 1871 meine Schrift über „die Entwick-
lung des gelehrten Richterthums in deutschen Territorien"
abschloss, die vorzugsweise die Verhältnisse im Gebiete des
ehemaligen Kurfürstenthums Hessen zur Grundlage nahm,
drängte sich mir von selbst der Gedanke und der Wunsch
auf, später einmal jene Arbeit nach doppelter Richtung hin
zu ergänzen. Zunächst: Nachdem gezeigt war, auf welchen
Wegen die Rechtsprechung aus den Händen der Nichtge-
lehrten in die der Gelehrten übergegangen war, blieb noch
übrig, klarzulegen, wie es vermittels jener Wege den einzelnen
Sätzen der gelehrten fremden Rechte gelang, die abweichen-
den Sätze des heimischen Rechtes zu verdrängen; denn eben-
sowenig wie urplötzlich die Gelehrten als rechtsprechende
Faktoren an die Stelle der Nichtgelehrten traten, ebensowenig
fanden urplötzlich die Sätze des römischen Rechtes Eingang
an Stelle der Sätze deutschen Ursprungs; ja es wird sich
zeigen, dass die letzteren in viel weiterem Umfange dauernd
erhalten blieben, und dass unsere Rechtsurkunden in viel
späteren Zeiten auf deutschen Grundlagen ruhen, als man
anzunehmen geneigt ist. Sodann: Die in einem Territorium
des mittleren deutschen Westens angestellten Ermittlungen
mussten an Werth gewinnen und um so mehr zu allgemei-
neren Schlüssen berechtigen, je mehr sie mit den Verhält-
nissen übereinstimmten, die ein dem deutschen Osten ange-
höriges Territorium bot. Das hier für jede Entwicklung des
VI Vorwort.
deutschen Geisteslebens bedeutungsvollste Territorium war
die einstige Mark Brandenburg, die Wiege des deutschen
Reiches und damit unserer deutschen Rechtseinheit. Darum
konnte mir nichts willkommener sein,, als durch meinen
Ueberzug nach Berlin vom Jahre 1872 ab die Gelegenheit zu
finden, mit der Geschichte des märkischen Rechtswesens, so
weit die Amtsgeschäfte freie Zeit Hessen, mich vertraut zu
machen. Ich beschränkte mich zunächst auf eine Geschichte
des Preussischen Justizministeriums, wie das im Vorworte
meiner in den 1880 er Jahren entstandenen Schrift über
„Brandenburg-Preussens Rechtsverwaltung und Rechtsver-
fassung" erwähnt ist. Gelegentlich dieser Arbeit kam mir
aber zur Kenntniss, dass in der Stadt Brandenburg eine
reiche, mehrere Jahrhunderte umfassende Sammlung der Akten
des dortigen Schöppenstuhls, des einstigen Centraloberhofs
der Mark, aufbewahrt wurde, eine Sammlung, die ihrer Reich-
haltigkeit nach nicht viele ihres Gleichen haben wird. Hier
musste massenhafter Stoff aufgehäuft sein, der nach beiden
oben hervorgehobenen Richtungen hin eine Ausbeute ver-
sprach. Alsbald war mir indess klar, dass meinerseits ncir
dann an einen Versuch, der Bearbeitung jener Akten mich
zu unterziehen, gedacht werden durfte, wenn ich in die Lage
käme, mindestens einen Theil meiner Amtsgeschäfte abzu-
geben, das Aktenmaterial in meinem Wohnorte zu benutzen
und einige jüngere Kräfte als Mitarbeiter staatsseitig bewilligt
zu erhalten. Diese dreifache Bedingung hat sich erfüllt. Der
Herr Staats- und Justizminister Dr. Schönstedt, sowie die
Herren Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-
angelegenheiten Dr. Bosse und Dr. Studt haben mich zu leb-
haftestem Danke dadurch verpflichtet, dass sie mein Unter-
nehmen nach jeder Richtung förderten, mir namentlich in
den beiden Herren Gerichtsassessoren Deichmann und
Dr. Friese, von denen inzwischen der erstere zum Land-
richter in Stendal, der letztere zum Amtsrichter in Kroto-
schin ernannt ist, zwei tüchtige, überaus fleissige und mit
regstem Interesse für die Sache erfüllte Mitarbeiter ge-
währten. Dem Magistrate von Brandenburg habe ich es
zu danken, dass er mir mit grosser Liberalität seihe Archi-
Vorwort. VII
Valien zur Verfügung stellte, auch der Ueberführung der dem
Magistrate wie dem Amtsgericht in Brandenburg zu gemein-
samem Besitze überwiesenen Schöppenstuhlsakten in das hie-
sige Justizministerialgebäude zustimmte. Die Abnahme eines
Theils meiner Amtsgeschäfte erreichte ich dadurch, dass ich
mit dem Beginn der Arbeit von einem Theil meiner Dienst-
geschäfte mich entheben Hess.
Ein eigenthümlicher Zufall hat es gewollt, dass gleich-
zeitig mit dem gegenwärtigen Unternehmen, das den Bran-
denburger Schöppenstuhl aus der Vergessenheit an das
Licht zieht, dem bedeutungsvolleren Magdeburger Schöppen-
stuhl durch die von Friese und Liesegang unternommene
Veröffentlichung einer Sammlung seiner Sprüche ein Denk-
mal Seitens der Savignystiftung gesetzt wird. Ich hoffe, dass
keine der beiden Veröffentlichungen die andere beeinträch-
tigt, dass vielmehr beide einander sich in einer Weise er-
gänzen, die der deutschen Rechtsgeschichte zu Gute kommen
kann. Die Veröffentlichung der Savignystiftung bringt aus-
schliesslich den Abdruck der von Magdeburg nach aussen
gegangenen Sprüche; von wem die Sprüche herrühren, ob
von gelehrten oder nichtgelehrten Juristen, auf welchem Ver-
fahren sie beruhten, wie sie zu Stande kamen, und welche
Verhandlungen ihnen vorausgingen, darüber erfahren wir
nichts und konnten auch nach dem uns erhaltenen Material
nichts erfahren; denn dies Material bestand in den an den ver-
schiedensten Orten zerstreuten, schwerlich auch nur für irgend
einen Ort vollständigen Spruchreinschriften; in Magdeburg
selbst, dem Sitze des Schöppenstuhls, ist an Material fast nichts
mehr vprhanden; für eine umfassende Geschichte des Magde-
burger Schöppenstuhls fehlt also leider die genügende Grund-
lage. Umgekehrt stützt sich die gegenwärtige Veröffent-
lichung auf das beim Brandenburger Schöppenstuhl aufbe-
wahrte und verhältnissmässig sorgsam gehütete Material,
durch das es ermöglicht wird, vom inneren Getriebe des
Schöppenstuhls, vom Zustandekommen seiner Sprüche, von
seinem gesaramten Verfahren, von seinem Personal und auch
von den Vorverhandlungen der Sprüche eine Anschauung zu
erhalten, wie sie noch von keinem Schöppenstuhl hat ge-
VIII Vorwort.
wonnen werden können. Dazu kommt, dass auch zeitlich
das Magdeburger und das Brandenburger Material in einen
Gegensatz treten; denn der Hauptstock der gesammelten
Magdeburger Sprüche liegt vor der Mitte des sechzehnten
Jahrhunderts, während der Hauptstock der Brandenburger
Akten in die^auf diese Periode folgende Zeit fallt.
Anfänglich hegte ich die Absicht, mich auf eine Be-
arbeitung der Brandenburger Akten behufs Darstellung einer
Geschichte der Entwicklung der gelehrten Rechtsprechung
zu beschränken, und zwar in einem Umfange, der etwa meiner
Schrift über Brandenburg-Preussens Rechtsverwaltung gleich-
kommen sollte. Das Wagniss, aus den Verhältnissen eines
einzelnen Territoriums Schlüsse auf andere Territorien
zu ziehen, wie ich es in meiner „Entwicklung des gelehrten
Richterthums in deutschen Territorien" that, hat sich im Laufe
der Zeit nicht als zu kühn herausgestellt; denn was an ein-
schlagenden Schriften innerhalb der letzten dreissig Jahre
aus anderen deutschen Territorien veröffentlicht worden ist,
hat in meinen Augen nur die Annahme bestätigt, dass —
fast bis auf das einzelne Jahr und fast bis auf jedes einzelne
neu auftauchende Gebilde — die Entwicklung unseres Rechts-
und Gerichtswesens dort wie hier dieselbe gewesen ist. Den
Beweis haben mir nunmehr von Neuem die Brandenburger
Akten geliefert. Darum erachte ich es auch für statthaft,
in der Entwicklungsgeschichte der Brandenburger Recht-
sprechung ein Bild der Entwicklung unserer deutschen Recht-
sprechung überhaupt zu erblicken. Es hat in den Dingen,
die hier in Betracht kommen, bei der sonstigen grossen Zer-
splitterung der massgebenden Gewalten eine staunen?werthe
Einheit und Einheitlichkeit im deutschen Reiche geherrscht.
Wer aber aus den Brandenburger Schöppenstuhlsakten
ein solches Bild gewinnen will, darf nicht davor zurück-
schrecken, sich als die erste Aufgabe eine Ermittelung der
äusseren Geschichte des Schöppenstuhls zu stellen. Dabei
war als Ziel ins Auge zu fassen, dass der Schöppenstuhl bis
in seine Einzelheiten hinein so vorgeführt werde, wie wir
heute durch Selbstanschauung eines unserer gegenwärtigen
Gerichte kennen zu lernen in der Lage sind. Nur dadurch
Vorwort. IX
lässt sich eine ausreichend feste Grundlage für die Beurtheilung
der Spruchthätigkeit des Schöppenstuhls schaffen. Mit allen
den äusseren Momenten, wie Sitzungsort und Sitzungszeit,
Titulatur, Personal, Berufung zum Amte, Bücherei, Geschäfts-
bereich, Verfahren, Kosten- und Siegelwesen, müssen wir
vertraut sein, ehe sich ein Verständniss von der Gesammt-
bedeutung des Schöppenstuhls eröffnen kann. Das Bedürf-
niss, hier volle Klarheit zu erlangen, steigerte sich mit dem
Eindringen in den Stoff. Da wir eine ähnliche Geschichte
noch nicht besitzen, trug ich kein Bedenken, den ersten Theil
meiner Darstellung sich allmählich zu einer Geschichte des
Brandenburger Schöppenstuhls, der zuerst im Jahre 1232
bezeugt ist und im Jahre 181 7 aufgehoben wurde, auswachsen
zu lassen.
An die Darstellung der äusseren Geschichte des Schöp-
penstuhls soll sich dann weiter die Darstellung schliessen, in
welcher Weise deutsche Rechtsinstitute allmählich romanisirt
Worden sind. Das von den Schöppenstühlen gehandhabte
deutsche Recht war zur Zeit, als sich das gelehrte Recht Bahn
brach, weder in prozessualischer noch in materiell-rechtlicher Be-
ziehung so mangelhaft ausgebildet, dass nicht eine ganze Reihe
von deutschen Instituten existirt hätte, denen römisch-recht-
liche Institute verwandt gewesen wären, weil beide Völker
nach ihrer Kulturstufe in der Bildung ihre Rechtssätze ver-
wandte Zwecke verfolgten. Durch diese Verwandtschaft
wurde wesentlich die sich vollziehende Umwandlung erleich-
tert. Es schiebt sich zuerst der römische terminus technicus
bei dem deutschen Institute ein, dann folgt dem fremden
Worte der fremde, wenn auch innerlich immerhin verwandte
sachliche Inhalt. So im Prozess, wie im materiellen Rechte.
Auf derartige Umwandlungen ist ein Hauptgewicht zu legen;
denn in ihnen liegt die Anbahnung unserer modernen Rechts-
gestaltung und Rechtsprechung.
Mit diesem leitenden Gedanken soll zunächst der Civil-
prozess und dann der Strafprozess verfolgt werden, weil
durch den Gang, der sich hier für das Verfahren entwickelt,
erst die Möglichkeit eröffnet wird, dass sich das materielle
Recht so umbildete, wie es in unserer weiteren Erörterung
X Vorwort.
dargelegt werden soll, und zwar wiederum zunächst für das
(Zivilrecht, dann für das Strafrecht und für etwa sonstige
Gebiete des öffentlichen Rechts, über die das benutzte Ma-
terial Auskunft giebt. Hier wird selbstverständlich nicht das
ganze System des Prozesses und des materiellen Rechts in
Betracht gezogen werden, sondern nur eine Anzahl von
Rechtsinstituten, an denen sich auf Grund unserer Schoppen-
Stuhlsakten die Art und Weise nachweisen lässt, in der
deutsches Recht durch fremdes verdrängt wurde.
Zur Erläuterung der Citate in den Fussnoten der fol-
genden Bogen bemerke ich, dass StA. Staatsarchiv (bei
fehlender Ortsangabe Berliner Staatsarchiv), RA. Branden-
burger Rathsarchiv, AA. Brandenburger Amtsakten bedeutet.
Um die Zahl der Fussnoten möglichst einzuschränken, sind
die Hinweise auf die Brandenburger Schöppenstuhlsakten in
den Text aufgenommen; hier bedeutet die fettgedruckte
Zahl den Aktenband, die folgende Zahl das Aktenblatt.
Stellen des Textes, die durch beigefügte Anführungs-
zeichen als den Akten entlehnt bezeichnet sind, geben viel-
fach den Inhalt dessen, was sie mittheilen sollen, nicht wort-
getreu, noch weniger buchstabengetreu wieder, vielmehr sind
sie des leichteren Verständnisses halber nach Bedürfniss in
das Hochdeutsche umgestaltet.
Gleichzeitig mit dem ersten Theile erscheint eine den
Brandenburger Akten entlehnte Urkundensammlung in vier
Bänden; sie wird zur Ergänzung der bis jetzt vorhandenen
märkischen Urkundensammlungen, daneben aber vielfach
auch zur Erläuterung dessen dienen, was der erste Theil
dieses Werkes ausführt, und was der zweite Theil auszu-
führen beabsichtigt. Auf diese Sammlung verweist die Ab-
breviatur ÜB. hin, und zwar die dieser Abbreviatur nach-
folgende erste Zahl auf den betreffenden Urkundenband, die
nachfolgende zweite Zahl auf die Seite des Bandes.
Die am Schlüsse des gegenwärtigen Bandes befindlichen
Abbildungen von Siegeln des Brandenburger Schöppenstuhls
beruhen auf Druckstöcken, welche der Direktor der chalko-
graphischen Abtheilung der Reichsdruckerei, Herr Geheimer
Vorwort. XI
Regierungsrath Professor Rose die Güte gehabt hat, in der
genannten Druckerei anfertigen zu lassen. Den Druckstöcken
der Abbildungen liegen Reproduktionen zum Grunde, deren
drei von noch vorhandenen Brandenburgern Siegelstempeln
gemacht sind; zwei mussten von Siegeln hergestellt werden,,
da die zugehörigen Stempel fehlen. Das eine Siegel befindet
sich in einer Siegelsammlung des hiesigen Staatsarchivs, das
andere in den Schöppenstuhlsakten. Von letzterem Siegel
übernahm die Reichsdruckerei die Reproduktion; die vier
anderen Reproduktionen verdanke ich der Gefälligkeit des
Direktors des hiesigen Königlichen Münzkabinett, Herrn
Professors Dr. Menadier.
Berlin im Oktober 1901.
A. Stölzel.
Inhaltsübersicht.
Seite
I. Einleitung i — 13
Gelehrtes Recht und Reception 1. Spuren altgerma-
nischen Rechts im heutigen Recht, Beispiel in der
Lehre vom Schadensersatz 3. Belehrung im Rechte 7.
Schöppenstühle als Oberhöfe 8.
IL Material 14— 35
1. Die 108 Folianten der Brandenburger Schöppenstqhls-
akten 14. Register dazu 21. Urtheilskopien und lTr-
theilsentwürfe 24. Auszüge von Oberhofssprüchen in
Magdeburg 13, in Iglau 25, in Frankfurt a. M. 25, in
Ingelheim 26, in Brandenburg 26, in Jüterbog 30, in
Stettin 30.
2. Das Brandenburger Schöppenbuch von 1692 ff. 31.
„ Vermachungen des vierten Pfennigs etc.** von 1297
bis 1389 in der Neustadt Brandenburg 32. Neustädter
Rathsbuch von 1386 bis 1480 33. Neustädter Schöppen-
buch von 1492 bis 1548 33.
3. Raths- und Gerichtsbücher des Brandenburger Amts-
gerichts von 1534 bis 1662 34. Archivalien der Stadt
Brandenburg 34, des Berliner Geheimen Staatsarchivs
34. 3 Bände Konzeptbücher des Leipziger Schöppen-
stuhls 34. Luckauer, Zerbster, Tangermünder, Stettiner
Archivalien 34. Akten des Berliner Justizministeriums
35, des Berliner Kammergerichts 35, des Naumburger
Oberlandesgerichts 35. Leichcnpredigtsammlungen 35.
Erster Theil.
Der Brandenburger Schöppenstuhl
(1232—1817).
1. Buch.
Oertlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
§ 1. Oertlichkeiten 39 — 65
Lage der Stadt Brandenburg 39. Burg, Homeienbrücke,
Rathhaus, Schöppenhaus 39. Altstadt und Villa Parduin
40. „Zwischen beiden Städten" 40. „Zur Klinke4' 41.
„Homeienbrücke" 46. „Lange Brücke** 47. Neues
Schöppenhaus 49. Altes Schöppenhaus 52. Vier Orte
der Rechtspflege in Brandenburg 52. „Scheppen zu
Brandenburg4' 53. „Vocativus vor Brandenburg44 55.
Weiteres Schicksal des Schöppenhauses 60. 63. Dessen
Einsturz 62. Ersatzlokalitäten 03.
Inhaltsübersicht. XIII
Seite
§ 2. Titulaturen und Anreden 65 — 87
Schoppen zu Brandenburg und Schoppen beider Städte
Brandenburg 66. Weisen, Weisthümer, Weisheit 67.
Richtstuhl und Schöppenstuhl beider Städte Branden-
burg 68. Prädikate wohlgelehrt und hochgelehrt 69.
Kurfürstliche verordnete Schoppen 71. Assessoren 72.
Scabinatus, Seniores. Senior 75. Verordnete Senior und
Assessores 78. Prädizirung der Mitglieder des Schöp-
penstuhls 81. Graduirte im Schöppenstuhl 83. Raths-
titel 85. Häufung von Prädikaten 85.
2. Buch.
Personal.
$ 3. Vorbemerkung ' . . . . 88 — 91
1. Abschnitt. Schöppenschreiber . . . 91 — 133
§4. Altstädtische Schöppenschreiber 91 — 114
Schulmeister und Stadtschreiber 91. Schöppenschreiber
92. L. Demker 93. A. Ackermann 94. S. Roter 96.
G. ßoldicke 99. M. Dobergast 100. S. Bardeleben
100. Z. Garz 102. Die Urheber der Spruchsammlung
103. G. Bluhm 106. D. Kuhns 107. M. Düring 108.
P. Weitzke 109. Chr. Bardeleben 110. C. Düring
m. A.Moritz 112. J. Ortelius 1 13. L. Saxonius 113.
$ 5. Neustädtische Schöppenschreiber .... 115 — 129
P. Teidener 115. N. Plawe 118. B. Pletz 118. J. Schles-
wig 119. S. Carpzow 119. J. Mawe 120. J. Heinatz
122. B. Boldicke 123. J. Floring 123. M. Vossbein
125. J. Tornow 125. J. Karge 126. A. Moritz 127.
B. Schwarz 127. C. J. Berchelmann 128.
§ 6. Secretarii scabinatus 129 — 133
J. C. Held 129. M. Knüttel 130. M. Junius 130.
B. C. Pfraundt 131. J. W. Steltzner 131. J. F. Kriele 132.
F. Katsch 132. G. Müller 133. G. Tappenbeck 133.
2. Abschnitt. Schoppen 133 — 176
§ 7. Altstädtische Schoppen • 133 — 150
Vorbemerkung 133. N. Berenwalde 135. M. Bellin
136. L. Demker 136. V. Schmidt 136. M. Meynicke
138. M. Bardeleben 138. Th. Liep 139. A. Schuller
139. A. Holstein 139. S. Roter 139. V. Schwarz
140. S. Bardeleben 140. F. Garz 140. Z. Garz 141.
J. Lampert 141. G. Bluhm 141. C. Prätorius 142.
D. Kuhns 142. J. Grell 142. C. Haveland 143.
G. Chueden 143. J. TiefFenbach 144. Chr. Bardeleben
145. P. Weitzke 145. L. Saxonius 145. C. Junius 146.
P. Müller 146. D. Cichorius 147. G. Böckel 147.
J. Berchelmann 147. F. Kriele 147. B. Didden 148.
F. P. Deodati 148. F. Katsch 149. J. Chr. Hanne-
mann 1 50. J. W. Steltzner 1 50. P. Lange 1 50.
XIV Inhaltsübersicht.
Seite
i 8. Neustädtische Schoppen 151 — 168
N. Blankenfeld 151. C. v. Guelen 152. A. Grelle 153.
C. Olste 153. A. Krüger 153. C. Storbeck 153.
H. Nickel 153. G. Bester 154. M. Vielitz 155. Fr.
Welsow 155. L. Scholle 155. M. Iden 156. J. Poppe
157. Th/Storbeck 157. B. Boldicke 158. C. Zabel
159. J. Floring 159. B. Zieritz 160. J. Buchholtz 163.
J. Schale 163. J. Iden 164. A. Moritz 165. B. Schwarz
165. M. Buchholtz 165. P. Müller 165. C. Nicolai
165. M. Müller 166. J. Gramer 166. C. Pfreundt 167.
L. Cläpius 167. J. F. Pfreundt 167. M. Heins 168.
§ 9. Scabini der Einheitsstadt 168 — 176
J. Knackrügge 169. J. A. Giesecke 171. H. J. Oel-
schläger 171. J. E. Plümicke 172. J. Ch. Stein beck 172.
W. G. Schütte 173. Chr. B. Braun 174. G. F. Grust 174.
J. Richter 174. J. F. Pauli 175. J. A. Rudolli 175.
C.W. Hugo 175. Zierhold 175. Fabricius 175. F. L.
Uhde 176. S. I). Steinbeck 17t».
3. Buch.
Ausbildung des Personals.
§ 10. Notariat 177—184
Bedeutung des Notariats 177. Notare in der Mark
Brandenburg 181. Ausbildung eines Notars 182.
5 11. Schulen 184 — 189
General- und Partikularstudien 184. Cunabula legum
185. Schulung in Schreibstuben 186.
$ 12. Universitäten 189 — 196
Artisten und Juristen 189. Beginn des juristischen
Studiums in der Mark 191. Die von Brandenburgern
besuchten Universitäten 192. Schriftsteller unter den
Schoppen 193. Rechtsgelehrte im Rath märkischer
Städte 194. Graduirte 195.
$ 13. Bibliothek 197 — 232
Aeltester Bücherkomplex 197.. Vitis Bibliothek 199.
Mag. P. Viti 204. Vitis Studien 210. Ein Stück Kol-
legicnheft 212. Magdeburg als Herkunftsort der Bücher
Vitis 213. Ueberführung seiner Bücher nach Branden-
burg 214. Sabinus als deren Benutzer 215. Erwerb
der Bücher durch die Altstadt Brandenburg 216. Weitere
Entwicklung der altstädtischen Bibliothek 217. Neu-
städtische Bibliothek 220. Aussonderung einer Schop-
penstuhlsbibliothek 221. Deren Vereinigung mit der
Rathsbibliothek 223. Anfall der Bibliothek Oelschlä-
gers 224. Deren Bestandtheile (Bücher Nickels, Ticffen-
bachs. Nicolais, Buchholtz', Kayes) 225. Erwerbungen
in der 2. Hälfte des 18. Jahrh. 229. Bibliothekare 230.
Verhandlungen über die Bibliothek nach Aufhebung des
Schöppcnstuhls; Vergleich von 1810/29.
Inhaltsübersicht. XV
Seite
4. Buch.
Entwicklung der Organisation.
:§ 14. Ausblick auf andere Schöppenstühle . . . 233—256
Magdeburg 233. Iglau 239. Ingelheim 240. Geln-
hausen und Wimpfen 244. Frankfurt a. M. 244. Aachen
245. Halle 246. Leipzig 248. Lübeck 252. Consilien
253-
^ 15. Vorgeschichte des Schöppenstuhls beider
Städte Brandenburg (1232 bis 1432) . . . 256 — 273
Brandenburgs älteste Belehrungsthätigkeit 257. Mär-
kisches Oberhofsnetz 257. Loslosung von Magdeburg
258. Brandenburger Privilegien von 131 5 und 1324;
altstädter und neustädter Oberhof 258. Entwicklung
des Oberhofs beider Städte Brandenburg 264. Städte-
bündnisse und Brandenb. Recht 266. Zehn Mitglieder
267. Weisthum für Krankfurt a. (). von 1376 270.
Zeit der Vereinigung der beiderstädtischen Schöppen-
kollegien 272.
§ 16. Der Schöppenstuhl beider Städte Branden-
burg bis zur Joachimica (1432 bis 1527) . . 273 — 287
Frankfurter Begleitbrief von 1432 273. Anfrage des
Dorfgerichts Bernewitz von 1443 274. Der Schildcsche
Vocabularius in Brandenburg 275. Aeltester Branden-
burger Schöppenstuhlsspruch (1455) 276. Beziehungen
der Mark zu Magdeburg (1488, 1503, Belehrung durch
die kurfürstlichen Käthe) 280. Brandenburger Sprüche
aus dem 15. Jahrh. 280, aus dem ersten Viertel des
16. Jahrh. 282. Ergänzungen aus der Brandenburger
Spruchsammlung 284. Straffall aus 15 21 285. Kopei-
liche Urtheile 286.
§ 1 7. Joachimica 287 -301
Motive 287. Verfasser 288. Bedeutung 290. Sachsen-
recht und Kaiserrecht 292. Lossagung vom Sachsen-
spiegel 295. Brandenburgisches Recht 296. Erb- und
Güterrecht 298. Straffälle 300.
£ 18. Auf die Einholung der Rechtsbelehrung be-
zügliche Anordnungen seit der Joachimica . 301 — 315
Vcrhältniss zu Magdeburg 301, zu Leipzig 303. Blöthe-
zeit des Brandenburger Schöppenstuhls 305. Civil- und
Kriminalsachen 306. Vergleichung mit dem Schöppen-
stuhl zu Stettin 306. Kriminalsachen und die Univer-
sität Frankfurt im Anfange des 17. Jahrh. 309. Kammer-
G.O. von 1709 311. Kriminalordnung von 17 17 311.
Edikt von 1723 312, von 1732 313. Verbot der Akten -
Versendung von 1746 314.
§ 19. Wahl und Bestellung der Schoppen . . . 316 — 333
Kooptation und landesherrliche Bestätigung 316. Lebens-
länglichkeit 318. Verwandtschaft unter den Schoppen
321. Schöppenamt ein Nebenamt 323. Prüfungswesen
XVI Inhaltsübersicht.
Seite
324. „Ansctzung" der Schoppen 327. Schöppeneide
328. „Aufführung" der Schoppen 331. Kirchgang 333.
Marinegeld, Rekrutengeld. Eintrittsgeld 333.
5. Buch.
Konsul enten.
1. Abschnitt. Konsulenten aus Branden-
burg-Preussen . . . . . 334 — 440
§ 20. Vorbemerkung 334 — 340
§21. Stadtgerichte 340 — 348
Märkische Städte 341. Städte angegliederter Landes-
theile 346.
§ 22. Landesherr 348-460
Befehle, Rechtsbelehrung in Strafsachen einzuholen 349,
in Civilsachen 350. Kommissarien 351. Landesherr-
liche Einwirkung auf den Belehrungsspruch 352. Fall
Königsmark 353. Fall Dobbersitz 353. Beschwerde
an den Kurfürsten gegen einen Brandenburger Spruch
358. Versendung nach Brandenburg bei Berufungen
gegen Kammergerichtsurtheile 359. Anfragen der Bran-
denburger beim Kurfürsten 360.
§ 23. Kammergericht und Geheimer Justizrath . 361 — 374
Zuständigkeit des Kammergerichts 361. Kammerge-
richtsabschiede 361. Verhältniss des Schöppenstuhls
zum Kammergericht 362. Brandenburger Belehrungen
in kammergerichtlichen Sachen 367. Edikt von 1723
367. Edikt von 1725 370. Einholung von Belehrungen
durch den Geheimen Justizrath 370. Schöppenstuhl und
Reichskammergericht 371. Reichshofrath 375. Reichs-
hofgericht Huckarde 376.
§ 24. Generaldirektorium und Generalauditoriat . 376 — 377
§ 25. Hof- und Quartalsgerichte. Regierungen.
Domänenkammern 378-385
Hofgerichte und Quartalsgerichte 378. Regierungen 380.
Kammern 381. Regierungen später angefallener Landes-
theile: Halberstadt 382, Kleve 383, Meurs, Giebichen-
stein, Minden, Rhede 384, Quedlinburg 385.
§ 26. Konsistorien 385 — 397
Geistliche Gerichtsbarkeit in der Mark 385. Recess
von 1445 387. Einfluss der Reformation 388. Branden-
burger Spruchpraxis in kirchlichen Angelegenheiten 389.
Straf gerichtsbarkeit gegen Geistliche 391. Mitwirkung
des Konsistoriums 395. Anfragen des Konsistoriums
in Brandenburg 396. Kriegskonsistorium und Schöppen-
stuhl 397.
§ 27. Landgerichte 397 — 402
Landgericht zur Klinke 398. Landgericht der Priegnitz
398. Landgericht der Altmark 400. Landgerichte in
später erworbenen Landestheilen 401.
Inhaltsübersicht. XVII
Seite
§ 28. Hauptleute 402—408
§ 29. Aemter 408—413
Amtsverwalter, Amtsschreiber 409. Amt 412. Amts-
richter 413.
§30. Dorfgerichte 413 — 424
Schöppenbücher in Dörfern 413. Verurkundung vor
der Bauerschaft 415, im Gerichtsbuch der . nächsten
Stadt 417, vor Zeugen ausserhalb des Gerichts 417.
Prozessführung der Dorfbewohner vor dem Stadtgericht
Ruppin 418. Prozessverhandlungen vor Dorfgerichten
bis 1565 420. Uebergang der dorfgerichtlichen Rechts-
pflege auf die Beamten und die Junker 423.
§31. Junker 424—440
Schulzenamt und Schulzcngericht 425. Grundeigen-
tümer als Gerichtsherren 426. Gerichtsherrinnen 430.
Gerichts Verwalter als Vertreter des Gerichtsherrn 432.
Erste gelehrte Gerichtsverwalter 433. Gesammtrichter
434. Stellung des Gerichtsherrn 435. Justitiar 436.
Graduirte 437. Gerichtsherr als judex Ordinarius 437,
jndex in propria causa 438.
§ 32. Universitäten
2. Abschnitt. Auswärtige Konsulenten
§ 33. Konsulenten aus deutschen Landen . .
Pommern 441. Magdeburg 443. Hildesheim, Pader
born, Sachsen, Lauenburg, Quedlinburg, Schlesien 444
Anhalt 445. Mecklenburg 446. Braunschweig 450
Kursachsen 451. Hamburg 451.
§ 34. Konsulenten aus Polen 452 — 453
6. Buch.
Verfahren.
§ 35. Missiven und Akteneinrichtung 454 — 463
Bericht, Gegen beri cht, Missive 454. Schöppenschreiber
als Verfasser der Missiven 456. Rasche Erledigung
458. Beifügung der Akten 459, deren Rücksendung
461. Papierbedarf 462. Eingelegte Zettel 463.
§ 36, Eingang der Schöppensachen] 463 — 471
Form und Anlass der Einsendung 463. Einsendung
von Amtswegen 465. „Schöppensache" 466. Boten-
abfertigung 467. Frist für die Erledigung 469.
§ 37. Behandlung der Schöppensachen .... 471—500
Zu Schöppenhaus kommen 472. Vertheilung der ein-
gegangenen Sachen 473. Stellung des Seniors 475,
des Schöppenschreibers 476. Selbständigkeit des Seniors
475. Seine Ratifikation 480. Cirkuliren der Akten
481. Schriftlicher Verkehr unter den Schoppen 482.
Schriftliches Votiren 485. Umgehung der Gesammt-
eitzung 487. Theilnahme von Schoppen beider Städte
bei jedem Spruche 488. Turnus bei der Aktenverthei-
lung 489. Erste schriftliche Vota 490. Geschäfte des
440
441—453
441—452
XVIII Inhaltsübersicht.
Scite-
Rathsdieners 490. Entwurf des Spruchs in der einen
Stadt, Ausfertigung in der anderen 491. Beispiel schrift-
lichen Votirens und Abstim mens 492. Reihenfolge der
Schoppen bei der Abstimmung 493. Vertretung des
Schöppenschreibers durch einen Schoppen 494. Bericht
von 1717 über den Geschäftsgang 497. Bildung des
Mehrheitsbeschlusses 497.
§ 38. Herstellung der Sprüche 500 — 536
Spruchform 500. Belehrungs- und Urtheilsform 501.
Sentenz und Responsum 503. Aufbau der Spruche 504.
Schlussklausel „von Rechtswegen" 505. Blosse Re-
gistratur über den Inhalt des abgegebenen Spruchs 507.
Aktenauszüge und Relationen 508. Entstehung der
Auszüge 508. Species facti und Status causae 509.
Relation 510. Rationes 512. Sprüche „im Namen" des
Gerichts 521, deren Entstehung um 1600 521. Schöp-
penstuhls-Urtheile und -Gutachten 524. Sonderstellung
der adligen Gerichte 529. Sprüche im Namen des
Landesherrn 530. Spruchreinschriften, Urschriften oder
Abschriften in den Schöppenstuhlsakten53o. Korrekturen
von Fehlern 532. Nicht abgeholte Reinschriften 5 $5.
Form und Umfang der Reinschriften 535. Der Schöp-
penschreiber als Schreiber der Reinschrift 535.
§ 39. Siegelung 53Ö— 552
Bedeutung der Siegelung 537. Siegelbewahrer 539.
Entwicklung der Brandenburger Schöppensicgel 540.
Die drei vorhandenen Siegelstempel 541. Die Siegel-
felder der vorhandenen Stempel 541. Entstehungszeit
der Siegelstempel 543. Anbringung der Siegel 550.
Material 550. Die Siegel entsprechen dem Entwick-
lungsgang des Schöppenstuhls 552.
§ 40. Gebühren und Gehalt 552 — 574
Schöppengeld 552. Vervielfältigung desselben 554.
Verfahren bei ungenügend vorgelegtem Schöppengelde
556. Uebergang zur Gulden- und Thalerrechnung 558.
Klagen über zu hohen Ansatz 5Ö0. Einführung einer
Schreibgebühr 561. Gebührenbetrag vom Anfange des
17. Jahrhunderts an 561. Zahlptlicht des Landesherrn
und seiner Familie 563. Vereinnahmung, Verwahrung,
Vertheilung 564. Schöppenzins 569. Gehalt 570.
Schluss 575—595
Gründe zur Einholung von Rechtsbelehrung 575. Kosten-
und Zeitersparniss 576. Oberflächlichkeit 578. Kon-
träre Sprüche 579. Fehlerhafte Sprüche 580. Auf-
hebung der eigenen Sprüche 585. Wünsche des An-
fragenden, wie erkannt werden möge 585. Misstrauen
gegen die Schöppenstühle 589. Uebelstände 592.
Aktenversendnng als Nothbehelf 593. Ihre Vorzüge 594.
Anlagen:
Tabelle des Personals des Schöppenstuhls 597
Nachträge 6lO
Abbildung der Siegel 6ll
I. Einleitung.
Das Inkrafttreten unseres Bürgerlichen Gesetzbuchs bildet
zwar sicher nicht den Schlussstein unserer Rechtsentwicklung,
aber ebenso sicher doch einen Merkstein. Von diesem Merk-
stein aus wird es nützlich sein, einen Rückblick zu werfen
und die Frage ins Auge zu fassen, auf welchem Wege die
deutsche Rechtswissenschaft und Rechtsprechung dahin ge-
langt ist, ein solches Gesetzbuch schaffen zu können. Die
Vorbereitung dazu war nicht das Werk weniger Jahre oder
Jahrzehnte, sondern das Werk mehrerer Jahrhunderte. Deut-
licher als unsere Rechtsliteratur legt Zeugniss von dieser Vor-
bereitung unsere Rechtsprechung ab. Den Gang, den sie
ging, ist des Näheren zu entwickeln noch nicht unternommen
worden. Zwar weiss jeder Jurist, dass ein Spruch unserer
alten Schöffen innerlich und äusserlich anders gestaltet war
als ein heutiger Richterspruch. Wie es sich aber vollzog,
dass dieselbe Behörde, die vor Jahrhunderten Schöffensprüche
ausgehen Hess, im Laufe der Zeit sich der Manier zuwandte,
in der gegenwärtig Urtheile abgefasst zu werden pflegen,
davon ist nur wenig bekannt. Zwang- und fast spurlos gleitet
die eine in die andere Manier vor dem sie verfolgenden Blicke
über; so scharf die Endpunkte sich als Gegensätze heraus-
heben, so wenig scharf lässt die Zwischenlinie in Perioden
sich zertheilen oder gar nach Perioden sich darstellen.
Wenn man von einer „Reception44 der fremden Rechte
redet, so legt das den Gedanken nahe, als hätten diejenigen,
welche recipirten, in der Erkenntniss, dass das bisher in
Deutschland geübte Recht den Bedürfnissen des Lebens
nicht mehr vollständig genüge und deshalb anderweit ersetzt
werden müsse, zu dem besser durchgebildeten römischen
Rechte gegriffen, weil sie selbst sich nicht im Stande ge-
fühlt hätten, ein eigenes Recht zu schaffen. Von diesem
S tölsel, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. I
2 I. Einleitung.
Gedanken werden sich schwerlich Spuren finden lassen. Mit
der Aufnahme des römischen Rechtes verhält es sich kaum
anders, als mit der Aufnahme der antiken Gedankenwelt in
unsere Philosophie, unsere Grammatik, unsere Mathematik.
Noch Niemand hat hier von einer „Reception" der antiken
Philosophie, Grammatik oder Mathematik geredet. Die ge-
sammte wissenschaftliche Welt ruht auf antiker Grundlage.
Deshalb ruht darauf auch unser Recht von der Zeit an, in
welcher sich die Ueberzeugung Bahn brach, dass das Recht,
dessen Kenntniss man sich in Deutschland bisher nur im
Wege praktischer Uebung angeeignet hatte, ein Gegen-
stand wissenschaftlicher Lehre sei. Dieser Lehre konnte
Niemand anderswo theilhaftig werden als auf den Uni-
versitäten, erst auf denen Italiens und Frankreichs, dann
auch auf denen Deutschlands. Mit der Herrschaft des
Humanismus begann für uns auch die Herrschaft wissen-
schaftlich gelehrten Rechtes und damit des römisch-
kanonischen Rechtes, nicht etwa, weil man sich dies Recht
als das vorzüglichste und besonders zum Lehren geeignete
unter verschiedenen Rechten ausgesucht hätte, sondern weil
es überhaupt kein anderes wissenschaftlich gelehrtes Recht
gab. Nicht um in dem römisch - kanonischen Rechte,
sondern um in dem Rechte gelehrt und belehrt zu werden,
bezogen unter den aus der gesammten Kulturwelt herbei-
strömenden Jüngern des Humanismus auch die Deutschen
fremde, wie einheimische Hochschulen. Davon, dass sie
fremdes Recht heimbrachten, um es auf ihre heimischen In-
stitutionen aufzupfropfen, fehlte ihnen jedes Bewusstsein. Wie
die Gelehrsamkeit sich überhaupt als Folge der mittelalter-
lichen humanistischen Zeitströmung erst sehr allmählich in die
unteren Schichten verbreitete, so auch die Rechtsgelehrsam-
keit. Deshalb ist der Akt der s. g. Reception der fremden
Rechte ein Akt, der von seinem Beginne bis zu seinem Ab-
schlüsse Jahrhunderte umfasst. Ursprünglich war Gelehrsam-
keit eine Domäne des Klerus. Der römische Klerus durfte
am ehesten das römische Recht als sein Recht betrachten;
er modelte es für sich um in seinem corpus juris canonici
und wachte dann eifersüchtig darüber, dass dieses sein
I. Einleitung. 3
#
corpus juris die Grundlage des gelehrten Rechtes zu bilden
habe; darum erging im dreizehnten Jahrhundert das auf lange
Zeit festgehaltene päpstliche Verbot, anderes als kanonisches
Recht auf den Universitäten zu lehren. Papst Honorius III.
stellte sich mit diesem Verbot auf denselben autokratischen
Standpunkt, wie einst Justinian und wie später Friedrich der
Grosse, deren jeder neben seinem Gesetzeswerke nichts An-
deres als Rechtsquelle dulden wollte, oder wie Einzelne unter
unseren heutigen Juristen, die das Bürgerliche Gesetzbuch
aus sich selbst erklären und mit dessen geschichtlichen Grund-
lagen brechen möchten. Hatte aber von Haus aus der Klerus
die nächste Anwartschaft, vom „gelehrten" Rechte Besitz zu
ergreifen, so kann es nicht Wunder nehmen, dass die ersten
Spuren römischen Rechtes in Deutschland sich da finden —
und zwar schon im dreizehnten Jahrhundert — , wo Männer
des Klerus ihre Hand im Spiele haben. Aus den klerikalen
Kreisen sickert dann das fremde Recht und die Gelehrsam-
keit im Rechte weiter in die fürstlichen Hofkreise, in denen
ja der Kleriker seine Stelle hat, von da in die Hofgerichte,
auch in die Schöffenstühle, soweit sie nicht vor der Macht
des fremden Elements verschwinden, endlich in die Kreise der
ländlichen Amtleute und Gerichte. Dass die rechtsprechenden
Organe ohne ausdrückliche Gesetzesanordnung von der An-
wendung eines deutschen Rechtssatzes zur Anwendung eines
abweichenden römischen Rechtssatzes übergingen und über-
gehen konnten, wurde wesentlich durch den Gegensatz der
einstigen und der heutigen Art der Rechtsprechung gefördert:
ein Richter, der keine Entscheidungsgründe zu geben hat,
und der in ganz anderem Maasse als der heutige Richter
Billigkeitsrücksichten bei seiner Entscheidung in die Wag-
schaale fallen lassen oder dem örtlichen Gewohnheitsrechte,
der Gewohnheit seines speziellen Gerichts Einfluss einräumen
darf, empfindet es als keine besondere Schwierigkeit, heute
das nach altdeutschem Rechte dem Schwertmagen eines Ge-
tödteten gebührende Sühngeld den Brüdern zu- und der
Witwe nebst deren Tochter abzusprechen, morgen aber es
unter Brüder, Witwe und Tochter nach Köpfen zu vertheilen,
weil er Witwe und Tochter nicht darben lassen mag, oder
i*
4 I. Einleitung.
weil es „dieses Gerichts u Gewohnheit entspricht. Es liegt
auf der Hand, dass bei einer solchen Entwicklung von
einer Aufnahme des römischen Rechtes „in complexu* keine
Rede sein kann und nie hätte die Rede sein sollen: der einzelne
römische Rechtssatz ist vom einzelnen rechtsprechenden Or-
gane dann aufgenommen, wenn es ihn aufzunehmen für gut
erachtete. Ein heutiger Jurist z. B. wird sich der Verwun-
derung nicht erwehren können, wenn er unter den im Jahre
1592 gefällten Sprüchen des Oberhofes zu Stettin folgenden
liest: „Hat N. N/s Pferd euern Bruder abgeworfen, also
dass er davon des Todes worden, und hat N. N. solches
Pferd bei sich behalten und nicht proscribirt,1) so ist er
schuldig, den Schaden so hoch, als das Pferd werth gewesen,
zu büssen". Schwerlich ist auch den Verfassern dieses
Spruches während ihrer Universitätsstudien ein Rechtssatz
gelehrt worden, auf den eine solche Entscheidung sich stützen
könnte. Und doch hat sie ihren guten Grund, freilich keinen
römischen, wohl aber einen deutschen; sie beruht auf der
Vorschrift des Sachsenspiegels (II, 40 §§ 1. 2), nach welcher
der Herr eines Hundes, Ebers, Pferdes oder Ochsen oder
sonstigen Viehes, wenn durch ein solches Thier ein Mann ge-
tödtet oder gelähmt wird, den Schaden nach rechtem Wergeid
gelten soll, er müsste dann das Thier „ausschlagen,2) weder
hofen noch hausen, noch ätzen noch tränken"; thut er dies, so ist
er unschuldig am Schaden, und der Beschädigte kann, sofern
er will, sich des Thieres „für seinen Schaden unterwindenu.
Deutlich lässt sich auch an diesem Stettiner Beispiele der
Gang zeigen, den unsere Rechtsentwicklung und Recht-
sprechung genommen hat. Der Sachsenspiegel knüpfte an
die altgermanische Auffassung an, dass das Thier, das einen
Menschen beschädigte oder gar tödtete, strafwürdig sei und
wiederum getödtet werden müsse. Zur Zeit des Sachsen-
spiegels hatte sich diese Auffassung dahin gemildert und
verfeinert, dass dem Herrn des Thieres das Recht zuge-
') = geächtet. Die Abschrift in dem betr. Stettiner Urtheilsbuche
(Stettiner StA.) sagt sinnlos „präscribirt".
2) Das ist der deutsche Ausdruck für das von den Stettiner Schoppen
gebrauchte „proscribiren".
I. Einleitung. 5
standen wurde, das Thier preiszugeben (auszuschlagen, zu
derelinquiren oder, wie die Stettiner sagen, zu proscribiren).
Will er es aber behalten, so hat er das Wergeid des Ge-
tödteten zu zahlen oder den entstandenen Schaden zu ersetzen.
Wenn die Stettiner in Obigem die Höhe des Schadensersatzes
bis zur Höhe des Werthes des Thieres bemessen, so mag
ihnen dahei der Fall des Sachsenspiegels II, 40 § 4 vorge-
schwebt haben, wo ein in der Obhut des Gesindes befind-
liches Thier Schaden verursacht; hier haftet an erster Stelle
das Gesinde, an zweiter Stelle der Herr; dieser aber nur
bis zur Höhe des Werthes, den das schädigende Thier hat.
Die Parallele mit der römischen actio de pauperie und mit
ihrer noxae deditio liegt auf der Hand. Beide Kulturvölker,
das deutsche wie das römische, stimmten in dem Gedanken
überein, dass der Herr eines Thieres, das Schaden verursache,
haften müsse, dem Rechtsgefühle beider widersprach es
aber, überall eine unbeschränkte Haftpflicht anzuerkennen;
die Schranke, die der Germane zog, entnahm er dem mehr
sinnlichen und gröberen Gedankenkreise einer Verschuldung
und Strafbarkeit des Thieres; der Römer stellte sich auf den
höheren Standpunkt, eine Verschuldung des Herrn des
Thieres zu konstruiren. Die Stettiner Schoppen des Jahres
1592 waren gelehrte Juristen; gleichwohl hielten sie an den
Rechtsgrundsätzen des Sachsenspiegels noch fest; nur, wo
das heimische Recht sie im Stiche liess, wandten sie, gleich
anderen Schoppen, das ihnen „gelehrte" Recht, d. h. das
römische Recht, an. Den weiteren Schritt that dann die
spätere Praxis, die nichts mehr wissen wollte von der
Aechtung des schädigenden Thieres, wie sie dem alt-
deutschen Rechte zu Grunde lag, aber auch nichts von der
noxae deditio des römischen Rechtes, die schwerlich als
„recipirt" nachgewiesen werden kann, bis dann den neueren
Anschauungen entsprechend das Preuss. A.L.R. und das
B.G.B. die Haftung desjenigen, der das schädigende Thier
„hält", herausgebildet haben, sofern ihn ein Verschulden trifft.
Ungeachtet es sich also um eine Zeit handelte, zu der das
römische Recht in Stettin, wie anderwärts längst bekannt
war, entschied hier der Oberhof noch nach deutschem
6 I. Einleitung.
Rechte. Auf dem Gebiete der Schadensersatzpflicht ist auch
die weitere Verfolgung des oben angedeuteten Satzes über
den Anspruch der Verwaadten eines Getödteten von Interesse.
Das durch die gemeinrechtliche Praxis seit Alters anerkannte
und in die neueren Gesetzgebungen übergegangene Recht
der Witwe und der Kinder soll nach verbreiteter Lehre auf
einer Ausdehnung beruhen, die der usus modernus der actio
legis Aquiliae gegeben habe. Wenn diese lex zwar bei Ver-
wundung, nicht aber bei Tödtung eines freien Menschen Ent-
schädigung gewähre, so sei dieser spitzfindige Satz, meinte
Svarez, „längst moribus abgeschafft", oder, wie Andere es aus-
drückten, der deutsche Rechtssatz, dass der Familie eines Ent-
leibten dessen Wergeid zur Genugthuung gebühre, sei meist
aufgehoben, der Witwe und den Kindern aber durch die
Praxis zugestanden, mittels der actio legis Aquiliae utilis
ihren Unterhalt zu fordern. Ueber diese Frage existirt eine
ganze Literatur germanistischer wie romanistischer Autoren,
auch ist ein Responsum der Frankfurter Fakultät von 1610
bekannt, das dem Vater und der Witwe eines Getödteten als
Erben je zur Hälfte das Sühngeld des Getödteten zuspricht.
Einen klaren Einblick in die Vorgeschichte des nunmehr
auch in unser Bürgerliches Gesetzbuch übergegangenen,
freilich wenig geschmackvoll formulirten Satzes, dass
schadensersatzpflichtig sei, „wer vorsätzlich oder fahrlässig
das Leben eines Anderen verletze" (§ 823), gewinnt man
aber nur, wenn man Schritt für Schritt die Rechtsprechung
durch die Jahrhunderte zurückverfolgt. Hierzu setzen die
Akten des Brandenburger SchöfFenstuhls ausgiebig in den
Stand. Mit Sicherheit lässt sich aus ihnen entnehmen, dass
die von der Rechtsprechung anerkannte Entschädigungspflicht
des Todtschlägers keineswegs auf der lex Aquilia und ihrer
vermeinten Ausdehnung, sondern ausschliesslich auf dem —
trotz recipirten römischen Rechtes festgehaltenen — deutschen
Rechte beruht, und zwar auf so altem deutschen Rechte, dass
wir uns bis in die Zeiten der Blutrache zurückversetzen
müssen, um die gesammte Entwicklung zu verstehen. Statt
Blutrache zu nehmen, oder — was später an die Stelle der
Blutrache trat — statt den Todtschläger dem Arm der obrig-
I. Einleitung. 7
keitlichen Strafgewalt zu überliefern, konnten die Schwert-
magen, denen die Pflicht oblag, für des Todtschlägers Be-
strafung zu sorgen, mit ihm einen Sühnvertrag schliessen,
d. h. sich mit ihm „versöhnen" gegen Zahlung einer Summe,
die ursprünglich in dem Wergeid des Getödteten (Manngeld)
bestand. Noch 1552 heisst actenmässig das Sühngeld Manngeld,
noch 1631 heisst die „Aussühnung" Wergeldium, und noch 1689
stellt das sorgsam angefertige Inhaltsverzeichniss der „Branden-
burgischen Schoppen Rechtsbelehrung" die verschiedentlich
darin vermerkten Sprüche über das Sühngeld unter der
Ueberschrift „de werigeldiou zusammen. Wie aber aus diesem
Sühngeld ein auch den weiblichen Erben ohne jede Zuhülfe-
nahme der lex Aquilia zufallender Theil des Nachlasses
wurde, ist oben bereits angedeutet.
So erhielt sich weiter, als man annehmen zu dürfen
glauben wird, deutsches Recht noch vielfach in die neuere
Zeit hinein. Erst gegen Ende des achtzehnten, ja vielleicht
erst im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts hat die Wissen-
schaft des gemeinen Rechtes einen solchen Höhepunkt er-
reicht, dass sie über die rechtsprechenden Organe völlige Herr-
schaft erlangt und dem Zustandekommen eines Gesetzbuchs,
wie wir es heute besitzen, die Wege geebnet hat. Dem
„gelehrten" Rechte haben wir dies Gesetzbuch zu verdanken;
es ist seine reifste Frucht.
Das Lehren des Rechtes ging indes nicht allein vom
Katheder, es ging auch vom Gerichtsstuhl aus, und zwar von
demjenigen Gerichtsstuhl, der eine Oberhofsthätigkeit ent-
wickelte. Dieser Gerichtsstuhl „lehrt" aber nicht das Recht,
wie der Universitätslehrer, sondern er „belehrt im Rechte". Der
Ausdruck ist technisch: der Gerichtsstuhl ertheilt einem anderen
Gerichtsstuhl oder er ertheilt den Parteien auf ihre Anfrage
„eine Belehrung des Rechten" (oder „im Rechte"); er spricht
„zur Belehrung des Rechten". Was er da spricht, ist keines-
wegs etwa „gelehrtes Recht", sondern es ist das Gegentheil
davon: es ist „geübtes" Recht, über das man nirgends eine
Lehre, etwa auf einer Hochschule oder sonstwie, erlangen,
sondern das man nur aus dem Munde dessen hören kann,
der es übt und der es aus seiner Uebung weiss. Alt-
8 I. Einleitung.
deutsche Sitte war es, sich für die Entscheidung eines einzel-
nen Streitfalls „Belehrung" bei angesehenen Gerichtsstühlen
zu holen. An diese Sitte knüpfte man an, wenn man nach
Aufkommen eines „gelehrten" Rechtes neben den Gerichts-
stühlen oder statt derselben diejenigen Stellen um „Belehrung"
anging, die zunächst nur zum „Lehren" des Rechtes berufen
waren, die doctores, die Juristenfakultäten. Dass das, was
sie zur „Belehrung" sprachen, „gelehrtes" Recht, d. h.
römisches Recht war, verstand sich von selbst. Anders bei
den Gericntsstühlen. Das Recht, in welchem sie „belehrten",
war ursprünglich deutsches Recht; erst nachdem die Ge-
richtsbeisitzer „gelehrte" Juristen geworden waren* „belehrten"
auch sie — aber unbewusst — im fremden Rechte. Ist man
also in der Lage, eine ununterbrochene Kette von „Be-
lehrungen", die ein Gerichtsstuhl ertheilte, von einer zweifel-
los vor der Reception der fremden Rechte liegenden Zeit
bis fast in die Gegenwart hinein zu verfolgen, so muss hier-
bei die Art und der Gang der Reception greifbar vor Augen
treten, greifbarer als sonst irgendwo in der gerichtlichen
Judikatur. Denn solche Gerichts- (oder Schöffen-)Stühle sind
die einzigen rechtsprechenden Organe, in denen alte Zeit und
neue Zeit sich verbinden. Die fürstlichen Kanzleien, Kammerge-
richte oder Hofgerichte beginnen ihre rechtsprechende Thätig-
keit erst mit dem Auftreten des gelehrten Rechtes, ja sie ver-
danken ihm der Hauptsache nach ihre Entstehung. Ebenso die
Beamten, die auf Instanz der Parteien die Rechtsprechung
an Stelle absterbender Schöffengerichte übernahmen.
Von den als Oberhöfe bis in die Neuzeit erhalten ge-
bliebenen Schöffenstühlen sind wiederum solche, die ihren
Sitz an Universitätsstädten oder Hofgerichtssitzen hatten, von
den anderen zu unterscheiden. Die Schöffenstühle an Uni-
versitäts- oder Hofgerichtsstädten, wie z. B. Wittenberg,
Leipzig und — wenigstens vom Schlüsse des siebzehnten
Jahrhunderts an — Halle, fielen ganz oder zum Theil mit der
Juristenfakultät oder dem Hofgerichte zusammen und standen,
selbst da, wo Schöffenstuhl und Fakultät durchaus getrennt
besetzt waren, immer doch unter dem Einflüsse der Univer-
sität oder des Hofes. Ihre eigenen Wege gingen aber
I. Einleitung-. 9
Schöffenstühle wie Magdeburg, Soest, Lübeck, Bremen,
Frankfurt a. M., Brandenburg, Stettin u. A.
Deshalb gewinnt das in annähernder Vollständigkeit vor-
handene Material gerade eines dieser letztern Schöffenstühle
besonderen Werth. Wir haben in solchem Material die sich
ohne äussere Einflüsse vollziehende Umgestaltung der Recht-
sprechung vor uns. Hinsichtlich eines Zweiges unseres
Rechtes hat schon 1827 Planck in seiner trefflichen Rede
über die historische Methode auf dem Gebiete des deutschen
Civilprozesses auf die Wichtigkeit hingewiesen, die es für
die Wissenschaft des heutigen Prozesses habe, die Spuren
des älteren deutschen Verfahrens über die Reception hinaus
zu verfolgen. Den gezeigten Weg sind daraufhin Stobbe,
Seuffert, W. Endemann u. A. bei ihren Erörterungen über
die Entwicklung des Konkursprozesses mit bestem Erfolge
gewandelt. Gerade für diesen Prozess liefern die branden-
burger Akten reichen historischen Stoff. Ebenso liegt aber
die Sache für viele andere Rechtszweige. Die Arbeit, den
Gang des usus modernus in seinen Einzelheiten zu durch-
forschen, wird gethan werden müssen, so gewaltig auch das
zu durchforschende Gebiet sein mag.
Auf die Umgestaltung der Rechtsprechung hat dann noch
ein politischer Faktor wesentlich eingewirkt. Die Geschichte
dieser Umgestaltung ist nicht bloss zugleich die Geschichte
des Ueberganges der Rechtsprechung von den Auserwählten
der Gerichtsgenossen auf die obrigkeitlichen Beamten, sondern
zugleich der Verwandlung der Volksjustiz in Staatsjustiz oder
die Geschichte der Erstarkung der Landeshoheit. Schon in
römischer Zeit erwuchs neben der ordinaria jurisdictio eine
extraordinaria des kaiserlichen Magistrats, weil jene nicht
mehr dem Bedürfnisse genügte, und die karolingische Zeit
kannte bereits „das Ausheischen einer Sache vor allem Ur-
theilu durch reclamatio ad regis definitivam sententiam; die
Anrufung des obrigkeitlichen Beamten an Stelle des Gerichts"
bahnte dem Ex-officio-Handeln dieses Beamten in Rechts-
streitigkeiten den Weg und ersetzte die Schöffengerichte
durch die „Aemter". So fallt die Umwandlung der
Oberhöfe zu gelehrten Spruchbehörden damit zusammen,
10 !• Einleitung.
dass die Stadtfreiheit schwindet und der Oberhof aus
einem städtischen ein landesherrlicher wird. Das Wachs-
thum der landesherrlichen Gewalt war zugleich der Grund
des Verschwindens der letzten Oberhöfe, nicht etwa das
Eindringen des fremden Rechtes; denn sie bestanden
noch lange, seitdem das fremde Recht zur Herrschaft
gelangt war. Mit einem straffen, geordneten Staatswesen,
mit einem fest gegliederten Instanzenzuge vertrug es sich
schlecht, den Parteien oder gar den Gerichten das Recht zu-
zugestehen, beliebig an anderer Stelle, vielfach sogar ausser
Landes, den Spruch Rechtens sich zu erbitten; die Oberhöfe
passten nicht mehr in die Zeit, wenngleich jedes ihrer Mit-
glieder zu ordnungsmässiger Rechtsprechung vollkommen
befähigt war, sodass Mitglieder der Oberhöfe mit deren
Aufhebung in die Gerichte übergingen, ja vielleicht schon
vor der Aufhebung eine Richterstelle neben ihrem Amte als
Mitglied des Oberhofs bekleideten.
Genaue Nachrichten, aus denen sich die Jahrhunderte
hindurch ein sicheres Bild des Entwicklungsganges unserer
Rechtsprechung entnehmen Hesse, liegen bislang von keinem
deutschen Gerichte vor, überhaupt giebt es noch keine
Spezialgeschichte irgend eines solchen Gerichts, geschweige
denn eines unserer Oberhöfe. Meist fehlt das genügende
Material dazu. Wo es in reichlicherem Maasse vorhanden ist,
hat die Neigung gefehlt, die nicht geringen Schwierigkeiten
zu überwinden, um des Materials Herr zu werden. Im Schöffen-
stuhl — oder richtiger im „Schöppenstuhl" zu Brandenburg;
denn noch bei ihrer formellen Aufhebung im J. 1817 heisst
diese Behörde, wie im Jahre 1 863 die analoge Behörde in Halle,
„Schöppenstuhl" und hat nie anders geheissen — ist der Cen-
traloberhof des Kurfürstenthums Brandenburg zu erblicken,
von dem aus sich strahlenförmig „die Belehrung des Rechten"
nicht bloss innerhalb der Mark, sondern auch innerhalb benach-
barter fremder Territorien und später auch innerhalb neuer-
worbener Landestheile verbreitete. Nicht in allen Territorien
findet sich eine gleiche Erscheinung. So erhellt z. B. aus den
über das ehemalige Kurhessen angestellten Untersuchungen,
dass dort die Ertheilung der Rechtsbelehrung durch die
I. Einleitung. ] |
Schöffenstühle der Hauptstädte Cassel und Marburg während
der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts in Cassel
vor der Thätigkeit der dortigen Kanzlei, in Marburg vor der
des dortigen Hofgerichts und der dortigen Juristenfakultät
schwand. Besondere Umstände erhielten aber den alten
Schöppenstuhl in Brandenburg neben dem Kammergericht
in Berlin und neben der Juristenfakultät in Frankfurt a. O.
Ueber die Spruchthätigkeit dieser Fakultät ist eingezogener
Erkundigung nach Material nicht mehr vorhanden; über die
Spruchthätigkeit des Berliner Kammergerichts wissen wir noch
nichts. Welches Dunkel über die Belehrungsthätigkeit des
Brandenburger Schöppenstuhls wie der Schöppenstühle über-
haupt herrscht, darüber einige Worte. Ein sehr sorgsamer
Forscher auf dem Gebiete der deutschen Rechtsgeschichte
glaubte aus den ihm zu Gebote stehenden Quellen schliessen zu
dürfen, im Brandenburger Schöppenstuhl fänden sich seit 1516
doctores juris als Schoppen, während der erste Doktor erst
anderthalb Jahrhunderte später in Brandenburg auftaucht Von
den Magdeburger Schoppen berichtet ein ebenso sorgsamer
Forscher, sie seien ihrer Aufgabe in späterer Zeit nicht
mehr gewachsen gewesen und hätten ihre Erkenntnisse mehr
nach einer unbestimmten Rechtsüberzeugung, als aus sicheren
klaren Gründen gesprochen, seien nicht immer konsequent
verfahren und hätten ihren Sprüchen mehr den Charakter
eines Schiedsspruchs als eines richterlichen Urtheils gegeben.
Alles dies ist jedoch ebenso der Charakter der Schöppen-
sprüche früherer Zeit, ja überhaupt der Charakter der
älteren deutschen Rechtsprechung gewesen, ausserdem haben
aber die Magdeburger Schoppen, unter denen sich schon
1497 Doktoren fanden, fortdauernd derselben juristischen
Ausbildung sich erfreut, wie die Mitglieder der damaligen
höheren Gerichte, und sie haben sich in ihren Sprüchen —
ebenso wie die Brandenburger Schoppen — in nichts unter-
schieden von den Sprüchen der Juristenfakultäten. Erst in
den letzten Jahren sind verlässliche Nachrichten über den
Zustand des Magdeburger Schöppenstuhls nach 1631 und
!) Stölzel, Gelehrtes Richterthum, 205 ff., 212 ff.
12 !• Einleitung.
über die in den 1630er, wie 1660er Jahren gemachten Ver-
suche der Wiederherstellung gegeben; so räthselhaft blieb
aber selbst fünfzig, ja hundert Jahre nach dem Aufhören
seiner Thätigkeit die Frage, ob er noch existire, dass um
Rechtsbelehrung anfragende Behörden im Jahre 1685 von.
dem Magdeburger Stadtrathe beschieden wurden, der Schöp-
penstuhl sei noch nicht wieder bestellt, und im Jahre 1741
von der Magdeburger Post, der Schöppenstuhl existire schon
„seit Jahren11 nicht mehr.
Ein Beispiel aus dem eben genannten Jahre 1741 mag
noch belegen, welche Auffassung man damals von den richter-
lichen Pflichten hatte. Die Brandenburger Schoppen jener
Zeit waren selbstverständlich sämmtlich gelehrte Juristen,
meist aus der Halleschen Schule hervorgegangen. Das hielt
aber den tüchtigsten, fleissigsten und gelehrtesten unter
ihnen, einen Schüler des Thomasius, nicht ab, in einem
verwickelten Liquidationsprozesse gegenüber dem eingehend
motivirten Antrage des Referenten, der ein reformatorisches
Erkenntniss vorschlug, „den Herren Kollegen zur Erwägung
zu geben, ob es nicht bei den gründlichen rationes der sen-
tentia a qua verbleiben solle, damit diese weitläufige Sache
völlig abgethan und einer Kleinigkeit wegen der Lauf des
Rechten nicht von neuem eröffnet werde"; sein Nachfolger
in der Abstimmung war „gleichfalls der Meinung, das es bei
der sententia a qua zu lassen", bemerkte aber, dass er die
reformatoria, „für den Fall, dass majora nicht erfolgen",
alsbald unterschrieben habe; der vierte Schöppe endlich
fand zwar die reformatoria des Referenten bündig und er-
klärte sich bereit, sie ebenfalls zu unterschreiben, wollte es
indess „ratione confirmationis mit majoribus halten"; der
Senior als fünfter Schöppe trat darauf, indem er den Ent-
wurf des Referenten unterzeichnete, dessen Vorschlag bei
(92 14 ff.). Hiermit erachtete man einen Mehrheitsbeschluss
zu Gunsten des Referenten hergestellt; denn zwei Schoppen
hatten erklärt, sich der Mehrheit anschliessen zu wollen; diese
Mehrheit wurde unter den übrigen drei Schoppen dadurch
hergestellt, dass Referent und Senior für die reformatoria
waren und nur der erste Korreferent für die confirmatoria;
]. Einleitung. 13
dieser enthielt sich der Unterschrift .des Konzepts, während
der vierte Schöppe, den majoribus folgend, unterschrieb.
Heutzutage würde man es für wenig vereinbar mit den Auf-
gaben des Berufs rechtsprechender Beamten halten, wenn
in einem zweitinstanzlichen Kollegium ein Richter für Be-
stätigung des erstinstanzlichen Urtheils ohne Prüfung der
Rechtslage lediglich um deswillen stimmen wollte, weil das
erste Urtheil gründlich abgefasst und die kürzeste Erledi-
gung der Sache empfehlenswerth sei; ebenso würde man es
pflichtwidrig nennen, wenn zwei von fünf Richtern erklärten,
sie könnten sich sowohl für Abänderung als für Bestätigung
des erstinstanzlichen Urtheils erklären und überliessen des-
halb der Majorität unter den übrigen drei Richtern die
Entscheidung. Auch in solchen Auffassungen hat die Recht-
sprechung eine Entwicklung durchgemacht; richterliche Ge-
wissenhaftigkeit und richterliches Rechtsgefühl bedurften
ebenfalls ihrer Erziehung. Vom Zeitalter der Folter und des
Scheiterhaufens, die man einem menschenunwürdigen Aber-
glauben in geradezu entsetzlicher Weise dienstbar gemacht
hatte, lässt sich die Erziehung zu einem völlig geläuterten
Rechtsbewusstsein nicht erwarten. Mehr als eine Seite
unserer Brandenburger Akten legt davon Zeugniss ab.
Es ist darum für den Juristen der Gegenwart wie ein
Wandeln in fremder Welt, wenn er Jahrhunderte hindurch
die Rechtspflege seiner Amtsvorgänger an sich vorüberziehen
lässt. Dazu bieten die fortlaufenden Akten einer Behörde,
bei der sich die Rechtsprechung eines Territoriums lange
Zeit konzentrirte, die beste Gelegenheit. Hat also zufallig
einmal ein günstiger Stern über den Akten einer solchen
Spruchbehörde gewaltet, so kann sich dies der Wissenschaft
nur als nutzbringend erweisen.
IL Material.
Die Beschaffenheit des bei gegenwärtiger Untersuchung
benutzten Materials bedarf einer eingehenden Prüfung, weil
erst dadurch die genügende Grundlage eines sicheren Urtheila
über das Rechtsbelehrungswesen gewonnen werden kann.
I. Den Hauptstock des Materials bilden die in einem be-
sondern Zimmer des Amtsgerichts Brandenburg aufbewahrten
108 Foliobände Schöppenstuhlsakten, je in einer Stärke von
durchschnittlich 600 Blättern, einzelne sogar von etwa 1000
Blättern. Das älteste Aktenstück datirt von 1432, das jüngste
von 1807. ^er Einband (einfachster Pappband) stammt aus
neuerer Zeit; er ist kein einheidicher für sämmtliche Bände;
einheitlich sind gebunden die Bände 1 bis 8o, dann die Bände
81 bis 99, ferner die Bände 10 1 bis 107; Band 100 und ebenso
Band 108 stehen für sich 'allein.
Diese Bände entstanden in ihrer jetzigen Gestalt der
Hauptsache nach in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahr-
hunderts. Die Bände 101 bis 105 wurden erst zwischen 1809
und 181 3 hergestellt.1)
Alsbald auszuscheiden sind die Bände 100, 107 und 108;
sie enthalten zwar mancherlei, was für die Entwickelung der
Rechtsprechung des Schöppenstuhls von Wichtigkeit ist, aber
sie enthalten keine Schöppenstuhlsakten.
Band 100 beginnt mit einem vom Schöppenstuhlsassessor
Katsch unterzeichneten undatirten Spruch, dann folgen Spruch-
konzepte des Schöppenstuhls -Senior Giesecke und Abschriften
solcher Urtheilskonzepte aus den Jahren 1727 bis 1752, unter-
mischt mit einzelnen Proberelationen von Kandidaten des
Schöppenstuhlsassessorats. Das Ganze scheint aus dem Nach-
J) AA. Akten II. S. 9 fol. 67 ff.: „5 Bände Akten von 1759 bis 1785
in Pappband.u
II. Material. 15
lasse des Senior Giesecke (f 1759) herzurühren; in diesem
Nachlasse mögen sich auch die beim Senior eingereichten
Proberelationen befunden haben. So wird erklärlich, dass
einerseits in Band 100 eingeheftete Abschriften sich als eigen-
händige Konzepte Gieseckes, und dass andererseits in Band
100 eingeheftete eigenhändige Konzepte Gieseckes sich als
Abschriften in den Schöppenstuhlsakten wiederfinden.1)
Band 107 ist eine Sammlung von landesherrlichen (meist
gedruckten) Erlassen strafrechtlichen Inhalts aus der Zeit
von 1683 bis 1743; mehrere dieser Erlasse sind in einer
Reihe von Exemplaren vorhanden, wie sie von Amts-
wegen dem Schöppenstuhl zur Vertheilung zugingen.
Band 108 trägt auf dem Rücken die Aufschrift: „Ge-
richtsbibliothek No. 759 zu Brandenburg a. H.u, war also ur-
sprünglich Theil der Bibliothek und niemals Theil der
Schöppenstuhlsakten; er enthält drei vor dem Gerichte des
Brandenburger Domkapitels in den Jahren 1682, 1699
und 1758 wegen Sodomie, Vatermords und einfachen Mdrds
verhandelte vollständige Strafprozesse; es sind dies also Akten
des Domkapitels, die auf irgend welche unbekannte Weise
in den Besitz des Stadtgerichts Brandenburg oder eines seiner
Rechtsnachfolger gelangt sind; darin sind überhaupt nur
zwei Brandenburger Schöppenstuhls-Sprüche (auf Zulassung
der Folter und auf den Tod durch das Schwert 1682 fol. 57.
64; ÜB 2 730) enthalten, und zwar in Reinschrift, wie sie dem
Domkapitel zugingen.
Es bleiben alse 105 Bände übrig, welche im wahren
Sinne des Wortes Schöppenstuhlsakten darstellen. Sie sind
wahrscheinlich allein dadurch vor der ihnen sonst sicher be-
schieden gewesenen Vernichtung bewahrt worden, dass man
sie, als der Schöppenstuhl seinem Ende sich zuneigte, ein-
binden liess. 2) Dass sie bis zur Zeit des Einbindens noch vor-
*) Fol. 75 ff. des Bandes 100 ist z. B. identisch mit fol. 369 ff. des
Bandes 86, fol. 649 des Bandes 100 ist identisch mit fol. 439 in Bd. 98,
fol. 680 in Bd. 100 mit fol. 349 in Bd. 99, fol. 704 in Bd. 100 mit fol. 184
in Bd. 98.
*) Der Vernichtung scheinen werthvolle Akten, betr. die Verfassung"
des Schöppenstuhls, verfallen zu sein, die 1819 dem Land- und Stadtgericht
16 H. Material.
banden waren, verdanken sie dem historischen Sinne derselben
beiden Männer, welche sich durch Anlegung der noch vor-
handenen Kopiarien der beiden Städte Brandenburg verdient
gemacht haben. Diese Männer sind der altstädtische Bürger-
meister Mag. Simon Roter, von 1551 bis 1562 altstädter
Schöppenschreiber, dann bis 1595 altstädter Schöppe, und der
erste Direktor der 17 15 aus der Alt- und Neustadt Brandenburg
zusammengeschmolzenen einheitlichen Stadt Brandenburg,
Martin Heins, der von 1707 bis 1724 als aus der Neustadt
hervorgegangener Assessor des Schöppenstuhls fungirte.
Da die gesammelten Sprüche bis zum Jahre 17 15 von
den Schoppen beider Städte Brandenburg ausgingen, und
in Folge dessen, wie später erhellen wird, die Mitglieder
des Schöppenstuhls sich aus zwei Kollegien zusammensetzten,
die zwar gemeinsam über die eingehenden Sachen entschieden,
aber sich in deren Bearbeitung und formelle Erledigung
theilten, so gab es naturgemäss altstädtische und neustädtische
Akten. Für die Erhaltung der altstädtischen Akten sorgte
Simon Roter und sein Nachfolger in der Altstadt, für die der
neustädtischen sorgte Niemand. Darum sind sämmtliche ältere
Akten — und zwar bis in die zweite Hälfte des siebzehnten
Jahrhunderts hinein — altstädtische Akten, d.h. ursprüng-
lich in der Altstadt aufbewahrt gewesene Akten, l) was nicht
Br. übergeben worden sind, noch 1833 vorhanden waren und später verloren
gingen. AA. Akten S. 9 fol. 59 ff. Im J. 1838 beantragte auf Vorschlag-
eines Auskultators das Land- und Stadtgericht Br. beim Kammergericht, die
Bände der Schoppen Stuhlsakten „auctionis modo zu verkaufen, da es sich
überzeugt habe, dass darin nichts von irgend welchem Interesse
enthalten seik\ fand aber damit keinen Beifall beim Kammergericht. Vgl.
auch Bardey in den Mittheil, des Vereins für die Gesch. Berlins 1891 S. 82.
') Darauf weist z. B. eine durchstrichene Notiz des Jahres 163H
(76 592) hin, die sich auf dem Rücken eines Acktcnstückes findet. „Dieser
bericht ist . . . (von?) dem syndico in der Newstadt den . . . Juli abge-
fordert worden.** Das bedeutet: den zu den altstädtischen Akten gehörigen,
dem neustädtischen Syndikus auf Wunsch ausgehändigten Bericht kenn-
zeichnete der altstädt. Schöppenschreiber als zu den altstädt. Akten gehörig
dadurch, dass er jene Notiz machte; nachdem der Bericht wieder zurück-
gelangt war, durchstrich er die überflüssig gewordene Notiz. Das sehr
energische Durchstreichen hat die punktirten Stellen unleserlich gemacht.
II. Material. 17
ausschliesst, dass sich darunter einzelne aus der Neustadt in
besonderer Veranlassung unter die altstädtische Akten ge-
rathene Sachen befinden.
Eine vollständige Sammlung aller Sprüche des Branden-
burger Schöppenstuhls liegt also nicht vor. Die Gesammtzahl
der erhaltenen Rechtsfälle berechnet sich nach "der am
Schlüsse des Urkundenbandes 4 mitgetheilten Tabelle auf
14273. Ein sicheres Bild von der Gesammtthätigkeit des
Schöppenstuhls kann diese Tabelle schon deshalb nicht
geben, weil sie sich im Wesentlichen auf die in der Alt-
stadt gesammelten Akten beschränkt. Auch diese sind —
namentlich soweit die ältere Zeit und soweit die zweite Hälfte
des siebzehnten Jahrhunderts in Betracht kommt — unvoll-
ständig. Die Akten pflegten so aufbewahrt zu werden, dass
die einzelnen Prozessschriften, in Oktav gefaltet, auf einander
gelegt wurden. Es wäre wunderbar, wenn bei solcher Ein-
richtung aus der älteren Zeit Alles erhalten wäre. Wie wenig
überhaupt die Aufbewahrung erledigter Akten Stil war, er-
giebt die mehrfach bei Freisprechungen vorkommende Wei-
sung des Schöppenstuhls (z. B. 1727 an den Hauptmann von
Bredow zu Wagenitz — xoo 95), es sollten „diese Akten auf-
gehoben werden, damit, wenn nähere Anzeige sich hervor-
thun sollte, dieselben sodann wieder aufgesucht und die In-
quisition fortgesetzt werden könne".
Gleichwohl liegen einige Thatsachen vor, welche ergeben,
dass die altstädtischen Sprüche uns doch in ziemlicher Voll-
ständigkeit erhalten sind.
1. Auf dem Rücken eines mit Nummer 16 bezeichneten
Aktenstücks des Jahres 1586 (27 79) ist von der Hand des
altstädter Schöppenschreibers Bluhm bei Beginn seines Amtes
bemerkt: „Von Katherine" (d. i. 25. November) „86 bis zu
dem angehenden 87. jähre vorsprochen und in der alten
Stadt geschrieben". Dies diente als Aufschrift für die in
einem Convolute auf einander gelegten Akten der angegebenen
Zeit. Jedes Aktenstück hat — was sonst nur selten der Fall
ist — damals seine Nummer erhalten. Die Nummern reichen
bis 118 und sind, wenn auch nicht in richtiger Reihenfolge,
sämmtlich vorhanden. Dass in späterer Zeit, nämlich in den
S t ö 1 z e 1 , Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. L 2
18 II. Material.
Jahren 1661, 1663 und 1664, die einzelnen Sachen numerirt
und jahrweis zu einem Volumen (durch Zusammenschnüren)
vereint wurden, folgt aus einer auf der mit No. 131 bezeich-
neten Anfrage ersichtlichen Bemerkung des Urtheilsverfassers:
„das urteil lieget supra no. 44" (79 159), und aus zwei Ur-
theilsentwürfen dieser Jahre, deren einer (79 238) auf „No. 163
de 1663", deren anderer (79 214) auf die (jetzt fehlende)
„No. 15 anno 1663 sub hoc volumine" verweist. Weshalb
aus dieser Zeit der Aktenbestand grosse Lücken aufweist,
wird sich später ergeben. Wie lückenhaft er ist, beweisen
folgende Thatumstände.
Aus dem Jahre 166 1 hat sich eine einzige Sache erhalten.
Sie trägt die Ordnungsnummer 131 (79 158). Von den beiden
Sachen, die aus dem Jahre 1662 vorhanden sind, ist eine mit 35
numerirt (79 162). Im Jahre 1664 wird aus dem vorhergehenden
Jahre eine Sache mit der Nummer 163 erwähnt (79 238). Aus
dem Jahre 1663 ist aber keine Sache erhalten. Vom Jahre
1664 sind 34 Sachen vorhanden. Eine unter ihnen ist mit 64
numerirt (79 296). Die einzige Sache, die aus dem Jahre
1666 (79 372) erhalten ist, trägt die Ordnungsnummer 102.
Die 14 Sachen des folgenden Jahres sind mit Nummern von
92 bis 110 bezeichnet (79 376 — 419). Aus dem Jahre 1672
sind 21 Sachen erhalten, von denen eine die Nummer 38
trägt (79 536). Hiernach würde es gewagt sein, aus dem
geringen Umtange der Akten in der zweiten Hälfte des 17.
und im Anfange des 18. Jahrhunderts auf einen erheblichen
Niedergang des Schöppenstuhls zu schliessen.
Uebrigens tragen auch sonst Akten aus der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts vielfach Ordnungsnummern, meist
links oben auf dem ersten Blatte der Missive.
2. Die vom Magistrate zu Tangermünde noch jetzt ver-
wahrten Akten, betr. die Strafsache gegen Meilhan, seine
Ehefrau Grete Minde und andere Genossen wegen Brand-
stiftung aus den Jahren 1619 und 1620, enthalten nicht weniger
als 14 Brandenburger Sprüche in den Originalausfertigungen.
Von 11 dieser Sprüche finden sich die Entwürfe nebst vor-
hergegangenen Anfragen in den Schöppenstuhlsakten (Bd. 66
und 69); nur 3 Sprüche fehlen. Dies sind nach Siegel und
II. Material. 19
Schreiberhand in der Neustadt ausgefertigte Sprüche; die in
der Altstadt ausgefertigten Sprüche liegen also vollstän-
dig vor.
3. Die Jibgethanen Sachen wurden vom Schöppen-
schreiber aufbewahrt, wie es ihm der im Schöppenbuche von
1697 mitgetheilteSchöppenschreibereid ausdrücklich zur Pflicht
macht. Dem entsprechend heisst es z. B. in einem Schreiben
des altstädter Schoppen Roter von 1562 (9 110), den in
einer Sache ergangenen früheren Spruch „habe Johannes
(d. h. der Neustädter Schöppenschreiber Joh. Mawe) bei
sichu. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass etwa dem
Schöppenschreiber bei seinem Amtsantritt eine Sammlung
aller unter seinen Vorgängern entstandenen Akten über-
liefert wäre; für eine solche Sammlung zu sorgen, Hess in
älterer Zeit nur Roter sich angelegen sein; immerhin konnte
1567 (11 440) eine der Partei abhanden gekommene Urtheils-
ausfertigung von 1558, deren Konzept in unserer Sammlung
(6 69) vorliegt, wiederhergestellt werden; Roter als Schöppen-
schreiber hatte also schon damals für ordnungsmässige Auf-
bewahrung Sorge getragen; die Partei unterstellte aber gar
nicht, dass das um neun Jahre zurückliegende frühere Kon-
zept noch vorhanden sei; denn sie bat unter nochmaliger
Einsendung der Akten, diese „zu übersehen und ein dem
vorigen Urtheil gleiches zu sprechen". Statt dessen liessen
die Schoppen einfach eine neue Reinschrift des alten Spruches
fertigen.
Ein Fall des Jahres 1591 aus Templin, in welchem
eine frühere Belehrung der Partei abhanden gekommen
war und nunmehr, ohne Rücksicht auf die frühere Belehrung,
von Neuem gesprochen wurde (33 269), beweist dagegen
unverkennbare Nachlässigkeit in Aufbewahrung selbst der
erst kurz vorher entstandenen Akten. Eine Feststellung durch
die Schöppenschreiber, ehe eine eingegangene Sache zur
Prüfung gelangte, ob nicht etwa in derselben Sache erkannt
sei, fand nicht statt; es blieb dem guten Gedächtniss der
Schoppen überlassen, sich der früheren Entscheidung zu
erinnern. So bemerkt 1615 (ÜB 2 539) ein neustädter
Schöppe: „Weil das gegenteil sich belehren lassen, wirt
2*
20 n. Material.
man nach dem vorigen urtel sehen44 und ein Kollege
von ihm schreibt 1621 (68 258) auf die Anfrage in einer
Stendaler Sache: „Es ist schon in dieser Sache erkannt, das
weiss ich gewiss; es wäre gut, dass der vorige Bericht auf-
gesucht würde", und 1623 (71 178) ebenfalls ein neustädter
Schöppe auf eine andere Anfrage: „Ich weiss, dass diese
Sache hie gewesen . . . , daher die Herren wollen die sache
aufsuchen"; sein Kollege erinnert sich dann, dass die Sache
„vor wenig Wochen" vom Gegner des jetzt Anfragenden herge-
schickt gewesen sei, deshalb müsse das frühere Urtheil noth-
wendig aufgesucht werden; es findet sich auch das vor zwei
Monaten ergangene Urtheil (71 532), dem nunmehr konform
erkannt wird. Später, und zwar anscheinend nach dem im
Jahre 1700 erfolgten Einstürze des Schöppenhauses, wovon
wir hören werden, hat der Schöppenschreiber Steltzner eine
Ordnung der Akten begonnen, indem er auf der untern
rechten Ecke eines Blattes mit Rothstift die Jahreszahl notirte,
welcher die in denselben Konvoluten vereinigten Akten-
stücke angehörten.1)
Dass am Ende des 17. Jahrhunderts auf Ordnung beim
Schöppenstuhl gehalten wurde, ergiebt ein vom Dezember
1742 (94 73) datirtes Schreiben desselben Steltzner, damals
81jährigen emeritirten Schöppenseniors, worin es in Bezug
auf ein vermisstes Aktenstück heisst, er habe im altstädti-
schen Aktenspinde alle Litteren mit einem besonderen Re-
pertorio und Rotulo versehen und dadurch allem Irrthume
vorgebeugt, reservire sich noch eine genaue Revision, die
er wegen der Kälte jetzt nicht vornehmen könne; seit Mai
1685 habe er die Akten getreulich verwaltet. Auch spricht
für die Vollständigkeit der Akten aus Steltzner's Zeit ein
vom Schöppenstuhl im Dezember 1738 an Cocceji erstatteter
Bericht, laut dessen im genannten Jahre bis dahin 48 Sachen
eingegangen waren,2) während unsere Aktensammlung aus
dem gesammten Jahre 1738 65 Nummern enthält.
Soll hiernach eine Schätzung der Zahl von Sprüchen
i) Z.B. 1648 (7899), 1651 (78241), 1652 (78369), 1656 (791), 1659
(79 147).
*) StA. R. 21 No. 9c.
IL Material. 21
versucht werden, welche etwa in der Zeit von 1500 bis 1800,
also in drei Jahrhunderten von dem Brandenburger Schöppen-
stuhl ausgingen, so wird die Zahl von 30000 eher zu niedrig
als zu hoch gegriffen sein. Die Blüthezeit fallt nach den
vorhandenen Sprüchen in die 1580er Jahre; in den 1720er
und 1730 er Jahren ist dann eine Nachblüthe der damals er-
heblich zurückgegangenen Thätigkeit des Schöppenstuhls
wahrnehmbar.
Die Durchsicht sämmtlicher Bande, die sowohl Civil- wie
Kriminalsachen, meist in bunter Mischung, enthalten, war un-
erlässlich. Nur dadurch Hess sich ein genügend vollständiges
Bild über den Geschäftsgang, über das mitwirkende Personal
und über andere wichtige Gesichtspunkte gewinnen, da all-
gemeine zuverlässige Nachrichten über den Schöppenstuhl
durchaus fehlen, auch die Akten sich im Wesentlichen auf
die an den Schöppenstuhl gestellte Anfrage und die von ihm
(bis zum 1 7. Jahrhundert hin ohne Gründe, wie ohne Namens-
unterschriften) ertheilte Antwort beschränken. Deshalb
werden hier und da eingefugte kurze Notizen, Briefe,
Meinungsäusserungen besonders schätzbar, und zu ihrer Auf-
findung bedurfte es einer Durchsicht Blatt für Blatt.
Beim Einbinden der 106 Bände ist keineswegs streng die
Chronologie gewahrt, auch sind an manchen Stellen Ver-
heftungen nicht ausgeblieben.
Jedem Bande hat in den 1860er Jahren der damals zu
Brandenburg im Ruhestande lebende Gymnasialoberlehrer
Professor Dr. Heffter, derselbe, dessen Fleiss man das
Register zu Rieders codex diplomaticus verdankt, ein Inhalts-
verzeichniss im amtlichen Auftrage beigefügt. Dasselbe führt
unter fortlaufender Nummer nach der Blattfolge des Bandes
jeden Rechtsfall und unter Rubriken Personen und Gegen-
stand des Rechtsfalls, das Gericht, bei dem die Sache ver-
handelt ist, sowie das Jahr der Verhandlung auf. Macht
sich zwar bei Benutzung dieses Registers vielfach bemerkbar,
dass dessen Autor ein Nichtjurist war, so gewährt dasselbe
doch dem Benutzer der Bände eine nicht zu unterschätzende
Hülfe. Aus sämmtlichen 106 Registern hat dann Heffter mit
22 n. Material.
grösstem Fleisse noch ein Gesammtrepertorium hergestellt,
welches in seiner Abtheilung I (S. i bis 340) das alphabetische
Verzeichniss der bemerkenswerthen Orts- und Personennamen
und der auf die ersteren bezüglichen Prozesse, in der Ab-
theilung II (S. 341 bis 464) das alphabetische Ortsverzeichniss
der Prozesse unter Angabe von Jahreszahl, Band und Blatt,
und schliesslich eine 15 Bl. füllende Liste der vorkommenden
Ortschaften und Familien unter Angabe des Jahrhunderts
und der Gesammtzahl der den Ort oder die Familie be-
treffenden Urkunden enthält (letztere Liste jedoch ohne An-
gabe, wo die Urkunden in den einzelnen Bänden sich finden).
Das Repertorium ist in sauberer Reinschrift vervielfältigt;
Exemplare davon besitzt das Justizministerium, das Kammer-
gericht und das Geheime Staatsarchiv in Berlin, sowie der
Magistrat und das Amtsgericht in Brandenburg.
Diesen aus der neueren Zeit stammenden Registern
Heffter's treten nach einzelnen Seiten hin ergänzend mehrere
den Akten einverleibte, unter einander nicht in Zusammen-
hang stehende kürzere Verzeichnisse hinzu, die auf die Thätig-
keit des oben bereits genannten Schoppen Heins (1707 bis
1724) zurückzuführen sind; nachdem er kurz vorher Senior
des Schöppenstuhls geworden war, begann er im Jahre
1723, den in Konvoluten nach Jahrgängen aufbewahrten
Akten vorn ein Inhaltsverzetchniss beizufügen. Deren erstes
bildet jetzt, 2l/2 Folioseiten umfassend, den Anfang von
Bd. 81 und ist überschrieben: „Copey liehe Urthel in
Civilsachen". Der Angabe der Sachrubrik wird am Schlüsse
der Zeile die Jahreszahl beigefügt. So registrirte Heins bis
zum Jahre 1723 46 Nummern, dann unter der Ueberschrift:
„de anno 1723** 81 Nummern. Im Band 82 finden sich zwei
analoge Register, das eine. auf Blatt 1 mit der Ueberschrift:
„Copiae der Urthel, so in Criminalsachen ausgefertigt4*
und auf Bl. 358 mit der Ueberschrift „Copey liehe Urthel
in Civilsachen bei hiesigem Schöppenstuhl" ; das letztere
Register (eine Seite an Umfang) verzeichnet eine Nummer
von 1703, zwei von 1706, drei von 1707, zwei von 1708, drei
von 1709, 17 10, zwölf von 17 12, drei von 1713, je vier von
17 14 und 1715; die so verzeichneten Akten reichen bis Bl. 542
II. Material. 23
des Bandes; dann fehlt ein gleiches Verzeichniss. In Bd. 83
Bl. 477 erscheint aber wieder ein Verzeichniss mit der Ueber-
schrift: „Anno 1725 sind bei hiesigem Schöppenstuhl ein-
liegende Urtheile ausgefertigt worden", desgleichen in
Bd. 84 Bl. 1 ein Verzeichniss mit der Ueberschrift : „Re-
sponsa, so im Jahre 1726 von hiesigem Schöppenstuhl über
eingelaufene acta und Berichte ausgefertigt worden" ; dann
folgen die Rubriken in zwei mit „Civilia" und „Criminalia"
bezeichneten Kolumnen. Alle in letzteren beiden Verzeich-
nissen aufgeführten Sachen sind vorhanden.
Es ist hiernach zweifellos, dass man innerhalb des
Schöppenstuhles selbst das, was wir in unseren Schöppen-
stuhlsakten vor uns haben, im Jahre 1723 Urtheilsabschriften
nannte, während man im Jahre 1725 den Ausdruck Urtheile
und im Jahre 1726 den Ausdruck Responsa dafür brauchte.
Der Ausdruck Urtheilsabschriften oder copiae der Urthel
scheint auf den ersten Blick auffallig, es ist aber eine sehr
beachtliche Bezeichnung aus ältester Zeit, die sich bis 1723
erhalten hat. Auffällig ist sie, weil nach unserer heutigen
Anschauung unter Urtheilsabschriften etwas ganz Anderes
verstanden wird, als was die Akten bieten. In ihnen haben
wir nämlich der Hauptsache nach die von einem Schöppen-
schreiber oder von einem Schoppen des Brandenburger
Stuhles auf die gestellten Anfragen („Berichte" oder „Rechts-
fragen", später „Missiven" genannt) niedergeschriebenen
Original entwürfe der Schöppensprüche vor uns, die in
gleichlautender Ausfertigung den Anfragenden mitgetheilt
wurden. Nur vereinzelt sind durch besondern Zufall auch Ori-k
ginalausfertigungen solcher Sprüche in die Akten auf-
genommen, und zwar Ausfertigungen, deren Konzept bald
in den Akten sich findet, bald darin fehlt. Aus der durch
die Heins'schen Register dargethanen Thatsache, dass einst
die auf die Missiven gesetzten Sprüche Urtheilsabschriften,
später aber Urtheils entwürfe waren, erhellt, dass man vor
Alters auch in Brandenburg Gewicht darauf legte, Abschriften
von den hinausgegebenen Oberhofssprüchen zurückzubehalten.
Es wäre angezeigt gewesen, dafür schon früh ein besonderes
Urtheilskopiarium anzulegen. Davon findet sich aber aus
24 U. Material.
jener Zeit keine Spur.1) Als mit dem sechzehnten Jahr-
hundert die Zurückbehaltung der Missiven und die Ent-
werfung der Sprüche auf den unbeschriebenen Theilen
der Missiven Stil wurde, versahen diese Entwürfe den Dienst
eines Urtheilskopiariums : die Sammlung der Entwürfe be-
deutete nichts Anderes als eine Sammlung der Sprüche im
Anschlüsse an die alte Sitte, nach welcher der Stadtschreiber
überhaupt eidlich verpflichtet wurde, die mit der Stadt Siegel
versiegelten Briefe zu kopjren.2)
Die einfach nach der Zeitfolge zusammengeschnürten
Spruchentwürfe genügten aber zur Blüthezeit des Schöppen-
stuhl Wesens nicht dem Bedürfnisse; wie hätte man sich in der
zuströmenden Menge von Sachen ohne alphabetisches oder
systematisches Repertorium für die nunmehr gelehrt ge-
wordene Spruchpraxis zurechtfinden können? Deshalb be-
gannen gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts Auszüge
wichtiger Oberhofsprüche — eine Art von Decisionen- oder
Präjudiziensammlungen — aufzutauchen, wie sie an vielen,
namentlich gemeinrechtlichen oberen und obersten Gerichts-
höfen bis in die neue Zeit geführt wurden. Eine solche
Sammlung legte man in Brandenburg in den 1580er Jahren an.
Aehnlichem Bedürfnisse hatten zwei Jahrhunderte vorher
die Sammlungen gedient, die in der damaligen Blüthezeit
altdeutscher Rechtsprechung verschiedene vom Oberhof
Magdeburg abhängige Gerichte sich anlegten, um die er-
gangenen, dort erbetenen Oberhofsprüche festzuhalten und
bei der Urtheilsfällung gegenwärtig zu haben. Dahin ge-
hört das vom Stadtschreiber zu Stendal für die Stendaler
Schoppen angelegte Urtheilsbuch, in dem sich auf 20 Perga-
mentblättern Urtheile der Magdeburger Schoppen in Sten-
daler Sachen aus der Zeit um 1330 finden.3) Ferner gehören
*) Nur einmal, und zwar in einem alten Schöppenbuch der Neustadt
findet sich um 1430 erwähnt „das vorige schepenbuk, dar dy ordelle
inne vorschreven stanM (ÜB l 8); hiermit scheint aber eher ein Buch für
die Urtheile des neustädter Gerichts, als für die des Schoppens tuhls beider
Städte gemeint zu sein.
2) Z. B. in Stendal: Götze, Gesch. der Stadt St. 1873 S. 88.
3) Vergl. Behrend, Stendaler Urtheilsbuch, 1868 S. XIII.
II. Material. 25
dahin die sog. Magdeburger Fragen, eine in Breslau, Krakau
und anderwärts veranstaltete, in Preussen mit Zusätzen ver-
sehene Sammlung Magdeburger Oberhofssprüche aus dem
Ende des vierzehnten Jahrhunderts.1) Drei andere wichtige
Sammlungen, die am Orte der Gerichte, und zwar für den
Gebrauch dieser Gerichte, nicht etwa für auswärtige Ge-
richte gemacht sind, liegen vor in den Sammlungen der
Sprüche der Schöffen zu Iglau in Mähren,2) der Schöffen zu
Frankfurt a. M. :i) und der Schöffen zu Ingelheim am Rhein. 4)
Am weitesten zurück in die Vergangenheit, nämlich in
das dreizehnte Jahrhundert reichen die Iglauer Sprüche. Sie
sind eine Sammlung des Prager Klerikers Johannes von Geln-
hausen (oder auch von Gunpolcz in Böhmen, wohin sein Vater
auswanderte). Erst Bergschreiber in Kuttenberg, einer
Tochterstadt Iglau's, fungirte er 1359 in Iglau als kaiser-
licher ttatar und magister scolae, 1360 wurde er zum Stadt-
notar in Iglau erwählt. Als solcher trug er „ad omnium
notariorum notissimum et verissimum documentum" die ihm
zugänglichen, zum Theil noch im 13. Jahrhundert gefällten,
Sprüche auszugsweis, anfanglich in lateinischer Sprache, später
in deutscher ein. Die älteren sind in kurzen Sätzen mit den
Einleitungsworten: „Sententionatum estM oder „Es ist ge-
theilt worden" (also in der Weisthumsform), allmählich mit
Heraushebung der gestellten Anfrage, dann mit Erzählung
des Thatbestandes und endlich mit Aufnahme der Partei-
reden oder Parteischriften wiedergegeben. Der Höhepunkt
der Thätigkeit dieses Oberhofs war die zweite Hälfte des
14. Jahrhunderts.
In die nämliche Zeit fallen die von Thomas als Ober-
hofssprüche mitgetheilten Auszüge aus Frankfurter Gerichts-
büchern,5) ebenso die von Lorsch mitgetheilten 426 Urtheile
') Gaupp, Das alte Magdeb. und Hall. Recht, Breslau 1826 S. VII.
VIII. Stobbe, Deutsche Rechtsquellen 1, 421, 1860. Behrend, Die Magde-
burger Fragen, 1865. Schröder, Deutsche Rechtsgesch. 2. Aufl. S. 665,
Bonn 1885.
-) Tomaschek, Der Oberhof Jglau in Mähren, Innsbruck 1868.
*) Thomas, Der Oberhof zu Frankfurt a. M., Frkf. 1841.
4) Lorsch, Der Ingelheimer Oberhof, Bonn 1885. *) 1339 bis 1485.
26 H. Material.
des Oberhofs Ingelheim.1) Dass die Frankfurter Sprüche
für Frankfurt selbst bestimmt waren, ergiebt sich aus ihrer
Eigenschaft als Einträge im Gerichtsbuche. Das Ingelheimer
nur in einzelnen Blattern und Heften erhaltene Manuskript
hat in dem letzten Hefte ein Titelblatt; dies Titelblatt trägt
die Aufschrift; „Fremdeortelbuch de anno 58u;2) es bestätigt
sich also dadurch die — auch aus den anderen erhaltenen
Theilen der Sammlung begründete — Annahme, dass es
sich um ein beim Oberhof Ingelheim angelegtes Urtheilsbuch
handelt. „Fremdeurtheile", d. h. solche Urtheile, die nach
fremden Gerichten hin ergingen, nicht die für das eigene
(Ingelheimer) Gericht ergangenen Urtheile wollte das Buch
sammeln. Es diente also — gleich dem Brandenburger Buche
— den Zwecken des Oberhofs, unterschied sich aber von der
Sammlung des Brandenburger Schöppenstuhls, dass es die
von den anfragenden Schoppen des Tochtergerichts münd-
lich oder unter Ueberreichung von Schriftsätzen gestellten
Fragen vollständig aufnahm, also sich nicht, wie das Branden-
burger Buch fast überall, auf den gegebenen Urtheilsspruch
beschränkte. Das Ingelheimer Fremdurtheilsbuch war ein
Kopiarium ergangener Rechtsbelehrungen, geordnet nach
der Zeitfolge und angefertigt, als die Belehrungen ertheilt
wurden ; die Brandenburger Decisionensammlung enthält
ebenfalls Kopien ergangener Rechtsbelehrungen, greift aber
in die Vergangenheit zurück und ist unter systematischer
Gruppirung des Stoffes alphabetisch geordnet.
Diese Sammlung Brandenburgischer Sprüche besitzt das
Berliner Geheime Staatsarchiv in zwei Exemplaren, jedes in
festem Einband aus älterer Zeit. Das eine3) war Theil der
Schöppenstuhlsakten, bis es 1817 der Justizminister Kirch -
]) 1375 bis 1464.
2) Lorsch Seite V. Wenn Lorsch das Buch „Protokolll^cn" des
Ingelheimer Oberhofs nennt (S. I und anderwärts), so ist zu beachten, dass
dies eine uneigentliche Bezeichnung ist; „Protokollbücher*4, wie das Wort
Protokoll überhaupt, kennt die deutsche Gerichtssprache des 14. und
15. Jahrh. noch nicht. Stölzel, Gel. Richterthum I, 179.
3) Im Staatsarchiv bezeichnet: „No. 3a Brandenburg, Schoppen Rechts-
belehrung Prov. Br. Rep. 16 III b 5 f." Es ist abgedruckt im Urkunden-
band 4.
H. Material. 27
eisen !) als den nach Versicherung der damals noch lebenden
beiden einzigen ehemaligen Mitglieder des aufgehobenen
Schöppenstuhls wichtigsten Theil der Schöppenstuhlsre-
gistratur an den Staatskanzler Fürsten Hardenberg abgab»
der es dem Berliner Staatsarchiv überwies. Der vorgeheftete
Rest eines Titelblatts spricht von „Rechtsbelehrung der
scheppen beider statte Br. von bürgerlichen zweifel-
haften Sachen nach gelegenheit der materien . . . und Ord-
nung des alphabets zusammengeschrieben"; unter den 34 Titeln
des Textes handeln aber Titel 21 bis 23 von Strafsachen.
Das Ganze ist auf 327 Blättern einheitlich von derselben
Schreiberhand, anscheinend im siebzehnten Jahrhundert, her-
gestellt und am Schlüsse mit einem von anderer feinerer
Hand besorgten lateinischen Inhaltsverzeichniss versehen, das
an seinem Schlüsse das Datum trägt: „Brandenburg 7. Febr.
1689"; von einem Brandenburger Schoppen damaliger Zeit
rührt das Inhaltsverzeichniss ausweislich der Handschrift nicht
her. Auf Bl. 145 steht unter Einträgen aus dem J. 1585 die
Notiz: „Und ist derowegen nachfolgende information von
mihr concipiret und also abgegangen". Die Notiz ist eine
Abschrift, die derselbe Schreiber gefertigt hat, von welchem
der gesammte Text kopirt ist. Eine Unterschrift fehlt, auch
ist das mitgetheilte Konzept nicht in den Schöppenstuhls-
akten befindlich; da aber Spruchkonzepte nur von den
Schoppen selbst oder von den Schöppenschreibern herrühren
können, so ist ein Schöppe oder ein Schöppenschreiber Ur-
heber der Sammlung. Das vorliegende Exemplar diente
nicht bloss, wie das Datum des Registers ergiebt, im Jahre
1689, sondern auch noch im Jahre 1 705 dem Schöppenstuhle
selbst zum Gebrauche; denn Bl. 24 ist von der Hand des
Schoppen Knackrügge unter No. 24 des vom Abschoss
handelnden Titel I notirt: „Mit Dessau ist ein Vergleich ge-
troffen, dass die Helfte des sonst gewohnlichen Abschosseß
genommen werde. Revers im Rathhause d. 21. Aug. 1705".
l) Gen. Akten des JMin. betr. die Aufhebung des Schoppenstuhls in
Br. Brandenburg 41 Bd. 1 fol. 108. 109. Akten des Berliner Staatsarchivs
R* 73 J* V. Kurmark (Bureau des Staatskanzlers) No. 9 und Akten des Kam-
mergerichts betr. die Besetzung des Schöppenstuhls StA. R. 97 III d.
28 H. Material.
Damals war also dies Exemplar entweder in Knackrügge's
Privatbesitz oder im Besitze des Schöppenstuhls, der es noch
1817 verwahrte.
Das zweite Exempler der Sammlung Brandenburger
Sprüche kaufte Fürst Hardenberg 1820 von dem Sammler
Wohlbrück und überwies es ebenfalls dem Berliner Staats-
archiv. Es hat im Staatsarchiv neuerlich auf dem Rücken
die Bezeichnung Decisiones Marchicae II erhalten l) und stellt
einen Sammelband ohne Titel dar. Die Blätter 88 bis 223
umfassen — abgesehen von einigen späteren Einschaltungen —
eine Kopie der Brandenburger „Rechtsbelehrungen", wie sie
im ersten Exemplar enthalten ist, mit einer Reihe von Aus-
lassungen, aber Bl. 178 mit einem im ersten Exemplar feh-
lenden Titelblatt, das die nun folgenden „Rechtsbelehrungen
in peinlichen Sachen" einleitet.
Die Abschrift von Rechtsbelehrungen, die das erste
Exemplar wiedergiebt, stammt anscheinend aus derselben
Zeit wie die Abschrift von Rechtsbelehrungen, die in diesem
Sammelband enthalten ist. Blatt 102 und 103 sind Einschal-
tungen aus dem Jahre 1645 unc* zwar von der Hand des
damals zum Schoppen gewählten neustädter Syndikus Schwarz,
nämlich die Abschrift des ihn als Schoppen bestätigenden
kurfürstlichen Patentes und ein Entwurf, in welchem Schwarz
Bedenken gegen seine Schöppenwahl erhebt. Bl. 1 bis 87,
wie Bl. 227 bis zum Schluss rühren von späterer Hand her
und enthalten Auszüge aus Kollegienheften, die mehrfach Jena
erwähnen, oder Abschriften von gerichtlichen Formularen,
Blatt 205 bis 226 aber enthalten Abschriften aus einem 157 1
beim Kammergericht und einem 1575 beim Brandenburger
Schöppenstuhl verhandelten Konkursprozess; letzterem Pro-
zess ist neben der Spruchabschrift das von Roters Hand
herrührende Spruchkonzept beigefugt (Bl. 219, 224); am
Schlüsse ist — ebenfalls von Roter — bemerkt: „In der
missiva" (d. h. in der an die Brandenburger Schoppen ge-
sandten Anfrage um Rechtsbelehrung) „wird gebetten, das
wir die erklerunge, die Johan Weinleube,2) der alte canzler
J) StA. R. 94 II K. 2.
2) Vergl. Stölzel, Brand. Pr. Rechtsverwaltung: I, 161 ff.
II. Material. 29
seliger, an die landesconstitution solle deshalb* angehenget
haben, yn acht nehmen wollten, ich habe aber davon yn und
bey den acten nichts befunden44. Die Blattlagen einschliess-
lich des erwähnten Konzeptes mögen sich im 17. Jahrhundert
im Besitz eines Juristen, der in Jena ausgebildet war, viel-
leicht eines Advokaten, befunden haben. Er Hess sie für
seinen Handgebrauch mit seinen sonstigen Excerpten, die den
übrigen Theil dieser sog. decisiones Marchicae füllen, in einen
Sammelband vereinigen. Im Katalog des Staatsarchivs wird
dieser Band als Vorarbeit zu einem Handbuch der juristischen
Praxis bezeichnet. Damit scheint auf die seit 1678 in der Mark
unternommenen Arbeiten zu Feststellung eines jus certum1)
hingewiesen werden zu sollen.
Ihrer grösseren Reichhaltigkeit wegen ist dem Abdrucke
der „Rechtsbelehrungenu im Urkundenbande 4 das erstbe-
sprochene Exemplar der beiden vorliegenden Abschriften zu
Grunde gelegt, zur Vergleichung und Ausfüllung von Lücken
aber das zweite Exemplar mitbenutzt worden.
Abgesehen von einigen älteren auszugsweis aufgenom-
menen Sprüchen aus den Jahren 1451, 1474, 1515 und 15402),
fallen die gesammelten Sprüche beider Sammlungen der
Brandenburger Rechtsbelehrungen in die Zeit von 1569 bis
1593,3) d. h. in die Zeit, während deren Roter im Schoppen-
stuhle sass. Ihm zur Seite stand von 1576 an als altstädtischer
Schöppenschreiber, später auch kurze Zeit als Mitschöppe
sein Schwager Zacharias Garz, der frühere Brandenburger
Schulrektor und spätere märkische Geschichtsschreiber, der
im Jahre 1586 starb. Garz1 Thätigkeit scheint unter Roters
Beihülfe die Spruchsammlung ihre Entstehung zu verdanken.4)
Hymmen kannte 1 775 dieses erste Exemplar als einen Theil
der Schöppenstuhlsakten,5) und v. Kamptz sah darin 181 1
einen „wahrscheinlich reichhaltigen Schatzu, der über das
!) Siehe das. 1, 48. 2) Fol. 90, 124, 172. *) Fol. 191, 164.
4) Die Begründung dieser Annahme wird bei Besprechung Garz' und
Roter 's in § 4 gegeben werden.
b) Beiträge Bd. 1 S. 213 (wo der Titel freilich nicht genau mit dem
des oben besprochenen Exemplars stimmt, so dass der Schöppenstuhl auch
2 Exemplare besessen haben könnte).
30 n. Material.
nur in wefliig Bruchstücken vorhandene Brandenburgische
Recht Auskunft gebe.1)
Ergänzend kommen noch zwei weitere — gleich der
Decisionensammlung — nicht zu den Brandenburger
Archivalien gehörige Folianten ähnlichen Inhalts in Betracht,
nämlich eine vom Stadtgericht Jüterbog in das Berliner
Staatsarchiv und eine vom Magistrat zu Stettin in das
Stettiner Staatsarchiv gelangte Spruchsammlung, jede, ebenso
wie die Brandenburger Sammlung, aus dem Ende des sechs-
zehnten Jahrhunderts stammend. Beide Sammlungen sind
nicht eingebunden, sondern nur geheftet; es fehlen ihnen die
ersten Blätter.
Die Jüterboger Sammlung 2) beginnt mit Bl. 4 und reicht
bis Bl. 269, sie besteht aus systematisch unter Ueberschriften
zusammengetragenen Kopieen von auswärtigen Belehrungs-
sprüchen. Das Ganze ist eine einheitlich hergestellte Ab-
schrift, wahrscheinlich bestimmt, dem Stadtgericht Jüterbog
zur Rechtsbelehrung zu dienen. Die Sprüche lassen nur zum
geringsten Theile erkennen, von wem sie erbeten und von
wem sie ertheilt sind, oder von wann sie datiren. Ein „Be-
denken*4 Luthers, eingeholt von Joachim von Weissbach zu
Ramsdorf (bei Chemnitz) in der Ehescheidungsangelegenheit
eines seiner Unterthanen (Fol. 251), führt vor das Jahr 1546
zurück. Ausserdem ist (Fol. 161) ein Spruch des Doktor
Fachs, des Ordinarius der Juristenfakultät zu Leipzig von 1545
und (Fol. 117) ein Spruch mehrerer Leipziger Doktoren an
den Rath zu Weissenfeis von 1559, sowie ein Spruch des
Hofgerichts Wittenberg (Fol. 149) von 1589 datirt. Sprüche,
die nach Jüterbog selbst gegangen wären, sind nicht ersicht-
lich, wohl aber solche, die nach Pirna, Meissen, Kolditz
(bei Grimma) oder an den Fürsten zu Schwarzburg ergingen.
Als Spruchbehörden sind in einzelnen Fällen ausser den be-
reits genannten noch angegeben die scabini Erfordenses,
Lipsienses, Magdeburgenses, das Hofgericht zu Leipzig, das
Konsistorium zu Leipzig und das Konsistorium zu Wittenberg.
Die Sammlung ist wohl nicht vom Stadtgericht Jüterbog oder
') Matthis Jur. Ztschr. Bd. 1 1 S. 66.
2) StA. Prov. Brand. R. 8. Jüterbog A Tit. II Xo. 4.
H. Material. 31
für dasselbe angelegt, sondern für eine andere Stadt oder
für mehrere Städte sächsischen Rechtes; das demselben Rechte
angehörige, 1815 zuPreussen gekommene Stadtgericht Jüter-
bog hat dann Veranlassung genommen, sich die Sammlung
abschreiben zu lassen. Den Schluss des Bandes bildet ein
Inhaltsverzeichniss von 18 Bl. aus der Zeit der Anlage des
Buches. Das Ganze ist von Interesse für die Kenntniss des
Standes der Rechtsprechung sächsischer Stadtgerichte am
Ende des sechszehnten Jahrhunderts.
Ebenso ist für den Stand der Rechtsprechung der Stet-
tiner Schoppen in der nämlichen Zeit die Stettiner Samm-
lung von Interesse. Sie beschränkt sich auf die Zeit von
1590 bis 1601 und enthält auf den allein noch vorhandenen
Folien 63 bis 440 theils Sprüche, die von den Stettiner
Schoppen als Oberhof, theils Sprüche, die von ihnen als
Stettiner Stadtgericht ausgingen. Die Sammlung der Ober-
hofssprüche bedeutet dasselbe wie das Ingelheimer Fremd-
urtheilsbuch: die Zurückbehaltung von chronologisch geord-
neten Abschriften der nach auswärts gesandten Sprüche.
Darum trägt auch derjenige Theil des Stettiner Bandes, der
diese Oberhofssprüche enthält, das — von alter Zeit her-
rührende — Titelblatt „Copien" und bestätigt damit, was
oben1) über die „copeilichen Abschriften" der Brandenburger
Schöppenstuhlsakten gesagt ist. Diese „Copienu von Stettiner
Belehrungsurth eilen (Fol. 69 bis 184) werden (von Fol. 185
bis 217) durch zwei Blattlagen „Urthell" (d. h. Stettiner
Stadtgerichtserkenntnisse) unterbrochen , untermischt mit
einzelnen Rostocker, Leipziger, Wittenberger Belehrungs-
urtheilen und einigen anderen Dingen.
IL Theil der Akten des jetzigen Amtsgerichts Brandenburg
bildet ausser den Schöppenstuhlsakten noch ein im J. 1855
bei Revision der Schöppenstuhlsbibliothek aufgefundenes
„Schöppenbuch der Churf. Assessoren Beyder Städte Alt-
und Newstadt ^Brandenburg", das damals zu den Generalakten
des Kreisgerichts zu Brandenburg genommen ist.2) Das Buch,
*) Siehe S. 22, 23.
2) Im Auszuge mitgetheilt von Grupp im 31. Jahresberichte des hist.
Vereins zu Brandenburg a. H. S. 83 ff.
32 n. Material.
ein Folioband von nur 35 Blättern, hat der am 20. April 1692
als secretarius scabinatus beeidigte Job. Wolfgang Steltzner
— anscheinend erst zu dieser Zeit — angelegt (Fol. 14*).
Auf Bl. 1 bis 5 gab Steltzner einige dürftige geschichtliche
Nachrichten über den Schöppenstuhl. Dann bestimmte er die
Bl. 6 bis 12 für Einträge über die Schoppen, die Bl. 12 bis 23
für Einträge über die Sekretarien und die Bl. 24 bis 35 für
Einträge über allgemeine den Schöppenstuhl angehende
Nachrichten. Seine Einträge über Schoppen reichen, mit
dem juramentum scabinorum beginnend, von 1660 bis 1703,
seine Einträge über Sekretare von 1663 bis 1703, dann folgen
gleichartige Einträge von anderer Hand; sie beruhen, so-
weit sie die ältere Zeit betreffen, nicht auf eigenen Erleb-
nissen Steltzners; denn er ist erst 1661 geboren.
. Diesem Buche gab man beim Einbinden im ersten Jahr-
zehnte des 19. Jahrhunderts den Namen „Schoppenbuch" in
Rückerinnerung an alte Zeiten, nur war früher ein Schöppen-
buch dazu bestimmt, Nachricht über die Thätigkeit der
Schoppen und über die vor ihnen stattgehabten Verhand-
lungen zu geben, während unser Schöppenbuch sich auf
Nachrichten über das Personal des Schöppenstuhls und über
obrigkeitliche allgemeine Anordnungen beschränkte.
Damit führt das Schöppenbuch des Schöppenstuhls aus
der Zeit von 1660 bis 1803 zurück zu drei anderen Büchern
aus der Zeit von 1297 bis 1548, die jetzt dem Brandenburger
Stadtarchiv angehören, früher im Besitze der Neustadt
Brandenburg waren, weil sie nicht Angelegenheiten des
beiden Städten Brandenburg gemeinsamen Schöppenstuhls,
sondern ausschliesslich Angelegenheiten der neustädtischen
Rathmannen und Schoppen betrafen.
Wie die Schöppenstuhlsakten von 1432 bis 1807 ein
werth volles Material für einen Einblick in die Spruch-
thätigkeit des Schöppenstuhls, so bieten diese drei Bücher
ein gleich werthvolles Material für die Erkenntniss dessen,
was vor Rath und Schoppen der Neustadt in Angelegenheiten
der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit verhandelt ist. Schon hier-
aus erhellt, dass die Bücher für die Entwickelungsgeschichte
der Rechtsprechung überhaupt und des Schöppenstuhls
II. Material. 33
beider Städte Brandenburg insbesondere kaum in Betracht
kommen können: sie liefern nur einzelne Nachrichten über
die zugleich als Schöppensch reiber des Schöppenstuhls beider
Städte thätigen neustädtischen Stadtschreiber, ferner über
diesen und jenen Schoppen; wichtig ist aber, dass sie ein
Statut über die Betheiligung der Schoppen am Schöppen-
stuhl beider Städte und über ihre daraus fliessenden Gebühren-
ansprüche enthalten.
Die beiden ältesten dieser drei Bücher hat Sello, der sie
mit Recht zu dem Werthvollsten des Brandenburger Stadt-
archivs zählt, in dankenswerther Weise ans Licht gezogen
und durch Mittheilungen ausgewählter Stellen einen Begriff
von ihrer Einrichtung wie ihrem Inhalte gegeben.1)
Das älteste Buch umfasst die „ Vermachungen des vierten
Pfennigs und andere Vergabungen" von 1297 bis 1389, das
Zweitälteste ist die in den ersten Dezennien des fünfzehnten
Jahrhunderts begonnene Fortsetzung eines 1386 auf Raths-
besc{iluss angelegten Stadtbuchs, in das die noch nicht ge-
löschten und nicht veralteten Einträge des vorhergegangenen
älteren Schöppenbuchs übernommen wurden;2) es reicht bis
zum Jahre 1480.
Die Beschaffenheit dieses zweiten Buches ist von Erheb-
lichkeit für das Verständniss des dritten, seinen Anfangs-
worten nach anscheinend 1492, in Wirklichkeit aber erst 1495
angelegten Buches, das nur in 23 lose zusammengehefteten
Pergamentblättern erhalten ist. Weil auch dieses Buch in die
Vergangenheit zurückgreift, sind die den Anfang bildenden
statuta, und darunter das einzige Statut, das wir überhaupt
1) Märkische Forschungen Bd. 18 S. 1 bis 108. 1882. Aehnliche
Bucher der Städte Zerbst und Aken hat Neubauer im 7. Bd. der Mit-
theilungen des Vereins für anhaltische Gesch. und in den Jahrgängen von
1895, 1897 der Geschichtsblätter für Magdeburg veröffentlicht; ebenso an
letzterem Orte Setzepfandt ein solches Buch der Stadt Oschersleben.
2) Das zeigt die (Sello unverständlich gebliebene) Bemerkung auf
Bl. 4 an: Nota quod propter inveterata et extincta hec facta primo incepi
redigere ad scripta. Das extinguere geschah ausweislich dieses Buches
und des älteren Buches dadurch, dass die Schrift mit einer Flüssigkeit hin-
weggewischt („gelöscht") wurde. Hierauf ist unsere heutige „Löschung44
der Grundbucheinträge zurückzufuhren.
S t ö 1 z e I , Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 3
34 II. Material.
über den Schöppenstuhl besitzen, nicht aus 1492 oder der
Zeit nachher, sondern aus der Zeit vorher, und zwar der
Sprache nach aus dem Beginne des fünfzehnten Jahrhunderts,
woraus sich dann erklärt, dass jenem undatirten Statut ein
aus dem Jahre 1455 datirtes Statut nachfolgt.
III. Weiter sind dann noch an archivalischem Materiale
herangezogen:
1. aus dem Aktenbestand des Brandenburger Amts-
gerichts mehrere Raths- und Gerichtsbücher von 1522 bis
1689, darunter besonders die altstädtischen Rathsbücher
A 1, ia und 2, und die neustädtischen Raths- und Gerichts-
bügher No. 1 bis 4 von 1534 bis 1662, ferner die reponirten
Akten II K 5 und II S 9, betreffend den Brandenburger Schöp-
penstuhl;
2. aus dem Brandenburger Stadtarchiv die Doku-
mentensammlung, die Rathsbücher, die Rathsrechnungen und
einige Fascikel der reponirten Akten;
3. aus dem Berliner Geheimen Staatsarchiv die
Urkundensammlung R. 21 n. 9 c von 1559 an, die für die Er-
kenntniss der Verfassung des Schoppen Stuhls von Werth ist,
ferner die Sammlung kurfürstlicher Strafsachen R. 49 mit
ihren Brandenburger Sprüchen, auch Einzelnes aus der
mehrere hundert Bände umfassenden Sammlung der sog.
Sentenzenbücher des Berliner Kammergerichts;
4. die ersten drei Bände der in der Leipziger Univer-
sitätsbibliothek befindlichen, über hundert Bände um-
fassenden sog. Konzeptbücher des Leipziger Schöppenstuhls,
einer mit den Akten des Brandenburger Schöppenstuhls nahe
verwandten sehr reichhaltigen Sammlung;
5. drei Brandenburger Originalsprüche aus dem Archiv
der Stadt Luckau und eine Anzahl von Packeten des Archivs
der Stadt Zerbst, betr. die Beziehungen der Stadt Zerbst
zur Stadt und zum Bisthum Brandenburg um die Wende des
15. und 16. Jahrhunderts, ferner aus dem Tangermünder
Stadtarchiv die Inquisitionsakten gegen Grete Minde und
Genossen wegen Brandstiftung von 1619, sowie die Inquisitions-
akten gegen Andreas Lütken und Genossen von 1621 und gegen
Hans Haveman von 1681, die mehrere Originalsprüche ent-
II. Material. 35
halten und ein anschauliches Bild von der damaligen Gestal-
tung des Inquisitionsprozesses geben, aus dem Stettiner
Staatsarchiv die Inquisitionsakten gegen die Ehefrau des
Melchior v. Dobbersitz wegen Zauberei von 1591, die einen
interessanten Spezialfall aus den Brandenburger Schöppen-
x Stuhlsakten in wünschenswerther Weise ergänzen ;
6. die Generalakten des Berliner Justizministeriums,
betreffend die Aufhebung des Schöppenstuhls in Branden-
burg und die Pensionirung der Mitglieder desselben von 18 10,
die Kommissionsakten desselben Ministeriums wegen künftiger
Einrichtung der Patrimonialgerichte im Regenwalder und
Naugarder Kreise pp. von 1847 Adh. II zu P. 38, ferner
die Genera] akten des Berliner Kammer gerichts, betreffend
die Inrotulirung der Akten des ehemaligen Schöppenstuhls zu
Brandenburg II A 9 vol. spec. und die beim Oberlandesge-
richt Naumburg verwahrten Aktenreste des Schoppen-
stuhls zu Halle.
Erwähnt mögen noch werden die Leichenpredigt-
sammlungen des Archivs der St. Paulikirche, der Bibliothek
der St. Gotthardtkirche zu Brandenburg, der Kgl. Bibliothek
und des Gymnasiums zum grauen Kloster zu Berlin, sowie
die Grabdenkmäler in den Brandenburger Stadtkirchen. Sie
lieferten schätzbares Material zur Feststellung des Lebens- und
Bildungsganges einzelner Schoppen.
3*
Erster Theil.
Der Brandenburger Schöppenstuhl
(1232 bis 1817).
Est et apud Brandenburgenses
celebre Judicium, ad quod tan-
quam ad Areopagitarum tribunal
e longinquis regionibus deferuntur
causae dijudicandae,
Georg Sabinus. (f 1560.)
i. Buch.
Örtlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
§1.
örtlichkeiten.
Die| heutige Stadt Brandenburg an der Havel zerfällt,
wie viele an Flüssen gelegene Städte, nicht bloss in die an dem
einen Flussufer (hier dem rechten) gelegene Altstadt und die
gegenüber am anderen (hier dem linken) Flussufer gelegene
Neustadt, sondern sie hat noch einen dritten Theil, eine nörd-
lich der Neustadt und östlich der Altstadt durch zwei Havel-
arme gebildete Insel, auf der die Burg stand und der Dom
steht, umgeben von den Räumlichkeiten des Domcapitels,
deren Insassen noch heute „auf der Burgu wohnen. Südlich
wie nordöstlich wird die Insel durch einen Mühlendamm und
durch Brücken mit dem Festland verbunden; nördlich von
ihr liegt der grosse Beetzsee, der südlich eine schmale Ver-
bindung mit der Havel hat. Diese Verbindung überbrückt
die „Homeienbrücke44, indem sie von der Altstadt zu einer
nördlich von der Burginsel gelegenen zweiten Insel fuhrt,
über die man erst in westlicher Richtung auf dem jetzt s. g.
Grillendamm und dann in südlicher Richtung auf dem nörd-
lichen Mühlendamm zur Burg gelangt. Der Grillendamm hiess
früher „alter" Damm und noch früher „Homeienu-Damm.1)
Altstadt und Neustadt werden im Südwesten der Homeien-
brücke durch die „lange Brücke" verbunden.
Neben der Mitte der langen Brücke — anscheinend im
Wasser — stand einst das Rathhaus, das später als Schepen-
oder Schöppenhaus „beider Städte Brandenburg" diente.
2) Gütige Mittheilung des Schriftführers des Brandt», histor. Vereins,
Herrn Oberlehrer Dr. Tschirsch. Noch 1759 heisst in Verhandlungen
zwischen Stadt und Dom der Grillendamm „Hameyen - Damm". RA.
Acta A. 1 D. 13. „Alter Damm" (antiquus agger) kommt schon 1324 vor.
Riedel, cod. dipl. 1, 9, 26, letzte Zeile.
40 *• Buch, örtlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
Aus der Lage dieser Oertlichkeiten zu einander und aus
ihren Benennungen lassen sich wichtige Schlüsse für die Ent-
wicklungsgeschichte unseres Schöppenstuhls ziehen.
Im Gebiete der „Altstadt" müssen wir die „Villa" suchen,
d. h. die erste wirtschaftliche Anlage, aus der, wie allgemein
die Entwickelungsgeschichte unserer Städte lehrt, ein Dorf
und dann eine Stadt erwuchs. Diese Villa hiess „Parduin";
sie war wendischen Ursprungs und lag naturgemäss am
rechten Flussufer, weil dieses hier einen Aussenbogen
bildet, und zufolge dessen höher ist als das gegenüber ge-
legene linke Ufer, wo der Moorgrund hinderte, dicht an die
Wasserstrasse der Havel heranzubauen. Als hier später die
Neustadt sich ansiedelte, blieb ihr nur übrig, ihre Stadtmauern
vom Flussufer erheblich zurückzurücken, während gegenüber
die Stadtmauer der Altstadt sich nächst dem Flusse her-
ziehen konnte. Die Neustadt selbst wurde vom Dome her
angelegt und näherte sich der Havel nur so weit, als es der
Baugrund gestattete. So lag zwischen dem linken Havel-
ufer und der neustädtischen Mauer ein mehrere hundert
Meter breites Stück. Die Häuser, die später hier zwischen
beiden Städten entstanden, wurden auf Pfählen angelegt,
so dass sich dieser Stadttheil im Volksmünde den Namen
Venedig erwerben konnte, während der Streifen, der sich
hierdurch zwischen beiden Stadtmauern bildete und den dann
die „lange Brücke" überbrückte, gleichfalls den Namen
„zwischen beiden Städten" erhielt. Auch die lange Brücke
und das Rathhaus (das spätere Schöppenhaus) befanden sich
deshalb auf dem Terrain, das man mit dem Ausdrucke
„zwischen beiden Städten" bezeichnete.
Die Rathsherren, die im Rathhause sich versammelten,
hielten ebenso, wie nachher die Schoppen, die im Schöppen-
hause tagten, ihre Sitzungen „zwischen beiden Städten", und
wenn (1455) berichtet wird, dass nach einem Spruche des
Markgrafen und seiner Räthe der Rath der Neustadt „das
Gericht zwischen beiden Städten behalten soll",1) so ist hier
nicht ein besonderes Gericht (neben dem altstädtischen oder
*) Stadtbuch von 1386 ff., bei Sello, Brdb. RQuellen (in mark. Forsch.
Bd. 18) S. 70 No. 32.
§ i. Örtlichkelten. 41
neustädtischen Stadtgerichte) gemeint, sondern es soll nur ge-
sagt werden, dass dem neustädtischen Rathe die von ihm
bisher bereits „zwischen beiden Städten" (d. h. für das Ge-
biet dieses Zwischenraums) geübte Gerichtsbarkeit auch für
die Zukunft zuzusprechen sei.
Wo urkundlich die Ortsbezeichnung „zwischen beiden
Städten" vorkommt, muss also aus dem Zusammenhang
ermittelt werden, ob damit eine Lokalität innerhalb jenes
Zwischenraums, und welche Lokalität, oder ob etwa damit die
ganze zwischen beiden Städten liegende Fläche gemeint sei.1)
Die Villa Parduin gehörte zu dem grossen Landgerichte,
das sich „zur Klinke" nannte. Denn der Richtsteig Land-
rechts (1335) lehrt: „We in der Nienmarke (d. i. in der
Mark Brandenburg im Gegensatz zur Altmark) en ordel seilt
unde bittet ens rechtes war hes tien scole, so vintme tur
Klinken bei Brandenborch", und er lehrt auch: „Kumpstu
tur Klinken, vintme di den noch unrecht, so du als er,
so wiset man di tur Krepen in der Oldenmarke. Van
denne wiset men di tur Linden."2) Die Krepe ist bei
Stendal und die Linde bei Salzwedel zu suchen.3)
Ueber den Ort, wo „zur Klinke" Gericht gehegt wurde,
ist bislang viel Zweifel gewesen. Da sich Ortsbezeichnungen
am längsten im Volksmunde zu erhalten pflegen und deshalb
die sichersten Wegweiser sind, ergab sich von selbst die
Frage, wo etwa heute noch unweit Brandenburg eine Klinke
gelegen ist. Klinke ist ein Ausdruck für einen schmalen
spitz zulaufenden Gegenstand, also auch für eine Landzunge,
und gehört sowohl dem germanischen als dem niederwendi-
schen Wortschatze an, letzterem in der Form „Klinka".4)
Einer Mühle „zur Klinke" erinnert man sich gegenwärtig
2) Wenn darum z. B. 1560 (8 112) der Neustädter Schöppe Vielitz
schreibt: „Hätte ich . . . . zwischen beiden Städten verharren können
und andrer notwendiger geschäfte halben nicht abgehen dürfen (= müssen),
wollte ich .... meine meinung auch gerne darzu gesagt haben", so ist
hier auf eine Sitzung im Schöppenhause verwiesen.
2) Homeyer, Der Richtsteig Landrechts. Berlin 1857. S. 313, 314, 512.
8) Kuhns, Ger. Verf. in der Mark Br. II S. 55, 62.
*) Grimm, Wörterbuch.
42 i- Buch. Örtlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
etwa 3 Stunden nordöstlich von Brandenburg.1) Wenn hier
ein Platz im Freien sich findet, der von allen Seiten»
namentlich in der wasserreichen Gegend auch vom Wasser
her zugänglich, für eine Versammlung der Gerichtsinsassen
geeignet ist, so darf hier die Klinke des Jahres 1 335 gesucht
werden.
Ein solcher Platz, von dem 1452 Richter und Bauern zu
Riewend bezeugen, dass er Eigenthum der Stadt Brandenburg
sei,2) mit einer Klinkbrücke und einem Klinkgraben in der
Nähe, liegt am nördlichen Endpunkte des Riewendsees, eines
sich in nordöstlicher Richtung an den Beetzsee anschliessen-
den Gewässers. Hier wird durch einen aufgeworfenen Wall
ein geräumiges, unregelmässiges, an den Ecken abgerundetes
Viereck gebildet, innerhalb dessen bequem mehrere hundert
Menschen Platz finden. Im Süden grenzt der Wall unmittel-
bar an die Nordspitze des Sees, auch im Westen tritt er
wenigstens nahe an den See heran. Im Nordwesten zeigt
der Wall nach dem anstossenden Ackerland hin und ebenso
im Süden nach dem See hin eine flache, breite Aushöhlung
seines Randes, als sollte der Zugang einerseits vom Felde,
andererseits vom Wasser her erleichtert werden. Im Osten
und Norden umgiebt sumpfiges Wiesenland den Wall, das
nach Aussage von Einwohnern des nahen Dorfes Wachow
früher Theil des Riewender Sees gewesen sein soll. Ist dies
richtig, dann lag ursprünglich der Wall am Südostende einer
von Nordwesten her in den See sich erstreckenden Land-
zunge.3) Diese Landzunge war die Klinke; sie gab dem Ge-
richt „zur Klinke", wie der Mühle, der Brücke und dem
1) Das Dorf Klinke bei Gardelegen kann als zu entfernt von Br. nicht
in Betracht kommen. Uebrigens redete man auch hier 1465 von Bauern
„wohnhaft ig zu der Klinke" (11 506) und 1584 von einem „Schulzen zur
Klingke" (25 275).
2) Riedel I, 9, 196.
3) Auf der Karte „Tremmen" der Kgl. Pr. Landesaufnahme von 1880
ist der Ringwall nordlich vom Riewendsee mit 33 bezeichnet. Man schraf-
fire die Fläche von Fischer bis Möserdammbrucke und Klingbrücke als zum
See gehörig, und die weit in den See hineinragende „Klinke" tritt als mäch-
tige Landzunge deutlichst in die Erscheinung. Dies beruht auf dankens-
werther Feststellung des Herrn Landrichters Deichmann.
§ i. Örtlichkeiten. 43
Graben „zur Klinke" den Namen.1) Ein geeigneterer Ort für
die Zusammenkunft der Gerichtseinsassen ringsum vom Lande,
wie vom Wasser her Hess sich kaum finden. Der Wall ist
neuerdings2) durch graben und auf seinen archäologischen
Werth geprüft worden. Das Ergebniss war die Auffindung
zahlreicher Thierknochen und Thonscherben, aus denen
mehrere ganze Töpfe haben zusammengestellt werden können;
die Thonscherben sind sämmtlich slavischen Ursprungs, die
jüngsten wohl aus der Zeit zwischen iooo und 1200. Es leidet
darum keinen Zweifel, dass sich in dem Ringwall bis zum
zwölften Jahrhundert eine slavische, unter des Walles Schutz
angelegte Ansiedelung befand, auf die noch einzelne in
der Umwallung ausgegrabene eichene Holzpfahle hindeuten;
auch neben der Umwallung entdeckte man slavische Scherben,
zugleich aber ganz vereinzelte Scherben aus deutschen
Töpfereien. Nachdem die Slaven den Wall verlassen, ist er
nicht wieder besiedelt worden. Es kann darum sehr wohl der
von ihm eingeschlossene Raum als Gerichtsstätte benutzt
sein, seitdem die Slaven, die nach Obigem auch eine Klinka
kannten, verdrängt waren; jener Raum diente vielleicht so-
gar schon den Slaven als Versammlungs- und damit auch als
Gerichtsplatz, so dass ihre Besieger nur den alten Brauch
fortsetzten, wenn sie in der Umwallung Gericht hielten. Ihr
Gerichtsplatz befand sich dann in Wahrheit auf dem Wasser,
wie es in wasserreichen Gegenden, denen das Wasser ebenso
geheiligter Boden war, wie den bergigen Gegenden der Wald
oder der Berggipfel, der Uebung entsprach ; wenigstens war
er rings vom Wasser umgeben.3)
2) Unabhängig von den aus Anlass dieser Schrift eingeleiteten Unter-
suchungen ist Grupp im 31. Jahresbericht des histor. Vereins zu Brandenburg
(S. 93 ff.) zu gleichem Ergebnisse gelangt (vergl. auch Grupp im 7. bis 12.
Jahresberichte S. 25).
a) Im Okt. 1900 von Herrn Dr. Götze im Auftrage des Direktors des
Kgl. Museums für Völkerkunde Herrn Geheimrath Voss. Die Veranlassung
lag in der gegenwärtigen Untersuchung über den Ort des Gerichts zur
Klinke.
a) Nach Huber's Mittheilung kam es in der Schweiz noch im 17. Jahrh.
vor, dass die Schoppen den einen Fuss in ein Gefass mit Wasser stellten,
um der alten Sitte des Tagens „auf dem Wasser" gerecht zu werden.
44 i. Buch. Örtlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
Aus diesem Landgericht oder Landdinge zur Klinke, wo
einst die um den Riewendsee sitzenden Slaven ihre Ansiedelung
hatten, hob sich zu selbständiger gerichtlicher Existenz, was
Brandenburg betrifft, wahrscheinlich zuerst das Brandenburger
Burggericht heraus. Der Anlage einer Villa folgt in der
Regel die Anlage einer Burg zum Schutze der Villa und ihrer
Umgebung. Derselbe Grund, der im Berglande bestimmte, die
Burgen auf die Höhen zu setzen, bestimmte, im wasserreichen
Flachlande die Burgen auf Inseln zu erbauen. Nicht bloss
die Brandenburg lag in der Mark auf einer Insel, sondern
ebenso die Ruppinburg und die Teupitzburg, wie andere
mehr. Das Wasser wehrte den Zugang zur Burg, wie
anderwärts es die Berghöhe that. Schon im Jahre 927 wird
die Burg genannt; sie fiel damals zuerst und wiederholt im
Jahre ^40 in deutsche Hände; neun Jahre später konnte
Otto I. daran denken, in der Burg ein Bisthum zu gründen.1)
So diente die Burg nicht mehr bloss zum Schutze der Villen
jenseits der Havelarme, sondern vor Allem des auf der Havel-
insel erwachsenden Bisthums, seines Domes und seiner um den
Dom sich ansiedelnden und dem Schutze der Burg sich anver-
trauenden Domgemeinde. Es entstand damit eine Burgstadt,
die der König schon im Jahre 949 eine civitas nannte.2) Zu ihr
zog der Bischof Wilmarus vor dem Jahre 11 66 die von seinem
Vorgänger Wiggerus im Parduin angesiedelten Prämonstra-
tenser der dortigen Gotthardskirche herüber3) und schuf so
das spätere Domkapitel der Burg. Wenn 1 1 5 1 von der urbs
oder civitas Brandenburg,4) 1165 von der urbs Brandenburg
neben der in suburbio apud Brandenburg gelegenen
Gotthardskirche^) 11706) von einem castrum Brandenburg
pro ceteris castris totius Marchiae gloriosum, das ein regale
castrum, eine camera imperialis, eine sedes episcopalis sei, 1 186
J) Riedel, Die Mark Brandenburg im Jahre 1250, 1. Thl. 1831
S. 322 ff.
*) Riedel, c. d. Bd. 8 S. 91.
8) Riedel, c. d. Bd. 8 S. 107.
4) Riedel 1, 15, 6.
*) Sello, Brdb. Bisthumschronik 1888 S. 42.
6) Buchholtz, Gesch. Thl. IV Urk. 17.
§ i. Örtlichkeiten. 4f>
von einem marchio urbis, 1 197 von Brandenburg als caput Mar-
chiae die Rede ist, andererseits aber 1173, 1179, 1188, 1209
und 1234 von einer civitas oder villa forensis Parduin,1)
so wird mit Brandenburg die Inselstadt für sich allein be-
zeichnet, der sich gegenüber der Parduin als suburbium, aber
auch als eigene Stadt anlehnte, bis der Parduin im Jahre
1238 zuletzt genannt wird,2) um mit der Inselstadt Bran-
denburg zur Altstadt Brandenburg zusammenzuschmelzen,
nachdem mindestens schon 11 96 am linken Havelufer die
Neustadt Brandenburg in's Leben getreten war.3)
Die Entwicklung zeigt also denselben Gang wie bei
vielen anderen deutschen Städten: Hofanlage (oder Villa)
dicht am Fluss, Schutz derselben durch eine in der Nähe
gebaute Burg, Besitzergreifung kirchlicherseits durch eine
unter den Schutz derselben Burg gestellte Domanlage, Er-
weiterung der Villa zum Markte, ihre dadurch angebahnte
Ausscheidung aus dem sie umgebenden Landbezirke zu einem
mit Mauern gesicherten festen Platze, einer Stadt, der zum
Zeichen des Abschlusses ihrer Exemtion ein besonderes Recht,
das Stadtrecht, und ein besonderes Gericht, das Stadtgericht,
zu Theil wird.
Wann und wie diese Ausscheidung sich für Brandenburg
vollzog, ist nach sicheren Daten nicht festzustellen. War aber
die Burg der Centralpunkt der neuen Schöpfung, so liegt
die Annahme nicht fern, dass hier, wo der Markgraf zeit-
weise seinen Sitz hatte, nicht bloss die Stätte lag, von der
aus die Verwaltung geführt wurde, sondern auch, wo die
Landesunterthanen Rechtsbelehrung holten und ihre Huldi-
gungseide leisteten. Von der Ostseite des Beetzsees her
gelangte man über den Mühlendamm und seine Brücke
zur Burg. Von der Westseite stellte dann die an der
schmälsten Stelle des Beetzseeausflusses angelegte Homeien-
(oder Homeyen-) Brücke eine Verbindung zur Burg über den
zu den Mühlenbrücken führenden Grillendamm her.
2) Riedel 1, 8 S. 109, 112, 120, 123, ia6, 133, 147.
2) Riedel 1, 8 S. 155.
3) Riedel 3, 1 S. 4.
46 !• Buch. Örtlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
Der — allerdings sehr eigentümliche — Namen Ho-
meienbrücke hat zu den sonderbarsten Vermuthungen Anlass
gegeben. ])
Die wahre Bedeutung dieser Brücke liegt aber nahe und
steht im Zusammenhange mit ihrem eben angedeuteten
Zwecke. „De teneura per homagiumu bringt der 1250 ent-
standene codex legum normannicarum ein ganzes Kapitel;2)
„pro homagio . . . facto* sichert Markgraf Ludwig den
Bürgern der Altstadt Brandenburg und ihrer Nachkommen
als besondere Gnade alle bisherigen Rechte und Freiheiten
zu; die, Eidesformel, mittels deren 141 2 den Markgrafen
Sigismund und Friedrich in Brandenburg „factum est homa-
giumu, bildet den Anfang des ersten Blattes in dem bis 1480
reichenden Stadtbuche der Neustadt Brandenburg,3) in die
einzureiten man damals anfanglich dem Markgrafen das Recht
bestritten hatte.4) Dies mit besonderen Feierlichkeiten be-
gleitete Einreiten, dem die Pflicht der Bürger entsprach,
den Einreitenden würdig zu empfangen und zu verköstigen, 5)
war das Sinnbild der landesherrlichen Gewalt über die Städte.
Zwei Schilling für Wecke zahlte 1471 die Stadt Cassel an
einem bestimmten Tage ihrem vor dem Stadthore haltenden
Landgrafen,6) und noch heute erscheint der König in Eng-
land sofort nach dem Regierungsantritt, um Einlass durch
das verriegelte — jetzt zu diesem Akte künstlich hergestellte
— Thor in „the borough" London's zu erlangen, auch be-
steht eine besondere Feierlichkeit der Verschliessung des
*) Schulmann, Gesch. der Stadt Br., Brandenburg 1882 S. 568: »Der
Name Hohmeienbrücke wird entstanden sein aus ,Hohe meine (gemeine)
Brücke4, eine Erklärung, welche einen urkundlichen Anhalt hat" (welchen?).
„Nach der landläufigen Erklärung entstand der Name aus dem mittelhoch-
■
deutschen hameit (Fallgatter)."
a) Abgedruckt bei J. P. von Ludewig, reliquiae mscr. omnis aevi
dipl. tom. 7 p. 223.
8) Vergl. Märkische Forschungen Bd. 1 8 S. 66.
4) Droysen, Gesch. der Pr. Politik 1, 302; v. Maurer, Städteverf.
1, 487 ff.
6) v. Maurer a. a. O. 3, 464 ff., 521.
8) Stölzel, Casseler Stadtrechnungen 1871 (Supplement der Ztschr. des
Vereins für hess. Gesch.) S. 324.
§ i. Örtlichkeiten. 47
Tower und der Uebergabe des Schlüssels zu seinem Haupt-
thor an den Gouverneur des Towers als nunmehrigen Ver-
treters des neuen Königs — Beides Akte, durch welche
nichts Anderes symbolisirt wird als das alte Einreiten des
Landesherrn in die Burg, wenngleich den Engländern
selbst der Begriff der Burg bei dem Gebrauche des Wortes
borough abhanden gekommen ist. Das mit dem Einreiten
verbundene Homagium ist demnach die bei jedem Wechsel
in herrschender Hand erforderliche Huldigung. Um sie
den Unterthanen und um dem Landesherrn das Einreiten
in die Stadt von der Burg her zu erleichtern, erbaute man
in Brandenburg den pons homagii, die Homagium- oder
Homeienbrücke, an Stelle der Fähre, mittels deren man
bis um das Jahr 1400 nach einem Berichte des Branden-
burger Schöppenseniors Giesecke aus dem Jahre 1749 (98
669. 670) über die Havel gelangte. Wie aus Major der
deutsche Meier, so ist aus Homagium-Brücke die Homeien-
brücke geworden; vielleicht sogar ist der Personenname
Homayr oder Homeyer der im Volksmunde verdorbene
Homagier; bekanntlich kommt es vielfach vor, dass latei-
nische Worte in sinnlose deutsche verändert werden, wie
z. B. „Centgraf" in „Zinkgraf", „das Centgässchen" in „das
Enggässchen", die villa „Stercofridis" in das Dorf „Sterb-
fritz" u. A. tri. Unsere Homeienbrücke datirt also aus der
Zeit, in welcher auf der Burg gehuldigt zu werden pflegte;
sie ist zugleich ein sprachlicher Beleg dafür, dass das latei-
nische homagium vor Alters in die Sprache des Volkes ein-
drang, weil es an einem deutschen Synonymum fehlte; man
ging über jene Brücke „zum Homagium" oder, wie man
sich das mundgerecht machte, „zum Homeyen". An die
Homeyenbrücke schloss sich dann der Homeyendamm als
Fortsetzung des zur Burg führenden Weges an; nachdem
noch ein neuerer Damm innerhalb der Stadt entstanden war,
änderte man den Homeyendamm in den „alten" Damm um.
Einer späteren Zeit muss die „lange Brücke" Branden-
burgs angehört haben. Lange Brücken verlangen zu ihrer
Entstehung zeitlich vorausgegangene kurze Brücken; zum
Bau langer Brücken über einen verhältnissmässig breiten
48 '• Buch. Örtlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
Fluss gehört erst eine gesteigerte Entwicklung der an-
liegenden Ortschaften, vor Allem gehört, wenn die Brücke
zwei Ortschaften verbindet, die Existenz dieser beiden Ort-
schaften dazu. Die lange Brücke verbindet die Neustadt
mit der Altstadt Brandenburg und muss deshalb nach
Gründung der Neustadt gebaut sein.
Die lange Brücke war auch zunächst kein Bedürfniss.
Mittelpunkt für die Altstadt und die Neustadt war die Burg.
Die Neustadt ist von der Burg, nicht von Parduin aus, ge-
gründet worden. Allmählich dehnte sie sich in der Richtung
auf die Havel zu nach Westen aus. Auch damals, als man
die Neustadt zum ersten Male mit einer Mauer umgab, hielt
man eine direkte Verbindung mit der Altstadt über die
Havel nicht für nöthig. Die Mauer besass nach der Altstadt
zu kein Thor, ebensowenig die Altstadt nach der Neustadt
zu. Erst später, als die Verbindung über die Burg den Ver-
kehrsbeziehungen nicht mehr genügte, schuf man in beiden
Städten die sich gegenüber liegenden „Neuen" Thore. Vom
Neuen Thore der Neustadt musste ein Damm bis zum Havel-
ufer aufgeschüttet werden. Zunächst reichte eine Fähre für
die Verbindung der Alt- und Neustadt aus. Später schloss
die lange Brücke den Ring. Der Durchbruch der „Neuen
Thorew hängt vielleicht mit demselben Akte der Städtever-
einigung zusammen, dem das gemeinsame Rath- und spätere
Schöppenhaus zwischen beiden Städten seinen Ursprung ver-
dankt.
Für das Ansehen, das die Altstadt Brandenburg noch
zu der Zeit genoss, als Berlin schon längst zur Landeshaupt-
stadt geworden war, spricht ein kurfürstliches Edikt von
1521,1) durch welches festgesetzt wurde, dass im Felde, wo
es auch sei, „nächst unserem Hauptpanier44 auf der rechten
Seite die aus der Altstadt Brandenburg, sowie neben ihnen
die aus der Neustadt Brandenburg, aus Berlin-Cöln und aus
anderen Hauptstädten der Mittel- und Neumark, auf der
linken Seite aber die von Stendal, dann die von Salzwedel
l) Jahresberichte des hist. Vereins zu Brandenburg I bis III S. 59. Mit-
theilungen des Vereins für die Gesch. Berlins 1901 No. 4 S. 51.
§ i. Örtlichkeiten. 49
und die anderen altmärkischen und priegnitzschen Städte
reiten sollen.
Ein Memorial des Brandenburger Stadtschreibers Mag.
Simon Roter1) aus der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahr-
hunderts berichtet, dass 1552 nach Abriss des alten Schöppen-
hauses ein neues „für die Schoppen beider Städte" vollendet
sei; beide Städte hatten gemeinsam zu den Kosten beigetragen.
Dazu bemerkt eine handschriftliche Nachricht Heffter's über
das Gerichtswesen in Brandenburg,2) das Haus sei auf kur-
fürstliche Kosten erbaut. Die Einwohnerzahl beider Städte
wird damals auf c. 10 000 angegeben, wie die Berlin-Cölns
auf c. 14000.3) Da das alte Rath- und Schöppenhaus sicher
ein Holzhaus war und die Durchschnittsdauer von Holzhäusern
auf dreihundert Jahre angenommen wird, möchte das alte
Rath- und spätere Schöppenhaus um 1250 erbaut sein; 1241
werden zuerst Alt- und Neustadt Brandenburg neben einander
genannt.4) Ein thurmartiges viereckiges hohes Gebäude ragt
auf dem ältesten aus der Zeit vor 1581 stammenden Bilde
Brandenburgs in dessen Mitte empor. In Nicolais Branden-
burgi urbis descriptio von 16505) wird das „auf Pfählen"
ruhende Haus als „ex ipsis undis exstructa" bezeichnet; dem-
nach hat das alte wie das neue Schöppenhaus nicht auf den
Pfeilern der langen Brücke, sondern auf besonderen Pfählen
geruht, also neben, nicht auf der Brücke gestanden.6)
Heffter berichtet dann auch, dass das Schöppenhaus durch
einen Steg mit der Brücke verbunden gewesen sei. Ein Auf-
satz in Hymmen's Beiträgen7) redet von einem Thore mit
einem Fallgatter, durch das die Parteien von der Brücke aus
3) Cod. A No. 8 R. A. fol. 29.
*) Im R. A.
*) Tschirsch, Beitr. z. Gesch. der Saldria S. 21.
4) Riedel cd. 1, 8 S. 155.
6) S. 18 editio Küster, Berlin 1735.
6) Vergl. auch unten in diesem Abschnitte den Bericht Steltzners
97 1 ff., der nach dem Einsturz des Schoppenhauses von den aus dem
Wasser ragenden Pfählen und von den durch den Einsturz beschä-
digten Balken der Brücke redet, was nur zu einem im Wasser stehenden
Schöppenhause passt. Homeyer, Richtsteig S. 512.
7) Bd. 1 S. 180 ff., 212.
S t ö I z e I , Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 4
50 *• Buch. Örtlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
vor Gericht gelassen seien, und von einer Tradition, nach
der in beiden Städten die Glocken läuteten, damit die noch
i486 vorhandenen „beiden Brücken" aufgezogen würden, so
oft die Schoppen sich versammelt hatten. Ob mit diesen
beiden Brücken etwa zwei Stege gemeint sind, die das
Schöppenhaus mit dem Ufer oder der Brücke verbanden,
muss dahingestellt bleiben. Auch ist zu berücksichtigen,
dass erzählt wird, die Schoppen seien einst mit Kähnen zum
Rathhaus gefahren. l)
Das Auffallige der Anlage des Rath- oder Schoppen-
hauses neben der Brücke schwindet, wenn man obige Be-
merkungen über das Tagen der Gerichte auf dem Wasser
berücksichtigt, und wenn man erwägt, dass jenes Haus vor
dem Bau der langen Brücke entstanden sein kann. Nimmt
man noch hinzu, dass das Rathhaus, welches den durch die
Spree getrennten Städten Berlin und Cöln gemeinsam war,
1343 als „Rathhaus zwischen Berlin und Cölnu,2) 1432 aber
als „Rathhaus bei der langen Brücke" bezeichnet wird, dass
also auch dieses Rathhaus Anfangs in der Spree, nachher,
als eine „lange" Brücke — wie in Brandenburg — gebaut
war, bei dieser Brücke (nämlich auf Pfählen im Flusse) ge-
standen haben muss, so wird es sich ähnlich mit dem Bran-
denburger Rathhause zwischen beiden Städten bei der langen
Brücke verhalten haben.
Sicher war aber das Rathhaus auf der Havel nicht der
älteste Sitz des Brandenburger Stadtgerichts; es muss einen
früheren Sitz im alten Brandenburg gehabt haben, und
zwar zunächst auf der Burginsel, dann im ehemaligen Parduin,
d. h. in der späteren Altstadt. Dem schloss sich naturgemäss
für die Neustadt seit deren Gründung ein zweites Stadt-
gericht an.
Es entwickeln sich im einzelnen Territorium die Städte-
gründungen, die Anlagen von Burgen, von Kirchen, von Ge-
richtssitzen vielfach übereinstimmend, namentlich, wenn es
sich um Städte handelt, deren eine die Mutterstadt der
*) Auch Heydemann, Die Joachim. Konst. S. 407, nimmt ein in der
Havel befindlich gewesenes Schoppenhaus an.
*) Riedel, C. d. 1, 9, 37.
§ i. Örtlichkeiten. 51
anderen ist, und wenn die eine Landschaft geographisch der
anderen gleicht. Die Stadt Brandenburg, die ursprünglich
ihr Recht von Magdeburg holte, war ihrerseits die Mutter-
stadt von Berlin, wie Berlin die Mutterstadt von Spandau.1)
Für Berlin aber ist bezeugt, dass es am Ende des 13. Jahr-
hunderts in Alt-Berlin seine Gerichtslaube besass, dass 1307
beide Städte Berlin und Cöln vom Markgrafen die Genehmi-
gung erlangten, eine gemeinsame Gerichtsverwaltung von 4
Schoppen aus Berlin und 3 aus Cöln einzuführen, und dass
die kombinirten Rathleute im Rathhaus der „langen Brücke"
tagten.2)
Ein Gericht unter der Titulatur „Rieht er und Schoppen
beider Städte Berlin und Cölnu, damit aber auch deren ge-
meinsamer Gerichtssitz neben der Spreebrücke erhielt sich
Jahrhunderte lang, während von „Richter und Schoppen
beider Städte Brandenburg" und deren Tagung neben der
Havelbrücke keine Spur zu finden ist, wohl aber davon,
dass die „Schoppen beider Städte Brandenburg" Jahrhun-
derte lang „zu Schöppenhaus" gingen,3) um Rechtsbeleh-
rungen zu ertheilen.
Wann diese Thätigkeit der vereinten Schöppenkollegien
in Brandenburg begann, ist auf Jahr und Tag nicht festzu-
stellen; jedenfalls hatten 1348 beide Städte noch ein ge-
meinsames Rathhaus; das ergiebt ein damals zwischen
den Rathmannen Rathenows, Nauens und beider Städte
Brandenburg „in deme rathus beyder stede" abge-
*) Vergl. Diez, Archiv Magdb. Rechte 1, 8. Matthis, Jurist. Monats-
schrift n, 59. 64. 68. 72. Heydemann a. a. O. Seite 51. Märkische
Forschungen Bd. 16 S. 5 ff.
*) Eine analoge Vereinigung der Schoppen beider Städte Danzig ver-
sucht König Casimir 1457; die Gerichte beider Städte blieben aber ge-
trennt. Günther, des Syndikus Lengnich jus publ. civ. Gedan. Danzig
1900 S. 251.
3) 1620 (67 351) votirt Floring: „Ich weis mich zu erinnern, das zu
scheppenhaus .... streit vorgefallen". Aehnlich 1621 (68 589). In Magde-
burg hatten bis 1425 die Schoppen eine Schoppenkammer (Pomarius,
Mgdb. Stadtchronik 1587), dann bauten sie ein Haus am Markte „zu einem
schöppenhause oder schöppenkammer" um. (Ueber „Kammer** s. Stölzel,
Rechtsverw. I, 12.)
4*
52 *■ Buch. Ortlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
schlossener Vertrag. l) Laut des Schöppenbuchs der Neu-
stadt Brandenburg fanden aber bereits 1297 die Begabungs-
und Kaufverträge der Neustädter in pretorio (nicht in
praetorio nostro, also doch wohl im gemeinsamen Prä-
torium) und zwar coram prefecto et scabinis nove civitatisu
statt. 2)
Die Periode der Gemeinschaftlichkeit des Rathhauses,
das wahrscheinlich sowohl der Altstadt als der Neustadt auch
für die gerichtlichen Geschäfte der Einzelstadt diente, erreichte
ihre Endschaft dadurch, dass jede der beiden Städte sich
ein neues Rathhaus baute.3) Das bisherige gemeinsame
Rathhaus hörte damit auf als solches zu existiren und
diente fortan nur den vereinigten beiden Schöppenkollegien
als „Schöppenhaus" für ihre Rechtsbelehrungen. Darum hat
auf einer im Brandenburger Stadtarchiv befindlichen Aus-
fertigung des vorhin genannten Vertrags von 1348 eine alte
Hand die Anmerkung zugefügt: „NB. das Schöppenhaus.u
Das soll bedeuten, dass zu Zeiten des Schreibers dieses Zu-
satzes das Rathhaus von 1348 nicht mehr Rathhaus, sondern
Schöppenhaus beider Städte war. Die Entstehung des Schöp-
penhauses fallt also jedenfalls nach 1348.
Da die Burg nicht unter der städtischen Gerichtsbarkeit
stand und mit ihrem Zubehör im Laufe der Zeiten, nachdem
sie aufgehört hatte, landesherrliche Residenz zu sein, dem
Domkapitel zufiel, so fand — und zwar mindestens schon im
15. Jahrhundert — an vier verschiedenen Orten Brandenburgs
eine Ausübung der Rechtspflege statt: auf der Burg von
Richter und Schoppen des Domkapitels, auf dem altstädti-
') Riedel, cd. 1, 9 S. 42. Grupp im 31. Jahresbericht des hist. Ver-
eins zu Brandenburg S. 20.
2) Mark. Forschungen Bd. 18 S. 26.
3) Adler, Mittelalter!. Backsteinbauwerke des Preuss. Staates Bd. 1
(1862) S. 16 setzt die Entstehung des Vordergiebels des altstädtischen Rath-
hauses auf 1350, die des Hintergiebels etwas später, die Entstehung des
neustädtischen Rathhauses (S. 31) 1320 bis 1340, ändert diese Annahme
aber Bd. 2 (1898) S. 119 dahin ab, dass das altstädter Rathhaus aus 1470
bis 1490, das neustädter aus den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrh. stamme.
Es wird sich später zeigen, dass die letztere Annahme sehr wohl zu einer
Annahme über die Umwandlung des Rathhauses in das Schöppenhaus passt.
§ i. Örtlichkeiten. 53
sehen Rathhaus von Richter und Schoppen der Altstadt, auf
dem neustädter Rathhaus von Richter und Schoppen der
Neustadt, auf dem Schöppenhaus von den „Schoppen beider
Städte Brandenburg".
Es kann kein Zweifel sein, dass die letztere uns allein
hier interessirende Art der Rechtsprechung, die der Rechts-
belehrung durch Schoppen (im Gegensatz zu der von
Richter und Schoppen ausgehenden Urtheilsfällung),
vor der Entstehung der langen Brücke und des Schöppen-
hauses ihren Anfang nahm, nämlich zu einer Zeit, in der von
einer Neustadt Brandenburg und von „Schoppen beider
Städte14 noch keine Rede war. Das heisst: es muss einst
Rechtsbelehrung von den „Schoppen zu Brandenburg" er-
theilt sein, wie sie von den „Schoppen zu Magdeburg" (und
zwar von ihnen ständig bis zu ihrem Verschwinden) ertheilt
worden ist:1) in Magdeburg gelang es der Neustadt nicht,
wie in Brandenburg, sich an der Ertheilung von Rechtsbe-
lehrung zu betheiligen. Der Ort, von welchem die älteste
Rechtsbelehrung in Brandenburg ausging, ist unbekannt; ver-
mutlich erfolgte sie Anfangs auf der Burg, dann auf dem
Rathhaus in der Havel. Das älteste urkundliche Zeugniss
über eine von Brandenburg ausgegangene Rechtsbelehrung
datirt ohne nähere Ortsangabe aus dem Jahre 1376. Es
ist ein von den „gegen Brandenburg" ausgesandten Schoppen
zu Frankfurt a. O. eingeholtes Weisthum;2) danach „gaben
ihnen die Scheppen zu Brandenburg" ein Recht. Wenn,
wie wohl anzunehmen, in dieser feierlichen, von den Frank-
furter Schoppen in Frankfurt niedergelegten Beurkundung
als Urheber des Spruchs schlechtweg die „Scheppen zu
Brandenburg" bezeichnet werden, so lässt sich annehmen,
dass die übliche Titulatur, wie es der Sitte der Zeit ent-
sprach, genau gewahrt wurde, dass also damals noch „die
Schoppen zu Brandenburg", nicht etwa schon „die Schoppen
1) Ein Beispiel statt vieler: Richter und Schoppen der Neustadt
Magdeburg erbitten eine Belehrung von den Schoppen der Altstadt (1574);
das Belehrungsurtheil (15 378) ist, wie alle Magdeburger Urtheile, über-
schrieben: „Scheppen zu Magdeburg" (nicht Scheppen der Altstadt M.).
2) Mark. Forschungen Bd. 18 Anhang III.
54 i- Buch. Ortlichkeiten. Tilulaturen und Anreden.
beider Städte Brandenburg" das erbetene Recht gaben. Die
„Schoppen zu Brandenburg", waren aber die Schoppen der
Altstadt Brandenburg; sie waren, wie das Beispiel Magde-
burgs, annehmen lässt, im Munde der Rechtsuchenden ur-
sprünglich die Schoppen „zu Brandenburg" und scheinen so
noch benannt zu sein, nachdem längst die Neustadt Branden-
burg und deren Schoppen existirten. Das schloss nicht aus,
dass die neustädter Schoppen für sich ein selbständiges
rechtsbelehrendes Kolleg für Orte bildeten, die von der Neu-
stadt mit deren Recht bewidmet wurden. Deshalb hat es
nichts Auffälliges, wenn im Jahre 1336 Markgraf Ludwig
der neu aufgebauten Stadt Jerichow (bei Tangermünde) be-
fiehlt, l) ihr Recht nicht mehr von der benachbarten Stadt
Burg, sondern von den „civibus civitatis nostrae novae Bran-
denburg" zu holen. Demnach bildete 1336 die Neustadt
Brandenburg einen Oberhof für sich, getrennt von dem Ober-
hofe, der in den Schoppen der Altstadt bestand ; auch dieser
neustädtische Oberhof tagte aber im gemeinsamen Rath hause.
Es kommt auch noch 1540 vor (3 56), dass ein Bürger der
Neustadt Brandenburg, der unter Beirath seiner neustädtischen
Verwandtschaft eine ihm ungünstige Erbtheilung vorgenommen
hat, sich Rechtsbelehrung bei „Richter und Schoppen der
alten Stadt Brandenburg" holt, offenbar, weil er die neu-
städtischen Schoppen nicht für hinreichend unbefangen hält,
also die Schoppen beider Städte nicht anrufen will.
Mit der Klinke steht das Schöppenhaus nur soweit in
Beziehung, als dies Gericht zur Klinke der Rechtsvorgänger
der Gerichte und des Schöppenstuhls zu Brandenburg war.
Im Jahre 1309 ist davon die Rede, dass Brandenburg und
Berlin sich vereinigen über die entstehenden Kosten, wenn
ihre Bürger zum Landding herangezogen werden. Dies Land-
ding war das Gericht zur Klinke; es bestand also damals noch.
Aber nicht lange Zeit mehr. Laut des vor 1335 oder 1340
geschriebenen Richtteigs Landrechts ist, wie oben angegeben,
die Klinke noch Oberhof für die Landgerichte. Das Berliner
Stadtbuch aus dem Ende des 14. Jahrhunderts lehrt aber: tu
l) Jo. P. de Ludewig, Reliquiae mscr. tom. VII p. 29. Riedel c. d. 1 , 2, 1 04.
§ i. Örtlichkeiten. 55
landrechte und tu borgerrechte vint man tu Brandenburch,
dat nu is die hogeste dingstat, dat hir vormals was bei der
Klinke by Brandenborch.1) Dafür, dass jemals in Branden-
burg ein „Schöppenstuhl zur Klinke" existirt habe, wie Ho-
meyer unterstellt,2) findet sich kein Beleg.
Eine Beschreibung der Lage des Schöppenstuhls aus alter
Zeit besitzen wir in Knust's fünf Büchern über die „Kunst,
Bier zu brauen, und über die vornehmsten Biere in Teutsch-
land", einem Werke, das in erster und (1575) in zweiter Auf-
lage zu Erfurt erschien, und hinter welchem man weder einen
ehemaligen Berliner Gymnasialdirektor und späteren Rechts-
gelehrten, noch einen Erfurter Kanonikus als Verfasser ver-
muthet. Hier heisst es: „. . . Brandenburg . . . hat zwey Ge-
richt und Ratsheuser, sein auch zwo Stedte, welche die durch-
laufende Havel unterscheidet .... (alte und neue Stad) . . . ;
eine lange Brücke gehet zwischen beiden Städten über die
Havel, mitten auf der Brücke stehet ein Haus gebaut,
darin niemand wohnt; das nennen etliche den Vocativum
für Brandenburg, diß Haus ist ein Gerichtshaus, darin
Richter und Schöpen aus beiden Stedten zu Brandenburg
. . . zusammen kommen, wann sie auf eine Frage, die an ihrem
Schöpenstuhl um belehrung gelanget, Urtheil sprechen
wollen . ,u
Die Darstellung ergiebt sich als ungenau, sobald man sie
mit einer älteren aus dem Jahre 1532 stammenden Nachricht
vergleicht.4)
Beim Rathe zu Hamburg führte damals der Nonnen-
konvent der gewaltsam aufgehobenen Abtei Herwardeshude
(des heutigen Hamburger Vorortes Harvestehude) Beschwerde
über die Beschlagnahme einiger Kisten mit Klosterkleinodien.5)
l) Homeyer, Richtsteig S. 313. *) Richtsteig S. 512 a. E.
*) Vergl. Mittheilungen des Vereins für Hamburg. Geschichte Bd. 12
S. 455-
4) Mittheilungen des Vereins für Hamburg. Gesch. Bd. 8 S. 86 (von
Dr. O. Beneke).
*) Im Hamburger Staatsarchiv in zwei alten Abschriften. Gütige
Mittheilung des Herrn Amtsrichters Dr. G. Seelig in Hamburg. Der Ab-
druck Beneke*s lässt das Wort „absolute" hinweg.
56 l- Buch. Örtlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
Die Nonnen erzählen: als sie vom Rathe aufgefordert seien,
diese Kleinodien im hamburgischen Johanniskloster abzuholen,
hätten sie die Oeffnung der Kisten und die Taxation ihres
Inhalts mitansehen müssen, die Kisten seien dann aber in
die Kämmerei geschickt. Dann schliessen die Nonnen ihre
Beschwerdeschrift: „also syn wy arme verwäldigte kinder
upt ys gefort, dar wy stunden absolute, wo de Vocativus
vor Brandenborg."1)
Dass die Nonnen sich nicht mit dem zwischen bei-
den Städten Brandenburg stehenden Schöppenhaus ver-
glichen, und dass sie nicht dieses Schöppenhaus als vor
Brandenburg befindlich bezeichnet haben können, ist ohne
Weiteres klar. Ferner ist klar, dass die ältere, im Wortlaut
vorliegende Quelle den Vorzug vor der jüngeren verdient,
die nur von Hörensagen berichtet. Knust ist im Irrthum,
wenn er, dem der „vor Brandenburg stehende Vocativusu
im Volksmunde begegnet sein mag, diesen Vocativus auf
das zwischen beiden Städten stehende Schöppenhaus bezieht,
und der Senior des Brandenburger Schöppenstuhls Giesecke
schreibt 1749 diesen Irrthum in einer Auskunft, die er über
den Schöppenstuhl gibt,2) nach, indem er vom Schöppen-
hause berichtet, dass man' in alten Zeiten von ihm gesagt
habe: „wo stehest du da als der Vocativus zu Brandenburg".
Ebenso greifen aber auch die neueren Erklärungen des „Vo-
cativus vor Brandenburg" fehl.3)
j) D. h.: also sind wir armen vergewaltigten Kinder auf das Eis ge-
führt, dass wir absolut da standen, wie der Vocativus vor Brandenburg.
a) 98 669 ff. Von diesem Berichte wird noch ferner die Rede sein ;
er ist abgedruckt im 31. Jahresbericht des Histor. Vereins zu Brandenburg
1899 S. 79 ff.
3) Der Vocativus vor Brandenburg soll sein nach Lisch, Mitth. des
Vereins f. hamb. Gesch. 8 87 (I885): „ein ohnmächtiger erfolgloser Hülfe-
ruf vor einer brennenden Burg, d. h. in einem extremen Nothfall "(!?), nach
Beneke: „ein aufs Eis vor Brandenburg gelockter loser Geselle ä la Till
Eulenspiegel **, nach einem ungenannten Hamburger (das. la 453): „Jemand,
der das aussichtslose (!?) Unternehmen begonnen, einen Rechtsspruch in
Brandenburg zu begehren, wo sich das Verfahren noch umständlicher als
anderswo dadurch gestalten musste, dass die Schöffen aus der Altstadt und
Neustadt zusammentreten mussten." Ferner trifft auch das nicht zu, was
§ i. Örtlichkeiten. 57
Der Vocativus vor Brandenburg enträthselt sich fast
ebenso einfach wie die Homeienbrücke.
Noch heute ist Vocativus der Ausdruck für einen Schalk,
einen Schelm, l) weil der Vocativus derjenige Casus ist, mit dem
man Jemanden vorwurfsvoll anruft. So ruft auch das Gericht
den Schelm an, der vor ihm zu Recht stehen muss; darum
steht ein solcher angerufener Schelm betreten vor dem Ge-
richte. So standen auch jene Herwardeshuder Nonnen be-
treten vor dem Hamburger Rathe; sie waren herbeigeholt, als
sollten sie ihre beschlagnahmten Kleinodien wieder in Empfang
nehmen, wurden statt dessen aber behandelt, als wären sie
es, die etwa die Kleinodien entwendet hätten. Sie fühlten
sich deshalb wie auf das Eis geführt oder wie Schelme, die
zu Gericht standen: der Vocativus vor Brandenburg ist der
Schelm vor dem Richterstuhl. Es wäre auch nicht unmög-
lich, dass unter den Herwardeshuder Nonnen sich solche be-
fanden, die aus Brandenburg oder wenigstens aus der Mark
herstammten, so dass ihnen der Vocativus vor Brandenburg
besonders nahe lag, oder dass der Verfasser der Hamburger
Beschwerdeschrift Brandenburger Beziehungen hatte. Immer-
hin musste der Ausdruck doch auch dem Hamburger Rath
verständlich sein, sonst hätten ihn die Nonnen sicher nicht
in ihrer an den Rath gerichteten Beschwerde gebraucht, um
ihre kritische Lage möglichst drastisch darzustellen.
Merkwürdigerweise führt auch die Schrift des Erfurter
R. Grupp im Jahresbericht des Brandenburger historischen Vereins von 1 899
S. 103 ausfuhrt. Danach soll der Vocativus „aus der nach 1315 verlassenen
Advocatie, der Dingstätte des advocatus oder Vogts von Brandenburg,
abzuleiten sein;" diese habe für alle, die von Osten, namentlich von Berlin
her nach Brandenburg reisten, vor Brandenburg gelegen und sei neben
dem gerade im 16. Jahrhundert blühenden Schöppenstuhl dem Spott und
der Verhöhnung anheimgefallen; es sei unmöglich, den Vocativus mit dem
Schoppenstuhl irgend zu vereinigen.
*) Siehe z. B. den Kladderadatsch von 1899 S. 51 Sp. 2. Weiter zu
vergleichen Heyse's Fremdwörterbuch 17. Aufl. 1896 (vocativus = Schalk,
loser Vogel, den man oft tadelnd und warnend anruft); Wander's Spruch -
wörterlexikon IV, 1644; Simplicissimus in der Stuttgarter Ausgabe von
Adalbert v. Keller III, 83; Adelung, Wörterbuch der hochdeutschen Mundart
1808 IV, 1218.
58 *• Buch. Örtlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
Knust nach Hamburg und gleichzeitig nach Brandenburg.
Knust (auch Cnustinus, Chnaustinus und Knaust genannt) war
1524 in Hamburg geboren, studirte und dichtete 1539 in
Wittenberg, wurde um 1540 Rektor des Kölnischen Gym-
nasiums in Berlin, ging dann zur Jurisprudenz über, wie viele
Philologen und Theologen damaliger Zeit, und diente als
Rathssyndikus in Bremen, Danzig, Demmin, um sich schliess-
lich 1558 (nach einer Reise zum Zweck des Studiums der
deutschen Biersorten) in Erfurt niederzulassen. l) Vom Vocati-
vus vor Brandenburg wird er wohl in Berlin gehört haben,
aber nur ungenau, so wie er das Gehörte später in Erfurt
verwendete.2)
Im Lichte dieser Thatsachen gewinnt der Vocativus vor
Brandenburg, besonders im Munde von Hamburgern, eine er-
hebliche rechtsgeschichtliche Bedeutung. Ein solches Ansehen
genoss als Spruchbehörde in Strafsachen der Brandenburger
Schoppens tuhl um 1530 bis nach Hamburg hin, dass es dort
geläufig war, das Stehen vor Gericht schlechthin mit dem
Stehen vor Brandenburg zu bezeichnen. Verbindungen Ham-
burgs mit Brandenburg brachte der Handelsverkehr auf
Havel und Elbe; Heringstransporte waren etwas Gewöhn-
liches nach Brandenburg, und schon 1 170 erhält Brandenburg
das markgräfliche Privileg, Heringe, Muränen und Lassen
zollfrei einzubringen;3) eine Verbindung Hamburgs mit dem
Brandenburger SchÖppenstuhl ergeben auch unsere Akten»
namentlich in Strafsachen. Ebenso ergiebt die um ein
Menschenalter spätere Aeusserung Knusts, dass der Branden-
burger SchÖppenstuhl in Erfurt wohlbekannt war. Findet
sich doch selbst unter den märkischen Bauersleuten im Jahre
a) Stintzing, Gesch. der deutschen Rechtswiss. Bd. 1 S. 564. Stölzel,
Brandenburg- -Preussens Rechtsverwaltung Bd. 1 S. 228 Note und die dort
Zitirten.
2) Knust nennt in der Vorrede zur 2. Aufl. als die Quelle seiner Dar-
stellungen Johannes Placatomus, de natura et viribus cerevisiarum. 1551.
Hier findet sich bei Besprechung des Brandenburger Biers nichts vom
Vocativus; die Mittheilung darüber stammt daher von Knust selbst.
3) Oelrichs, de Botding et Lodding. Trajecti ad Viadrum 1750 p. 4, 5
des Appendix. Aehnliche Privilegien besassen im 13. Jahrh. Salzwedel und
Stendal. Ztschr. f. hamb. Gesch. 6, 409, 412.
§ i. Ortlichkciten. 59
1553 (5 92) die Redeweise, dass sie „Brandenburg" schlecht-
weg als die Stätte bezeichnen, wo Streit und Hader schliess-
lich zu Ende gehen: „der soll noch lange zu Brandenburg
laufen, ehe ihm sein Recht wird", spottet ein Beklagter von
seinem Gegner. Wie heute in der Mark allgemein verständ-
lich ist, was es bedeutet, wenn man von Jemandem sagt,
er komme nach Spandau oder nach Plötzensee, so verstand
laut des jeden Zweifel abschliessenden Zeugnisses von 1553
einst Jeder, dass „zu Bradenbung laufen" nichts Anderes
bedeute „als vor Gericht gehen", und es war laut der Rede-
weise der Nonnen von 1532* dem Hamburger Rathe ver-
ständlich, dass „vor Brandenburg stehen" nichts Anderes
bedeute als „vor Gericht stehen".
Nachdem das einstige Rathhaus zwischen beiden Städten,
das nur nebenbei als Schöppenhaus gedient hatte, zum
Schöppenhaus zwischen beiden Städten geworden war, dient
es als Schöppenhaus Rathsangelegenheiten nur noch aus-
nahmsweise dann, wenn diese Angelegenheiten beiden
Städten gemeinsame sind. So nehmen 1550 „Bürgermeister
und Rathmannen beider Städte" den neustädtischen Bürger-
meister Scholle „ufm Schöppenhause zwischen beiden Städten"
zu einem Apotheker beider Städte an,1) ebenso lassen die
Räthe beider Städte in einer sie beide betreffenden An-
gelegenheit 1578 die Müller aus den Mühlen zwischen beiden
Städten „auf das Schoppenhaus" fordern.2) Aber der Um-
stand, dass die rechtsbelehrende Thätigkeit der Schoppen
beider Städte vom Schöppenhause ausgeht, gewinnt allmäh-
lich solche Bedeutung, dass die lokale Bezeichnung „zwischen
den Städten" mehrfach mit dem Sitz des Schöppenstuhls
identifizirt wird. Der Schöppe Vielitz, der sich in der Prozess-
sache eines Verwandten 1560 der Abstimmung enthält und
deshalb das Schöppenhaus verlässt, nennt das,3) er könne nicht
„zwischen beiden Städten verharren"; das neustädter
Schöppenbuch von 1492 ff. redet 1572 vom Antheil des
Schoppen Mawe am Schöppengelde, „so ihm von den Be-
T) RA Acta A 1.
a) 31. Jahresber. des hist. Vereins zu Brandenburg S. 69.
3) Siehe oben Seite 41 Note 1.
60 i. Buch. Örtlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
lehrungen zwischen beiden Städten zukommt",1) und
der Kurfürst adressirt 1581 eine Anfrage „an die Getreuen
des Scheppenstuels zwischen beiden unsern Städten
Brandenburg44 .2)
Ueber die Thätigkeit des Schöppenstuhls auf dem Schöp-
penhause liegen Nachrichten aus den Jahren 1558 bis 1697
vor.3) An den Wänden des Schöppenhauses fanden wichtige
Gesetze ihren Platz; so hing dort 1593 (36 357) ein Abdruck
des Reichstagsabschieds zu Speier von 1529, auf welchen
Abdruck das Gutachten des altstädter Schöppenseniors Mag.
Roter damals in einem Erbschaftsstreite Bezug nahm.
Die Existenz des Schöppenhauses schloss indess nicht aus,
dass die Schoppen beider Städte bei besonderen Gelegenheiten
auch anderswo tagten. So begeben sie sich von der Schöppen-
bank des altstädter Marktes, nachdem sie daselbst in einer alt-
städter Sache peinliches Halsgericht abgehalten haben, einmal
im Jahre 1579 in die auf dem Markte gelegene Stadtschreiberei,
um über Rechtsbelehrungen Beschluss zu fassen.4) In Zeiten
der Pest, die ausweislich der Schöppenstuhlsakten sehr häufig
wiederkehrten, mieden die Schoppen das Schöppenhaus und
überhaupt ihre Stadt. Sie zogen sich deshalb 1577 (18424)
und wiederholt in dem argen Pestjahr 1598 (43 141. 44. 198),
J) Der S. 59 citirte Jahresbericht S. 43.
a) St A. Decis. II fol. 10 1.
*) Unter einem Spruchkonzept des Jahres 1558 steht: „Datum auf
unseren scheppenhause mittwochs nach Anton ii" (7 193); ebenso Montag
post Jacobi 1590: „Datum aufm scheppenhause zu Brandenburg44 (33 201);
1562: „wenn ihr vom scheppenhause gehet" (9 123); „1593 ist auf dem
scheppenhause alhier das contrarium gesprochen" (StA. Decis. II, 164).
Eine Rechnung von 1596 besagt: „6. aug. ein buch pappier zu scheppen-
hause, 23. aug. ein buch pappier auf das scheppenhaus , 26. oct. zu
scheppenhause ein buch pappier, 2. Nov. ein buch pappier zu scheppen-
hause" (RA. Act. A. 1). „Zu scheppenhause wart referirt" (1608. 56 116).
„Oft ist zu Scheppenhause gedacht worden" (1609. 57 220). „Dieses ist zu
scheppenhause . . . vorgangen und approbiret" (1632. 74 528). „Sentent.
zu scheppenhause" 1634 (75 585; auch 682. 417). Ueber 1697 siehe
Seite . . . Note . . .
4) RA. Cod. A. 33 fol. 74. Im Jahre 1532 verkauft der Rath der
Altstadt das Haus „die Stadtschreiberei bei dem Stadthof" AA. Rathsbuch
A. 1 fol. 239.
§ i. Örtlichkeiten. Gl
in welchem das Berliner Kammergericht nach Neuruppin
auswanderte,1) in die unweit Brandenburg gelegenen Wein-
berge zurück, und zwar die altstädter Schoppen in die der
Altstadt gehörigen Weinberge bei Radewege, die neustädter
Schoppen in die neustädtischen Weinberge bei Kreutzwitz2);
ihre Zusammenkunft fand dann bei Butzow an der Stelle
statt, wo eine schmale überbrückte Wasserstrasse den Beetz-
see und den Riewendsee verbindet; die Wahl des Ortes
entsprach der des Schöppenhauses zwischen beiden Städten
in unmittelbarster Nähe des Wassers. Bisweilen geschah es
auch, dass die den Schoppen zustehende, noch jetzt als
Magistratsstuhl dienende Kapelle der Katharinenkirche3)
dazu benutzt wurde, Sonntags eine Sache zu bereden, wegen
deren man Tags vorher sich erspart hatte zusammenzu-
kommen.4) Sehr häufig, vielleicht sogar in den meisten
Fällen kamen die Beschlüsse der Schoppen ohne gemein-
same Sitzung, wie sich zeigen wird, dadurch zu Stande,
dass die Akten mit schriftlichen Aeusserungen vom Rath-
hause der einen Stadt zu dem der anderen oder von einem
Schoppen zum anderen gingen.
Die Stürme des dreissig jährigen Krieges mögen das
Schöppenhaus nicht unberührt gelassen haben; im Jahre 1627
plünderten die Kaiserlichen 200 Häuser der Stadt;5) im
Dezember 1638 fällte man in Brandenburg vier Todesurtheile
gegen Plünderer (76 659 ff.). Wie überall in Deutschland,,
so muss auch hier der Kriegslärm den ruhigen Fortgang der
Justiz gestört haben. Damit steht es in Zusammenhang, dass
unterm 19. Juni 1646 der neustädtische Bürgermeister und
Schöppe Mag. Andreas Moritz seine in Berlin weilenden
1) Holtze, Lokalgeschichte des Kammergerichts S. 4.
2) Das heutige Klein-Kreuz, wo noch jetzt die Stadt Brandenburg-
Eigenthümerin der sog. Weinberge ist.
3) Wernicke, Die Katharinenkirche zu Brandenburg. Siehe auch
unten § 5.
4) Votum des neust. Seniors Floring: „Die herren werden darüber
müssen zusammenkommen oder wil mit den herren morgen darüber in der
kapeilen reden44 (16 19. 66 594).
6) Tschirsch, Tageb. des Garcäus, 20. Jahresbericht über den hist.
Verein zu Brandenburg, 1888 S. 101.
_ M
ß2 *• Buch. Ortlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
Kollegen bittet (77 352), „auch wegen unsres Scheppenstuhls
und Scheppenhauses zu vigiliren". Die Bitte scheint nicht
viel geholfen zu haben; denn die Versammlung der Schoppen
im Schöppenhaus hörte auf, das Regelmässige zu sein; von
ihr als etwas Vergangenem erzählte 1679 Fromme's nomen-
clatura rerum.1) Im Jahre 1680 nahm man jedoch eine wieder-
holte Reparatur vor;2) so konnten noch in den 1690 er Jahren
die Schoppen das Schöppenhaus zu ihren Zusammenkünften
benutzen.3) Aber am 17. Mai 170a brachte ein Sturm das
Haus zum Einsturz und beschädigte den Schlagbaum, die
Zugbrücke und die Balken der langen Brücke, so dass deren
Reparatur nöthig war;4) vom Schöppenhause blieben nur „die
aus dem Wasser ragenden Pfähle" übrig und „sahen sich
nach einem neuen Baue um".5) Der neue Bau unterblieb.
König Friedrich Wilhelm I. soll die letzten Trümmer haben
beseitigen lassen, weil sie ihm während eines Aufenthalts in
seinem Brandenburger „Lustschlösschen" (dem heutigen „Frei-
haus" der Neustadt in der jetzigen Hauptstrasse) die Aussicht
störten.6) Bei dem ungewöhnlich niedrigen Wasserstande von
1874 traten die Pfähle, auf denen das Schöppenhaus einst
stand, deutlich hervor.7)
*) Zweite Ausgabe Brandenburg 1727 von Gottschling S. 118, wo Fr.
sagt, dass in dem Hause „vor diesem" die Schoppen ihre Versammlung
gehalten haben.
2) Bericht des Schöppenstuhls von 1691 im Pfarrarchiv der Branden-
burger Katharinenkirche, Tit. III No. 30; vgl. Rechnung der Neustadt von
1680 Cod. N. No. 21 fol. 44 RA.: „3 taler zum Schöppenhause".
8) Der nebenzitirte Bericht von 1691 schliesst: „gegeben auf dem
brandenburgischen Schoppenhause*4. Im Jahre 1697 schrieb der Schoppen-
senior (79 758) von einem Zusammenkommen „aufm Schöppenstuhl", und
der Schöppenschreiber Steltzner notirte im August desselben Jahres (79 763)
unter einem Spruchentwurf: „Dies Urthel ist dato aufm Schöppenhause
abgefasset und per majora also beliebet".
4) Bericht des Schoppen Steltzner 97 1 ; Rechnung der Altstadt von
1700, Ausgaben Tit. 22 Cod. A. No. 58 RA.
*) Gottschling a. a. O. S. 169 Anm. 12;
8) Bericht des Referendars Hübbe von 1832 in den Generalakten II
K 5 des Amtsger. Brdb., Bericht des Ger.Ass. Levin von 1866 in den
Akten des Kammergerichts zu Berlin, betr. die Inrotulirung der Schoppen-
Stuhlsakten II. A. 9 fol. 33.
*) Schillmann, Gesch. der St. Br. S. 177 Anm.
§ i. Örtlichkeiten. 63
Aus dem Einsturz des Schöppenhauses im Jahre 1700
erklärt sich die Lückenhaftigkeit der Schöppenstuhlsakten
der vorausgegangenen fünfzig Jahre und die sichtliche Be-
schädigung eines Theiles der aus dieser Zeit erhaltenen
Akten. Viele dieser Akten zeigen (in den Bänden 74 bis 79)
Stockflecken und sind am Rande stark vermodert : sie haben
anscheinend im Wasser gelegen. Das Schöppenhaus konnte
nicht alle Akten älterer Zeit bergen; nur die aus der jüngsten
Vergangenheit mag es aufbewahrt haben, und diese fielen
bei jenem Sturme in die Havel; ein grosser Theil davon wird
zu Grunde gegangen sein, der gerettete Theil sind die ver-
moderten Akten. Die älteren Akten barg das altstädtische
und das neustädtische Rathhaus.
Der Einsturz hatte die Folge, dass die Schoppen beider
Städte darauf angewiesen wurden, abwechselnd das alt-
städtische oder das neustädtische Rathhaus zu ihrer Ver-
sammlung zu benutzen, wie dies ihre Akten nachweisen,1)
zuweilen benutzten sie auch die Privatwohnung eines Kol-
legen.2) Eifersüchtig wachten die Neustädter und Altstädter
darüber, dass keines der beiden Rathhäuser bevorzugt wurde.3)
Nach der Vereinigung beider Städte im Jahre 17 15 wurde
das altstädtische Rathhaus von der Stadtverwaltung geräumt.
Die Rathstube lag im Jahre 17 16 „voller Wollen", und die
Tuchmacher hatten ein Schloss davor gelegt, so dass eine
Schöppensitzung in der Kämmereistube abgehalten werden
musste. Aber im Jahre 1727 hatten die Schoppen ein neues
Heim. Es wurden ihnen, wie der Senior Giesecke im Jahre 1 749
sagt, die Gemächer in der zweiten Etage des in der Neustadt
gelegenen Accisehauses eingeräumt.5) Im Jahre 1787 drückt
*) 80 60. 113. 145. 147. (1701. 1702); 8l 55- 56 (1709)1 3° (J7»6);
8a 210 (17 13).
a) 80 181. 184. 188 (1706).
3) Der altstädter Schöppe Katsch schreibt 1 706 : „weil die letzte Zu-
sammenkunft alhier (nämlich im altstädter Rathhaus) gewesen, werden wir
wohl in die Neustadt gehen müssen" (8a 2).
4) Deshalb konnte Hempel, Europ. Staatslexikon 4. Thl. S. 549 im
J. 1752 berichten: „In der Neustadt Br. berümter Schoppenstuhl, von
M. Johann 1315 errichtet".
a) Bericht Giesecke's, 98 671.
04 !• Buch. Örtlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
sich der Schöppenstuhl deutlicher aus, er sagt, er nutze die
beiden Dachstuben des Accisehauses zur Aufbewahrung der
Bibliothek und zur Zusammenkunft der Mitglieder,1) und
zwar, wie sie jetzt zu sagen pflegten, „auf dem Schöppen-
stuhle" (1722. 86598); von einer Zusammenkunft auf dem
Schöppenhause konnte keine Rede mehr sein. Da das
Accisehaus fiskalisch war, so ist anzunehmen, dass der König
dem Schöppenstuhl auf dessen Vorstellung diese beiden
Dachstuben überlassen hat.2) Das Accisehaus stand in der
jetzigen Hauptstrasse, dem früheren „Venedig", an der Ecke
des Packhofes. Es hat vor einigen Jahren einem Neubau
weichen müssen. Hier ruhten die Akten, nachdem sie, an
scheinend in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, aus dem
„Kassengewölbe" des altstädtischen Rathhauses hatten ent-
fernt werden müssen. Wenigstens befanden sie sich noch
1749 (98 670) im Rathhause. Nach der Auflösung des
Schöppenstuhls im Jahre 18 12 wurde das Accisehaus ge-
räumt; Akten und Bibliothek siedelten wieder in das alt-
städtische Rathhaus, den Sitz des damals eingerichteten Land-
und Stadtgerichts, über.
An die Stelle des Land- und Stadtgerichts Brandenburg
trat in Folge der Neuorganisation der Preussischen Gerichte
im Jahre 1849 das Kreisgericht, dann 1879 für die wich tigern
Sachen das Landgericht Potsdam, für die minder wichtigen
Sachen das heutige Amtsgericht Brandenburg, das seinen
Sitz jetzt in einem früheren Postgebäude hat.
Im wunderbaren Kreislauf der Geschichte hat also die
vom Landgericht zur Klinke ausgegangene Entwicklung nach
der Zersplitterung dieses Landgerichtes und der Herausbil-
dung einer für Brandenburg über sechs Jahrhunderte be-
standenen städtischen Sondergerichtsbarkeit wieder zur Be-
seitigung der Zersplitterung und zur Bildung eines neuen,
1) AA, Urkunde von 1787. Der Zollinspektor forderte einen Beitrag-
zur Reparatur des Hauses, den der Schöppenstuhl (anscheinend mit Erfolg)
ablehnte.
*) Bericht Levins in den Kammergerichtsakten betr. Inrotulirung der
Akten des ehemal. Schöppenstuhls zu Br. Vol. spec. II. A. No. 9 f. 33.
§ 2. Titulaturen und Anreden. 65
freilich nicht an alter Stätte errichteten Landgerichts zurück-
geführt
In der Wahl und in dem Wandel des Ortes, wo zu
Brandenburg Recht geschöpft wurde, findet die innere Ge-
schichte des Brandenburger Schöppenstuhls einen merkbaren
Ausdruck: Mit der Umwandlung des alten Rathhauses in das
Schöppenhaus schliesst die Rechtsbelehrungsperiode ab, die
der Thätigkeit des Schöppenstuhls beider Städte vorausging;
der Neubau des Schöppenhauses im Jahre 1552 bringt die
Blüthezeit des Schöppenstuhls beider Städte in seiner mo-
dernisirten Gestalt zur Anschauung; das Herabsinken des
Schöppenhauses zur Bedeutungslosigkeit in Folge der langen
Kriegswirren findet sein Ende durch die Wiederherstellung
im Jahre 1689, welche zugleich den Beginn einer Neuorgani-
sation des Schöppenstuhls anzeigt, und die endliche Ueber-
führung des Schöppenstuhls in bescheidene fiskalische Räume
hängt mit seiner bescheidenen unter König Friedrich Wil-
helm I. in den 1720 er Jahren eingetretenen Nachblüthezeit
als „Königlich Preussischeru Schöppenstuhl zusammen.
§2.
Titulaturen und Anreden.
Ebenso wie in den lokalen Beziehungen des Schöppen-
stuhls sich vielerlei Anhaltspunkte für seine Entwicklung
finden, muss dies, wie der Schlusssatz des vorigen Para-
graphen bereits andeutet, von den Titulaturen gelten, die
im Laufe der Zeit dem Schöppenstuhl als solchem' bei-
gelegt, und von den Anreden, die den Schoppen zu Theil
wurden. Da diese Titulaturen und Anreden nur auf der
Uebung beruhten, so entwickelt sich eine Neuerung stets
nur allmählich und mit Kämpfen; es giebt sich daher ein
stetes Schwanken kund, bis schliesslich die Neuerung festen
Fuss gefasst hat. Darum lässt sich die Entwicklung nur
durch Beibringung einer grösseren Zahl von Beispielen dar-
stellen und belegen, aus denen einerseits hervorgeht, dass sich
der Brandenburger Schöppenstuhl bei seinen Konsulenten
des Ansehens eines oberen Instanzgerichtes erfreute, anderer-
Stölzel, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 5
6(5 i. Buch. Örtlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
seits, dass selbst Behörden keineswegs immer die richtigen
Titulaturen anwendeten.
„Schepen beyder Stede Brandenborchu ist die älteste
Bezeichnung, die sich in unseren Akten (1 8) der Branden-
burger Schöppenstuhl beilegt. Indess finden sich auch Spuren,
dass den rechtsbelehrenden Sprüchen der „Schoppen beider
Städte Brandenburg" in ältester Zeit rechtsbelehrende Sprüche
der „Schoppen zu Brandenburg", und dann einerseits rechts-
belehrende Sprüche der „Schoppen der Altstadt Branden-
burg", andererseits der „Schoppen der Neustadt Branden-
burg" vorangingen.
Da älteste Urkunden überhaupt in lateinischer Sprache
abgefasst sind, so muss auch der älteste urkundlich auftretende
Namen der Brandenburger Schepen der übliche lateinische
„scabini" sein, der aus der Zeit Karls des Grossen stammt
und, nachdem er Jahrhunderte lang in Deutschland durch die
Ausdrücke Schepen, Schoppen, Schoppen und Schöffen ver-
drängt war, schliesslich vor seinem Absterben merkwürdiger-
weise noch einmal in seiner alten lateinischen Form auftrat:
den gelehrt gewordenen Mitgliedern der Stadtgerichte und
der Schöppenstühle gab man den amtlichen Titel „Scabinus";
während des dreissigj ährigen Krieges taucht „der scabina-
tus" [) für den Schöppenstuhl auf, und noch in den ersten
Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts war, wenn auch
nicht in Brandenburg, so doch in anderen Städten, z. B. in
Cassel, der „Herr Schcabines" eine achtunggebietende Per-
sönlichkeit.
Die Hervorsuchung der lateinischen Bezeichnung sollte
den Schöppenstühlen den Stempel der Gelehrsamkeit auf-
drücken, während ursprünglich der scabinus oder der Schepe
gerade der ungelehrte Rechtsprecher war. Scabinus stammt
von scapan ab, das nach Grimm ordinäre, decernere, creare
bedeutet und auch mit scephjan (haurire) zusammenhängen
kann, da scephjan aus scaphan hergeleitet ist.2)
*) Es ergeht (u. Okt. 1633. 75 19) „in scabinatu" der Spruch.
a) Rechtsalterthüroer 4. Aufl. % 389 ff. Brunner in den Mittheil, des
Inst. f. österr. Gesch.F. Bd. 8 S. 177 ff.
§ 2. Titulaturen und Anreden. (J7
Die Schoppen „weisen" das Recht,1) ihre Belehrungen
älterer Zeit sind darum „WeisthümerV) und die Schoppen
selbst sind „weise" Männer. Das Recht war nach Auffassung
der Germanen ewige Ordnung („Ehe"), es war nichts Ge-
machtes, „es wird nur bezeugt in Rechtssprichwörtern, ge-
richtlichen Entscheidungen, abstrakten Urtheilen über Rechts-
fragen, im Norden auch in geordneten Rechtsverträgen im
echten Dinge".3) Diejenigen, die es bezeugen, sind die
Schoppen. Das ihnen gegebene technische Beiwort „weise"
soll ausdrücken, dass sie, ohne im Rechte „gelehrt" zu sein,
das Recht aus Ueberlieferung und Uebung wissen;4) es er-
hält sich lange über die Zeit hinaus, in welcher sie „weisen".
Auch in die Zeit hinein, in welcher sie „zu Recht sprechen"
oder „erkennen" oder „des Rechten belehren", werden sie
mit „Euer Weisheit" angeredet und als „weise Herren
Scheppen" titulirt. Deshalb bedeutet die Abkürzung „E. E.
W.", die in den ältesten an die Brandenburger Schoppen
gerichteten Anfragen regelmässig wiederkehrt, „Eure Ehr-
bare (oder Ehrsame) Weisheit". Aber auch die Anrede „Eure
achtbare Ehrbarkeit" kommt vor (1535: 2 148).
So treten uns die Scheppen beider Städte Brandenburg
bis in die ersten Jahrzehnte des sechszehnten Jahrhunderts
als „ehrbare, achtbare, weise Herren Scheppen beider
Städte Brandenburg" entgegen.
Kurfürst Joachim in seiner „Konstitution, Wilkür und
Ordnung der Erbfälle und anderer Sachen vom Mitwoch nach
Francisci (9. October) 1527, wie damit durch die gantze Mark
Brandenburg und zugehörenden Landen hinführo soll gehalten
werden" (d. h. in der später sogenannten Joachimica),5)
„gönnt und lässt aus besonderen Gnaden zu, dass:
die beyde unser Städte Alt- und Neustadt Branden-
1) Ständige Form des Spruches z. B. in den Urtheilen des Ingel-
heimer Oberhofs: „Die Schepen haben gewiset, dass . . .**
2) J. Grimm, Weisthümer. 3 Bde. 1840 bis 1842.
8) Schröder, Deutsche Rechtsgeschichte, 2. Aufl. S. 13. 222.
*) Damit hängt auch das Wete- oder Weisebuch der Schoppen zu-
sammen, das wir noch 1574 (ÜB. 1 618) finden.
*) Mylius, C. C. M. II, 1 S. 19.
5*
63 i- Buch. Örtlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
bürg hinfürder nochmals einen gemeinen Richt-
stuhl samtlich, wie vor Alters haben und be-
halten sollen".
Hier werden die Schoppen beider Städte Brandenburg als
gemeinsamer „Richtstuhl" bezeichnet. Das lässt fast annehmen,
dem Verfasser der Joachimica sei bereits der wesentliche
Unterschied des aus den Schoppen beider Städte gebildeten
Kollegs und eines für beide Städte vereinigten Gerichtes
nicht mehr gegenwärtig gewesen, wie ein solches Gericht
z. B. „Richter und Schoppen beider Städte Berlin und Cölntt
bildeten. Der Brandenburger „Richtstuhl", von dem die
Joachimica redet, war kein Gericht; denn es fehlte ihm der
Richter; dieser Richtstuhl war keine rechtsprechende, keine
urtheilende, sondern er war eine rechtsbelehrende Behörde.
Wohl aber leitete die Bezeichnung „Richtstuhl*, die (wahr-
scheinlich im Anschlüsse an die Joachimica) auch anderweit
später noch angewendet wurde,1) hinüber zu der Zeit, in der
es üblich war, von einem „Schöppenstuhl beider Städte
Brandenburg14 zu reden, obwohl die vereinigten Schoppen
selbst sich lange Zeit noch ausschliesslich „Scheppen (oder
Schoppen) beider Städte Brandenburg1* nannten. Zum ersten
Male findet sich aktenmässig im Jahre 1535 (2 148) der Aus-
druck „Scheppenstuhl" in der äusseren Adresse eines Schrei-
bens, mit welchem Richter und Schoppen des märkischen
Städtchens Crossen um eine rechtliche Sentenz in einer In-
juriensache bitten, „der sie sich nach Gelegenheit der Part
recht zu sprechen nicht haben beschweren wollen"; die
Adresse lautet: „den achtbaren, ehrbaren und wohlweisen
Herren des Scheppenstuhls zu Brandenburg". Auch in
einem Erbstreit des Jahres 1547 (3 471) „beruft sich" eine
der Parteien „an den Scheppenstuel zu Brandenburg".
') Z.B. 1552 (4527): Richter und Schoppen der Stadt Schievelbein
in Pommern adressiren an BM., Richier und Schoppen der Stadt Alten-
brandenburg und reden im Kontext von „eines loblichen Kurfürsten Richt-
stuhl". Altenbrandenburg soll hier nicht die Altstadt Brandenburg be-
deuten, sondern nur den Gegensatz zum (mecklenburgischen) Neubranden-
burg; ähnlich 5 325 bei einer Anfrage aus Falkenberg 1554 und 14557 bei
einer Anfrage aus Waren 1573; beide Anfragen stammen aus dem Mecklen-
burgischen.
§ 2. Titulaturen und Anreden. 6<)
Um dieselbe Zeit beginnt in der Anrede an die Schoppen
das Prädikat „wohlgelehrt" aufzutauchen, das den auf Uni-
versitäten Gebildeten und von den Graduirten den Magistris
gebührte, ja es findet sich sogar das nur den Doktoren zu-
kömmende Prädikat „hochgelehrt*4, obwohl Doktoren damals
unter den Brandenburger Schoppen noch nicht sitzen.1)
Selbstverständlich wird überhaupt die richtige Titulatur und
Anrede keineswegs immer streng beobachtet.
Der Amtmann Caspar v. Kökeritz schreibt 1547 an die
Brandenburger, als an seine „wohl gelehrten" Freunde, der
Hauptmann Jörg Rhor zu Lebus adressirt; 1550 an „die ehr-
baren, hochgelehrten und wohlweisen Ern Richter und
und Schepfen des Richtstuhls beider Städte Brandenburg"
(3 468. 637), obwohl dieser Richtstuhl eines Richters entbehrt.2)
Ein Templiner Bürger adressirt 155 1 (486) „an die Herren
Scheppen des löblichen und weitberühmten Scheppenstuhls
zu Brandenburg", der Amtsvogt zu Küstrin in demselben
Jahre „an die ehrbaren und weisen Herren Scheppen des
Scheppenstuhls beider Städte Brandenburg" (4 184). Der bei
Stendal erbgesessene3) Friedrich von Runtorf adressirt 1553
an die „Erbaren, hoch gelarten und hochweisen Herren
Scheppen des Churfürstlichen Scheppenstoles Branden-
burg" (5 10) und leitet damit hinüber zu der Zeit, in welcher
aus dem rein städtischen Kolleg ein landesherrliches wird, eine
Wandlung, mit der es dann auch zusammenhängt, dass die
l) Ueber die den Magdeburger Schoppen beigelegte Titulatur er-
geben die im Druck erschienenen Materialien wenig, weil sie fast durch-
gängig nur Sprüche, in denen die Anfragenden von den Magdeburgern
angeredet werden, nicht aber die an die Magdeburger gerichteten Anfragen
enthalten. In den seltenen Fällen, wo jene vorliegen (aus den Jahren
c. 1500, 1528, 1564, 1600. Friese und Liesegang, Magdb. Schöffensprüche,
1 197. 263. 326 Anm. 1. 287), werden die Magdeburger Schoppen ehrbare,
achtbare und hoch weise genannt, obwohl schon damals nachweislich
Doktoren im Schöppenstuhl sassen (s. oben S. 11; auch § 17). Nur ein-
mal (1527 a. a. O.l 222) findet sich für sie die Bezeichnung hochgelahrte.
Man scheint daher bei Magdeburg strenger an der alten Titulatur fest-
gehalten zu haben. Zu vgl. auch das Zitat aus Osse bei Stobbe a. a. O.
S 70 Note 30.
*) Aehnlich 4 161. 165 (1551).
3) Riedel, c. d., Namensregister 3 S. 41.
70 i« Buch. Ortlichketten. Titulaturen und Anreden.
Schoppen zu „verordneten" Schoppen, d. h. zu landesherrlich
bestellten Dienern werden, bis sie sich sogar selbst so be-
zeichnen und ihren Schöppenstuhl einen churfürstlichen
(schliesslich einen königlichen) nennen, indem sie es sich
zur Ehre anrechnen, landesherrliche Beamte zu sein.
Dem Uebergang zur Neuzeit trägt ferner die allmähliche
Verdrängung der altehrwürdigen Bezeichnung „Schoppen"
Rechnung. Der Rath zu Salzwedel verwandelt 1554 (5 321)
die Schoppen in „Rechtssitzer" (d. i. Gerichtsbeisitzer);
die v. Schlabrendorf auf Sielen schreiben 1557 (6 100)
an „die brandenburgischen Urteilsfasser und Rechtsprecher u,
die v. Krummensehe zu Altlandsberg 1557 (6 147) an die
„Rechtsräthe beider Städte Brandenburg", Markgraf Johann
von Küstrin braucht 1554 (5 298) zuerst für die gute deutsche
Bezeichnung „Rechtssitzer" die lateinische „Assessor"; erstellt
sie als synonym neben die Bezeichnung „Scheppen", indem
er adressirt: „an die achtbarn, unsre lieben getreuen Schep-
pen und Assessorn des Scheppenstuhls zu Brandenburg".
Irrthümlich schleicht sich auch zuweilen auf der Adresse
der Rath der Stadt oder der Richter oder das Gericht statt
der Schoppen oder des Schöppenstuhl s ein. Amtmann,
Bürgermeister und Rathmannen zu Falkenberg (in Mecklen-
burg) adressiren 1554 (5 325) an „Bürgermeister, Rath-
manne und Scheppengericht zu alten Brandenburg". Im
nämlichen Jahre findet sich (5 317) die Adresse: Bürger-
meister, Rathmänner und Scheppen beider Städte Branden-
burg. Der Gerichtsherr zu Neu-Langerwisch bei Potsdam
stellt 1557 (6 318) seine Rechtsfrage an „Bürgermeister
und Ratmannen, Richter und Schoppen beider Städte Bran-
denburg"; die Stadt Wittenberg adressirt 1558 (6481) an
„die Ratmannen und Schoppen beider Städte Brandenburg";
aus Leuthen (bei Kottbus) schreibt man 1558 (6 471) „den
hochgelahrten und hochweisen Präsidenten und Beisitzern des
Scheppenstuhls"; ein Frankfurter Anwalt adressirt 1557 (6
137) an „Richter und Scheppen und andre Assessores des
Gerichtsstuhls beider Städte Brandenburg"; auf zwei ur-
sprünglich an „Richter und Schoppen beider Städte Bran-
denburg" gerichteten Schreiben des Jahres 1557 (1 137)
§ 2. Titulaturen und Anreden. 71
und des Jahres 1558 (6 586) ist die Streichung der Worte:
„Richter und" vorgenommen zum Zeichen, dass der Ab-
sender nachträglich die Adresse als besserungsbedürftig an-
erkannte. Der Erbsess Sebastian von Kottwitz wendet sich
T559 (7 353) sogar an „Scheppen und Rechtssitzer des kur-
fürstlichen Hofgerichts zu Brandenburg" und Erbinter-
essenten aus der (mecklenburgischen) Stadt Neubranden-
burg adressiren 1560 (8 58) an die „ehrbaren, hochgelehrten
und wohl weisen Schoppen des Schöppenstuhls zu Altbran-
denburg". Die Auffassung, dass die Schoppen nichts An-
deres seien, als vom Kurfürsten bestellte Beamte, kommt
bereits 1558 (6 410) dadurch zum Ausdruck, dass z. B.
der Hauptmann Adam Trott zu Zehdenick an die „hoch-
gelarten Herren N. N. N., churfürstlich Brandenburgi-
schen verordneten Rechtsschopfen" adressirt. Mark-
graf Johann adressirt 1561 (8 460) an seine „getreuen ver-
ordneten Schoppen des Schoppenstuhls beider Städte Branden-
burg". Sogar der Kurfürst selbst wendet sich in einer Be-
lehrungsangelegenheit 1566 (ÜB. 1 466) an „Richter und
Schepfen beider Städte Brandenburg" ; die Antwort wird ihm
(das. 1 467) nur von den „Scheppen beider Städte Branden-
burg". Ein Gutsherr richtet 1566 (10 184) eine Anfrage
Namens einer Dorfbewohnerin zu Schwante (bei Kremmen)
schlechtweg an den Bürgermeister der Altstadt, erhält aber
vom Schöppenstuhl in der gewöhnlichen Form einen Be-
lehrungsspruch. Der Probst zu Distorf (bei Salzwedel) und
ein in Görtzke (bei Ziesar) Erbgesessener wenden sich zu
derselben Zeit (10 343. 347) an die „hochgelehrten und acht-
baren Herren Doctores und verordneten Beisitzer des Schep-
penstuhls", obwohl es damals noch keine Doctoren im Schöp-
penstuhl gab. Der Berliner Hoffiskal bezeichnet 1572 (12
602) die Schoppen beider Städte, an die er adressirt, im
Kontext seines Schreibens als „Herren Assessores". Aehn-
lich schreibt der Amtsbefehlshaber zu Plattenburg (bei Havel-
berg) J573 (H 572) an die „achtbaren, wolgelarten, wol-
weisen und erbaren Herren verordneten Schoppen und Asses-
soren des Schoppenstuels beider Städte Brandenburg". Der
Kurfürst adressirt aber im nämlichen Jahre an seine „lieben
72 *• Buch. Örtlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
getreuen Scheppen beider unsrer Städte Brandenburg" (5
616. 622).
Gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts fangt dann
die Bezeichnung „Assessoren" an, sich für „Schoppen" mehr
und mehr einzubürgern, auch tritt die Gleichstellung des
Schöppenstuhls mit den Fakultäten allmählich in der Ver-
mengung der beiderseitigen Titulaturen zu Tage.
Ein frühes Beispiel, dass sich Schoppen selbst „Ge-
richtsassessores" nennen, lässt sich aus Salzwedel beibringen:
1567 fragen „Bürgermeister, Richter und Gerichtsassessoren
beider Städte Salzwedel" in Brandenburg um Belehrung an;
soweit zurück reichen also unsere Gerichtsassessoren. Nach
Brandenburg adressirt die Herzogin von Mecklenburg 1579
(20 533) in einer aus ihrem Leibdingsamt Liptz stammenden
Sache an „die hochgelarten verordneten Räthe und As-
sessorn des Scheppenstuhls zu Alten Brandenburg".
Die v. Burckholz in Zieckaw (bei Luckau) adressiren
1590 (32 400) an „Doctoren und Assessoren des Scheppen-
stuhls beider Städte", Bürgermeister und Rath zu Züllichau
aber im nämlichen Jahre (33 210) an „hochgelehrte wol weise
Herrn Decan und Assessoren des Schöppenstuhls zu Branden-
burg". Neben der Anrede „hochgelehrte Schoppen des weit-
berühmten Schoppenstuhls", deren sich 1598 (44 74) ein
Bürger zu Belitz (bei Potsdam) bedient, redet ein Pfarrer zu
Potsdam 1599 (43 562) von „verordneten Assessoren des
Schoppenstuhls", ferner redet 1605 (51 510) der Rath zu
Neustadt von „wolweisen, wolgelerten, wolverordneten Kur-
fürstlich brandenburgischen Assessores des Schoppenstuhls"
und 1608 (56612) der Berliner Hoffiskal Viritz von „ehren-
festen achtbaren wohlgelarten und wohlweisen verordneten
Assessoren des Kurf. Schoppenstuhls".1) Den Besitzern des
l) Auch für die Mitglieder der märkischen Stadtgerichte taucht damals
der Titel „ Assessoren** auf; denn 1587 (28 362) senden „Richtvogt und
Assessoren des unteren Gerichts der Stadt Rügenwalde* Akten nach
Brandenburg, und 1609 (57 323) schreibt eine Partei an „Stadtvoigt und
Assessores der löblichen Gerichte beider Städte Salzwedel4*. In den
Magdeburger Sprüchen ist 1601 und 1617 (Friese und Liesegang Bd. 1
S. 294. 310) die Rede von „Richter und Assessoren des peinlichen Gerichtes
zu Zerbst". Der Stettiner Oberhof nennt sich zwar in den 1590er Jahren
§ 2. Titulaturen und Anreden. 73
Schulzenlehns zu Sieversdorf (bei Lebus) heissen 1611 (59
143) die Brandenburger Schoppen sogar „wohlverordnete
Herren Präsidenten des Schöppenstuhls", und die Branden-
burger Schoppen selbst nennen sich in der Bestätigungs-
klausel eines im Namen des anfragenden Gerichts ge-
sprochenen Urtheils, anscheinend zum ersten Male, 16 13 (61
469) »verordnete Assessoren des Kurfürstlichen Schöp-
penstuhlsu9 während eine in der Neustadt Brandenburg für
einen Bauer des nahen Dorfes Götz aufgenommene Missive
sich in demselben Jahre an „Präsidenten, Senior und sämmt-
liche Schoppen" richtet (62 256. 258).
Um die gleiche Zeit (161 7: 81 4) findet sich ein Schreiben
des Kurfürsten „an J. Floring, Assessorn des Scheppen-
stuhls zu Brandenburg" und ein Schreiben des Altstädter
Schreibers Düring (1620: 67 918) an „die ehrenfesten, acht-
baren hochgelehrten Assessoren des Kurf. Schoppenstuels
beider Städte Brandenburg". Gleichwohl braucht noch 1620
(67 935) der Kurfürst in einem vom Kanzler Pruckmann
unterzeichneten Schreiben die Adresse: „wohlgelehrte unsere
liebe getreue Schoppen unserer Städte Brandenburg", und
der Rath der Neustadt Brandenburg braucht noch 1622 die
Adresse: „ehrenfeste, achtbare und wolgelerte Herren
Schoppen des Kurf. brandenb. Schoppenstuhls beider Städte
Brandenburg", wenige Wochen später setzt er aber an Stelle
des Wortes Schoppen „Assessoren" (70 743. 746), während
ein Mitglied des Schöppenstuhls sich 1623 (71 86) an die
„ehrenfesten, grossachtbaren und hochgelehrten verordneten
Herren Schoppen beider Städte Brandenburg" wendet
Der Schöppenstuhl selbst bedient sich bis in das Jahr
1644 noch der Firma „Scheppen" oder „Schoppen" beider
Städte Brandenburg,1) ein Spruchkonzept von 1631 (7447),
das den Ausdruck Schoppen offensichtlich vermeiden will,
regelmässig „Richter und Schoppen zum Alten Stettin", mehrfach aber
auch „ verordnete Assessoren des Schöppenstuhls zum Alten Stettin".
(Akta des Kgl. StA. zu Stettin, enth. Rechtssprüche des Schöppenstuhls
1594 fol. 399. 401. 402)
*) 1627 (7a 435. 438. 439. 460. 466); 1631 (74 23; 76 52. 109. 631);
1634 (75 676).
74 *• Buch. Örtlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
indem es formulirt: „sprechen wir Verordnete beider Städte
Brandenburg ....", wird korrigirt in „sprechen wir ver-
ordnete Schoppen beider Städte Brandenburg".
Im Jahre 1632 erhebt sich sogar innerhalb des Schoppen-
Stuhls ein Streit, der ergibt, dass man sich wohl bewusst
war, es liege in der Inanspruchnahme des Titels Assessoren
etwas Unberechtigtes. Der Wunsch, mit der neuen Zeit fort-
zuschreiten und äusserlich kenntlich zu machen, dass der
Schöppenstuhl gleich der Fakultät und den höheren Gerichten
nunmehr ein gelehrtes Kolleg sei, trat in Kampf mit dem
anderen Wunsche, die Erinnerung an das hohe Alter des
Schöppenstuhls festzuhalten. Beiden Wünschen wurde Rech-
nung getragen, indem man die ausgehenden Sprüche zwart
wie vor Jahrhunderten, unterzeichnete mit der Firma „Schop-
pen beider Städte Brandenburg", aber im Eingange des
Spruches die Formel brauchte: „Wir verordnete Assessores
des kurf. brandenb. Schöppenstuhls" (1632, 25. Febr. 74.
392). Als am Tage nach diesem Spruche ein weiterer Spruch
entworfen wird, verfallt der Konzipient, der Schöppensenior
Chueden, der seit 1610 im Schöppenstuhl sass, zunächst
in die alte Formel: „sprechen wir verordnete Scheppen
beider", streicht die letzteren zwei Worte aber alsbald
durch und ersetzt sie, in der nämlichen Reihe fortfahrend,
mit „Adsessores" (74 4. 5).1) Diese Formel wendet er dann
wenige Tage später in einem für den Kurfürsten bestimmten
Konzepte ohne Korrektur an, indem er formulirt: „demnach er-
kennen und sprechen von E. Chrfl. Durchl. wir verordnete As-
sessoren Eurer chrfl. Durchl. Schoppenstuhl beider demselben
Städte Brandenburg" (74 458). Den Entwurf beanstandete
aber Chuedens älterer Kollege, der Neustädter Schöppen-
senior Zieritz, weil man sich in Berlin, wie er wisse, mit dem
neuen Stile lächerlich mache.2) Die Berliner Geheimen und
1) Im nämlichen Jahre braucht er (74 2) in einer anderen Sache die
frühere Formel: ,, verordnete Scheppen Euer chrfl. Durchl. Scheppenstuels
beider Städte Br.a, ohne sie zu korrigiren.
2) „Ich wollte rathen, das man bei dem vorigen sty e bleiben thete:
,wihr schöppen b. st. Br.c, dan ich weis, dafs es cachinos" (Gelächter)
„in Berlin verursachet". Gleichwohl übersetzt Zieritz in seinem (lateinisch
§ 2. Titulaturen und Anreden. 75
Kammergerichts-Räthe waren also wenig geneigt, die Eben-
bürtigkeit des Brandenburgischen Schöppenstuhls anzuer-
kennen; sie sahen eine Anmassung darin, dass sich die Bran-
denburger als Assessores zu einem gelehrten Kolleg erheben
wollten. Zieritz' Rath fand im damaligen Falle Beachtung:
das Wort Assessoren wurde in „Scheppen beider Städte
Brandenburg" umgeändert, aber unter dem nämlichen Tage
ging ein anderer von Chueden konzipirter Spruch mit der
Bezeichnung „Assessores" unkorrigirt an einen Bürger der
Neustadt ab (74 462). Deshalb wurde indess noch keines-
wegs ständig die Schöppenbezeichnung vermieden; denn 1633
(75 200) und ebenso bis zum Jahre 1656 „erkennen und
sprechen . . . Schoppen beider Städte Brandenburg".1)
Uebrigens nannte sich 1642 bereits das Stadtgericht Berlin:
„Richter und Assessores" (77 238).
Ziemlich gleichen Schritt mit der Entstehung der Asses -
soren geht in Brandenburg die Entstehung des „scabinatusu
und der „seniores", wie des „senior"; desgleichen auch die
Neubelebung des uralten „scabinus".
„Conclusum in scabinatu" oder „decretum in collegio
scabinorum" heisst es 1634 (75628.629); 17 13 kommen „die
Herren scabini" auf dem Rathhause der Altstadt Branden-
burg zusammen (82 210); 1714 stellen „Richter und scabini4*
zu Charlottenburg eine Rechtsfrage (82 504).
Ein scabinatus, wie ein collegium scabinorum deutet hin
auf ein einheitliches Kollegium. Die „Schoppen beider
Städte Brandenburg" waren ein solches nicht; sie waren zwei
neben einander stehende Kollegien, die zu gewissem Zwecke
gleichberechtigt zusammentraten. Da ein gemeinsamer Leiter
des Ganzen mangelte, fiel naturgemäss die geschäftliche Di-
rektion innerhalb jedes der beiden Schöppenkollegien dessen
ältestem Schoppen zu. Das war so Rechtens von alter Zeit,
wahrscheinlich von der ersten Vereinigung beider Schöppen-
geschriebenen) Kommentar zur CCC (s. unten § 8) 1622 ständig Schoppen
mit assessores.
') 1636 (76 211), 1638 (76 415.651), 641 (77 126), 1643 (77 330-521).
1649 (78 172), 1656 (79 3. 5. 8. 11. 17. 27. 29. 34. 37. 39. 43. 46. 56. 58.
67. 73- 7Sl
76 '• Buch. Ortlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
kollegien her. Aus dem einzigen Statut, das wir über „die
Vorladung der Schepen zwischen beiden Steten, dat sy or-
dell spreken", (d. h. über den Schöppenstuhl) besitzen, und
das vermuthlich der Zeit um 1430 angehört,1) jedenfalls
aus der Zeit vor 1455 stammt, erfahren wir, dass der älteste
Schöppe es ist, der seinen Kollegen in vorkommenden Fällen
Urlaub gibt, und dass er es ist, der 1492 den Befehl des
Schöppenkollegs ausführt, ein neues Schöppenbuch der Neu-
stadt anzulegen. Er war also der Direktor des Schöppen-
kollegs, und zwar des Schöppenkollegs seiner Stadt, so dass
es im Schöppenstuhl zwei älteste Schoppen gab. Die Bezeich-
nung „Senior" für den ältesten Schoppen mag ihr Vorbild
bei den Juristenfakultäten gehabt haben ; denn diese pflegen
Rechtsbelehrungen zu zeichnen als „Senior, Decanus und
andere Doctores der Juristenfacultät". Auch das Domkapitel
zu Brandenburg hatte seinen „Senior".2) Von dem Amte des
„ältesten Schoppen" geben unsere Schöppenstuhlsakten für
die Zeit vor dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts wenig
Kunde. Das neustädter Schöppenbuch hat 1492 „der älteste
Schöppe" und Bürgermeister Claus von Gulen angelegt.3)
Ein Schreiben des neustädter Schoppen G. Bester an Va-
lentin Schmidt, „ältesten Schoppen der Altstadt" aus dem Jahre
1557 (4 252) lässt aus der Adresse erkennen, dass „der älteste
Schöppe" eine Titulatur geworden war zum Zeichen, dass man
ihm eine besondere Stellung im Kolleg zuerkannte. Der Zeit
unmittelbar nach Abschluss des dreissigj ährigen Krieges war
es dann vorbehalten, den ältesten Schoppen der Altstadt,
wie den ältesten der Neustadt unter Jdem sie beide zusam-
menfassenden Titel der Seniores auch äusserlich in den Rechts-
sprüchen des Schöppenstuhls hervortreten zu lassen. Bei
anderen Schöppenstühlen, die nicht zwei Aelteste, sondern nur
einen hatten, mag schon während des dreissigj ährigen Krieges
die Adressirung an den „Senior und andere Assessoren des
Schöppenstuhls" gebräuchlich gewesen sein. Daher erklärt
sich, wenn 1633 (75 287) die von Byren zu Cahre (d. h. die
1) Siehe oben Seite 33, 34 und ÜB 1 8. Vgl. auch unten % 15.
2) Riedel I, 8 S. 451.
3) Siehe oben S. 33 und unten § 8.
§ 2. Titulaturen und Anreden. 77
Gerichtsherren des Dorfs Karow bei Genthin) eine Rechts-
frage dem nhochgelerten Seniori und anderen Assessoren des
churf. brand. Schöppenstuhls beider Städte Brandenburg"
zusenden, als hätte es bereits damals einen Senior des Stuhls
gegeben. Das Gleiche müsste man schliessen aus Urtheils-
sprüchen der Jahre 1647 und 1648, in denen „Senior und
andere Assessoren des chrfstl. Schöppenstuhls beider Stedte
Brandenburg" zu Recht sprechen (77 494. 590. 594). Aber
in jenen Jahren 1647 (77 445. 463) und 1648 (78 8. 14. 18)
nennt sich der Schöppenstuhl in einem an die Stettiner Hof-
gerichtsverwalter gerichteten Spruche selbst: „wir Seniores
und Assessores des kurf. Schoppenstuls beider Städte Bran-
denburg". Die nämliche Formel wird angewendet 16491)
(78 205), 1651 (78 258. 278). Das Konzept eines 1652 nach
Stolp gerichteten Spruchs (78 483) wird unterzeichnet „Schop-
pen beider Städte Brandenburg", dann jedoch abgeändert
in „des churf. Schöppenstuhls beider Städte Brandenburg
verordnete Seniores und andere Assessores"; im
Eingange bleibt indess stehen: „sprechen wir Schoppen
beider Städte Brandenburg". Die Korrektur beruht darauf,
dass der Schöppe Schwartz äusserte: „Ich wollte, das die
Unterschrift formirt würde: „„des churf. schöppenstuhls b. st.
Br. verordnete seniores und assessores"", wie man alle urtel,
so von importanz, insonderheit die in (= nach) Pommern
abgehen, also abzufassen und zu unterschreiben pflegt". In
einer ganzen Anzahl von Konzepten des Jahres 1656, die vom
altstädter Schoppen Junius herrühren, wird sowohl im Ein-
gange des Spruchs als bei der Unterschrift die ältere Titu-
latur: „Schoppen beider Städte Brandenburg" angewendet.2)
Im Jahre 1657 wechseln theils im Sprucheingang, theils in
der Spruchunterschrift die „Seniores" mit den „Schoppen"
ab,3) ebenso noch 1 659. 4) Der damalige Schöppe Saxo
') In diesem Jahre findet sich auch einmal die Bezeichnung: „Krfl.
Brandb. G e r i c h t s assessoren beider Städte" (78 165). In Glogau führt 1740
den Titel Gerichtsassessor der Uhrmacher J. Casp. Brosi (91 604).
2) 79 3- 5- 8. n. 17. 21. 27. 29. 34. 37. 39. 43. 46. 56. 58. 67. 73.
75—78. 81. 83. 137.
8) 79 107« in« ll5- ll7- 122- I35- ,28. 130. 134. 140.
4) 7g 141. 142. 148.
78 i. Buch. Örtlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
braucht unterm 20. Oktober 1659 (79 144) im Eingange eines
für den Kurfürsten bestimmten Konzepts zum ersten Male
die Bezeichnung „wir Senior und Assessores"; hier ist aber
Senior aus Seniores korrigirt; die Verschmelzung der beiden
Schöppenkollegien mit ihren zwei Senioren zu einem Kolleg
mit einem Senior muss darum in diese Zeit fallen. Zwar
schreibt derselbe Saxo noch unterm 17. Nov. 1659 (79 141):
„wir Schoppen beider Städte Brandenburg" und in der
Unterschrift: „Schoppen beider Städte Brandenburg", aber
ebenso schreibt er unterm 1. Nov. (79 142) und 24. Dez. 1659
(79 148): „zum chrfl. Brandenburgischen Schöppenstuhl ver-
ordnete Senior und Assessores", bis er unterm 5. Juni 1660
<79 lS2) m Eingang wie Unterschrift die Formel: „Senior und
Assessores des chrfl. Brandenb. Schöppenstuels" gebraucht.
Damit haben „die Schoppen beider Städte Brandenburg"
offiziell aufgehört zu existiren. Sie selbst nennen sich schon
seit einiger Zeit nicht mehr Schoppen, sondern scabini oder
assessores.1) Der Senior ist technisch geworden; noch 1672
läuft indess die Bezeichnung Seniores selbst im Texte des
von dem Schoppen Kriele herrührenden Konzepts mit unter
(79 469), ebenso die Bezeichnung „Schöpfen" in einem
Schreiben des Cölner Hausvogtes (79 471).
Als der Schöppe Junius 1656 (79 53) einen Spruch mit
«der Unterschrift: „Schoppen beider Städte Brandenburg"
konzipirte, setzte der neustädter Senior Moritz „Churfürst-
liche" vor die Unterschrift. Die Reinschrift eines Branden-
burger Spruchs von 1669 trägt die Unterschrift: „Zum churf.
brand. Schöppenstuel verordnete senior und andere asses-
sores".2) Mit dem Jahre 1701 wurde aus dem kurfürstlichen
Schöppenstuhl der königliche. Deshalb erfuhr das juramentum
scabinorum des Schöppenbuchs die entsprechende Aende-
rung in der Bezeichnung des Schöppenstuhls.3) Der Schöppen-
stuhl firmirte nunmehr im Sprucheingang, wie in der Spruch-
]) 1660 (79 156), 1662 (79 167), 1664 (79 174. 190. 194. 201. 237. 253.
269. 284. 295), 1665 (79 308). Die Neustadt Br. adressirt 1667 an „Senior
und Assessores des chrf. br. Sch.a (79 396).
s) StA. R. 94 II K. 6. Konzept nicht in den Schöppenstuhlsakten.
3) AA. BI. 6: „churf. Brandb." wurde in „königl. Preussisch1* corrigirt.
§ a. Titulaturen und Anreden. 79
Unterschrift: „Zum Kgl. Preussischen Schöppenstuhl zu Bran-
denburg verordnete Senior und Assessores" (1702: 80 179; 1716:
81 31; 1721: 31 221) oder „Sr. Kgln. Maj. in Preussen zu dero
Schöppenstuhl beider Städte Brandenburg wir verordnete
Senior und Assessoren44 (1722: 81 328. 336) oder: „Kgl.
Preussische zum Schöppenstuhl beider Kur- und Hauptstädte
Brandenburg wir verordnete Senior und Assessores" (1761:
101 217).
Wie die Kollektivbezeichnung der beiden im Schöp-
penstuhl vereinigten Schöppenkollegien, so gibt auch die
Prädicirung, welche für die Einzelmitglieder dieser Kol-
legien oder welche von den Einzelmitgliedern gegenüber den
Anfragenden angewendet wird, einen Fingerzeig, auf welche
Zeitperioden man sein Augenmerk zu richten hat, wenn man
die Herausbildung der gelehrten Rechtsprechung aus der
ungelehrten verfolgen will.
Die hauptsächlichsten Gegensätze, die in der Bezeichnung
der Einzelmitglieder hervortreten, haben wir bereits kennen
gelernt: aus den weisen Schoppen werden die gelehrten As-
sessoren. Aber es smd auch noch weitere Gegensätze be-
merkbar. In alter Zeit ist die Bezeichnung „günstige Herren"
oder „Euer Gunsten" neben „weise Herren" oder „Eure Weis-
heit" sehr an der Tagesordnung. Am korrektesten müssen
selbstverständlich die Brandenburger Schöppenschreiber und
Schoppen verfahren sein, wenn sie an die Schoppen adres-
sirten. In solchen Adressen ist bis 1572 die Form: „ehrsame
wohlweise Herren Schoppen" üblich,1) auch tritt wohl noch
das Wort „achtbare" hinzu; im Jahre 1572 (13 92) adressirt der
Schöppenschreiber Heinatz an die „achtbaren, hochweisen
und wohlgelehrten Schoppen", lässt aber auch das Prä-
dikat wohlgelehrt zu Zeiten weg (1572 12 448); 1573 (14 87)
braucht der Schöppenschreiber Bardeleben zuerst das Prä-
dikat „hochgelehrt", lässt es aber ebenfalls zu Zeiten weg
{1573: 14 540); dann wird für die Schöppenschreiber die
*) 1531 (1260), 1535 (2 159), 1539 (3620), 1551 (4303). 1559 (7 5<56),
1560 (8 163), 1565 (9 497 ), 1566 (10 169. 456).
«
SO *• Buch. Ortlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
r
Aufnahme des Prädikats „wohlgelehrt" fast ständig.1) „Ver-
ordnete Herren Scheppen" giebt es für die Schöppen-
schreiber seit 1569 (12 356); 1572 (12 448; 13 92) fehlt diese
Anrede wieder, wird aber dann Regel.2) Von „Assessoren"
redet der Schöppenschreiber zuerst im Jahre 161 9 (66 456)
und dann sein Nachfolger im Jahre 1635 (76 42).
Da sich unter den auf Universitäten Gebildeten von An-
fang an die Hochgelehrten (die Doktoren) von den Wohl-
gelehrten scheiden, so erheben sich auch die Weisen zu den
Wohlweisen und den Hochweisen, obwohl hier eine Grenz-
linie zwischen beiden nicht gezogen werden kann. Nur das
grössere Maass von Höflichkeit, dessen man sich befleissigen
will, entscheidet darüber, ob man Jemanden als wohl- oder als
hochweise anredet. So bedient man sich auch des Prädikates
hochgelehrt in vielen Fällen, in denen der Angeredete zwar
Universitätsbildung genossen hat, aber nicht zum Doktor
promovirt ist. Der Bauer ist der fursichtige, der Bürger
der ehrsame, ehrbare oder achtbare gute Freund; auch hier
kommt die Steigerung in wohl- und hochachtbar vor. Der
Ritter ist ehrenfest und wohl geboren; der Beamte edel-
geboren, auch wohl- oder hochedelgeboren. Alle diese Prä-
dikate werden nicht mit absoluter Sicherheit, aber immer
doch mit grösserer Strenge festgehalten, als die analogen
Prädikate der Gegenwart, nur ist im Laufe der Zeit ein stetes
Sinken ihres Werthes bemerkbar, wie beim Werthe des
Geldes. Wenn heute das Prädikat „wohlgeboren44 fast auf-
gehört hat, eine Ehrung zu sein, so zweifelte man vor 150
Jahren kaum, dass es eine allzugrosse Ehrung sei, wenn man
einen Hofrath und Grossrichter „wohlgeborner Herru nannte.
Erfolgt eine Anrede gemeinsam an eine Mehrzahl von
Personen, deren jeder ein besonderes Prädikat gebührt, so
ist es in alter Zeit Stil, diese Prädikate neben einander zu
1) 1581 (22 615), 1583 (24 231), 1585 (26 125), 1587 (29 100), 159a.
(37 455)i '594 (38 3°9: hochgelehrt), 1595 (4028: hochgelehrt).
2) 1573 (H »7)> 1581 (aa 615), 1583 (34 231), 1585 (26 125), 1587 (ag
100), 1592 (37 455), 1599 (45 555), 1603 (50 100), 1609 (58 716), 1612 (60
380), 161 7 (65503). „Verordnete1* fehlt 1594 (38309), 1595 (4028), 1619
(65 425)» 1624 (68447.448), 1627 (7*328).
§ 2. Titulaturen und Anreden. 31
stellen. „Ehrbare, wohlgelehrte, weise Herren Schoppen"
deutet an, dass man ein aus Gelehrten und Ungelehrten zu-
sammengesetztes städtisches Schöppenkolleg vor sich hat.
Dieser Gebrauch ist bis heute in landesherrlichen feierlichen
Ansprachen erhalten geblieben: Thronreden, die sich richten
an „Durchlauchtige, edle und geehrte Herren", ergehen an
die fürstlichen, die adligen und die bürgerlichen Mitglieder
der angeredeten Körperschaft, so dass für jede dieser Kate-
gorien das ihr speziell gebührende Prädikat bestimmt ist;
denn mit „durchlauchtigen Herren*4 sind nur die Glieder des
Fürstenstandes, mit „edelen Herren" nur die Glieder des niede-
ren Adels, mit „geehrten Herren" nur die Glieder des Bürger-
standes bezeichnet. Werden mehrere Angeredete mit Namen
genannt, so ist oft unsicher, welches der den Namen vorge-
setzten Prädikate sich auf den Einzelnen bezieht. So lässt z. B.
eine vom Rathe der Stadt Loburg (bei Jerichow) 1556 (5 598)
„an die erbaren, wolgelerten und weisen Gregorius Bester,
Valtin Schmidt, Augustin Krüger und Thomas Liepen, Bürger-
meister beider Städte Brandenburg" gerichtete Anfrage zwar
erkennen, dass mindestens einer der vier Bürgermeister ein
Gelehrter und mindestens einer ein Nichtgelehrtef war, es
lässt sich auch aus der Reihenfolge der Prädikate schliessen,
dass Thomas Liepe ein Nichtgelehrter war, es bleibt jedoch
zweifelhaft, ob alle oder welche der drei vor ihm genannten
Bürgermeister gelehrte Bildung besassen. Wenn aber ein
Brandenburger Bürger 1551 (4 98) von dem „ehrsamen,
weisen" Bürgermeister Valentin Schmidt redete, und dessen
Mitschöppe Bester ihn 1557 (4 252) brieflich als „guten und
weisen Freund" bezeichnete, obwohl Schmidt 1504 in
Wittenberg immatrikulirt war, so erhellt, dass jener Bürger
ein unzutreffendes Prädikat gebrauchte, und dass sich selbst
im Schöppenkolleg damals noch nicht das Beiwort „gelehrt14
fest eingebürgert hatte. Gleichergestalt verfehlte 1531 (1 258)
der Rath zu Prenzlau die richtige Titulatur, wenn er die
Brandenburger Schoppen mehrfach in seiner Anfrage „hoch-
gelehrte" nannte, und ebenso der Rath zu Havelberg 1536
(2 193), wenn er seine Rechtsfrage an „die hochgelehrten,
wohlweisen Herren Richter und Schoppen zu Brandenburg"
Stölxel, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 6
S'J i. Buch. Örtlich keilen. Titulaturen und Anreden.
ergehen Hess, obwohl 1531 und 1536 weder ein Richter, noch
ein Schöppe in Brandenburg den Doktortitel führte. Dass
der Brandenburger Schöppenstuhl es nicht für gleichgültig
erachtete, welches Prädikat er den Anfragenden ertheilte.
lassen zwei Fälle des Jahres 1556 erkennen. In einem Witt-
stocker Prozesse bittet zunächst die betheiligte Partei, dann
bitten auch die Schoppen zu Wittstock um Belehrung; der
auf die erste Anfrage entworfene Spruch sollte ergehen an
den „ersamen und fürsichtigen" Anfrager; die Brandenburger
beschlossen aber demnächst auf die nachträgliche Eingabe
der Wittstocker Schoppen, lieber an diese den Spruch zu
richten; deshalb wird „fursichtiger" in „weise" geändert und
der Spruch an die Schoppen adressirt (5 444). Ferner wird
im nämlichen Jahre der für den Bürger und Mag. J. Loth zu
Jüterbog bestimmte, an den „ehrbaren und weisen, guten
Freund44 gerichtete Spruch nachträglich dahin geändert, dass
„wohlgelehrten" statt „weisen" gesetzt wird (5 555). Da
dem Adel das Prädikat Herr gebührt, wird 1586 eine für
die von Arnim auf Boitzenburg bestimmte, an die „gestrengen,
edeln, ehrenfesten, besonderen, günstigen, guten Freunde"
gerichtete Spruchausfertigung kassirt und durch eine andere
ersetzt, die sich der Anrede bedient: „gestrenge, edle und
ehrenfeste, günstige Herren und besondere gute Freunde"
(27 124). Bürger aus Müncheberg brauchen 1592 (35 379)9
Bürgermeister und Rathmannen zu Köpenick brauchen 1599
(45 448) und Bürger aus Berlin brauchen 1605 (51 590) fiir
die Brandenburger die Anrede „Euer Herrlichkeit".
Der richtigen Adresse an den Schöppenstuhl bedient sich
1585 (26 125) ein Bürger der Altstadt Brandenburg, 1608
(56 23) der Kammergerichtsschreiber, 161 2 (60 50.62.66) der
Rath der Neustadt, der Schöppenschreiber der Altstadt
Brandenburg (59 466) und der Rath der Altstadt (60 388),
wenn sie schreiben an „die ehrenfesten, achtbaren, wohl-
weisen und wohlgelehrten verordneten Assessoren des
Schöppenstuhls beider Städte Brandenburg". Die damals
vom Kurfürsten angewendete Adresse lautet „unsre lieben
getreuen Schoppen und Assessoren unsres Schöppenstuhls
zu Brandenburg" (55 496). Ueber das richtige Maass 'geht
§ 2. Titulaturen und Anreden. 83
es hinaus, wenn im nämlichen Jahre ein Berliner Bürger
adressirt „den ehrenfesten, wohlachtbaren und hochgelehrten
Herren doctoribus und Urtheilsfassern des churf. brandenb.
Schoppenstuhls beider Städte Brandenburg"; denn auch 1612
sassen noch keine Doctoren im Schöppenstuhl. Beachtenswerth
ist es aber, dass sämmtliche letzteren Anreden das Prädikat
„ehrenfest" gebrauchen und voranstellen: damit ist auf das
ritterbürtige Patriziat hingewiesen, das zu jener Zeit noch in
dem Rath und dem Schöppenkolleg seinen Platz hatte. Im
Jahre 1622 wendet der Rath der Neustadt Brandenburg noch
die nämliche Titulatur für den Schöppenstuhl an, nur ist
jetzt das Prädikat „weise" neben dem Prädikate „wohlge-
lehrte" weggefallen (70 743).
Als im Jahre 161 9 der Rath zu Tangermünde aus Anlass
der Brandstiftung, der fast die ganze Stadt zum Opfer ge-
fallen war, sich nach Magdeburg um Rechtsbelehrung
wenden wollte, wurde in Tangermünde eine Anfrage konzipirt,
die „den ehrenfesten, grossachtbaren, hochgelehrten und
hoch weisen Herrn Doctorn und andern Assessorn des
Scheppenstuhls der alten Stadt Magdeburg" zugehen
sollte.1) Es wurde dann beschlossen, das Schreiben nach
Brandenburg statt nach Magdeburg zu richten. Die Rein-
schrift dieses Schreibens in den Brandenburger Akten (67
860 ff.) ist adressirt an die „ehrenfesten, achtbaren, hoch-
weisen und wohl gelehrten Herren Schoppen beider Städte
Brandenburg". Hier tritt deutlich hervor, dass 161 9 die
Schoppen in Magdeburg, unter denen seit mehr als einem
Jahrhundert schon Doktoren sassen,2) in den Augen des
Raths zu Tangermünde eines entschieden höheren An-
sehens sich erfreuten als die Schoppen zu Brandenburg. All-
mählich aber heissen die Brandenburger Schoppen „hoch-
gelehrt", obwohl es ihnen noch an Doktoren fehlt : das Amt
Jerichow nennt sie 1629 „hochgelehrt", auch „Eure Excellenzen
und Herrlichkeiten*4; später (1747: 98 129) wird sogar zur
Anrede „Magnifici, hochedelgeborne, hochgelehrte Herren"
x) Akten des Rathsarchivs zu Tangermunde, betr. Grete Minde
fol. 46 — 50.
2) S. oben S. 11 und unten § 17.
6*
#4 i- Buch. Örtlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
und zur Anrede „Euer Magnificenz" gegriffen. Das Amt
Ziesar adressirt 1634 an den „ehrenfesten, grossachtbaren,
hochgelehrten Bürgermeister B. Zieritz, Assessor des Schoppen-
stuhls zu Brandenburg" (75 678) und an den „ehrenfesten,
grossachtbaren und hochgelahrten Bürgermeister und Assessor
des Schöppenstuhls Joachim Schale" (75 586), obwohl weder
Zieritz, noch Schale promovirt waren.1)
Mit dem Eindringen der Graduirten in die Schoppen-
stuhle erhob sich die Frage, ob sie als Graduirte einen Vor-
rang vor den Rathsherren, die nicht graduirt waren, be-
anspruchen dürften. Die Frage wurde von Stolp (in Pommern)
dem Brandenburger Schöppenstuhl 1652 (78 480) bei folgen-
der Gelegenheit zur Entscheidung vorgelegt: Salomon Mir-
schäus, seit etwa 1640 Bürger in Stolp, wo er mit Bierbrauen
wie mit Salz-, Herings- und Korn-Handel bürgerliche Nahrung
trieb, hatte 1652 in Frankfurt den gradus licenciaturae
erworben2) und bildete sich deshalb, wie der Rath be-
hauptete, „aus Dünkel und Hochmuth eine Präferenz vor den
Rathspersonen, insbesondere dem Kämmerer Riesen ein",
gegen den er beim Hofgericht Stettin ein mandatum de non
turbando cum clausula de respondendo erwirkte. Bürger-
meister und Rath hatten eine Gegenschrift eingereicht und
baten in Brandenburg um Belehrung. Von den sechs schriftlich
votirenden Brandenburger Schoppen äusserte sich Schwartz
dahin: „Weil die Observanz, dass die Rathsherrn den Gra-
duirten vorgehen, bleibt's dabei". Müller zog — offenbar, weil
die Doktoren und Lizenziaten als Adlige galten — die Ana-
logie des Adels heran und meinte: „Die Observanz bringt mit,
dass die von Adel, die dem Rath mit Eid verbunden, unter
den Rathsherrn gehen"; die anderen vier Schoppen traten
bei. Demgemäss wurde erkannt: „wollte M. in Versammlungen
Vorsitzen und -gehen, es wäre aber von undenklichen Jahren
!) Eine vom Brandenburger Schöppenstuhl 1648 der Berliner Amts-
kammergegebene vollständige Anrede lautet (78 162): „Hochedelgeborener*
gestrenger, vester" (das bezieht sich auf den Präsidenten), „wohlehren-
feste, grossachtbare und hochgelehrte, vielgünstige, hochgeehrte Herren**
(das bezieht sich auf die Mitglieder).
2) Nicht in der Frankfurter Matrikel, wohl aber 1596 Petrus Mirscheus
Stolpensis Pomeranus und 1672 Salomon Myrschäus Stolpensis Pomeranus.
§ 2. Titulaturen und Anreden. 85
her den Rathsverwandten in Stolp vor Eingesessenen von
Adel, und dergleichen graduirten Personen die Ober-
stelle gelassen und diese Gewohnheit von BogislavXIV in
der Pol.O. konfirmirt und in Observanz, als kann M. keine
Präferenz . . . nehmen." l)
Von den grösseren Städten übertrugen sich dann die
Ansprüche, immer höher steigende Ehrenbezeigungen und An-
reden angewendet zu sehen, auf die kleineren Städte. Um
solchem Streben entgegen zu kommen, will 1647 (79 749) der
Brandenburger Schöppenschreiber den Rath zu Nauen (bei
Brandenburg) anreden als „ehrenveste, wohlgelehrte und wohl-
weise, grossgünstige Herren*4; es wird aber beschlossen, statt
„ehrenfeste" lieber „edle" zu sagen, weil bei einer früheren
Angelegenheit der Brandenburger Schöppenstuhl . so titulirt
habe. Wenige Jahre später (1702: 80 73) wird nach Nauen
hin die Titulatur „ehrenvest" angewendet, weil, wie der
Brandenburger Schöppe Dr. Müller hervorhebt, „auch ein
Lieutenant im Kolleg sein wird, wie auch einer von der
Linde, welcher einen oratorem abgiebt".
Nach der Verschmelzung beider Städte Brandenburg in
eine Stadt (1715) erhielten die Schoppen den Rathstitel, 2)
einzelne bekleiden auch eine mit dem Rathscharakter ver-
bundene Stellung ausserhalb der Justiz.3)
Von da an mehrt sich die Sorgfalt, die man bei Abwä-
gung der Anreden walten lässt Als die Brandenburger 1 730 in
einer von der Universität und dem Magistrat zu Halle gestellten
Anfrage u. A. „hochgeehrte Herren" genannt werden, der
Schöppensenior Giesecke aber in seinem Spruchentwurf die
Anrede vorschlägt : „Wohl- und hochedelgeborne, hoch- und
wohledle, hoch- und wohlgelehrte, hoch- und wohl weise,
günstige Herren und Freunde" wird auf den Wunsch des in
Halle ausgebildeten und den dortigen Universitätslehrern
1) In Hamburg standen die DD. nur den Bürgermeistern und syndicis,
die Lic. allen Rathsherren nach. Seelig, Entw. der hamb. Bürgerschaft,
1900 S. 75.
«) Z.B. 1717 (8a 595. 597) „Rath Heins, Rath Lange'1.
3) Z. B. 171 7 (8a 592): „Steuerrath Katsch". „Rathe" (1750) auch beim
Schöppenstuhl zu Halle (Dreyhaupt, Saalkreis, Bd. 2 S. 451).
M
#6 i* Buch. Ortlichkeiten. Titulaturen und Anreden.
nahestehenden Korreferenten das Prädikat „günstige" in
„hochgeehrteste" erhöht auf die Bemerkung hin: „da uns
zwei so ansehnliche collegia ihre hochgeehrten Herren nennen,
könnten wir solches wohl wieder thunu (86 107. 109. 117).
Für den 1742 (93 370) um Rechtsbelehrung nachsuchenden
Richter zu Soest, einen „Hofrath und Grossrichter", der in
seinen Akten „sogar wohlgeboren" titulirt ist und den Bran-
denburgern den Titel „hochedelgeboren" giebt, wird die
Titulatur hochedelgeborner und rechtsgelehrter Herr „etwas
zu gering" gefunden. Derselbe Richter wird 1747 in einem Ur-
theilskonzept angeredet als „hochedelgeborner, hochgelahrter,
insonders hochzuverehrender Herr". Der Korreferent votirt,
es sei genug, „hochedler, hochgeehrter Herr" zu sagen, da
„wir hier nomine collegii schreiben, und es auch sogst derge-
stalt gehalten haben zu schreiben"; dies findet Zustimmung
(98 172). Das Kriegskonsistorium in Berlin sendet 1743 (94
260) Akten, in denen die Frankfurter Fakultät bereits ge-
sprochen hat, zu weiterem Spruch nach Brandenburg; hier
wird erwogen: „Die Herren Francofurtenses haben dem Kriegs-
Consistorio den Titel hochwohlgebohren, hochehrenwerth etc.
beigelegt, also werden wir bei dieser Titulatur bleiben müssen»
inmassen in den Akten befindlich, dass H. Geh.Rath Mylius
nicht allein in specie mit dem Titul. hochwohlgeboren
beleget worden, sondern sich in diesem collegio ver-
schiedene Adliche befinden." Weil der Bürgermeister von
Lüdenscheid 1743 (94 472) „das Scabinat" (in Brandenburg)
„wohl- und hochedelgeboren" titulirt, wird für das anfra-
gende Gericht der Titel „wohledle und wohlgelehrte" für zu
gering gehalten und auf besonderen Antrag eines der Bran-
denburger Scabinen die Anrede „wohledle, hoch- und wohl-
gelahrte" gewählt.
Der „Kammerrath und Richter der Stadt und des Amts
Embrich1) wie auch zu Lobitz2)" fragt 1747 (98 196) in Bran-
denburg an, „da allhier landes- und gerichtskundigermassen
aus M. Hochedelgeboren löbl. Schöppenstuhl vor und nach
viele grundlich eingesehene, wohl ausgeführt und heilsame
*) Emmerich bei Rees.
*) Bei Weissenfeis.
§ 2. Titulaturen und Anreden. X7
Rechtsprüche herausgekommen"; er wird im Urtheilskonzept
„wohlgeborner, hochgeehrter Herr und Freund44 titulirt, und
der Konzipient bemerkt dazu: „Weil aus der Urtheilsfrage
scheinet, dass der Richter ein Edelmann sei, habe geglaubt,
dass man ihm wohl den Titel wohlgeboren geben könne.
Er. hat unserm Schöppenstuhl ein gross Elogium gegeben.
Eine Ehre ist der anderen werth." Dem hält ein Korreferent
entgegen: „Es wird der Richter in actis nur hochedelgeboren
titulirt, wäre also auch genug, wenn er diesen Titel von uns
bekäme. Er ist ein holländischer Edelmann41. Es bleibt aber
bei der Anrede wohlgeborener Herr (98 198). „Weil der
„„Richter und Amtsverwalter zum Hamm1444 zugleich Hofrath
ist, kann man ihm wohl den Titel hochedelgeboren beilegen44
(1748: 98 374). Der Richter zu Hoymb (bei Ballenstedt) soll
als Consulent 1751 angeredet werden: „Hochedelgeborner,
hochgelahrter, vielverehrter Herr44. Das wird korrigirt mit
dem Bemerken: „Nach unserm alten Stile heisset es an
dergleichen Transmittenten: hochedler, günstiger Herr und
Freund44 (99 104. 108).
So findet bis in die Schlussperiode der Schöppenstuhls-
thätigkeit selbst bei solchen an sich sehr gleichgültigen
äusseren Dingen bald das Festhalten am Hergebrachten,
bald der Uebergang zu einer Aenderung seinen Vertheidiger.
Wer aber diese Erscheinung aufmerksam verfolgt, muss an-
erkennen, dass sich in ihr manche Zeichen wiederspiegeln, aus
denen auf den Uebergang der Rechtsprechung an Ge-
lehrte und auf die Wandlung des Schoppen in den Assessor
oder den scabinus, des von seines Gleichen gewählten Richters
in den landesherrlich verordneten Beamten, des Branden-
burgischen Doppelkollegs der Schoppen beider Städte mit
zwei Vorsitzenden in ein Einzelkolleg mit einem Vorsitzenden
geschlossen werden kann.
2. Buch.')
Personal.
§3.
Vorbemerkung.
Wenn die Brandenburger Rechtsbelehrungen anfanglich
Sprüche des einheitlichen Stadtgerichts zu Brandenburg, dann
Sprüche des Stadtgerichts der Altstadt oder Sprüche des
Stadtgerichts der Neustadt Brandenburg und später Sprüche
der Schöppen-Gesammtheit beider Städte Brandenburg waren,
um schliesslich Sprüche des Schöppenkollegs der Einheits-
stadt Brandenburg zu werden, so muss diese Entwicklung
ihren Einfluss auch auf das Personal geübt haben, welches
bei Ertheilung der Rechtsbelehrungen in Thätigkeit trat.
Solange die Rechtsbelehrung Sache des „Stadtgerichts",
sei es in alter Zeit des Stadtgerichts zu Brandenburg, sei es
in späterer Zeit sowohl des Stadtgerichts der Altstadt, als
des Stadtgerichts der Neustadt war, wirkten dabei naturge-
mäss Richter, Schoppen und Schreiber des betreffenden Ge-
richts mit. Der Schreiber war der Stadtschreiber, da ja
Stadt- und Gerichtsschreiber in den mittleren deutschen
Städten eine Person waren. Aehnlich vereinte sich üblicher-
weise das Amt der Schoppen mit dem der Rathsherren,
häufig so, dass alle Rathsherren zugleich Schoppen waren,
oder auch so, dass die Schoppen wenigstens einen Theil der
Rathsherren bildeten.
Mit der Einrichtung eines aus den Schoppen beider
Städte Brandenburg gebildeten rechtsbelehrenden Schoppen-
stuhls war es ziemlich von selbst gegeben, dass sämmtliche
l) Das in diesem Buche mitgetheilte thatsächliche Material beruht
wesentlich auf Ermittlungen des Herrn Landrichters Deichmann.
§ 3. Vorbemerkung. 89
Schoppen beider Städte zum Sitzen im Schöppenstuhl be-
rufen wurden. Wie war es aber mit den Richtern beider
Städte und wie mit ihren beiderseitigen Schreibern? Die
Richter Hessen sich nicht passend verwenden; zu richten war
nichts in dem nur für Rechtsbelehrungen zusammentretenden
Schöppenstuhl, wohl aber war viel zu schreiben. Deshalb
Hess man den Schöppenstuhl ohne Richter, aber mit zwei
Schreibern seine Sitzungen halten, den beiden Gerichts- oder
Stadtschreibern, die nunmehr nebenamtlich zu „Schoppen-
Schreibern" wurden. Allmählich stellte die Altstadt wie die
Neustadt je zwei Stadtschreiber an; von da an erhielt
nur je einer derselben die Funktion als Schöppenschreiber,
so dass es nie mehr als zwei Schreiber des Schöppenstuhls gab.
Mit dem schUessUchen Sinken der Arbeitslast des Schöppen-
stuhls schrumpften dessen MitgHeder auf die Hälfte der ur-
sprünglichen Zahl zusammen und bekamen als einheidiches
Kolleg eine einheitlictfb Spitze in einem Senior; nunmehr ge-
nügte auch ein Schöppenschreiber, der secretarius scabinatus.
Um einen mögUchst vollständigen UeberbHck zu ge-
winnen, ist versucht worden, jede der PersönHchkeiten, die
an der Rechtsprechung des Brandenburger Schöppenstuhls
theilnahmen, ihrem Lebensgang, ihrer Ausbildung und ihren
Familienbeziehungen nach kennen zu lernen, soweit dazu
das Quellenmaterial die nöthigen Grundlagen lieferte. Da-
bei war auch die Rücksicht bestimmend, dass ähnliche Mit-
theilungen, wie sie hier über das Personal des Branden-
burger Schöppenstuhls gegeben werden können, weder von
einem unserer Schöppenstühle, noch von einem unserer Ge-
richte vorliegen. Naturgemäss sind Nachrichten über Per-
sonalverhältnisse desto spärHcher, je weiter man zurückgreift.
So giebt es auch früher Nachrichten, die für die Geschichte
unseres Schöppenstuhls wichtig sind, ehe man in der Lage ist,
über einzelne Mitglieder desselben zu berichten. Gleichwohl
empfiehlt es sich, die Mittheilungen über das Personal vor-
anzustellen und sie bis zur Aufhebung des Schöppenstuhls
fortzuführen, ehe von der Einrichtung des Schöppenstuhls
und seinem Thätigkeitsbereich wie seinem Verfahren gehan-
delt wird; denn die letztere Darstellung gewinnt an Anschau-
90 *• Buch. Personal.
lichkeit, wenn sich die handelnden Personen mit hineinziehen
lassen, und das hat die Vertrautheit mit den Personen zur
Voraussetzung.
Bei der Ermittlung derer, die an der Rechtsprechung
des Schöppenstuhls theilnahmen, ergeben sich besondere
Schwierigkeiten, weil es erst am Ende des sechzehnten
Jahrhunders Sitte wird, dass die Schoppen oder die Schöp-
penschreiber mit ihrer Namensunterschrift auftreten. Nur
aus der Vergleichung der in den Schöppenstuhlsakten vor-
kommenden Handschriften mit anderen Brandenburgischen
Archivalien, die den Namen ihres Autors erkennen lassen,
kann für die Zeit vor dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts
der Konzipient eines Schöppenstuhlsspruchs festgestellt werden.
Viel Mühe verursachte es dann ferner, aus den entlegensten
Quellen und Spuren etwas Sicheres über seine persönlichen
Verhältnisse zu erfahren; wesentlich unterstützend, nament-
lich für die Frage, ob wir einen gelehrten Juristen vor uns
haben, kamen dabei die Universitätsmatrikeln in Betracht.
Das, was von der Thätigkeit des Brandenburger Schöppen-
stuhls vor Augen liegt, entfloss wesentlich der Feder seiner
Schöppenschreiber, in geringerem Maasse der Feder seiner
Schoppen. Ausserdem wurde der Schöppenschreiberdienst eine
hauptsächliche Vorschule für den Schöppendienst.
Deshalb ist mit den Schöppenschreibern zu beginnen und
dann zu den Schoppen überzugehen.
Eine „Ordnung des Schöppenstuhls beider Städte Bran-
denburg" giebt es nicht. Der Schöppenstuhl ragt so weit
in die Vergangenheit zurück, dass seine gesammte Einrich-
tung wahrscheinlich nur auf Gewohnheit beruht. Aber auch
was innerhalb der mindestens halbtausendjährigen Zeit seines
Bestandes an Veränderungen mit ihm vorging, vollzog sich
auf dem Wege der Gewohnheit; darum besitzen wir auch
nicht etwa aus der Zeit, wo sich die grösste Veränderung,
nämlich die Umwandlung des Schöppenstuhls zum gelehrten
Gerichte vollzog, eine erneute Ordnung des Schöppen-
stuhls, wie sie z. B. aus dem Jahre 1574 für Leipzig
und aus dem Jahre 1584 für Halle vorhanden ist. Nur sehr
vereinzelte Zeugnisse finden sich, die über allgemeine Ein-
§ 4- Altstädtische Schöppenschreiber. 91
richtungen des Schöppenstuhls Auskunft geben. In der
Hauptsache sind wir darauf angewiesen, aus dem, was der
Schöppenstuhl selbst hinterlassen hat, zu ermitteln, auf wel-
chen Grundsätzen sein Bestand beruht, und wie er allmäh-
lich aus einem Institut der vom Volk geübten Rechtsprechung
zu einer gelehrten Spruchbehörde geworden ist. In den
eigenen Mitgliedern des Schöppenstuhls neuerer Zeit lebte
so wenig das Bewusstsein, welche Wandlung mit ihm im
Laufe der Zeiten vor sich gegangen war, dass im Jahre 1 749
der Senior des Schöppenstuhls, um dessen Geschichte befragt,
den Frager beschied, man könne aus alten Berichten schliessen,
Karl d. Gr. müsse Brandenburg mit dem Schöppenrecht be-
gnadet haben, weil er ein Liebhaber der Gelehrten und
der Gerechtigkeit gewesen sei (98 671). Dem Senior von
1749 war also der Schöppenstuhl von jeher eine rechtsge-
lehrte Behörde.
Ueber die Berufung zum Schöppenschreiberamte liegt
nur ein spätes wichtiges Zeugniss vor, dass der Schöppen-
schreiber aus der Wahl der Schoppen hervorging. Mehr er-
fahren wir über die Berufung zum Schöppenamte.
Erster Abschnitt.
Schöppenschreiber.
§4.
. Altstädtische Schöppenschreiber.
Die Stadtschreiber gingen in Brandenburg, wie ander-
wärts,1) aus dem Stande der Kleriker und Notare, der
magistri und Schulmeister, hervor. Ein in der Welle der
grossen Glocke der ( altstädtischen) Gotthardkirche im
Jahre 141 2 eingespundet gewesener Pergamentzettel nennt
neben Anderen den „Schulmeister und Stadtschreiber
Petrus Sartach".2) Sind auch weitere Stadtschreiber der
Altstadt vor 1522 nicht mit Namen bekannt, so bestätigen
doch jene Thatsache einige Nachrichten, die über neu-
') Stölzel, Gelehrtes Richterthum Bd. 1 S. 156, 253, 400 ff.
*) Tschirsch, Beitrag zur Gesch. der Saldria S. 7.
92 3. Buch. Personal, i. Abschnitt. SchÖppenschreiber.
städtische Stadtschreiber aus der Zeit vor 1522 beigebracht
werden können.1)
Früher auf die Bildung beschränkt, die sie in den
Klosterschulen erhielten, zogen gegen Ende des fünfzehnten
Jahrhunderts solche Kleriker, die als Stadtschreiber und
Schulmeister in die Dienste selbst kleinerer Städte treten
wollten, auf die Universitäten. Neben den „gemietheten
Doctoren", den ersten gelehrten landesherrlichen Räthen,2)
erscheinen gemiethete Schuldiener, sog. „Locate44, als die
ersten akademisch gebildeten städtischen Schullehrer. So hat
der „Schuldiener oder Locate44, den sich 1530 die märkische
Stadt Prenzlau hielt, in Leipzig studirt (1 140). Die Sitte des
Mittelalters, den Schulmeister als Stadtschreiber zu verwenden,
nahm nach der Reformation die Gestalt an, dass die Rektoren
reformirter Schulen das Amt der Stadtschreiber oder syndici
übernahmen, um von da aus als gelehrte Juristen in das
Schöppenamt aufzusteigen. Es bezeichnet das die Uebergangs-
periode zu den spezifisch als Juristen ausgebildeten Schoppen.
Beispiele werden uns der Art viele in Brandenburg begegnen;
von anderen Städten, wie Pritzwalk und Stendal, wird Gleiches
berichtet.3) Auch der magdeburgische erste lutherische Schul-
rektor ging in den Rath und in den Schöppenstuhl über.4)
Ursprünglich hatte, wie sich aus der Natur der Sache
von selbst ergiebt, jede der beiden Städte Brandenburg nur
einen Stadtschreiber, und diesem lag sowohl die Besorgung
der Schreibgeschäfte im Rathe, wie im Gerichte ob, mochten
die Schoppen als Stadtgericht Recht sprechen, oder mochten
sie nach aussen hin Rechtsbelehrung ertheilen. Mit der Ver-
mehrung der Geschäfte wurden aus dem einen Stadtschreiber
zwei für jede Stadt. Einer dieser beiden erlangte für die
ihm beim Schöppenstuhl übertragene Thätigkeit die Be-
zeichnung „SchÖppenschreiber44: das Schöppenschreiberamt
*) Siehe § 5.
f) Stolze!, Br.-Pr. Rechtsverwaltung 1, 98.
*) Hey, Handschr. Chronik v. Pritzwalk bei Pieper, der mark. Chronist
! Z. Garcäus. Wiss. Beil. zum Jahresbericht der 2. städt. Realschule zu Berlin.
1898. S. 9. Götze, Gesch. des Gymn. zu Stendal 1865 S. 67 fl.
4) Vergl. § 5.
§ 4- Altstädtische Schöppenschreiber. <)3
wurde ein Nebenamt des ersten oder ältesten Stadt-
Schreibers.1)
Als fernerer, dem Namen nach sicherer altstadtischer
Schöppenschreiber ist Lorenz Demker (auch Dembker,
Demiker, Dembche) nachweisbar2) und zwar für die Jahre
1528 bis 1535.3) In ein noch jetzt der Schöppenstuhls-
bibüothek angehöriges Decretum Gratiani (Baseler Ausgabe
von i486),4) das 1540 laut einer darin befindlichen Bemerkung
dem 1542 in Frankfurt immatrikulirten Brandenburger Simon
Fromholz, dem dritten Lehrer an der Schule der Altstadt
Brandenburg,5) also einem ehemaligen Geistlichen, gehörte,
hat Demker eingetragen: „Dis buch hat Simon Fromholtz
mir Lorentz Dembchen versatzt und nachfolgigk mir zu be-
halten vereigenthumt, welches ich mit meiner eignen hand-
schrift bezeuge." Hieraus wird auch für Demker geschlossen
werden dürfen, dass er. rechtsgelehrter Geistlicher war, wenn-
gleich bei ihm ein Besuch von Universitäten nicht nachweis-
bar ist.6) Er kommt von 1528 bis 1535 als Stadt- und als
Schöppenschreiber der Altstadt vor.7) Einige Eintragungen
von 1524 im Rathsbuche rühren bereits von seiner Hand her.
Im Jahre 1535 mag seine Aufnahme in den Rath erfolgt sein.
*) Die den neustädt. Quellen entnommenen Belege für diese Ent-
wtckelung s. § 5. Belege aus den 1570er Jahren ergeben, dass man in der
Altstadt den damaligen zweiten Schreiber Unterschreiber oder Substituten
nannte.
f) Von 1504 (s. Brandenb. Urk. des Zerbster Archivs: „BM. der Alt-
stadt Gregorius Hindenborg reitet nach Leipzig14) bis 1530 ist Gregorius
Hindenborg als BM. der Altstadt beglaubigt (f vor 1541 nach Riedel c. d.
1,9 287); 1491 erscheint aber in der Greifswalder Matr. ein gleichnamiger
clericus Havelbergensis. Wären Beide identisch, so läge ein mir sonst
niemals vorgekommenes Beispiel vor, dass ein Kleriker Kathsperson und
BM. geworden sei, vielleicht durch Vermittelung des Stadtschreiberamtes;
wahrscheinlicher ist wohl, dass der Greifswalder stud. ein Sohn des BM.
war, was nach den Jahreszahlen nicht unmöglich ist.
z) Cod. A 1 f. 10, 235, 272 AA. In letzterer Urkunde nennt er sich
selbst Stadtschreiber.
*) Schöppenstuhlsbibliothek No. 138. \
*) Tschirsch, Gesch. der Saldrischen Schule S. 16.
6) Andreas Demiger, 1587 in Frankfurt immatrikulirt, mag ein Nach-
komme von ihm sein.
7) AA. Cod. A. 1. Schöppenstuhlsakten 1 78. < 2. 95. 100. 121. 127 u s. w.
94 2- Buch. Personal, i. Abschnitt. Schöppenschreiber.
Zwar yrird er 1542 in einer Verhandlung, in der er als
Partei erscheint, nur als Bürger bezeichnet, er macht aber
1542, 1546, 1547 und 1548 vorübergehend Eintragungen in
das Rathsbuch der Altstadt und zahlt 1543 neben Bürger-
meister Bardeleben dem Baumeister, welcher für den Rath
einen Bau ausgeführt hat, Lohn aus.1) Seit 1536 ist er allem
Anschein nach Schöppe. Spruchentwürfe aus dem Jahre
1549 (3 605) zeigen seine Schriftzüge; 1551 ist er verstorben.2)
Demker gäbe hiernach ein Beispiel ab, dass aus einem
Kleriker und Stadtschreiber ein Raths- und Schöppenstuhls-
mitglied werden kann. Es öffnete ihm der Uebertritt Branden-
burgs zur Reformation den Weg in den ihm bis dahin ver-
schlossen gewesenen Schöppenstuhl. Der Uebertritt der Alt-
stadt Brandenburg zum Lutherthum, der dem Uebertritt der
Neustadt um einige Jahre vorausging, ist kurz vor Trium
Regum 1535, also wohl in das Jahr 1534 zu setzen: im alt-
städter Rathsbuch findet sich ein Rathsbeschluss vom Mon-
tag nach Regum 1535, laut dessen ein früher zur Orgel ge-
hörig gewesenes, „jetzt durch den Rath zur Schulen
gelegtes" und auf dem Rathhause eingezahltes Kapital wieder
ausgethan werden soll.3) Hiernach war damals bereits Kirchen-
gut dem Rathe für seine Schulen zugeflossen. Notizen aus
späterer Zeit ergeben, dass Demker im Ehestand lebte,4) folg-
lich muss er aus dem Priesterstande ausgetreten gewesen sein.
Andreas Ackermann, Demkers Nachfolger als Stadt-
und Schöppenschreiber der Altstadt, hat seine Bestallung
zum Stadtschreiber selbst in das Rathsbuch als am Sonntag
nach Christi Geburt 1535 erfolgt eingetragen.5) Aus dem
Rathsbuche erhellt, dass kurz nach seiner Anstellung auf
1) Cod. A 1. AA. 316. 319. 315. 313. 324.
2) StA. Sentenzenbuch des Kammerger. R. 97. I. 8. „Lorenz Demckers
Wittwe".
8) Rathsbuch A i. AA. fol. 277. Nach einem Eintrag- das. fol. 278
sichern sich Donn. nach Invoc. 1535 die Kalandsherren und andere gemeine
Altaristen ihre Forderungen durch Pfandverschreibungen und eilige Ein-
ziehung der Zinsen.
4) Siehe Anm. 2 und unten Seite 136.
*) Cod. A 1. AA. fol. 270.
§ 4* Altstädtische Schöppenschreiber. <)f)
dem Kirchhof „an dem Stadtschreiber und Capellan1) ein
Aufruhr entstand", und dass Freitag nach Epiphaniae 1536
mehrere deshalb verhaftete Schneidergesellen auf geschwornen
Urfrieden entlassen wurden. 2) Das kann sich nur auf den
neuen Stadtschreiber Ackermann beziehen; also auch er war
anfänglich Kapellan und bezog als solcher Kapellaneinkünfte;
der Tumult auf dem Kirchhof scheint anzudeuten, dass man
ihm die Bezüge aus der Kirche streitig machte, vielleicht,
weil er dem Lutherthum sich zuwendete. Damit erklärt sich
auch sein Abkommen mit dem Rathe aus der Osterzeit des
Jahres 1537, welches bestimmte, dass er als Stadtschreiber
„erhält alle quartal 3 schock 40 groschen; soll mit den
Zinsen gar nichts zu thun haben, die zu dem beneficio
gehören, welches zur Schreiberei gelegt war; die
2 schock (als l/2 schock alle quartal), als man ihm vor
dieser zeit von dem rathhause gegeben, dazu die 5 fl in
des raths Versetzung, als man ihm gab, soll alles ab und
todt sein; zu obigen 3 seh. 40 soll alle quartal 3 scheffel
roggen der müllermeister aus der mühle geben".3)
Aus dem Neustädter Schöppenbuch von 1492 ff.4) er-
fahren wir, dass es (1493, 1494 und 1529) e*ne »Schepen-
capelle" gab, deren Altareinkünfte den Schöppenschreibern
überwiesen waren.5) An Stelle des dem Stadtschreiber bis-
her eingeräumten städtischen Altarlehns, dessen Zinsen er
bezog, und des Zuschusses, den dazu der Rath gab,H)
trat jetzt eine vom Rath zu zahlende Quartalsbesoldung in
Geld und in Roggen, der vom städtischen Mühlenmeister ge-
liefert werden sollte.
!) Ueber die Kombination der Aemter als Schulrektor, Kapellan
und Stadtschreiber s. § 5.
2) Cod. A 1. AA. fol. 26.
*) Cod. A 1. AA. fol. 298 ▼.
*) Cod. N. 3 RA. fol. 8. 8>. 14. 20.
») Siehe § 5.
•) Darauf bezieht sich der später durchstrichene Eintrag im Neu-
städter Schöppenbuch von 1492 ff. (Cod. No. 3 RA. fol. 14): Jacob Sassze
heth von dem erszamen rade VI schock wedderkoeps wisze up sien husz,
und gehören tho ehr Gregorius altare des alden stadtscrivers. Gefft dar-
yon alle jar up Michaelis ] schock tur rente.
96 2. Buch. Personal, i. Abschnitt. Schöppensch reiber.
Von 1535 bis 1550 verfolgt man Ackermanns schöne,
feine regelmässige Schrift im Rathsbuch und in den Schöppen-
stuhlsakten. In beiden Aemtern wurde 1551 Mag. Simon
Roter sein Nachfolger. Seitdem ist Ackermanns Spur in
Brandenburg verschwunden. Roter, eine der bedeutendsten,
wenn nicht die bedeutendste Persönlichkeit unter den
Brandenburger Schoppen, in deren Akten sich äusserst zahl-
reiche seiner Spruchentwürfe und Gutachten finden, ge-
hörte der Geburt nach der Gegend Schlesiens an,
in welche Magdeburgisches und HaUesches Recht durch
die einst dorthin von slavischen Dynasten gerufenen
deutschen Kolonisten gebracht war.1) Die beiden ersten
mit deutschem Rechte bewidmeten schlesischen Städte
waren Goldberg und Neumarkt (bei Liegnitz). In Neumarkt
lebte Roters Vater als Bürgermeister (f 1552). Dieser liess
seinen Sohn in dem von Luther (1538) gerühmten „feinen
Partikular" des damals namhaften Neumarkter Schulmannes
Trotzendorf — einer zur Vorbereitung für die Universität
dienenden Anstalt — seinen Unterricht gemessen; dann sandte
er ihn nach Wittenberg, wo er mehrjähriger Tischgenosse
Melanchthons war. Als 24Jährigem jungen Manne übertrug
man ihm (1541) die Leitung der altstädtischen brandenburger
Schule, nachdem die Stadt evangelisch geworden war; so er-
scheint er als erster reformirter Rektor Brandenburgs. Zehn
Jahre später wurde er Stadt- und Schöppenschreiber,2) nach
weiteren zehn Jahren Bürgermeister, war aber daneben noch
zwei Jahre lang als Schöppenschreiber thätig,3) dann wurde
er Schöppe und blieb dies bis zu seinem Tode. Als Stadt-
schreiber wurde ihm — und zwar zum ersten Male — der
*) v. Martitz, Ehel. Güterrecht S. 31, 9.
2) Die Verbindung des Amtes des Gerichtsschreibers mit dem des
Schulmeisters kommt in derselben Zeit noch anderwärts vor: 1554 heisst
in Wiesbaden der Schulmeister und der Stadtschreiber Balth. Weicker,
ebenso 1556 der Kastenmeister (Otto, Das älteste Gerichtsbuch v. W. 1900
S. 7, 8, wo freilich — m. E. ohne genügenden Grund — zwei Balth. Weicker
angenommen werden). Ein Protokoll Roters als Stadtschreiber aus 1551
s. 5 614.
3) Spruchausfertigung in einer Zaubereisache von Roters Hand aus
1562 s. StA. R. 49, N.
$ 4- Altstädtische Schöppenschreiber. 97
Titel Syndikus beigelegt; so nennt ihn eine im Jahre 1874
in der Gotthardskirche aufgefundene Pergamenturkunde von
1559.1) Syndikus bedeutet überhaupt einen gelehrten Rechts-
beistand, selbst wenn er nur für eine einzelne Sache bestellt
war. In einem Prozesse der Altstadt Brandenburg gegen
die Neustadt und den Dom redet 1541 das Kammergericht
von einem beklagten syndicus und von klagenden syndicis.2)
Damit, dass 1559 in einer lateinisch abgefassten Urkunde der
Stadtschreiber ohne Beziehung auf eine einzelne Angelegen-
heit syndicus heisst, ist noch nicht gesagt, dass er amtlich /
bereits den Titel Syndikus führte, vielmehr übersetzte die
Urkunde, da sie lateinisch abgefasst ist, den Titel Stadt-
schreiber mit syndicus.3) Das deutete den Anfang des Ein-
dringens des gelehrten Elementes an, wie die Uebersetzung
des Schoppen in assessor. Deshalb muss 1472 der Leipziger
Stadt- und Schöppenschreiber „den Personen des Raths als
ein syndicus in lateinischen Sachen, wo sein noth wäre,
dienstlich sein".4) Beiderlei Uebersetzungen kommen zuerst
in ausseramtlichen Schriftstücken vor, bis sie — nach kleri-
kalem5) Muster — amtlich werden. Erst in den Stadtrech-
l) 4. bis 6. Jahresber. über den histor. Verein zu Brandenburg- S. LIV:
anno . . . 1559 . . . pastore . . . M. Libyo ... et M. Simone Rotero Syndico
existente.
*) RA. Doc. II. A. 18. Die Kramergilde in Stendal und der Rath zu
Spandau wird 1574 (16 346. 390) durch einen Syndikus im Prozesse vertreten;
die Prozessvertreter der Gemeinde Amfurth (bei Magdeburg) heissen 1703
(80 146) syndici.
3) Aehnlich heisst der Brandenburger Stadtschreiber Joachim Heinatz
1568 in einem Hochzeitsgedicht Syndikus.
*) Ztschr. der Savigny-Stiftung 7, 2, 98.
6j Klöster kennen schon syndici im Beginne des 15. Jahrh., z. B. 1409
das Kloster Corvey (Riedel I, 13, 273). Dann folgen Stifter, Universitäten
und je nach ihrer Bedeutung die Städte. Der Bischof von Brandenburg- hat
1525 seinen Syndikus (Riedel I. ia, 170). Der Erfurter Ordinarius Henning
Göden aus Havelberg ist 1509 syndicus civit. Erford.; der fÜrstl. Rath Dr.
Schreck ist 1534 (a 345 ff.) Frankf. Universitätssyndikus; der Wittenb.
Professor Conrad Lagus wird 1538 Syndikus von Danzig (Muther, Zur
Gesch. der RWiss. S. 377, 326). Der Rath zu Perleberg hat 1573 (14
619) seinen Syndikus. Der „ehrbare und wolgelahrte* Thomas Neumann
von Treuenbrietzen ist 1587 „Stadtschreiber" in Rathenow, nachdem er von
1579 bis 1586, also 7 Jahre, in Wittenberg und Erfurt studirt hat (ÜB. a 54).
S 1 6 1 z e I , Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. L 7
98 s. Buch. Personal, i. Abschnitt. Schöppenschreiber.
nungen des siebzehnten Jahrhunderts heisst der erste Bran-
denburger Stadtschreiber Syndikus und hat als solcher 1677
in der Neustadt sogar höhere Bezüge nicht bloss als der
zweite Stadtschreiber, sondern sogar als der erste Bürger-
meister,1) was damit zusammenzuhängen scheint, dass damals
dort zum ersten Male ein Doktor das Syndikat übernahm.
In erster Ehe lebte Roter mit einer Verwandten der
Gattin Melanchthons; diese Verwandte war in Melanchthon's
Hause erzogen.2) In zweiter Ehe lebte er mit der Tochter
v des Brandenburger Bürgermeisters und Schoppen Andreas
Schuller, so dass er der Schwager „eines der allerberühm-
testen Märker"3), Georg Schullers, des Schülers und Eidams
Melanchthons war, der sich Georg Sabinus nannte und als
poeta laureatus, wie als Frankfurter und als Königsberger
Professor zu Ansehen gelangte.4) Die ältere Schwester
Roters war einer allerdings nicht ganz sicheren Nachricht zu-
folge Luthers Schwiegertochter; die jüngere Schwester war
mit dem Frankfurter Professor Joh. von Borken aus Bremen,
dem Gehülfen Schurfs, verheirathet; so stand er mit den
angesehensten Theologen und Juristen in Verbindung.
Roter starb im 78. Jahre am 21. Dezember 1595 auf der
Rückreise von Berlin, wohin er sich in Sachen der märkischen
Städte begeben hatte.5) Sein prächtiges figurenreiches, von
Die 1595 im Rathsbuch der Altstadt Brandenburg (Cod. A 3 AA. fol. 88 ff.)
notirte Erweiterung der „Stadtschreiberei" wird von späterer Hand am
Rande genannt: „Syndikatshauses Erweiterung". Vergl. auch Magistrats-
akten S. 15 de 171 6, öffentliche Gebäude: »Secretariatshaus und Syndicats-
haus" (2 versch. Gebäude).
>) RA. Cod. N. 19.
') Leichenrede Johannis Tomovii, Berlin 1630, Archiv der St. Pauli*
kirche zu Brdb. S. P. 11. Familientafel des BM. Roter bei Tschirsch, Gesch.
der Saldria S. 21.
3) Seidel, Bildersammlung S. 48.
4) Stölzel, Brdb.-Pr. Rechtsverw. 1, 163. Mark. Forschungen Bd. ix
S. 123. — Die Hochzeit einer Tochter Roters wird 1582 auf dem Rath-
hause gefeiert. Cod. A 1. AA. fol. 138. Roter hielt sich 1584 einen Acker-
knecht, trieb also Landwirtschaft. «Das. fol. 142. Der altst. Rath borgte
von ihm 1565 200 Thaler und 150 fl. RADoc. II A. 46.
•) Leichenrede des Joh. Tornow. — Das letzte Konzept Roters in den
Brdb. Schöppenstuhlsakten datirt vom Febr. 1595 (40 370). Vergl. auch
$ 4* Altstädtische Schöppenschreiber. 99
ihm selbst schon 1584 gestiftetes Epitaphium ist noch jetzt
eine Zierde der Gotthardkirche.1)
Um die Geschichte Brandenburgs hat er sich ein
besonderes Verdienst durch die Ordnung des Archivs und
die Anlegung eines Kopiars erworben. Das Kopiar ist
in zwei grossen Foliobänden noch im Brandenburger Raths-
archiv aufbewahrt. Roter ist es auch in erster Linie
zu verdanken, dass die Frau v. Saldern der nach ihr ge-
nannten noch heute blühenden altstadtischen Schule den
früheren Bischofshof bei der Gotthardkirche schenkte, und
dass die Schöppenstuhlsakten auf uns gekommen sind. Er
hat vermuthlich den bei seinem Dienstantritt vorgefundenen
Aktenbestand der Altstadt gesammelt und von nun an
für die ordnungsmässige Aufbewahrung aller in der Altstadt
erledigten Sachen Sorge getragen. Seinem Beispiele folgten
die späteren Schreiber. Seit 1551 ist eine annähernde Voll-
ständigkeit und Kontinuität der Akten zu beobachten. In der
Neustadt erhiejt Roter einen Nachahmer erst anderthalb Jahr-
hundert später in Martin Heins. Von Roters Betheiligung an
der Sammlung der Brandenburger Rechtsbelehrungen wird
demnächst die Rede sein.
Sein Nachfolger im Schreiber-, Schoppen- und Bürger-
meisteramte, Gregorius Boldicke, stammte aus Brandenburg
selbst. Bereits 1514 studirte ein Martinus Boldeke de Bran«
denborch in Frankfurt, der 1530 in Brandenburg Kleriker
war.2) Gregorius studirte 1551 in Wittenberg und 1559 in
Frankfurt. Die mehr als achtjährige Studienzeit spricht da-
für, dass auch Boldicke noch zu denen gehört, die vom
artistischen Studium nachträglich erst zum juristischen über-
gingen. Im Jahre 1561 wurde er in der Altstadt Branden-
burg zum Stadtschreiber angenommen.3) In der Bestallung
Tschirsch, Gesch. der Saldria S. 11, 21 ff.; Leichenrede des Pfr. Boner beim
Leichenbegängniss der Frau Roter 16. Nov. 1593. Frkf. a. O. 1595 (Univ.-
Bibl. zu Breslau). In dieser Rede ist der Name Roter in Röter umgelautet,
ein Beleg für die Zeit der Entstehung solcher Umlautungen.
x) Abgebildet bei Tschirsch a. a. O.; s. auch S. 55.
a) R.A. Schöppenbuch N. 3: „Er" Merthen Boldike, Vormund der
Damstorfschen Kinder.
>) Gegen vierteljährliche Kündigung, Memorial Roter's Cod. A. 3 R. A., f. 406.
7*
100 2. Buch. Personal, i. Abschnitt. Schöppenschreiber.
wurde ihm Hoffnung gemacht, dass er mit der Zeit die
Schöppenschreiberei bekommen könnte. Seine Thätigkeit
als Schöppenschreiber begann im folgenden Jahre und währte
bis er im Jahre 1566 Bürgermeister und Schöppe wurde.
Ihm folgte als Schöppenschreiber, aber nur für zwei
Jahre (1566 bis 1568), Michael Dob er gast. l) Seine Spur ist
seit 1569 verschwunden. In Frankfurt hat er nicht studirt.
Von grösserer Bedeutung für den Schöppenstuhl ist die
Thätigkeit Siegmunds Bardeleben, des Nachfolgers Dober-
gasts im Stadt- und Schöppenschreiberamt der Altstadt für
die Jahre 1569 bis 1576.
Er stammt aus einem in der Altstadt ansässigen Ritter-
geschlechte; der Grossvater, Kersten Bardeleben, sass 1523
im Rathe der Altstadt,2) er war Erbherr auf Satzkorn bei
Potsdam und starb, in erster Ehe mit einer von Schönermark,
in zweiter mit einer von Diericke verheirathet, 1534 neunzig
Jahre alt. Kerstens Sohn Matthias, geboren 1496, wurde
kurfürstlicher Kanzleischreiber, dann Hofrichter in Berlin,
dann altstädtischer Bürgermeister (1551. 1555. 1556) und,
vermuthlich seit 1551, auch Schöppe in Brandenburg;3) er
„diente dem Bischof mit einem Pferde und wurde vorkom-
menden Falles damit an den Kurfürsten" (als den Oberherren
des Bischofs) „gerufen". Akademisch gebildet war er nicht,
wohl aber sein Bruder Karl, der 1545 in Wittenberg und
1555 in Leipzig studirte; später war er Hauptmann zu
Lenzen. Der dritte Sohn Kersten's, Namens Kaspar, war
mit Anna von Bellin in Brandenburg verheirathet und wurde
ebenfalls altstädtischer Bürgermeister. Der Bürgermeister
*) Vergl. 10 491 (1566) und 11 570 (1567). Dobergasts Schrift zeigt
sich in den Jahren 1566 bis 1568 in zahlreichen Spruchkonzepten neben dem
Neustädter Schöppenschreiber Heinatz, während Gregorius Boldicke nur
noch ganz vereinzelt vorkommt. Dobergast's Schrift löst aber auch im
Rathsbuch N. 1 AA. Boldicke von 1566 an ab. Dazu kommt, dass Boldicke
1567 Bürgermeister war. Hieraus ergiebt sich, dass Dobergast seit 1566
Boldickes Nachfolger als Schoppen- und Stadtscbreiber der Altstadt war.
*) Leichenpredigt des Rathsverwandten Joh. Karge, Wittenb. 1605, im
Besitz des grauen Klosters zu Berlin. 40. vol. 34. Brdb. Rathsbuch A. 1
AA. f. 167.
8) Vergl. Märkische Forschungen Bd. 1 S. 54; 2 S. 215.
§ 4* Altstädtische Schöppenschreiber. 101
Matthias Bardeleben sandte seinen Sohn Sigismund 1554 nach
Wittenberg und 1566 nach Frankfurt. Die Familie lebt noch
in den heutigen von Bardeleben fort. Sie besass erheb-
liche Lehngüter. Schon 1305 kommt Johann von Bardeleve,
der Riddere, in Magdeburg vor, 131 2 ist dort Hermann de
Bardeleve Innungsmeister.1) Heinrich v. Bardeleben, »miles
Johannis marchionis Brandeburg", ist 1272 in Bologna im-
matrikulirt, er fungirt 1307 als Zeuge Friedrichs von Bran-
denburg und 1308 als Tempelherr.2) In Wittenberg sind
lSl4* *5l9* J52°i J545» *554t l5S^ l562> x589» lS9^ Bran-
denburger Bardeleben immatrikulirt, ebenso 1555 in Leipzig
und 1566 in Frankfurt.
Das von Siegmund Bardeleben als Stadtschreiber seit
1571 geführte Rechnungsbuch des Rathes vermerkt häufig,
dass ihm sein in Stadtgeschäften versäumtes Schöppengeld
(d. h. die ihm zukommende Gebühr als Schöppenschreiber)
ersetzt wurde. 3) Das Bürgermeisteramt der Altstadt fiel ihm
1576 zu; im Jahre 1589 starb er als regierender Bürger-
meister.4) Laut des Schossregisters der Stadt besass er
in der Altstadt Haus, Hof, Garten und mehrere Hufen
Land.5) Seit 1576 ist er Schöppe und betheiligt sich eifrig
an der Spruchthätigkeit, namentlich konzipirt er 1586 während
der im Schöppenschreiberamt eingetretenen Vakanz häufig
die Urtheile.
Als Siegmund Bardeleben sein Schöppenschreiberamt
niedergelegt hatte, griff man wieder zu einem Schulmanne,
dem in Wittenberg ausgebildeten Rektor der altstädtischen
Schule Zacharias Garz, auch Garcäus genannt. Dieser war
ein Sohn des Bürgermeisters Joachim Garz zu Pritzwalk, wo
man mit besonderem Eifer dem Lutherthum anhing. Nach
siebenjährigem artistischen und juristischen Studium (1564 bis
157 1) hatte er das Rektorat der Pritzwalker höheren Schule
in seinem 27. Lebensjahr übernommen, aber nach 3 Jahren
x) Hertel, Urk.B. der Stadt Magdb. i, 126.
a) Knod, Deutsche Studenten in Bologna. 1899.
3) Cod. A. 32 RA.
*) Rathsbuch Cod. A. 33 f. 3 und f. 324 RA.
») Cod. A. 30 RA. f. 93.
102 2« Buch. Personal, i. Abschnitt. Schöppenschreiber.
niedergelegt, um 1574 nochmals nach Wittenberg zu gehen.
Auf der Reise dahin traf ihn die Wahl zum Rektor in Bran-
denburg. Die von ihm zu Ostern 1575 gehaltene Antritts-
rede ergiebt, dass es sich um die Neueinrichtung der Schule
handelte, „wie es die Pflicht jeder Stadt sei"; der altstädter
Magistrat habe in dieser Beziehung seine Schuldigkeit ge-
than. Also auch Brandenburg (wie Pritzwalk) gehörte zu
den Städten, in denen die Schüler der Wittenberger ihre
Kräfte der Schaffung unserer heutigen humanistischen Gym-
nasien widmeten.1) Missgunst verleidete ihm das Amt; nach
Jahresfrist bahnte ihm die Verlobung mit der Tochter des
altstädtischen Bürgermeisters Andreas Schuller den Weg zum
altstädtischen Syndikate. Die Verlobung zeigte er als Schul-
rektor an, das Hochzeitsgedicht verfassten seine Freunde „in
honorem syndici Reipublicae Brandenburgensis". So wurde
er Schwager des Georg Sabinus und der beiden Bürger-
meister Valentin Schwarz und Simon Roter. Gleich letzteren
amtirte er auch als kaiserlicher Notar (1581: 22404. 591.
606). Er starb 1586 und war mindestens in diesem Jahre,
obwohl die für diese Zeit besonders lückenhaften Schöppen-
stuhlsakten darüber nichts ergeben, Schöppe; denn die Elegie
des Prätorius auf seinen Tod ist „exequiis . . Garcaei syndici
et scabini electoralis in vetere Brand, civitate" gewidmet.2)
Zacharias Garz begann 1582 die Niederschrift seines
Geschichtswerkes „Successiones familiarum atque res gestae
illustrissimorum praesidum Marchiaeu, einer noch jetzt hoch-
geschätzten Chronik; ferner veröffentlichte er 1583 die „Syn-
opsis chronologica continens generalem dispositionem histo-
riae Marchiae Brandenburgensisw, einen kurzen Auszug aus
den Successiones, und 1585 die „Synopsis annalium Marchiae
Brandenburgensis", eine in sich abgerundete grössere Arbeit. 3)
*) Stölzel, Gel. Richterthura i, in.
2) Tschirsch, Gesch. der Saldria S. 12. Pieper, Der mark. Chronist
Z. Garzäus (Realschulprogamm 1896) S. 16 Note und S. 4 des Programms
von 1898.
3) Die beiden letzteren, anscheinend nicht gedruckten Werke befinden
sich in der Handschriftenabtheilung der Kgl. Bibliothek zu Berlin, Manuskr.
Okt. 80. Götze (Verein für Geschichte der Mark Brandenburg 1872, Sitzung-
vom 10. Januar) nimmt mit Unrecht an, dass die beiden bezeichneten Exem-
§ 4* Altstädtische Schöppenschreiber. 103
Dass auf Zacharias Garz und seinen Schwager Simon
Roter die Entstehung der oben genannten Sammlung Bran-
denburger Schöppensprüche1) zurückzufuhren ist, ergiebt sich
aus folgenden Umständen:
i. Die in die Sammlung aufgenommenen Sprüche fallen
ihrem Hauptbestande nach in die Amtszeit der beiden Ge-
nannten; der jüngste Spruch ist von 1593; er fallt zwar nach
Garz1 Tod, aber noch in Roter's Lebenszeit.
2. Die im Titel 1 der Sammlung stehenden Sprüche über
Abschoss2) betreffen eine unter den Brandenburger Schoppen
im Jahre 1576 und 1578 lebhaft verhandelte Streitfrage, ob die
Vorschrift der Joachimica: „Wer Kindergeld .... in fremde
Gerichte wegbringen will, soll .... von jedem märkischen
Schock vier Groschen geben", sich auch auf sui heredes be-
ziehe. Hierzu wird bemerkt: „haec verba scabini Brandenb.
intelligi volunt non de suis, sed extraneis heredibus", und es
werden zwei einschlagende Sprüche aus dem Jahre 1578 mit-
getheilt mit dem Zusatz, dass die Worte der Landeskonsti-
tution „nochmals von den Herren Scheppen erwogen" seien;
gleichergestalt sei „von den Herrn Scheppen" in einer an-
deren Sache gesprochen3). Diese beiden Notizen weisen auf
einen Schöppenschreiber als Urheber hin, der die Schoppen
als ihr Untergebener respektvoll mit „Herren44 Schoppen be-
zeichnet. Roter, der selbst Schöppe war, würde diese Wen-
dung nicht gebraucht haben.
3. Zwei mit „NB.14 hervorgehobene Stellen der Samm-
lung scheinen dagegen aus Roters Feder zu stammen. Die
plare Garz' Handschrift zeigen. Der Familie Garz aus Pritzwalk gehörte
Joh. Garcäus (in Frankfurt 1519» in Wittenberg 1521 immatrikulirt) an,
ein Vertrauter Luthers und Melanchthons, später Hamburger Pastor, Greifs-
walder Professor der Theologie und schliesslich Prediger im mecklenb.
Neubrandenburg (f 1554)1 anscheinend ein Oheim des Zacharias. Zu der-
selben Familie gehörten die 1586 in Frankfurt immatrikulirten Brüder Johann
und Joachim Garz, deren letzterer Dr. theol. und geistlicher Inspektor in
Brandenburg wurde (78 200). Es ist auch wohl nicht zu gewagt, den
Brandenburger Kaufmann und Schoppen Friedrich Garz (1571 bis 1579)1
der nach des Schoppen und Bürgermeisters Gregorius Boldicke Tode (*{*
1565) dessen Wittwe heirathete, zu des Zach. Garz* Verwandtschaft zu
rechnen.
') Siehe oben S. 29. ») Fol. 8q ff. ») Fol. 89.
104 2- Buch. Personal, i. Abschnitt. Schöppenschreiber.
erste Stelle lautet: „Den 25. feb. anno 1579 hat m. N. N.,
als er von Berlin zu haus gekommen, auf dem scheppen-
hause berichtet, das er mit J. K. d. wegen der landesconsti-
tution . . . geredet und der J. K. d. darauf geandtworthet,
das sie so klar weren, das sie keiner deutungk dürfen . . .,
wie aber m. N. N. ferner gesagt, das etliche von den schep-
penn in dem verstandt weren, das das wörtlein „wer" non de
suis ... zu verstehen sey, hette der J. K. d. gesaget, das
sein merae truffe . . ." Unter den Brandenburger Schoppen
gab es damals einen einzigen Magister, und das war Simon
Roter. Nur für ihn selbst bestand ein Grund, sich in der
Notiz nicht zu nennen; deshalb darf ihm die Niederschrift
der Notiz zugeschrieben werden. Unter J. K. d. ist Dr. Johann
Koppen zu verstehen, damals wohl der angesehenste Jurist
der Mark, früher Frankfurter Professor, dann Mitglied des
Berliner Geheimenrathes;1) mit ihm hatte Roter in Berlin,
wohin er als Bürgermeister öfter in Geschäften kam, über
die Streitfrage der Brandenburger gesprochen, und das
Resultat dieser für Roter günstigen Besprechung liess Roter
durch Garcäus in die Spruchsammlung niederlegen.2) Der
Hauptgegner der von Roter und Koppen vertretenen Mei-
nung war Roters neustädtischer Kollege Simon Karpzow.
Das ergiebt folgende weitere Stelle der Sammlung aus dem
Jahre 1579: „Nota. Die hern schöppen haben das jus sui-
tatis in kindergelden abermhal movirt .... NB. Scabini
iterum discordes fuerunt in sententiando. Quidam ut S. K.
(= Simon Karpzow) praetenderunt jus suitatis . . , alii omnes
consuetudinem observarunt et hi obtinuerunt, das man ab-
schos geben solle, . . . darauf die uhrteile dem vorigen zu-
wider gesprochen. Et omnes iterum aequum esse duxerunt,
das man von hoff aus hierüber resolution bitten und sonder-
■
lieh an deme herrn canzler schreiben solte."
Eine zweite Streitfrage des Jahres 1578 knüpfte sich an
die Worte der Joachimica, dass in Testamenten „an liegenden
Gründen allein Summa oder Würderung und nicht das Gut
bescheiden werden solle, es sei denn mit der Erben und der
3) Stölzel, Brand. -Pr. Rechtsverwaltung i, 321. 259.
») Fol. 93 v- 94.
§ 4* Altstädtische Schöppenschreiber. 105
Herrschaft Willen.441) Die Brandenburger erklärten demgemäss
die Uebergabe eines Wohnhauses von Todes wegen vor ge-
hegter Dingbank für ungültig. Dabei wird bemerkt, die
Schoppen seien getheilter Meinung gewesen ; „S. K. (= Simon
Karpzow) voluit hanc donationem esse similem testamento in
judicio eorum acto judicis facto et ideo debere valere, etiamsi
constitutio repugnet. Alii omnes constitutionem servari . . .
voluerunt, donec resolutio ex aula electoris mitteretur. Haben
also abermhal geschlossen, man solte dis kegen hoff gelangen
lassen. Und obwoll S. K. jus scriptum angezogen, so seindt
doch die anderen scabini mit ihme nicht einigk gewesen,
sondern auf das jus municipale gesehen, wie solches in der
landes Constitution vorleibet. M. I. hat d. J. K. resulution, so
er privatim an im geschrieben, producirt . . ." Mit M. I. ist
Michael Iden bezeichnet, seit 1570 Schöppe, seit 1577 Richter
der Neustadt, den seine Eigenschaft als Mitglied des Land-
tags mit Koppen in Beziehung gebracht haben mochte.2)
Endlich war 1581 eine dritte Streitfrage erwachsen, ob
ein Sohn die Studienkosten nach der Eltern Tod verab-
schossen müsse, gleich anderem Erbgut, das in andere Ge-
richte genommen werde: „In hac sententia variarunt scabini . .
1581. Et quia non con venerum in loco consueto, ex nova
ci vi täte pronunciarunt quod non. Nostri vero quod sie
. . ."3) Der Autor dieser Notiz war also Altstädter. Dafür,
dass er mit Roter in Beziehung stand, wenn er nicht Roter
selbst war, spricht das in die Sammlung aufgenommene, oben
(S. 27) erwähnte Konzept Roters: unser Exemplar könnte die
in Roters Gebrauch gewesene Abschrift der von Garz ange-
fertigten und nach dessen Tod an Roter als seinen Schwager
gefallenen Spruchsammlung sein.4)
Das stärkste für die Betheiligung des Schöppenschreibers
Garz bei der Herstellung unserer Sammlung sprechende Ar-
gument liegt darin, dass die Schöppenstuhlsakten aus der
Zeit, in welcher Garz Schöppenschreiber war, auf dem Rücken
!) Fol. 133. *) Siehe unten § 8. ») Fol. 95 v-
4) Wie in den aus der Sammlung erhellenden wichtigen Streitfragen
Karpzow die romanisirende Richtung gegenüber Roter vertrat, der am
vaterländischen Rechte festhalten wollte, bleibt später zu erörtern.
106 2. Buch. Personal, i. Abschnitt« Schöppenschreiber.
verschiedener Aktenstücke den Inhalt des gefällten Spruchs
in Präjudizienform enthalten, *) und dass der betreffende Satz
in der Spruchsammlung als Ueberschrift des Sprucheintrags
wörtlich wiederkehrt. Zwar brachte der Schöppenschreiber
Dobergast2) schon in den 1560er Jahren die Sitte auf, eine
Notiz über den Inhalt eines Spruchs aussen unter die Adresse
der Anfrage zu setzen, er that dies aber nur mit einigen
Schlagworten, wie „collatio acceptae dotis" (10 145) oder ,,mu-
tatio obligationis et fidejussorum liberatio" (10 345), während
Garz vollständige Sätze als Inhaltsangabe wählte.
Ende November 1586 folgte auf Garz nach einer Vakanz
von mehreren Monaten der Schwager Siegmund Bardelebens
(1588: 29 411) Mag. Gregorius Bluhm, der schon seit 1584 als
Stadtschreiber thätig war, im Amte des Schöppenschreibers.
Er scheint aus Spandau zu stammen, da er wohl mit dem
1574 in Frankfurt immatrikulirten Georgius Blume Spando-
vensis identisch ist. Der Beginn seiner Schöppenschreiber-
thätigkeit zeichnet sich durch die von ihm eingeführte, aber
leider bald wieder aufgegebene Neuerung aus, die erledigten
Sachen zu numeriren. Im Jahre 1592, als er Bürgermeister
wurde, tauschte auch er das Schöppenschreiberamt mit dem
Schöppenamt ein.3) Er bekundet bis in seine letzten Lebens-
jahre, in denen seine Schriftzüge deutlich seine Schwäche
erkennen lassen, durch Anfertigung zahlreicher Spruch-
konzepte sein reges Interesse für die Schöppenthätigkeit,
der er bis zu seinem Tode (1612) oblag. Seine Gattin ge-
hörte der Familie des 1549 verstorbenen altstädtischen Bürger-
meisters Hans Trebow an.4) Es besass Haus und Hof in
Brandenburg, auch zwei Weinberge, drei Hufen, eine Wiese
und zwei Kohlgärten in der Stadtgemarkung.5) Eine seiner
1) So 1585 (26 167) in dorso der Missive: „ob kinder .... abschoss zu
geben schuldig" und Decis. II fol. 97; desgl. 26 173 vergl. mit Decis. II fol. ioo.
2) Siehe oben S. 100.
8) Noch von Montags nach Exaltat. Crucis dieses Jahres rührt eine
Spruchausfertigung von seiner Hand her (36 25).
*) Laut Rechnungsbuch der Altstadt Cod. A 33 fol. 232 von 158T;
„vier hammel m. Bluhm auf seine hochzeit". Vergl. auch Elegieen des
Prätori us, Wittenb. 1608, wonach die Gattin „egregiae stirpis".
5) Schossregister A 30 RA.
§ 4* Altstädtische Schöppenschreiber. 107
Töchter war mit dem altstädtischen Burgermeister und
Schoppen Joachim Tieffenbach, eine zweite mit dem neu-
städtischen Kämmerer, späteren Bürgermeister und Schoppen
Schale1) verheirathet.
Ein Beleg für das Ansehen, das Bluhm im Schöppen-
stuhl genoss, ist die in die Garz-Roter'sche Spruchsammlung
(Decis.II, 104) aufgenommene „observatio M. Gregorii Blumen44.
Sie betraf den Zweifel, wer im Falle der Konkurrenz von
vollbürtigen Geschwisterkindern mit halbbürtigen Geschwistern
erbberechtigt sei. Mit Berufung auf den (1573 zuerst er-
schienenen) Institutionenkommentar des Wittenberger Pro-
fessors Schneidewin 2) hatte sich Bluhm für den Vorzug der
halbbürtigen Geschwister als der deirf Grade nach Näheren
ausgesprochen, auf dem Schöppenhause wurde indess (1593,
20. Juni) „das Kontrarium gesprochen; als aber nachgesucht
ist, befunden, dass diese Belehrung den Rechten ungemäss,
die obgesetzte Meinung44 (nämlich die Blumes) . . . „den
Rechten gemäss und folgendes danach zYi sprechen41.
Auf Mag. Bluhm folgte (Sept. 1592) Mag. David Kuhns
im Amte des Altstädter Schöppenschreibers. Er stammte
aus Nauen und begleitete 1587 den Grafen August von Linar
(f 1602) 3) als dessen „minister44 auf die Universität Frank-
furt, wo er im nämlichen Jahre die Würde eines Mag. artium
erlangte.4) An sein Studium schloss sich also ziemlich rasch
sein Schöppenschreiberamt an. „Syndicus44 wurde er zwar
in Privatschreiben (43 564), aber noch nicht amtlich titulirt.
Kuhns heirathete im Jahre 1591 eine Tochter des Bürger-
meisters der Altstadt und Schoppen Andreas Dieterich und
war seit demselben Jahre oder seit 1592 Stadtschreiber der
Altstadt.5) Später, vermuthlich 1602, wurde er Rathsherr der
Altstadt und erscheint als solcher zum letzten Male im Jahre
*) Leichenpredigt der Frau Tieffenbach von 1616 in der Bibl. der
Gotthardkirche zu Brandenburg.
2) Stintzing, Gesch. der d. RW. I, 309.
3) P. Walle, Der Stiftungsaltar des Grafen R. v. Linar. Berlin 1882 S. 12.
4) Latein. Gratul.- Gedicht von 1587 in der Bibl. des Brandenburger
Realgymnasium.
5) Lateinisches Gratulationsgedicht. Wittenberg 1591 a. a. O., wo es
von ihm heisst: MCum varios populos, varias vidisset et urbes, et sua
108 2- Buch. Personal, i. Abschnitt. Schöppenschreiber.
1605.1) Bürgermeister ist er nicht gewesen. Als Schöppe
dürfte er der Nachfolger seines Schwiegervaters, der wahr-
scheinlich im Jahre 1599 gestorben ist, geworden sein.2)
Von Brandenburg aus nahm er (anscheinend 1605) in
Magdeburg die Stelle eines moderator praefecturae molen-
dinariae, d. h. des Vorstehers der Mühlenvogtei, also ein
Richteramt an, das er noch 161 2 verwaltete. Vielseitige
Bildung bezeugt seine Sammlung von mehr als 100 Werken,
meist theologischen Inhalts, die er 1601 der Bibliothek der
Brandenburger Gotthardkirche schenkte.3)
Sein Nachfolger im Schöppenschreiberamte, Michael
Du ring, ein geborener Brandenburger, der 1589 in Witten-
berg studirte und seit 1602 Stadtschreiber, seit 161 1 Bürger-
meister der Altstadt Brandenburg4) war, gehörte zu denjenigen
Persönlichkeiten, die neben ihrem städtischen Amte das No-
tariat bekleideten. Als Schöppenschreiber entwirft er (1607:
54 559) den Schöppenspruch in derselben Sache, in welcher
er als Notar thätig gewesen ist. In einem Schreiben des näm-
lichen Jahres (54 153) unterzeichnet er: „Secret. (arius) scabb.
(= scabinorum oder scabinatus)u. Als Notar verfasst er 16 13
(62 581) in der Altstadt Namens eines Ungenannten von Adel
eine Missive an den Schöppenstuhl, nimmt auch 1614 im Auf-
trag des von Vieritz in Falkenrehde bei Potsdam das Protokoll
in einer Strafsache auf (63 164).5) Im Jahre 161 8 ist er Ver-
tractasset iura verenda Themis", vergl. Rechnungsbuch der Altstadt Cod.
A 33 f. 404* RA.: „11 hammel zu b. Diterichs beider töchter hochzeiten".
Im Jahre 1595 (Leichenpredigt seiner Tochter 1595, Bibliothek des Grauen
Klosters zu Berlin, Vol. 4 No. 37) und 1596 wird er als Syndikus der Alt-
stadt erwähnt (Boner us, Anagrammata in honorem amplissimorum et con-
sultissimorum Dn. consulum et senatorum Brandenburgensium veteris oppidi,
Frankfurt 1596, Archiv der St. Paulikirche zu Brandenburg, unbezeichneter
Sammelband).
x) Rechnungsbuch der Altstadt Cod. A 34 f. 162, RA.
*) Er votirt zum ersten Mal im Jahre 1600 (46 168), zum letzten Mal
im Jahre 1605 (51 89, Rechtsfrage vom 22. April).
8) Dedikation im Bibliotheksarchiv der Gotthardkirche, Band Theol.
Fol. Nr. 127.
4) RA. Cod. A 34 fol. 272. 282.
*) Noch 1639 stammt ein Notariatsakt von ihm im StA. R. 21 N. 10*
Brandenburg, Altstadt.
§ 4« Altstädtische Schöppenschr eiber. ]()<)
ordneter der Mittelmärkischen und Ruppinschen Städte auf
dem Landtage und schliesst, nachdem im genannten Jahre
seine Gattin, eine Tochter des aus Aberdeen in Schottland
eingewanderten Kaufmanns Zieritz, gestorben war, noch in
demselben Jahre eine zweite Heirath, zu der er von der
Stadt die üblichen Hammel empfing.1) Gleich seinen Vor-
gängern im Schöppenschreiberamte wurde auch ihm eine
Stelle als Schöppe angeboten; auf erfolgte Präsentation be-
stätigte der Kurfürst (1620) seine Wahl. Düring aber lehnte
die Uebernahme des Amtes ab. Merkwürdigerweise wurden
die Verhandlungen hierüber erst im Jahre 1622 gepflogen.
Düring machte beim Kurfürsten zu seiner Entschuldigung
geltend, er sei mit städtischen Geschäften überlastet, und ein
Fall auf den Kopf habe sein Gedächtniss getrübt; den wahren
Grund der Ablehnung gab aber sein Begleitschreiben an den
Kanzler Pruckmann zu erkennen; er bemerkte darin, dass er
vor einiger Zeit, nachdem er etliche Jahre das Schöppen-
schreiberamt verwaltet habe, „wider altes Herkommen
und Gebrauch, auch nicht ohne Schimpf bei einer
Schoppen wähl übergangen worden sei, indem man ihm
einen Andern vorgezogen habe". Hier ist auf Georg Chueden
hingewiesen, der, ohne Schöppenschreiber gewesen zu sein,
zum Schoppen gewählt wurde. Der Kurfürst erkannte die
Ablehnungsgründe Dürings als ausreichend an;2) Düring trat
niemals als Schöppe in Thätigkeit.
An seiner Stelle überkam 161 2 Mag. Peter Weitzke,
Sohn des 1585 verstorbenen gleichnamigen Brandenburgischen
Superintendenten, das Schöppenschreiberamt und Syndikat
der Altstadt bis zum Jahre 16 19. Der Vater war mit Garz
befreundet, 1562 dessen Studiengenosse in Wittenberg, auch
anscheinend dessen Vorgänger im Schulamte;3) aus seiner
Bibliothek gingen eine Reihe werthvoller Drucke in die
*) Leichenpredigt seiner Ehefrau, 1618, Archiv der Brandenburger
Paulikirche, Sammelband S. P. 7. RA. Cod. A 34, Rechnungsbuch. Düring's
Siegel in den Schöppenstuhlsakten 66 456.
*) Schreiben vom 26. Juni 1622 R. 21 N. 9C StA.
8) Vergl. Seidel, Bildersammlung S. 197; Pieper, Brandenburger Schul-
programm von 1896 S. 13.
HO 2. Buch. Personal, i. Abschnitt. Schöppenschreiber.
Bibliothek der Gotthardkirche über. Von 1622 bis zu seinem
1648 erfolgten Tode1) ist Peter Weitzke d. J. als Schöppe
thätig (78 108), nachdem er 1622 Bürgermeister geworden
war.2) Er studirte 1599 in Wittenberg; unmittelbar nach
seiner Anstellung (1612) heirathete er die Tochter des neu-
städtischen Schöppep und Bürgermeister Joachim Buchholz.3)
Bei ihm ist zuerst nachweisbar, dass er sich von einem an-
deren altstädtischen Beamten,4) der später sein Nachfolger
als Schöppenschreiber wurde, im Schöppenschreiberdienst
unterstützen Hess: 16 18 entwirft statt Weitzkes Christian
Bardeleben einmal (65 551) und 161 9 mehrfach (66 67. 69.
71- 75- 77- 8°- 83 etc.) einen Spruch; daneben schreibt
Weitzke selbst eine Spruchausfertigung (67 259). Barde-
leben machte also eine Art Vorbereitungsdienst durch, ehe
er (1620) in das Schöppenschreiberamt definitiv eintrat. Aus
Weitzkes Familie stammt der Rektor, spätere Rathsverwandte
zu Gransee Caspar Weitzke (1598: 42431) und der „churf.
Brandenb. und des Raths verordnete Stadtrichter- in Span-
dau Bartholomäus Weitzke (1621: 69 425). Unseres Peter
Weitzke gleichnamiger Sohn ist der in Seidels Bildersamm-
lung genannte Brandenburger geheimer und Kammergerichts-
rath, Seidels Schwiegersohn5), der 1634 zu Frankfurt studirte,
den Grad eines lic. j. u. erwarb, 1638 ein collegium instit.
imper. publ. aliquot dispp. absolutum herausgab und 1641
von der Universität Frankfurt zum ordentlichen Professor
vorgeschlagen wurde.6)
Christian Bardeleben, aus der oben (S. 100) genannten
alten Ritterfamilie hervorgegangen, wurde von 1620 bis 1622
als altstädter Schöppenschreiber und Syndikus thätig. Unter
1) Unter Gratulationsgedichten des Jahres 1649 auf seines Sohnes
Hochzeit (ßresl. Univ.-Bibl.) befindet sich ein an den Vater «paulo ante
obitum" gerichtetes Gedicht des Geh.R. Thomas v. d. Knesebeck.
2) StA. R. 21 N. 9€.
*) Gratulationsgedicht, Wittenberge 1612, S. P. 7 des Archivs der
Brandenburger Paulikirche, Doc. A. II. 84 RA.
4) 1615 Chr. v. Brandenburg in Cod. 34 fol. 419 RA.
*) Gratulationsgedicht von 1649 in der Bresl. Univ.-Bibl.
•) Vergl. Stölzel, Brand. -Preussens Rechtsverwaltung 1, 37a 384.
Meinardus, Protocolle und Relationen des Brandenb. Geh. Rathes 1, 212.
§ 4* Altstädtische Schöppenschreiber. Hl
den in veröffentlichten Universitätsmatrikeln Eingeschriebenen
findet er sich zwar nicht, aber schon seine Stellung als Syn-
dikus ergiebt seine rechtsgelehrte Bildung. Mit ihm gleich-
zeitig wird „ Melchior Bardeleben", Erbsess zu Silberlang,
und dessen Vetter „Fritz von Bardeleben" genannt; letzterer
vererbt auf ersteren einen zweiten Rittersitz, „das Churland
vor Rathenow44 (70 228). Um 1700 ist ein Bardeleben Be-
sitzer des adligen Ritterhofes vor Ziesar bei Brandenburg
(78 436 ff. 80 79ff.); 1739 verhandeln Gebrüder von Barde-
leben über die Theilung des Gutes Selchow unter die Lehns-
und Allodialerben (90 235 ff.).
Im Jahre 1622 wurde Christian Bardeleben altstädtischer
Schöppe, von 1627 bis 1630 amtirte er daneben als alt-
städtischer Richter,1) bis er im November 1630 starb. Seine
Gattin war Magdalena v. Steinbeck (78 436). Ein Hans von
Bardeleben findet sich 1635 in der Altstadt Brandenburg.2)
Caspar Düring, vom Altstädter Rath 1622 als „wohlge-
lehrt und unseres Mittels Verwandter44 bezeichnet,3) folgte 1623
auf Christian Bardeleben im Amte des Schöppenschreibers der
Altstadt. 4) Ob er aus Brandenburg stammte und mit seinem
Vorgänger Michael Düring verwandt war, ist nicht bekannt.
l) R. 21 N. 9 c, io» StA.
*) Cod. A 3 AA. f. 205. Ausführliche Nachrichten über die v. B. in
genealogia Koenigiana (Handschr.- Samml. der Kgl. Bibl. zu Berlin).
•) Doc. II. A. 293 RA.
4) Schrift und Name ergiebt sich aus dem in der Brandenburger
Schöppenstuhlsbibliothek aufbewahrten Altstädter Gerichtsbuch. Hier hat
er 1635 als Richter beim Antritt des Amtes Folgendes eingetragen:
Eu<p7);xta.
Sim, faxit Dominus, judex felizque piusque
Et possim quosvis jure juvare pios,
Hoc faciens faciet summique rector Olympi
Quod cupio, atque animae prodente aeque meae:
Hoc voveo votum, jubeat Deus esse ratumque,
Atque mihi faustum, fazit id ipse deus.
Anno 1635
Casparus Duringk
p.t. judex.
Diese wohl von Düring selbst herrührenden Verse ergeben, dass er
humanistisch gebildet war.
112 2- Buch. Personal, i. Abschnitt. Schöppenschreiber.
Dessen Sohn war er jedenfalls nicht. l) Ausser Michael Düring
studirten um jene Zeit mehrere andere gleichen Familiennamens
aus Brandenburg, so Johannes D. 1596 und Joachimus D. 1599
in Wittenberg und 1626 Joachimus D. in Frankfurt. Ein Cas-
parus Düring aus Posen (Posnaniensis Polonus) studirte 1619 in
Frankfurt; er könnte mit unserem Schöppenschreiber identisch
sein. Ueber ihn ist sonst weiter nichts bekannt, als dass er
bis 1631 im Schöppenstuhl als Schreiber wirkte, dass seine
Schrift im Altstädtischen Rathsbuch über Hauskäufe und
Erbgelder in den Jahren 1622, 1625, 1634, 1635 und 1637
vorübergehend erscheint2), und dass er 1638 als Stadtrichter
daselbst vom Rathe das ruinirte Haus eines Seifensieders für
20 Thaler kaufte. Er war als Nachfolger Bardelebens, der
jedenfalls 1627 bereits im Rathe sass und Richter war, ver-
muthlich zuerst Stadtschreiber und sodann Syndicus; seit
1632 ist er aus den Schöppenstuhlsakten verschwunden
kommt aber in anderen Akten noch 1633 als Notar3) vor.
Als Schöppenschreiber erscheint an Dürings Statt bald
danach der Neustädter Schreiber Moritz. In den Jahren
I635, 1636 und 1637 konzipirt er für beide Städte, soweit
nicht die Schoppen selbst thätig sind. Er registrirt auch
in den Schöppenstuhlsacten auf der Rückseite der Rechts-
fragen die Sachrubrik, eine Thätigkeit, die sonst durchweg
vom Altstädter Schreiber ausgeht. Ebenso bezeugt er häufig,
dass der Spruch abgegangen sei.4). Der Zustand der Akten
dieser Zeit macht demnach den Eindruck, als seien seit
[631 unter des neustädter Schöppenschreibers Aufsicht die
Akten beider Städte auf dem Schöppenhause verwahrt wor-
den; anscheinend war die Stelle des altstädter Schöppen-
schreibers unbesetzt. Die Wirren des Krieges waren um
l) Michael During hatte 1618 nur einen Sohn mit Namen Johann
(Leichenpredigt der Catharina Zieritz, Ehefrau des Michael Düring, 1618,
Archiv der St. Paulikirche zu Brandenburg S.P. 7).
s) AA. Cod. A. 2 fol. 14. 17. 23. 190. 220.
8) Amtsgerichtsakten VII A. 26. Ob der im Jahre 1664 als Notarius
publicus und Secretarius des Domkapitels zu Brandenburg genannte Cas-
parus DQringius (Akten M. 1 f. 55 RA.) mit ihm identisch ist, muss dahin-
gestellt bleiben.
•) Z.B. 74 218; 75 433; 76 233.
$ 4' Altstädtische Schöppenschreiber. J 13
diese Zeit besonders gross. Schon 1627 schreibt ausweislich
des Altstädter Gerichtsbuchs der Richter Christian v. Barde-
leben, jeder habe bei der grossen Unruhe mit der hoch-
schädlichen Einquartirung und den schweren Kontributionen
so viel zu schaffen, dass die Einnahmen bei Gericht gar
schlecht gewesen seien; im Ganzen sind dort 1627 nur 19 gr.
eingegangen, während 1614 17 fl. 7 g. vereinnahmt waren. Bis
1630 blieb Bardeleben Richter, hatte aber nach 1627 über-
haupt keine Einnahmen zu verzeichnen; 1631 und 1632 notirt
der Richter wenige Einnahmen; aber 1633 unc* x^34 finden
sich wieder keine Eintragungen, ebenso innerhalb des langen
Zeitraums von 1636 bis 1647, so dass der damalige Stillstand
der Justiz in Brandenburg ein ebensolcher wie anderwärts
gewesen war. Auch am Schöppenstuhl wird der Krieg nicht
spurlos vorübergegangen sein. Es bereitete sich anscheinend
die Periode vor, in der, wie sich zeigen wird, nur ein
Schöppenschreiber existirte. l)
Von 1638 bis 1641 ist Johannes Ortelius altstädter
Schöppenschreiber. Er war zugleich altstädtischer Syndikus
und Notar,2) im Jahre 1641 altstädtischer Bürgermeister. Der
Berliner Hausvoigt, der sich in einer Schöppensache an ihn
wendet, nennt ihn dabei wohlgelahrt (77 128). Das Jahr 1642
weist nur eine (von Zieritz und Weitzke bearbeitete) Sache
auf. Ortelius hat, wie schon die Form seines Namens er-
1) Moritz bezeichnet sich einmal (74 312) als protonotarius. Vielleicht
wollte er dadurch andeuten« dass ihm nur Unterschreiber zur Seite standen.
Indessen durfte er den Ausdruck vom Kammergericht entlehnt haben,
und dieses hatte bekanntlich damals selbst zwei Protonotare. Uebrigens
heben sich Theile der Akten des Jahres 1633 (75 !49 — 25%) nicht nur durch
auffallend stark beschädigtes Papier, sondern auch dadurch ab, dass die
Spruchkonzepte fast durchweg eine sonst nicht bekannte Hand aufweisen,
von der auch Registratur vermerke herrühren. Hier scheinen noch spe-
ciell altstädter Akten vorzuliegen. Ist dies richtig, so dürfte damals der
aus Kulmbach gebürtige und 1634 (75 417) als Syndicus der Altstadt
erwähnte Friedrich Blechschmidt, der früher Bürgermeister und Syndicus zu
Berlin war und 1635 den Eid als Kammergerichtsadvokat leistete (Meinar-
dus, Protocolle und Relationen des Brdb. Geh. Raths I, 645), das Amt des
altstädtischen Schöppenschr eibers vorübergehend bekleidet haben (vgl.
ÜB. 2 674 Anm. 2 und 678 Anm. 4).
2) Cod. A. 2 fol. 78 AA.
Stölzel, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 8
114 2' Buch. Personal, i. Abschnitt. Schöppenschreiber.
kennen lässt, studirt; 1612 wurde in Frankfurt Joannes Orte-
lius Styrius immatrikulirt. Erst 26 Jahre später taucht sein
Namensvetter in Brandenburg auf. Die Identität dürfte un-
wahrscheinlich sein, ist aber nicht ausgeschlossen.
An Ortelius' Stelle übernahm 1643 Ludovicus Saxonius
(oder Saxo), nachdem er von 1634 an Amtsschreiber in
Ziesar (als Nachfolger des zum Hausvoigt in Berlin beför-
derten Georg Reichnow) gewesen, das Amt des Schöppen-
schreibers der Altstadt; 1646 wird er als altstädtischer Syn-
dikus erwähnt.1) Es ist anzunehmen, dass er 1643 auch in
dieses Amt an Ortelius' Stelle eingerückt war. Seit 1648
votirte er als Schöppe (78 35). Woher er stammt, ist un-
sicher; ein Mag. Carolus Sachse ist 16 16 Prediger in Berlin,*2)
Johannes Saxo aus Krossen studirt 1624 in Frankfurt. Die
aus dem Jahre 1649 vorhandenen Sprüche sind durchweg von
dem neustädter Schoppen Schwarz konzipirt; Akten von
1650 fehlen; 1651 beginnen Caspar Junius' Konzepte; 1650
bis 1664 kommt Saxo als altstädtischer Bürgermeister vor.3)
Mit Saxo hört die Reihe der alt städtischen Schöppen-
schreiber auf: es gab seit dem westfälischen Frieden, vielleicht
schon seit einigen Jahren vorher nicht mehr zwei Schöppen-
schreiber des Schöppenstuhls, sondern eine Zeit lang nur
einen; von 1648 an aber fehlte auch dieser; es versahen die
jüngsten Schoppen beider Städte das Amt des Schöppen-
schreibers, 4) bis man dazu überging, statt eines altstädter
oder neustädter Schöppenschreibers den einheitlichen „secre-
tarius scabinatus" zu schaffen.5)
1) R. 21 nr. 9h Brdb. Altstadt. StA.
2) Leichenpr. auf der Kgl. Bibl. zu Berlin.
3) Akten K. 9 RA. Stadtrechnung Cod. A. 35 RA. Auch Schöppen-
stuhlsakten 79 294.
4) Saxo fertigt 1652 (78 307) eine Spruchreinschrift an. Die vier
Sachen aus dem Jahre 1662 hat der neustädter Schöppe Schwarz in den
Konzepten bearbeitet. Auch der altstädter Schöppe Junius fertigt nach
1650 Spruchentwurfe auf Grund der schriftlichen Vota der Kollegen an.
*) Der Erwähnung bedarf noch, dass die Schöppenstuhlsakten mehr-
fache Spuren von Gehülfen oder Substituten der Schöppenschreiber auf-
weisen: 1566 (10 207 ff. 286. 378), 1567 (11 8. 55), 1568 (11 467) entwirft ein
Peter Zimmermann statt des Schöppenschreibers Sprüche; seine Schrift
kommt noch mehr vor, auch in Spruchausfertigungen (1585: 25 575. 590;
§ 5» Neustädtische Schöppenschrelber. H5
§5.
Neustädtische Schöppenschreiber.
Laut des neustädtischen Schöppenbuchs von 1 297 ff. be-
zeugen 1330 Schultheis und Schoppen, dass ihrem „rector
scolarium et scriptor" ein Zins überwiesen sei; 1386 und
1407 l) ist dominus Johann Golwicz,2) also ein Geistlicher,
neustädtischer Stadtschreiber, 1455 ist es Er3) Johann
Gruningk. Der rector scholarium fungirt in der Neustadt
Brandenburg zugleich als capellanus oder altarista der
Katharinenkirche; sein Gehalt kann er darum durch Ueber-
tragung von Altarlehen empfangen, deren Patron der Rath
der Stadt ist.4) In der Person des Geistlichen vereinigt sich
demnach auch in der Neustadt Brandenburg das Amt des
Schulmeisters und des Stadtschreibers während des vierzehn-
ten und fünfzehnten Jahrhunderts. Eine im neustädtischen
Schöppenbuche von 1492 ff.5) eingetragene Vergleichsurkunde
von i486 nennt Petrus Teidener als Stadtschreiber; der-
selbe Petrus Teidener unterzeichnet 1505 ein Schreiben nach
Zerbst als „Richter zu Brandenburg";6) dies ist unverkenn-
bar die nämliche Persönlichkeit, die Riedel (1, 9 255) in dem
Abdrucke einer markgräflichen Entscheidung über einen
Streit des Rathes und der Bürger der Neustadt Brandenburg
von 1502 unter den markgräflichen Räthen7) als „unseren
26 427; 1586: 27 129. 61 u. a. O.); ähnlich ist 1632 ein Georg Wiggert
thätig (74 4). In Stadtrechnungen wird von einem Substituten des Stadt-
schreibers gesprochen.
') Jahresber. des hist. Vereins zu Brandenburg I bis III S. 57.
a) Nicolaus Golwiz sitzt 1376 im Neustädter Käthe ; s. Sello, Branden-
burger Stadtrechtsquellen S. 60 nach dem neustädter Schöppenbuch von
1 297 ff. fol. 3.
*) Siehe Stölzel, Brd.-Pr. Rechtsverwaltung 1, 7.
4) Sello a. a. O. S. 15. Rasmus, Gesch. des alt- u. neust. Gymn. zu
Brandenburg, I. Das neust. Lyceum (Programm beilage 68. 1897) S. 10.
4) Siehe oben Seite 33.
8) Zerbster Stadtarchiv. Die Neustadt hatte damals zwei Richter,
einen markgräflichen, der das Niedergericht inne hatte, bis es 1565 an die
Stadt Oberging, und einen vom Rathe bestellten obersten Richter. Letzterer
war Teidener; mit dem Niedergericht war die Familie Rauch beliehen.
7) Nach Priebatsch in den Forschungen zur Brandenburger Gesch.
12, 2 S. 20 verwandte der Markgraf mehrfach Teidener in Geschäften.
8*
11(> 2. Buch. Personal, i. Abschnitt. Schöppenschreiber.
obersten Richter Peter Tydeken" bezeichnet.1) Der Stadt-
schreiber Teidener war also zwischen i486 und 1502 Richter
der Neustadt geworden, ein Vorgang, der später mehrfache
Nachahmung fand, indem die Stadt der nämlichen Persönlich-
keit erst das Stadtschreiber- und Schöppenschreiberamt, nach-
her aber das Richteramt übertrug. Teidener versah des-
halb 1502 und T505 das Stadtschreiberamt nicht mehr und
das Richteramt allein. Das Schreiben von 1505, das einen
Erbstreit mit Teideners Schwiegersohn gelegentlich dessen
zweiter Verheirathung betrifft, dient zur Bestätigung; es er-
wähnt „den frommen Priester, den Stadtschreiber in der
Neustadt, der den (Eheberedungs-) Rezess gemacht hat", als
Zeugen. Demnach konnte 1505 Teidener nicht selbst mehr
Stadtschreiber sein; er muss nach i486 und vor 1502 einen
Nachfolger erhalten haben. Dass er diesen Nachfolger als
einen frommen Priester bezeichnet, spricht dafür, dass Teidener
selbst nicht Priester war; ebenso spricht dafür seine Er-
nennung zum obersten Richter. So erhellt, dass keineswegs
ständig die Stadtschreiber damals aus den Geistlichen ge-
wählt wurden. Petrus Teidener besass 1488 ein dem Rathe
für 12 Schock verpfändetes Haus in der Neustadt.2) Ob er
mit einem der 1467 genannten neustädter Bäcker Benedictus
Ty den oder Hans Tydeke 3) zusammenhängt, muss dahinge-
stellt bleiben. In den durchgesehenen Universitätsmatrikeln
kommt Peter Teidener ebensowenig vor, wie der neben ihm
(1505) genannte niedere Richter der Neustadt Brandenburg
Andreas Rock.4) „Er Pawel Brandenburg" wird 1493 als Be-
sitzer eines „zu seinem Altar in der Schopencapelle" gehörigen
Kapitals von 25 fl. genannt5) und „Er Thomas Schulte1* 1494
als Gläubiger eines nzur andern Portion des Altars der
*) Der nämliche Abdruck macht aus dem bekannten Rathe des Kurf.
Sebastian Stublinger (dem späteren Kanzler; Stölzel, Rechtsverw. 1, 120 ff.)
fehlerhaft den Rath Sebastian Stubemeyer.
2) Neust. Schöppenbuch 1492 ff. fol. 5.
*) Riedel 1, 9, 198.
*) Riedel 1,9,255.
*) Neust. Schöppenbuch von 1492 ff. fol. 8. Daselbst fol. 20 erhellt,
dass die Schuhmacher von den Schoppen 6 Schock wiederkäuflich hatten
und jährlich davon 1 Pfund als Rente gaben.
§ 5« Neustädtische Schöppenschreiber. \n
Elenden in der Schepencapelle" gehörigen Kapitals von 6
Schock Groschen, welches Kapital 1522 zu „Em Gregorii
Altar, des alten Stadtschrivers, gehört**; demnach mag einer
dieser Altaristen der von Teidener zum Zeugen angerufene
fromme Priester und Stadtschreiber der Neustadt gewesen sein.
Zugleich ist hieraus ersichtlich, dass es bereits in vorrefor-
matorischer Zeit zwei Stadtschreiber der Neustadt gab. Jeder
dieser Stadtschreiber bezog die Einkünfte eines der beiden
Altäre der Schöppenkapelle,1) scheint also Altarist gewesen
zu sein. In der Neustadt hiess der eine Altar der Schöppen-
kapelle Altar der Elenden, der andere hiess ursprünglich
Altar der drei Könige, später zu Ehren Papst Gregors XII.
Gregoriusaltar;2) letzterer war der Altar des „alten Stadt-
schreibers*4, mithin stand der andere -- wahrscheinlich weniger
reich dotirte — Altar dem „jungen Stadtschreiber14 zu. Das
lässt auf einen ersten, besser besoldeten und auf einen
zweiten, weniger gut besoldeten Stadtschreiber schliessen. Zu
den Emolumenten des ersten Stadtschreibers gehörten die
Gebühren der Schöppenschreiberei, d. h. die Gebühren, die
für die Schreibarbeit beim Schöppenstuhl, aber auch die
Gebühren, die für die Schreibarbeit beim Stadtgericht er-
wuchsen. Das Schöppenschreiberamt war eine einträgliche
und zugleich ehrenvolle Zugabe zum Amte des Stadtschreibers;
deshalb fiel es dem ersten und ältesten Stadtschreiber zu.
Das schloss nicht aus, dass in Verhinderungsfällen der zweite
Stadtschreiber für den ersten als Schöppenschreiber eintrat.3)
>) Im Jahre 1550 errichtete der Rath dem verstorbenen Söhnchen des
Kanzlers Weinlob in der Schöppenkapelle ein Epitaph. Rasmus, neust.
Lyceum (Programm 1897) S. 12.
2) Statt „Em Gregorii Altar" kommt 1407 im Stadtbuch der Neustadt
von 1386 fr „Beati Gregorii altare* vor (fol. 6). Siehe Mark. Forschungen
Bd. 18 S. 102. Gregor XII. starb 1406, deshalb heisst er „beatus Gr." im
Jahre 1407. Sollte die Bezeichnung „Ern Gregorii" nur für einen noch
lebenden Papst üblich sein, so erklärt sich diese Bezeichnung im vorhin
erwähnten Eintrag von 1522 wohl dadurch, dass die Verschreibung, auf
die jener Eintrag unter Wiederholung ihrer Worte Bezug nimmt, aus der
Zeit vor 1406 datirt. Im Stadtbuch der Neustadt wird 1434 altare scabi-
norum, ferner wird darin die Schöppenkapelle erwähnt (Mark. Forsch.
Bd. 18 S. 86); die letztere desgl. 1541 bei Riedel 1, 6, 286.
*) Darauf deutet 161 3 eine Notiz des Schöppenschreibers Weitzke
Hg 2. Buch. Personal, i. Abschnitt. Schöppenschreiber.
Einige Zeit nach dem „frommen Priester41 des Jahres
1505 (und zwar für die Jahre 1518 bis 1522) ist Nicolaus
Plawe neustädtischer Schöppenschreiber,1) der 151 7 und
1521 zugleich als Neustädtischer Stadtschreiber vorkommt.2)
Das Neustädter Schöppenbuch ergiebt, dass er 1522 sein
Schöppenschreiberamt aufgab, seine Hand erscheint aber
1524 bis 1536 (1 56. 268. 325. 342. 582. 627; 2 189) in den
Schöppenstuhlsakten und 1526, 1528, 1538 im altstädter Raths-
buche,3) er mag also in den Rath der Altstadt und unter die
altstädter Schoppen übergetreten sein. Seine Familie wird
aus Rathenow stammen; wenigstens nennt 1548 und 1581
die Frankfurter Matrikel zwei dorther stammende Studiosen
des Namens Plaue.4)
Für die Jahre 1529 bis 1539 war vermuthlich Bartholo-
meus Pletz aus Bernau neustädtischer Schöppenschreiber;5)
er ist 1506 in Frankfurt immatrikulirt und fungirte 1526 als
„Caminensis dioeceseos presbiter, publicus sacra apostolica
autoritate notarius44 in Prenzlau (ÜB. 1 64), gehörte also zu
den dort thätig gewesenen Notaren, von denen berichtet wird,
dass sie (1526) Priester seien und früher Stadtschreiber
waren, der eine „auch etliche Jahre Schulmeister und lange
Jahre ein predicator".6)
(6a 589) hin: „A J. G. in mundum relatum". Das bedeutet, der Spruch,
unter dem diese Notiz sich befindet, sei von Johann Garlipp (dem damaligen
zweiten neustädt. Stadtschreiber) und nicht vom neustädt. Schöppenschreiber
mundirt.
1) Cod. N. 3 RA.
2) Zerbster Archiv II. 246. 270.
3) Cod. A. 1 AA. fol. 194. 199. 201. 231. 330.
*) Im Jahre 1553 legt ein Nie. PI. wegen des Raths zu Rathenow dem
altst. brdb. Rathe eine Summe ab. RA. Doc. II A 14.
*) RA. N. 3; AA. Cod. N. 1. Schöppenstuhlsakten 1 255. 256. 260.
6) l 255. 256. 260 vergl. mit N. 3 RA., Cod. N. 1. AA. Von Pletz
rührt ein auf RA. Doc. I A. 98 aufgeklebtes Blatt folgenden Wortlauts her:
Anno etc. txxi0 donnerstags nach quasimodogeniti haben sich die
herren scheppen dieser Neuenstadt Brandenburg irer maltzeiten, so
sie drey mahl zusammen alle jerlich thun, einmuttiglichen vereiniget und
vertragen, also das sie stets hinfur und nach dato dieser Vereinigung, nera-
lich ufm donnerstag nach quasimodogeniti, ufn donnerstag nach der gemein
wochen und ufn donnerstags nach der oetaven trium regum ire maltzeiten
§ 5» Neustädtische Schöppenschreiber. ] 1 9
Die Neustadt Brandenburg hatte also gleich der Altstadt bis
zur Reformation vorzugsweise Kleriker als Schöppenschreiber
und darunter bereits in den ersten Dezennien des sechzehnten
Jahrhunderts solche, die akademisch gebildet waren.
Pletz' Nachfolger, dessen Hand von 1540 bis 1548 in den
Raths- und Gerichtsbüchern erscheint,1) wird 1548 in einem
auf dem neustädter Rathhause vor zwei Bürgermeistern, dem
Mühlenherrn, zwei Bauherrn und den zwei Stadtschreibern
Johann Schleswig und Martin Baitz geschlossenen Vertrage
genannt.2) Johann Schleswig war hiernach der erste Stadt-
schreiber, mithin zugleich der Schöppenschreiber. Er stammte
aus Halle und studirte seit 1522 in Wittenberg, war also.
wie anzunehmen ist, zum Lutherthum übergetreten.3)
Zu der nämlichen Zeit, als Roter das Schöppenschreiber-
arat und dann das Schoppen- wie das Bürgermeisteramt der
Altstadt zu besonderem Ansehen brachte, fiel in der Neu-
stadt eine gleiche Aufgabe Simon Carpzow zu, dem Stamm-
vater des berühmten Juristen- und Theologengeschlechts, das
in Sachsen sich seinThätigkeitsfeld schuf und im Enkel unseres
Simon Carpzow, Benedict Carpzow dem jüngeren, seinen be-
kanntesten Vertreter fand.4)
thun und halten wollen. Were auch der richter aus Ursachen ver-
hindert oder sonst das gericht nicht halten konde, szol gleiche
woll uf obbestimpte donnerstage die ausrichtunge der maltzeiten,
wehm das in der Ordnung zustehet, mit vier gerichten, wie von alther mit
kefse und butter zu beschleifsen, bestellet und befordert werden. Darzu
sollen der scheppenschreiber und der scheppendiener sampt iren haus-
frauen neben dem uberkoster allein gefordert und gebeten werden etc.
Actum et supra.
!) Cod. N. 1 AA. fol. 12. 13. 17. 18. 20. 24. 25. 28. 29.
2) Die Urkunde (Cod. N. 1 AA. fol. 27) sagt: vor „Johan Schleswig
und Martin Baitz Stadschreibere". Damit sind die beiden neustädt. Stadt-
schreiber gemeint. Dass es damals in der Neustadt zwei St. gab, beweisen
die von zwei verschiedenen Händen herrührenden Schreiben der Neustadt nach
Zerbst (s. Zerbster Stadtarchiv), sowie die Eintragungen in den Rathsbüchern.
3) Als Verfasser einer Supplik im Namen einiger Rathsherrn gegen
den evangelischen Prediger Erasmus Alber (I542) wird er erwähnt bei Ge-
bauer, die Einführung der Reformation in Alt- und Neustadt Brandenburg,
Forschungen zur Br.Pr. Gesch. 13, 2. Hälfte S. 130.
4) Siehe die von Benedict dem älteren, dem Sohn Simons, mit dem
Jahre 1565 beginnende Stammtafel bei Stintzing, Gesch. der RW. 1 723.
120 2- Buch. Personal, i. Abschnitt. Schöppcnschreiber.
Simon Carpzow war ein Brandenburger; als solcher ist
er 1541 in Frankfurt immatrikulirt. Seine Familie mag aus
dem Dorfe Carpzow bei Potsdam stammen. In einem
Streite um das Dorf Schmölln bei Brandenburg werden die
von Carpzow bereits 1390 erwähnt.1) Riedels Namensregister
zum codex diplomaticus verzeichnet zahlreiche Mitglieder
einer Familie von Carpzow aus der Zeit von 1272 bis 1434.
Von 1546 an findet sich Simon Carpzows Hand in den
Brandenburger Rathsprotokollen; aus den Jahren 1553 und
1557 sind Belege seiner Thätigkeit als Notar vorhanden;2)
1 560 wirkt er mit als „von wegen des Bischofs von Branden-
burg Geschickter14 bei einem Erbstreit, der in Ketzin (einer
dem Bisthum gehörigen3) Stadt bei Potsdam) spielt (8 183).
Stadt- und Schöppenschreiber der Neustadt Brandenburg ist
er von 15504) bis 1559; dann wird er als des damals ver-
storbenen Schoppen und Bürgermeisters Bester Nachfolger
Schöppe und 1561 Bürgermeister; in dieser Stellung blieb er
bis zu seinem 1581 erfolgten Tode (22 374. 455). Seit 1576
war er Senior der neustadter Schoppen. Er besass von
seinem Vater her einen Garten mit Scheune vor dem Stein-
thor und einen Weinberg zu Creutzewitz 5) (dem j[ heutigen
Klein-Kreuz bei Brandenburg). Sein Wohnhaus mit stattlichem
Giebel lag in der Steinstrasse und steht, in hässlicher Weise
umgebaut, heute noch. Die Thüreinfassung aus Sandstein, die
schön gemeisselt sein und seiner Frau Wappen, sowie beider
Namen trägt und auf beiden Seiten eine Sitzbank hat, wurde
beim Umbau von ihrem Platze entfernt und in die Thür der
Gemeindeschule am altstädtischen Stadtgarten eingesetzt, an
der Stelle, wo sich in alter Zeit der Bischofshof und später
*) Kuhns, Ger. Verf. der Mark Brandenburg 1 210.
2) Simon Carpzow, offener Notar, und der Amtsschreiber des Amt-
mannes von Lehnin vernehmen in Wachow bei Brandenburg einen vom
Schulzen des Amtmannes verhafteten Dieb (6 378).
3) Riedel I, 7. 466 ff.
4) Ein Fall des Jahres 155 1 (4 145 bis 148) zeigt Carpzow im Anfange
seiner Schöppenschreiberthätigkeit; Carpzow ist damals noch so ungeübt,
dass drei Konzepte von ihm in derselben Sache vorliegen, die ersten beiden
durchkorrigirt vom Schoppen Bester.
*) Stadtbuch N. 1 fol. 36. 37. 50 AA.
§ 5' Neustädtische Schöppenschreiber. 121
die Saldrische Schule bis zu ihrer Verlegung in das Johannis-
kloster befand. Wenn sein Enkel den traurigen Ruf eines in
Hexenprozessen besonders eifrigen und strengen Richters mit
in's Grab nahm, so darf ihm, dem Gross vater, ein ehrenvollerer
Nachruhm werden : alsbald im Beginne seines Schöppenamtes
(!559: 7 437) ^am e*ne Zaubereisache aus Gransee beim
Schöppenstuhl zur Aburtheilung; der von Roter, dem damali-
gen altstädter Schöppenschreiber, nach dem Beschlüsse der alt-
städter Schoppen entworfene Spruch lautete auf den Feuer-
tod beider Angeklagten; Carpzow, dem die Sache zuging,
votirte für Freisprechung derjenigen Angeklagten, deren
Verbrechen darin bestand, dass sie als Schankwirthin, um
Zulauf zu bekommen, eine unterm Galgen gefundene Daubel
des Rades in's Bier gehängt hatte; denn — so schrieb der
hiernach für jene Zeiten sehr aufgeklärte „vir excellentis
doctrinae et judicii, studiosorum fautorul) in die Akten —
„ist eine superstitio, die ad forum poenitentiae gehört44.
Carpzows ältester Sohn Joachim wird (1581) „ein erfahrner
Ackermann44 genannt (22 455). Der Sohn Benedikt, der
spätere Frankfurter und Wittenberger Romanist, auch Dresdner
Appellationsrath und Kanzler der Kurfürstin Wittwe in Kol-
ditz (1565 bis 1624), stand in Brandenburg unter Vormund-
schaft des nächsten Kollegen seines Vaters, des neustädtischen
Stadtschreibers, Schoppen und Richters Joachim Buchholz.2)
Simon Carpzow gehört mit Simon Roter zu den thätigsten
und einflussreichsten Persönlichkeiten im Schöppenstuhle.
Carpzows Nachfolger, Johann Mawe, war der Sohn
eines Kaufmanns in Aschersleben. Er hat in Wittenberg und
auf anderen Universitäten studirt.3) Von 1559 bis 1566 neu-
städtischer Stadt- und Schöppenschreiber,4) fungirte er gleich-
zeitig (1560) als Notar.5) Nachdem er 1564 ein Haus in
*) Gottschling, Beschr. der Stadt Brandenburg1 S. 72.
2) Doc. N. 2. 159 RA.
•) Leichenpr. der Witwe Zabel A. 2 Nr. 113 in der Bibliothek der
Brdb. Gotthardkirche. Joa. Mawe de Prenzlo (vielleicht der Vater) ist 15 19
in Frankfurt immatrikulirt.
4) Rathsbuch Nr. 1. 2 AA.
°) Er nimmt (8 90) als solcher das Protokoll in einer vor den neu-
städtischen BM. Lewe und Vilitz stattfindenden Diebstahlsuntersuchung; auf.
]'22 2. Buch. Personal, i. Abschnitt. Schöppenschreiber.
Brandenburg gekauft hatte,1) finden wir ihn 1566 als Schop-
pen, 1568 als Ratsherrn2) und 1571 als Bürgermeister. Er
starb im Februar 1572. Der Schöppe Michael Nickel war
sein Schwiegersohn.
Sein Nachfolger als Schöppenschreiber war (1566 bis 1575)
Joachim Heinatz. Dieser scheint aus Ky ritz zu stammen; er
wurde 1557 in Frankfurt immatrikulirt;3) ein auf seine Ver-
heirathung mit der Tochter des Bürgermeister Scholle 1568 in
Wittenberg gedrucktes Gedicht bezeugt, dass er „duce Gode-
schalce sacros liquores geschöpft hatu. Dasselbe Gedicht
nennt ihn „Syndikus", obwohl er in seiner Bestallungsur-
kunde „Stadtschreiber" heisst. Im Jahre 1570 nahm er des
Bürgermeisters und Schoppen Mawe Schwester zur zweiten
Frau. Neben dem Schöppenschreiberamt versah er (1577) das
Notariat, das neustädtische Syndikat und das neustädtische
Richteramt. Diese Aemter nahmen ihn so in Anspruch, dass
er sich als Notar einen eigenen Schreiber hielt, der mit des
Prinzipals Unterschrift und dessen Notariatssiegel in einem
Instrument bezeugt, was dem Notar vor Zeugen erklärt wor-
den ist (15 27). Er starb 1577.4) Als im Jahre 1573 Haupt-
mann, Richter und Schoppen zu Spandau eine Rechtsbeleh-
rung in Brandenburg in einer Prozesssache erbitten, stellen
sie den Antrag, 5) Heinatz, den „Mitverwandten der Branden-
burger Schoppen, in judicando in dieser Sache abzusondern
und das Urtheil in seinem Abwesen zu konzipiren", weil er
„dem einen Part dient und setzt44 (d. h. als Anwalt Dienste
leistet und Schriftsätze verfertigt). Er ist demnach auch als
Anwalt thätig und war mindestens mit dem Jahre 1573 vom
1) Für 700 Gulden. Rathsb. N. 1 fol. 84 AA.
2) Rathsb. N. 2 57 b AA. Neust. Schöppenbuch Cod. N. 3.
3) Die Matrikel umschliesst in ihrem Abdruck Bd. 1 S. 146 die Namen
seiner beiden Nachmänner mit einer Klammer, hinter der bemerkt ist „Kri-
censes ex Marchia". Die Klammer wird aber den Vormann Joachimus Hey-
nacius mitumfassen müssen, da bei ihm sonst als Einzigen der dort namhaft
Gemachten die Bezeichnung des Herkunftsortes fehlt.
4) Vergl. 19 178. 179. Auch Gerichtsprot.-Buch N. 5 AA., Cod. N. 4.
AA., Cod. A. 5 fol. 65. 126. RA. Doc. N. II 95 RA., Rathsb. N. 2 AA. Cod.
N. 11 RA.
*) Decis. II, 221.
§ 5* Neustädtische Schöppenschreiber. ]*23
Schöppenschreiber Rathsherr und Schöppe geworden. Seine
Witwe heirathete den Bürgermeister und Schoppen Zabel, des
Heinatz Nachfolger im Schöppenamte. Auch als Heinatz vom
Schöppenschreiber zum Schoppen aufgestiegen war, entwarf
er noch für die Neustadt bis zu seinem Tode alle Sprüche
des Schöppenstuhls. Ein neuer Schöppenschreiber an seiner
Stelle erscheint erst nach seinem Tode. Diese Verbindung
vom Schöppenschreiber- und Schöppenamte mag auf Heinatz'
persönlichem Wunsche beruht haben: der zum Schoppen
aufgestiegene Schöppenschreiber setzte als jüngster Schöppe
bis zur Neuwahl eines Schöppenschreibers die bisherige
Schreiberthätigkeit fort, wie wir es für die spätere Zeit be-
reits in der Altstadt kennen gelernt haben und alsbald noch
weiter in der Neustadt kennen lernen werden.
Zwei Jahre lang währte die Vakanz, und zwar bis zu
Heinatz' Tode. Dann trat (1577: 19 181 ff.) als neustädtischer
Stadt- wie Schöppenschreiber Mag. Bartholomäus Boldicke
ein, 1567 in Wittenberg, dann 1571 in Frankfurt als magister
Barth. Boldich Brandenburgensis immatrikulirt ; er wird 1582
als Syndikus zum Schoppen erwählt. Gleichwohl fungirt er
noch weitere sechs Jahre neben dem altstädter Schöppen-
schreiber als neustädter Schöppenschreiber, ähnlich wie sein
Vorgänger. Zugleich wurde er Rathsmitglied und war als
solches (1588.. 1589) *) mit dem Richteramt betraut. Als
Schöppe kommt er 1597 zum letzten Male vor.2)
Dieselbe Verbindung zwischen Schöppenamt und Schöp-
penschreiberamt wiederholte sich, als Johann Floring (an-
scheinend aus Wittstock stammend),3) 1588 das Schöppen-
schreiberamt überkam. Er war mindestens seit 1602 Schöppe,
da er einem 1603 ernannten Schoppen (B. Zieritz) in der
!) Gerichtsprotokollbuch N. 5 AA.
*) Rathsbuch A. 1 a fol. 98 AA. In den Schöppenstuhlsakten zuletzt
1595: 40 343- 36o- 377-
8) Frkf. Matrikel 1547 (gleichzeitig mit Hieron. Schurpff) Christophorus
Floriugk Witzstochiensis, 1589 magister Henningus Flöring Wistochiensis,
acaderaiae notarius (später BM. in Wittstock, Leichen pr. v. 1661 auf der
Kgl. Bibl. zu Berlin). Henning Floring, wohl des Letzteren und vielleicht
auch des Brandenburger Joh. Floring Vater, war 1561 und 1569 Schöppe
in Wittstock. ÜB 1 391.
124 2- Buch. Personal, i. Abschnitt. Schöppenschreiber.
Unterzeichnung der Sprüche ständig vorgeht, er entwarf aber
bis in das Jahr 1602 hinein Spruchkonzepte.1) Nach seiner
in Strassburg verbrachten Studienzeit (1584: 71 480) wurde
er 15S8 Syndikus der Neustadt (71 86). Zwei Jahre darauf
heirathete er des neustädtischen Bürgermeisters und Schoppen
Michael Iden Tochter.2) Nach weiteren zwei Jahren gerieth er
mit dem Rathe in Streit, so dass er auf sein Rathsamt ver-
zichtete (81 1). Das Schöppenamt behielt er bis zu seinem
im Jahre 1624 erfolgten Tode; seit 161 2 war er Senior der
Neustädter (68 564). 3) In der Rechtsprechung legte er (161 9:
66 39) darauf Gewicht, dass er, wie seine Kollegen wüssten,
„draconicas sententias abhorrire". Dies bewies er (161 9:
ÜB 2 589) gelegentlich des bekannten Urteilsspruchs gegen
Tonnies Meilhan, den Ehemann der Grete Minte, welche beide
schuldig gesprochen wurden, 161 7 im Komplott den grossen
Brand von Tangermünde verursacht zu haben; er wandte
sich gegen den Beschluss, dem Manne „die fünf Finger abzu-
zwacken und ihn im Feuer zu schmoken", indem er bemerkte:
„ich wüsste niemals, dass solches erhört in diesen dreissig
Jahren oder vorher; nulla jura decernunt tyrannidem in
poenis". Auch bekämpfte er 1609 (57 52)* f6i6 (65 189),
162 1 (68 591) mehrfach, meist allerdings vergeblich, den
im Schoosse des Kollegiums gestellten Antrag, die Folterung
eines Angeschuldigten zu beschliessen, mit dem Gegenantrag,
zunächst den Versuch zu machen, ein gütliches Geständ-
niss zu erlangen, oder mit dem Gegenantrag, erst noch
weitere Untersuchung eintreten zu lassen, „da doch die con-
fessio, wofern der Gefangene in tortura etwas bekenne, per
evidentiam manifest a sein müsse, ne ad judicia Westphalicau
— damit sind die Fehmgerichte gemeint — „inquisitio post
executionem instituatur". Ebenso wollte er sich 1621 (68
526) auf Bedrohimg des Angeschuldigten mit den Folterwerk-
zeugen beschränken, während seine Kollegen Zieritz und
l) Besiegelte Spruchausfertigungen von seiner Hand: 1590 R. 49 N.
StA.. 1596 41359. Vergl. ausserdem 35 19 (1591).
*) Leichenpr. der Wittwe Iden, Berlin 1621, Archiv der Paulikirche
S.P. 11., Kgl. Bibl. zu Berlin Ee. 516.
8) Leichenpr. der Wittwe Iden.
§ 5« Neustädtische Schöppenschreiber. X25
Buchholtz „ad torturam schlössen, da mit der Territion wohl
nichts herauszubringen sei". Doch hielt ihn seine vermeint-
liche Milde nicht ab (1619: 66 31), für die Talion einzutreten
und sich in einer Kindsmordsache gegen seine Kollegen zu
wenden, die „poenam ordinariam suffocationis in aqua mutiren
wollten"; er meinte, das Kind habe einen schwerern Tod ge-
habt, da es im Schlamme habe ersticken müssen, als wenn
die Mutter ihm die Hand angelegt; dieselbe Strafe erleide
die Mutter, wenn man sie hinlege, wo das Kind umgekom-
men sei.
Floring hatte damals bereits Anlass, in einer anderen
Sache (1619: 66 725) seine „Ungelegenheit und Schwachheit"
zu beklagen, wollte aber noch thätig bleiben, indem er die
Hoffnung aussprach, „dass ihm gleichwohl die Kollegen das
Urtheil sehen lassen14.1)
Im Schöppenschreiberamte folgte ihm (1602 bis 161 2)
Karl Michael Vossbein, ein Verdener, der aus Helmstädt,2)
wo er entweder studirt hatte oder angestellt gewesen war,
nach Brandenburg kam. Er war Syndikus, also erster
Schreiber der Neustadt.
Für die Jahre 161 3, 161 4 ist nicht mehr Vossbeins
Schrift in den Akten nachweisbar, vielmehr die seines Ver-
treters, des zweiten neustädter Stadtschreibers. Dann tritt
der Stadtschreiber und Notar (65 424)3) Johannes Tornow
als neustädter Schöppenschreiber in Thätigkeit, der Schwie-
gersohn des altstädter Bürgermeisters Simon Roter und ein
Sohn des brandenburger Apothekers Franz Tornow, geb.
1579, auf der Schule in Hannover ausgebildet und bis 1599
wittenberger Studiosus der Rechte. Von Wittenberg rief
ihn damals sein Vater zurück, dem er in einem wichtigen
Prozesse Beistand leisten sollte. Seit April 161 2 war er
Stadtschreiber der Neustadt; bald darauf trat er als Syndi-
*) Nämlich beim Cirkuliren.
2) Die Bibl. der Gotthardtkirche zu Br. besitzt Pindari Olympia, Py-
thia, Nemea, Isthmia, Basel 1566, mit der Inschrift „Carolus Michael Vos-
beinius Verdensis Helmstadi". Ueber ihn Schöppenstuhlsakten 51 602; 57
614; 49 18 fT.; 60 62. 70. 72. 74. 98. 99. 104. 389.
3) 6182. 88. 269; 62 102. 234. 239; 63247. 814. 874.
126 *• Buch. Personal, i. Abschnitt. Schöppenschreiber.
kus an Vossbeins Stelle. Im Jahre 1619 wurde er neustädti-
scher Bürgermeister. Dass er Schöppe gewesen, ist nicht
aktenmässig nachweisbar, aber dem gewöhnlichen Gange
der Dinge nach wahrscheinlich; als 1624 Floring starb, mag
Tornow in den Schöppenstuhl eingerückt sein. Um im Auf-
trage der märkischen Städte beim Kurfürsten wegen der
1629 herrschenden Kriegsnoth Abhülfe zu suchen, reiste er
nach Preussen; auf der Rückkehr starb er (Nov. 1629). Sein
Kollege, Bürgermeister Zieritz, widmete ihm ein schwung-
volles lateinisches Trauergedicht, in welchem hervorgehoben
wird, dass er den Tod für das Vaterland gestorben sei.1)
Vom Kriege war Tornow schon einmal in Mitleidenschaft ge-
zogen; im Jahre 1627 hatten ihn zusammen mit Bürgermeister
Tieffenbach die Kaiserlichen vorübergehend gefangen ge-
nommen.2) Bis zum Jahre 1623, also noch vier Jahre, nach-
dem er Bürgermeister geworden, dehnt sich seine Thätigkeit
als Schöppenschreiber aus. Von 1624 an löst ihn anscheinend
Johann Karge ab, der seit 16 19 als neustädter Stadtschreiber
thätig gewesen war.
Der .neustädtische Schöppenschreiber, der 1624 allem An-
schein nach Tornows Nachfolger wird, ist Johann Karge, seit
16 19 als neustädtischer Stadtschreiber thätig. Damals trat
dadurch, dass der bisherige Syndikus Tornow Bürgermeister
wurde, ein Wechsel ein. Syndikus, also erster Stadtschreiber
wurde Johann Karge, zweiter Stadtschreiber Martin Schmidt.
Martin Schmidt war auch noch 1626 Stadtschreiber und kam
1626 in den Rath.
Die Amtszeit Karges als Schöppenschreiber reicht bis
1630 oder 1631. J. Karge entstammte einer Brandenburger
Bürgerfamilie; der 1605 verstorbene Rathsherr Johann Karge,
ein Verwandter der Familie Bardeleben,3) war sein Vater;
J) Leichenrede, Berlin 1630, Archiv der St. Paulikirche zu Branden-
burg, S.P. 11. Dass die Leichenrede nicht erwähnt, er sei Schöppe ge-
worden, würde mit Rücksicht darauf, dass die Leichenreden der Schoppen
Lucas Scholle und Joachim Tieffenbach deren Schöppeneigenschaft ebenfalls
unerwähnt lassen, auch hier nicht gegen die Schöppeneigenschaft sprechen.
*) Tagebuch des Garzäus S. 81.
3) Leichenpr. des Rathsverw. Joh. Karge, Wittenb. 1605, Samml. des
Grauen Klosters zu Berlin, 4°. VoL 34.
§ 5« Neustädtische Schöppenschreiber. l'J7
der Grossvater war Knochenhauer und sass ebenfalls im
Rathe. In jugendlichem Alter (als non juratus) ist Johann
Karge 1599 mit vielen anderen Brandenburgern (darunter
Lorenz Karge, Joachim Karge, Peter Weitzke und Joachim
Schale) in Wittenberg eingeschrieben.
Nach ihm erhielt 1632 Mag. Andreas Moritz, das
Schöppenschreiberamt; er versah es nach Obigem für beide
Städte. Als Sohn eines Pastors zu Neustadt-Eberswalde be-
suchte er bis in sein fünfzehntes Jahr die dortige Schule,
vollendete seine Schulbildung in Jüterbog, Berlin, Leipzig,
und nahm dann seinen Aufenthalt „einige Jahre" in der
Fremde (u. A. am Rhein, in Altenburg, Langensalza, Thü-
ringen, Nürnberg, Schneeberg). Hierauf studirte er in Strass-
burg, Jena und Altorf, promovirte 1609 zu Leipzig in ma-
gistrum philosophiae, absolvirte dort sein Studium juris und
praktizirte von 1611 an bei den Berliner judiciis inferioribus,
bis er 16 13 sich mit der verwitweten Tochter des neu-
städter Bürgermeisters Buchholtz in Brandenburg verheirathete
und 161 7 Mitglied des neustädter Rathes wurde.1)
Gleichzeitig mit dem Schöppenschreiberamt übernahm
er 1632 das Bürgermeisteramt und das Syndikat der Neu-
stadt. Im Jahre 1637 oder 1638 zum Schoppen erwählt,
hörte er auf, als Schöppenschreiber thätig zu sein, wurde
aber erst im März 1642 — weil er sich gegen die Schöp-
penthätigkeit sträubte — als Schöppe eingeführt („zum
Schoppen aufgeführt"); er hatte sich von diesem Amte
immer losmachen wollen, weil, wie er sagte, „durum sit, super
humanuni sanguinem judicare". In den Schöppenstuhlsakten
ist er Ende 1659 zum letzten Male thätig (79 148). Er starb
1661 als Senior des Schöppenstuhls. 2)
Von 1638 bis 1645 war Bartolomäus Schwarz, der
Schwager des Schoppen und Bürgermeisters der Neustadt
B. Zieritz, neustädtischer Schöppenschreiber. Ob er mit der
Familie des altsiädter Schoppen und Bürgermeisters Va-
1) Leichenpr. v. 1661 in der Samml. des Grauen Klosters zu Berlin,
Vol. 40. Tschirsch, Das Tagebuch des Garcäus S. 21 ff., Jahresber. des
hist. V. zu Br. 1894 S. 89.
2) S. die citirte Leichenpr.
128 2* Buch. Personal, i. Abschnitt. Schöppenschreiber.
lentin Schwarz zusammenhängt, und welches sein Bildungs-
gang war, Hess sich nicht feststellen. Da er Syndikus war, l)
gehörte er zu den rechtsgelehrten Juristen.
Nach dem Tode seines Schwagers wurde er 1644 als
dessen Nachfolger zum Schoppen gewählt2) und leistete, vom
Richter Nikolai und dem Bürgermeister Moritz „aufgeführt*1,
den Schöppeneid; als Schöppe fungirt er 1666 zuletzt in den
Akten (79 373). Bis dahin versieht er zugleich das neu-
städtische Schöppenschreiberamt weiter. Nach ihm giebt es
keine neustädtischen Schöppenschreiber mehr. Das Amt
erlischt mit dem Jahre 1645; es S^11 damals über auf den
jüngsten Schoppen, bis im Jahre 1671 die wesentliche
Neuerung eintritt, nach welcher aus den beiden Schöppen-
schreibern des Schöppenstuhls der secretarius scabinatus
wird. Thatsächlich war Schwarz ein erster solcher secreta-
rius scabinatus, seit im Jahre 1656 Kaspar Junius, seit 1650
altstädtischer Schöppe und zugleich Schöppenschreiber, als
kurf. Hof- und Landrichter nach Prenzlau ging.3)
Förmlich bestellt zum „secretarius scabinatus41 wurde zu-
erst Conrad Julius Berchelmann im Jahre 1663, ein Sohn
des 16 12 in Frankfurt immatrikulirten „Berlinensisu Johann
Berchelmann, späteren Berliner Rentmeisters, und dessen Ehe-
gattin Elisabeth Zieritz aus Brandenburg, einer Tochter des
dortigen Bürgermeisters Bernhard Zieritz.4) Im Todesjahre
seines Vaters (1655) hatte er die Universität bezogen. Am
9. Juni 1663 wurde er als secretarius beeidigt, bereits im No-
vember desselben Jahres aber zum Schoppen bestätigt;5)
1664, 1670 und 1672 fungirt er als altstädtischer Syndikus,
') Akten M. 1 fol 37 RA. (1645), Manuale Cod. N. 14 RA. (1647. 1648).
*) Decis. March. II, 103. Abschrift des vom Kanzler Pruckmann ge-
zeichneten Kurf. Konfirm. -Reskripts („zum Assessor unseres Schöppenstuhls zu
Br. konfirmirt, nachdem er von den Schoppen eligirt"), das. fol. 102. Vergl.
auch Meinard us, Protokolle etc. 3, 229.
*) Junius1 Leichenpr. Frkft. 1665, *m Besitz des Realgymn. zu Brdb.
4) Leichenpr. in der Bibl. der Brdb. Gotthardkirche A. 2 Nr. 113.
Collectio genealogica vol. IV in der Kgl. Bibl. zu Berlin unter „Andreas
Diddenu (Handschriftensammlung).
*) Schöppenbuch von 1692 ff. fol. 13.
§ 6. Secretaxii scabinatus. 129
1684, 1687 als altstädtischer Bürgermeister; er starb in nicht
hohem Alter 1695. l)
Als jüngster Schöppe versah er die Schöppenschreiber-
geschäfte neben dem Neustädter Schoppen B. Schwarz mitf
bis 1671 Joachim Conrad Heldt zum secretarius scabinatus
bestellt wurde. Es fungirten also intermistisch ein Schöppe
der Altstadt und ein Schöppe der Neustadt als Schöppen-
schreiber.
Das änderte sich mit Heldts Amtsantritt.
§6.
Secretarii scabinatus.
Zu den Folgen des dreissigjährigen Krieges gehörte in
Brandenburg der Uebergang des Schöppenschreiberamtes in
eine Hand, zugleich aber das Sinken der Bedeutung dieses
Amtes. Seit 1651 war der geringeren Arbeitslast ein
Schöppenschreiber vollauf gewachsen; das Einkommen der
Schöppenschreiberei hatte sich so gemindert, dass eine Thei-
lung desselben unter zwei Personen nur dahin hätte führen
können, den Posten des Schöppenschreibers zu einem wenig
begehrten zu machen.
Als nach der Ernennung Heldts, eines neustädter Be-
amten, zum secretarius scabinatus, die Altstädter fortfuhren,
ihre Spruchsachen in der Altstadt konzipiren und ausfertigen
zu lassen, erwirkte Heldt ein kurfürstliches Verbot. Die
altstädter Schoppen suchten zwar dem Kurfürsten darzu-
legen dass er von den scabinis nicht zum secretario in der
alten Stadt erwählt sei und deshalb zu Unrecht die Urtheile,
die nach altem Herkommen in der Altstadt verfertigt werden
müssten, an sich bringen wolle. Dass er vom Schöppen-
kolleg erwählt sei, konnten sie freilich nicht in Abrede
stellen. Der Kurfürst gab Heldt Recht, da er per majora
zum secretario des. Schöppenstuhls erwählt sei und ihm da-
her „nach altem Herkommen44 die Expedirung der Urtheile
gebühre.2)
*) Cod. A. 35 RA. Doc. A. II, 424. 431 RA., Cod. A. 37 und 36 RA.
Trauergedicht von Salpius 1695. SP. 2 des Archivs der Brdb. Paulikirche.
2) R. 21 No. 9C StA.
Stolz el, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. 1. 9
13Ö 2- Buch. Personal, i. Abschnitt. Schöppenschreiber.
Diese Entscheidung nahm ein solches Herkommen irriger-
weise an; denn ein Herkommen, das einen Schöppenschreiber
berechtigt hätte, alle Schreibergeschäfte des Schöppenstuhls
in sich zu vereinen, bestand nicht. Aber der kurfürstliche
Befehl schloss die endgiltige Feststellung der Einheit des
Schöppenschreiberamtes in sich. Die Brandenburger scheinen
darin eine Beeinträchtigung ihrer Rechte und wohl auch ein
Herunterdrücken des Schöppenschreiberamtes gefunden zu
haben; Heldt mag in den Augen der Schoppen reicht ge-
nügend vorgebildet gewesen sein. Er stammte aus Küstrin
und hatte zwar von 1659 ab in Frankfurt studirt, sass auch
1675 im Rathe, zog aber 1677 in den Krieg *) und verschwand
seitdem in Brandenburg.2) Zum Schöppenamte gelangte
Heldt also nicht. Nach seinem Weggang blieb anscheinend
die Stelle des Schöppenstuhlsekretars unbesetzt, bis sie im
Jahre 1680 Melchior Knüttel aus Bernburg erhielt, der
1664 in Frankfurt studirte und seit den 1670 er Jahren alt-
städtischer Syndikus3) war. Er so wenig wie Heldt und
wie einer der nachfolgenden Sekretare — mit alleiniger Aus-
nahme des Sekretars Steltzner — gelangte zum Schöppen-
amte; die Schoppen richteten nicht mehr ihre Schöppen-
wahl auf ihren Sekretär. Ja, obwohl der Kurfürst 1677 den
Sekretär Knüttel als zum Schoppen geeignet bezeichnete,
präsentirte der Schöppenstuhl 1677 den altstädtischen Bürger-
meister j. u. Lic. Didden zum Schoppen und erlangte dessen
Bestätigung; dabei bemerkte der Schöppenstuhl, zur Recht-
fertigung seines Verhaltens aufgefordert, dass das reformirte
jBekeantniss Knüttels nicht maassgebend gewesen sei; den
Eingriff* des Kurfürsten von 1671 vermieden die Schoppen als
Grund ihres Vorgehens zu bezeichnen.
Knüttel starb 1684 als Syndikus und Sekretär; sein
Nachfolger Melchior Junius, ein wohl mit Caspar Junius4)
werwandter Brandenburger, 1678 in Frankfurt immatrikulirt,
•versah bis 169t das Syndikat der Altstadt5) und das Sekre-
*) RA. Cod. ^. *6, 17. Cod. N. 19.
*) Von 1674—1687 sind keine Schöppenstuhlsakten vorhanden.
*) RA. Cod. A. 38. 1675. *) Siehe oben Seite 114.
*) RA. Qod. A 37,36.
§ 6. Secretarii scabinatus. 131
tariat des Schöppenstuhls, wurde aber gleichfalls nicht
Schöppe, ebensowenig der Sekretär Benedict Conrad
Pfreundt, ein Sohn des Schoppen Pfreundt; er bekleidete
nur zwei Jahre das Sekretariat (1691. 1692).
Dagegen gelangte der nächste Sekretär Johann Wolf-
gang Steltzner im Jahre 1707 zum Schöppenamte.1) Er
war in Brandenburg 1661 geboren und in Frankfurt (1681),
wie in Jena (1684) ausgebildet.2) Obwohl von ihm 1684 in
Jena eine Dissertation de coitu damnato erschien,3) führt er
nirgends den Licenciaten- oder Doktortitel. Als Sekretär
der Altstadt fertigt er 1691 (79 656) eine Missive der Alt-
stadt an den Schöppenstuhl aus. Im folgenden Jahre wird
er als secretarius des Schöppenstuhls vereidet, im Jahre 1707
als Schöppe.4) Weil eine schwere Krankheit ihn im Jahre
1722 fast gänzlich seines Augenlichtes beraubt hatte, ver-
einbarte er im Jahre 1725, dass ihn sein Kollege Oelschläger
bei der Abfassung der Urtheile vertreten solle. Das ge-
nehmigte der König.5) Die Folge war, dass Oelschläger
und der damalige dritte scabinus Giesecke 1731 und 1732
allein die Urtheile abfassten (z. B. 86 484). Am 9. Mai
17336) schloss Steltzner einen Vergleich mit Genehmigung
des Königs, durch welchen er aus dem aktiven Dienst aus-
schied und von den 300 Thalern Salariengeldern7) 45 Thaler
bewilligt erhielt. Giesecke wurde Senior, und Steltzner
behielt den Titel eines Senior emeritus; 1734 und 1738
war er noch bei der Vereidigung der Assessores zugegen.8)
Im Jahre 1 734 sollte er auf Betreiben des Königs das Senio-
rat wieder übernehmen, er lehnte es ab, erklärte sich aber
mit der Beibehaltung des Titels Senior und einem Gehalt
von 50 Thalern einverstanden;9) die 50 Thaler wurden ihm
l) Schöppenbuch von 1692 ff. fol. 14. 8.
*) Eigenhänd. Schreiben (über seinen Amtsantritt) v. 28. Der. 174a in
-94 74. Eine Urk v. 1704 (Doc. A. II. 458 RA.) nennt ihn Sekretär und
Kämmerer; 1714 heisst er Syndikus der Altst. (Cod. A 77 RA).
8) Archiv der Brandenburger Paulikirche Sammelband SP. 6.
4) Schöppenbuch von 1692 ff. fol. 14.
5) StA. R. 21 N. 9C. 6) Schöppenbuch fol. 34.
7) Vergl. unten § 38. *) Schöppenbuch fol. 9.
•) R. 21 No. 9" StA.
o*
132 2- Buch. Personal, i. Abschnitt. Schöppenschreiber.
bewilligt. Schon damals klagte er über seine Gesundheit.
Als achtzigjähriger Greis überreichte er 1741 (95 i)"dem
Senior als Erinnerungszeichen an das ehemalige Schöppen-
haus1) mit einem Begleitbericht eine alte bemalte Fenster-
scheibe, die jetzt verschwunden ist. In einem Schreiben an die
Brandenburger Kollegen nennt er sich am 28. Dezember 1 742
einen elenden Patienten (94 73); er starb 1744. Zwei gedruckte
theologische Abhandlungen, als deren anonymen Verfasser
ihn ein zeitgenössischer Prediger (Schaeffer) auf den Titel-
blättern bezeichnet, sind erhalten.2) Die eine behandelt die
Frage, ob ein unbekehrter Prediger im Namen Gottes sein
Amt giltig verwalten, insbesondere die Sünden vergeben
könne, und geisselt mit scharfen Worten die Verderbniss und
Heuchelei unter den Geistlichen. Die andere Abhandlung
beschäftigt sich mit Jesus Christus als wahrem Gott und
Gottes Sohn. Beide zeugen von eingehender Kenntniss der
heiligen Schrift und streng religiöser Gesinnung. Auch
lateinische Gelegenheitsgedichte sind von ihm erhalten. Im
Jahre 1735 schenkte er der Bibliothek der St. Gotthardkirche
zum Andenken an seinen Besuch Weismanns zweibändige
Introductio in memorabilia ecclesiastica historiae sacrae.
Sein Nachfolger als Secretar wurde 1707 Joachim
Friedrich Kriele, Sohn des altstädter Schoppen Friedrich
Kriele; er war von 1707 bis zu seinem im Jahre 1714 er-
folgten Tode nebenher Advokat; die Universität Frankfurt
hatte er im Jahre 1682 bezogen.3)
Ihn löste 1714 Balthasar Friedrich Katsch ab; er
stammte aus der Altstadt Brandenburg. In den Akten wird
er i;20 als Sekretarius erwähnt (81 169), er war höchst wahr-
scheinlich ein Sohn des Bürgermeisters und Schoppen Katsch.
Da er das vom altstädter Bürgermeister Holstein gestiftete
und für Studiosi auf Universitäten bestimmte Stipendium be-
zog,4) hat er studirt. Im Jahre 1734 dankte er ab.
Nach ihm verwaltete, und zwar auf die Dauer von 44
*) Siehe unten § 38 g. E. 2) Archiv der Brandenburger Paulikirche SP. 1.
*) Leichenpredigt im Archiv der Paulikirche, nicht bezeichneter
Sammelband.
*) Akten S. 1 1 RA.
§ 7- Altstädtische Schoppen. 133
Jahren Gabriel Gottfried Müller und dann (seit 1778) Joh.
Gebhard Tappenbeck das Schöppenschreiberamt, das er
noch 1796 bekleidete.1) Mit ihm scheint die Reihe der Schöp-
penstuhlssekretare zu schliessen.
Zweiter Abschnitt.
Schoppen.
§7.
Altstädtische Schoppen.
Noch seltener als die Namen der Schöppenschreiber
treten für die Zeit bis zum Ende des sechzehnten Jahrhun-
derts in den Quellen die Namen der Schoppen der Alt- wie
der Neustadt Brandenburg auf. Die beiden ältesten Raths-
oder Gerichtsbücher2) nennen zwar hier und da consules und
scabini der Neustadt, es erhellt aber nicht, wer von ihnen
Rathmann, wer Schöppe, oder wer Beides war, auch findet
sich kein Name, der in späterer Zeit unter den Schöppen-
familien fortlebte. Eine Urkunde Markgraf Sigismunds von
13843) bezeichnet 9 altstädter Bürger, die den damals noch
lebenden Schoppen der Altstadt (wahrscheinlich nach einem
Pestjahr) hinzutreten sollten. Auch von den hier Genannten
gehört keiner einer Familie an, die im sechzehnten Jahrhun-
dert im Schöppenstuhl sass, soweit sie zu ermitteln waren.
Diese Ermittlung bietet grosse Schwierigkeit. Denn erst
mit Ende des sechzehnten Jahrhunderts beginnt die Sitte, in
den Akten die Namen der bei einem Spruch betheiligten
Schoppen mit den Anfangsbuchstaben anzudeuten, bis lange
nachher der volle Namen mitgetheilt wird. Die Spruchaus-
fertigungen enthielten niemals irgendwelche Namensunter-
schrift oder etwa in ihrem Eingange irgendwelche Angabe
von Namen der Schoppen. Auch alles sonstige Material fehlt,
aus dem die Schoppen oder die Rathspersonen beider Städte
in fortlaufender Reihe zu entnehmen wären; erst das am Ende
*) Lose bei den Schöppenstuhlsakten liegende Bibliotheksrechnungen.
2) Siehe oben Seite 33.
8) Hymmen, Beiträge 1, 212. Riedel cd. 1, 9, 65.
]34 2- Buch. Personal. 2. Abschnitt. Schoppen.
des siebzehnten Jahrhunderts angelegte Schöppenbuch ver-
zeichnet die seit 1660 eingetretenen Schoppen. Für die ältere
Zeit, namentlich aber für die Zeit des ersten Eindringens
gelehrter Juristen in den Schöppenstuhl konnten daher nur
mit Mühe Nachrichten zusammengestellt werden, die desto
lückenhafter sind, je mehr sie sich auf die Zeit vor 1600
beziehen. Von 1600 an ist es gelungen, nicht bloss die
Namen, sondern auch Näheres über Herkunft, Familien-
beziehungen, Bildungs- und Lebensgang jedes einzelnen der
58 seitdem im Schöppenstuhl thätig gewesenen Schoppen zu
ermitteln. Ihnen treten aus der bis zu den 1490er Jahren
zurückliegenden Zeit noch 41 weitere Schoppen hinzu, über
die wenigstens sporadische Nachrichten sich finden Hessen.
Die Höchstzahl der für das einzelne Jahr nachweisbaren
dem „Schöppenstuhl beider Städte44 angehörigen Schoppen
war 5 für jede Stadt; nach dem dreissigjährigen Kriege
sank die Zahl auf 3, nach dem siebenjährigen Kriege auf 2
für jede Stadt; nach 1784 schmolz die Gesammtzahl auf 3
und im Jahr 1809 sogar auf 2 Schoppen zusammen. Dass
sie je mehr als 3 für jede Stadt betragen hatte, war bereits
1689 in der Erinnerung geschwunden; der Schöppenstuhl
selbst berichtete damals dem Kurfürsten, es seien immer
sechs Mitglieder gewesen, eine Angabe, die sich dpnn in
späteren Berichten wiederholt,1) und der man bisher auch
Glauben geschenkt hat.
Da in den 1570 er Jahren die Umwandlung sämmtlicher
Brandenburger Schoppen in gelehrte Schoppen als vollendet
anzusehen und vorher nur ein Theil der Schoppen auf Uni-
versitäten ausgebildet ist, so wird die Zahl derjenigen Per-
sönlichkeiten, auf deren Schultern die Aufgabe gelegt war,
im Brandenburger Schöppenstuhl gelehrtes Recht zu hand-
haben, für die gesammte Zeit der Existenz des Schöppen-
stuhls sicher nicht mehr als 100 betragen. Dass ein grosser
Theil des Bedarfes aus den Schöppenschreibern beider
Städte gedeckt wurde, hat sich bereits aus dem Vorher-
gehenden ergeben; von 40 Schöppenschreibern gingen nach-
weisbar mindestens 19 in das Schöppenamt über.
*) StA. R. ai Nr. 9C.
§ 7- Altstädtische Schoppen. 135
Die Zehnzahl scheint als die Zahl der Rathspersonen
bereits in einem Falle des Jahre 1376 für die Neustadt Bran-
denburg bezeugt zu sein ; l) es ist aber nicht ausgeschlossen,
dass es mehr als 10 Rathmannen gab, in dem damals ver-
handelten Falle jedoch nur 10 als Vertreter der Gesammtheit
anwesend waren. Nach der oben (S. 133) angeführten Ur-
kunde existirten im Jahre 1384 mindestens 11 altstadtische
Schoppen. Das führt auf die Annahme, dass, wie in anderen
mittleren und kleineren Städten, Rathmänner und Schoppen
sowohl der Altstadt als auch der Neustadt dieselben Personen
waren, und zwar in jeder Stadt 12. Sicher lassen sich von
den ersten Jahrzehnten des sechzehnten Jahrhunderts an 12
Rathspersonen für jede Stadt nachweisen. Als Spitze jedes
der beiden im Schöppenstuhl vereinten Fünfmännerkollegien
amtirte der älteste Schöppe. Die Stellung des Schoppen
pflegte sich mit der des Bürgermeisters zu vereinen, was
auch für die spätere Zeit Regel blieb. Da der beim Jahres-
wechsel abtretende regierende Bürgermeister seinen Bürger-
meistertitel beibehielt, so führten diesen Titel so ziemlich alle
Schoppen.
Als erster Rathmann akademischer Bildung in der Alt-
stadt Brandenburg ist im Jahre 1454 Nicolaus Berenwalde
aus Brandenburg zu nennen, der 1442 zu Leipzig immatriku-
lirt wurde und 1473 das Bürgermeisteramt der Altstadt be-
kleidete.2) Um dieselbe Zeit dringen gelehrte Rathmannen
in den Rath anderer deutschen Städte. 3) Soweit die Univer-
sitäten Leipzig, Erfurt, Rostock, Greifswald, Köln, Tübingen
und Heidelberg in Betracht kommen, studirten aus Branden-
burg in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ungefähr 40,
in der zweiten Hälfte etwa 95, im Ganzen also etwa 135
Scholaren, die Geistlichen eingerechnet. Etwa 28 von ihnen
tragen Namen, welche im vierzehnten bis sechzehnten
Jahrhundert im Rath der Altstadt oder der Neustadt vor-
kommen. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts folgt auf
1) Stadtbuch bei Sello, Brd. Stadtrechtsquellen S. 59: consistorium . .
proconsulum et consulum universorum nove civ. Br. (folgen 10 Namen).
2) Riedel c. d. 1, 9, 181. 212.
•) Stolze], Gelehrtes Richterthum 1, 276 ff.
136 2- Buch. Personal. 2. Abschnitt. Schoppen.
Berenwalde Martin Bell in, der 1488 in Leipzig studirte
und den Magistergrad erwarb, wohl ein Vorfahr der später
in Berlin vielfach genannten gelehrten Räthe desselben
Namens;1) die Familie gehörte dem Adel an. Dieser Martin
Bellin erscheint 1494 und 1495 a's Kläger in einem der
ältesten Prozesse unserer Akten (1 4a bis 5*); den Gegen-
stand bildet sein elterliches Vermögen im Werthe von
109 Schock. Er gehörte also zu einer begüterten Fa-
milie und kam, da jenen Prozess 1494 noch sein Vor-
mund, 1495 aber er selbst führte, in frühreifem Alter nach
Leipzig. Wenige Jahre nach dtem Prozess — 1502 — steht
er in einem wichtigen vor der Neustadt Brandenburg ver-
handelten Erbstreite einer altstädtischen Rathsfamilie einem
der in Frankfurt ansässigen Beklagten bei (1 33) und darf
als Verfasser von Prozessschriften gelten, die mehrfach auf
römische Quellen Bezug nehmen. Er sitzt 1505 im Rathe2)
und gehört demnach mit Berenwalde der artistischen Vor-
periode des Rechtsstudiums an. Vermuthlich waren Beide
als gelehrte Männer auch Mitglieder des Schöppenstuhls.
Ihnen reiht sich als Dritter der oben S. 93 genannte Schöp-
penschreiber, nachherige Schöppe Demker an. Sicher war
akademisch gebildeter Schöppe Valentin Schmidt (auch
Fabri genannt),3) der an Stelle des 1529 gestorbenen Goris
Schmidt (seines Vaters?) in letzt erm Jahre in den Rath4) und
von 1530 bis i56is) in das Bürgermeisteramt einrückte.
Nach des Bürgermeisters Hans Trebow Tod fungirte er
anscheinend von 1551 an als ältester Schöppe (6 7). Er
studirte 1504 in Wittenberg, war also ein Schüler des dort
damals hochberühmten Petrus Tomais aus Ravenna, dessen
alphabetum aureum, „ein Produkt ziemlich wüster Gelehr-
samkeit", 6) sich unverdienten Ansehens erfreute und in Bran-
x) Stölzel, Rechtsverw. i, 236. 267. 313.
*) Riedel c. d. 1, 9, 82, wo aber 1405 für 1505 verdruckt ist. Vergl.
das. 1,8,462. Bellins Handschrift aus 1509 s. Zerbster Stadtarchiv II, 211.
*) Nicht „Zimmermann11, wie Fabri in den mark. Forschungen Bd. 14,
S. 339 übersetzt ist. Schmidt bedeutet in älterer Zeit „Handwerker".
4) Rathsbuch A. 1 fol. 210. 220 AA.
*) Memorial Cod. A. 8 fol. 409 RA.
ö) Stintzing, Populäre Lit. S. 147.
§ 7- Altstädtische Schoppen. 137
denburg sowohl von Schmidt, als von seinem Kollegen
Demker benutzt wurde, wie das Exemplar der dortigen
Schöppenstuhlsbibliothek durch Randbemerkungen der Bei-
den ausweist, die ein nicht allzugünstiges Licht auf die ehe-
lichen Verhältnisse der damaligen Brandenburger Schoppen
und Rathsherren werfen. l)
Von Schmidt rührt in unseren Akten (1552: 4420) das
einzige lateinisch abgefasste Spruchkonzept her.2)
Die Rechtsgelahrtheit, die er in sein Bürgermeisteramt
und Ackermann in sein Schöppenschreiberamt mitbrachte,
reichte indess nicht aus, in einem wichtigen Prozess, den 1544
die Altstadt mit dem Domkapitel wegen des Wasserge-
brauchs der oberhalb Brandenburgs in die Havel fliessenden
Ernster zu fuhren hatte, die Prozessvertretung zu übernehmen;
hierfür zog man eine Autorität aus Wittenberg, den berühmten
Hieronymus Schurpf, mit vielem Kostenaufwande heran.3)
Während der Amtsführung Schmidts trat Brandenburg
(1535) zur lutherischen Lehre über. Damit eröffnete sich die
Möglichkeit, den Schöppenschreiber, der nunmehr nicht mehr
dem katholischen Klerus angehörte, in den Schöppenstuhl
als Schöppe einrücken zu lassen. Gleichzeitig begann, wie
anderwärts so auch hier, die Periode, in der mehrfach Artisten
1) Petrus sagt f. 100 über den Ehebruch der Ehefrau: „in quibusdam
locis Francie est consuetudo, quod, si uxor ali cujus committat adulterium,
ipsa nullam patitur poenam. Sed raaritus super asino ducitur per totam
civitatem praecone alta voce clamante: sie fit maritis, qui permittunt
uxores suas nimium jejunare". Am Rande dieser Stelle ist handschriftlich
bemerkt; „Not. pro Laurentio Dempker, ut caveat se pro tali ignominiab.
Hierunter erwidert Demker, wie die Handschrift erkennen lässt: „Her
Valentinus Fabri . . . ipsemet sibi caveatb.
2) „Conclusum est apud scheabinos: (folgt die ebenfalls lateinische
Darstellung des Sachverhalts und dann :) Ideoque sententionatum est, villa-
nos et totam civitatem villae Toppel de predieta exposita summa 22 schock
. . . indempnes servare de regula juris**. Ein deutsches Konzept fehlt zu
dieser Sache. Ganz oder theilweis lateinisch abgefasste Vota der Schoppen
kommen mehr vor, das Latein ist aber nichts weniger als klassisch (vgl.
z. B. ÜB 2 539. 577. 580, 58a. 589. 634. 685. 719).
8) Detailirte Kostenrechnung in Cod. N. 10 RA. Beim Prozess wirkten
der Kanzler Ketwig und der kf. Rath Dr. Redorffer mit; letzterer erhielt
laut der Rechnung vom BM. Schmidt 4 Thaler „verehrt*.
138 *• Buch. Personal. 2. Abschnitt. Schoppen.
nachträglich zum Rechtsstudium übergingen, um den Bedürf-
nissen des Tages zu genügen : es brach sich die Erkenntniss
Bahn, dass die allgemeine Universitätsbildung des Humanistea
nicht mehr ausreiche, das Material zu liefern, gelehrtes Recht
zu sprechen, dass vielmehr dazu ein juristisches Sonderstudium
gehörte. Diese Ueberzeugung bestimmte den Rath der Alt-
stadt, dem Rektor seiner Schule, Marcus Meynicke,1) einem
Brandenburger, der in Wittenberg (1544) „ziemlich" (d. h*
wie es sich ziemte, in genügendem Maasse) studirt hatte und
1557 Rathmann, 1558 bis 1559 aber altstädter Richter war
und im letztern Jahre zum Schoppen präsentirt wurde, einen
Theil der Gerichtseinnahmen des Jahres 1559 zu überweisen»
als er sich zu erneutem Studium nochmals nach Wittenberg
begab.2) Welchen Erfolg diese Maassregel hatte, lässt sich
freilich nicht ermessen, da Meynicke in der Wittenberger
Matrikel von 1559 nicht erscheint, auch in Brandenburg nicht
weiter auftritt.
In Meynicke haben wir ein Beispiel vor uns, dass man,
nachdem die Reformation in Brandenburg Wurzel gefasst
hatte, die Ausbildung zum Lehrerberuf, wie man sie früher
und auch jetzt noch als passende Vorschule für das Stadt-
und Schöppenschreiberamt ansah, nunmehr auch als Vorschule
für das Bürgermeister- und Schöppenamt betrachtete. Auch
hier fand sich in Magdeburg, wo 11 Jahre früher als in
Brandenburg die Reformation eingeführt war, ein Vorbild:
der dortige erste Lehrer der evangelischen Schule (Gregor
Willich) trat in den Schöppenstuhl ein.3) Weil Meynicke
Rektor in Brandenburg war, wurde er, obwohl nicht zu den
Rathsfamilien, aber immerhin doch zu den Brandenburger
Bürgern gehörig, in den Rath und in den Schöppenstuhl ge-
wählt. Schmidt dagegen, zu einer Rathsfamilie gehörig,
wandte sich, um Rathmann und Schöppe zu werden, dem
Studium zu. Seine altstädtischen Kollegen im Schöppen-
stuhl, Bürgermeister Matthias Bardeleben (1543 bis um 1576),
') Tschirsch, Gesch. der saldrischen Schule S. 11. Mark. Forschungen
Bd. 14, 339.
2) RA. Doc. A. II, 16a. Memorial Cod. A. 8 fol. 356, StA. R. 21 No. o\
3) Geschichtsblatt für Land und Stadt Magdeburg I. 1866. S. 12.
§ 7- Altstädtische Schoppen. 139
aus der alten ritterlichen Rathsfamilie, die wir (S. ioo) be-
reits kennen gelernt haben, Bürgermeister und Richter Tho-
mas Liep (1550 bis 1554), l) der Schwiegersohn des Burger-
meisters Kersten Bardeleben und wohl der Sohn des Bürger-
meisters Claus Liep,2) ferner Bürgermeister Andreas Schuller
(1551 bis 1584), Sohn des Bürgermeisters Baltzer Schuller (1524
bis 1543) und Bürgermeister Antonius Holstein (1558 bis 1561)
hatten, soviel erhellt, noch keine Universitätsbildung; sie
liessen solche erst ihren Söhnen zu Theil werden; denn Joachim
Liep war Dr. jur. Lipsiensis,3) Thomas Matthias, der Sohn des
1540 gestorbenen altstädter Bürgermeisters Kersten Matthias,
wurde kurfürstlicher Rath, nachdem er in Wittenberg studirt
hatte,4) und des Bürgermeisters Baltzer Schuller Sohn, der
Bürgermeister Andreas Schuller, hatte den Dichter und Pro-
fessor Georg Schuller, Melanchthons Schwiegersohn, zum Bru-
der, der sich als „Georg Sabinus" 5) einen Namen gemacht hat.
Es findet sich also unter den 5 altstädter Schoppen von 1 530
bis 1559 nur einer mit gelehrter Bildung (Val. Schmidt), für
die Jahre 1559, 1560 tritt noch Marcus Meynike als zweiter
hinzu. Die beiden werden dann ersetzt von 1562 bis 1595
durch den Schlesier Mag. Simon Roter, der, wie wir sahen,
vom Schulrektoramt zum Schöppenschreiberamt und dadurch
zum Schöppenamt gelangte, sowie mindestens von 1565 ab,
durch den Bürgermeister Joachim (oder Johann?) Damstorf, der
1541 in Wittenberg und 1543 in Frankfurt als Brandenburger
immatrikulirt war und 1572 als Bürgermeister starb. fi)
— — •
!) '555 «ehrbar, ernvest und wolweise" Doc. A. II. 32 RA.
2) 1524. 1526. Rathsb. A. 1 17a. i94b AA.
•) Leichenpredigt des Joh. Karge, Wittb. 1606, Samml. des Grauen
Klosters in Berlin 40 vol. 34.
*) Seidel, Bildersammlung S. 84. Stölzel, Br.-Pr. Rechtsverw. 1, 163.
*) Seidel, Bildersammlung S. 48. Grabdenkmal des Andr. Schuller
in der Gotthardkirche in Brandenburg (geb. 15 16, t T584)- Rathsb. Cod.
A. 33 f. 192 RA.
*) Joachim D. 1558. 1561 altst. Rathmann (Doc. A. I. 162 RA. Memorial
Cod. A. 8 ff 409 RA.), 1565 BM. (Doc. A. I. 170 RA. Riedel 1, 9, 321),
desgl. und Schöppe 157 1 (Rathsb. Cod. A. 32 RA.). Nach einem Grab-
denkmal der Gotthardkirche f BM. Johann D. 1572. Da 2 BM. dieses
Namens nicht erwähnt werden und nach 1572 weder ein Joachim, noch ein
Johann D. vorkommen, so ist beider Identität anzunehmen.
140 2- Buch. Personal. 2. Abschnitt. Schoppen.
An seine Stelle trat Valentin Schwarz (1572 bis 1598
oder 1599), der in den Akten das Prädikat „ wohlgelehrt "
führt (14 54), freilich auch das Prädikat „ehrbar und wohl-
weise*; {) er war in erst er Ehe Schwiegersohn des Bürgermeisters
Andr. Schuller, in zweiter des Bürgermeisters Th. Liep.2)
Als dritter gelehrter Schöppe unter den fünf altstädti-
schen erscheint 1577 der oben (S. 100) besprochene Schöppen-
schreiber Siegmund Bardeleben (1577 bis 1589); diese drei
(M. Simon Roter, Siegmund Bardeleben und Valentin Schwarz)
bildeten also anscheinend zum erster! Male eine gelehrte Mehr-
heit unter den altstädtischen Schoppen. Neben ihnen fun-
girten die damals bereits bejahrten nichtgelehrten Matthias
Bardeleben und Andreas Schuller als Schoppen weiter und
seit 1571 als fernerer nichtgelehrter Schöppe der Schwieger-
sohn Damstorfs Friedrich Garz, ein Kaufmann, der aus Pritz-
walk nach Brandenburg übergezogen zu sein scheint;3) er
war Schöppe um 1578, Rathmann von 1571 bis 1582.4) Die
Übeln Erfahrungen, die man # bei ihm machte, mögen ein
Grund mit gewesen sein, dass sich später ein ungelehrter
Schöppe nicht mehr finde. Der Rath warf ihm vor,
dass er selten zu Hause sei, seines Handels warte und den
Rath wie den Schöppenstuhi versäume (1578); 5) zur Erklärung
aufgefordert, versprach er, sich besser einzurichten, sonst
könne ihm der Rath Besoldung und Accidentien nehmen.
Im Jahre 1582 gerieth er sammt seiner Frau in Konkurs;
das Gericht der Altstadt verhandelte gegen beide Eheleute;
auf Grund eines Leipziger Urtheils erfolgte die Zwangsvoll-
streckung; damit verschwindet Fr. Garz aus dem Rathe;6)
1583 ward er als Besitzer einer Herberge genannt.7)
J) 1587 Doc. A. II. 84 RA.
'*) 1571. Rathsb. Cod. A. 32 fol. 51 RA. 1573 BM. das.; 1579 Schöppe
der Altstadt Rathsb. Cod. A. 33 fol. 74 RA.; 1597 desgl. das. fol. 656.
*) Siehe oben S. 103 Zach. Garz: aus Pritzwalk.
4) Cod. A. 33 fol. 39. 42; A. 32 fol. 5a 51 RA.
*) Es ist ein arges Missverstandniss, wenn im 31. Jahresbericht des
hist. Vereins zu Brandenburg S. 68 daraus, dass Garz des SchÖppenstuhls
und Rathhauses fleissiger warten soll, geschlossen wird, er sei Raths-
diener gewesen und habe als solcher auch das Schöppenhaus reinigen müssen.
8) Cod. A. 33 fol. 147 fr. RA. 7) Rathsb. A. 1 fol. 143 AA.
§ 7* Altstädtische Schoppen. 141
Das Ausscheiden des Friedrich Garz aus dem Schöppen-
stuhle, wo er nach dem Gesagten seine Kollegen wie sich
selbst wenig befriedigte, kann der Anlass gewesen sein, ein
anderes Glied der Familie in den Schöppenstuhl zu wählen,
den allen Ansprüchen, die von der neuen Zeit an einen
Schoppen gestellt wurden, in vollem Maasse genügenden
Syndikus Zacharias Garz, vielleicht einen Bruder des
Friedrich Garz.
Nach Friedrich Garz1 Abgange und nach dem im Jahre
darauf erfolgenden Tode Schullers ergänzen sich die alt-
städter Schoppen nur noch aus gelehrten Juristen: 1585 bilden
das Kolleg Simon Roter, Valentin Schwarz, Siegmund Barde-
leben, Andreas Dietrich und Zacharias Garz, die ihrer Mehr-
heit nach aus dem Schöppenschreiberdienste, zu zweien aus
dem Schulrektorate hervorgegangen waren. Andreas Diet-
rich, ein Brandenburger, liess sich 1567 in Wittenberg und
in Greifs wald immatrikuliren. Als Rathmann wird er zuerst
1576 genannt, Bürgermeister ist er 1582 und 1598, als Schöppe
ist er 1596 thätig (41 25 7). l) Der neustädter Bürgermeister
Storbeck war sein Schwager (1597: 41 257).
Da Zacharias Garz 1586 durch Mag. Johannes Lampertus
ersetzt wurde, ebenso aber Siegmund Bardeleben (f 1589)
1592 durch Mag. Gregorius Bluhm, so zählten damals die
altstädter Schoppen neben Mag. Simon Roter noch zwei Ma-
gistri unter ihrer Fünfzahl.2)
Während Bluhm zu den von auswärts (nämlich von Span-
dau) bezogenen gelehrten Juristen gehörte, die zum Schöppen-
schreiberamte berufen wurden und dann in das Schöppen-
amt aufrückten,3) war Lampert ein Brandenburger, den die
Altstadt bei seinen Studien unterstützte. Zunächst 1566 in
Frankfurt, dann 1568 in Wittenberg immatrikulirt, erhielt
Lampert 1571 eine Beihülfe des Rathes von 8 Schock Groschen
und 1572 zur Erwerbung der Magisterwürde, die man also
für wünschenswerth hielt, weitere 4V2 Schock, bezog auch
!) Rathsbuch Cod. A. 33 fol. 2, 155, 674 RA.
2) 1502 sass unter 9 Stettiner Schoppen ein Magister. Dobbersitzscher
Zaubereiprozess im Stettiner Staatsarchiv P. I Tit. 93 No. 67*.
3) Siehe oben S. 106.
142 2- Buch. Personal. 2. Abschnitt. Schoppen.
1578 das altstädtische Stipendium mit 30 Thalern bis zu seiner
in demselben Jahre erfolgenden Verheirathung mit der Witwe
des 1549 gestorbenen Bürgermeisters Hans Trebbow. l) Das
noch nach Erwerbung des Magistergrades fortgesetzte Studium
lässt vermuthen, aus dem Artisten sei durch ein erneutes, nun-
mehr der Rechtswissenschaft gewidmetes Studium der Jurist
geworden, und die Stadt habe dies erneute Studium verlangt.
Es führte dahin, dass Lampert 1584 Rathsverwandter, allem
Anscheine nach 1586, jedenfalls wenige Jahre später Schöppe
und 1588 Bürgermeister wurde; als solcher starb er 1607.2)
Da 1600 Valentin Schwarz durch Mag. Caspar Prätorius
vund im folgenden Jahre Andreas Dietrich durch Mag. David
Kuhns im Schöppenstuhl ersetzt wurde, erhöhte sich die
Zahl der Magistri für die Altstädter Schoppen auf vier. Als
fünfter Schöppe trat 1599 Johannes Grell hinzu (geb. 1539),
ein Bürgerssohn aus Rathenow, der nach dem Besuch der
dortigen Schule etliche Jahre von 1559 an in Wittenberg
Melanchthons Schüler gewesen war und es besonders in
Kenntniss der lateinischen Sprache weit gebracht hatte. Vom
Kantor und Schulrektor war er Richter und Rathsverwandter
seiner Vaterstadt geworden, wurde aber von da zum Sekretär
des Brandenburger Domkapitels und 1577 „zur ßuchhalterei
der Altstadt Brandenburg", d. h. zum Gerichts- und Stadt-
schreiber der Altstadt berufen.3) Nach drei Jahren wählte
man ihn zum Rathsherrn, 1596 zum Bürgermeister, 1599 zum
Schoppen. Verheirathet war er mit der Tochter eines neu-
■städter Bürgers. Er starb im 82. Lebensjahre 1620, noch im
nämlichen Jahre als Schöppe thätig (67 586. S62).4)
Sein ungefähr gleichzeitig mit ihm in den Schöppenstuhl
eingetretener Kollege Mag. Caspar Prätorius, geboren zu
1) Cod. A. 32 fol. 63. A. 33 fol. 55 a. 204. 302. Doc. II, 83 RA.
2) Elegie des Prätorius, Wittenberg 1608 in der Bibl. der Gotthard-
kirche zu Brandenburg B. VIII No. 106, jetzt in der Bibl. des dort. Saldri-
.sehen Realgymnasiums. Akten K. 7. RA.
3) Als solcher rührt er von 1580 ab das Rathsbuch A. i» AA., bis ihn
1584 Bluhm ablöst.
*) Zu vergl. Leichenpr. im Grauen Kloster zu Berlin voL 28. Zur
üRegulirung seines Nachlasses kommt 1621 die Wittwe des Andreas Grell
«von Berlin (68 148).
§ 7* Altstädtische Schoppen. 143
Putlitz in der Priegnitz, erlangte das Schöppenamt eben-
falls durch Vermittelung des Schulamtes. In Rostock und in
Wittenberg 1572 immatrikulirt, übernahm er von 1576 bis
1591 das Rektorat der Altstadt Brandenburg auf Vorschlag
seines Freundes und Verwandten Zacharias Garz. Nachdem
«r 1587 die Tochter des Bürgermeisters und Schoppen Val.
Schwarz geheirathet hatte, wurde er 1591 Rathsherr, 1600 bis
zu seinem 1612 erfolgten Tode (46 172; 59 481) Schöppe; da-
neben fungirte er (1603, 1605, I^°7) ^s Richter der Altstadt.1)
Unter seinen Zeitgenossen that sich Prätorius als lateinischer
Dichter hervor; drei Bände seiner Elegieen sind gedruckt;
sie brachten ihm im Hinblick auf Sabinus den Namen „alter
Sabinianusu ein.
Dass der altstädter Schöppe Mag. David Kuhns (1600
bis 1605) aus dem altstädter Schöppenschreiberamt hervor-
ging, ist oben2) dargethan.
Ihn löste als Schöppe Mag. Caspar Haveland, ein
Schwager des neustädter Schoppen Mag. Bartholomäus Bol-
dicke, ab;3) er blieb Schöppe bis 1622. 4) Anscheinend ein
Sohn des altstädter Konrektor Mag. David Haveland (1583:
24 209), studirte er 1580 in Wittenberg und war noch 1589
im Studium begriffen;5) 1591 bis 1603 Rektor der Stadt-
schule, kam er in den Rath und den Schöppenstuhl, be-
kleidete auch von 1608 bis 1616 das Richteramt.6)
Unmittelbar nach Haveland wurde Georg Chueden
Schöppe, der (allein von sämmtlichen Mitgliedern des
Schöppenstuhls) einige vierzig Jahre im Rathe der Altstadt
•und im Schöppenstuhl sass, einundzwanzig Jahre altstädtischer
Senior war und (ebenfalls allein von sämmtlichen Schoppen)
die ganze Zeit des 30jährigen Krieges an sich vorüberziehen
*) R. 21 N. ioa StA. JÖcher, Gel. Lex. III, 1745. Pieper, Garzäua
J. 1896 S. 4. 8. 9. Tschirsch, Saldrische Schule 1889 S. 15. Cod. A. 34
fol. 222. 302; A. 33 fol. 282 RA.
2) Seite 107.
*) Rathsbuch A. 1 » fol. 98 AA.
*) 1600: 58 127; 70 404.405. (In 50 252 ist das Jahr 1603 der Beilagen
verschrieben fÖr 1613).
5) Tschirsch, Saldrische Schule S. 15.
•) Cod. A. 34 fol. 222 236 ff. RA.
144 2- Buch. Personal. 2. Abschnitt. Schoppen.
sah, die ihm 1627 die Unbill brachte, dass ihn als den Bürger-
meister .die Kaiserlichen eine Stunde lang auf einen Esel
setzten.1) Ueber seine Herkunft und seinen Studiengang ist
nichts bekannt, regelmässig wird er aber als „wohlgelehrt*"
bezeichnet. Seine Familie scheint aus Salzwedel zu stammen:
1373 ist Henricus Chueden de Soltwedel in Prag immatrikulirt,
später als magdeburger Kanonikus in Bologna,2) 1538 ist
Diederich Chueden Bürgermeister in Salzwedel, 1562 lebt dort
Christoph Chueden,3) Anfang des 18. Jahrhunderts stirbt dort
der Archidiakon Dietrich Christoph Chuede.4) Bei Salzwedel
liegt das Dorf Wendisch-Chüden; von diesem Dorfe wird sich
der Familienname Chueden gebildet haben. Im Jahre 1608
in den altstädter Rath eingetreten,5) fungirt er 1609 als
Schöppe (58 335), 161 1 und 1612 als Kämmerer,6) 1614 als
Bürgermeister.7) An Grundbesitz erwarb er in Brandenburg-
1606 ein Haus für 250 fl., 1636 einen Garten für 100 fl. und
einen Weinberg für 600 Thaler, 165 1 einen wüstliegenden
Weinberg für 35 Thaler.8) Er war dreimal verheirathet, in
zweiter Ehe mit einer Tochter des neustädtischen Bürger-
meisters und Schoppen Conrad Zabel. ö)
Da 161 2 Bluhm und Prätorius starben und nicht ersetzt
wurden, sassen fast ein Jahrzehnt nur drei Altstädter im
Schöppenstuhl; als 1622 Haveland abging und 1620 Düring
die Wahl zum Schoppen nicht angenommen hatte,10) traten
deshalb gleichzeitig drei Neugewählte ein, so dass mit Chueden
wieder vier Altstädter im Schöppenstuhl sassen.
Diese drei waren Joachim Tieffenbach, Christian Bar-
deleben und Peter Weitzke.
1) 20. Jahresber. über den hist. Verein zu Brandenburg S. 101.
2) Knod, Deutsche Studenten in Bologna, S. 281.
Ä) Riedel 1, 16, 282. 113. 4) Jöcher, Gel.-Lex. l, 1904.
*r') Cod. A. 34 fol. 222 RA.
6) Doc. A. II. 32, 103 RA.
7) Cod. A. 34. fol. 399 RA.
b) Cod. A. 3 fol. 221, 209, 210 AA.
9) Vergl. Leichenpr. der Elis. Zabel 162 1 in der Samml. des Grauen
Klosters zu Berlin und Leichenpr. der Anna Rittner 1623, Bibl. der Gott-
hardkirche zu Brandenburg A. 2 X. 47.
10) Siehe oben S. 109.
§ 7- Altstädtische Schoppen. 145
Tieffenbach war Sohn eines Kaufmanns und Seiden-
krämers zu Neuruppin, der sich mit der Tochter des dortigen
Bürgermeisters Mag. phil. Joachim Kriefe, des Sohnes des
Richters von Neuruppin Jacobus Kriele, verheirathet hatte. l)
Er studirte von 1596 ab in Frankfurt. Im Rath der Altstadt
erscheint er zuerst 1612; vier Jahre später zum Bürgermeister
gewählt, heirathete er 161 8 die Tochter des M. Gregorius
Bluhm und wurde dadurch Schwager des Caspar Prätorius.
Obwohl am 28. Nov. 1620 als Schöppe bestätigt, begann er
erst im Jahre 1622 seine Schöppenthätigkeit (70317; 699);
sie endete 1638 (76 603). Auch er musste, ähnlich wie Chue-
den, in der Kriegszeit eine arge Unbill erdulden: der Obrist-
leutnant Moritz Aug. von Rochow, dessen Vater Tieffenbachs
Schuldner war, gab ihm (Mai 1635) einen starken Backen-
streich nach einer kommissarischen Verhandlung über die
Schuld;2) zwei Tage darauf veranlasste der Kurfürst auf
Tieffenbachs Anzeige hin den Hofadvokaten und Hoffiskal,
die Sache bei dem Kammergericht zu verfolgen, und Hess
dem v. Rochow einen empfindlichen Verweis zugehen. Die
Städte machten die Sache zu der ihrigen und legten dem
Kurfürsten eine besondere Beschwerde vor; v. Rochow stellte
sich trotz Androhung von Geldstrafen mehrmals nicht, indem
er vorschützte, durch die Kriegszeiten in Anspruch genommen
zu sein. Auf den Bericht des Hoffiskals ordnete der Kurfürst
am 10. Juli an, dass die Geldstrafe beigetrieben und die eid-
liche Inquisition angeordnet werden solle.3)
Christian Bardeleben und Peter Weitzke, sowie des
letzteren Nachfolger Ludovicus Saxonius haben wir bereits
(S. 109, 1 10, 1 14) unter den Schöppenschreibern kennen gelernt.
Bardelebens Todesjahr (1630) ist das letzte Jahr, in
welchem vier altstädter Schoppen im Schöppenstuhl sassen.
Von da ab minderte sich — offenbar unter den Wirkungen
des dreissigjährigen Krieges — die Zahl erst auf 3, dann
1) Leichenpr. für den Bruder Joachims T., Joh. T., Kaufmann,
Schöppe, Stadtrichter und BM. von Neuruppin von 1652 in der Bibl. der
Gotthardkirche zu Br.
2) R. 49 c. StA.
3) Weiteres erhellt nicht.
St öl z e 1, Iüntw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. IO
146 2. Buch. Personal. 2. Abschnitt. Schoppen.
zwölf Jahre lang (von 1638 bis 1650) auf 2, erhöhte sich nach
eingetretenem Frieden wieder auf 3 und blieb auf dieser
Zahl mit geringen Schwankungen bis zum Jahre 1768 stehen.
Tieffenbach wurde 1650 durch Caspar Junius ersetzt,
der 1624 zu Colberg als Sohn eines Kaufmannes geboren war. l)
Mit ihm und dem gleichzeitig in den Rath der Neustadt be-
rufenen Peter Müller beginnt im Brandenburger Rath und
Schöppenstuhl die Reihe der Hochgelehrten: der wiederher-
gestellte Friede und das Beispiel anderer Raths- wie Schöp-
penkollegien, namentlich wohl aber auch der Niedergang des
Magdeburger Schöppenstuhls, bestimmte die Stadt Branden-
burg, ihr Streben darauf zu richten, dass zu den bedeutend-
sten städtischen Aemtern Juristen ersten Ranges herbeige-
zogen wurden; nur so konnte der Gedanke berechtigt sein,
in Brandenburg einen Ersatz für Magdeburg zu schaffen.
Das mag für die Wahl der genannten Beiden bestimmend
gewesen sein, wenngleich sie den Doktortitel nicht besassen.
Die Ausbildung, die Caspar Junius genossen hatte, hob sich
merkbar vor der seiner Amtsvorgänger hervor. Die Alt-
stadt nahm' ihn im Mai 1650 als Syndikus an; schon im Juni
desselben Jahres wurde er Schöppe. Noch nie hatte das
Syndikat Jemand bekleidet, der eine solche Schulung aufweisen
konnte, wie Junius. Nachdem er drei Jahre in Königsberg
Jurisprudenz und politische Historie studirt, begleitete er
1644 die schwedische Botschaft des Grafen Magnus de la
Gardie an den König von Frankreich nach Paris und hielt
sich einige Zeit in Schweden, Dänemark, England, Holland
und Ostfriesland auf, wo er die vornehmsten Universitäten,
Städte und Festungen besuchte. Im Ganzen wanderte er
9 Jahre. Demnächst hielt er in Frankfurt Kollegien und
präsidirte Disputationen, die ihm Ruhm verschafften. So war
denn auch seines Bleibens in Brandenburg nicht lange: im
Jahre 1657 wurde er als Kurf. Rath und Hof- und Land-
richter zu Prenzlau thätig,2) wo er 1665 starb.
Er bahnte den Licenciaten und Doktoren der Rechte
') Leichenpr. Frkf. 1665 in der Bibl. des Realgymn. zu Br. Akten
M. 1 fol. 152 RA.
2) Zuletzt in den Schöppenstuhlsakten März 1657 (79 128).
§ 7- Altstädtische Schoppen. 147
den Weg, die sich nunmehr (von 1656 ab) mehrfach im
Schöppenstuhl finden.
Der erste war Chuedens Nachfolger, Dr. David Cicho-
rius (1656), der zweite Junius' Nachfolger, Lic. jur. Guilelmus
Böckel.
David Cichorius stammte aus Klein -Sora in der Herr-
schaft Hoyerswerda, wo sein Grossvater, sein Vater und sein
jüngerer Bruder Pastoren waren.1) Von einem anderen
jüngeren Bruder Johannes wissen wir, dass er zunächst die
Schulen in Hoyerswerda und Bauzen besuchte und 1648 die
Universität Wittenberg bezog.2) Der ältere Bruder David
mag dieselbe Ausbildung genossen haben. Er war 1663 und
1664 Bürgermeister in der Altstadt und Direktor der Mittel-
märkischen und Ruppinischen Städte.3) Bei den zwei ein-
zigen Spruchsachen des Jahres 1653, die sich erhalten haben,
finden wir seinen Namen noch nicht, aus den Jahren 1654
und 1655 sind keine Sachen vorhanden.
Böckel, der Sohn eines Stendaler Arztes, war 1644 bis
1656 Kämmerer in Stendal, als er 1657 vom altstädter Rath
zu Brandenburg dem Kurfürsten zum Bürgermeister und
Schoppen präsentirt wurde; er starb 1662 oder 1663. 4)
Seinen Nachfolger haben wir (S. 147) in der Person des
secretarius scabinatus Julius Berchelmann kennen gelernt,
der 32 Jahr lang — fast bis zum Schlüsse des siebzehnten
Jahrhunderts — im Schöppenstuhle sass.
An Saxonius' Stelle trat 1665 Friedrich Kriele, welcher
aus der S. 145 genannten Neuruppiner Raths- und Richterfamilie
stammte. Er war von 1664 bis 1673 altstädtischer Richter,
1670 altstädtischer Kämmerer, 1673 Rathsherr, 1677 Bürger-
meister, 1679 Notar ius publicus caesareus und von 1665 bis
1) Leichenpredigt seines Vaters, des Mag. David Cichorius, Dresden
1663, in der Bibliothek des Realgymnasiums zu Brandenburg. In den
Schöppenstuhlsakten 79 368 votirt D. C. auf der Rückseite eines Quart-
blattes, das ein Stück einer Predigt enthält.
2) Leichenpredigt des Johannes Cichorius, Pfarrer zu Osslin, 1669,
a. a. 0.
8) Leichenpredigt seines Vaters; Doc. A. II, 418 RA.
*) R. ai N.9C StA. Götze, Gesch. der Stadt Stendal S. 279. 395. 396.
10*
148 2- Kuch. Personal. 2. Ahschnitt. Schoppen.
1707, also ebenfalls 32 Jahr lang, Schöppe, fungirte auch als
Verordneter der Mittelmärkischen, Uckermärkischen und
Ruppinischen Städte. Seine Gattin war die Tochter des
neustädtischen Rathsherrn Zabel1)
Den Schöpqen Cichorius ersetzte (1677 bis 1700) der
Kammergerichtsadvokat Lic. jur. Bernhard Didden, gebürtig
aus Berlin, wo der Vater Justus Didden (geb. 1597 als Sohn des
Pfarrers Andreas Didden zu Retzow und zu Ruppin) und der
Grossvater Joachim Didden ebenfalls als Kammergerichts-
advokaten lebten.2) Da der genannte Pfarrer 1560 in Witten-
berg als aus Brandenburg gebürtig immatrikulirt ist und sich
mit Cath. Boldicke aus Brandenburg verheirathete, scheint
die Familie aus Brandenburg nach Berlin übergezogen und
in Bernhard Didden wieder nach Brandenburg zurückgekehrt
zu sein. Der Vater Bernhards ist in den Jahren 1613 bis
1621 in Frankfurt, Wittenberg, Leipzig, Jena und nochmals in
Frankfurt immatrikulirt. Seine Gattin war eine Tochter des
Schoppen Bernhard Zieritz;3) sie verheirathete sich als Witwe
mit dem Berliner Rentmeister Berchelmann.4) Bernhard Didden
wurde 1644 als non juratus in Frankfurt immatrikulirt; 1648
leistete er den Eid und studirte 1654 und 1655 m Altorf; er
starb im Mai 1700. 5J
Es scheint nach seinem Tode die Absicht des Königs
gewesen zu sein, den (Berliner?) Advokaten Franz Peter
Deodati aus Rheinfelden bei Basel, der von 1693 ab in
Frankfurt studirt hatte, an Diddens Stelle in den Schöppen-
stuhl zu berufen. Er wird (80 15 ff.) im September 1701 als
der „schon hier (d. h. nach Brandenburg) gekommene neue
Kandidat" und als „confirmatus assessor11 bezeichnet, der
dem Schoppen Katsch mitgetheilt habe, es sei bereits vom
Senior Müller eine Sitzung zu seiner Inpflichtnahme und
Aufführung bestimmt. Müller erklärte, „er habe mit solchen
') R. 21 No. 9c und lo» StA. Üoc. A. II, 305, Akten M. 1 fol. 97 RA.
Grabdenkmal in der Gotthardkirche.
2) Collectio geneal. vol. IV auf der Kgl. Bibl. zu Berlin unter «Andreas
Didden*4 (Hand Schriftensammlung). Hochzeitsged. fiir Bernhard D.'s Tochter
i6<x> SP. 1, Archiv der Brdb. Paulikirche
3) Siehe unten § 8. *) S. oben S. 128.
*) Cod. A. 21 fol. 150 RA.
$ 7- Altstädtische Schoppen. 149
Unwahrheiten nichts zu thun"; von einem Eintritt Depdatis
i.i den Schöppenstuhl war weiter keine Rede; die erledigte
Stelle blieb zwei Jahre lang unbesetzt; dann erhielt sie der
Schwiegersohn eines altstädter Schoppen.
Nach Berchelmanns Tode fiel dessen Sitz im Schöppen-
stuhl dem Syndikus der Altstadt Friedrich Katsch aus Halle
zu (1696 bis 1722), wahrscheinlich dem Bruder des Berliner
Kammergerichtsadvokaten, späteren hervorragenden Ministers
König Friedrich Wilhelm's I. Friedrich Katsch studierte in
Leipzig und Frankfurt (1689). l) Bevor er nach Brandenburg
kam, war er in Burg thätig, wo er als Bürgermeister an der
Spitze der Acht- und Viertelsmänner (eines neben dem Rath
stehenden Bürgerausschusses) mit dem anderen Bürger-
meister Mühlpfordt in einen 1689 bis an den Kurfürsten ge-
brachten Streit gerieth; sein Schwiegervater, der Berliner
Hof- und Quartalsgerichtsrath Vielhut, wirkte für gütliche
Beilegung.2) In diesen Verhältnissen mag der Anlass ge-
legen haben, dass Katsch Burg verliess. Im Jahre 1691
finden wir ihn in Brandenburg, und zwar zuerst als Syndikus
der Altstadt.3) Nachdem er sich in diesem Jahre vergeblich
beim Kurfürsten um die Verleihung einer Stelle im Schöppen-
stuhl beworben hatte, wurde er im Jahre 1695 nach Berchel-
manns Tode zum Schoppen der Altstadt präsentirt und am
30. Oktober bestätigt. Damals und, als er den Schöppeneid
leistete (den 7. März 1696), 4) bekleidete er als erster neben
dem Amt eines Syndikus dasjenige eines Consul extraordi-
narius. :>) Später war er nur noch Bürgermeister. Er starb
am 24. März 1722 als Steuerrath, Kriegskommissarius in den
hoch- und niederzauchischen Kreisen, Verordneter der Mittel-,
Uckermärkischen und Ruppinischen Städte, ältester Bürger-
meister und Senior des Schöppenstuhls. Auf seine Beziehung
zum Minister Katsch, zu dessen Aufgabe die Bearbeitung
J) Trauerged. seines Schwiegersohnes Pastor Schlicht 1722, SP. 2,
Archiv der Paulikirche in Br.
-) Purger Stadtarchiv, Akten A. 7. 3) Cod. A. 47 RA.
*) Schöppenbuch von 1692 ff. fol. 7.
h) Er war auch hierin Berchelmanns Nachfolger, Cod. A. 54, 55 RA., "
R. 21 N. 9C StA.
150 2« Buch. Personal. 2. Abschnitt. Schoppen.
der Strafsachen im Geheimen Rathe gehörte,1) deutet eine
Bemerkung des Schoppen Friedrich Katsch hin, dass man
„bei Hofeu nicht wünsche, durch einen Schöppenspruch in
der Art der Begnadigung gebunden zu werden.
Diddens Nachfolger im Schöppenamte wurde seit 1703
Johann Christian Hannemann, Sohn eines Breslauer Kauf-
mannes und Schwiegersohn des neustädtischen Bürgermeisters
Cläpius;2) vor der Wahl zum Schoppen war er Syndikus,
was er bis zu seinem Tode blieb, nebenher auch consul extra-
ordinarius; er starb im Jahre 1711.
Als Krieles Nachfolger im Schöppenamte haben wir
(S. 131) den letzten der aus dem Schöppenschreiberamt her-
vorgegangenen Schoppen Johann Wolfgang Steltzner
kennen gelernt, der von 1 707 bis 1 739 im Schöppenstuhl sass.
An Hannemanns Stelle wurde (171 2 bis 1730) Paul Lange
Schöppe. Zu Fürstenberg in der Niederlausitz als Sohn des
dortigen Kämmerers geboren,3) studirte er in Leipzig und
Frankfurt, wurde dann Auditeur im Markgräflich Ludwig-
schen Bataillon, das sich damals in Piemont befand, und dem-
nächst im Schlaberndorfschen Regiment. Sodann wurde er
Kammergerichtsadvokat und im Jahre 1704 Syndikus des
Brandenburger Domkapitels.4) Er war das erste Mitglied
des Schöppenstuhls, das nicht Bürger einer der beiden Städte
war. Seine Wahl erfolgte daher „citra ambarum civitatum
praejudicium44.5) Bei der Städtevereinigung im Jahre 17 15
wurde er Rath und Direktor der Städte,6) bald darauf auch
Verordneter der Uckermärkischen und Ruppinischen Städte.
Er starb am 15. Juni 1730.7)
') Stölzel, Rechtsverw. 2, 26.
2) Kirchenb. der Johanniskirche in Br.; R. 21 No. 9c StA.; Schöppen-
buch fol. 8.
3) Grabmal der Katharinenkirche zu Brdbg.
4) Leichenpredigt, 1730, Sammlung des Grauen Klosters zu Berlin,
Band Fol. XVI.
•'') Schöppenbuch a a. O.
") Gottschling, Fromme's Beschreibung der Stadt Brandenburg, ed.
Brandenburg 1727 S. 157.
"') Grabdenkmal in der Katharinenkirche; die Leichenpredigt giebt
den 8. Juni als Todestag an.
$ 8. Neustädtische Schoppen. 151
§8.
Neustädtische Schoppen.
An die Spitze der mit Namen genannten neustädtischen
Schoppen wird Nicolaus Blanken feld1) gestellt werden
dürfen, dessen Witwe 141 5 in das neustädtische Rathsbuch
vermerken Hess, dass sie einen Sachsenspiegel und eine
Glosse dazu, je in besonderem Bande, dem Fricko Blanken-
felde (wohl dem Bruder ihres verstorbenen Mannes) unter der
Bedingung überwiesen habe, dass nach dessen Tode die
beiden Bücher auf ihren (der Witwe) Sohn Henning oder
auf den ältesten Sohn Frickos oder Hennings fallen solle,
mit der weiteren Anordnung, es solle ewiglich so mit dem
Anfalle an den ältesten Sohn derselben Parentel gehalten
werden. Die Handschrift des Sachsenspiegels und seiner
Glosse war also damals so werthvolles Besitzthum, dass man
darüber Einträge in die öffentlichen Bücher machte, wie über
Kapitalien und Grundstücke, die man veräusserte oder von
Todeswegen vergabte; die beiden Bücher sollten fidei-
kommissarisch dem ältesten Sohn der Familie zustehen.
Kin Brandenburger Bürger, der um 1400 einen solchen
Schatz besass, wird mit ziemlicher Sicherheit den Schoppen
zugezählt werden dürfen, und wenn die Witwe in erster
Linie den Bruder ihres Mannes, in zweiter ihren Sohn oder
den Sohn jenes Bruders zu ferneren Besitzern der beiden
Bücher bestimmte, so unterstellte sie wohl diese Familien-
glieder zugleich als berufen, im Schöppenstuhl von den
Büchern Gebrauch zu machen. Die Blankenfeld waren eine
angesehene Raths- und Schöppenfamilie. Ein Zweig der-
selben wird die Berliner Bürgermeisterfamilie desselben Na-
mens sein, aus welcher der erste Rektor der Universität Frank-
furt, der Dr.^bonon. und spätere Rigaer Erzbischof Johann
Blankenfeld hervorging.3) Nicolaus Blankenfeld, der einstige
Besitzer des Sachsenspiegels und seiner Glosse, repräsentirt
1) Siehe in den mark. Forschungen Bd. 18 S. 102 unter Nr. 168.
2) et hoc debet eternaliter durare sub seniori filio ejusdem parentele
successive etc.
3) Seidel, Bildersammlung S. 29.
152 2« Buch. Personal. 2. Abschnitt. Schoppen.
den begüterten Brandenburger Schoppen am Ende des vier-
zehnten Jahrhunderts.
Einen weiteren neustädtischen Schoppen, und zwar aus
dem Jahre 1492, lernen wir in dem Bürgermeister Claus von
Gulen kennen, der laut des neustädtischen Schöppenbuchs
von 1492 ff. dieses Buch als ältester Schöppe „auf Befehl
der Schoppen" anlegte.1) Da er damals ältester Schöppe war,
gehörte er sicher schon lange Zeit vorher dem Schöppen-
kolleg an. Dazu stimmt, dass er schon 1477 a's Bürger-
meister vorkommt.2) Ein Leibgedingsbrief, den 1503 (7 265)
der Graf von Lindow, der Herr der Grafschaft Ruppin, in
Wusterhausen von seinem Schreiber unter Zuziehung von
sechs seiner Räthe aufstellt, zählt unter diesen Räthen Claus von
Gulen auf. Dessen Identität mit dem Brandenburger Schoppen-
ältesten und Bürgermeister dürfte kaum zweifelhaft sein. Ist
sie vorhanden, so haben wir eines der Beispiele vor uns, in
denen ein Landesherr den rechtsgeübten Bürgermeister einer
benachbarten Stadt als seinen Rathgeber verwendet, mag es
nur in einem einzelnen wichtigen Geschäft sein, wie wenn
ein Fürst seiner Witwe das Leibgedinge aussetzt, oder mag
es sich um eine Heranziehung durch Bestallung zum Rathe
„von Haus aus44 oder gar zum „wesentlichen" (d. h. am Hofe
sesshaften) Rath handeln.3) Letzteren Falls müsste Gulen
sein Bürgermeisteramt vor 1503 aufgegeben haben. Der
Umstand, dass er mitten unter einer Reihe von Rittern ge-
nannt wird, beweist, dass er dem Adel angehörte. Also
auch im neustädter Rathe findet sich ein Ritter. Von An-
gehörigen derselben Familie werden in den Akten noch ge-
nannt: Germanus von Gulen in Neuruppin 1533 (1 601), Busso
von Guelen auf Wustrow 1560 (8 81) und 1588 (30 176), alle
von Guehlen auf Rohrlake 1594 (38 5), Christoph Joachim von
Guelen auf Dreez 1612 (59 381).4) Die Familie kann ihren
Namen von dem bei Wriezen gelegenen Gute Alt- Gaul tragen.
') Siehe oben Seite 33 76.
2) In Brandenburger Urkunden des Zerbster Archivs, 1478 auch im
Über civitatis (siehe oben S. 34).
3) Stölzel, Rechtsverw. 1 128. 129
4) An diesen drei Stellen dasselbe Siegel mit Helmzier.
§ 8. Neustädtische Schoppen. ]53
Mit Claus von Gulen werden 1494 Andreas Grelle
und Claus Olste (ÜB. 1 34) als neustädtische Schoppen ge-
nannt. Auch sass 1473 Hans Krüger im Rathe der Neu-
stadt; aus seiner Familie stammen die in Brandenburg mit
Grundeigenthum angesessenen Gebrüder Krüger, deren einer
{August in) 1533 Bürgermeister und ausweislich der auf seine
Tochter, die Witwe Iden, gehaltenen Leichenpredigt auch
Schöppe war.1) Da er in dieser Predigt als wohlgelehrt
bezeichnet wird, hat er vermuthlich — anders wie die bisher
Genannten — Universitätsbildung gehabt, wenngleich sich
das aus den veröffentlichten Matrikeln nicht nachweisen
lässt. Er starb 1567, gehörte also über ein Menschenalter
dem Schöppenstuhl an.
Mit ihm sassen darin als Neustädter die Bürgermeister
Clemens Storbeck (1534 bis 1549) und Hans Nickel (1537
Ws 1554).
Aus der Familie Storbeck werden im 15. Jahrhundert
genannt Heinrich Storbeck, Kommissarius des Bischofs zu
Brandenburg, und Nicolaus Storbeck, bischöflicher Offizial
zu Ziesar (1436 in Leipzig immatrikulirt), 1455 Pfarrer der
Neustadt Brandenburg2) und Bruder des etwa gleichzeitigen
neustädtischen Bürgermeisters3). Des letzteren Sohn Am-
brosius Storbeck war 15 15 neustädtischer Bürgermeister4).
Dessen Sohn Clemens Storbeck studirte 1503 in Wittenberg;
seine Söhne Thomas und Lorenz, von denen der erstere
seit 1574 neustädtischer Bürgermeister und wahrscheinlich
seit 1577 Schöppe war, studirten von 1541 an in Frankfurt.
Ueber Hans Nickel ist nur bekannt, dass er 1537 im
neustädtischen Rathe sass, 1545 neustädtischer Bürgermeister,
1548 regierender Bürgermeister war; 1553 wird er als Bürger-
1) Rathsbuch N. 1. AA. 249. 302. 41. 26. Leichenpr. SP. 11 der Pauli-
kirche.
2) Gratulationsgedicht zur BM.-Wahl des Thomas Storbeck 1574,
Sammclband der Brandenburger Paulikirche.
3) Zerbster Archiv II. 15.
4) Doc. A. 1. 127 No. 6. 28; 125 No. 4 RA. Rathsbuch N 1 fol. 164 ff. AA.,
wo die Erbausei nandersetzung (1562) erfolgt; vergl. Schöppenstuhlsakten
15 289.
154 2» Buch. Personal. 2. Abschnitt. Schoppen.
meister und Schöppe erwähnt (5 38), seit 1558 aber nicht
weiter genannt.
Unter Krüger, Storbeck und Nickel hatte sich ein
unterer Lehrer der neustädtischen Schule, Gregorius Bester,
ein Autodidakt, der sich von seinen Kollegen unterrichten Hess,
bereits vor dem Jahre 1537 zum Schulrektor emporgearbeitet.1;
Man wählte ihn 1545 in den Rath,2) 1546 zum regierenden
Bürgermeister; zugleich war er Schöppe (1552: 4 361; 1557:
6 7. 84; 3) 1558: 7 193). Er bietet eine Parallele zu dem
damals ebenfalls aus dem Schulrektorate hervorgegangenen
altstädter Schoppen Meynicke und zu dem damals noch im
Schöppenschreiberamte, wenige Jahre später aber ebenfalls
im Schöppenamte fungirenden altstädtischen Schulrektor
Roter. Als ältester Schöppe der Neustadt hatte Bester 1552
(4 252. 361) mit dem ältesten Schoppen der Altstadt Valentin
Schmidt eine Korrespondenz in einer Prozesssache (ÜB.
1 267 ff.). Eine neue Zeit brach an mit diesem ersten Zeichen
schriftlichen Verkehrs unter den Schoppen. Bester entwarf
eigenhändig den Spruch. Die dem Beischreiben einverleibten
lateinischen Stellen4) ergeben Besters, und einzelne Sätze
des Antwortschreibens ergeben Schmidts wissenschaftliche
Bildung. Es liegt hier der früheste Fall vor, dass in den
Schöppenstuhlsakten die Namen von Schoppen genannt
werden, der Besters in der Unterschrift, der Schmidts in der
Adresse des Briefes.
Mit Besters Abgang (1559) beginnt für die Neustadt,
ebenso wie mit Schmidts Abgang für die Altstadt (1561),
die Periode, in der die schon seit längerer Zeit aus den
Rechtsgelehrten entnommenen Schöppenschreiber zu Schoppen
l) Gottschling, Res praeceptorum Neobrand. Rasmus, Beitr. zur Gesch.
des Alt- und Neustadt. Gymnasiums zu Brandenburg 1897 S. 11.
a) Rathsbuch N 1 fol. 13. 15. 72 AA.
3) Hier Besters Siegel.
4) „Quando crimen per alios pro bar i non potest, tunc indistincte socius
criminis admittitur, dazu hilft communis consuetudo cum incendiariis per
Germaniam observata. quod socii criminum . . . torture subjiciuntur." Ob
dies Besters eigenes Gutachten oder ein Zitat aus einem Strafrechtslehrer
ist, erhellt nicht.
$ 8. Neustädtische Schoppen. ]/>5
werden. Dahin gehören, wie wir sahen/) Karpzow, Mawe,
Heinatz, Boldicke, Floring, die in der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts auftreten. Auch gehört dahin Matthias
Vielitz, der zwar nicht Schöppenschr eiber, aber doch —
neben Carpzow — 1558 neustädtischer Stadtschreiber war
und von 1560 (8 112) bis 1564 in dem Schöppenstuhl sass.2)
Damit ist noch nicht ausgeschlossen, dass ein oder der andere
ungelehrte Schöppe im Schöppenstuhl verblieb.
Zu diesen ungelehrten Schoppen ist anscheinend der
Bürgermeister Franz Welsow zu zählen (aus dessen Familie
Andreas Welsow 1522 im Rathe sass);3) er wird 1550 als
Rathsherr, 1567 bis 1576 als Schöppe genannt.4) Sicher war
nicht rechtsgelehrt der Bürgermeister Lucas Scholle. Er
ist 1527 in Dünckelspiel (Schwaben) geboren und „nur bis
zu 13 Jahren in die Schule gegangen, was er oft beklagte".
Er bildete sich zum Apotheker aus und durchreiste Deutsch-
land und Dänemark. In Brandenburg heirathete er die
Tochter des dortigen ersten Apothekers Erasmus Berisch,
dessen Apotheke er später übernahm. „Da er eine herrliche,
ansehnliche Person war und bescheidentlich von Händeln zu
reden wusste," so wurde er 1552 in der Neustadt zum
Kämmerer und dann zum Bürgermeister erwählt.5) Dass er
Schöppe war, steht für das Jahr 1567 fest (11 118). Auf-
fallenderweise erwähnt die Leichenpredigt seine Schöppen-
eigenschaft nicht. Er empfand als Schöppe das geringe
Maass seiner Schulbildung. Durch fleissiges Selbststudium
und durch Uebung war er soweit gekommen, dass er
zwar „nicht Lateinisch reden und schreiben, aber lesend
l) Oben S. 119. 121. 122. 123.
■) Ein Votum von Vielitz, in welchem ein lateinischer Satz steht (ergo
ne affectibus indulgere videns .... acquiesco), s. 8 112 (1560). Stadtchronik
Cod. N. 5 fol. 65 RA, wo die Rathspersonen ohne Vielitz aufgezählt
werden. Rathsb. N. 1 fol. 194h AA. (M. Vielitz „Wittwe" 1564).
3) Schöppenbuch von 1492 fr. RA.
4) Rathsb. N. 1 fol. 35. 15. 18. 19 AA.; N. a fol. 74 AA. Schöppenstuhls-
akten 15 18 (1562), 11 94 (1567)1 J7 761 (1576).
6) Leichenpr., Wittenberg 1576 (Kgl. Bibl. zu Berlin). Wir finden ihn
1553 zum ersten Mal im Rath (Rathsb. N. 1 fol. 30h AA.) und 1558 zum
ersten Mal als Bürgermeister (Doc. A. I 162 RA.).
156 2« Buch. Personal. 2. Abschnitt. Schoppen.
verstehen und den Inhalt vernehmen konnte". Rühmend
wird hervorgehoben, dass er sich 1566 zur Zeit der Pest1)
besonders verdient gemacht habe. Zehn Jahre später (Nov.
1576), nachdem er unlängst mit der Tochter des Bürger-
meisters M. Simon Roter eine zweite Ehe geschlossen
hatte, sollte auch ihn die Pest dahinraffen. Im Jahre 1568
heirathete seine Tochter den neustädtischen Syndikus Jo-
achim Heinatz.2)
Von Interesse ist, dass wir unter den ältesten schrift-
lichen gutachtlichen Aeusserungen von Schoppen auch eine
dieses ungelehrten Schoppen besitzen: sie spricht sich sehr
verständig gegen die wiederholte Tortur einer Angeklagten
wegen fehlender neuer Indicien aus (1567: 11 118)3) und er-
giebt in den Schlussworten: „ich habe die Sache auf morgen
(nämlich zur Sitzung) eingestellt", dass Scholle damals sogar
das Amt des Seniors der Neustadt versah. Handelte es sich
freilich um feinere civilistische Fragen, z. B. ob ein Sohn,
der nach dem Tode des Vaters eine Summe an sich genom-
men hatte, um sie dem Abschoss und seinen Miterben zu
entziehen, seines Erbrechts verlustig gehe, dann revidirt
1568 (11 476) nicht Scholle, sondern der ihm nächstälteste
rechtsgelehrte Carpzow den aus der Altstadt herüberkom-
menden Spruchentwurf und schreibt darüber an den altstädter
Schöppenschreiber.
Mit Scholle und Welsow verschwinden 1576 die nicht-
gelehrten unter den neustädtischen Schoppen, wie sie mit
Andreas Schuller 1 584 unter den altstädtischen verschwanden.
Nachdem 1 567 Augustin Krüger gestorben war, ersetzte
ihn sein Schwiegersohn Michael Iden aus Jüterbog, der
*) Sie raffte in Br. 2285 Personen, darunter den Bürgermeister Jochim
Lowe, hinweg. Stadtchronik Cod. N. 5 fol. 19 RA.
2) Gratulationsgedicht Wittenberg 1568.
3) Der von Scholle den Akten beigelegte „Zettel** besagt:
„Ich halts davor, das die Retzesche one neue inditia der peinlichen
fragen nicht zu underwerfen, weil sie albereidt auf der verrichten personen
aussage peinlich befraget, und würde auf den fal, da nichtes neues wider
sie ausgefuret, der gefangnus erledigt. Ich halt aber, man habe dise
sache bis auf den morgen dag eingestaldt, das wir darüber zusammen kommen.
Lucas Schol.14
§ 8. Neustädtische Schoppen. 157
von 1550 an in Frankfurt studirt hatte und als Konrektor
der neustädtischen Schule 1569 in den Rath der Neustadt
berufen war. Im folgenden Jahre wurde er Schöppe und
Kämmerer, 1577 Richter.
Auf dem Landtag vertrat er „die Mittel-, Uckermark- und
Ruppinschen Städte". Er starb 1597; sein Sohn und seine
beiden Schwiegersöhne Johann Floring und Matthias Buch-
holz wurden Schoppen.1)
Scholles, Welsows oder Heinatz' Nachfolger, Jacob Poppe
aus Frankfurt, hatte sich dort 1560 immatrikuliren lassen
und seine juristische Praxis als Amtsschreiber des Haupt-
manns Caspar v. Arnim zu Ziesar (1576: 658) begonnen, als
er £578 seine Berufung zum neustädter Rathsherrn, Richter
und Schoppen erhielt. Nebenher fungirte er (1580) als Sach-
walter. Er starb 1 589.2)
Aus dem Schreiberamte, aber nicht aus dem des bran-
denburger Schöppenschreibers, gingen auch die Schoppen
Thomas Storbeck und Joachim Buchholtz hervor.
Beide waren neustädter Stadtschreiber gewesen.
Thomas Storbeck, Sohn des neustädter Bürgermeisters
Clemens Storbeck, ist 1541 in Frankfurt (gleichzeitig mit
zwei Brüdern) und dann 1553 in Wittenberg immatrikulirt.
Die erste Immatrikulation wird wohl nur eine Scheinimmatri-
kulation im Knabenalter gewesen sein; denn Thomas Storbeck
lebte bis 161 2, müsste also an 90 Jahre alt geworden sein,
wenn er bereits 1541 studirt hätte. Er mag zu denen ge-
hören, die von der 1541 vorgemerkten Immatrikulation nach
dem Durchbruch der Reformation keinen Gebrauch machten,
vielmehr sich nach Wittenberg als dem Horte des evange-
lischen Bekenntnisses wandten. Von 1561 an war er neu-
städtischer Stadtschreiber.3) Seit 1566 scheint er in den
') Leichenpr. der Witwe Iden. Berlin 162 1, Archiv der Brdb. Pauli-
kirche SP. 11. Hierin wird Iden ,,eine der Grundsäulen des Vaterlandes,
ein Auge des Kurfürsten und andrer Fürsten11 genannt. Chronik Cod. N. 5
fol. 65 RA. Gerichtsprotokollbuch N. 5 AA.
. -) Schöppenstuhisakten 20 16. 169. 481; 25353; ^6 278. 447; 29 121.
123« 553; 30282.553; 3122. 319. 367. Cod. N. 4 AA. Leichenbuch der Ka-
tharinenkirche zu Brdbg. Cod. A. 1 * fol. 5 AA.
3) Cod. N. 1 fol. 144 bis 190 AA. Heins Kopiarl, 317 RA.
]58 2- Buch. Personal. 2. Abschnitt. Schoppen.
Rath getreten zu sein* und Joachim Buchholtz zum Nachfolger
erhalten zu haben; 1570 war er Richter der Neustadt ; J) 1574
wurde er Bürgermeister daselbst,2) jedenfalls seit 1579 fun-
girte er als Schöppe; 1581 war er ältester Bürgermeister.3)
In den Schöppenstuhlsakten erscheint er zuletzt im August
1607 (54 !43)- In Berlin ist er 1609 als Sachwalter (57 372)
thätig. Er starb im Oktober 1612.4) Dass der altstädter
Bürgermeister und Schöppe Andreas Dietrich mit ihm ver-
schwägert war, ist oben (S. 141) gesagt.
Eine gleiche Laufbahn machte sein etwas jüngerer Kollege
und Landsmann Joachim Buchholtz. Von 1567 bis 1576
finden wir ihn als neustädtischen Stadtschreiber,5) nachdem
er von 1554 ab in Wittenberg studirt hat, von 1580 ab als
Richter und Rathsherrn, von 1585 bis 1602 als Bürgermeister
der Neustadt. 6) In den Schöppenstuhlsakten kommt er unter
den Schoppen nicht vor, 16 17 wird aber an den Kurfürsten
berichtet,7) dass durch seinen Tod eine Stelle im Schöppen-
stuhl^frei geworden sei; vermuthlich ist er seit 1596 der
Nachfolger Boldickes gewesen.
Nachdem 1579 mit Simon Roter das erste Mal ein Ma-
gister unter die Schoppen der Altstadt berufen und 1586
Magister Lampertus, 1592 Magister Bluhm, 1600 Magister
Prätorius und um 1601 Magister David Kuhns nachgefolgt
waren8), wollte die Neustadt nicht zurückstehen: sie wählte
1582 ihren Schöppenschreiber Mag. Bartholomäus Boldicke,
den ersten Magister, der bei ihr das Schöppenschreiberamt
*) Stadtchronik Cod. N. 5 fol. 65 RA.
3) Rathsbuch N. 1 fol. 167 AA. Gratulationsged. zu seiner BM.Wahl
in einem Sammelband der Paulikirche.
3) Bericht über den Einsturz des Kath. Kirchthurms Wittenberg 1592,
neugedruckt Brdb. 1726. Cod. A. 33 fol. 74 RA.
4) Leichenbuch der Kath. Kirche. Schöppenstuhlsakten 81, x.
4) Stadtchronik Cod. N. 5 fol. 65. Doc. A. II, 79, Doc. N. II, 144 RA.
6) Bericht über den Einsturz des Kath. Kirchthurms a. a. O., Doc N. II,
J95- 263. 105, Doc. A. II, 42 RA. Gerichtsprot.Buch N. 3 AA. Schöppen-
stuhlsakten 49 196 (1602).
7) R. 21 No. 9C StA.
8) S. oben Seite 141.
§ 8. Neustädtische Schoppen. 159
bekleidet hatte, und gleichzeitig den aus Stendal überge-
zogenen Bürgermeister1) Mag. Conrad Zabel, den Schwager
des Brandenburger Bürgermeisters Mawe, zu Schoppen. In
Tanger münde aus „uraltem vornehmen Geschlechte" geboren,
wie die Leichenpredigt seiner Witwe2) sagt, hatte Zabel
12 Jahre studirt, zuletzt noch 1578 in Wittenberg, „wo er
andere studiosos instituirt und jura profitirt4*,3) d. h. als Lehrer
des Rechtes gewirkt hatte, so dass er als beider Rechte
candidatus abging, um in Berlin Kammergerichtsadvokat zu
werden. Bereits im Jahre 1578 verfasste er zwei Rechts-
fragen des Stendaler Rathes nach Brandenburg (20 231. 290)
und im Jahre 1579 nahm er in Stendal das Amt des Syndikus,
bald nachher das des Bürgermeisters an. In Folge seiner
1579 erfolgten Verheirathung zog er 1582 nach Brandenburg,
wo seine Frau, die Witwe Heinatz', mit Haus und Hof an-
gesessen war. Hier wurde er 1583 Richter und Schöppe,
1584 Bürgermeister und 1598 Verordneter der Landschaft.
Er starb 1601.4)
Mit diesem einen Magister begnügte sich vorläufig die
Neustadt; erst 1641 gewann sie wieder einen solchen für
den Schöppenstuhl, während die Altstadt bereits vier Magister
unter ihren fünf Schoppen aufwies. Es fehlte deshalb der
Neustadt aber keineswegs an namhaften gelehrten Schoppen.
Dahin gehört (1591 bis 1624) der aus dem Schöppenschrei-
beramte hervorgegangene Johann Floring,5) ferner (1598
bis 161 2) 6) der anscheinend aus dem neustädtischen Stadt-
schreiberamte7) hervorgegangene, 1571 in Wittenberg und
1) Götze, Gesch. der Stadt Stendal S. 393.
2) 1632. Bibl. der Brdb. Gotthardkirche A. 2 No. 113. Johann Zabel
war 1467 in T. Amts- und Schlossschreiber.
*) R. 21 No. 9c StA.
*) Leichen predigt a. a. Om die 1602 als Todesjahr angiebt. In den
Schöppenstuhlsakten zuletzt 1600 (46 168). R. 21 No. 9C StA. Gerichts-
protokoll b. N. 3 AA.
B) Siehe oben Seite 123.
6) Leichenbuch der Kath. -Kirche, auch Schöppenstuhlsakten 81, 1;
60, 208.
7) Eine 1595 von Richter und Schoppen der Neustadt an den Schöp*
penstuhl gerichtete Rechtsfrage ist von M. Nickel (40 363) verfasst.
\fiQ 2. Buch. Personal. 2. Abschnitt. Schoppen.
1579 in Frankfurt immatrikulirte Michael Nickel (Nicolaus
Brandenburgensis), wohl aus der Familie des Bürgermeisters
Hans Nickel, ein Schwiegersohn des Bürgermeisters Mawe, ] )
vorzugsweise gehört aber dahin Bernhard Zieritz, unter
sämmtlichen Brandenburger Schoppen einer der beiden,
die als juristische Schriftsteller aufgetreten sind.2) Zieritz
war in Brandenburg als Sohn eines aus Aberdeen (Schottland)
eingewanderten adligen Seidenkrämers und Handelsmannes
geboren.3) Er studirte in Wittenberg (1591) und in Leipzig;
1606 verheirathete er sich mit einer Tochter des damals bereits
verstorbenen Bürgermeisters und Schoppen der Neustadt
Mag. Conrad Zabel. 4) Im Jahre 16 18 erscheint er zum ersten
Mal als Bürgermeister der Neustadt.5) Im Jahre 1632 war
er dort ältester Bürgermeister und Verordneter der Land-
schaft.0) Als Schöppe tritt er in den Akten nicht vor dem
Jahre 1604 (51 22)» zuletzt im Jahre 1642 auf (77 232). Er
war aruch „des churf. Landgerichts in der Mark Inspektor1*.
Am 11. Juli 1645 wirc* sem Schwager,7) der Syndikus Bar-
tholomeus Schwartz, als sein Nachfolger konfirmirt. 8)
Seine „notae et observationes in Caroli V. Constitutionen*
criminalem" gehören zu den bekannteren Kommentaren der
Carolina9); sie wurden in drei Auflagen (1622. 1625. 1676) von
Frankfurt aus verbreitet. Ausserdem schrieb er „apologia pro
foedere Smalcaldicou und „commentatiuncula de principum inter
l) Leichenpr. der Witwe Zabel, Bibl. depGotthardttkirche. A. 2 No. 113.
*) Jöcher, Gelehrtenlexikon 4, 2203. — Ein „Ire44 Wilhelm von Zie-
ritz spielt 1558 als Liebhaber einer unehelichen Tochter des Herzoge
Johann von Cleve eine Rolle in Thüringen. Frdr. Bülau, Geh. Ge-
schichten Bd. 8 S. 1 ff.
3) leichenpr. der Cath. Döring geb. Zirits; Archiv der Paulikirche
SP. 7.
4) No. 8, Leichenpredigt der Witwe Zabel, 1632, Bibliothek Her
Gotthard-Kirche A. 2 No. 113.
Ä) Doc. N. II, 565 RA.
6) LeichenpreMigt der Witwe Zabel.
7) Decis. March. II fol. 103.
8) StA. R. 94 II No. 2, f. 102. Meinardus, Protokolle etc. des Berl.
Geh. R. Bd. 3 S. 229.
*) Stintzing, Gesch. der Rechtswiss. 1, 639.
§ 8. Neustädtische Schoppen. \fi\
ipsos dignitatis praerogativa", auch „collectanea de scope-
lismo".1) Die Notae entstanden dadurch, dass Zieritz laut
der Vorrede die ihm in seiner Schöppenpraxis vorgekommenen
Entscheidungen zu den einzelnen Kapiteln der CCC. und da-
neben die Noten anderer Kommentatoren anmerkte Das der
Vorrede folgende alphabetische Verzeichniss der citirten Auto-
ren ist von grossem Umfang, auch die Noten selbst zeigen eine
aussergewöhnliche Belesenheit. Den Noten voran geht stets
eine lateinische Uebersetzung der einzelnen Artikel der CCC.
Dem Buche widerfahrt noch heute die Ehre, citirt zu werden.2)
Viel bietet es nicht, hat auch schwerlich die Strafrechts-
wissenschaft erheblich gefördert, zeigt aber den Verfasser
als mit beiden alten Sprachen wohl vertraut. Die Branden-
burger Schoppen benutzten es bei ihren Abstimmungen; so
wird 1626 von Johann Iden in einer Sache, in der es sich
darum handelt, welche Strafe für den im kurfürstlichen
Schlosse verübten Diebstahl einer silbernen Schüssel auszu-
sprechen ist, „dominus consul Bernardus ad C. Carol. art. 160
zum judicio Davidis 2. Sam. i2u citirt. Zieritz beruft sich hier
auf die Bibelstelle, indem er bemerkt: „gravius est homini
inopi aliquid furari quam opulento". Das war allerdings der
Sinn der Worte Davids: „der Mann ist ein Kind des
Todes, der das gethan", als es sich um einen beim armen
Manne verübten Schafdiebstahl handelte. Wie aber Iden die
Zieritzsche Nota verwerthete, das charakterisirt den wissen-
schaftlichen Standpunkt der damaligen Zeit. Der Ausspruch
Davids sollte dazu dienen, die Todesstrafe für den Silberdieb
des Schlosses zu rechtfertigen, als ob sich zwischen diesem
Diebe und dem Diebe, der nach der Erzählung Nathans als
reicher Mann kein Bedenken trägt, des armen Mannes Schaf
zu stehlen, irgendwelcher Vergleich ziehen liesse.
Die Apologie des Schmalkalder Bundes, die ausserdem
]) Jöcher, Gel.-Lexikon. Katalog der Kgl Bibl. in Berlin.
a) E. v. Moller, Die Rechtssitte des Stabbrechens, in der Ztschr. der
Sav. Stiftg. 21. Bd. German. Abth. S. 104 (1900): „Ausserordentliche Verbrei-
tung hat . . . eine wohl von Zieritz (notae, ed. 1625 p. 100) erfundene An-
sicht (über das Stabbrechen: judex fidem facit de reo jam actum esse, uti
baculo et reum vitam amisisse).
Stolze], Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. L II
1()2 2. Buch. Personal. 2. Abschnitt. Schoppen.
Zieritz geschrieben hat, zeigt ihn wohlbewandert in der
Geschichte der kirchenpolitischen Kämpfe des sechzehnten
Jahrhunderts und giebt zu der Vermuthung Anlass, dass
diese Kämpfe der Grund gewesen sind, der die Familie
Zieritz zur Zeit der schottischen Gegenreformation aus Aber-
deen nach Brandenburg auswandern liess.
Der dem Kommentar der Carolina angehängte Aufsatz de
scopelismo ist ein auf vier Quartseiten beschränkter gelehrter
Kommentar derUlpianischen 1. 9. D. deextraord. crimin. (47, 1 1),
die von dem Verbrechen handelt, Steine auf des Nachbarn
Acker zu setzen, damit der Nachbar durch die Nachstellungen
dessen, der die Steine gesetzt habe, eines elenden Todes
sterbe, ein Verbrechen, was die Araber Scopelismus nannten.
Zieritz will mit diesen Zauberkünsten, an die er zu glauben
scheint, die Worte im Buche Hiob Kap. 5 Vers 23: „Dein
Bund wird sein mit den Steinen auf dem Felde" in Beziehung
bringen.
Die Abhandlung über die Prärogativen der fürstlichen
Würde ist 161 1 in Jena erschienen und den beiden Geheim-
räthen Gans zu Putlitz gewidmet, deren einer unter Kurfürst
Johann Sigismund Statthalter der Mark war. Sie stellt
den Satz auf: „jus publicum nil aliud est, quam remotior et
peritior quaedam philosophia", und liefert zwar ebenfalls
den Beweis grosser Belesenheit wie grosser Vertrautheit
mit der Geschichte, ist aber nichts weiter, als ein politisches,
mit Angriffen gegen das Papstthum untermischtes Raisone-
ment ohne greifbare Resultate, das die majestas politica für
nulla erklärt, „nisi virtutis purpurissa sit colorata"; denn
„sola majestatis anima virtusu.
Bei seinen Anträgen im Schöppenstuhl vertrat Zieritz
(im Gegensatz zu seinem neustädter Kollegen Floring) viel-
fach den Standpunkt grosser Härte bei Abmessung der
Strafen. Das Abzwacken der fünf Finger vor dem Feuer-
tode vertheidigte er 16 19 (ÜB. 2 590) in der Sache des Tan-
germünders Brandstifters Tonnies Meilhan, des Mannes der
Grete Minde, als zulässig, wenn es auch nicht hergebracht
sei; denn — so votirte er — „nobis scriptum est psalmo 106:
beati qui faciunt justitiam . . . nee crudelis est, qui crudeles
$ 8. Neustädtische Schoppen. 1(>3
jugulat . . .; nihil obstat, dass solche poena insolita". Auch
hier ist das durchaus fehlgreifende Bibelcitat beachtlich; die
Worte des Psal misten: „Wohl denen, die das Gebot halten
und thun immerdar recht", sind schwerlich je sonstwo zur
Rechtfertigung grausamer Strafen missbraucht worden. Den
Satz: non crudelis est, qui crudeles jugulat, nimmt Zieritz
1622 und zwar ebenfalls unter Heranziehung des 106. Psalms
in die an den Kurfürsten Georg Wilhelm gerichtete Vorrede
seines Kommentars zur CCC. auf; er tadelt darin diejenigen,
welche „de sanguine humano sententiam ferre piaculum existi-
mant". Das entsprach insofern der Auffassung der Zeit, als
es damals in den deutschen Städten zur Aufrechthaltung der
Ordnung für nöthig galt, mit strengen Strafen vorzugehen.1)
Zugleich zeigte sich aber darin die Nachwirkung der grau-
samen Hinrichtung Meilhans: so sehr fühlte Zieritz noch drei
Jahre nach ihrem Vollzuge das Bedürfniss, sie zu rechtfertigen,
dass er die von ihm im Schöppenstuhl vertheidigte Anschau-
ung an der Spitze der für den Kurfürsten bestimmten Wid-
mung nochmals öffentlich vertrat.
Da im Jahre 16 17 drei Schoppen der Neustadt fehlten,
wurden die beiden Bürgermeister der Neustadt Johann Buch-
holtz und Joachim Schale, sowie der Richter der Neustadt
Johann Iden in den Schöppenstuhl gewählt.2)
Johann Buchholtz, Sohn des Mag. Martin Buchholtz,
des Diakonus der Katharinenkirche, Neffe des Bürgermeisters
und Schoppen Joachim Buchholtz,3) studirte in den 1590er
Jahren zu Wittenberg und Frankfurt, wurde dann Kantor
(d. i. vierter Lehrer) der neustädtischen Schule, demnächst
Kämmerer und 1612 Bürgermeister. Er starb 1630; 4) noch
1629 ist er als Schöppe thätig (78 305).
Joachim Schale, ein geborner Brandenburger, war
1599 in Wittenberg (als non juratus) immatrikulirt. Ver-
heirathet mit einer Tochter des altstädter Schoppen Mag.
1) Mittermaier in Feuerbachs Kriminalrecht, 14. Aufl. S. 15 N. 19.
2) R. 21 No. 9C StA.
8) Doc. N. II, 105 RA.
4) Grabdenkmal in der Kath. Kirche.
11*
164 2. Buch. Personal. 2. Abschnitt. Schoppen.
Bluhm, wurde er 161 6 Kämmerer, später Bürgermeister l) und
von 1617 bis mindestens 1643 (77 305) Schöppe in der Neustadt.
Johann Iden, Sohn des Bürgermeisters und Schoppen
Michael Iden, 2) Schwager der Schoppen Floring und Martin
Buchholtz, Schwiegersohn des Schoppen Poppe, studirte seit
1587 in Wittenberg. Nach seiner Verheirathung nahm er
junge Leute von Adel an Tisch, „die ein ziemliches Kostgeld
gaben41, und fing zugleich damit an, „seine studia ad praxin
zu dirigirenu und sich reichlich Bücher anzukaufen, um sie
„alle und jede seinem Sohne Johann, da er zum Studiren
Lust habe, nebst den darüber vorhandenen catalogis zu ver-
machen". 3)
Buchholtz, Schale und Iden bildeten mit Zieritz die
Mehrheit in der ebenerwähnten Tangermünder Brand-
stiftungssache und setzten ihrem Schöppenstuhle ein trauriges
Denkmal durch ihren Spruch, der auf Zieritz* Vorschlag
beruhte. Das Gegenargument der Minderheit des Kollegs,
die Carolina kenne bei der Brandstiftung kein Abzwacken
der Finger mit glühenden Zangen und kein „Schmöken*
im Feuer, räumte Buchholtz, ein Pfarrerssohn, mit dem
rabulistischen Grunde hinweg, die Carolina drohe den Tod
durch Feuer an, leide also durch dies vorgeschlagene
Zangenreissen und Schmöken keine Gewalt, „da ja Alles
durch's Feuer geschehe"; das fand den Beifall Schales und
Idens. Dass letzterer gegen seinen Schwager Floring stimmte,
kann übrigens durch ein gespanntes Verhältniss beeinflusst
gewesen sein, in welches sie durch den Streit gerathen waren,
den Floring seit 1602 mit dem Rathe der Neustadt hatte:
1623 wirft Floring in den Akten (7186) seinem Schwager
Iden, damaligen Richter der Neustadt, vor, dass er statt auf
dem Rathhause mit Zuziehung von Schoppen unerhörter-
weise Zeugen in seiner Wohnung ohne Schoppen vernommen
habe — ein Spiegelbild des Kampfes zwischen alter und neuer
*) Leichenpredigt der Frau des BM. Tieffenbach. 1616. Bibl. der
Gotthardkirche.
2) Leichenpr. der Witwe Iden, Berlin 1621 im Archiv der PauKkirche
SP. 11, in der Kgl. Bibl. zu Berlin Ee. 516.
3) Laut Idens Testament. Akten II 11 RA.
§ 8. Neustädtische Schoppen. 165
Zeit, des Widerstreits der Schoppen, die sich zur Seite ge-
schoben und in ihren Interessen, sicher auch in den pecuniären,
beeinträchtigt fühlen, gegen das Bestreben des gelehrt ge-
wordenen Richters, für sich allein vorzugehen Im Schoppen-
stuhle ist Iden zuletzt 1630 thätig (73 528).
Von den aus dem Schöppenschreiberamt hervorgegan-
genen Schoppen Mag. Andreas Moritz (1641 bis 1661) und
Bartholomäus Schwarz (1645 bis 1667) ist bereits (S. 127) die
Rede gewesen.
In den 1630er Jahren berief man den Sohn des neu-
städtischen Bürgermeisters und Schoppen Joachim Buch-
holtz Namens Matthias, den Schwiegersohn des Bürger-
meisters Michael Iden,1) zum neustädtischen Schoppen; er
hatte von 1591 ab in Wittenberg studirt und war 1619, 1621
neustädtischer Kämmerer,2) 1633 dritter neustädtischer Bür-
germeister. Die Schöppenstuhlsakten zeigen nur im Jahre 1643
Spuren seiner Thätigkeit. 3) Im Jahre 1 648 wandte sich der
neustädtische Rath an den Berliner Geheimen Rath, um Buch-
holtz wegen Gedächtnissschwäche pensioniren zu lassen; der
Rath wurde beschieden, „das, was sie ihm zu geben, nach
dem Zustand ihres Rathhauses einzurichten." 4) Drei Jahre
darauf starb Buchholtz. An seiner und Joachims Schale Stelle
wählte man Peter Müller und Carolus Nicolai.5)
Peter Müller war ein Sohn des neustädter Kaufmanns
und Rathsseniors Joh. Müller und ein Schwiegersohn von
Bernhard Zieritz. Geboren 161 7, bezog er 1636 bis 1643 die
Universitäten Wittenberg und Frankfurt und erwarb sich in
öffentlichen Disputationen einen Ruf. Sodann reiste er über
Hamburg, Bremen nach Oldenburg, Friesland, Holland, Eng-
land und Frankreich. In Leiden verweilte er drei Monate.
Nach dem Tode seines Vaters (1643) praktizirte er einige
l) Doc. A. II, 84 RA.
a) Tschirsch, Tagebuch des Garcäus S. 58. Leichenpr. der Witwe
Iden von 1621. SP. 11 der Brdb. Paulikirche. Daselbst Seldts Predigt
von 1633. Vgl. auch Schöppenstuhlsakten 71 423 ff.
*) 77 250- 254. 277. 289. 305. 327. 335.
4) Meinardus, Protokolle und Relationen des Brandenburger Geh.
Raths 4, 53.
6) R. 21 No. 9c StA.
IGf) 2. Buch. Personal. 2. Abschnitt. Schoppen.
Zeit in Berlin, bis er 1650 in den Rath der Neustadt Branden-
burg gelangte.1) Im Jahre 1652 wurde er Bürgermeister
der Neustadt, 1655 Deputirter der mittelmärkischen Städte
und 1667 Verordneter der Landschaft. Mit Hinterlassung
nennenswerthen Vermögens2) starb er am 1. Oktober 1678.
In seinem Testament stiftete er für die neustädtischen
Schoppen die Zinsen von 1000 Thrn. als Legat. Eine gleiche
Summe bestimmte er zum Stipendium für Verwandte oder
Brandenburger Stadtkinder, die fleissig Jura studiren. Dieses
sog. Konsul-Müllersche Stipendium besteht noch heutigen Tages.
Carolus Nicolai, 1647 Bürgermeister und vorher (1631)
Sekretarius, wie auch (1642) Richter der Neustadt,3) fyngirt
ebenfalls nur kurze Zeit im Schöppenstuhl; über das Jahr
1652 (78 376) hinaus enthalten die Schöppenstuhlsakten keine
Spur von ihm.
Als sein Nachfolger erscheint (1660 bis 1706) der neu-
städtische Syndikus und Kammergerichtsadvokat Michael
Müller, geboren 1625 in Neuruppin, ein Vetter des Bürger-
meisters Peter Müller. Er war der erste Doktor beider
Rechte unter den neustädter Schoppen. Nachdem die Alt-
stadt wenige Jahre zuvor (1656) den Dr. David Cichorius in
den Schöppenstuhl gewählt hatte, durfte die Neustadt nicht
zurückstehen. Vom Jahre 1666 war Michael Müller Bürger-
meister, von 1678 an Senior des Schöppenstuhls (79 760. 7Ö8).4)
Einen zweiten Doktor berief 1670 die Neustadt zum
Schöppenamte in der Person des Magdeburger „jurisconsul-
tusu Johannes Cramer, der im Jahre zuvor neustädtischer
Syndikus und dann Bürgermeister geworden war, nachdem
er 1652 in Strassburg promovirt hatte.5) Gleich Zieritz trat
1) Leichenpredigt, Manuskript in den Akten M. 1, RA., Präsentation
und Konfirmation R. 2 t No. oc StA.
2) 40335 Thr. 4 g. 6 ^, Inventar in den Akten M. 1 f. 116 RA.
3; Doc. N. II 650. 665; Manuale Cod. N. 14 RA.
4) Testament Müllers, Akten M. 1 fol. 63 RA. Rechnungen Cod.
N. 15 ff. RA. Leichenbuch der Kathar.-Kirche.
5) In Frankfurt ist 1668 „m. Johannes Cramer Magdeburgertsis Saxo*4
eingetragen, wohl ein Sohn des Schoppen. — Vergl. ferner Cod. N. 1 1 RA.,
Schöppenbuch fol. 8, Cod. No. 16. 17. 18. io. 20. 21 RA. Leichenbuch der
Kathar.-Kirche.
§ 8. Neustädtische Schoppen. 167
er als kriminalistischer Schriftsteller auf;1) er verfasste 1672
ein compendium criminale über Strafprozess, Verbrechen und
Strafen (432 Seiten Sedez), das sich — ohne den Zieritz-
schen Commentar zu benutzen — wesentlich auf die Ca-
rolina wie auf Carpzow und Brunnemann stützt, auch auf
Brandenburgische Gesetze Bezug nimmt, z. B. auf den Rezess
von 161 1, der die Aktenversendung nach Frankfurt a. O. in
Strafsachen zuliess. Ferner schrieb er eine dissertatio ad 1.
Juliam d. adult. Mit diesem zweiten Doktor schliesst in der
Neustadt die Reihe der Hochgelehrten; die Altstadt hatte
es auf einen Doktor und zwei Licenciaten gebracht. Das Auf-
treten dieser 5 Graduirten umfasst die Zeit von 1656 bis 1706.
Peter Müllers Nachfolger wurde (1680 bis 1690) der
neumärkische Regierungsadvokat Benedict Conrad Pfreundt,
ein Nachkomme des neustädtischen Bürgermeisters Augustin
Pfreundt (f 1631), sowie des neustädtischen Richters und
Bürgermeisters Caspar Pfreundt.2) Geboren in Brandenburg,
studirte er 1663 in Frankfurt.
Nach seinem Tode berief man den der reformirten Kon-
fession angehörigen,3) vor kurzem zum neustädter Bürger-
meister gewählten früheren Köthener Syndikus Ludwig
Cläpius (1696 — 1 7 1 4) 4) in den Schöp penstuhl.
Cramers Nachfolger war (1697 bis 1 7 1 7) Joachim Friedrich
Pfreundt, dessen nähere Beziehung zu den obengenannten
Mitgliedern seiner Familie nicht erhellt. Geboren in Bran-
denburg, verfasste er 1662 als Primaner ein lateinisches Gra-
tulationsgedicht zur Hochzeit seines Rektors,5) studirte von
1667 an in Frankfurt und diente von 1683 bis in die Zeit der
gemeinsamen Stadtverwaltung hinein als Sekretär der Neu-
stadt;6) 1703 bis 1707 kommt er als neustädtischer Richter vor.7)
!) Bei Stintzing, Gesch. der RWiss. nicht genannt, wohl aber bei
Jöcher, Gel. -Lex.
2) R. 21 No. 9C StA. Schöppenbuch fol. 7. Manuale Cod. N. 14,
Doc. N. II 601. 645. 663, Cod. N. 15 RA.
3) Kirchenb. der St. Johanniskirche in Brdb.
4) Kirchenbuch a. a. O., R. 21 No. 9C St. A.
5) Archiv der Paulikirche in lir. unbezeichneter Sammelband.
6) Manuale Cod. N. 22 RA. Stadtrechnungen von 1 715.
7) Schöppenbuch fol. 8.
168 2- Buch. Personal. 2. Abschnitt. Schoppen.
Erst drei Jahre nach Ciäpius' Tode (1717)1) wandte sich
der Schöppenstuhl an den König um einen Ersatz, indem er
berichtete, Pfreundt nähme schon seit zehn Jahren nicht mehr
an den Berathungen Theil.2) Auf diesen Bericht hin legte
Pfreundt in demselben Jahre das Schöppenamt zu Gunsten des
Domsyndikus Dreher nieder, behielt sich aber seinen Antheil
an den Zinsen des neustädtischen Legats vor; er starb 1720. 3)
Gleichzeitig mit Pfreundt wurde 1683 der 1649 in Bran-
denburg geborene Martin Heins zum neustädtischen Stadt-
sekretarius ernannt.4) In Frankfurt 1663 immatrikulirt, leistete
er erst 1670 dem Rektor Brunnemann den Scholareneid und
reiste nach vollendetem Studium in Preussen, Litthauen, Kur-
land und Polen.5) Seit dem Jahre 1702 neustädtischer Syn-
dikus,6) wurde er 1707 Nachfolger Dr. Michael Müllers als
letzter vor der Städtevereinigung ernannter neustädtischer
Schöppe.7) In ihm fand Simon Roter, der Schöpfer des
altstädtischen Kopiariums, einen Nachfolger: Heins verfasste
ein Kopiarium der Neustadt, das sich im Brandenburger
Rathsar<!hiv noch jetzt befindet. Bei der Städte Vereinigung
wurde er 1 7 1 5 Rath und Direktor beider Städte. Er starb 1 724.0)
§ 9.
Scabini der Einheitsstadt.
Seit der Verschmelzung der beiden Städte Brandenburg
zu einer Stadt Brandenburg gab es nur noch einen einheit-
lichen Schöppenstuhl der Stadt Brandenburg. Damit hörte
aber noch keineswegs der Unterschied altstädtischer und
neustädtischer Schoppen auf, obwohl schon früher das
Amt eines altstädtischen und eines neustädtischen Seniors,
*) StA. R. 21 No. 9 c.
*) Die Akten (8a 389) ergeben indess noch 1709 die Theilnahme
Pfreundts.
8) Just.-Min. -Akten, betr. die Aufhebung des Schöppenstuhls etc. fol. 51.
4) Manuale Cod. X. 22 RA.
5) Gottschling, Epitaphalia quaedam etc. 1728. Bihl. des Gymn. zu
Brdb. No. 2550°.
6) Cod. X. 48 und Cod. X. ti RA.
7) R. 21 No. uc StA. Schöppenbuch fol. 8.
R) Cod. N. 68 RA. Stadtrechnung von 1724 RA.
§ o- Scabini der Einheitsstadt. 169
wie das eines altstädtischen und neustädtischen Schöppen-
schreibers verschwunden war. Mehrfach bezeichnete sich der
Schöppenstuhl auch noch als Schöppenstuhl „beider Städte u.1)
Die Schoppen des Schöppenstuhls der zur Einheit gewor-
denen Stadt präsentirten nach 1715 gemeinsam Schoppen zum
Schöppenstuhl; aber man hielt doch daran fest, eine gleich
grosse Zahl von Schoppen aus jeder Stadt zu ernennen.2)
Solcher gemeinsam gewählten und präsentirten Schoppen
gab es bis zur Aufhebung des Schöppenstuhls (1 715 bis 18 17)
im Ganzen nur 16.
Der erste Anlass zu einer Schöppenwahl nach der Städte-
vereinigung war, als der bereits im Jahre 17 14 abgegangene
neustädtische Schöppe Cläpius im Jahre 1715 einen Nach-
folger erhalten sollte. Da sich dessen Ernennung in die
Länge zog, war von 1715 an der Schöppenstuhl zeitweilig nur
mit 5 Schoppen, den 3 Altstädtern Katsch, Steltzner, Lange,
sowie den 2 Neustädtern Pfreundt und Heins besetzt gewesen.
Die Wahl fiel auf Joachim Knackrügge. In Wuster-
hausen geboren, studirte er von 1671 an in Frankfurt und
wurde dann Hof- und Konsistorialrath in Sorau, 1715 aber
Rath und Direktor beider Städte Brandenburg, 3) als der mit
dieser Stelle bedachte ehemalige Frankfurter Professor Dr. j.
Beneckendorf vor Vollendung der Proberelation, die der
König von ihm verlangt hatte, starb. Auch von Knackrügge
forderte im April 171 7 der König eine Proberelation und
„den pflichtgemässen Attest, dass er keines Menschen Hülfe
darin gebraucht'*;4) die Relation sollte mit einem Gutachten
des Schöppenstuhls übersendet, dabei aber zugleich über
die Ursachen der aus einem früheren Bericht von 17 14 er-
hellenden Abnahme des Schöppenstuhls, über die Mitglieder
und über die Behandlung der Sachen berichtet werden.
Nebenher wurde, entprechend der geplanten Verbesserung
des Justizwesens, in Aussicht gestellt, dass jedes Mitglied des
1) Siehe oben S. 79.
2) So wird z. B. im März 1738 Schütte als Assessor des neu städti-
schen Schöppenstuhls beeidet. R. 21 No. 9c StA.; Schöppenbuch fol. 9b.
3) Gottschling:, Frommes Beschreibung der Stadt Brdb. S. 157.
4) R. 21 No. 9c StA.
170 2' Buch. Personal 2. Abschnitt. Schoppen.
Schöppenstuhls gleichfalls Akten zur Anfertigung einer Probe-
relation erhalten werde, „damit nach verspürter Kapazität der
König und seine Gerichte mehr Vertrauen zu ihnen haben
und bei Verschickung der Akten auf sie reflektiren könnten u.
Wegen der Ursachen der Abnahme beriefen sich die Schoppen
auf den früheren Bericht; weil sie keinen Gehalt, vielmehr
nur Sportein bezögen und viel Unkosten bei der Aufnahme
hätten, wolle Niemand Mitglied werden; die Schoppen
müssten Gehalt beziehen, damit die Sachen nicht ausser
Landes geschickt würden; von den jetzigen Mitgliedern
(Katsch, Lange, Heins, Pfreundt, Steltzner) wolle eines wegen
Alters sein Amt niederlegen; mit der Abfassung von Relationen
seien die „längst kapabel befundenen" bisherigen Mitglieder
zu verschonen. Der König stellte darauf eine Salarirung,
aber auch die Bestellung einiger extraordinarii in Aussicht
behufs Sammlung der merkwürdigen casus, „damitthiernächst
die (Kriminal-) Ordnung könne verbessert, auch der Strafe
halber, was nöthig, verfügt werden".
Für den damals abgegangenen Schoppen Pfreundt brachte
der Schöppenstuhl den Professor philosophiae an der 1704
gegründeten Ritterschule des Domkapitels Dr. Kämmrich1)
zum Assessor und den Syndikus des Domkapitels Dreher
zum extraordinarius oder supernumerarius in Vorschlag und
erhielt Akten für Beide zu ihrer Proberelation zugesandt, nach-
dem er erklärt hatte, selbst Akten zur Proberelation nicht zu
besitzen, weil die ihm überschickten Akten rasch wieder ab-
gehen müssten. Die Proberelation Kämmrichs wird auch
vom Schöppenstuhl eingesandt und vom König einem ge-
heimen Rath, einem Kammergerichtsrath und einem Kriminal-
rath zur Begutachtung überwiesen. Weiteres erhellt nicht;
Kämmrich wurde niemals Schöppe.
Für die Begutachtung der Relation Knackrügges bestellte
der König den Berliner Generalauditeur, einen Kammerge-
richts- und einen Kriminalrath, für die Begutachtung der
]) Vergl. Arnold, Kurze Gesch. der Ritterakademie zu Dom-Branden-
burg 1805, S. 16. Kämmrich wünschte den Namen Ritterschule, weil er
ihn „choquire", in Ritterkollegium, wenn nicht Ritterakademie geändert zu
sehen.
§ 9- Scahini der Kinheitsstacft. 171
Relation Drehers drei Berliner Geheimräthe. Letztere er-
klärten Drehers Relation, weil sie sich auf blosse Wieder-
gabe der Akten beschränkte, für unvollständig und verlangten
eine neue Relation. Da Dreher sie zu liefern unterliess, wurde
auch er nicht Schöppe. Knackrügge trat in den Schöppen-
stuhl ein und war darin bis zu seinem Tode im Jahre 1730 thätig. ')
Der zweite nach der Stadtvereinigung gewählte Scabinus
war Johann August Giesecke (geb. 1689). Im Jahre 17 18
syndicus „substitutus",2) ersetzte er seit 1720 den neustädter
Scabinus Pfreundt und blieb im Schöppenstuhl bis 1759, seit
1730 als Knackrügges Nachfolger Rath und Direktor beider
Städte.3) Nach Steltzner wurde er (1733) Senior. Durch
Heirath war er mit der Schöppenfamilie Heins verschwägert.
Er starb auf einer Reise nach Magdeburg.
Für den altstädter Scabinus Katsch trat als dritter Scabi-
nus nach der Städtevereinigung Heinrich Julius Oelschläger
von 1723 bis 1747 in den Schöppenstuhl, der den Geist der
Hallenser Hochschule in die Brandenburger Rechtsprechung
einführte4) und ein besonders fleissiges und tüchtiges Mitglied
des Schöppenstuhls wurde; häufig gab er in schwierigen
Rechtsfragen den Ausschlag und war seiner Zeit die Seele
des Schöppenstuhls. Er stammte aus Berlin. Nachdem er in
Halle studirt, wurde er als candidatus jur. von Thomasius dem
Brandenburger Domkapitel zum Direktor des Ritterkollegiums
(der früheren Ritterschule und jetzigen Ritterakademie) vor-
geschlagen und am 20. Januar 1722 als solcher angestellt. ^
Obwohl in seinem Hauptamte nicht Jurist, war er doch eine
äusserst schätzbare Kraft mit gediegenen Kenntnissen; was vor
fast zweihundert Jahren im Schöppenstuhl die Schulrektoren
bedeuteten, bedeutete darin jetzt der Leiter des Ritterkolle-
giums. Sein Bestreben ging dahin, die Schüler jener Akademie
l) RA. Rechnung G. 30.
a) Stadtrechnungen G. 16 ff. RA.
3) Stadtrechnung G. 30 RA.
*) Schoppenstuhlsakten 84 515: „es würde denen, die wir in Halle
studirt, sehr verdacht werden" etc. (Aeusserung Oelschlägers).
ft) Köpke, Geschichte der Ritterakademie zu Brandenburg, Manuskript
im Archiv der Ritterakademie. Arnold, Gesch. der Ritterakademie 1805
S. 17. Vergl. auch Schöppenstuhlsakten 81 497.
172 2' Buch. Personal. 2. Abschnitt. Schoppen.
im Rechtsstudium so vorzubereiten, dass sie nicht mehr Jahre
lang auf den Universitäten zubringen müssten. Er wollte also in
Brandenburg eine Art Rechtsfakultät schaffen. Einer seiner
Schüler, v. Görne, wurde unmittelbar von der Schule aus im
Jahre 1726 zum Kriegs- und Domänenrath ernannt.1) Oel-
schläger starb 1747.
An Heins'' Stelle wurde 1733 der Bürgermeister Joachim
Ernst Plümicke zum Schoppen vorgeschlagen, nachdem der
zunächst in Aussicht genommene Bürgermeister David Laurens
seine Proberelation- nicht abgeliefert hatte. Plümickes Rela-
tion zeigte viele Mängel; trotzdem wurde er 1734 be-
stätigt.2) Ohne vorher im Rathsdienst gestanden zu haben,
war er 1730 zum Bürgermeister gewählt worden.3) Die
beiden anderen Mitglieder (Giesecke und Oelschläger) ver-
langten von ihm, dass er zu den Unkosten, welche seit dem
Jahre 1731 durch Verhandlungen wegen Gewährung einer
Gehaltszulage entstanden seien, beitrage. Plümicke weigerte
sich dessen. Seine Kollegen warfen ihm ferner Unfähigkeit
zur Abfassung der Urtheile4) und persönliche Missgunst vor.
Beide Parteien supplizirten deswegen mehrmals an den König,
der mit der Verhandlung und gütlichen Beilegung der An-
gelegenheit Steltzner beauftragte. Dieser brachte, nachdem
zahlreiche Schriften und Gegenschriften gewechselt waren,
am 29. Juni 1737 einen Vergleich zu Stande. Plümicke blieb
23 Jahre im Schöppenstuhle. Bis 1744 war er zugleich
Richter der Altstadt;5) er starb im Jahre 1756.
Die durch den Tod des altstädtischen Schoppen Lange
(S. 150) 1730 frei gewordene Stelle wurde erst im Jahre 1738
wieder besetzt, und zwar mit dem Kammergerichts- und
Brandenburger Stadtadvokaten8) Joachim Christoph Stein-
1) Arnold, Kurze Geschichte der Ritterakademie, Brandenburg! 805, S. 17.
2) R. 21 No. qc StA. 3) Schöffenbuch f. 9.
3) RA. Stadtrechnung von 1730.
*) R. 21 No. 9 c StA. Ein jüngerer Kollege (Schütte) änderte z. B. 1749
(98 622) „Einiges, das contra acta eingelaufen**, in einem Konzepte Plü-
mickes ab.
5) RA. Stadtrechnungen von 1730 und 1744.
ö) Er unterzeichnet sich (100 331) 1737 als camerae regiae advocatus
et Ordinarius hujus loci.
§ 9- Scabini der Einheitsstaat. 173
feld, einem Pommern, der 1731 in Frankfurt immatrikulirt
war. Nachdem er sich einige Zeit beim Schöppenstuhl in der
Ausarbeitung von Urtheilen geübt hatte — drei solcher
Uebungsurtheile aus der Zeit vom November 1736 bis zum
Mai 1737 sind Theil der Schöppenstuhlsakten1) — präsentirte
ihn im Juli 1737 der Schöppenstuhl ; die Bestätigung erfolgte
im November 1737, die Vereidigung im Januar 1738.2) Nach
Gieseckes Tode wurde Steinfeld 1759 Senior und blieb es
bis 1784.3) Neben seiner Schöppenthätigkeit übte er die
Anwaltsthätigkeit weiter, 4) auch bekleidete er bei einer Reihe
von adligen Gerichtsherren das Amt eines Justitiars5) und
war Notar.»5)
Auch nach Knackrügges Abgang blieb eine mehrjährige
Vakanz im Schöppenstuhl, so dass dieser zeitweilig nur vier,
ja kurze Zeit nur drei Mitglieder zählte. Mit dem Jahre 1738
war er aber wieder auf sechs Mitglieder gestiegen, da in
diesem Jahre ausser Steinfeld Wichmann Gottlieb (Gottlob)
Schütte (geb. 17 10 zu Peussen bei Magdeburg) als Schöppe
eintrat. 7)
Nachdem er das Brandenburger neustädtische Lyceum8)
*) 88 398 bis 411 (28. Nov. 1736: relatio ad dominos Seniorem et
Asse sso res regii scabinatus Brandenburgici ; 88 370 ff. (5. Jan. 1737); 100
319 bis 332 (16. Mai 1737).
*) R. 21 No. 9C StA., Schöppenbuch fol. 9. 3) Schöppenbuch foi. 20.
*) Er fertigt kurz vor dem 10. Febr. 1739 in einer damals an den
Schöppenstuhl gelangten Sache als advocatus ein Memorial (90 69), er tritt
als defensor in einer Brandenb. Ehebruchssache im Okt. 1739 (90 770), als
Advokat 1746 in Sachen des Lehnschulzengerichts zu Golwitz bei Brdb.
auf (97 875; 98 148). 1742 wird er in der Stadtrechnung RA. G. 51 als
advocatus pauperum erwähnt.
5) Er ist 1749 Justitiar der hochadeligen Hackenhausenschen Gerichte
des Hauses Grossen-Creutz (98624), desgl. 1751 Justitiar der hochadligen
Brandtschen Gerichte zu Wiesenburg bei Beizig (99 203), 1752 desgl. (99
370) des v. Schlabrendorfschen und Britzkeschen Sammtgerichtes in Baus-
dorf bei Genthin, desgl. 1756 zu Kützkow bei Genthin (99671).
e) In einer 1743 schwebenden Sache hat er „als Notar ein Vidimus
gemacht" (94 78).
*) Dullo, Kommunalgesch. v. Brdb. 1886 S. 231. Leichenbuch der
Katharinenkirche.
*) 1728 Wichm. Gottlob Schi., Halensis, in der I. classis. Gratulations-
ged. im Sammelband der Paulikirche.
174: 2. Buch. Personal. 2. Abschnitt. Schoppen.
absolvirt und dann vier Jahre in Halle studirt hatte, l) wurde
Schütte Hofrath und dann Stadtsekretar zu Brandenburg. Als
solcher machte er, 26 Jahre alt, Ende 1737 seine Probe-
relation für den Schöppenstuhl, die von den damaligen vier
Mitgliedern Giesecke, Oelschläger, Plümicke und Steinfeld
für genügend erklärt wurde.2) Im Jahre 1752 finden wir
ihn als Syndikus, im Jahre 1766 als Senior des Schöppen-
stuhls, im Jahre 1767 als Justizdirektor und neustädtischen
Richter; er starb 1 776.3)
Zwei Jahre nach Schütte wurde der Domsyndikus
Christoph Bernhard Braun (108 363) als Schöppe bestätigt.4)
Von seiner Herkunft ist nichts bekannt. Er blieb als Schöppe
Domsyndikus und gehörte 29 Jahre dem Schöppenstuhl an,5)
war auch Justitiar der v. Rochow zu Reckahn bei Branden-
burg (98314).
Oelschläger starb 1747; sein Nachfolger war von 1747
bis 1784 der Brandenburger Stadtsyndikus und Advokat
Georg Friedrich Grust aus der Uckermark,6) der zugleich
(1761) als von Bredowscher Justitiar in Klessen bei Friesack
und als Hoffiskal fungirte.7)
Als Plümicke 1756 starb, sank die Zahl der Schoppen
auf fünf, und als ihm Giesecke 1759 im Tode folgte, sank
sie auf vier Schoppen, ohne je wieder eine höhere Zahl zu
erreichen.
Für Giesecke (f 1759) trat nach zehnjähriger Pause
(1769)8) der Brandenburger Syndikus und Hoffiskal Im-
manuel Richter ein, der 1738 in Klempzig (Schlesien) geboren
') Dullo a. a. O.
2) 89 20. 29. 30. „Der Herr Hofrath ist auf dem Wege, vermittels
fleissiger Beobachtung aller zur Verfertigung- derer Urtheile erforderten
Umstände die Fähigkeiten und Eigenschaften eines tüchtigen Scabini zu
erreichen." Die Rel. (12 Bl.) liegt bei.
3) Leichenbuch der Katharinenkirche. RA. Stadtrechnungen G. 43 ff.
4) R. 21 No. 9C StA. Schöppenbuch fol. 10.
fi) Schöppenbuch fol. 12 (f Aug. 1769).
6) 1731 in Frankfurt immatrikulirt.
7) Schöppenbuch fol. 10. 20; Schöppenstuhlsakten 101 199 und 227.
Als Advokat fungirt G. 1756 (99 673) und 1757 (108 398).
8) R. 21 No. 9C StA. Schöppenbuch fol. 12.
§ <>. Srabini der Einheitsstadt. \ 75
und drei Jahre auf der Universität Halle aus gebildet war. Er
starb 1777, erst 39 Jahre alt, als „allgemein beliebter u Justiz-
direktor beider Städte Brandenburg. l)
In Schuttes Stelle rückte 1778 der Hoffiskal, Postmeister
und Advokat Joh. Friedrich Pauli aus Küstrin ein,2) der
1752 in Frankfurt immatrikulirt war und [766 an seiner
Proberelation arbeitete, aber sie binnen drei Monaten nicht
erledigte (102 143). Er sass kein volles Jahr im Schöp-
penstuhl ; denn er ging 1779 als Postdirektor nach Magde-
burg.
Für ihn und für Richter wurden 1780 der Branden-
burger Kriminalrath und Justizbürgermeister Julius Albert
Rudolphi (oder von Rudolphi) aus Greiffenberg in Schle-
sien und der Brandenburger Stadtsyndikus Carl Wilhelm
H u go aus Zehdenick bei Prenzlau in den Schöppenstuhl be-
rufen.H) Ersterer hatte von 1753 an in Frankfurt studirt,
letzterer von 1757 an. Rudolphi war zugleich neustädischer
Richter, er starb 1801 als solcher und zugleich als Justiz-
direktor und erster Justizbürgermeister.4) Hugo starb be-
reits 1783.
Ihn ersetzte 1783 der damals 25jährige Brandenburgische
Justizkommissar, auch Hoffiskal und Justitiar Zier hold, der
bis zur Auflösung des Schöppenstuhls dessen Mitglied war
und 1839 als Hoffiskal, 82 Jahre alt, starb.5)
Im Jahre 1784 trat für Steinfeld der Stadtsyndikus
und Kriminalrath Fabricius in den Schöppenstuhl. Als
Syndikus war er 1783 Hugos Nachfolger geworden; 1788
wurde er Justizbürgermeister und Richter der Neustadt an
Rudolphis Stelle und starb als solcher 1796.*)
1) Leichenbuch der Katharinenkirche. Hiernach wird Dullo a. a. O.
S. 232 zu berichtigen sein, der Zullichau als Geburtsort nennt. RA. Stadt-
rechnungen von 1767 ff.
2) R. 21 No. 9c StA. Schöppenbuch fol. 12.
*) R. 21 No. 9c StA. Schöppenbuch fol. 18. 19.
*) RA. Rechnungen von 1778 ff.
*) R. 21 No. 9c StA.; Schöppenbuch fol. 19. Akten des Brdb. Magi-
strats, betr. die Wahl des Syndikus. Brandenburger Anzeiger von 1839
unterm 10. Jan.
fl) RA. Stadtrechnungen von 1783 ff. Schöppenbuch fol. 20. 22.
1 7(> 2. Buch. Personal. 2. Abschnitt. Schoppen.
Sein Nachfolger war der Brandenburger Justizbürger-
meister, frühere Kammergerichtsreferendar Friedrich Ludwig
Uhde, geb. 1762 in Halberstadt. Uhde wurde auch als
Justizbürgermeister und Richter der Altstadt 1796 Fabricius1
Nachfolger, nachdem er seit 1788 die Stelle des Justiz-
aktuarius bekleidet hatte. Im Jahre 1807 siedelte er nach
Berlin als Mitglied des damals dort gebildeten standischen
Komites über und hat sich daselbst bis zu seinem Tode
„gänzlich" aufgehalten.1) Er starb am 1. Juni 1809,2) ohne
einen Nachfolger zu erhalten; der Schöppenstuhl bestand
von 1807 an thatsächlich aus zwei Mitgliedern.
Nur der im Jahre 1801 verstorbene Justizdirektor Ru-
dolphi erhielt noch einen Nachfolger und zwar in der Person
des 1801 bestätigten Brandenburger Justizaktuars, früheren
Kammergerichtsreferendars Samuel Dietrich Steinbeck3)
aus Brandenburg, geboren 1774, erst (1798) Justizaktuar,
dann (1804) Stadtsekretar und Stadtsyndikus.4)
Als 1809 *n Folge der Einführung der Städteordnung
die Gerichtsbarkeit der Stadt entzogen und dem neuorgani-
sirten königlichen Stadtgericht übertragen wurde, schied Stein-
beck, der als Syndikus bereits vorher zusammen mit dem
Justizdirektor und Justizbürgermeister die Justiz verwaltet
hatte, aus dem Magistrat, nicht zugleich aber aus dem
Schöppenstuhle und trat in das Stadtgericht ein. Im fol-
genden Jahre wurde das Stadtgericht durch Zulegung des
Justizamts Lehnin zum Land- und Stadtgericht Brandenburg
erweitert; Steinbeck erhielt nunmehr den Titel eines Land-
und Stadtgerich tsraths 5) und starb als solcher im Jahre 18386),
also ein Jahr vor Zierhold; sie beide waren von 1809 an
die einzig übriggebliebenen Assessoren des Schöppenstuhls.
J) Stadtrechnungen de 1788 ff. Akten G. 13 betr. die Aufhebung des
Schöppenstuhls RA.
•) Dullo a. a. O. S. 237. Gen.Akten des Berl. J.Min., Aufhebung des
Schöppenst. betr. S. 56.
3) R. 97 III. d. fol. 113. 114 StA. Schöppenbuch fol. 23.
4) Dullo a. a. O. S. 237. 45.
*) Acta gen. betr. Organisation des Stadtg. zu Br. etc. IL B. 4 AA.
Die darin enthaltenen Brandenb. Berichte sind von Steinbeck verfasst.
6) Brandenb. Anzeiger von 1838, unter dem 8. Febr.
3- Buch.
Ausbildung des Personals.
§ 10.
Notariat.
Unter den bei Ausübung der Rechtspflege thätigen
Stadtschreibern, Schöppenschreibern, Schoppen, Richtern
und Prokuratoren haben wir bereits vielfach solche gefun-
den, die zugleich Notare waren. Notare sind es auch, wie
sich weiter zeigen wird, die hier und da nicht bloss von
den Parteien den Auftrag erhalten, die Missiven an den
Schöppenstuhl abzufassen, sondern auch von den Gerichts-
herren damit betraut werden, die Protokolle über gerichtliche
Vorgänge aufzunehmen, ja allgemein statt der Gerichtsherren
die Gerichtsbarkeit zu verwalten, d. h. in moderner Sprach-
weise, als Patrimonialrichter zu fungiren.
So erweisen sich die Notare, von Alters her schreib-
kundige Kleriker,1) als die geeignetsten Personen, dem
schriftlichen Prozessverfahren und zugleich dem kanonisch-
römischen Rechte die Wege zu bereiten: im Notariate liegt
der Keim für die Umbildung der Volksrechtsprechung zur
gelehrten Rechtsprechung; aus dem Notare entwickelte sich
der rechtsgelehrte Richter. Die Ausbildung zum Notar ist für
die ältere Zeit die Vorstufe zur Ausbildung dieses Richters.
Die Heimath des Notars war Italien. Schon im drei-
zehnten Jahrhundert kannte man in Bologna Doktoren der
Notariatskunde.2) Da der Notar sowohl im Interesse kirch-
licher als weltlicher Gerichtsbarkeit zu wirken hatte, war
es für ihn räthlich, seine Befugnisse sowohl aus päpst-
licher als aus kaiserlicher Macht herzuleiten; die päpstliche
!) Stölzel, Rechtsverw. i, 32 ff.
2) G. Kaufmann, Gesch. der D. Univ. I, 19a. 202.
St ölzel, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. L 12
178 3- Buch. Ausbildung- des Personals.
Bestätigung . im Verein mit der kaiserlichen sicherte ihm das
Recht, in geistlichen wie in weltlichen Angelegenheiten mit
öffentlichem Glauben aufzutreten. So entstand der „notarius
publicus apostolica et imperiali auctoritate, clericus dioeceseos
N. N.u, der im Eingang seiner Urkunde sowohl bezüglich des
Papstes als des Kaisers die Zahl des Regierungsjahres an-
giebt. Papst und Kaiser kreirten aber nicht persönlich den
einzelnen Notar, sie hatten dafür ihre Delegirten, der Papst
seine Bischöfe, der Kaiser seine Pfalzgrafen (comites pala-
tini), die in Italien schon im zwölften, in Deutschland erst im
vierzehnten Jahrhundert vorkamen. *) Auch der Papst nahm
das Recht in Anspruch, comites palatini zu ernennen; ein
solcher war z. B. Luthers Gegner, der Nuntius Aleander.
Vor den comites oder vor den Vorstehern des Notariats-
kollegs oder, wenn Städte einen notarius civitatis annahmen,
vor der städtischen Obrigkeit fand eine Prüfung des Notariats-
aspiranten statt. Nachdem es üblich geworden, dass die
Pfalzgrafenwürde vom kaiserlichen oder päpstlichen Delegirten
•auf einen Subdelegirten und von diesem als Einnahmequelle
auf den einen oder anderen begünstigten Beamten, z. B. einen
Universitätsdekan, einen fürstlichen Rath oder einen Pfarrer
überging, erfolgte durch den Subdelegirten die Bestellung
zum Notar nach vorausgegangener Prüfung.2) Für Manche
war die Ernennung zum Pfalzgrafen nur Ehrensache: als
Aleander 1534 in Venedig seinen Dichterkollegen Georg
Sabinus zum Pfalzgrafen machte, hatte dieser von seinen
pfalzgräflichen Rechten in der Heimath wenig zu hoffen.3)
In den italienischen Städten galt gewohnheitsrechtlich
der Satz, dass die Geschäfte derjenigen Schreiber, die im
Dienste von Beamten oder Behörden öffentlich thätig waren,
nur von Notaren besorgt werden durften.4) Daraus erklärt
sich die grosse Menge der Notare.
l) Oesterley, Das deutsche Notariat, 1842 I, 426.
-) Formulare der Ernennung von Notaren sind in den unten in § 13 er-
wähnten formulae notariorum fol. 186 ff. enthalten; der comes palatinus
überkömmt fol. i87v die Befugniss, einen vicecomes zu substituiren, der bis
zu 20 Notaren ernennen kann.
8) Toppen, Univ. Königsberg S. 39.
4) Oeaterley a. a. O. I, S. 213.
§ io. Notariat. 179
Ueber die kreirten Notare Hessen Papst und Kaiser eine
Matrikel führen, ebenso ihre Delegirten.
In diese Verhältnisse griff die Loslösung deutschen Lan-
des von der päpstlichen Autorität, wie sie" eine Folge def
Reformation war, thatsächlich ein. Auch ging das Reich in
seinen Notariatsordnungen vom sechzehnten Jahrhundert an
gesetzgeberisch vor. Da sich die Mark Brandenburg erst im
Jahre 1561 vom Papste lossagte,2) kann es nicht auffallen, dass
in den Brandenburger Schöppenstuhlsakten noch bis zum
Ende des sechzehnten Jahrhunderts sich Notare auf ihre Be-
stellung durch den Papst berufen.
Die Nachrichten, die aus diesen Akten sich über Notare
entnehmen lassen, gehen bis 1526, also bis in die vorreforma-
torische Zeit zurück. Hier finden wir die zwei oben S. 118
genannten in Prenzlau thätigen Notare. Als 1537 in Stendal
auf Ersuchen des Stadtrichters Geistliche vor ihrem Oberen,
dem Dechanten, vernommen werden sollen, beauftragt der
Dechant einen Geistlichen und Notar mit Ladung der Zeugen
und mit deren Vernehmung, letzteres, weil er, der Dechant,
krank sei (2 646). In Gardelegen nimmt 1546 ein dortiger
Bürger als Notar „kraft päpstlicher und kaiserlicher Autori-
tät14 eine Ehestiftung auf (5 622). In Perleberg verhört 1552
ein Kleriker aus dem Havelberger Stifte Zeugen als ^offenbar
Schreiber und Notar von päpstlicher Gewaltu (5 307); in Havel-
berg nennt sich 1557 der 1541 in Frankfurt a. O. immatriku-
lirt gewesene Matthäus Fischer aus Reppen bei Frankfurt
„von päpstlicher und kaiserlicher Macht offenbarer Notariusu
(6 340). Zu gleicher Zeit fungirt in Witstock ein Kleriker des
Havelberger Stifts als raus päpstlicher Gewalt offener Notar
im dritten Jahre des allerheiligsten Papstes Paulus IV.U (8 193).
Der „Tribseische Secretarius44 Christoph von Levenstein
nennt sich 1559 „aus apostolischer Autorität offener und des
kaiserlichen Kammergerichts zu Speier immatrikulirter Notar4*
(7 589); ebenso nennt sich zur selben Zeit (7 263) und auch
noch 1566 (10 333) der Wusterhausener Sekretär Henning
Kemnitius, 1548 in Frankfurt immatrikulirt, „sacra apostolica
autoritate notarius44, während damals M. Johann Steinkamp,
l) Oesterley I, S. 186. 2) Stölzel, Rechtsverwaltung I, 208 ff.
12*
180 3- Buch. Ausbildung des Personals.
der Sekretär des Rathes zu Rostock, wo man entschiedener
als in der Mark dem Papst entgegengetreten war, nur als
„aus kaiserlicher Macht offenbarer Notar44 zeichnet (9 191).
In Salzwedel ist 1562 J. Bindemann als „von päpstlicher Ge-
walt offenbarer Notar44 bei einem peinlichen Verhör thätig
(9 100), ebenso 1567 U. Diedrich in Gransee, der, in den Akten
zum ersten Mal, unter seine Beglaubigung ein Notariatszeichen
setzt und zwar seine Hausmarke (11 163). Eine Hausmarke als
Notariatszeichen kommt sonst in den Akten nicht weiter vor,
wohl aber sonstige beliebig hergestellte Embleme; ein Notar
in Garz führt 1585 einen Holzschnittabdruck auf dem letzten
Blatte seiner Protokolle (26 441). Das Notariatszeichen wird
allmählich in die Bestallung aufgenommen und mit ihr ver-
liehen. In Rostock nennt 1567 der Notar Ulenauw im Ein-
gang seines Instruments nur das Jahr der Herrschaft Maxi-
milians IL, er schweigt also vom Pontifikate, gleichwohl
unterzeichnet er sich als Notar „aus apostolischer Autorität u
(11 580); 1576 nennt sich in Malchin (Meklenburg) J. Sade-
wasser „am kaiserlichen Kammergericht approbirter und
immatrikulirter Notar" (17 599). In Märkisch Friedland ver-
nimmt 1573 ein „sacra apostolica autoritate notarius" Zeugen
auf Requisition (13 359); in Schönfliess (bei. Königsberg i. N.)
unterzeichnet 1573 ein Notar „aus kaiserlicher Gewalt**
(14 162), in Tempelburg der Pfarrer schlechtweg als „öffent-
licher Notar", in Stendal Hans Koppen 1577 (25 109)
schlechtweg als „Notar und Stadtschreiber", 1584 (25 408)
aber als „aus römischer kaiserlicher Gewalt offenbar Notar
und Stadtschreiber". Ebenso 1584 (25 335) der Stadtschreiber
zu Soldin Johann Musculus.
David Heynisch ist 1578 „pontificia autoritate" Notar in
Pritzwalk (20 62. 66. 70), der Kyritzer Stadtsekretar Lorenz
Stalberg (1562 in Frankfurt immatrikulirt) amtirt 1579 als
„auetoritate pontificia notarius" (21 34). Der (evangelische)
Pastor Michael Lademann in einem Dorfe bei Treptow a. R.
(Pommern) nimmt 1579 als „apostolica autoritate scriba re-
quisitus" Verhandlungen auf, die von den Parteien in einer
Injuriensache vor dem Erbjunker in Gültz als dem judex
Ordinarius gepflogen sind (21 96).
§ io. Notariat. 181
Daniel Huber nennt sich 1579 „kaiserlicher Notar und
Richter zu Berlin", Jacob Lange dagegen nennt sich gleich-
zeitig „sacra apostolica autoritate publicus notarius dioceseos
Brandenburgensis" (20553), ebenso nennt sich 1583 (24 194),
C. Meteweiss in Retz und 1588 (30 109) A. Crusemark in
Perleberg „aus päpstlicher Macht Notaru. Als „notarius
publicusu oder als „Notar" ohne weiteren Zusatz fungiren
1587 der altstädtische Sekretär von Salzwedel (28 235) und
der Berliner kurfürstliche Kanzleischreiber (284); ebenso
1598 (43 133) der Rheinsberger Bürgermeister und 1600 (47
308) der Neuruppiner Stadtrichter. Der Pfarrer zu Neuen-
kirchen nennt sich 1592 (37634) „offenbarer Notarius".
Notare, die aus päpstlicher Gewalt oder apostolica auc-
toritate zeichnen, sind noch 1590 in Friedland (32 113), 1595
in Schievelbein (40 75), 1598 und 1601 in Templin (43 97;
47 319) zu finden. Als Notare sind thätig 1588 (30 539) in
Garz der Stadtsekretar, 1590 (ÜB. 2 148. 150) in Callies ein
polnischer „amts vergessener Pastor u, 1602 (62 686) in Havel-
berg der Bürgermeister, 1606 (59 26. 50) in Arnswalde und
161 1 (59177) in Bernau der Stadtschreiber, 1622 (70607)
in Prenzlau ein Rathsherr, 1638 (76 589) in Tangermünde ein
Senator und 1747 (98 129) in Soest sogar der Küster. Im
Jahre 1648 (7833) erhält das Stadtgericht zu Kremmen (bei
Ruppin) auf seine Anfrage die Belehrung aus Brandenburg,
dass ein vereideter und geschickter Schöppenschreiber bei
peinlichen Protokollen als ein geschworener Notar zu gelten
habe. In Sandow (bei Reppen) berichtet 1598 (43 156. 160)
der Pfarrer Mag. Bock dem Gerichtsjunker von Mandelsloh
zu Biberteich bei Reppen, was ein Dieb zu Reichenwalde in
tormentis ausgesagt habe, und in Zanthow (bei Landsberg)
fungirt 1609 (57 266) ein legum candidatus als Notar.
Eine alte Sitte war es, dass der offene Schreiber oder
Notar seinen Sitz in der Kirche oder auf dem Markte auf-
schlug. Davon finden wir in Brandenburg noch Spuren beim
Beginne des dreissigj ährigen Krieges. Denn wenn 162 1 (68
641) berichtet wird, dass auf dem Markte zu Perleberg
einem Schreiber aus seinem Kleide ein Beutel mit Geld von
m
einem Beutelschneider „behende herfürgerückt sei", so ist
13*2 3* Buch. Ausbildung des Personals.
unter dem Schreiber wohl ein auf dem Markte sesshaft ge-
wesener Notar zu verstehen.
Um von den mehreren bei derselben Behörde beschäf-
tigten Notaren einen auszuzeichnen, kam früh (schon im Beginne
des vierzehnten Jahrhunderts) der Titel protonotarius in Ge-
brauch. }) Er wurde später üblich bei den Städten und bei
den angesehenen Gerichten, die mehrere Sekretarien hielten.
So gab es schon im sechzehnten Jahrhundert zwei Proto-
notare beim Berliner Kammergericht, es gab 1581 (22503.
504) einen altmärkischen Protonotar in Tangermünde, der
zugleich Hof- und Landrichter der Altmark war, und es gab
1574 (15 122) einen Protonotar in Frankfurt. Das Berliner
Kammergericht hatte noch 1860 seinen Protonotar;2) dann
ist er als obsolet verschwunden; im achtzehnten Jahrhundert
fungirte als solcher ein Kammergerichtsrath.3) Auch bei den
Brandenburger Stadtschreibern hat sich, wie wir sahen (S.
113), der Titel des Protonotars eingeschlichen.
Viele Notare haben nachweisbar schon im 15. und 16.
Jahrhundert Universitäten besucht, die grosse Masse hatte
aber keine akademische Bildung, sie erwarb sich einige
Kenntniss des Lateinischen und übte sich in den amtlichen
Schreibstuben.
Trefflichen Aufschluss über die Art und die Vorbedin-
gungen der Bestellung von Notaren, sowie über ihren Bil-
dungsgang in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts giebt
eine mir vorliegende Notarsbestellung des Jahres 1760. Auf
einem fast 1 Quadratmeter grossen Pergamentblatt „bekennt
öffentlich im Namen der hochheiligen Dreifaltigkeit" der
comes palatinus Samuel Wilhelm Oetter, der sich in der
Urkunde zugleich bezeichnet als „hochfürstlicher Branden-
burgischer Onolzbachscher Konsistorialrath, Historiograph und
]) Stölzel, Rechtsverw. I, 51. 1456 erscheint in der Greifs w. Matrikel
ein protonotarius des Brandenb. Bischofs.
-) Adresskalender von 1860 für Berlin und Potsdam: „Mathiass, Kanz-
lei rat h, Kammergerichtssekretär und Protonotar".
3) Laut der aus dieser Zeit stammenden kammergerichtlichen Missiven
(s. unten § 23).
*) Im Privatbesitz.
§ io. Notariat. 1^3
Pfarrer zu Mark Erlbach u (beiHof), unter seinem pfalzgräflichen,
auf rother Oblate aufgedruckten Siegel: „Demnach Kaiser Jo-
seph I. den regierenden Fürsten Johann Friedrich zu Schwarz-
burg im Jahre 1710 mit der Gnade versehen, im Namen des
Kaisers als comes palatinus Personen, die er dazu für taug-
lich erachte, zu kaiserlichen Notarien oder öffentlichen Schrei-
bern zu ernennen, und genannter Fürst zu Schwarzburg im
Jahre 1756 im Namen des Kaisers ihm, dem Pfarrer Oetter,
Vollmacht gegeben habe, solche Notarien zu ernennen, so
bestelle er den wohlgelahrten Herrn August Heinrich Wein-
rich, gebürtig aus Koditz im Vogtlande, l) bisherigen Skri-
benten im hochfürstlichen Kastenamte zu Neustadt an der
Aysch, der ihn um solches Notariat, Schreiber- und Richter-
amt ersucht, zu einem notario publico, offenen Schreiber und
Richter, nachdem derselbe das Gymnasium Albertinum zu
Hof im Vogtland 7 Jahre lang frequentirt und so die
einem Notario so nöthige lateinische Sprache erlernt, hierauf
4 Jahre bei der hochfürstlichen Landeshauptmannschaft zu
Hof, sodann 7 Jahre bei dem hochfürstlichen Klosteramt
Frauenthal und letztens bei dem hochfürstlichen Kasten-
amt zu Neustadt a. d. Aysch als Skribent gestanden
und daselbst den Amts- und Rechnungsgeschäften, Inventuren
und Theilungen, Ausfertigung der Kontrakte, Jurisdiktionalien
und andere Amtsverrichtungen fleissig abgewartet und noch
überdies seine Geschicklichkeit in den mit ihm in Gegenwart
des kaiserlichen Notars Joh. Anton Schlottmann, dann vorher
schon von Jacob Carl v. Wilde, kaiserl. königl. Commissario,
lic. jur. utr. und procuratori immat. aug. cam. imper., damals
in Fürth sich enthaltend, vorgenommenen Examin e wohl-
bestanden, wie das ausgefertigte Zeugniss mit mehreren
besagt, .... ungehindert dies Amt zu gebrauchen mit Ge-
boten und Verboten bei Poen, welche von Kaisers Joseph I.
Maj. der dem Haus Schwarzburg ertheilten Privilegien gemäss
besonders gesetzt, auch dem ihm, dem Pfalzgrafen, ertheilten
diplomati einverleibt worden, nämlich von 300 Mark löthigen
Goldes." Dann folgt noch die Abbildung und Beschreibung
l) Geboren 1741, also zur Zeit seiner Bestellung zum Notar 29 Jahre alt.
1$4 3* Buch. Ausbildung des Personals.
des vom Pfalzgrafen ertheilten Signets und die Mittheilung,
dass der Pfalzgraf den ernannten Notar in Eid genommen.
Die Urkunde datirt von Mark Erlbach, dem Pfarrort des
Pfalzgrafen.
§ 11.
Schulen.
Ueber die Schulbildung derjenigen Persönlichkeiten, die
zur Mitwirkung an der Rechtsprechung berufen waren, lassen
sich für Brandenburg nur dürftige Nachrichten beibringen.
Man schied im Mittelalter von den „Generalstudien"
(d. h. den Universitäten, deren Diplome den Werth hatten,
dass sie ihren Inhaber befähigten, allgemein inTjder ge-
sammten civilisirten Welt als Lehrer aufzutreten) die Parti-
kular Studien, die nicht, wie die Universitäten, von Papst^und
Kaiser, vielmehr von den Städten oder Bischöfen für ihren
Sonderbezirk gegründet, bestimmt waren, eine höhere
Bildung zu erzielen, als die Trivialschulen sie gewährten.1)
Ein solches namhaftes „Partikular14 war das, auf welchem
Roter seine Vorstudien für die Universität machte.2) Auch
kam es vor, dass ein Partikular zur Universität erhoben
wurde, wie z. B. 1544 in Königsberg,3) wo bereits 1539
dafür gesorgt wurde, dass in der Stadt öffentliche juristische
Vorlesungen stattfanden. Aehnliche Einrichtungen schufen
1529 Strassburg und 1539 Danzig: „der Rechten Doktoru Jacob
Kyrsser wurde 1529 als Diener angenommen, um in der
Stadt Strassburg in kaiserlichen Rechten zu lesen, auch
sollte er advoziren dürfen,4) und Mag. Conrad Lagus, der
1522 eine Privatschule mit Pensionat in Wittenberg hielt,
wurde 1539 Syndikus des Rathes zu Danzig mit der Auf-
') Vergl. Kaufmann, Gesch. der Universitäten I, 372. M. Lauterbachs
Tagebuch auf das J. 1538, herausgegeben von Seidemann, S. 71.
2) Siehe oben S. 96.
3) Muther, Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben S. 347, 357.
*) Eheberg, Verfassung, Verwaltung und Wirthschaftsgesch. von
Strassburg 1899 S. 559. Kyrssers Vater war Kanzler des Markgrafen Phi-
lipp zu Baden; ein Kleriker Peter K. studirt 1497 in Bologna und promo-
virt da, fungirt als Reichskammergerichts- und (15 15) als Brandenb. Rath
von Haus aus. Knod, Deutsche Studenten in Bologna. 1899 S. 251.
§ ii. Schulen. 185
läge, „unser Jugend oder sonst, die solches zu hören begierig
sein werden, eine Lection in den Rechten zu thuendeu. l)
Solche oder ähnliche Einrichtungen finden sich in Branden-
burg nicht; auch von einer Notariatsschule ist keine Spur vor-
handen. Die altstädtische Schule stand in vorreformatorischer
Zeit in nächster Beziehung zur Gotthardkirche und bezweckte
nur, diejenigen Kenntnisse einzuprägen, die beim äusseren
Kultus noth wendig waren.2) Ein Visitationsabschied von 1541
ordnete, da „die Schule in dieser Stadt etwas gefallen", die An-
stellung von vier Lehrern (statt der bisherigen drei) an. Die
neustädtische Schule beruhte seit I565 auf der Schulordnung
Melanchthons von 1528.3) Von Rechtsunterricht war in keiner
der beiden Schulen die Rede. Als in Folge der Stiftung der
Frau von Saldern 1589 eine Neuorganisation der altstädti-
schen Schule eintrat, wurde als Ziel der Erwerb christlicher
Frömmigkeit und Kenntniss der Gelehrten • Sprachen hin-
gestellt, „pietas literata", wie es der damalige Rektor Have-
land nannte; Latinität bildete den Mittelpunkt des ganzen
Unterrichts; für begabte arme Schüler, die nicht in der Lage
waren, die Universität zu beziehen, sollten aber die ersten
Elemente der Rechtsinstitutionen, („eunabula legum") gelehrt
werden, um vor Allem in den gerichtlichen Sprachgebrauch
einzuführen.4) Ausserdem finden sich vereinzelt in den Schöppen-
stuhlsakten Spuren, dass vor den Universitäten mehrere aus-
wärtige Schulen besucht wurden, worunter anscheinend Parti-
kularstudien zu verstehen sind. So haben am Schlüsse des
sechzehnten Jahrhunderts zwei Söhne von Neuruppiner Bürgern
,,in Trivial- und- hohen Schulen zu Ruppin, Olmütz, Prag,
Braunsberg und Wittenberg ihre Ausbildung erhalten" (49
307). Einmal wird auch die Schule zu Thorn als eine solche
auswärtige Schule genannt. Der Sohn eines Pfarrers im
Dorfe Dalgow (bei Spandau) besucht im Anfang des sieb-
zehnten Jahrhunderts bis zum sechzehnten Jahre die Schule
l) Stintzing, Gesch. d. RW.-I, 297. Muther, Zur Gesch. d. RW. S. 329.
3) Tschirsch, Beiträge zur Gesch. der Saldria. Brandenburg 1889.
3) Rasmus, Beitr. zur Gesch. des alt* und neustädt. Gymn. zu Brdb.
I. Das neust. Lyceum 1330 — 1797. Brandenburg 1891 (Schulprogramm).
*) Tschirsch a. a. O. S. 63 bis 68.
]86 3. Buch. Ausbildung des Personals.
in Spandau, dann hält er sich, anscheinend als Präceptor in
adeligen Häusern, fünf Jahre in fremden Landen auf, um mit
21 Jahren seine Studien in Wittenberg „zu kontinuiren" (6616.)
Der Sohn des Krügers Paul Claus zu Beetzendorf besucht
um 1600 (56 37), nachdem sich seine verwitwete Mutter mit
einem Bürger in Gardelegen wieder verheirathet hat, dort
„und anderswo Schulen und Universitäten", insbesondere die
Universität Helmstädt, auf der er den Namen Michael Nicolai
führt, i)
Für diejenigen Persönlichkeiten, die an der Rechtspre-
chung der Schöppenstühle betheiligt waren, hat sich etwa
seit der Reformationszeit ein Rechtsunterricht auf Universi-
täten, wie wir aus den über die Brandenburgischen Schöp-
penschreiber und Schoppen beigebrachten Nachrichten ent-
nehmen können, als unabweisliches Bedürfniss herausgestellt.
Nur Schreiber an den kleineren Gerichten oder Notare
konnten sich mit einer Ausbildung in Trivialschulen und in
Schreibstuben auch noch gegen Ende des achtzehnten Jahr-
hunderts genügen lassen. Wie es sich mit den Ausbildungs-
mitteln für Advokaten und Prokuratoren verhielt, ist aus dem
uns vorliegenden Material nicht ersichtlich; Advokaten und
Prokuratoren treten darin auffallig zurück; nur in seltenen
Fällen wird des einen oder anderen Erwähnung gethan. Das
hängt damit zusammen, dass es lange Zeit Sitte der Advo-
katen ist, die von ihnen gefertigten Schriftstücke durch die
Partei besiegeln und später auch unterschreiben zu lassen.2)
Ueber die Bibliothek und über die literarische Thätigkeit
eines Brandenburger Advokaten aus dem Ende des sieb-
zehnten Jahrhunderts wird unten (§ 13) berichtet werden.
Seit 17 10 erfordert man in Preussen für solche Persönlich-
keiten eine Prüfung, doch konnten sie auch schon vorher
1) Weitere Schulen und Universitäten macht die bezeichnete Quelle
nicht namhaft. Da nach ihr Nicolai 1607 an der Pest starb, ist auch nicht
ersichtlich, welches Ziel er bei seinem Studium verfolgte.
2) Das beweisen zahlreiche Missiven in den Schöppenstuhlsakten.
Von Martin Beilin als Anwalt eigenhändig geschriebene Sätze im Sichter-
schen Prozesse des J. 1502 sind mit Sichters Siegel versehen. Siehe oben
S. n6.
§ ii. Schulen. 1#7
sich prüfen lassen.1) Die zum Dienst als Einzelrichter
Berufenen, wie die Notare oder die Amtsschreiber, werden
auch noch im achtzehnten Jahrhundert sich praktisch in
Schreibstuben haben schulen lassen, wie jener Notar, von
welchem oben (S. 183) berichtet ist.
Die Zustände, welche hiernach den Uebergang aus der
Periode des ungelehrten Rechts zu der Periode des gelehr-
ten Rechts begleiten, ähneln überraschend denen Roms, als
dasselbe zur Kaiserzeit griechischem Einflüsse unterworfen
war. Schilderungen, die von dieser Zeit gemacht werden2),
lesen sich, als sollten sie den Prozess der Romanisirung
unseres deutschen Rechtes wiedergeben: Die Kenntniss des
heimischen Rechtes wird auf der einen Seite als Bestandtheil
des für den Lebensverkehr unentbehrlichen Wissens betrachtet,
auf der anderen Seite wird sie in erhöhtem Maasse als ein
Stück humanistischer Bildung vom Manne besseren Standes
erfordert und dem Jünglinge vornehmlich durch den Unter-
richt eines Kundigen verschafft; dann aber scheidet die
Rechtslehre aus den humanistischen Unterrichtsfächern aus
wegen des allzugrossen Anwachsens der juristischen Literatur;
exakte Kenntniss des Privatrechts wird eine eigene Disziplin;
als solche wird sie vom Schüler erlernt; didaktisch werden
konkrete Rechtsfragen und Rechtsfalle erörtert, nicht an
bestimmten Orten, aber vorzugsweise in Rom und Beryt in
Syrien; Kaiser und Kommunen stellen Rechtslehrer an und
schaffen Hörsäle; es scheidet sich die niedere Praxis der
Notare und Anwälte von der Praxis der dem Jurisdiktions-
magistrat als Hilfsarbeiter beigegebenen assessores und von
dem höheren Staatsdienst respondirender Rechtsgelehrten.
Nur das eine Moment fehlt im alten Rom, das für Deutsch-
land hauptsächlich die Rechtsgelehrsamkeit förderte, der
Einfluss des klerikalen Elementes; denn dem rechtsgelehrten
Laienx des sechzehnten Jahrhunderts in Deutschland ging
überall der auf das neuere Rom hingewiesene rechtsgelehrte
Kleriker voraus.
*) Justizmin.-Bl. von 1882 S. 48.
2) Voigt, Römische Rechtsgesch. Bd. 2 1899 S. 191 ff.
1^(S 3* Buch. Ausbildung des Personals.
Seine Spur haben wir in den ältesten Stadtschreibern
Brandenburgs gefunden, die erst aus den katholischen Geist-
lichen, dann aus den protestantischen Schulleitern hervor-
gingen.
So lange es für Persönlichkeiten, die in der juristischen
Praxis thätig zu sein hatten, an einer Universitätsbildung
fehlte, half in Deutschland die populäre Rechtsliteratur aus,
die sich einer grossen Verbreitung erfreute, erst in Hand-
schriften, die bis in das vierzehnte Jahrhundert zurück-
reichen, dann seit der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahr-
hunderts in Drucken, vor Allem in den Vokabularien und
Repertorien, d. h. alphabetisch geordneten Nachschlagebüchern,
in denen sich Definitionen und Quellenbelege zusammengehäuft
finden, damit dem Nachschlagenden das Studium der Quellen
selbst erspart bleiben könne. l)
Was von die5en Werken der Brandenburger Schöppen-
stuhl besass, wird demnächst (§ 13) dargelegt werden. Eines
der meistgebrauchten dieser Bücher ist das repertorium juris
utriusque des 1497 *n Rom verstorbenen, in Padua promo-
virten Konsistorialadvokaten Johannes Bertachini (drei Folio-
bände). Ueber die Art und Weise, wie dies Repertorium
von Advokaten benutzt wurde, belehrt ein im Jahre 1530
(1 168 ff.) vor dem Stadtgericht Wusterhausen geführter
Prozess um Herausgabe einer Mühle. Des Klägers Advokat
oder „Setzer14 (d. h. der Verfasser von Schriftsätzen) füllt
seine Schriften reichlich mit Citaten aus Bartolus, Baldus,
Dinus, Joh. Andreas, Alexander de Imola; dem hält der
Advokat des Beklagten entgegen, „die vielfaltigen allegata
seien aus Unverstand hin und wieder aus den Repertorien
zu Häuf gelesen u (= zusammengelesen) „und thäten nichts
zur Sache u (1 172. 183); wenn der Gegner sich nicht allein
auf die Repertorien verlassen, sondern die loca und die
doctores angesehen und verstanden hätte, so würde er es
viel anders gefunden und sich geschämt haben, diese allegata
zu diesem casu zu allegiren; das Repertorium, aus dem der
Gegner das, was er über die possessio civilissima vortrage,
*) Stintzing, Gesch. der populären Literatur des römisch -kanonischen
Rechtes. Seckel, Beiträge zur Gesch. beider Rechte im M. Alter, 1. Bd.
§ 12. Universitäten. ]g^
entnommen habe, gebe die diffinitio possessionis civilissimae
dahin: scilicet quod dicatur illa, quae ex dispositione statuti
transfertur in heredem; dazu würden die vom Gegner ange-
führten Allegata gegeben, damit es scheine, er habe viel
gelesen, aber die Allegata passten nicht. Denselben Vor-
wurf muss 1557 (6 66) ein Anwalt in Kyritz von seinem
Gegner hören: er habe .,ein halb repertorium voller legest
die er doch an ihren Oertern nicht gelesen oder nicht ver-
stehe, zu Häuf geraffet und gebacken, als sei es eines
gewaltigen klugen Dinges".
§ 12.
Universitäten.
Von den gelehrten Schoppen Brandenburgs in der Ueber-
gangsperiode des sechzehnten Jahrhunderts und von denen
der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts hatte Niemand
einen juristischen Gelehrtengrad aufzuweisen. Da die Ein-
tragungen in die älteren Universitätsmatrikeln über die Zu-
gehörigkeit der Scholaren zu einer bestimmten Fakultät
keine Nachricht geben, so ist oft nur aus besonderen Um-
ständen zu vermuthen, dass ein Immatrikulirter der Juristen -
fakultät angehört hat. Der Magistertitel, welcher viele
Schoppen dieser Zeit schmückte, deutet nur auf einen ehren-
vollen Abschluss des Studiums der humaniora hin.
Die Juristenfakultät sowie die medizinische und theo-
logische bildeten am Ausgange des Mittelalters die oberen
Fakultäten, denen die Artistenfakultät gegenüberstand. In
ihr wurden die allgemeinen Wissenschaften, die liberales
artes, gelehrt. War nun auch bei der Verleihung der
Juristengrade nicht ausdrücklich vorgeschrieben, dass der zu
Promovirende der Artistenfakultät angehört haben müsse,1)
so war doch der normale Bildungsgang der Juristen der, dass
er mit dem Studium der artes liberales, besonders der Dia-
lektik und Rhetorik, begann und erst, nachdem das Bacca-
laureat und die Magisterwürde erreicht war, zu den studia
altiora, difficiliora et graviora überging. Auf das Studium
]) Kaufmann a. a. O. S. 28h.
190 3- Buch. Ausbildung des Personals.
der artes liberales rechnete man ein bis drei Jahre, auf das
juristische Studium, wenn es zur Erlangung der summi
honores führen sollte, fünf Jahre. l)
Eine besonders ausgedehnte Studienzeit ist daher ein
ziemlich sicheres Zeichen dafür, dass dem Studium der artes
liberales ein SpezialStudium gefolgt ist. Die Schoppen, welche
längere Zeit studirt haben,2) werden sich also sehr wahr-
scheinlich mehr oder weniger eingehend mit juristischen
Studien befasst haben.
Einen anderen Anhaltspunkt für den Bildungsgang der
Schoppen bildet das Amt, welches sie in der städtischen
Verwaltung bekleideten. So werden wir von denjenigen,
denen das Amt eines Syndikus anvertraut wurde, welche
also berufen waren, in juristischen Angelegenheiten dem
Rathe mit ihren Kenntnissen zur Seite zu stehen, annehmen
müssen, dass sie eine gründliche juristische Vorbildung ge-
nossen hatten.3)
Andererseits macht bei einer nicht unerheblichen Anzahl
von Schoppen jener Zeit ihre frühere Lebensstellung eine
genügende juristische Vorbildung, ja überhaupt ein juristisches
Studium sehr unwahrscheinlich. Es sind das diejenigen,
welche, bevor sie in den Rath und Schöppenstuhl eintraten,
Rektoren oder Lehrer an städtischen, in der Regel an Bran-
denburger Schulen gewesen waren. Wenn sich einige von
ihnen überhaupt mit Jurisprudenz befasst haben, so werden
die Rechtskenntnisse, welche sie mitbrachten, nur- oberfläch-
liche gewesen sein.
Die Schulmeister waren vorläufig ein Ersatz für gelehrte
Juristen. In den alten Sprachen und gelehrten Wissenschaften
') Stintzing, Gesch. d. deutschen R. W. i, 75.
2) Wir wissen dies nach Obigem (2. Buch) von Gregorius Boldicke,
der 1551 in Wittenberg und 1559 in Frankfurt immatrikulirt ist (S. 99), von
Bartholmäus Boldicke, der 1567 und als Magister 1571 studirte (S. 123), von
Mag. Johannes Lampert, dessen Studium sich von 1566 bis 1577 ausdehnte
(S. 141), von Mag. Conrad Zabel, dessen Studium 12 Jahre währte, und der
seine praktische Laufbahn als Kammergerichtsadvokat begann (S. 159).
8) Zu ihnen gehören Joachim Heinatz, Johannes Floring, Mag. Bartho-
lomäus Boldicke, Siegmund Bardeleben, Zacharias Garcaeus, Mag. David
Kuhns (S. 123. 100. 101. 107).
§ ia. Universitäten. 191
bewandert, vereinten sie in sich die Vorbedingungen, um
durch Selbststudium und Praxis sich die zur Ausübung des
gelehrten Schöppenamts nöthigen Kenntnisse anzueignen.
Im Jahre 1630 starb der letzte ehemalige Schulmeister
unter den Brandenburger Schoppen. Damit war das Ueber-
gangsstadium der Vermischung von juristischen und nicht-
juristischen Gelehrten überwunden. Erst jetzt war die Um-
wandlung des Schöppenstuhls in ein juristisches Gelehrten-
kollegium vollzogen. Also hier auch, wie in so vielen ander-
weiten Entwicklungen des innern Staatslebens, bildet der
dreissigj ährige Krieg die grosse Cäsur. Ausführlichere
Nachrichten über den Bildungsgang von Schoppen aus der
folgenden Periode besitzen wir nur vereinzelt.
Ein Jahrhundert etwa hatte dazu gehört, die spezifische
Ausbildung von gelehrten Berufsjuristen so in die Wege zu
leiten, dass nur noch solche in den Schöppenstuhl gelangten.
Die Wahrnehmung, die anderwärts in deutschen Territorien
gemacht ist, dass die Reformation der Kirche ihren starken
Einfluss dahin äussert, die Universitäten zu bevölkern, be-
stätigt sich auch für die Mark. Zahlreiche Männer in Amt
und Würden, denen die akademische Bildung abging, sahen
sich in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts dazu
veranlasst, ihre Söhne auf Universitäten zu senden. Das galt
nicht etwa bloss für das theologische und philologische, es
galt ebenso für das juristische Studium. Bernhard Fromholtz
war 1530 Richter in Brandenburg, ohne akademisch gebildet
zu sein; Simon Fromholtz aus Brandenburg studirt 1542 in
Wittenberg. Levin Brunow, der nichtgelehrte Bürgermeister
von Stendal im Jahre 1540 (3 208), lässt seinen gleichnamigen
Sohn 1578 in Frankfurt immatrikuliren. Kaspar Beilin ist
1551 (4 134) als nichtgelehrter Erbhofrichter in Ruppin thätig,
Heinrich Bellin Ruppinensis studirt 1556 in Frankfurt. Der
nichtgelehrte Amtsvogt des Jahres 1551 Wolf Schacht in
Küstrin sendet seinen Sohn Joh. Schacht 1563 nach Frank-
furt. Aus der Familie des Richters Gorius Maddische zu
Schivelbein (1556: 4 487) sind Jacobus Madiskius Schifel-
beinensis 1606 und Jacobus Madiske Tempelbergensis 1602
in Frankfurt immatrikulirt. Jacob Krell, 1 556 Richter in Neu-
192 3- Buch. Ausbildung; des Personals.
ruppin, studirt entweder selbst 1566 in Frankfurt oder lässt
dort in diesem Jahre seinen gleichnamigen Sohn studiren.
Der 1558 in Lenzen genannte Stadtrichter Jacob Staud lässt
seinen gleichnamigen Sohn 1558 und 1567 !) in Frankfurt
studiren, desgleichen der 1558 in Havelberg als Notar (6 571)
und 1561 (12 227) als Schöppe genannte Anton Detert
1604 seine Söhne oder Enkel Anton und Richard Detert,
und ebenso 1592 der 1559 (7400) genannte Schreiber der
v. Jagow Matthias Wiprecht. Joachim Gibellinus aus Schivel-
bein studirt 1591 in Frankfurt; Georg Gibelle ist 1567 (11 391)
Richter in Schivelbein. Johann Marcus aus Salzwedel studirt
1584 in Frankfurt, 1567 ist Johann Marcus Schreiber in
Schönhausen (ÜB 3 1 1.89). Mag. Henning Floring der jüngere
aus Wittstock ist 1589 Notar der Universität Frankfurt;
Henning Floring der ältere ist 1561 Schöppe in Wittstock.
Matz Hufner ist 1572 (12 612) Amtsschreiber in Lindow; seine
drei Söhne werden 1577 in Frankfurt immatrikulirt. Basilius
Melhorn ist 1574 (15 122) Protonotar in Frankfurt, seine
Söhne studiren 1570 daselbst. Der Sohn des Besitzers des
Schulzengerichts in Abendorf bei Wilsnack, Namens Jahn,
lässt 1587 (59 100) seinen Sohn Arnold in Frankfurt imma-
trikuliren.
Frankfurt, 1506 als Landesuniversität für die Mark ge-
stiftet, war naturgemäss diejenige Universität, welche bei
weitem die meisten märkischen Juristen besuchten; in früherer
Zeit findet man Märker in Leipzig, Erfurt und (zwischen 1502
und 1506, sowie zur Zeit der Reformatoren) in der 1502 ge-
gründeten Universität Wittenberg; sonst sind noch Rostock,
Greifswald, Jena, Helmstädt und (seit dem achtzehnten Jahrh.)
besonders Halle vertreten. Davon, dass einer der Branden-
burger Schoppen italienische Universitäten besucht habe, findet
sich nichts, 2) wohl aber kommen einzelne Schoppen vor, die die
]) Jacob Staudt junior Tangermundensis.
a) In Decis. II, Fol. 1 14 wird einmal erwähnt, dass der Sohn des Bürger-
meisters Rögelin *u Padua gestorben sei. Wo R. Bürgermeister war, bleibt
ungesagt. Des Brandenb. Bürgermeisters und Schoppen Schuler Sohn stu-
dirte 1533 'n Padua. Siehe unten S. 214. Der Sohn des Bürgermeisters
Andreas Goldbeck zu Werben a. E. (f 1576) Hess seinen Sohn Heinrich
§ 12. Universitäten. 193
peregrinatio academica des siebzehnten Jahrhunderts zu ihrer
Ausbildung unternahmen. Seit dem Jahre 1700 gab es keinen
Graduirten mehr im Schöppenstuhle. Eine der namhaftesten
deutschen Juristenfamilien des siebzehnten und achtzehnten
Jahrhunderts, die der Carpzow, leitet, wie wir oben (S. 119)
sahen, ihren Ursprung von einem der frühsten gelehrten
Juristen Brandenburgs her.
Nur vier Brandenburger Schoppen sind als Schriftsteller
aufgetreten: einer (Garcäus) als märkischer Chronist, die
beiden andern (Zieritz und Cramer) als Kriminalisten, der
vierte (Prätorius) als Dichter.1)
Das Bild, welches uns hiernach die Entwicklung des
Schöppenstuhls zu einem aus gelehrten Juristen zusammen-
gesetzten Kollegium bietet, ist kein glänzendes. Erst spät
war die Wandlung vollendet. Man ist geneigt, die über-
wiegende Mehrzahl der Brandenburger Schoppen in die
Klasse der Halbgelehrten zu verweisen, obwohl sie viel-
fach in fliessendem Latein,2) mannigfach auch in Französisch
schreiben, sogar auf Wunsch der französischen Gerichte in
Frankfurt a. O. 1736 (78599 fr.)3) französische Sprüche mit
bogenlanger französischer Begründung fallen, ja (1747) auf
die Uebersetzung holländischer Aktenstücke sich einlassen.4)
Immerhin steht die juristische Ausbildung der Mitglieder des
Schöppenstuhls und der Rathskollegien beider Städte Bran-
denburg höher als die sonstiger städtischer Kollegien des
Landes, da diese während des ganzen siebzehnten Jahrhunderts
noch zahlreiche Laienelemente aufweisen, welche das städtische
Amt neben ihrem bürgerlichen Beruf versahen, und nicht
wenige Berufsbeamte, welche eine untergeordnete Ausbildung
in Kanzleien genossen hatten. Als Beispiele mögen folgende
Nachrichten dienen. Der Bürgermeister von Prenzlau Am-
(späteren Berliner Kammergerichtsrath) 1556 nach (Seidel, Bildersamml.
S. 92) in Bologna promoviren. Die acta nationis germ. bonon. nennen ihn
nicht.
!) Siehe oben Sdite 102. 160. 167. 143.
2) Freilich fehlt es auch nicht an Schnitzern wie „der" lex, „der" dos.
3) Das Urtheil hat Oelschläger konzipirt. Ueber ihn Seite 171.
4) Schütte rückt dem Urtheil in einer Sache aus Emmerich eine
holländische Urkunde ein, die interpretirt wird (98 200). Ueber ihn S. 173.
Stolze), Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 13
194 3. Buch. Ausbildung des Personals.
brosius Fürstenau war (1551: 4226) Handelsmann.1) In
Tangermünde versah um 1600 (68 219) ein Bäcker das
Amt des regierenden Bürgermeisters und des Stadtrichters. 2)
In Berlin3) war von 1623 bis 1640 Casper Miser Bürger-
meister, welcher bei einem Konsistorialrath als Schreiber
gearbeitet hatte, der Kaufmann Jeremias Eger war von 1636
an Gerichtsschöppe und von 1643 bis 1654 Rathsherr, der
Apotheker Bartholomäus Zorn war von 1643 bis 1667 im Rath,
der Bürgermeister Hoyer Friedrich Striepe (1669 bis 1670)
war von 1651 an Kammerkanzlist des Kurfürsten, von 1655
an Vicekammermeister und seit 1660 Amtskammerrath ge-
wesen, die Bürgermeister Reinhard Neuhaus (1670 bis 1680)
und Matthias Neuhaus (1673 bis 1681) betrieben eine Hand-
lung. In Cöln a. Spr. erscheint 16 14 der Apotheker Peucer
als Rathsherr, und der Bürgermeister Heinrich Julius Brandes
(1686 bis 1691) war bei einem Rath und Oberamtmann als
Schreiber in die Schule gegangen, um dann kurfürstlicher
Hof-Küchenschreiber und später kurfürstlicher Fischmeister zu
werden. In Frankfurt a. O. war Friedrich Schaum 1597
Assessor des Gerichtsstuhls, 1601 Richter und von 1604 bis
161 6 Bürgermeister, zugleich aber Handelsmann, ebenso ge-
hörten dem dortigen Kaufmannsstande an David Reinhart,
1587 Schöppe, 1596 Richter und von 1606 bis 1630 Bürger-
meister, desgleichen Sebastian Stymmel, 1601 Schöppe, 161 5
Rathsherr, Sixtus Sandtreuter, Bürgermeister von 1609 bis
1624, Georg Schuller, 161 2 Schöppe, S. Merten, 1635 (7684)
Schöppe, endlich Gottfried Tiefftrunck, Schöppe von 1656
bis 1673. Johann Thieme, ein Buchhändler, war 1606 Schöppe,
1608 bis 161 1 Richter und von 1625 bis 1630 Bürgermeister
In Spandau war der Kaufmann Georg Neumeister von
1639 an Schöppe und von 1665 bis 1676 Bürgermeister. In
Küstrin war der Apotheker Georg Heinrich Boltzmann von
]) Der dortige Stadtschreiber war 1584 (ÜB. fl 21) Magister.
*) J525 war dagegen Mag. Martin Brüggemann dort Bürgermeister
(7 453)» desgl. 1578 (19 604) Mag. Nauss Bürgermeister in Müncheberg,
1565 Mag. Adr. Schulz Schöppe in Prenzlau (10 235).
a) Diese und die weiteren Nachrichten sind aus Leichenpredigtsamm-
lungen der Kgl. Bibl. und des Grauen Klosters zu Berlin entlehnt.
§ 12. Universitäten. 195
1650 bis 1673 Bürgermeister und Hofrichter. Neu-Ruppin
hatte von 161 8 an den Tuchmacher und Kaufmann Laurentius
Seger und von 1651 an den Kauf- und Handelsmann Zacharias
Stenzer zu Schoppen. In Neustadt-Eberswalde war von
1675 bis 1690 der kurfürstliche Kupferhammer meister Samuel
Meiner, in Salzwedel von 1687 bis 1697 der Kauf- und
Handelsmann Johann Koppen, in Arne bürg von 1665 bis
1680 der Kaufmann Abraham Schwechten, in Beskow bis
1661 der Apotheker Wolfgang Pabstein Bürgermeister. Jacob
Rönnefarth, bis 1668 Bürgermeister in Nauen, hatte den
Handel erlernt und sich dann bei einem Amtsschreiber aus-
gebildet. Peter Schulze, welcher in Wriezen zunächst
Schöppe, dann 1608 Richter und 161 1 Bürgermeister wurde,
hatte als Schreiber seine Ausbildung genossen.
Eine verschwindend kleine Anzahl der Brandenburger
Schoppen gelangte, wie wir sahen, zu den summi honores,
während die grosse Mehrzahl über die Resultate ihrer juristi-
schen Ausbildung kein Zeugniss aufzuweisen hatten. Die
Mark besaß nicht die Mittel, für ihre grösseren Städte ein
erstklassiges Gelehrtenmaterial heranzuziehen. An Reichthum
stand sie anderen deutschen Territorien nach. Nicht viele
märkische Studenten waren in der Lage, die volle Studien-
zeit, welche zur Promotion verlangt wurde, auf der Universität
zu verweilen und alsdann die grossen Kosten des Doktorats
zu erschwingen.1) Den wenigen, welche den Doktorhut
erwarben, winkten andere Ehren, als die, im Rathsstuhl
und Schöppenstuhl Brandenburgs oder anderer märkischen
Städte zu sitzen. Das ist dieselbe Wahrnehmung, die
wir überhaupt für die deutschen Territorien zu machen
haben. Von Brandenburgern zog es Georg Sabinus, der
Sohn des Brandenburger Bürgermeisters Balthasar Schuller
(t I543) unc* der Bruder des Brandenburger Bürgermeisters
Andreas Schuller (f 1584) vor, dem kurfürstlichen Hof und
der Frankfurter und Königsberger Universität seine Kraft
zu widmen. Der Sohn des Bürgermeisters Christian Matthias,
Thomas Matthias, trat in den Berliner Geheimen Rath ein.
]) Vergl. auch Stintzing a. a. O. I, j6.
196 3« Buch. Ausbildung des Personals.
Karl Bardeleben, der Sohn des Bürgermeisters und Schoppen
Matthias Bardeleben wurde Geheimer Rath und Hauptmann
zu Lenzen. Der Sohn des Bürgermeisters und Schoppen
Thomas Lipe, Dr. juris Joachim Lipe, wandte sich nach
Leipzig; dahin ging auch der Sohn des Schoppen Zabel,
Dr. Johann Zabel, der dort Oberhofgerichts- und Schöppen-
stuhlsassessor, Rath und Bürgermeister wurde. Dr. Tornow,
der Sohn des Bürgermeisters Johann Tornow, wurde Hof-
und Kammergerichtsrath zu Berlin.
Eine Bestimmung, wie sie sich z. B. für Leipzig in der
Fundationsurkunde des Schöppenstuhls von 1574 findet, dass
wenigstens drei Schoppen Doktoren sein müssten, l) Hess sich
nur für die Schöppenstühle an Universitätsstädten durch-
führen. Solche Schöppenstühle waren gelehrte Gerichte,
denen man das äusserliche Gewand eines „Schöppenstuhls"
umgehängt hatte, als wären sie noch alte Volksgerichte.
Der Brandenburger Schöppenstuhl war das alte Volksgericht
selbst, aber im Mantel der Gelehrsamkeit.
§ 13. 2)
Bibliothek.
Noch mehr als der Brandenburger Schöppenstuhl und
das Aktenmaterial, das von seiner Thätigkeit Zeugniss ab-
legt, hat bisher die Bibliothek, die dem Schöppenstuhl bei
seiner Thätigkeit zur Verfügung stand, im Verborgenen
geruht.
Diese Bibliothek ist in demjenigen Theile, der nicht-
juristische Fachschriften enthält, zur Zeit im Brandenburger
Rathhaus verwahrt und — im Bestände von 684 Bänden3) —
der heutigen Rathsbibliothek einverleibt, also Eigenthum der
Stadt geworden. Der übrige zumeist juristische Theil —
1084 Bände — ist jetzt Eigenthum des Staates4) und wird
!) Distel, Ztschr. für RGesch. Bd. 23 S. 87.
2) Das in diesem Paragraphen mitgetheilte thatsächliche Material be-
ruht im Wesentlichen auf Ermittelungen des Herrn Landrichters Deichmann.
3) Dullo, Kommunalgeschichte der Stadt Br. 1886 S. 16.
4) Durch einen wundersamen Schreibfehler im Schöppenbuche des
Brdb. Schöppenstuhls wird fol. 20 unterm Jahre 1785 die Gesammtzahl der
§ 13- Bibliothek. 197
bis zum heutigen Tage als Schöppenstuhlsbibliothek in einem
Oberstockzimmer des Amtsgerichts zu Brandenburg, dem sie
überwiesen ist, gesondert verwaltet.
Wie ein günstiger Zufall in den Brandenburger Schöppen-
stuhlsakten ein Material erhalten hat, aus dem wir einen Ein-
blick in die amtliche Thätigkeit der Schoppen gewinnen, so
hat uns in der Schöppenstuhlsbibliothek ein gleich günstiger
Zufall den Apparat erhalten, mit welchem ein deutscher
Schöppenstuhl vom Beginne des sechzehnten bis zum Beginne
des neunzehnten Jahrhunderts arbeitete. Den interessantesten
Theil dieser Bibliothek bildet die in den Jahren 1480 bis
etwa 1530 entstandene Büchersammlung eines gelehrten Notars,
des Mag. Petrus Viti, mit einer Reihe werthvoller Inkunabeln.
Daneben birgt die Bibliothek noch eine Reihe anderer In-
kunabeln, von denen feststeht, dass sie nicht jenem Notare
gehörten. Da sonst von ihrem Vorbesitzer nichts erhellt
und da kaum anzunehmen ist, dass der Rath der Altstadt
solche Inkunabeln nach den 1530 er Jahren ankaufte, so lässt
sich wohl in ihnen ein städtischer Erwerb sehen, der vor dem
Erwerbe der Bücher Vitis liegt oder der sich gleichzeitig
ohne Kostenaufwand für die Stadt vollzog.
I.
Die ältesten nicht von Viti herstammenden Bücher sollen
hier zunächst herausgehoben werden. Es sind 9 Bände, die
1 7 Druckwerke umfassen. Der Glosse zu den Institutionen l)
reiht sich der Codex nebst Glosse in zwei Exemplaren
an.-) Das kanonische Recht ist ebenfalls in einigen Glossen
im Katalog verzeichneten Bücher auf 12292 (statt 1229) angegeben. Im
31. Jahresbericht des Brdb historischen Vereins ist die unrichtige Zahl
übernommen.
a) Hain, Repertorium bibliographicum, Stuttgart, 1826, 1831 No. * 9491.
Der Druck umfasst nur 112 Folien. Nach Hain folgen von fol. 113 an die con-
suetudines feudorum und ist fol. 150 als Druckort, Drucker und Jahr
Strassburg, Henricus £ggesteyn, 1472 angegeben. Auf dem Innendeckel
des Bandes ist handschriftlich vermerkt: „Liber institutionum domini Jacobi
Weyßmantel de Liptzk."
2) Venedig, Andreas de Thoresanis de Asula, 1489 (Hain 9612),
Venedig, Baptista de Tortis, 1493 (Hain 9616).
198 3* Buch. Ausbildung; des Personals.
vertreten.1) Mehrere Werke gehören der populären juristischen
Literatur an,2) einige der theologischen,3) einige anderen
Wissenschaften. Einem der Bände sind sieben Handschriften
beigefügt, die einzigen, welche die Bibliothek überhaupt
besitzt.4)
Nach dem Inhalte der Bücher kann es kaum zweifelhaft
1) Liber extra cum apparatu domini Bernardi, Nürnberg, Koberger,
1482 (Hain * 8014), Nicolaus Siculus (Panormitanus) Glosse zu den Clemen-
tinen, Colonie, Mag. Johannes Koelhoff de Lubec, 1474 (vermuthlich Hain
12336, wo die Bezeichnung nicht genau ist, Schulte, Geschichte der Quellen
und Literatur des kanonischen Rechts, Stuttgart, 1878, II, 33).
2) Johannes Milis de Verona , repertorium , Nicolaus Götz de Sletzstat,
1475, s. 1. (vermuthlich Hain 11 153, nach Stintzing, populäre Literatur
S. 145 wahrscheinlich in Cöln gedruckt), ein besonders das kanonische
Recht berücksichtigendes Nachschlagebuch; liber dans modum legendi
abbreviaturas in utroque jure, Nürnberg, Fridericus Creusner, 1476 (Hain
* 11 465, Stintzing S. 18); auctoritates decretorum omnem effectura tarn
teztus quam glossarum nuctialiter et compendiose in se continentes, Colonie,
Petrus de Olpe, 1470 (Druckfehler für 1477, vgl. Seckel, der Vocabularius
juris, S. 358, Noten 152, 153; Hain 4246; Stintzing S. 126. Nach Seckel ist
der Verfasser nicht Johannes Calderinus); Johann Koelner de Vanckel, sum-
marium textuale et conclusiones super sextum, 1465 (nach Schulte II 384
Druckfehler für 1495)« summarium textuale et conclusiones super clemen-
tinas, Colonie, Johann Koelhoff de Lubec, 1484, summarium et effectus
extravagant! um Johannis XXII (Hain * 9786), declaratio titulorum legalium,
Leipzig, Mauricius Brand is, 1489 (Hain 2127, Stintzing S. 49), Chrtsto-
phorus Cuppener, examinata super autenticam habita divi imperatoris
Friderici sub ti. C. ne fi. pro pa. situata, nebst annotationes , Leipzig,
Melchior Lotter, 1507. Cuppener war von 1503 bis 15 11 Professor in
Leipzig (Stintzing, Gesch. d. deutsch. R.W. I S. 21).
3) Tractatus de doctrina dicendi et tacendi ab Albertano causidico
Brixensi de ore beate Agathe compositus sub anno 1255 feria quarta post
vincula Petri , s. 1. et a. (nicht bei Hain) , dialogus super Übertäte ecclesia-
stica inter Hugonem decanum et Oliverium burgimagistrum et Cathonem
secretarium interlocutores, s. 1. et a. (Hain * 61 41), Paulus de sancta Maria,
magister in theologia, episcopus Burgensis, dialogus, qui vocatur scruti-
nium scripturarum , s. I. et a. (Hain * 1076a), Divi Bennonis Misnensis
quondam episcopi vita, Leipzig, Melchior Lotter, 151 2.
4) Sie sind dem liber extra mit der Glosse in demselben Einband
angeheftet und bestehen aus den tituli decretalium, tituli legales, rubrice
codicis, tituli autentici, rubrice institutiouum , tituli libri feudorum, tituli
legales.
§ 13. Bibliothek. 199
sein, dass sie aus dem Besitze eines Geistlichen dem Stadt-
rathe in nicht näher bekannter Weise zufielen — eine An-
nahme, die durch die Art bestärkt wird, wie der Stadtrath
durch die Säkularisation des Brandenburger Franziskaner-
klosters (1544) das Eigenthum der seit 1533 mit der Kloster
bibliothek vereinigten Büchersammlung Vitis erwarb.
IL
Vitis Nachlass an juristischen Büchern umfasste nach
dem noch vorhandenen Inventar von 1533 88 Werke in
69 Bänden, von denen die Schöppenstuhlsbibliothek heute
noch 82 Werke in 62 Bänden besitzt. Davon sind vor 1500
und ohne Jahresangabe 53, nach 1500 35 Werke gedruckt.1)
Die Sammlung stellt eine juristische Fachbibliothek im eigent-
lichsten Sinne dar. An der Spitze stehen die Ausgaben des
Corpus juris canonici und civilis, meist mit der Glosse,
sämmtlich, soweit ein Jahr angegeben ist, aus der Zeit vor
1 500. 2) Unter den älteren Drucken sind zahlreich die popu-
lären Bearbeitungen der verschiedensten Materien.3) Dazu
*) Zum Vergleiche sei angeführt, dass die Stadtbibliothek zu Braun-
schweig 44 juristische Inkunabeln besitzt (vergl. Nentwig, Die Wiegen-
drucke in der Stadtbibliothek zu Braunschweig, Wolfenbüttel 1891).
2) Sine loco et anno: die Digesten mit Glosse, der Liber sextus, die
Clementinen mit Glosse, die Extravaganten ohne Glosse, die Extravaganten
mit Glosse (nicht mehr vorhanden); ferner: liber extra cum ordinaria
Bernard i, 1473 (Hain *7<:oo, Schulte II, 115)1 autentica Friderici mit Glosse,
1487 (anscheinend Hain 7382, wo der Druck mangelhaft verzeichnet ist),
decretum, Venetiis 1487 (nicht mehr vorhanden), codex Justinianus mit
Glosse, Lugduni 1492 (nicht mehr vorhanden). Auffallend ist, dass eine
Institutionenausgabe fehlt. Eine Codexausgabe von 1482, die Viti besonders
eifrig durchgearbeitet hat, befindet sich in der St. Gotthardkirchenbibliothek
(vergl. unten S. 210).
3) Sine loco et anno: rubricae juris civilis et canonici (nicht bei
Hain), casus in terminis domini Accursii (Hain* 69, Savigny 5, 348, Stintzing,
pop. Lit. S. 61), speculum judiciale Guilelmi Durantis cum additionibus
(Hain '6504, nach Savigny 5, 589 gedruckt in Strassburg, 1473), lectura
arboris von Joh. Andree (Hain * 1025), dasselbe Werk in anderer Ausgabe
(nicht bei Hain), Roffredus, summa libellorum (wahrscheinlich Hain 119669
wo die Beschreibung ungenau ist, vergl. Savigny 5, 208, Schulte II, 76,
Stintzing, pop. Lit. 36b), libellus dans modum legendi abbreviaturas in
utroque jure, tituli legales, Processus judiciarius von Johannes de Urbach,
200 3- Buch. Ausbildung des Personals.
kommen eine Anzahl Lektüren,1) einige Repetitionen und
Repetitionensammlungen 2) und endlich Traktate in grosser
Anzahl.3)
tractatus praesumptionum, summa magistri Dominici de civitate Vicentia,
qualiter notarii archiepiscoporum debeant notarte officium exercere,
epistole et prohemia super gratiis faciendis, tractatus notariatus, defen-
sorium juris, tractatus exceptionum domini Innoc. quarti, tractatus prae-
scriptionum compositus per dominum Dynum de Mugilo legum doctorem,
tractatus brevis de arbitris et arbitratoribus Petri Jacobi, differencie legum
et canonum domini Galvani de Bononia, tractatus de tabellionibus per dorn.
Bar. compilatus (Stintzing, pop. Lit. 479, 480, Hain 11 481 oder 11 482). —
Mit Jahresangabe: casus breves decretalium, Cöln, Johann Koelhoff, 1485
(Hain '4661, Stintzing, pop. Lit. 67), concordantie biblie et canonum cum
titulis decretalium von Johannes Nivicellinus, Basel, Nicolaus Kessler, 1487
(Hain '9416, Stintzing S. 548), formularium advocatorum et procuratorum
Romanae curiae et regii parleamenti, Basel 1489 (Hain '7296, vergl.
Stintzing S. 256), Johannes de Auerbach, processus, Leipzig, Mauricius
Brandis, 1489 (Hain 2126, Stintzing S. 239), vocabularius utriusque juris,
Basel, Nicolaus Kessler, 1488 (Stintzing S. 131, Seckel S. 8 No. 23), Se-
bastian Brant, expositiones titulorum legalium, Basel, Michael Furter, 1490
(Hain *37*5, Stintzing S. 455), vocabularium juris, Romae, Stephan Planck,
1 194 (Seckel S. 8), compendium juris canonici, Argentinae 1499 (Hain
♦5558, Schulte II, 486).
1) Bartolus, lecturae super dig. und codex, sine loco et anno (Hain
♦2568, *25o8, *26o5, *2539, *2555, *272i, Savigny 6, 162. 166. 167. 168.
169), Nicolaus Siculus (Panormitanus), lectura super secundo, tertio decre-
talium, i486 (nicht mehr vorhanden), idem super primo et secundo decretalium,
Nürnberg, Koberger, 1485, i486, super tertio, quarto, quinto decretalium,
Nürnberg, Koberger, 1485 (Hain *i23i4), Baldus, super duodecim libros
codicum et autenticorum, sine loco et anno (nicht mehr vorhanden).
2) Sine anno: Repetitionensammlung, venumd. in vico S. Jacobi (Hain
♦13876), ferner Lanfrancus de Oriano, repetitiones, Cöln, Johannes Koel-
hoff, 1488, Benedictus de Plumbino, vepetitiones, Papie, Christ, de Canibus,
1492 (Hain * 13 123).
8; Sine loco et anno: Franciscus de Acceptantibus de Aretio, tractatus,
quae sit interlocutoria et quae diffinitiva sententia, Senis (nicht bei Hain,
Panzer V, 5, vergl. Savigny 6, 328), Jacobus de Arena tr. positionum (nicht bei
Hain, vergl. Savigny 5, 403), Johannes Baptista Caccialupus, tr. de pactis
(Hain *4i87, das Titelblatt und f. 1—8 fehlen, vergl. Savigny 6, 324 ff.),
Paris de Putheo, tr. in materia ludi (Hain *i36i3), Martinus de Laude, tr-
de primogenitura, rep. de ff. de R.V., Jacobus de Belviso, tr. de excommunicato
(Hain* 9929, vergl. Schulte 11,395). Ferner: Antonius de Cannaro, tr. de
excusatore. Piscie 1489 (Hain *43o6), Laurentius de Ridolfis, tr. de usuris,
Piscie 1490 (Hain * 13959), Amadeus Justinus, tr. sindicatus, Senis Henrirus
§ 13. Bibliothek. 201
Unter den Drucken nach 1500 nehmen die Lektüren
und Kommentare zu den Digesten, dem Codex und dem ka-
nonischen Recht einen breiteren Raum ein als unter den In-
kunabeln. l) Bemerkenswerth ist die Konsiliensammlung,2)
der sich die Decisionen der römischen Kurie anschliessend)
de Hartem, 1493 (Hain* 4587), Tyndarus, tr. in materia compensationum, Senis,
Mag. de Haerlem, 1493 (Hain * 15 157, vergl. Savigny 6, 498)» Job« Baptista de
Caccialupis, tr. de ludo, Senis, Mag. de Harlem, 1494 (Hain 4204, vergl. Sa-
vigny 6, 327), Angelus de Periglis tr. in materia societatis, Senis, Mag. de
Harlem, 1493 (Hain 12632), Franciscus Lucanus de Parma, tr.de privilegio
fisci, Venetiis, Kaynaldus de Novimagio, 1496 (Hain * 10249), Lanfrancus de
Oriano, tr. de arbitris, Papie, Johannes de Lignano, 1498 (Hain *98qi, Schulte
II, 292), Benedictus de Barbis, tr. in materia guarantigiae, Senis 1498 (nicht
bei Hain und Savigny). Zu nennen ist endlich Bartolus de Saxoferrato, con-
silia, quaestiones und tractatus s. 1. et a. (Hain * 2649, vergl. Savigny 6, 171 ff.
nebst dem Repertorium aureum des Antonius de Prato Ober Bartolus* Werke
(nicht bei Hain).
') Bartholomeus de Salyceto, commentarius zum Codex. 3 Bände,
Venetiis, Georgius de Arrivabenis, 150a und 1503 (Panzer VIII, 359, 348); Jason
Maynus, lectura zu vetus, infortiatum, novum und codex, 4 Bände, Band t
Theil 1: Lugduni, Mag. Nicolaus de Benedictis, 1508, Theil 2: Lugduni,
Jacobus Saccon, 1508, Band 2: Lugduni, Jo. Clein, 1508 und 1509, Band 3
und 4: Lugduni, Mag. Nicolaus de Benedictis, 1507 — 1509, tabula zur lec-
tura, Lugduni 1514, idem, lectura super tit. de actionibus, Lugduni, Jacob
Myt, 1514; Lucas de Penna, lectura super tres libros codicis, Paris, Mag.
Bertholdus Rembolt, 1509; Paulus de Castro, lectura super dig. vetus, in-
fortiatum, novum und codicem, Lugduni, Jacobus Saccon und Mag. Nicolaus
de Benedictis, 151 1; Alexander de Imola, lectura super dig. vetus, novum,
infortiatum, codicem, Tridini 1514, 1515; Jacobus Butrigarius, lectura super
codicem, Paris, Mag. Barth. Rembolt, 1516; Cynus de Pistorio, lectura super
codicem, Lugduni, Jacobus Saccon, 151 7; Baldus de Perusio, commentarius
super dig. vetus, infortiatum, novum, codicem, Lugduni, Jacobus Saccon, 15 17,
1518, Taurini, Mag. Nicolaus de Benedictis und Antonius Renatus, 1517, 1518;
Philippus Franchus, lectura super sexto decretalium, Tridini 1512, super tit. de
regulis juris in VI, Tridini 1512; Dominicus de sancto Geminiano, lectura
super sextum librum decretalium, Lugduni, Jacobus Marescal, 15 14.
*) Petrus Philippus Corneus, consilia, 4 Bände, Perusii 1501, 1502;
Fredericus de Senis, consilia, Mediolani, Joan Angelus, 1507; Alexander
de Imola, consilia, Venetiis, Baptista de Tortis, 1510, 151 1; Philippus Decius,
consilia, Papie, Jacobus de Burgofranco, 1512; Paulus de Castro, consilia
(ohne Jahr, nach 15 13), Fridericus de Petrusiis, consilia et quaestiones,
Paris 1516 (nicht mehr vorhanden).
3) Decisiones rotae Romanae, Lugduni, Claudius Davost, 1509 (Panzer
VII, 292).
202 3* Buch. Ausbildung des Personals.
Auch eine Sammlung von Repetitionen befindet sich
unter den späteren Drucken. l) Vereinzelt sind die Werke
der populären Rechtsliteratur.2) Endlich ist eine deutsche
Ausgabe der goldenen Bulle, mehrerer Landfrieden- und ver-
schiedener Kammergerichtsordnungen vorhanden. 3)
Noch zwei Bände enthält die jetzige Schöppenstuhls-
bibliothek, die sicher in Vitis Besitz gewesen, aber nicht
im Inventar von 1533 verzeichnet sind. Der eine Band ist
ein decretum Gratiani, Basel, Michael Wenssler, i486,4) der
andere ein formularium instrumentorum ad usum curiae
Romanae, eine populäre Sammlung von Notariatsformularen.5)
Beide Werke weisen Notizen Vitis auf. Der zweite Band ist
ausserdem in gleicher Art wie die Vitischen Bücher einge-
bunden, zeigt auch — in Uebereinstimmung mit den Vitischen
Büchern — die Spuren der Ankettung0). Er ist vermuthlich
durch ein Versehen im Inventar übergangen worden. Das
decretum ist dasjenige, welches nach Obigem (S. 93) einst
der Lehrer Fromholz und dann der Schöppe Demcker besass.
Von letzterem mag das Buch in die altstädtische Raths- und
dann in die Schöppenstuhlsbibliothek gelangt sein.
Das Bild, welches diese summarische Uebersicht gewährt,
zeigt uns eine Bibliothek, die geeignet war, dem gelehrten
praktischen Juristen in allen Stufen seines Entwicklungs-
ganges die nöthigen Hilfsmittel zu bieten, und die einen be-
deutenden Werth besass.7) Dem Anfanger diente die reiche
l) Sie besteht aus acht typographischen Einheiten, Papie, Mag. Ber-
nardinus de Garaldis, 1506, 1507, 1508, 1510, Venetiis, Phil. Pincius Mantuanus
1506. Auch die opuscula Stephani Auffreri, Lugduni, Joannes Moelim, 1512
sind hierher zu rechnen.
a) Petrus Jacobus de Aureliaco, aurea practica libellorum, Lugduni,
Mag. Jacobus Saccon, 1501 (Panzer VII, 276); Petrus de Ravenna, alphabe-
tum aureum, Coloniae 1508 (Panzer VII, 364); idera, compendium juris civilis,
Coloniae 1508; Bartholomeus Cepolla, cautelae, Lugduni, Bernardinus Rosier
und Joh. Thomas, 151 1.
3) Sine loco et anno, aber nach 1507.
4) Hain* 7963; das von Hain vermisste erste Folium ist hier vorhanden
6) Hain* 7277. Stintzing pop. Lit. S. 315, nach ihm wahrscheinlich
Spirae, Petrus Drach.
*) Vgl. die folgende Anm. und unten S. 205.
7j Während die Drucke vor 1500 meist deutschen Ursprungs sind,
§ 13. Bibliothek. 203
Fülle der Werke der populären Literatur auf allen Gebieten
des Rechts, besonders die rubricae, der modus legendi, die
expositiones titulorum u. s. w., dem Praktiker die zahlreichen
Nachschlagewerke in systematischer und alphabetischer Be-
arbeitung, sowie die prozessualen und Notariatsschriften. Das
Corpus juris civilis und canonici mit der Glosse bot dem
Quellenstudium reiche Nahrung, und die vielen Lektüren,
Kommentare und Repetitionen erleichterten dies Studium.
Die Konsilien bildeten dann die wünschenswerthe Fundgrube
für die Rechtsprechung.
Dass ein wissenschaftliches Streben in Brandenburg einst
seine Nahrung fand, beweisen neben Vitis Büchern die Reste
der Bibliothek des Brandenburger Franziskanerklosters, die
in die Gotthardkirchenbibliothek übergegangen sind. Sie lassen
sich durch zahlreiche Eigenthumsvermerke und durch den
gleichartigen Einband leicht feststellen. Es sind etwa 200 In-
kunabeln und Drucke aus den ersten zwei Jahrzehnten des
sind die späteren Werke mit Ausnahme zweier Kölner Drucke ausländischen
Ursprungs. Bei weitem überwiegen die Drucke aus Lyon. Es sind 25 unter
59 späteren Drucken. An zweiter Stelle steht Pavia mit 8 Drucken, so-
dann jfolgen Venedig mit 6, Perusia mit 4, Trient mit 3, Paris und Turin
mit je 2 Drucken. Der jüngste Druck, ein Lyoner, stammt vom Jahre 15 18.
Die Bibliothek weist mehrere Dubletten auf. Dies lässt darauf schliessen,
dass Vitis Sammlung nicht nur durch Ankäufe , sondern auch durch
gelegentliche Geschenke zu Stande gekommen ist. Dass Viti einige Werke
aus zweiter Hand erworben hat, zeigen Notizen von fremder Handschrift,
die vorhanden waren , bevor die betreffenden Bücher eingebunden wurden.
Durch das Einbinden sind diese Notizen theilweise beschädigt. Ueberhaupt
sind beim Einbinden häufig die Follirung und die Randnotizen durch Ab-
schneiden verstümmelt worden. Viti hat daher die Werke vielfach uneinge-
bunden benutzt und durchgearbeitet. Die Einbände gleichen sich vollkommen.
Sie bestehen aus Holz und sind mit gepresstem Schweinsleder überzogen.
Oben auf dem Vorderdeckel ist der Titel und zwar immer von derselben
Hand geschrieben. Die Angabe ist öfter fehlerhaft. Das Inventar von
1533 hat diese Aufschriften in der Regel wörtlich wiederholt. Es scheint,
als ob die Einbände alle aus derselben Zeit und derselben Werkstätte her-
rühren. Vielleicht sind sie im Kloster hergestellt, als Viti die Bücher
dessen Bibliothek überwies. Die Spuren der Ankettung sind noch überall
deutlich, in der Regel an drei Löchern am Hinterdeckel in der Form eines
Dreiecks erkennbar. Mehrfach sind kraftlos gewordene Pergamenturkunden
als Schmutzblätter benutzt worden.
204 3« Buch. Ausbildung des Personals.
sechzehnten Jahrhunderts, darunter etwa 28 juristische Werke,
während die Hauptmasse vorzugsweise der theologischen
Wissenschaft angehört. Eine Anzahl Drucke tragen den Ver-
merk, dass sie von Klerikern geschenkt oder testamentarisch
vermacht seien. Das. Kloster besass eine besondere Libene
„mit ziemlichen Büchern". Nach Einführung der Reformation
sind viele davon verschleppt worden, undzwar gerade die besten. l)
Hieraus erklärt sich wohl das Fehlen der Handschriften.
Viti, der Sammler der jetzt einen Theil der Schöppenstuhls-
bibliothek bildenden Bücherschätze, entstammte der Branden-
burger Familie Wedige.2) Als „Petrus Wedige de Branden -
bürg" bezog er 1480 die Universität Leipzig; 1487 war er
als Petrus Wedegonis de Brandenborgh ad artes in Cöln im-
matrikulirt; in demselben Jahre wurde laut des Cölner De-
kanatsbuches „Petrus Brandenborch" zum licentiatus artium
urfd 1488 ad gradum magistri promovirt; er muss also be-
reits als baccalaureus artium nach Cöln gekommen sein.
Dann erscheint er in Erfurt 1490 als Petrus Wedegonis de
Brandenborch, magister Coloniensis, in Begleitung mehrerer
anderen Brandenburger, darunter des Jacobus Rosyn, späteren
Offizials des Brandenburger Bischofs.
Diesem Studiengang zufolge mag er in den 1460 er
Jahren geboren sein.3) Er gehört der Periode an, welche
dem Eindringen der gelehrten Rechtsprechung in die welt-
lichen Gerichte voranging. Seinem gelehrten Berufe zu Ehren
latinisirte er dem Gebrauche der Zeit gemäss seinen Namen;
als Sohn des Wedige nannte er sich erst Wedegonis, später
!) Kurf. Reskr. von 1556, Akten K 5 RA.
2) Der Name findet sich 1381, 1383, 1576 in Berlin (Riedel 8 336. 342;
Schöppenstuhlsakten Bd. 27 415), 1521 in der Neustadt Br. (Schöppenbuch
Cod. N. 3 RA.), 1588 im Amte Bellin (29606); 1637 stirbt in Berlin der
BM. Wedige (Leichenpr. der Berliner Kgl. Bibl. Ee. 540). In Magd, findet
sich der Name 147 1 (Hertel, UrkB. 3 82), in Zerbst 1504 — 1509 (das. 3 735
und Zerbster Stadtarchiv). Gutsherrn von Bentwisch (bei Rostock) sind
1576 Heine und Jochim Wedige (17 336). Johann Wedige ist 1594 Hoffiskal
in Berlin (38 414).
3) Der 1461 in Erfurt iromatrikulirte Petrus Viti aus Uffenheim (in
Franken), 1463 Baccalaureus, 1467 Mag. artium Erford hat mit dem Bran-
denb. Viti nichts gemein als den Namen.
§ 13- Bibliothek. 205
Viti alias Wedegonis und schliesslich allein Viti. Nach ab-
geschlossenem Studium finden wir ihn 1504 und 1505 in
Zerbst; dort besass er ein Haus; 1505 siedelte er nach
Magdeburg über, seit 1526 erscheint er in Brandenburg, wo
er als u. j. baccalaureus auftritt und ein Gemach im alt-
städtischen Franziskanerkloster innehat.1) Im Kloster hatte
er seine Bücher an Pulte mit Ketten anschmieden lassen, wie
das damals bei werthvollen Büchern geschah und heute noch
in der Florentiner Laurentiana zu sehen ist. Die Bücher ver-
machte er testamentarisch dem Kloster; eine Inventaraufnahme
darüber fand nach seinem Tode im Jahre 1533 statt;2) folg-
lich starb er im Jahre 1533 oder kurz zuvor.
Leider fehlen alle sicheren Nachrichten darüber, ob Viti
Kleriker oder Laie gewesen ist, und ob er in Zerbst, Magde-
burg und Brandenburg irgendwelche Stellung im städtischen
Dienste eingenommen hat. Nur soviel ergiebt sich aus allen
den verschiedenen Urkunden, die ihn zwischen 1504 und 1533
erwähnen, dass er in jeder der drei Städte sowohl mit den
Stadtbehörden, als mit der hohen Geistlichkeit in Beziehung
stand und hohes Ansehen genoss: im Jahre 1504 fügt der
Rath der Neustadt Brandenburg einer offiziellen Sendung an
den Rath zu Zerbst ein Quantum Fische für „Mag. Petrus
Wedige" bei;3) im Jahre 1505 beauftragt ihn der Branden-
burger Richter Petrus Teydener,4) mit seinem (Teydeners)
Zerbster Schwiegersohn über eine Vermögensstreitigkeit zu
verhandeln;5) im Jahre 1508 wirkt „Mag. Petrus Wedegonis"
in Magdeburg bei einem zwischen der Stadt und dem dortigen
Klerus ausgebrochenen Streite darüber mit, ob der Nachlass
einer im Hause eines Geistlichen verstorbenen Person dem
Rathe oder dem Klerus gebühre. Hier erscheint Viti unter
1) Urkunde von 1545 in den Akten K. 5 RA.: „Gemach zwischen dem
Kreuzgang und dem grossen Garten neben der Schneiderei und der Barbier-
st übe. u
a) R. 21 No. io» Brandenburg-Altstadt — 1689 StA. Nicht richtig ist,
wenn Tschirsch, Beitr. zur Gesch. der Saldria S. 9, aus diesen Archivalien
entnimmt, Viti habe seine Bibliothek der Altstadt Br. vermacht.
Ä) Zerbster Archiv Doc. II, 184.
4) S. oben S. 115.
*) Zerbster Archiv.
206 3« Buch. Ausbildung des Personals.
den Vertretern des Rathes, und zwar wird er als Syndikus
aufgeführt, wenn auch dies nach dem Wortlaut der Urkunde
nicht völlig gewiss ist.1)
Dazu würde sehr wohl stimmen, dass Viti Notar und
dass er Kleriker war; denn gerade die Eigenschaften als
Syndikus, Notar und Kleriker finden sich damals vielfach in
der nämlichen Persönlichkeit vereint. Noch weitere Momente
unterstützen die Annahme, dass Viti zu den Klerikern
gehörte.
Die grössere Anzahl seiner Bücher fallt in das Gebiet
des geistlichen Rechts. Sodann lassen elf beid er gegen-
wärtigen Durchsicht dieser Bücher aufgefundene, beschrie-
bene Papierstreifen, die als Buchzeichen in die Bücher gelegt
zu sein scheinen, Beziehungen ihres Autors zur Geistlichkeit
erkennen. Die Schriftzüge weisen bei den meisten eine
grosse Aehnlichkeit mit den charakteristischen feinen Schrift-
zügen Vitis auf, wie sie aus einem längeren, von ihm ge- und
unterschriebenen Briefe des Zerbster Archivs aus dem Jahre
J) Den Wortlaut s. bei Hertel, Mgdb. UrkB. 3 781. Danach ist die
Stadt vertreten durch „Henning Storm, Heinrich Westfahl, sitzen( de) Borger-
meister, Mag. Petrus Wedegonis, Hans Robyn Baccalaurien, Johan Al-
man, Thomas Sult, Hans Ottersleben und . . . (folgt eine Lücke, in der zwei
Namen gestanden haben können), Burgermeister, Rathsherrn, Syndicum,
Schepfen und Burmeisteru. Von diesen Genannten kommen Thomas Suite
1497 und 1501, Hans Aleman 1496, Hans Robbin 1505 als BM. vor; nie-
mals aber wird Viti als BM. oder als Rathsherr genannt. Als Bürger
Magdeburgs sieht ihn Hertel a.a.O. 3,1010, als Rathsherrn und früheren Stadt-
schreiber zu Zerbst sieht ihn Pribatsch, Forschungen zur Brdb. Pr. Gesch.
12,20 an; aber Vitis Handschrift kommt im Zerbster Schöppenbuch von 1455
bis 1527 nicht vor, und 1502, wie 1507 werden Andere als Stadtschreiber
genannt (Gef. Mittheilung des Herrn Archivars Dr. Siebert in Zerbst). Dass
der Syndikus bei den Kollektiv bezeich nungen der Urkunde von 1508 am
Schlüsse den BM. und Rathsherren nachfolgt, entspricht dem Rangverh<niss,
ebenso entspricht es aber diesem Rangverhältniss, dass bei der Einzel-
aufzählung die Graduirten den Nichtgraduirten vorhergehen. Vergl. oben
Seite 84, auch Friese und Liesegang, Magdeb. Schöffensprüche S. 339
Über einen Streit in Zerbst über den Rang der Rathsherren. In einem
Briefe von 1505 aus Magdeburg (Zerbster Archiv) nennt Viti den BM. Hans
Robbin den älteren zu Magdeburg seinen Freund. Dieser Brief trägt
übrigens das schön erhaltene Siegel Vitis mit den Buchslaben P. W.
§ 13- Bibliothek. 207
1505 ersichtlich sind. Eine undatirte dieser Urkunden1) ent-
hält das Konzept des Urtheils eines geistlichen Richters in
einer Verlöbnisssache; der Wohnort der Beklagten ist nicht
angegeben; einer der beiden Kläger wohnt im Dorf Rude-
stet (bei Erfurt). Zwei andere dieser Urkunden (Vorderseite
und Rückseite desselben Zettels) datiren von 15 13, also aus
der Zeit, in der Viti in Magdeburg thätig war; die eine der
Urkunden giebt dies Jahr ausdrücklich an ihrem Schlüsse an,
die zweite ist zwar undatirt, erwähnt aber, dass der Schreiber
„integra hac dieu durch das Leichenbegängniss des Magde-
burger Erzbischofs Ernst (f am 3. August 15 13) in Anspruch
genommen war. Die letztere Urkunde enthält den Entwurf
eines Briefes mit der an einen unbekannten Adressaten ge-
richteten Bitte um Angabe der Wege, auf welchen eine
wichtige, nach Erfurt zur Rechtsbelehrung versandte Sache
ad optatos exitus geführt werden könne. Die zweite Seite
enthält den Entwurf eines dem Brandenburger Bischof Hiero-
nymus in den Mund gelegten, sich besonders nach Biederitz
(bei Mägdeburg) wendenden Mandats, durch welches ein
ausgesprochener Bann aufgehoben wird. Ferner ergiebt
ein von Viti im Jahre 1526 von Brandenburg aus nach
Zerbst gerichtetes Schreiben, dass er dort damals noch
Einkünfte aus Lehen der beiden Zerbster Hauptkirchen
bezog.2) Endlich ergiebt eine im Brandenburger Raths-
archiv befindliche undatirte, anscheinend von Vitis Hand
— also wohl aus seiner Brandenburger Zeit — herrührende
Klageschrift, 3) dass ihr Verfasser Prokurator des Klägers in
einem Prozesse des Vikars zu St. Nicolai in Magdeburg
gegen einen dortigen Bürger war. Sodann sind 1528 -,Mag.
Petrus Viti, alias Wedegonis, utriusque juris baccalaureusu
und nächst ihm, also im Range nachstehend, der Probst der
Nonnen in Arendsee (bei Stendal) als „viri venerabiles" bei
einem Vergleiche des Bischofs von Havelberg mit seinem
Domkapitel betheiligt,4) und endlich wird ebenfalls 1528 laut
1) im Speculum Guilelmi Durantis s. 1. e. a. aufgefunden.
Ä) Zerbster Archiv Doc. II, 441.
8) Doc. A. I, 127 R.A.
4) Riedel c. d. 3 133.
208 3- Buch. Ausbildung des Personals.
des im Brandenburger Domarchiv befindlichen Berichts über
die Inthronisation des Brandenburger Bischofs Matthias von
Jagow Mag. Petrus Viti als derjenige bezeichnet, „durch den
dem Domkapitel in Beiwesen des Offizials der Domprobstei
zu Brandenburg als einen offenen Notarien und Ge-
zeugenu die Urkunde behändigt wird, in der Kurfürst Jo-
achim die erzbischöfliche Bestätigung der Bischofswahl dem
Kapitel in Brandenburg kundgiebt. Ist die Sprachweise
dieses Berichts korrekt, wie man annehmen muss, so leidet
es keinen Zweifel, dass nach ihm Viti als Notar fungirte. J)
In Viti haben wir also einen wahrscheinlich dem geist-
lichen Stande angehörigen Notar aus dem Anfange des
sechzehnten Jahrhunderts vor uns, der erst in Zerbst, nach-
her in Magdeburg lebte. An letzterem Orte sehen wir ihn
als Anwalt und Schiedsrichter thätig.'-) Der Grund, der
ihn von Magdeburg wegführte, liegt nahe. Magdeburg
trat 1524 zum Lutherthum über; es kam dort zu argem
Streit, ja zu Exzessen;3) an der Spitze der päpstlich Ge-
sinnten stand der Bürgermeister Hans Robin, den wir als
Viüs Freund kennen lernten. Im Rathe erhielten die Luthe-
raner aber die Ueberhand; die Mönche, darunter auch Fran-
ziskaner, waren lebhaften Angriffen ausgesetzt. Luther pre-
digte in Magdeburg, und sein Wittenberger Freund Dr.
Hieronimus Schurff, bei Gründung der Universität Wittenberg
1502 aus seiner Heimath St. Gallen dorthin berufen, war
Sachwalter Magdeburgs in dem vom Erzbischof gegen die
Stadt angestrengten Prozesse. Unter den Thesen, die im
1) Das Wort „Gezeugen** in der Urkunde bezieht sich dann entweder
auf den Offizial oder auf Viti und den Offizial. Der Accusativ „als einen
offenen Notarien** kann sich nicht auf den Genitiv „des officials" beziehen.
2) Wenn Viti 1508 (oben S. 2ot>) als Syndikus bezeichnet wird, so kann
damit nicht gesagt sein, dass er Magdeburgischer Stadtsyndikus war.
Die Reihe der Magdb. Stadtsyndici ist bekannt: 15 14 folgte auf D. Thomas
Moritz D. Leonhard Mertz, der 1516 Schöppe wurde (Schöppenchronik
S. 421) und 15 34 noch Syndikus war (s. demnächst unten). Viti fungirte
also in jener einzelnen Sache als „Syndikus14, d. h. als Anwalt der Stadt.
Vergl. oben S. 97.
3) Hoffmann, Gesch. der Stadt Magdb., neubearbeitet von Hertel und
Hülfse, Magdb. 1885, 1. Bd. S. 323 ff.
S 13. Bibliothek. 20tt
Mai 1524 die Lutheraner an die Strassenecken Magdeburgs
anschlagen Hessen,1) war auch die, dass das gesammte Ver-
mögen der Kirche dem gemeinen Kasten, also der Stadt-
gemeinde, überwiesen werde.
Im Jahre 1526 finden wir Viti in Brandenburg; seine
nachweisbar nahe Beziehung zur dortigen Geistlichkeit, sein
Aufenthalt in einem Annexe des Franziskanerklosters, das
Vermächtniss seiner Bibliothek an dies nämliche Kloster und
nicht zum letzten einige seiner Bücher, die aus der Kloster-
bibliothek in die Bibliothek der Gotthardkirche zu Branden«
bürg wanderten, liefern den Beweis, dass Viti am alten Glauben
festhielt. Den gleichen Einband wie die Bücher des aus
seiner Bibliothek stammenden Theiles der Schöppenstuhls-
bibUothek weisen zwei in einem Bande vereinigte Inkunabeln
der Gotthardkirche auf2). Diese Werke ebenso wie die
commentarii in clementinarum volumen Francisci Cardin.
Zabarele (Lugduni 151 1) und das repertorium Antonii Corseti
in Panormitanum (Lugduni 1500) enthalten zahlreiche Rand-
notizen von Vitis Hand. Gleiche Notizen finden sich in drei
weiteren Büchern der Gotthardkirchenbibliothek, die Luther
und Erasmus angreifen.3)
Ein GeistHcher, der in den Jahren 1526 bis 1533 sich
aus den Stürmen, die damals zufolge des zur Herrschaft ge-
langten Lutherthums in Magdeburg tobten, in das Franzis-
kanerkloster seiner noch gut kathoHschen Vaterstadt Branden-
burg zurückzieht, ist höchst wahrscheinlich durch diese Stürme
zum Wechsel seines Aufenthalts bestimmt, um sich seine
letzten Jahre den Studien widmen und nebenbei als Notar
möglichst dem Interesse der kathoHschen Kirche dienen zu
können. So erscheint Viti als der Typus des gelehrten
1) Hoffmann a. a. O. I, S. 342.
2) Casus longi Bernard i super decretales, Argentinae 1486, und casus
longi sexti et clementinarum 1488.
3) Johannis Roffensis assertionis Lutheranae confutatio, Colon. 1524,
Joh. Fabri declamationes divinae de humanae vitae miseria, Aug. Vind.
1520, annotationes Natalis Bedae in Jacobi Fabri Stapulensis commen-
tarium super epist. Pauli et evangelistas , ejusdem censurae in errores
Erasmi super IV evangelia et epistolas, Colon. 1526, tractatus Petri Hys-
pani, eversio Lutherani epithalamii per Conradum Kollin Ulmensem, 1527.
St ölzel, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 14
•210 3- Buch. Ausbildung des Personals.
klerikalen Juristen aus der Zeit, die unmittelbar der Refor-
mation voranging.
Mit welchem Fleisse er sich dem Studium der römischen
Rechtsquellen hingab, beweist die ebenfalls in der Gotthard-
kirche befindliche Ausgabe des Codex Justinians von 1482.
Hier sucht man mit Mühe nach einer unbeschriebenen Stelle;
überall ist der Rand mit Bemerkungen gefüllt. Möglicher-
weise diente diese während Vitis Studienzeit erschienene
Ausgabe ihrem Besitzer auf der Universität, sei es für sein
Selbststudium, sei es für etwaige Vorlesungen, die er als
Magister, der Universitätssitte gemäss, in Erfurt jungen
Studenten hielt.1) Auch sonst zeigt ein grosser Theil seiner
Bücher, mit welchem staunenswerthen Fleiss er sie durch-
gearbeitet hat. Die Dekretalen, das speculum Durands, eine
Repetitionensammlung des kanonischen Rechts, die Repe-
titionen des Lanfrancus, das formularium advocatorum, der
Processus des Auerbach und die expositiones des Sebastian
Brant sitid theilweise Seite für Seite mit Vitis Notizen bedeckt,
ebenso die aurea practica des Petrus Jacobus, die gesammelten
Werke des Stephanus Auffreri, sowie das Alphabetum aureum
und das Compendium juris des Petrus de Ravenna. Zahl-
reicher sind freilich die Werke, bei denen ein weniger ein-
gehendes Studium zu Tage tritt. Hierhin gehören von den
Inkunabeln das Corpus juris mit der Glosse, die casus
Accursii, die lectura arboris, die summa libellorum des
Roffredus* die lectura super codicem des Bartolus, die lectura
decretalium des Siculus und der vocabularius juris, von den
späteren Drucken der Commentar des Bartholomeus de Saly-
ceto super codicem, die consilia des Fredericus de Senis,
die lectura des Jason Maynus super digestum, codicem et
tit. de actionibus, Baldus de Perusio super feudis, die deci-
siones rotae Romanae und die cautelae des Cepolla. Be-
sonders wenig hat sich Viti demnach mit den Konsilien und
den späteren Ausgaben der Lektüren und der Kommentare
beschäftigt, während er die alphabetischen und systematischen
Kompendien und die Quellen bevorzugte. Sonst finden sich
noch Spuren seines Studiums in den octo libri physicorum
J) Vgl. Muther, Zur Geschichte der Rechtswiss. 1876 S. 301.
$13- Bibliothek. 211
Aristotelis (s. 1. et. a.) und in der celifodina absconditos
scripture thesauros pandens (Lips. 1505).1) Freilich beschränken
sich alle von Viti gemachten Notizen wesentlich darauf,
durch Schlagworte am Rande, die entweder den Inhalt eines
Abschnitts kurz wiedergeben oder bemerkenswerthe Sätze
des Textes wiederholen, dem Gedächtniss zu Hülfe zu kommen.
Mehrfach hat er dem Text eine tabula hinzugefügt. Sein
Streben ging mehr dahin, zu lernen und das Gebotene in
sich aufzunehmen, als es einer selbstthätigen Kritik zu unter-
ziehen. Die Vorliebe, mit welcher er sich den Abschnitten
über den Prozess zuwandte, weist auf die praktische Richtung
seiner Thätigkeit hin. Dabei kommen auf einzelnen der in
Vitischen Büchern aufgefundenen Zettel Rechtsausführungen
und Argumentationen aus Quellenstellen vor, die einen ge-
radezu traurigen Einblick in den Stand der damaligen Juris-
prudenz eröffnen und völlig mit dem zusammenstimmen, was
aus den Prozessschriften zu entnehmen ist, die zuerst ver-
suchten, das fremde Recht zur Stütze aufgestellter Behaup-
tungen zu verwerthen. Das Charakteristische dieser Periode
ist eine fortgesetzte Missanwendung und Missdeutung dessen,
was man in den Quellen fand.
Davon ein Beispiel. Viti notirt sich (um 1500) beim
Studium des repertorium aureum des Antonius de Prato2) ver-
schiedene Rechtsregeln, darunter auch die: „prescriptio similis
est satisdationiu, was bedeuten soll, dass ein Anspruch ebenso
durch Verjährung erlösche, wie durch Erfüllung. Hierzu
wird als Beweisstelle die 1. si pupillum in fine ff. de excu-
satione tutorum (I.20D.27, i)citirt, welche besagt: „Si pupillum
patruus contendat exheredatum esse et se heredem scriptum,
aequum est tutorem pupillo dari recepta patrui excusatione
vel, si nolit excusationem petere, remoto eo a tutela ita litem
de hereditate expedirew. Wenn also ein Vormund mit seinem
Mündel über eine Erbschaft in Streit geräth, soll der Vor-
mund um Enthebung von der Vormundschaft bitten; unter-
lässt er dies, so wird er von Amtswegen als Vormund entsetzt,
J) Jetzt befinden sich beide Werke in der Bibl. der Gotthardkirche.
Ob sie Viti gehörten, steht dahin; der Einband spricht dafür.
') Siehe oben Seite 201 Anm.
21 m2 3- Buch. Ausbildung des Personals.
und der Erbstreit geht weiter. Staunend wird man fragen, wo
hier irgendwelcher Anhalt für den Satz zu finden sei, dass
Verjährung und Erfüllung gleich wirken. Der absonderliche
Gedankengang dessen, der die Stelle zitirt hat, kann nur
der gewesen sein: ob der Vormund seine Verpflichtung, um
Enthebung zu bitten, erfüllt, oder ob er dies versäumt, Beides
hat die nämliche Folge: die Erfüllung der Verpflichtung (die
satisdatio) wirkt mithin ebenso, wie die Versäumung der Er-
füllung (die praescriptio). Ist schon mit dem Satze, dass die
Verjährung der satisdatio ähnlich sei, wenig anzufangen, so
kann die Art, wie mangelhaft zur Zeit der Abfassung des
erwähnten Schriftstücks das juristische Denken entwickelt
war, kaum deutlicher vor Augen geführt werden, als es hier
geschieht.
Nicht viel besser stand es bei Versuchen, die in der
Studirstube oder im Universitätskolleg gemacht wurden,
wenn es galt, diese oder jene Lehre systematisch darzu-
stellen. Auch hier bietet ein in Vitis Lectura des Jason Maynus
über den Codex l) gefundener Zettel einen nicht uninteressanten
Beleg, der wohl als frühster Anfang eines nachgeschriebenen
oder zu Haus ausgearbeiteten Kollegienheftes gelten kann.
Der Zettel, erheblich kleiner als ein Oktavblatt heutigen ge-
wöhnlichen Schreibpapieres, ist der Länge nach gebrochen
und auf den dadurch entstandenen vier Seiten mit minu-
tiösester Schrift (nicht von Vitis, sondern von andrer Handv
bedeckt. Er behandelt die „Species praescriptionis" nach
gemeinem Rechte mit einem Zusatz über das jus saxonicum
und mit einem Schlussabschnitt über die Frage: an Vitium
aut mala fides noceat successori. Dabei wird Ersitzung und
Klageverjährung, Zivil- und Strafrecht unter einander ge-
mengt, in unklarer Weise zwischen realen, quasirealen, persön-
lichen Fehlern unterschieden und mit dem wenig nutzbringen-
den Satze geschlossen: „Successor vero universalis universaliter
non prescribitu.
Viti und seine Bücher nebst deren Einlagen können hier-
nach als redende Zeugen derjenigen Periode dienen, welche
]) s. oben S. 201, Anm. 1.
§ 13- Bibliothek. 213
mittels einer unter klerikalem Einflüsse stehenden, erst arti-
stischen, nachher juristischen Universitätsausbildung die auf
den Boden der gelehrten fremden Rechte sich stellende
Rechtsprechung vorbereitete, wie sie um die Mitte des sech-
zehnten Jahrhunderts zur Blüthe gelangte. In Magdeburg ist
der ursprüngliche Sitz der Vitischen Bibliothek gewesen,
dort mag sie auch zusammengebracht sein. Dafür sprechen
namentlich die handschriftlichen Einträge, welche sich in zwei
der von Viti nachgelassenen Bücher finden und sich auf die
Sebastianskirche in Magdeburg beziehen. Den im Jahre
1509 gedruckten decisiones rotae ist ein 1506 von der Alt-
stadt Brandenburg zu Gunsten der genannten Magdeburger
Kirche ausgestellter Rentenkaufbrief als Schmutzblatt vor-
geheftet; die Zahlung der Rente soll danach aus den Ein-
künften bewirkt werden, die der Stadt Brandenburg im
Gebiete der Stadt Magdeburg zustehen. Sodann enthält
das oben (S. 202) erwähnte formularium instrumentorum l)
auf der unbedruckten letzten Seite die Abschrift eines vom
Dekan der Sebastianskirche, dem Magdeburger Offizial
Jacob Nefe, erlassenen Prozessdekrets in einer Appellations-
sache. Dies Dekret war sichtlich vor dem Einbinden in das
Buch eingetragen.
Hiernach wäre es auch nicht ausgeschlossen, dass die
von Viti hinterlassene Bibliothek ursprünglich die Bibliothek
einer Magdeburger Kirche oder eines Magdeburger Klosters
war, und dass Viti bei seinem Ueberzug nach Brandenburg
den Auftrag erhielt, sie mitzunehmen, um sie der Kirche zu
erhalten und einstweilen sich als Eigenthümer der Bibliothek
zu geriren, aber sie dann testamentarisch wieder in sicheren
Besitz einer katholischen Körperschaft zu bringen. Daraus
möchte der an sich auffallige Umstand seine Erklärung fin-
den, dass Viti die seinem Testamente nach ihm eigenthüm-
l) Die darin enthaltenen Formularbeispiele nennen mehrfach als Aus-
stellungsort Rom und das Jahr 1476. In der Formel eines Doktoreides ist
von 6 cursibus peractis und dann noch von einigen repetitiones Perusinae
die Rede (fol. 146). Von besonderem Interesse ist das Formular, nach
welchem „quoddam mancipium videlicet una sclava de partibus Rossie
oriunda" verkauft wird (fol. 59).
214 3* Buch. Ausbildung des Personals.
lieh zustehenden Bücher, als gehörten sie bereits dem Kloster,
schon bei seinen Lebzeiten dort anketten liess. Um die
Bibliothek zusammenzubringen, waren auch Mittel erforderlich,
über die Viti, der Sohn eines in unsern Materialien nirgends
genannten und deshalb kaum besonders angesehenen und
begüterten Brandenburger Bürgers, vermuthlich nicht ver-
fügen konnte. l)
Ist diese Annahme begründet, dann haben wir in Vitis
Bibliothek die den Magdeburger klerikalen Anwälten und
Notaren zum Gebrauch dienende Bibliothek eines Magdebur-
ger klerikalen Instituts vor uns, welche in Folge der Refor-
mation Theil der Bibliothek des Schöppenstuhls eines pro-
testantischen Landes geworden ist.
Auch darüber, wie dieser Anfall sich vollzog, lassen
sich Nachrichten beibringen, aus denen zugleich hervorgeht,
welche Bedeutung man schon zu Vitis Lebzeiten seinen Büchern
beilegte. Im Jahre 1533 wollte der Sohn des brandenburger
altstädtischen Bürgermeisters Schuller (oben S. 139), Georg
Sabinus, der spätere erste Rektor der Universität Königsberg,
seine Studien der Rechtswissenschaft und der Beredsamkeit in
Padua fortsetzen; er erfreute sich dabei der Unterstützung des
Kurfürsten Joachim I. und dessen Bruders, des Erzbischofs
Albrecht von Magdeburg. Von einer Reise aus Süddeutsch-
land im Mai jenes Jahres zurückgekehrt, bat Sabinus im Juni
(vor seiner im Juli angetretenen Reise nach Padua)2) das
Kloster der Franziskaner nach dem kurz zuvor erfolgten Tode
Vitis, ihm dessen Bibliothek, soweit sie juristische Bücher ent-
1) In den formulae notariorum (um 1476) werden fol. 108. 109 als
Beispiele der emtio angeführt: der Kauf eines Infortiatum zu 10, der Kauf
eines Pferdes zu 5 Goldgulden. Der (1576 in Krankfurt immatrikulirte)
Lucas Gaulrap besitzt eine Bibliothek, für welche ein Käufer vor 1014
1200 Thlr zahlt (66 534. 552). Der von 1579 bis 1586 in Wittenberg und
Erfurt ausgebildete Rathenower Stadtschreiber Thomas Neumann aus Treuen-
brietzen bringt 1587 in die Ehe Bücher, die „nicht unter 200 fl. gezeuget"
(31 40H). In Gardelegen hinterlässt 1640 Dr. j. u. Tristedt 200 Bände,
„wohl über 600 Thlr. werth* (77 449).
*) nicht nach Bologna, wie es bei Tschirsch, Beitr. zur Gesch. der
Saldria S. 9 Note 4 heisst. Vergl. Muther, Aus d. Univ.-Leben 1866
S. 366. Toppen, Die Gründung der Univ. Königsberg S. 34.
§13- Bibliothek. 215
hielt, zur Benutzung zu überliefern. Erst auf Intervention
des Kurfürsten Hess sich das Kloster dazu bereit finden. Der
Kurfürst bestellte zwei Brandenburger Domherren zu Korn-
missarien, welche die Bücher verzeichnen und „dem Bürger-
meister Schuller von wegen seines Sohnes Jürgen Schuller,
sonst Sabinus genannt, in Beiwesen der Räthe beider Städte
auf deren genügsame Kaution" überantworten sollten. Die
Kommissarien Hessen darauf die Bücher in den Dom bringen
und händigten den Räthen beider Städte das Inventar aus.
Da die Räthe baten, die Bücher ihnen für Sabinus zu über-
lassen, nahmen die Domherren die Kaution der Räthe „auf die
Wiederstellung nach Ablauf dreier Jahre* an und überant-
worteten ihnen die Bücher am Montag nach Misericordias 1533.1)
Ein in Bretschneiders Corpus reformatorum vol. II S. 642 ab-
gedruckter Brief ohne Zeit- und Ortsangabe, auch ohne
Adresse spricht die Bitte des Sabinus aus, dass ihm, den die
angustia rei familiaris bisher gehindert habe, den Wunsch
der fruchtbringenden peregrinatio nach Italien auszuführen,
„vestra celsitudo" eine solche Reise ermögUche, „cum antea
a vestra celsitudine libris instructussim; novit vestra celsi-
tudo vetus proverbium, pudorem egenti inutilem esse". Die
Hbri, von denen der Zettel redet, sind Vitis Bücher. Schwer-
lich darf aus dem Briefe, den nach Obigem Sabinus vor
seiner Abreise von Brandenburg an den Kurfürsten Joachim
schrieb, geschlossen werden, Sabinus habe diese Bücher
mit nach ItaUen genommen;2) ein egens reiste damals nicht
mit centnerschwerem Gepäck über die Alpen, und die
Brandenburger Rathsherren, die als Bürgen hafteten, wür-
den eine so gefahrvolle Wegführung der kostbaren Bücher
wohl kaum gestattet haben. Das Natürlichste war, dass
die Bücher von den Rathsherren im Rathhause, damals
der allgemeinen Hinterlegungsstelle von Werthgegenstän-
den, aufbewahrt wurden. Im Jahre 1534 kehrte dann
Sabinus nach zehnmonadichem Aufenthalt von Padua zu-
rück, und nunmehr mag er von der Erlaubniss zur Be-
nutzung der Bücher Gebrauch gemacht haben, um sich den
J) R. 21 No. 10 » Brandenburg Altstadt —1689. StA.
*) so Tschirsch a. a. O.
216 3- Buch Ausbildung des Personals.
Grad eines Doktors beider Rechte zu erwerben.1) Allzuviel
Liebe zur Rechtswissenschaft flössten ihm weder seine. Studien
in Italien, noch Vitis Bücher in Brandenburg, noch seine Be-
schäftigung mit der Gerichtspraxis ein; das bezeugen seine
Distichen :
jamque voluminibus juris studioque forensi
deditus, ipse tuus, Bartole, miles eram,
blanda sed addictum me noluit esse severis
legibus inque suum Musa retraxit opus.
Das bezeugt auch die Lehre, die er 1543 als Frankfurter
Professor dem jungen Martin Chemnitz, dem nachherigen be-
rühmten Theologen, gab: se ab experientia didicisse, quis
ex studio juris emergere velit et non habeat ingenium
aulicum, non multum ipsi prodesse juris cognitionem.
Nachdem der erworbene Doktorhut dem miles Bartoli 1538
eine Professur in Frankfurt eingetragen hatte, konnte immer
noch die Bibliothek Vitis im altstadtischen Rathhause zu
Brandenburg unter der Obhut des Bürgermeisters Schuller
verbleiben, da Sabinus juristische Vorlesungen nie gehalten
hat, und da er sich nicht allzufern von Brandenburg aufhielt.
Sein „ingenium aulicumu verschaffte ihm dann 1543 im Todes-
jahr seines Vaters die Berufung an den preussischen Hof
nach Königsberg. Gleichzeitig folgte sein Bruder Andreas
dem Vater im Bürgermeisteramte. Da Sabinus von Königs-
berg aus keinen weiteren Gebrauch von den Büchern machen
konnte, sein Bruder aber und die andern Rathsmitglieder das
Interesse hatten, von ihrer Bürgschaft befreit zu werden, und
da inzwischen das Klostergut in Brandenburg säkularisirt
war,2) so lag nichts näher, als den thatsächlichen Zustand
zum rechtlichen zu erheben, d. h. die Vitischen Bücher dem
Stadtvermögen einzuverleiben und sie in die Rathsbibliothek
l) Toppen, Univ. Königsberg- S. 36.
*) 1541 Mitw. nach Judica zahlt der Rath der Altstadt für Renovation
des Pfarrhauses; der neue evang. Prediger trat sein Amt an; 1542 quittirt
ein Domherr, 10 fl Zinsen „von wegen seines Pfarrlehns" aus dem Gemeinde-
kasten vertrag smäfsig erhalten zuhaben. Rathsb. A. 1. fol. 311. 307. 32S
A.A. Vgl. Gebauer, die Einführung der Reformation in den Städten Alt-
und Neustadt Brandenburg, Forschungen zu Brdb. u. Pr. Gesch. 13. 2.
§ 13- Bibliothek. 217
einzustellen. Ende Mai 1544 war Sabinus einige Zeit noch
in Brandenburg;1) hier mag die Bücherangelegenheit ge-
ordnet worden sein: im Oktober 1544 übereignete der Kur-
fürst dem altstadtischen Rath das Barfüsserkloster „nebst
allen Zubehörungenu, 2) und damit auch nebst Vitis Büchern.
Nunmehr standen diese den altstadtischen Schoppen zur
Verfügung.3) Dass sie davon Gebrauch machten, beweisen
die oben (S. 137) mitgetheilten Randbemerkungen Demkers
und Schmidts im alphabetum aureum des Peter von Ravenna.
Was für den gelehrten, in der Praxis thätigen Juristen
das Ende des fünfzehnten und der Anfang des sechzehnten
Jahrhunderts an gebräuchlichen literarischen Hilfsmitteln bot,
war nunmehr in dieser Rathsbibliothek vereinigt. Sie liefert
zugleich ' einen Beleg für die Zuverlässigkeit von Stintzings
Geschichte der populären Literatur des römisch-kanonischen
Rechts jener Zeit: keines der zu dieser Literatur gehörigen
Bücher der Bibliothek fehlt bei Stintzing. Ebenso fehlt in der
Bibliothek fast keines der von Stintzing behandelten Werke.
Ihr Uebergang aber von Viti auf Sabinus und von Sabinus
auf die Brandenburger Schoppen stellt dar, wie sich der
Strom des fremden Rechtes über die Studirstube des Notars
in die des deutschen Rechtsgelehrten, der die italienische
Hochschule besucht, und dann aus ihr in die Gerichtsstube
solcher Schoppen ergiesst, die dem gelehrten Rechte sich
zuwenden.
III.
Die weitere Entwicklung der altstädtischen Rathsbiblio-
thek liegt im Dunkel.
Unter den Bänden, bei denen jeglicher Anhalt ihrer
1) Heffter, Erinnerung an G. Sabinus, 1 844 S. 44 ff.
2) Urk. d. d. Cöln Freitags nach Galli 1544. Akten K. 5 R.A.
3) Hierdurch erklärt sich die Abtrennung der Vitischen juristischen
Bibliothek von seinen andern Büchern und von der Klosterbibliothek über-
haupt. Diese befand sich im Jahre 1556 noch in der Liberie des Klosters
(vergl. Akten K 5, R.A.). Die rührigen und für die Kirchenbibliothek
eifrig besorgten evangelischen Pfarrer der Gotthardkirche werden, als das
Kloster definitiv geräumt wurde, dafür gesorgt haben, dass die Kloster-
bibliothek nicht, wie die Vitische Buchersammlung, in das Kathhaus, son-
dern in die Kirche kam. wo sie sich noch jetzt befindet (vgl. oben S. 203).
218 3* Buch. Ausbildung des Personals.
Herkunft fehlt, gehören 32 dem sechzehnten Jahrhundert,
und zwar fast alle dessen zweiter Hälfte an. Der älteste
Druck unter ihnen ist die in Frankfurt a. O. (1545 bis 155 1)
erschienene Konsiliensammlung SchurfFs, der — eine Leuchte
der dortigen Universität — als Konsulent viel in Anspruch
genommen wurde.1) Dann folgt aus dem Jahre 1549 eine
Venediger Ausgabe des um 141 3 in Padua promovirten Nico-
laus de Tudeschis (gen. Panormitanus). Es sind ferner zu
nennen Wesenbecks Konsilien (Basel 1577), Mynsingers Obser-
vationen (Helmstädt 1584), Hartmann Pistors Quästionen
(Leipzig 1579 b*s x5^4)» eine Pariser Ausgabe des Corpus juris
canonici (1561, 3 Bände) und endlich Joh. Bodinus' berühmtes
staatsrechtliches Werk de re publica.2) Auch Damhouder,
Schneidewin, Treutier, Borcholten und Asinius sind vertreten.
Den Rest bilden Traktate und Disputationen, darunter des
Berliner kurf. Rathes Fr. Pruckmann, des Sohnes eines Frank-
furter Bürgermeisters,3) tractatus methodici et accuratissimi
de differentiis fere Omnibus circa jus Romanum inter utrumque
sexum, Francof. 1599.
Der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts gehören
20 Bände an, darunter die Konsilien Pruckmanns und Matthias
Colers, mehrere öffentlichrechtliche Werke von Limnaeus,
Knichen, Arumaeus u. s. w., die Decisionen des Frankfurter
Professors und Berliner Geheimen Rats Koppen,4) einer in
der Mark und namentlich in Brandenburg besonders ange-
sehenen Persönlichkeit, ») endlich Vigelius' bekanntes und be-
liebtes Gerichtsbüchlein, herausgegeben von Melchior Husanus,
Naumburg, 1636. rt)
Unter den 56 Bänden aus der zweiten Hälfte des sieb-
zehnten Jahrhunderts sind zu nennen Vinnius* Institutionen
*) Ausserdem ist noch eine spätere Ausgabe (Frankfurt 1575) vor-
handen.
2) libri sex, editio tertia, Francof. 1554, vgl. St int ring-, Geschichte der
Rechtswissenschaft I. 668.
3) S. Seidel, Bildersammlung S. 167.
*) Magdeburg 161 7, Stintzing Gesch. I 557.
*) Vergl. oben Seite 104.
6) Stintzing, Gesch 1 436.
§ 13. Bibliothek. 219
(zweimal vorhanden, Lips. 1674), Hugo Grotius, de jure belli
et pacis (Amsterdam 1660), Pufendorf, specimen contro-
versiarum circa jus naturale (Osnabrugi 1678), Martinus
Lipenius, bibliotheca realis des (Francof. a. M. 1679, *)» Zaun-
schliffer, opera juridica (Francof. 1699), Gails Observationen
(Colon. Agripp. 1668), Brunnemanns Hauptwerke, Schilters
praxis juris Romani in foro Germanico und seine institutiones
juris canonici, Heigs Quästionen, Struves Syntagma juris
feudalis, Carpzows Practicae novae rerum criminalium.
Eine Reihe anderer Werke haben zwar Vermerke
über frühere Eigenthümer, aber es hat sich Näheres
über diese Eigenthümer nicht ermitteln lassen. Bemerkens-
werth ist hier Königs beliebter „Processus und Practica der
Gerich tsleufte nach dem Gebrauch sächsischer Landart
aus den gemeinen bäpstlichen, kaiserlichen und sächsischen
Rechten*4 (1550), damals ein „ Führer der sächsischen
Praxis".2) Das aus dem Besitze eines Neustädters stammende
Exemplar macht den Eindruck häufigen Gebrauchs. Ausser-
dem ist ein zweites Exemplar von 1541 vorhanden. Daran
schliesst sich „das ganze sächsische Landrechtu Melchiors
Kling 0 543)i 3) e*n ebenfalls viel gebrauchtes Exemplar.
Ferner verdienen Decii consilia (Francof. a. M. 1588), Me-
nochius, de praesumptionibus (Lugd. 1588, spätere Ausgabe
1595), die Decisiones rotae Lucensis (Spirae 1599), Gails
Observationen (Cöln 1601), Cothmanns consilia (Francof. 1602),
Scheplitz' statuta (Jena, ohne Jahr) und sein promptuarium
(1608), Bodinus' de re publica (Francof. 1622), Berlichs De-
cisionen, Lauterbachs Kompendium und Hauptwerke von
Stryk, Pufendorf, Cocceji und Carpzow hervorgehoben zu
werden.
Aeusserst spärlich ist demnach die erste Hälfte des
sechzehnten Jahrhunderts vertreten, während sich aus der
zweiten Hälfte desselben und aus dem siebzehnten Jahrhundert
eine beträchtliche Anzahl der besten Schriftsteller finden,
von denen auch mehrfach Doubletten vorhanden sind. Mit
!) Landsberg, Gesch. der Rechtswissenschaft, S. 131.
*) Stintzing, Gesch. I, 560.
3) Daselbst 305 ff.
220 3« Buch. Ausbildung des Personals.
der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts ist im Schöp-
penstuhl die Herrschaft des gelehrten Rechtes entschieden,
und für die Rechtsprechung erlangen die Konsiliensammlungen
ihre hervorragende Bedeutung. Das kommt in dem Bücher-
bestand des Brandenburger altstädtischen Rathes zum Aus-
drucke.
IV.
Nach dieser Uebersicht über die Zusammensetzung der
altstäd tisch e n Rathsbibliothek war diese Bibliothek bei
weitem reicher als die des neustädtischen Rathes, wie
sich aus der jetzigen Magistratsbibliothek feststellen lässt,
wenn man daraus die vom Schöppenstuhl herrührenden Be-
stände sondert. Das älteste Werk im Besitze des neu-
städtischen Rathes war das glossirte Corpus juris canonici
(Basel 1511, 1512) in 3 Folianten, deren Einbanddeckel die
Spuren der Ankettung tragen, aber Spuren einer anderen
Weise der Ankettung, als sie im altstädtischen Franzis-
kanerkloster üblich war. Möglich ist, dass es sich hier um
einen Rest der in Folge der Reformation in den Besitz
des Raths übergegangenen Bibliothek des neustädtischen
Dominikanerklosters handelt, von der in den neustädtischen
Kirchen keine Spuren mehr vorhanden sind. Wir würden
dann in beiden Städten eine analoge Entwicklung wahrnehmen.
Den gleichen Ursprung haben vielleicht eine Anzahl theolo-
gischer Werke des Augustinus, Ambrosius, Johannes Chry-
sostomus und Theophylactus, Drucke von 1522 bis 1529. Die
übrigen Drucke stammen aus der nachreformatorischen
Zeit. So liegt in 9 Bänden eine werthvolie, in Lyon 1549
gedruckte, aus 17 volumina bestehende Traktatensammlung
vor. Ebenfalls Lyoner Drucke, und zwar von 1550, sind die
Praelectiones des Paulus de Castro zu den Digesten und zum
Codex. Der Aufdruck „Neue Stadt Brandenburg" findet
sich auf Lyoner Drucken der in keiner altern juristischen
Bibliothek fehlenden Kommentare des Baldus und des Bartolus
von 1550 bis 1552. Ein ebenfalls in Lyon 1552 gedrucktes
Repertorium des Johannes Bertachinus Firmanus in 3 Theilen
und die Kommentare des Jason Maynus zu den Digesten
(wobei derjenige zum digestum vetus fehlt) und zum Codex
§ i3. Bibliothek. 221
(Lyon 1553) schliessen die Reihe der Drucke aus der Zeit
um 1550. Des Dionysius Gothofredus Werke sind in einer
Ausgabe von 1590 vorhanden. Die Literatur des siebzehnten
Jahrhunderts fehlt fast ganz, nur aus dem Ende des Jahr-
hunderts finden sich einige Werke (z. B. Brunnemann und
Fritsch). Spärlich sind die Werke aus dem Anfang des
achtzehnten Jahrhunderts vertreten. Die Bibliothek, die in
der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts einen guten Anlauf
nahm, ist demnach später offenbar vernachlässigt worden. J)
V.
Der Gedanke, dass neben dem Rathe der Schöppenstuhl
als solcher einer guten Bibliothek bedürfe, tauchte zuerst
nach der Vereinigung beider Städte auf, und zwar in einem
Berichte, den der Schöppenstuhl im Jahre 1 73 1 an den König
richtete mit der Bitte um Erhöhung der Gehälter der
Schoppen. Hierin hiess es, dass sich bei dem geringen
Einkommen Niemand finden wolle, in das Schöppenkolleg
einzutreten, weil er ausser Stande sei, sich die zur Abfassung
der rationes erforderlichen Bücher anzuschaffen.
Zwei Jahre darauf motivirte der Schöppe Steltzner beim
König und dem Kanzler seine Bitte um Pensionirung unter
anderem damit,2) „er habe wegen wachsenden Haussegens
für liberi, nicht für libri sorgen müssen und könne sich bei
ermangelnden Blätterchen nicht mit übrigen allegatis osten-
tierentt. Berichte des geheimen Raths Hartmann, der in
Brandenburg die Stelle des commissarius loci bekleidete,
wiesen ebenfalls auf die Nothwendigkeit einer guten Biblio-
thek für die Mitglieder des Schöppenstuhls hin. Dies ver-
anlasste das Generaldirektorium, dem Minister von Broich
den Vorschlag zu machen, dass von den für den Schöppen-
stuhl zu Gehältern bestimmten Beträgen 37 Thaler zur An-
*) Ein Katalog der Rathsbibliothek vom 5. Dezember 18 16, Acta I,
9 Bl. 29 — 36 des Magistrats zu Brandenburg, führt von älteren Werken
überhaupt nur Gothofredus auf. Es kann aber nicht zweifelhaft sein, dass
der Katalog hierin unvollständig ist. Der Verfasser desselben wird die
anderen Bande nicht zu Gesicht bekommen haben.
*) Siehe oben Seite 131.
222 3- Buch. Ausbildung des Personals.
Schaffung einer Bibliothek verwandt und Plümicke, welcher
damals zum Mitgliede präsentirt worden war, mit deren
Ankauf und Verwaltung betraut werden sollte. Der Minister
erklärte sich hiermit einverstanden, weil dadurch, wie er
meinte, den Querelen einiger Assessoren, dass sie bei ihrer
Arbeit mit den gehörigen subsidiis nicht versehen seien,
abgeholfen werden könnte und die Anschaffung einer Biblio-
thek keine Schwierigkeiten mache, da in Berlin täglich
Bücherauktionen vorkämen. Am 29. November 1734 erging
hierauf ein königliches Reskript, in welchem 37 Thaler zur
Anschaffung einer Bibliothek bestimmt wurden, damit allmäh-
lich ein hinlänglicher Vorrath an nothigen Büchern vorhanden
sei. Plümicke wurde gleichzeitig zum Bibliothekar ernannt. !)
So sehr diese Massregel den Bedürfnissen des Schöppen-
stuhls entsprach, war sie von den damaligen Schoppen
Giesecke und Oelschläger weder beabsichtigt, noch gewünscht
worden. Mit ihren Klagen hatten sie lediglich eine Erhöhung
der Gehälter bezweckt, um durch die Mehreinnahme ihre
Privatbibliothek zu vergrössern. Sie waren daher mit der
getroffenen Entscheidung höchst unzufrieden und gaben dies
ein Jahr darauf dem König in einem Schreiben, das in der
Hauptsache Beschwerden über das Verhalten des neuen
Schoppen und Bibliothekars Plümicke betraf, deutlich zu
erkennen. Dabei führten sie aus, ein Fonds, der ihre Ein-
nahmen verkürze, hätte jedenfalls nicht angelegt zu werden
brauchen; es hätte vielmehr genügt, wenn die rathhäuslichen
Bibliotheken dem öffentlichen Gebrauch freigestellt und etwa
ausserdem die neuen Assessoren bei ihrer Rezeption ein
Buch nach der bei andern Kollegien herrschenden Sitte zu
liefern verpflichtet worden wären. Diese Vorstellung hatte
keinen Erfolg; es blieb bei der befohlenen Errichtung
eines Bibliothekfonds, aus dem nunmehr fortdauernd An-
schaffungen für den Schöppenstuhl gemacht wurden. Darüber,
welche Bücher angekauft werden sollten, bestimmten die
Scabinen. Der Ankauf selbst lag in den Händen des Biblio-
thekars.2) Konnte mit dem zur Verfügung gestellten Fonds
') R 21 No. 9C StA. 2) Reskript vom 25. November 1734 a. a. O.
§ 13- Bibliothek. 223
auch keine namhafte juristische Fachbibliothek geschaffen
werden, so war er doch gross genug, mit der Zeit eine
Handbibliothek ins Leben zu rufen, welche massige An-
sprüche befriedigte. In diesen bescheidenen Grenzen bewegte
sich die Entwicklung der Bibliothek von 1734 bis 1746.1)
Bereits im Jahre 1735 machte man sich eine Berliner Bücher-
auktion zu Nutze, aus der eine Anzahl trefflicher Werke, wie
Cothmanns responsa, Coccejis juris publici prudentia, Brunne-
manns consilia u. a. erworben wurden. Ueberhaupt bevor-
zugte man mit Recht Werke praktischen Charakters, wie
Konsilien, Decisionen, vernachlässigte dabei aber nicht
allgemeine theoretische Werke, besonders solche des öffent-
lichen Rechts, ja man verwendete sogar mehr als die Ein-
nahme eines Jahres (im Ganzen 39 Thaler), um die von Meyer
herausgegebenen acta pacis Westphalicae und die Nürn-
bergischen Friedensexekutionsakten zu erwerben.
In der ersten Zeit musste Plümicke die neuangekauften
Werke in seiner Wohnung unterbringen, da dem Schöppen-
stuhl damals die Räume im Accisehause vorenthalten wurden.2)
Etwa 60 Bände mögen von 1 734 bis 1 J46 auf diese Weise
angeschafft sein, als man der bis dahin nur in diesen wenigen
Bänden bestehenden „Schöppenstuhlsbibliothek" die „alt-
städtische Rathsbibliotheku und damit die Schätze aus Vitis
Sammlung formell einverleibte. Direkte urkundliche Nach-
richten hierüber fehlen. Mit der Städtevereinigung siedelte
1715 die Verwaltung der Altstadt nach dem neustädtischen
Rathhaus über,_und seit 1718 stand das altstädtische Rath-
') Die vom Bibliothekar jährlich geführten Rechnungen sind aus den
Jahren 1734— 1736, 1738, 1741, 1743, 1754— I758» 1762— 1769, 1809 bis
18 13 erhalten (A.A.). Soweit der Schöppenstuhl die Bücher hat einbinden
lassen, zeigen sie einen charakteristischen Einband (Pergament, rother
Schnitt, goldner Rückentitel, seltener franz. Einband). Derselbe Einband
findet sich bei einer Anzahl anderer Druckwerke derselben Zeit wieder.
Hierdurch lassen sich mit einiger Wahrscheinlichkeit die Lücken ergänzen,
welche durch die fehlenden Rechnungen entstehen.
*) Vgl. das Schreiben Plümickes vom Jahr 1736 R. 21 No. 9C StA.
und die Rechnung von 1738, nach welcher von den Bibliotheksgeldern die
Schlösser für die Skabinatsstube bezahlt und ein Repositorium angeschafft
wurde.
224 3* Buch. Ausbildung des Personals.
haus unbenutzt da.1) Die Bibliothek aber hatte man im
untersten Gewölbe des altstädtischen Rathhauses, dem soge-
nannten Städtekassengewölbe, belassen. 2) Von hier wurde sie
kurze Zeit vor dem Jahre 1749 nach dem Accisehause, der
damaligen Stätte des Schöppenstuhls3), transportirt. Damit
war die Einverleibung der altstädtischen Rathsbibliothek in
die Schöppenstuhlsbibliothek vollzogen.
VI.
Der mit der altstädtischen Rathsbibliothek vereinten
Schöppenstuhlsbibliothek fiel mit dem Tode des Schoppen
Oelschläger 1749 dessen Bibliothek zu, die für ihre Zeit
dieselbe Bedeutung hatte, wie für die um mehr als zwei
Jahrhunderte zurückliegende Zeit die Bibliothek Vitis. Oel-
schlägers Bibliothek kaufte der Schöppenstuhl für 300 Thlr.,
die er ratenweis in mehreren Jahren abtrug.4)
In der Oelschlägerschen Bibliothek heben sich zwei
Theile von einander ab, nämlich die von Oelschläger aus
erster Hand angeschafften neueren Werke und die von ihm
aus den Bibliotheken älterer Brandenburger Juristen erwor-
benen Werke. Deren Vorbesitzer waren die Schoppen
Nickel, Nicolai, TiefFenbach, der neustädtische Richter Buch-
holtz und der Advokat Kaye.
Michael Nickel gehörte dem Schöppenstuhl zu einer Zeit
an, als dessen Entwickelung zum gelehrten Kollegium bereits
vollzogen war. Als Schöppe ist er nicht besonders hervor-
getreten. 5) Männer wie Kuhns, Floring, Bluhm, Zieritz, Iden
*) Dullo, Kommunalgeschichte Brandenburgs S. 28.
2) Dies ergiebt Gieseckes Schreiben vom Jahre 1749 an den Dr. Oel-
richs. Kr spricht davon, dass im altstädtischen Städtekassengewölbe eine
grosse Menge Schöppensprüche läge, und fahrt fort: „woselbst auch eine
ansehnliche bibliothek aufbehalten worden, welche vorjetzo, weil das alt-
städtische rathaus ledig stehet, auf den schöppenstuhl transportirt
worden" (98 670). Diese Bibliothek kann nur die Rathsbibliothek gewesen
sein. Denn dass diese sich im altstädtischen Städtekassengewölbe befunden
hat, ergiebt eine Bemerkung Steltzners im Rathhausinventar von 17 14 (RA.)
3) Siehe oben S. 63, 64.
4) Urkundenfragmente bei den Schöppenstuhlsakten. AA.
*) Siehe oben Seite 160.
i
1
1
1
§ 13. Bibliothek. 225
entwickelten eine weitaus intensivere Thätigkeit als er. Das
bedeutendste Werk unter Nickels Büchern waren Sichardts
dictata et praelectiones in codicem, von Samson Hertzog
herausgegeben.1) In die dialectica juris des Marburger Pro-
fessors Vigelius2) hat er als Schurffs Ausspruch den Satz
eingetragen: Nihil est velle esse jurisconsultum sine dia-
lectica. Den Rest bilden Traktate, unter denen die Mehr-
zahl3) dem Prozessrecht angehören und Nickels praktische
Richtung andeuten. Er hat die Werke zum Theil in Berlin
(1581) und Helmstädt (1592) angeschafft.
Aus Joachim Tieffenbachs 4) Besitz gingen auf Oelschläger
über der umfangreiche tractatus des Rutgerus Rulant de
commissariis et commissionibus camerae imperialis (ed. se-
cunda Francof. 1597), aus Nicolais Besitz die Konsiliensamm-
lung des Rolandus a Valle (Francof. a. M. 1584), s) aus
Matthias Buchholz* Besitz Colers decisionum pars posterior
(opera Friedr. Pensoldi Francof. 16 io), der erste Theil dieses
Werkes fehlt.
Joachim Buchholtz, ein Sohn des neustädtischen Bürger-
meisters und Schoppen Johann Buchholtz, studirte 1636 in
Frankfurt, war 1647 Sekretarius in der Neustadt,6) 1650
ausserdem Kämmerer7) und bis 1679 Mitglied des Raths, in
den Jahren 1655, 1660 und 1662 auch neustadtischer Richter.8)
*) Frankfurt 1598, 5. Ausgabe, vergl. Stintzing, Gesch. d. R. I, 216.
2) Basel 1573, vergl. Stintzing I, 438.
3) Dies sind: Guido Papa, Hieronymus Manfredus und Franciscus de
Herculanis, tr. de appellationibus, Cöln 1573; Franciscus Herculanus et
Martinus de Fan o, tr.de probanda negativa, Cöln 1578; Sebastian Vant, tr.
de nullitatibus processuum et sententiarum, Cöln 1588; Matthaeus Brunus
Arminensis de cessione bonorum, Jacobus de Arena de excussione bono-
rum. Die übrigen Abhandlungen sind: Jacobus Rickius ab Arweyler de
unione proeliura, Vincentius Carocius Tuderinus, tr. locati et conducti
1584, Baldus Novellus, Jac. Butrigarius, Odofredus, Franciscus Hotomannus,
tr. de dote 1591, Rolandus a Valle, de inventarii confectione 1599, endlich
Benekendorf, repetitio in 1. 2 ff. de regulis juris, Francof. 1600 und 1603.
4) Siehe oben S. 145.
5) Stintzing, Gesch. d. R. I, 531.
•) Cod. N. 14 RA.
7) Widmung Chuedens in Bd. 277 der Schöppenstuhlsbibliothek.
8) Cod. N. 16—21, Doc. N. II 684, 666, 685 RA.
Stölzel, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 15
226 3- Buch. Ausbildung; des Personals.
Daneben war er Notar;1) dem Schöppenstuhl hat er nicht
angehört. Seine auf Oelschläger übergegangene Bibliothek
bestand aus 54 Werken in 41 Bänden, von denen er den
grössten Theil in den Jahren 1630 bis 1643 m Wittenberg
und Frankfurt erworben hatte. Für Dialektik zeigte er
ebenso wie Michael Nickel Interesse.2) Auffallend ist die
reiche Fülle an Werken allgemeinpolitischen und öffentlich-
rechtlichen Inhalts.3) Textausgaben des Corpus juris fehlen
ganz, ebenso die gebräuchlichsten Kommentare.4) Nam-
haftere Werke dieser Bibliothek waren Treutiers selectae
disputationes (Francof. 161 7 — 1620), die Fichardtsche Aus-
gabe des tractatus cautelarum des Caepolla (Francof. 1575),
Menochius de praesumptionibus (Cöln 1595) und Wesenbecks
Konsilien (Francof. 1601). Die aus 5 Bänden bestehende
conclusiones practicabiles des Matthias Berlich hatte Buchholtz
vom Bürgermeister und Schöppensenior Georg Chueden 1650
zum Geschenk erhalten. Ferner war Kriminalrecht &) und Lehn-
recht6) in dieser Bibliothek vertreten. Eine Reihe weiterer
Werke dienten als besonders bequeme Hilfsmittel für die
Praxis. 7) Hierzu kamen endlich eine Anzahl Abhandlungen
l) Leichenpredigt der Frau Bätke 1762, Bibliothek der Katharinen-
kirche zu Brandenburg- Tit. IX No. 13; Akten M. 1 f. 20, RA.
*) Mattheus Stephani, Dialectica juris exactissima et absolutissima
(1610).
*) Johann Althusius, Politica (Herborn 16 14, vergl. Stintzing I, 275);
Petrus Gregorius Tholosanus, libri sex et viginta de re publica (1597);
Ventura de Valentiis, Parthenius litigiosus sive discursus politico-juridicus
(Verona 161 3); Justus Lipsius, libri VI politicorum (Marp. et Francof.
1 658); Johannes Sithmann, speculum imperii Romani (Stettin 1661); Nico-
laus Schaffshausen, tr. de pace constituenda, firmanda et conscrvanda (ed.
iterata, Hamburg 1640).
*) Nur Julius Pacius, £vavxtocpav<i» seu legum conciliatarum centuriae
VI (Spirae 1589) und dessen analysis institutionum imperialium (Basel 1679)
könnten hier angeführt werden.
*) Joh. Emmericus a Rosbach, practica criminalis (Francof. 1624, nicht
bei Stintzing citirt) und mehrere Spezialabhandlungen.
•) Everardus Bronchorst, methodus feudorum (Lugd. Batav. 1613),
Georgius Schultze, Synopsis juris feudalis (Wittenbergae 1631).
*) Dahin gehören das dem alten Vocabularius nachgebildete Lexikon
juris civilis des süddeutschen Praktikers Jacob Spiegel (Basel 1577, vergl.
§ t3. Bibliothek. 227
und Traktate, beispielsweise von Bocer, Borcholten, Pruck-
mann, Peter Frider.
Buchholtz* Bücher fielen, vermuthlich durch Erbschaft,
zunächst an den Brandenburger Advokaten Johann Kaye,
und erfuhren hier eine bedeutende Bereicherung. Die Er-
werbungen Kay es belaufen sich auf etwa 166 Werke in
in Bänden. Aus Brandenburg gebürtig, studirte er 1689 in
Frankfurt.1) Im Jahre 1691 war er in Wittenberg. 2) Im
nächsten Jahre leistete er in der Neustadt Brandenburg den
Advokaten- und Prokuratoreneid;3) 1688 nennt er sich selbst
juris practicus.4) Ausserdem bekleidete er das Ehrenamt
eines Oberkirchenvorstehers. Im Rath oder Schöppenstuhl
war er nicht. Trotzdem erweckt seine Persönlichkeit für die
Geschichte des Schöppenstuhls Interesse. Zeigt sie doch,
welch grosses Gewicht auch ein beim Schöppenstuhl thätiger
Advokat darauf legte, eine stattliche Bibliothek zu besitzen.
Den Grundstock der von ihm angeschafften Sammlung bil-
dete eine Pariser Ausgabe des Corpus juris civilis und der
vermehrten Accursischen Glosse von 1566. Zahlreich sind
die Institutionenbearbeitungen und die Werke des öffent-
lichen Rechts. Die grösseren Kompendien des sechzehnten
und siebzehnten Jahrhunderts sind stark vertreten, ebenso
das Kriminalrecht, das kanonische Recht, das Lehnrecht. Die
Konsiliensammlung ist nicht unbedeutend. Unter den zeit-
genössischen Schriftstellern ragen Stryk und Brunnemann
hervor, von denen kaum ein grösseres Werk fehlt. Eine
Anzahl Bände hat Kaye durchschiessen lassen und mit zahl-
Stintzing I, 580), Oldendorp, loci communes actionum juris civilis ad usum
forensem accomodati (Colon. 1595), Arnoldus de Reyger, thesaurus juris
(Magdeb. 16 16), Matthias Stephani, oeconomia practica juris univcrsi civilis
feudalis et canonici (Francof. 16 14); Unterricht vom Notariatsampt durch
Johannem Episcopum Notariura (Erflf. 1593). endlich Scheplitz' promp-
tuarium.
*) 1689 und 1690 bezog er das Stipendium des Bürgermeisters und
Schoppen Peter Müller und 1690 das neustädtische Rathstipendium (Akten
S. 1 1 f. 8, 22 RA.).
2) Notizen in seinen Büchern.
*) Cod. N. 11, S. 316 RA.
4) Notiz in Band No. 679.
15*
228 3* Buch. Ausbildung des Personals.
reichen Bemerkungen versehen. l) Endlich finden sich in
seiner Bibliothek eine Reihe Bände mit Dissertationen, auch
enthält von ihm die Schöppenstuhlsbibliothek das anscheinend
nicht zur Veröffentlichung gelangte Manuskript einer Neu-
bearbeitung des Cramerschen compendium criminale (oben
S. 167). Kaye starb 1719.2)
Die von Oelschläger selbst angeschafften juristischen
Werke belaufen sich auf etwa 100 Bände, darunter etwa
40 Bände Dissertationen.3) Bei weitem mehr als Kaye bevor-
zugt er die zeitgenössische Literatur. Pufendorf, Struve,
Stryk, Böhmer, Berger sind seine Lieblingsschriftsteller.
Ebenso wie Kaye hat er eine Anzahl Werke besonders
eifrig durchgearbeitet und sie offenbar vornehmlich zu seinen
Studien benutzt4)
Auch bei ihm zeigt sich ebenso wie bei Kaye eine be-
sondere Vorliebe für öffentliches Recht. Seine Bibliothek
genügte den höchsten Anforderungen einer juristischen Fach-
bibliothek, und es ist daher durchaus erklärlich, dass er
an der Gründung einer besonderen Schöppenstuhlsbibliothek
kein persönliches Interesse hatte. 5)
y) Dazu gehören : Schiller, institutiones juris canonici, Friedr. Philipp«
Synopsis institut. Justin., Lauterbach - Schütz, compendium juris, Brunne-
mann, memoriale praecip. legum codicis, Stryk, examen juris feudalis.
idem, institutiones juris publici.
a) Leichenbuch der St. Katharinenkirche zu Brandenburg.
*) Oelschläger hat nur vereinzelt in den Büchern seinen Namen ver-
merkt Regelmässig sind seine Bücher an seinen Notizen und am Einband
zu erkennen.
4) Dies sind: Bechtoldus, loci communes, mit Supplement von Rissner.
1689, Joach. Hoppius, commentatio ad institut. Just. 1709, idem, examen
institut. imperialium, Francof. 1699, Lauterbach-Schütz, compendium, 1707»
(Struve), jurisprudentia Rom. Germanica forensis, Berger, animadversiones
ad Joh. Brunnemanni quaestiones ad pandectas, Lips. 1710, H. Böhmer»
delineatio de actionibus, gradibus matrimonii et successione ab intestato,
Ludovici, CCC, Halae 1707, Cocceji, juris publici prudentia, Francof. 1705,
Brunnemann, examen juris publici Germanici, Halae 1722, Hugo Grotius
de jure belli et pacis, Francof. 1699, Puffendorf de officio hominis 1719.
&) Sonst enthält die Schöppenstuhlsbibliothek noch einige Werke*
welche früher im Besitz von Schoppen waren, ohne dass die Erwerbs-
art ersichtlich ist. Einige Werke (Clarus, Vinnius, Zoesius), welche ver-
§ 13- Bibliothek. 229
Durch die Erwerbung der Rathsbibliothek und der Oel-
schlägerschen Bibliothek vermehrte sich die Schöppenstuhls-
bibliothek um etwa 640 Bände, ungerechnet die nicht-
juristischen. Die letzte Rate für die Oelschlägersche Biblio-
thek wurde im Jahre 1754 gezahlt. Die nun folgenden
Anschaffungen bieten wenig Interesse. Man berücksichtigte
zwar einigermassen die moderne juristische Literatur, ver-
wandte aber vielfach die Gelder dazu, um Werke zu kaufen,
die mit den Zwecken der Bibliothek in keiner Beziehung
standen und wohl auf Liebhabereien einzelner Schoppen
zurückzuführen sind. Besonders häufig wurden historische
Schriften angeschafft. Im Jahre 1763 wurden aus zwei
Auktionen 65 Bücher erworben, welche manch werthvolles
Erzeugniss der juristischen Literatur enthielten.1) Auch
bei der Auktion der Bibliothek des Scabinus Uhde kaufte
der Schöppenstuhl eine Anzahl Bände an.2)
schiedenen Personen Namens Cramer gehört haben, weisen auf den Schoppen
Dr. Cramer als Vorbesitzer. Von ihm hat sie vielleicht Kaye erworben.
Dem Schoppen Knackrügge gehörte Menochius de arbitrariis judicum
quaestionibus, Florent. 1572, und dem Schoppen Grust Pufendorf, de
officio hominis et civis, Lips. 1721.
1) Etwa 42 Bände gehörten einem Sohn des theologischen Professors
Hanneken, Namens Gregorius Ludovicus, der 1687 in Giessen die Rechte
lehrte, 1695 als Doctor jur. utr. in Lübeck und 1696 und 1697 in Wetzlar
am Kammergericht beschäftigt war (Notizen in den Bänden). Aus der
Sammlung seien die Konsiliensammlungen (Alphonsus de Azewedo, Coth-
mann. Casp. Klock), Werke von Berlich, Treutlcr, Lauterbach, Brunnemann,
Gail, Huber, Carpzow," der codex Fabrianus, Bodinus (de republica), Gro-
tius (de jure belli et pacisj, sowie eine Reihe von Werken, die sich auf
die Praxis des Reichskammergerichts beziehen (Frieder, Blumet. Henr.
Günther, Friedr. Hofmann, Rutgerus Rulant), hervorgehoben.
Auch sonst wurden kleinere Sammlungen erworben, u. A. 17 Bände
mit 23 Werken (darunter Koppen, decisiones, Scheplitz, promptuarium,
Ayrer, historischer processus juris, Zobel, sächs. Lehnrecht, Melchior Kling,
sächs. Landrecht) von einem Unbekannten, der 1702 — 1705 in Frankfurt
studirte und bis 1738 in Berlin sich aufhielt. Sein Namenzeichen bilden
die in einander verschlungenen Buchstaben L und S, sein Wahrspruch war
„Salus lumenque trin. un. Ps. XXV."
2) Akten II S. 9 AA. Zu ihnen gehörte Justus Claproth, jurisprudentia
haerematica, Göttingen 1773, 1774 und Daniel Nettelbladt, systema jurispru-
dentiae positivae Germanorum communis, Halle 1781.
230 3- Buch. Ausbildung des Personals.
Die Bibliotheksverwaltung gestaltete sich äusserst ein-
fach. Der Bibliothekar führte die Rechnung, besorgte den
Ankauf und Hess sich nach Ablauf des Jahres von den
übrigen Mitgliedern Decharge ertheilen. Ein Katalog wurde
erst 1768 bei einer damaligen Bibliotheksrevision angelegt.
Während dieser Katalog nach Nummern geordnet war, fand
sich bei der Uebergabe der Bibliothek an das Land- und
Stadtgericht im Jahre 18 19 ein alphabetischer Katalog vor,
dessen Reste noch vorhanden sind.1) Der Nummernkatalog,
der im Jahre 1785 1229 Werke aufwies,2) schloss 1819 mit
Nummer 1374 ab, während thatsächlich etwa 1770 Werke
sich vorfanden. Man hatte demnach in letzter Zeit die Weiter-
führung des Kataloges vernachlässigt. Je mehr die Bedeu-
tung des Schöppenstuhls abnahm, desto mehr gewöhnte man
sich daran, den (aus der Magistratskasse fliessenden) Biblio-
theksfonds auch für andere Zwecke zu benutzen als den, für
den er bestimmt war.3) Als Bibliothekare folgten auf Plü-
micke die Schoppen Schütte, Richter, Grust, Zierhold und
Steinbeck.4)
Bei den Verhandlungen über die Aufhebung des Schöp-
penstuhls kam im Jahre 18 16 ein Vergleich zwischen dem
Stadtgericht und dem Magistrat dahin zu Stande, dass die
Verwaltung des Fonds und die Benutzung der Bibliothek
gemeinschaftlich sein solle. Die Bibliothek blieb zunächst
im Accisehaus. Als dies aber 1823 geräumt werden musste,
kam man nach langwierigen Erörterungen überein, die
Bibliothek zwischen Stadt und Gericht zu theilen. Unter
Aufstellung eines Katalogs wurden die nichtjuristischen
*) Uebergabeverhandlung vom 14. April 1819, Akten II S. 9 AA. Die
höchste Nummer, welche die Reste dieses Kataloges aufweisen, ist 1272.
Er ist also vermuthlich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts nicht weiter-
geführt worden.
a) S. oben S. 196 Anm. 4.
3) Ausgaben für Papier und Licht wurden aus ihm bestritten. Der
Schoppen diener erhielt aus ihm 1 Thaler 8 Gr Schuhegeld und 2 Thaler für
Reinigung und Aufwartung, der Bibliothekar 2 Thaler für die Führung der
Bibliothek, der Sekretarius seit 1778 jährlich 6 Thaler als Entschädigung
für die Abnahme seiner Gebühren.
*) Vergl. Rechnungen, Urkundenrcste und das Schöppenbuch AA.
§ i3. Bibliothek. 231
Werke dem Magistrat, die juristischen dem Gericht zuge-
wiesen.1) Beiden wurde ein gegenseitiges Mitbenutzungs-
recht bewilligt. Von den Bibliotheksgeldern übernahm der
Magistrat fernerhin jährlich 20 Thaler an das Gericht zu
zahlen. Am 16. Juli 1829 wurde dieser Vergleich vom
Kammergericht genehmigt.2) Die 20 Thaler werden noch
heute weiter gezahlt und zur Vermehrung der jetzt aus-
schliesslich vom Amtsgericht benutzten und verwalteten
Schöppenstuhlsbibliothek verwendet. In ihnen lebt ein letzter
Rest des Schöppenstuhls gegenwärtig noch fort.3)
1) Ein noch vorhandener, 1824 gefertigter Katalog über den nicht-
juristischen Theil der Schöppenstuhlsbibliothek enthält 885 Bände. Mehr
als 200 dieser Bände sind jedoch dem Gericht verblieben, so z. B. v. Lud-
wig, Das grosse deutsche Universallexikon (56 Bände), welches der Schöp-
penstuhl aus der Plümickeschen Bibliothek 1756 als Ersatz für den Biblio-
thekfonds übernahm, ferner Baumgarten, Uebersetzung der allgemeinen
Welthistorie, Halle 1745 — 1796 (72 Bände), Allgemeine Literaturzeitung
von 1787 — 181 3 (50 Bände), Büsching, Neue Erdbeschreibung, Hamburg
1764 — 1768 (5 Bände), Walch, Philosophisches Lexikon, Leipzig 1740,
M. J. Schmidt, Geschichte der Deutschen, Frankenthal 1785 bis 1789
(8 Bände).
2) Akten des Brandenburger Magistrats und des Brandenburger Amts-
gerichts betr. den Schöppenstuhl und die Schöppenstuhlsbibliothek.
3) Nicht uninteressant ist ein Vergleich der Brandenburger Bibliothek
mit der Bibliothek des im Jahre 1863 aufgelösten Hallenser Schöppenstuhls.
Sie bestand nur aus etwa 220 Bänden. Darunter bemerkenswerth ist eine
Pergamenthandschrift des Sachsenspiegels, die 1864 an die Universitäts-
bibliothek in Halle abgegeben wurde. Sonst fehlen Handschriften. An In-
kunabeln besass der Schöppenstuhl nur das Decretum, Argent. 1484, und
die Decretales, Basel 148 1. Unter den wenigen Drucken vor 1550 finden
sich als bemerkenswerthe Werke ein Sachsenspiegel von 1539, ein Voka-
bularium zu den Sachsenrechten, Durantis Speculum, Lugd. 1541, Sebast.
Brandt, Klagspiegel, 1544, Thomas Murner, utriusque juris tituli et regulae,
Basel 1520, König, processus und practica, Lips. 1541, Oldendorp, loci com-
munes, Marp. 1545. Ebenso verdienen eine Anzahl Lutherschriften hervor-
gehoben zu werden, die gleichfalls 1864 der Hallenser Universitätsbibliothek
einverleibt sind. Den Hauptbestandtbeil bilden Drucke aus der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts. Hier finden sich die Glossen, die gebräuchlichsten
Gesetzeskommentare (Baldus, Bartolus, Jason Maynus, Porcius, Faber, Wesen-
becius) und eine nicht unbeträchtliche Anzahl anderer hervorragender juristi-
scher Werke (so z.B. Mynsinger, apotelesma 1 569, Wesenbacius, paratitla 1560,
tractatus et responsa 1575, Julius Clarus, opera 1572, Baldus. consilia 1550,
232 3- Buch. Ausbildung des Personals.
tractatus de dote 1 57 1, Oldendorp, opera, 1559, Cephalus, consilia, 1579«
1582, Everardus a Middelburg, loci argument. legales 1552, Hartman Pistor,
quaestiones juris 1579, Rotschitz, processus juris 1565). Dagegen setzt
sich die Sammlung äusserst spärlich im 17. und noch spärlicher im 18. Jahr-
hundert fort. Die Werke des Farinacius 1606, 161 1, 1616, Meichsner, de-
cisiones 1603, Vincentius de Franchis 167a, Harprecht, consilia Tubingensia
1661, 1695, 1701, Carpzow, processus juris, 1667, Mevius, decisiones 1712,
Ludewig, opuscula 1720, Hörn, consultationes 17 1 1, Rittershusius, consilia
et responsa 1702 und eine Anzahl Landesordnungen bilden den Haupttheil.
Die Literatur des 19. Jahrhunderts fehlt ganz (Acta generalia des Kgl.
Oberlandesgerichts zu Naumburg betr. den Schöppenstuhl zu Halle f. 49,
78 ff.).
4. Buch.
Entwicklung der Organisation.
§14.
Ausblick auf andere Schöppenstühle.
Wie ein Gericht, das Jahrhunderte hindurch bestanden
hat, wesentliche Unterschiede aufweist, je nachdem man sich
ein Bild von ihm für das dreizehnte oder das sechzehnte
oder das neunzehnte Jahrhundert entwirft, so auch ein Ober-
hof, der aus solchem Gerichte herausgewachsen ist und als
„Schöppenstuhl* uns sowohl im dreizehnten, wie im sech-
zehnten, wie noch im neunzehnten Jahrhundert entgegentritt.
Der bei weitem grösste Theil der äusseren Daten, die
nach dem Vorausgegangenen uns Kunde von den örtlichen
und persönlichen Verhältnissen des Brandenburger Schöppen-
stuhls geben, umfasst die Zeit nach dem Beginne, ja sogar
erst nach der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts. Es ist
darum erklärlich, dass bisher mehr ein Einblick in den Zu-
stand des Brandenburger Schöppenstuhls der neueren als der
älteren Zeit eröffnet worden ist.
Aber erst die geschichtlichen Grundlagen aus älterer
Zeit lassen das Verständniss der Organisation, des Verfah-
rens und der Rechtsprechung gewinnen, wie sie vom sech-
zehnten Jahrhundert ab sich gestalten. Darum muss auf die
vorausgegangene Zeit zurückgegriffen werden. Für Branden-
burg fliessen hier die Quellen erheblich sparsamer als für
andere Oberhöfe.
Unter den letzteren steht Magdeburg im Vordergrunde
als die Mutterstadt von Brandenburg, d. h. als diejenige Stadt,
mit deren Recht Brandenburg bei seiner Gründung bewidmet
worden war.
234 4« Buch. Entwicklung der Organisation.'
Nach Kaiser Lothars II. Zeugniss (c. 1130) setzte Kaiser
Otto II. (973 bis 983) in Magdeburg als dem caput Saxoniae
et Slaviae ein Tribunal ein „super omnes civitates Saxonum
et Slavonum". Die Stadt Magdeburg war die zum Schutz
der sächsischen Kolonisten an die Elbe vorgeschobene Kaiser-
pfalz. Das Ansehen der Stadt gründete sich deshalb nicht
etwa bloss auf die Uebertragung seines Stadtrechts, sondern
auch vornehmlich auf seine Stellung als kaiserliches Pfalz-
gericht, das sowohl für die siegreichen Sachsen, als für die
besiegten Slaven Recht sprach.1) Noch das aus dem Ende
des dreizehnten Jahrhunderts stammende sächsische Weichbild-
recht redet davon, wie in Magdeburg „die Pfalz zusammen-
kommt14, wie man sie laden und wie der Burggraf gestraft
werden soll, der auf Ladung nicht in der Pfalz vor dem
Könige erscheint.2)
Die in Stendal entstandene Sammlung von 31 Magde-
burger Sprüchen (soweit sie datirt sind,, aus der Zeit von
1329 bis 1335) 3) bezeichnet sich selbst als im Jahre 1334 be-
gonnen.4) Die ersten beiden Einträge beschränken sich so
sehr auf Rechtssätze, dass nicht einmal erhellt, wer die
Rechtssätze ausgesprochen hat. Im dritten Eintrag Werden
die Rechtssätze mit einer Anfangs- und mit einer Schluss-
klausel gegeben; es heisst am Beginne: „wir schepen der
stad zu Magdeburg bekennen an diesem openen breve . . .
den schepenen to Stendal um stucke, der se uns gevraget
hebben vor eyn recht, u und es heisst am Schlüsse: „dat dit
recht si, dat betughe we mit unserm yngesegeln". Fast
sämmtliche anderen Einträge enthalten in ihrem Eingange die
Bemerkung „gy hebben uns gescrevenu (Ihr habt uns ge-
schrieben); vielfach wird auch der im anfragenden Briefe ent-
haltene Thatbestand eines zu entscheidenden Falles mitge-
theilt, und dann folgt die Magdeburger Entscheidung. Wir
haben also hier bereits einen brieflichen Verkehr zwischen
dem Oberhof und den Stendaler Schoppen vor uns; vereinzelt
') Michelsen, Oberhof Lübeck S. 11.
*) Gaupp, Das alte mgdb. und hallische Recht S. 144, 145.
3) Behrend, Stendaler Urtheilsbuch S. i, 85.
4) Einleitung bei Behrend S. III.
$ 14. Ausblick auf andere Schöppenstühle. 235
stellt auch der Schultheis oder der Schreiber der Schoppen
zu Stendal die (wahrscheinlich briefliche) Anfrage.1) Von
den Antworten treten die wenigsten2) in der Form des blossen
Ausspruchs eines Rechtssatzes auf, die meisten sind Urtheile
über einen praktischen Fall, immer aber in der Fassung
eines Zeugnisses, das der Oberhof über das für jenen Fall
in Betracht kommende Recht ablegt. Noch mehr erhellt
dieser Weisthumscharakter aus den Magdeburger Fragen,
die in Breslau gesammelt sind. Diese in Bücher, Kapitel
und Distinktionen systematisch gruppirten Sprüche beginnen
regelmässig mit der durch einen Einzelfall veranlassten Frage
geringeren oder grösseren Umfanges ; 3) dann folgt: „Hierauf
sprechen wir scheppin zcu Magdeburg recht4*; der Spruch
nimmt die Frage als Bedingung wieder auf und giebt die
Antwort. Das bestätigen die Magdeburger Schöppensprüche,
deren Veröffentlichung die Münchener Akademie der Wissen-
schaften unternommen hat; sie gehören zumeist dem vier-
zehnten und fünfzehnten Jahrhundert an; mit dem sechzehnten
Jahrhundert nimmt ihre Zahl ab, aus dem Ende des sech-
zehnten und dem Anfange des siebzehnten Jahrhunderts liegen
nur wenige Sprüche vor. Sie ergeben, dass sich die Thätig-
keit des Magdeburger Schöppenstuhls in älterer Zeit auf
Civilsachen beschränkte,4) und dass sie dann abnahm, als das
fremde Recht zur Herrschaft gelangte. Dass der Schöppen-
stuhl in seiner späteren Zeit (anscheinend seit dem Beginne
des sechzehnten Jahrhunderts) Strafsachen erledigte, beweisen
die in den Tangermünder Akten enthaltenen Urtheile gegen
Grete Minte und ihre Genossen aus dem Jahre 162 1, und
dies beweisen auch die jetzt veröffentlichten „Magdeburger
Sprüche", sowie für die Jahre 1578, 1590, 1594 und 161 3 die
Brandenburger Akten (U. C. 3 43; 2 155, 209; 3 171). 5)
') Behrend S. 59, 39, 90. 2) z. B. Urtheil II (S. 2), Unheil III (S. 12).
3) z. B. „Ob einer den Rath Lugen strafte . . . , was der darum be-
standen sei. Hierauf sprechen wir Seh. zu M. recht: Straft jemand den
Rath Lügen, den können die Rathmanne vor Gericht beschuldigen."
Behrend, S. 33.
*) Zu vergl. demnächst in diesem Abschnitt die Aeusserung der Leip-
ziger Schoppen hierüber aus d. J. 15 15.
8) Friese und Liesegang, Magdeburger Schöffensprüche 1. Band:
236 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
Mit der Zerstörung Magdeburgs im Jahre 163 1 erhielt
der Schöppenstuhl seinen Todesstoss;1) Schöppenhaus, Akten,
Privatwohnungen und Bücher der Schoppen wurden ein Raub
der Flammen ; unmittelbar nach dem Brande, vielleicht schon
vorher, gab es statt der früheren 12 Schoppen nur 5 (die
5 Bürgermeister, unter denen sich 4 Doktoren befanden).
Ein Versuch, den Schöppenstuhl wieder herzustellen, misslang-
sowohl in den 1630 er Jahren als 1668. Der Kurfürst von
Brandenburg beschloss 1669, von der Wiederherstellung ab-
zustehen, da kein Mangel an Schöppenstühlen und Fakultäten,
auch „die Observanz des sächsischen Rechts, für das
der Schöppenstuhl eingesetzt gewesen, sehr abgenommen
habe". Als 1685 die Regierung zuCleve Akten an „Bürger-
meister, Schoppen und Rath der berühmten Stadt Magdeburg u
zur Rechtsbelehrung einsandte, erhielt sie dieselben vom Rath
uneröffnet zurück, „alldieweil der Schöppenstuhl allhier noch
nicht wieder bestellt istu. Durch kurfursdiche Entscheidung-
von 1686 wurde dann die Erneuerung wiederholt als unnöthig
abgelehnt. Wahrscheinlich lag der Gedanke zum Grunde,
der Hallenser Schöppenstuhl genüge dem Bedürfnisse jener
Gegenden, denen Magdeburg früher vorzugsweise gedient
hatte, und der Brandenburger Schöppenstuhl werde durch
die Konkurrenz leiden. 2) Es scheint aber fast, als sei mannig-
fach in der „Regierung zu Magdeburg" der Schöppenstuhl
als wieder aufgelebt angesehen. Sonst wäre es kaum erklär-
lich, dass noch 1 745 (96 396) der Geheime Rath v. d. Horst,
1502 für Naumburg (S. 427); zwischen 1520 und 1570 für Grosssalze (S 94 0".,
98 ff., 1041!), zwischen 1563 und 1617 für Zerbst (S. 260 bis 311).
') M. Dittmar im 30. Jahrg. der Geschichtsblätter für Stadt und Land
Magdeburg S. 158 ff. „Der erste Versuch zur Wiedererrichtung des Magdeb.
Schöffenstuhls nach dem lo./ao. Mai 1631**. Hertel und Hülfse, Gesch. der
Stadt Magdeb. 2. Bd. S. 294 ff.
2) Wenn der Grosse Kurfürst gelegentlich der Publikation der Magdeb.
Pol.O. von 1688 sagt (Mylius, corp. const. magd. 1714 Th. III Vorrede), die
gemeinen Rechte sollten, soweit ihnen nicht durch die landesfürstlichen
Gesetze derogirt würde, „sowohl bei der Regierung, als in Schöppen-
stuhl und anderen Gerichten" des Herz. Mgdbg. und der Grafschaft
Mansfeld observirt werden, so bestand im Sinne des Kurfürsten der Mgdb.
Schöppenstuhl anscheinend noch, obwohl dessen Erneuerung, d. h.
Wiederbelebung, 1686 abgelehnt war.
$ 14- Ausblick auf andere SchöppenstOhle. 237
Richter und Gograf der Stadt und Grafschaft Lingen (bei
Osnabrück) der Nachfolger des von dort zu höhern Würden
berufenen Eberhard Dankelmann, Akten an den Magde-
burgischen Schöppenstuhl adressirt und dass noch 1755 (99
650) der Brandenburger Scabinus Steinfeld, der als Justitiar
des bei Brandenburg gelegenen Gerichts Bensdorf den
Brandenburger Schöppenstuhl um ein Urtheil in einer Ehe-
bruchssache bat, auf den Schöppenstuhl einzuwirken gesucht
hätte, indem er in Aussicht stellte, die Partei werde sich
„nach Magdeburg" wenden müssen, wenn das Urtheil in
Brandenburg nicht in ihrem Interesse ausfalle. Auf die
Einsendung aus Lingen fragte das Magdeburger Postamt
beim Richter in Lingen an, ob es „wegen der Kassirung des
Magdeburger Schöppenstuhls44 die Akten nach Brandenburg
gelangen lassen solle, und änderte, wahrscheinlich auf be-
jahende Antwort, schlechtweg auf der Adresse „Magdeburg14
in „Brandenburg". Das veranlasste die Brandenburger, auch
ihrerseits in Lingen anzufragen, „da der Schöppenstuhl in
Magdeburg bereits vor langer Zeit eingegangen und nicht
mehr in seinem Esse seiu (96 396. 397).
Bis zum Ende dieses Schöppenstuhls haben sich aus-
schliesslich die Schoppen der Altstadt Magdeburg (als
Schoppen des ursprünglich einzigen Stadtgerichts Magde-
burg) das Recht, Belehrung zu ertheilen, gewahrt. Von
Belehrungssprüchen der Neustadt Magdeburg neben Be-
lehrungssprüchen der Altstadt oder von Belehrungssprüchen
einer J etwaigen Vereinigung beider Städte Magdeburg findet
sich keine Spur. Wohl aber kommt es vor, dass z. B. im
Jahre 1574 (15378) die Schoppen der Neustadt Magdeburg
bei den Schoppen der Altstadt Belehrung suchen und dann
diese Belehrung durch ein von den „Scheppen zu Magdeburg*4
ausgehendes Urtheil erhalten zum deutlichen Belege, dass es
die Schoppen der Altstadt waren, die aus früherer Zeit her
Belehrung unter der Firma „Scheppen zu Magdeburg"
ertheilten, wie wenn sie allein „Scheppen zu Magdeburgu
wären. r)
l) Das schliesst nicht aus, dass die Mgd. Schoppen auch zeichnen
238 4« Buch- Entwicklung" der Organisation.
So ist es erklärlich, dass ihre Belehrungsspriiche die alte
Form ihrer Gerichtssprüche beibehalten haben. Diese Form
erhellt aus den Gerichtsbüchern, in denen zunächst die im
Termine parteiseitig erklärte Zuspräche, Antwort, Gegenrede
etc. und dann mit der Ueberschrift „Schepen* das Schöppen-
urtheil eingetragen wurde, dem die Einleitung vorangeht:
„Hierauf sprechen wir vor Recht" (oder: „sprechen wir ein
Recht"). Nicht bedienen sich in dieser Schlussklausel die
Magdeburger der Form, dass sie „magdeburgisches" oder
„sächsisches" Recht sprächen, wohl aber kommt es vor, dass
sie in den Gründen hervorheben, sie seien um sächsisches
oder um magdeburgisches Recht gebeten. Der Hinweis, dass
es sich um einen Oberhofs-, nicht um einen stadtgerichtlichen
Spruch handelt, wird lediglich durch die Einleitung gegeben,
die der entscheidende Theil des Spruches auf dessen Aus-
fertigung erhält, i)
Diese Einleitung nimmt, solange mündlich verhandelt
wurde, auf das Bezug, was die Anfragenden gesprochen
haben.2) Dann wird es mit dem Eindringen der Schreib-
kunst in das gerichtliche Verfahren (innerhalb der ersten
Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts) Sitte, entweder den
Oberhofsspruch unmittelbar unter die eingesandte Abschrift
der erstinstanzlichen Verhandlung zu setzen oder diese Ver-
handlung zu einer Erzählung des Thatbestandes umzugestal-
ten und darauf den Rechtsspruch des Oberhofs folgen zu
lassen. Auf ein Pergamentblatt geschriebene erstinstanzliche
Prozessverhandlungen (Klage, Antwort, Replik, Duplik, Tri-
plik, Quadruplik, meist in wörtlicher Abschrift) mit darunter
gesetztem Magdeburger Spruch sind im Originale noch vor-
handen;3) sie füllen im Einzelfalle zuweilen einen meterlangen
(und angeredet werden) als „Schepen der alten Stadt M." (z. B. 1455 bei
Riedel c. d. 1, io, 202 und anderwärts).
J) Z. B. „Freundlichen Gruss zuvor. Ihr habt uns Rechtes gefragt mit
diesen Worten etc." Friese und Liesegang, Magdb. Schöffensprüche I S. 7.
') Z. B. um 1350: „Wir merken in Reden von Euer wegen an uns
gebracht etc.44 Friese und Liesegang a. a. O. S. 1.
3) Vergl. Friese und Liesegang a. a. O. I, 123 Anm. In solcher Form sind
namentlich die von Magdeburg nach Stettin gerichteten Sprüche ergangen.
§ 14- Ausblick auf andere SchöppenstQhle.j 239
Pergamentstreifen. Solchen Abschriften Hesse das anfragende
Gericht die Anrede- und Begrüssungsformel vorausgehen und
fügte am Schlüsse die Bitte um Belehrung zu; die Magdeburger
schrieben darunter ihren Spruch und ersetzten vielfach in
der Adresse das Wort Magdeburg, das sie ausradirten,
durch den Namen der anfragenden Stadt. Wurde statt dessen
von den Magdeburgern die Form einer Darstellung des
Thatbestandes durch Umgestaltung des Inhalts der einge-
reichten erstinstanzlichen Verhandlungen gewählt, so gab das
«dem Oberhof öfters den Anlass, seinen ganzen Spruch als
einen durch die Wahrheit der behaupteten Thatsachen be-
dingten zu geben, d. h. bei seiner Entscheidung die Voraus-
setzung auszusprechen, dass die vorgebrachten Thatsachen
der Wahrheit entsprächen. Allmählich bildet sich dann die
Sitte, mir mit einem kurzen Eingangssatze auf die über-
sandten Schriftstücke zu verweisen und zu bemerken, dass
um einen Rechtsspruch oder dass „um Belehrung" ge-
beten sei.1)
Es wird sich zeigen, dass die Brandenburger ein im We-
sentlichen ähnliches Verfahren eingehalten, jedoch dahin ge-
neigt haben, zu betonen, dass sie ein „brandenburgischesu
Recht sprechen, wie sie auch vielfach von ihren Konsulenten
um ein „brandenburgisches" Recht gebeten werden.
Nach einer anderen Seite hin lehrreich ist für unsere
Zwecke das, was sich aus den Sprüchen des Oberhofs Iglau
ergiebt.2) Hier haben wir einen Oberhof vor Augen, der
beim Eindringen der fremden Rechte, ja vor demselben seine
Thätigkeit einstellte. „Mit dem Jahre 14 n werden die
SchöfFensprüche immer seltener und hören endlich ganz auffc% ;
erst 1481, 1487 erscheinen wieder einige Sprüche: „der alte
Oberhof feiert einen kurzen Nachsommer**, eine Erscheinung,
]) Z. B. „Unsern freundlichen Gruss zuvor. Ehrsame besondere gute
Freunde. So ihr uns zweier Parten Schriften, als Klage und Antwort, E. S.
an einem und H. C. am andern Tbeil anlangend, gesandt und Recht darauf
zu sprechen gebeten, sprechen wir Scheppen zu M." (Ende des 15. Jahrh.,
nach Grosssalze). Friese und Liesegang a. a. O. S. 80.
*) Tomaschek, Oberhof Iglau S. 13, 15, 16. Zycba, Das böhm. Berg-
recht des MA. Berlin 1900 Bd. 1 S. 129. (Für Bergsachen sah Karl IV.
1345 in Iglau den Oberhof für ganz Böhmen; das. S. 104, 126.)
240 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
die wir ebenso beim Brandenburger Oberhof Jahrhunderte
später finden werden. Im Jahre 1545 kündigt eine Tochter-
stadt der Mutterstadt Iglau den Rechtszug; die 1548 zu Prag
errichtete Appellationskammer wird Böhmisches Obergericht;
die Iglauer Chronik erzählt, dass 1543 „die Belerungen ab-
kamen"; den Städten, die sich darüber beschwerten, ver-
schränkten die Iglauer selbst den Rechtszug, indem sie von
jedem Urtheil doppelt so viel als früher (2 fl. statt 1 fl.) er-
hoben.
Besonders schätzenswerthe Winke für die ältere Ge-
schichte des Brandenburger Schöppenstuhls lassen sich den
Nachrichten über den Ingelheim er Oberhof entlehnen,1)
der sein Dasein zwar länger als der Iglauer fristete, aber
doch auch dem eindringenden fremden Rechte erlag. Der
Umstand, dass der Oberhof Ingelheim aus den Schoppen
mehrerer Gerichte sich zusammensetzte, giebt diesem Ober-
hof seinen eigenthümlichen Charakter und begründet in ge-
wissem Sinne eine Verwandtschaft mit dem Brandenburger
Oberhof. Es kommen beim Ingelheimer Oberhof drei Ge-
richte in Betracht. Diese Gerichte waren die Gerichte der
Ortschaften Niederingelheim, Oberingelheim und Winters-
heim, die als Theile der Ingelheimer Pfalz „das Reich"
hiessen. 2) Da aber dieser kaiserliche Besitz schon vom Ende
des dreizehnten Jahrhunderts ab in Pfandbesitz gegeben
wurde, und zwar vom Jahre 1375 a^ den Pfalzgrafen, nach-
herigen Kurfürsten von der Pfalz, so erscheinen von da ab
die Pfalzgrafen als die Gerichtsherren. Fällt nun der Beginn
des uns für die Zeit von 1375 bis 1464 erhaltenen Ingel-
heimer Fremdurtheilsbuchs 3) gerade in die nächsten Wochen
nach jener Verpfändung von 1375,4) so legt das die Ver-
muthung nahe, dass die Bildung des Oberhofs von dieser
Zeit datirt.5) Er wurde damals zusammengesetzt aus den
2) Loersch, Der Ingelheimer Oberhof. Bonn 1885.
*) Loersch S. XLIX ff. *) Siehe oben S. 26.
4) Die Verpfändung datirt vom 12. Febr., das erste Oberhofsurtheil
vom 3. April 1375. Loersch S. LH und S. 1.
•) Deshalb auch um diese Zeit der primus scriptor judicii regalis
in Ingelheim und die Umänderung der Urkundsform. Lorsch S. 530.
CXIV. CVIII. CIX.
§ 14. Ausblick auf andere Scböppenstuhle. 0-41
SchefFen der drei Ortsgerichte Oberingelheim, Winternheim
und Niederingelheim. Neben dem Oberhof fungirte in jedem
der genannten drei Orte und in jedem der weitern vier Orte
des Ingelheimer Grundes ein besonderes Ortsgericht, aus
7 SchefFen bestehend, für die Sachen, die zur Zuständigkeit
des betreffenden Ortsgerichts gehörten. Beim Oberhof soll
die Zahl von 14 SchefFen hergebracht gewesen sein. Das
Kollegium galt als vollbesetzt, wenn mindestens ein SchefFe
über die Hälfte der Gesammtzahl anwesend war; doch
konnten die Parteien die volle Besetzung des Gerichts bean-
spruchen; nicht selten war auch ohne dies das ganze Kolleg
beisammen, meist mehr als 8. An den drei Hauptorten ver-
einten sich die SchefFen als Oberhof, und zwar zu Nieder-
ingelheim Montags, Mittwochs und Freitags bei der Linde
vor der Kirche, dem alten Hauptgerichtsplatz des Ingelheimer
Grundes, zu Oberingelheim Dinstags, Donnerstags und Sams-
tags in einem eigenen, hinter dem Gerichtshaus gelegenen
„Scheffinhus", zu Winternheim vor dem Kirchhofe.
Derselbe Schreiber führte seit Ende des vierzehnten Jahr-
hunderts in den drei Orten das Protokoll. Der Büttel oder
Heimberger theilte die „ihm zu Händen kommenden" Gebühren
den SchefFen ab und zahlte sie ihnen. Mehr als 5 SchefFen
konnten für den einzelnen Hauptort bei den Oberhofssitzungen
nicht nachgewiesen werden. Der Oberhof stand unter der
Leitung eines Schultheisen , der die Verträge und die
Schriftstücke, sowie die Erklärungen der vom auswärtigen
Gerichte Abgesandten entgegennahm und die Aussprüche
des Oberhofs nach von ihm bewirkter Formulirung verleim*
dete. l) Diese Leitung scheint im Einzelfalle jedesmal dem-
jenigen der drei Schultheisen zugefallen zu sein, an dessen
Sitz der Oberhof gerade tagte. Eine Reihe von Stellen er-
giebt, dass der Schultheis zugleich SchefFe war;2) das weist
*) Lorsch S. CXLIV, bes. Note i, auch S. 207 a. E.
2) *435 (S. 513): Wir (Schultheis und scheffen zu J.) bekennen, dass
vor uns kommen ist vor Gericht zu N.J. Henrich Wolf, schultheiss und
unser Middescheff en; 1336 (S. XCV) wird als erster unter den Schoflen
von N.J. aufgezählt: Spansseymer scultetus et scabinus; 1356 (ebenda):
Johann S., schultheiss und scheffen. Cf. auch S. 495 (1436).
StÖlzel, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 16
*2±'2 4« Buch. Entwicklung der Organisation.
darauf hin, dass zur Oberhofssitzung nicht bloss die Scheffen
der betheiligten beiden Nachbarorte, sondern auch ihre Schult-
heisen herangezogen wurden und diese dann als Scheffen fun-
girten neben dem als Schultheis des Sammtkollegs fungiren-
den Schul theisen desjenigen Ortes, an welchem gerade der
Oberhof tagte. Namentlich die Verschiedenheit des Gerichts-
sitzes an den drei Orten (die Linde in Niederingelheim, der
Kirchhof in Wintersheim und das Scheffenhaus in Oberingel-
heim) lässt annehmen, dass die älteste Tagung die an der
Linde war, die jüngste die im Scheffenhaus. Das Gericht
an der Linde war das Urgericht des Ingelheimer Grun-
des. Erst im Laufe der Zeit gewann Winternheim und dann
Oberingelheim, damit aber zugleich Niederingelheim je ein
besonderes Ortsgericht. Der Bau des Scheffenhauses zu
Oberingelheim galt dem neugegründeten Oberhof der drei
Orte. Der Oberhof Ingelheim diente dann nicht bloss „dem
Reiche", sondern auch entfernteren Lokalgerichten „ausserhalb
des Reichs". Grundsätzlich wurde der Oberhofsspruch den
anfragenden Scheffen in einer Ausfertigung alsbald mit auf
den Weg gegeben; nur ausnahmsweise musste er später ab-
geholt werden.1) Wie anfangs in Magdeburg nimmt der
Spruch des Oberhofs, solange mündlich verfahren wird, das
in seinen Eingang auf, was die Anfragenden vor dem Ober-
hof geredet haben. Nach Aufkommen der schriftlichen
Anfragen verfahrt der Oberhof ebenso mit den eingereichten
„Zeddeln4* (d. h. den Schriftsätzen).
In der Zeit von 1436 bis 1464 bildet sich die Sitte, dass
eine Sache liegen bleibt; 4 bis 7 Urtheile fallen auf eine
reichlich besetzte Sitzung, meist weniger; im ganzen Jahre
1461 werden nur 5 Sachen erledigt, 31 (als höchste Zahl
überhaupt für ein Jahr) im Jahre 1456, 9 im Jahre 1440.
Vom Jahre 1430 an wird es üblich, die von den Anfragenden
eingereichten Aktenstücke zurückzugeben. Ueber 60 Gerichte
der Umgegend holten in Ingelheim ihr Recht. Zu Zeiten
erschien das anfragende Gericht (Schultheis und Scheffen)
in corpore, um das Recht in Ingelheim zu holen, in der Regel
erschienen einige Scheffen; dabei legten die in Ingelheim Er-
l) Lorsch S. CXL.
§ 14' Ausblick auf andere Schöppenstühle. 243
scheinenden das Gelübde ab, vorkommenden Falls den her-
gebrachten Rechtszug beobachten und die Entscheidung in
Ingelheim einholen zu wollen. Damit jeder Scheffe jeden
rechtsholenden Gerichts dieses Gelobniss geleistet habe,
wurden vorzugsweis die seit der letzten Rechtseinholung neu
eingetretenen Scheffen gesandt; das geschehene Gelobniss
wurde im Urtheilsbuch bemerkt. l) Eine technische Be-
zeichnung für das in Ingelheim vereinigte Scheffenkolleg
kommt nur selten vor; es wird „Obergericht**,2) auch „Ge-
richt zu Ingelheim"3) genannt, oder es wird gesagt, dass
sich das Gericht erster Instanz, da es der betreffenden Sache
„nicht weise," des „zu hofeu berufen habe. Scheffenstuhl
oder Oberhof kommt nicht als Bezeichnung vor. Um den
Ingelheimer Scheffen das Erscheinen zur Sitzung wünschens-
werth zu machen, wendete man das sehr praktische Mittel
an, dass die Nichterschienenen die Kosten des nach jeder
Sitzung stattfindenden gemeinsamen Mahles mitzutragen
hatten; als das Mittel im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts
nicht mehr genügend wirkte, beschloss man, die Kosten des
Mahles von den Nichterschienenen allein zu erheben.4)
Für das Schicksal des Ingelheimer Oberhofs ist das für
das Dorf Kellenbach (bei Kirchberg) 1560 ergangene Weis-
thum5) der Scheffen zu Kellenbach bezeichnend: „man hat
vor Jahren hieraus gen Ingelheim appellirt, ist nun aber
durch die Gerichtsherren abgelegt, so soll man
„nun für (= an) sie appelliren oder sich an ihnen erfahren,
wo man hin appelliren möge". Das bedeutete den Beginn der
landesherrlichen rechtsgelehrten Appellationsinstanz an Stelle
der oberhoflichen Rechtsbelehrung. Damit hing dann auch
die Einsetzung eines landesherrlichen Oberschultheisen als eines
gelehrten Richters (um 1580)6) und die Zurückdrängung
der Scheffen von der Entscheidung in Civilstreitigkeiten zu-
J) N. N. „haint gelobt nach aldem herkommen", oder N. N. „promisit".
2) Lorsch S. 102.
*; Lorsch S. 127, 169, 214, 352.
*) Lorsch XCVHI. S. 531.
•) Grimm, Weisthumer Bd. 2 S. 143.
«) Lorsch CXXI.
16*
244 4- Buch. Entwicklung- der Organisation.
samraen; die Theilnahme an Akten der freiwilligen Gerichts-
barkeit und an „Freveltheidungen" wurde ihr Arbeitsfeld;
der Oberhof hatte aufgehört zu existiren; er war durch eine
pfalzgräfliche Appellationsinstanz ersetzt.
Der nämlichen Periode der Geschichte unserer Oberhöfe
gehören die Einzelnachrichten an, welche sich über Sprüche
ergeben, die von den Reichsstädten Gelnhausen und
Wimpfen nach süddeutschen mit deren Recht bewidmeten
Städten ergingen;1) diese Sprüche stammen aus dem fünf-
zehnten und den ersten Jahrzehnten des sechzehnten Jahr-
hunderts. Hier erscheint noch um die Mitte des fünfzehnten
Jahrhunderts der Hauskomthur von Mergentheim (der den
Richter abgiebt) mit fünf Schöffen persönlich in Gelnhausen,
um seine Anfrage zu stellen; weil das Gericht erster Instanz
„sich der Urtheii auf das Mal nicht verstanden", weist es
die vor ihm verhandelte Sache nach Gelnhausen; die sämmt-
lichen Parteiverhandlungen nebst den Zeugenaussagen und
dem Oberhofsspruch legt 1451 das Gericht Mergentheim in
seinem Stadtbuch nieder. Interessant ist, dass 141 5 König
Siegmund auf Bitte der Stadt Mergentheim, weil Gelnhausen
zu entfernt liege, Wimpfen statt Gelnhausen als die Stadt
bestimmt, bei welcher Mergentheim Recht holen und „deren
Rechte und Freiheiten sie fürbass gebrauchen soll", dass
aber gleichwohl, wie oben gezeigt, die Mergentheimer einige
Jahre später Rechtsbelehrung in Gelnhausen erbitten, ^wo
wir dan urtheii pflegen zu holen".
Ein anderes Bild ergeben die Mittheilungen, die Thomas
über den Frankfurter Oberhof2) macht. Die Scheffen zu
Frankfurt, der Hauptstadt von Rheinfranken, sassen nicht
bloss zu Stadtgericht, sondern auch zu Reichsgericht. Aus
der letzteren Eigenschaft des Gerichts, entwickelte sich die
Oberhofsthätigkeit. Ihr scheint aber nach den Auszügen
aus den Frankfurter Gerichtsbüchern eine andere Thätigkeit
vorangegangen zu sein: die der Stadt Frankfurt ertheilteo
kaiserlichen „Gnaden und Freiheiten"3) müssen dahin ge-
l) R. Schröder, Oberrheinische Stadtrechte, herausgegeben von der
badischen historischen Kommission, 1. Abthlg., 3. und 3. Heft.
2j Thomas, Der Oberhof zu Frankfurt a. M. 1841. 3) Thomas S. 562.
§ 14. Ausblick auf andere Sehöppenstühle. 245
gangen sein, dass vor den Frankfurter Scheffen die Ein-
wohner Rheinfrankens überhaupt ihr Recht nehmen konnten; l)
denn laut des Gerichtsbuchs erscheinen überallher aus der
Umgegend die Parteien persönlich „vor des Reiches Gericht"
und verhandeln dort; die Scheffen „weisen" dann „mit Ur-
theilu. So erklärt sich, dass diese Urtheile nicht etwa, wie
in Ingelheim, in einem besonderen „Fremdurtheilsbuch",
sondern einfach im städtischen Gerichtsbuche eingetragen
sind und sich in nichts von den sonstigen Einträgen im Ge-
richtsbuch unterscheiden.2) Erst in den jüngsten Einträgen
tritt vereinzelt eine Spur auf, dass die betreffende Prozess-
sache bei einem Dorfgericht der Umgegend anhängig3) und
von diesem Gericht nach Frankfurt gewiesen war. Ueber
ein etwaiges besonders beim Oberhof Frankfurt eingehaltenes
Verfahren sind also Belehrungen aus Thomas' Oberhof nicht
zu entnehmen. ,
r
V
Denselben Charakter wie die Thätigkeit der Scheffen
zu Frankfurt scheint die der Scheffen zu Aachen4) gehabt
zu haben. Hier ist von Aktenmaterial nichts erhalten als
vier wahrscheinlich im Jahre 1602 entstandene Register zu
vier Bänden einer nicht mehr vorhandenen Urtheilssammlung
von 1415 bis 1425, 1503 bis 1517, 1531 bis 1539, 1559 bis
1602 mit einem Verzeichniss der rechtsuchenden Orte. Dar-
aus ergiebt sich immerhin soviel, dass es sich um Orte und
Herrschaften reichsunmittelbarer geistlicher Anstalten han-
delte, denen Königsgut geschenkt war, daneben um Städte,
die aus königlichen Villen entstanden, aber auch um einzelne
Städte, die mit Aachener Recht bewidmet waren. Bei man-
chen, schon früh nicht mehr reichsunmittelbaren, sondern
einer Lehns- oder Landeshoheit unterworfenen Herrschaften
war der Gerichtsverband mit Aachen der letzte Rest der
1) Einen Streit über die Zuständigkeit betr. das „kaiserl. heilige
beimlige wesfphäl. Oberstgerichte zu Dortmund" s. Thomas S. 568 (1466).
2) Thomas S. 521 ff.
3) Sulzbach, Thomas S. 549 (1405); Seckbach S. 562 (1449). Vergl.
auch S. 559 (1443).
*) Fr. Haagen, Gesch. Aachens. Aachen Bd. 1 1873, 2. Beilage: Ueber
den Aachener Schöffenstuhl als Oberhof von H. Loersch, S. 347 ff.
*24(» 4« Buch. Entwicklung der Organisation.
Reichsunmittelbarkeit ; erst im sechzehnten Jahrhundert störte
die voll entwickelte Landeshoheit den Rechtszug nach Aachen,
während umgekehrt anderthalb Jahrhunderte früher Kaiser
Karl IV. (1356) den Aachener Schöffenstuhl als Oberhof
„aller Städte und Ortschaften diesseits der Alpen" hingestellt
und bei Strafe den Landesherren verboten hatte, diesen
Rechtszug zu hindern.1)
In frühe Zeit ragt ferner der aus dem uralten Berggericht
zu Halle, genannt „Schultheis und Schoppen des weltlichen
Gerichts auf dem Berge vor dem Roland u erwachsene
Schöppenstuhl zu Halle,2) der — neben der dort seit Grün-
dung der Universität (1694) bestehenden Juristenfakultät —
Rechtsbelehrung ertheilte. 3) Er befasste sich anfänglich
(13 15) nur mit Civilsachen. 4) Im Jahre 1541 errichteten die
Schoppen aus eigener Machtvollkommenheit eine Schöppen-
ordnung. Sie bestimmte, „damit destomehr freundlicher»
guter Wille und Korrespondenz zwischen den Schoppen ge-
pflanzt und fortgesetzt werde*, dass das Jahr über „drei
Convivia aus dem Frosche" gehalten werden und dabei, wie
gebräuchlich, „etwas von Zucker" einem jeden Schoppen zu
Abend mit zu Hause zugestellt werde, und dass die Schop-
pen, deren Zahl man auf 11, darunter mindestens 6, „die
studirt und rechtsverständig sind", festsetzte, die Urtel
besten Verstandes fassen helfen, auch derwegen „sich freund-
lich mit einander vereinigen * sollen. Bereits 1497 stand ein
Dr. jur. an ihrer Spitze; 1543 sass kein Doktor im Schöppen-
stuhle, 1558 waren unter sechs Mitgliedern zwei Doktoren,
!5Ö3 vier. Den Gerichtsschreiber wählten die Schoppen; von
1) Michelsen, Oberhof Lübeck S. 11. Haagen, Gesch. Aachens Bd. 1
S. 291.
2) Stölzel, Gel. Richterthum I, 281 ff. und die dort Citirten; bes. Drey-
haupt, Saalkreis. Vergl. auch Acta des OLG. Naumburg, betr. den Schöp-
penstuhl zu Halle.
3) Auch in Wittenberg und Jena bestand neben der Juristenfakultät
ein Schöppenstuhl als Spruchbehörde, er war aber in Wittenberg seit
Errichtung des Hofgerichts identisch mit diesem, weil die HofgerichtsrSthe
im Schöppenstuhl sassen. Ztschr. der Sav.Stiftung Bd. 7 Abth. 2 S. 89 ff.
Dreyhaupt, Beschreibung des Saalkreises Bd. 2 S 449.
*) Ztschr. der Sav.Stiftung a. a. O. S. 101.
§ 14- Ausblick auf andere Schöppenstühle. 047
jedem bürgerlichen Unheil erhielt er i Gr., von jedem pein-
lichen 2 Gr. Den Schoppen fiel das „Urtheilsgeld" zu, das
einer von ihnen (der Kämmerer oder Einsammler) einzog und
vierteljährlich vertheilte. Am Markte stand das Schoppen -
haus, das 1563 niedergerissen und durch ein neues ersetzt
wurde. Nach der Ordnung von 1584 „sollen es acht Personen
und unter denselben etzliche aus den (fürstl.) Hofräthen sein, alle
der Geschicklichkeit, dass sie, was billig und Recht, erkennen
können", insonderheit „sollen die Doctores oder Licenciati
die Urteil Wechsel weis concipiren, welche der Gerichts-
schreiber wiederumb abschreiben und die Doctores, ehe die
Urthel versiegelt, wiederum revidiren lassen soll". Zum Zei-
chen, dass eine neue Zeit angebrochen war, änderte man da-
mals das „weltliche Gericht auf dem Berge vor dem Ro-
lande*4 in die „Fürstlich Magdeburgischen Schoppen zu Halle*
um. Im Anschlüsse hieran wurde 1586 den Ständen, Be-
amten, Städten und Unterthanen geboten, sich nicht bei aus-
wärtigen Universitäten und Schöppenstühlen, sondern nur bei
den renovirten Schöppenstühlen in Halle und Magdeburg Be-
lehrung zu holen. Wenige Jahre später (1598) sassen acht
Graduirte im Hallenser Stuhl, seit 1600 fast ausschliesslich
Doktoren, bis diese mit dem achtzehnten Jahrhundert seltener
wurden und 1750 auf einen herabsanken. Gegen Ende des
siebzehnten und wiederholt am Anfange des achtzehnten
Jahrhunderts setzten sogar die Hallenser Schoppen den Be-
fehl durch, dass von den Untergerichten aus dem Herzog-
thum Magdeburg die Kriminalakten und zum ersten Male in
civilibus die Akten an den Schöppenstuhl oder die Fakultät
zu Halle verschickt würden.
Der Schöppenstuhl erhielt sich über das Verbot der
Aktenversendung hinaus, das für Preussen im Jahre 1746
erging. Die Schoppen wurden damals (1750) vom Könige
ernannt, erhielten Bestallungspatente und galten als fürstliche
Räthe und Diener.1) Auch nach der Neuorganisation durch
die Preuss. Allg. Gerichtsordnung und nach der französischen
Zeit, ja nach dem Jahre 1849 war der Schöppenstuhl noch
als Spruchbehörde für die benachbarten kleineren deutschen
') Dreyhaupt a. a. O. Bd. 2 S. 450, 451.
1
248 4* Buch. Entwicklung der Organisation.
Fürstenthümer, erst in der Besetzung von sechs, dann von
vier und schliesslich von drei Mitgliedern thätig. Als im
Jahre 1858 seine Aufhebung in Frage kam und der Schöppen-
stuhl bat, ihn fortbestehen zu lassen, verfügte der Justiz-
minister, es solle „im Vertrauen, dass die Lebenszeichen des
Kgl. Schöppenstuhls" nicht bloss, wie seit längerer Zeit, in Be-
schwerden über Verzögerungen der demselben zugewiesenen
Geschäfte erkennbar sein würden, von der Aufhebung zur
Zeit noch abgesehen werden", im Jahre -1863 erfolgte dann
aber doch die Aufhebung, „nachdem nunmehr seit fast zwei
Jahren die Stelle des Dirigenten in Folge des Ablebens des
Geh. Ober-Reg.-Rathes Dr. Pernice erledigt und es den Mit-
gliedern (Justizrath Dr. Dryander und Patrimoniallandrichter
Cäsar) nicht gelungen sei, eine andere geeignete Persönlichkeit
für das Amt des Dirigenten zu ermitteln". Akten und
Bibliothek gingen (mit Ausnahme der an die Universität
abgegebenen alten Drucke, sechs alter Stadtbücher Halles
von 1266 bis 15 19 und einer Pergamenthandschrift des
Sachsenspiegels) auf das Appellationsgericht Naumburg über,
das die Akten bis auf ganz geringe Reste als werthlos ver-
nichten Hess.
Der im Jahre 1432 für Kursachsen durch landesherrliche
Verordnung *) an die Stelle des Oberhofes Magdeburg gesetzte,
mit dem sechzehnten Jahrhundert zu besonderem Ansehen
gelangte Schöppenstuhl zu Leipzig2) ist bis zu seinem
Ursprung wegen fehlenden Materials nicht zu verfolgen, eine
alte, leider undatirte Schöppenordnung, die in einer vor 1574
gefertigten Abschrift vorliegt,3) ergiebt aber Folgendes mit
Sicherheit: Die Schoppen, deren sechs stetiglich im Schöp-
penstuel sein sollten, erwählten nach altem Herkommen, „so
oft es not, das sich ein Schöppenstuel verledigt, einen an-
dern aus den dreien Reten"; den Erwählten bestätigte der
Rath, und die Schoppen hatten dann in der „Schöppenstube*
') Stölzel, Gel. Richterthuiii I, 294. Schröder, Deutsche Rechtsgesch.
2. Aufl. S. 812.
2) Ueher ihn Distel in der Ztschr. der Savigny-Stiftung Bd. 7 Abth. 2
S. 89 ff.; Bd. 10 Abth. 2 S. 63 ff.
3) Abgedruckt Ztschr. der Sav.St. Bd. 7 Abth. 2 S. 111.
§ 14- Ausblick auf andere Schöppenstühle. 249
(im Sommer von Morgens 7, im Winter von 8 Uhr) die
Sachen der Bürger oder andere fremde Sachen, so an den
Schöppenstuhl zu versprechen geschickt (worden sind),
abzufertigen; einer der ältesten nicht regierenden Bürger-
meister war als „Schöppenmeister" ermächtigt, die Schoppen
„in Sachen das Gericht oder (den) schoppenstuel belan-
gende" zu heischen. Die Abfassung dieser Ordnung fallt
nach Distel sicher vor 15 18, vielleicht noch in das 15. Jahr-
hundert. Sie ist von Bedeutung, weil sie (gleich dem Ingel-
heimer Material) die fremden Sachen als etwas Besonderes
heraushebt und von einer Zeit Kunde giebt, in der die Er-
theilung von Rechtsbelehrung an Fremde (ähnlich, wie in
Frankfurt) nichts Anderes war, als ein Theil der Thätigkeit,
die dem Stadtgericht als solchem oblag; das Stadtgericht
für die Leipziger Bürger und der Oberhof für Fremde waren
eins. Dabei ist zu beachten, dass das Wort Schoppenstuel
in der Urkunde eine wechselnde Bedeutung hat. Zunächst
ist davon die Rede, dass sechs Schoppen „im Schoppen-
stuel" sind; hier wird die Gesammtheit der Schoppen als
„Schoppenstuel" bezeichnet; alsbald ist aber davon die Rede,
dass „ein Schoppenstuel" sich erledige, mit Schoppenstuel ist
hier der von einem Schoppen innegehabte einzelne Stuhl ge-
meint; dann heisst es wieder, dass fremde Sachen „an den
Schöppenstuhl" verschickt würden, und endlich sollen die
Schoppen in Sachen, die „das Gericht oder Schoppenstuel"
belangen", geheischt werden, was auf den vorher zwischen
Bürger und Fremden gemachten Unterschied hindeutet und
bereits den allmählich sich herausbildenden Gegensatz zwi-
schen „Gericht" und „Schoppenstuel", damit aber zugleich
im Keime den Gegensatz zwischen Gerichts- und Schöppen-
stuhlssachen enthält. Jedenfalls bietet die Urkunde einen siche-
ren Beleg, dass es in Leipzig eine Periode gab, in welcher
die Oberhofsthätigkeit Sache des Stadtgerichts war. An
sonstigen Nachrichten vom Leipziger Schöppenstuhl sind aus
dem vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert wenig und an
l) Vergl. Stobbe, Rechtsquellen I, 2 S. 71. Distel, Zur älteren Gesch.
des Leipz. Schöppenstuhls in der Ztschr. der Sav. Stiftung Bd. 7 Germ.-
Abth. S. 1 ff.
250 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
Spruchausfertigungen nur vereinzelte aus der zweiten Hälfte
des fünfzehnten Jahrhunderts erhalten. Es ergiebt sich, dass
zuerst das gelehrte Element mit dem bereits 1451 genannten
mag. artium, in decr. bacc, syndicus et procuratur . . . opidi
Lips., dem Stadtschreiber, späteren Ordinarius der Juristen-
fakultät und kurf. Kanzler Scheybe auftaucht, der auch in
Schöppensachen thätig war. Zu seiner Zeit kamen bereits
Sprüche vor, die von den Schoppen gemeinsam mit der
Fakultät gefällt, in der Schöppenstube ausgefertigt und
allein mit dem Schöppensiegel , aber mit der kombinirten
Unterschrift: „Doctores der Juristenschule und Scheppen zu
Lipczk" versehen waren: die doctores bildeten den Schöppen-
stuhl im Verein mit den Schoppen, denen sie aber an Rang-
vorgingen; das alte Schöppensiegel behielt man bei zum
Zeichen, dass das ganze Kolleg nichts Anderes sein sollte
als der alte Schöppenstuhl , dem die Doktoren bei der
Rechtsprechung Hilfe leisteten. Auch dieser Schöppenstuhl
suchte sich der Spruch thätigkeit in Strafsachen zu enthalten.
Aus der Zeit vor 15 15 liegt ein Schreiben der Schoppen
nach Zwickau vor, laut dessen sie „etlicher Bewegung wegen
in peinlichen Sachen nicht Recht zu sprechen pflegen*
aber doch den Anfragenden zu Willen ihr Bedenken (zu)
verstehen geben wollen14. Im Jahre 1515 baten die Schoppen
den Herzog Georg, er möge ihnen das Sprechen in peinlichen
Sachen erlassen (wie den Kollegen zu Magdeburg und
Halle), ihre Lust für die peinliche Rechtsprechung sei „gar
cleyne";1) dessungeachtet findet sich im Jahre 15 18 ein an den
Erbsessen von Schönfeld zu Biberach gerichteter Spruch
über Zulassung der peinlichen Frage.2)
Von 1520 an schlössen die Ordinarien der Fakultät mit
dem Rathe Verträge, nach denen sie sich unter Anderm ver-
pflichteten, im Schöppenstuhl Rath zu ertheilen, und im Jahre
1574 war der frühere Stadt- und Schöppenschreiber sowohl
Ordinarius der Fakultät, als Bürgermeister und Schöppe.
Auch zwei andere Fakultätsmitglieder sollten seitdem nach
J) Ztschr. der Sav.St. Bd. 7 Abth. 2 S. 101.
2) Bd. 2 fol. 33 der Leipziger Konzeptbflcher.
$ 14. Ausbiirk auf andere Schöppenstühle. 2">1
kurfürstlicher Anordnung unter den Schoppen sein. Die
sieben Schoppen (unter ihnen 3 Doktoren) hatten sich ins-
gesammt als „des Churfürsten zu Sachsen verordnete Schop-
pen" zu ' bezeichnen. Vom Stadtgericht Leipzig ist dieses
Kolleg nunmehr völlig losgelöst. Konzeptbücher des-
selben sind in Leipzig noch vorhanden, aber nur in unter-
brochener ;; Reihenfolge, nämlich von 1487 bis 1492, von
15 17 bis 1520, von 1546 bis 1557, von 1562 bis 1574, von
'593 b's 1598, von 1606 bis 1608, 1619 bis 1622, 1633 bis
1645, 1656 bis 1666, 1673 bis 1679 u. s. w. bis zum Jahre
x^35. 0 Der Eingang der Sprüche, der sich an denjenigen
wendet, welcher die Anfrage gestellt hat und regelmässig
erwähnt, dass Schriftsätze mitgeschickt seien, ergiebt, dass
es sich um Belehrungssprüche handelt; sie gehen laut der
Unterzeichnung aus von den „Schoppen zu Lipzku und
bedienen sich einfach der Formel: „sprechen vor Recht44. Die
eingesandten Akten scheint anfänglich der Schöppenstuhl
zurückbehalten zu haben; denn erst im dritten Bande (1546
bis 1562) taucht mannigfach unter dem Spruche die Bemerkung
auf: „acta sunt remissau,2) demnach brach sich erst in der
genannten Periode die Aktenremission Bahn. Als „Urteils-
geld4* wurden für jeden Spruch 18 Gr. berechnet; bei Klage
und Widerklage verdoppelte sich der Betrag, bei drei Klag-
stücken verdreifachte er sich; in Strafsachen wurden 2 fl.
beansprucht.3)
J) Distel a. a. O. S. 94 Note 9. Nach den von mir durchgesehenen
ersten drei Bänden enthalten die Leipz. Konzeptbücher nur die Sprüche,
keine Anfragen, keine gerichtlichen Akten, im dritten Band einige Voten eines
Schoppen; sie bieten also wohl weniger Material, das gesammte Verfahren
des Schöppenstuhls kennen zu lernen, als die Brandenburger Schöppen-
stuhlsakten. Die Ginrichtung scheint gewesen zu sein, dass anfänglich die
Schöppenschreiber die gefällten Spruchreinschriften für den Schöppenstuhl
in ein Buch abschrieben, nachher die Schoppen selbst ihre Spruchentwürfe
in einem Buche niederlegten, Spruch hinter Spruch, je mit der Ueber-
schrift, wer den Spruch erbeten (z. B. „Ad requisitionem des . . . Abts des
Klosters in Sant Jorgenthal" Bd. 1 fol. 12).
2) Z. B. Bd. 3 fol. iv (1546); fol. 146 (1551h
8) 3. Bd. 1550 fol. 1 1 8 v ; 1555 fol. 274 v. Von diesem L'rteil, „dieweil
es peinlich, gebührten uns 2 fl., wollet uns demenach noch 1 Thaler zu den
uns übersandten 18 gr. zuschicken." Vgl. auch 3. Bd. fol. 2. ,, Die weil dis
25*2 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
Ein zufolge der Verbreitung seines Stadtrechts berühmt
gewordener Oberhof ist der des Raths zu Lübeck.1)
Es sind 329 Urtheile desselben aus der Zeit von 1455 b*s
15 12 in einem Sammelband von 118 Pergamentblättern er-
halten,2) nicht im Originale, sondern in einer Abschrift,
die ein Lübecker Kanonikus und Raths - Protonotar seinem
Kollegen, einem Magister und beider Rechte Licentiaten,
dem Lübecker ersten Rathsschreiber, gewidmet hat. Diese
Urtheile ergeben, dass der Lübecker Rath grundsatzlich
Rechtsfragen vor gefälltem erstinstanzlichen Urtheil nicht be-
antwortete, sondern nur über erstinstanzliche Urtheile in
zweiter Instanz erkannte. Solches geschah ursprünglich auf
persönliches Erscheinen eines Schoppen erster Instanz, dann
wurde in Lübeck Termin zur persönlichen Verhandlung der
Parteien angesetzt; später geschah es auf schriftlichen, von
einem Boten der ersten Instanz überbrachten Bericht. Weit
entfernte Städte, wie Elbing und Reval — aus letzterer Stadt
sind die meisten Urtheile erbeten — verhandelten nur schrift-
lich, jedoch beruhte dies auf „besonderer Gunst und Will-
fährigkeitu. Im Verlauf des sechzehnten Jahrhunderts kam
die Einsendung der erstinstanzlichen Akten auf.3) Die zweite
Hälfte und namentlich das Ende des sechzehnten Jahrhunderts
stellt die Zeit des Kampfes der holsteinschen, pommerschen,
schwedischen und mecklenburgischen Justizkanzleien mit dem
Rath zu Lübeck als Oberhof dar. Im Wesentlichen erreichte
der letztere mit dem Abschlüsse des sechzehnten Jahr-
hunderts sein Ende, wenngleich noch 1721 der Rath zu
Rostock einmal die Appellation nach Lübeck zuliess.
Hiernach bestätigen die Magdeburger wie die Frank-
zwue sachen seint, als clage und widderclage, so geburn uns auch davon
zwei urteilgeld, darum wollet uns zu den übersandten 18 gr. noch 18 gr.
überschicken. *
1) Michelsen, Oberhof Lübeck S. n, 12.
2) Dreyersches Museum zu Lübeck. Michelsen S. 19, 20.
%) Das Lübecker Stadtrecht von 1586 kennt den „Rath zu Lübeck*
als dritte Instanz der mit Lübischem Rechte bewidmeten Städte: erste In-
stanz bildet das Untergericht der bewidmeten Stadt, zweite Instanz
bildet der Rath dieser Stadt. Damit war dem späteren Oberappellations-
grricht zu Lübeck der Weg geebnet.
§ 14. Ausblick auf andere Schöppenstöhle. -J53
furter und auch wohl wie die Ingelheimer Sprüche und wie die
Aachener Aktenreste (gegensätzlich zu den Iglauer und
Lübecker Sprüchen), dass die Entstehung der Sitte, Rechts-
belehrung einzuholen, einerseits auf der Eigenschaft des be-
fragten Gerichtes als Reichsgerichts, andererseits als Mutter-
stadtgerichtes beruht.1) Vielleicht erklärt sich daraus, dass
allmählich auch bei den Mutterstädten nicht bloss die Tochter-
städte, sondern ebenso die ländlichen Ortschaften ringsum
ihr Recht holten, wie sie es bei den reichsgerichtlichen Ober-
höfen von vornherein zu holen befugt waren.
Zum Schlüsse mag für die bis an das sechzehnte Jahr-
hundert heranreichende ältere Periode der Rechtsbelehrung
betont werden, dass es sich bei ihr lediglich um ein auf ger-
manischer Grundlage beruhendes Institut handelt. Daneben
gab es ein wohl ebenso altes Institut der Rechtsbelehrung
auf römischer Grundlage, nämlich diejenige Rechtsbelehrung,
welche ausserhalb der Gerichte einzelne Rechtsgelehrte,
namentlich Kleriker als „consilium" auf Nachsuchen von Par-
teien oder Schiedsrichtern ertheilten.2) Hieraus erwuchsen
die Konsilien von Universitätslehrern, später von Fakultäten.
Dahin gehört das oben (S. 30) erwähnte „Bedenken" Luthers
in der Jüterboger Sammlung; ferner zwei in den Branden-
burger Schöppenstuhlsakten sich findende Abschriften von
Konsilien des Jahres 1541, deren eines Hieronymus Schurff von
Frankfurt a./O. über eine Frage des Testamentrechtes (ÜB.
1 109),3) deren anderes (4 39) der Berliner Rathsherr (oder,
wie er sich unterzeichnete: Senatus Berolicus) Simon Melle-
mann über das Intestaterbrecht eines Berliners und seiner
Mutter am Nachlasse des Sohnes der letzteren ertheilte.
Auch die „observatio Magistri Gregorii Blumen" von 1593
wird als ein solches consilium zu betrachten sein.4)
*) Thomas S. 53. Michelsen, Oberhof Lübeck S. 8.
2) Stölzel, Gel. Richterthum I § 10. Als ältestes Universitätsgut-
achten, das sich der Rath zu Leipzig erbat, nennt Distel a. a. O. S. 96
Note 2 ein Tübinger Gutachten aus dem Jahre 1531.
*) Das Gesuch des Berliner Gerichts um ein consilium lehnt Schürf
1553 (5 134) wegen Abwesenheit seines Gehülfen Joh. v. Borken ab (siehe
oben Seite 98).
4) Siehe oben Seite 107.
254 4« Buch. Entwicklung der Organisation.
Reiche Ausbeute von älteren Konsilien findet sich in den
bis zum Jahre 1000 zurückreichenden Konsiliensammlungen. l)
Aus neuester Zeit kommen hinzu die von Kohler und Liese-
gang veröffentlichten Gutachten Kölner Rechtsgelehrter2)
aus dem vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert, in denen
interessante Beispiele geboten sind, in welcher Weise bereits
damals kanonische Rechtslehrer auf rein deutsche Verhältnisse
römische und kanonische Quellenstellen, wie auch Aus-
sprüche der Glossatoren und Postglossatoren anzuwenden sich
bestrebten.
Auf diese Konsilienertheilung römisch- und kanonisch-
rechtlicher Juristen weist es zurück, wenn sich nach Eindrin
. gen der fremden Rechte die Bezeichnung „ Konsulenten u für
Private, Gerichte und Beamte einbürgert, die den Oberhof
oder Schöppenstuhl um Belehrung befragen.
Aus derjenigen Rechtsbelehrung, welche durch Ertheilung
von Konsilien erfolgte, und aus derjenigen, welche durch
die Oberhöfe geschah, also aus einem romanistischen und
einem germanistischen Brauche, erwuchs um die Mitte des
sechzehnten Jahrhunderts das deutsche Institut der Akten-
versendung, die nur insofern noch einerseits an ihre fremde,
andererseits an ihre heimische Quelle erinnerte, als sie sich
bald an die Juristenfakultäten, bald an die Schöppenstühle
richtete.3) Ob bei der Aktenversendung der eine oder der
1) Bethmann - Hollweg, Der röm. CPr. Bd. 5 S. 291.' Stölzel, Gel.
Richterthum 1, 188 ff.; 2, 61 ff. Stintzing, Gesch. der KWiss. 1, 527 ff.
2) Kohler und Liesegang, Das römische Recht am Niederrhein.
1896. 1898.
. 3) Nur nebenbei sei hier der höchstinteressanten, aber, wie es scheint,
auch höchstsingulären Art der Rechtsbelehrung gedacht, welche sich
zwischen den 7 Gerichten des Breidenbacher Grundes (jetzigen Land-
gerichts Marburg) und den dort die Justiz verwaltenden rechtsgelehrten
Beamten (anscheinend seit dem Ende des sechzehnten Jahrhunders, d. h.
seit dem Uebergang der Rechtsprechung an die Gelehrten) entwickelte.
Vergl. StÖlzel, gel. Richterthum, 1, 571; Thudichum, RGesch. der Wetterau;
E. Stammler, das Recht des Breidenb. Grundes (in Gierkes Unters, z.
deutschen St. u. RGesch. XII 1882). Hier holen sich nicht etwa die
7 Schöppengerichte Belehrung beim rechtsgelehrten Beamten, sondern der
Beamte holt sie sich über das Gewohnheitsrecht („den Grundsgebrauch-)
bei den Schoppen desjenigen Gerichts, in dessen Bezirk der Rechtsstreit
§ 14. Ausblick auf andere Schöppenstühle. 255
andere Weg eingeschlagen wurde, war im Endziel dasselbe:
was die Fakultät sprach, unterschied sich von dem, was der
Schöppenstuhl sprach, weder in der Form, noch in der Sache.
Wie in der Anschauung eines märkischen Advokaten dieser
Zeit das Erbitten eines consilium jurisperiti und das Erbitten
eines Schöppenstuhlsspruches sich begegnete, kann nicht
besser veranschaulicht werden, als durch die Missive, mit der
sich 1552 (4 395) ein Pritzwalker Bürger, der sich offensicht-
lich zu deren Abfassung eines Advokaten bediente, nach
Brandenburg wendete. Er schreibt: „Nachdem die hohen
und berühmten Doctores, als Bartolus und Baldus, qui sunt
lumina et lucernae juris et magistri veritatis, treulich rathen,
spielt. Der Spruch der Schoppen hat anfänglich die Gestalt eines Weis-
thums, nachher die eines Zeugnisses; es wird deshalb auch Attestat
genannt. Die Belehrung erfolgte also nicht über das fremde gelehrte,
sondern über das heimische geübte Recht. Das schliesst nicht aus, dass
vereinzelt das recipirt fremde Recht als „herkömmliches Recht" bescheinigt
wird, so z. B. wenn 1592 und wiederholt 1607 (Stammler S. 86 No. 3,
S. 87 No. 6) „die Schoppen auf Anhalten einer Partei in Aippellations-
sachen berichten, dass dieser Orten Herkommen, dass die Partei . . .
zu appelliren habe an den fürstlichen Rentmeister zu Blankenstein . . .
innerhalb 10 Tagen". Hier handelt es sich um eine auf Grund der
rccipirten römischrechtlichen Appellation und ihres Decendium entstandenen
Gerichtsgebrauch. Was die Schoppen „erkennen", „sprechen**, „berichten44
oder „erklären44, ist abschriftlich (wahrscheinlich vom Schreiber des herr-
schaftlichen Beamten) in einem Buche gesammelt, das ein Analogon zu den
oben S. 23 besprochenen „copeilichen Urtheilsbüchern44 bildet. Die in dem
Buch enthaltenen Sprüche sind abgedruckt bei Stammler S. 84 ff.; sie
timfassen die Zeit von 1585 bis 1801, also die Zeit, nachdem die Herrschaft
■des gelehrten Rechtes entschieden war. Ungeachtet dieser Herrschaft
erhielten sich die „Grundsgebräuche"; ihrer Erhaltung (nicht, wie sonst,
■der Instruirung im neuen Recht — vergl. oben S. 30) diente das jetzt im
Marburger Staatsarchiv, früher beim Amtsgericht Biedenkopf aufbewahrte
Buch; es ist begonnen, als der zur Blüthe gelangte Romanismus den Grunds-
gebrauchen ihren Untergang drohte. Uebrigeos hat Stammler keineswegs
überall richtig gelesen; wenn z. B. die No. 6 auf S. 87 schliesst: „vor die
appellation muss appellans . . . zahlen: Von jedem Unheil 12 Pf, deren
appellans 1 urtheil und appellant 3 zahlt" (vergl. auch Nr. 3 S. 86 a. E.),
so hat das Marb. Mscr. richtig appellat für appellant, und wenn S. 76
No. 7 im Eingang davon die Rede ist, dass einem Erben „wüsten mit
Dinst und gülden zugetheilt werden", so redet hier das Marb. Mscr. deutlich
von „wießen", die zugetheilt werden.
256 4~ Buch. Entwicklung der Organisation.
dass man in allen irrigen Sachen die Weisen und Rechts-
verständigen soll erstlich besuchen und sich mit denen treu-
lich berathen, an expediat, sibi litem moveri; melius est enim
ante tempus occurrere, quam post causam vulneratam reme-
dium quaerere, et ut dicit Baldus, quod sicuti midieres et
rustici vadunt ad silvam pro lignis et ad civitatem pro indul-
gentiis, ita etiam debuit ire pro consiliis habendis, dieweit
aber nun alhier in der Mark zu Brandenburg fast (= sehr)
gebräuchlich und üblich, dass man in irrigen Sachen
Belehrung oder Urtel von Euer Gunsten lässt holen . . .f ist
deshalb unsere freundliche Bitte, Euer Gunsten wolle uns in
dieser Sache zu Unterricht, Belehrung oder, wie man es
nennt, ein Beiurtheil oder Endurtheil geben.-
Dies Aktenstück führt in die Blüthezeit des Branden-
burger Schöppenstuhls. Um sie zu verstehen, .haben wir uns
erst mit der Vorgeschichte dieses Schöppenstuhls bis in das
zweite Viertel des sechzehnten Jahrhunderts vertraut zu
machen.
§ 15.
Vorgeschichte des Schöppenstuhls beider Städte
Brandenburg (1232 bis 1432).
Die Grundlage des altdeutschen Brauches, dass das eine
Gericht beim anderen Belehrung suchte, war der andere alt-
deutsche Brauch, dass die eine Stadt mit dem Rechte der anderen
sich bewidmen Hess. Nicht das Land bildete eine politische
Einheit, sondern die Stadt. Entstand eine solche neue politische
Einheit, so lehnte sie sich an eine ältere gleiche politische
Einheit an; auf die jüngere Stadt übertrug man der älteren
Einrichtungen, wie deren Verwaltungs- und Rechtsgrundsätze.
So erwuchsen Mutter-, Tochter- und Enkelstädte in fort-
gesetzter Stufenleiter. Brandenburg war Tochterstadt von
Magdeburg, ebenso Stendal. Als älteste Tochterstadt Branden-
burgs und damit als älteste märkische Enkelstadt Magde-
burgs wird urkundlich 1232 Spandau genannt. Die askani-
schen Herren der Mark, die Markgrafen Johann I. und
Otto III., verkündeten damals: „civitas nostra Spandow jura
sua in Brandenburg afferat universau und weiter: „omnes de
terra Teltowe et omnes de Ghelin nee non et omnes de nova
§ 15. Vorgeschichte d. Schöppenstuhls beider Städte Brandenbg. 257
terra nostra Barnem jura sua ibidem accipiant;" {) zum Rechts-
holen ist mithin das Land um Spandau (Teltow, Glyn und
Barnim) nach Spandau und es ist Spandau nach Brandenburg
verwiesen; die Schoppen zu Brandenburg müssen demnach
bereits 1232 Belehrung ertheilt, d. h. eine Oberhofsthätigkeit
entwickelt haben. Der Schöppenstuhl zu Brandenburg lässt
sich so als Oberhof bis zum Jahre 1232 zurückverfolgen,2)
d. h. genau um zwei Jahrhunderte weiter zurück, als seine
uns erhaltenen Akten beginnen. Gleich Spandau war Berlin
Tochterstadt von Brandenburg, Frankfurt a. O. aber war
wieder Tochterstadt von Berlin. 3) Stendalsches Recht erhielten
dagegen 1238 Ky ritz, 1248 Wittstock, 13 15 Neuruppin. Dabei
wurde der Stadt Wittstock ausdrücklich die Wahl gelassen,
sich nach Stendal oder unmittelbar nach Magdeburg zu wenden.
Aehnlich war Salzwedel der Oberhof der benachbarten Klein-
städte. Brandenburg, Stendal und Salzwedel standen sich also
als Tochterstädte Magdeburgs und als Mutterstädte ihrer
märkischen Nachbarstädte gleich. Von Stendal wurde das
mecklenburgische Friedland und von Brandenburg das meck-
lenburgische Neubrandenburg bewidmet.4) Nach der Ver-
fassung Stendals von 1345 behielt die Stadt Magdeburger
Stadtrecht und holte ihre Rechtsbelehrungen auch ferner
beim Magdeburger Schöppenstuhle. Niemand sollte aber
bei Strafe von 10 Mark mit Umgehung der Stendaler Schop-
pen sein Recht direkt von Magdeburg holen.5)
Nicht bloss die angesehene Mutterstadt Magdeburg
spannte hiernach ihr Oberhofsnetz über die territorialen
Grenzen hinaus, sondern ebenso die minderangesehenen
Tochterstädte. Aber ein sehr natürliches Bestreben der Lan-
desherren, die sich ihre Städte unterthan machen wollten,
1) Riedel cd. 1,11 S. 1. Vollständig; ist die Urkunde übrigens auch
abgedruckt bei Dilschmann, Diplom. Gesch. v. Spandau, Berlin 1785 S. 131.
2) Vergl. v. Mar ritz, Ehel. Güterrecht S. 24.
3) v. Kamptz in Matthis Jur. Monatsschr. §§ 9 ff. Gaupp, Das alte
magdeb. und hall. Recht S. 4. 47.
4) Hymmen, Beiträge zu der jur. Liter. I, 214. v. Kamptz a. a. O.
S. 40 ff. Götze, Gesch. der Stadt Stendal 1873 S. 73. — Ueber ähnliche
Oberhofsnetze in Hessen s. Stölzel, Gelehrtes Richterthum I, 212 ff.
6) Götze a. a. O. S. 142. 146.
Stölzel, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 17
258 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
musste dahin führen, die alten Oberhofsnetze zu zerreissen
und an Stelle eines etwaigen auswärtigen Centraloberhofs
das Gericht der territorialen Hauptstadt als Oberhof zu setzen,
auch die Stufenleiter der verschiedenen Oberhöfe zu beseiti-
gen und einfach jedes Gericht des Landes unmittelbar dem
Gerichte der Hauptstadt zu unterstellen.
Ein frühestes Beispiel solcher Loslösung seines Landes
vom Oberhof Magdeburg bietet 1299 der Ausschluss des
Rechtszuges nach Magdeburg durch einen schlesischen
Herzog. l)
Ob in der Mark den ältesten landesherrlichen Erlassen,
die den Brandenburger Schöppenstuhl betrafen, auch als
Hauptziel vorschwebte, die Mark dem Einflüsse Magdeburgs
zu entziehen, oder ob mehr die Tendenz obwaltete, Branden-
burg über alle anderen märkischen Städte zu erheben, kann
zweifelhaft sein. Diese ältesten Erlasse sind die drei mark-
gräflichen Privilegien von 13 15 und 1324, 2) in denen die Bran-
denburger selbst stets die Grundlagen des Ansehens ihres
Schöppenstuhls erblickten; sie sind die wichtigsten Urkunden
für die Entstehung des „Schöppenstuhls beider Städte Bran-
denburg44.
Zum Verständniss dieser viel angeführten, aber noch
keineswegs genügend erörterten Urkunden dient wesentlich
die Territorialgeschichte der Zeit im Zusammenhalt mit der
Sonderstellung, welche die Marken und — gegensätzlich zu
allen anderen Grafen und Beamten des Reichs — die Mark-
grafen einnahmen.
Der Markgraf „dingt" (nach dem Sachsenspiegel III, 65
§ 1) „bei seines selbst hulden, und so jemand von des mark-
grafen wegen ichts richtet oder thut, desselbig thut der
markgraf selbs4t. Das will bedeuten, dass der Markgraf nicht
bei des Reiches Huld, nicht unter Königsbann dingt,3) also
dass der Markgraf in seiner Mark selbständiger Gerichtsherr
ist, wie der König in den anderen Theilen des Reichs. Nur
*) Michelsen, Oberhof Lübeck S. 7.
*) Abgedruckt bei Riedel c. d. I, 9 S. 12. 22. 23; Jahresber. des hi-
stör. Vereins zu Brandenburg, 1899 S. 32.
*) S. hierzu bes. Kuhns, Gerichtsverf. Bd. 1 § 4.
§ 15. Vorgeschichte d. Schöppenstuhls beider Städte Brandenbg. 259
um den Preis dieser Selbständigkeit übernahmen die Mark-
grafen die schwierige und gefahrvolle Aufgabe, des Reiches
Grenzen in den Marken zu sichern und auszudehnen. Kam
aber dem Markgrafen in der Mark dieselbe Gerichtsbarkeit
zu, wie dem König im Reiche, so war nichts natürlicher, als
dass der Markgraf bestrebt sein musste, die Hauptstadt seiner
Mark mit ähnlichen Gerichtsprivilegien auszustatten, wie der
König seine Reichshauptstädte ausstattete. Was die Kaiser-
pfalzgerichte für das Reichsland der Umgegend kraft kaiser-
licher Privilegien waren, das sollte die Stadt Brandenburg
für die Mark Brandenburg kraft markgräflicher Privilegien sein.
Der Brandenburger Schöppenstuhl hat also weniger seine
Wurzel in dem zu suchen, was Brandenburg als städtisches
Gemeinwesen aus eigener Kraft sich errang, als in dem, wo-
mit die Brandenburgischen Markgrafen ihre Hauptstadt aus
dynastischem Interesse aussteuerten.
Von diesem Standpunkte aus gewinnen die Urkunden
von 13 15 und 1324 ihre eigentliche Bedeutung.
Im Jahre 13 15 gehörte die Altstadt Brandenburg zu
einem andern Territorium als die Neustadt; denn 1258 hatten
Johann I. und Otto III. sich in die seit 1 134 ihrem Geschlechte
vom Kaiser Lothar IL zu Lehn gegebene Mark getheilt:
Johann erhielt den Stendalschen, Otto den Salzwedel-
schen Antheil; die Grenze bildete die Havel, so dass die
Altstadt Brandenburg nach Stendal, die Neustadt
Brandenburg nach Salz wedel hin gehörte. Mit dem Jahre
13 17 starb die Stendalsche Linie aus; damit fielen beide
Territorien wieder in eine Hand, und sie gelangten 1323 nach
mehrjährigen unruhevollen Zeiten an Ludwig I. von Bayern,
dem sie sein Vater Kaiser Ludwig verlieh. Im Jahre 13 14
erreichte der letzte Spross der Salzwedeier Linie die Mündig-
keit; bis dahin hatte er unter der Vormundschaft Waide-
mars, des Hauptes der Stendaler Linie, gestanden.
In dieser Zweitheilung der Mark liegt der Schlüssel, um
die wahre Bedeutung der Urkunden von 13 15 und 1324 zu
erkennen. Solange der Beherrscher der Altstadt Branden-
burg zugleich der Beherrscher der Neustadt war, wurde die
Neustadt an Bedeutung von der Altstadt überragt. Es mag
17*
260 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
zwar Niemandem, der in Brandenburg Recht holen wollte
verwehrt gewesen sein, solches bei der Neustadt zu holen,
seit sie ein Stadtgericht erworben hatte; aber der alte Ruf
und das Herkommen zog die Rechtsholenden (wie sich das am
Beispiele Magdeburgs zeigte1), mehr zur Altstadt hin. Dies
änderte sich auch zu der Zeit noch nicht, als Waldemar, der
Beherrscher der Altstadt, die Vormundschaft über den Be-
herrscher der Neustadt führte; denn dieser Vormund wird
wenig bedacht gewesen sein, das Uebergewicht der ihm zu-
gehörigen Altstadt zu Gunsten der seinem Mündel Johann
zugehörigen Neustadt zu mindern. Sobald aber der Beherrscher
der Neustadt mündig geworden war und auf eigenen Füssen
stand, musste in ihm, wie in der Neustadt Brandenburg selbst,
lebhaft der Wunsch sich regen, nunmehr der Neustadt Bran-
denburg für das Salzwedeische Territorium die nämliche
Bedeutung zu verschaffen, deren die Altstadt Brandenburg
für das Stendaler Territorium bereits theilhaftig war.
Diesen Wunsch verwirklichte Markgraf Johann unterm
3. November 1315, indem er davon ausging, dass seine
Stadt Brandenburg (die Neustadt Brandenburg) doch nichts
Anderes als ein Theil des alten Brandenburg überhaupt sei,
dass ihr also die nämlichen Rechte wie der Altstadt „von
Alters heru gebührten. Hierzu gehörte auch die Befugniss,
Rechtsbelehrung zu ertheilen. Zur vollen Wirksamkeit ge-
langte diese Befugniss für die Neustadt Brandenburg aber
nur dann, wenn für Johanns Territorium die Rechtsbelehrung
anderswohin, als nach der Neustadt Brandenburg — nament-
lich also auch nach der Altstadt Brandenburg — abge-
schnitten wurde. „Weil unsere einstigen Vorfahren1* — so
erklärte Markgraf Johann — „unsere Stadt Brandenburg mit
vielen Vorrechten geschmückt haben und unsere ganze Herr-
schaft von dieser unserer Stadt ihren Ursprung herleitet, wie
von der Quelle die Bächlein, so bestätigen wir die von un-
seren Vorfahren verliehenen Rechte und verleihen unserer
Stadt Brandenburg das besondere Vorrecht, dass alle im Ge-
sammtbereich unserer Herrschaft gelegenen Städte und Plätze
(omnes nostrae civitates et opida) von ihr ihre Raths- wie
') S. oben Seite 237.
§ 15- Vorgeschichte d. Schöppenstuhls beider Städte Brandenbg. 261
Schöppenrechte (jura sua tarn consulum quam scabinorum)
holen sollen , und dass Niemand das von ihren Schoppen und
Rathmannen oder Geschwornen gegebene Recht anfechten
könne4*. Dabei wird für die neue Privilegirung besonders
betont, dass Brandenburg „prae Omnibus fulget banno regio,
qui vulgo dicitur konningsbannu.
Mit Geschick hat die Urkunde unter Berufung auf die
Rechte des alten Brandenburg, als kämen sie von selbst der
Neustadt zu, die Neustadt als ausschliesslich berechtigt be-
zeichnet, für den Umkreis des Salzwe dl er Landes Rechtsbe-
lehrung zu ertheilen. Absichtlich vermied man das Wort
„Neustadt4*; denn nur so Hessen sich die früher der Altstadt
verliehenen Rechte als der Neustadt zuständig hinstellen.
Die Urkunde richtete sich damit wohl weniger gegen die
Konkurrenz von Magdeburg, als vor Allem gegen die Kon-
kurrenz der Altstadt Brandenburg.
Das von Markgraf Johann seiner Neustadt Branden-
burg 131 5 ertheilte Privileg liefert hiernach den Beweis, dass
die Schoppen der Neustadt Brandenburg (mindestens von da
an) einen Oberhof für sich bildeten.
Dasselbe Verhältniss blieb 1324 bestehen, als eben die
herrenlos gewordene Mark unter der bayerischen Herrschaft
Ludwigs I. sich konsolidirt hatte: unterm 2. Februar 1324
erhielten die Bürger der Altstadt Brandenburg (burgenses
in antiqua Brandenburg presentes) alle ihre Privilegien be-
stätigt. Die Urkunde beschränkt sich auf diese kurze all-
gemeine Mittheilung. Es handelte sich nur um die beim
Wechsel in herrschender Hand übliche Bestätigung bisheriger
Rechte; eine nähere Aufzählung der von dem Privileg umfassten
Rechte war überflüssig; die Rechte waren in den alten
Privilegien klar aufgezählt. Zwei Tage später beeilte sich
die Neustadt, eine Bestätigung auch ihrer Privilegien zu
erwirken, aber hier wurde anders verfahren, als bei der Alt-
stadt. Für die Neustadt drohte die Gefahr, dass nach Ver-
einigung beider Städte unter demselben Herrn etwa die alte
Zeit zurückkehrte, in der die Altstadt als Oberhof an erster,
vielleicht sogar an alleiniger Stelle fungirte. Darum war
es für die Neustadt von besonderem Interesse, die ihr 13 15
262 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
für den Salzwedelschen Theil der Mark speciell ertheilten
Rechte auch unter dem neuen Herrn gewahrt zu sehen. Des-
halb liessen sich die Neustädter ihr Privileg von 13 15 seinem
vollen Umfang nach wiederholen. Das Privileg von 13 15 er-
hielt seine ausschliessliche Beziehung auf die Neustadt ledig-
lich dadurch, dass sein Aussteller Markgraf Johann nur die
Neustadt nostra ci vi tas Brandenburg zu nennen in der Lage
war; die Altstadt gehörte zu fremdem Territorium. So wörtlich
wurde dies Privileg im Jahre 1324 für die Neustadt erneuert,
dass das neue Privileg ebenfalls von „unserer Stadt Branden-
burg" redet, als besässe Markgraf Ludwig nur eine Stadt
Brandenburg, während er deren zwei besass, die Altstadt
und die Neustadt. Nur in dem neu hinzugekommenen Schlüsse
der Urkunde vom 4. Februar 1324 erscheinen dir „burgenses
novae civitatis Brandenburg" als diejenigen, denen das
Privileg ertheilt wird.
Liest man die beiden Urkunden von 1324 lediglich für
sich, so könnte es scheinen, als ob die Neustadt Branden-
burg allein als Oberhof thätig zu sein befugt wäre; denn
das am 2. Februar der Altstadt ertheilte Privileg sagt
vom Rechtsholen nichts, ein früheres der Altstadt als Ober-
hof ertheiltes Privileg fehlt, und das der Neustadt ertheilte
Privileg vom 4. Februar 1324 lautet so, als werde den Neu-
städtern das Recht zur Rechtsbelehrung für die ganze
Mark ertheilt. Im Eingange des Privilegs von 13 15 bezeugt
aber Markgraf Johann, dass die marchiones quondam Bran-
denburgenses nostram civitatem Brandenburg mit grossen
Privilegien, darunter mit dem der Rechtsbelehrung geschmückt
haben. Diese „einstigen" Markgrafen können nur der alten
Stadt Brandenburg, also nicht ausschliesslich der Neustadt
Brandenburg Privilegien ertheilt haben.
Ein direktes Zeugniss, dass bereits vor 1324 in der Alt-
stadt Belehrung geholt wurde, enthält die Urkunde Mark-
graf Ludwigs vom 2. Februar 1324, l) in der er die Altstadt
mit den Mühlen auf dem alten Damme beschenkt und sie
dabei als diejenige Stadt bezeichnet, „quae tanquam caput
ceteris civitatibus tamquam membris jura atque normam juste
') Riedel c. H. 1, i), 27.
§ 15- Vorgeschichte d. Schöppenstuhls beider Städte Brandenbg. 263
vivendi ex diutina et approbata atque prescripta
consuetudine distribuit". Darin liegt eine Anerkennung
des Markgrafen, dass die Oberhofsstellung Brandenburgs auf
Gewohnheit, also nicht auf Privilegien beruht.
Im Jahre 1324 stand es hiernach fest, dass auch unter
der damals wieder einheitlich gewordenen Regierung jede
der beiden Städte Brandenburg Rechtsbelehrung — und zwar
nunmehr jede für die gesammte damalige Mark — zu ertheilen
befugt sein solle. Dass dabei die Absicht, Magdeburgs
Rechtssuprematie über die Mark zu brechen, nicht allzufern
lag, wird aus dem 1336 erlassenen Befehle Markgraf Ludwigs,
desselben Markgrafen, der die Privilegien von 1324 ertheilt
hat, zu schliessen sein; denn er wies Jerichow an, sein Recht
nicht mehr in Burg, sondern in der Neustadt Brandenburg
zu holen. Bisher war Jerichow als Tochterstadt Burgs nach
dessen Mutterstadt Magdeburg gewiesen ; wurde Burg durch
Brandenburg ersetzt, so löste sich Jerichows Verbindung mit
Magdeburg, zumal die Privilegien ausdrücklich besagten, dass
die jura, quae scabini dederint, „nullus omnino reclamare va-
leat aut presumatu. Jedenfalls gab es im Jahre 1336 nach der
Urkunde von 1336 einen Oberhof der Neustadt Brandenburg,
und insofern findet der oben aus den Privilegien von 13 15
und 1324 gezogene Schluss, dass Alt- und Neustadt zwei
getrennte Oberhöfe bildeten, seine Bestätigung
Ohne die Landestheilung hätte es schwerlich je zwei
Oberhöfe Brandenburg, einen der Altstadt und einen der
Neustadt, gegeben, ohne sie hätte also ein „Schöppenstuhl
beider Städte Brander burgu niemals entstehen können. Denkt
man sich die Landes iheilung als nicht geschehen, so würde
voraussichtlich der Schöppenstuhl der frühern einzigen Stadt
Brandenburg, d. h. der Schöppenstuhl der späteren Altstadt
Brandenburg, sich allein die Sitte, Rechtsbelehrung zu ertheilen,
gewahrt und damit die Befugniss zu dieser Ertheilung als
sein Privileg erworben haben. Wie wir allein Oberhofssprüche
der „Schoppen zu Magdeburg" oder, was dasselbe ist, der
„Schoppen der Altstadt Magdeburg" haben, so würden wir
allein auch Oberhofssprüche der „Schoppen zu Brandenburg44
oder der „Schoppen der Altstadt Brandenburg" haben.
2(>4 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
Bis zu welcher Zeit in Brandenburg der Zustand einer
sowohl von der Altstadt, als von der Neustadt ausgehenden
gesonderten Rechtsbelehrung andauerte, lässt sich wenigstens
annähernd feststellen.
Naturgemäss waren beide Städte, deren jeder die Er-
theilung von Rechtsbelehrungen nicht bloss erhöhtes Ansehen
in der gesammten Mark und deren Nachbarschaft, sondern
auch eine erfreuliche Mehreinnahme verschaffte, darauf hin-
gewiesen, sich über die Vertheilung der Rechtsbelehrungs-
geschäfte zu einigen. Die durch die bisherige Landesspaltung
von selbst bewirkte Theilung nach geographischen Bezirken
war weggefallen. Nachdem nun gar ein gemeinsames Rath-
haus gebaut war, das wir 1348 zuerst erwähnt fanden (oben
S. 51), nachdem also die Stadtverwaltung für beide Städte
unter einem Dache tagte, erschien nichts natürlicher, als
die eine Hälfte der eingehenden Rechtsfragen den Schoppen
der Altstadt, die andere Hälfte denen der Neustadt zuzuweisen.
Daneben musste der Wunsch lebendig werden, widersprechende
Rechtsbelehrungen der beiden Schöppenkollegien und eine
gegenseitige Rivalität der beiden Städte thunlichst zu ver-
meiden. Dies geschah am einfachsten, wenn Schoppen aus
beiden Städten bei der einzelnen Rechtsbelehrung zusammen-
wirkten.
So entwickelte sich aus Anlass der Priviligien von 13 15
und 1324 l) die Rechtsbelehrung durch „Scheppen beider
Städte Brandenburg", nicht durch „die Scheppen beider
Städte Brandenburg44. Denn nicht sämmtliche Schoppen
beider Städte mussten bei jeder Rechtsbelehrung mitwirken.
Nach Ausweis der Magdeburger Fragen (T. 2 d. 1) „sollen
der Scheppen zum mindesten drei sein, einer, der Urtheil
finde, und zwei, die dazu Folge geben; mit diesen Scheppen
mag der Richter dingen, wenn er mehr nicht haben mag44. -)
l) Ueber die Bestätigung dieser Privilegien durch die späteren
Landesherren 1388, 1395, 141 1, 1440. 1460, 1471, i486, 1499, 1527, 154t,
l57l* I598. 1610, 1613, 1620, 1643, 1676, 1705 s. Heydemann, die Elemente
der Joachim. Const. S. 404.
*) T. 3 d. 8 : Ist der Scheppen drei oder mehr, so mögen und können
sie zu Dinge sitzen, als sie der Richter dazu heischet.
§ 15. Vorgeschichte d. Schöppenstuhls beider Städte Brand enbg. 265
Dieser Grundsatz wird auch auf Brandenburg sich vererbt
haben; er stimmt mit dem römischen „tres faciunt collegium**
der 1. 85 d. v. s. überein.
Im Schöppenstuhl der Altstadt Brandenburg sassen aber,
wie wir oben (S. 133. 135) sahen, im Jahre 1384 zwölf
Schoppen. Denn Markgraf Siegmund, der damalige Herr
der Mark, schrieb zu jener Zeit von Ungarn aus an 9
namentlich aufgeführte Bürger der Altstadt, dass er sie, da
ein Theil der Schoppen verstorben sei, alter Gewohnheit
nach zu Schoppen kiese und ihnen befehle, den Schöppeneid
den anderen Schoppen, die noch leben, zu schwören. Der
„andern Schoppen, die noch leben", müssen mindestens 2
gewesen sein. Da weder 1 1 Schoppen, noch mehr als 1 2
eine übliche Schöppenzahl ist, so darf geschlossen werden,
dass die Altstadt ein Schöppenkolleg von 1 2 hatte. Bei der
Neustadt wird dasselbe anzunehmen sein, zumal 1320 urkund-
lich zwölf Namen mit dem Beisatz „ceterique consules et
scabini nove civitatis Brandenburgensisu und ebenso 1349
zwölf Namen als consules nove civitatis vorkommen.1)
Auf die Zwölfzahl der Schoppen weist auch eine un-
datirte, im fünfzehnten Jahrhundert niedergeschriebene Ur-
kunde hin,2) laut deren die altstadter Schöppenwahlen „in
Gegenwart des Markgrafen und der and.eren Schepen, dy
dar danne noch synt," durch einen Fürsprech des Mark-
grafen vollständig nach den Formen einer gerichtlichen,
durch ein Urtheii der Schoppen abgeschlossenen Verhandlung
vor sich gehen. Der Fürsprech des Markgrafen fragt laut
jener Urkunde die Schoppen um ein Recht, ob sein Herr
mit Rücksicht darauf, dass „die Vierschaar der Schöppen-
bankett Lücken aufweise, biedere Leute zu diesem Amte
kiesen könne. Unter der Vierschaar der Schöppenbänke
sind — wie noch heute unter den quatre rangs des conseillers
beim Pariser Kassationshof — die vier für die Schoppen
bestimmten Bänke der Gesammtheit der Schöppenbank zu
verstehen. Es ergiebt das wiederum die Gesammtzahl von
l) Riedel c. d. 1, 9, 15, 44.
*) Riedel c. d. 1. 9, S. 252, Jahresbericht des hist. Vereins zu Bran-
denburg, 1899 S. 56 ff. Original RA. Doc. A. 1 98.
266 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
zwölf Schoppen, nämlich auf jeder Bank drei. Wenngleich
sich die Form, im gehegten Ding eine Schöppenwahl vor-
zunehmen, noch im sechzehnten Jahrhundert findet, l) so gehört
doch der Ursprung dieser Form jedenfalls früher Zeit an
und wird also vor das Jahr 1384 zu setzen sein , aus
welchem die Zwölfzahl der Schoppen verbürgt ist.
Die Stellung des Landesherrn zur Schöppenwahl scheint
eine verschiedene gewesen zu sein, je nach dem Ansehen
und der Macht, deren er sich erfreute. Ein Markgraf,
der zwecks Vollziehung der Schöppenwahl persönlich oder
durchweinen Fürsprech ein Urtheil der Schoppen im gehegten
Ding erbat, stand seinen Städten nicht so einflussreich gegen-
über wie ein Markgraf, der „seinem Rechte und alter Ge-
wohnheit" zu folgen meint, wenn er von Ungarn aus 9 Schoppen
ernennt und ihnen befiehlt, den Schöppeneid zu leisten. Das
Endendes vierzehnten Jahrhunderts und der Anfang des fünf-
zehnten ist für die Mark Brandenburg diejenige Periode, in der
die Städte ihre grössten Freiheiten errangen. Die vielfache
Abwesenheit der Herrscher führte dahin, dass die Städte auf
sich selbst angewiesen waren und den Schutz ihrer Rechte,
den sie beim Landesherrn nicht fanden, durch Städtebündnisse
sich zu verschaffen suchten. So vereinten sich, 2) als Mark-
graf Jobst 1399 nach einer längeren Anwesenheit in der Mark
diese wieder verlassen hatte, die neumärkischen Städte
(voran die beiden Städt^ Brandenburg) in der Neustadt
Brandenburg, „dass sie alle miteinander bei ihrem und
bei Brandenburgischem Rechte, damit sie von Alters
begnadigt, verbleiben wollten", und es wiederholten diese
Vereinigung ein Menschenalter später (im Jahre 1431) die
Städte Brandenburg, Berlin-Cölnlind Frankfurt, 3) als sie sich
gegen Jdie aufkeimende Herrschaft der Hohenzollern rüsteten.
Sie wollten nichts wissen von dem Rechte, das ihnen von
') z. B. in Magdeburg, wo 153 1 der Erzbischof Burggrafending setzt
und darin die Schoppen bestätigt. Pomarius, Magdeburger Stadtchronik
1587- Vergl. auch Hertel, Urkundenbuch der Stadt Magdeburg 3, 683.
684 (1501) und Magdeb. Gesch. Bl. 5, 335 ff. (1533).
2) Fidicin, Gesch. Berlins 2, 123.
3) Daselbst S. 152.
§ 15. Vorgeschichte d. Schöppenstuhls beider Städte Brandenbg. 267
Franken her etwa gebracht wurde, sondern sie wollten
bleiben jede Stadt bei ihrem Sonderrechte und, wo dies
Sonderrecht nicht ausreichte, jede Stadt bei dem Rechte,
mit dem sie bewidmet war, d. h. bei dem Rechte ihrer
Mutterstadt Brandenburg.
Das bedeutete einen neuen Zeitabschnitt für die in Bran-
denburg zu holende Rechtsbelehrung. Sie musste erheblich
an Ansehen gewinnen, wenn sie sich auf einen Schöppen-
stuhl konzentrirte, und zwar auf den der Landeshauptstadt.
Brandenburg hatte aber zwei Schöppenstühle, den der Alt-
stadt und den der Neustadt. Da empfahl es sich, um eine
einheitliche Spitze zu schaffen, die beiden Schöppenstühle zu
einem „Schöppenstuhl beider Städte Brandenburg44 zu ver-
schmelzen. Nicht zweckmässig wäre es gewesen, die Zwölf-
zahl der Schoppen für jede Stadt beizubehalten; Schöppen-
stühle von 24 Mitgliedern kannte man nicht. Eine Minderung
der Zahl war geboten. Man verfiel darauf, den Schöppen-
stuhl so zusammenzusetzen, dass aus jeder Stadt 5 Schoppen
und als Schöppenschreiber aus jeder Stadt ein Stadtschreiber
zugezogen wurden. So kam wieder eine Zwölfzahl zu Stande,
freilich in anderer Komposition als beim früheren Schöppen-
stuhl der Einzelstadt.
»
Einen unzweideutigen Beleg, dass der Schöppenstuhl
beider Städte in der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahr-
hunderts aus 10 Mitgliedern bestand, liefert denn auch eine
andere wichtige Urkunde, nämlich das oben (S. 33) erwähnte,
dem Schöppenbuch von 1492 vorangestellte undatirte statu-
tum scabinorum (ÜB. 1 10), das einzige ältere Statut, welches
sich über gewisse Grundsätze ausspricht, die für den vereinig-
ten Schöppenstuhl beider Städte galten.
„Wenn die Schoppen geladen werden zwischen bei-
den Städten, dass sie Urtheil sprechen" (d. h. nach Obigem
S. 59, wenn sich die Schoppen jeder Stadt auf dem Schöppen-
haus behufs der Ertheilung von Rechtsbelehrung zusammen-
finden), „so nehmen sie dafür 3 Schilling Groschen" (oder,
was dasselbe ist: 36 Groschen); „davon nehmen die alt-
städtischen 18 Gr. und wir (die neustädtischen) auch 18 Gr.,
davon giebt man dem Schreiber 2 Gr., dem Knechte 1 Gr.
268 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
und 15 Gr. behalten die Schoppen. Wer nicht kommt, kriegt
nichts, es wäre denn, dass er nicht zu Haus wäre, wann er
geladen wird. Wäre er aber zu Haus und verreiste oder
käme nicht, so kriegt er nichts, es hätte ihn denn der Rath
verschickt, oder er wäre krank, oder er hätte wichtige Ge-
schäfte und darum vom ältesten Schoppen Urlaub; danngiebt
man ihm von jedem Urtheil einen Schilling. Werden aber
die Schoppen von Gerichts wegen geladen auf das Rath-
haus oder davor, so kriegt der nichts, der nicht kommt;
wäre er aber von der Stadt verschickt, so giebt man ihm
einen Schilling."1)
In der Hauptsache ist hier zwar nur die Rede von den
Gebühren; die Urkunde lässt aber noch Weiteres erkennen.
Sie redet offensichtlich von einer Zeit, in der das alte Rath-
haus, ersetzt durch ein Sonderrathhaus in jeder Stadt, bereits
zum Schöppenhaus geworden war, und sie scheidet scharf die
Thätigkeit der Schoppen, „zwischen den Städten Urtheil zu
sprechen" von ihrer „gerichtlichen" Thätigkeit „auf oder
vor dem Rathhaus". Da noch 1420 das „Rathhaus zwi-
schen beiden Städten" genannt wird, so ist die Verwandlung
dieses Rathhauses in das Schöppenhaus und damit die Er-
richtung des „ Schoppens tuhls beider Städte" nach 1420 zu
setzen. Ebenso gewiss liegt sie aber vor dem Jahre 1432;
denn von dieser Zeit datirt das älteste an die „Scheppen der
Stede Nien- und Oldin-Brandenborch", also an den Schöppen-
stuhl beider Städte gerichtete Aktenstück dieses Schöppen-
stuhls (ÜB. 1 7). 2)
Weiter beweist die im undatirten statutum scabinorum
angeordnete Vertheilung der Gebühren, dass in der That
von jeder Stadt 5 Schoppen den vollbesetzten Schöppen-
stuhl des Schöppenhauses bildeten. Die 15 Gr. erscheinen
nämlich nur dann als eine für ein Schöppenkolleg vernünftig
festgesetzte Gebühr, wenn die Höchstzahl nicht mehr als 5
1) Wer ist rman"? Erhält der in Geschäften der Stadt abwesende
Schöppe 2 Schilling aus dem Schöppengeld oder 1 Schilling aus der Stadt-
kasse? Stadtrechnungen von 1571, 1647, 1648 sprechen für das Letztere.
Siehe unten § 38 unter 5 (Gebühren).
2) Zu vergl. ÜB. 112 (1443).
§ 15. Vorgeschichte d. Schöppenstuhls beider Städte Brandenbg. 2t)9
beträgt. Dann ergiebt sich die sachgemässe Skala: der Knecht
(d. h. der Schöppenstuhlsdiener) erhält i, der Schöppen-
schreiber 2, der Schöppe 3 Gr. Wer von den Schoppen
ohne genügende Entschuldigung nicht erscheint, dessen Ge-
bühr theilen die erschienenen ; ist der nicht erscheinende ent-
schuldigt, so erhält er 1 Schilling, das heisst die Hälfte von
drei Groschen; denn in der ersten Hälfte des fünfzehnten
Jahrhunderts hat 1 Schilling 12, ein Groschen 8 Pfennige.1)
Der Rest fallt den erschienenen zu ihrem Kopftheil zu. Von
einem Richter ist bei dieser Vertheilung nicht die Rede; er
fehlt eben, wenn „zwischen den Städten" Urtheil gesprochen
wird; nicht fehlt er z. B. bei Auflassungen und Verschrei-
bungen vor dem neustädtischen Gericht; deshalb weisen ihm
unsere Statuten bei Vornahme solcher Geschäfte einen Ge-
bührenantheil ausdrücklich zu. Urlaub zu gewähren, ist Sache
des ältesten Schoppen; dieser ist also im vereinigten Schöppen-
stuhl der Vorgesetzte der vier Kollegen seiner Stadt.
Was das Berliner Stadtbuch aus dem Ende des vier-
zehnten Jahrhunderts unter dem „Rechtholen zu Branden-
burg44 verstanden wissen will, kann zweifelhaft sein. Immer-
hin spricht dieser Ausdruck, zusammengehalten mit den
Worten des Weisthums von 13762) in seinem Eingange, wo-
nach „die Schepen zu Brandenburg vor ein Recht gabinw,
eher dafür, dass damals die Einrichtimg des aus beiden
Städten kombinirten Kollegs noch nicht bestand, als dafür,
dass damals bereits „die Schepen beider Städte Branden-
burg" die Rechtsbelehrung ertheilt hätten.
Auch für Berlin-Cöln bildeten 1442 die Schoppen einen
Ausschuss der Rathmannen; denn es wird beurkundet, dass
im genannten Jahre „die Bürgermeister und Rathmannen44
beider Städte in der Kanzlei Markgraf Friedrichs erschienen,
und dass „die Schepfen geloben, die Schepfenstete von
des Herrn wegen getreu vorzustehen";3) dabei j wird aner-
kannt, dass der Rath die Schoppen, wenn es nothwendig sei,
kiesen möge, dass sie jedoch von der Herrschaft oder dem
*) Gefällige Auskunft aus dem Berliner Münzkabinet.
2) Siehe oben S. 53.
3) Räumer, cod. cont. 1, 213.
270 4* Buch. Entwicklung der Organisation.
Richter bestätigt würden, sofern die Schoppen der Herr-
schaft „behaglich14 seien. Die Schoppen gehörten also zu
den erschienenen Rathmannen.
Die Folge der Einrichtung, dass von etwa 1431 an je
5 Schoppen der alten wie der neuen Stadt Brandenburg
den vereinigten Schöppenstuhl bildeten, musste auch eine
Minderung der Schoppen des Stadtgerichts der Einzelstadt
sein; denn es ist kaum denkbar, dass die je 5 zum vereinigten
Schöppenstuhl zusammentretenden Schoppen nur ein Schöp-
penausschuss gewesen wären, und dass das gewichtigere
Kolleg der vereinigten Städte sich mit weniger Schoppen
begnügt hätte, als das minder gewichtige Kolleg des
Stadtgerichts der Einzelstadt. Dass aber vor 1457 bereits
nicht mehr jeder Rathmann zugleich Schöppe war, erhellt
aus dem kurfürstlichen Privileg, welches damals Bürgermeister
und Rathmannen der Altstadt Brandenburg erhielten : danach
sollten alle Rathleute und ihre Kinder allzeit in der Altstadt
Brandenburg, wie in 'anderen Städten und auf freien Jahr-
märkten des Landes frei Gewand schneiden dürfen, und diese
Freiheit wurde „auch den Schoppen der Stadt, die
jetzund sein oder die fürder an die Schöppenbank gesetzt
werden", gewährleistet.1) Das Schöppenkolleg bestand also
neben dem Rathskolleg.
Was das Einholen der Rechtsbelehrung beim Oberhof
betrifft, so brachte es das auf der Mündlichkeit der Verhand-
lung beruhende altdeutsche Prozessverfahren mit sich, dass
auch da, wo man Rechtsbelehrung einholte, mündlich ver-
handelt wurde. Dem entsprechend erschienen ursprünglich
die Schoppen des der Belehrung bedürftigen Gerichtes in
Person vor ihrem Oberhof und erhielten dort mündlich Be-
lehrung. Das schwächte sich zunächst dahin ab, dass nicht
sämmtliche Schoppen des anfragenden Gerichts vor dem
Oberhof zu erscheinen hatten; es genügten drei; dann
wurden, wie uns das in Brandenburg 1376 für Frankfurt a. O.
eingeholte Weisthum belehrt, aus den drei Schoppen zwei.
Das Weisthum von 1376 war ein mündlich ertheiltes,
obwohl aus der dem fünfzehnten Jahrhundert angehörigen Ab-
l) Zimmermann, Mark. Städteverf. Bd. 2 S. 309. Riedel c. d. 1,9, S. 189.
§ 15- Vorgeschichte d. Schöppenstuhls beider Städte Brandenbg. 271
schrift,1) die allein uns Kunde von dem Weisthum giebt, das
Gegentheil zu folgen scheint, da sie den Schlusssatz trägt:
„scriptum hoc est anno Christi 1376 die Veneris ante do-
minicam invocavit". Da laut des Eingangs des Weisthums
an dem ebenbezeichneten Tage die Frankfurter Schoppen
ausgesandt waren, das Weisthum in Brandenburg zu holen,
ist unmöglich am nämlichen Tage das Weisthum, wie der
Zusatz besagt, in Frankfurt niedergeschrieben worden;
Brandenburg ist von Frankfurt 20 Meilen entfernt: der Zu-
satz muss gedankenlos von dem Abschreiber gemacht sein,
der im fünfzehnten Jahrhundert die Kopie des Weisthums
anfertigte.
Nach der Urkunde von 1376 wurden damals drei einzeln
namhaft gemachte Schoppen von Frankfurt a. O.2) ausgesandt,
„zu erfaren in eine Brandenborchschen rechte diese stücke,
die nachgeschrebin stein", und nach der Urkunde von 1432
kommen damals „die gesworne Scheppen der Stadt Frank-
furt a. O., die Rechte zu fragen und zu holen". Da nach
Magdeburger Recht drei Schoppen genügten, ein Gericht
zu besetzen, so brauchten auch nicht mehr als drei
Schoppen beim Oberhofe Recht zu holen. Selten wird
man sich den Luxus erlaubt haben, mehr als drei zum
Oberhof abzusenden; deshalb stellen laut des Weisthums
von 1376 drei Frankfurter Schoppen ihre Rechtsfragen in
Brandenburg: sie sind ausgesandt worden, „zu erfaren in
eine Brandenborchschen rechte diese stücke, die nachge-
schrieben stein**. Das ist im eigentlichsten Sinne „der
Rechts- (d. h. Gerichts-)Zug an den Oberhof": das er-
kennende Gericht zieht an den Oberhof. Unter diesen
Rechtsfragen befindet sich auch eine über die Zahl der für
eine Anfrage erforderlichen Schoppen. Die Herabminderung
der Dreizahl (d. h. des Schöppenkollegs in corpore) 3) musste
dem anfragenden Gerichte als angenehme Erleichterung er-
scheinen. Die Brandenburger gestatteten, um den Wünschen
der Frankfurter entgegen zu kommen, eine Anfrage durch
') Sello in den Märkischen Forschungen Bd. 18 S. 23, 106.
2) Di scheppin zu Fr., also (folgen drei Namen).
*) Vgl. oben Seite 264.
272 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
nur zwei Schoppen: „Auch mögen (= können) zweene
scheppin recht holen zu Brandenburg mit der stat brive,
ab si nicht dri senden wollin w. Künftig sollen zwei ge-
nügen, jedoch müssen sie sich mit einem Briefe (einer Voll-
macht) der Stadt legitimiren, weil das mündliche Vorbringen
zweier Schoppen nicht ausreichte, einen Gerichtsbeschluss
darzustellen; dazu gehörten mindestens drei Schoppen.
Ebenso erkannte im vierzehnten Jahrhundert der Iglauer
Oberhof die Sendung zweier Schoppen für genügend an,
wenn sie eine von ihrer Stadtobrigkeit besiegelte Akten-
abschrift mitbrachten.1)
Die Vereinigung beider Schöppenkollegien zu Zwecken
der Rechtsbelehrung darf also in die Zeit zwischen 1420 bis
1432 gesetzt werden. Unsere mit einem Schriftstück des Jahres
1432 beginnenden Schöppenstuhlsakten enthalten denn auch
nur Oberhofssprüche der vereinigten Schöppenkollegien.
Damit stimmt es, dass das Statut, welches im fünfzehnten
Jahrhundert das Gebührenwesen des Schöppenstuhls beider
Städte regelte, in die Zeit um 1430 zu setzen ist;2) es liegt die
Vermuthung nicht fern, dass dies Statut bei Einrichtung des
combinirten Schöppenstuhles erlassen wurde. Hieran knüpft
sich die weitere Vermuthung, dass die vorhandenen Branden-
burger Schöppenstuhlsakten überhaupt in den Beginn der
Zeit fallen, in welcher Schöppenstuhlsakten sich bildeten.
Vor 1432 wird es keine solche Akten gegeben haben. Er-
wägt man weiter, dass 141 1 die Herrschaft der Hohenzollern
in der Mark ihren Anfang nahm, dass auf dem ersten Blatte
des um die damalige Zeit angelegten neustädter Stadtbuches
nicht bloss das dem Burggrafen Friedrich 141 2 geleistete
homagium,3) sondern auch eine wichtige Vereinbarung von
1438 vermerkt ist, in der sich Rath und Richter über ihre
Zuständigkeit in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit ver-
einbaren,4) so ist klar, dass um diese Zeit manche Neuerung
im Rechtswesen Brandenburgs sich vollzog.
') Tomaschek, Oberhof Iglau S. 19, 20. Zycha, Böhm. Bergrecht.
Berlin 1900. Bd. 1 S. 130.
•) Siehe oben Material S. 33 und ÜB. l 8 Anm. 4.
3) Siehe oben Seite 46. *) Märkische Forsch. 18, 66. 70.
§ i6. Der Schöppenstuhl bis zur Joacbimica (1432 bis 1527). 273
Eine solche Neuerung war auch der um 1430 entstandene
„Schöppenstuhl beider Städte Brandenburg", ein aus den
märkischen Städtebündnissen der Jahre 1399 und 1431 er-
wachsener Hüter der städtischen Privilegien und des Branden-
burgischen Sonderrechtes gegenüber den Gefahren, die den
Städten ihrer Meinung nach von wechselnden, der Mark
fremden Landesherren oder die nach Meinung der Landes-
herren diesen von fremden Oberhöfen, namentlich dem Magde-
burgs drohten: was 1432 in Kursachsen der Oberhof zu
Leipzig bedeutete, sollte in derselben Zeit für die Mark der
Oberhof beider Städte Brandenburg bedeuten.
§16.
Der Schöppenstuhl beider Städte Brandenburg bis zur
Joachimica (1432 bis 1527).
Ein Jahrhundert lang fehlte es an einem äusseren An-
stoss, der auf die Geschichte des Schöppenstuhls beider
Städte Brandenburg einen wesentlichen Einfluss geäussert
hätte. Seine Entwicklung war keine andere als die Entwick-
lung eines Oberhofs oder Stadtgerichts während der Zeit
von 1432 bis 1527, in welcher sich der Uebergang vom münd-
lichen Prozess zum schriftlichen vollzieht und sich die Anfänge
des Einflusses der fremden Rechte zeigen.
Das gesammte Aktenmaterial des Schöppenstuhls, so-
weit es aus dieser Periode noch vorhanden ist, beschränkt
sich auf die ersten 55 Blätter des ersten unserer Aktenbände;
dazu treten noch anderwärtsher einige wenige Nachrichten.
Immerhin lässt sich doch ein ungefähres Bild der Thätigkeit
des Schöppenstuhls gewinnen.
Als hätte mindestens ein sichtbares Zeugniss aus der
ersten Periode, aus der des mündlichen Verfahrens, auf uns
kommen sollen, ist das älteste Blatt der Brandenburger
Akten (ÜB. 1 7) gerade ein solcher Begleitbrief, wie ihn das
Weisthum von [376 erwähnt. Bürgermeister und Rathmannen
zu Frankfurt, einer der beim Bund von 143 1 betheiligten
Städte, gaben den Brief zwei „geschwornen Scheppen" ihrer
Stadt nach Brandenburg mit, um „die Rechte zu fragen und
zu holen, wie sie (die Frankfurter Schoppen) darüber be-
Stftlzel, Entw. d. gelrhrtrn Rechtsprrchunp. I. l8
274 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
richten werden". Von der Sachlage, die der Anlass zur
Einholung der Rechtsbelehrung gewesen ist, enthält der
Brief nichts ; der mündliche Bericht der Schoppen musste den
Oberhof darüber ins Klare setzen. Nur die Bitte fügt der
Rath von Frankfurt an die Brandenburger bei, „Branden-
burgisch Recht für ihr .Geld" (d. h. für die den Branden-
burgern zukommende Gebühr, das „Schöppengeld" genannt)
„mitzutheilen" und die Angelegenheit zu fördern, auf dass die
Frankfurter Boten deshalb nicht „ein langes Lager haben
müssen". Alles Weitere fehlt; der Brandenburger Spruch
wurde mündlich eröffnet.
Ein zweiter Fall — aus dem Jahre 1443 (ÜB. 1 12) —
ist von erheblichem Interesse, weil er einen Einblick in die
Verhältnisse eines Dorfgerichts bietet und auf der Anfrage
des Rathes von Nauen, einer der beim Bund von 1399 be-
theiligten Städte, beruht. In Barnewitz, einem Dorfe des
Domkapitels zu Brandenburg, war ein Nauener Bürger ver-
klagt; die Schoppen beschieden beide Parteien „auf ein
Brandenburgisch Recht". Demgemäss lassen sich die
Schoppen von den Parteien einen Kostenvorschuss geben und
reisen persönlich nach Brandenburg; dann eröffnen sie den
Parteien das in Brandenburg geholte Urtheil. Da dies Urtheil
dem beklagten Nauener „ungültig" erscheint, bitten in seinem
Interesse Bürgermeister und Rathmannen zu Nauen bei den
Schoppen beider Städte Brandenburg um schriftliche Mit-
theilung des Urtheils. Sie erfahren dann aber, dass die
Barnewitzer Schoppen das Urtheil von der Burg, dem Sitze
des Domkapitels, (statt von dem Schöppenstuhl) geholt haben,
und da sie fürchten, der Propst habe zum Nachtheil ihres
Mitbürgers und des Markgrafen gesprochen, so bitten sie in
einem zweiten Schreiben, die Brandenburger Schoppen möch-
ten sich beim Markgrafen des Nauener Beklagten annehmen,
dass ihm von dort zu Hülfe gekommen werde. Die Schoppen
des Dorfs Barnewitz verstehen also unter „Rechtsbelehrung
in Brandenburg" nicht eine Rechtsbelehrung durch die
Schoppen beider Städte, sondern durch ihren Gerichtsherm,
den Propst. Der beklagte Nauener Bürger kennt aber nur
eine Rechtsbelehrung durch den Schöppenstuhl, der unter
$ 16. Der Schöppenstuhl bis zur Joachimica (1432 bis 1527). 275
dem Markgrafen steht, und der dessen Interesse, wie über-
haupt das Interesse der Stadtbürger, also auch das des be-
klagten Naueners wahrt, während der Propst im eigenen
Interesse und damit im Interesse seiner Barnewitzer Unter-
thanen handelt. Dem Spruche des Propstes will sich der
beklagte Nauener nicht unterwerfen, er lässt darum durch
den Rath seiner Stadt den Markgrafen um Hülfe anrufen.
Das ganze Verfahren zeigt, dass 1443 der Rechtszug von
einem gutsherrlichen Dorfgericht an den Brandenburger
Schöppenstuhl noch kein fester war. •
Ob dabei die in damaliger Zeit sehr weitgreifende geist-
liche Gerichtsbarkeit1) mitspielte, lässt sich nicht erkennen.
Dass sie sich in Brandenburg damals bemerklich machte und
dort Vertreter hatte, die literarisch thätig waren, ergiebt eine
jetzt in Halle befindliche Handschrift des Schildeschen Voca-
bularius, 2) die in die erste Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts
zu setzen ist. Sie enthält einen auf das Brandenburgische
Recht bezüglichen Zusatz, der auf einen Brandenburger als
den Urheber der Handschrift hinweist. Um ein Beispiel für
die Anwendung der actio popularis zu geben, wird bemerkt:
„exemplum in foro Brandenburgensi, si quis in isto loco
communi vellet domum aedificare, quilibet admittitur ad
prohibendumu. Von dem mitgetheilten Rechtssatz fehlt jede
Kunde ; als sicher kann aber gelten, dass die Belehrung über
die Statthaftigkeit der actio popularis gegen einen auf dem
Brandenburger Markte beabsichtigten Hausbau nicht für die
Brandenburger Schoppen bestimmt war; in der ersten Hälfte
des fünfzehnten Jahrhunderts, aus welcher die Handschrift
herrührt, verstanden diese Schoppen nichts von einer actio
popularis. Der Verfasser der Handschrift mag ein Geistlicher,
vielleicht ein Brandenburger Klosterbruder gewesen sein,
der seinem wohl für Geistliche, namentlich für Notare und
geistliche Richter bestimmten Werke ein Beispiel der actio
popularis aus seiner nächsten Umgebung vorführen wollte.
Der Satz, dass jeder Bürger gegen ein Verbauen des Marktes
1) Stölzel, Rechtsverw. 1, 66 ff.
2) Seckel, Beitr. z. Gesch. beider Rechte in MA. 1898 I S. 222,
330, 267.
18*
276 4« Buch. Entwicklung- der Organisation.
Widerspruch erheben könne, mag in Brandenburg als Ge-
wohnheitsrecht oder als Theil städtischer Statuten einst
gegolten haben; eine actio popularis erwuchs daraus nur in
den Augen eines Klerikers damaliger Zeit.
Diesen Zeugnissen aus der ersten Hälfte des fünfzehnten
Jahrhunderts tritt aus dem Jahre 1455 die Abschrift des
ältesten Schöppenstuhlsspruches hinzu, die wir
überhaupt aus Brandenburg besitzen. Er betrifft einen
Streit des Klosters Lehnin (bei Brandenburg) mit den Leuten
des dem Bischof von Brandenburg zugehörigen Dorfes
Ketzin an der Havel.1) Das Kloster hatte vom Bischöfe ein
Dorf mit Zubehör vor vielen Jahren gekauft und überliefert
erhalten, worüber Fürstenbriefe gegeben waren. Als vor
länger als vierzig Jahren „grosser Krieg* in der Mark war,
gestattete das Kloster den Ketzinern, innerhalb der Ge-
markung jenes Dorfes zu hüten, wie das Kloster behauptet,
mit dem Beding des Widerrufs. Der Bischof machte mit
Beziehung hierauf in dem entstandenen Streite Namens
des Dorfes Ketzin geltend, es liege Erwerb der länger
als Menschengedenken ausgeübten Hütungsgerechtigkeit
vor; dem widerspricht das Kloster und holt sich Belehrung
in Brandenburg und in Magdeburg. Die Abschrift beider
Sprüche theilt deren Eingang nicht mit, auch ersieht man
aus den Sprüchen nicht, wo der Streit anhängig war. Die
Bemerkung im Magdeburger Urtheilsthatbestand, dass eine
„Teidigung" stattgefunden habe, spricht für eine schieds-
gerichtliche Verhandlung. Diese geschah mittels Schriften-
wechsels, wie der Thatbestand beider Sprüche und der Ein-
trag ergiebt, der in dem 14 19 angelegten Gedenkbuch des
Klosters Lehnin den Inhalt der beiderseitigen Schriftsätze
über jenen Streit viel ausführlicher mittheilt,2) als der
1) Riedel c. d. 1, 10 S. 290, 291. Das Verständniss der hier abge-
druckten, den Streit betreffenden beiden Urkunden ist nicht einfach, nament-
lich weil die Darstellung der species facti im Brandenburger Spruch zum
Theil aus der Rede fallt („wir44 am Schlüsse der species facti bedeutet
zweimal die Lehniner Klosterleute, das dritte Mal die Brandenburger
Schoppen).
2) Riedel c. d. l, 10 S. 413, 437 ff.
§ 16. Der Schöppenstuhl bis zur Joachimica (1432 bis 1527). 277
Thatbestand beider Sprüche es thut. Aus dem Gedenkbuch
erhellt, dass die Schriften von gelehrten Juristen angefertigt
sind; sie nehmen mehrfach sowohl auf den Sachsenspiegel
als auf Stellen des Corpus juris und der Glosse Bezug,
welche sämmtlich in dem Brandenburger, wie in dem
Magdeburger Spruch mit Stillschweigen übergangen werden,
zum Zeichen, dass die Schoppen das ihnen noch fremde
gelehrte Recht unbeachtet Hessen. Die Annahme, dass
es sich um einen vor Schiedsrichtern verhandelten, seitens
des Klosters nach Brandenburg und nach Magdeburg ge-
brachten Streit dreht, bestärkt der nächstfolgende Ein-
trag im Gedenkbuch des Klosters, der klar ergiebt, dass
das Kloster in einem anderen vor Schiedsrichtern anhän-
gigen Streit sich Rechtsbelehrung in Magdeburg holt.1) Da
von den beiden in derselben Sache ergangenen Sprüchen
der Magdeburger (der bestehenden Uebung nach) undatirt
ist, weiss man nicht, ob das Kloster erst in Magdeburg und
dann in Brandenburg anfragte, oder umgekehrt. Die
Brandenburger „sprechen zu einer Belehrung", dass, wenn
das Kloster nachweise, es habe niemals freiwillig den
Ketzinern die Gewere gestattet, der Abt von Lehnin näher
daran sei, die Gewere zu behalten. Die Magdeburger
stimmen dem zu, jedoch nur für den Fall, dass die Ketziner
bekennen, die Grasung widerruflich eingeräumt erhalten zu
haben; bekennen sie das nicht, weisen vielmehr ihre rechte
Gewere nach, so sollen die Ketziner beschwören, dass sie
ungestört 40 Jahre lang gehütet haben. Die beiden Sprüche
gehen also in Betreff der Beweislast, oder, wie nach deutschem
Rechte zu sagen ist, des Beweis yor recht es aus einander.
Es liefert für das Ansehen, dessen sich der Brandenburger
Schöppenstuhl zu erfreuen hatte, einen Beleg, wenn er in
einem Streite zwischen seinem Bischof und einem Kloster
überhaupt um Rechtsbelehrung angegangen wurde, und es
spricht für die Unparteilichkeit des Schöppenstuhls, wenn er
zu Gunsten des Klosters entscheidet, indem er diesem das
Beweisvorrecht zuerkennt, wie hier geschehen ist. Ausser-
dem ergiebt ein Vergleich der beiden Sprüche, dass die
') Riedel c. d. 1, 10 S. 441.
278 4* Buch. Entwicklung der Organisation.
Magdeburger Schoppen in Beurtheilung schwierigerer Rechts-
fragen damals, wo ihr Schöppenstuhl seine Blüthezeit hatte,
doch den Brandenburgern voraus waren.
Der Brandenburger Spruch, der in den Schöppenstuhls-
akten nicht enthalten ist, ergiebt, dass man zwar 1455 in
Brandenburg den Inhalt der Anfrage an den Anfang des
Spruches stellte, nicht aber, dass man den Spruch auf die An-
frage selbst schrieb; denn die Schriftsätze der Parteien bringt
unser Spruch untermischt in direkter, wie in indirekter Rede,
also nicht wörtlich : die Brandenburger hatten die Schriftsätze
umgeschrieben und ausgezogen. Die ihnen mitgetheilt ge-
wesene Urschrift oder Abschrift der Schriftsätze mögen sie
daher in diesem Falle zurückbehalten haben. Wir sehen
also hier bereits schriftliche Parteiverhandlungen vor uns.
Da die Schoppen beider Städte Brandenburg „sprechen
vor eine beleringe des rechten14, so liegt die korrekte
Form eines Belehrungsspruches vor. Selbst für Konsulenten,
die, wie die Klosterleute zu Lehnin, nahe bei Brandenburg
wohnten, war es nach diesem Prozesse 1455 nicht ausge-
schlossen, in Magdeburg Belehrung zu suchen ; weder die Er-
lasse von 13 15 und 1324, noch die Städtebünde von 1399
und 1431 hatten das abgeschafft.
Als nach dem harten, durch Auflage der Bierziese ver-
anlassten, die Städte unter das landesherrliche Scepter
beugenden Kampfe der Gilden gegen den Kurfürsten und
den Rath zu Stendal im Jahre 14881) mit Zustimmung des
Kurfürsten ein neues Statut für die dortigen Schuhmacher
erging (ÜB. 1 24), wird bei etwa sich wiederholendem Streite
dem Stendaler Rathe das Recht, die Gilde aufzuheben, zu-
gesprochen, wenn die Rathmanne zu Magdeburg entscheiden
sollten, dass die Gilde sich gegen den Kurfürsten und die
Stadt vergangen habe. Das spricht nicht für ein planmässiges
Hinausdrängen Magdeburgischen Einflusses aus der Mark.
Erst einige Jahre später taucht am kurfürstlichen Hofe der
Gedanke auf, ob man nicht statt der Belehrung durch die
Magdeburger Schoppen die Belehrung durch kurfürstliche
l) Vergl. Zimmermann, Mark. Städtcverf. 1836 BH. 1 S. 102, 292.
§ i6. Der Schöppenstuhl bis zur Joachiraica (1432 l)is 1527). 279
Räthe einführen solle. Laut der Landtagsakten von 1503 *)
„ beratschlagten u nämlich der Kurfürst und seine Räthe mit
der Landschaft der Mark „der Belehrung halber, so man zu
Magdeburg holt", dass der Kurfürst „gelert und ver-
ständig Leut an seinen Hof verordne, damit seine Unter-
thanen sich Belehrung an ihnen erholen mögen und das
Geld, so an den Ort gebracht, denselbigen gegeben werde;
das bringe dem Kurfürst und der Herrschaft Ehre und
Nutzen; die Belehrung zu Magdeburg solle man ab-
stellen".
Einen solchen Beschluss konnten Regierung und Stände
nicht fassen, wenn schon seit zwei Jahrhunderten Branden-
burg an Stelle Magdeburgs der märkische Centraloberhof ge-
wesen wäre. Das schliesst nicht aus, dass sich Brandenburg
als Oberhof neben Magdeburg immerhin grossen Ansehens
erfreute, und zwar namentlich in Strafsachen, in denen
Magdeburg sich damals noch der Oberhofsthätigkeit
enthielt. Denn schon 1504 berief sich der Bischof von Lebus
Dietrich von Bülow, der spätere erste Kanzler der Universität
Frankfurt, in einer Immediatbeschwerde gegenüber dem Rath
zu Frankfurt, der einen Verwandten Bülows als Strassen-
räuber hatte hinrichten lassen, auf die dabei versäumte legi-
tima causae tantae cognitio: es habe der „assensus scabino-
rum Brandenburgensium" gefehlt, „quibus in ejusmodi
casibus consultis solenniter pronunciandum fuis-
set.u2) Was später befolgt wurde, war demnach schon
1504 feste Gewohnheit: das Anfragen in Brandenburg bei
todeswürdigen Verbrechen. So zwingend galt dem Kur-
fürsten diese Gewohnheit, dass er auf die erhobene Be-
schwerde hin dem Rathe in Frankfurt die judicia capitalia
(die Gerichtsbarkeit in Kapitalsachen) entzog.
Wie der Landtagsbeschluss von 1503 ergiebt, sahen
Regierung und Stände die Ehre, welche der Mark durch
') Rep. 20. C. St.A. Landschaft- Fragmenta Zu vergl. auch Holtze,
Gesch. des Kammergerichts 1, 218. 219.
*) Nicolai Leutingeri de Marchia ejusque statu Joachimo I et
Joachimo II principibus .... commentariorum über primus, opera orania
edidit KuMeru«? Frcf. 1720 S. 17.
280 4- Buch. Entwicklung- der Organisation.
eine allgemein auszusprechende Beseitigung Magdeburgs als
Oberhofs erwuchs, darin, dass sich die Mark vom Einflüsse
einer im Auslande zu holenden Rechtsbelehrung befreite, und
sie sahen den Nutzen, welcher durch diese Beseitigung der
Mark erwuchs, darin, dass das für solche Rechtsbelehrung
zu zahlende Geld im Inlande blieb.
Es bestand also damals der Plan, die Magdeburg-er
Schoppen durch gelehrte Räthe zu ersetzen. Dem entsprechend
überwies ihnen denn auch 1507 die Bamberger und 1516 die
Brandenburger Halsgerichtsordnung (Art. 277) die Rechtsbeleh-
rung in peinlichen Sachen ganz allgemein Dass diese Räthe
in ganz anderem Rechte „belehren" würden, als in dem der
Magdeburger Schoppen, nämlich im römischen und nicht
mehr im sächsischen Rechte, darüber war man sich im Jahre
1503 nicht klar. Keineswegs ist aber ausgeschlossen, dass
der 1502 eingetretene romanistisch gebildete Rath des Kur-
fürsten Dr. Stublinger, l ) der spätere Kanzler, bei dem Be-
schlüsse von 1503 seinen Einfluss geltend machte und das
Sachsenrecht schon damals beseitigen wollte.
Belehrung durch die kurfürstlichen Räthe wäre dasselbe
gewesen, wie Belehrung durch das Kammergericht zu Berlin,
das um diese Zeit aus den Räthen erwuchs. 2) Aber es hatte
der Rathschlag der Landschaft von 1503 damals keine wei-
tere Folge ; Magdeburg blieb noch vorläufig der angesehenste
Oberhof für die Mark, woneben es freilich nicht ausgeschlossen
war, bei den kurfürstlichen Räthen sich Belehrung zu er-
holen, soweit dies deren geringe Anzahl zuliess.
Aus diesem Stande der Dinge mag sich erklären, wes-
halb das Aktenmaterial des Brandenburger Schöppenstuhls
bis tief in das sechzehnte Jahrhundert hinein ein recht spär-
liches ist; der Magdeburger Schöppenstuhl machte dem
Brandenburger noch erhebliche Konkurrenz.
Was aus dem fünfzehnten Jahrhundert erhalten ist, be-
schränkt sich — ausser den oben besprochenen drei Blättern,
]) Kr entscheidet 1502 als kurf. Rath einen Streit in Brandenburg.
Riedel 1, q, 255 (wo Stublinger statt Stulemeyer zu lesen) Im Uebr. s.
Stölzel, Rechts verw. 1, 123 ff.
-) Stölzel, Rechtsverw. 1, 84 ff.
§ i6. Der Schöppenstuhl bis zur Joachimica (1432 bis 1527). 281
die von zwei Prozessen der Jahre 1432 und 1443 handeln
— auf zehn Blätter (1 4a bis 5a), welche die beiden
1494 und 1495 über das väterliche Vermögen Martin Bellins
vor dem Stadtgerichte der Altstadt Brandenburg geführten
Prozesse und die darin erbetenen Rechtsbelehrungen der
Schoppen beider Städte Brandenburg betreffen.1) Es sind
das Abschriften erstinstanzlicher Akten oder die Original-
akten nebst zwei Oberhofssprüchen, den ältesten unserer
Sammlung. Beide Sprüche sind undatirt, ohne Eingangs-
anrede und ohne Unterschrift.
Der erste Spruch füllt die Vorderseite eines sonst leeren
Quartblatts (1 4^). Er gestattet die Anfechtung des Kaufes
eines Brandenburger Weingartens aus dem Gesichtspunkt
des Näherrechtes, während die Schoppen der Altstadt den
Kauf für unanfechtbar erklärt hatten (1 4c). Der Oberhofs-
spruch ist als solcher nur dadurch erkennbar, dass er sach-
lich das Gegentheil des in den Akten enthaltenen altstädter
Spruchs ausspricht, und dass er in seinem Eingang lautet:
„Hieraufsprechen wir für Brandenburgisch Recht." Diese
Betonung Brandenburgischen Rechtes haben die erstinstanz-
lichen Sprüche nicht. Das den Oberhofsspruch enthaltende
Blatt muss eine vom Originalspruch zurückbehaltene Ab-
schrift sein. Es beweist, dass man damals solches Zurück-
behalten von Abschriften in Brandenburg kannte.2)
Der zweite Spruch belehrt uns über ein wesentlich an-
deres Verfahren. Die Vorderseite eines halben Bogens ist
ganz, die Rückseite theilweis von ein und derselben Schreiber-
hand mit den Parteierklärungen in einem altstädter Prozess
beschrieben; der Klage, in welcher der Kläger den „lieben
Herrn und Scheppen und allen Dingpflichtigen u seine Sache
vorträgt, folgt die Antwort des Beklagten und ihr die Ant-
wort des Klägers, dann der Spruch der „Schepen", d. h. des
altstädter Stadtgerichts. Unmittelbar daran sind von anderer
Hand die Worte zugefügt: „dar late wy dat so bliven
na unßen bed unken". Hierin ist der von der Hand des
Schöppenschreibers herrührende Originalspruch des Oberhofs,
1) Siehe oben Seite 136.
2) Vgl. oben Seite 23 die „copeilichcn Urtheile".
282 4« Buch. Entwicklung der Organisation.
oder es ist darin dessen Entwurf enthalten: entweder ging*
das Blatt in dieser Gestalt an das altstädter Gericht zurück
und wurde dort aufbewahrt, oder das Blatt wurde beim
Oberhof zurückbehalten, und der Oberhofsspruch wurde aus-
gefertigt durch Ertheilung einer den obigen Zusatz aufneh-
menden Abschrift des erstinstanzlichen Spruchs. Die eratere
Art des Verfahrens scheint die wahrscheinlichere. Sie ent-
spricht dem in Magdeburg zeitweise eingehaltenen Verfahren,
auf die eingesandte erstinstanzliche Aktenabschrift den Ori-
ginaloberhofsspruch zu setzen (s. oben S. 239).
Aus dem ersten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts
liegen nur sechs Prozesse vor. Der wichtigste und älteste
derselben, ein in der reichen und angesehenen neustädter
Rathsfamilie Sichter spielender Erbsteit des Jahres 1502, der
zu verschiedenen Klagen, Widerklagen und sonstigen, offen-
sichtlich von gelehrten Juristen abgefassten Prozessschriften
Anlass gegeben hat (1 91* bis 33), scheidet hier aus, weil der
Schöppenstuhl beider Städte niemals darin angerufen worden
ist; das erstinstanzliche Gericht war das der Neustadt
Brandenburg;1) die gefällten Sprüche (1 32. 33)2) sind Sprüche
des neustädter Stadtgerichts zu den einzelnen Klagepunkten ;
am Schlüsse derselben heisst es, dass zu zwei Punkten die
beklagte Partei „und Märten Bellin mündlich appelliret
hat", dass aber zu einem Punkte die Parteien auf einen be-
stimmten Tag ^zum Berlin bescheiden sind*4 (133);8) es
wurde also^nicht Rechtsbelehrung beim Schöppenstuhl beider
Städte, sondern Urtheil und Abschied der kurfürstlichen
Räthe in Berlin erbeten, wahrscheinlich, weil der wichtige
Prozessj innerhalb einer Brandenburger Rathsfamilie spielte
und man deshalb vorzog, ihn ausserhalb Brandenburgs ent-
schieden ^zu sehen, zumal bei den des römischen Rechts kun-
digen Parteivertretern ein Spruch der gelehrten Berliner
Räthe schwerer wog als der Spruch der heimischen Schöp-
') Zu vgl. 1 10 v. 13. 19.
-') Eingeleitet mit: „Hir up spreken die schepen vor recht**.
3) Die Prozessschriften nehmen vielfach auf römisches Recht Bezug,
eine auch auf das „landläufige bewährte sächsische Recht1*, zu dessen
Unterstützung die 11. 5 u. 9 D. 27, 9 mitgetheilt werden (1 22)
§ 16. Der Schöppenstuhl bis zur Joachimica (1432 bis 1527). 283
pen. Theil der Brandenburger Schöppenstuhlsakten ist dieser
neustädtische Prozess nur aus Versehen geworden. Seiner
Bedeutung wegen mag er aufbewahrt und schliesslich unter
die Sammlung der Schöppenstuhlsakten gerathen sein. l)
Unter den fünf übrigen Prozessen aus der Zeit vor 1527
steht voran ein 1506 und 1507 (1 5b bis 8) beim Stadtgericht
Gransee zwischen der dortigen Knochenhauer- (d. h. Fleischer-)
Gilde und einem Granseer Bürger geführter Streit über Auf-
nahme in die Gilde. Auch hier sind die Prozessschriften von
Rechtskundigen, wenn auch nicht von gelehrten Juristen ver-
fasse die sich mehrfach auf „die gemeinen schriftlichen
Rechte* , aber ohne spezielle Zitirung römischer Stellen,
nebenher auch auf eine wörtlich eingerückte Stelle der
„glosa", 2) über die Pflicht des Richters oder Beisitzers be-
rufen, „eine dunkle Zuspräche zu vorlegen" (d. h. eine dunkle
Klage zurückzuweisen). Hiermit ist die Glosse zu einem der
sächsischen Rechtsbücher gemeint, vermuthlich die weitver-
breitete des aus Neuruppin stammenden, in Italien ausgebil-
deten Nicolaus Wurm, späteren Rechtskonsulenten schlesi-
scher Städte und Fürsten, aus dem Ende des vierzehnten
Jahrhunderts. 3)
In diesem Prozesse ist zunächst mündlich vor „Richter
und Schepen der Stadt Granseeu verhandelt; die Knochen-
hauer verweigern die Aufnahme ihres Mitbürgers in die
Gilde, weil sie dessen „Adelbrief* (d. h. den Nachweis seiner
ehelichen deutschen Geburt) anzweifeln. Das Gericht giebt
den Parteien auf, zum nächsten Gerichtstag schriftlich „ihre
Gerechtigkeit1* (d. h. eine ihr Recht darlegende Schrift) „zu
J) Mit Unrecht hat daher der neust. Schöppe Bart. Schwarz 1645 in
dorso der dort von ihm notirten Rubrik des Prozesses hinzugesetzt: „beim
schöppenstuhl alhier geführt44 (1 10).
2) Die Stelle lautet (1 7) : Ock sprecket de glosa darup : Isset sake,
dat die richtere apenbarlich irkennen kann, dath die thosprake dunkel
is unde nicht klar, ock nicht ordentlich geordent, van stunde an schal de
richtere edder beisitter dath libell vorlegen.4*
8) Vgl. Stobbe, Rechtsq. 1, 380 ff., 410 ff. Stintzing, Rechtswiss. x, 11.
Dass Wurm in Bologna studirt habe, bestätigen die Acta bonon. nicht.
*) In dem Prozess von 15 16, einen Pferdehandel betr., wird „appelirt
an unsern gnädigsten Herrn*4 (1 8 d).
284 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
übergeben", die an „die hoch- und wohlweisen Schepen zu
Brandenburg" übersendet werden soll (l 6). Demgemäss be-
steht der Prozess aus zwei Schriften; ihnen legt der Kläger
ein Zeugniss seiner Heimathstadt Neuruppin über seine Ge-
burt bei. Die Brandenburger lassen ihre „Belehrung Bran-
denburger Rechten" (l 8) nicht dem Gericht Gransee, son-
dern jeder der Parteien in besonderer Ausfertigung zugehen.
Die Akten deuten dies dadurch an, dass sie auf den leeren
Raum am Schlüsse der Parteischriften zunächst lediglich den
Eingang des für die Knochenhauer bestimmten Spruches mit
den Worten setzten: „Vorsichtige gunstige freundt. Up jue
uns togeschickte schrifte spreken wy zu eine beleringe
Brandenburger rechten : Nachdem etc.u und dann vollständig
den für den Kläger bestimmten Spruch folgen lassen, der
den vom Kläger angetretenen Beweis für geführt erklärt.
Auch diese beiden in den Schöppenstuhlsakten enthal-
tenen Niederschriften, die — im Gegensatz zu den vorher-
gehenden mit keinerlei Firma unterzeichneten Oberhofs-
sprüchen — zum ersten Male die Unterzeichnung tragen:
„Schepen beyder Stede Brandenborgh", werden als Kopien,
nicht als Konzepte von Oberhofssprüchen anzusehen sein.
Dasselbe muss von mehreren in Frankfurter Sachen 1508 er-
gangenen Brandenburger Oberhofssprüchen (1 34. 36. 38. 39)
und einem wohl in den Anfang der 1520er Jahre zu setzen-
den Spruch (1 40) s. 1. et a. gelten, der in einem Erbstreit
„nach Uebersehung aller eingebrachten Gerichtsakta" auf
einen Gefährdeeid und auf die Leistung einer Gewere erkennt.
Drei weitere Prozesse und zwar aus den Jahren 1514
(1 8*". &), 1516 (18 g bis d) und 1524 (1 41 bis 57) haben hier aus-
zuscheiden, weil sie nur altstädter Streitigkeiten behandeln, in
denen der Schöppenstuhl beider Städte nicht angegangen wird.
. Als Ergänzung der Schöppenstuhlsakten dienen noch
einige Sprüche, die in der Garz-Roterschen Decisionensamm-
lung *) (ÜB. 4) enthalten sind. Ein darin als „vetus sententia*
abgedruckter und in niederdeutscher Sprache mit den Ein-
leitungsworten „ist gespracken v.r." verfasster Spruch ohne
Datum erging auf Anfrage der Schoppen zu Berlin und be-
') Siehe oben Seite 24 ff.
§ i6. Der Schöppenstuhl bis zur Joachim ica (1432 bis 1527). 285
traf die Frage, was des Mannes oder der Frau „vorbate" in
der Erbschichtung sei, während ein anderer gleichfalls un-
datirter Spruch sich über den Begriff des Hausgeräths aus-
liess (ÜB. 4 60). Sodann sprachen sich um 1456 (ÜB. 4 95)
die Brandenburger Schoppen über den Werth einer Bran-
denburgischen Mark fein Silbers und einer „loddigen" Bran-
denburgischen Mark Silbers aus; die Eingangsformel lautet:
„Hirup spreeken wy vor eine beleringe Brandenborges
rechtens"; die Anfragenden sind nicht angegeben. Ferner
entschied im Jahre i486 ein als „Brandenburgisch recht44 be-
zeichneter Spruch, dass die Halbbrüder dem Gross vater und
der Grossmutter vorgehen, später aber gaben die Branden-
burger diesen Grundsatz nach dem Vorgang der Magde-
burger und Leipziger auf (ÜB. 4 43). Weiter wurde im Jahre
1503 (ÜB. 4 41) in einer Bernauer Sache „vor Recht ge-
sprochen4*, dass die vollen Geschwisterkinder mit zwei Theilen
und des halben Bruders Kinder mit einem Theile erben
sollen. Endlich verbreitet sich ein Spruch von 15 15 (ÜB. 4 20)
über die Frage, ob die Ehefrau das, was ihr vom Vater mit
in die Ehe gegeben sei, konferiren müsse.
Dem schliesst sich noch ein von Riedel1) mitgetheilter
Fall des Jahres 1521 an. Er behandelt den vom Kuhhirten
in Straussberg gelegentlich eines Brandes begangenen Dieb-
stahl zweier Kessel; der Kuhhirt sammt seinem Weibe werden,
obwohl sie „sehr geringe Sachen gestohlen*4, weil die Dieberei
in Feuersnöthen erfolgt sei, zum Tode verurtheilt, es sei denn,
dass sie der Rath zu Straussberg, der die Rechtsfrage ge-
stellt hatte, „begnaden und befristen wolle44. Die letztere
Sache giebt einen weiteren Beleg» dass schon im Anfang
des sechzehnten Jahrhunderts der Brandenburger Schöppen-
stuhl auch in Strafsachen Belehrung ertheilten.
Im Ganzen scheinen sämmtliche Aktenreste aus der Zeit
vor 1527 die Annahme zu begründen, dass der Schöppen-
stuhl beider Städte in den Formen, in denen er seine Sprüche
schriftlich ausgehen Hess, noch mannigfach hin- und her-
schwankte, dass er aber anfing, seine Sprüche in Abschrift
*) C. d. i, 12 S. 127. Das von Riedel angezogene „Original44 des
Spruches besitzt die Stadt Staussberg nicht mehr.
286 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
und die ihm eingesandten Akten im Original zurückzube-
halten. Von Hinweisen auf römisches oder gemeines oder
geschriebenes oder Kaiser-Recht findet sich keine Spur, wohl
aber betonten die Schoppen mit Vorliebe, dass sie Bran-
denburgisches Recht sprechen, wie die Anfragenden mit
Vorliebe sich ein Brandenburgisches Recht erbitten.
Den untrüglichsten Beleg, dass in der That das Verfahren
des Schöppenstuhls während dieser Periode darin bestand,
seine Sprüche urschriftlich den Anfragenden mitzutheüen und
sich eine vom Schöppenschreiber herzustellende und zu ver-
wahrende Abschrift zurückzubehalten, bietet der Eid, den
der Schöppenschreiber zu leisten hatte. Dessen Formel
lautet nach dem Schöppenbuch von 1692 r1)
Ich gelobe und schwere zu gott, demnach ich zum secretario
des churf. Brandenb. schöppenstuhls alhier angenommen, so will ich
solchem ampte in schreiben der urtheln und andern Sachen mit
treuen fleis vorstehen, die Schriften und berichte, so im schöppen-
stuhl einkommen, nebst den copeyen der ausgefertigten
urtheln getreulich verwahren, dieselbe niemand lesen laßen oder
abschrift davon ohne erlaubnis der herrn schöppen geben noch
sonsten dieselbe melden oder offenbahren, ehe denn sie publiciret
seyn, auch alle heimligkeiten des schöppenstuhls gänzlich ver-
schweigen und deßen nutzen und frommen beobachten und be-
fordern, keinem part wieder das andere einrathen oder warnen
und sonsten alles thun und laßen, was einem getreuen secretario
gebühret und wohl anstehet, so wahr als mir gott helfe.
Die Formel eines älteren Schöppenschreibereides ist nicht
bekannt. Offenbar weist aber die in den Eid aufgenommene
Verpflichtung des Schreibers, neben den eingegangenen Be-
richten die „Copeyen der ausgefertigten Urthelu aufzube-
wahren, in eine Zeit zurück, in welcher es noch keine Ur-
theils entwürfe beim Schöppenstuhl gab. Da, wie sich ge-
zeigt hat, noch im Beginne des achtzehnten Jahrhunderts die
Bezeichnung „Urtheilskopeien" für „Urtheilsentwürfe" ge-
bräuchlich war,2) so kann es nicht befremden, dass dieser
Gebrauch sich in der Eidesformel wiederspiegelt, die man in
l) Fol. 13, abgedruckt im 31. Jahresbericht des histor. Vereins «u
Brandenburg S. 87.
a) Siehe oben S. 22.
§ ij. Joachimica. 287
den letzten Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts bei der
Verpflichtung des Schöppenschreibers anwendete.
§17.
Joachimica.
Ein tierinnerer Grund war es, der die Brandenburger
Schoppen, wie die märkischen Gerichte und deren Insassen
bestimmte, auf ihr Brandenburgisches Recht Gewicht
zu legen. Aus demselben Grunde hatten die Städtebünde
von 1399 und 1431 auf ihre Fahne die Wahrung Branden-
burgischen Rechtes geschrieben, demselben Grunde entsprang
auch der Erlass der Joachimica und ihre Aufrechthaltung bis
zur neuesten Zeit.
In der Mark Brandenburg brachte es die Germanisation
durch westfälische, fränkische und flandrische Kolonisten zu
selbständigen Rechtsbildungen, von denen die eheliche Halb-
theilung eine der bekanntesten ist.1) Das war diejenige
eheliche Gütergemeinschaft, die dem überlebenden Ehegatten
das Recht gab, die Hälfte des Gesammtgutes zu beanspruchen,
wenn er nicht die Zurücknahme seines Eingebrachten vorzog.
Gerade.um dies den Märkern in Fleisch und Blut übergegangene
Recht handelte es sich bei der Wahrung Brandenburgischen
Rechtes durch den Schöppenstuhl zu Brandenburg, und es
handelte sich gerade darum bei Erlass der Joachimica.
Ausserdem hatten sich aber Fürst und Stände der Mark den
fremden Rechten zugeneigt. Dabei mag der politische Ge-
sichtspunkt mitgewirkt haben, dass sich die Mark dem be-
nachbarten Sachsen gegenüber eine mehr unabhängige Stel-
lung sichern wollte; sie erstarkte dadurch als Territorial-
macht. Bei Joachim I., einem eifrigen Anhänger des Katho-
lizismus, hat sicher auch die Antipathie gegen die in Sachsen
beschützte neue Lehre mitgewirkt, deren Anhänger — Luther
an der Spitze — wenig vom römischen und kanonischen Rechte
hielten, so dass sich in Sachsen auch darin eine andere Strö-
mung als in Brandenburg kundgab: vom Jahre 1488 an bis
zur Festlegung des sächsischen Rechtes durch die sächsischen
*) Hänel in der Ztschr. f. RGesch. 1, 273. v. Martitz, Ehel. Güter-
recht S. 3, 24, 50.
288 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
Konstitutionen des Jahres 1572 ist man dort bestrebt, das
sächsische Recht in den Vordergrund zu stellen und nur, wo
es dunkel war, seine Deutung nach gemeinem Rechte zuzu-
lassen. Dem galt auf Veranlassung der sächsischen Kurfürsten
die Thätigkeit der sächsischen Juristen, namentlich Lagus\
Klings und Königs. l) Dass man in Magdeburg, dem eigent-
lichen Sitz des sächsischen Rechtes, gleichem Streben huldigte,
kann nicht Wunder nehmen, obwohl zur kritischen Zeit des
Kurfürsten Joachim Bruder der Erzbischof und Landesherr
Magdeburgs war; hatte doch Magdeburg sich bereits 1524
mit Entschiedenheit dem Lutherthum zugewandt.2)
Wie sehr Joachim sich davon überzeugt hielt, dass
seinen Zielen das gelehrte Recht viel dienlicher sei als das
heimische Recht seines Landes, geht am unzweideutigsten
aus der Ermahnung hervor, die er seinem jugendlichen
Enkel, dem Herzog Erich von Braunschweig, bei dem
letzten Zusammensein zu Theil werden Hess; „es solle kein
Fürst regieren, er wüsste denn zuvor die Kaiserrechte; der
Enkel möge ja dieselben lernen". Erichs Mutter, die Her-
zogin Elisabeth von Münden, wiederholte diese Ermahnung
nach Joachims Tode mit dem Zusätze: „Ich achte, der löb-
liche Fürst hat es aus Erfahrung seines Regiments be-
kommen".3)
Als muthmassliche Verfasser der märkischen Landes-
konstitution Joachims (der sog. Joachimica) von 1527 4) dürfen
der mit Magdeburger Verhältnissen wohl bekannte Dr. Metsch
und der als Verfasser eines Ruppiner Landregisters mit mär-
kischen Lokalgewohnheiten besonders vertraute Stendaler
Propst Rehdorffer gelten. 5) Der letztere stand dem Kur-
fürsten sehr nahe, war nach Eröffnung des Landtags von 1527
als Ketzerrichter über der Kurfürstin Abfall vom Katholizis-
') Muther, Zur Gesch. der RWiss., Jena 1876 S. 305, 319 ff., 352 ff.
Stintzing, Gesch. der d. RWiss. 1, 304, 308, 560.
2) Siehe oben Seite 208.
3) Tschackert, Herzogin Elisabeth von Münden 1899 S. 31. Brandenh.-
Preuss. Forschungen 14, 330.
4) Material über die Entstehungsgeschichte fehlt.
•) StÖlzel, Rechtsverw. 1, 138 ff.
§ 17. Joachimica. 289
mus thätig und setzte bis in die 1550er Jahre der Einführung des
Lutherthums in die Mark den stärksten Widerstand entgegen.1)
Ein grosser Staatsakt des von solchem Manne unter-
stützten streng katholischen Brandenburgischen Kurfürsten ist
im Jahre 1527 nicht denkbar ohne eine gegen das Luther-
thum gerichtete Spitze. So vereinte sich sehr natürlich die
Strömung, des Brandenburgischen Rechtes Eigentümlich-
keiten zu erhalten, mit der anderen Strömung, die Bezie-
hungen zu dem benachbarten, seit Kurfürst Friedrichs Tode
(1525) unter dessen Nachfolger offen* zu Luther übergegan-
genen Sachsen, namentlich aber die zum Schöppenstuhl des
ebenso offen abgefallenen Magdeburg möglichst zu lösen.
Eine dritte, mindestens gleich starke Strömung ging dahin,
der sich mehrenden landesherrlichen Gewalt eine neue Stütze
dadurch zu verschaffen, dass an Stelle des über das Land
verbreiteten städtischen Oberhofsnetzes ein der kurfürstlichen
Autorität unterstellter Landescentraloberhof gesetzt werde.
Diesen Strömungen trug die Joachimica Rechnung; sie
ist das letzte in der Mark gegen das Lutherthum aufgerich-
tete Bollwerk, erfüllte aber hier, wie die Zeitläufe nun ein-
mal waren, weit weniger ihren Zweck, als nach den beiden
anderen Richtungen hin, die Märker fernzuhalten von allzu-
grosser „Saxonisirung" 2) ihres Rechtes und mit Beiseiteschie-
bung der kleineren Oberhöfe des Landes dem Oberhofe der
einstigen Hauptstadt Brandenburg neues Leben einzuhauchen.
Als Kurfürst Joachim I. und der Landtag sich über eine
„Ordnung der Erbfalle und andern Sachen" einigte, wie es
die Joachimica unterm 9. Oktober 1527 dem Lande verkün-
dete, zog man in die Einigung auch die Frage hinein, wo
Rechtsbelehrung zu holen sei, setzte nun aber an die Stelle
der Magdeburger Schoppen nicht etwa, wie es 1503 beab-
sichtigt war,3) die kurfürstlichen gelehrten Räthe oder das
bereits längst konstituirte Kammergericht, sondern die Bran-
denburger Schoppen.
x) Heyäemaon, Reformation S. 153, 345 ff. Zu vergl. WohlbrOck,
Lebus a, 376.
') Vergl. v. Kamptz, in Mathis' jur. Monatsschr. u, 66.
3) Siehe oben Seite 279.
Stölzel, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung-. I. K)
290 4* Huch. Entwicklung der Organisation.
In der Joachimica werden zunächst die „Erbfalle zwischen
Eheleuten", dann die „Testamente", „die gemeinen Erbfalle"
(jedoch nur mit dem generellen Satze, dass in ihnen nach
Kaiserrecht zu sprechen sei), ferner das „Kindergeld und
Erbgeld" behandelt. Ehe aber die Kapitel folgen, welche
im Einzelnen die Intestaterbfolge nach den Grundsätzen des
römischen Rechtes regeln, findet ein Kapitel „von den Bran-
denburgischen Rechten" (d. h. hier von den Brandenburgischen
Gerichten) seinen Platz mit folgendem Wortlaut:
„Dieweil wir auch betrachten, das unsere beide Städte Alt- und
Neustadt Brandenburg eines alten und löblichen gerichts, mit einem
sonderlichen gerichtsstuhl sambtlich begnadet und von vielen unsern
vorfahren löbl. und seelicher gedacht nis, churfÜrsten und forsten,
damit privilegiret und befreyet worden seyn, welches sie auch als
hauptstädte unseres churfürstenthumbs bis anhero in löblicher ge-
wohnheit und gebrauch also hergebracht und erhalten, dass auch
viel andere umliegende Städte und flecken ihr recht in allen ihren
Sachen, auch in erb fällen bei ihnen gesucht und erholet, haben
wir aus sonderlichen gnaden, auch mit aller geständte unserer land
rath und ihrem selbst wissen und willen, ihnen gegönnet und
zugelassen, dass die beide unser Städte Alt- und Neustadt Branden-
burg hinfürder nochmals einen gemeinen richtsstuhl samtlich,
wie vor alters, haben und behalten sollen, von dem auch die um-
liegende städte, flecken und sonsten jedermanniglich in allen ihren
sachen, auch in erb fällen, recht, urtheil und belehrung suchen
und holen mögen wie vor alters. Doch sollen sie nicht anders,
denn nach dieser Satzung und willkör in den ausgedrückten
articuln und sonsten in allen andern sachen nach beschrie-
benen keyserrecht belerung und urtheil geben und sprechen,
von den auch das beschwerte part, so das solches appellirens
füge haben möchte, an uns, unsere cammergerichte rechtlicherweise
zu appelliren macht haben sollen.14
Erst eine Durchsicht der Brandenburger Schöppenstuhls-
akten Iässt klar erkennen, welche grosse Bedeutung der Er-
lass der Joachimica hatte; sie war für die Mark im Kleinen,
was das Bürgerliche Gesetzbuch heute für das Deutsche Reich
im Grossen ist. Darum heisst auch in unsern Akten die
Joachimica durchgängig „die Landeskonstitution u xai* igo/^v.
Zwar griff sie unmittelbar nur in einzelne Theile des mate-
riellen Rechtes ein, indem sie die güterrechtlichen und die
erbrechtlichen Verhältnisse regelte, aber das waren gerade
§ 17. Joachimica. 291
diejenigen Gebiete, auf denen es von lange her, noch ehe von
Einflüssen fremden Rechtes die Rede war, empfindliche
Zweifelsfragen gab,1) und auf denen das deutsche Recht mit
dem römischen Recht am fühlbarsten zusammenstiess, so dass
sich, um den Streit zu schlichten, die Gesetzgebung zu einem
Vorgehen entschliessen musste. Auf den anderen , Gebieten
konnte es der Rechtsübung überlassen bleiben, den römischen
Auffassungen allmählich Eingang zu verschaffen. Im Grossen
und Ganzen stellte sich die Joachimica auf den Standpunkt,
dass die Geltung „der gemeinen und beschriebenen Kaiser-
rechte" (d. h. des römischen und kanonischen Rechtes) eine
bereits vollendete Thatsache sei; denn — den Schlussworten
der Joachimica zufolge — sollen, „so über hier oben gesetzte
. . . Erbfalle etliche sonderliche Fälle sich begeben würden,
die hierinnen nicht begriffen, dieselbigen nach gemeinen und
beschriebenen Keyser - Rechten geörtert und gesprochen
werden". Das gemeine Recht wurde also als das subsidiäre
Recht anerkannt, soweit nicht im ehelichen Güterrecht und
im Erbrecht die Joachimica — in weiser Wahrung heimischer,
auf deutschem (sächsischem) Rechte ruhender Gebräuche —
etwas Abweichendes bestimmte. Gerade für die Wahrung
dieses heimischen Sonderrechts sollte der Richtstuhl beider
Städte Brandenburg erhalten bleiben, und zwar wie bisher
als gemeinschaftlicher vereinigter Richtstuhl (als „gemeiner"
Richtstuhl „sammtlichu). Dass er je anders bestanden hatte,
war in der Erinnerung geschwunden; man kannte ihn „von
Alters" nur als vereinigten Richtstuhl. Er ist kein kurfürst-
licher Richtstuhl, wie das Kammergericht ein kurfürstliches
Gericht2) ist, sondern er ist ein Richtstuhl der Städte. Hieran
will die Joachimica nichts ändern.
') Man sehe z. B., wie in dem 1404 vom Rath zu Wimpfen in seinem
erneuerten Stadtbuch niedergelegten Stadtrecht das eheliche Güter- und Erb-
recht in den Vordergrund tritt. Oberrheinische Stadtrechte, herausg. von
der bad. hist. Kommission. Heidelberg 1895. 2. Heft S. 77 ff.
*) „Unser** Kammergericht. S. die Schlussworte obiger Stelle der
Joachimica. — Aus der Bestimmung der Joachimica über Brandenburg
glaubt Holtze, Gesch. des Kammerger. 1, 197 „deutlich zu erkennen, dass
der Kurfürst damit umgegangen war, die Wirksamkeit des Schöffenstuhls
IQ*
292 4* Buch. Entwicklung- der Organisation.
Zum Verständniss der verschiedenen Stellung des Magde-
burger und des Brandenburger Schöppenstuhls wird es bei-
tragen, wenn man erwägt, dass die hauptsächlichste Rechts-
quelle für die Gerichte älterer Zeit das Gewohnheitsrecht
war. .Auch der Sachsenspiegel war nichts als nieder-
geschriebenes Gewohnheitsrecht, und die fremden Rechte
hielten ihren Einzug auf keinem anderen Wege als auf dem der
Gewohnheit. Wo eine Lücke sich zeigte in der Ortsgewohn-
heit der einzelnen Stadt, da fing man an, als man das Recht
auf hohen Schulen gelehrt bekam, die Lücke aus diesem ge-
lehrten Rechte vermittels dessen gewohnheitsmässiger An-
wendung auszufüllen. Das Recht, das die Oberhöfe sprechen,
ist im Wesentlichen Ortsrecht, nämlich das Recht der Stadt,
in der der Oberhof seinen Sitz hat; der Magdeburger
Schöppenstuhl spricht darum Magdeburgisches, der Branden-
burger Schöppenstuhl spricht Brandenburgisches Recht Das
schliesst nicht aus, dass jenes Recht zu seinem Untergrund
Sachsenrecht hat, wie das Brandenburgische Recht zu seinem
Untergrund das Kaiserrecht und das Joachimische Landes-
recht hat.
Je umfassender und je energischer das deutsche Ge-
wohnheitsrecht von den Oberhöfen festgehalten wurde, desto
spärlicher blieb für die fremden Rechte der Raum, in welchem
sie zur Herrschaft gelangen konnten. In Magdeburg wurde
der Raum durch Festhalten am Sachsenspiegel erheblich
mehr eingeschränkt als in der Mark. Auf Gebieten aber,
auf denen in Magdeburg, wie in Brandenburg gleichmässig
die fremden Rechte sich Eingang verschaffen konnten, ent-
wickelte sich die Rechtsprechung in Magdeburg nicht anders
wie in Brandenburg, bis der grosse Kurfürst im Jahre 1688
die Sachsenrechte sogar für Magdeburg abschaffte, indem er
sie dahin einschränkte, dass sie nur so weit neben dem ge-
meinen Kaiserrecht beobachtet werden sollten, als sie den
auf die Streitsachen in den bei den Städten Brandenburg selbst einzu-
schränken*. Diese unzutreffende Auffassung erklärt sich nur aus dem Dunkel,
in welchem bisher der Brandenburger Schöppenstuhl lag; sie macht aus
dem - für die ganze Mark bestimmten — Richtstuhl beider Städte
Brandenburg einen für die beiden Städte bestimmten Richtstuhl.
§ 17« Joachimica. 293
Magdeburgischen Kirchen-, Polizei-, Prozess- und anderen
Ordnungen konform seien.1)
Es gab auch für die gelehrten Juristen Magdeburgs
frühester Zeit keine andere Ausbildung auf den Universitäten,
als die romanistische, die bereits im Jahre 1547 soweit vor-
geschritten war, dass alle Magdeburger Schoppen gelehrte
Juristen waren.2) Aus der Büchersammlung des Magdeburger
Notars Viti3) lässt sich zugleich auf das Blühen der Studien
der fremden Rechte schon einige Jahrzehnte früher in Magde-
burg schliessen, wie denn z. B. die Magdeburger Schoppen
schon „etliche Zeittt nach 1469 ein vor Notar und Zeugen
errichtetes Testament als gültig anerkennen.4)
In der Mark fasste man mit Recht den Zweck der
Joachimica dahin auf, dass durch sie „das Sachsenrecht auf-
gehoben145) oder, wie es in einem unserer Aktenstücke
drastisch heisst, „niedergeschlagen sei". Eine authentische Inter-
pretation giebt in dieser Beziehung der Eingang der Ver-
ordnung Joachim's II. von 1536 6):
„Dieweil hier vormals die stende unser landtschaft sich ein-
trechtiglich mit uns vereinigt und verwilligt, das hinfurder in unsern
churfurstenthumb und landen keiserrecht gehalten und gesprochen
soll werden, derwegen sich auch unsere prelaten, herrn, manne und
stedte aller gebrauch und gewonheiten voriger gericht und rechtens
verziehen und abgesagt, ordnen und wollen wir, das hinfurder in
erbteylung kein heregewedte, gerade noch museteil sol genommen
werden noch gegeben, besunder in dem und andern allen keiserrecht
dergestalt, wie hievon in unser aufgerichten Constitution und ordenunge
der erbfelle geordnet, durch ydermeniglich sol gehalten werden."
Also auch der Nachfolger des Schöpfers der Joachimica
bekannte sich mit Beginn seiner Regierung zum Kaiserrecht
und zur Abschaffung des Sachsenrechtes.
J) VO. vom 3. Januar 1688, betr. die Polizeiverordnung von 1688
(Mylius, corpus constit. magdeb. 17 14. Dritter Theil, Vorrede).
*) Magdb. Gesch. Bl. 30. Jahrg. S. 158 ff.
3) Siehe oben Seite 199 ff.
4) Friese und Liesegang, Magdeb. Schöffensprüche 1, 175.
•) 1560 (8 157).
6) Rep. 20 C. Landschaftfragmente 1470 — 1543. St.A. Mylius, c. c. m.
Bd. VI Abthl. 1. Sp. 35.
294 4* Buch Entwicklung der Organisation.
Um „die gemeinen Rechte" oder „die Kaiserrechte-,
d. h. das Recht des Corpus juris, im einzelnen Lande zur
Geltung zu bringen, genügte nach dem deutschen Staats-
rechte am Ende des fünfzehnten und am Anfange des sech-
zehnten Jahrhunderts so wenig ein Reichstagsschluss, als ein
kaiserliches Edikt. Das 1500 in Augsburg regulirte Erbrecht
der Enkel gelangte erst damit in der Mark zur Anwendung,
dass es der Landtag zu Berlin-Cöln 151 1 als natürlich, billig
und* recht annahm.1) Das Nürnberger Edikt des Kaisers
über das Repräsentationsrecht der Seitenverwandten vom
27. November 1521 schickte Herzog Georg von Sachsen
den Schoppen zu Leipzig2) zur Nachachtung, zog es aber
zurück, nachdem die Schoppen vorgestellt hatten, dass das
Oberhofgericht Bedenken trage, es anzuwenden und sie
mit diesem nicht „gezweit" werden möchten. Erst 1545
erklärten sich auf Bitten des Rathes von Zerbst die Fürsten
von Anhalt bereit, nach jenem Edikte statt nach dem
sächsischen Rechte die Erbfolge der Enkel und Geschwister-
kinder eintreten zu lassen. 3) Darauf beruht es unverkennbar,
dass die Joachimica es für erforderlich hielt, ausdrücklich
auszusprechen, es solle nach gemeinen Kaiserrechten ge-
sprochen und, wenn etwa demnächst eine kaiserliche Kon-
stitution das Erbrecht der Geschwisterkinder regele, —
wie es zwei Jahre später auf dem Reichstag zu Speier be
liebt wurde — so solle sie in den Brandenburgischen Landen
gehalten werden.4)
Die Joachimica will das hier, und da ortsgebräuchlich
geänderte Sachsenrecht ersetzen durch das hier und da ge-
setzgeberisch geänderte Kaiserrecht. Der Sachsenspiegel
rückte damit in das Reich der Träume und Wunder; er half
dem Hexenglauben Nahrung geben, vielleicht nicht ohne Ein-
fluss der praefatio rhytmica Eikes von Repkow, nach der
man Sachsenrecht im Sachsenspiegel finden soll, wie in
!) Stölzel, Rechtsverw. 1, 125.
*) Ztschr. der Sav.Stiftung 7, 2. 102.
3) Friese und Liesegang, Magdeburger Schöffenspruche, Bd. x S. 24a.
*) Auf diese kaiserliche Konstitution hin sprechen die Br. 1590 (32
65)» i59i (33 263).
§ 17- Joachimica. 295
einem Spiegel die Frauen ihr Antlitz beschauen. So be-
kennt eine in Soldin wegen Zauberei Verfolgte 1564 (9307),
sie habe sich dem Teufel, „dem weisen Peter-, vertraut und
besässe einen Sachsenspiegel, wie auch einen Kristall (dieser
galt als besonders gefährliches Zaubermittel); damit könne
sie den Peter bannen, dass er ihr sagen müsse, was sie von
ihm wolle (9 307). Noch ein Jahrhundert später besteht der-
selbe Wahn: eine wegen Zauberei Gefolterte bekennt 1656
in Zehden (Städtchen bei Landsberg a. W.), dass sie sich
dem Teufel vertraut habe, der ihr versprochen, Alles ihr
sagen zu wollen, was sie ihn „aus dem Spiegel fragen würde",
sie habe „in den Kristallenstein oder Sachsenspiegel gesehen" ;
bei nochmaliger Vernehmung sagt sie, „sie habe den Sachsen-
spiegel ihrer Tochter gegeben,44 und dann, „sie habe keinen
Sachsenspiegel, wohl aber zwei Teufel gehabt44 (ÜB. 2 7 16 ff.
7943. 67. 23. 12).
Mit der Lossagung vom Sachsenspiegel ging in der
Mark .die Lossagung vom Magdeburger Schöppenstuhl Hand
in Hand.
Aehnlich war die Sachlage 1547 für Breslau, als Prag
zum böhmischen Appellationshof bestellt wurde; damit hörte
die bisher übliche Berufung nach Magdeburg auf, und es
begann die Beseitigung des sächsischen Rechtes. l) Die
Joachimica sah aber voraus, dass durch die Neuordnung der
Dinge — namentlich „in Erbfallen44 — viele Zweifelsfragen
auftauchen und somit viele Prozesse entstehen würden. Dass
sie sich darin nicht täuschte, ergiebt die im Jahre 1549 von
den Städten dem Kurfürsten vorgetragene Bitte,2) erklären
zu wollen, wie die Konstitution zu verstehen und zu deuten
sei, da sich ihretwegen in „Erbfällen, Testamenten, Ver-
machungen, Ehestiftungen, auch mit Bezahlung der Schulden
in stehender Ehe und sonst viel Zanks, Disputation und
Uneinigkeit zutrage44.
Die vermehrte Arbeitslast der Rechtsprechung wäre an
oberster Stelle den wenigen gelehrten Räthen zugefallen, die
der Kurfürst in das Kammergericht gezogen hatte. Der Ent-
l) Prasek, Ztschr. f. Geschichte Schlesiens 33, 324.
*) R. 20 D. Landtag-sakten 1548 — 1550.
29t) 4« Buch. Entwicklung der Organisation.
wurf der Kammergerichtsordnung von 1 516 kennt deren zwei.
Diese rein römisch gebildeten Juristen kannten nicht den auf
Magdeburgischem Rechte beruhenden Landesbrauch, wie ihn
die Joachimica in mancher Beziehung aufrecht erhielt. Hier
waren die Brandenburger Schoppen kundig; denn bei ihnen
war „von Alters her auch in Erbfällen von den umliegen-
den Städten und Flecken in allen Sachen ihr Recht gesucht
worden" (oben S. 290). Als eine passende Maassregel erschien
es daher, dem Brandenburger Oberhof grösseren Einfluss
einzuräumen. Das empfahl sich noch besonders aus finanziellen
Gründen : auf seine Räthe hätte der Kurfürst die sich häufen-
den Geschäfte der Rechtsprechung nur legen können, wenn T
er die Zahl der gelehrten Räthe erheblich mehrte. Dazu
gehörten Geldbewilligungen durch die Stände. Diese zu
erreichen, war aussichtslos; denn es beschwerte sich 1541 die
Ritterschaft darüber, dass „so viele Doktoren bei Hofe an-
gestellt würden". l) Also obwohl seit mehr als einem Jahrzehnt
die Brandenburger Schoppen zur Mithülfe bei der Recht-
sprechung besonders herangezogen waren, erschienen den
Ständen die Kosten der verhältnissmässig wenigen bei Hof 1
gemietheten Doktoren zu hoch; wie würden sich erst die
Stände gesträubt haben, wenn von 1527 an die Zahl der
Doktoren hätte vermehrt werden müssen. Die Brandenburger
Schoppen kosteten den Ständen und dem Kurfürsten nichts;
sie bezogen, wie später (§ 38) erörtert werden wird, keinen
Gehalt, sondern nur Gebühren, die von den Konsulenten zu
zahlen waren.
Das Recht, nach welchem der neubelebte Brandenburger
Schöppenstuhl von 1527 an sprechen sollte, konnte man
wiederum Brandenburgisches Recht nennen, und man hat
es so genannt, ja man trug ihm solche Verehrung ent-
gegen, dass seine Bezeichnung als „göttliches" Brandenbur-
gisches Recht in den Anfragen der Konsulenten keine Selten-
heit ist.2) Nicht mehr war es aber das Recht der Stadt
1) Kep. 20 C. 1541. HA. Landschaftfraganenta. Zu vgl. Holtze,
Gesch. des Kamraergerichts 1, 202.
2) Richter und Schoppen der Neustadt Eberswalde bitten 1528 um
..schriftliche Zusendung ein göttlich, Brandenburges Recht," und die Bran-
§ 17. Joachimica. 297
Brandenburg, wie es im dreizehnten Jahrhundert den Tochter-
städten mitgetheilt oder wie es in die Brandenburger Privi-
legien von 13x5 und 1324 aufgenommen oder wie es 1376
in einzelnen seiner Sätze den Frankfurter Schoppen eröffnet
oder wie es in den Städtebünden von 1399 und 1431 dem
Sonderrecht der einzelnen mitverbündeten Stadt entgegen-
gesetzt wurde. Es war vielmehr jetzt das für das Land
Brandenburg geltende, namentlich das in der Joachimica
niedergelegte Territorialrecht.
Dieser Auffassung trägt ein interessanter Vorgang des
Jahres 1741 Rechnung. Die Schoppen der ehedem pommer-
schen Stadt Pyritz waren 1346 von ihrem Herzog Barnim
mit der „plenaria potestas dandi, inveniendi atque demon-
strandi justum et verum jus Brandenburgense secun-
dum ipsorum conscientias" ausgestattet worden, „sicut et
a progenitoribus nostris habueruntu. Gestützt auf dieses
Privileg fragt 1741 Bürgermeister und Rath zu Pyritz, das
1 648 an die Mark Brandenburg gefallen war, in Brandenburg
an, „worinnen eigentlich diesesjus Brandenburgense bestanden"
habe ; ihre Urkunden seien durchBrandschäden vernichtet, nach
bisheriger Observanz werde aber noch beständig die Güter-
gemeinschaft unter Eheleuten, ingleichen die Gerade und das
Heergewete nebst dem Schoossfall beibehalten, bisweilen
fielen indess noch immer einige dubia voru (93 368 ff.).1) Die
Pyritzer knüpfen daran die Fragen: 1., mit was für einem
Recht 1346 Brandenburg begabt gewesen; 2., ob es ein jus
scriptum und davon noch Nachricht vorhanden; 3., ob das
jus Brandenburgense mit dem jus Magdeburgicum einerlei
sei; 4., ob in Brandenburg die communio bonorum inter con-
juges, ingleichen die Gerade und das Heergewete und wie
solche recipirt sei. Dann fügen die Pyritzer hinzu: .Sollten
auch noch sonsten einige particularia in dieser Sache vor-
handen sein, so bitten wir uns solche für die Gebühr zu
denburger antworten (1 79): „Sprechen wir Euch brandenborgesk Rechten.1*
Nach 1591 (24 117) bittet der Hauptmann von Oderberg (bei Prenzlau),
„nach göttlichen und Brandenburgischen Rechten zu erkennen".
') Das Privileg von 1346 liegt der Rechtsfrage abschriftlich in
extenso bei. Es ist abgedruckt bei Riedel c. d. 1, 24, 39.
298 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
communiciren, woran wir um so weniger zweifeln, da es ex
historia constiret, dass der dortige Schöppenstuhl schon in
anno 13 15 gestiftet worden, auch nachher beständig in grosser
renomme gewesen*4.
Die vom damaligen Schöppensenior Giesecke verfasste
und von seinen fünfMitscabinen mitunterzeichnete Antwort geht
dahin: 1346 (wie vor- und nachher bis 1527 und 1529) sei
„in hiesigen Landen und den beiden Städten Brandenburg dem
alten sächsischen Rechte nachgegangen". Zum Beleg werden
Pruckmann l) consilia (I, 1 No. 12; 48 No. 194) und Giesebert2)
periculum statutorum harmonico-practicum (1, 3 No. n) an-
geführt. Im Jahre 1527 sei aber bekannt gemacht, dass die
Konstitution wegen der Erbfalle gelten solle, welche durch
Karls V. Konstitution von 1529 bekräftigt sei; „folglich sei
mit Hintansetzung des alten sächsischen Rechts das jus civile
lediglich introduzirtu; aus dem Sachsenspiegel sei zu ersehen,
dass das Brandenburger Recht vom alten Sachsenrecht merklich
abgehe, „gestalt dann noch heutigen Tages weder das jus
Marchicum im Magdeburgischen angenommen, noch das jus
Saxonicum weiter stattfinde, als es der Kirchen-, Prozess-,
Polizei- und anderen Ordnungen conform ist (reform. Mgdb.
Pol.O. v. 3. Jan. 1688)44; auf gleiche Weise werde es in der
Mark gehalten, wo das jus Magdeburgicum niemals einge-
führt worden; communio bonorum sei zwar nach dem alten
Sachsenrecht vorhanden gewesen, jedoch nicht in dem Ver-
stände, als wenn dem marito das Eigenthum an dem (sie!)
dote zugestanden, vielmehr sei die Witwe befugt, nach des
Mannes Tode „den (!) dotem zu repetirenM, so dass die Frau in
puncto dotis zwar de lucro partieipirt, nicht aber de damno
haftet, was „bis auf diese Stunde beibehalten und der Witwe
repetitio dotis et illatorum oder, wenn sie des Mannes Erbe
werden will, dimidia pars bonorum gelassen wird". So sei
1583 in einer Sache aus Stendal,3) 1585 in einer Sache aus
') Ueber ihn, der 1606 — 1630 märkischer Kanzler war, s. Stölzel,
Rechtsverwaltung 1, 283 ff.
2) Ueber ihn, einen Privatmann, s. Landsberg, Gesch. der Deutschen
Rechtswiss., 3. Abth., Noten zum 1. Halbband S. 32.
•) Dieser Nachweis ist der (iarz-Roterschen Decisionensammlung ent-
§ 17. Joachimica. 299
Lenzen1) und vor einigen Jahren in einer Sache aus einer
Mecklenburgischen Hauptstadt erkannt, der auch das jus
Brandenburgense in alten Zeiten als Norm vorgeschrieben
worden. Gerade und Heergewete möchten nach dem alten
Sachsenrechte wohl in Brandenburg gebräuchlich gewesen
sein, doch finde sich keine Spur davon, sie seien abge-
schafft und nur jure retorsionis zulässig; der Schoossfall sei
in Brandenburg, dessen Schöppenstuhl übrigens nicht 13 15
erst gestiftet, sondern nur konfirmirt sei, niemals zur Obser-
vanz gekommen.
Man sieht hier deutlich, wie sehr die erb- und güter-
rechtlichen Verhältnisse im Vordergrund standen, und wie in
ihnen der charakteristische Unterschied des Sachsenrechts
von dem auf der Joachimica beruhenden Rechte gesehen
wurde. Durch den Anfall von Landestheilen an das Kur-
furstenthum Brandenburg und hernach an das Königreich
Preussen, für welche die Joachimica nicht galt, ebenso aber
durch Anfragen aus Gebieten fremder Landesherren kamen
die Brandenburger Schoppen öfter in die Lage, altes, nicht
durch die Joachimica modifizirtes Sachsenrecht anzuwenden.2)
Hätte nicht in kräftiger Weise die landesherrliche Ge-
walt den Schöppenstuhl unter ihre Obhut genommen, so
würde er gleich vielen Schöppenstühlen dem Ansturm der
gelehrten Rechtsprechung erlegen sein. Die Neubelebung
von 1527 bildet eine Parallele zu der Neubelebung, welche
eine Folge der landesherrlichen Privilegirung von 13 15 und
1324 war. Nur ergiebt sich der beachtenswerthe Gegensatz,
dass der Landesherr des 14. Jahrhunderts anerkennt, die
Brandenburger Sprüche seien unanfechtbar („Jura, que sca-
bini . . . dederint, nullus omnino reclamare valeat"), während
der Landesherr des 16. Jahrhunderts so weit in seinen Rechten
nommen mit wöi tl. Citirung der Sachbezeichnung. ÜB. 435. Das beweist,
dass 1741 der Schöppenstuhl die Sammlung benutzt hat.
') Auch dieser Fall ist der Garz - Roterschen Sammlung entlehnt.
ÜB 4 74.
*) Beispiele aus dem Magdeburgischen: 1614 (63 325), 1620 (67 342.
780), 1621 (68614), l648 (78 99)» 1672 (79520), 1733 (81 246), aus Kur-
sachsen: 1669 (81 9), aus Quedlinburg 1745 (96 184).
300 4* Buch. Entwicklung der Organisation.
erstarkt ist, dass er der beschwerten Prozesspartei vorbe-
halten kann, von einem Brandenburger Spruch „an Uns,
Unsere Kammergerichte rechtlicher Weise zu appelliren".
Im Prinzipe steht also der Kurfürst, oder, was nach damaliger
Auffassung dasselbe ist, sein Kammergericht als höhere In-
stanz über dem Schöppenstuhl, thatsächlich indess werden wir
sehen, dass der Kurfürst wie das Kammergericht keineswegs
davor zurückschrecken, sich in Brandenburg Rechtsbelehrung
zu suchen und damit die ihnen obliegende Rechtsprechung
nach ihrem Belieben auf den Schöppenstuhl abzuladen.
Wie sehr für die Beschäftigung des Schöppenstuhls aber
die Ueberweisung der Erbfalle im Jahre 1527 und die schon für
den Beginn des sechzehnten Jahrhunderts als üblich bezeugte
Ueberweisung der Straffalle von massgebender Bedeutung
war, erhellt daraus, dass die grosse Masse der in Branden-
burg verhandelten Sachen in guter- und erbrechtlichen Streitig-
keiten oder in Kriminalfallen besteht; nur ein geringer Theil
beschäftigt sich mit Civilstreitigkeiten aus anderen Rechts-
gebieten. *)
Der Brandenburger Oberhof ist von 1527 an der Ober-
hof der Joachimica geworden.
Das fiel zusammen mit der Zeit, in welcher sich über-
haupt in der Aufgabe der Oberhöfe, soweit sie dem ein-
dringenden fremden Rechte nicht erlagen, eine grosse Um-
wandlung anbahnte. Man fing an, die Rechtsbelehrung nicht
mehr zu suchen, um darüber beschieden zu werden, welches
Recht in dieser oder jener Frage am Sitze des Oberhofs als
dessen Recht gelte, sondern man wollte wissen, was das am
Orte der gestellten Anfrage geltende Landes- oder Reichs-
recht, d. h. das partikulare Territorialrecht oder das subsi-
diäre Kaiserrecht für den konkreten Fall anordne. Früher
lag der Grund zu der Anfrage darin, dass der Anfragende
Belehrung darüber bedurfte, was das Sonderrecht des Ober-
hofs vorschrieb, jetzt lag der Grund darin, dass der Anfra-
gende sich in seinem eigenen Rechte nicht zurechtfinden
') Den Bd. 60 (1621) bezeichnet deshalb eine anscheinend aus dem
19. Jahrhundert herrührende Aufschrift auf dem Rücken des Bandes als
„Inquisitionen und Erbrechtssachen".
§ 18. Auf die Einholung der Rechtsbelehrung bezügl. Anordn. etc. 301
konnte, weil er im Rechte zu wenig „gelehrt" war, um ord-
nungsmäßig Recht zu sprechen.
§18.
Auf die Einholung der Rechtsbelehrung bezügliche
Anordnungen seit der Joachimica.
So wenig es die Folge der markgräflichen Erlasse von
13 15 und 1324 gewesen war, dem Oberhof Magdeburg seine
Wirksamkeit in der Mark abzuschneiden, so wenig war dies
die Folge des kurfürstlichen Erlasses von 1527. Einer Stadt,
wie z. B. Tangermünde, die mit Magdeburg äusserst bequem
vermittels der Wasserstrasse der Elbe verbunden war, konnte
es nicht gleichgültig sein, sich nach dem entfernten, auf
morastigem Landwege schwer zu erreichenden Brandenburg
gewiesen zu sehen. Sie musste danach streben, dass ihr
gegenüber die Joachimica möglichst eng interpretirt werde.
Und sie erreichte das bereits im Jahre 1528. Das Stadt-
buch von Tangermünde enthält eine kurfürstliche Anord-
nung von diesem Jahre, laut deren „die Rechtsbelehrung in
Erb fällen in Brandenburgischen Rechten" (d. h. bei den
Brandenburgischen Gerichten, nämlich beim Schöppenstuhl
beider Städte) „nach Kaiserrecht erholt werden solle, in allen
übrigen Fällen, wie bisher, in Magdeburg". Andere
Städte fanden bereitwilligst in der Landeskonstitution die
kurfürstliche Anordnung, dass „Prälaten, Ritterschaft, Mannen
und Städte nur in Brandenburg Belehrung suchen sollen".
So wenden sich mit Berufung hierauf Richter und Schoppen
zu Stendal, das bis dahin sein Recht in Magdeburg holte,2)
1528 nach Brandenburg (1 58), und der Rath zu Prenzlau,
„obwohl von Alters mit Magdeburgischem Rechte begnadet",
beschied sich 1531 (1264), dass er den mit Bewilligung
der Stände erlassenen kurf. Befehl, der sie „nunmehr
unter Kaiser- und Brandenburgisches Recht stelle", „nicht
zu verändern und nichts dagegen zu sagen wisse".3) Einen
1) Fol. 16 (Besitz der Stadt T.). «
2) Behrend, Ein Stendaler Urtheilsbuch aus dem 14. Jahrhundert.
Berlin 1868.
3) Ein Bürger Salzwedels legt 1552 (4 258) ebenfalls die Joachimica
dahin aus, „dass der Kurfürst Jedermann in seinem Lande, wenn in
302 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
Zuwachs seiner Thätigkeit erhielt der Brandenburger Schöppen-
stuhl, der sich, abweichend von anderen Schöppenstühlen,
bereits vor der Karolina von Strafsachen nicht ferngehalten
hatte, durch die Karolina, als diese (Art. 219) die peinlichen
Gerichte in Zweifelsfallen an ihre Oberhöfe wies, während
andererseits dem Schöppenstuhl durch die bald danach auf-
keimende Konkurrenz der Juristenfakultäten als Spruch-
behörden ein gewisser Eintrag geschah. Die märkischen
Städte begehrten auf dem Landtage von 1 542 l) ausdrücklich,
dass ihnen, „wenn die Parteien ihre zum Urtheil beschlossene
Sache an eine unverdächtige Universität zu schicken
wünschten, solches gnädiglich möge nachgegeben werden4*.
Fehlt auch die Antwort auf dies Gesuch, so lässt doch die
Folgezeit, in der zahlreiche Frankfurter Fakultätssprüche be-
gegnen, keinen Zweifel, dass Joachim II. dem Antrage der
Stände entsprach. Der Antrag bezog sich aber nur auf
Sachen, in denen die Parteien zum Urtheil beschlossen, also
auf Civilsachen.
Seit unter diesem Kurfürsten die Reformation in der Mark
durchgedrungen war, brauchte Magdeburg nicht mehr wegen
seiner Anhänglichkeit an das Lutherthum gemieden zu
werden, aber seinem Schöppenstuhl that es starken Eintrag,
als die Stadt wegen ihrer Weigerung, das Interim anzu-
nehmen, geächtet und von Moritz von Sachsen eingenommen
wurde. Das hatte eine Unthätigkeit des Schöppenstuhls
von 1547 bis 1562 zur Folge.2) Der Abschluss des Traktats,
der über das Schicksal Magdeburgs entscheiden sollte, war
Ende 1550 der Anlass, dass Joachim II. sich Lampert Distel-
Händeln, Geschäften oder Sachen Uneinigkeit entstehe, die
Schoppen in Brandenburg anzugehen verordnet habe11. Desgl. 1557 (6135)
ein Magister in Frankfurt a. O. Die 5 Erbherren des Dorfs Quilitz bei
Lebus reden 1548 (3 594) davon, dass sie „der Landordnung und altem
Gebrauch nach" an die Brandenburger als „dazu von Gott und Gerichts
wegen verordnete Rechtsprecher" gewiesen seien.
l) StA. Rep. ao. C. 1470— 1543 Landschaft-Fragmenta. Zu vergl.
Holtze. Gesch. des Kammergerichts 1, 265.
*) Mgdb. Gesch.Blätter, 30. Jahrg. S. 158 ff. Hertel und Hülsse, Gesch.
der St. Mgdb. 2, 294 ff.
§ 18 Auf die Einholung der Rechtsbelehrung bezügl. Anordn. etc. 303
meier aus Leipzig zu seinem Rath berief. J) Wenige Wochen
nach Distelmeiers Ankunft (Ostern 1551) und offensichtlich
unter seinem Einflüsse erwirkte die seit 1482 märkische Stadt
Krossen ihre Privilegirung, in Leipzig Belehrung zu
holen. Als hätte es nie eine Joachimica gegeben, Hess Distel-
meier dem Kurfürsten sagen, dass diese Stadt „von Alters
zu Sachsen gewidmet und ihre Erholung der Rechten in allen
peinlichen und bürgerlichen Fällen der Succession halben zu
Magdeburg gehabt habe". Weil die Stadt aber „unter-
thänig berichte" — so heisst es weiter — , „dass der Schöppen-
stuhl zu Leipzig mit mehreren Rechtsgelehrten versehen . . .,
so solle aller Fällen, wie sie wären, pein- oder bürgerlich
oder der Succession . . ., „an keinem andern Orte, denn bei
dem Schöppenstuhl zu Leipzig gesprochen . . . werden44.2)
Aehnlich scheint Züllichau und Kotbus privilegirt worden
zu sein. 3) Ob dabei der Umstand mitwirkte, dass ein Leipziger
Spruch halb so viel kostete als ein Brandenburger, 4) mag dahin-
gestellt bleiben. Das Privileg, in Leipzig Belehrung zu holen,
blieb den Städten Krossen, Züllichau und Kotbus dann aus*
drücklich im Landtagsabschied von 161 1 erhalten.5) Wie wenig
streng aber solche Befehle, nur an einem bestimmten Ober-
hof Belehrung zu holen, beobachtet wurden, zeigte sich auch
hier: ausweislich der Brandenburger Akten wandte sich
Krossen in der Zeit von 1554 bis 1740, Kotbus in der Zeit
von 1586 bis 1743 und Züllichau in der Zeit von 1558 bis
1664 mehrfach nach Brandenburg.6) Distelmeier hatte seiner
Vaterstadt, an deren Universität er gebildet war, die Rechts-
sachen aus jenen Städten der Mark zuwenden wollen; für
das Ziel der Joachimica, ein märkisches Territorialrecht unter
dem Einflüsse des Brandenburger Schöppenstuhls zu erhalten,
ging ihm das Verständniss ab. Sogar innerhalb märkischer
*) Stölzel, Rechts verw. 1, 202.
*) Mylius, c. c. m. Bd. VI Abth. 1 No. 30 S. 91.
8) 1592 holen BM. und Rath zu Kalau (bei Kottbus) Belehrung in
einer Diebstahlssache bei den Schoppen zu Leipzig (36 74 ff.).
4) Siehe oben Seite 251.
•) Mylius c c m. VI. Abth. 1 No. 71 S. 210 ff.
*) Siehe die betreff. Aktenstellen im Ortsregister des Hefft ersehen
Repertoriums.
304: 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
Städte selbst war man (1558) nicht völlig klar über das An-
wendungsgebiet der Joachimica; denn damals entstand z. B.
in Wittstock, einer Stadt der Priegnitz, die seit Jahrhunderten
zur Mark gehörte, Zweifel, ob die Joachimica für Wittstocker
Bürger gelte; es wird dies vom Verfasser einer Rechtsfrage
aus Wittstock bejaht, weil der Erbherr von Wittstock, der
Bischof von Havelberg, (auf dem Landtage) in die Konstitu-
tion gewilligt habe (7 65).
Ueberhaupt ist in älterer Zeit die Handhabung der Ge-
setze eine viel laxere als heutzutage. Einen Beleg dafür
haben wir schon früher kennen gelernt, als oben (S. 244) da-
von die Rede war, dass König Sigismund 1415 zwar Wimpfen
an Stelle Gelnhausens zum Oberhof für Mergenthetm er-
klärte, dass gleichwohl aber Mergentheim 1444 in Geln-
hausen, „wo es Urtheil zu holen pflege", um Belehrung
nachsuchte. Darum verschwindet das Holen von Belehrung
in Magdeburg keineswegs ständig in der Mark, wie es auch
vorkommt, dass aus Magdeburg Belehrung in Brandenburg
gesucht und dass in derselben Sache in Magdeburg wie
in Brandenburg angefragt wird, was ja gerade in der
ältesten Sache geschah, die uns aus Brandenburg erhalten
ist, l) endlich aber auch, dass Tangermünder Bürger, wie auch
der Rath von Tangermünde zuwider der Anordnung von
1528 in nichterbrechtlichen Prozessen 1622 (1629) sich in
Brandenburg Belehrung ertheilen lassen.2)
Ein Zeugniss über die Bedeutung des Schöppenstuhls
legt aus seiner Blüthezeit Georg Sabinus ab, der 1556 von
Neuem das Rektorat in Frankfurt bekleidete und daselbst
1560 starb. Er bemerkt in der 1581 zu Frankfurt er-
schienenen Beschreibung seiner Vaterstadt, um sie — aller-
dings mit übertriebenem Localpatriotismus — zu verherr-
lichen: „Est et apud Brandenburgenses celebre iudicium, ad
quod tanquam ad Areopagitarum tribunal e longinquis re-
*) Siehe oben Seite 276.
a) In einem Prozesse, in dem es sich um Evalvation (70 243), in
einem, in dem es sich um Kondiktion handelt, und in einer Strafsache 73
71. 293. 14.
s) Seidel, Bildersammlung, S. 51, 52.
§ i8. Auf die Einholung der Rechtsbelehrung bezügl. Anordn. etc. 305
gionibus deferuntur causae dijudicandae. Qui ius ibi dicunt*
vulgo scabini vocantur, idque ipsum ius nominatur Brande-
burgense.ul) Dabei war von wesentlicher Bedeutung, dass
gewohnheitsmässig oder zufolge einer Anordnung des Kur-
fürsten die peinlichen Sachen des Landes an den Branden-
burger Schöppenstuhl einzusenden waren. Hierüber berichtet
1572 Dr. Jobst aus Frankfurt in seiner Beschreibung des Kur-
fürstenthums2): „Brandenburg ... ist mit einem Schoppen -
Stuel begnadet, da die ganze Mark ihr Recht und Urteil
in peinlichen Sachen holen muss." Darauf, dass ein solcher
Zwang bestand, weist es hin, wenn 1572 (13 198) der Rath
zu Brietzen, nachdem er ein Todesurtheil in Wittenberg
erlangt hat, sich nach Brandenburg wendet, weil ihm „dann
auch der dortigen Schoppen rechtlicher Unterricht von
nöthen" sei. Ein besondrer kurfürstlicher Befehl ist nicht
zu ermitteln gewesen. Da nach der im Jahr 1552 erfolgten
Restaurirung des Schöppenstuhls Kurfürst Johann Georg 1570
vorzugsweis eifrig die Revision des Rechtswesens betrieb3) und
die Universität Frankfurt damals sehr in Abgang gekommen
war, so würde man wohl den kurfürstlichen Erlass, wenn er
existirt hat, in die Zeit zwischen 1552 und 1572 verlegen
dürfen. Jedenfalls galt für die Mark schon im sechzehnten
Jahrhundert der Rechtssatz, dass jedes Todesurtheil, wie
jedes Urtheil auf Zulassung der Folter von Brandenburg aus-
zugehen habe. Dem entsprechend bekundete 1564 der Stifts-
dechant zu Havelberg in dem vom Reichsfiscal gegen den Kur-
fürsten von Brandenburg, sowie gegen die Bischöfe daselbst,
zu Havelberg und Lebus wegen ihrer angeblichen Eigen-
schaft als Reichsstände angestrengten Prozesse als seine
Erfahrung,4) peinliches Gericht sei im Lande nach Erlernung
1) S. oben S. 37. Beispiele, dass noch bis zum Schlüsse des 16.
Jahrh. Sprüche „Brandenburgischen Rechtes4* erbeten werden, finden sich
1566 (10 248), 1580 (ai 549), 1595 (36 457).
*) Collectio opusculorum historiam marchicam illustrantium, 6. u. 7.
Stück, Berlin 1730: Ein kurzer Aufszug und Beschreibung des gantzen
Churfurstenthumbs der Mark zu Brandenburg durch Wolffgangum Jobsten
D., Frankfurt a. O. 1572, S. 119.
3) Stolze!, Rechtsverw. 1,220 ff.
*) v. Raumer in den Märkischen Forschungen, Bd. 1 S. 48.
S t ö 1 z e 1, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. L 20
306 4 Buch. Entwicklung der Organisation.
der Schoppen zu Brandenburg gehalten; vom kaiser-
lichen Regal des Blutbanns wisse er nichts.
So konnte etwa zwanzig Jahre nach Sabinus der Historio-
graph Leutinger (f 1612) im Brandenburger Schöppenstuhl
das „quasi-parlamentum Marchiaeu sehen, „ad quod dubii
casus omnes et judicia capitalia, de quibus ex jure
Brandenburgico, quod legibus caesareis inhaeret, solenniter
pronunciatur, perpetuo referuntur". Zu den casus omnes,
d. h. zu den Civilsachen, waren ganz allgemein die Kapital-
sachen, in denen ja auch schon früher Brandenburger Be-
lehrung geholt wurde, l) gekommen: kein Todesurtheil konnte
in der Mark anderswo gesprochen werden, als in Branden-
burg. Wie seit 1527 in Civilsachen der Brandenburger
Schöppenstuhl als Centraloberhof der Mark wirkte, so auch
in Kriminalsachen. Damit erreichte er gegen den Schluss
des sechzehnten Jahrhunderts den Höhepunkt seines Ansehens.
Es ist nicht ohne Interesse, hier heranzuziehen, was man
beispielsweise aus dem Kopiarium des benachbarten Stettiner
Schöppenstuhls (s. oben S. 31) entnehmen kann. Wie der
Brandenburger Schöppenstuhl der Oberhof des Kurfursten-
thums Brandenburg, so war Stettin der Oberhof für den
Pommern-Stettinschen, östlich der Oder gelegenen Theil des
Herzogthums Pommern. Was jener im Grösseren, hatte dieser
im Kleineren zu leisten, und die Blüthezeit beider, wie viel-
leicht mancher andern Oberhöfe, waren die 1590er Jahre.
Der Geschäftsbereich des Stettiner Oberhofs innerhalb der
Jahre 1590 bis 1596 umfasste das gesammte Herzogthum
Pommern- Stettin.2) Besonders war er von den Aemtern in
') Siehe oben Seite 279. 285. Die Stadt Prenzlau er bittet 153«
(ÜB. 1 126) Auskunft Ober die Brandenburger Praxis „in peinlichen Sachen*.
Ein Angeschuldigter, dessen Ankläger sich in Wittenberg belehren lassen
wollen, verlangt 1539 „nach Brandenburgischem Rechte gerichtet zu werden*
(Burckhardt, H. Kohlhase. Leipzig 1864 S. 52). Eine Zauberin wird 1555
(ÜB. 131 1) „nach Brandenburger Urtheil und Recht verhört". Überhaupt
nehmen seit 1529 die Kriminalsachen in den Schöppenstuhlsacten einen
erheblichen Raum ein.
*) Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass auch in Stargard
ein Schöppenstuhl existirte. Vermuthlich hing dieser mit der im Jahre
1295 erfolgten Theilung der Pommerschen Lande, die fast zwei Jahr-
§ 18. Auf die Einholung der Rechtsbelehrung bezügl. Anordn. etc. 307
Anspruch genommen. Auch der Landesherr suchte dort
Rechtsbelehrung. Das Hauptkontingent der Anfragenden
stellten dem Charakter des Landes entsprechend die Erb-
sessen als Gerichtsherren. Aus dem Herzogthum Pommern-
Wolgast ergehen Anfragen von Anklam, Boltenhagen, Ucker-
münde, Usedom, aus der Neumark von Arnswalde, Berkenow,
Dolgen, Freienwalde, Meseritz, Reppen, Schönfliess, Schivel-
bein, Semerow, aus der Ukermark von Kleptow. Ueber
die Grenzen des Herzogthums hinaus erstreckte sich die
Thätigkeit des Schöppenstuhls in ganz geringem Maasse, und
zwar lediglich auf einige Orte der nächsten vorpommerschen,
neumärkischen und ukermärkischen Nachbarschaft. Mit Regel-
mässigkeit wandten sich nur die geographisch zu Pommern
gehörigen Theile der Neumark ihm zu. Ebenso wie der
Brandenburger Schöppenstuhl stellt sich der Stettiner als
ein vom Landesherrn begünstigter Territorialschöppenstuhl
<iar, dessen Thätigkeit sich im Wesentlichen auf das landes-
herrliche Gebiet beschränkte. Die Anzahl der vom Stettiner
Schöppenstuhl ertheilten Rechtsbelehrungen betraf im Jahre
1591 124, im Jahre 1592 127, im Jahre 1593 156 und im Jahre
1594 bis zum 10. September 70 Sachen. Die Brandenburger
Schöppenstuhlsakten enthalten 270 Fälle aus dem Jahre 1591,
256 Fälle aus dem Jahre 1592 und 130 Fälle aus dem Jahre
1593. Aus dem letzteren Jahre fehlt offenbar eine erhebliche
Anzahl. Einigermassen vollständig dürften die Akten aus den
beiden vorhergehenden Jahren sein. Aber diese repräsen-
tiren nur den Altstädter Aktenbestand; deshalb ist anzu-
nehmen, dass im Jahre 1591 etwa 540, im Jahre 1592 etwa
500 Sachen vom Brandenburger Schöppenstuhl erledigt sind.
Hieraus ergiebt sich, dass das Arbeitspensum dort drei bis
hunderte bestand, zusammen. Pommern -Wolgast erhielt die Lande nördlich
der Peene (in Vorpommern) und der Ihna (in Hinterpommern), Pommern-
Stettin die Gebietstheile südlich beider Flösse. Stargard gehörte zu dem
an Pommern -Wol gast gefallenen Theil von Hinterpommern. Vielleicht
schuf der Fürst damals in dieser Stadt den Schöppenstuhl, um seine Hinter-
pommerschen Lande von Stettin fern zu halten, ein Beweggrund, welcher
zur Gründung so mancher Territorialschöppenstühle (z. B. in der Neustadt
Brandenburg, in Wittenberg) geführt hat. Am Ende des 16. Jahrhunderts
hatte Stargard anscheinend neben Stettin seine Bedeutung verloren.
20*
3()8 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
vier mal so gross war als bei dem Stettiner Schöppenstuhl.
Das Herzogthum Hinterpommern umfasste nicht die Hälfte
des Flächeninhalts, den das Kurfürstenthum Brandenburg-
einnahm, und man wird ferner nicht fehl gehen, wenn maxi
die Bevölkerungsdichtigkeit in Pommern erheblich geringer
annimmt als diejenige der Mark. Zieht man dies in Betracht,
so ist zu folgern, dass in Brandenburg und Stettin der Um-
fang der Spruchthätigkeit im Verhältniss zur Einwohnerzahl
des Geltungsgebiets ungefähr gleich war.
Dieselbe Gleichmässigkeit tritt zu Tage, wenn man die
Materien, auf welche sich die Spruchthätigkeit in Branden-
burg und Stettin bezog, neben einander stellt. In Branden-
burg waren im Jahre 1593 von 130 Fällen 83 strafrechtlich,
47 civilrechtlich. Von den strafrechtlichen betrafen 28 Fälle
Diebstähle, 10 Zauberei, 9 Mord und Todtschlag, ebensoviel
Unzucht und Ehebruch, 8 Injurien, 3 Kindermord, je 2 Ge-
walt, Unterschlagung, Branddrohung, Amtsvergehen, Befeh-
dung und Bedrohung. Unter den Civilsachen nahmen die
Erbfalle mit 3 1 den grössten Raum ein, ein Fall betraf einen
verschuldeten Nachlass, die übrigen verschiedene Rechts-
streitigkeiten. In demselben Jahre waren in Stettin von
156 Fällen 118 strafrechtlicher, die übrigen civilrechtlicher
Natur. Unter den Straffällen nahmen auch hier die Dieb-
stähle (25) den grössten Raum ein. An zweiter Stelle stehen
die Zaubereisachen (18); 14 Fälle betrafen Mord und Todt-
schlag, 9 Unzucht und Ehebruch, ebensoviel Brandstiftung.
Es reihen sich 7 Fälle von Injurien an, 3 Fälle betrafen
Gewalt, 2 Befehdung, je einer Bigamie, Raub, Kindermord,
Leichenberaubung, Sodomie u. s. w. Eine Anzahl Sachen
sind nicht zu bestimmen. Unter den Civilsachen betrafen
7 Erbfalle, die übrigen verschiedene Streitigkeiten. Es be-
stätigt dies die obige Annahme, dass das Ueberwiegen der
Erbfalle in Brandenburg mit dem Erlasse der Joachimica
zusammenhängt. Im Uebrigen aber zeigt sich auch in Bezug
auf die zur Kognition gekommenen Fälle eine unverkennbare
Uebereinstimmung, so dass es berechtigt ist, aus den Branden-
burger Akten Schlüsse allgemeinerer Natur zu ziehen. Dafür
sprechen auch die Konzeptbücher des Schöppenstuhls zu
§ i8. Auf die Einholung der Rechtsbelehrung bezugl Anordn. etc. 301)
Leipzig, nach denen dieser Schöppenstuhl wesentlich der
Territorialschöppenstuhl für Sachsen und Thüringen war und
ein ähnliches Verfahren einhielt wie einerseits der Stettiner,
andererseits der Brandenburger Schöppenstuhl. Man darf
annehmen, dass die Verhältnisse in den verschiedenen Ter-
ritorien trotz der Zersplitterung des Reiches im Allgemeinen
dieselben waren, und dass daher die genaue Kenntniss eines
Schöppenstuhls Licht über das gesammte Rechtsbelehrungs-
wesen verbreitet.
Zu einer Herabminderung der Bedeutung Brandenburgs
führte zunächst der Landtagsabschied von 1611,1) der aner-
kannte, dass „auch nunmehr in peinlichen Sachen bei der
Juristenfakultät zu Frankfurt ebensowohl als von dem Schöp-
penstuhl zu Brandenburg geurtheilt und gesprochen werden
solle. u Frankfurt hatte im März 1606 mit vielem Pompe sein
hundertjähriges Universitätsjubiläum gefeiert und von da an
einen neuen Aufschwung genommen. In den damals festge-
stellten Statuten der juristischen Fakultät wurde anerkannt,2)
dass die Facultät in allen Civilsachen die potestas pronunciandi
habe, dass sie aber „in criminalibus, quae poenam sanguinis
et corporis äff lictivam ingerunt, exemta erit, uti huc usque
receptum et observatum fuit." In der Fakultät regte
sich indess das Bestreben, doch möglichst — um ihr Ansehen
und ihr Einkommen zu erhöhen — auch die Rechtsbelehrung
in Strafsachen an sich zu ziehen. Sie griff zu einem ähnlich
rabulistischen Mittel, wie einst der Magdeburger Schöppen-
stuhl, als er sich die Rechtsbelehrung nach Orten hin sichern
wollte, deren Landesherren verboten hatten, den Magde-
burger Schöppenstuhl anzugehen. Denn laut der Magdeburger
Fragen3) werden die dortigen Schoppen ermächtigt, den
Untersassen derjenigen geistlichen oder weltlichen Herren,
') Mylius c. c. m. VI. i No. 71 Sp. 210 ff.
-) Kaufmann, Bauch und Reh, Akten und Urk. der Univ. Fr. 3. Heft.
1900. S. 53, 54.
8) Behrend, Magdeb. Fr. dist. 3 auf S. 23: „Wolde ouch keyn herre
geistlich odir weltlich synen undirsessen dirlouben, das sy uwer stadrecht
mete gebruchen wolden, den moget ir ouch uwer recht mete teilen. Abir
ane der herren wille, under den ire stete gelegin sint, moget ir nicht or-
teil mete teilen."
310 4« Buch. Entwicklung der Organisation.
welche nicht erlauben wollen, dass sie „das Magdeburger Recht
mitgebrauchen u, doch „ihr Recht mitzutheilen", nur sollen sie
ohne jener Herren Willen Urtheile nicht mittheilen; also
Gutachten abzugeben, deren Einholung das gericht^herrliche
Verbot nicht ergriff, zu erbitten, blieb den Schoppen
unverwehrt. Deshalb verwiesen ja auch im fünfzehnten Jahr-
hundert die Leipziger Schoppen, die sich der Strafrechts-
pflege enthielten, das Zwickauer Gericht darauf,1) sich bei
ihnen in der übersandten Strafsache ein „Bedenken41 zu er-
bitten. Die Frankfurter Statuten interpretirten in ähnlicher
Weise das Gebot, nach welchem sich die Fakultät in Straf-
sachen, „die eine Blut- oder Leibesstrafe mit sich fuhren",
der Rechtsprechung enthalten sollte, dahin, dass die Fakultät
in übersandten Strafsachen dann sprechen dürfe, i. wenn
„absolutoria a poena mortis vel a tortura ferri vel mulcta
aliqua pecuniaria vel relegatio imponi possit, und 2.,
wenn sie nicht als Fakultät spräche, sondern der Mehr-
heit ihrer Mitglieder es überliesse, „sententiam nomine fa-
cultatis concipere". Mit dieser Spitzfindigkeit schaffte
sich die Fakultät überhaupt die Kompetenz, in peinlichen
Sachen Recht zu sprechen: gelangte sie, wenn Strafsachen
übersandt wurden, zu einer Freisprechung oder zu einer
Geldstrafe oder zur Strafe der Landesverweisung, so er-
achtete sie sich ohne Weiteres für zuständig, gelangte ihre
Majorität zur Todes- oder Leibesstrafe, so überliess sie dieser
Majorität, ihr Responsum „Namens der Fakultät" abzu-
fassen. Der Kurfürst stand noch zu derselben Zeit auf einem
andern Standpunkte; denn in seinem gegen das „ungescheut
sich wieder kundgebende Fehden, Mordbrennen und Brand-
Stiften" erlassenen Edikte vom Juli 16062) kennt er nur den
Schöppenstuhl zu Brandenburg als diejenige Behörde, welche
„auf alle und jede solche zutragende Fälle zu ur-
theilen schuldig sei.u Die Fakultät hatte aber glänzenden
Erfolg mit ihrem Vorgehen. Bereits aus dem Jahre 1607
(55 2(J) liegt ein Spruch vor, in welchem sie ein auf die
Tortur lautendes Brandenburger Urtheil für „wohlgesprochen*
') Siehe oben Seite 250.
*) Pape, Joachimi Srheplitz consuetudincs brand. Berlin 1744 S. 482.
§ 18. Auf die Einholung der Rechtsbelehrung bezügl. Anordn. etc. 31 l
erklärte, also auf die Tortur erkannte, und 1609 (61 728)
sprach die Fakultät aus, dass ein Meineidiger durch Ab-
hauung der Schwurfinger zu bestrafen sei. l) So bereitete sich
der Landtagsabschied von 1611 vor, der die Fakultät auch
in peinlichen Sachen dem Brandenburger Schöppenstuhl
gleichstellte. Der letztere empfand bereits 1609 die Kon-
kurrenz der Universitäten so sehr, dass er unter seinen beim
Kurfürsten damals angebrachten Beschwerden hervorhob,2)
es sei ausser Gewohnheit gekommen, sich beim Schöppen-
stuhl Recht zu holen, statt dessen wende man sich nach
Frankfurt, Rostock und Helmstädt. Wie übertrieben aber
diese Beschwerde war, ergiebt die Uebersicht der Branden-
burger Schöppenstuhlsakten ; danach gehörten die Zahlen der
gerade aus den Jahren 1608 und 1609 erhaltenen Akten zu
den höchsten, die sich überhaupt finden.3)
Auch nach dem Landtagsabschied von 161 1 ist keine
erhebliche Abnahme im Verhältniss zu den Jahrzehnten vorher
bemerkbar, bis der grosse Krieg seinen Einfluss äusserte. Dem
Niedergange in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhun-
derts that die neue Kammergerichtsordnung von 1709 da-
durch keinen Einhalt, dass sie (Tit. 47 § 8) bestimmte, das
Kammergericht könne auch ohne Provokation der Parteien
„aus bewegenden Ursachen44 seinerseits die Aktentransmission
jeder Zeit veranlassen. Deshalb änderte sich die Lage des
Schöppenstuhls auch nur wenig, als in Nachahmung der
Magdeburger Prozessordnung von 17 14, die vor Einleitung
jeder Spezialuntersuchung auswärtige Belehrung einzuholen
befahl, die Kriminalordnung vom 8. Juli 17 174) den anschei-
nend in Vergessenheit gerathenen früheren Rechtszustand5)
l) Wenn 1593 (4a 196) der Rath zu Angermünde sich einen Spruch
bei der Fr. Fakultät holt, wonach ein Beleidiger mit vier Wochen bürgerl.
Gef. zu bestrafen sei, so war dies keine peinliche Sache. Vgl. Mitter-
maier-Feuerbach, Lehrb. des peinl. R. 14. Aufl. 1847 §§ 495, 496.
a) Zimmermann, Entw. der mark. Stadtverfassungen. 3. Bd. 1837. S. 186.
3) Die Höchstzahl ist 315 für 1587 und 314 für 1583; seit 1587 bis
1609 ist die in 1608 und 1609 erreichte Zahl 243 nur dreimal übertroffen
(i59ii i59»i 1599)-
4) Mylius c. c. m. II. Abth. 3 Sp. 95 (Kap. 8 § 14).
5) Siehe oben Seite 305.
312 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
wieder ins Leben rief und den Gerichtsobrigkeiten das Recht
aberkannte, „in peinlichen Sachen, worinnen inquisitorie zu
verfahren, selbst zu sprechen", mit dem Befehle, „acta
durchgehends zu einem unparteiischen Richter zum Spruch
zu versenden, u auch vor Anwendung der Folter ebenfalls
einen unparteischen Spruch einzuholen.1) Durch diese Mass-
nahmen hätte dem Brandenburger Schöppenstuhl eine erheb-
liche Mehrarbeit erwachsen müssen, wenn nicht ein Theil seiner
Funktion auf das Kriminalkolleg übergegangen wäre, da
an dasselbe ebenso, wie bisher an die Brandenburger, die
Aktentransmission gestattet wurde;2) denn die Deklaration
vom 29. April 17203) verbot in Kriminalsachen jede Versen-
dung ausser Landes zu Gunsten der inländischen „Juristen-
fakultäten und Schöppenstühle oder des (Berliner) Kriminal-
kollegs". Eine Erleichterung der Akten Versendung inner-
halb des Landes brachte dann die Verordnung vom 30. De-
zember 1720,4) die bestimmte, dass die Post zur Vermitte-
lung des Transportes benutzt werden solle, und die zugleich
der Ordnung halber ein Register der versendenden Behörde
über die versandten Akten, sowie ein Formular für die
anzuwendenden Missiven einführte, damit nicht dem Ersuchen
um Belehrungsurtheile unstatthafte, den Schöppenstuhl oder
die Fakultät beeinflussende Zusätze angehängt würden.
Dem schloss sich weiter das Edikt vom 17. Februar 17235)
an, das die Akten Versendung fernerhin den Gerichten erster
Instanz verbot. In der Begründung wird hervorgehoben, die
Aktenversendung bezwecke zwar, den Parteien, die wider
einen oder den anderen Richter Verdacht hätten, eine un-
parteiische Justiz zu verschaffen, sie werde aber zur Ver-
schleifung der Sachen missbraucht und stelle öfter da, wo
Landesgesetze und Gewohnheiten in Betracht kämen, bei
auswärtigen Sprüchen die Entscheidung auf nicht geringen
') Kap. 4 § 15, Kap. 9 § 1. Stolzel, Kechtsw. .2, 73.
3) Einen im J. 1735 durch die Regierung zu Cleve an das Berliner
Krim. Kolleg eingesandten Strafifall s. 88 307.
3) Mylius c. c. m. II. Abth. 3. Sp. 121.
*) Mylius c. c. m. 11. Abth. 1. Sp. 709.
•"') Mylius c. c. m. II Abth. 1 Sp. 729 ff.
§ i8. Auf die Einholung der Kechtsbelehrung beziigl. Anordn. etc. Ö13
„ Hasard". Deshalb wird zugleich die vornehmliche Berück-
sichtigung der inländischen Fakultäten und Schöppenstühle
empfohlen. Die Folge des Edikts war, dass dadurch die
Fakultäten und Schöppenstühle zum Range zweitinstanzlicher
Gerichte aufstiegen, aber eine ähnliche Einbusse ihrer Inan-
spruchnahme zu gewärtigen hatten, wie einst der Magde-
burger Schöppenstuhl, als die umliegenden fremden Landes-
herren die Rechtsstellung ausser Landes durch Gesetz aus-
schlössen. Beispiele, dass auf Grund des Edikts von 1723
in Brandenburg die von Gerichten erster Instanz erbetene
Belehrung abgelehnt wurde, finden sich aus den Jahren 1727
(84461. 463. 509. 528), 1728 (8542. 75). Zuweilen kehrte
sich der Schöppenstuhl aber nicht an das Edikt1). Dann
ahmten auch die Brandenburger, um sich vor der Schädigung
zu bewahren, die ihnen % das Verbot von 1723 brachte, das
Beispiel nach, das in alter Zeit die Magdeburger, in neuerer
Zeit die Frankfurter gegeben hatten2): sie umgingen das
Verbot, indem sie sich bereit erklärten, statt eines zu fällen-
den Urtheils ein rechtliches Gutachten .auch vor gefällter
erstinstanzlicher Entscheidung zu geben.
Auf der von 171 7 an in Preussen betretenen Bahn, die
Aktenversendung einzuschränken, schritt König Friedrich
Wilhelm I. weiter, indem er 1732 befahl,8) alle Inquisitions-
sachen künftig „direkt an die Regierungen", und nicht „wie
bisher an entfernte Fakultäten und Schöppenstühle" gelangen
zu lassen.
Das Verbot der Aktenversendung durch erstinstanzliche
Richter bewährte sich aber, theils weil die Einzelrichter sich
ihrer Aufgabe als nicht gewachsen erwiesen, theils weil sie
vielfach „wegen naher Freundschaft, offenbarer Feindschaft
oder anderen Ursachen*4 perhorrescirt wurden, so wenig, dass
*) In Betreff einer Anfrage der Amtskammer zu Schwedt in der Ucker-
mark wirft 1726 (iiesecke die Frage auf, oh nicht zunächst nach dem Kgl.
Edikt die Kammer selbst hätte sprechen sollen (84 152 ff.). Der Schöppen-
stuhl geht aber über die Frage hinweg; 1727 (84 468) wird in einem
gleichen Falle die Frage gar nicht angeregt. Aehnlich 1 728 (85 54).
2) Siehe oben S. 309.
8) Allg. Ordn. und Dekl. v. 12. Juli. Mylius II Abth. 3 S. 161.
3 1 -4 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
es 1736 für die nur mit Einzelrichtern ohne Beisitzer be-
setzten Gerichte aufgehoben werden musste.1) Dabei sollte
jeder Partei frei bleiben, „von den sieben in unseren (den
preussischen) Reichslanden befindlichen Universitäten und
Schöppenstühlen wider ein Kollegium zu excipiren". Mit
den sieben Kollegien werden ausser Brandenburg die vier
Schöppenstühle zu Halle, Stettin, Minden und Stargard, sowie
die Universitäten Frankfurt und Halle gemeint sein.2)
Um die Klagen wegen Saumseligkeit der Universitäten
und der Schöppenstühle abzuschneiden, bestimmte unterm
19. Dezember 17383) der König, dass bei 50 Thaler Strafe
in Kriminalsachen binnen vier Wochen, sonst binnen sechs
Wochen, in höchst wichtigen Sachen aber binnen acht
Wochen das Urtheil zurückzubefördern sei.
Eine Folge des Edikts von 1723 und der Deklaration
von 1736 war, dass zwischen jenen Jahren der Branden-
burger Schöppenstuhl eine zweite Blüthezeit erlebte, die
freilich lange nicht den Höhepunkt der ersten Blüthezeit er-
reichte.
Friedrich der Grosse setzte aber der Aktenversendung
durch preussische Gerichte überhaupt ein Ende.4) Bereits
mehrfach hatte er an Sprüchen ausländischer Fakultäten
Anstoss genommen, die ohne genügende Berücksichtigung
des Landesrechtes Erkenntnisse preussischer Gerichte besei-
tigten. Er hatte sich, ehe die Order vom 20. Juni 1746
erging,5) anscheinend aus eigener Initiative, entschlossen,
seinen Gerichten die Aktenversendung allgemein zu ver-
l) Mylius c. c. m. II Abth. 1 Sp. 837 ff.
-) Kolberg, wo des bekannten Johann Brunnemann Neffe, Jacob Br.,
von 1704 bis 1735 Direktor des Schöppenstuhls war, scheint schon 1736
unbeachtet geblieben zu sein. Aus Stargard existirt im Berliner StA.
R. 49 L. ein Spruch von „Direktor und Assessores des Kgl. Preuss. Hinter-
pomm ersehen Schöppenstuhls"1. Sonstiges Material fehlt. Ebenso alles
Material bezuglich Mindens. Auch die Akten der Frankfurter Fakultät sind
nicht mehr vorhanden. Die der Halleschen Fakultät konnten, da sie erst
von 1694 beginnen, unberücksichtigt bleiben.
*) Mylius c. cm. 1. conti n. Sp. 227.
*) Stölzel, Rechtsverwaltung 2, 165. 168. 173.
•,') Mylius c. c. m. 3. contin. Sp. 75.
§ 18. Auf die Einholung der Rechtsbelehrunjr bezügl. Anordn. etc. 315
bieten. Denn in dem „unvorgreiflichen Plan wegen Ver-
besserung der Justiz14, den Cocceji unterm 9. Mai 1746 dem
Könige eingereicht hatte,1) hiess es: „Die Verschickung derer
Akten ausser Landes haben S. Kön. Maj. schon aufgehoben,
welches eine höchstnöthige und nützliche Verordnung
istu. Dann erging — ohne Gegenzeichnung eines Ministers —
von Potsdam aus unterm 20. Juui 1746 die Order „an das
gesammte Etatsrathskollegium zu Berlin", dass den „Justiz-
kollegiis, Konsistoriis und Gerichten" die Verschickung der
Akten „an inländische Fakultäten und Schöppenstühle so-
wohl als an ausländische für das Künftige gänzlich verboten
sei"; ihre allgemeine Bekanntmachung erfolgte unter dem
1. Juli 1746. Der Zweck des Königs bei seinem Verbote
war zu verhüten, dass „die Prozesse weitläufig und kostbar
gemacht, auch dass gottlos interessirte und korrumpirte
Richter ihre unerlaubten Ränke und Verkaufung der Justiz
frech und ungescheut exerziren"; denn, so bemerkte der
König erläuternd in seiner Dissertation sur les raisons d'eta-
blir ou abroger les lois, ein Kläger würde grosses Unglück
im Spiele haben, wenn er nicht in fünf Tribunalen und wie-
viel Universitäten käufliche Seelen fände.
Damit war der Brandenburger Schöppenstuhl als Spruch-
behörde in Sachen, die bei Gericht schwebten, ausser Wirk-
samkeit gesetzt. Dessenungeachtet blieb für ihn noch sechzig
Jahre lang die Möglichkeit, in äusserst beschränktem Maasse
thätig zu sein. Das Verbot von 1746 erstreckte sich weder
auf die durch Reglement vom 19. Juni 1749 den Kammern2)
überwiesenen, mit öffentlich-rechtlichen Fragen zusammenhän-
genden Rechtssachen, noch auf die beim Generalauditoriat
zu verhandelnden Strafsachen; selbstverständlich Hess auch
das Verbot von 1746 die nichtpreussischen gerichtlichen
Sachen unberührt. So kam es, dass — allerdings sehr ver-
einzelt — auch nach 1746 in Brandenburg Belehrung geholt
wurde.
') v. Kamptz, Jahrb. Bd. 59 S. 77, 85.
*) Siehe § 25.
316 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
§19.
Wahl und Bestellung der Schoppen.
I.
Ist die Annahme richtig, dass jede der beiden Städte
ursprünglich ihre Rechtspflege durch ihre zwölf Rathmannen
als Schoppen ausüben Hess und erst im Anfang des fünf-
zehnten Jahrhunderts dazu überging, sich mit einem Fünfer-
ausschuss der Rathmannen für die Ausübung der Schöppen-
thätigkeit zu begnügen,1) so heisst das nichts Anderes, als
dass allmählich dem gesteigerten Bedürfniss entsprechend
die Verwaltung der Rechtspflege als Sonderthätigkeit von
der allgemeinen Stadtverwaltung ausgeschieden wurde.
Die Wahl der Schoppen aus den Rathmannen stand den
Schoppen selbst zu. Die Schoppen cooptirten sich; die
Gewählten zu bestätigen, war Sache des Landesherrn. Des-
halb ist es erklärlich, dass wir nur sehr vereinzelt Schoppen
kennen gelernt haben, die nicht zugleich Rathmänner waren,
und dass noch 1747 geltend gemacht wird, das Amt, im
Schöppenstuhl zu sitzen, sei ein Vorrecht der Mitglieder des
Magistrats (s. S. 322). Da der Rath es war, der den Landes-
herrn um Bestätigung der Schöppenwahl anging, — das er-
giebt für Brandenburg wenigstens der älteste der vorhandenen
Berichte2) aus dem Jahre 1559 — , so setzte das voraus, dass
der Rath die von den Schoppen vollzogene Kooptation
billigte. Ein Streit des Frankfurter Rathes mit seinen
Schoppen aus dem Jahre 15333) lehrt weiter, dass diese
Billigung der Schöppenwahl durch den Rath auch als ein
Bestätigungsrecht des Rathes aufgefasst wurde; denn es Hess
damals der Kurfürst einen Streit des Rathes und der Schoppen
zu Frankfurt über die Schöppenwahl durch seine Räthe dahin
entscheiden, dass die Schoppen selbst bei eintretender Vakanz
neue Schoppen wählen und dem Rathe anzeigen sollen, da-
mit der Rath sie „wie von Alters bestätige* oder, wenn er
Bedenken habe, andere wählen lasse; nur wenn Rath und
1) Siehe oben Seite 267.
2) StA. R. 21 N. qc. Die Berichte sind sehr lückenhaft; es folgen
nur die Jahre 1582, 161 7, 1620, 1650, 165 1, 1657, 1660 etc.
3) Riedel c. d. 1, 23, 448.
§ 19- Wahl und Bestellung der Schoppen. 317
Schoppen sich nicht vereinigen könnten, möchten sie den
Bescheid des Kurfürsten oder seiner Räthe gewarten.
Brandenburg gegenüber hatte sich die landesherrliche
Gewalt stärker entwickelt, da der Rath sich an den Kur-
fürsten um Bestätigung der Schöppenwahl wandte, auch
wenn zwischen Rath und Schoppen keine Meinungsverschieden-
heit herrschte. Aber in den Augen des Kurfürsten war es
1559 der Rath, der über die Schöppenwahl entschied; denn
das betreffende Gesuch des Rathes um die Bestätigung
hat in der kurfürstlichen Kanzlei die Aufschrift erhalten:
„Rath der Altenstadt Brandenburg haben Marcus Meynicken
zum schepfen gemacht." Allmählich erwuchs indess das
Schöppenkolleg jeder Stadt zu solcher Unabhängigkeit vom
Rathe, dass es für sich selbständig mit Uebergehung
des Rathes die erfolgte Schöppenwahl dem Kurfürsten
anzeigte und um dessen Bestätigung bat, wie sie „nach
ihren Privilegien müssten"; die Bitte geht dahin, den neu-
gewählten Schoppen „zum Schöppenstuhl und dann
zum Schoppen der Neustadt Brandenburg zu konfirmiren".
Ein derartiges Gesuch liegt aus dem Jahre 1582 vor. Der
Schöppenstuhl war also den Bittstellern die Hauptsache, erst
in zweiter Linie kam ihnen ihr Stadtgericht. Das nächst-
folgende der vorhandenen Bestätigungsgesuche geht 161 7
wieder von den Schoppen der Neustadt aus und redet von
drei Stellen, „die im Schöppenstuhl ledig geworden4*
seien; das Stadtgericht ist nicht erwähnt und die Siegelung
ist mit dem Schöppensiegel beider Städte bewirkt, d. h.
die neustädter Schoppen für sich suchen um die Bestätigung
nach, weil in ihrem Schöppenkolleg die Lücken entstanden
sind, sie handeln aber damit im Interesse des Schöppenstuhls
beider Städte und schreiben deshalb unter des Schöppen-
stuhls Siegel.1) Die altstädter Schoppen hingegen bitten
') Etwas später (im Jahre 1619) beanspruchten die Neustädter dem
Kurfürsten gegenüber das Recht der freien Kathswahl. Der Kurfürst er-
klärt dies Recht für ein oberstes Regal, „wie bei der Schöppenwahl"; die
Befreiung müsse nachgewiesen werden, sie ergebe sich aber nicht aus der
früheren Gewohnheit der Unterlassung; die Gewohnheit bewirke nur bei dem
crimen laesae majestatis die Verjährung. R. 21 n. 9 b StA., Jahresbericht
des historischen Vereins zu Brandenburg 1894 S. 58.
318 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
1620 und 1622 um Bestätigung einiger von ihnen gewählten
Schoppen zu „Schoppen der alten Stadt Brandenburg" ,
bemerken dabei jedoch, dass solches „zur Erhaltung Seiner
churf. Durchl. Schöppenstuhls gereiche". Die Bestäti-
gung erfolgt zu „Scheppen an dem churfürstlichen
Scheppenstuhlu. Zwar bitten dann noch in den Jahren
1650, 1651, 1657 und 1660 die Schoppen derjenigen Stadt,
unter deren Schoppen eine Vakanz eingetreten ist, um Be-
stätigung der gewählten Nachfolger, die Antwort geht aber
auch hier stets an die Schoppen beider Städte zum
Zeichen, dass es sich nicht mehr um Stadtgerichts-Schöppen
(die aufgehört hatten, zu existiren), sondern nur um Schöppen-
stuhls-Assessoren handelte, bis von 1665 ab die Bestätigungs-
gesuche vom gesammten Schöppenstuhl statt von den
Schoppen der Einzelstadt ausgehen: der Schöppenstuhl war
zu einem einheitlichen Kolleg geworden (s. oben S. 78).
Als Durchgangsstufe zum Schöppenamt hat sich uns das
Schöppenschreiberamt ergeben. Wer Schöppenschreiber war,
hatte damit eine gewisse Anwartschaft auf das Schöppenamt.
Den Schöppenschreiber stellte in Brandenburg ursprüng-
lich der Rath, später der Schöppenstuhl an; von einer Be-.
stätigung des Landesherrn findet sich dabei keine Spur, ob-
wohl für Berlin-Cöln Bürgermeister und Rathmannen 1442 in
der Kanzlei des Markgrafen bekennen,1) dass „die Herrschaft
allzeit Macht hat, Gerichtsschreiber zu setzen und entsetzen*4.
Lag aber in Brandenburg die Anstellung des Schöppen-
schreibers völlig in der Hand der Schoppen, so war ihnen
damit von vornherein ein starker Einfluss auch auf die An-
stellung der Schoppen eingeräumt.
Das Schöppenamt erklärt Brunner von Haus aus für ein
lebenslängliches.2) So tritt es uns auch in Brandenburg
entgegen. Die lebenslängliche Dauer entsprach mehr der
Natur der Sache, als ein jährlicher Wechsel, wie er beim
Rathsamt üblich war: ein guter Schöppe brauchte lange
Uebung; Unabhängigkeit stärkte seine Unparteilichkeit und
seinen Gerechtigkeitssinn. Wenn dagegen Bürgermeister und
1) Raumer, cod. cont. 1, 213.
2) RGesch. 2, 224.
§ 19. Wahl und Bestellung- der Schoppen. 3M
Rathmannen jährlich zu wechseln pflegten, so war dies für
die Stadtverwaltung ebenso wünschenswerth, wie die Stetig-
keit für die Rechtspflege. Wo aber, wie dies meist, bei
den kleineren Städten wohl immer der Fall war, die Schoppen
zugleich im Rathe sassen, mussten die beiden Prinzipien der
Lebenslänglichkeit auf der einen und des jährlichen Wechsels
auf der anderen Seite in Konflikt gerathen. Schoppen- und
Rathsdienst wurden in derselben Person vereinigt, weil die
Arbeitskraft einer Person für beide Dienste ausreichte.
Erhielt also ein Rathmann durch Wahl zum lebenslänglichen
Schoppen den Schöppendienst übertragen, so übte das einen
Druck aus, dass er bei der jährlichen Rathswahl wieder zum
Rathmann gewählt wurde. Es scheint jedoch auch, dass
Schoppen auf Zeit gewählt wurden. In Stendal lautet ein
alter Schöppeneid, die Schoppen sollen zu der Schöppenbank
schwören, dass sie dies Jahr zwischen zwei Urtheilen das
rechteste finden wollen, als sie am besten wissen. Nach der
Verfassung von 1345 ist dort aber das Schöppenamt lebens-
länglich.1) In Berlin amtirten die Schoppen nach der Ver-
einigung von 1307 auf drei Jahre, in Spandau ebenso nach
einer Urkunde von 1319.2) Ein in den Brandenburger
Schöppenstuhlsakten (7 76) verhandelter Rechtsfall des Jahres
1 558 aus Plaue scheint umgekehrt anzudeuten, dass dort die
Rathswahl auf die Schöppenwahl eingewirkt und die letztere
auch zu einer jährlich wiederkehrenden gemacht habe. Der
Fall war folgender: Die Frau eines Rathmanns und Schoppen
zu Plaue hatte 1558 ein Rind, das von anderm Vieh umge-
bracht war, mit Hülfe ihrer Magd vergraben, nachdem sie
die Haut abgezogen; dann hatte sie auch die Haut vergraben.
Die That wurde ruchbar; der Mann bestritt, davon gewusst
zu haben. Dies glaubten ihm Bürgermeister, Richter und
Schoppen nicht, sie fragten deshalb unterm 7. Okt. 1558,
da „nun nach altem Gebrauch die Zeit ist, dass sich ein
Rath mitsammt den Schoppen pflegt zu verändern und zu
versetzen", an, ob sie den Mann ferner im Rath und Schöppen-
J) Götze, Gesch. von Stendal S. 71. 143. Jährliche Beeidigung lebens-
länglicher Schoppen durfte kaum anzunehmen sein.
a) Mark. Forschungen Bd. 16 S. 8. Riedel c. d. 1, 11, 19.
3'20 4. Buch. Entwicklung der Organisation.
stuhl behalten und bleiben lassen könnten. Die Brandenburger
antworteten, dass die Anfrager nicht befugt seien, ihren „ Mit-
genossen, Rathsverwandten und Verordneten im Schöppen-
stuhlu, weil sein Weib ihm unbewusst das Aas mit der Haut
vergraben, „zu entsetzen".
Kleinere Städte kennen auch bei den Rathspersonen ein
Ernennungsrecht ihres Gerichtsherrn. Im Städtlein Freien-
stein an der Dosse haben der von Rohr auf Neuenkauf und
Freienstein und seine Voreltern seit undenklichen Zeiten an
Stelle einer verstorbenen Rathsperson eine andere ernannt
(1598: 43 287).
In Brandenburg ergiebt sich aus der Sitte, dass der
regierende Bürgermeister nach Ablauf seiner Amtsperiode
(mit Beibehalt des Titels Bürgermeister) wieder in den
Rath tritt, und dass zufolge dieser Sitte bis zu sechs Bürger-
meister an dessen Spitze stehen, die weitere Sitte, die ab-
tretenden Bürgermeister wieder zu Rathsherrn zu wählen.
Der Fall einer zwangsweisen Amtsentsetzung ist, soviel
sich hat ermitteln lassen, in Brandenburg nicht vorgekommen.
Nach dem Tode des Schoppen Mawe beschlossen 1572 die
Neustädter Schoppen, dass die Schöppenwitwen ein Jahr
lang im Genuss der Schöppengebühren bleiben sollten, und
sie erneuerten diesen Beschluss im Jahre 1584. l)
Einen freiwilligen Rücktritt liess das Magdeburger Recht
ausdrücklich zu; er kam auch in Brandenburg vor. Einmal
geschah es, dass ein gealterter Brandenburger Schöppe (1725)
mit Genehmigung des Königs in seiner Arbeit erleichtert und
vertragsmässig in seiner Einnahme zu Gunsten seiner Kollegen»
die für ihn arbeiteten, beschränkt wurde.2)
Etwaige die Befähigung eines Gewählten zur Ausübung
seines Amtes beeinträchtigende Mängel wurden durch die
landesherrliche Konfirmation behoben, wenn sie in Kenntniss
dieser Mängel erfolgt ist.3)
1) Schöppenbucb Cod. N. 3 RA.
2) Siehe oben Seite 131.
s) Rechtsspruch der Brandenburger von 1607 (54 350) auf Anfrage
eines Bürgers zu Schönfliess, ob der nach Biesenthal bestätigte Bürger-
meister nicht seines Amtes unfähig, weil er seine Magd geschwängert
habe und Ehefrauen nachgelaufen sei.
§ ig. Wahl und Bestellung der Schoppen. 321
Die jahrhundertelange Uebung, dass die Schoppen
Lücken, die in ihrem Stuhle entstanden, durch eigene
Wahl aus den Rathspersonen ausfüllten, ermöglichte es, das
Schöppenamt nach Art einer erblichen Würde dauernd in den
Rathsfamilien zu erhalten. Deshalb kommen Beispiele in
so grosser Zahl vor, dass der Sohn an die Stelle des
ausgeschiedenen Vaters oder der Schwiegersohn an die Stelle
des ausgeschiedenen Schwiegervaters tritt. Die landes-
herrliche Bestätigung war im Wesentlichen Formsache.
Fälle, in denen sie versagt wurde, haben sich nicht gefunden.
Die Akten, welche im Staatsarchiv über die Bestätigung
Auskunft geben, beginnen mit dem Schlüsse der 1550 er
Jahre. Es war das die Periode, mit welcher zufolge der
Anordnungen der Joachimica der Schöppenstuhl mehr und
mehr den Charakter eines „kurfürstlichen Gerichtsstuhls44
annahm. Das hinderte den Schöppenstuhl nicht, bei vor-
kommender Gelegenheit streng sein Wahlrecht zu wahren.
Vergeblich war 1691 das vom Kurfürsten sichtlich begünstigte
Bestreben des Syndikus Katsch, als siebenter Schöppe einzu-
treten.1) Nachdem der Schöppenstuhl berichtet hatte, es
seien immer nur sechs Mitglieder gewesen, er beantrage, es
dabei zu belassen, antwortete zwar der Kurfürst, es stünde
ihm frei, die Zahl zu vermehren, auch empfehle sich bei
Meinungsverschiedenheiten die Zahl sieben, 2) nichtsdesto-
weniger blieb die Angelegenheit liegen, bis im Jahre 1695
Katsch in eine freigewordene Schöppenstelle eintreten konnte.
Ebenso führte ein anscheinend 1701 gemachter Versuch,
einen dem Schöppenkolleg nicht genehmen extraneus durch
landesherrliche Bestimmung einzufügen,3) nicht zum Ziele.
Bei einer 1747 eingetretenen Vakanz meldete sich ein
Brandenburger Notar direkt beim Könige, wurde auch nach
Berlin zur Prüfung zitirt; der Schöppenstuhl, der hiervon
keine Kenntniss hatte und seinen Stadtsyndikus präsentirte,
erhielt von Cocceji, dem damaligen chef de justice, zur Ant-
wort, es habe sich bereits Jemand gemeldet, und dabei bleibe
1) Vergl. oben Seite 149.
2) R. 21 No. 9c StA.
8) Siehe oben Seite 148.
Stölzel, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 21
322 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
es; erst nachdem der Schöppenstuhl sich auf sein Präsen-
tationsrecht und auf den Brauch berief, die Magistratsmitglieder
verdienten den Vorzug, lenkte Cocceji ein, verlangte aber
die Einsendung der Fundationsurkunde ; das Resultat war
die Bestätigung des Stadtsyndikus. Als sich im Jahr 1800
ein Kandidat beim Könige um Verleihung der „vierten4*
Assessorstelle bewarb, nachdem seit 1784 nur drei Assessoren
im Schöppenstuhl gesessen hatten, erging ein abschlägiger
Bescheid, weil der Schöppenstuhl berichtet hatte, dass bei
der geringen Arbeit drei genügten.1)
In Wahrheit ergänzte sich also das Schöppenkolleg, wie
das auch anderwärts Regel,2) selbst aus den Rathsfamilien;3)
dem Bedürfniss, allmählich die Wahl auf Männer von rechts-
gelehrter Bildung zu beschränken, wurde dabei gebührend
Rechnung getragen, indem man akademisch gebildete Söhne
neuer Familien als Bürger aufnahm oder Rathssöhne auf die
Universitäten sandte und dann die Einen wie die Andern in
den Rath hereinzog. Wohnsitz des Wahlkandidaten in einer
der beiden Städte war Erforderniss; nach 17 17 wurden die
auf der Burg wohnhaften Wahlkandidaten Kämmrich und
Dreher nur citra ambarum civitatum praejudicium zugelassen.
Für die Rathswahl war zwar durch einen altstadter Haupt-
rezess von 16854) ausdrücklich festgestellt, dass zum Rath
nicht nur tüchtige und geschickte Leute, sondern auch „nicht
leicht Vater und Sohn, zwei oder mehr Brüder oder auch
zwei oder mehr Schwestermänner" gewählt werden sollten,
und diese Bestimmung galt damit auch für die Schoppen, da
man nurRathmänner zu Schoppen wählte, aber sie wurde jeden-
falls nur lax gehandhabt; denn in einem Protokoll, betr. die
Untersuchung des Brandenburger rathhäuslichen Wesens von
17395) heisst es, an den damaligen grossen Unordnungen sei
wohl grossentheils die nahe und viele Verwandtschaft der
Rathsglieder unter einander Schuld, indem mehrere näher
') R. 97 III d fol. 100 ff. StA.
2) Rathmann, Gesch. v. Magdeburg 2, 168. Gaupp, Das alte magdeb.
R. Seite 141, 142, 269.
8) R. 21 nr. 9c. StA.
4) R. 21 nr. 10a. StA. 5) RA. Acta I R. 15.
§ 19- Wahl und Bestellung der Schoppen. 323
Bezeichnete, darunter auch Schoppen, Vater, Sohn, Bruder
und Vettern seien, „die dessenungeachtet zum Theil in nicht
geringer Feindschaft, zum Theil in grosser Vertraulichkeit
leben und Parteien machen".
Die Verbindung des Schöppenamts mit dem Rathsamte
musste zur Folge haben, dass es keinen einzigen Branden-
burger Schoppen gegeben hat, der in seiner Schöppenthätig-
keit seinen ausschliesslichen Beruf und seine ausschliessliche
Erwerbsquelle gesehen hätte. Von jeher war das Schöppen-
amt ein Amt, das Jemand neben seinem eigentlichen Berufe
übernahm. Das änderte sich auch nicht mit der Zeit, mit
welcher man begann, akademische Bildung der Schoppen
für wünschenswerth zu halten: noch gegen Ende des sech-
zehnten Jahrhunderts trieben Rathsherrn und Bürgermeister
die im Schöppenstuhl sassen, Landwirtschaft auf den ihnen
bei Brandenburg gehörigen Hufen und Weinbergen ; in diese
Weinberge flüchteten sie, wenn ein arges Pestjahr' sie aus
der Stadt trieb, und sie kamen am See zusammen, um über
ihre Rechtsprüche sich zu einigen. Selbst in der späteren
Periode, in der man anfing, allein in juristischer Thätigkeit
die Lebensaufgabe zu finden, beschränkte sich Niemand auf
die Schöppenthätigkeit; denn sie konnte ihren Mann nicht
ernähren. Auch war das Schöppenamt vielfach nicht das ein-
zige Nebenamt, das ein Rathsherr übernahm. Der Branden-
burger spezifisch juristisch ausgebildete Schöppe strebte viel-
mehr danach, noch gleichzeitig weitere juristische Aemter in
sich zu vereinigen, wie dies auch sonst im Staatsdienst bis tief
in das neunzehnte Jahrhundert hinein üblich wurde. Als
Cocceji 1737 zum chef de justice aufstieg, trat eine Vakanz
des Präsidiums in sieben Kollegien ein, denen er vorgesessen
hatte. Der Brandenburger Schöppe des siebzehnten und
achtzehnten Jahrhunderts war häufig zugleich Richter des alt-
oder neustädtischen Stadtgerichts, Justitiar verschiedener in
der Umgegend sesshaften Gerichtsherren, daneben Notar und
Advokat, eine Sitte, die in analoger Weise sich überhaupt
allgemein bis zur Aufhebung der Patrimonialjurisdiktion auch
anderwärts verfolgen lässt.
Da die zu Brandenburger Schoppen Ernannten während
21*
824 4* Buch. Entwicklung der Organisation.
der Zeit von 1550 bis 1650 vor ihrer Ernennung in Branden-
burg selbst praktisch thätig gewesen zu sein pflegten, so
hatte der Schöppenstuhl Gelegenheit genug, durch persön-
liche Anschauung sich ein Urtheil über ihre Fähigkeiten zu
bilden und hiernach seine Wahl zu treffen. Dass das ge-
schah, ergeben die Präsentationen. l) Der Landesherr bezog
sich in seiner Bestätigungsurkunde auf das Urtheil des
Schöppenstuhls und bemerkte zuweilen auch, dass ihm die
Tüchtigkeit des neuen Mitgliedes selbst bekannt sei.
Obwohl daher die neuen Schoppen keine Universitats-
zeugnisse über ihre Fähigkeiten hatten, empfand der Schöp-
penstuhl selbst nicht das Bedürfniss, eine besondere Prüfung-
einzurichten. Die Entwickelung des Prüfungswesens in Bran-
denburg-Preussen führte hierin erst eine von aussen hinein-
getragene Aenderung herbei. Nachdem man am Ende des
siebzehnten Jahrhunderts begonnen hatte, für Mitglieder
höherer Gerichte eine Prüfung vor dem Gericht, bei welchem
sie thätig sein sollten, zu verlangen,2) bestimmte die Allge-
meine Verordnung vom 21. Juni 1713:3)
. . . .So wollen wir daß in unserm Kammergericht zu Colin an
der Spree, in Unsern Regierungen und Hofgerichten, am wenigsten
aber in Unsern Ober-Appellations-Gerichten von nun an keiner zu
einer Ratsbedienung gelangen solle, der nicht, wie in andern hohen
Gerichten es üblich, aus Akten, die ihm von dem Praeside Collegit
gegeben werden sollen, vorher eine Relation pro statu cum voto
ab gefasset, und hat er in seiner künftig zn leistenden Pflicht xu
erhärten, dass er eine solche Relation selbst, ohne andere im gering*
sten zu consuliren, und also ohne frembde Beihulf verfertiget, die
sodann von dem Collegio, worin er Sitz und Stimme haben will, nicht
allein beleuchtet und dessen Videtur darüber ertheilet, sondern cum
Actis anhero gesandt, von unsern wirklichen Geheimten Räthen oder
dem, welchen sie es committiren, abermals mit den Akten conferirt,
judicirt werden sollen.
1) Welche Schwierigkeiten es machte, überhaupt gelehrte Mitglieder
zum Schöppenstuhl zu erhalten, lassen die Verhandlungen wegen Bestel-
lung neuer Mitglieder in der 2. Hälfte des 17. und ersten Hälfte des
18. Jahrhunderts erkennen. (R. 21 n. oc StA.)
2) Stölzel, Entstehung der Jurist. Prüfungen in Preussen (Justizministe-
rialblatt 1882 S. 48); ders., Entwicklung der Justizprüfungskommission und
des Amtes ihres Vorsitzenden (das. 1898, S. 51).
•) Mylius I, Theil II Abth. I, S. 532, 533.
§ 19. Wahl und Bestellung der Schoppen. 325
Der Schöppenstuhl war in diese Verordnung nicht ein-
begriffen, aber dennoch wurden ihre Bestimmungen für ihn
massgebend. Der König wandte sie an, als im Jahre 17 15
der Rath und Direktor der Städte Brandenburg, Dr. jur.
Beneckendorf, bei dem als früheren Frankfurter Professor
sicher eine Prüfung am allerwenigsten von Nöthen war, prä-
sentirt wurde. Der König erklärte in seinem Reskript vom
27. August 1715, er sei entschlossen, dass hinführo keiner in
den Schöppenstuhl genommen werden solle, welcher nicht,
wie es bei den Justiz-Kollegiis eingeführt sei, seine relationem
pro statu gemacht und selbige nebst des Schöppenstuhls
Gutachten eingesendet, und approbirt oder hinlänglich be-
funden sei. Als nach Beneckendorfs Tode, der vor seiner
Bestätigung starb, Joachim Knackrügge vorgeschlagen wurde,
wiederholte der König sein Verlangen und stellte in Aus-
sicht, einem jeden älteren Mitgliede gleichfalls Akten zur Probe-
relation zu übersenden. Erst auf die Vorstellung des Schöp-
penstuhls, dass die bisherigen Mitglieder schon längst für
kapabel befunden worden seien, nahm der König hiervon
Abstand. Ein im Jahre 1779 unternommener Versuch, den
Prüfungszwang zu umgehen, blieb erfolglos. Der König wies
die Bitte des Schöppenstuhls, Hugo und Rudolph i wegen
ihrer bekannten Rechtserfahrenheit von der Anfertigung der
Proberelationen zu dispensiren, zurück. l)
Die Abfassung der Proberelationen galt somit für uner-
lässlich. Anfangs wurden die Akten aus den dem Schöppen-
stuhl zur Rechtsbelehrung übersandten Sachen genommen.
Da diese aber auf längere Zeit nicht entbehrt werden konnten,
wurden auf Verlangen des Schöppenstuhls Akten vom König
und später vom Kammergericht übersandt. Massgebend für
die Beurtheilung war, ob der sogen. Reichsstylus, d. h. die
beim Reichskammergericht befolgte Methode befolgt war.
Der Vorgeschlagene fertigte aus den Acten einen Status causae
cum voto. Der Schöppenstuhl fügte sein Gutachten bei und
sandte Alles an den König. Dieser beanftragte zwei oder
drei Räthe des Geheimen Raths oder des Kammergerichts
mit der Beurtheilung der Relation. Erachteten sie die
]) R. 21 No. 9!» StA. Siehe oben S. 169, 170.
32fi 4« Buch. Entwicklung der Organisation.
Arbeit für ausreichend, so erfolgte die Bestätigung. Der
Kandidat versicherte, die Relation ohne fremde Hülfe ange-
fertigt zu haben, und diese Versicherung nahm man 1737
ausdrücklich in den Eid auf.1)
Im Jahre 1755 wurde für die Kandidaten der Richter-
stellen in den Justizkollegien in Preussen eine besondere
staatliche Prüfungskommission eingesetzt, deren Aufgabe es
war, die Kandidaten einer schriftlichen Prüfung, die in der
Anfertigung einer Relation in einer Civil- und in einer Kri-
minalsache bestand, und einer mündlichen Prüfung zu unter-
ziehen. 2) Diese Neuerung galt ebenfalls nicht für den
Schöppenstuhl. Nach wie vor genügte hier eine Relation;
eine mündliche Prüfung fand nicht statt. Seit 1768
wurde an Stelle einzelner Geheimen Räthe oder Kammer-
gerichtsräthe das Kammergericht selbst mit der Beurtheilung
der Relation von Fall zu Fall beauftragt. Seit 1796 endlich
richtete der Schöppenstuhl die Präsentation an das Kammer-
gericht, worauf dieses aus eigener Machtvollkommenheit
Akten zur Proberelation übersandte und nach deren Begut-
achtung an den König berichtete. Der Justizminister rügte
dieses Verfahren, da nach Reskript vom 29. Februar 1784
der Schöppenstuhl unmittelbar dem Justizministerium unter-
stehe. 3)
Das Prüfungswesen nahm dem Schöppenstuhl viel von
seiner Selbständigkeit. Immerhin aber wurde seine Eigen-
art dadurch gewahrt, dass er nicht den allgemeinen, für
Justizkollegien gegebenen Bestimmungen unterworfen wurde.
Eine besondere Altersgrenze gab es weder für die Be-
rufung zum, noch für den Abgang vom Schöppenamte.
Jeder Dingpflichtige, d. h. jeder freie, mündige Gerichtsein-
eingesessene, konnte Schöppe werden. Nach sächsischem
Recht kam der Jüngling mit 21 Jahren zu seinen Tagen.
Dass Jemand in diesem Alter Schöppe wurde, hinderten
1) Schöppenbuch f. 9.
-i) Justizministerialblatt 1898, S. 51.
s) R. 21 No. 9c, Akten des Kammergerichts betr. die Besetzung des
Schöppenstuhls f. 108 ff. R. 97 III d StA., Akten des Justizministeriums heti.
die Aufhebung des Srhöppenstuhls u. s. w. f. 56 — 60.
§ 19. Wahl und Bestellung der Schoppen. 327
schon die tatsächlichen Verhältnisse. Aeltere hatten be-
gründetere Ansprüche auf die wenigen Stellen, die von Zeit
zu Zeit durch Tod frei wurden.
Seitdem der Schöppenstuhl aus Gelehren bestand, bildete
die Dauer des Schulbesuchs und Universitätsstudiums eine
natürliche Grenze. Aus den Nachrichten des siebzehnten und
achtzehnten Jahrhunderts können wir soviel entnehmen, dass
das Alter der neu eintretenden Schoppen in der Regel
dreissig Jahre überstieg. Wenige waren jünger. Eine obere
Altersgrenze für die Wählbarkeit kannte man ebenfalls nicht. l)
II.
Nicht die landesherrliche Bestätigung, noch weniger die
Wahl oder das Bestehen der Prüfung machte aber Jemanden
zum Schoppen, sondern die durch diese Akte vorbereitete
„Ansetzung zur Schöppenbank". Die Ansetzung war ebenso
wie die Heischung des Schoppen zur Schöppenbank bei der
einzelnen Sitzung Sache des Richters als Vertreters des
Landes- oder Gerichtsherrn; doch scheint der letztere die
Ansetzung auch in eigener Person vorgenommen zu haben. 2)
Aus dem „Ansetzen", d. h. der Besetzung der leeren
Stelle einer Schöffenbank, mag sich überhaupt der heute all-
tägliche Ausdruck der „Stellenbesetzungu herleiten; noch zu
Zeiten der Entstehung des Preussischen Allgemeinen Land-
rechts redete man von „angesetzten", wie man gegenwärtig
von „angestellten" Beamten redet. Solange die Wahl der
Schoppen vom Landesherrn persönlich vor gehegtem Gericht
vorgenommen wurde, folgte in derselben Gerichtssitzung auf
die Wahl die Ansetzung des Schoppen. Als 1384 der
Landesherr die Wahl schriftlich vornahm, musste eine be-
sondere Gerichtssitzung für die Ansetzung bestimmt werden.
Dies wurde die Regel, nachdem der Kurfürst seine Thätig-
keit auf die schriftliche Bestätigung der Wahl beschränkt
hatte. Deshalb erscheint in dem ältesten vorhandenen Ge-
l) Matthias Bardeleben war über 60, Grell war 60, Martin Heins 58,
Kaspar Junius war 26, Zierhold 25 und Steinbeck 27 Jahre, als sie
Schoppen wurden.
8) Riedel I, 9 S. 180 (1457: Schoppen der Altstadt, „die wir ansetzen**).
328 4- Buch. Entwicklung: der Organisation.
suche des Rathes der Altstadt Brandenburg um die Be-
stätigung der Wahl des Rektors Meynicke zum Schoppen
(1559) die Bitte,1) der Kurfürst möge in der Bestätigungs-
urkunde dem Rathe befehlen, durch den Richter die Schoppen
alsofort zur Schöppenbank heischen und den neuen Schoppen
dazu fordern zu lassen. Man hielt also damals noch daran
fest, dass es sich um einen im gehegten Ding stattfindenden
gerichtlichen Akt handelte. Da Brandenburg nicht ein aus
den Schoppen beider Städte kombinirtes Gericht, sondern
nur ein Sondergericht der Altstadt und ein Sondergericht der
Neustadt hatte, so erfolgte die Ansetzung, ebenso aber
auch die Wahl eines neuen Schoppen in jedem Stadtgericht
besonders, d. h. bei einer Vakanz im altstädter Schöppen-
kolleg wählten nur die altstädter Schoppen aus dem alt-
städter Magistrat den neuen Schoppen und setzten ihn in
ihrer Gerichtssitzung an. Dasselbe galt für die Neustadt.
Demgemäss erfolgte auch im Einzelstadtgericht die Beeidigung.
Diese war wesentlich; denn nach Magdeburger Recht galt
das unter Mitwirkung eines unbeeidigten Schoppen gefällte
Urtheil für nichtig.
Da ursprünglich die Schoppen der Altstadt Brandenburg
ebenso wie der Neustadt ihrer Thätigkeit, Rechtsbelehrung
nach aussen zu erth eilen, neben der Thätigkeit oblagen,
als Stadtgericht Recht über ihre Mitbürger zu sprechen,
so schloss von selbst die Wahl zum Schoppen die Befugniss
zur einen wie zur anderen Thätigkeit in sich. Die Befugniss
zur Rechtsbelehrung und die auf sie bezügliche Pflicht des
Schoppen war eine so selbstverständliche, sie ging so sehr
in der Pflicht, Recht zu sprechen, auf, dass sie im Schöppen-
eide — dessen ursprünglicher Fassung nach — keinen be-
sonderen Ausdruck fand. Daraus erklärt sich die ganz all-
gemeine Fassung des im fünfzehnten Jahrhundert üblichen
schönen uralten Eides2):
Zu der Bank der Vierschar, dazu ich gekoren bin, will ich
fleissig dazu sein bei Nacht3) und bei Tage und will Recht sprechen
») R. 21 N. 9c StA. ^
-) Vergl. die oben S. 265 Note 2 < itirte Urkunde.
3) Bei den Germanen ,,nox ducit diemu (Tacitus).
§ 19- Wahl und Bestellung der Schoppen. ,329
zum Lobe Gottes und um gemeinen Nutzens willen dem Herrn wie
dem Knechte, dem Reichen wie dem Armen, dem Elenden wie dem
Freunde, dem Gast wie dem Wirthe, und will das nicht unterlassen
um Leib, um Leid, um Magschaft, um Fehde, um keinerlei Furcht
willen; dass mir Gott helfe und seine Heiligen.
Im Jahre 1582 unterschied schon ein neustädter Antrag
zwischen Konfirmation „zum Schöppenstuhl und dann zum
Schoppen der Neustadt", die Konfirmation lautete dagegen
1620 wieder nur auf Bestätigung zum „Schoppen in unserer
alten Stadt Brandenburg". Andererseits erfolgte sie 1622
lediglich zum „Schoppen am churf. Schöppenstuhl-, 1651
und 1660 zum „Assessor des Schöppenstuhls" und 1657
zum „scabino im churf. Schöppenstuhl".
Drei Jahrhunderte etwa — bis in die Zeit des dreissig-
j ährigen Krieges hinein — verblieb die rechtsbelehrende
Thätigkeit der Brandenburger Schoppen ein Nebenberuf im
Verhältniss zu ihrer urtheilenden Thätigkeit als Mitglieder
ihres besonderen Stadtgerichts; dann aber gewann die rechts-
belehrende Thätigkeit die Oberhand, weil, wie die Gerichts-
protokollbücher1) ergeben, die Theilnahme der Schoppen an
der stadtgerichtlichen Rechtsprechung mehr und mehr auf-
hörte. Das kam in der Abänderung der Formel des
Schöppeneides zu sichtbarem Ausdruck. Am 1. Oktober 1645
leistete Bartholomäus Schwarz laut seines eigenen Zeugnisses2)
folgenden Eid ab:
„Bei den Schöppensachen, dazu ich gefordert und von Churf.
Durchlaucht konfirmirt worden bin, will ich recht thun und nach
meinem besten Wissen und Vermögen meine Meinung eröffnen, dem
Reichen als dem Armen und dem Armen als dem Reichen« und
solches nicht unterlassen um Gift, Gaben, Geschenk oder einigen
Vortheils willen, so mich von der Wahrheit ableiten könnte, insonder-
heit will ich die peinliche HGO. Kaisers Carl V. mit Fleiss in Acht
* nehmen, und die Urtheil geheim halten und solche gefahrlicher
Weise nicht entdecken, als wo ich solches zu Recht zu thun befugt
bin; solches will ich so stet und fest halten, als mir Gott helfe
und sein heiliges Wort.**
l) Sie sind beim Amtsgericht Brandenburg aufbewahrt, wie oben
Seite 34 bemerkt worden ist.
*) Decis. II. R. 94 II. No. 2 fol. 102 StA.
330 4* Buch. Entwicklung der Organisation.
Der Unterschied beider Eide liegt zu Tage. Nicht mehr
hat der Schöppe in gehegter Bank Recht zu sprechen, son-
dern er hat „bei Schöppensachen Recht zu thun und seine
Meinung zu eröffnen". Das Rechtsprechen ist Sache des
Stadtrichters ohne die Schoppen. Nur wenn in gerichtlichen
Sachen Schoppen zu besonderen Akten, wie Vernehmungen»
Geschäften der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Augenscheins-
einnahmen etc., zugezogen werden, verpflichtet sich der
Schöppe, „Recht zu thun14 (= richtig zu verfahren); ausser-
dem will er in solchen Schöppensachen, die an den Schöppen-
stuhl gelangen, seine Meinung frei äussern (als rechts-
belehrende Instanz). Wegen der wichtigen, später erst hinzu-
getretenen Spruchthätigkeit in peinlichen Sachen ist dann
ein darauf bezüglicher Zwischensatz aufgenommen. Charak-
teristisch ist die Einschaltung der Verpflichtung, Iceine Gaben
oder Geschenke anzunehmen: die Bestechlichkeit der
Schoppen muss sich hiernach im Laufe der Zeit erheblich
gesteigert haben.
Schwarz leistete den Eid dem neustädter Richter
Nicolai und dem damaligen einzigen neustädter Schoppen
Moritz, jenem als dem Vertreter des neustädter Stadtgerichts,
diesem als dem Vertreter des neustädter Schöppenstuhl-
kollegs zum Zeichen, dass der Eid für die Thätigkeit des
neuen Schoppen einerseits beim Stadtgericht, andererseits
beim Schöppenstuhl galt.
Bald danach, wahrscheinlich mit Abschluss des dreissig-
jährigen Krieges, gab es keine Doppelthätigkeit der Schoppen
mehr im Rechtsprechen, es gab nur noch die eine Thätigkeit
beim Schöppenstuhl. Diese Neuerung wirkte mit bei An-
legung des Schöppenbuchs von 1692') Dasselbe belehrt
über eine abgeänderte Eidesformel. Sie lautet:
Ich schwöre zu Gott, dem Allmächtigen, demnach ich zum
Assessor beim Churf. Brandenb. Schöppenstuhl erwehlet und von
höchstgedachter Seiner Churf. Durchl. confirmiret, dass ich solchem
Ampt treulich und redlich vorsein, nach den gemeinen geschriebenen
Rechten, des heiligen Reichs Constitutionen und Ordnungen, nach
hiesigen Land-Recessen und Gewohnheiten nach meinem besten Ver-
l) Siehe oben Seite 31.
§ 19- Wahl und Bestellung der Schoppen. 331
stand männiglichen, hohen und niedrigen Standes, Urthel und
Recht sprechen und weder um Lieb, Neid, Gabe, Freundschaft
noch keiner anderen Sachen willen darwider handeln, keinen Parteien
Rath und Warnung thun, die Heimlichkeit des Schöppenstuhls
Niemanden eröffnen und alles Andere thun und lassen will, das einem
frommen und gerechten scabino geziemet und gebühret. Alles ge-
treulich und ohne Gefährde. So wahr als mir Gott helfe.
Der Schöppe ist danach zum Assessor des Schöppen-
stuhls geworden; nur in dem Hinweis am Schlüsse, dass er
wie ein gerechter scabinus verfahren soll, ist der Anklang
an das alte Schöppenthum erhalten; voran das gemeine Recht,
dann Reichsgesetz, in dritter Linie Landesgesetz und schliess-
lich erst die somit weit zurückgedrängten partikularen Gewohn-
heiten geben ihm die Normen für seine Thätigkeit. Diese
besteht in „Urthel und Recht sprechen;14 der Schöppenstuhl
belehrt nicht mehr, sondern er urtheilt, er „richtet" im
modernen Sinne des Wortes : der Schöppe ist Gerichtsassessor,
er ist Richter der Neuzeit geworden; der Schöppenstuhl ist
dasselbe wie ein Instanzgericht. Einst war die rechtsbeleh-
rende Oberhofsthätigkeit ein selbstverständliches Anhängsel
der rechtsprechenden Gerichtsthätigkeit, jetzt ist die letztere
nicht mehr Sache der Schoppen, und die Oberhofsthätigkeit
ist allein für die Schoppen übrig geblieben.
Der Schöppeneid — oder, wie nunmehr zu sagen ist,
der Assessoreneid — wird nicht mehr dem Stadtgericht und
dem Schöppenstuhl, sondern nur dem letzteren (und zwar in
gemeinsamer Versammlung der beiderstädtischen
Schoppen) geleistet; deshalb ist der Stadtrichter laut der
Einträge im Schöppenbuche seit 1660 nicht mehr zugegen,
wohl aber sind zugegen die alt- und die neustädtischen
Schoppen. Damit steht in Zusammenhang, dass seit 1650
der Landesherr seine Konfirmation und seinen Befehl zur Be-
eidigung an den gesammten Schöppenstuhl beider Städte,
nicht mehr an die Schoppen der Alt- oder Neustadt richtet.1)
Im siebzehnten Jahrhundert nimmt auch die Ansetzung
einen anderen Namen an; sie wird „Aufführung" genannt
(81 1). Darum berichtet der am 1 1. September 1645 „eligirte",
') Rep. 21 nr. 9«*. StA.
332 4- Buch. Entwicklung der Organisation.
am 20. September laut der Geheimerathsakten l) landesherr-
lich „zum Assessor des Schöppenstuhls konfirmirte" Bartholo-
mäus Schwarz, er sei, nachdem ihm der Bürgermeister Moritz
„die confirmatio intimirt", am 1. Oktober 1645 „aufgeführt-
und beeidigt. Die Aufführung, welche hier noch vor dem
Stadtgerichte erfolgte, geschah bald darauf durch den ver-
einigten Schöppenstuhl. Sie vollzog sich auch nicht mehr
an den Stätten des Stadtgerichts in gehegter Bank, sondern
auf dem Schöppenhause, der Wirkungsstätte des Schöppen-
stuhls. 2) Nichts veranschaulicht deutlicher seine Konsolidation
als diese Entwickelung. Die Ansetzung oder Aufführung
war nunmehr zu einer Einführung (Introduktion) durch das
Schöppenkollegium geworden. Ihr ging im achtzehnten Jahr-
hundert die Eidesleistung, die eidliche Verpflichtung' voran.
Zwischen beide Akte aber schob sich, wie dies seit dem
Jahre 1769 bezeugt wird, die „gewöhnliche" Gratulation. :)
Sie bestand in dem vom Senior ausgedrückten Wunsche, der
neue Assessor möge sein Amt viele Jahre bei gutem Wohlsein
zum Besten des Publici und zur Konservation der Reputation
des Collegii verwalten, Dass diese Sitte aus älterer Zeit
stammt, ergiebt ein Bericht des Raths der Neustadt vom
Jahre 161 7, in dem es heisst, der Schöppe Floring habe,
nachdem vor zwei Jahren neue Schoppen gewählt seien, ihnen
die Election eröffnet und gratulirt, aber immer noch nicht
die nöthigen Schritte zur Konfirmation und Aufführung der
Electen gethan (811). Die Gratulation scheint hiernach früh
ein Theil der Bestellungsfeierlichkeiten gewesen, aber all-
mählich von dem Zeitpunkt der Wahl auf den Zeitpunkt
nach der Vereidigung verlegt worden zu sein.'
Ueber weitere Förmlichkeiten, welche die Bedeutung,
die man in der Stadt dem Schöppenstuhl beilegte, deutlich
erkennen lassen, berichtet der Senior Giesecke im jähre
1749. Nach ihm wurde in alten Zeiten, wenn ein membrum
') Meinardus, Protokolle des Geh.R. 3, 229.
2) Das wird zuerst am 7. März 1696 in den Protokollen bezeugt
(Schöppenbuch a. a. O. f. 7 v). Die ersten Protokolle enthalten über die Auf-
führung oder Einfuhrung; keine Notizen.
*) Schöppenbuch a. a. O. f. 12, r8 ff.
§ 19. Wahl und Bestellung der Schoppen. 333
abging, auf den Kanzeln in beiden Städten öffentlich ge-
beten, dass Gott die erledigte Stelle mit einem frommen und
gelehrten subjecto hinwiederum besetzen möge. War die
Wahl vollzogen, so wurde der Erwählte am nächsten Sonntag
unter Glockengeläute in beiden Städten von dem Kollegium
zur Kirche geführt, „auf die Art, als wenn man einen Bräu-
tigam dahin begleitet** (98671). l) Zu Gieseckes Zeit war
diese Sitte abgekommen. Der Kirchgang erfolgte am Sonn-
tag nach der Wahl, also zu einer Zeit, in welcher die Be-
stätigungsorder sicher in den meisten Fällen noch nicht
eingetroffen war, und hatte demnach mit der Aufführung
nichts zu thun.
Aber nicht urnsonst eröffneten sich dem neuen Mitgliede
die Pforten des Schöppenstuhls. Nach einem kurfürstlichen
Reglement zahlten, soweit bekannt, seit 1691 die Erwählten
10 Thaler zur Marine an die Generalchargekasse2) — es war
die Zeit der für Oberguinea vom Grossen Kurfürsten ge-
gründeten Flotte. Mit ihrem Verschwinden verwandelte sich
das Marinegeld in Rekrutengeld.3)
Der Schöppenstuhl selbst endlich führte für sich noch
ein besonderes Eintrittsgeld ein. Im Jahre 1747 musste der
Syndikus Grust bei seiner Einführung 16 Thaler pro recep-
tione und wegen des erhofften Salarii geben, und dies Geld
wurde unter die Uebrigen vertheilt. Man beschloss, es immer
so zu halten.4)
]) Solche Fürbitte kannte man auch bei der Rathsversatzung in der
Neustadt (Stadtrechnung, Ausgabe bei der Rathsversatzung, Cod. N. 20 RA.).
■) R. 21 n. 9c, Brand. Schöppenstuhl, RA. Dass 1697 10 Thaler an
die Generalchargekasse und ebensoviel an die Marinekasse gezahlt worden
seien, wie Heffter in einem Manuskript über das Gerichtswesen Branden-
burgs (RA.) anfuhrt, ist nicht richtig.
3) 1714 wird es noch als Marinegeld bezeichnet (R. 21 11.9c, RA.),
1723 erscheint es als Rekrutengeld (R. 21 n. 9, Brandenburg Stadt, StA.).
*) Schöppenbuch f. 10 v. Vielleicht war diese Summe die Ablösung
für eine Bewirthung der alten Mitglieder durch das neu eintretende. Ein
Bericht von 1714 (R. 21 n. 9h, StA.) erwähnt neben dem Marinegeld „andere
Unkosten" bei der Aufnahme. Ueber gemeinsame Mahlzeiten der neu-
städtischen Schoppen berichtet das Schöppenbuch von c. 1430 (ÜB. 1 8 ff.)
5- Buch.
Konsulenten.
Erster Abschnitt.
Konsulenten aus Brandenburg -Preussen.
§20.
Vorbemerkung.
Obwohl die landesherrlichen Erlasse, die in den Jahren
1315, 1324 und 1527 das Ansehen des Brandenburger
Schöppenstuhls zu heben bestrebt waren,1) naturgemäss
stets nur für das zeitweilige Gebiet der Landesherrschaft,
d. h. für den jedesmaligen Umfang der Mark Branden-
burg ergingen, enthielten sie doch keineswegs einen Be-
fehl, dass der Schöppenstuhl seine Thätigkeit auf das
Gebiet der Mark zu beschränken habe. Im Gegentheil
konnte es auch dem Interesse des Landesherrn selbst nur
entsprechen, wenn der Schöppenstuhl der einstigen Haupt-
stadt der Mark, der allmählich zum „churfürstlich Branden-
burgischen" und schliesslich zum „königlich preussischen*
Schöppenstuhl umgestaltet wurde, auch ausserhalb der Mark
nicht bloss im übrigen Kurfürstenthum Brandenburg oder
in den andern deutschen Reichslanden des Königreichs
Preussen, sondern auch über die Grenzen Brandenburg-
Preussens hinaus seine Wirksamkeit entfaltete. In erheb-
lichem Maasse gelang dies dem Brandenburger Schöppen-
stuhl nicht, immerhin streifte er zunehmend seinen Charakter
als Hüter des speziell märkischen Sonderrechtes ab und
nahm statt dessen den Charakter eines in der Mark ge-
legenen gemeinrechtlichen Schöppenstuhls an. Mit dem
Ende des dreissigj ährigen Krieges, von dem ab die bedeutend-
l) Siehe oben Seite 258 ff., 287 ff.
§ 20. Vorbemerkung. 335
sten Landeserwerbungen der Kur Brandenburg erst datiren,
war die Blüthe der deutschen Oberhöfe vorüber. Immerhin
waren es zwei Momente, die dafür bestimmend waren, dass
vielfach Gesuche um Rechtsbelehrung theils von später er-
worbenen Landestheilen Brandenburg-Preussens, theils von
ausserpreussischen Landen in Brandenburg eingingen. Das
eine dieser Momente ist eine alte, durch die Geschichte ge-
knüpfte Beziehung zwischen Brandenburg und dem ausser-
preussischen Orte, aus welchem der Schöppenstuhl um Be-
lehrung gebeten wird. Das andere Moment ist darin zu
finden, dass dem Territorium, aus welchem man Belehrung
in Brandenburg erbittet, eine eigene Instanz fehlt, die als
Oberhof oder als Ersatz dafür, d. h. als Gericht höherer
Instanz, hätte thätig sein können. Die geschichtliche Be-
ziehung des Brandenburger Schöppenstuhls zu Orten, die
jenseits der brandenburgisch- preussischen Grenze lagen, hatte
ihren Grund entweder in der Bewidmung mit Brandenburger
Recht, wie sie für mehrere Städte Mecklenburgs und Pommerns,
ja auch für einzelne Städte Polens nachweisbar ist, oder in
der einstigen Landeszusammengehörigkeit, wie sie zwischen
Brandenburg und Anhalt bestand, oder in dem Hansabunde,
dem im fünfzehnten Jahrhundert auch Brandenburg ange-
hörte. Deshalb knüpften Städte wie Rügenwalde, Wismar,
Rostock, Hamburg in späterer Zeit lediglich an alte Be-
ziehungen an, wenn sie sich nach Brandenburg um Belehrung
wandten, mochte auch diese Stadt — gleich den anderen
märkischen Städten Stendal, Salzwedel, Berlin und Frank-
furt — 1525 dem Hansabund abgeschrieben haben.2) Der
Mangel einer eigenen höheren, mit genügenden rechtsge-
lehrten Kräften besetzten Instanz bewirkte aber, dass Fragen
um Rechtsbelehrung aus dem Herzogthum Cleve, der Graf-
schaft Mark, aus dem Herzogthum Magdeburg, dem Fürsten-
tum Halberstadt, dem Stift Quedlinburg, den Grafschaften
Hohenstein, Lingen und Tecklenburg nach Brandenburg ge-
langten, vereinzelt auch solche aus Schlesien. Eines besondern
Ansehens scheint sich dabei Brandenburg in Strafsachen erfreut
') Lindner, Hansa im 15. Jahrh. 1899 S. 105.
*) Gfitze, Gesch. der Stadt Stendal 1873 S. 418.
336 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preussen.
zu haben, was damit zusammenhängen mag, dass andere Ober-
höfe überhaupt erst später als Brandenburg sich auf eine
Ertheilung von Rechtsbelehrung in Strafsachen einliessen.
Die Anfragen, die nach Brandenburg gelangten, gingen
entweder von Privaten, sei es vor Beginn eines Prozesses,
um ihn zu vermeiden, sei es innerhalb eines solchen, oder
sie gingen von einem bei der Rechtspflege betheiligten
Organe aus.
Vorzugsweis häufig sind private Anfragen in Erbschafts-
angelegenheiten, die ja nach der Joachimica die Hauptsache
für die Brandenburger Rechtsbelehrungsinstanz sein sollten.
Auch gelehrte Juristen wenden sich in solchen Angelegen-
heiten nach Brandenburg, so z. B. 1378 (20 127) der Berlin-
Kölner Hausvogt Magister Neilingk und noch 1748 (98 377)
der Berliner Hoffiskal Köhler.
Es kommt dabei vor, dass die Brandenburger sich selbst
darüber aussprechen, welcher Gebrauch von einer behufs
Abwendung eines Prozesses eingeholten Belehrung gemacht
werden soll. So ordnen sie 1634 (75 456) bei einem Zweifel in
der Familie Scheplitz l) zu Wittstock, ob der Sohn die Kinder
des vorverstorbenen Bruders ausschliesse, unter Berufung
auf die Joachimica an, wenn der Sohn allein die Erbschaft
beanspruche, möge ihm „dies Informaturtheilu vorgezeigt
werden; im Falle der Sohn sich die Verwaltung des Nach-
lasses anmasse, sei die andere Partei wohl befugt, ndas
officium judicis zu imploriren".
Die anfragenden Privatpersonen gehören den nämlichen
Landestheilen an, aus welchen Anfragen der bei der Recht-
sprechung betheiligten Organe erwähnt sind; jeder Stand»
von dem der Dorfbewohner bis hinauf zum hohen Adel, ist
vertreten. Einer Zusammenstellung der einzelnen Anfragen-
den bedarf es nicht; im Verlaufe der späteren Darstellung
werden sich reichlich Beispiele ergeben. Da es auch ge-
schieht, dass inländische Parteien, die bei einem auswärtigen
Gerichte Prozess fuhren oder im Bezirke eines solchen Ge-
richtes aussergerichtlich Rechtsinteressen zu verfolgen haben,
in Brandenburg sich des Rechtes belehren lassen, kommt der
') Vergl. unten S. 346 Note 2.
§ 20. Vorbemerkung. 337
Schöppenstuhl zuweilen in die Lage, nach fremdem Rechte
sprechen zu müssen, so z. B. wenn ein Märker bei einer in
sachsenrechtlichem oder in lübischrechtlichem Gebiete eröffne-
ten Erbschaft betheiligt ist, oder wenn er vor dem kurfürst-
lich Mainzischen Obergerichte in Erfurt prozessirt, oder wenn
er Fragen in Beziehung auf jüdisches, beim jüdischen Ober-
gerichte in Posen zur Sprache gebrachtes Recht stellt. Im
Laufe der Zeit mindert sich die Zahl privater Anfragen er-
heblich. Während der Jahre 1550 bis 1556, die der 5. Band
der Schöppenstuhlsakten umfasst, ist die Zahl der Anfragen
Privater ebenso hoch wie der Anfragen, die von Stadt-
gerichten oder die von Gutsherren oder die von Beamten
gestellt werden; während der Jahre 1565 und 1566, soweit
sie den Inhalt von Band 10 der Schöppenstuhlsakten bilden,
werden sogar die Anfragen der Stadtgerichte und die der
Beamten bedeutend, die der Gutsherren immerhin erheblich
an Zahl von den Anfragen Privater übertroffen. Später
dreht sich dies Verhältniss um; die Anfragen Privater werden
allmählich zur seltenen Ausnahme. Von 1720 bis 1761 sind
nur 22 Anfragen von Privaten bei den Akten. Die drei letzten
stammen aus den Jahren 1752, 1754 und 1761 (99278.557,
101 227). Diese erhebliche Abnahme fallt zeitlich damit zu-
sammen, dass den Sprüchen eine nähere rechtliche Begründung
beigefügt wird. Die im achtzehnten Jahrhundert auf Privat-
anfragen ergangenen Sprüche, meist Responsa oder Gut-
achten genannt, versah der Schöppenstuhl ebenso wie andere
Sprüche mit weitläufigen rationes, so dass z. B. ein von
Schütte verfasstes Responsum des Jahres 1752 (99278—323)
45 Blätter füllte. Dadurch erhöhte sich die Gebühr ganz be-
deutend, und es ist hierin wohl einer der Gründe zu erblicken,
aus welchen der allmähliche Fortfall von Anfragen Privater
sich erklärt.
Die Anfragen der bei der Rechtspflege betheiligten
Organe scheiden sich in solche, die von den Gerichten, und
zwar von den Gerichten niederer oder höherer Gattung, von
den Gerichtsherren selbst oder von ihren Beamten gestellt
werden. Diese Scheidung steht in nächstem Zusammenhang
mit der doppelten Art der Schlichtung von Streitigkeiten,
Stölzel, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 22
338 5» Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brand enburg-Preusseo..
die — ein Analogon der römischen judicia ordinaria und
extraordinaria oder der Volks- und der Magistratjurisdiktion
— unsere gesammte deutsche Rechtspflege durchzieht. Man
kann seine Streitigkeiten austragen mit „Urtheil und Recht",
d. h. vor Gericht, nämlich vor Richter und Schoppen in ge-
hegter Bank, man kann sie aber auch austragen durch Ver-
gleich, in der Güte, durch „Abschied", den die von den
Parteien zur Vermittlung angerufene Obrigkeit giebt. Beruht
ja doch der altgermanische Prozess überhaupt auf einem
aussergerichtlichen Vertrage, mittels dessen die Parteien sich
verpflichten, vor Gericht zu erscheinen und hier ihre Sache
zur Entscheidung zu bringen.1) Noch eine dritte Art des
Austrags gab es in älterer Zeit, die mit der Fehde, mit
Selbstgewalt oder Selbstrecht oder Selbstgericht, mit der
Faust, dem Faustrecht oder Faustgericht. Dieser letzteren
Art von Schlichtung der Rechtsstreite verdanken nicht bloss
die bis in die zweite Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts in
unseren Akten ersichtlichen „Fehdebriefe"2) ihre Entstehung,
sondern auch die Eide, in denen Urfehde geschworen wird,
mit der üblichen Klausel, „an Gleich und Recht" (d. h. Ver-
gleich und Rechtsspruch) „sich genügen zu lassen44, oder die
Eide, in denen die Unterthanen schwören, sich vor den Erb-
herren „in Friede oder Rechte vertragen zu lassen",3) also
auf die Selbstgewalt verzichten zu wollen.4)
Noch das kurfürstliche Edikt von 1606,5) das die im
Lande sich wieder häufenden Friedensbrüche und Brand-
stiftungen mit der Strafe des Feuers und Schwertes bedroht,
verlangt, „dass sich männiglich an Gleich und Recht,
welches einem Jeden ohne Ansehen der Person von uns
l) Brunner, Deutsche RGsch. 1, 340.
*) Siehe Sachregister der Urkundenbände in ÜB. 4 s. h. v.
s) Vergl. ÜB. 151 (Eid, den die Burger zu Freienstein 1503 denen
v. Rohr schwören).
4) Darauf beruht es auch, dass Caspar von Eickstedt zu Danitzow
1590 seinen Schreiber im Diensteide schwören lässt, allen denen, denen
sein Junker rabsageu, oder die ihm absagen lassen, auch Feind zu sein,
eine Bestimmung, wegen deren der Brandenburger Schöppenstuhl den
Diensteid für unverbindlich erklärt (ÜB. a 160 ff).
6) Pape, Joachim Scheplitz consuetudines . . . brand. S. 482.
1
§ 20. Vorbemerkung. 339
und den Gerichten mitgetheilt werden soll, genügen lassen
soll". Hier verschwimmt aber bereits die ursprüngliche Be-
deutung von „Gleich und Recht"; es ist nicht mehr die Rede
von einem durch Vergleich oder durch Gericht zu erledi-
genden Streite, sondern von einem Streite, den das Gericht
für Jedermann „gleich" (nämlich ohne Ansehen der Person)
zu erledigen angeheissen wird: der „Vergleich" ist zur
„Gleichheit" vor dem unparteiischen Gerichte geworden.
Eine Vergleichsinstanz war neben der Gerichtsinstanz in
den Städten wie auf dem platten Lande Jedermann zugäng-
lich. In der Stadt findet sie vor dem Rathe, in den Dörfern
vor den landesherrlichen Beamten oder vor dem Gutsherrn
und dessen Beamten, am Hofe des Fürsten findet sie vor
diesem oder vor seinen beauftragten Räthen statt. Mit dem
Absterben der Schöppengerichte wird sogar die Vergleichs-
instanz, namentlich auf dem Lande, zur Gerichtsinstanz, der
„Beamte" wird „Richter". In allen Stadien des Vergleichs-
verfahrens, wie in allen Stadien des Gerichtsverfahrens kann
aber Rechtsbelehrung eingeholt werden. So erklärt es sich,
dass bald Richter und Schoppen der Stadt- oder der Dorf-
gerichte, bald Bürgermeister und Rath der Städte, bald der
Landesherr oder der Gutsherr selbst, bald ein landesherr-
liches Kammer- oder Hofgericht oder eine Regierung, bald
ein Beamter der Gerichtsobrigkeit (ein Hauptmann, ein Amt-
mann, ein Amtsschreiber, ein Justitiar) als bei der Rechts-
pflege mitwirkende Organe erscheinen. Erwägt man dabei
die ausserordentliche Zersplitterung der Gerichte auf dem
Lande, die zur Folge hatte, dass jeder Gutsherr zugleich
als Gerichtsherr seines Gutssprengeis auftrat, so ergiebt
sich, dass die Zahl der Stellen, von welchen aus Organe
der Rechtspflege sich nach Brandenburg wenden konnten,
eine sehr grosse war.
Eine Namhaftmachung aller dieser Stellen würde ebenso
zwecklos sein, wie die Namhaftmachung aller Privaten, die
in Brandenburg angefragt haben; aber eine Reihe nach
Gruppen geordneter Beispiele wird sich doch nutzbringend
für die Erkenntniss dessen erweisen, womit der Branden-
burger Schöppenstuhl sich zu beschäftigen hatte.
22*
340 5* Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preussen.
Als die geographischen Grenzen, bis zu welchen hin sich
die Wirksamkeit des Brandenburger Schöppenstuhls er-
streckte, werden sich ergeben im Norden Rostock und Stral-
sund, im Nordosten Rügenwalde, im Nordwesten Lauenburg
und Hamburg, im Südosten Sagan, im Westen Kleve. Nach
Süden ist der Schöppenstuhl am wenigsten weit vorgedrungen.
Seltsamerweise hat das deutsche Prozessrecht keinen
technischen Namen für denjenigen geschaffen, der sich um
Belehrung an einen Oberhof wendet. Es wird von ihm zwar
gesagt, dass er „Recht hole", oder dass er eine „Rechts-
frage" bringe, oder dass er bitte, ihn „des Rechts zu be-
lernen (belehren)", aber einen Rechtsholer oder Rechts-
frager oder einen Belehrung Suchenden kennt man nicht.
Erst unter dem Einfluss der fremden Rechte bildet sich beim
Brandenburger Schöppenstuhl in Anknüpfung an die Krthei-
lung von Konsilien1) der Ausdruck „Konsulent" für den-
jenigen, der eine Belehrung erbittet, mag die Bitte von einem
Gerichte oder von einer sonstigen Behörde oder von einer
Gerichtsobrigkeit oder von einer Partei ausgehen. Die Wahl
dieses Ausdrucks hat das Auffällige, dass in anderen Lan-
destheilen ein Konsulent nicht denjenigen bedeutet, der ein
consilium erbittet, sondern den, der es ertheilt. Deshalb
wird vielfach der Syndikus auch Konsulent — und, wenn er
Rathssyndikus ist, auch Rathskonsulent — genannt.2)
Entsprechend dem Brandenburger Sprachgebrauch sollen
hier mit dem Ausdruck Konsulenten alle Diejenigen! umfasst
werden, welche in Brandenburg Belehrung erbeten haben.1}
§21.
Stadtgerichte.
Hier ist zunächst Einiges über die Anfragen aus den
Brandenburgisch -Preussischen Stadtgerichten zu sagen. Für
sie war ja der Brandenburger Schöppenstuhl in erster Linie
eingerichtet worden.
') Siehe oben Seite 253.
2) Stölzel, Gelehrtes Richterthum 1, 237, 276, 289 ff., 297 fl., 302.
3) Wo im Folgenden bei Angabe der Konsulenten der Hinweis auf
Band und Blatt der Schöppenstuhlsakten fehlt, ist Band- und Blattzahl leicht
aus dem Heffterschen aiphabet. Verzeichniss der Konsulenten zu entnehmen.
§ 2i. Stadtgerichte. 341
Dass zu den anfragenden märkischen Städten die Stadt
Brandenburg, und zwar die Altstadt wie die Neustadt, später
die vereinigte Stadt gehört, versteht sich von selbst; nament-
lich ergehen in Strafsachen Anfragen, und zwar werden diese
Anfragen von „Bürgermeister und Rathu gestellt, da der
Rath, nicht Richter und Schoppen, die Strafgerichtsbarkeit
verwalten. l) Hierbei überwiegen in den vorhandenen Schöp-
penstuhlsakten die Anfragen aus der Neustadt,2) was einen
Beleg mehr dafür abgiebt, dass ihrem Hauptbestande nach
diese Akten solche der Altstadt sind. „Bürgermeister und
Rathmannen" stellen dann — nicht bloss in Brandenburg,
sondern auch in anderen Städten — die Anfragen, wenn (Zivil-
sachen vor dem Rathe als Vergleichsinstanz verhandelt
worden sind. So schreiben Bürgermeister und Rathmannen
der Neustadt Brandenburg (durch des Richters Iden Hand)
1623, sie nebst dem Richter hätten die Güte unter den streiti-
gen Parteien vergeblich tentirt, bis sie sich auf den von
ihnen gethanen Vorschlag endlich dahin erklärt, dass diese
Sache an den löblichen Schöppenstuhl hierselbst zu ver-
schicken und darin erkennen zu lassen sei (71 16). Ueber
einen bei den Untergerichten der Neustadt Brandenburg
verhandelten Pferdekauf fragt 1627 Iden als verordneter
Stadtrichter an, ohne dass dabei eine Mitwirkung von Schop-
pen erhellt (72 429) ; es war die Zeit, in der der Richter be-
gann, die Schoppen zur Seite zu schieben, und gerade Iden
zog sich ja deshalb (1623) den Vorwurf seines Schwagers
und Mitschöppen Floring zu, dass er in „unerhörter Weise"
verfahre. 3)
In besonders reger Beziehung stand Berlin zu dem
Brandenburger Schöppenstuhl. Von 1532 ab brachten Bür-
germeister und Rath oder Richter und Schoppen von Berlin-
*) Beispiele sind: 1560 (8 88. 254), 1601 (48 185), 1630 (73 367), 1716
{82331), 1728 „Syndici, Judex und Assessores zu Br." (8579), 1731 „Rich-
ter und Assessores zu Br.u (86 357), 1743 „Directores, BM. und Rath zu
Br.a (94 773)-
2) Nach dem Heffterschen Repertorium c. 60 altstädter Sachen gegen-
über c. 300 neustädter Sachen; daneben einige 60 Strafsachen, die das
Domkapitel einsandte.
3) Siehe oben Seite 164.
342 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preusscn.
Cöln mehrere hundert Sachen nach Brandenburg". l) Das Ge-
ständniss, hinter den Brandenburger Schoppen an Rechts-
kunde zurückzustehen, sprechen die Cölner Schoppen noch
1557 (6 110) ohne Zögern aus, wenn sie die Aktenversen-
dung in einer Civilsache damit begründen, „dass es wichtig
und schwer sei, auf den Handel zu erkennen*4. Hauptsäch
lieh sind die eingesandten Sachen Strafsachen. In einer
Konkurssache bitten 1691 (79 692) „ Richter und Aktuar der
Dorotheenstadt" (in Berlin) um ein Priori tätsurtheil. „Direk-
tor, Richter und Assessores des Stadtgerichts hiesiger Kgl
Preussischer Residenzien" fragen 1712 (82 156) von Berlin in
einer Diebstahlssache an. Als Gerichtsstand für Hofbeamte
und demnach als Nachfolger des alten Hofgerichts erbitten
1723 (8i549)i l73l (86251. 328), 1736 (88558) „zum Kgl.
Preuss. Kriegs-, Hof- und Kriminalgericht zu Berlin verord-
nete Direktor, Vizedirektor und Räthett2) in verschiedenen
Civilprozessen Brandenburger Sprüche. Der Scharfrichter
zu Oranienburg (bei Berlin), der unter dem „Hof Jägermeister-
amte auf dem Jägerhof zu Berlin" steht, appellirt im Jahre
1743 (94 111), wegen Vernichtung dreier angeblich rotzigen
Pferde zum Schadensersatz verurtheilt, an das Hof Jäger*
meisteramt, das die Akten nach Brandenburg versendet
Sogar aus Magdeburg gelangen Anfragen nach Bran-
denburg, und zwar auch aus der Zeit vor dem dreissigjäbn-
gen Kriege. Das hatte nichts Auffälliges, wenn es sich darum
handelte, inwiefern Magdeburger Bürger auf eine in der
Mark Brandenburg eröffnete Erbschaft berechtigt waren. 7
Aber es kommt auch vor, dass Magdeburger Erbprätendenten
sich bezüglich einer in Magdeburg eröffneten Erbschaft Rathes
in Brandenburg erholen.4) Der Rath zu Loburg (im Magde-
burgischen) wendet sich 1557 (6 3) nach Brandenburg, weil
das Magdeburger Gericht sich weigert, eine erkannte, aber
unterbrochene Tortur am nächsten Tage fortzusetzen. Ja
*) Die Bibliothek des Magistrats zu Berlin besitzt zwei Folianten Ab-
schriften von Berliner Sachen der Brandenburger Schöppenstublsakten.
*) Mylius, Berger, Fromme, Gerbel, Katsch.
3) So 1553 (5 115), 1556 (5422), 1567 (11 435)-
4) So 1560 (8 280K 1561 (8436), 1577 (18 570), 1621 (68613).
§ 21. Stadtgerichte. 343
selbst die Schoppen der Neustadt Magdeburg wenden sich
1574 (15 370) um weitere Rechtsbelehrung an die Branden-
burger, l) nachdem ein Verurtheilter die auf Grund eines Be-
lehrungsurtheils der Magdeburger altstädtischen Schoppen
geleistete Urfehde gebrochen hatte; der Grund dieses Ver-
fahrens konnte nur darin liegen, dass die Neustadt Magde-
burg ihr Interesse durch den Magdeburger Schöppenstuhl
nicht genügend gewahrt glaubte. Darauf mag es auch be-
ruhen, dass der Domkapitelsvogt der Magdeburger Vorstadt
Sudenburg sich 1608 (56 68) in einer Strafsache einen Bran-
denburger Spruch erbittet. Dass nach dem Verschwinden
des Magdeburger Schöppenstuhles und nach dem Anfall
Magdeburgs an Preussen dorther 17 16 vom Magdeburger
Kammerfiskal (8140), 1730 vom Magdeburger Stadtsyndikus
und v. Münchhausenschen Justitiar (85 405) und 1738 wie
1740 (89 547; 91 165) von der Regierung zu Magdeburg, auch
1743 (95 45) und 1746 von Bürgermeister und Rath zu Magde-
burg (97 836) in Brandenburg Belehrung geholt wird, mag
nur nebenbei bemerkt werden.
Die Sonderstellung, die zu Gunsten Magdeburgs Tanger-
münde 1528, sowie Krossen, Kottbus und Züllichau 1551 zu
Gunsten Leipzigs eingeräumt erhalten hatte,2) that Branden-
burg sichtlichen Abbruch; denn die von Tangermünde nach
Brandenburg gesandten mehreren hundert Sachen beschränken
sich fast ausschliesslich auf Strafsachen und Erbschaftsstrei-
tigkeiten,3) die aus den drei andern Städten eingesandten
*) Aehnliche Doppelfrage in Magdeburg1 und in Brandenburg : 1566
(10 450) erwirkt der v. Rochowsche Richter auf Golzow (bei Brandenburg)
gegen einen wegen versuchter Brandstiftung und wegen Pferdediebstahls
beschuldigten Pfarrer ein Todesurtheil in Magdeburg; mit Hinweis auf dies
Unheil fragt der Richter noch in Brandenburg an. Weil in einer pommer-
schen Zaubereisache (1583 bis 1592: 35211fr.) die Magdeburger auf Zulas-
sung weiterer Defension statt auf Verurtheilung erkennen, wird an zweiter
Stelle in Brandenburg angefragt. Nachdem 1600 ein Schulzenhofsbesitzer im
Magdeburgischen günstige Belehrung der Magdeburger Schoppen erhalten,
„erfordert* (1606: 53 465) „seiner Witwe und Kinder höchste Nothdurft,
dass sie auch vom Schöppenstuhl zu Brandb. einen beständigen Grund des
Rechten haben möchten."
2) Siehe oben Seite 303.
3) Siehe das Hefftersche Generalrepertorium.
344 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preussen.
Sachen sind aber von sehr geringer Zahl, und zwar etwa zur
Hälfte Strafsachen. Aus den (1815 an Preussen gefallenen)
sächsischen Landestheilen wandten sich nur hier und da solche
Städte nach Brandenburg, die an der Grenze der Mark lagen,
wie z. B. Beizig und Jüterbog. Aus letzterer Stadt finden sich
26 Straf- und 4 Civilsachen, die der Zeit von 1556 bis 1636
angehören.
Vorzugsweise reichlich sind der Natur der Sache nach die
Städte der Mark vertreten ; von Beispielen, in denen ein vor
dem Rathe der Stadt schwebendes Vergleichsverfahren den
Anlass zur Einholung einer Belehrung in Brandenburg giebt,
mag je ein Fall aus Salzwedel und aus Gardelegen angeführt
werden. Das Verfahren in Salzwedel leitet sich 1622 (70
687) damit ein, dass Bürger beim regierenden Bürgermeister
um Citation ihrer Gegner zum nächsten Tage behufs Erledi-
gung ihres Streites durch einen „Abschied" des Rathes bitten.
In Gardelegen „gedeihen44 (1623: 70 340) ein Hamburger
und ein Gardelegener Bürger in einem Evalvationsprozesse
„zu Verhör beim Rathe1' zu Gardelegen, der einen „Ab-
schied44 giebt, dass der Beklagte in schwerem Gelde zu
leisten habe; der Beklagte lässt sich darauf in Brandenburg
belehren, „wie er sich gegen des Raths Abschied helfen
könne44.
Kleinere märkische Städte haben mehrfach eine Selbst-
verwaltung der Gerichtsbarkeit nicht erlangt. Beispiele sol-
cher Städte, die nicht unter dem Landesherrn, sondern unter
einem ihnen benachbarten Gutsherrn gleich dessen Dörfern
stehen, oder, die, wenn sie unter dem Landesherrn stehen,
von diesem behandelt werden, als gehörten sie gleich der
umliegenden Landschaft, unter die Verwaltung der landes-
herrlichen Beamten, sind die Städte Freienstein, Reetz, Witten-
berge, Wilsnack, Gransee.
In Freienstein (Regierungsbezirk Potsdam) lehnten sich
1503 die Einwohner gegen ihre Erbherren, die Gebrüder von
Rohr, auf und beanspruchten eigene Gerichtsbarkeit mit der
Befugniss, ihrerseits die Rathmannen, Schoppen und Richter
wählen zu können. In einem Vergleiche desselben Jahres
wird anerkannt (47 1 1 1), dass denen von Rohr alle Gericht ein
§ 21. Stadtgerichte. 345
und ausser dem Städtlein zustehen, und dass die von Rohr
Rath und Richter ordnen und absetzen. Demgemäss wenden
sich 1557 (6 145) Richter und Schoppen an einen von Rohr
mit der Klage, dass ein Verurtheilter dem Kläger den diesem
zugesprochenen Garten, ungeachtet er gerichtlich eingewiesen,
nicht herausgebe; der von Rohr befiehlt, Belehrung in Bran-
denburg zu suchen. Ein solcher Erbherr nimmt zu Zeiten
auch an den Verhandlungen der Gerichte persönlich theil.
So wird 1565 ein Erbstreit zweier Bürger von Reetz (Städtchen
bei Arnswalde), „vor den v. Wedel, zu Retz und Norenberge
Erbgesessenen, auch Bürgermeister, Rath und Gericht des
Städtleins" verhandelt (9523 fr.); „Bürgermeister, Rath und
Gericht zu Reetz" senden dann die Akten „nicht allein ihrem
alten Gebrauch nach, besondern auch, nach Verordnung
kurfürstlicher Konstitution" nach Brandenburg zum Spruche.
Das Gericht in Gransee, einer Stadt der 1524 an die Mark
gefallenen Grafschaft Ruppin, bittet 1533 (3 622) beim Bran-
denburger Schöppenstuhl als seinem „Stipeln" {= Stamm-)
„und Hauptgericht" um Unterweisung, wie mit einer Partei
zu verfahren sei, die das Gerichtsurtheil geschmäht habe.
Das Städtchen Wilsnack hatte die von Saldern zu Erb-
junkern; sie setzten um 1600 ihren dortigen Richter wegen
seiner Verfehlungen ab und einen neuen aus der Mitte des
Rathes ein. Auf Anfrage von Bürgermeister und Rath er-
klären dies 1601 (ÜB. 2 321) die Brandenburger für zulässig,
es müsste denn erwiesen werden, dass keiner seiner Vor-
gänger im Richteramte zugleich im Rathstuhl gesessen hätte.
Streitet eine Stadt mit einem ihrer Bürger, so kommt
es vor, dass die Stadt sich selbst das Recht zuspricht zu
bestimmen, wer den Streit entscheiden soll. Dies geschieht
1557 (6 46 bis 71) in Kyritz: der dortige Rath „verordnet"
in einem solchen Streite einen Bürger zu Kyritz zum Richter ;
dieser Richter nimmt die Schriftsätze beider Theile entgegen
und verschickt die Akten nach Brandenburg, Schoppen wirken
dabei nicht mit: weil es unziemlich wäre, dass ein Bürger der
Stadt die Stadt selbst bei dem aus ihren Rathmannen ge-
bildeten Gericht belange, wird pro forma von dem Rath, der
einer der Streittheile ist, ein besonderer Richter ad hoc er-
346 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preussen.
nannt, dessen Aufgabe aber nur darin besteht, als Brief-
träger zwischen den Parteien und Brandenburg zu dienen.
Aehnlich fungirt zur selben Zeit (6319) der Richter des
Städtchens Putlitz (bei Pritzwalk) als Einzelrichter in einem
Gerichtshandel, der „vor ihm gerichtlich eingebracht ist"; er
sendet den Handel nach Brandenburg, da er „der Rechten
nicht genugsam erfahren44. Und ohne solche Begründung
sendet 1558 (7 195) der Stadtrichter zu Lenzen Akten, „die
vor ihm erwachsen44, nach Brandenburg.
Das Stadtgericht Wittstock verwaltete 1608 der als einer
der angesehensten und gelehrtesten märkischen Juristen be-
kannte, aus einer dortigen Schöppenfamilie *) stammende
Joachim Scheplitz, der auf verschiedenen Hochschulen Deutsch-
lands ausgebildet und in Basel zum Licenciaten promovirt
war.2) Auch er holte sich Namens Bürgermeisters und
Raths 1608 (56443) in Brandenburg Belehrung. In Gransee
hat 1619 (66 713) der landesherrliche Gerichtsverwalter bei
Aburtheilung einer Schwängerungssache mitzureden; von
ihm, Bürgermeister und Rathmannen geht die Anfrage nach
Brandenburg, wie die Geschwängerte zu bestrafen sei.
Als im Laufe der Zeit neue Landestheile dem Branden-
burg-Preussischen Staate zufielen, wandten sich auch aus
diesen, wie wir es von Magdeburg gesehen haben,3) ver-
schiedene Stadtgerichte nach Brandenburg.
So z. B. 1651 (78 275. 289) Richter und Schoppen zu
Stettin, 1667 (79 390) Bürgermeister und Rathzu Stargard
in Hinter-Pommern, das 1648 mit Preussen vereinigt wurde,
1690 (79 645), 1691 (79 706. 712) Richter und Schoppen des
ebenfalls 1648 unter preussische Hoheit gefallenen Stadt-
gerichts Halberstadt, 1723 (81555) Bürgermeister und
Rath zu Aschersleben (im früheren Fürstenthum Halber-
stadt) 1743 (94416), 1746(97 i32)i *747 (98 7) „Kgl. Preuss.
2) 1545 Christoph und Anton Seh. Witstochienses in Frankfurt irorna-
trikulirt, Christoph Seh. 1569 (ia 229) Schöppe in Wittstock.
2) Siehe Seidel, Bildersammlung S. 168, und Stölzel, Rechtsverwaltung'
an den im Namensregister des Bd. I angegebenen Stellen. Stintzing, Gesch.
der Rechtswiss. 1, 571.
3) Siehe oben Seite 342.
§ 2i. Stadtgerichte. 347
Geheimerath und zu denen Berg- und Thalgerichten verord-
nete Schul theiss, Salzgräfe und Assessores zu Halle14 in Civil-
wie in Strafsachen, 1747 (98237) Richter und Schoppen des
„fürstlichen weltlichen Gerichts beider Städte Quedlinburg4*,
die seit 1698 unter preussischer Hoheit standen, J) 1724 (83 462),
1734 (87 653), 1735 (88 222) Schultheiss, Statthalter und
Schoppen des Stadt- und Hauptgerichts zu Meurs, das zu
dem 1609 mit Brandenburg vereinten Herzogthum Cleve ge-
hörte und ein Gericht war, das zugleich als Appellationsgericht
sprach, ferner 1730 (85 374) und 1736 (88 445) der Scabinat
der zum nämlichen Herzogthum gehörig gewesenen Städte
Wesel und Xanten, 1741 (92325.380) der Richter der
Stadt Hamm in der ebenfalls 1609 angefallenen Grafschaft
Mark, 1743 (95 265) das Stadtvogteigericht der Stadt
Konnern im Amte Giebichenstein, ferner aus der Grafschaft
Mark 1743 (94472) der Magistrat zu Lüdenscheid, 1743
(94299) der Stadtrichter2) zu Iserlohn, im nämlichen Jahre
(94 723), wie auch 1745 (96 224. 365) und 1746 (97 148) der
„Königliche Richter der Stadt und des Amts Unna44, ferner
im Jahre 1743 der Richter der Königlich Soestischen
Gerichte (94 159), 1742 (93 369), 1743 (94 159), 1746 (97 37<>)>
1747 (98 129. 161. 167. 210), 1748 (98 360. 415. 427) Bürger-
meister und Rath zu Soest, 1744 (95 277) „Kgl. Preussischer
Richter und Assessores des Bürgergerichts zu Herford44,
*743 (94 547- 602. 608. 617) das Gericht3) zu Schwelm,
1743 (94 796) der Richter der Stadt Schwerte (bei Hagen),
1747 (98 174. 175) der Richter zu Hagen4), 1747 (98 70)
Bürgermeister und Rath zu Hatn eggen (Hattingen bei
Essen). Wie einfach die Prozesse liegen, in denen aus den
genannten Stadtgerichten Anfragen nach Brandenburg ge-
langten, mag ein Fall des Jahres 1747 (98 168) aus Soest
belegen. Ein Beklagter sollte die von ihm vorgeschützte
!) Dieselbe Sache war vorher nach Wittenberg- und Frankfurt a./O.
versandt gewesen.
*) Namens Pütter, der Vater des Staatsrechtslehrers.
8) Nähere Titulatur nicht ersichtlich.
4) Nach der Adresse: Monsieur Wulfin gk, juge tres renomme de S.
Maj. le Roi de Prusse.
348 5* Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preussen.
Zahlungseinrede beweisen; er tritt den Beweis durch Zeugen
an, steht aber nachher von der Beweisführung ab; dass nun-
mehr der Beklagte zu verurtheilen sei, lag auf der Hand;
weil aber „in den Akten ad extraneos provozirt isttt — ob
von einer Partei oder von beiden, ersieht man nicht — wird
in Brandenburg ein Erkenntniss verlangt, das natürlich auf
Verurtheilung des Beklagten geht.
Eines besonderen Zuspruchs erfreute sich der Branden-
burger Schöppenstuhl im letzten Jahrhundert seiner Thätig-
keit aus dem Stifte Quedlinburg, das 1802 an Preussen fiel,
nachdem es seit 1698 unter Preussischer Hoheit gestanden
hatte. Demgemäss gelangten auch viele Sachen aus der
Stadt Quedlinburg nach Brandenburg. In Quedlinburg übten
„Richter und Schoppen des weltlichen Gerichts beider Städte"
noch im achtzehnten Jahrhundert die Gerichtsbarkeit; „Bür-
germeister und Rath beider Städte" in Verwaltung der preussi-
schen Erbvogtei bildete dem Stadtgericht gegenüber die
„Läuterungsinstanzu (1701: 8031), und diese holte ihre
Rechtsbelehrung in Brandenburg.
§22.
Landesherr.
Dem Vertrauen, das in der Joachimica dem Branden-
burger Schöppenstuhl geschenkt wurde, entsprach es, dass
Kurfürst Joachim und seine Nachfolger, solange sie noch
persönlich an der Rechtsprechung, namentlich an der Er-
ledigung der Strafsachen Antheil nahmen, in dem Schöppen-
stuhl ein Hülfsorgan sahen, dem sie — wie den gelehrten
Räthen ihrer Umgebung — die Beantwortung zweifelhafter
Fragen übertrugen. Der Landesherr holte in solchen Fällen
sich Belehrung bei den Schoppen, oder er wies diejenigen,
die ihm rechtliche Zweifel vortrugen, an die Schoppen. Da-
bei hatte er aber keineswegs die Absicht, unbedingt seine
Meinung der der Schoppen unterzuordnen, scheute vielmehr
nicht davor zurück, ihnen kund zu thun, welchen Rechts-
spruch er erwarte, oder auf Abänderung des Rechtsspruchs
hinzuwirken, wenn derselbe bereits ergangen war; erschien
ja doch in der Joachimica der Kurfürst noch als die Instanz,
§ 22. Landesherr. 34£)
an welche die Appellation von den Sprüchen der Branden-
burger Schoppen ging. Die Joachimica erwähnte zwar die
Strafgerichtsbarkeit nicht, aber auch vor ihrer Zeit hat
Brandenburg als der Schöppenstuhl gegolten, bei dem die
ganze Mark und damit auch vorkommenden Falles der
Landesherr in peinlichen Sachen Recht holte.1) In den
Schöppenstuhlsakten datirt der erste Fall, in welchem der
Kurfürst das bei ihm anfragende Strafgericht nach Branden-
burg weist, vom Jahre 1529 (ÜB. 1 113). Es handelte sich
um eine Vergiftungs- oder Zaubereisache aus Spandau, die
früheste bis jetzt bekannte Verfolgung einer Zauberin in der
Mark; der Kurfürst befahl dem dortigen Rath, bei dem
„Rathe zu Brandenburg14 — so bezeichnete der Kurfürst kurz
den „ Gerichtsstuhl beider Städte Brandenburg*, wie die
Joachimica korrekter sagte — Belehrung zu suchen und wies
zugleich die Spandauer an, „fürder" die Brandenburger zu
fragen;2) die Befragung in Brandenburg war also für solche
Sachen nicht alter Spandauer Brauch, sondern etwas Neues.
Einige Jahre später (1539) übersandte Joachim II. den Branden-
burgern die Anschuldigung des Kurfürsten von Sachsen gegen
Em Johann Kohlhase, Pfarrer in Müncheberg,3) einen Ver-
wandten des bekannten Berliner Kaufmanns Hans Kolhase,4)
der Kursachsen, weil es ihm sein Recht verweigert hatte,
die Fehde ansagte und dort brannte und plünderte.5) Der
Kurfürst von Sachsen beschuldigte die Brandenburger, auf
Kolhases Seite zu stehen und um dessen Einfall gewusst zu
haben; deshalb baten sie den Kurfürsten, sie in diesem
schwierigen und wichtigen Handel „mit der Frage zu ver-
schonen14 und an andere Oerter die Akten zu verschicken
oder ihnen wenigstens soviel Frist zu gewähren, dass sie
selbst die Sache verschicken könnten, wohin es dem Kur-
fürsten und den Parteien leidlich sei.
1) Siehe oben Seite 279.
2) „Darnach ihr euch fürder sie zu fragen wohl der Gebühr zu halten
wissen werdet".
3) StA. 1 R. 49c.
4) Riedel 1. 20 S. 173.
•) Vergl. Burckhardt, der histor. Hs. Kohlhase. Lpzg. 1864.
350 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg^-Preussen.
Als 1555 „ein Pfarrer vom Adelu (Anthonius Holstein
in Wilmersdorf) nach dem Abgang seiner Köchin sich ver-
ehelicht hatte und mit ihr nachher in Streit gerieth, so dass
sie ihn mit einem Messer in den Leib stach, begehrte der
Kurfürst, der das Weib hatte gefangen setzen lassen, von
den Schoppen beider Städte Brandenburg Belehrung", wie
das Weib zu strafen sei. l)
Damals galt noch in den Augen der Parteien der Kur-
fürst selbst als der massgebende Richter, und zwar auch in
Civilsachen 1545 (ÜB. 1211). Denn als es in einem Erb-
streite von Unterthanen den Junkern von der Schulenburg zu
Apenburg (bei Salzwedel) nicht gelang, die Streitenden gütlich
zu einigen, kam es auf Antrag der einen Partei zu einem
Spruche in Brandenburg, den der obsiegende Theil vermittels
einer Supplikation dem Kurfürsten mit der Bitte vorlegte,
die „Konfirmation" zu ertheilen und „den Rath zu Apen-
burg anzuweisen, sich hiernach bei der Erbtheilung^ zu
achten"; dies geschieht. Der Rath zu Apenburg war nicht
etwa das zuständige Prozessgericht, sondern er war, wie
der heutige Nachlassrichter, die Instanz zu ausserprozessuali-
schem Vollzuge der Erbtheilung; was der Brandenburger
Schöppenstuhl gesprochen und was der Kurfürst bestätigt
hatte, diente den Erbinteressenten und dem Rathe als
Grundlage für die Erbtheilung. Ebenso ging 1573 (14457)
der Junker von Schlaberndorf zu Siethen (bei Potsdam) in
einer zu seiner Entscheidung stehenden Zaubereisache erst die
Brandenburger mit der Frage an, ob die Beschuldigte der
Folter zu unterwerfen sei, und wandte sich dann, da die Bran-
denburger einen genügenden Verdacht nicht annahmen, mit
derselben Frage an die Magdeburger, die „den peinlichen
Zutritt erkennen44. Beide Sprüche legte darauf der Junker,
„damit er nicht zu viel und nicht zu wenig thue44, dem Kur-
fürsten vor und bat um dessen „Bedenken44; der Kurfürst
rieth zur peinlichen Frage und lies durch den Kanzler
Lampert Distelmeier sagen, er (der Kurfürst) wisse wohl, dass
die Brandenburger, wenn dorthin die Umstände klar berichtet
wären, sich auch für die peinliche Frage erklärt hätten. Nun-
lj StA. R. 49 c.
§ 22. Landesherr. 351
mehr wandte sich v. Schlaberndorf unter Vorlage eines Ver-
zeichnisses der Indizien und des Magdeburger Spruchs von
neuem nach Brandenburg. Hier „erscheint44 jetzt auch „so-
viel, dass die Angeklagte der peinlichen Frage, jedoch mit
rechtlicher Mässigung unterworfen werden mögeu. l)
Eine andere Reihe von Fällen, in denen der Kurfürst in
die Lage kommt, Rechtshändel dem Schöppenstuhl zuzu-
führen, erwuchs aus der Sitte, dass die eine oder andere
Partei den Kurfürsten „supplikationsweise" bat, „Kommissare
zu bestellen", die einen entstandenen Streit entscheiden sollten.
Dies war eines der Mittel, unter Vermeidung des ordentlichen
Gerichtes zum Austrag eines Streites zu gelangen.2) Die
Kommissare erhielten dann mannigfach die Weisung, die
Sache in näher bestimmten Prozessformen verhandeln zu
lassen und hierauf die Akten nach Brandenburg zu senden.
Es kam auch vor, dass Richter und Schoppen eines benach-
barten Gerichts, zu dessen Zuständigkeit die Sache an sich
nicht gehörte, unter Zuziehung eines Rechtsgelehrten zu
Kommissarien bestellt wurden. So lässt 1552 (4 593) in
einem Streit zwischen einer Wittwe und ihren Schwägern
zu Rheinsberg der Kurfürst „Richter und Schoppen zu Neu-
Ruppin44 sammt Joachim Kriel eine Kommission behändigen,
dass sie (die Kommissarien) „die Rechtfertigung" der Parteien
„mit drei Gesetzen (d. h. Schriftsätzen) verwechselterweise
annehmen und zu Kürzung des langwierigen Prozesses von
vierzehn Tagen zu vierzehn Tagen sollen einbringen lassen,
1) Beispiele, in denen der Kurfürst BM. und Rath oder Richter und
Schoppen oder seinen Hauptmann, Hausvogt, Kastner anweist, in Br. Be-
lehrung zu holen, oder in denen er selbst solche holt, sind noch aus
»557, 1558 (6i73- 356; 7 «5)> 1565 (10103. ÜB. 1449), '573 (15 494) >
»574 (16392. 117- ÜB. 1 613), 1577 (19 114). iS78(i9 574- ÜB. 1702),
»583 (*3 21- 87), 1591 (34 131- ÜB. 3 106), 1626 (7a 225. ÜB. a 646), 1631
{74 2. ÜB. a 659) anzuführen. Eine Auskunft über die Frage, „wie breit
eine Wenderuthe oder Anwende sei", also ein Weisthum erbittet der Kur-
fürst 1581 (ai ac), aufgenommen in Decis. II fol. 101, siehe ÜB. 4 14. 15.
Bei Abwesenheit des Kurfürsten weisen Statthalter und Räthe 1609 (58490)
den BM. und Rath zu Beeskow in einer Diebstahlssache, „da sie zu des
Kurf. Resolution beruhe, dieser aber ausser Landes sei", nach Brdbg.
2) Vgl. Stölzel, Rechtsverwaltung Bd. 1 an den im Sachregister unter
„Supplikation*' genannten Stellen.
352 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preusseo.
um dann die Akten nach Brandenburg zu schicken". Dem-
gemäss sind die Parteien bis zum Unheil geschritten, und
es ist nach der Ansicht der Kommissarien „der scopus con-
troversiae daran gelegen, wem der Beweis möge auferlegt
werden". Indem dies die Kommissarien den Brandenburgern "!
unter Beifügung der Akten schrieben, baten sie, „was tür !
das Beständigste und Erheblichste erscheinen werde, für
Recht zu erkennen". l)
Wie intensiv unter Umständen der Kurfürst seinerseits
glaubte auf die Entscheidung einwirken zu müssen, welche
von Brandenburg eingeholt wurde, ergiebt zunächst ein Fall
des Jahres 1573 (ÜB. 1 589). Die Brandenburger Schoppen
hatten damals gegen ein der Blutschande mit ihrem Bruder
und der Abtreibung geständiges Weib auf Staupschläge er-
kannt. Auf die Beschwerde des Propstes zu Diesdorf Christof
von der Schulenburg befahl der Kurfürst den Branden-
burgern, da die erkannte Strafe „fast (=sehr) zu linde*1
sei, die Urgicht nochmals durchzulesen und einen neuen
Spruch zu fallen. Dieser lautete dann auf den Tod durch
das Wasser. Ferner hatten im Jahre 1574 (15 80. ÜB, 1 612)
die Brandenburger nach Meinung des Kurfürsten einen des
Mords Angeklagten auf die Anfrage des Hausvogts Rosen-
ecker „zu gnädig" angesehen,2) weil er die That auf An-
stiften seines Junkers vollbracht habe; der Kurfürst reskri-
birte den Brandenburgern, dass sie „das Bekenntniss noch ein-
mal erwägen und den Rechten nicht ungemäss sprechen-
möchten. Die Folge war ein Urtheil, nach welchem der An-
geschuldigte mit dem Rade vom Leben zum Tode zu ver-
richten sei.
Mehr Festigkeit bewiesen die Brandenburger in zwei
Fällen aus den Jahren 1582 (30 338) und 1592 (35 296 fr.).
In ersterem Falle gab der Kurfürst einen Befehl, der einen
Spruch der Rostocker Fakultät inhibirte, und einen zweiten
Befehl, der bis auf Weiteres ein beim Kammergericht
schwebendes Verfahren unterbrach; eine dagegen mittels
1) Ebenso 1565 (10 235); hier waren in einem Prenzlauer Erbstreit
drei Prenzlauer Schoppen und Andreas Schulz die Kommissarien.
2) Wie, erhellt nicht.
§22. Landesherr. 353
Anfrage um Rechtsbelehrung in Brandenburg eingelegte Be-
schwerde erklärte der Schöppenstuhl für begründet und
sprach der Beschwerdeführerin das Recht zu, wider ihren
Gegner mit Pfändung vorzugehen. Darin lag die Entscheidung,
dass der kurfürstliche Befehl unberechtigt sei. Des Nähern
ist die Sachlage folgende:
Die Gebrüder von Königsmark zu Kötzlin (bei Kyritz)
hatten iooo Fl. von der Jungfrau Ursula Gans Edle zu Putlitz
gegen Verpfandung von Kornpächten geliehen. Nachdem
die Gläubigerin sich mit Martin Kieseling in Ribbenitz ver-
ehelicht, verweigerten die Schuldner die Rückzahlung, weil sich
die Gläubigerin nicht mit ihres Gleichen verehelicht und des-
halb keinen Anspruch auf das ausgeliehene Geld habe, das
ihre Ehesteuer darstelle. Dies erklärte die Fakultät in Rostock
auf Befragen für unberechtigt (März 1580). Der Kurfürst
Joh. Georg befahl aber dem Christof v. Königsmark im
Mai 1580, dass er der Ursula auf ihr Ansuchen ohne besondern
kurfürstlichen Befehl nichts von der Hauptsumme folgen lassen
solle, weil sie „zu Schimpf ihres ganzen Geschlechts sich zu
einem Schulmeister gesellet, mit dem sie davon gezogen und
und sich nachgehends vertrauen lassen", da er (der Kurfürst)
dergleichen Unthaten zu dulden nicht gemeint sei. Im Jahre
1582 supplizirte Ursula an den Kurfürsten, und dieser gab dem
Landreiter zu Perleberg auf, zu erkunden, „was aus-
geliehen Geld seiu; dazu möge der Landreiter ihr gebühr-
lich verhelfen; was aber ihre Ehesteuer anlange, dazu könne
ihr keine Hülfe verstattet werden, weil sie sich so vergessen
und sich mit ihres Gleichen nicht verehelicht. Auf ihren
Pfandungsantrag wurden darauf die Königsmark vor die
Kammergerichtsräthe beschieden; hier legten sie einen sub-
et decepticie ausgebrachten Befehl vor, die Sache bis auf
weitere Relation liegen zu lassen. Weil dieser Verzug ihr
beschwerlich, bat Ursula Gans die Brandenburger um
Belehrung, ob nicht die v. Königsmark zu zahlen schuldig
und sie sich nicht im Fall der Nichtzahlung in die ihr mit
kurfürstlichem Konsens verpfändeten Kornpächte einweisen
lassen könne. Dies bejahten die Brandenburger.
Der zweite Fall ist von erheblich grösserer Bedeutung.
Stolze), Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 23
354- 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg- Preussea.
Ein in Pommern wegen Zauberei verbranntes altes Weib
hatte die Gattin des Pommerschen Jägermeisters und Haupt-
mannes von Dobbersitz, Erbsessen zu Ploha, Elisabeth von
Strauss, bezichtigt,1) sich gegenüber der Tochter des Kurfürsten
Johann Georg, der Gemahlin des Herzogs Johannes Friedrich
in Stettin, der Zauberei schuldig gemacht zu haben; sie sollte
durch einen Verwandten, den Kammerjungen Bartold Flans,
„vor zehn Jahren" der Herzogin einen Zaubertrank beigebracht
haben, damit sie keine Kinder bekomme;2) von einem ge-
wissen Hans Meurer (dessen Mutter und Schwester früher
wegen Zauberei verbrannt waren) sei der Dobbersitz Glocken-
fett verschafft, das sie ihrem Manne, wenn er zu Hofe fuhr,
an den Wagen geschmiert habe, um ihm des Herzogs Gunst
zu erhalten. Auf der Folter bekannte dann Meurer, von der
Dobbersitz zum Ehebruch verfuhrt zu sein. Richter und
Schoppen zu Stettin verurtheilten die Beschuldigte, nachdem
sie aus dem Brandenburgischen dorthin „ abgefordert" war,
auf Grund ihres in der Folter abgelegten Geständnisses zum
Feuertod, obwohl der Ehemann Dobbersitz eine Defensions-
schrift mit Sprüchen aus Brandenburg, Magdeburg, Leipzig,
Wittenberg und Frankfurt vorgelegt hatte, wonach die Frau
von Dobbersitz auf geleistete Kaution der Haft zu entledigen
sei, weil gegen sie kein genügender Verdacht vorliege. Dies
und die Rücksicht, in einer Sache, bei der er selbst betheiligt
war, „nicht zu viel oder zu wenig zu thunu, bestimmte den
Herzog, nicht bloss beim Brandenburger Kanzler Christian
Distelmeier und bei Dr. Koppen, dem gelehrten Berliner
Geheimen Rathe, welche beide sich für den Vollzug des
Stettiner Urtheils aussprachen, sondern auch bei der Fakultät
in Rostock Belehrung zu suchen. Die Rostocker sprachen, dass
der Strafe halber noch nicht zu erkennen, vielmehr der An-
l) Die diesen Fall behandelnden Akten des Berliner Geheimen Rat h es
s. StA. Rep. 49 N und die Akten des Stettiner Hofes s. Stettiner StA. P. 1
Tit. 23 No. 67*. Kriedborn, Histor. Beschr. v. Alten Stettin 1613. II S. 138.
Leuthinger, de Marchia Hb. 24 §§ 22 p. 871.
9) Soviel scheint aus dem „ungefähren Verzeichniss44, d. h. einem
Rxcerpt (35 226—229) zu erhellen, das der SchÖppe Bluhm nach seiner
Erinnerung aus den pommerschen Akten niedergeschrieben hat.
$ 22. Landesherr. 355
geklagten ihre Defension zu verstatten sei. Mit Rücksicht
hierauf versandte der Herzog die Akten nach Brandenburg
und erwirkte vom Kurfürsten dorthin den Befehl, „die Sache
umständlich zu erwägen und das Bedenken ungesäumt durch
ein einhellig Unheil zu eröffnen14. Die Brandenburger
sprachen, wie die Rostocker, da der Frau Bekenn tniss
ein auf der Folter ungerechtfertigt erzwungenes sei. Dem
Kurfürsten theilten sie zugleich mit, „dass sie vermöge Eid
und Pflicht, damit sie ihm und dem Scheppenstuhl verwandt,
nicht anders hätten sprechen können". Darauf rieth der
Kurfürst seinem Schwiegersohn auf dessen Anfrage, er möge
den Verwandten der Angeklagten aus den Akten vorhalten
lassen, dass die Angeklagte nichts tauge, darnach würden
sie als ehrliebende adlige Leute zur Erhaltung der Geschlechts-
ehre selbst „bedacht sein, wie sie solch Ungeziefer aus ihnen
abschaffen" ; dann sei ihnen das Stettinsche Urtel vorzulegen
mit der Erklärung, darüber könne der Herzog, weil es ihn und
seine Gemahlin selbst betreffe, nicht so leicht hinweggehen,
dasselbe solle vollzogen werden; nur um mehr Sicherheit pro
informatione privata sei noch anderwärts weitere Sentenz geholt.
Hiernach würde die Freundschaft der Dobbersitz ohne Zweifel
Gnade erflehen; alsdann könne der Herzog etwa aus Gnaden
die Exekution auf's Schwert oder ewig Gefangniss richten.1)
Gleichzeitig befahl der Kurfürst den Brandenburgern, sie
sollten zwei aus ihrer Mitte „mit genügsamen Bescheid der
Andern44 nach Berlin schicken und beim Kanzler sich melden
lassen, da die Nothdurft erfordere, „etwas mit ihnen zu reden44.
Dem Herzog schlug dann der Kurfürst, da auch er nicht sein
Gewissen beladen wolle, weiter vor, den Stettiner Schoppen
das Rostocker und das Brandenburger Urtheil mitzutheilen;
beharrten sie, wie er nicht zweifele, bei ihrem Spruche, dass
die Dobbersitz des Feuertodes schuldig, so sei ihr das Ur-
theil vorzuhalten und sie zu vernehmen; bitte sie um Gnade,
so könne man ein gelinderes supplicium wählen, revozire sie,
so sei ferner Rechtsbelehrung zu brauchen. Einige Wochen
darauf fand in Berlin vor Distelmeier und Koppen, den Ur-
hebern des wenig zu ihrer Ehre gereichenden Rathschlags,
») StA. R. 49 N.
*3*
856 5* Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brand enburg-Preussen.
die Vernehmung der Brandenburger Schoppen statt;1) der
Kanzler fragte, wie sie zu dem Urtheil gekommen, das die
Dobbersitz fast ganz absolvire, und Koppen sprach sich dahin
aus, er hätte aus den Akten genügsame indicia ad torturam
gefunden. Da die Akten ein weiteres, das frühere etwa ab-
änderndes Urtheil nicht enthalten, so haben sich die Branden-
burger ungeachtet ihrer Zurechtweisung anscheinend nicht ver-
anlasst gefunden, das vom Kurfürsten und vom Pommernherzog-
gewünschte Urtheil zu fallen. Dies hinderte nicht, dass in
Stettin zunächst Meurer enthauptet wurde. Am Tage der
Hinrichtung fand eine nochmalige Vernehmung der Dobber-
sitz vor Schlosshauptmann, Verwalter, Kammersekretar und
neun Schoppen statt. Eine geringe Variation in ihrem Be-
kenntniss veranlasste den Herzog, einen weiteren Spruch von
Richter und Schoppen zu Stettin zu erfordern; sie beliesser»
es beim vorigen Urtheil und verlangten nicht erneute pein-
liche Frage. Da die Dobbersitz aber nachträglich widerrief,
erkannten die Stettiner nochmals auf die Folter; sie fand
zum zweiten Male statt; laut des darüber aufgenommenen
Protokolles wiederholte das unglückliche Weib selbstverständ-
lich ihr Bekenntniss und bat „ihrem adeligen Stande und
ihren Verwandten zu Ehren um Gnade". Damit war der
eine der beiden Fälle eingetreten, von dem der Kurfürst ge-
redet hatte, es war jetzt seinem Vorschlag nach „ein ge-
linderes supplicium zu wählen"; der Herzog wählte die Ent-
hauptung.2) Richter und Schoppen sprachen demgemäss zu
Recht, dass die Dobbersitz „auf erklärte Müdigkeit des
Herzogs mit dem Schwert vom Leben zum Tode zu bestrafen
und der Leichnam zu verbrennen sei". Der Richter theilte
der Dobbersitz diese „Begnadigung" mit und ermahnte sie,
beim Bekenntniss zu bleiben; das Protokoll berichtet, dass
die Dobbersitz der Ermahnung Folge leistete; sie erklärte,
sie wolle bis ans Ende bei dem Bekenntniss beharren, aber
!) Ueber deren Inhalt macht Bluhm nachträglich eine Notiz zu den
Schöppenstuhlsakten (35 22$).
*) Vor der Abführung dazu machte die Dobbersitz einen Selbstmord-
versuch, indem sie eine Nadel schluckte; laut der Akten wurde ihr diese
aber „aus dem Maule gerissen'4.
§ 22. Landesherr. 357
«
„ihren Leib und ihre Seele wollte sie auf dessen Leib und
Seele befehlen, der sie hierzu gebracht". Am nämlichen
Tage wurde sie auf freiem Markte hingerichtet; ihr Körper
nebst dem abgeschlagenen Haupte aber wurde vor dem Thore
an gewöhnlicher Gerichtsstelle verbrannt; andern Tages er-
hielt der Kurfürst darüber Bericht nach Berlin. Laut der
gegebenen Antwort sah der Kurfürst „gern, dass der Herzog
dieser beschwerlichen Sache also abgekommen; wenn der
Dobbersitz Freundschaft aller ergangenen Geschieht aus den
Gezeugnissen Bericht bekomme", würde sie sich „zur Billig-
keit zufrieden geben".
Dass man es hier mit einem Todesurtheil traurigster
Art zu thun hat, kann kaum einem Zweifel unterliegen. Um
wie viel höher als die auch in dieser Sache dem Wahne
ihrer Zeit verfallenen Stettiner Schoppen und Berliner Hof-
räthe stehen die Brandenburger Schoppen, indem sie es ab-
lehnen, eine Schuld an der Angeklagten zu finden? Der Fall
ereignete sich in der glanzvollsten Periode ihres Schöppen-
stuhls, in derjenigen Periode, in der er, mit der Vollzahl von
zehn Mitgliedern besetzt, eben zu einem Colleg umgebildet
war, das aus lauter gelehrten Juristen bestand und fünf Magistri
unter sich zählte. Die römisch-rechtliche Bildung hatte ihrem
Rechtsgefuhl keinen Eintrag gethan. Bei dem ersten von
der Familie v. Dobbersitz erwirkten Brandenburger Spruche
führte der Neustädter Schöppensch reiber Floring die Feder,
bei dem zweiten Spruche Bluhm, letzterer — seit 1592 Schöppe
und Bürgermeister der Altstadt — war es auch, der ad au-
diendum verbum cancellarii nach Berlin geladen wurde; wer
ihn als zweiter Schöppe begleitete, erhellt nicht.1)
Man könnte annehmen, dass sich in diesem Falle, in
welchem die Brandenburger vor den Kanzler geladen werden,
oder in einem anderen Falle (1629 73 118), in welchem der
Kanzler die im Namen des Kurfürsten abgefasste Missive
unterzeichnet, der Kurfürst persönlich mit der betreffenden
Sache nicht befasst habe, und dass dasselbe von den Fällen
gelten müsse, in denen die vom Hoffiskal oder dem Haus-
1) Es fehlt der damaligen Brandenburger Sitte gemäss bei beiden
Sprüchen jede Unterschrift.
358 5« Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preiis^n.
vogt gezeichnete Missive die Form gebraucht1): „Von Gottes
Gnaden Georg Wilhelm. Ihr wollt .... uns, wie wir N. X.
von Rechtswegen zu strafen befugt, in Rechten aussprechen
und unter euerm Siegel um die Gebühr, so Zeiger an 2
Rthlr. bei sich hat, zu vernehmen geben.*2) Aber noch im
Jahre 1638 begründet der Hoffiskal (76 554) in einem Falle,
in welchem ein Spion für die Schweden von Stettin nach
Prenzlau gegangen sein soll, seine Missive mit der ausdrück*
liehen Bemerkung, es sei des Kurfürsten Wille und Meinung,
hierüber ein rechtliches lnformaturtheil einholen zu lassen.
Und dass der Kurfürst in dem Stettiner Prozesse persönlich
eingegriffen hatte, liegt nahe; er hatte ein „ einhellig1* Urtheil
der Brandenburger verlangt und wahrscheinlich auch ein
solches erhalten; ihm zu entsprechen, konnte sich der Herzog
nicht entschliessen, er umging es vielmehr mit Hülfe der
Berliner Räthe; es in Brandenburg selbst abändern zu lassen,
misslang diesen.
Die Sprüche der Brandenburger werden in allen den
genannten Fällen an den Kurfürsten selbst gerichtet.
Es kommt auch vor (1607: 55 495), dass gegen einen
Brandenburger Spruch beim Kurfürsten Beschwerde einge-
legt wird, und dass daraufhin der Kurfürst die Akten nach
Leipzig versendet. Den abweichenden Leipziger Spruch lässt
dann der Kurfürst den Brandenburgern zum Bericht zugehen,
„weshalb das Leipziger Urtheil dem Brandenburger durchaus
zuwider sei"; in einem 13 Blätter füllenden Bericht, den der
altstädter Schöppenschreiber verfasst und ein Neustädter
Schöppe mit Zusätzen versehen hat, rechtfertigen sich die
>) 1621 (68 307. 318. 351).
2) Anfragen des Hoffiskals: 1572, 1573: 12 515. 601; 13 329 (Mag.
Johann Moller), 1581, 1583; 21 628; 26 126 (Joh. Westphalen, 1575 Schöppe
in Prenzlau, nicht in Frankfurt immatr.), 1608, 1623: 56 578; 71 186 (Mag.
E. Viritz). Der Hausvogt fragt Namens des Kurfürsten an: 1578: 20 127
(Mag. Neilingk), 1623 bis 1638 (71 186; 74 233. 398. 499. 411; 75 111 ; 76 502
(Hans Ritter) aus eigener Machtvollkommenheit: 1633 (ÜB. 2 671), 1638
(ÜB. 2 692), 1641 (ÜB. 2 702). Hausvogt und Hoffiskal fragen auf Befehl
des Kurfürsten an 1620 (67 754), 1626 (ÜB. 2 647), 1629 (73 224), 1638
(76 502), auf Befehl des Kanzlers 1634 (75 687), aus eigener Machtvoll-
kommenheit: 1572 (13 275), 1638 (76 404. 504), 1640 (77 74. 75).
§ 22. Landesherr. 359
Brandenburger und heben dabei hervor, dass ihr Urtheil von
dem Kammergericht „approbirt und publizirt seiV; das
Kammergericht hatte also in Brandenburg Belehrung gesucht.
In ähnlicher Weise tritt (1600: 46 288) der Schöppenstuhl
dem Wunsche des Kurfürsten entgegen, dass in einem Ur-
theil, welches einen Wilddieb „inhalts des kurfürstlichen
hiebevor publizirten Edikts" (d. h. des Edikts von 1574 wider
die Wilddiebe, dass sie mit dem Galgen zu bestrafen) ]) zum
Strang verurtheilt, der Darstellung des Thatbestandes noch
Einzelnes nachgetragen und nicht allein auf das Edikt Bezug
genommen werde; die Brandenburger erwidern, sie könnten,
auch nachdem die Sache nochmals collegialiter verlesen, das
Urtheil „nicht hinterziehen (= zurückziehen) und nicht ändern".
Wenn aber eine Beschwerde gegen einen Spruch des
Schöppenstuhls an den Landesherrn als obersten Gerichts-
herrn Veranlassung geben konnte, dass der Landesherr die
Akten verschickte, so lag es nahe, ein gleiches Verfahren
einzuhalten bei Appellationen gegen Urtheile des Kammer-
gerichts.
Als 1703 für die im Deutschen Reiche gelegenen neuen
Provinzen Preussens ein Oberappellationsgericht in Berlin ein-
gerichtet wurde,2) trat dies Gericht nur zu den Landesregie-
rungen und Landestribunalen des neuen Königreichs Preussen
in das Verhältniss der höheren Instanz; das Kammergericht
wurde dem Oberappellationsgericht nicht untergeordnet.3)
Auch noch 17 16 erklärte man eine solche Unterordnung für
bedenklich, „indem dadurch die Vorrechte, so S. Maj. beim
Kammergericht haben, geschwächt würden". Dies bedeutete,
dass man die Berufung von Urtheilen des Kammergerichts an
den König — wie weiland an den Kurfürsten — erhalten wissen
wollte.4) Auch ein Menschenalter später bestand noch ein
') Mylius C. C. M. II, 3 Sp. 3. LB. 4 133 ff.
a) Stölzel, Rechtsverw. 2, 3 ff. *) Ebenda S. 70.
*) Wie wenig der Brandenburger Schöppenstuhl selbst das Verhältniss
des Oberapp.Gerichts zum Kammergericht kannte, ergiebt eine Notiz des
Seniors Heins in einer kammergerichtlichen Sache (83 668), wonach das
„Oberapp. Gericht11 noch gewisse Gebühren aus der Zeit vor dem 24. Okt. 1723
schulden soll, als wäre es die dem Kammergericht übergeordnete Instanz;
dies war nur der König selbst.
360 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preussen.
Recht des Königs, jede ihm geeignet scheinende, bei Gericht
anhängige Sache „nach Hofe zu avozirenu. Dann entschied
formell der König persönlich, materiell leiteten die Justiz-
minister den Prozess, denen dann wiederum der Ausweg
blieb, nach Brandenburg oder sonstwohin die Akten zu ver-
senden. So wandten sich 1745 (96 300) „auf Sr. Kgl. Maj.
Spezialbefehl" die vier Minister Cocceji, Happe (Präsident
des Generaldirektoriums), Marschall und Arnim in einem
zwischen dem Fürsten Salm, dem General v. Sonsfeld und dem
Staate erwachsenen Streit, der seit 1717 bei der Regierung
in Kleve, der Fakultät in Halle und dem Oberappellations-
gericht in Berlin wegen Jagdgerechtigkeit geschwebt hatte,
an die Brandenburger, nachdem die Sache vom Hofe avozirt
und dorthin eingesandt war.
Schliesslich mag nicht unerwähnt bleiben, dass die
Brandenburger bei vorkommender Meinungsverschiedenheit
über die Interpretation von Landesgesetzen zu dem Aushülfs-
mittel griffen, beim Kurfürsten als dem besten Interpreten seines
eigenen Willens um Belehrung nachzusuchen. So setzt sich
1579 einer der Schoppen mit dem Kanzler Distelmeier oder
mit Dr. Koppen in Verbindung, um eine resolutio ex aula
electoris zu erlangen über eine Stelle der Joachimica,1) oder
es wird im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts einmal die
Anfrage an den Hof beschlossen, was nach dem Jagdedikt
unter Schwarzwild zu verstehen sei. Damit kehrt sich für
diese Fälle das Verhältniss zwischen Oberhof und Landes-
herrn geradezu um.
§23.
Kammergericht und Geheimer Justizrath.
Die eigenthümliche Stellung, die einerseits Schöppenstuhl
und Kammergericht zum Landesherrn, andererseits Kammer-
gericht und Schöppenstuhl zu einander einnahmen, musste zu
mannigfacher Konkurrenz zwischen Schöppenstuhl und Kam-
mergericht führen; streng abgegrenzt war ihre Zuständigkeit
gegen einander nicht.
Nach dem Entwürfe der Kammergerichtsordnung von
') Decis. march. II. 133. 89 fr. ÜB. 4 7. 8. 31.
§ 23- Kammergericht und Gebeimer Justi/raih. 361
1516 und nach der Kammergerichtsreformation von 1540
sollte das Kammergericht nur in Civilsachen thätig sein,1)
und es sollten beim Kammergericht in erster Instanz die
keinem sonstigen landesherrlichen oder keinem städtischen,
gutsherrlichen oder geistlichen Gerichte Unterworfenen Recht
nehmen; daneben war den diesen Gerichten Unterworfenen
die Appellation an das Kammergericht gestattet, wie ja auch
die Joachimica die Appellation dahin von den Sprüchen des
Brandenburger Schöppenstuhls gestattet.2) Eine wesentliche
Aufgabe der besonders hierzu vom Kurfürsten verordneten
Räthe (also nicht des Kammergerichts als solchen, sondern
der Kommissarien, die aus den Räthen gewählt wurden)
bestand aber darin, vor Einleitung eines gerichtlichen Pro-
zesses mit den Parteien Vergleichsversuche vorzunehmen und
sie, wo möglich, auf Grund derselben der Art zu „verab-
schieden", dass der gerichtliche Prozess vermieden wurde.
„Alle Parteyen und Sachen, so vor unser m Kammergericht,
auch hier vor unserm Hofgerichte ohne Mittel (= unmittel-
bar) unterworfen, die sich selbst nicht haben vertragen
können, sollen erstlich zur gütlichen Handlung für uns oder
unsern dazu verordneten Räthen in Schriften bescheiden sein"
— so verlangte es die Reformation von 1540. Es scheint,
dass diese Ertheilung von „Bescheiden" oder „Abscheiden*4
in weit ausgedehnterem Maasse stattgefunden hat als nur
zwischen Parteien, die dem Kammergericht unmittelbar unter-
worfen waren. Die in zahlreichen Bänden erhaltenen Pro-
tokollbücher des Kammergerichts, welche vom Jahre 1540
bis in das neunzehnte Jahrhundert hinein die Aufzeichnungen
über die abgehaltenen Vergleichstermine enthalten, legen
davon Zeugniss ab.3) Es war zweifellos eine der Haupt-
l) Vgl. hierzu Holtze, Gesch. des Kammergerichts 1, 184, 204. Stölzel,
Rechtsverwaltung 1, 136 fr., 170 ff.
8) Siehe oben Seite 299.
s) Derartige Einträge lauten z. B. im Bd. von 1565 fol. 685: „Mitwoch
nach Dionysii seindt Fruw T hurieis, Brose Besikows Wittwe zu Dalum,
eins und Otto Brietzke zu B. andernteils bescheiden. Seindt auch Joachim
Gloge zu Bernau eins, Leonhart Sehet und Peter Voigt daselbst anderstheils
bescheiden.*4 Vielfach ist der Inhalt des Abschieds ausführlich mitgethellt.
Auch enthalten die Bücher zahlreiche abschriftlich überreichte Urkunden
3()2 5* Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preussen.
thätigkeiten der Räthe des Kammergerichts, auf diesem
Wege Prozessen vorzubeugen und damit dem Kammergerichte
eigentliche Rechtsprüche zu ersparen.
Wie gering die rechtsprechende Thätigkeit im Gegen-
satz zur gütlichen Verhandlung und Bescheidung bei den
Kammergerichten und Regierungen war, lässt die Neumär-
kische Kammer- und Hofgerichtsordnung von 1561 deutlich
erkennen, indem sie es für ausreichend erachtet, wenn die
Hofgerichtsräthe ein oder zwei Mal im Jahre über alle
zum Urtheil beschlossenen Akten Recht sprechen. Dadurch
musste sich der Einfluss der Kammergerichte und der ihnen
gleichgestellten Regierungen auf die Gestaltung und nament-
lich die allmähliche Umgestaltung des Rechtes mindern ; hier
wirkten intensiver die Rechtsbelehrungsinstanzen der Schöp-
penstühle und der Fakultäten, damit also besonders der
Brandenburger Schöppenstuhl. Ein naturgemässes Gefühl
sagte indess den Brandenburgern, von deren Sprüchen ja
die Joachimica die Berufung an das Kammergericht gestattet
hatte, dass es nicht ihres Amtes sei, in Sachen, die etwa
beim Kammergericht schwebten, einzugreifen oder mit kam-
mergerichtlichen Sprüchen sich in Widerstreit zu setzen.
Dies Gefühl kam z. B. in Fällen der Jahre 1558 und 1560
zum Ausdruck. In einem 1558 (7 232) vor dem Kammer-
gericht schwebenden Erbstreit schlössen die Parteien vor
Bürgermeister, Rathsfreunden und Richter zu Rathenow einen
Vertrag, von dem . sie anscheinend dem Kammergericht keine
(Verträge, Testamente, Lehnbriefe etc.). Noch im 19. Jahrhundert giebt
es solche „Bescheid-4* oder „Abscheid-Bücher", wie ihre Aufschrift besagi;
seit 1630 gehen jährlich 2 neben einander her, jedes von einem der beiden
Protonotare (vgl. KGO. v. 1562 bei Mylius II, 1 Sp. 33, 55) geführt. Von
1720 an beginnen Protokolle des Geh. Justizraths mit den vor diesem
Gerichte geführten vollständigen Prozessen; von 1750 an ex i stiren neben
den Abscheidebüchern „Sentenzen"- Bücher (mit den im Namen des Königs
gesprochenen Appellationserkenntnissen in vollständiger Abschrift). — Die
kammergerichtlichen Prozessakten älterer Zeit (die wahrscheinlich, wie
anderwärts, in zusammengefalteten und zusammengeschnürten Konvoluten
aufbewahrt wurden) mögen vernichtet sein. Holtzes Gesch. des Kammerger.
lässt das für eine Geschichte des Kammergerichts vorhandene archivalische
Material unerortert.
§ 23. Kammergericht und Geheimer Justizrath. 363
Nachricht gaben; einer der Beklagten meinte, der Vertrag
gelte „unangesehen, was im Kammergericht gesprochen/4
und fragte bei den Brandenburgern, zu denen er „ein sonder-
lich Vertrauen" hatte, unter Uebersendung der Kammerge-
richtsakten um Belehrung an; die Brandenburger lehnen
nicht etwa die Belehrung ab, weil das Kammergericht ent-
schieden habe, sondern sie „sprechen vor Recht, dass billig
bei Kräften bleibe, was die hochachtbaren Kammergerichts-
räthe gesprochen".
Auf ähnliche Art erledigen die Brandenburger 1560 (8
269) einen Prozess, in welchem eine Berlinerin mit ihrer
wegen angeblich grundloser gefänglicher Einziehung erhobenen
Entschädigungsklage von den verordneten Kommissarien des
Kammergerichts auf Grund eines 1559 abgeschlossenen Ver-
gleichs abgewiesen ist: nachdem die Klägerin hiergegen
Belehrung in Brandenburg gesucht hat, „sprechen die
Schoppen für Recht, . . . dass der Klägerin ihre Klage
wider Beklagten anzustellen nicht gebührt".
Als anlässlich der Tödtung des Hans Seger in Nauen
1567 (11 25) ein Verfahren beim Kammergericht schwebte,
das bezweckte, eine Aussöhnung zwischen der Witwe des
Getödteten und den Todtschlägern herbeizuführen, erwirkten
die Todtschläger in Brandenburg einen Spruch, dass sie zur
Sühne zuzulassen seien, sie verweigerten aber, der Witwe
den ergangenen Spruch kundzugeben. Die Witwe sup-
plizirte beim Kurfürsten, er möge die Brandenburger zur Mit-
theilung anhalten, da sie zu dem beim Kammergericht ange-
setzten Termin des Spruches bedürfe; demgemäss befahl
der Kurfürst den Brandenburgern die Einsendung ihres
Spruchs an das Kammergericht.
Aus dem Bestreben, mit dem Kammergericht nicht in
Zwiespalt zu gerathen, erklärt es sich wohl auch, wenn der
Schöppenstuhl 1579 (2193) der Schustergilde zu Pritzwalk
abschlägt, ihr Abschrift einer früher ertheilten Belehrung zu-
gehen zu lassen, die für eine beim Kammergericht schwebende
ähnliche Sache von Bedeutung sei; die Antwort geht dahin: „das
zu thun, was gebeten, sei im Schöppenstuhl nicht bräuchlich"
(ÜB. 4 167). Mit aller Bestimmtheit aber kommt eine be-
364 5- Ruch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brand enburg-Preussen.
sondere Rücksichtnahme auf das Kammergericht zum Aus-
druck, wenn die Garz-Rotersche Spruchsammlung (ÜB. 4 103)
berichtet, im Jahre 1584 hätten die Brandenburger Schoppen,
vom Kurfürsten über die gegen einen Abschied der Kammer-
gerichtsräthe eingebrachte Supplikation befragt, zwar ge-
funden, dass „übel von den Kammergerichtsräthen verab-
schiedet" sei, hätten jedoch „sich Bedenken gemacht1*, solches
auszusprechen, und sie hätten deshalb des Abschiedes in ihrem
Spruche nicht gedacht.
Aber das hielt doch die Brandenburger nicht ab (1582:
30 34 1),1) insofern in einen kammergerichtlichen Prozess sich
einzumischen, als sie eine bei ihnen anfragende Partei be-
lehrten, dass sie mit Pfändung ihres Gegners vorgehen könne,
obwohl ein kurfürstlicher Befehl dem Kammergericht aufge-
geben hatte, das Verfahren einstweilen beruhen zu lassen.
Auch nach der Richtung hin entwickelte sich eine Kon-
kurrenz zwischen Kammergericht und Schöppenstuhl, dass
mehrfach die Brandenburger in Sachen, die beim Kammer-
gericht schwebten, zur Beihülfe herangezogen wurden, sei es
vom Kurfürsten, sei es vom Kammergericht selbst, sei es
von den Parteien.
Wenn es üblich war, dass der Kurfürst sich seine Recht-
sprechung dadurch erleichterte, dass er in Brandenburg Be-
lehrung einholte, so folgten seine Räthe diesem Beispiele,
nachdem sich ein Theil derselben als „Kammergericht'1 tn
einem Gerichte im eigentlichen Sinne des Wortes ausge-
bildet hatte und ohne des Landesherrn persönliche Mitwir-
kung Urtheile fällte.
Zunächst verwies das Kammergericht 1572 (13 60) einen
Fall, in welchem ein Knabe einem anderen im Streit mit der
Scheere eines gekochten Krebses ein Auge ausgestossen
hatte, den bei ihm anfragenden Rath zu Bernau, vor dem
der Vater des Verletzten Klage erhoben hatte, an die Bran-
denburger Schoppen zum Spruche, „weil es ein casus
fortuitus".
Sodann gab ein Rangstreit unter Gläubigern, die vor
dem Rathe in Kyritz im Jahre 1584 (39 132 fr.) verhandelt
*) Siehe oben Seite 352.
§ 23. Kammergericht und Geheimer Justizrath. 365
hatten, und deren einer beim Kammergericht 1584 Beschwerde
führte, Anlass, dass die Kammergerichtsräthe „zu Bescheid
gaben, der Rath solle die Gläubiger liquidiren und deduziren
und dann die Akten nach Brandenburg -verschicken lassen. u
Obgleich durch die Joachimica feststand, dass der Schöp-
penstuhl dem Kammergericht als seiner höheren Instanz
untergeordnet war, so hinderte das die Brandenburger 1540
(3 182) nicht, in einem beim Kammergericht gegen „Bürger-
meister, Radtmanne und gemeine Knochenhaueru (d. h. die
Fleischergilde) anhängigen Prozess auf Anfrage der Beklagten
Rechtsbelehrung darüber zu ertheilen, wie es in Brandenburg
mit Aufnahme eines Schinders in die Gilde gehalten werde,
es hinderte auch die Brandenburger 1607 (54 l7^) nicht* au^
Anfrage einer Partei zu sprechen, was sie in dem vor den
Kammergerichtsräthen vom Kurfürsten anberaumten Termine
zu fordern berechtigt sei. Solche kammergerichtlichen Ter-
mine waren meist Termine zur gütlichen Verhandlung, die
— ohne vorgängige Prozessschriften und ohne prozessuale
Formen — mit einem „Abschiede** der Kammergerichtsräthe
endeten, vorbehaltlich etwaiger weiterer Beschwerde der
Partei oder vorbehaltlich der Einleitung eines Prozessver-
fahrens. Es stand jedem Interessenten frei, sich an das
Kammergericht zu wenden, um einen solchen Abschied zu
erzielen. So konnte auch ein Verfahren vor dem Kammer-
gericht und daneben ein erstinstanzliches Verfahren schweben,
in welchem Belehrung in Brandenburg geholt wurde. Wäh-
rend Richter und Schoppen der ersten Instanz Belehrungs-
urtheile in Brandenburg auswirken, erlangt der Beklagte
eine Verhandlung vor den Kammergerichtsräthen, die mit
dem „Abschied44 schliesst, die Sache werde vor Richter und
Schoppen zum ordentlichen Prozess remittirt; nunmehr reicht
der Kläger seine ordentliche Klage ein, und der Beklagte
antwortet; dann suchen Richter und Schoppen wieder in
Brandenburg um Belehrung nach (1609: 57 19). So kommt
der Schöppenstuhl dazu, zweimal in derselben Sache zu
sprechen. Das wäre auch möglich, wenn das Gericht erster
Instanz Belehrung in Brandenburg erhalten hätte, gegen das
vom erstinstanzlichen Gericht eröffnete Belehrungsurtheil aber
366 5* Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preußen
appellirt und in der Appellationsinstanz wieder in Branden-
burg Belehrung gesucht wäre. Bei solcher Sachlage eröffnet
der Schöppenstuhl 1616 (656) einer Regierung: „es ist in
diesem collegio nicht hergebracht, wann ein in priori instantia
gefälltes Urtheil per viam appellationis impugriirt, ... uns
in secunda instantia des Judicirens anzumassen, will sich auch
nicht ziemen"; dabei berufen sich die Brandenburger auf die
Uebung der Kammergerichtsräthe, die „in solchen Fällen
auch die Akten ad alium judicem transmittiren".
Erfährt man in Brandenburg, dass eine Sache vor dem
Kammergericht schwebt, so enthalten sich ebenfalls die Bran-
denburger, in dem nämlichen Prozesse zu entscheiden. Dem
entspricht es, dass sie 16 19 (66 192) den Grobschmieden zu
Zehdenick die Belehrung ertheilen: da ihr Prozess wegen Aus-
stossung eines Gildebruders bereits vor die Kammergerichts-
räthe gediehen, sei abzuwarten, was dort verabschiedet werde.
Auch in einer Sache, die eine dem Rath zu Nauen zugefügte
Beleidigung betrifft, lehnen 1651 (79 298) die Brandenburger
ab, zu entscheiden, „weil in Folge der Belehrung, dass der
Rath, um nicht Richter in eigener Sache zu sein, den Be-
leidiger vor dem Kammergericht zu belangen habe, die
Sache vor den Kurf. Geheimen Räthen anhängig sei und
allda ausgeführt werden müsse.u Gleichwohl fühlen (1619:
66 455) die Brandenburger ihren Einfluss auf die Kammer-
gerichtsräthe, wenn es sich um Feststellung eines gerichts-
gebräuchlichen Rechtssatzes handelt: als die Frage zu beant-
worten ist, wie die Früchte zwischen Land- und Lehnerben
zu theilen seien, macht der Schöppe Floring auf einen Wandel
der vor zwanzig Jahren gegensätzlich zu der neuerdings
vom Schöppenstuhl innegehaltenen Judikatur und auf die
Nothwendigkeit einer Einigung in diesem Punkte aufmerk-
sam, „weil die Herren Räthe (nämlich des Kammergerichts)
sich danach achten".
Seit dem Jahre 1632 sollten „auch die Kriminalsachen
unter des Kammergerichts Direktion erörtert44, d. h. den Ge-
heimen Räthen des Kurfürsten abgenommen werden.1) Den
Arbeitszuwachs erleichtert sich dann das Kammergericht, in-
*) Stölzel, Rechtsverw. i, 337.
§ 23. Kammerg-ericht und (ieheimer Justizrath. 3()7
dem es von der Akten Versendung Gebrauch macht. So er-
klärt sich (1648: 78 22), dass „nach Disposition der verord-
neten Vizekanzler und Kammergerich tsräthe" der Hoffiskal
aus einer Zeugenaussage gewisse Artikel detrahiren, dem
Gegentheil zuschicken, die Zeugen in Gegenwart eines Notars
vernehmen und die Sache dann (inscia parte, an welchen
Ort) verschicken soll. Sie gelangt an die Brandenburger,
und von ihnen wird das Urtheil gesprochen.
Dies Alles waren nur Vorläufer der erheblich regeren
Beziehungen, in welche das Kammergericht seit dem Edikt
vom 17. Februar 1723 (s. oben S. 312) zu dem Schöppenstuhl
trat. Die Eingangsworte des Edikts ergeben, dass man damals
als Anlass zur Einfuhrung der Aktenversendung offen den
Verdacht der Parteilichkeit der Richter bezeichnete, denn
die Erfahrung lehre, wie die Versendung von ränkesüchtigen
Parteien zur Verschleifung und Vertheuerung der Prozesse
missbraucht werde und bei auswärtigen Sprüchen die Gefahr
ungerechter Behandlung der Landesgesetze und Landesge-
wohnheiten mit sich führe. Seinen Zweck erreichte das
Edikt aber nur in geringem Maasse, da es nach wie vor
die Versendung in höherer Instanz zuliess.
Die Appellation von Entscheidungen der Kammergerichts-
räthe an den König war allmählich zur Appellation von
einem Senate des Kammergerichts an den andern geworden,
wie noch heute die Sache bei dem mit dem Kammergerichte
verbundenen Geheimen Justizrath liegt. l) Deshalb redet das
Edikt von 1723 auch von „Kollegien, welche mehr als eine
Instanz haben, und wo denen Ordnungen nach Akta trans-
mittirt werden können"; ihnen soll die Verschickung nach
wie vor gestattet sein.
Die Urtheile, die von diesen Behörden gesprochen
wurden, ergingen stets im Namen des Königs, und zwar nicht
in derjenigen Form, in welcher noch heute die Gerichte „im
Namen des Königs" sprechen, sondern so, dass der König
selbst (mit der Eingangsformel: Wir von Gottes Gnaden
N. N. Kurfürst — oder König — etc. erkennen zu Recht etc.)
*) Jahrb. der Preuss. Justizverf. von 1900 S. m.
368 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brande nburg-Preusscn.
das Urtheil fallt, es aber nicht selbst unterzeichnet, sondern
durch den Gerichtsvorsitzenden unterzeichnen lässt. Auf Ein-
haltung dieser Form legte der Landesherr noch zu der Zeit
Gewicht, in der er persönlich sich nicht mehr an der Recht-
sprechung betheiligte. Deshalb ist aus der Urtheilsform nicht
zu ersehen, " ob man ein Urtheil des Landesherrn oder ein Ur-
theil des Gerichts vor sich hat. Ebensowenig ist aber, weno
ein solches auf den Namen des Landesherrn gestelltes Urtheil
„auf gehabten Rath der Rechtsverständigen", d. h. nach ein-
geholter Rechtsbelehrung ergeht, oder wenn eine im Namen
des Landesherrn an die Belehrungsinstanz gerichtete Anfrage
vorliegt, feststellbar, ob der Landesherr oder ob das Gericht
die Belehrung eingeholt hat. Nur die Zeit, aus der das Ur-
theil oder die Anfrage stammt, kann für Beantwortung dieser
Frage einen Anhalt geben. Erachtete man 1716 die Unter-
ordnung des Berliner Kammergerichts unter ein Ober-
appellationsgericht den Rechten des Königs für präjudizir-
lich,1) so sollte damit dem Könige die Möglichkeit gewahrt
bleiben, in Fällen persönlich zu richten, in denen er sich
dazu veranlasst sah, nicht etwa hiess es, des Königs Interesse
fordere, dass er in allen Fällen, in denen an ihn appellirt
werde, selbst entscheide. Im Gegentheil, die im Edikt von
1723 erwähnten „Kollegien, welche mehr als eine Instanz
haben44, waren solche grössere Kollegien, bei denen die Ein-
richtung bestand, dass von den Urtheilen des einen Senates
an den andern Senat appellirt werden konnte. Dies Aus-
hülfsmittel hatte gerade den Zweck, dem Landesherrn die
persönliche Entscheidung in oberster Instanz abzunehmen und
zugleich ein fehlendes Oberappellationsgericht zu ersetzen.
Wird es also zu der Zeit, als das Edikt von 1723 die Akten-
versendung den erstinstanzlichen Gerichten untersagte und
damit die Belehrungsinstanzen gewissermassen zum Range
zweitinstanzlicher Behörden erhob, in solchen Kammergerichts-
sachen üblich, Rechtsbelehrung zu suchen, in denen gegen
das im Namen des Königs gesprochene Kammergerichtsurtheil
des einen Senats beim andern Senat Appellation eingelegt war,
so ist die unter des Kammergerichtspräsidenten Unterschrift
l) Siehe oben Seite 359.
§ 23< Kammergericht und Geheimer Justi/rath. 369
in Brandenburg erbetene Rechtsbelehrung nicht eine Anfrage
des Königs, sondern sie ist eine Anfrage des Kammergerichts,
die schliesslich zu einem Urtheile führt, das der zweite Senat
im Namen des Königs ausspricht. Es hat sich also die ursprüng-
lich vom Landesherrn ausgehende Einholung der Rechts-
belehrung im Laufe der Zeit zu einer vom Kammergericht
erforderten Belehrung verwandelt. Unter Coccejis Präsidium
(1722 ff.) wurde eine solche Einholung der Belehrung beim
Brandenburger Schöppenstuhl besonders beliebt Sie begann
von 1723 an1) und erging in der Form, dass der König unter
Coccejis Unterschrift das in seinem (des Königs) Namen ge-
sprochene, mit der an den König gerichteten Appellation an-
gegriffene kammergerichtliche Urtheil nebst den Akten den
Brandenburgern zum Spruch übersandte. Die Brandenburger
entwarfen dann einen Spruch des Königs „in Appellations-
sachen des N. N. auf eingeholten Rath der Rechtsgelehrten"
und setzten unter das so formulirte Urtheil des Königs ihre
Bescheinigung, „dass dies Urtheil den Rechten und Akten
gemäss seiu. Vorzugsweise derjenige Minister, der zwanzig
Jahre später in seinem Justizreformplan das allgemeine Ver»
bot der Aktenversendung eine höchstnöthige und nützliche
Verordnung nannte, hat als Präsident des Kammergerichts
von der Aktenversendung reichlichen Gebrauch gemacht.
Auch unter seinen Nachfolgern im Kammergerichtspräsidium,
unter v. Görne und v. Broich, ist nicht anders verfahren,
so dass zwei Dezennien hindurch der Schöppenstuhl zu
Brandenburg thatsächlich über Appellationen entschied, die
gegen kammergerichtliche Urtheile eingelegt waren.2) In den
benutzten gedruckten Formularen3) ist bemerkt, dass „in
Kammergerichtssachenu ein Spruch des Schöppenstuhls be-
gehrt werde, und dass dessen Einsendung an den Protonotar
des Kammergerichts (nicht etwa an den König) erfolgen solle
— zum deutlichen Beweis, dass es sich nicht um eine vom
J) Von 1725 bis 1746 wurden 77 Sachen des Kammergerichts nach
Brandenburg versandt. Als Beispiel vgl. ÜB. 2 765 (1723).
3) Zahlreiche Beispiele in den Bänden 81 bis 93.
Ä) Beispiele davon 1740 (91 381. 706), 1741 (9a 970. 615. 627. 470. 719.
846), 1742 (93 79. 198. 320), 1745 (46 334), n. Juli 1746 (97 767. 828).
S t öl* ei, Entw. <L gelehrten Rechtsprechung. I. 24
I
I
370 5« Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preussen. I
König, sondern um eine vom Kammergericht erforderte Be-
lehrung handelt. Den gleichen Weg wie die Appellationen
gehen die gegen Kammergerichtsurtheile eingelegten remedia
extraordinaria.1) Die Aktenversendung in Kammergerichts-
sachen war deshalb allmählich so an der Tagesordnung,
dass für sie 1725 (107 77) sogar eine allgemeine königliche
Anordnung erging, indem „sämmtlichen einheimischen Universi-
täten und Schöppenstühlen, insonderheit dem zu Bran-
denburg41, befohlen wurde, wenn in Kammergerichtss-
achen Akten dorthin geschickt würden, solche binnen
höchstens sechs Wochen abzufertigen, widrigenfalls der
Referent in 20 Rthlr. Strafe zu nehmen sei.
Diese kammergerichtliche Aktenversendung bleibt auch
nicht auf Sachen beschränkt, in denen Kammergerichtsurtheile
mit Rechtsmitteln angefochten werden, sie findet vielmehr
statt bei Sachen, die beim Kammergericht als Appellations-
instanz oder als erste Instanz schweben. So versendet 1744
(95 60 1)2) das Kammergericht als Berufungsinstanz Akten
nach Brandenburg, in denen ein v. Saldrischer Pächter zu
Wilsnack, der einen säumigen Dienstpflichtigen mit dem
Hirschfänger verwundet hat, auf Strafe und Schadensersatz
belangt und in erster Instanz verurtheilt ist. Und als die
v. Putlitz 1746 (97 246) ihre Unterthanen zu Gottberge u. a.
wegen aufzubringender Inquisitionskosten vor dem Stendaler
Altmärkischen Obergericht verklagen, gegen dessen Unheil
an das Kammergericht apellirt wird, transmittirt das Kammer-
gericht ebenfalls nach Brandenburg. Sogar nachdem unterm
1. Juli 1746 das Verbot der Aktenversendung ergangen ist,3)
wird noch unterm 11. Juli 1746 (97 828) in Kammergerichts-
sachen ein Brandenburger Spruch erbeten.
Das Verfahren des Kammergerichts wiederholt sich beim
Geheimen Justizrath und den bei ihm eingelegten Rechts-
mitteln. Der Geheime Justizrath war das Gericht, das sich
neben dem Kammergericht und dem Oberappellationsgericht
l) Vgl. als Beispiel 1724, 83 23, wo vor den Brandenburgern bereits
die Hallenser und Leipziger gefragt waren.
*) Im Namen des Königs, gezeichnet v. Broich.
') Siehe oben Seite 315.
§ 23. Kammer gericht und Geheimer Justizrath. 371
für gewisse Sachen aus den landesherrlichen Geheimen
Räthen, ähnlich wie das Kammergericht entwickelt hatte.1)
In all diesen Fällen ersetzt die Versendung nach Bran-
denburg den Mangel der fehlenden höheren Instanz; die
Existenz der Schöppenstühle und der Fakultäten hebt über
diesen Mangel hinweg. Naturgemäss wäre es gewesen, An-
fragen nach auswärtigen Schöppenstühlen oder Universitäten
abzuschneiden, wie dies schon in alter Zeit versucht wurde.
Aber die Sitte, über die Landesgrenze hinaus Rechtsbeleh-
rung zu holen, erwies sich als so mächtig, dass das Edikt von
1723 sich nicht getraute, weiter zu gehen, als die inländi-
schen Fakultäten und Schöppenstühle zu empfehlen;
auf sie solle „vornehmlich" bei Verschickungen Rücksicht
genommen werden, weil sie die* „aus unsern Landen kommenden
Akten mit sonderbarem Fleisse erwägen," und weil sie zur
Ausarbeitung der Akten — anders wie die auswärtigen —
verpflichtet seien.
Eine Parallele zu der Frage, welche Stellung der Schöp-
penstuhl zu den beim Berliner Kammergericht schwebenden
Sachen einnahm, bildet die andere. Frage über das Verhält-
niss des Schöppenstuhls zum Reichskammergericht. Sie
mag daher hier anhangsweise erörtert werden, soweit die
Brandenburger Akten Material dazu liefern.
Die Kur Brandenburg war seit der goldenen Bulle von
der Reichsgerichtsbarkeit eximirt. Während der Periode, in
welcher die Neumark getrennt von der Kurmark verwaltet
wurde (1535 bis 1571), musste es ein natürliches Bestreben
der Neumark sein, dieselbe Befreiung vom Reichskammer-
gericht zu gemessen, deren sie vor 1535 theilhaftig gewesen
war; auf die goldene Bulle konnte sie sich nicht berufen,
um diese Befreiung zu erzielen; denn nur den Kurfürsten
gewährte die Bulle jene Befreiung, und Markgraf Johann von
Küstrin war nicht Kurfürst. Er griff deshalb in dem mit
J) Stölzel, Rechtsverw. 1, 375; 2, 104. Beispiele von Belehrungen,
die der König den Brandenburgern befiehlt „„beim Geheimen Justizrath"
abzugeben14 und bei denen die Mitglieder des Geh. JRaths den Befehl auf
Königl. Specialbefehl zeichnen, s. 1723 (81481. 492. ÜB. 2 763), 1743 (94
408 ff.), 1746 (97 158 ff.), 1741 (9a 260 ff).
24*
372 5* Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenbur^-Preassen.
seinen Ständen geschlossenen Soldiner Vertrag von 1552 zu
einem anderen Mittel, indem er überhaupt die Appellation
gegenjUrtheile seines Kammergerichts zu Küstrin verbot und
nurzuliess, vom Landesherrn selbst oder „in dessen Namen
auf Belehrung unverdächtiger Universitäten** ein
Urtheil zu erholen. Die Begründung, welcher diese Maass-
nahme gegeben wurde, liefert einen Beweis, wie gross die
Missstimmung im Lande gegen das Reichsgericht war, und
wie sehr sich selbst ein Landesherr minderer Bedeutung
durch das Reichsgericht in seinen Rechten beeinträchtigt
glaubte: weil sich Einige, sagt der Markgraf, neuerlicher
Zeit unterstanden haben, durch Appellation an das Kaiser-
liche Kammergericht „Uns die Hand zu schliessen, ihr
Gegentheil nach ihrem Gefallen umzutreiben, auch mit uner-
träglichen Kosten auszuschöpfen, des Rechtens müde zu
machen und davon abzuschrecken, ... da ein Geschlecht das
andere bis auf den äussersten Grad mit solchem weitläufigen
Rechtsgang ausgemergelt und etliche . . . über Menschen-
gedenken weder Urtheil noch Ende zu gewarten haben, . . .
und also oftmalen ... zu Grunde verderben und zu Boden
gehen müssen, haben Wir uns mit Unterthanen und Land-
schaft verglichen, dass Jeder, der sich auf seine Appellation
an Unser Hof- und Kammergericht beschwert erachtet, an
Unsre Person zu suppliciren Macht habensoll, und sollen
alsdann die Akten an der fünf Universitäten eine, als
nämlich Leipzig, Wittenberg, Frankfurt a. O. , In-
golstadt oder Heidelberg, auf der Parteien Unkosten und
Gefallen überschickt werden, könnten sich aber die Parten
auf derer Städte eine nicht vergleichen, sollen Wir solche
Verschickung anobgemelte unverdächtige Universitäten eine,
doch beiden Parten unbewust, zu thun und des Rechten Uns
zu belehren Macht haben." Hier ist von Interesse, dass der
Markgraf und sein Land von der Belehrung durch Schoppen -
stuhle und namentlich durch den Brandenburger Schoppenstuhl
nichts wissen wollten. Der Berather des Markgrafen war
sein Kanzler Hadrianus Albinus aus Lauban, einst Witten-
berger und Leipziger, dann Frankfurter Professor;1) für ihn
]) Stölzel, Rechtsverw. i, 196.
§ 23* Kammergericht und Geheimer Justizrath. 373
traten die Schöppenstühle in den Hintergrund, er hielt es
mit den Universitäten, namentlich mit denen, die ihm nahe
standen; hatte doch auch Distelmeier, der kurmärkische
Kollege und einstige Leipziger Schüler des Albinus, die Stadt
(Crossen ein Jahr zuvor mit dem Rechte privilegirt, in Leipzig
Belehrung zu suchen. l) Ausserdem hätte es ja die Neumark,
die auf ihre Selbständigkeit Gewicht legte, in Abhängigkeit
von der Kurmark gebracht, wenn der Brandenburger Schöp-
penstuhl als Centraloberhof für die Neumark fortgewirkt
hätte; für das neugegründete Territorium der Neumark er-
strebte man die Loslösung wie vom kaiserlichen Kammer-
gericht, so auch vom kurmärkischen Schöppenstuhl. Einen
deutlichen Fingerzeig, auf welchem Wege es sich vollzog,
dass die Reichshoheit von der Landeshoheit verdrängt wurde,
"gewährt der im Jahre 1564 vor dem Reichskammergericht
geführte, oben (S. 305) erwähnte Prozess über die Reichs-
standschaft der drei märkischen Bisthümer: der Reichsfiskal
hatte den Kurfürsten von Brandenburg und seine drei Bischöfe
belangt, indem er geltend machte, die Bischöfe unterständen
in Sachen des Blutbanns dem Kaiser, nicht dem Kurfürsten;
die vernommenen Zeugen bekundeten aber, die Bischöfe
hätten die peinlichen Gerichte, die sie exerciren Hessen, „vom
Kurfürsten gehabt; nie sei von ihnen an den Kaiser appel-
lirt;u einer der Zeugen, ein Ritterdienstpflichtiger, sagte aus,
dass er mit dem Pferde, mit welchem er dem Bischof diene,
vorkommenden Falles an den Kurfürsten (nicht an den Kaiser)
gerufen sei (S. 100). Also gewohnheitsrechtlich war die
Reichshoheit abgestreift und zur Landeshoheit umgewandelt:
weil der Kurfürst sich in den Besitz des Blutbannregals ge-
setzt hatte und es durch seinen Brandenburger Schöppen-
stuhl ausübte, war kein Raum mehr für ein kaiserliches
Blutbannregal, und weil der Kurfürst die bischöflichen
Lehnsleute mit Erfolg zum Reiterdienst rief, gab es keinen
kaiserlichen Reiterdienst mehr; die Observanz entschied
auch hier; der blosse Nichtgebrauch begründete den Rechts-
verlust, die juristische Feinheit des Erfordernisses einer
usucapio libertatis, die den kaiserlichen Rechten zu einem
,) Siehe oben Seite 303.
374 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenbur^-Preussen.
wirksamen Schutze hätte gereichen können, kannte man
noch nicht.
Die Fälle, in denen die Brandenburger Schöppenstuhls-
akten reichsgerichtliche Instanzen überhaupt erwähnen, sind
erklärlicherweise wenig zahlreich. Es waren aber keineswegs
ausschliesslich Sachen, die aus nichtpreussischen Landes-
gebieten nach Brandenburg gelangten. Ein Jude Levi
den 1566 (10 264) der Markgraf Johann Georg in Vor-
mundschaft und Administration des Bischofs von Lebus
wegen 2000 Goldgulden vor „Rath, Richter und G^erichts-
assessoren beider Städte Salzwedel44 belangt hatte, berief
sich darauf, dass die Sache beim „Kaiserlichen Kammer-
gericht in Speyer44 anhängig und er deshalb in Salzwedel
zu antworten nicht schuldig sei. Obwohl die Befreiung
der Kur Brandenburg vom Reichskammergericht 1558 noch
besonders anerkannt war,1) verwarf das Gericht zu Salz-
wedel die Einrede nicht, sondern verlangte den Beweis, dass
die Sache in Speyer schwebe, und fragte dann in Branden-
burg an, ob der Beweis erbracht sei ; hier wurde ebenfalls
nicht die Einrede als rechdich unbegründet verworfen, viel-
mehr der Beweis für misslungen erklärt.
Einen Einfluss des Reichskammergerichts auf die märki-
sche Rechtspflege erkannte auch der Brandenburger Landtag
von 1601 ausdrücklich an;2) denn es wurde damals von Seiten
der Stände zugestimmt, „dass der gerichtliche Prozess in
rechtshängigen Sachen nach dem stylo des kaiserlichen
Kammergerichts soviel wie möglich dirigirt werde, u und
dass „bei zweifelhaften opinionibus doctorum man sich sen-
tentiae in camera imperiali receptae accomodiren solle**.
Von auswärtigen nach Brandenburg gelangten Sachen,
die eine Beziehung zum Reichskammergericht haben, sind
zwei Strafsachen der Jahre 1588 und 1591 aus Pommern zu
nennen. In .der einen (31 311) handelt es sich um die „ver-
unehrte Magd" des Professors .und Stadtsyndikus Dr. Gruwel
zu Greifswald; weil die Appellation in dieser Sache „un-
ordentlich interponirt seiu, fragte Herzog Ernst Ludwig von
J) Kuhns, Ger. Verf. i, 6
a) StA. Rep. 20. 72 (3). Landtagsacta von 1601.
§ 23. Kammergericht und Geheimer Justizrath. 375
Pommern 1589 in Brandenburg an, ob nicht vom pommer-
schen Gerichte weiter verfahren werden könne; die Befugniss
dazu sprachen die Brandenburger dem Herzog ab. Die
zweite Sache ist die oben näher erörterte Dobbersitzsche
Zaubereisache,3) in der der Ehemann der Angeklagten drohte,
sich an das Reichskammergericht wenden zu wollen; auf den
Gang des Prozesses beim Schöppenstuhl hatte das keinen Ein-
fluss. Eine dritte Stettiner Sache, die von 1583 bis 1653 spielte
und 1626 beim Reichskammergericht verhandelt, aber nach
Stettin remittirt wurde, sandte 1653 (78 482) das dortige
Hofgericht zum Spruche nach Brandenburg; Gegenstand des
Prozesses war die Zwangsvollstreckung wegen einer geleisteten
Bürgschaft. In Bernburg verweigerte 1732 (100 189) ein Wegen
Beleidigung des Landesherrn Angeklagter die Einlassung,
weil ein von ihm anhängig gemachter anderer Streit beim
Reichskammergericht schwebe; in Brandenburg wurde die
Weigerung für unberechtigt erklärt. Die Quedlinburger
Stiftskanzlei sollte 1743 (94 332) auf Leuteration in Sachen der
Erben des Hofraths Harprecht gegen den Magistrat beider
Städte Quedlinburg erkennen; auf Anfrage in Brandenburg
wurde ausgesprochen, dass die klagenden Städte im Rechte
seien, wenn nicht die Beklagten nachwiesen, dass die von ihnen
gegen ein Unheil von 1739 eingewendete Appellation vom
Reichskammergericht angenommen und der Appellations-
prozess eingeleitet sei; die Entschuldigung der Beklagten, sie
hätten eine Verfügung auf die eingewendete Appellation
nicht auswirken können, weil nach dem Tode des Kaisers
(Karl VI.) das Reichskammergericht „einige Zeit geschlossen
gestanden und auch sonst die expeditiones durch die über-
häufte Arbeit aufgehalten worden", beseitigten die Branden-
burger mit der Begründung, „die Kaiserliche und Reichs-
kammer habe sich allzeit in Aktivität befunden", und es
sei die erforderliche reichskammergerichtliche Verordnung
„wenigstens in einigen Jahren auszuwirken gewesen".
Der Reichshofrath zu Wien wird 1744 (95 583)
einmal erwähnt, als der Mindensche Domkapitular von Baar
sich beschwerte, man habe in Minden, während er in Wien
8) Siehe oben Seite 353.
376 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg--Preussen.
sich aufgehalten habe; um eine Klage auf Schutz seines
Wahlrechts anzubringen, seine absentia militiae causa nicht
angenommen. Ferner weit wird der Reichshofrath 1761 (101
237 ff.) erwähnt in einem Erbstreit, der vom Rathe zu Lübeck
im Wege der Appellation zweimal nach Wien gegangen ist;
es handelte sich um den Nachlass des 1707 gestorbenen
Bürgermeisters Winckler zu Lübeck, zu welchem ein Berliner
Kriegsrath mitberechtigt sein wollte; auf dessen Anfrage
ertheilten die Brandenburger, während die Sache in Wien
anhängig war, ein responsum.
Endlich spielte in einer westphälischen Sache noch 1746
(97672) das kaiserliche freie Reichshofgericht Huckarde
eine Rolle; es wurden beim Landgericht Lünen (Stadt bei
Dortmund) Pachte einer Hufe eingeklagt; der Beklagte
bestritt das Recht des Klägers an der Hufe; die Regierung
zu Cleve avozirte die Sache und sandte sie nach Branden-
burg. Hier wurde gefunden, dass die Hufe „unter dem
kaiserlichen freien Reichshofgericht Huckarde (einem Dorfe
unweit Dortmund) mitsortire," und dass Kläger „vom Hof-
gericht wirklich angenommen und für huldig und hofhörig
deklarirt worden;41 daraus folge sein Recht auf die Pachte.
Hier handelte es sich also um ein bäuerliches Reichsgericht,
das die zu seinem Gebiet gehörigen Hufen an Lehnleute aus-
that; die Huldigung der Unterthanen nahmen Richter und
Schoppen des Dorfes Namens des Reichs entgegen.
§24.
Generaldirektorium und Generalauditoriat
Dem Beispiele der obersten Gerichte folgte die seit 1723
gegründete oberste Verwaltungsbehörde Preussens, das
Generaldirektorium.
Dasselbe ersuchte 1731 (86369) den Brandenburger
Schöppenstuhl in einer Sache, in der ein Gebrauch des
Brandenburger Tuchmachergewerks von Erheblichkeit war,
„um Sentenz nach eingenommener Instruktion vom Tuch-
gewerk zu Brandenburg". Einige Jahre später (1738) glaubte
in einer andern Sache das Generaldirektorium Anlass zu haben,
]) Stölzel, Rechtsverwaltung Bd. 2 S. 92 ff.
§ 24- Generaldirektorium und Generalauditoriat. 377
sich über die Säumigkeit des Schöppenstuhls zu beschweren,
fand aber damit kein Gehör.1)
Auch die Militärjustiz gewöhnte sich daran, in Branden-
burg Recht zu holen. Der Oberstleutnant von Redern in
Spandau erbat bereits 1628 (72 530) Auskunft wegen der
Bestrafung eines Soldaten, der einen Bauer erstochen hatte.
Auf Befehl des „Generalmajeur Dörflinger" fragte 1656 (79
39. 86) ein Rittmeister wegen eines der Sodomie Verdächtigen
an. Seit mit dem Jahre 1671 ein Generalauditeur ge-
schaffen war,2) hörten solche Anfragen nicht etwa auf. General
v. Pfuel, Rath und Generalauditeur Hoyers und Lic. Filitsch
baten im August 1671 (79 437) um Belehrung in Branden-
burg, wie gegen zwei des stupri bezichtigte Soldaten vorzu-
gehen sei; in derselben Sache war zuvor in Leipzig angefragt.
Der Brauch, in Brandenburg anzufragen, wurde, wie es sich bei
der Domänenkammer zeigt (s. unten S. 382) noch lange über
das Verbot der Aktenversendung hinaus beibehalten und trug
wesentlich mit dazu bei, dass die Thätigkeit des Brandenburger
Schöppenstuhls sich bis zum Beginne des neunzehnten Jahr-
hunderts erhielt. Da von Urtheilen des Generalauditoriats
ähnlich wie von denen des Kammergerichts die Appellation
an den König ging, dieser aber eine solche „Immediatrevision"
wiederum an das Generalauditoriat zur rechtlichen Entschei-
dung weisen konnte, und dann das Generalauditoriat, um nicht
selbst nochmals zu entscheiden, Rechtsbelehrung einzuholen
pflegte, so wurde vorkommenden Falls thatsächlich der
Schöppenstuhl zu einer über das Generalauditoriat sich er-
hebenden Instanz.3)
J) Siehe unten § 36.
2) Holtze, Strafrechtspfl. unter Friedr. W. I. S. 10.
3) Beispiele, die dies Verfahren belegen, liegen vor aus den Jahren
1766 (loa, 141), 1769 (103,45), l7%6 (106» 173)- In letzterer Sache ist die
Appellation gegen ein Urtheil des Generalauditoriats von diesem an den
Schöppenstuhl in Stettin verschickt; gegen dessen Urtheil provoziren beide
Theile „ad remedium revisionis"; das hierdurch wiederum mit der Sache
befasste Generalauditoriat sendet- die Akten nach Brandenburg. In einen
eigenthflmlichen Konflikt kam der Schöppenstuhl mit dem Generalauditoriat
im Jahre 1787 (ÜB. a 777). Gegen ein Urtheil, das vom Auditoriate in Sachen
eines Kürschnermeisters gegen 12 Offiziere und den Quartiermeister des
378 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg--Preussec.
§25.
Hof- und Quartalsgerichte. Regierungen.
Domänenkammern.
Was den Räthen in der nächsten Umgebung des Kur-
fürsten zu ihrer Erleichterung gestattet war, konnte auch den
Räthen nicht versagt sein, die im Lande eine über den all-
gemeinen ordentlichen erstinstanzlichen Gerichten stehende
Rechtspflege zu üben berufen waren.
Dahin gehören zunächst die Hofgerichte und die
Quartalsgerichte,1) d. h. die zur Entlastung des Kammer-
gerichts viermal jährlich aus den Landräthen innerhalb der
Provinz zusammentretenden Gerichte. „Richter und verord-
nete Beisitzer des Hof ge rieht s zu Prenzlau*4 erbaten 1548
(3 482 - 590) in einem Rechtsstreit aus vormundschaftlicher
Verwaltung („actio tutelae") Rechtsbelehrung. Der Erbhof-
Husarenregiments v. Wuthenow in zweiter Instanz erlassen war, hatte der
Kläger appellirt; auf Antrag des Brandenburger Referenten, KriminaJrath
und Syndikus Fabricius, eröffnete aber der Schöppenstuhl dem um Ab-
fassung des Erkenntnisses ersuchenden Generalauditeur v. Goldbeck, den
spätem Grosskanzler, die Verbindung der vielen Klagen zu einem Prozesse
ohne Formirung eines den Vorschriften des corp. jur. Frid. entsprechenden
Status beruhe auf einem gesetzwidrigen tumultuarischem Verfahren des
erstinstanzlichen Regimentsgerichtes; das Rechtsmittel sei pro non devoluto
zu erachten, und der Instruent erster Instanz sei anzuweisen, sich besser
mit den Gesetzen vertraut zu machen (106 107). Das Auditoriat erwiderte
unter Rücksendung des Spruches, es könne denselben nicht publiziren, da
es selbst nicht nur die Kumulation der Klagen, sondern auch die Appel-
lation verstattet habe; es ersuche um ein Erkenntntss in der Sache. Fabri-
cius wollte nochmals die Akten zurückschicken, weil immer noch die Nor-
mirung des Status causae fehlte, wurde aber von seinen beiden Kollegen
Rudolphi und Zierhold überstimmt, nachdem Zierhold das Referat über-
nommen hatte ; der Spruch des Schöppenstuhls bestätigte nunmehr das Er-
kenntniss des Auditoriats, „wenn auch, was doch nicht sei, die Förmlich-
keiten des Rechtsmittels für richtig anzunehmen* (106 139). Als in einer
andern Sache aus der nämlichen Zeit (106 117) wiederum formelle Verstösse
Seitens der Regimentsgerichte bemerkbar wurden, meinte der Referent
y. Rudolphi darüber hinweggehen zu dürfen, weil die Regimentsgerichte
sich nach den Vorschriften des corp. jur. Frid. „nicht zu achten scheinen44
und das Generalauditoriat als oberstes Gericht das erstinstanzliche Verfahren
gebilligt habe.
*) Vgl. Stölzel, Rechtsverwaltung 1, 287.
$ 2$. Hof- u. Quartalsgerichte. Regierungen. Domänenkammern. 379
richter Caspar Beilin im Lande Ruppin bat den Schöppen-
stuhl, in einer vor dem Hofgericht anhängigen Prozesssache
1551 (4 134) auf die übersandten Akten „ein Urtheil zu be-
greifen". HansGladow, verordneter Hofrichter des Lan-
des Ruppin, übersandte 1556 (5 572) die vor ihm von sechs
Wochen zu sechs Wochen verhandelten Akten zur Belehrung.
Im Jahre 1557 (5 529) stellten von Stendal aus „Kurfürst-
lich Brandenburgische jetzt anher verordnete
Räthe" eine Anfrage, wie gefangen gesetzte umherziehende
und bettelnde Trommler und Pfeifer zu strafen seien; das
möchten die Brandenburger dem Rath zu Stendal schreiben.
Matthäus Wirtenheim, Hof- und Landrichter im Ucker-
lande, bat 1576 (17 241) von Prenzlau aus in einer „vor
dem Hofgericht eingebrachten11, etliche Jahre verhandelten,
zum Urtheil beschlossenen Erbstreite um Belehrung. „Hof-
richter und Schoppen zu Küstrin" baten 1573 (14 499) um
Belehrung, wie auf eine „in Gegenwart der Gerichte" statt-
gefundene peinliche Befragung zu erkennen sei.
Die Quartalsgerichtsräthe zu Stendal gaben 1579
(21 74) dem Hof- und Landrichter Franz Staudt zu Tanger-
münde auf, die vor ihm zwischen Diedrich v. Rengerschlage
zu Rengerschlage und Lewin v. Kannenberg zu Kannenberg
verhandelten Akten nach Brandenburg zu verschicken. Der
Hofrichter zu Kottbus fragte 1583 (23 643) an, was mit
einer Witwe von Adel zu geschehen habe, die mit einem
Knecht Unzucht getrieben. „Der Hof- und Landrichter der
Alten-Mark Brandenburg" zu Tangermünde, Kuno v. Eich-
städt, sandte inrotulirte Akten 1603 (50 9) ein, weil er „ohne
Belehrung und Rath der Rechtsgelehrten" darin zu sprechen
Bedenken trage. „Hofrichter und Schoppen" zu Züllichau
baten 1595 (39 522) m einem peinlichen Anklagcprozess und
„die verordneten Hofgerichte zu Züllichau" oder, wie die
Adresse des Belehrungsurtheils lautet, „die zum Hofgericht
der kurfürstlichen Stadt Züllichau Verordneten" (d. h. die
an Stelle von Hofrichter und Schoppen nunmehr getretenen
gelehrten Richter) baten 1664 (79 268) um Belehrung wegen
der Bestrafung der einem Dreizehnjährigen zur Last fallen-
den fahrlässigen Tödtung.
380 5* Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preussen.
Den Hofgerichten schliessen sich die Regierungen an.
Hier ist vor Allem die Regierung in Küstrin zu nennen,
wo die Aktenversendung besonders häufig beschlossen wurde.
Was für die Kurmark das Kammergericht zu Berlin, war für
die Neumark die Regierung zu Küstrin oder, wie diese Re-
gierung ursprünglich hiess, „das Kammer- und Hofgericht*4 ;r)
nicht bloss innerhalb der Zeit, während welcher die Neumark
im Markgrafen Johann ihren selbständigen Regenten haue
(x535 bis 1571)» ist von „Kammergerichtsräthen" in Küstrin die
Rede,2) vielmehr sprechen noch 1578 (ÜB. 1716) die „Kur-
fürstlichen Kammergerichtsräthe zu Küstrin44 auf eine An-
frage des Landvogts zu Schievelbein für Recht;* diesen Spruch
nennen dann 1608 die Brandenburger einen Spruch der
„Regierung44 zu Küstrin; der „Kammergerichtsschreiber44 zu
Küstrin bat 1608 (56 23) in Brandenburg um Zusendung
eines Urtheils, und ein Abschied des Kammergerichts zu Ber-
lin von 1622 (70 280) redete davon, dass der Beklagte, wenn
der Abschied (d. h. die gütliche Vereinbarung) nicht befolgt
werde, „anderweit bei der Regierung44 (nämlich dem Kam-
mergericht) zu belangen sei. „Verordnete Räthe der kur-
fürstlichen Regierung zu Küstrin44 oder, wie sie sich auch
nennen, „Statthalter und Räthe der kurfürstlichen Regierung44
fragten 1572 (13 99. 102) in einer Brandschadenssache um Be-
lehrung an. Sie schickten ebenfalls 1572 (12421) Strafakten,
die ihnen der Rath zu Friedeberg mit der Bitte um Belehrung
übersandt hatte, den Brandenburgern zu, „weil,44 wie sie sagen,
„wir solche Händel alleweg an euch weisen44. Als 1594 (39
347) Bürgermeister und Rath zu Lippehne (Regierungsbezirk
Frankfurt) in Brandenburg ein Urtheil in einer Strafsache
erwirkt hatten, wurde dasselbe durch die Regierung zu Küstrin
„als den Oberrichter dieser Stadt44 dem Bürgermeister und
Rath mit der Auflage eröffnet, es zu befolgen. In einer In-
juriensache konsulirte 1607 (54 434) die Regierung zu Küstrin;
l) „Kammer- und Hofgerichtsordnung" des Markgrafen Johann von
1548, neue ,, Kammer- und Hofgerichtsordnung" desselben Markgrafen von
1561 s. Mylius, CCM. II, 1 Sp. 35 ff. Stölzel, Rechts Verwaltung 1, 214.
a) Soldiner Vertrag von 1552 (Stölzel, Rechtsverw. i, 214), Eingang.
Mylius CCM. II, 1 Sp. 33.
§ 2$. Hof- u. Quartalsgerichte. Regierungen. Domänenkamroern. 381
1640 im April wurden von den Schweden Akten aufgefangen,
die der Amtsvogt zu Küstrin auf Befehl der Regierung nach
Brandenburg gesandt hatte (77 64).
Noch viele Beispiele von Anfragen der Küstriner Regie-
rung Hessen sich beibringen, namentlich aus den 1730er und
1740er Jahren;1) auch die Versendung an andere Schöppen-
stühle als den Brandenburger kam dort vor; z. B. nach Min-
den (1743: 94 58) oder nach Stettin (1745: 96 599). Es kam
ferner vor, dass die Regierung zu Küstrin als dritte Instanz
zu entscheiden hatte und als solche in Brandenburg anfragte.
So in einem Falle des Jahres 1 734 (91 604), als ein „Uhr-
macher und Gerichtsassessor44 zu Glogau wegen eines Uhren-
kaufs vor dem Hofgericht Züllichau klagte und in der Appel-
lationsinstanz beim „Verweseramt in Krossen" ein verurtei-
lendes Erkenntniss erlangte, das bei weiterer Appellation die
Regierung in Küstrin bestätigte; nachdem in Küstrin weitere
Appellation eingelegt war, erfolgte seitens der dortigen
Regierung Versendung nach Brandenburg.
Dem Kammergericht, wie den Regierungen thaten "es die*
Kriegs- und Domänenkammern gleich, die als Appel-
lationsinstanzen mit der Entscheidung von Streitigkeiten be-
traut waren, bei denen ein öffentliches Interesse konkurrirte.
Von diesem Gesichtspunkt aus bestand eine weitgehende
Kompetenz dieser Kammern, wie die Anfragen ergeben, die
von den Kammern nach Brandenburg kamen.
Als die mit ihrem Anspruch auf Freiheit von der Bierein-
lage in zwei Instanzen abgewiesene Berliner Schützengilde 1726
(84 T03) appellirte, ersuchte die kurmärkische Domänen-
kammer den Brandenburger Schöppenstuhl um Abfassung
des Urtheils, das dann im Namen des Königs erging; ebenso
1730 (89 100) in Appellationssachen eines königlichen Messing-
werkes wegen Rechnungslegung und 1738 (89 828) in einer
Untersuchung, die in erster Instanz vor dem Hof- und Stadt-
gericht Beeskow wegen Ehebruchs geschwebt hatte und an
die Domänenkammer gelangte, weil sie Mitglieder der Brauer-
gilde betraf. Da das Verbot der Aktenversendung von 1 746
l) In der Zeit von 1734 bis 1746 sandte die Küstriner Regierung
96 Fälle nach Brandenburg. Vgl. ÜB. 3 2x6.
382 5* Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg"- Preussen.
sich nur an die Justizkollegien, Konsistorien und Gerichte
wendete, konnten die zu keiner dieser Behördenkategorien
zählenden Domänenkammern auch nach 1746 in Branden-
burg Belehrung holen. Daraus erklären sich Anfragen der
Berliner Domänenkammer als Appellationsinstanz von 1765
(102 114) in Sachen eines Gärtners, der den General von Hörn
auf Tagelohn verklagt, von 1766 (102 157. 163) in Sachen des
Magistrats zu Fürstenwalde gegen das dortige Amt wegen
Koppelhute, von demselben Jahre in Sachen eines Dreihufners
zu Werben gegen den dortigen Magistrat wegen Holzdefraude,
von 1768 (80 197) in Sachen eines Mühlenmeisters zu Prenzlau
gegen das Lohgerbergewerke.
Häufiger als die Berliner Domänenkammer wandte sich
die Küstriner Domänen kammer, dem Beispiele der
Küstriner Regierung folgend, nach Brandenburg. So hatte
Friedrich d. Gr., der als Kurprinz 1734 bei den Küstriner
Behörden arbeitete, reichlich Gelegenheit, sich aus eigener
Anschauung sein Urtheil über die Missstände der Aktenver-
•sendung zu bilden, das bei der Inangriffnahme der Justiz-
reform in dem Verbot des Jahres 1 746 seinen Ausdruck fand.
Auch von Regierungen oder ihnen gleichstehenden
höheren Gerichten solcher Landestheile,die erst im siebzehnten
oder achtzehnten Jahrhundert mit Brandehburg-Preussen ver-
eint wurden, ist mannigfach der Brandenburger Schöppen-
stuhl um Belehrung angegangen worden. Nachdem aus dem
Bisthum Halberstadt das 1648 an Brandenburg überwiesene
Fürstenthum Halberstadt geworden war, erbitten „kurfürst-
lich Brandenburgische zur Regierung des Fürötenthums
Halberstadt verordnete Direktor und Rätheu (1690: 79
634. 647. 659. 662; 1691: 79 662) Sentenzen in Sachen,
in denen die Regierung bereits als erste, sowie als Läuterungs-
und Oberläuterungsinstanz erkannt hatte.1) Ebenso fragt
1744 (95 417) „die Kriegs- und Domänenkammer in
Halberstadt" bei den Brandenburgern an, als gegen ihr
zweitinstanzliches Urtheil des remedium supplicationis eingelegt
l) Aus demselben Jahre liegen mehrere Anfragen der Halberstädter
Regierung hinter einander in Bd. 79 vor; aus dem Jahre 1739 eine in Bd. 90,
864 ff.
§ 35. Hof- u. Quartalsgerichte. Regierungen. Domänenkammern. 383
und darüber bei ihr verhandelt war. Mit dem Fürstenthum
Halberstadt war die Grafschaft Hohenstein an Brandenburg
abgetreten. Von daher bitten 17 12 (82 163.429) „Königl.
Preussische zur Regierung der Grafschaft Hohnstein
verordnete Landeshauptmann und Rathe zu Ellrich" um Ab-
fassung eines Straf- und eines Civilurtheils, nachdem in der
Civilsache vorher der Schöppenstuhl in Leipzig erkannt hatte
und bei der Regierung die Läuterungsinstanz dagegen be-
schritten war.
Besonders regen Gebrauch macht in den Jahren 1721
bis 1746 l) die Regierung zu Cleve von der Aktenver-
sendung.2) Sie hält sich dazu gedruckte Formulare, in welche
nur die Rubrik der Sache, das Datum und die Adresse hand-
schriftlich eingefügt werden. Ein solches Formular lautet
(1721: 81239):
Wohledle und hochgelahrte, sonders gunstige Herren und
Freunde! Nachdem kraft hiesiger Landtagsabscheide dehnen liti-
girenden Partheyen freystehet, in vollschriebenen ihren Sachen ad juris
consultos extraneos zu provociren, und dann solche Abberufung i.
S. . . . geschehen ist, als senden wir . . . ein . . . Urtheil zu verfassen
cum rat. dec. (jedoch dass diese . . . auf ein absonderlich Blath ge-
schrieben) innerhalb 6 oder längstens 8 Wochen, welche dazu von
I. Kgl. Maj. bestimmt sind . . . solche an einen von uns, nicht an das
Collegium zu remittiren . . . unter der Verwarnung, dass sonst nach
Anleitung des Kgl. Justizregl. in so Jahren keine Acta mehr an die
Säumigen transmittirt werden sollen ...
Der Herren dienstfreund willige Kgl. Prß. zur Clev- und Marcki-
schen Landesregierung verordnete Geh. Reg.-, auch zu dieser Sachen
Verschickung deputirte Käthe.
In einem anderen Formular (81 254. 348) sind drei Monate
Frist gegeben, und es fehlt die Verwarnung. Wie sehr das
Aktenversenden bei der Clever Regierung gebräuchlich war,
ergiebt der Umstand, dass man dort eigens zwei Räthe für
*) x7*4 (*3 180); 1727 (84 451); 1739 (90 564. 599- 725); 1746, a- Dez.
(97 887). In 94 386 fragt 1743 das „Cleve-Märkische Hofgericht" betreffs
einer beim Richter in Hoerde schwebenden Sache an. In 95 382 spricht
der Thatbestand eines Brandenburger Unheils 1744 von einem Urtheil des
Gerichts Schwerte, das „der Kgl. Justizrath zu Cleve konfirm irt hat44. Unter
diesem Justizrath scheint die Regierung verstanden zu sein.
*) Ueber einen Versuch der Clever Regierung, 1685 nach Magdeburg
Akten zu versenden, s. oben Seite 236.
384 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus ßrandenburg-Preusseo.
die Geschäfte der Aktenversendung deputirt hatte. Dabei
herrschte eine grosse Unordnung, da man in Cleve das vor-
geschriebene Register1) nicht ordnungsgemäss führte; es
kam vor, dass im August 1747 (98 277) an „säramtliche
Universitäten und Schöppenstühle" ein Zirkular ergehen
musste, um festzustellen, wohin gewisse nicht wieder ein-
gegangene Akten verschickt seien.
Gleich der Regierung in Cleve macht auch die dortige
Kriegs- und Domänenkammer von der Aktenversendung
Gebrauch (1726: 84 312; 1739: 90 997); 2) nachdem gegen
die Entscheidung der Kammer an das Tribunal in Berlin
appellirt, von dort die Sache nach Halle zum Spruche ge-
schickt, gegen den Hallenser Spruch appellirt, auch dieser
Spruch deklarirt ist, wird zwischen den Parteien in Cleve
weiter verhandelt und dann ein Spruch in Brandenburg ein-
geholt.
Die Regierung zu Wesel (im Herzogthum Cleve) erbittet
1733 (87 323) in Brandenburg eine Sentenz in einer Konkurs-
sache.
Da, wie wir bereits (S. 347) sahen, das Stadt- und
Hauptgericht in Meurs zugleich als Appellationsinstanz in
den bei ihm anhängigen Sachen erkannte, so gehören die
Fälle, in denen es nach eingelegter Appellation Akten nach
Brandenburg versandte, auch hierher.
Das Gleiche gilt von dem Amte Giebichenstein bei
Halle, das 1 743 (95 265) als Appellationsinstanz in einer beim
Stadtvogteigericht Connern hängigen Sache angegangen ist.
Die Regierung des (seit 1707 preussischen) Fürsten-
thums Minden und der Grafschaft Ravensberg zu Minden
wendet sich 1739 (90 197. 359) nach Brandenburg und ebenso
noch 1751 (99 109) die hochgräflich Bentheim-Hohenlimburg-
sche Appellationsinstanz der 1707 mit Preussen vereinten
Grafschaft Tecklenburg zu Rhede.
*) Siehe oben Seite 312.
*) Anscheinend auch das „Cleve -Märkische Hofgericht" (zu Cleve?)?
denn 1743 (94 386) ergeht ein an den „juge de Hoerde de S. M. le roy dc
Prusse44 adressirter Brandenburger Spruch; dieser Richter hatte vor ihm
verhandelte Akten in Kommission des Cleve- Märkischen Hofgerichts ein-
gesandt.
§ 26. Konsistorien. 385
Wie das Stadtgericht Quedlinburg, so bitten auch vor
der Unterordnung des Stifts unter die Preussische Hoheit
1688 (79 582) „fürsdich Quedlinburger Stiftskanzler und
Rät he" und während der Preussischen Hoheit 1721 (81 171),
1732 (87 i)1) „Fürstlich Schleswig Holsteinsche zur Quedlin-
burger Stiftskanzlei verordnete Räthe" um einen Spruch;
diesen fallen die Brandenburger „Namens der Fürstlich
Schleswig -Holsteinschen zur Quedlinburgischen Stifts re gie-
rung verordneten Räthe". Kanzlei und Regierung sind also
dasselbe, nämlich die höhere Gerichtsinstanz des Stiftes.
§26.
Konsistorien.
Als eine Abzweigung vom Kammergericht zu Berlin
bildete sich allmählich das dortige Konsistorium zu einer
besonderen Behörde für geistliche Angelegenheiten und die
in solchen entstehenden Prozesse aus.2) Dem Berliner Kon-
sistorium folgten im Lande die von den Regierungen sich
abzweigenden Konsistorien. Auch diese Konsistorien traten
zu dem Brandenburger Schöppenstuhl in Beziehung, und zwar
entwickelte sich das Verhältniss analog wie beim Kammer-
gericht, nur äusserte der Satz, dass kirchliche Fragen nicht
vor weltliche Gerichte gehörten, einen merkbaren Einfluss.
Zum Verständniss dieser Entwickelung bedarf es daher
einer in die vorreformatorische Zeit und dann in die Anfangs-
periode der Konsistorien zurückgreifenden Erörterung, aus
der erhellt, in welcher Weise die Grenzen zwischen geist-
licher und weltlicher Gerichtsbarkeit sich festlegten oder hin-
und herschoben. Dabei wird es unumgänglich sein, die Zu-
stände der Mark kurz nach Einführung der Reformation mit
in Rücksicht zu ziehen, auch eine Reihe von Einzelfällen mit-
zutheilen, die sich in den Brandenburger Schöppenstuhlsakten
aus der Anfangszeit konsistorialer Thätigkeit finden.
Die geistlichen Gerichte hatten während des Mittelalters
in deutschen Territorien einen Boden gewonnen, der weit
x) Im Febr. 1732 werden gleichzeitig 9 Sachen nach Quedlinburg ab«
gefertigt.
s) Stölzel, Rechts Verwaltung 1, 181 , 294 fr.
Stolze!, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 25
386 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preussen.
über ihre rechtsbegründete Zuständigkeit hinausging. Der
Grund dafür, dass dies geschehen konnte, lag einerseits in der
gesteigerten Macht der Kirche, andererseits in der Schwer-
fälligkeit der weltlichen Gerichte: die Parteien selbst zogen
es vor, ihre Streitigkeiten vor dem geistlichen Offizial anstatt
vor Richter und Schoppen des weltlichen Gerichts ausge-
tragen zu sehen; namentlich forderte der Zerfall der Land-
gerichte den Zug der Landbewohner an den geistlichen
Richter; nur in den Städten, deren Bürger stolz auf ihr Pri-
vileg waren, nirgends anders, als vor ihrem Stadtgericht
Recht nehmen zu müssen, regte sich ein Widerstand. Ein
Ausdruck dieses Widerstandes war die Beschwerde, die Berlin
und andere — nicht näher bezeichnete — märkische Städte
gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts an ihren Bischof,
den zu Ziesar residirenden Bischof von Brandenburg, l) rich-
teten, es seien Klagen vor sie gekommen, dass „jetzt dick
und viel ein Laie den andern und auch Priester die Laien
vor dem (Ge-)richte zu Seyeser (Ziesar) geladen haben solle*.
Der Bischof erwiderte darauf sehr lakonisch: „Wir haben ein
geistliches Gericht im Stifte zu Brandenburg von Rechts und
alter Gewohnheit her; will dort Jemand klagen, so können wir
ihm darin wohl Rechtes geben." Dass Brandenburg mit ai
den beschwerdeführenden märkischen Städten gehörte, wird
ohne Weiteres angenommen werden dürfen ; es war die dem
Sitz des bischöflichen Gerichts nächstgelegene Stadt. Das
Brandenburger Stadtgericht und der Brandenburger Schöppen-
stuhl standen demnach mit dem geistlichen Gerichte zu Ziesar
in Konkurrenz. Davon, dass etwa das geistliche Gericht
beim Schöppenstuhl Belehrung gesucht hätte, findet sich
hiernach, wie erklärlich, keine Spur. Den deutlichen Beweis
von der Uebermacht der geistlichen Gerichtsbarkeit liefert
der im Jahre 1445 auf dem neumärkischen Landtage zwischen
Geistlichkeit, Adel und Städten geschlossene Rezess,2) in
welchem es als ein besonderes Zugeständniss der Prälaten
hingestellt wird, dass der weldiche Gerichtsherr des vor dem
geistlichen Gerichte beklagten Laien die Abgabe der Sache
*) Riedel c. d. i, 8 S. 378.
2) Stölzel, Rechtsverwaltung 1, 68 ff.
§ 26. Konsistorien. 387
an das weltliche Gericht fordern könne; die Befugnis9, jeden
Laien in rein weltlicher Sache vor das geistliche Gericht
laden zu lassen, wurde ohne Weiteres dem geistlichen Ge-
richte zuerkannt. Dass auch nach diesem Rezesse die
Abgabe einer Sache an das weltliche Gericht nicht allzuoft
gefordert wurde, dass vielmehr die landesherrliche Gewalt
in der Ausdehnung der geistlichen Gerichtsbarkeit eher eine
Wohlthat als eine Benachtheiligung sah, ergiebt sich aus dem
„Rathschlag" des Landtags von 1503, man solle „den geist-
lichen Gerichten nach den alten Verträgen ein Maass geben,
dass die Beschwerung, die täglich geschieht, abgestellt
werde*4,1) und auch aus den wiederholten Bitten der Städte
der Priegnitz, als mit der Reformation die geistliche Gerichts-
barkeit verschwand. Diese Städte stellten um 1 540 vor, dass
sie eines Landgerichtes bedürften, weil bisher ordentlich Land-
gericht nicht gehalten und die geistliche Jurisdiktion, davor ehe-
mals Schulde und andere geringe Sachen wider die Bauersleute
auszutragen geduldet, abgegangen sei.2) Also die landes-
herrliche und gutsherrliche Gewalt hatte im eigensten Inter-
esse ihrer Bauern von ihrem rezessmässigen Rechte der Ab-
berufung weltlicher Streitsachen wenig Gebrauch gemacht.
In die Zeit kurz vor dem Rezess von 1445 fällt der ^e"
reits näher besprochene, vor dem Dorfgericht Barnewitz ver-
handelte Prozess.3) Er schwebte vor dem weltlichen Ge-
richte; dadurch, dass sich aber die Schoppen an den Propst
zu Brandenburg, ihren Guts- und Gerichtsherrn, um Beleh-
rung wandten, gelangte der Prozess vor den geistlichen
Richter. Denn mochte der Propst selbst die Rechtsbelehrung
ertheilen oder sie durch seinen Offizial ertheilen lassen,
immer war der Spruch, den die Schoppen nach Barnewitz
zurückbrachten, und der dem beklagten Nauener Bürger
wenig zusagte, ein geistlicher Spruch. So wurden auf dem
Wege der Einholung von Rechtsbelehrung rein weltliche
Streitigkeiten dem geistlichen Richter zugeführt, und die
geistliche Gerichtsbarkeit konnte in die weltliche eingreifen,
]) Daselbst 1, 184.
a) StA. Rep. 20 C. 1470 — 1543. Landschaft-Fragmenta.
3) Siehe oben Seite 274.
25*
388 5* Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brand enburg-Preusscn.
wenn es sich um Verhandlungen vor solchen Dorfgerichten
handelte, die geistlichen Körperschaften, wie Domkapiteln, j
Stiftern, Klöstern und dergl. unterstanden.
Einen solchen Eingriff lässt ein Fall des Jahres 1476 er-
kennen, der in Frankfurt a. O. spielte.1) Ein Frankfurter
hatte einen Nürnberger vor dem markgräflichen Richter in
Frankfurt belangt; die Schoppen erkannten, dass die Par-
teien ihr Recht nach Einbringung zweier Schriften zu Bran-
denburg holen sollten; das geschah; währenddessen liess aber
der Kläger den Beklagten vor den Offizial, der nach Mei-
nung des Beklagten als geistlicher Richter mit dieser Sache
nichts zu thun hatte, und gleichzeitig auch vor den Rath der
Stadt Frankfurt laden. Der Rath verlangte, das Parteivor-
bringen in Schriften zu verfassen, dann wolle er sprechen,
wenn er es wisse, sonst ihr Beider Geld nehmen und das
Recht holen lassen zu Brandenburg.
Es gehen also auch hier geistliche und weltliche Ge-
richtsbarkeit in derselben Sache neben einander her; das
Entscheidende wird gewesen sein, wer von beiden zuerst
zum Urtheilsspruche und zu dessen Vollstreckung gelangte.
Zwischen Oberhof und geistlichem Gericht bestand kein Zu-
sammenhang.2)
Das änderte sich durch die Reformation.
Diese führte, obwohl erst 1539 der Kurfürst die neue
Lehre öffentlich annahm, schon während der 1520er Jahre
in der Mark zu argen Unordnungen. Die Einnahmen der
Kirchen blieben auf dem Papier. Ganze Pfarrstellen nebst
') lieber ihn berichtet eine Notariatsinstr. von 1476, StA. Urkunden-
repertorium Frankfurt Nr. 35.
*) Eine vor dem „consistorium Berlinense", d. h. vor dem bischöf-
lichen Offizial und seinem Schreiber, gepflogene Verhandlung aus den
1520er Jahren s. ÜB. l 83. Die Verhandlung entspricht vollständig den in-
weltlichen Gerichtsbüchern niedergelegten Verhandlungen, nur ist sie la-
teinisch abgefasst. Der erste Satz erwähnt den Rezess von 1445: gemäss
desselben ist die gegen einen Laien erhobene Klage an den Rath der Stadt
Bernau abgegeben. — Dass im dinglichen Gerichtsstand auch ein Geist-
licher vor weltlichem Gericht Recht zu nehmen hat, beweist ein 1531
(1631) vor dem Stadtgericht Stendal gegen den Vikar Schulte wegen
eines angeblich zur Vikarie gehörigen Hauses anhängiger Prozess.
§ 26. Konsistorien. 389
Ländereien wurden eingezogen. Christof v. Rochow als
Patron der Kirche von Klein-Behnitz (bei Nauen) legte 1529
das Haus der Kirche zu dem seinen. Aehnlich verfuhren
andere um Ziesar begüterte v. Rochow, die als die ent-
schiedensten Anhänger der neuen Lehre auftraten, und auch
die Bauern in Grosskreuz und Kemnitz bemächtigten sich
des Kirchenbesitzes; Monstranzen wurden entwendet, zer-
trümmert oder verkauft.1)
Dass die Geistlichkeit selbst hieran nicht schuldlos war,
beweist der Ausspruch Melanchthons 2), nirgends gebe es eine
dümmere, schlechtere Geistlichkeit als in der Mark; auch
beweist es die erste nach Einführung der Reformation abge-
haltene Visitation, laut deren Protokolls (1541) den Branden-
burger Kapitularen aufgegeben wurde, ihre Konkubinenwirth-
schaft abzuschaffen und „die verdächtigen Personen zu ent-
fernen".3) Mannichfache Streitigkeiten, die aus solchen Ver-
hältnissen sich zwischen den Konkubinen Geistlicher oder
deren Kindern (zuweilen bei nachfolgender Ehe) und den
Familienangehörigen des Geistlichen nach dessen Tode ent-
wickeln, gelangen vor den Brandenburger Schöppenstuhl.
Aus mehr als einer Verhandlung ersieht man den Einfluss
der Säkularisation des Kirchengutes.4)
Der Predigt wird besondere Bedeutung beigelegt; denn
die landesherrlichen Visitatoren ordnen (1542: 5 126) in Perle-
berg wöchentlich zwei Sermones über das göttliche Wort an,
und im Anschlüsse daran bestimmen Privatleute testamentarisch
(1546: ÜB. 1 220) Legate für eine dritte wöchentliche Predigt.
Derart heilig hält man die Predigt, dass man während
ihrer die Stadtthore schliesst und in Gardelegen einen
Schlächterjungen, der unter der Predigt muthwillig über die
Stadtpfosten steigt, zur Rechenschaft zieht; die 1552 (71)
um Belehrung gebetenen Brandenburger erkennen, dass er
mit dem Schwerte vom Leben zum Tode verrichtet werden
') Gebauer, Zur Gesch. der Reform, im Bisthum Brdb., Programm
der Ritterakademie in Br. von 1898, S. 30 ff.
*) Droysen, Politik II. 2, 185.
*) Gebauer a. a. O. S. 18.
4) Altstädter Rathsbuch, Cod. A 1 AA. Siehe oben S. 94.
390 5» Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg"- Preussen.
soll, wenn der Stadtrath ihm wegen seiner Jugend nicht
Gnade zu erzeigen sich entschliesst. Das Verbrennen „heiliger
Hostien" durch einen ungeweihten Priester tragen aber die
Brandenburger in demselben Jahre Bedenken, vor ihr Forum
zu ziehen (ÜB. 1 273): als nach dem Tode des Bischofs Busso
von Havelberg und vor Bestätigung der Wahl des Erzbischofs
Friedrich von Magdeburg Bürgermeister und Rathmannen
nebst den Kirchenvätern der Stadt Wilsnack einem von ihnen
angenommenen nicht geweihten Priester die Reichung der
Sakramente und die Vornahme der Zeremonien verboten
haben, dieser aber doch den Gottesdienst ändert und mit
Hülfe von Küster, Schulmeister und Wächter die mit dem
sogenannten Wunderblut getränkten Hostien verbrennt, auch
sich auf der Kanzel der That rühmt, weisen die von den
weltlichen Befehlshabern um Belehrung angegangenen Branden-
burger die Sache, soweit sie den Priester angeht, vor den
geistlichen Superintendenten.
Dagegen finden die Brandenburger 1559 (7 590) kein
Bedenken, über die Verwendung kirchlicher Vermächtnisse
Entscheidung zu treffen. Dies bezeugt ein in Havelberg
vorgekommener Streit zwischen dem Domkapitel und der
evangelisch gewordenen Pfarrkirche. Die Kapitelsherren zu
Havelberg hatten in vorreformatorischer Zeit 57 lodige Mark
Silber empfangen, um eine Fraternität in der Stadtkirche zur
Besorgung der divina herzurichten. Auf Grund des darüber
ausgestellten Briefs erbaten die Kastenherren und Vorsteher
der Pfarrkirche in Brandenburg Belehrung, wie es mit den
57 Mark neuerdings zu halten. Sie werden verständigt, das
Domkapitel müsse von den 57 Mark jährlich soviel zum
(evangelischen) Predigtamt und Gottesdienst der Pfarrkirche
geben, als es früher dem im Briefe genannten Messpfaffen
zu geben hatte, oder es müsse im Fall der Weigerung das
Kapital zurückerstatten, „ungeachtet, dass jetzt die angeord-
neten abgöttischen Messen nicht gehalten werden14.
Die hierin liegende Anerkennung, dass für den katho-
lischen Kultus gemachte Stiftungen nunmehr für Zwecke
des Protestantismus zu verwenden seien, wiederholte sich bei
Altarlehen; aus ihnen waren in den Augen der weltlichen
§ 26. Konsistorien. 391
Gerichte ohne Weiteres Stipendien für die Familie des
Stifters geworden. Das nahmen die Brandenburger bezüg-
lich zweier von Mollendorfscher Altarlehen zu Krampfer bei
Perleberg 1586 (39 564) einfach als Thatsache hin; die Lehen
behandelte man als Stipendien, deren Verleihung ein Studiren-
der der Familie mit kurfürstlichem Konsens beanspruchen
könne.1) Zu weit ging indess den Brandenburgern das Be-
gehren des Gemeindekastens von Havelberg, ihm und nicht
den Intestaterben sei der Nachlass einer „früher geistlichen
Person" zuzuweisen (15608 178). Was zu Zeiten aus solchen
früheren Geistlichen wurde, lehrt ein in Cöln a/Spr. 1557
(6 225) aufgenommenes Protokoll über das Bekenntniss des
„Ern Johann Kossuick, etwan Pfarrers zu Zulenu (Zuhlen bei
Rheinsberg). Danach hatte der Pfarrer mit einem Gesellen
Paul Tue einen Bauern erschlagen, ihm das Pferd genommen
und verkauft, auch noch weitere Unthaten begangen, Kirchen
im Lande Mecklenburg und im Lande Ruppin erbrochen
und Kirchengeräthe entwendet. Welche Strafe ihn trifft,
ist aus den Akten nicht ersichtlich.2) Dass aber die Branden-
burger für zuständig gelten, auch gegen geistliche Personen
Strafen auszusprechen, folgt daraus, dass der Kurfürst selbst
1574 (ÜB. 1 613) einen Gutsherrn nach Brandenburg verweist,
als er anfragt, wie gegen einen — verheiratheten — Pfarrer
vorzugehen sei, der sich mit einer Nonne des Klosters Dam-
beck bei Salzwedel, der Tochter des dortigen Bürgers
Christoph Chuden,3) vergangen hat; die Brandenburger er-
kennen dem Pfarrer den Tod durch das Schwert zu.
Damit ist der Weg betreten, der allmählich zu einer
Scheidung der Zuständigkeit zwischen dem Schöppenstuhl
und dem seit der Reformation aus verordneten kurfürstlichen
Räthen an Stelle der früheren geistlichen Obrigkeit ge-
bildeten Konsistorium führt.4) Die Ausübung der Straf-
gerichtsbarkeit gegen geistliche Personen betrachtet der
Schöppenstuhl als seine Sache; anders stellt er sich zu
Vvgl. ÜB. 1514.
a) Ueber einen ähnlichen Fall vgl. ÜB. 1 478.
3) Vergl. oben S. 144.
4) Stölzel, Rechtsverwaltung: 1, 181 ff.
392 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg--Preusse&-
kirchenrechtlichen Fragen, bei denen es sich nicht um eine
Bestrafung handelt; hier überlässt er dem Konsistorium die
Entscheidung.
Darum lehnen 1569 (11 552) die Brandenburger ab, dar-
über Belehrung zu ertheilen, ob die Ehebrecherin sich mit
dem Ehebrecher wieder verheirathen darf, und verweisen den
um Belehrung Fragenden an das Konsistorium; ebenso er-
kennen sie 16 14 (ÜB. 2 515) auf Anfrage des Hauptmanns
zu Zehdenick in einem Falle, in welchem sich Jemand nach
zugesagter Ehe und fleischlicher Vermischung mit einer
Anderen hat trauen lassen, während sie sich 1573 (14 271 j
über die Unzulässigkeit einer Ehe mit der Halbschwester
Tochterkind ohne Bedenken aussprechen. In demselben
Jahre entlässt (14 53) das Konsistorium einen Küster derer
v. Lochau in Nennhausen (bei Rathenow), verständigt aber
dabei die v. Lochau, wegen der Strafe sei der Schöppen-
stuhl in Brandenburg anzugehen, da es in „Criminalsachen
nicht sprechen könne44. Aus gleichem Grunde gelangen
folgende Sachen nach Brandenburg : Dorfgerichtsherren,
deren Namen nicht ersichtlich ist, fragen (c. 1578 *): 11 480)
in Brandenburg an, wie ein verheiratheter früherer Kaplan
der Gemeinde, der seine Magd geschwängert habe, zu
bestrafen sei. Nach Roters, des Referenten, Vorschlag
sollte — ohne Rücksicht auf die Eigenschaft des Ange-
schuldigten als Geistlichen — gesprochen werden, dass der
Gerichtsherr den stuprator inhalts der kaiserlichen Hals-
gerichtsordnung in Geldbusse nehmen und diese als Gerichts-
herr behalten, desgleichen die Geschwängerte mit Staup-
schlägen der Gerichte verweisen dürfe ; wolle die Magd den
Kaplan, weil er ihr angeblich die Ehe versprochen, an
gebührlichen Orten, dahin Ehesachen gehören, be-
sprechen, so wäre ihr solches unbenommen, sie könne sich
aber, da das bei Lebzeiten des Eheweibs des Kaplans ge-
gebene Versprechen nichtig, der Strafe nicht entbrechen. Das
Kolleg beabsichtigte, grössere Rücksicht auf die geisdichen
Gerichte zu nehmen; Roters Konzept änderte Bardeleben dahin,
*) Da Garz den Spruch ausgefertigt hat, erging derselbe nach 1576,
in welchem Jahr Garz Schöppenschreiber wurde.
§ 26. Konsistorien. 393
dass vorläufig über die Bestrafung des Kaplans und der
Magd noch nichts zu sagen, vielmehr abzuwarten sei, ob die
Sache, die als einen Geistlichen betreffend vermöge der be-
schriebenen geistlichen Rechte vor die geistliche Jurisdiktion
gehöre, zur peinlichen Strafe an die weltliche Obrigkeit und
an den Gerichtsherrn wiederum werde verwiesen werden. In
dieser Fassung gelangte der Spruch zur Ausfertigung.
Ein Verlobter in Prenzlau sollte sich 1573 (ÜB. 1 593) nach
der Verlobung mit losen Weibern abgegeben haben und im-
potent geworden sein. Nach Verhandlung vor dem Geist-
lichen gelangte durch ihn die Sache vor das geistliche Kon-
sistorium. Dieses befahl dem Pfarrer, dem Bürgermeister und
dem Rath die Sache zu untersuchen und in Brandenburg zu
fragen, welche Strafe den Bräutigam treffen müsse. Die
Brandenburger erkannten auf willkürliche Strafe.
In einer Ehesache wandte sich 1577 (18 579) Bürger-
meister und Rath zu Strasburg i/N. an das Konsistorium;
dieses gab die Akten, „weil zu strafen sei", nach Branden-
burg ab.
Ein Küster hatte 1578 (19 463) eine Pfarrerstochter
fleischlich erkannt; die vor den „Kurf. Brand, geistlichen
Konsistorialräthen eingebrachten Akten" sandten die Räthe
nach Brandenburg, „zu erkennen, was recht ist". Die
Brandenburger sprachen gegen den Küster die Gerichts-
verweisung mit Staupenschlägen auf geschworenen Urfrieden
aus (ÜB. 4 179).
Ebenso sandten die „verordneten Konsistorialräthe zu
Berlin" 1584 (25 278) Akten zum Rechtspruch ein, in denen
es sich um einen Küster handelte, der Scheltworte ausge-
stossen haben sollte.
Ein vom Gutsherrn v. Plato seines Amtes entsetzter
Pfarrer zu Parei (bei Genthin) ging 1585 (26 148) in den
Krug, wurde vom Wein trunken, zog des Krügers Rock an,
setzte dessen Hut auf, nahm einen alten Spiess in die Hand
und ging wie ein Bauersmann in die Kirche, lehnte sich auf die
Taufe, half singen und redete in die Predigt hinein. Er
wurde aus der Kirche gebracht und dann vom Diener des
v. Plato gefänglich angenommen. Auf Anfrage seiner Frau
394 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg- Preus^n.
sprachen die Brandenburger, dass er auf einen geschwornen
Urfrieden erledigt (= frei gelassen) werden soll.
Verordnete kurfürstlich Brandenburgische Konsistorial-
räthe in Cöln a/Spr. baten 1590 (33 256) auf Befehl des
Kurfürsten in Sachen eines gefangenen Geistlichen, in der
sie zu sprechen Bedenken haben, in Brandenburg um Be-
lehrung des Rechten, hoffend, weil es eine geistliche Person
anlangt, die Brandenburger würden damit soviel mehr Acht
haben. Es wurde auf die peinliche Frage erkannt. Dem
Pfarrer war Betrug, Bedrohung, mehrmaliges öffentliches
Verlöbniss vorgeworfen.
Auf Anfrage des Kurfürsten, wie eine dem Kloster zu
Heiligen -Grabe angehörige, im Hoflager zu Cöln gefangen
gehaltene Klosterjungfrau von Adel zu strafen sei, weil sie
ausserhalb und auch zuwider ihrem Gelübde innerhalb des
Klosters mit Jochim Scheplitz1) zu Wittstock Unzucht ge-
trieben habe, sprachen die Brandenburger 1592 (36 220) auf
Staupschlag und Landesverweisung.
Im Streite des Pfarrers und der Gemeinde Straussberg
wegen Injurien, der 1605 (51 170) vor dem Konsistorium ver-
handelt wurde und dort zur Beweisaufnahme führte, über-
sandte der Kurfürst (mit Johann Köppens, des Vizekanzlers
und Konsistorialpräsidenten, Unterschrift) den Brandenburgern
die Akten, „ein rechtmässig Urtheil zu fallen, was wider den
einen oder den andern Theil der Strafe halber vorzunehmen44
Der Pfarrer hatte die Christnachtpredigt „für sich allein
abgeschafft, war auch sonst säumig gewesen und hatte auf
dem Markte einen Bürger öffentlich geschlagen, der Bürger-
meister dagegen hatte in der Kirche in der Christnacht
Geheul anf der Orgel verursacht und den Pfarrer auf der
Strasse „zum Schlage und Haarverlesen provozirt". Die
Brandenburger sprachen auf Geldbusse für beide Theile und
auf Vermahnung des Pfarrers.
Formell ist vermuthlich in solchen Fällen das Konsistorium
das erkennende Gericht, das der eingeholten Belehrung ge-
mäss das Urtheil fällt. Als darum ein Erbsess (1602: 49 384)
,) Vgl. oben Seite 336.
§ 26. Konsistorien. 395
in Brandenburg fragte, was mit seinem Pfarrer, der gefälscht
habe, geschehen könne, wurde er belehrt, dass er ihn
deshalb und wegen der Amtsentsetzung „vor dem Kon-
sistorium zu belangen wohl befugt seiu. Das sollte nicht etwa
eine Befragung des Schöppenstuhls durch das Konsistorium
ausschliessen. Die Ehefrau eines Archidiakonus in Prenzlau
(1647: 77600), wegen Beleidigung vor Bürgermeister und
Rath daselbst belangt und zur Publikation des in Branden-
burg geholten Urtheils vorgeladen, weigerte sich, Folge zu
leisten, weil sie vor das Konsistorium gehöre. Die Weigerung
wurde in Brandenburg für nicht gerechtfertigt erklärt, da
der beleidigte Kläger vom Rath in seine Ehren restituirt
werden könne.
Zuweilen soll nach einem Spruche der Brandenburger
das Konsistorium bei Vollziehung einer Strafe oder der Unter-
suchung mitwirken; denn 1603 (50 627) wird ein Amtsschreiber
auf seine Anfrage belehrt, dass berauschte Zechgesellen, die
den Gottesdienst gestört haben, „in willkürliche Strafe zu
nehmen seien und dann der Gemeinde auf vorgehende
Bewilligung des Konsistoriums in der Kirche öffent-
liche Abbitte zu thun hätten". Aehnlich ergeht 1608 in einer
Berliner Unzuchtsache der Brandenburger Spruch dahin, die
Entschuldigung der Geschwächten, dass der Schwängerer ihr
die Ehe versprochen habe, sei mit Vor wissen des Kon-
sistoriums zu untersuchen (ÜB. 2 430).
Ein Fall, in welchem der Schöppenstuhl dem Konsistorium
gegenüber als dessen vorgesetzte Instanz angerufen wird,
lässt sich bereits aus dem Jahre 1567 (11 250) beibringen.
Damals hatte eine Geschwängerte aus Wustrau (bei Neu-
Ruppin) das Konsistorium angegangen, die Sache „zu verhören
und zu vertragen11, dort gewannen aber — so bemerkt die
Klägerin in der Missive — „munera, wie der Poet spricht,
die Oberhand14; obwohl es heisse: ducat aut dotet, habe ihr
das Konsistorium nicht geholfen; sie habe dort abdanken
und an die Brandenburger Schoppen „appelliren müssen11;
diese bat sie, ihr behülflich zu sein. Die Brandenburger er-
kannten dahin, dass von ihr der Beweis des Eheversprechens
zu verlangen sei ; danach werde weiter ergehen, was Rechtens.
396 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preussen.
Solcher Art Fälle führten allmählich dahin, ein Rechts-
mittel von den Erkenntnissen des Konsistoriums an den
Schöppenstuhl zuzulassen. Das tritt besonders deutlich her-
vor in den Landestheilen, in denen das Konsistorium Theil
der Regierung war, wie in Küstrin. Hier bat z. B. 1746
97 358) ein wegen Ehebruchs auf Ehescheidung Beklagter
beim Konsistorium, die Untersuchung einem Fiskal aufzu-
tragen; gegen das ergehende Konsistorialdekret ergriff er „re-
medium supplicationis"; die „Regierung zu Küstrin" ersuchte
hierauf den Schöppenstuhl, „Namens des Königs zu erkennen".
Ein Beamter, der einen Prediger belangt hatte, weil er an-
züglich gepredigt und einen erbetenen Taufakt bis auf den
Abend verschoben habe, erhält 1746 (97 566) auf seine gegen
den klagabweisenden Bescheid der „Regierung zu Küstrin"
angebrachte „Imploration" einen Spruch des von der Regie-
rung um ein Erkenntniss angegangenen Schöppenstuhls, der
es bei der Klagabweisung belässt, weil bei einem Prediger
der animus injuriandi nicht zu vermuthen sei. Gegen ein vom
„geistlichen Konsistorium zu Berlin14 (unter Cocceji's Unter-
schrift) 1736 (88 428) erlassenes Urtheil, das gegen eine Ehe-
frau zweijährige separatio a thoro et mensa aussprach, legte
die beklagte Ehefrau beim Konsistorium Appellation ein; das
Konsistorium ersuchte den Schöppenstuhl um ein Erkenntniss,
und der Schöppenstuhl verurtheilte den Ehemann, die Frau
„nach christlicher Versöhnung und Versprechung, vernünftig
und gebührlich einander zu begegnen, zu sich zu nehmen".
Eine derartige Erledigung eingegangener Appellationen war
beim Berliner Konsistorium allmählich so üblich geworden,
dass man sich ähnlicher gedruckter Formulare bediente,
wie wir sie beim Kamipergerichte kennen lernten1); das For-
mular besagt (z. B. 1741: 92 235), dass „Königlich Preussische
zum geistlichen Konsistorium verordnete Präsidenten und
Räthe" die Akten übersenden, „sich eines Urtheils zu ver-
einigen".
Die Anfragen in Sachen geistlicher Gerichtsbarkeit blieben
auch nicht auf die Mark beschränkt: das Konsistorium zu
Ei sieben sandte 1744 (95 493) Akten nach Brandenburg,
*) Siehe oben S. 369.
§ 27. Landgerichte. 397
in denen der Dekan zu Leimbach seinen Substituten wegen
Beleidigung belangt hatte; die Brandenburger erklärten die
Remotion des Substituten nicht für angezeigt, sprachen viel-
mehr nur dreimonatige Suspension aus. Gegen einen Ab-
schied, mittels dessen das Magdeburger Konsistorium
eine Ehescheidungssache beendete, legte 1745 (96 345) der
Kläger in Brandenburg das Rechtsmittel der Läuterung ein;
die Brandenburger beliessen es bei dem Abschied. „Dechant
und Kapitularen der Archidiakonal- Stiftskirche ad sanctum
Patroclum binnen Soest" (in der Grafschaft Mark) baten
1746(97370) in einer Injuriensache gegen den Kanonikus
v. Horst um ein Erkenntniss; es wurde in Brandenburg Beweis
verlangt.
Nachdem in Berlin für Militärpersonen ein besonderes
Kriegskonsistorium (mit Mylius an der Spitze) geschaffen
war, wendete sich auch dies Konsistorium nach Branden-
burg, z. B. 1735 (88 108) in einer Schwängerungssache, 1737
(89 195) in einer Schwängerungs- und Verlöbnisssache, 1743
(94 257) in einer Ehescheidungssache. Da für das Kriegs-
konsistorium das im Jahre 1746 erlassene Verbot der Akten-
versendung nicht galt, so gehörte es, ebenso wie das General-
auditoriat und die Domänenkammern,1) zu denjenigen Preussi-
schen Behörden, die über das Jahr 1 746 hinaus dem Branden-
burger Schöppenstuhl Arbeitsstoff zuführten und dadurch zu
seiner Erhaltung beitrugen. Anfragen der „zum Kgl. Preussi-
schen Kriegskonsistorio verordneten Präses und Assessoresu
oder der „zum Kgl. Preuss. Kriegskonsistorio bestellten Ge-
heimer Kriegsrath und Gener alauditeur, Kriegsräthe und
Oberauditeurs, auch Assessores" liegen noch aus den Jahren
1776 (103 149), 1777 (103 302), 1781 (104 147. 229) vor.
§27.
Landgerichte.
Wenn bereits 1232 omnis de terra Teltow, de terra
Ghelin et de terra Barnem sein Recht zu Spandau und
Spandau das seinige zu Brandenburg holte,2) so folgt daraus,
*) Siehe oben S. 377. 381.
a) Siehe oben Seite 256.
398 5« Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-- Preussen.
dass gleich den Städten auch das platte Land an seine
Zentralstadt als den Oberhof gewiesen war: wie die Richter
und Schoppen der alten märkischen Stadtgerichte, so haben
sich auch Richter und Schoppen der alten Landg-erichte
des Rechten belehren lassen. Das geht vor Allem aus dem
Berliner Stadtbuch vom Ende des vierzehnten Jahrhunderts
hervor: „Zu Landrecht und zu Borgerrecht findet man zu
Brandenburg, das hier vormals war bei der Klinke bei Bran-
denburg." Spuren davon zeigen sich mannichfach in den
oben berührten Quellen aus dem vierzehnten und fünfzehnten
Jahrhundert. l)
Dass in Brandenburg ein „Landgericht" Recht geholt
hätte, namentlich etwa das Landgericht zur Klinke, davon
enthalten unsere Schöppenstuhlsakten keine Nachricht ; zu der
Zeit, mit welcher diese Akten beginnen, waren die alten
Landgerichte längst zerschlagen.2) Erst seit die fremden
Rechte zur Herrschaft gelangten, treten in der Mark wieder
„Landgerichte" auf; sie haben aber mit den alten Landge-
richten nur den Namen gemein: sie sind Bezirke, in denen
es Richter und Schoppen der alten Zeit nicht mehr giebt,
sondern nur einen gelehrten Richter ohne Schoppen, den als
Einzelrichter der Landesherr mit der Rechtsprechung beauf-
tragt hat. So wird durch die Gerichtsordnung von 15463) der
Bürgermeister zu Perleberg als Landrichter der Priegnitz
bestellt, mit einem Gerichtsschreiber auf dem Rathhaus zu
Perleberg Gericht zu halten. Dass es sich hier um einen
Richter ohne Schoppen handelte, war nicht immer dem
Brandenburger Schöppenstuhl gegenwärtig; denn als einmal
(1607: 47 514. ÜB. 2 404) der Landrichter zu Perleberg ge-
meinsam mit Richter und Schoppen daselbst (d. h. mit dem
Stadtgericht) zwei Prozesse in demselben Packete einschickt,
von denen der eine vor dem Landgerichte, der andere vor
dem Stadtgerichte verhandelt war, begeht der Schöppen-
*) Siehe oben §§ 15. 16.
*) Die Geschichte dieser Zerschlagung ist noch für kein Territorium
geschrieben. Ihre Erforschung bietet grosse Schwierigkeit wegen der
Lückenhaftigkeit der Quellen.
3) Stölzel. Rechts Verwaltung 1, 184.
§ 27- Landgerichte. 399
Schreiber das Versehen, auch in der landgerichtlichen Sache
die Formel zu gebrauchen, dass die Brandenburger Namens
der „verordneten Richter und Schoppen des Landgerichts"
erkennen; der Spruch ist auch, da das Versehen unbemerkt
blieb, mit dem Fehler abgegangen.1)
Dieser Landrichter der Priegnitz verschmäht aber, ob-
wohl er selbst rechtsgelehrt ist, keineswegs, sich in zweifel-
haften Fällen nach Brandenburg zu wenden.
In einem Streite des Gotteshauses zu Quitzöbel (bei
Havelberg) gegen einen Bewohner des benachbarten Dorfes
Lennewitz, betreffend die Herausgabe eines Ackers, erlassen
1552 (4587) auf seine Anfrage zunächst die Brandenburger
ein „Interlocutorium". Dies publizirt der Landrichter, beide
Theile bringen darauf „vermöge der Landgerichtsordnung"
den erforderten Beweis und disputiren darüber; dann sendet
der Landrichter die Akten nach Brandenburg „zu fernerer
Belehrung, was Recht ist und die Billigkeit vermag; das-
selbige werde Gott, dem Allmächtigen, und Kurfürstlichen
Gnaden gefallen". Ebenso sendet 1553 (5 10 1) und 1557
(6 217) „nach altem Brauche" der Landrichter in der Prieg-
nitz die vor „dem kurfürstlichen Landgericht" erwachsenen
Akten in Sachen zweier Neuruppiner Bürger gegen die
Bauerschaft des Dorfes Derbow ein. Der Spruch der Bran-
denburger verlangt den Beweis der angestellten Klage. Als in
einem Streit zweier Unterthanen derer zu Putlitz 1572 (12 615)
die Herren zu Putlitz sich einmischen, sieht sich der Land-
richter der Priegnitz, „weil sich die Herren ihrer Unterthanen
zum heftigsten annehmen," veranlasst, „wiewohl er der Sache
hätte abhelfen können," in Brandenburg zu fragen, ob Be-
klagter schriftlich oder mündlich zu antworten schuldig sei; das
bejahen die Brandenburger „bei Pen des Ungehorsams". In
einem Falle des Jahres 1579 (20 439) haben die Parteien vor
dem Landgericht der Priegnitz zum Urtheil beschlossen;
der Kläger stirbt aber vor Erlass des Urtheils ; sein Rechts-
nachfolger bittet um Verschickung der Akten. Der Land-
l) Richtig ist das 1626 (ÜB. 2 646) im Namen des LG. Perleberg er-
gangene Belehrungsurtheil dahin formulirt: . . . „spricht der verordnete
Landrichter zu P. nach eingeholtem Rath der Rechtsgelehrten.*
400 5' Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg -Preussen.
richter ladet die Parteien „zur Inrotulation der Akten4', durch-
liest im abgehaltenen Termine die Akten in ihrem Beisein,
legt sie zusammen und versieht sie mit dem Landgerichts-
siegel. Nachdem die Parteien in die Verschickung gewilligt,
auch der Landrichter selbst für seine Person zu sprechen
Bedenken hat, überschickt er die Akten nach Brandenburg.
Der Umstand, dass der Landrichter zugleich als Bürgermeister
von Perleberg vorkommt, weist auf eine nahe Verbindung
von Land- und Stadtgericht hin; der Landrichter mag zu-
gleich öfter Stadtrichter gewesen sein; so erklärt es sich,
wenn 1607 l) „verordnete Richter und Schoppen des
Stadtgerichts zu Perleberg „etliche Akten" nach Branden-
burg senden, „so einestheils vor uns im Stadtgericht, eines-
theils vorm Priegnitzschen Landrichter verhandelt sind**.
Eine ähnliche Verbindung des Landrichteramtes mit
einem anderen Amte ergiebt sich für einen zweiten märki-
schen Landrichter, den zu Tangermünde. Hier tritt der
„Hof- und Landrichter der Altmark*4 auf; sein Hof- und
Landgericht ist noch am Ende des sechzehnten Jahrhunderts
(1583: 24 282), wie vor Alters, „vor der Schlossbrücke ^) zu
Tangermünde". Hier führte 1558 (17 514) der Hof- und
Landrichter sein „Hofgerichtsbuch", 3) in das er auf der Par-
teien Bitten Vergleiche einträgt, hier verhandeln 1567 (11457)
die Parteien vor dem Hof- und Landrichter nebst dem
Kastner (dem Rentbeamten) als bestellten Kommissarien, die,
weü sie selbst zu sprechen sich bedenken, und weil die Par-
teien darum gebeten haben, die Akten, in denen zum Urtheil
beschlossen, nach Brandenburg verschicken. Beispiele von
Aktenversendungen nach Brandenburg durch den Hof- und
Landrichter allein ergeben Fälle von 1574 (15 197), 1583 (24
282), 11585 (26448), 1586 (27 112).
*) Siehe oben Seite 398.
*) Hier sei die Gelegenheit benutzt, einen Irrthum in Stölzels Rechtsv.
x, 71 zu berichtigen: die Schlossbrücke überbrückt nicht die Elbe, sondern
nur einen Schlossgraben unweit der Elbe.
8) Dem bekannten Tangerraünder Landbuch Karls IV. von 1375
(Stölzel, Rverw. i, 147) ist 1427 ein zweites Landbuch gefolgt, von welchem
1586 (27 138) abschriftlich ein kurzer Auszug, betr. das hoheste und sideste
Gericht über das Dorf Schwarzholz, mitgetheilt wird (ÜB. 1 97, Anm. 1).
§ 27. Landgerichte. 401
Einmal findet sich (1591 : 34 196) ein „Landgericht der
von Bartensieben zu Wolfsburg" (Kreis Gardelegen) erwähnt.
Die von Bartensieben sind mit dem Dorf Steimbke nebst Ge-
richten „höhest und niedrigst" innerhalb und ausserhalb des
Dorfes vom Kurfürsten beliehen. Im Dorfe wohnen Leute,
die andern von Adel mit Diensten und Pachten verwandt
sind. Es entsteht deshalb die Frage, welcher Gerichtsbar-
keit solche Leute unterstehen. Die von Bartenslfeben fragen
in Brandenburg um Belehrung an, indem sie behaupten, die
Leute seien „vor dem Landgericht zu erscheinen dingpflichtig"
und zu demselben zu kontribuiren verpflichtet, weil sie die
dem Landgericht unterstehenden Strassen und Feldmark ge-
brauchen. Diesen Anspruch erklären die Brandenburger für
«
begründet, „wenn nicht seit rechts verjährter Zeit es anders
gehalten ist". Um welche Art Landgericht es sich hier
handelt, war nicht zu ermitteln.
Aus später erworbenen Landestheilen finden sich „Land-
gerichte" erwähnt zu Aerzen, einem Flecken bei Hameln,
1576 (ÜB. 1667),1) zu Tecklenburg (1745: 96674) und zu
Lünen, einer Stadt bei Dortmund (1746: 97672). Eine „in
den Tecklenburgischen Landgerichten" verhandelte Civil-
sache sendet im genannten Jahre „der Reg.Rath des Fürsten-
thums Minden und Grafschaft Ravensburg" nach Branden-
burg,2) nachdem vorher die Mindener und Hallenser ge-
sprochen. Die beim Landgericht Lünen anhängige Sache
hat die Regierung zu Cleve avozirt und dann zum Spruche
nach Brandenburg gelangen lassen.
Im Pommerschen und Magdeburgschen (ebenso im Sächsi-
schen)3) haben sich die alten Landgerichte länger als im
l) Die Anfrage nach Br. stellt hier der Syndikus von Hameln und
„der Richter des Landg. zu Ertzen"; von Schoppen ist keine Rede. Das
Verhältniss wird dasselbe sein wie in Perleberg (oben Seite 398).
a) In demselben Jahre sprechen die Brandenburger (97 398) im Namen
von „Friedrich Freiherr v. d. Horst, Probst zu Levern, Geh. O.Finanzrath,
commissaire en chef der beiden kombinirten Grafschaften Lingen und
Tecklenburg, wie auch Richter und Hochgräf (sie!) der Stadt und Graf-
schaft Lingen". Der Hochgräf ist hier wohl nur der verbalhornisirte Go-
graf (Gaugraf).
8) Die bis 1562 reichenden ältesten Konzeptbücher des Leipziger
S t ö 1 1 e I , Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 26
402 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg--PreusseiL
Brandenburgischen erhalten; denn „Richter und Land-
scheppen des Landgerichts zum alten Stargard" (in
Pommern) fragen 1558 (7 19) in einer Strafsache bei den
Brandenburgern an und bemerken unter der Anfrage, sie
sei „gegeben in unserer Schepenbank zu alten Stargard";
„Landrichter und Schoppen zu Barby" (im Magde-
burgischen), denen als den „oberen Gerichtsverwaltem"
der „Rath t\x Barby" ein auf seine Anfrage in Brandenburg
gesprochenes Folterurtheil zusendet, erbitten 1587 (27 194)
auf die Urgicht des Gefolterten einen ferneren Spruch in
Brandenburg, und von „Landschöppen zu Burg" (bei Magde-
burg), sowie einem „Burgischen Landgericht" ist 1572 (13 26)
die Rede.
§ 28.
Hauptleute.
Der Zerfall der Landgerichte hatte eine Menge Sachen
den geistlichen Gerichten zugeführt; das wurde noth-
gedrungen von der weltlichen Gewalt geduldet. Die
Lücke, die sich zufolge der Reformation mit dem Ver-
schwinden der geistlichen Gerichte fühlbar machte, erzeugte
den Wunsch nach einem Ersatz. Ihn zu bieten, war der als
landesherrlicher Vertreter in den einzelnen Landen eingesetzte
Hauptmann bestimmt, ein Ritter, dem mit seiner gewapp-
neten Macht der Schutz des ihm zugewiesenen Landes und
damit auch der Austrag der im Lande entstehenden Streitig-
keiten anvertraut war, soweit sie nicht vor ordentlichen
Gerichten verhandelt wurden.1) Weil „die Landgerichte
nicht ordentlich gehalten, die geistlichen Gerichte in Abgang
gekommen, dem Hauptmann aber unmöglich, alle und jede,
sonderlich geringe Schuldsachen vorzunehmen und gericht-
lich erörtern zu lassen", war 1546 in Perleberg das neue
Landgericht gebildet.2) Daraus folgt, dass vor der Ein-
Schöppenstuhls enthalten zahlreiche, auf Ersuchen von „Richter und
Schoppen" sächsischer „Landgerichte" ergangene Sprüche. Vgl. Friese und
Liesegang, Magdeburger Schöffenspr. 1 S. 323 (Landgericht zu Hoym).
l) Der Name „Capitän" für Hauptmann findet sich schon 1566 (10
469): „Hans von Minde, Capiten der Altmark".
f) Vergl. oben S. 398.
$ 28. Hauptleute. 403
Setzung des neuen Landrichters der Hauptmann diejenige
Persönlichkeit war, der die nunmehr landrichterlichen Ge-
schäfte neben ihren sonstigen Geschäften obgelegen hatten.
Der Hauptmann bedurfte, um Rechtshändel zu erledigen,
jedenfalls noch mehr der Rechtsbelehrung als Richter und
Schoppen ; die Erledigung der Rechtshändel vor ihm war im
Wesentlichen die vergleichsweise, nicht die urtheilsweise Er-
ledigung; er war überhaupt kein Mann der Feder; erst gegen
Ende des sechzehnten Jahrhunderts (z. B. 1589: 31 467. 477)
taucht seine eigenhändige Namensunterschrift auf. Zeigten sich
prozessualische Akte in dem vor ihm spielenden Verfahren
unerlässlich, so half er sich, so gut es anging ; das beliebteste
Aushilfsmittel lag in der Aktenversendung; der „Hauptmann"
wendet sich darum besonders häufig an den Schöppenstuhl.
Dem Hauptmann im Lande Ruppin Matthias v. Oppen
war im Jahre 1531 (1 283) als Vorsitzenden des dortigen
Quartalgerichts1) die Einholung der Rechtsbelehrung in
Brandenburg noch etwas Neues; er erkundigte sich damals
nach den Gebuhren und nach der zahlpflichtigen Partei; „es
werde sich schier mehr begeben", dass er um Rechtsbe-
lehrung nachsuche. Dies that er denn auch; als ihn 1533
(1 605) eine Partei angeht, den Miterben, der den ganzen
Nachlass in Besitz genommen habe, zur Inventarerrichtung
und Rechenschaftsablage anzuhalten, erwirkt er in Branden-
burg einen Spruch, der eine Beweisaufnahme vor ihm er-
fordert; diese wird damit erledigt, dass der Hauptmann einen
Pfarrer und eine ihrem Berufe nach nicht näher bezeichnete
zweite Persönlichkeit (wahrscheinlich einen Notar) zu Kom-
missarien bestellt, vor welchen die Zeugenvernehmung nebst
der Einreichung von Fragstücken und Deduktionsschriften
stattfindet. Dann gehen auf Antrag eines Betheiligten die
Akten wieder nach Brandenburg.
Da die Verhandlung vor dem Hauptmann keine gericht-
liche Verhandlung ist, so entbehrt sie naturgemäss der
bei Gericht nöthigen Formea Welche Schwierigkeiten
daraus für den Schöppenstuhl entstehen, und wie dieser
sich über die Schwierigkeiten hinweghilft, ergiebt ein im
*) Siehe oben S. 378.
26*
404 5* Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburjr-Preussea-
Jahre 1537 (2 280 ff.) vor denselben Hauptmann gebrachter
Streit.
Die Kalandsherren zu Lindow (Stadt bei Neurupplrt
nehmen vor dem Hauptmann einen Bürger zu Lindow a>
Bürgen in Anspruch, lieber die Verhandlung wird mch:>
Schriftliches niedergelegt, es fehlt also Klage und Antwort:
nur ein Zeugenverhörsprotokoll und ein SchriftenwechseJ
darüber liegen vor. Die Zeugen sind verhört durch ein«
Neuruppiner Schoppen und durch des Hauptmanns Schreiber.
der zugleich das Protokoll geführt hat. In den dem Haupt-
mann eingereichten Fragstücken stellt der offensichtlich
juristisch gebildete Verfasser eine Reihe von Rechtsfrage-»
(ob der Beklagte sich selbstschuldig verbürgt habe, ob der
Bürge hafte, so lange der Prinzipal gegenwärtig und sa-
vendo sei). Darüber die Zeugen zu fragen, unterbleibt, „weil
solches zu Recht müsste ausgetragen werden und arme ein-
fältige Leute keine Juristen seien*'. Die Brandenburger,
denen der Hauptmann die Schriftstücke einsendet (er nenn:
sie „Gerichtshändel14), antworten, „rechtlich nicht erkennen ra
können, weil keine Klage noch litiscontestatio vorläge", sie er-
klären jedoch, „damit die Parteien einen gütlichen Bericht der
Sache dem Rechte gemäss erlangen" (d. h. einen nicht als
Urtheil zu betrachtenden, aber doch der rechtlichen Lage
der Sache entsprechenden Vergleichsvorschlag), „zu Unter-
richt der Sachen1', es würde ihres Erachtens der Beklagte
von der Klage zu entbinden sein, da die Kläger für beweis-
fallig und in poenam temere litigantium verfallen erkannt
werden müssten.
Des Hauptmanns Amtsgewalt erstreckt sich nicht bloss
auf die Landbewohner seiner Hauptmannschaft, sondern auch
auf die Stadtbewohner. Er ist auch den Städten überge-
ordnet. Ein Streit zwischen Bürgern Gransees wird 1535 (3
171. 308) vergleichsweise geschlichtet im Beisein des Ritters >
Barfuss und dreier Abgeordneten des Raths zu Gransee, dar-
unter des Bürgermeisters. Den Streittheilen, einer Witwe
und ihren Kindern, setzt der Hauptmann Vormünder, legt
y) „ehrenfester" Paul Barfuss.
§ 28. Hauptleute. 405
auch den Streitenden die Befolgung des Rezesses „bei Vermei-
dung des Hauptmanns Amtsstrafe" auf.
Der Hauptmann auf Ziesar (Stadt des Kreises Jerichow,
Sitz des Bischofs von Brandenburg) übersendet 1554 (5 248)
die ihm eingereichten Schriften eines Erbstreites zwischen
einer Ziesarer Bürgerfamilie, nachdem die Beklagten in ihrer
letzten Schrift um Abgabe d^r Akten an unverdächtige Orte
gebeten haben. Dabei sucht der Hauptmann nach, ihm zu
überschicken, „was darinnen Recht den Parten zu publiziren".
Als 1596 (41 288) der Rath der Altstadt Salzwedel den
Sohn des Bürgermeisters der Neustadt wegen einer Gewalt-
that hat gefänglich einsetzen lassen, „gesinnt" der Hauptmann
„bei 1000 Thlr. unnachlässiger Strafe anstatt des Kurfürsten
von Amtswegen ganz ernstlich14, den Gefangenen der Haft
zu entledigen, auch der weiteren Verhandlung der Sache sich
zu enthalten ; er könne mit Wahrheit melden, dass er mit den
Altstädtern wegen ihrer störrigen Köpfe mehr zu thun habe,
als mit anderen Leuten; der Boden am Fass sei bald los.
So wird es auch erklärlich, dass der Stadtrichter (z. B.
1556: 5 478 in Ruppin) den abwesenden Hauptmann vertritt
und statt seiner in Brandenburg Belehrung erbittet, selbst
wenn es sich um Dorfbewohner handelt.
In einer Injuriensache zweier Bauern zu Manker (bei
Ruppin) giebt 1565 (9 387) auf Ersuchen des einen Bauern der
Hauptmann der Priegnitz Kurt Rhor dem Richter des kurf.
Stadtgerichts zu Ruppin Thomas Vilitz „amtshalber" auf,
dass er neben etlichen ihm zugeordneten Schoppen un$l neben
dem Landreiter des Landes Ruppin der Parteien Klage,
Antwort und ferneres mündliches Vorbringen verzeichnen und
nach Brandenburg verschicken solle. Es wird demgemäss
ein Protokoll unter Zuziehung beider Theile Beistand und
Freundschaft aufgenommen. „Richter, Schoppen des kurf.
Stadtgerichts zu Neuruppin und Landreiter" senden das Pro-
tokoll nach Brandenburg. Das gesprochene Urtheil wird
dann in Ruppin publizirt, und darauf bitten auf Befehl des
Hauptmanns „Richter und Schoppen des kurf. Stadtgerichts
zu Ruppin" nochmals um Belehrung in Brandenburg.
Es ist aber keineswegs ausgeschlossen, vor dem Haupt-
406 5* Buch. Erster Abschnitt. Koosuleoten aus Branden burg-Preusse*.
mann Klagen anzubringen. Immerhin sind das keine gericht-
lichen Klagen. Der Hauptmann entscheidet nicht voo
Gerichtswegen, sondern von Amts wegen, d.h. anstatt des
Landesherrn kraft des ihm übertragenen Verwaltungsamtes.
Darum ist er auch nicht an die für das Gericht geltendes
strengen Prozessgrundsatze gebunden. Statt einer mangel-
haften Klage eine neue Klage anzubringen, kann das Gericht
nicht erlauben; den Hauptmann kann man aber, weil eine
frühere Klage durch Säumniss des Advokaten verfehlt ge-
wesen, mit Erfolg bitten, „ amtshalben " eine neue Klage
zu gestatten (1536: 2 205). Die Prozessschriften werden inner-
halb der bei Gericht üblichen Fristen dem „Schreiber" des
Hauptmanns übergeben; ist dieser zufallig abwesend, so wirc
auch nach Fristablauf die Schrift angenommen. Will der
Gegner eine verspätet dem Schreiber eingereichte Schrift
nicht ohne Ersatz der erwachsenen Terminskosten zulassen,
so bleibt bei Abwesenheit des Hauptmanns dessen Bescheid
nach der Heimkehr abzuwarten.
Als 1605 (53 488) die Mutter einer Geschwängerten beim
Hauptmann zu Fürsten walde (Stadt bei Frankfurt a. O.) ihre
Klage gegen den Schwängerer einbringt, befiehlt der Haupt-
mann dem Amtsschreiber, dem Richter und dem Bürgermeister,
die Betheiligten zu verhören, die Sache in Artikel zu bringen
und einzuschicken; nachdem dies geschehen, giebt der Haupt-
mann die Akten weiter nach Brandenburg zur Belehrung.
Es kommt auch vor, dass Bürgermeister und Rath beim
Hauptmann um Belehrung anfragen, so 1622 (70 653) in
Tangermünde betreffs der Frage, ob Bürgermeister und
Rath auf eine gegen ihren Abschied eingelegte Appellation
Aposteln ertheilen sollen, so 1647 (77 449) m Gardelegen be-
treffs der Frage, ob in einem Erbstreit der Beklagte ein
Inventar zu legen habe.1)
Naturgemäss ist der Hauptmann derjenige, an den sich
der Landesherr mit seinen Aufträgen in Rechtsangelegen-
heiten wendet.
Eine dem Kurfürsten eingereichte Beschwerde darüber,
') Bürgermeister und Rath thun einen „mit dem Konsilium des
Hauptmanns4' übereinstimmenden Rechtsspruch.
§ 28. Hauptleute. 407
dass ein Verlobter wortbrüchig geworden, giebt 1538 (2 740)
Anlass, den Hauptmann zu Spandau zu kommittiren, er solle
den Handel schlichten; der Hauptmann nimmt den Verlobten,
da dieser den gütlichen Handel abschlägt, „in Strafzüchtigung
und Gehorsam11. Dem Hauptmann zu Zehdenick befiehlt
1558 (7 81) der Kurfürst, einen Kindesmordsfall nach Branden-
burg zum Spruch zu senden. Solche Aufträge wünscht aber
1541 *) die Ritterschaft der Altmark nicht an den dem Haupt-
mann untergeordneten Kastner (in Tangermünde) ertheilt zu
sehen, und der Kurfürst sagt das — vorbehaltlich eiliger
Frevelsachen — auf Beschwerde der Ritterschaft zu. Bei
Vakanzen aber, wie sie beim Tode des Hauptmanns eintreten,
ist (1605: 51 161) der Kastner, der „seit 24 Jahren Korn-
schreiber" gewesen, der „Amtsverwalter44, also der Vertreter
des Hauptmanns. Ja, in solchen Fällen wird sogar zugelassen,
dass im Interesse der Kinder des Hauptmanns die Geschäfte
von seiner Witwe geführt werden. Katharina Ribbeck, die
Witwe des Hauptmanns auf Angermünde Christof Flans,
die „das Amt wegen ihrer Kinder noch in Verwaltung
hat41, lässt 1573 (13 500) die Klage des im Dorfe Welsow
wohnenden Vaters eines todtgeschlagenen Kindes an den
Kurfürsten „oder dessen Räthe" gelangen und erhält den
Befehl, „sich selbst nach Welsow zu verfügen, um im Dorf zu
erkunden, wie es sich zugetragen, auch, was die Leute aus-
sagen, auf Papier zu bringen11, es nach Brandenburg zu
schicken und um Belehrung zu bitten. Das thut sie; dem
Schreiben liegt die „in Beisein zweier Scheppen abgegebene
Aussage der Gezeugen44 bei (eine gedrängte Darstellung
dessen, was durch fünf Zeugen festgestellt ist).
Einen besonderen Anlass, Hauptmannsstellen zu kreiren,
bildete die Säkularisation. So ist z. B. 1554 (5 273. 361) der
Hauptmann zu Jerichow „Befehlshaber des Klosters Jerichow41;
1561 (8 289) wird ein Hauptmann des Klosters Lindow, 1566
(10 134) ein solcher des Klosters zum Heiligen-Grabe genannt.
Ebenso treten in Ziesar und in Lebus, den frühern Bischofs-
sitzen, in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts
l) Rep. 20 C. 1470 — 1543 StA.
408 5' Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg- PreusseiL
kurfürstliche Hauptleute auf. Das Stift Quedlinburg- hat (1727:
84421; 1730: 8614; 1733: 87204) einen Berliner geheimen
Rath zum Stiftshauptmann, in dessen Namen die Branden-
burger sprechen;1) 1743 und ebenso 1746 (94 740. 746) be-
steht zu Quedlinburg sogar eine Königlich Preussische Stifts-
hauptmannei(l); der Stiftshauptmann bildet (1733: 87 2041
für Beamte ein privilegirtes Forum an Stelle des Stadtgerichts
Quedlinburg.
In Schievelbein (früher Stadt der Neumark) versieht in der
zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts der Landvogt
und Komthur die Geschäfte des Hauptmanns: vor ihm und
Richter und Schoppen der Stadt spielt sich (1552: 4 527) ein
Rechtshandel ab, vor ihm wechseln (1556: 5 487) Parteien
ihre Schriftsätze in einer Injuriensache, die der Landvogt vor
das Untergericht mit der Auflage weist, in Brandenburg Be-
lehrung zu holen; vor ihm „disputiren" und führen Parteien
Beweis, über den zu erkennen der Landvogt (1576: 16 6191
die Brandenburger oder (1578: 55 55) die Räthe zu Küstrin
ersucht.
„Namens des Hauptmanns14 sendet 1697 (79 728) der
„Justiciarius im Amte Derneburg" (bei Halberstadt) Akten
nach Brandenburg ein; hier taucht zum ersten Male der
Titel Justiciarius auf.
§29.
Aemter.
Vom Hauptmann und vom Landvogt führen die eben
mitgetheilten Nachrichten hinüber zum Amtmann, wie sie
von der Hauptmannschaft zum Amte und zu denjenigen nie-
deren Beamten hinüberführen, die in Vertretung des Haupt-
mannes oder Amtmannes Akte der Rechtspflege vorzunehmen
berufen sind. Vielfach untersteht dem Hauptmann ein grösserer
Bezirk als dem Amtmanne; die Hauptmannschaft umfasst
mehrere Aemter, doch kommt es auch vor, dass die näm-
!) ,,In Sachen: . . . erkennt der Hauptmann . . . nach vorgehabtem
Rath der Rechtsverständigen, dass . . . der Beweis geführt sei.
Dass dies Urtheil den Akten und Rechten gemäss, bezeugen Senior
und Assessores beim Schoppenstuhl in Brandenburg" (1715: 81 19).
§ 29- Aemter. 409
liehe Person bald als Hauptmann, bald als Amtmann be-
zeichnet wird, so z. B. in zwei Magdeburger Sprüchen des
Jahres 1502. l) Die Gehülfen und Vertreter des Hauptmanns
heissen „Amtsverwalter412) oder „Gerichtsverwalter", sie ge-
hören meist dem Schreiberstande an und werden dann „Amts-
schreiber41 genannt; die Bezeichnungen Kornschreiber, Kastner,
Schosser weisen mehr auf die Thätigkeit eines Rechnungs-
und Kassenbeamten hin, indem sie diese Thätigkeit als die
Hauptthätigkeit eines solchen Amtsverwalters betont. Alle
diese Beamten füllen, wenn sie in Rechtssachen auftreten,
die Lücke aus, die durch die Auflösung der Landgerichte
entstanden ist ; sie sind in der Mark Brandenburg und deren
Umgegend, wie anderwärts,3) „die Beamten,44 welche „von
Amtswegen44 kraft der ihnen landesherrlich überwiesenen
Machtbefugnisse da eingreifen, wo das Vorgehen von Richter
und Schoppen, das Handeln im ordentlichen Prozessverfahren
erschwert oder unmöglich gemacht ist.
„Der Amtsschreiber auf dem Schloss zu Spandau44, der
einen Dieb gefangen gesetzt hat, bittet 1529 (1 100) in Bran-
denburg um eine „Belehrung Brandenburgischen Rechtes44.
Der „Amtsschreiber44 zu Lehnin verhört einen Dieb unter
Zuziehung eines Notars 1557 (6 378) im Auftrage des „Amt-
mannes44. Der Hausvogt mit dem Kastner zu Zechlin und
dem Amtsschreiber zu Wittstock halten 1562 (9 213) ein pein-
liches Verhör zu Wittstock ab. Von da versenden 1562 (9 292)
ein fürstlicher Rath, der Hausvogt und der Kastner das,
was „vor ihnen zu Recht verfasst ist44 (d. h. die Parteiver-
handlungen), nach Brandenburg, nachdem die Parteien zum
Urtheil beschlossen haben. Amtsschreiber, Bürgermeister
und Rath der Stadt Zehdenick fragen 1562 (9 239) unter
Vorlage eines in der Güte abgegebenen Bekenntnisses um
Rechtsbelehrung an. Der „Kastner44 zu Tangermünde be-
scheinigt 1591 (43 86) einer Partei „aus dem Amte44, dass
für sie eine Einweisung in die Güter des Schuldners erfolgt
sei. Derselbe Kastner lässt 1565 (10 35) auf Urtheil der
1) Friese und Liesegang, Magdb. Schöffensprüche Bd. 1 S. 101, 10a.
2) Z. B. Hans Neumann 1602 (4g 150) „Amts Verwalter zu Plauen".
3) Stölzel, Gel. Richterthum r, 142 ff.
410 5« Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Branden burg-Preussen.
Brandenburger einen wegen Diebstahls Verhafteten mit
massiger peinlicher Frage verhören; ein ebensolches Verhör
findet 1566 (10 326) statt in Beisein des Hausvogts Caspar
Beilin auf Zechlin, seines Amtsschreibers daselbst und des
Amtsschreibers zu Lindow;1) der letztere Amtsschreiber ist
1545 in Frankfurt immatrikulirt, er lässt dort 1577, nachdem
er „praefectus coenobii" (Klostervogt) in Lindow geworden,
seine drei minderjährigen Söhne einschreiben: Akademische
Bildung war aber damals für Amtsschreiber nichts Regel-
mässiges; der 161 2 gestorbene Amtsschreiber zu Rüdersdorf
hat das Schreiben in einer Kanzlei gelernt.2) Der Amts-
schreiber von Ziesar, Georg Reichenow, ist 1602 als puer in
Frankfurt immatrikulirt; während man ihm 1632 (74 239) von
Brandenburg aus die Titulatur „Amtsschreiber4 giebt, unter-
zeichnet er seine Anfrage als „Amtmann". Der „Schosser**
zu Dahme, einer Stadt des Landgerichtsbezirkes Potsdam,
greift 1585 (25 250) zwei Gefangene mit der Tortur an.
Wie sich in der Vorstellung eines solchen Beamten
gegenüber dem Stadtbewohner, der seine Freiheit von jedem
andern* Gerichtszwange als dem der Stadt hochhält, die Auf-
fassung von seiner obrigkeitlichen, auch die Städter mit-
ergreifenden Macht gestaltet, lehrt ein Fall des Jahres 1602
(49 414) aus Wittstock, einer Stadt des Landgerichtsbezirks
Neuruppin. Als sich der damalige auf Schloss Wittstock
sesshafte Amtsschreiber dort in seinem Zimmer einen Witt-
stocker Bürger durch den Amtsdiener vorführen und mit
ihm in Gegenwart zweier Wittstocker durch einen Notar ein
Verhör vornehmen lässt, fragt die Partei, in welcher Eigen-
schaft der Amtsschreiber handle, ob als Advokat oder Rich-
ter, und bestreitet auf die Antwort „als Richter" des Amts-
schreibers Zuständigkeit; sie unterstehe dem Rathe. Der Amts-
schreiber erklärt, obwohl vom Kurfürsten die Gerichte dem
Rath untergeben seien, so hätte doch der Kurfürst die hohe
Obrigkeit für sich behalten und er (der Amtsschreiber) sitze
im Amt an des Kurfürsten Statt. Die Partei wendet ein, es
]) Vgl. auch 12 612 (1572).
*) Leichenpredigt des Matthias Schultze in der Bibl. des Berl. Grauen
Klosters vol. 50.
$ 2<>. Aerater. 41 1
«
sei früher in wichtigen Sachen so gehalten, dass der Rath die
Amtsverwalter zu sich gezogen habe, die auch unweigerlich
gekommen seien. Darauf erwidert der Amtsschreiber, dass
er entweder zum Rath gekommen oder dieser zu ihm; die
vorliegende Klage sei ihm aber principaliter angebracht.
Hier haben wir das Bestreben eines Städters vor uns,
den Amtsschreiber als Gerichtsinstanz abzuschütteln; es wird
zwar zugegeben, dass der Rath sich in Nothfallen den Amts-
schreiber zur Hülfe herangezogen habe, nicht aber, dass der
Amtsschreiber selbständig vorgehen könne. Die Partei ent-
fernt sich deshalb, ohne den Entscheid des Amtsschreibers
abzuwarten, sie will nur zulassen, dass der Amtsschreiber mit
dem Rathe im Rathhaus Gericht halte; in seiner Wohnung
ohne den Rath dürfe er es nicht.
Dem entspricht es, wenn 1608 (56 391. 414) Amts-
schreiber, Bürgermeister und Rathmannen zu Fürstenwalde
sagen, dem Amtsschreiber seien „die Amtsgerichte anbe-
fohlen,u und deshalb stehe ihm frei, wenn die Parteien „sich
in der Güte nicht weisen lassen wollen," in Brandenburg
Belehrung zu erbitten. Aber doch werden — wenigstens
im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts — zu wichtigen
Akten noch Richter und Schoppen zugezogen. In einem
Streit über den bei einem Grundstückskauf gemachten Vor-
behalt nimmt zu Zehdenick (Städtchen zwischen Neuruppin
und Prenzlau) 1608 (56 347) der Amtsschreiber ein Zeugen-
verhör vor Richter und Schoppen zu Protokoll, und einer
Geschwächten, der nach alter Sitte durch Gerichtsbeschluss
befohlen wird, die Haube aufzusetzen, l) lässt 1606 (53 297)
der Amtsschreiber zu Rüdersdorf „durch Richter und Schop-
pen zu Werder" die Haube geben, was laut der Aussage
der „Gehaubten" so geschieht, dass ihr im Hause ihrer
Schwester „eine von den Scheppenfrauen, der viel Frauen
l) „ Unter die Haube" kommen nicht bloss die ausserehelich Ge-
schwächten, sondern auch die Ehefrauen ; daher noch der heute gebräuch-
liche Ausdruck und die Sitte, bei Hochzeiten den Kranz mit der Haube
zu vertauschen. — Eine der Gerichte verwiesene Hure kehrt 1562 (9 281)
nach Krussow bei Wittstock zurück und „setzt sich selbst den Tuch und
Mütze auf.
412 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preussen.
dabei gewesen, die Haube aufsetzt". Also sogar die Schöppen-
frauen sind noch thätig, um bei amtlichen Funktionen mit-
zuwirken.
Mit dem Anfang des siebzehnten Jahrhunderts kann die
Herausbildung des „Amtes" als einer neben dem „Gerichte44
oder statt desselben in Rechtshändeln thätigen Behörde für
vollzogen gelten. „Actum im kurfürstlichen Ambt Alten
Ruppin", so beginnt 1614 (63 823) ein Protokoll in einer
Untersuchungssache. „Vor das Amt zu Ziesar" kommen 1615
(64 549) nach Bericht des dortigen Amtsschreibers die Par-
teien, um „zu klagen". Wo sonst auf „Gerichts"- Verweisung
(d. h. auf Verbannung aus dem* Bezirk des Urtheil fallenden
Gerichtes) erkannt wird, tritt (1576: 17 137) die Verweisung
aus dem „Amte"1) oder (1615: 64484) die „Verweisung der
Amtsgerichte", d. h. die Verbannung aus den innerhalb des
Amtsbezirks gelegenen Gerichten. In Städten erbitten Amt
und Stadtgericht, d. h. die landesherrlichen und die städti-
schen Beamten gemeinsam, Rechtsbelehrung zum Zeichen«
dass Bürgermeister und Gericht dem landesherrlichen Amte
unterstellt sind.2)
Mit dem Ende des dreissig jährigen Krieges ist ein Ritt-
meister „Kurfürstlich Brandenburgischer arrendator" (d. h.
Pächter) der Aemter Ruppin und Lindow; er fuhrt 1652 (78
492) ein Siegel, das, soweit es leserlich, die Umschrift trägt:
„1648 Ruppin Ambt . . ." Der in Brandenburg erbetene
Spruch ergeht an „den arrendatorem der Ampter Ruppin
und Lindow" (78 495. 498).
Mit der Zeit entstehen auch nichdandesherrliche Aemter,
die sich der Ausübung der Gerichtsbarkeit unterziehen. So
spricht 1736 (88451), 1739 (90 148), 1743 (94696) der Ver-
walter der Bismarckschen Gerichte zu Schönhausen von den
Gerichten des „Bismarckischen Amts Schönhausen" ; der Grund
mag darin liegen, dass Schönhausen, ehe es ein Bismarcki-
sches Amt wurde, ein landesherrliches Amt war. Vielleicht
verhält es sich ebenso, wenn 1737 (89 206) ein Brandenburger
l) Urfehdeeid, „das Amt Potsdam meiden zu wollen". ÜB. 1617.
*) So fragt 162c) (73 444) „das Kurf. Amt, wie auch Burgermeister
und Gericht zu Potsdam" in Brandenburg an.
§ 3<>- Dorfgerichte. 4] 3
Spruch auf Instanz des „hochadligen Amtes zu Polleben" (bei
Merseburg) in einem Besitzstreit, 1738 (89 730) auf Instanz
des „freiherrlich Schenckschen Amtes Leimbach" (bei Ilfeld)
in einer Leuterungssache ergeht.
Die Bezeichnung Amtsgericht und Amtsrichter
taucht für Amt und Amtmann schon im siebzehnten Jahr-
hundert auf; so findet sich z. B. 16 15 eine letzwillige Verord-
nung vor Notar, „Amtsrichter" und Schoppen (ÜB. 2 546),
I665 (79 3*4) e>ne Anfrage des „Amtsrichters*1 in Grieben
bei Gardelegen, 1738 (89 786) eine Anfrage des „Amtsge-
richts" Wittstock.
§30.
Dorfgerichte.
Der Zerfall der alten Landgerichte erzeugte unter den
Landbewohnern das natürliche Streben, sich Dorfgerichte zu
schaffen. Allmählich konnte man darüber nicht im Unklaren
bleiben, dass Richter und Schoppen des Dorfes ausser Stande
seien, der Aufgabe gerecht zu werden, die früher der Land-
richter mit seinen Landschöppen zu erfüllen gehabt hatte.
Zunächst erwuchs den Dorfgerichten die Schwierigkeit, wie
zu verfahren sei, wenn es sich um Angelegenheiten handelte,
für deren Beurkundung das Gerichtsbuch diente; denn die
Dorfgerichte hatten selten die zur Führung von Gerichts-
büchern erforderlichen Schreibkräfte zur Verfügung. Gleich-
wohl müssen sie sich vereinzelt gefunden haben.
Das Dorf Fischbeck (bei Tangermünde) hat z. B. 1502,
ja schon früher, sein Schöppenbuch ; im Jahre 1502 (ÜB. 1
44) wird eine Abfindung unter Geschwistern darin einge-
tragen; nach einer vorhergehenden datumlosen Eintragung
„ist Richter und Schoppen wisslich", dass eine Witwe jedem
ihrer fünf Söhne an Vatergut 9 Mark und 2 Viertel Bier
gelobt hat. Zur Zeit des letztern Gelöbnisses scheint also
ein Gerichtsbuch noch nicht existirt zu haben; denn Richter
und Schoppen legen auf Grund ihrer Erinnerung einen Ver-
trag im Schöppenbuch nieder.
In Jenckendorf, einem Dorf der Hauptmannschaft Fürsten-
walde, wird 1572 (17 406) bei einem Brande im Schulzenge-
richt „die Schöppenlade, darin das Schöppenbuch neben et-
414 5* Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preussea.
lichem unmündigen Kindern gehörigem Gelde gewesen, heraus
ins Dorf geworfen"; sie findet sich eröffnet wieder. Der
Küster bringt acht Tage darauf das Schöppenbuch zurück
und erklärt, er habe es gefunden. Nach vier Jahren fordern
die Kinder vom Schulzen und Gericht das Geld; der Schulz
wendet sich an den Hauptmann. Auf dessen Verhör kommt
ein Vergleich zu Stande, nach welchem den Kindern 8 Schock
binnen vier Jahren zu zahlen sind.
Auch der Name „Bauerbuch" kommt für Schöppenbuch
vor. Im Dorf Buntfelde bei Salzwedel werden 1574 (ÜB. 1
618) elterliche Auslobungen in das „Bauerbuch4' oder, wie es
im Auszuge daraus genannt wird, in das „Wetebuch" ein-
getragen; auf Grund des Buches geben dann Schulz und Ge-
meinde ein schriftliches Bekenntniss über das, was sie „wissen",
sie geben ein Weisthum.
Ein „Landbuch" besass 1588 (ÜB. 2 125) das Dorf
Flechtingen im Kreise Gardelegen; in dasselbe wird eine zu
Wegenstädt (Dorf in demselben Kreise), anscheinend von
einem Notar aufgenommene Ehestiftung „zum Ueberfluss"
eingetragen; das Land buch scheint auf ein in Flechtingen
sesshaft gewesenes Landgericht hinzudeuten.
Wo in einem Dorfe die Schreibkräfte fehlten, blieb nur
übrig, anderweiten Ersatz zu suchen. Diesen bot die Her-
anziehung des Pfarrers oder die des Schreibers der Gerichts-
herrschaft, mag die Gerichtsherrschaft ein adliger Herr oder
mag sie der Hauptmann als Vertreter des Landesherrn sein :
aus dem Schöppenbuch des Dorfs Etzin (bei Nauen) von
1546 fertigt 1598 (ÜB. 1 226) der dortige Pfarrer einen Aus-
zug. Die um 1551 stattgehabte Ehestiftung, auf Grund deren
1567 (11 79) ein Erbstreit vor „Richter und Schoppen" des
Dorfs Wustermark bei Nauen verhandelt wird, ist nach dem
Berichte der in Brandenburg um Belehrung anfragenden
Schoppen „in unser Herrn Schöppenbuch zu Wustermark
verzeichnet"; aus dem Schöppenbuch des Gerichts ist also
ein Schöppenbuch der Herren geworden, weil die Herren
die Führung des Buches übernommen haben.1}
*) Es wäre auch denkbar, dass die mit „Richter und Schoppen" unter-
zeichnete, jedenfalls von einem Dritten (einem Schreiber) abgefasste Missive
§ 30- Dorfgerichte. 415
Ebenso wandelt sich im Dorf Wendisch-Chueden vor
Salzwedel das Schöppenbuch in ein „Klosterbuch" um: dort
werden 1575 ein „vor Schulz und Bauern verlauteter" und ein
notariell aufgenommener abändernder Kinderabschichtungs-
vertrag durch die von Bartensieben „in des Klosters Buch
verleibt", und die Brandenburger erklären 1581 (22 20) solche
in das Klosterbuch erfolgte Einzeichnung für kräftig.
In Phöben bei Potsdam tragen „Richter und Schoppen im
Dorfe", die ein Vater 1557 (6 95) bittet, seine Vermachung
des Mutterguts „im Scheppenbuch zu verzeichnen11, diese
Bitte ihrem Hauptmann vor; er befiehlt seinem Amtsschreiber,
die Vermachung in eine Kopie zu verzeichnen und sie in
das Schöppenbuch zu legen. Auf dem nächsten gehegten
Dingtage soll die Vermachung „klerich" (== klärlich) ver-
zeichnet werden. In sieben Jahren ist aber kein Dingtag
gewesen; inmittels sind zwei der betheiligten Kinder gestorben.
Die Geschwister fragen, ob die Vermachung ihnen oder dem
Vater angestorben sei. Die Vermachung wird als gültig an-
gesehen; der Vater und die Kinder werden in capita für be-
rechtigt erklärt
Ein ferneres Auskunftsmittel war die Rückkehr zu einem
Brauche ältesten Datums: vor der Gemeindeversammlung
und auf gehegtem Dingtage fand jeder gerichdiche Akt
einst mündlich statt; er wurde auf diese Weise öffentlich
verkündet („verurkundet"; denn Urkunde ist anfanglich jede
feierliche Kundmachung, nicht bloss die schriftliche). Solche
Verurkundungen nehmen sogar die Gerichtsherren selbst vor
der Versammlung ihrer Unterthanen vor. So „verlassen"
(= auflassen) 1510 (ÜB. 1 67) die Gevettern von Stülpnagel
auf Taschenberg Hebungen, die sie in den Dörfern Milow
und Papendorf (bei Genthin) besitzen „vor Richter, Schoppen
und Bauern" beider Dörfer. Die Gegenwart der „gemeinen
Bauern" oder der „Bauern", oder des „Schulzen und der
Bauern" (d. h. der Gemeindeversammlung) wird ferner bei
mit den Worten „unser Herrn* die Schoppen bezeichnen wollte. Ein ana-
loger Fall, dass Richter und Schoppen sich selbst „Herren" Schoppen
nennten, ist mir aber aus den Schöppenstuhlsakten nicht erinnerlich. Ich
habe mich deshalb für die im Text gegebene Auffassung entschieden.
416 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg- Preussen.
Auflassungen, die von den Bauern unter einander geschehen,
aus der Zeit kurz vor 1540 (3 4) im Dorfe Grossbesten bei
Teupitz erwähnt; 1547 (ÜB. 1 227) wird der von Jagowsche
Schulzenhof im Dorf Jeggel vom Sohn des verstorbenen
Schulzen „mit Uebergebung eines freien Reises in Beiwesen
seiner Brüder, auch Schulzen und gemeinen Bauern und
des Pfarrers44 verkauft; 1553 berufen sich Eheleute aus einem
Dorfe bei Kyritz (9 250) darauf, dass sie sich ihre gegen-
seitige Erbeinsetzung mit Zustimmung der beiderseitigen Ver-
wandtschaft „rechter Dingpflichter vor Schulzen und Bauern
hier im Dorfe haben vorwidtlichen lassen44, und 1555 (6 141)
will die ganze Gemeinde eines Dorfes bei Salzwedel „ge-
ständig sein44, dass vor „Richter und Bauern44 eine Prozess-
partei keine „Verlassung44 (d. i. Auflassung) ihrer Güter ge-
than habe. „Vor der ganzen Bauerschaft44 bezichtigt
„in unser gnädigen Fürstin (der Herzogin -Witwe Anna
Sophie von Mecklenburg) Schulz engerichte44 zu Cosse-
bade (bei Parchim) 1587 (28 154) eine Stieftochter ihren
Stiefvater der Zauberei; der Bericht darüber wird an die
Amtleute des herzoglichen Witwensitzes Luptz erstattet und
gelangt von da nach Brandenburg zur Belehrung. Zu Rochau
verspricht 1588 (ÜB. 2 127) der Vater, seinem Sohne den ihm
verkauften Hof „vor der Bauerschaft44 mit einem Reise
zu übergeben.
Damit nicht das, was vor der Bauerschaft verhandelt ist,
in Vergessenheit gerieth, wiederholte man in älterer Zeit die
Verhandlung in der öffentlichen Gemeindeversammlung (der
„Bursprake44 oder Bauersprache). Unterblieb dies, so verlor
der vorgenommene Gerichtsakt seine Wirksamkeit. Vom
Prozessgegner wurde 1536 (2 222) eine solche „jährliche Ver-
urkundung44 als ein erdichteter, allem Rechte ungemässer*
jedenfalls durch die geschriebenen Rechte und die churfürst-
liche Konstitution aufgehobener Missbrauch bezeichnet mit
der weiteren Bemerkung: „die Bauern soffen wohl alle vier
Wochen ein Viertel Bier darüber aus und sollte wohl einem
ein solches thundt vierfach mehr kosten als es würdig; con-
suetudo irrationabilis et contraria legi corruptela est et nullo
modo admittenda; refert se ad jus44.
§ 3°. Dorfgerichte. 417
Um ein sichereres Mittel, als das mündliche Zeugniss der
ganzen Gemeinde oder der Schoppen zu haben, verfiel man auch
wohl auf den Ausweg, den von Dorfinsassen vorgenommenen
Rechtsakt in einem Buche, das eine benachbarte Ortschaft be-
sass, wie in dem ebenberührten Wegenstädter Falle, oder im
Gerichtsbuche der nächsten Stadt eintragen zu lassen; die
Städte hatten keinen Grund, dem entgegenzutreten, da ihren
Gerichten aus diesem Brauche eine Erhöhung der Einnahme
erwuchs. Ein solcher Eintrag eines von Dorfbewohnern vor-
genommenen Aktes in das Schöppenbuch der benachbarten
Stadt wird um 1550 (10 415) bezüglich einer Ehestiftung unter
den Betheiligten vereinbart. Auch kommt es — beinahe
schon fünfzig Jahre früher — vor, dass ein Leibgedingsbrief,
statt vor gehegtem Ding, vor dem Gerichtsherrn, dem Grafen
von Lindow, in Gegenwart seiner sechs „Räthe" von seinem
Schreiber ausgestellt wird (1503: ÜB. 1 48).
Also das Bestreben, die Thätigkeit des ordentlichen
Gerichtes zur Seite zu schieben und sie von der Obrigkeit mit
ihren amtlichen Organen ausüben zu lassen, giebt sich auch
auf dem Gebiete der freiwilligen Gerichtsbarkeit kund. Das
musste die Prozessgerichte mannigfach vor die Frage stellen, ob
sie derartige ausserhalb des gehegten Dinges aufgenommene
Akte freiwilliger Gerichtsbarkeit als gültig behandeln dürften.
Hierüber bildete sich eine vollständige Judikatur, deren End-
resultat, dem Zuge der Zeit entsprechend, die Annahme der
Gültigkeit solcher Akte war. Es ist erklärlich, dass in der
Uebergangsperiode eine vorsichtige Partei bestrebt ist, den
von ihr ausserhalb des Gerichts vor der Obrigkeit und vor
Zeugen stattgehabten Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit
noch vor Richter und Schoppen zu wiederholen. So begehrt
ein Bauer aus Woldenhagen 1571 (31270), nachdem er eine
Vermachung vor dem Junker Thomas von Calbe in Gegenwart
von vier andern Bauern hat niederschreiben lassen, dass dar-
über „noch ein Dingstag gehalten werde", die Brandenburger
lassen es aber auf Anfrage einer betheiligten Partei genügen,
wenn die vier Zeugen den Inhalt der Vermachung bestätigen.1)
*) Vor „Richter und Schoppen" schliessen in Rosian (bei Jerichow)
Stolz ei, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. L 27
418 5« Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg^Preus=>en.
Wie sich Dorfbewohner bei ihren Akten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit an das benachbarte Stadtgericht anlehnten,
so auch bei ihren Prozessen. Dies beweist ein im Jahre 1536
vor dem Stadtgericht Neuruppin zwischen Bewohnern des
nahegelegenen Dorfes Protzen verhandelter lehrreicher Pro-
zess, dessen Vorgeschichte zugleich ein Bild von Zuständen
giebt, die im kleinern Rahmen dieselbe Entwickelung dar-
stellen, welche wir bei der Stadt Brandenburg kennen lernten.
Gleich der Brandenburg ist die Burg Reppin oder Ruppin
auf einer von zwei Plussarmen umschlossenen Insel nahe an
einem See erbaut, gleich der Brandenburg diente sie als
Grenzschutz in den Kämpfen gegen die Slaven,1) gleich der
Brandenburg war sie der Vorläufer der aus dem Burgflecken
sich entwickelnden Altstadt; dort wie hier entstand jenseits
am Wasser die Neustadt. Die Burg Ruppin, die Altstadt
Ruppin, die Neustadt Ruppin nebst dem umliegenden Lande.
wozu auch die Stadt Lindow gehörte, hatte sich zu einer beson-
dern Grafschaft entwickelt, welche die Grafen von Lindow, die
Besitzer der Burg Ruppin, von den Brandenburger Markgrafen
zu Lehn trugen. Dies Lehn fiel 1524 an Brandenburg- heim;
denn damals wurde, wie es in einem vom Kanzler Dr. Stub-
linger unterzeichneten Lehnbrief des genannten Jahres heisst,
der letzte des Geschlechts der Graf«* zu Lindow und Ruppin
„sammt Schild und Helm begraben14 (7 266). Bis dahin waren
also die Grafen von Lindow die Territorial- und Gerichts-
herren. Es ist erklärlich, dass in solchen kleinen Territorien
sich die alten Verhältnisse länger erhalten als in grossen.
Längst hatte man in Brandenburg aufgehört, „auf der Burg44,
d. h. beim Burgvogt oder beim Burgherren, das Recht zu
holen, als man „im Lande Ruppin" noch so verfuhr. Des-
Dorfbewohner Verträge 1574 (29 479) „auf dem Schulzengericht", 1575
(22 18) in Busendorf (Buschdorf bei Merseburg), 1583 (60 155. ÜB. 931) in
Grabow (bei Jerichow?) vor Richter und acht Schoppen, 1578 (55487) in
Gohlitz (bei Brandenburg), 1575 (20453. ÜB. 1 642) in Leitzkau (bei
Magdeburg), 1600 (46 282. ÜB. 2 287) in Sebzig (bei Brandenburg), 160;
in Schonhausen „im gehegten Dinggerichte a (ÜB. 3 148). Noch 1737 (89
206) stellen „Richter und Schoppen4* in Polleben (bei Merseburg) ein Zeug-
niss aus.
*) Liesegang, Forschungen zur Brdb. Gesch. Bd. 5 S. 1 ff.
§ 3°- Dorfgerichte. 419
halb sehen wir im Jahre 15 18 (2 602) die das Dorf Protzen
von den Grafen von Lindow zu Lehn tragenden Gebrüder
von Gadow mit ihren Unterthanen, einem Matthias Nitze-
bandt und seinen drei Stiefsöhnen aus Protzen, in Begleitung
von vier andern Ortsangehörigen auf die Burg Ruppin ziehen,
damit dort „die Räthe der Herrschaft Reppin" darüber „ent-
scheiden", in welcher Weise der Vater seine Stiefkinder ab-
finden soll. Es kommt ein Vertrag zu Stande, der, wie da-
mals und noch lange Zeit allgemein gebräuchlich, auf dem-
selben Blatte in doppelter Ausfertigung niedergeschrieben
„und dann ein Zettel aus den andern geschnitten"1) wird
(ÜB. 1 76). Der Vertrag führt im Jahre 1533 (2 601) zu einem
Streit und in Folge dessen zu einem zweiten Vertrag, der dies-
mal, da die Grafen von Lindow nicht mehr auf der Burg sitzen,
vor den Lehnsherren des Dorfes, den Gebrüdern von Gadow,
und sechs Bauern unter dem Siegel der Gadow abgeschlossen
wird. Im Jahre 1536 verlangt dann der eine Stiefsohn von
seinem Vater noch eine Leistung von 5 1/2 Schock, der Vater
behauptet, geleistet zu haben. Dieser Streit konnte nicht im
Vertragswege erledigt werden; er bedurfte einer gerichtlichen
Entscheidung. Wo war das zuständige Gericht? Das einstige
Landgericht, welchem das Dorf Protzen ursprünglich zu-
gehörte, war verschwunden, auch die Grafen von Lindow mit
ihren Räthen, die für das Dorf Protzen an die Stelle getreten
waren, existirten nicht mehr; die unmittelbaren Herren des
Dorfes, die Gadow, scheinen keinen Anlass gefunden zu haben,
etwa ihrerseits nach dem Aussterben der Grafen von Lindow
ein Gericht für Protzen einzurichten, wohl aber wurde das Ge-
richt der Stadt Neuruppin mit neuem Ansehen bekleidet, als
es unter die unmittelbare Hoheit des Kurfürsten von Branden-
burg fiel; das prägte sich schon in dem nunmehr ihm bei-
gelegten Namen eines „kurfürstlichen Stadtgerichts" (2 595)
aus. Bei diesem Stadtgericht verklagte Hans Nitzebandt
seinen im Dorf Protzen ansässigen Vater, und der Prozess
J) Die Schnittlinie erbringt den Echtheitsbeweis, wenn die eine Partei
ihre Vertragsausfertigung produzirt und die andere Partei ihr Exemplar
daran hält. Vgl. auch Sachregister zum ÜB. unter „Beurkundung". Noch
heute wird bei Ausgabe mancher Inhaberpapiere ebenso verfahren.
27*
420 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preussen,
wurde dort geführt, ohne dass dabei die Frage der Zuständig-
keit irgendwie zur Sprache kam. Landbewohner nehmen
und erhalten also ihr Recht beim benachbarten Stadtgericht
in Ermangelung eines andern ihnen zu Gebote stehenden
Gerichtes. Das kurfürstliche Stadtgericht Neuruppin bittet
daDn die Schoppen zu Brandenburg, „zu erkennen, was
Recht ist".
Keineswegs sind aber Richter (oder Schulz) und Schoppen
als rechtsverwaltende Organe im sechzehnten Jahrhundert
bereits gänzlich verschwunden.
Als 1530 (1 208) der Erbsess von Bredow zu Kremmen
(bei Ruppin) das „verlaufene" Gut1) eines Unterthanen des
benachbarten Dorfes Bornike einziehen will, spricht er dies
mit drei Klagen im Dorfgerichte an; „Richter und Schoppen**
weisen, weil sie „zu geringen Verstandes, ein Urtheil zu
sprechen", die Sache nach Brandenburg und bitten dort,
ebenso wie am nämlichen Tage der von Bredow selbst, um
ein Erkenntniss. Richter und Schoppen des Dorfes Dämmen
erklären 1557 (6 303), „dass ihnen als Einfaltigen der Handel"
(den der Gerichtsherr mit einem Bauer wegen zuviel em-
pfangenen Korns anhängig gemacht hat) „zu hoch und wichtig
zu versprechen sei und beide Theile sich an den Rechten
genügen zu lassen2) sich erboten hätten". Vor Schulz und
Schoppen der Gemeinde Krakau (bei Magdeburg) wird 153S
(3 429) eine Schuld von 32 fl ausgeklagt; der siegreiche Kläger
„bekümmert mit dem Gerichte und Gerichtshülfe" die Güter
der Beklagten. Richter und Schoppen des Dorfs Warnick
bei Küstrin sind 1555 (5 389) in Sachen einer Angeklagten
thätig, die mit verbrannten pulverisirten Eulenfedern Zauberet
getrieben haben soll, und fragen in Brandenburg um Be-
lehrung an; ihre Missive geben sie zuvor ihrem Junker zum
Pitschiren. Ein Erbtheilungsvertrag, der vor dem Hauptmann
zu Schönhausen und vor Richter und Schoppen daselbst ge-
schlossen ist, hat Interessenten Anlass gegeben, in Branden-
burg Belehrung zu erbitten; die erhaltene Belehrung theüt
er „Richter und Schoppen und ganzer Gemeinde zu Schön*
1) D. h. das Gut, von welchem sich der Besitzer entfernt hat.
2) Vergl. oben S. 338.
§ 3<>« Dorfgerichte. 421
hausen" mit, diese bitten nun ihrerseits in Brandenburg um
Belehrung (1557: 6 21). Vor den Erbgesessenen zu
Brunne (bei Fehrbellin) klagt 1557 (6 296) im „Schulzen-
gerichte des Dorfes Brunne44 eine Geschwächte darauf, dass
sie ihr Schwängerer, der ihr die Ehe gelobt, zur Ehe nehme,
„weil der allmächtige Gott diesen Erbgesessenen sammt
den Richtesherrn dieses Dorfs nebst der hohen welt-
lichen Obrigkeit befohlen habe, den Gerechten Rechtes zu
helfen44. Die Parteien werden vor einen der Erbgesessenen
in das Schulzengericht beschieden und dort verhört; der
Beklagte beantwortet die Klage ^mit nein, und beide Par-
teien thun „genügsamen borgerlichen Vorstand44, dann bitten
die Erbsessenen als des Rechts unerfahren in Brandenburg
um Rechtsbelehrung. Vor Richter und Schoppen des Dorfs
Damme bei Prenzlau belangt 1557 (6 303) der Gerichts-
und Lehnsherr Kersten Eichstedt einen Bauer, weil er von
einem flüchtig gewordenen Leihemann 28 Scheffel Korn und
Hausgeräth aus dem Leihegut heimlich in Verwahrung ge-
nommen habe. Der Bauer wird dreimal vor Gericht ge-
laden; im dritten Termin giebt er zu, 18 Scheffel erhalten
zu haben, die er herausgeben wolle. Richter und Schoppen
ist „als einfältigen dieser Handel zu hoch und wichtig zu ver-
sprechen (= entscheiden)44; sie fragen in Brandenburg an.
Der Vater einer Geschwächten bringt 1558 (6 485) vor
„Richter und Schoppen44 zu Pärchen (Dorf bei Jerichovv) seine
Klage „jüngstem Verlasse nach441) schriftlich ein „tanquam
actionem atrocissimam injuriarum seines Gefallens peinlich
oder burglich44. Der Beklagte, ein Knecht, der die klägerische
Tochter „mit eigener Gewalt im Stalle genöthigt44 haben soll,
leugnet und stellt vier in Pärchen sesshafte Bürgen, macht
sich demnächst aber von dannen. Richter und Schoppen zu
Pärchen bitten um Rechtsbelehrung in Brandenburg. Aehn-
lich erbitten Rechtsbelehrung 1565 (10 3) „Schulz und
Schoppen des Dorfs Dolzig" bei Soldin i. N., als es sich um
Bestrafung eines ihrem Junker zum Verhör vorgeführten
Landstreichers handelt. „In Beisein eines vollkommenen
!) Verlass, Verlassung bedeutet (wie Auflassung) eine Vereinbarung.
„Verlassbuch des Raths zu Prenzlau" s. ÜB. 1 55.
422 5* Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg Preussen.
Gerichts als Richter und Schoppen und des sacra apostolka
autoritate bestellten Notars", des Gerichtsnotars der Stadt
Friedland, findet 1590 (32 113)') im benachbarten von Gunters-
bergschen Dorf Callis das Verhör in einer Zaubereisache
statt. Hier haben wir also wiederum ein wohlbesetztes Dorf-
gericht vor uns, ihm ist aber der von der benachbarten Stadt
requirirte Notar als Protokollführer zugesellt. Ohne solchen
Notar wird in Beisein der Erbsessen von Britzke 1598 (43
165) ein Dieb „vor Richter und Schoppen des Dorfs Phisen*k
(Viesen bei Genthin) vernommen.
Zum Belege, dass noch 1565 Dorfgerichte vollständige
Civilprozesse verhandeln, in denen es zu einem regelrechten
Beweisverfahren mit Eidesauflage kommt, können folgende
Beispiele dienen.
Ein Bauer zu Studenitz (bei Kyritz) belangt 1565 (9 367)
vor dem „Dorfgerichte, Schulzen und Bauern" seinen Halb-
bruder, der behauptet, sein väterlich Erbe noch nicht er-
halten zu haben. Schulz und Bauern haben auf einen Eid
erkannt,- dass die Behauptung des Halbbruders richtig sei;
nach Leistung des Eides soll der Beklagte mit seinen Zeugen
gehört werden. Der Beklagte fragt in Brandenburg an, ob
nicht seine Zeugen, mit denen er des Klägers Eid verwerfen
wolle, zunächst zu hören seien. Der Spruch geht dahin,
dass Kläger seine Klage nicht mit seinem Eide belegen
könne, vielmehr Beklagter zu beweisen habe, dass dem
Kläger sein Vatergut entrichtet sei.
Zur nämlichen Zeit (10 106) haben Richter und Schoppen
zu Rhinow (Dorf bei Rathenow) zu entscheiden über einen
vor ihnen in gehegtem Ding verhandelten Prozess, in welchem
der Bruder eines Verstorbenen dessen Gut als Theil des
väterlichen Nachlasses von der in zweiter Ehe lebenden
Witwe und deren Kind beansprucht. Das Gut hat der Ver-
storbene von seinem Vater gekauft; die beklagte Witwe
bestreitet deshalb des Klägers Anrecht an dem Gute; der
Kläger beruft sich auf Zeugen und ist im „nächst ver-
gangnen angesetzten gehegeten Dinge mit seinen Zeugen
plötzlich ohne Rechtsforderung und Zulass eingetreten". Die
J) Zu vergl. ÜB. 2 145 ff.
§ 30. Dorfgerichte. 423
Brandenburger, an die sich „Richter und Schoppen" wenden,
sprechen laut der vorgelegten Urkunden das Gut dem zweiten
Ehemanne sammt seinem Weibe zu.
Noch 1586 (ÜB. 2 76) vermitteln im Dorfe Nitzan (bei
Genthin) neben dem Hauptmann des Amts Plaue „Richter,
Paurmeister und Altsessen44 eine Erbauseinandersetzung;
ein Exemplar des Vertrages wird im Gericht niedergelegt.
In welcher Weise unter Umständen die Dorfschaft selbst
es dahin bringt, dass statt ihrer die landesherrlichen Beamten
einschreiten, legt ein Fall des Jahres 1566 dar. Schulz und
Gemeindebauern zu Göricke (Dorf bei Kyritz) beschliessen
1 566 (ÜB. 1 472 ff.), weil in ihrem Walde mehrfach Holz gehauen
ist, dass sich das künftig Niemand bei Strafe einer Tonne
Biers unterstehen soll. Ein Bauer lässt gleichwohl etliche
Fuder Holz schlagen, weigert sich aber, die Tonne Bier zu
geben, ist vielmehr nur bereit, einen halben Thaler zu zahlen.
Darauf bringen Schulz und Gemeindebauern den Mann, und
da seine Frau erklärt, bei ihrem Manne bleiben zu wollen,
auch sie in das Gefangniss zu Havelberg und setzen, um für
ihr Dorf die Gefangenen unschädlich zu machen,^ einen
Prozess wegen Zauberei in Szene — ein charakteristisches
Beispiel, wie man Hexenprozesse zu schaffen verstand. Die
Bauerschaft berichtet den „weltlichen Befehlshabern44 in
Havelberg, welche Gerüchte im Dorfe über Zaubereien
der beiden Eheleute umgehen; das bestimmt die Befehls-
haber, in Brandenburg anzufragen, ob sie mit der Tortur
vorgehen könnten. Die Brandenburger verneinen die Frage
und verlangen nochmalige gütliche Befragung; im Leug-
nungsfalle müsse die Bauerschaft die Bezichtigung erweisen.
Mit dem Anfang des siebzehnten Jahrhunderts schwinden
Richter und Schoppen immer mehr in der dorfgerichtlichen
Rechtspflege. Nachdem zunächst der Erbsess als Gerichts-
herr persönlich seinen Platz im Gerichte (vor Richter und
Schoppen) eingenommen hat, ersetzt ihn später sein Gerichts-
verwalter;1) daneben wird je nach Bedarf der Pfarrer oder
der Notar mit herangezogen und die Zahl der Schoppen all-
mählich bis auf zwei beschränkt, welche mit dem Richter
l) Siehe den nächsten Paragraphen.
424 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preusse*.
oder Schulzen schliesslich nur noch der Feierlichkeit halber
gegenwärtig sind.
So vereinbart man im Dorfe Eichstedt bei Kremmen
1572 (12 610) eine Erbtheilung vor Richter, zwei Schoppen,
einem weitern Zeugen in Gegenwart des Junkers und de*
Pfarrers; einen daran sich anschliessenden Gutsverkauf hat
der Pfarrer auf das Papier zu bringen unternommen. In
Zehlendorf bei Berlin macht eine zur zweiten Ehe schreitende
Witwe mit ihren Kindern 1606 (ÜB. 2 370 ff.) Erbschichtunq
„durch den Hauptmann zu Möllenhof und den Amtsschreiber
in Beisein von Schulzen und Schoppen zu Zehlendorf1*; ihr
Testament nimmt 1608 (ÜB. 2 436) in Zehlen-dorf der Pfarrer
„anstatt eines Notars vor Richter und seinen verordneter
Schoppen" auf; der Schoppen sind es vier. Ein durch die
Brandenburger erkanntes peinliches Verhör hält 1620 (674611
im Dorf Schiagentin bei Genthin der Notar in Gegenwart der
Junker, des Pfarrers, des Schulzen und zweier Schoppen ab
In Schönefeld (bei Templin) vermachen sich 1610 (ÜB. 2460
Eheleute vor J. v. Schlaberndorf und Georg v. d. Streithorst
in Gegenwart von Richter und Schoppen ihr Vermögen.
Damit werden wir auf die Erörterung der Frage hin-
gewiesen, wie sich die Beziehungen der Junker als Gerichts-
herren zu dem Brandenburger Schöppenstuhl entwickelt
haben.
§31.
Junker.
In den Nachrichten, die über dorfgerichtliche Anfragen
Auskunft geben, ist bereits mannigfach eine Mitwirkung des
„Junkers" ersichtlich gewesen. Dem Junker fallt, als dem erb-
lich belehnten Herrn des Dorfes, im Rechtsleben der Dorf-
bewohner (seiner „Unterthanen") dieselbe Thätigkeit zu, wie
dem Landesherrn im Rechtsleben seiner städtischen oder
ländlichen Unterthanen. Was vom Verhältniss des Landes-
herrn zur Rechtspflege für das landesherrliche Gebiet gik
wiederholt sich — nur in verkleinertem Maasstabe — ^>eUD
Verhältniss des Gutsherrn zur Rechtspflege innerhalb des
gutsherrlichen Gebietes. Weit ausgedehnter als sonstwo hat
im deutschen Osten das gesammte Dorf einen einzigen Herrn.
§ 3i. Junker. 425
den „Junker", wie das Dorf ihn nennt, den „Erbsessen", wie
er sich nennt; ihm ist das Dorf dienstpflichtig und deshalb
erbunterthänig. l) Die Bezeichnung Junker und Erbsess
brauchen unsere Schöppenstuhlsakten in der angegebenen
Bedeutung als technische Dass im deutschen Osten regel-
mässig nicht eine Mehrzahl konkurrirender Berechtigten sich
kreuzt, dass auch der Dorfherr grössere Selbständigkeit ge-
niesst und nicht dem landesherrlichen „Amte" untersteht, ist
die Folge der Kolonisation.2) Die Dorfgründungen waren
vertragsmässig Unternehmern überlassen, deren Mühewaltung
mit dem erblichen Schulzenamt belohnt wurde, das den Vor-
sitz (das „Richteramt") im Dorfgericht und den Bezug eines
Drittels der Gerichtseinkünfte in sich schloss. Dies Schulzen-
amt oder, wie es in Brandenburg ständig heisst, das „Schulzen-
gericht" war ein grösserer Gutskomplex in der Dorfgemar-
kung mit einem Gebäude, das auch schlechtweg „das Schulzen-
gericht" hiess und den öffentlichen Gemeinde-, namentlich
den Gerichtsangelegenheiten diente, wie das Rathhaus in der
Stadt. Der Schulz war der Lehnsträger dieses Komplexes,
daher heisst er auch Lehnschulze. Zu Netzen (bei Lehnin)
giebt „altem Brauche nach" (1665: 79 34S) der Schmied des
Klosters Lehnin seinen „Schmiedegästen" (d. h. seinen Kun-
den) „im Schulzengericht" jährlich eine halbe Tonne Bier;
ein Kossäte muss sie den „Nachbarn" (d. h. den Bauern)
zapfen. Ein Landsknecht, der 1565 (10 1) „das Schulzen-
gericht" in Chorin erbricht und den Schulzen mit gezückter
Wehr bedroht, wird zum Tod durch das Schwert verurtheilt.
„Im Schulzengericht" zu Jerthall (bei Genthin oder Tanger-
münde) vernimmt 1609 (57 3) ein Notar eine Diebin, „die
daselbst enthalten" (gefangen gehalten) ist. Eine der Haupt-
pflichten des Lehnschulzen war es, vor den Thüren der
Unterthanen die Leistung der gebührlichen Dienste anzu-
kündigen und für die Leistung zu sorgen (1554: 5 308; 1566:
10 35<>)- Die Vererbung, die Veräusserung und die dem
Lehnsherrn unter Umständen gestattete Einziehung des
Schulzengerichts giebt Anlass zu. häufigen und schwierig zu
!) Vgl. G. v. Below, Territorium und Stadt. Lpzg. 1900.
a) Blum, Preuss Gesch. 1900 Bd. 1 S. 118.
426 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg- Preusscn.
entscheidenden Streitigkeiten, von denen bei Erörterung der
Rechtsprechung über Grundeigenthumsverhältnisse die Rede
sein wird. Auch noch nach einer anderen Richtung hin ent-
wickelte sich aus dem Lehnschulzenverhältniss eine weit-
tragende Zweifelsfrage.
Der Lehnschulze hat den Herren seines Dorfes zum
Lehnsherrn und dieser den Landesherrn zum Oberlehnsherrn.
Wir sahen bereits (S. 410), wie aus einem analogen Verhält-
nisse der Amtsschreiber zu Wittstock 1602 seine Berechtigjung
herleitete, Bürger zu Wittstock vor sein Forum zu laden»
weil er „an des Kurfürsten Statt sitze" und dieser die „hohe
Obrigkeit44 für sich behalten habe. Eines der Rechte des
Gerichtsherrn war der Anfall erbloser Güter ihrer Unter-
thanen. Da fragte sich, ob auf diesen Anfall der Lehnsherr
oder der Oberlehnsherr Anspruch habe. Hierüber war zu
entscheiden, als im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts
einige Aecker im Dorfe Wilsleben bei Aschersleben erblos
wurden. Das Dorf hatte Kurfürst Friedrich Wilhelm denen
v. Königsmark geschenkt; von ihnen war es mit landesherr-
lichem Konsens dem Landgrafen von Hessen-Homburg ver-
kauft, der dann auch 17 16 „mit Ober- und Untergerichten,
Civil- und Kriminaljurisdiktion und allen davon fallenden
Strafen44 beliehen war (90 46). Dadurch wurde Wilsleben
Theil des benachbarten hessen- homburgischen Amtes Win-
ningen. Dies Amt nahm die erblosen Aecker in Besitz, ein
Soldat zeigte aber 1725 bei Hofe an, die Aecker gehörten,
weil sie erblos gewesen, dem Könige zu, und bat, sie ihm
gegen einen Kanon zu konferiren. Es kam zu einer Klage
gegen das Amt auf Herausgabe der Aecker, und die erste
Instanz erkannte gleich dem Hallenser Schöppenstuhl der
Klagbitte gemäss, weil dem Amte die jura regalia nicht zu-
ständen und dasselbe kein jus fisci auf die vakanten Güter
habe. Die Brandenburger dagegen sprachen das Recht auf
den erblosen Nachlass dem Landgrafen zu als Pertinenz sei-
nes merum imperium (1738: 90 50); sie waren also für Ein-
engung der oberhoheitlichen Rechte.
Der Erwerb des Eigenthums eines Dorfes schloss demnach
den Erwerb von Rechten, namentlich darunter der Gerichts-
§ 3i. Junker. 427
barkeit, in sich, die ein merum Imperium ausmachten. Ob
dieser Erwerb von einem Herrn des Adels oder von einer
juristischen Person (einer Stadt, einer geistlichen Korporation,
sei es ein Kloster oder Stift, ein Domkapitel oder eine Uni-
versität) ausging, war gleichgültig. So z. B. sind Arnsdorf,
Jacobsdorf und Lindo Dörfer der Universität Frankfurt;
Rektor, Magistri und Doctores der Universität fragen des-
halb 1578 (20 151), ob das Sühnegeld eines Entleibten nach
Brandenburgischem Recht nur den männlichen Verwandten
oder auch den Schwestern und Schwesterkindern gebühre,
sie fragen ferner 1597 (21 229), was einem Unterhanen zu
geschehen habe, der den geschworenen Urfrieden verletzt,
sie fragen 1604 (51 3°)> w*e em ihres Dorfes Arnsdorf Ver-
wiesener, aber dorthin Zurückgekehrter, und sie fragen 1609
(58 752), wie eine Kindesmörderin in Lindo zu bestrafen sei.
Als Obrigkeit von Jacobsdorf erlassen Rektor, Magistri und
Doctores der Universität 1602 (ÜB. 2 342) einen Stockbrief,
um einen Dieb gefänglich einzuziehen.
Frauenklöster sind ebenfalls Gerichtsherrschaft und
sprechen Recht auf Grund einer in Brandenburg geholten
Belehrung. Nach der Säkularisation treten an Stelle der
geistlichen Korporationen die vom Landesherrn eingesetzten
„weltlichen Befehlshaber".1) Sie stehen zur Rechtspflege
und zur Aktenversendung in demselben Verhältnisse, wie die
sonstigen landesherrlichen Beamten, namentlich die Haupt-
oder Amtleute. Als die Quitzow 1474 (ÜB. 1 20) ihr halbes
Dorf Lübars bei Berlin „mit Zubehör" verkaufen, wird unter
dem Zubehör „das Gericht hogest und sidest" (höchstes und
niederstes) „in Feld uud in Marken" aufgezählt. Die Stadt
Brietzen kauft 151 3 (7 234) das Dorf Grochwitz bei Merse-
burg 4von einem Edelmanne „mit aller Gerechtigkeit". Die
Neustadt Brandenburg nennt das nahe gelegene Dorf Poesin
(= Päwesin) 1560 (8 1) „ihr" Dorf. Darum macht 1530 (1
208) ein Ankauf gewisser auf vererbpachteten Dorfgrund-
stücken ruhenden Gerechtigkeiten, darunter „oberstes und
') Z. B. 1552 (4428): „Hans Topp und andere Befehlshaber des ehr-
würdigen Domkapitels zu Havelberg ;rt 1574 (15 355): »weltliche Befehls-
haber der Stiftkirchen zu Brandenburg. u
428 5« Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preussen.
niederstes Gericht", und der hinzutretende landesherrliche
Leihebrief den Käufer d,er Gerechtigkeiten zum „Richter,
Erb- und Oberherrn" der Grundstücke, und dieser Erbherr
selbst erhebt vor seinem Dorfgericht Klage, wenn er Grund-
stücke anspricht, die ihm durch Wegzug eines Unterthanen
heimgefallen sein sollen. Welcher Art im Einzelnen solche
Gerechtigkeiten sind, wird 1529 (ÜB. 1 122) gelegentlich
eines Vertrags aufgezählt, durch den die Stadt Trebbin mit
kurfürstlichem Konsens vom Erbsess auf dem Th uro wer
Damm (bei Trebbin) diesen Damm für 1 10 fl. kauft. Die
Gerechtigkeiten sind: „ von jedem Wagen, der den Weg dar-
über gebraucht, 1 ^ , mit 2 Raden, oder einer Schütte davon
zu nehmen, von jedem Hausgeräthe 2 gr 2 ^ , wenn Braut
oder Bräutigam darüber zieht, vom Bräutigam 18 ^ und
sonderlich von der (Braut) einen Käse vom Groschen oder das
Geld dafür, darzu für 1 gr Bier und 4 ^ Brot, von einem Mühl-
stein, der gelöchert ist, 18 ^, von jedem Juden 1 gr., dazu
von jedem Pferde 1 gr., von Ochsen, Schweinen, Hammeln,
Ziegen, Böcken je 1 $ , ferner das Flies vor und nieden der
Brücke bis zum Trebbiner Mühlenflies darin zu fischen . . .,
Holzung, Hütung, Garten mit Wiese . . ., 6 Ruthen dem Flies
und Landfestung nicht zu nahe zu hauen und sonderlich sich
darauf mit dem obersten und niedersten Gericht zu ge-
brauchen." Bei etwaigem weiteren Verkauf wird der erste
Kauf dem Vogt gestattet, doch die Besserung vorbehalten.
In welchem Maasse der Erbsess seine Gerichtshoheit
ausnutzen zu können glaubte, erweist ein Beispiel des Jahres
1566 (10 285) aus Mecklenburg. Hier verboten die Gebrüder
Freyberg im Dorfe Karchow der dortigen Bauerschaft, im
Karchower See zu fischen. Weil ein Unterthan dagegen
fehlte, fragten die Freyberg in Brandenburg an, ob sie den
der Uebertretung des Verbots Beschuldigten gefänglich ein-
ziehen und foltern lassen, oder ob sie die ganze Gemeinde
„bürgerlich strafen" könnten. Der gesunde Sinn der Branden-
burger lehnte das Eine wie das Andere ab: aus dem Bericht
erhelle nicht soviel, dass die Gemeinde zu strafen, es seien
auch nicht genügsame Ursachen vorhanden, den Beklagten
mit Gefangniss oder peinlicher Frage vorzunehmen.
§ 3i. Junker. 429
Als eine selbstverständliche Folge des Erwerbes der
Gerichtshoheit galt es aber, dass der Grundeigenthümer ober-
vormundschaftliche Rechte auszuüben befugt war.1) .Ein
„Annahmegeld1* von dem nach des Vaters Tode neu an-
ziehenden Hofbesitzer zu fordern, erklären aber die Branden-
burger 1592 (37 108) den Inhaber des obersten und niedersten
Gerichts nicht für befugt. An der Prozessleitung sich zu
betheiligen, sogar Prozessschriften selbst — statt des Gerichtes
— entgegenzunehmen und sie zum Spruche zu versenden, ist
aber ein zweifelloses Recht der Gerichtsherrschaft. So wird
1553 (ÜB. 1 285) eine Schwängerungs- und Verlöbnisssache
im Dorf Schalene (an der Havel bei Sandau), das denen
v. Treskow zusteht, vor Thomas v. Treskow und vor der
Freundschaft beider Theile verhandelt. „Klage" und „Ant-
wort" werden kurz niedergeschrieben mit der Schlussbemer-
kung: „Hierauf bitten beide Parthe Belehrung des Rechten".
Abschrift davon senden Th. v. Treskow und zwei Verwandte
der Parteien nach Brandenburg. Hier wird auf Beweis er-
kannt. Nebenher bittet auch der Beschuldigte, weil ihm
das seine Obrigkeit auferlegt, um Rechtsbelehrung, indem
er vorstellt, der Bruder des Mädchens habe ihn vor wenig
Tagen mit Anderen vom Pfluge weggeholt und in der
Küsterei gefangen gehalten, bis ihn „seine Freundschaft bei
der Herrschaft zu Schollene auf ein Recht ausgebürgt".2)
Die Brandenburger erklären den Bruder für schuldig, wegen
der zugefügten Gewalt Abtrag zu thun ; auch sei er, da das
Gefangniss nicht der Obrigkeit gewesen,3) in deren Strafe
verfallen.
In einem Hutestreit zweier benachbarter Dörfer befiehlt
1565 (9 360) die Obrigkeit, „den Fall zu Papier zu bringen
und nach Brandenburg zu übersenden"; die Anfrage nebst
„facti contingentia" verfasst darauf der 1557 in Frankfurt
1) In Biesenthal bei Berlin setzt 1564 (ÜB. 1 435) der Pfarrer zu Mestorf
auf Befehl des zu Wulfesburg erbgesessenen Hans von Barenschleben
Vormünder, und er verfasst vor vier Zeugen einen Erbrezess.
*) d. h. mit Bürgschaft ausgelöst.
3) Nämlich der tür eine etwaige Verhaftung zuständigen Obrigkeit
des Burschen.
430 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg^-Preussea
immatrikulirte Arnoldus Baumana in Salzwedel, wohl ein
Notar.
.Auch Frauen, die als Vormünderinnen minderjähriger
Erben oder kraft Leibgedingsrecht das Gut ihres verstorbenen
Ehegatten verwalten, üben als Gerichtsherrinnen gerichtliche
Funktionen aus. Die Witwe Schenck von Landsberg zu
Burg Teupitz sendet in einem Streit um das Schulzengericht
ihres benachbarten Dorfes Grossbesten die beim Gericht
Teupitz verhandelten Akten 1540 (3 4) nach Brandenburg
mit der Frage, ob der aufgelegte Beweis erbracht sei. Den
Nonnen des Klosters zum Heiligen Geiste vor Salzwedel
steht das Gericht des Dorfs Wendisch -Chueden zu. Die
Oberin, Witwe des Franz von Bartensieben, Agnes geb. von
Mandeslo, fragt 1557 (6 82) an, ob auf das zu] Wendisch-
Chueden gehegte Gericht, in welchem die Klage der Freund-
schaft eines Getödteten und die Antwort des Bezichtigten
gehört ist, die leugnenden Beklagten zugelassen werden
sollen, sich durch ihren Eid zu purgiren. Die Brandenburger
erkennen 1557 auf den Eid, „dass den Beklagten von des
verstorbenen Tod nichts bewusst, dass sie keine Ursache,
Rath oder That dazu gegeben". Des Matthias Gans zu
Putlitz Witwe weiss 1559 (7 592) in einem Fall kulposer
Tödtung, der in den Gerichten ihrer unmündigen Kinder
vorgekommen, als Frau und der Rechte unverständig, den
Parteien nicht, was Recht, zu verhelfen und fragt um Be-
lehrung an. Der Witwe des Erbsessen Luckow zu Sterne-
beck bei Wriezen lassen 1553 (5 109) die Brandenburger
das Todesurtheil zugehen, das sie auf Anfrage der Mutter
eines Erstochenen gegen einen in Sternebeck Gefangenen
gefallt haben; die Witwe verwaltet also auch die Kapital-
gerichtsbarkeit. Im Jahre 1591 (ÜB. 3 108) holt die Witwe
Ludolfs von Bismarck zu Schönhausen wegen einer in ihrem
Gerichte vorgekommenen Schwängerung und Abtreibung in
Brandenburg Belehrung ein.
Wie mit solcher Verwaltung der Strafgerichtsbarkeit
unter Umständen sogar eine persönliche Thätigkeit der Guts-
herrin verbunden sein konnte, ersieht man daraus, dass
Sabina v. d. Groben, Otto v. Thümens Witwe zu Walters-
§ 3i. Junker. 431
dorf, als sie am Pfingstsonntag 1607 (54 10) vom Krüger
des Dorfes erfahrt, im Kruge sei Lärm und Streit, ihrem
nach Brandenburg gesandten Berichte zufolge „alsofort hin-
geht, Gerichtshalber Friede bietet, auch den Knecht, der
das Lärmen mehrentheils getrieben, gefänglich einziehen
lasset".
In der Stellung einer Gutsherrin befindet sich auch die
beleibdingte Witwe des Landesherrn. Darum kommt die
Kurfürstin Elisabeth auf ihrem Witwensitze, dem Amte
Krossen, 1605 (51 356) in die Lage, sich nach Brandenburg
zu wenden, um zu erfragen, wie mit einem vom Pfarrer zu
Eichberg angeklagten Gefangenen zu verfahren sei, der den
Pfarrer der Unzucht beschuldigt habe.
Findet der Gutsunterthan seiner Meinung nach in seinen
Gerichtshändeln nicht den ihm erwünschten Schutz des Guts-
herrn, so kommt es vor, dass er auswandert und sich einen
anderen Herrn sucht. Ein solcher Fall ereignete sich 1554
(5 211) im Dorfe Seedorf (bei Lenzen). Ein dortiger Bauer
setzte nach dem Tode seiner Frau deren Brüdern als ihren
Erben 20 fl. von dem Gute der Frau aus, das er besass,
und legte sie auf Rath seines Junkers im Gerichte (d. h.
beim Schulzen) zu Seedorf nieder. Sie lagen dort sechs
Jahre. Nachmals vereinigt sich der Bauer mit den Brüdern
seiner Frau, denen die 20 fl. nicht genügen, ihnen das Gut
für 60 Mark zu verkaufen, sie beanspruchen daneben aber
noch die 20 fl. und erhalten sie vom Schultheis in Seedorf
ohne Zustimmung des Hinterlegers. Da ihn sein Junker
Quitzow nicht genügend vertheidigt, begiebt sich der Bauer
in das Dorf Warnstedt (bei Quedlinburg) unter Christoph
von Bülow und kauft sich hier an. Auf des Bauern Anfrage
erklären die Brandenburger den Schulzen für verpflichtet,
die bei ihm hinterlegt gewesenen 20 fl. zu erstatten, wenn
er sie hinter deren Wissen und Willen herausgegeben habe. l)
Zur Erledigung seiner Geschäfte als Gerichtsherr bedient
sich bald nach der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts der
') Einen ähnlichen Fall des Jahres 1600, in dem Kossathen wegen un-
rechtmässiger Beschwerung mit Diensten „ihres Junkern Dienst und Ge-
bieden" lossagen und (ihre Güter) zu verkaufen erklären, s. ÜB a 305.
432 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brand enburg-Preussea.
Junker eines Vertreters. Im Jahre 1554 (5 359) bereits
lassen die von Lüderitz zu Lüderitz einen Rechtsstreit zweier
dem Gericht zu Lüderitz unterworfenen Bauern „vor Schiü
und Gerichtsverwalter im Dorfe Nakelu (bei Wusterhausen*
ohne Schoppen verhandeln; auf die erste und zweite vor
Schulz und Gerichtsverwalter (mündlich) eingebrachte Kla^e
wird schriftliche Einbringung verabschiedet; der Streit ist
dadurch veranlasst, dass der Beklagte des Klägers Sohn ge-
tötet haben soll; da der Beklagte nicht antwortet, schick:
der Schulz „mit Wissen und Willen der Junker" die Klage
nach Brandenburg; hier ergeht der Spruch, dass der Beklagte
nochmals zur Antwort zu laden sei. Jochim v. d. Schulenburg
zu Lockwitz (bei Krossen) hat 1556 (5 466) einen Beamten
zur Seite, der Namens seines Herrn Anfragen nach Branden-
burg abfasst und unterzeichnet, auch die freiwillig gemachte
Aussage eines vom Junker wegen Untreue gefangen gesetztes
Vogtes protokollirt; 1572 wird dieser Beamte als „Haupt-
mann" bezeichnet. Die Gänse zu Putlitz haben 1557 (^Sl9
einen „Richter" zu Putlitz (einem den Gänsen gehörigen
Städtchen), vor dem — ohne Zuziehung von Schoppen — *Ge-
richtshändel von beiden Theilen eingebracht und zu recht-
licher Erkenntniss gestellt werden"; er sendet, „da er der
Rechten nicht genugsam erfahren", die Akten nach Branden-
burg.1) Der „Schreiber der von Jagow" führt 1559 (7 4°°;
s. oben S. 192) einen Prozess in Seehausen. Der „ Befehlshaber*
der Junker von Alvensleben zu Erxleben (bei Neuhaldenslebem,
denen die Gerichte zu Erxleben sämmtlich (d. h. gesammter
Hand) zukommen", erbittet 1560 (8 28) Rechtsbelehrung ia
einer Todschlagssache. Zwei Unterthanen des Amtes Fhw
(Städtchen bei Brandenburg) verhandeln 1560 (8 33) zunächst
gütlich vor ihrem Junker Matthias von Saldern, dann w
seinen Befehl schriftlich vor „Richter und Schoppen dieses
Städtchens"; die Verhandlung sendet dann der „Befehlshaber
des Hauses Plauen" nach Brandenburg. Auch von Boitzen-
burg fragt 1565 (9 455) der „Befehlshaber" oder, wie er
!) 1615 (64 169. ÜB. 2 382) wird ihr Richter zu Wittenberge bezeichne
als „herrlicher Putlitzscher verordneter Richter", ebenso um 1607 U"-
179. 403) und 1608 (ÜB. 2 436).
§ 3i. Junker. 433
1566 (10 337) heisst, der „Hauptmann" in Brandenburg an.
Auf dem Hause Tuetz (bei Deutsch- Krone) haben die von
Wedel 1567 (11451) einen Notar zum „Amtsschreiber*4, auf
Schönhausen 1567 die v. Bismarck (ÜB. 3 1 1. 89; s. oben S. 192)
und die von Putlitz (11 431) einen „Schreiber14. Die von Wedel
zu Neuen- Wedell (bei Landsberg) verordnen 1561 (8 377) den
Pfarrer daselbst und einen Bürger als Kommissarien für ein
Zeugenverhör m dnem Zivilprozesse. Abraham v. Bredow auf
Friesack hat von 1.567 (11 415) drei Jahre lang „einen Schreiber44
bei sich gehabt. m Die Witwe von Mandesloe, die 1561 (8
453) von ihrem Holzvogt bei der Holzfuhr beschädigt zu sein
glaubt, lässt Zeugen vor Notar und zweien ihrer Leute ver-
nehmen. Der Junker Helmolt Rhor zu Meyenburg (bei Neu-
ruppin) versucht 1562 (9 284), streitende Bauern zunächst güt-
lich zu vertragen, dann „weist er sie zu Recht44; demzufolge
„bringt jeder Theil drei Sätze ein und legt sie in das Rhorer
Gericht nieder44, das Gericht tritt aber in keinerlei Thätig-
keit ; der Richter scheint nur die Schriften entgegengenommen
zu haben, der Junker übersendet sie nach Brandenburg zum
Urtheil. Einige Jahrzehnte später (161 1 : 60 7) ist das „Ge-
richt44 zu Meyenburg gänzlich verschwunden: Die Erbsessen
v. Rhor daselbst setzen 161 1 auf brandenburgische Belehrung
persönlich dem Beklagten eine peremtorische Rechtsfrist „zu
vollführen, dass er die Injurie von J.G. gehört44. Da der
Beklagte siebzehn Wochen nichts gethan hat, bittet der
Kläger, den Gegner zu weiterem Beweis nicht zuzulassen und
die Akten zu verschicken. Demgemäss erfolgt die Versen-
dung. Die Brandenburger sprechen (als läge ein ordnungs-
mässiges gerichtliches Verfahren vor), dass dem Beklagten
nach Zulassung der Rechte die zweite, und wenn er auch
dann noch nichts beweisen würde, die dritte Frist bei Strafe
des Ungehorsams angesetzt werde; wann solches geschehen,
ergehe ' alsdann der Strafe halber weiter, was Recht sei.
Die ersten nachweisbar akademisch gebildeten Richter
adliger Gerichtsherren sind 1574 Mag. Paulus Wagner, Ge-
richtsverwalter derer von Alvensleben zu Kalbe (15 416), der
zugleich als Notar bezeichnet wird, und Joachimus Listen,
„aller v. d. Schulenburg zu Beetzendorf und Apenburg ver-
Stölzel, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 28
434: 5« Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preussen.
ordneter Richter, Bürger zu Salzwedel44 (15 I49);1) er wurde
als Joachimus Listhenius aus Wittstock 1572 in Frankfurt
immatrikulirt. 2) Die Witwe des Wulf von Kloster zu Buckow
hat 1599 (45 192) den aus Rheinsberg gebürtigen, 1593 in
Frankfurt immatrikulirten Joh. Cillichius als „Schreiber41.
Dem v. d. Schulenburgschen „Richter44 Listen folgt 1590 (32
418) der „Amtmann44 Ulrich Kreien, 1605 (51 350) als „der
von sämmtlichen v. d. Schulenburg verordnete Richter" der
Rathsverwandte Conr. Stille zu Salzwedel, ferner 162 1 (69
216) der „ehrenfeste wohlgelehrte44 Christoph Asseburg aus
der Familie des Bürgermeisters und seines Bruders, des
Magister Diaconus Asseburg in Tangermünde. Der Amts-
Schreiber zu Ziesar Ludovicus Saxo ist 1634 (75 585) Gerichts-
verwalter zu Ketzin (bei Potsdam) und wird später Schöppen-
schreiber, dann Schöppe der Altstadt Brandenburg.4)
Die Kosten für die Anstellung solcher Richter oder Ge-
richtsverwalter Hessen sich von einer Familie, deren Grund-
besitz mehrere Gerichte umfasste, leichter aufbringen, wenn
die Familie für mehrere Gerichte einen gemeinsamen Ver-
walter oder Richter einsetzte, statt für jedes Gericht einen
besonderen. So entstand der von „sämmtlichen v. d. Schulen-
burg verordnete Richter44. Auch die v. Alvensleben zu Kalbe
besassen einen „Gesammtrichter44;5) dieser war (1609: 57 532;
161 3 62 269) Theodorus Hupäus. Die v. Arnimschen Gesammt-
gerichte zu Theessen (bei Jerichow) haben (1697: 79 752)
Daniel Plank zum gemeinsamen „Justitiar44. Auch zwei ver-
schiedene Familien vereinen sich zu einem Gesammtgericht;
so besteht ein „hochadliges Wulffisches und Plotosches Ge-
sammtgericht zu Steglitz44 bei Berlin (1701: 80 23), ein Ge-
!) Auch 1586 (27 75) genannt.
1 a) Auch der oben Seite 430 genannte Arnoldus Baumann könnte 1565
Richter gewesen sein.
3) Dietrichs und Parrisius, Bilder aus der Mark Brandenburg 1, 86. 96.
4) Siehe oben S. 114.
() Den Gegensatz der Sammtgerichte bilden die Theilgerichte: Das
Gericht der v. Bredow im Städtchen Friesack steht 1583 (34 165) einem
v. Bredow zu V6, dem andern zu */e zu« Sieben Besitzer des Guts Sachsen-
dorf bei Osterburg sind 1588 (ao 391) die „Herrschaft des Dorfs S.41 Das
Dorf Quilitz bei Lebus hat 1548 (3 594) fünf Erbherren.
§ 3i- Junker. 435
sammtgericht zu Groben und Wendlobbese bei Ziesar (1752:
99 395)- Der Stadt- und Landrichter zu Wettin bei Halle ist
1742 (93 298) „zum Kgl. Preuss. und hochadligen Winckel-
schen Gesammtgerichten verordneter Gesammtrichter*1, ein
Kriegs- und Domänenrath zu Stendal wird 1736, 1739 und
1743 (ÜB. 3 209. 212. 2i 8) als „Verwalter der hochadligen
v. Bismarckischen Gesammtgerichte des Amts Schönhausen"
erwähnt, und der Kammergerichtsadvokat, auch brandenbur-
gische Schöppenstuhlsassessor Steinfeld verwaltet 1752 (99
370) die v. Schlaberndorff- und v. Britzkenschen Gesammt-
gerichte in Bensdorf.1)
Irrig wäre es, anzunehmen, mit dem Eintritt rechtsgelehrter
gutsherrlicher Richter habe die Aktenversendung oder die
eigene Mitwirkung der Gutsherren bei der Rechtsprechung
aufgehört. Mag. Wagner2) weiss den Streit zweier v. Alvens-
lebenscher Unterthanen des Dorfs Grossengers über die
dortige Kruggerechtigkeit 1574 (15 416) nicht besser zu er-
ledigen, als dass er die Aeltesten des Dorfs summarisch ver-
nimmt und ihre Aussagen nach Brandenburg mit Bitte um
Belehrung schickt. Der Erbsess selbst (Joachim Sehle zu
Jüterbog und auf Grabendorf) bescheidet seinen Schulzen,
der als Zeuge benannt ist, 1583 (23 230) vor sich und belegt
ihn mit dem gewöhnlichen Zeugeneid, stellt auch über den
Vorgang eine Urkunde aus. Die Gerichtsjunker zu Kurtow
(bei Arnswalde) befehlen 1592 (35 639) Schulz und Schoppen
zu Kurtow, dass sie Zeugen durch den verordneten Notar
vernehmen lassen. Der Erbsess von Saldern auf Plattenburg
erkennt 161 4 (64 692. ÜB. 2517) in einer Wilsnacker Sache,
„auf vorgehende Belehrung der Juristenfakultät zu Rostock46,
dass der Beklagte von der Klage zu absolviren sei. Das Dom-
kapitel zu Brandenburg als Gerichtsherr zu Tremmen (bei
Nauen) erkennt 1622 (70 343) in einem Darlehnsprozess auf Be-
weis, deputirt Examinatores der Zeugen und fragt dann beim
Schöppenstuhl in Brandenburg an, ob der Beweis geführt
sei.3) Bruder und Schwesterkinder eines in Kotzen kinderlos
. *) Siehe oben S. 173.
*) Siehe oben S. 433.
*) Vergl. auch 71 88 (1623).
28*
436 5* Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preusser.
verstorbenen Bauern werden 1622 vom ErbsessHans v. Stecbow
zu einem Tag geladen, um das Erbe zu schichten; es wird
ein Vertrag produzirt; die Schwesterkinder verlangen, dass
der Junker den Vertrag, der ohne ihren Konsens geschlossen,
kassire; da er das nicht thut, befragen sie die Brandenburger.
Mit dieser Zeit, also innerhalb des dreissigjährigeji
Krieges, hört die Sitte auf, dass sich der Gerichtsherr „Erb-
sess" nennt, er unterzeichnet bloss mit dem Namen, oder fugt
den Titel bei, den ihm seine staatliche Stellung etwa als
Landrath oder als Soldat giebt.1) Von dem „gebietenden
Junker", an dem sich „als an seiner Obrigkeit" ein Unter-
than vergriffen hat, redet 1636 (76 330) der Berliner Haus-
vogt, und der (nicht unterzeichnete) Schreiber einer Missive
von 1657 (79 124) redet davon, dass die Anfrage von dein
„Gerichtsjunker zu Uetz" (bei Potsdam) gestellt werde.
Für den Gerichtsverwalter oder Richter taucht dann all-
mählich der „Justitiar" auf. Mit den Interessenten am Hause
Falkenberg (bei Freienwalde) bittet 167 1 (79 433) der
Bürgermeister zu Seehausen, „bestallter Justitiarius zu
Falkenberg" in einer Injuriensache die Brandenburger um
Belehrung. Der „justiciarius p. t. im Amte Derneburg** (bei
Halberstadt) sendet 1697 (79 728) nicht weniger als fünfzig
Aktenstücke nach Brandenburg mit der Bitte, „im Namen
des Hof- und Landraths v. Feldheimb als Hauptmanns der
Herrschaft Derneburg Urtheil abzufassen". In gleicher Weise
fungirt 1702 (80 1 14) der Bürgermeister v.d. Linde zu Nauen als
Justitiar des Joh. Tentzer, Erb- und Gerichtsherrn zu Lietzow,
und des von Hake zu Berge. Der Vertreter des hochadligen
Trotischen Amts Hecklingen (bei Bernburg) fragt 1729
(85 248) in einer Leuterationssache an. Ein „Regierungs-
fiskal" zu Halle übersendet 1734 (87 626) Akten des adligen
Brenkenhofischen Gerichts Zoberitz bei Halle. Als „Justitiar*
des königl. Amts Grüningen (bei Halberstadt?) erbittet 1735
(88 50) ein Halberstädter Advokat ein Urtheil Namens des
') Zwei Vettern v. Bredow unterzeichnen sich 1621 (61 304) mit dem
Zusatz „Landrath resp. Rittmeister"; 1635 (76 87) nennt sich aber noch
J. v. Blumenthal „auf Horst Erbsess14.
§ 3i. Junker. 437
Amtes. Akten des Markgräflich Brandenburgischen Probstei-
amtes Dardesheim bei Halberstadt übersendet 1739 (90 248)
der „Justitiar".
Es kommt nunmehr auch vor, dass Graduirte das Richter-
amt oder Justitiariat bei adligen Gerichtsherren übernehmen :
1744 (96 126) ist ein Licenciat „hochadlig Bulauischer Amt-
mann des Amtes Helmsdorf u (bei Merseburg) und 1746 (97
2 1 2) ist ein Doktor „Justitiar des Dorfs Friedeburg". Gleich-
zeitig findet sich (1743: 94 765) ein Geheimer Regierungs-
rath1) als „Richter zu Kastropu (bei Arnsberg).
Zu damaliger Zeit galt ein solcher Justitiar oder Richter,
der seine Urtheile an Stelle des Gerichtsherrn fallt, noch so
sehr als dessen blosser Vertreter, dass z. B. ein vom Justitiar
wegen der Dienstpflicht eines Unterthanen 1738 (100381)
gesprochenes Erkenntniss von den Brandenburgern ein Er-
kenntniss des Gerichtsherrn „in propria causau genannt
wird, weil der Gerichtsherr der judex Ordinarius seiu. Aus
dem gleichen Grunde erhält der in Brandenburg sesshafte
Justitiar, der nach dem Dorfe Groben (bei Ziesar) in einer
dortigen Untersuchungssache reist, keine Reisekosten ; denn :
„judex semper esse debet in loco, und dies ist der Edelmann
als jurisdictionarius, nicht der Gerichtsverwalter".
Diese Auffassung der Rechtsbelehrungsinstanz trug
wesentlich mit dazu bei, einen der Hauptübelstände ztf
mildern, den die gutsherrliche Gerichtsbarkeit mit sich
brachte. Sah der Schöppenstuhl im Streite des Gutsherrn
mit seinen Unterthanen ein Urtheil des Justitiars bei der ab-
hängigen Stellung des letzteren immer als ein Urtheil des
Gutsherrn in eigener Sache an, so hatte dies Urtheil für
den Schöppenstuhl nicht nur keinen Werth, sondern es
drängte den Schöppenstuhl dazu hin, eher die Partei des
Gutsunterthanen als die des Gutsherrn zu nehmen. Deshalb
sind zahlreichere Brandenburger Sprüche zu finden, die den
Unterthanen, als Sprüche, die den Gutsherren günstig sind.
Ein Beispiel von dem unliebsamen Widerstreit, in welchem
die Ausübung des gutsherrlichen Richteramtes mit den
l) Adolf Grolmann.
438 5- Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preus^ci
obrigkeitlichen Rechten des Gutsherrn tritt, liefert ein vcf
den Schöppenstuhl gelangter Fall des Jahres 1573 (15 141
Die v. d. Schulenburg lassen vor ihrem Gerichte zu Ramia
(bei Stettin) einen Prozess geschiedener Eheleute wegen
ihrer Vermögensauseinandersetzung verhandeln und verab-
schieden ihn dann selbst dahin, dass der Frau ihr Einge-
brachtes herauszugeben sei, verbieten aber gleichzeitig dem
Ehemanne diese Herausgabe, weil der Abschied „ihnen nich*
präjudizireu und die Ehefrau sich heimlich aus den Gerichten
(d. h. aus dem v. d. Schulenburg'schen Gebiete) entfern:
habe, wodurch ihr Gut den Gerichtsherren heimgefallen sei;
die Brandenburger sprechen jedoch aus, dass die Junker sici
des Guts der Frau nicht anmassen dürfen.
Ein Beispiel, dass der Junker in Geldstrafe genommen
und zu Schadensersatz verurtheilt wird, wenn er einen Bauers-
knecht ohne genügsame Ursache gefangen setzen und aus-
peitschen lässt und der Knecht darüber beim Kurfürsten Be-
schwerde führt, liegt aus dem Jahre 1608 (ÜB. 2429) vor.'
Viel Kämpfe zwischen Gutsherren und Unterthanen ver-
anlasste das Recht auf den Abschoss, d. h. auf eine - durch
allgemeine Normen nicht festgestellte — Abgabe von dem
Vermögen, das aus dem Gutsbezirke hinausgeführt wurde
(ÜB. 4 1 ff.). Wie es bei der Geltendmachung dieses Rechtes
herging, lässt sich aus einer Aeusserung entnehmen, die Zientx
gelegentlich eines Prozesses über die Höhe des Abschosses
1620 (37 351) mit den Worten in die Akten niederlegt: „B
wäre gut, dass man eine Gewissheit im ganzen Lande hätte;
. . . die Edelleute machens, wie sie selber nur wollen, nehmen
bisweilen quartam, bisweilen tertiam partem des ganzen
Vermögens hinweg". Einem Bestreben, die erlaubten Grenzen
gewaltsamen Vorgehens der Gutsherren zu eignem B&ten
zu überschreiten, treten die Brandenburger in zwei weiteren
Fällen entgegen. Der Gutsherr Georg von Lossow in ^eßR'
hausen (bei Rathenow) befiehlt einem Unterthan in Bamme,
weil er ein Jahr keine Dienste geleistet habe, „das ku
zu räumen und sein Bleiben an anderen Orten zu suchen »
J) Es betrifft Melchior von Pfuel zu Garzin.
§ 3i. Junker. 439
da der Bauer gleichwohl sich nicht entfernt und dadurch
den Junker hindert, einen Anderen als Käufer auf das Gut
anzunehmen, „lässt der Junker durch Richter und Schoppen
des Dorfs dem Bauer das Hausgeräthlein herausnehmen u,
der Bauer erbricht aber die Hausthür und bleibt mit dem
wieder eingebrachten Hausrath im Gute; der Junker sucht
sein Recht in Brandenburg und wird belehrt, dass der Bauer
nicht ohne Weiteres des Gutes zu entsetzen, sondern artikel-
weis zu vernehmen sei, ehe ein Spruch erfolgen könne.
Ferner: Die Witwe v. Grävenitz zum Schilde (bei Perle-
berg), der von einer ihrer Mägde eine üble Nachrede ge-
macht wird, belangt (1622: 70 488) die Magd vor den Mit-
junkern von Grävenitz; die Magd vertheidigt sich damit, ihre
Nachrede beruhe auf Wahrheit; die Witwe wendet sich nun-
mehr nach Brandenburg ; hier hält es Zieritz „für bedenklich,
auf solchen Bericht in causa propria zu der (vom erstvoti-
renden Schoppen zugelassenen) Folter der Diffamantin zu
schreiten14, auch die anderen Schoppen verlangen erst ein
förmliches Verhör der Magd.
Mehr neigen sich die Brandenburger in einem Falle
des Jahres 1652 (78 473) auf des Junkers Seite. Jakob v.
Saldern kauft einige Jahre vor 1652 von den Kindern seines
Amtsschreibers in seinem Städtchen Wilsnack einen Garten
und zahlt dafür 20 Thlr., der Kaufbrief hat wegen Ab-
wesenheit einzelner Erben nicht gefertigt werden können.
Im Jahre 1652 umzäunt v. Saldern den Garten; die Bürger,
die ihm das Recht bestreiten, sich in Wilsnack anzukaufen,
rotten sich zusammen und hauen den Zaun um. Als „natür-
liche Obrigkeit und territorii dominus" fragt von Saldern in
Brandenburg, ob seine unmittelbaren Unterthanen ihm den
Kauf wehren dürften, und wie die Rebellion zu strafen sei.
Obwohl der Schöppe Junius meint, dass dem v. Saldern,
weil es propria causa, anstehe, ad evitandam omnem suspi-
cionem die Wilsnacker vor dem Hauptmann der Altmark
zu belangen, ergeht der Spruch, die Wilsnacker könnten
nicht wehren, dass v. Saldern bürgerliche Güter — unter
Tragung der bürgerlichen onera — an sich bringe, sofern
nicht besondere Privilegien oder Verträge beständen, auch
440 5* Buch. Erster Abschnitt. Konsulenten aus Brandenburg-Preus^
sei er befugt, mit Zuziehung eines legalis notarii die Thite:
zu inquiriren, sie zur litiscontestatio anzuhalten und Zeugen eid
lieh zu verhören; wenn solches geschehen, ergehe der Strafe
halber weiter, was Rechtens.
§32.
Universitäten.
Auch Universitäten als Inhaber der ihnen über die An-
gehörigen der Universität zustehenden akademischen Ge-
richtsbarkeit wenden sich nach Brandenburg um Rechtste
lehrung. Von Frankfurt aus geschieht das in zehn Strat
Sachen, und zwar während der Jahre 1574 bis 1626, also auch
noch zu der Zeit, als die dortige Fakultät bereits für be-
rechtigt erklärt ist, in Strafsachen ihrerseits Belehrung m
ertheilen. Das akademische Gericht zu Halle wendet sich
vierzehnmal (zwischen 1726 und 1746, also gerade in der Zeit
in welcher Oelschläger, Schüler des Thomasius, im Branden-
burger Schöppenstuhl sass) nach Brandenburg ; bald handelte
es sich dabei um einen des Ehebruchs bezichtigten Studiosen
gegen den die Mehrheit der Brandenburger die Spezialunter-
suchung mangels ausreichenden Verdachtes ablehnt, während
Oelschläger auf sie erkennen will, da die Zeugenaussagen
„zur Tortur genügten" (1727: 84513), bald handelt es sich
(1727: 58577; 1744: 96 18) um eine Entleibungssache oder
(1733: 87 137) um eine Verwundung unter Studiosen, bald
(1732: 86490; 1744: 96 1; 95643; 1745: 96 270 und 510:
1746: 97 684; 97 751) um Schuldsachen. Das officium aca-
demicum erkennt in erster, das concilium academicum
(Prorektor, Direktor, Kancellarius und sämmtliche Professoresl
auf schriftliche Appellationsverhandlung in zweiter Instanz,
nachdem in Brandenburg mit Konsens der Parteien das Cr-
theil geholt ist.
Dass in dieser Weise der Brandenburger SchöppenstuM
sogar aus Universitätskreisen angegangen wurde, spricht für
das Ansehen, dessen er sich während seiner zweiten Blütne-
zeit als gelehrtes Kollegium erfreute.
§ 33* Konsulenten aus deutschen Landen. 441
Zweiter Abschnitt.
Auswärtige Konsulenten.
§ 33.
Konsulenten aus deutschen Landen.
Aus Landen des Deutschen Reichs, die nicht zur Mark
Brandenburg und zum Königreich Preussen gehörten, ist
gleichfalls der Brandenburger Schöppenstuhl um Belehrung
angegangen worden. Es gelangten an ihn Anfragen i. aus
Gebieten, die erst nacfy der Zeit, aus welcher die Anfrage
stammt, mit Brandenburg-Preussen vereinigt sind, 2. aus Ge-
bieten, die nicht bloss zur Zeit der Anfrage, sondern noch
heute unter anderer als preussischer Staatshoheit stehen.
Aus beider Art Landestheilen liegen abgesehen von den
nächst benachbarten (Pommern, Mecklenburg, Anhalt) nur
vereinzelte Anfragen vor, woraus der weitere Beweis zu
entnehmen ist, dass der Brandenburger Schöppenstuhl der
Hauptsache nach nur dem brandenburgisch-preussischen Inter-
esse diente.
Die meisten der hierhingehörigen Sachen sind Straf-
sachen; sie reichen nicht in die früheste Zeit unserer Akten
zurück, beginnen vielmehr erst innerhalb der zweiten Hälfte
des sechzehnten Jahrhunderts, d. h. mit der Blüthezeit des
Schöppenstuhls.
Von Anfragen, die aus der er st bezeichneten Kategorie
von Landestheilen stammen, sind zu nennen solche aus den
pommerschen Herzogtümern, aus dem Fürstenthum Magde-
burg, dem Stift Hildesheim, der Grafschaft Mansfeld, dem
Stift Herford, dem Herzogthum Lauenburg und dem Fürsten-
thum Sagan.
Der zweit bezeichneten Kategorie gehören Anfragen
aus Anhalt, Mecklenburg, Braunschweig, Sachsen, ferner aus
Hamburg und Lübeck an.
Zu i.
Aus Pommern liegt 1583 (ÜB. 4 154) eine Anfrage von
Bürgern der Stadt Greifswald in einer Injuriensache, 1583
(23 199) eine solche von Bürgermeister und Rath derselben
442 5- Buch. Zweiter Abschnitt. Auswärtige Konsulenten.
Stadt in einer Diebstahlssache vor. Aus Beigard fragen
1581 (22 166) Bürgermeister und Rath in einem bürgerlichen
Rechtsstreit an, aus Stralsund 1581 (21582) und 1584 (25
43), ebenso aus Bergen auf Rügen 1586 (27 26), aus Barth
(bei [Stralsund) 161 3 (62 240) Bürgermeister und Rath in
Strafsachen, 1587 (28362) Richter und Assessoren des unte-
ren Gerichts der freien Stadt Rügenwalde in einer Straf-
sache, 16 12 (60 17) „Richter und Schoppen beider Wieken
und Lastadien" 1) vor Alten-Stettin in einer Injuriensache,
1615 (64843) Stadtvogt und Assessores des Niedergerichts
zu Garz in einer Zaubereisache, 1619 (67 253) und 1648
(78 18) ,,Richter und Schoppen von Alten-Stettin4*, 1620
(67 602) „Fürstlicher Rechtvogt, Bürgermeister und Rath zu
Gollnow" in einer Injuriensache, 1645 un<^ £^47 ("77 4^3)
Bürgermeister und Rath der Stadt Woll in in einem Prozesse
über Ablegung einer Vormundschaftsrechnung.
Pommernherzöge fragen in Brandenburg aus Wolgast
an: 1554 (5 366), 1566 (10553), 1583 (22623) und 1588 (30
256), und zwar in Strafsachen. Dem tritt hinzu die oben
(S. 355) näher besprochene Anfrage des Herzogs Johann
Friedrich aus Neuen-Stettin vom Jahre 1592 in der Dobber-
sitzschen Zaubereisache, eine Anfrage der Herzogin -Witwe
Hedwig Sophie zu Stettin in einer andern Zaubereisache, die
161 1 (59 155) in ihrer Leibgedingsstadt, dem Gericht zu
Loytz, spielt, und je eine Anfrage des Herzogs Bogislaw aus
Alten-Stettin, die in die Jahre 1623 (71 3) und 1633 (75 173)
fallen; auch sie betreffen sämmtlich Strafsachen. Im Jahre
1621 (68 415) holt sich die Herzogin Erthmuth zu Stettin,
geborene Markgräfin zu Brandenburg, Frau der Lande Lauen-
burg und Bütow, Belehrung in einer Strafsache, 1647 (77 533)
die Herzogin von Croy, Fürstin von Pommern, in einer Civil-
sache. Ein Beispiel, dass auch pommerscher niederer Adel
sich nach Brandenburg wendet, bietet 1595 (41 275) Joachim
v. d. Schulenburg auf Löcknitz (bei Stettin); er holt in
einer Strafsache zuvörders der Nähe halben Belehrung bei
den Schoppen zu Alten-Stettin; diese erklären in casu
1) Aeltester Theil der Stadt, der mit Lubischem Recht bewidmet war,
während die neueren Theile Stettins Magdeburgisches Recht hatten.
§ 33- Konsulenten aus deutschen Landen. 443
„nur die Beinschrauben" behufs des Beschuldigten Tortur für
zulässig ^nachdem der Anfragende hiernach verfahren, obwohl
der Spruch ihm befremdlich erscheint, fragt er weiter in
Brandenburg an unter Berufung auf Karls V. Konstitution
und einige Pandektenstellen; die Brandenburger erkennen
auf den Tod durch den Strang.1)
Als diejjSchweden Vorpommern in den Jahren 1647 und
1648 verwalteten, ehe es ihnen der westphälische Frieden
zusprach, fragten „verordnete schwedische Hofgerichtsver-
walter und Räthe zu Stettin" (d. h. das Stettiner Hofgericht)
wiederholt (77 443 ; 78 44) in Brandenburg an, und die Bran-
denburger stellten damals, wie auch demnächst (1652: 78 486)
ihr Urtheil auf den Namen der „von Ihrer Königlichen Ma-
jestät zu Schweden, unserer gnädigsten Königin4* (der Witwe
Gustav Adolfs) „allhier verordneten Hofgerichtsverwalter und
Räthe".
Das Fürstenthum Magdeburg liefert aus der Stadt
Arendsee von 1548 bis 1664 viele Strafsachen nach Bran-
denburg, ebenso aus der Stadt Sand au von 1547 bis 1649.
Der „Amtsvogt zu Gibichensteinu (bei Halle) lässt sich
1558 (7^9) in Brandenburg belehren, ob er in einer Straf-
sache zur peinlichen Frage schreiten darf; die „fürstlich
Magdeburgischen Räthe zu Halle14 2) wollen 1579 (21 305) und
1581 (22 41) wissen, wie sie in zwei Strafsachen zu verfahren
haben, ^ebenso 1585 in einer Strafsache wegen Injurien
(ÜB. 4154); der „Schultheis zu Halle „übersendet 1583
(24 547; vgl. ÜB. 231) die Satzschriften in der peinlichen
Anklagesache gegen den fürstlich Magdeburgischen Kanzler
Dr. Trautenbuhl, und „Rathmanne, Meister der Innung und
Gemeinheit der Stadt Halle44 wollen 1583 (23 119) wissen,
wie in Anlass von Drohbriefen vorzugehen sei, die auf dem
Haller Markte an ein Thor und an die Kirchthür mit grünem
Wachse geklebt sind. Weitere Strafsachen finden sich aus
den fürstlich Magdeburgischen Städten Barby (1576 bis
1587), Arneburg (1588. 1630. 1656), Aken (1597: 20366),
!) Vgl. ferner ÜB. 4 147; 2 30.
9) Die Missive geht Namens der Räthe von David Rischer aus, der
sie an seinen „Schwager" Simon Karptzauen (Karpzow) adressirt.
444 5' Buch. Zweiter Abschnitt. Auswärtige Konsulenten.
Aschersleben (1638: 76 550), auch aus dem Amte Angern
(1615: 64 200. 321).
Aus Hildesheim holt eine „auctoritate caesarea" ein-
gesetzte dompropsteiliche Inquisitionskommission 1734(80 196)
den Urteilsspruch in einer Landfriedensbruchssache beim
Brandenburger Schöppenstuhl. „ Richter , Bürgermeister,
Scheffen und Rath zu Herford" (im Fürstenthum Pader-
born) senden in einer Civilsache 1745 (96323) die Akten
nach Brandenburg.
Aus Jüterbog (Herzogthum Sachsen) sind innerhalb der
Jahre 1556 bis 1600 26 Straf- und 4 Civilsachen nach Bran-
denburg gelangt, aus Görlitz 16 13 eine Civilsache, ebenso 1627
aus Königstein und 1 744 aus Zeitz. Herzog Franz zu Sachsen
fragt 1590 (33 207) in einer Strafsache und 1598 (44 331) in
vier Strafsachen von Lauenburg aus um Belehrung an.
„Bürgermeister und Rath beider Städte Quedlinburg
(Stifts Quedlinburg) in Verwaltung Krfstl. Sächsischen
Erbvogtei" oder „zur Kurf. Sächsischen Quedlinburgischen
Erbvogtei verordnete Syndikus, Stadtvogt und Assessores*%
sowie „Fürstlich Quedlinburgische verordnete Stiftskanzler und
Rätheu fragen 1688 (79 572. 575. 579) in mehreren Sachen an.
Aus Schlesien fragt Seifried t v. Promnitz, Freih. zur
Pless auf Sora und Hoyerswerda, R. Kais. Maj. Rath und des
Saganschen Fürstenthums Pfandesherr, 1566 (10 487) und 1583
(24 370. 397) je in einer Strafsache von Hoyerswerda an;
desgleichen 16 16 (65 336; vgl. ÜB. 1 382 ff.) in einer wichtigen
Erbschaftsangelegenheit, in der es sich darum handelt, wer
nach der 1561 von Balthasar, Bischof v. Breslau, Herrn zu
Pless, Sora und Triebell, der Saganschen Fürstenthümer
Pfandherrn, Oberst-Hauptmann in Ober- und Niederschlesien
aufgerichteten Successionsordnung Erbe aus dem Geschlechte
der Promnitz sei; darüber waren bereits „die Juristen-
fakultäten zu Leipzig, Marburg, Freiburg, Tübingen, Altorf,
Giessen u. a.u gehört; der Anfragende wollte aber „der
Herren (in Brandenburg) Judicium auch gern haben**.
„Richter und Zugeordnete des Stadtgerichts zum Saganu
bitten 1572 (13 271) in einer Münzfalschungssache um Be-
lehrung.
§ 33* Konsulenten aus deutschen Landen. 445
Zu 2.
Der Umstand, dass der Schöppenstuhl in Brandenburg
seinen Ursprung aus der Zeit herleitet, zu welcher das Haus
Anhalt über Brandenburg herrschte, mag erklären, dass
verhältnissmässig zahlreiche Anfragen aus Anhalt vorliegen,
und dass die Stellen, von denen sie ausgehen, allee den Stellen
entsprechen, von denen aus im Brandenburger Lande Be-
lehrung beim Schöppenstuhl erbeten wird. Neben Privat-
personen, die aus Dessau (1578: 20 297) oder aus Köthen
(1592:37390) in Erbschaftsstreitigkeiten Belehrung holen,
finden sich Anfragen aus den anhaltischen Städten Bernburg
(1727: 84552; 1739: 90 136; 1753: 99426), Zerbst (1 743: 94
813), Köthen (1791: 106 228; 1806: 106 277. 290). Ein anhalti-
sches Dorfgericht lernen wir 1577 (18 205) kennen, als der
„Schreiber" in Hundeluft, einem Dorfe im Kreise Zerbst, auf
Grund eines vor „Richter und Schepen zur Hundeluft und
Regosen" abgelegten Geständnisses in einer Diebstahlssache
um Belehrung bittet; der Schreiber ist hier der Beamte des
Guts- und Gerichtsherrn.1) Als landesherrlicher Beamter
tritt (1594: 38 520), analog wie im Brandenburgischen und
anderwärts, der Hauptmann auf, z. B. der „Hauptmann zu
Roslau und Koswig" (Kreis Zerbst); er lässt sich belehren,
ob in einer Zaubereisache die peinliche Frage zu erkennen
sei. Im Namen des Fürsten Christian zu Bernburg bitten
161 2 (60 272) Fürstl. Anhalt, verordnete Oberhauptmann
und Rät he um Rechtspruch und Urtheil in Sachen Rosen-
dorff gegen die Beamten zu Bernburg. Es handelt sich um
verkaufte Grundstücke, in deren Besitz der Kläger geschützt
wird. Der Amtmann zu Sandersleben (Kreis Bernburg) über-
sendet 1702 (80 118) die Akten in einer Injuriensache, ebenso
1728 (85 105) der Amtsrath zu Gernrode (bei Ballenstedt),
1531 (86 350) der „Amtmann" zu Bernburg, 1732 (86 473)
das „fürstlich Köthensche Amt Wulfen", 1733 (87 180) das
Amt Warmsdorff (bei Bernburg) und 1737 (89 264) das Amt
Ballenstedt. Ein Justitiar der von Kalitzschen Gerichte zu
Doberitz, Retha und Hagendorf ersucht von Zerbst aus 1787
(106 146) um ein Erkenntniss in einer Ehebruchssache.
') Siehe oben S. 433.
446 5- Buch. Zweiter Abschnitt. Auswärtige Konsulenten.
Auch die anhaltischen Konsistorien und Regierungen
ersuchen in Brandenburg um Abfassung ihrer Sprüche: 1701
(80 4), 17 10 (82 59), 1 716 (81 30) das Konsistorium in Köthen,
1732 (86529) das Konsistorium zu Bernburg, 1725 (83 601),
1727 (84 360. 372. 392) die „zur Landesregierung" (in Bern-
burg) „verordneten geheimbder Rath, Kanzleidirector und
Räthe".
Als hätte im Kreislauf der Geschichte das Ende der
Thätigkeit des Brandenburger Schöppenstuhls mit seinem
aus anhaltischer Zeit stammenden Ursprung in Beziehung ge-
bracht werden sollen, waren die letzten Sachen, die ihn über-
haupt beschäftigten, zwei anhaltiner Sachen. Nachdem der
Schöppenstuhl von 1799 bis 1806 völlig ohne Arbeit gewesen
war, gingen im letztgenannten Jahre noch zwei Sachen vom
Stadtgericht zu Köthen ein; der Schöppenstuhl that darin am
7. Oktober 1806 seinen vorletzten und am 10. März 1807 seinen
letzten Spruch (107 277 bis 340); es handelte sich um eine
weitläufige Liquidationssache, in der fünf Urtheile zu fallen
waren.1) Hierbei ereignete sich noch sonderbarer Weise, dass
diese Urtheile von nur zwei Mitgliedern gesprochea wurden,
da das dritte Mitglied nach Berlin übergezogen war;2) der
Schöppenstuhl schloss also in seiner Agonie seine Thätigkeit
mit einer Rechtsverletzung.
Nächst Anhalt und Pommern gravitirte yon nichtbranden-
burgischen Landen Mecklenburg am meisten nachJBranden-
burg hin. Das in Mecklenburg gelegene Neubrandenburg
war, wie oben (S. 257) gezeigt ist, Tochterstadt des märkischen
Brandenburg. Der Rechtszug von gescholtenen Neubranden-
burger Urtheilen ging darum nach Brandenburg. Nachdem
längst die Appellation an die Stelle der Urtheilsschelte ge-
treten war, nämlich im Jahre 1566 (ÜB. 1 361) — als]in einem
vor Richter und Schoppen zu Neubrandenburg verhandelten
Retraktsprozesse der verurtheilte Beklagte den Spruch des
Gerichts mittels der „Appellation" angefochten hatte, — wendet
sich das Neubrandenburger Gericht an die Schoppen beider
Städte Brandenburg, „auch ihr Gericht zu fällen und, was
!) Eines derselben s. ÜB. 2 778.
2) Siehe oben S. 176.
§ 33« Konsulenten aus deutschen Landen. 447
Recht ist, ergehen zu lassen'1. Die alte Gewohnheit war so
eingewurzelt, dass auch die „Appellation" des neuern Rechtes
als Urtheilsschelte nach Brandenburg statt an den Mecklen-
burger Landesherrn oder dessen Kanzlei befördert wurde.
Nach einem Zeugnisse von 1559 (7 419) hatte Neubranden-
burg damals in Erbfallen die altmärkischen Stadtgewohn-
heiten: 1. dass der überlebende Gatte mit dem vierten
Pfennig voraus begiftigt werden kann, die übrigen drei
Viertel des Nachlasses aber den Erben zufallen, und 2. dass
bei der Theilung zwischen Ehegatten und Erben die
Erben das Gut setzen und astimiren, der überlebende Gatte
aber wählt. War solchergestalt das im Norden von Mecklen-
burg-Strelitz gelegene Neubrandenburg mit dem Rechte des
märkischen Brandenburg bewidmet, so lässt sich annehmen,
dass eine Bewidmung mit Brandenburgischem Rechte auch bei
anderen Mecklenburgischen Städten erfolgte, die dem märki-
schen Brandenburg näher lagen als Neubrandenburg, z. B.
bei den dicht an der märkischen Grenze gelegenen Mecklen-
burgischen Städten Woldegk und Fürstenberg. Bürger-
meister, Richter und Rathmannen von Woldegk bezeugen
1577 (18 13), dass sie „über Alters des alten Brandenburgischen
Schöppen-Rechtens Belerung gebraucht", und Bürgermeister
und Rathmanne von Fürstenberg bemerken bei einer Anfrage
in Brandenburg 1554 (5 325) ausdrücklich, ihr Herr werde
der ertheilten Belehrung in Gnaden gedenken. Die Mecklen-
burgischen Landesherren setzten auch der Einholung von
Brandenburgischen Rechtsbelehrungen keinen Widerstand ent-
gegen, sondern beförderten sie, und kaum irgendwelche
Fürsten haben selbst so häufig sich nach Brandenburg ge-
wandt, als gerade die Mecklenburger. Neben Brandenburg
war für Mecklenburg die Fakultät zu Rostock rechtsbelehrende
Instanz; hier ist auch in einer Anzahl derjenigen Sachen an-
gefragt, welche im Folgenden als nach Brandenburg ge-
sandt aufgeführt werden.
Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg giebt 1557
{6 208) dem Rath der mecklenburgischen Stadt Neustadt
auf, in einem Ehescheidungsstreite den Handel in Schriften
verfassen zu lassen und ihn dann „gegen Alten-Brandenburg
448 5* Buch. Zweiter Abschnitt. Auswärtige Konsulenten.
oder Stendal, wie solches bisher gebräuchlich gewesen**, zu
schicken und dort Rechtsbelehrung einzuholen. Herzog Karl
v. Mecklenburg sucht 1565 (9 415) um Belehrnng in einer
Diffamationssache und 1574 (15 535) in einer Zaubereisache,
Herzog Albrecht und Herzog Ulrich 1572 (13 133) in einer
Kindsmordsache nach. Herzog Ulrich fragt 1589 (31 5) wegen
eines entsetzten Pfarrers an, der sein Kind ermordet haben
soll und vor Hauptmann, Stadtvogt und Gerichtsschreiber
zu Güstrow vernommen ist.
Die Kommissarien des Herzogs Ulrich zu Mecklenburg
in Schwerin, beauftragt, einen unverdächtigen Schöppenstuhl
zu befragen, übersenden 1577 (19 129) die Akten in einer
Strafsache; den Anlass bildet die Supplikation eines Schulze»
an den Hauptmann zu Schwerin um Einziehung und Tor-
quirung einer Zauberin. Die Supplikation wird dem Herzog
zugeschickt; dieser befiehlt Zeugenvernehmung; nach Be-
schickung des Protokolls befiehlt er erneute Vernehmung
und Einsendung der Akten „an die Fakultät in Rostock*;
gleichwohl bezeichnen sich die Kommissarien als „beauftragt,
einen unverdächtigen Schöppenstuhl zu befragen44, und
wenden sich nach Brandenburg.
Ferner fragen 1578 (19 362. 369) die Gebrüder Herzoge
Karl und Ulrich, auch 1579 (ÜB. 4 190. 191) und 1581 (22 349)
der letztere allein und 161 5 (64 257) Herzog Friedrich Adolf
in Strafsachen an. Herzog Friedrich begehrt 1632 (74 2^7»
Rechtsbelehrung, wie gegen einen Rostocker zu verfahren
sei, der als Kundschafter der Wallensteiner gedient habe,
und ebenso begehrt er 1633 (75 33) Rechtsbelehrung^ was
mit einem Rostocker zu geschehen habe, der sich „in unserm
exiliou zu den Feinden geschlagen, und „nachdem wir wiederum
unser Land und Leute guten Theils recuperirt und in unser
Residenzstadt Schwerin gewesen, bei unsern Feinden in unser
Stadt Wismar verblieben, auch sich mit . . . Plünderung
unseres Amts Mecklenburg hostiliter verhalten". l)
Die Herzoginwitwe Anna Sophie sendet 1579 (20 527),
1581 (2268 und ÜB. 4172) und 1587 (28 154) Strafsachen
nach Brandenburg als Gerichtsherrin ihres „Leibgedingsamtes
l) In beiden Fällen erkennen die Brandenburger auf die Folter.
§ 33- Konsulenten aus deutschen Landen. 449
Luptz" und ihrer „Leibgedingsstadt Rehnau ; die letzte dieser
Sachen ist oben (S. 416) bereits berührt; sie spielt in dem
Dorfe Kossebade: vor der ganzen Bauerschaft des Dorfes hat
ein Bauermädchen „berichtet14, sein Stiefvater habe vor drei
Jahren während der Pest einen Erbkesselhaken genommen,
ihn „an den vordem Fuss an den grossen Zehen gebunden und
nackend um sein Haus geschleppt", damit dasselbe vor der
Pest sicher sei; dies wird von dem Bauermädchen den Amt-
leuten in Luptz, wo die Bauerschaft Vater und Tochter in
Haft gebracht hat, mitgetheilt; die Herzogin, der die Amt-
leute Kenntniss davon gegeben haben, wünscht Belehrung.
Den gleichen Gang nimmt 1615 (64 87) eine von „der ganzen
Bauerschaft zu Trebbowu wegen Zauberei erhobene Anklage;
sie sendet der fürstlich mecklenburgische „Amtmann aufm
Hause Strelitzu, d. h. der im Schlosse zu Strelitz sesshafte
Beamte, nach Brandenburg.
Neben den mecklenburgischen Fürstlichkeiten und
Aemtern treten mecklenburgische Städte als der
Rechtsbelehrung bedürftig in Brandenburg auf, und zwar
Bürgermeister und Rath zu Sternberg in elf Strafsachen
aus der Zeit zwischen 1557 und 1602, Bürgermeister und
Rath zu Parchim 1573 (13 540) unter Vorlage eines herzog-
lichen Reskripts, das ihnen in einer Todtschlagssache be-
fiehlt, „dass sie das eingeschickte Gezeugniss an einen un-
verdächtigen Ort zu versprechen fertigen", ferner Bürger-
meister und Rath zu Rostock 1574 (16 160) in einer dort
zwischen zwei Engländern verhandelten Injuriensache, Bürger-
meister und Rath zu Wismar 1577 (18 607 bis 620) und 1591
(34 3325 vgl. ÜB. 4 191), ferner Bürgermeister und Rath zu
Friedland in elf Strafsachen aus der Zeit von 1579 bis
161 5 (vgl. ÜB. 429. 113), desgleichen „Rathsverwandte und
Gerichtsverwalter zu Wismar" 1581 (22 154) oder ein Guts-
herr zu Wismar (Wipert von Pless) 161 1 (59 113), ebenso
Bürgermeister und Rathmannen zu Waren 1563 (24 563),
Bürgermeister und Rathmannen zu Woldegk 15771) (18 13)
und 1579 (21 268), zu Wartenberg 1583 (23 16), desgleichen
*) Vgl. oben S. 447.
Stölzel, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 29
450 5- Buch. Zweiter Abschnitt. Auswärtige Konsulenten.
zu Strelitz 1583 (24 152), Bürgermeister, Richter und Rar
mannen zu Röbel 1587 (29 109), l) endlich Bürgermeister tr.-
Rath zu Alt-Stargard 1558 (7 19), 1560 (8 209), 1592 -*
80), 1602 (49 215), sowie Bürgermeister und Rath zu Rostod
1606 (53 454) und 1607 (54 352), sämmtlich in Strafsachen.
Als Beispiele von Anfragen mecklenburgischer geg-
lichen Korporationen können namhaft gemacht werden fr
Missive des „Domprobsts, Dechanten, Seniors und Kapitels r.
Ratzeburg" in einer Zaubereisache des Jahres 1603 iy
134)1 sowie die Missive der „Priorissa und ganzen Versamn:-
lung des adeligen Jungfrauenklosters Stepenitz" als Obri;
keit der den Geschwistern Messow zugefallenen Lehnmüi;
zu Kremmendorf aus dem Jahre 1635 (76 1), betreffend ci-
Theilung zwischen Lehn- und Alloderben.2)
Auch von Privaten wird aus Mecklenburg der Brander.
burger Schöppenstuhl angegangen.
Ein Bürger zu Wismar, dessen Frau angeblich Zauberei
hat erdulden müssen, bittet 1573 (13 316) unter Berufung atf f
Art. 169 der peinlichen Halsgerichtsordnung, nach welchem di-
Angeschuldigte am Leben zu strafen, und unter Vorlage einer
Reihe von Artikeln um Belehrung, auf „dass ferner Prozess
unnöthig". Ein Bürger aus Strelitz, dem während seiner
Abwesenheit in Livland sein Stiefvater alle seine Güter ver-
kauft hat, holt sich in Rostock, Greifswald und dann (röi;:
20 295) in Brandenburg Belehrung.
Aus dem Lande Braunschweig sendet der Rath zu
Helmstädt 1578 (20 194) und es senden „Richter und Bei-
sitzer des hochnoth- und peinlichen Halsgerichts vorm Kohl-
hofe zu Hertzberg" 1579 (21 307) Strafakten ein. Zwei
Kaufherren zu Braunschweig bitten 1612(60459) um Be-
lehrung, weil ihnen der Rath zu N. die Immission in ihres
Schuldners Güter, die andern Kreditoren zum Nachtheil ge-
reichen würde, abgeschlagen hat. Der Wolfenbüttler Kammer-
fiskal holt sich 1734 (87 616) über drei Rechtsfragen Beleh-
rung, die in einem Civilprozesse der Polichschen Erben gegen
den dänischen Staatsminister Reichsgrafen von Dehn aufge-
*) In einem früheren Stadium der Sache ist die Fakultät in Rostock befragt
a) Das Konsistorium von Rostock wird in ÜB. 4 178 erwähnt.
§ 33- Konsulenten aus dsutschen Landen. 451
taucht waren; der Prozess schwebt beim fürstlich lünebur-
gischen Hofgericht zu Wolfenbüttel. Auch „Vizerektor
und Professoren der braunschweigisch- lüneburgischen Aca-
demiae Juliae Carolinae" (also die Universität Helmstadt)
erbitten 1746 (97 846) eine Sentenz in Brandenburg; der Pro-
zess hatte Rückzahlung eines Kapitals und Quittungsleistung
zum Gegenstande.
Selbst aus Kursachsen finden sich Anfragen, die
nach Brandenburg gerichtet werden. Die „kurfürstlich ver-
ordneten Räthe zu Dresden" bitten 1557 (ÜB. 4 138), der
Amtschosser dortselbst bittet 1561 um Belehrung je in einer
Wilddiebstahlssache. Die Vormünder der jungen Brücken
zu Segrehn (in Sachsen?) bitten 1591 (35 190) um Beleh-
rung darüber, was in der Mark der in einem dem Hof-
richter zu Wittenberg Peter v. Sebin ertheilten Lehnbrief des
Herzogs Friedrich von Sachsen (d. d. Leipzig 1464) vor-
kommende Ausdruck „Fischerei der Sackweideu bedeute; die
Brandenburger weisen sie damit an Oerter, wo solche
„Fischerei der Sackweide" gebräuchlich. In einer Konkurs-
sache holt sich 16 10 (59 18) die Universität Wittenberg
Belehrung bei den Brandenburgern.
Von Hamburger Sachen, die nach Brandenburg ge-
langten, liegen fünf aus den Jahren 1599 bis 1601, eine aus
dem Jahre 161 3 vor. Die ersteren Sachen waren wichtige
Strafsachen, die vor Bürgermeister und Rath zu Hamburg,
dem dortigen Obergericht, schwebten; die untergeordnete
erste Instanz hatte das aus „Bürgern und Dingleuten" be-
stehende „Niedergericht" gebildet. Die „Gerichtsverwalter"
oder, wie sie auch genannt werden, „die Offiziere", nämlich
der Gerichtsschreiber, der Balbirer — als die gerichtliche
Medizinalperson — und der Brockvogt (d. h. Brüchevogt),
hatten durch eine beim Fiskal erhobene Klage die Unter-
suchung veranlasst (47 626). In den beiden ersten Sachen
aus dem Jahre 1599, die der Rath zu gleicher Zeit mit einem
Schreiben übersandte, handelte es sich um ein in Hamburg
verübtes Münzverbrechen und um einen dort verübten nächt-
lichen Ueberfall (45 450 bis 456), in der drittten, aus demselben
Jahre stammenden Sache (43 583 bis 588) um einen in Lissabon
29*
452 5- Buch. Zweiter Abschnitt. Auswärtige Konsulenten.
verübten Todtschlag. Hier stellt der Vater des Getödtetc.
die Anfrage in Brandenburg; das Niedergericht hat aufLr
desverweisung erkannt, wogegen der Verurtheilte an dasOh-r:
gericht appellirt hat. Der vierte Fall (47281; ÜB. 2324)'»
trifft einen Todtschlag, der im Jahre 1601 unter Hamburg-:
Kaufleuten auf Island geschehen ist; das Verfahren endet beb
Niedergericht damit, dass der Schuldige nach stattgehabte:
Versöhnung aus der Stadt verbannt werden soll; auf d
hiergegen eingelegte Berufung beschliesst das Obergericht, z
Brandenburg Belehrung zu suchen. In der fünften Kapitalsaö
(Todtschlag einer Hamburger Müllersfrau) hat ebenfalls ifr •
das Niedergericht „nach angehörter Klage und Antworr
auf den Tod mit dem Schwerte erkannt; hiergegen appellir
der Verurtheilte, und das Obergericht bittet (47 626) d*
Brandenburger, ihrem „hochbegabten Verstände nach r-
Urtheil schriftlich zu verfassen."
Der Prozess aus dem Jahre 161 3 (63 1) betrifft die Ar-
frage der in Hamburg ansässigen Intestaterben eines in fc
Altmark verstorbenen Schulzen, ob dessen vor einem Noo:
und sieben Zeugen errichtetes Testament gültig" sei; es har
delt sich hier also um einen innerhalb der Mark entstandenes,
nach märkischem Rechte zu entscheidenden Streitfall
Ebenso liegt die Sache bei einer 1752 (99 280) aus Lü-
beck eingegangenen Anfrage.
§34.
Konsulenten aus Polen.
Zu den der Mark Brandenburg benachbarten Landen.
aus denen Anfragen an den Schöppenstuhl gelangten, ge-
hörte auch Polen. Das Städtewesen war dorthin von Deut-
schen übertragen worden; die Polen kannten nur Adel un^
Dienstleute; der Bürgerstand war ihnen fremd; er bildete
sich zuerst um die von deutschen Kaufleuten zum Schule
ihres Handels in Polen gegründeten Burgen. Daher dieBe-
widmung polnischer Städte mit Magdeburger Recht bis dbA
Kiew hin. l) In verkleinertem Maassstab kam auch an den
]) Halban, Zur Gesch. des deutschen Rechts in Podolien, Wol&ynte
und der Ukraine 1896 S. 8, 17 ff.
§ 34- Konsulenten aus Polen. 453
brandenburgischen Grenzen die Bewidmung polnischer Städte
mit Brandenburger Recht vor. Dies ist bezeugt für das bei
Deutsch-Krone im heutigen Westpreussen gelegene Städtchen
Tütz, das im Eigenthum der Familie von Wedell stand und
in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts vom
königlich polnischen Zöllner Wenzel Magnoffski als Pfand-
herrn besessen wurde. Er fragte 1573 (14 432), weil „dieses
Städtlein mit den Brandenburgischen Rechten befreit und
privilegirt," an, wie „besage der Kaiserrechte und polnischen
Satzungen" gegen einen Nachbarn zu verfahren sei, der
ihn mit mordlichen Wehren überfallen habe; die Branden-
burger erkannten, ohne sich auf Kaiserrecht oder polnische
Satzungen zu berufen, dass der Angeschuldigte mit recht-
licher Mässigung peinlich zu befragen sei. Die „von Wedell
auf dem Hause Tütz" und der Stadtmagistrat daselbst sen-
den ausserdem innerhalb der Jahre 1558 bis 1596 neun Straf-
sachen und vier Civilsachen zur Belehrung ein.1) Ausserdem
fragt 1558 (7 130) Bürgermeister und Rath der Stadt Krön
(Deutsch-Krone bei Bromberg) an, was vor dritthalbhundert
Jahren die brandenburgischen Schillinge gegolten hätten; die
Stadt schuldete dem Grafen Andreas von Gorcke gewisse
Zinsen, die ihm der König von Polen „untergeben" hatte.
Im Jahre 1745 sandte (96 515) das „königlich litthauische
Hofgericht zu Insterburg" Akten, die gegen die Tribunals-
räthin von Baer verhandelt waren, zum Spruche nach Bran-
denburg, nachdem der König befohlen hatte, die Sache „ad
impartiales zu transmittiren14.
*) Verzeichnet im Hefft ersehen Generalrepertorium.
6. Buch.
Verfahren.
§35.
Missiven und Akteneinrichtung.
Es hat sich gezeigt, dass in Brandenburg-Preussen rrrir
destens seit dem sechzehnten Jahrhundert äusserst zahlrek -
Stellen mit Ausübung der Rechtspflege jeder Art betr— *
waren, und dass sie alle mehr oder weniger häufigen Gi-
brauch davon machten, sich selbst der Rechtsprecht:-.
nicht nur in zweifelhaften, sondern auch in oft recht tz
fachen Fällen zu enthalten und dieselbe dem Brandenburg
Schöppenstuhl zuzuweisen. So wurde dieser Schöppenstui
eines der wirksamsten Mittel, durch die vielen Kanäle, l.*
zu ihm ihren Zugang hatten, das gelehrte Recht in c->
Land fliessen zu lassen und es dort zur Kenntniss Solche'
zu bringen, die ein Interesse daran hatten, damit bekar".
zu werden. Andererseits leistete aber die Zulassung <te
Einholens von Rechtsbelehrung wesentlich der möglichst
langen Aufrechthaltung von Organen Vorschub, die an si:s
zur Rechtsprechung berufen, aber wegen ihrer mangelbarV
Rechtskenntniss ausser Stande waren, sie selbst auszuüber-
Nur weil es Instanzen gab, bei denen Rechtsbelehrung ge-
holt werden konnte, war es möglich, dass die sog. Patrimo-
nialgerichtsbarkeit sich bis in das vorige Jahrhundert hinein
erhielt.1) Landesherr, Gutsherr und Gutsherrin, Gerich:*-
und Amtsverwalter, Dorf- und Stadtgerichte sprachen viel-
fach nur nominell Recht, materiell fungirten sie als die Brief-
träger der Parteien, indem sie das, was ihnen die letzteren
') Noch unbekannte Aeusserungen Ottos von Bismarck gelegen;. ;ci
der Verhandlungen über die Aufhebung der Patr. -Gerichte in Preusscn aas
den Jahren 1846 und 1847 siehe ÜB. 3 233 ff.
§ 35- Missiven und Akteneinrichtung. 455
vorlegten, zur Entscheidung an die Rechtsbelehrungsinstanz
abgaben. Denselben Weg betraten im achtzehnten Jahrhun-
dert sogar Gerichte oberer Instanz, namentlich wenn über
ihnen eine oberste Instanz fehlte.
Als die Form, in der zu ältester Zeit die Rechtsbelehrung
geholt wurde, haben wir das persönliche Erscheinen des der Be-
lehrung bedürftigen Gerichts, dann das Erscheinen eines Theiles
dieses Gerichts — erst dreier Schoppen, dann zweier durch ein
Schreiben ihres Kollegs legitimirter Schoppen — kennen ge-
lernt. l) Schon im fünfzehnten Jahrhundert kommen aber auch
bloss schriftliche Anfragen vor. 2) Diese überbringt ein Bote.
Aus den zwei Schoppen, deren Sendung den Frankfurtern
1376 an Stelle der bisherigen drei Schoppen gestattet wird, ist •
1508 (1 34) „ein Bote" geworden, der die Akten mit Begleit-
brief nach Brandenburg trägt. Laut eines Begleitbriefs von
1530 (1 154) senden Richter und Schoppen zu Prenzlau „ihren
in der Schöppenbank enthaltenen Mitbruder" als Boten.
Möglicherweise ist noch 1539 (2 715. 670) für das Gericht
zu Osterburg (bei Stendal) „der jüngste seiner Schoppen14,
dem jede der beiden Parteien die Hälfte des in Brandenburg
zu zahlenden Urtheilsgeldes einhändigen soll, zugleich der
Bote, aus dessen Hand die Brandenburger ihr Urtheilsgeld
erhalten. Wie dem aber sei, jedenfalls kann für die Zeit
nach der Joachimica das Einbringen der Anfragen durch
einen Boten, der nicht Schöppe war, als die Regel gelten.
Zum mündlichen Bericht über die Sachlage war er ungeeignet.
Deshalb überbrachte er eine schriftliche Auskunft über die
Sachlage und über die daran zu knüpfende Rechtsfrage.
Diese Auskunft konnte gegeben werden entweder in einem
schriftlichen „Berichte" anstatt des früher mündlichen Berichts,
oder — seitdem es bei den Gerichten schriftliche „acta"
gab,3) also etwa seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts
— durch Uebersendung der Akten, hier wie dort unter als-
baldiger Zahlung der dem Oberhof geschuldeten Gebühren,
wie sie früher nach den oben (S. 273. 274) gegebenen beiden
') Siehe oben Seite 271.
2) Siehe oben Seite 274.
3) Stölzel, Gelehrtes Richterthum 1, 183
456 6. Buch. Verfahren.
Beispielen von 1432 und 1443 durch die anfragenden Schoppen
überbracht waren.
Bis in die zweite Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts
hinein heisst das Schriftstück, mittels dessen die a Anfragen
dem Oberhof vorgelegt werden, der „Bericht", und wenn die
Anfrage die einer Partei ist, der zu widersprechen die Gegen-
partei Anlass findet, so redet man von einem „Gegenbericht-
der Gegenpartei. Später wird für Bericht der Ausdruck
,,Missive" technisch.
Derartige Berichte oder Missiven ]) gehen, wenn Privatper-
sonen die Anfragenden sind, regelmässig unter deren Namens-
unterschrift ein; doch rührt diese Unterschrift meist, namentlich
in älterer Zeit, nicht von dem Anfragenden persönlich her, denc
er ist schreibensunkundig; vielmehr verfasst und unterzeichne:
ein beauftragter Schreiber die Anfrage mit dem Namen des Ar-
fragenden. Dieser Schreiber ist vielfach ein Notar2) oder auch
einer der Brandenburger Schöppenschreiber. Vor dem Schöp-
penschreiber erschien oft die Partei persönlich in Brandenburg °t
und liess ihn dort ihre Anfrage aufsetzen, wie heutzutage die
Partei persönlich vom Gerichtsschreiber ihre Anträge zu
Protokoll nehmen lässt. Es kommt auch vor (1569: 12 22),
dass die Partei den Schöppenschreiber schriftlich um Formu-
lirung ihrer Anfrage bittet. Da der Schöppenschreiber, wie
sich zeigen wird, zugleich derjenige ist, dem es obliegt, das
Spruchkonzept anzufertigen, so rühren Anfrage und Spruch-
konzept häufig von derselben Hand, zuweilen auch von
demselben Tage oder von einem dem Tage der Anfrage
sehr naheliegenden Tage her, befinden sich auch mannigfach
auf demselben Blatte. So hat der Neustädter Schöppen-
schreiber Pletz 1534 (2 48) die Anfrage eines Frankfurter
Bürgers und das Spruchkonzept unter demselben Datum,
J) Beispiele s. ÜB. Sachregister unter „Rechtsfragen".
3) Dahin rechnet wohl Mag. Sebastianus Stylbachius, der 1557 (6 137)
einer Frankfurter Partei als Verf. einer Missive ».dient*. Eine Missive des
G. von Bernstein auf Bernstein ist unterzeichnet 1563 (24 464) Joa. Wener
notarius immatr. manu propria.
3) Z. B. 1576 (17 128) ein Bauer aus Stacke bei Spandau, dessen An-
frage das Ortsdatum Brandenburg trägt. Aehnlich (aber ohne Ortsdatum)
»539 (2626).
§ 35* Missiven und Akteneinrichtung. 457
desgleichen (2 6i) die Anfrage eines Dorfbewohners von
Bötzow (bei Spandau) und die zwei Tage später erfolgte
Belehrung, ferner 1539 (2 626) die Anfrage in einer Erb-
schaftsangelegenheit (ohne Ortsangabe) und am nächsten
Tage, einem Sitzungstage, die Belehrung niedergeschrieben,
ebenso 1540 der altstädtische Schöppenschreiber Andreas
Ackermann (3 172; ÜB. 1 190), wo auf die von einem Nicht-
sitzungstage datirte Anfrage eines Burgers aus Gransee am
nämlichen Tage der Spruch ergeht. Dabei fallt nicht bloss
bei diesen, sondern auch bei anderen vom Schöppenschreiber
Namens auswärtiger Konsulenten verfertigten Missiven auf,
dass bei ihrer Datirung die Ortsangabe fehlt. Das könnte
darauf beruhen, dass der Schöppenstuhl eine solche Thätig-
keit seiner Schöppenschreiber ungern sah, und dass deshalb
die Schöppenschreiber vermieden, die von ihnen geschriebenen
Missiven durch die Ortsangabe Brandenburg als auf ihrer
Beihülfe beruhend kund zu geben.
Der altstädter Schöppenschreiber Roter entwirft 1552
(4 379) eine Anfrage in einem Brandenburger Erbstreit, nach-
dem die Parteien sich vor dem Bürgermeister und zwei Raths-
freunden verglichen, aber den Vergleich nicht gehalten haben,
lässt die Anfrage von einem Kanzlisten abschreiben und an
den Schöppenstuhl adressiren, setzt dann auf diese Missive
das Spruchkonzept und darunter den Hexameter: frangenti
fidem fides frangetur eidem. l) Ebenso verfasst 1583 (24467)
Roter die Missive des Seniors der erzbischöflichen Kirche zu
Magdeburg unter dem Ortsdatum „Brandenburg" und zu-
gleich das Spruchkonzept. Roters Nachfolger im Schöppen-
schreiberamte verfahren in gleicher Weise: Garz wird 1581
(22 618) vom Erbsess Hünicke zu Mötelitz gebeten, aus einem
übersandten Register „die Rechtsfrage zu stellen, sie zu über-
antworten und das Urtheil durch Zeiger (= den Ueberbringer)
zu übersenden44; Düring protokollirt 1607 (54559) in einer
vor „Allen von Wehrde44 in Woltersdorf, Bretten und Wuster-
witz (bei Brandenburg) verhandelten Todtschlagssache als
2) Ebenso rühren Anfrage und Spruch von Roter her 1553 (5 59), 1557
(6 78. 199) — in letzteren beiden Fällen sind aber Anfrage und Spruch mit
verschiedener Tinte geschrieben — , 1558 (6 567).
458 6- Buch Verfahren.
Notar die vor Richter und Schoppen aufgenommene Urgicht
und verfasst die Missive, mittels deren die Urgicht in Bran-
denburg eingereicht wird; desgleichen verfasst Düring 1608
(55 61) Namens des Erbsess Katte zu Vieri tz (bei Genthin)
eine Missive mit der Frage, ob die auf einem Lehngut er-
baute Windmühle Lehn oder Erbe sei, und zugleich entwirft
er den Spruch. Zuweilen übernimmt es auch die Stadtbe-
hörde, Namens eines ihrer Bürger die Missive anzufertigen,
so Bürgermeister und Rath zu Arendsee 1558 (6 558). Hat
eine der Städte Brandenburg den dortigen Schöppenstuhl zu
befragen, so ist es Sache des Stadtschreibers, der ja zugleich
häufig Schöppenschreiber war, die Missive niederzuschreiben;
derartige Missiven von Karpzows Hand finden sich 1560
(8 1. 254).
Den Charakter einer weitläufigen Prozessschrift (zehn
Blätter) trägt 1^35 (75 560) eine Missive Bussos v. d. Asse-
burg; sie betrifft ein 1618 ausgeliehenes Kapital von 5000 Thlr.
Ohne Beifügung einer Missive giebt 1585 (26 448) der Hof-
und Landrichter der Altmark Akten in Brandenburg ab, wie
der altstädter Schöppenschreiber in den Akten vermerkt.
Ist eine Missive nicht recht verständlich, so verlangen die
Brandenburger (1567: 11 94; 1590: 33 261), „die Frage anderge-
stalt verfassen zu lassen, da sie unklar". Der Senior greift auch
wohl (161 2: 60 401) in einer Erbschaftsangelegenheit dazu,
den Anfragenden, wenn er in Brandenburg anzutreffen ist,
persönlich die unvollständige Angabe der Erbinteressenten
ergänzen zu lassen. [) Eine Missive des Bürgermeisters und
Raths zu Wusterhausen vom Dienstag nach Ostern 1599 (45
424) rührt von der Hand des altstädter Schoppen Lampertus
her; ihr liegt eine vom nächsten Tage datirte, auf dem
l) Floring votirt: „weil keine gewisse sipschaft angedeutet, habe ich
consulenten in der person befraget, berichtet, das des letzt verstorbenen
J. B. kindesmutterschwester und mutterschwesterkinder vorhanden, achte
dero wegen, das . . . consulent der erbschaft sich nicht anzumassen~.
Chuden 1648 (71 142) desgl.: „Dieser bericht ist vom concipienten intricat
gesetzet, ich habe aber consulentin selbst vernommen und sie berichtet etc."
Schriftlich eine Ergänzung zu verlangen, bezeichnet 1619 (66 607) Floring
als nicht gebräuchlich, auf solchen Fall entgingen den Schoppen auch die
Geböhren.
§ 35* Missiveti und Akteneinrichtung. 459
Schöppenhause besiegelte, von Lampertus mit einer Kor-
rektur versehene Spruchreinschrift bei. Da Wusterhausen
eine volle Tagereise von Brandenburg entfernt ist, so kann die
Dienstags datirte, vom Brandenburger Schoppen geschriebene
Missive nicht in Wusterhausen aufgesetzt und zur Mittwochs-
sitzung nach Brandenburg gebracht, sondern sie muss Diens-
tags in Brandenburg für die Mittwochssitzung geschrieben und
in dieser Sitzung dann erledigt sein: d. h. der Brandenburger
Bürgermeister und Schöppe that seinem Wusterhäuser Kol-
legen, der die Ostertage in Brandenburg weilte, den Gefallen,
die Rechtsangelegenheit seiner Stadt mit möglichster Beschleu-
nigung zu erledigen, indem er die Missive niederschrieb und
anderen Tages zur Beschlussfassung in die Sitzung des
Schöppenstuhles brachte.
Waren die Missiven von Akten begleitet, so wurden
diese zu Zeiten in Urschrift, meist in Abschrift eingesandt.
Die beim Stadtgericht Berlin in den Jahren 1528 bis 1538
(2345) erwachsenen Akten des umfangreichen Möller- Frei-
bergschen Erbstreites sind urschriftlich überreicht, wie die
von der Hand des Berliner Gerichtsschreibers den einzelnen
Schriftsätzen zugefügte Inhaltsangabe darthut. Das Stadt-
gericht Stendal übersandte 1529 (1 81) Abschrift der in sein
Gerichtsbuch über die abgehaltenen Termine niedergelegten
Registraturen und der laut dieser Registraturen dem Gericht
zugegangenen Schriftstücke. Statt eine Abschrift des erst-
instanzlichen Gerichtsbuchs einzusenden, begnügte sich (1529:
1 93) das erstinstanzliche Gericht, eine Urkunde über den
Inhalt des Gerichtsbuchs auszustellen, in welcher Richter
und Schoppen „bekennen", dass vor ihnen das Nachfolgende
verhandelt sei, und dabei dem Oberhof erläuternde Auskunft
zu geben.1)
Die eingesandten Akten blieben anfanglich beimSchöppen-
stuhl. Sobald er gesprochen, hatten sie ihren Zweck erfüllt.
Mit Einführung der Appellation2) und der Sitte, mehrmals
1) Die Urkunde mag dann die anfragende Partei dem Oberhof ein-
gesandt haben; ein Nachweis darüber und ein Begleitschreiben fehlen in
den Akten.
2) So hebt 1530 (1 154) das Stadtgericht Prenzlau, das bisher in Magde-
460 6. Buch. Verfahren.
die Akten an verschiedene Orte zu versenden, baten Ge-
richte wie Parteien den Oberhof um Rücksendung* der Akten,
die allmählich (auch ohne besonderen Antrag) ausnahmslose
Regel wurde. Den eingesandten Akten brauchte ein „Bericht4*
über den Sachverhalt nicht beigefügt zu werden; der „Be-
richt" schrumpft in ein Schreiben zusammen, das sich auf die
Mittheilung der Anzeige beschränkt, die anliegenden Akten
würden zum Spruche übermittelt. Nur ausnahmsweise wird
noch ein Bericht mit sachlichem Inhalt erstattet.1) So stellt
x598 (44 414 bis 1516) ein des Ehebruchs beschuldigter Frank-
furter Weissgerber in einer Schrift von 37 Blättern 10 Rechts-
fragen und fügt abschriftlich viele Anlagen bei mit der Bitte,
„die Rechtsfrage zu untersiegeln, unterschreiben und wo
möglich zurückzuschicken, damit er dieselbe nebst dem Ur-
theil vorlegen könne und die Widersacher nicht vorgeben
möchten, dass ich ungleichen und un wahrhaftigen Bericht ge-
thanu. Die Brandenburger erwidern, die Rechtsfrage zu
unterschreiben und sammt den Beilagen zurückzusenden sei
auf diesem Schöppenstuhl nicht bräuchlich, sondern sie werde
zur Nachrichtung (in Brandenburg) behalten und (hier) bei-
burg Recht geholt hat, zur Begründung seiner Bitte um Aktenrücksendung
hervor, die — in Magdeburg übliche — Rucksendung biete den Vortheil,
dass die Akten im Falle einer „Appellation an den Kurfürsten** in die
kurfürstliche Kanzlei geschickt werden könnten. Ebenso 1551 (1 283) der
Hauptmann von Ruppin, und ohne Angabe eines Grundes 1552 (4 220) das
Stadtgericht Prenzlau, 1553 (5 30. 101) das Stadtgericht und der Landrichter
zu Perleberg, 1557 (6 315. 217. 14. 319. 110. 356. 42) derselbe Landrichter.
das Stadtgericht Pritzwalk, der Richter zu Putlitz, das Stadtgericht Berlin,
das Stadtgericht Wrietzen und das Stadtgericht Stendal. Das Stadtgericht
Osterburg belässt noch 1552 (4 262) die Akten in Brandenburg.
]) In Leipzig blieben anfänglich die eingesandten Akten ebenfalls beim
Schöppenstuhl, sie sind aber nicht — wie in Brandenburg — den Konzept-
buchern einverleibt. Dass die Akten in älterer Zeit zurückbehalten wurden,
ergiebt sich aus folgenden Umständen: 1. Eine Missive von 1510 (Bd. 2
fol. 158 v) übersendet „Läuterungsschriften zweier Parteien sammt
etlicher Kundschaft" und bittet, die Kundschaft (also nicht die Läuterungs-
schriften) den Konsulenten „widder zu banden zu stellen44. 2. Der dritte
Band enthält oft unter dem Spruche die Bemerkung „acta sunt remissa".
Das entspricht dem Verfahren in Brandenburg, wo ebenfalls um 1550 die
Rucksendung üblich wird.
§ 35« Missiven und Akteneinrichtung. 461
gelegt (d.h. aufbewahrt). Wohl aber wird 1577 (18 84) l)
und 1602 (48 479) zugelassen, Abschrift der Rechtsfrage zu
ertheilen und mit dem Schöppensiegel zu bekräftigen.
Ausser dem Einsendungsschreiben pflegt man Urkunden-
abschriften, namentlich aber in Strafsachen die Urgicht (d. h.
das nach stattgehabter Folter abgelegte Geständniss des Ange-
schuldigten) zurückzubehalten.2) Dem entsprechend bescheidet
man 1614 (ÜB. 2 515) Bürgermeister und Rath zu Stendal: „beim
Brandenburger Schöppenstuhl würden wie bei anderen Stühlen
und bei den Fakultäten in Prozesssachen, so auf Instanz der
Parteien ventilirt werden, die Akten im Original zurück-
gesandt, in Inquisitions- oder informativis processibus aber
verwahrlich behalten.*4 Nicht in voller Uebereinstimmung
hiermit lässt [634 (75 530) der altstädter Senior Chueden
Beamten in Cöln, die anfragen, weshalb die in einem Straf-
falle eingesandten Akten nicht zurückgelangt seien, durch
den Schöppenschreiber eröffnen, die Rücksendung sei unter-
blieben, weil sie nicht verlangt sei und man die Akten für
Abschriften gehalten habe.
Durch die Aktenrücksendung mindert sich im Laufe der
Zeit erheblich das beim Schöppenstuhl sich sammelnde
Material. Während aber ursprünglich die in den uns er-
haltenen Bänden sichtbare Thätigkeit des Schöppenstuhls sich
auf das wenige Zeilen umfassende Spruchkonzept beschränkt,
das meist auf die — abgesehen von der Adresse — leere
letzte Seite des Berichts gesetzt wird, wächst mit der sich
mehrenden Schreiblust von der zweiten Hälfte des sechzehnten
Jahrhunderts an der Aktenstoff des Schöppenstuhls durch
1) Roter bemerkt unter dem Spruchkonzept: „Die missive und zu-
gehörige copeien wiederzuschicken, ist nicht gebräuchlich. Wollen sie
abschriften davon haben, so können ihnen dieselben um die gebühr mit-
getheilt werden". Vgl. ÜB. 4 167.
2) Unier einem Spruchkonzept bemerkt 1598 der altstädter Schöppe
Bluhm : „Die ehestiftung wird wieder zurückgesandt, weil es das original'4
(4a 445). Derselbe Schöppe legt 1591 (33 305) der Spruchreinschrift einen
Zettel bei: „Ob auch wohl sonst nicht bräuchlich, dass man die urgicht
und dergl. akten wiederumb zurückschicke, sondern zur nachrichtung bei-
gelegt werden, so haben wirs doch uf euer bitte zu diesem mahle dem
boten wieder zustellen lassen*4.
462 6- Buch. Verfahren.
gutachtliche Bemerkungen seiner Mitglieder und dann durch
Aufnahme von Entscheidungsgründen allmählich zur ^ Relatfocr
mit einem „Status eausae" und mit breiter Entwicklung der
rationes dubitandi et decidendi an. So kommt es, dass dit
Schlussbände unserer Akten innerlich gerade umgekehrt sich
gestaltet haben, wie die Anfangsbände. Was die Anfangs-
bände anschwellen macht, sind die von auswärts eingesandtes
Aktenstücke, auf deren eines der Schöppenstuhl seinen kurz-
gefassten Spruch niederlegen lässt. Die Schlussbände da-
gegen werden gefüllt durch langathmige Relationen der
Schoppen; das von aussen kommende, in den Bänden ent-
haltene Material besteht lediglich aus den kurzgefassten.
je kaum eine Seite füllenden Uebersendungsschreiben der
Anfragenden. In der letzten Periode des Schöppenstuhls
sendet man vielfach sogar die Missiven zurück und behält sie
nur auszugsweise oder abschriftlich bei den Schöppenstuhls-
akten.1)
Die einer mittleren Periode angehörigen Bände zeigen
die Eigentümlichkeit, dass vielfach ein einzelnes Blatt der-
selben den gesammten uns erhaltenen Stoff eines Rechts-
streites darstellt. Das Blatt ist die Missive, auf deren leeren
Raum das Konzept des Belehrungsspruches gesetzt ist; die
erstinstanzlichen Akten, welche die Anlage der Missive
bildeten, sind remittirt.
Solche Spruchkonzepte tragen weder Data, noch Unter-
schriften, auch unterlassen sie, im Eingang die Namen der
Mitwirkenden anzugeben. Ebenso verfahren bis zur Auf-
hebung des Schöppenstuhls die von ihm ausgegangenen
Spruchreinschriften. Nach aussen hin ersetzt das Siegel die
Unterschrift. Für den inneren Geschäftsgang des Schöppen-
stuhls genügte das von der Hand eines der Schoppenschreiber
oder der Schoppen gefertigte Spruchkonzept, bei welchem
nur in seltenen Fällen ein oder das andere Mal sich die
Notiz findet, es sei abgegangen. Wurden diese Konzepte
auf die Missiven geschrieben, so hatte der Schöppenstuhl
dazu keinerlei Papier zu verwenden; er war lange Zeit hin-
*) Z.B. 1726 (84280), 1721. 173a 1736. 1739. 1743. 1777. 1806 (ÜB.
a 754. 767. 3 209. 212. 218. 227. 2 778).
§ 36- Eingang der Schöppensachen. 463
durch eine Spruchbehörde, deren Papierbedarf sich auf die
Ausfertigung ihrer Sprüche beschränkte.
Dann kam eine Zeit — von etwa 1560 an — , in der es
üblich wurde, dass der eine oder andere der stimmenden
Schoppen zur Kenntnissnahme für seine Mitschöppen einen
Zettel kleinsten Formates beilegte, auf welchem er — oft in
Briefform — seine Rechtsansicht äusserte (ÜB. 1 267. 268).
Der Zettel wurde nach Abgang der Akten und des Spruches
in die zusammengefaltete Missive gelegt und ist so Theil
unserer Schöppenstuhlsakten geworden.1) Auf dem Zettel
äusserten sich zu Zeiten noch weitere Kollegen, oder sie
fügten dem einen Zettel einen weiteren Zettel bei. Zuweilen
sind auch derartige Vota auf die Missive gesetzt. Allmählich
finden sich auf den Zetteln oder auf den Missiven ganz kurze
Abstimmungen der Schoppen, mit den Anfangsbuchstaben
ihrer Namen unterzeichnet, bis schliesslich — im achtzehnten
Jahrhundert — sämmtliche Mitwirkende das Urtheilskonzept
mit voller Namensunterschrift versehen.
Durch die Heranziehung jener Zettel und der auf den
Missiven befindlichen Vota ist es, nachdem das Personal der
Schöppenschreiber und Schoppen,2) namentlich aber deren
Handschriften festgestellt waren, gelungen, von dem Ver-
fahren des Schöppenstuhls ein klares Bild zu erhalten. Erst
dadurch, dass sich in die todten Blätter hinein die Menschen
versetzen liessen, denen die Blätter ihre Entstehung dankten,
gewinnen die Blätter Leben.
§36.
Eingang der Schöppensachen.
Ist nunmehr der Gang des Verfahrens beim Schöppen-
stuhl des Näheren darzulegen, so bleibt die vor dem Beginne
der Schöppenstuhlsakten liegende Zeit ausser Betracht, in
welcher noch die erstinstanzlichen Schoppen selbst als An-
fragende vor dem Oberhof erscheinen; wir versetzen uns
alsbald in diejenige Zeit, in welcher das Verfahren damit
begann, dass ein Bote die Anfrage mit oder ohne Akten
als versiegelten Brief oder versiegeltes Packet überbrachte.
l) Ein solches Beispiel s. ÜB. 2 367. ') Siehe oben S. 88 ff.
464 6. Buch. Verfahren.
Die denkbar einfachste Art, in welcher ein Gericht
Brandenburger angehen konnte, war, das es die itun ein
gereichte Parteischrift nach Brandenburg schickte, indem es
nur die Adresse abänderte. So geschah es 1528 (1 76; rai:
einer dem Stadtgericht Neuruppin eingereichten Schrift, h
der die Erben eines verstorbenen Ehemannes um gütliche
Erbauseinandersetzung mit der Witwe bitten und, wenn die
Güte nicht zu Stande käme, erklären, „rechtliches Krkennt-
niss leiden zu wollen". Abschrift hiervon sendet nach einigte
Tagen das Stadtgericht — wahrscheinlich, nachdem der Güte-
versuch misslungen War, — nach Brandenburg, und hier wird,
als läge die Bitte um gütliche Verhandlung gar nicht vor,
„eine Rechtsbelehrung Brandenburgischen Rechtes auf diV
eingeschickte Rechtsfrage** ertheilt.
In einer anderen Sache geben 1530 (1 134) Richter und
Schoppen zu Prenzlau den Grund, weshalb sie Rechtsbe-
lehrung erbitten, dahin an, dass sie zwar die Prozessschriften
„übersehen und überwogen hätten, aber nicht sinnreich
wären, darauf Recht zu sprechen". Es kommt auch vor
(1539: 2 717 in Spandau), dass in einer vor Richter und
Schoppen anhängigen Sache Bürgermeister und Rath als
höhere Instanz „in beschlossener Sache um das Urtheil voo
den Parteien angelangt" werden und ihrerseits ohne Partei-
antrag sich nach Brandenburg mit der Bitte wenden: .uns
des Rechten zu belernen und das Urtheil auf unsere Kosten
anfertigen zu lassen, damit sich kein Teil zu beklagen habe.
dass wir ihnen Rechts zu verhelfen nicht gesinnet wären*.
Ueber Erbtheilungen wird, ehe es zum Prozesse kommt,
häufig behufs gütlicher Auseinandersetzung vor dem Rathe
der Stadt verhandelt. Ist der Rath dabei über eine Frage
des Erbrechts in Zweifel, so fragt er, „damit sich die Freund-
schaft unter einander vergleiche", um Rechtsbelehrung* an.1)
Der Oberhofsspruch sollte also zur Förderung eines Ver-
gleichsabschlusses dienen.
Richter und Schoppen zu Gardelegen beschliessen 1557
(6 457), dass die Streittheile sich bis zum nächsten Gericht
l) Ein Fall dieser Art ereignete sich 1551 (4 31) beim Rathe in
Mittenwalde.
§ 36. Eingang der Schöppensachen. 465
vergleichen sollen, wo nicht, sollen die Gerichtsfrieden l) und
Zeugnisse zusammengefasst und auf ihre Kosten nach Branden-
burg versandt werden; Richter und Rath zu Perleberg bitten
X558 (6 527) in einem „vor ihnen zu Recht erwachsenen und
h>is zum Beschluss prozedirtentt Rechtsstreit um Belehrung;
die Beamten zu Wittstock übersenden 1562 (9 292) das, was
vor ihnen die Parteien „zu Recht verfasst*, und bitten in
Brandenburg, nachdem die Parteien zum Urtheil beschlossen,
„ein rechtmässiges Urtheil zu sprechen". Man sieht hier
bereits, dass die Aktenversendung erfolgt, ohne dass ein
Parteiantrag oder die Zustimmung der Parteien für nöthig er-
achtet wird. Solche Aktenversendung von Amtswegen mag
noch mehr in Gebrauch gekommen sein, seit alle peinlichen
Urtheile in Brandenburg erbeten werden mussten.2)
Noch 1721 (81 226) finden wir, dass in Civilsachen das
Gericht (die Schleswig-Holsteinische Kanzlei zu Quedlinburg)
„ex officio4* um Sentenz ersucht und zugleich um Erkennt-
niss, ob beide Theile die Transmissionskosten zu tragen
hätten. Einigen sich die Parteien über die Aktenversendung,
so fällt jeder die Hälfte der Kosten zur Last; doch kommt
es vor (1588: 30 493), dass nach solcher Einigung die eine
Partei durch Nichterlegung ihres Kostenantheils die Akten-
versendung auihält und „sich untersteht, für sich in Branden-
burg Belehrung zu erbitten41, was das einsendende (Berliner)
Gericht rügt, in der Hoffnung, es werde „mehr auf die
Gerichtsakten als auf das Privatschreiben der Partei ge-
geben werden". Auch getrennt für sich bittet jede Partei
um Belehrung, entweder hinter dem Rücken der anderen
(1540: 3 171; 1597: 41 565. 582) oder nach vorgängiger Ab-
rede, „dass den Fall jeder Theil nach Brandenburg berichte
und sich an dem dort erfolgenden Ausspruch genügen lasse"
(1567: 11 238), — eine Reminiscenz an die ursprüngliche Art
jeder Einleitung eines Prozesses durch Vertrag.3) Der
klagende Theil für sich allein verlangt und erlangt Akten-
*) d. h. die unter dem Frieden des Gerichts gepflogenen Verhand-
lungen und gefassten Beschlüsse.
a) Siehe oben S. 305.
3) Siehe oben S. 338.
Stolz ei. Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. 1. 30
4(j() 6. Buch. Verfahren.
einsendung beispielsweise 1528 (1 79), 1538 (3 169) und 155"
(6 581), wie 1730 (86 56); in dem Falle von 1538 spridr
der Kläger am Schlüsse seiner beim Stadtgericht Steoda.
eingereichten Schriften davon, dass „die acta gegen Brandes-
burg, wie ge wohnlich, eingeschickt" würden; in dem Falk
von 1730 bezeichnen es die Urtheilsgründe als „bekannt, dass,
wenn ein Theil pure submittirt, der andere aber die senteo-
tiam extraneam verlangt, derselbe die Transmissiooskostcc
allein tragen mussu.
Damit, dass eine Prozesssache von auswärts für des
Schöppenstuhl in Brandenburg einging, wurde sie dort *j
einer ,,Schöppensacheul) (im Gegensatze zu einer beim Geriete
der Einzelstadt anhängigen Rechtssache oder zu einer beim
Rathe der Einzelstadt zu verhandelnden Rathssache). Axf
naturgemässesten wären solche Schöppensachen im Schöppec-
hause abzugeben gewesen, aber das Schöppenhaus haue
keinen ständigen Bewohner, es diente nur für die Sitzung«
der vereinten Schoppen beider Städte, und vor dieser Ver-
einigung war für die beim Oberhof der Altstadt, wie ffi:
die beim Oberhof der Neustadt anzubringenden Fragen das
Rathhaus jener und dieser Stadt die richtige Stelle gewesen
An dieser Sitte sollte auch nach Vereinigung der beiden
Gerichtsstühle zum einheitlichen Schöppenstuhl beider Städte
nichts geändert werden. Darum schreibt Bürgermeister und
Rath zu Spandau 1529 (ÜB. 1 112) an Bürgermeister und
Rath beider Städte Brandenburg, der Schöppenstuhl werde
vom Rathe der Neustadt die eingesandten Akten ifl
einer Zaubereisache empfangen; die Stadt Spandau bat also
die Neustadt Brandenburg, die ihr zugegangenen Akten aß
den Schöppenstuhl gelangen zu lassen. Und die Rathe za
Halle adressiren 1579 (21 305) ihre für den Brandenburger
') Vgl. den Schoppen eid oben S. 329. „Es ist mir gestern die
Schoppen sache zugeschickt worden14, schreibt 1703 (80 178) der Senior
Müller.
') Als 1597 (41 357) Altstädter Schoppen unterwegs nach Berlin ein«
Boten mit Rechtsfragen antreffen, schreiben sie an den Neustadter Sub-
senior Storbeck: „Auf unser reise . . . hat uns der böte mit den rechts-
fragen, so euch behändigt werden, angetroffen".
§ 36« Eingang der Schöppensachen. 467
Schöppenstuhl bestimmten Akten an den Neustädter Bürger-
meister Karpzow, „abwesens von Bürgermeister Iden zu er-
brechen", sie nahmen mithin ebenfalls die Neustadt und zwar
den Senior deren Schöppenkollegs (Karpzow), eventuell den
Subsenior (Iden) in Anspruch, um die Akten dem Schöppen-
stuhl zu übermitteln. Es blieb sonach dem jeweiligen Ein-
sender oder — wenn der Einsender schlechthin an den
Schöppenstuhl beider Städte adressirte — dem Boten die
Wahl frei, ob die für den Schöppenstuhl bestimmte Sendung
im Altstädter oder im Neustädter Rathhause abzugeben sei.
Der streng genommen allein legittmirte Empfanger war der
betreffende Schöppensenior. Regelmässig einer der mehreren
Bürgermeister hielt sich täglich im Rathhause auf. Ihm lag das
Erbrechen der Siegel jedes Eingangs ob. Da um diese Zeit ein
Präsentatum auf die Eingänge nicht gesetzt zu werden pflegte,
ist aus den Akten nicht leicht zu ermitteln, in wessen Hände
zunächst eine Schöppensache kam. Sicher sind die Ein-
gänge vom Boten nicht immer persönlich dem Senior über-
geben, wohl aber entsprach die persönliche Uebergabe dem
Brauche, und es legte der Absender auf sie in besonderen
Fällen Werth. So erklärt sich aus der Wichtigkeit der
Sache z. B., dass einer kurfürstlichen Missive des Jahres
1591 (ÜB. 3 107), betreffend die Entleibung Abrahams von
Bismarck, ein Zettel des Inhalts beigefugt ist: „dies packet
in folio soll bürgermeister Iden" (Senior der Neustadt) „oder
Roter11 (Senior der Altstadt) „überanwortet werden und von
ihnen ein zettelu (d. h. eine Quittung) „fodern". Von dem
einen, wie dem anderen Rathhaus wurden dann die einge-
laufenen Sachen in das Schöppenhaus zur Sitzung gebracht.
Der Bote wartete auf die ihm versiegelt auszuhändigende
Ausfertigung des Schöppenstuhlsspruches; daher die häufig
wiederkehrenden, schon aus den äjtesten Missiven ersicht-
lichen Bitten der Anfragenden, den Boten möglichst rasch
zurückzusenden, l) damit die Kosten nicht zu sehr anwüchsen.
') „Bitt, wollet den Boten nicht lange aufhalten", schreibt 1556(5411)
der Hauptmann von Leizkau. BM. und Kath zu Lob u Tg bitten 1556, „den
Boten nicht lange aufzuhalten*. Der Hauptmann zu Potsdam fragt 1560
{7 230) über drei Gefolterte an und meint, wenn die Br. andern Tags nicht
30*
468 6- Buch- Verfahren.
Das Drängen des Boten bewährte sich als ein vorzüglich -
Mittel, den Spruch des Schöppenstuhls zu beschleunigt::
Mannigfach erfolgte er am Tage des Eingangs der Sach-
sehr vielfach an einem der nächsten Tage,1) bis allmäh: .-
aus den Tagen Wochen und aus den Wochen Monate wut
den, was dann bewirkte, dass man die Warteboten abschafrr
Solange sie bestanden, spielt das „ Wartegeld tt eine Rolle r
der Kostenrechnung.2) Sind die Akten „mannigfaltig^ odtr
wie es auch heisst, „langweilig44 (d. h. umfangreich), so b=-
scheidet sich schon 1532 (1 540) das anfragende Geriet'
z. B. das zu Bernau (bei Berlin), „dass das Urtheil nicht \kl .
und eilend zu fallen sei"; darum wird gebeten, das Urthc
den Bernauer Bürgern mitzugeben, die acht Tage spater dtn
Brandenburger Markt besuchen. Klagen über Säumigktr
der Brandenburger begegnen höchst selten und erst aus (kr
jüngeren Zeit. Man arbeitete in Brandenburg sehr fletssi:
In Leipzig hatte schon 1556 der Kurfürst Anlass zu rüge:,
dass die Boten dort „acht, vierzehn Tage, Monatsfrist un:
mehr Wochen liegen müssen"; er verlangte, den Schöpper-
stuhl stattlich und wohl zu bestellen.3) Noch 1579 (2159
ergeht in Brandenburg der Spruch in einer Erbschaftsange-
zusammenkommen könnten, sei die Belehrung nicht zu verschieben, .m
die drei schon lange auf seiner Amtsverwandten Unkosten gesessen"; e>
handelte sich um Tod esurt heile.
') Auf eine zu Tangermünde am 7. Okt. 1554 datirte Anfrage in eim~
Streite um Erbrecht ergeht der am 9. Okt signirte Spruch (5 234); A>
frage aus Wrietzen d. d. Sonntag Exaudi 1557 (6 357), Spruch d. d. Mitt-
woch nach Exaudi. Sieben Urtheile erwirkt 1567 (U 279) eine Anfragefide
binnen zwei Tagen. Die letzte Brdb. Sache ging am 7. Aug. 1806 ein u*i
am 29. März 1807 ab (ÜB. a 779, 785). Vergl. auch oben Seite 446.
a) Z. B. Manual Cod. Neustadt Br. 22. 1683. 4 Thlr. 12 gr. Urtbek-
gebühr, Botenlohn und Wartegeld für H. L., als er die Inquisitionalakteo
gegen . . . nach Wittenberg» tragen müssen. Kämmereirechnung Cod.
Neust. Nr. 27. 1689. 3 Thlr. 8 gr. eingeholtes Urtehl von Wittenberg mit
Botenlohn und Wartegeld; Nr. 43. 1698 . . . Wartegeld vor zwei
Tage; Nr. 44. 1699 ... Botenlohn und Wartegeld. Einem Wolgastcr
Boten bescheinigen 1566 (10 553) die Br., dass er „fünf Tage alhier ge-
legen*4, einem Aiendseher Boten bescheinigt 1600 der Senior (46 345), dass
er „Montags Nachm. 2 Uhr angekommen und bis auf Mitwoch aufgebalten*.
3) Distel in der Ztschr. der Savigny-Stiftung Bd. 7 Abt. 2 S. 104. 105.
§ $6. Hingang der Schöppensachen. 469
legenheit auf eine vom Sonntag nach Latare datirte Anfrage am
Tage darauf. Indess wird es zu dieser Zeit auch in Branden-
burg schon üblich, eine Frist für Abholung des Urtheils zu be-
stimmen. Auf eine Anfrage vom Anfang April1) 1579 (21 307)
erhält das Halsgericht zu Herzberg den Bescheid, es könne
das Urtheil „ Ausgang der Osterfeiertage abholen lassen";
da Ostern 1579 auf den 19. April fiel, betrug die Frist etwa
zwei Wochen. Der Administrator des Stifts Halle will 1584
(25 316) „in drei Wochen" die Antwort auf seine Fragen
holen lassen. Dem antworten die Brandenburger 1585 (25
495)i erst drei Wochen später, als er angegeben habe, könne
das Urtheil, das er verlange, fertig sein. So bürgert sich
die Sitte ein, dem Boten ein Recepisse über den Eingang
der Akten unter Bezeichnung des Tages mitzugeben, an
welchem er den Spruch abholen könne. 2) Während des .
dreissigjährigen Krieges mindert sich einerseits die zwischen
Missive und Spruch liegende Zeit (1627 ff.: 73 133. 134) auf
drei bis vier Tage; andererseits verzögert sich die Zeit bis
zur Abholung des Spruchs auf Jahre.3) Im Mai 1628 (72
576) ist es den Schoppen „unmöglich, ein Stündlein zusammen
zu kommen", es möge „in 8 oder 10 Tagen" ein zweiter
Bote gesandt werden. Als Anfang November 1633 (75 173)
der Herzog Bogislav von Altstettin eine Rechtsfrage stellt,
theilt er mit, er wolle die Akten durch den Botenmeister zu
Berlin abholen lassen ; wegen Gefährlichkeit und Unsicherheit
der streifenden Soldaten habe er die Akten durch einen
Boten nicht abholen lassen können; man könne keine Meile
Weges sicher reisen und werde von den eigenen Soldaten
*) Der Tag ist nicht angegeben.
2) 1584 (25 278); 1585 (a6 176. 427); 1586 (27 291): „Auf den Montag
nach Trium Regum 87 die Akta und Urteil abzuholen bestimmt**); 1589
(31 5*6): «Der Bote soll, da er jetzt nicht gefördert werden kann, über
8 Tage . . . wiederkommen14); 1592 (3692): „soll in drei Wochen als
Sonnabends post purif. Mar. abgefordert werden"; 1604 (51511): „ein-
kommen (Montag) 3. Dez., künftigen Sonnabend wieder abzuholen.14 Auf
Missive vom 15. Febr 1591 soll der Spruch am 3. März abgeholt werden
(ÜB. 4 107).
*) BM. und Rath zu Seehausen (bei Stendal) lassen wegen des Kriegs
eine 1626 eingesandte Liquidationssache erst 1630 abholen (73 $35).
470 6- Buch. Verfahren.
spoliirt. Die Brandenburger antworten, sie hätten gern <.'t
Akten dem Botenmeister zu Berlin1) zufertigen wollen, c:-
„feindliche" (dann verbessert in „kaiserliche") besorgte En-
fall, vor dem fast Jeder geflohen, auch stetige, schwere Eis-
quartirung hätten es aber removirt (28. Dezember 1633). h
Jahre 1648 (78 21) bestimmt der Senior für die Abholer;
der Akten acht Tage Frist. Nachdem 1650 in Berlin der
erste Postdirektor geschaffen war, 2) wird allmählich die Pc*:
zur Besorgung der Missiven benutzt: eine Missive des Haos-
vogts zu Cöln von 167 1 (79 471) trägt die äussere Bemer-
kung: „Franco mit 6 gr.u Von Kalbe überbringt aber ei:
eigener Bote noch 1706 (80 181) die Akten, und er &«"
warten ; deshalb bittet der Referent die Kollegen, die Akxe
zu perlustriren und wegen der Sentenz andern Nachmittags
beim Senior zusammenzukommen. Das Reglement vom 26. Ok-
tober 1720 (107 59) ordnet dann allgemein an, dass die Akte -
Versendung durch die Post erfolgen soll.3)
Mittlerweile war der Schöppenstuhl in die Periode ge-
treten, die sich durch die Umständlichkeit der gelieferten
Arbeiten kennzeichnete. Vier Wochen nahm der Referent
(17 14: 82 503) in Anspruch, um seine Relation fertig zu
stellen. Daraus erklärt sich das Formular, das sich seit 172:
die Klever Regierung für alle ihre Aktenversendungeo
drucken liess, und das gedruckte Erinnerungsformular, das
sie seit 1724 (83 73) verwendete.4) Die Arbeit des Schöppen-
stuhls mehrte sich um diese Zeit und damit mehren sich auch
die monitoria (1735: 88 208). 5) Der König muss durch Ver-
') Seit der Botenordnung von 1614 sass in Berlin ein kor£ Boter-
meister, dem 24 Boten zur Vermittlung des Verkehrs zwischen dem Hör
und den Behörden unterstanden. (Daher noch die heutigen „Botenmeisier*
und „Boten" bei den preussischen Behörden.) Vgl. Stephan, Gesch. Her
Preuss. Post. 1859 S. 12 ff.
3) Stölzel, Rechtsverwaltung 1, 359.
8) Mylius c. c. m. II, 1 Sp. 714. 4) Siehe oben 383.
a) Oehlschläger bemerkt zu einer Anfang Mai 1735 eingegangenen
Strafsache im Juli: „Die acta haben etwas aufgehalten werden müsset)
wegen ihrer und derer vorhergehenden Weitläufigkeit und meiner sons:
überhäuften Arbeit. Deshalb ich mir künftig, und ehe wir mehr Mitarbeit
bekommen, nicht helfen kann, wenn auch noch so viel monitoria einlaufen
sollten".
§ 37- Behandlung der Schoppensachen. 471
Ordnung vom 19. Dezember 1738 von neuem die Frist für
Erledigung der Anfragen reguliren.i)
Als Cocceji mit äusserster Energie seine Reinigung des
Richterstandes betrieb, gelangten an ihn (1738) Beschwerden
des Generaldirektoriums, dass nicht Alles beim Schöppen-
stuhl zu Brandenburg in Ordnung sei; die Sachen währten
zu lange.2) Der über die Besoldung und die Gebuhren er-
forderte Bericht ergab, dass 48 Sachen anhängig waren, die
185 Thlr. Gebühren eintrugen. Mit Rücksicht auf die Zahl
der Sachen fand Cocceji, dass man mit dem Schöppenstuhl
zufrieden sein müsse. Auf dieses Zeugniss eines Justizchefs,
dem fast keines der ihm untergebenen Gerichte mit der ge-
wünschten Raschheit arbeitete, durften die Brandenburger
stolz sein.
Seit Erlass des Verbots der Aktenversendung3) minderte
sich die Thätigkeit des Schöppenstuhls erheblich. Es konnte
deshalb bei den wenigen Aktenversendungen, die noch aus
den benachbarten Kleinstaaten stattfanden, wieder daran ge-
dacht werden, die Akten durch Boten einreichen zu lassen,
die auf das beantragte Urtheil in Brandenburg warteten: die
Regierung zu Dessau verfuhr so beispielsweise 1788 (106 170)
und 1794 (106 234). In letzterer Sache, in der bereits die
Fakultäten zu Erfurt, Frankfurt und Marburg gesprochen
hatten, forderte zehn Tage nach dem Eingang der Schöppen-
stuhl die Regierung auf, die Akten durch den Boten abholen
zu lassen; sie erhielt die Antwort, der Bote müsse sich noch
in Brandenburg befinden; erst vier Wochen später tauchte
er in Brandenburg auf und empfing die Akten. Als 1795
(106 247) dieselbe Regierung einen Spruch durch einen Boten
erbat, „welcher darauf zu warten befehligt" war, sandten die
Brandenburger den Boten zurück und liessen ihren Spruch
drei Wochen später mit Begleitschreiben nachfolgen.
§37.
Behandlung der Schöppensachen.
Aus dem Prinzip der Mündlichkeit des Verfahrens folgte,
dass über die gestellten Anfragen die vereinten Schöppen-
*) Siehe oben 314. 2) R. 21 Nr. 9C. StA. *) Siehe oben Seite 315.
472 6. Buch. Verfahren.
kollegien beider Städte mündlich verhandeln oder beschliessen
mussten. Dazu diente, dass sie „zu Schöppeohaus kamen"
oder „zu Schöppenhaus zusammenkamen". „Sitzungen4* hatten
die Schoppen niemals; das war ein zu Zeiten des Schoppen-
Stuhls ungebräuchlicher Ausdruck; nur der Kürze halber
wenden wir ihn im Folgenden an. Die für die Sitzungen
bestimmten Zeiten waren Montags, Mittwochs und Sonn-
abends, l) regelmässig 2 Uhr. Vormittags gingen die Schop-
pen zu Rathhaus, um die Raths- und Gerichtssachen zu
erledigen. Eine ähnliche Einrichtung bestand in Halle; hier
giebt die Schöppenordnung von 1584 als Sitzungstage Mon-
tag, Mittwoch und Freitag mit dem Zusätze an, dass man
Nachmittags wegen der anderweiten am Vormittag zu erle-
digenden Geschäfte zusammenkomme.
Seit den zu Schöppenhaus Versammelten nicht mehr
mündlich von den Anfragenden Bericht erstattet, sondern
das Aktenmaterial eingesandt wurde, ersetzte den mündlichen
Bericht die Aktenverlesung. Zu dieser war ursprünglich
niemand Anderes als der Schöppenschreiber im Stande.
Ebenso war nur er im Stande, den gefällten Spruch in die
Form zu giessen, in der er den Anfragenden schriftlich zuging.
Beide Brandenburger Schöppenschreiber, der altstäd-
tische, wie der neustädtische, hatten zu Schöppenhaus gegen-
wärtig zu sein.2)
War es der Zweck der Schaffung eines kombinirten
Schöppenstuhls beider Städte Brandenburg,3) die Einkünfte
J) Das ergeben einzelne datirte Spruchentwürfe (1578: 90 345. 453;
1579: so 569) und die meisten der stets datirten, in den Akten vorfindlichen
Spruchreinschriften (1575: 16412; 1579: 1646; 1583: 1649; 1584: 1650,
240; 1585: 16 115. 412; 1586: 1746. 73. 92. 153). Auf einen der Sitzungs-
tage werden auch meist die Boten zum Abholen der Sprüche bestellt (1587:
27 192; 1589: 31516). In 1590 (33 261) wird notirt: „Datum aufm Schep-
penhause Br. Montag post Jacobi". In 1560(8230) bittet der Hauptmann
auf Potsdam sub dato ,, Freitag'4 nach Andrea: „da ... ihr morgen nicht
zusammenkommen könntet etc."
2) Das schliefst nicht aus, dass sie ausnahmsweise einmal fehlen: 1615
(64 547) schreibt der Neustädter Senior Floring unter die Missive den in
der Sitzung gefassten Beschluss, „weil kein Scheppenschreiber ankommen'1.
*) Siehe oben 267.
§ 37* Behandlung der Schöppensachen. 473
des Schöppenstuhls gleichmässig unter beide Städte zu theilen,
so musste dies auch zu einer gleichmässigen Theilung der
Arbeit führen. Für die Schoppen ergab sich diese Theilung
von selbst, wenn in ihrer gemeinsamen Sitzung von einem
der Schöppenschreiber jede Sache verlesen und dann dar-
über abgestimmt wurde. Jeder anwesende Schöppe hatte an
dieser Thätigkeit gleichen Antheil, also auch mit Recht
einen gleichen Anspruch auf eine Quote des für die Sachen
der einzelnen Sitzung erwachsenen Schöppengeldes. An-
ders lag die Sache bei den Schöppenschreibern. Nur
einer von ihnen konnte die einzelne Sache verlesen, nur
einer den beschlossenen Spruch ausfertigen, sei es in der
Sitzung,1) während sein Kollege die nächste Sache zur Ver-
handlung brachte, sei es nach der Sitzung, wenn während
der Sitzung die nöthige Zeit fehlte. Eine gerechte Theilung
der für die Sachen der einzelnen Sitzung erwachsenen
Schreibgebühr war nur möglich, wenn alternirend die
eine Sache dem Schreiber der Altstadt, . die andere dem der
Neustadt zur Erledigung zufiel. Verreiste der Schöppen-
schreiber, dem die Ausfertigung eines Spruches zugefallen
war, in Amtsgeschäften, und wurde dadurch bewirkt, dass
der Wartebote einen übergebührlichen Aufenthalt erfuhr, so
kam es vor, dass ihm die Schoppen eine Bescheinigung mit-
gaben, gegen deren Vorlage er später das Urtheil sollte ab-
holen können.2).
Diese gleichmässige Vertheilung der Sachen unter die
Schreiber konnte erst in der Sitzung stattfinden; denn es
') 1697 (79 7<>3) notirt der Sch.Schreiber auf seinem Spruchentwurf:
„Dies urtheil ist dato (21. Aug.) aufm seh. hause abgefasst und per ma-
jora also beliebet."
*) 1587 (2959): „Briefzeiger hat den hn. scheppen die nachständige
4 thlr. . . . überantwortet, und obwohl vorlängst darauf gesprochen, so ist
doch der schöppenschreiber, dem solches coneept zu fertigen zugestellt,
Über land verreist, das man also des urteils nicht mächtig werden
können; weil aber der böte bis auf seine ankunft zu warten sich be-
schwert, ist ihm dieser zettel dergestalt mitgeteilt, das in der nächst-
folgenden zeit auf erfordern gegen Überreichung dieses schriftlichen Scheins
gedachte acta beneben den urteilen dem hn. landrichter (der Priegnitz)
zugefertigt werden sollen. Sign. Brandenburg montags post Kiliani 1587.
Scheppen beider st. Br."
474 <>. Buch. Verfahren.
stand ja jedem Konsulenten frei, ob er seine Anfrage bei (kr
Altstadt oder der Neustadt einbringen wollte; der Eingang
der Sachen konnte also deren gleichmässige Vertheflung rricr
herbeifuhren.3)
Demgemäss wurde erst nach gefasstem Beschlüsse d:t
eine Sache eine neustädter, die andere eine altstädter oder
umgekehrt, und so bildete sich ein neustadter, wie ein alt-
städter Aktenbestand, deren jeder die Hälfte der in gemein-
samer Sitzung erledigten Sachen umfasste. Also bestimm:-
sich, ob eine Sache Theil der altstädter oder der neustädter
Akten wurde, durch die Stelle, von welcher der Spruch b
die Aussenwelt gelangte, nicht durch die Stelle, bei welcher
der Konsulent die Sache einreichte; die Ausgangs-, nick:
die Eingangsstelle war das Maassgebende.4)
Seit von der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhundert
an sämmtliche Brandenburger Schoppen lesens- und Schreibens
kundig waren, bereitete sich eine naturgemasse Aenderu^
des Verfahrens vor.
Nahe lag es, dass der Senior, an welchen Akten ge-
3) Den Beleg;, dass erst nach dem in der Sitzung beschlossenen Spru> *«■
in dieser Sitzung die Sachen alternirend den beiden Schreibern überwies *
wurden, enthält eine Verhandlung des Jahres 1652 (78 494) zwischen d'-n
Amtsverweser zu Neuruppin und dem Schöppenstuhl. Der Amts verwese:
hatte zwei Schöppensachen in einem Packet nach Br. eingesandt und nc-
derte sich demnächst, dass er nur eine zurückerhielt; der SchÖppenstth
belehrte ihn: „nachdem die Sachen geöffnet, verlesen, die Vota darüf.'
kolligirt und ein Schluss gemacht, sei die eine Sache dem Secrctar >
der Neustadt, die andere dem der Altstadt zugefallen, das sei des
Boten gesagt, er möge es nicht verstanden haben und sei weggegangen
nachdem er die eine Sache von der Neustadt erhalten habe4*. Aus diesem
Verfahren erklärt sich eine 1576 (17 491) nach abgehaltener Sitzung in fa
Akten niedergelegte Aeusserung des altstädter Schöppensch reibers Bardf-
leben: „Wollte J. Heinatz (der neustädter Schöppenschreiber) diese sacke
fertigen (= ausfertigen) und briefeszeigern abfertigen, dann (= worauf'
ich am roontag allhie (in der Altstadt) ein urteil (seil, in einer ander«
Sache) dagegen gefertigt."
*) Einen weiteren Beleg dazu aus 16 14 giebt folg. Schreiben dr>
Neustädter Schoppen Schale an den Altst. Schöppenschreiber: „ . . Werdet
solche urtel . . . aufs reine bringen, die acta bei euch behalten uml
einen zettel, das der zweite taler (nämlich der zu entrichtenden Gebuhr'
im rest verblieben, den urteln einlegen44 (6351).
§ 37« Behandlung Her Schöppensachen. 475
langten, seine Lesens- und Schreibkunde dazu verwendete,
nach Eröffnung der Akten sich mit ihnen vertraut zu machen
und sich eine Meinung zu bilden, wie er in der Sitzung stimmen
wollte. Hierüber schrieb er oft vor der Sitzung eine
kurze Notiz auf die Missive. Er konnte aber auch in der
Sitzung eine' ähnliche Notiz über den gefassten Beschluss
auf die Missive setzen. Derartige Notizen finden sich zahl-
reich; nur in seltenen Fällen ist jedoch feststellbar, ob sie
den Antrag ihres Autors oder den beschlossenen Spruch
wiedergeben sollen. Wenn nachweislich die Notizen letzteren
Zweck haben, so rühren sie vielfach vom Schöppenschreiber
her.1) Den Beschluss, dass wegen einer Unklarheit die
Missive zu ergänzen sei, schreibt 1599 (45 602) der Senior in
die Akten und bemerkt dabei: „konzipirt auf dem Scheppen-
hauseM. Dass ein vollständiges Spruchkonzept vor der
Sitzung angefertigt wird, ergiebt 1598 (42 535) die vom neu-
städter Schreiber unter sein Konzept gesetzte Notiz: „Dominis
consulibus et scabinis oppidi veteris44 oder 1600 (46 372) die
unter das Spruchkonzept nachträglich gesetzte Notiz: „Sen-
tentionirt worden Sonnabends 23. August". Einen fast un-
heimlichen Charakter nehmen solche Registraturen über ge-
fasste Beschlüsse oder gestellte Anträge an, wenn man in
1) Z.B. 1557 (689): „Ist gesprochen» das der unsinnige ersoffene'4
(d. h. ein ertrunkner Geisteskranker) „sein vaterteil auf die erben vererbt,
und das die obrigkeit dasselbe zu beanspruchen nicht befugt11; 1566 (10
224): „Weil dies zwei ledige personen, achten die herren schepen zu
einer belehrung etc.((; 161 1 (59 181): „Dominorum scabinorura decisio: der
angeschuldigte seines unerheblichen vorwandes ungeachtet mit dem
Schwerte vom leben zum tode zu verrichten" (Notiz des neust. Sch.-
Sch reibers, der danach das Unheil entwirft, das dann der Altstadt zur
Ausfertigung zugeht und so Theil der altstädtischen Akten wird). Aehn-
lich 1569 (11 599); 1572 (13 192). Der neust. Subsenior Zieritz setzt
1612 (60 252) auf die Missive einer Strafsache sein Votum: „ad depor-
tationem", fügt dann aber — offenbar nach abgehaltener Sitzung — hinzu :
„plurimi eo concludunt, ut clausuletur sententia: wofern ihre kf. g. nicht
begnadigen wollten, solle der angeschuldigte mit dem Schwerte verrichtet
werden". Aehnlich 161 2 (59 333). Hierhergehören auch die kurzen Notizen,
wie: „Quod sicu (1562: 9 280), „Ut petitur" (1562: 9 107), „Sind gleich
nahe1' (nämlich als erbberechtigt) (1558: 7 162), „Nehmen das in stirpes"
(1572: 1372), „Soll die Injurie inner Rechtsfrist erweisen" (1608: 5694).
476 6. Buch. Verfahren.
den wichtigsten Strafsachen, zuweilen am Tage des
der Missive oder an einem der nächsten Tage, die Notiz de?
Schöppenschreibers liest: „Mit dem Schwert vom Leben zur
Tode zu verrichten" (1565: 9 54; 1572: 13 210), oder werr
man ein noch lakonischeres „Ad ignemtt (1559: ÜB. 1 35:
„Subducatur quaestioni44 (1573: 13 503), „Dentur corvis-
(1609: 58 366), „Zum Strange" (1574: 15 170; *576'- ^447
„Mit dem Wasser" (1576: 16 61 8), „Ad golgata salvo judickr
(1583: 23 441), „Rea vulcano tradatur4 (1633: ÜB. 2685*,
„Rota sit benedictio tua tota"1) (1559: 7646) findet.2) Dir
Kürze der Spruchentwürfe und der schriftlichen Vota, die ie
unseren Akten späterer Zeit mannigfach enthalten sind, be-
rechtigen zu dem Schlüsse, dass die Erörterungen in der
Sitzungen des Schöppenstuhls nicht allzu eingehend ge-
wesen sein mögen. Erst mit der vermehrten Gelehrsamkeit
dehnen sich mündliche wie schriftliche Vota aus. Ja, bei der
kurzen Notizen über gefasste Beschlüsse fehlt oft ein den
Beschluss ausführender Spruchentwurf, so z. B. bei dem Be-
schlüsse „ad ignem"; Sprüche, die zum Feuertod verurtheilten.
waren etwas so Einfaches, so Gewöhnliches, so Formular-
massiges, dass es überflüssig erschien, beim Schöppensruhl
eine Nachricht über den Wortlaut des Urtheils zurück-
zubehalten; angesichts des furchtbaren „ad ignem" wusste
man ohne Weiteres, was das Urtheil besagt haben musste.
Der Schöppenschreiber hatte zwar keine Stimme im
Kolleg; es war lediglich seine Aufgabe, den Spruch der
Schoppen vorzubereiten und ihn genau nach der gestellten An-
frage dem gefassten Beschlüsse gemäss auszuführen; deshalb
musste er sich 1573 (14 271), als er einmal ordnungswidrig
verfahren, vom Senior oder dessen Vertreter3) sagen lassen:
„Scheppenschreiber will nicht gebühren, viel anders zu
schreiben, als gefragt und darauf gesprochen ist; dies ding
will einer Unterredung wegen solches unfleisses bedürfen.14
]) Diesem Verse ist ein kleines Rad mit ein paar Strichen {voras-
gestellt.
*) Aehnlich 1609 (51 380. 644) 161 1 (59 181). Ein längerer Beschluss
findet sich in einer Strafsache von 1566 (10 534).
3) Hier Karpzow.
§ 37- Behandlung der Schöppensachen. 477
Das schloss aber eine sachliche Mitwirkung des Schöppen-
s ehr eibers beim Zustandekommen des Spruchs keineswegs
aus. Als 1566 (10 145) ein Altstädter Spruchkonzept des
Schöppenschreibers Dobergast bei Karpzow, der damals
bereits Schöppe war, Bedenken erregte, setzte sich Dober-
gast mit seinem Neustädter Kollegen Heinatz in Korrespon-
denz und schrieb ihm: „Carpzovius .... dubitat de casu nee
satis se explicare potest, nee ego propter negotia publica
videre libros potui, tu, si tempus erit, tuos textus et ff. con-
sulere poteris. Me autem aliquid hoc movet, quod emancipatT
tantum profecticia conferunt. Mater vero filios vel filias non
habet in potestate. Ergo. Sed tibi reiinquo." Und als 1568
(11 476) der Schöppe Karpzow einem Sohne, der aus dem
väterlichen Nachlasse eigenmächtig Gelder an sich genommen
hat, sein Erbrecht an diesen Geldern nicht absprechen will,
setzt unter dies Gutachten der Schöppenschreiber Heinatz
ein lateinisches Gegengutachten, in welchem er mit Berufung
auf 1. 3 Cod. de fam. herc. und auf Wesenbeck wegen In-
dignität des Sohnes dessen Erbrecht verneint. Der altstädter
Schöppenschreiber Bardeleben legt 1574 (15 2. 10) einem
Spruchkonzept sein (lateinisches) Votum bei, und er begründet
1574 (16 116) das Spruchkonzept durch Zufügung eines
Zitates (1. 1 C. d. raptu virg.), oder er liefert eine ausführ-
liche Beurtheilung des Rechtsfalles mit dem Schlussantrag,
„dass der Gefangene mit der Pein zu beschweren; es wollen
dies aber die Herren Scheppen durchlesen und darauf ihre
Bedenken geben". Der Altstädter Schöppenschreiber Zacharias
Garz theilt 1579 seinem Schwager Roter, da dieser anderen
Tags nicht „zu Schöppenhause komme", sein Gutachten in Be-
zug auf ein um Aktenabschrift eingereichtes Gesuch mit.
Sache des Schöppenschreibers ist es (1590: 32 354), auf
der Missive den Tag des Eingangs l) und den Tag, wann das
Urtheil abgeholt werden könne, zu bemerken, auch unter
seinem Namen nebensächliche Beschlüsse, die das Urtheil be-
gleiten sollen, namentlich über die Gebühren, ausgehen zu
lassen. Sind solche Beschlüsse in Gegenwart beider Schöppen-
schreiber gefasst, so treten sogar die Schöppenschreiber als
l) „Praesent. Mittwoch Nativ. Christi 90" von Bluhms Hand.
i._
478 6- Buch. Verfahren.
eine Gesammtheit auf (1596: 41 176).1) Ein Fall, in weldier
ein Schöppenschreiber die Voten der in der Gesammöitear .
zugegen gewesenen drei Schoppen protokollirt hat, liegt a~
dem Jahre 1643 (77 212) vor.
Obwohl es dem Senior oblag, die Abstimmung zu lerrer
die Stimmen zu sammeln und danach festzustellen, welcii*:-
Beschluss gefasst war, so ergab sich doch bei der sch.r£rr
liehen Abstimmung als das Natürliche, dass der Schöppen-
schreiber, der auf Grund der schriftlichen Vota das Urth«:
zu fassen hatte, seinerseits aus den Voten den gefassten R--
schluss herauszog. Machte ihm dies Schwierigkeit, so wer.
dete er sich an seinen Senior oder dessen Vertreter um Ver-
haltungsmassregeln. So schreibt 1607 der altstädter Schöpper-
Schreiber Düring an den Subsenior Grell, er wisse sich mer-
zu helfen, weil die Neustädter sich zu einer gewissen Memn^-
nicht geeinigt hätten. Die Entscheidung des Seniors genü ~
dann; die Anhörung der anderen Schoppen gilt für über-
flüssig; daher erhält der altstädter Schöppenschreiber Barde-
leben 162 1 (69 374) vom neustädter Subsenior2) Zieritz anr
die Anfrage, ob das Urtheil, wie entworfen, bleiben solle, dk
Antwort, es könne so wohl abgehen, und der altstädter
Schöppenschreiber Düring, der (wegen seiner Abwesenbe?
in der Sitzung) „die Vota der Herren selber nicht gehört
und keinen Bericht darüber bei den Akten befunden**, frag:
beim Senior an, ob er sententia votis conformis getroffen.
Ueberhaupt vertritt der Senior der einen Stadt sei:.
Kollegium gegenüber der andern Stadt. Roter als altstädter
Schöppenschreiber fertigt 1558 (6 578) einen vom neustädter
Schöppenschreiber entworfenen Spruch und sendet, da er zu
der Sitzung nicht kommen kann, die Ausfertigung dem alt-
städter Senior, in dessen „Bedenken44 er stellt, ob er (der
Senior) die Ausfertigung den zur Sitzung und zur Be*
') „Die herren schöppen beider Städte Brandenburg: lassen dem (an-
fragenden) pfarrer zu bescheid geben, das sie mit 2 rthlr. nicht über-
fordert. Signatum in schöppenstuhl mitwochs post Fabiani et Sebasi
anno 96. Schöppenschreibere beider Städte Brandenburg."
*) Die Bezeichnung Subsenior kommt in älterer Zeit nicht vor, st
wird aber 1739 im Schöppenbuch von 1697 ff. gebraucht (foL 11).
§ 37* Behandlung der Schöppensachen. 479
rathung anderer Rechtsfragen versammelten Schoppen „zu-
vor verlesen wolle, ehe sie besiegelt werde". Es hing also
von des Seniors Ermessen ab, ob er für sich allein, ohne
seine Schoppen zu hören, oder ob er erst nach deren An-
hörung den Spruch abgehen lassen wollte; Letzteres zieht
in jenem Falle der Senior vor und notirt dann einen die Ab-
änderung des Entwurfs enthaltenden Beschluss des Kollegs.
Sodann lässt Roter 1576 (17 769), wohl als Subsenior, eine von
ihm einseitig bearbeitete Sache an die Schwesterstadt gelangen,
indem er schreibt: „Ich bitte diese acta fleissig in acht zu
nehmen, dann ich wegen etlicher Verhinderungen denselben
so nicht habe nachdenken können, wie der Sachen nothdurft
erfordert." Ferner entwirft Roter als Senior 1586 (26 541)
einen Spruch und sendet ihn mit der Bemerkung in die Neu-
stadt: „Salvo; wollen mirs die hern wieder schicken, so will
ichs schreiben lassen44; von einer Mitwirkung der andern
altstädter Schoppen ist keine Rede. Gemäss dem einseitigen
Votum Roters1) konzipirt 1590 (32 293) der altstädter
Schreiber Bluhm den Spruch. Es ist wahrscheinlich, dass
die Absendung an die Neustadt erst erfolgte, nachdem in
diesen beiden Fällen die altstädter Schoppen ihrem Senior in
einer Sitzung beigetreten waren, aber dies brauchte den Neu-
städtern gegenüber nicht kundgegeben zu werden. Der alt-
städter Seniorvertreter Lampertus unterzeichnet 1592 (37 490)
einen Entwurf seines Schreibers Bluhm mit den Worten
,,M. Joh. Lampertus sententia concepta propria manu sub-
scripsit"; mit dieser alleinigen Unterschrift des Seniors geht
die Sache in die Neustadt und kommt von da ohne jede
Aeusserung zurück, um nach Bluhms Konzept in der Alt-
stadt ausgefertigt zu werden: die Bemerkung des altstädter
Seniors reichte also hin, die Meinung der Altstädter den
Neustädtern kundzugeben, und die einfache Rückkehr der
Akten aus der Neustadt bedeutete für die Altstadt, dass die
Neustädter nicht Widerspruch erhoben, also zustimmten. Auch
dem Schöppenschreiber der eigenen Stadt gegenüber ver-
tritt der Senior sein Kollegium: die Bemerkung unter einem
von der Neustadt übersandten Konzept: „Placet Simon Roter"
}) „Ich achte davor etc.tt
480 6. Buch. Verfahren.
bedeutet für den altstädter Schöppenschreiber den Bei:.
seines Seniors Roter, das neustadter Konzept auszuferu
(1584: 25 299).
Ein Spruchkonzept des Altstädter Schöppenschreü*'
unterzeichnen 1606 (52 62) Lampertus und Storbeck, 1
Senioren beider Städte, allein, und über ein Spruchkoozr
von 161 5 (64 79) korrespondirt der Neustädter Seniorvertre::
Zieritz mit dem Altstädter Senior Grell. Ein von :■*
Neustädter Schoppen Iden gefertigtes Konzept unterscirei:
dieser 1621 (68 646): „Cum consensu Floringi (des Neusüc
Seniors) ita coneeptum". Der Spruch ist dann an die M
Stadt gegangen und dort ohne weitere Aeusserungen l:
Schoppen ausgefertigt. Auf eine Missive des Raths der Xu
Stadt Brandenburg von 162 1 (68 57) votirt der Neustädtbd
Senior Floring, der Altstädter Subsenior Chueden fertigt dar
den Entwurf. Eine dem Neustädter Senior Zieritz rr
„Verlesen" 1633 (75 176) zugesandte Sache, in der vier Ar-
stadter Schoppen übereinstimmend schriftlich votirt habe
kommt von der Neustadt mit der alleinigen Unterschrift &
Seniors Zieritz zurück und gelangt in der Altstadt zur Ab-
fertigung.
In späterer Zeit (1730: 86 14. 28) genügte die L'fl'ff
schrift des Konzipienten eines Urtheils und des Seniors i
Anweisung für den Schreiber, das in der Sitzung k-
schlossene Urtheil auszufertigen. Dafür, dass das Sprud-
konzept dem gefassten Beschlüsse entspricht, ist der Seotf
des mitKonzipirung des Spruchs betrauten Schöppenschreibcts
verantwortlich: das Konzept „steht auf des Seniors Ratifica-
tion44. l) Ebenso ist der Senior bei den durch Zirkuliren er-
ledigten Sachen dafür verantwortlich, dass aus seinem Eintf-
kolleg nur solche Vorschläge an das andere Kolleg ge*
langen, die collegialiter beschlossen sind, wie er ferner da-
für verantwortlich ist, dass die Billigung eines ihm v*oß
andern Kolleg zugegangenen Vorschlags nicht auf seinem
alleinigen Beschlüsse, sondern auf der Zustimmung mindeste*
des einen oder anderen seiner Mitschöppen beruht Tat-
sächlich ist freilich ein wenig skrupulöser Senior in dcr
A) Beispiel einer solchen Ratifikation siehe vorige Seite.
§ 37- Behandlung der Schöppensachen. 481
Lage, einen von ihm allein gefassten Beschluss als Be-
schluss seines Kollegs dem anderen Senior zugehen zu lassen,
wie dieser in der Lage ist, für sich allein die Ausfertigung
eines solchen Beschlusses anzuordnen, als hätte der Be-
schluss die Zustimmung der Mitschöppen erlangt; denn die
Einrichtung der Akten bot keinerlei Gewähr für korrektes
Handeln des Seniors, weil die Angabe der beim Spruche
Betheiligten oder auch nur eine Registratur des Schöppen-
schreibers oder desSchöppenseniors, dass ein Kollegialbeschluss
gefasst sei, nicht obligatorisch war.1) Die Bedeutung der Einzel-
stimme des Seniors oder seines Vertreters erhellt, wenn
(1623: 71 421) Zieritz als Subsenior dem Tags zuvor gefassten
Sitzungsbeschlusse gemäss ein Urtheil entwirft und dabei an
die Neustädter Kollegen schreibt: „weil die sache ardua
und wol möchte ad altiora loca kommen, habe ich das
urtel concipiren wollen und stelle es auf gutacht der herren.
Do die herren damit einig, kanns in der Altenstadt ufs
reine gebracht werden44. Hierzu erklärt der Altstädter Senior
(ohne seine Schoppen zu hören) schriftlich seine Zustimmung,
„sintemalen das conzept den gestrigen votis gemäss4*, und
es erfolgt die Ausfertigung in der Altstadt.
Das Zirkuliren der Akten an Stelle der Abhaltung einer
Gesammtsitzung scheint um die Mitte des sechzehnten Jahr-
hunderts begonnen zu haben. Aus dem Jahre 1551 (4 145)
liegt ein Fall vor, in welchem der Spruch drei verschiedene
Entwürfe hat: die erste Fassung lieferte der Neustädter
Schöppenschreiber Karpzow; hieran nahm der Neustädter
Senior Bester2) Aenderungen vor; er Hess die Akten in die
Altstadt gelangen, wo man seiner Meinung beitrat und da-
nach den Spruch ausfertigte.
Aber nicht bloss aus solchen Korrekturen der Spruch-
entwürfe ist auf ein Zirkuliren zu schliessen. Ein sicheres
Zeichen, dass ein Spruch nicht auf einen gemeinsamen
*) Zu Zeiten findet sich eine solche Registratur: 1577 (18 128) ver-
sieht ein Neustädter Schöppe einen aus der Altstadt herübergekommenen
Spruchentwurf mit der Bemerkung: „Die herren1' (nämlich der Neustadt)
„sind hiermit zufrieden". Aehnlich 1576 (17 761).
2) Ueber ihn s. Seite 154.
Stölzel, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 31
482 6* Buch. Verfahren.
in einer Gesammtsitzung gefassten Beschluss beruht, ist d»
Bemerkung unter dem Spruch: „auf der Herren Schoppen
(nämlich der andern Stadt) Verbesserung** oder „auf Ver-
besserung*, „auf Besserung" oder bloss „Besserung**, später
ersetzt durch „salvo". Damit wird angedeutet, dass die
Sache zirkuliren und der etwaigen Abänderung durch das
Einzelschöppenkolleg, dem sie zugeht, unterliegen soll. Diese
Form des Verfahrens leitet zum schriftlichen Verkehr unter
den Schoppen hinüber, der in den 1550 er Jahren mit dem
Momente beginnt, in welchem der Sieg der gelehrten Recht-
sprechung bei den Schöppenstühlen als entschieden gleiten
kann.
Hier erhält das, was die Akten des Brandenburger Schöp-
penstuhls ergeben, eine wesentliche Unterstützung durch den
Befund der Akten des Leipziger Schöppenstuhls. Während die
beide ersten Bände des letztern Schöppenstuhls (aus der Zeit
von 1487 bis 1492 und von 151 7 bis 1520) nichts enthalten als
anfanglich Kopieen, dann Konzepte von Oberhofsspruchen,
findet sich im dritten Bande (1546 bis 1562) vom Jahre 1554
ab mehrfach unter dem Spruchentwurf eine Entwicklung der
Gründe, die den gefällten oder vorgeschlagenen Spruch
rechtfertigen sollen, sämmtlich von einer Hand herrührend
und zwar von derselben Hand, die den Spruch entworfen
hat, bald in kürzerer, bald in längerer Fassung.1) Ein um
1550 neu eingetretener Schöppe mag dies Verfahren ein-
geführt haben.2) Dabei sind in diesen Ausführungen und
auch noch ausserdem am Rande vielfach Institutionen- und
Pandektenstellen zitirt,3) auch Sätze in lateinischer Sprache
T) Man sehe z. B. fol. 240. 269. 283V. 284. 298. 302. 327. 336». 364.
377. 381V. 389V. 396. 416. 429. (1554 b»s 1557)
*) Von dessen Hand rührt auch ein Randzusatz im 2. Bande der
Leipziger Akten fol. 246 v her, der einzige, der sich in diesem Bande findet.
Er behandelt die Frage, ob und wie vollbürtige Geschwisterkinder neben
einem Halbbruder erben, und nimmt auf Scheybe (s. oben S. 250) Bezug,
der seine Ansicht auf Stellen des Sachsenspiegels begründet habe. Hier-
über wird bei Betrachtung des Erbrechts zu handeln sein.
8) z. B. fol. i9ov 1. aequissima § perinde ff. d. usufr., Inst. d. rer. div.
% certe constat, ff. de verb. sign. 1. impense bei Beurtheilung der Frage, wer
die Kosten der vom Pächter errichteten Gebäude tragen müsse; fol. »85 ▼ 1.
§ 37- Behandlung der Schöppensachen. 483
eingeschaltet. Sogar im Spruche selbst werden bei Verur-
theilung eines stuprator, der die stuprata „zu ehelichen nicht
"bedacht44, die „gemeinen beschriebenen Rechte" in
Bezug genommen, nach deren Ordnung der stuprator, weil
er der Dirne Vormund gewesen, zu Staupe geschlagen und
der Gerichte verwiesen werden, auch aller Güter verlustig
gemacht soll.1) Es bestätigt sich also, wie beim Magdeburger
Oberhof, 2) dass die sächsischen Juristen ungeachtet der Bei-
behaltung ihres Sachsenrechtes dann in der gleichen Weise
zum römischen Rechte ihre Zuflucht nahmen, wenn sie seiner
zu bedürfen glaubten, wie die Brandenburger Juristen, wenn
ihr Brandenburger Recht sie rathlos Hess. So stehen denn
die Leipziger Schöppensprüche und deren in die Akten
niedergelegte Entscheidungsgründe jener Zeit auf demselben
Standpunkte wie die Brandenburger; die einen wie die andern
gehen von römisch-rechtlich gebildeten Juristen aus, die als
primäre Rechtsquelle zwar ihr Landesrecht, als sekundäre
aber die gemeinen beschriebenen Rechte heranziehen.
Die ersten in den Brandenburger Akten befindlichen,
neben den Spruchentwürfen hergehenden Rechtsausführungen
von Schoppen könnten gerade so gut von sächsischen Schoppen
herrühren. Sie sind in Korrespondenzen zwischen den
akademisch gebildeten Senioren des Jahres 1552 enthalten.
Der Neustädter Senior Bester sendet (ÜB. 1 267) seinem Alt-
städter Kollegen Schmidt einen Spruchentwurf zu, der die
Erbfähigkeit der Nonnen anerkennt; dem fügt Schmidt
einige Sätze ein, die er gutachtlich am Rande und durch
eine an den Schluss gesetzte rechtliche Ausführung über
Morgengabe und Musstheil begründet, indem er sich durch
wohl oder übel angebrachte Zitirung einiger römisch-recht-
licher Sätze als gelehrter Jurist und zugleich als guter, die
Erbfähigkeit der Nonnen verfechtender Lutheraner kund-
giebt. 3) Ebenso sendet Bester (ÜB. 1 268) den Spruchentwurf
<\m\ foveas in princ. ad 1. Aquil. bei Beurtheilung der Frage, wer bei
verschuldetem Ertrinken eines Knaben Abtrag leisten müsse.
1) fol. 114 V.
2) Siehe oben S. 292.
3) Die Ausführung schliesst: „salvo vestro meliori judicio*4. Ein
31*
484 6. Buch. Verfahren.
in einer Brandstiftungssache mit Angabe seiner Gründe, die
sich auf eine communis consuetudo cum incendiariis per Ger-
maniam observata stützen.
Daraus, dass ein solches Zirkuliren der Spruchentwürfe
zu jener Zeit noch ungewöhnlich war, erklärt sich, wenn
Roter als Schöppenschreiber 1553 (5 33) eines seiner Konzepte
mit den Namen zweier Altstädtischer Schoppen unterzeich-
nete,1) auf deren Votum wahrscheinlich der Spruch beruhte
Dass in der Namensnennung derjenigen, die einen Spruch
gefallt hatten, oder in ihrer Unterschrift eine nicht gering
zu achtende Garantie für das korrekte Zustandekommen des
Spruchs lag, war den rechtsuchenden Parteien damaliger
Zeit sehr wohl bekannt. Hatten doch die Stände auf dem
Landtage von 1542 ausdrücklich verlangt, dass die Kammer-
gerichtsräthe, welche ein Urtheil fassen, „nach altem guten
Gebrauch allzeit, wer dabei gewest, unter das Konzept des
nächstes Beispiel der Verbesserungsklausel 1553 (5 82): In einer Todr-
schlagssache schreibt der Neustädter Schöppenschreiber Karpxow a's
den Vorschlag der Neustädter auf die Missive: „soll er mit dem Schwerte
vom leben zum tode verrichtet werden; uff Verbesserung" ; der Altstädter
Schöppenschreiber Roter hat als Gegenvorschlag der Altstädter (d. h. ab
deren „Verbesserung*4) darunter gesetzt: „soll er mit dem rad gerichtet
werden"; so muss der Spruch in der Altstadt ausgefertigt sein, da die
Sache Theil der Altstädter Akten geworden ist. Fernere Beispiele der
Klausel salvo s. 1579 (21 148), 1581 (21 472), 1583 (23 272. 307. 363), t$U
(25294.296), 1592 (3635); »salvo dominorum scabinorum judicio. S(tntor»
R(oter). Sig. Bardeleben"; darunter die Neustädter Notiz: „stat sentemia.
Mich. Iden. Bitten das urtheil zu verfertigen und abgehen zu lassen".
Der Altstädter Schreiber Garz entspricht dem. Vgl. auch 1597 (4a 48; 43
378). Unter einem 1588 (29 291) mit „salvo" des Neustädter Schreibers
versehenen Entwurf ist bemerkt : „Da (= wenn) die herren (seil, der Alt-
stadt) mit diesem conzept nicht einig sein können, seindt die hern schoppen
der Neustadt erpottig, umb 1 uhr ufm schoppenhause sich einzustellen".
Da Weiteres in den Akten fehlt, waren die Herren einig und die Sitzung
überflüssig; der Spruch wurde in der Altstadt alsbald ausgefertigt.
l) „Matthias Schmidt*4 (womit wohl Matthias Bardeleben und Valentin
Schmidt gemeint sind, da es einen Matthias Schmidt im SchÖppenstuhl
nicht giebt). Noch einmal hat 1576 (17 761) der Neustädter Schöppe Michael
Iden die von ihm unter einen Altstädter Entwurf gesetzte Bemerkung: «ist
recht, soll also ingrossirt werden1*, mit dem Namen des Seniors, zweier
Schoppen und mit seinem eigenen Namen unterzeichnet.
§ 37* Behandlung der Schöppensachen. 485
Unheils schreiben sollen, Verdacht zu verhüten". l) Die
Brandenburger Schoppen sahen beim Aufkommen des
schriftlichen Votirens von der Notwendigkeit der Unter-
zeichnung durch alle Mitwirkenden ab, bis es im Beginne des
siebzehnten Jahrhunderts üblich wird, dass die schriftlich
Votirenden unter ihr Votum eigenhändig ihren Namen oder
wenigstens dessen Anfangsbuchstaben setzen.2) Ferner er-
klärt sich aus der Neuheit des schriftlichen Votirens, dass sich
Bester 1552 (ÜB. 1 269) und 1557 (ÜB. 1 330) der Briefform
bedient, um Namens der Neustädter Schoppen seine Rechts-
ansicht dem Altstädter Senior zu eröffnen, ein Verfahren,
wie es ebenfalls später nicht wieder vorkommt. Dabei er-
giebt zugleich der älteste dieser beiden Briefe, dass er durch
einen Tags zuvor auf dem Schöppenhaus gefassten Beschluss
der vereinten Schöppenkollegien hervorgerufen war: in
einer Brandstiftungssache erhebt sich der Zweifel, ob auf
Grund der Aussage eines Angeklagten der Mitangeklagte
gefoltert werden dürfe; die Schoppen „verlassen" (d. h. ver-
einbaren), die Neustädter möchten ihr „Bedenken44 (d. h. ihr
Gutachten, ihren Spruchentwurf) den Altstädtern „auf Ver-
1) Holtze, Gesch. des Kammergerichts 1, 265.
2) 1593 (36 457) drei schriftliche Aeusserungen ohne jede Namens-
unterschrift; 1607 (54 440) Neustadter Votum von der Hand des Schoppen
Nickel mit dem Zusatz des Altstädter Seniors: „Redigatur in forma sen-
tentiae. Ego Joh. Lampertus consentio." Darunter schreibt Johan Grell
(nächstältester Altstädter Schöppe) seinen Namen; der Altstädter Schreiber
entwirft den Spruch; 161 7 (65513) ausführliche lateinische Voten in einer
Abschosssache von Floring, Zieritz (Neustadt), Chueden, Grell, Haveland
(Altstadt); 1619 (66 307) 5 Altst., 3 Neust, (66 433. 472; 67 58) je 4 Altst.,
3 Neust, schriftliche Abstimmung mit Namensunterschrift; 8 Stimmen eben-
so 1620 (67 625. 635. 663). Unterzeichnung mit den Anfangsbuchstaben der
Namen so z. ß. 1632 (74 198. 203. 207). Neun Schoppen wirken laut ihrer
Unterzeichnung mit 1622 (70 488); es fehlt nur der jüngste (Bardeleben); vier
wirken mit 1630 (73 480. 496), fünf 1630 (73 474. 501), sieben 1630 (73 451. 477.
452), sechs 1630 (73 478). Vgl. auch ÜB. 2 573. 577. 588. 634. 670. 674. 678.
685. 719. Einer kürzlich aufgestellten Behauptung gegenüber, dass das
Schreiben mit Bleistift erst nach dem dreisstgj ährigen Kriege erfunden sei,
darf bemerkt werden, dass Roter schon 1558 (6 4x4) einen Spruch mit Blei-
stift entwirft und Chueden von 1620 an (67 635) als Einziger Jahrzehnte lang
ausschliesslich mit Blei unterzeichnet; 1732 (86 616) wird der Bleistift noch
„Bleiweiss* genannt, 1734 (87 405) „Blei StifFt\
486 6. Buch. Verfahren.
besseruflg44 zuschicken; weil der Neustädter Schreiber aa
diesem Tage hat verreisen müssen, übernimmt der Senior.
damit die Neustädter nicht den Vorwurf der Saumseligkeit
auf sich laden, „sein Bedenken schriftlich zuzustellen", das
er auf die communis consuetudo cum incendiariis per Ger-
maniam observata gründet und in einen Spruch fasst, des
er bei der Wiederzusammenkunft des Schöppenstuhls
vorschlagen werde. Hier blickt durch, dass die mündliche
Beschlussfassung noch die Regel bildet; nur weil in der
ersten Sitzung sich Schwierigkeiten ergaben, wird schrift-
liches Votiren beschlossen, aber diesem Votiren folgt, wie
der Neustädter Senior als selbstverständlich betrachtet, eine
zweite Sitzung zur endlichen Beschlussfassung. Hierbei ist
die Eile zu beachten, mit der nach Ansicht des Seniors der
Beschluss vom Tage zuvor erledigt werden musste; wegen
zeitweiser Abwesenheit des Schöppenschreibers übernimmt
es der Senior, die Feder in der Sache zu führen ; ob er
über „sein" Bedenken die Neustädter Mitschöppen gehört
hat, bleibt zweifelhaft; sein Brief sagt nichts darüber. Yoo
dem Ermessen des Seniors hing es ab, ob er eine von der
anderen Stadt mit deren Votum ihm zugesandte Sache io
die Sitzung bringen oder ohne Sitzung erledigen wollte. So
fertigt der Altstädter Schöppenschreiber ein in die Altstadt
übersandtes Konzept seines Neustädter Kollegen 1558 (6518)
aus und schreibt, da er „um 2 Uhr auf dem Schöppenhause
nicht sein könne", seinem Senior, er stelle es in dessen
Bedenken, ob er das Urtheil den Herren Schoppen (d. b.
den auf dem Schöppenhause versammelten Schoppen beider
Städte) vorlesen wolle, ehe es besiegelt werde, weil sie dort
(ja doch) anderer Rechtsfragen wegen zusammen kämen.
Die Ausfertigung eines Konzepts durch den Schöppen-
schreiber hiess technisch die „Ingrossation". l)
J) Auf eine Anfrage der zu Glinicke erbgesessenen Flanse, bemerkt
1559 S. Roter: Die herren scheppen der Altenstadt achten, das auf dies«
fall das urthel zu stellen sei, das der N. N. bis zu genügsamer Caution
gefänglich gehalten werde. Auf der herren scheppen der Neustadt Ver-
besserung. Und weil der scheppenschreiber der Neustadt itzo verhindert,
solch urthel zu ingrossiren, ist der in der Altenstadt erbötig, dasselbe zu
thun, sofern es bei solcher meinung bleiben soll1* (7 431).
§ 37* Behandlung der Schöppensachen. 487
Die vom Schreiber oder jüngsten Schoppen entworfenen
Sprüche werden also im regelmässigen Gang der Dinge den
Schoppen der betreffenden Stadt vorgetragen und gehen
dann den Schoppen der anderen Stadt zu, um — im Falle
des Einverständnisses — dort ausgefertigt zu werden. Die
„auf Verbesserung" zugesandten Konzepte konnten sogar
ohne nochmaliges Gehör desjenigen Einzelkollegs, von dem
sie herrührten, mit Korrekturen versehen werden. Regel-
mässig scheinen sich aber einseitige Korrekturen nur auf
minder wesentliche Punkte zu beziehen.
Das Bedenkliche eines solchen Umgehens der Gesammt-
sitzung tritt besonders dann hervor, wenn der Vorbehalt
einer Verbesserung auf Kapitalsachen angewendet wird.
Dadurch geschieht es, dass sogar Todesurtheile ergehen,
ohne in einer Gesammtsitzung berathen zu sein.2) Es genügt
selbst (1603: 50 252) die Zustimmung eines Schoppen der
anderen Stadt, ein Todesurtheil zu Stande zu bringen: Dem
Votum dreier Altstädter, das einem Dieb die Strafe des
Rades zudiktirt, schliesst sich der Neustädter Zieritz schrift-
lich an, und auf diese Erklärung des einen von vier Neu-
städter Schoppen erfolgt die Ausfertigung des Todesurtheils
durch den Altstädter Schöppenschreiber. Dasselbe geschieht
1634 (75 600) mit zwei Todesurtheilen durch den Neustädter
Schreiber, nachdem den drei Schoppen der Altstadt der eine
Neustädter Schöppe Schale beigetreten war, der zweite
Schöppe, Senior Zieritz, aber erklärt hatte, er wisse sich
der Sache — in der früher (1634: 75 614) bereits die Bran-
') Vgl. 1590(3344): Spruchkonzept des Neustädter Schreibers „salvo
do minor um judicio" mit einer Korrektur des Altstädter Schreibers. 1607
(54 445): Ein Neustädter Spruchkonzept auf „etwa 50 Thlr.14 Geldbusse
ändern die Altstädter ab auf Geldbusse „nach seinem Vermögen".
') Der Neustädter Schöppe Nickel schreibt als sein Votum oder als
den in der Neustadt gefassten Beschluss unter eine Missive des Raths zu
Prenzlau 1603 (50 626): „Gladio plectorandus est ut adulter et ut raptor.
Salvo"; demgemäss setzt der Neustädtische Schöppenschreiber das Todes-
urtheil auf; so gehen die Akten in die Altstadt, und hier wird — zum
Zeichen, dass man einverstanden, — das Todesurtheil ausgefertigt; denn
die bei der Altstadt verwahrten Akten enthalten nichts als die Missive,
Nickels Votum und das Neustädter Konzept.
488 6. Buch. Verfahren.
denburger auf die Folter erkannt hatten — nicht zu erinntr
und „stelle es derwegen auf die anderen Herren**. Mit solcher
Begründung konnte sich demnach in Kapitalsachen sei'rv
der Senior seiner Stimme enthalten; die eine Neustäcter
Stimme stellte den Beschluss der Neustadt dar, deren Schoppen
sich damals auf zwei reduzirt hatten. In einer vom Branden
burger Domkapitel eingesandten Kapitalsache beruht i^ ,
(57 78) das in der Altstadt ausgefertigte Todesurtheil eben-
falls nur auf der Abstimmung eines Neustädter und dreier
Altstädter ad statum legendi; statt der Gesammtsitzung der
damaligen acht Schoppen beider Städte reichte also cur
schrifdiche Abstimmung von vier Schoppen aus. !)
Immerhin hatte jeder Spruch, da er einen Spruch de:
Schoppen „beider" Städte darstellte, zur nothwendiger
Voraussetzung, dass Schoppen mitwirkten, die theils der Alt-
Stadt, theils der Neustadt angehörten. Gesetzt, es wären je-
weilig fünf Schoppen der Altstadt und nur vier der Xeustacr
vorhanden gewesen, so konnte nicht davon die Rede sein, das?
etwa die fünf Altstädter, weil sie die Mehrheit des Gesamnir-
kollegs bildeten, für sich allein eine Belehrung des Schoppen-
Stuhls ertheilt hätten; wohl aber war hierzu eine aus vier Alt-
städtern und ein Neustädter gebildete Mehrheit im Stande.
Dasselbe wäre möglich gewesen, wenn eine Sitzung gehalten
und etwa nur drei Schoppen (zwei Altstädter und ein Neu-
städter) anwesend gewesen wären.
Die Vertrautheit der Schoppen mit Lesen und Schreiben
führte aber noch weiter, als dazu, dass vor der Sitzung der
künftige Spruch vorbereitet wurde. Es konnte sich ereignen,
dass die Sitzung ein bestimmtes Resultat nicht ergeben hatte;
dann war eine nachträgliche schriftliche Erörterung ange-
zeigt. Oder man konnte auch den Wunsch haben, eine
Sitzung der Bequemlichkeit halber überhaupt zu umgehen.
Es gab kein Gesetz, welches eine mündliche Abstimmung
geboten hätte, darum konnte sowohl mündliches und schrift-
liches Verfahren mit einander verbunden, als auch rein schrift-
liches Verfahren an die Stelle des mündlichen gesetzt werden,
l) Ebenso wird 161 2 (60 357) auf schriftliche Abstimmung von vier
Altstädter und einem Neustädter Schoppen ein Todesurtheil gefällt.
I
§ 37. Behandlung der Schöppensachen. 489
wie es je nach Lage des Einzelfalles die Schoppen für an-
gezeigt hielten. So Hess es sich auch ermöglichen, dass
Sprüche zu Stande kamen, wenn, wie in den Jahren 1577 und
1 598, der Pest halber die neustädter Schoppen in Klein-
Kreutz, die altstädter in Radewege unweit Brandenburg
weilten, oder wenn, wie im Jahre 1597 (41 257), zwei auf der
Reise nach Berlin befindliche altstädter Schoppen, denen ein
Bote mit Rechtsfragen begegnet, dieselben sofort unter sich
verlesen und sich darüber schriftlich äussern, damit (weil die
Sache kurfürstliche Gefangene betraf) in ihrer Abwesenheit
der Bote nicht aufgehalten werde, oder wenn 1646 (77 352)
der neustädter Senior eine eilige Sache den in Berlin weilen-
den Kollegen nachschickt, damit sie sich darüber einigen und
ihm die Sentenz zugehen lassen. Eine Beschwerde, dass ein
Urtheil „zu Schöppenhaus nicht konzipirt, auch nicht ver-
lesen, noch weniger herumgeschickt" worden sei, erhebt ein-
mal 1620 (67 288) der an alten Bräuchen festhaltende Sub-
senior Zieritz Namens seiner Neustädter Kollegen.
Im Prinzipe blieb es indess bis zur Städtevereinigung
im Jahre 1 715 dabei, dass es sich stets um die Abstimmung
zweier besonderer Körperschaften auf Grund wechselweiser
Kommunikation handelte. Diese Zweitheiligkeit giebt sich
nicht bloss dadurch kund, dass eine fortdauernde Korrespon-
denz zwischen „Altstädtern" und „Neustädtern" entsteht,
sondern besonders auch dadurch, dass zu der Zeit, als schrift-
liche Abstimmungen mit Namensunterzeichnung üblich werden,
die Altstädter auf der einen, die Neustädter auf der andern
Hälfte des Blattes ihre Namenszeichen setzen.1)
Der frühere Modus, bei der Verlesung der eingegangenen
Sachen den altstädter und den neustädter Schöppenschreiber
in der Sitzung alterniren zu lassen und auf diese Weise die
eine Hälfte der Sachen den Altstädtern, die andere Hälfte
den Neustädtern zuzuweisen, passte nicht für ein solches
schriftliches Verfahren. Es musste ein neuer Modus der
Aktenvertheilung sich bilden. Welcher Modus dies in älterer
Zeit war, ist nicht mit Sicherheit zu ermitteln gewesen. Seit
der Städtevereinigung sandte der Senior den Scabinen die
l) Vgl. unten S. 493 und ÜB, 2 685.
490 6. Buch. Verfahren.
eingehenden Sachen nach einem Turnus in das Haas.
Es ist möglich, dass ein ähnlicher Turnus schon längv
namentlich, seit es nur einen Senior gab, von diesem ei:
geführt worden war.
Schriftliches Votiren mehrerer Schoppen unter knrzr
Angabe der Gründe findet sich zuerst 1593 (36 518) a-
einem schmalen quergenommenen Zettel. Die Votamen, ■
hier ihre Namen angeben, sind zwei Altstädter und rw~
Neustädter, nämlich die drei Magistri Lampertus, Blnhr
Boldicke und Thomas Storbeck. Da die Vota auseinander-
gehen, gelangt die Sache in die Gesammtsitzung; hier ßnl-
die Meinung des neustädter Seniors Iden Billigung, wie d-
Schlussnotiz ergiebt: „Opinio consulis Idenii placet cooser>.
scabinorum aliorumu. Der Wunsch eines Einzelnen genügt
(1606: 52438), die Sache zur Abstimmung in eine gcmär-
schafttiche Sitzung zu bringen, unter Umständen ebenso (160^
57 101) das abweichende Votum eines Einzelnen.2)
Ein Zirkuliren der Akten nach abgehaltener Sitaa^
empfahl sich zu Zeiten, wenn wichtige oder weitlaitizgc
Sachen abzuurtheilen waren. Dahin gehörte z. B. im Jahr?
1552 der oben (S. 485) besprochene Fall und im Jahre i6\u
der Fall des Ehemannes der Grete Minte (ÜB. 2 58s).3)
Die Akten von einer Stadt in die andere zu bringet,
war Sache des Rathsdieners der betreffenden Stadt, nich:
etwa des die Akten überbringenden Warteboten.4) Dieser
Diener war es auch, der nicht bloss zuweilen mit dem Auftraf
f) Deshalb redet 1731 (86 282} Giesecke, als die Schöppenzahl *•■'
3 auf 4 erhöht werden soll, davon, dass er bereit sei, ferner »seinen Stra-j
pro tertia zu ziehen". Von dem Turnus wird auch 1736 (88 544) und 175*
(90 596. 891) gehandelt.
2) Vgl. auch 69 460 (1621); 78 321 (1651).
8) Im Jahre 162 1 (68 526) votirte auf eine Anfrage des Hauptmann-
von Zechlin der neustädter Senior Floring auf Territion ; Zieritz hatte dar-
auf in der Sitzung abweichend votirt; sein Kollege Buchholz „durchlas
nachmals mit Fleiss die Akten, da er (in der Sitzung beim Verlesen) „nicht
so Alles habe assequiren können".
4) Kriele bemerkt 1703 (80 152): „Die Diener müssen die Acta herum-
tragen, denn sie das Ihrige davon bekommen, weil es sehr gefahrlich hl
dieselben dem Boten anzuvertrauen."
$ 37* Behandlung der Schöppensachen. 491
abgesandt wurde, mündlich die Vota der Schoppen einzu-
sammeln (1613: 61 532) oder die Zustimmung der Schoppen
seiner Stadt zu dem Entwurf der andern Stadt auszusprechen,
sondern der zuweilen sogar dazu gebraucht wurde, gewünschte
Aenderungen des Entwurfs mündlich zu bestellen. Denn der
altstädter Subsenior schrieb 1596 (41 380) seinem Schoppen«
Schreiber in Bezug auf einen altstädtischen Spruchentwurf:
„Es seindt die Neustedtische hern scheppen mit dem con-
cipirten urtel gar woll zufrieden, auch durch iren bothen
sonderlich anzeigen lassen, das die angehefte clausel im urtel
möge zugleich einverleibt werden u.
Einen deutlichen Beleg, dass das in der einen Stadt ent-
worfene Konzept in der andern Stadt, wenn deren Schoppen
einverstanden waren, ausgefertigt wurde, ergiebt im Jahre
1598 (44 290) eine Bemerkung des altstädter Schöppen-
schreibers Kuhns, nach der er die Neustädter bittet, das von
ihm entworfene Urtheil „verfertigt bald anher zu schicken",
weil er es mitnehmen wolle und nicht „an seinem Abreisen
aufgehalten werden** möchte. Wäre nicht diese Gelegenheit
zur Beförderung des Urtheils vorhanden gewesen, so hätte die
Neustadt das Urtheil dem Anfragenden oder seinem Boten
auszuhändigen gehabt. Neben diesem Verfahren bestand aber
noch das andere, dass die in zweiter Linie stimmende Stadt,
auch wenn sie dem Entwurf der andern Stadt beipflichtete,
sich auf die Erklärung ihrer Zustimmung oder gar auf die
blosse Rücksendung der Akten (z. B. 1609: 58 458; 161 4:
63 492. 537) beschränkte und der andern Stadt die Ausferti-
gung überliess (1606: 52 395). l) Wie wenig eingehend die
Prüfung solcher zugesandter Akten zu Zeiten war, ergiebt
') Ein Konzept des altst. Schreibers Michael Düring geht mit der
Unterschrift des altstädter Seniors und des altstädter Subseniors in die
Neustadt und kommt zurück mit des neust Schoppen Zieritz Bemerkung:
«Sententiam hanc actis et juri consentaneam admitto." Ebenso kommt 1606
(53 419) ein vom altst. Senior unterzeichneter Entwurf Dürings mit der
Notiz aus der Neustadt zurück: „M. Nickel approbat", während (1606: 53 397)
Nickel auf einer Missive bemerkt: „Huic furi poenam relegationis dictandam
esse judicat M. N.* und daneben der altst. Senior schreibt: „Huic sententiae
asseotitur M. Joh. Lampertus. Salvou; dem entspricht das Spruchkonzept
des altst. Schreibers. Vgl. auch 52 306. 447; 54 433.
492 6« Buch. Verfahren.
sich daraus, dass 1615 (64 56) der neustädter Senior unter c--
ihm zugesandten, von einem altstädter Schoppen mitgezc.
neten Votum des altstädter Seniors bemerkt: ^Dieser ca=-
ist hie gewesen und uns aufgezeigt worden"*; im Sir-
jenes Seniors genügte also ein Vorzeigen der Akten: i.
eine sachliche Prüfung legte man keinen Werth. Mit c±r
einfachen Zurücksenden der Akten ohne irgendwelche Beair-
kung wollte sich jedoch 1634 (75 459) der altstadtische Sc-- -
Chueden nicht zufrieden geben; weil er wegen Amtsgeschärtr
verhindert war, hatte als sein Vertreter der Subsenior Tie5r-
bach eine Sache mit seinem Votum an die zwei Hat--.-
allein vorhandenen neustädter Schoppen gelangen lassen; iL*
die Sache zurückkam, schrieb Chueden den Neustädter
„Weil keiner sein votum ad acta gelegt, kann ich dara-?
kein urteil concipiren .... Mag man morgen zusammen
kommen1*. Tieffenbach bemerkte dazu, um sich zu er
schuldigen: „Man sollte selbiges bei Zeiten herumgeschkh
haben .... Ich bin zum teil durch Schwachheit verbinde:
worden, sonst wäre es geschehen; wenn aber etliche nich
einheimisch und etliche lange zeit außen sein, wo soll mar
hinschicken?"
Um einen Begriff zu geben, in welcher knappen Forz
damals noch die Vota der beiden Kollegien abgegeben wurden
sei hier ein Votum Schales, des einen der beiden neustidtc
Schoppen, nebst den zustimmenden Erklärungen des alt-
städter Seniors Chueden und seiner zwei Kollegen TieflFenbacr
und Weitzke aus dem Jahre 1637 (76 388) in einer Pferde*
diebstahlssache wortgetreu eingerückt; es nimmt acht Zeilen
eines Sedezblättchens ein und lautet:
Die indicia sein sehr schlecht, und
ist testfis] 3, welcher durch minis die
pferde zu verrathen testiret, Singu-
lar is. Schließe meines teils
zur leidlichen haft, articulatam
examinationem , confrontation mit
den zeugen, auch erkundigung
seines vorigen lebens. Ergehet etc. l)
G. Ch.2) s. J. Seh.
J. T.
M. P. W.
§ 37- Behandlung der Schöppensachen. 493
Am Ende des 17. Jahrhunderts beginnt man, die Fassung
ies beschlossenen Unheils nicht dem Einzelkolleg zu über-
lassen, vielmehr auch über sie das andere Kolleg zu hören;
so bittet der neustädter Schöppe Cläpius 1697 (79 807)» nach-
dem er einem Votum der Altstädter beigetreten ist, „die
Sentenz vor deren Mundirung zu kommuniziren". Nur bei
Sachen einfachster Art überlässt das Kolleg der einen Stadt
dem der anderen die Ausfertigung des Spruchs allein.
Die Abstimmung der Schoppen erfolgte (anders wie
in unsern heutigen Kollegien) so, dass der älteste zuerst, der
jüngste zuletzt stimmte. Dies ist bei schriftlichen Abstimmungen
aus der Reihenfolge der Abstimmenden erkennbar.3) Auch hier
wird rückwärts auf die ältere Zeit und es wird auch auf das
Verfahren bei mündlicher Abstimmung geschlossen werden
können. Solche Art der Abstimmung hatte ihren guten
Grund: das „Wissen", die „Weisheit" der Schoppen beruht
auf ihrer Uebung; der neueintretende Schöppe tritt ohne
Wissen oder nur mit beschränktem Wissen in das Kolleg;
der ältere Schöppe soll sein Lehrmeister sein und sich nicht
von den jüngeren Kollegen majorisiren, vielmehr sollen die
Jüngern sich von ihm beeinflussen lassen. Diese Beeinflussung,
die heutzutage vermieden werden soll, indem man die jünge-
ren vor den älteren Gerichtsmitgliedern stimmen lässt, hatte
für die Schöppenstühle nichts Bedenkliches.
Da dem Kolleg der Schoppen beider Städte Branden-
burg der Richter fehlte, so sammelte der Senior die Stimmen,
der altstädter die Stimmen der altstädter Schoppen, der neu-
städter die der neustädter.4) Handelte es sich um eine Sache,
*) Damit ist die Schlussklausel des vorgeschlagenen Spruchs ange-
deutet: „Ergeht weiter, was Rechtens*4 (nachdem nämlich die angeordnete
weitere Untersuchung beendet sein wird).
*) Bleistift Unterschrift Chuedens. Schale hat zuerst gezeichnet und zwar
mit „salvo". Das ist die Abstimmung der Neustadt. In davon getrennter
Kolumne stimmt die Altstadt, zuerst der Senior, dann der Zweitälteste, zuletzt
der jüngste.
8) Z. B. 1603 (50 267), 1609 (58 328. 335), 1622 (70 369): Senior Floring
schreibt unter eine Missive: „Dieser fall ist sehr nachdenklich, will mich
darauf ein wenig bedenken u. Vgl. auch vorige Note.
4) Auch bei Gerichten vertrat der älteste Schöppe den Richter (oder
494 6 Buch. Verfahren.
die aus Brandenburg selbst eingegangen war, so hatten „nach
alter Gewohnheit" die Schoppen derjenigen der beiden
Städte zuerst zu stimmen, die nicht die anfragende Stadt
war.1) Darin spricht sich ein analoger Gedanke aus, wie bei
der Gewohnheit, dass der älteste Schöppe zuerst abstimmt:
die Vota der bei der Sache nicht interessirten Schöpper.
sollten auf die der möglicherweise dabei interessirten ein-
wirken und dahin fuhren, dass die interessirten Schoppen un-
geachtet ihres Interesses sich von ihren nicht interessirten
Kollegen leiten Hessen.
Mannichfach rührt das Spruchkonzept nicht vom Schop-
penschreiber, sondern von einem Schoppen oder vom
Senior selbst her: der konzipirende Schöppe oder Senior
vertritt dann den Schöppenschreiber, was namentlich vor-
kommt, wenn er etwa früher Schöppenschreiber war.-i
So trifft öfters den jüngsten Schoppen die Vertretung des
Schöppenschreibers. Das findet sich in der Stadt Osterburg
(bei Stendal) schon 1538 (ÜB. 1 173); hier ertheilt damals
der jüngste Schöppe den Parteien Abschrift der gegnerisches
Prozessschriften; das dortige Gericht hatte also bereits
schreibenskundige Schoppen. Auch der Senior muss häufig
vertreten werden; dies geschieht durch den nächstältesten
Schoppen. 3) Aus dem Senior, der sich vor der Sitzung über
eine eingegangene Sache sein Urtheil bildete, oder aus seinem
Vertreter wuchs allmählich der Referent im heutigen Sinne
Schultheis) und hiess deshalb z. B. in Wiesbaden „Unterschultheis*4 (Otto.
Das älteste Gerichtsbuch der Stadt W. 1900 S. 14).
') 17°7 (8fl 359) : »ich sene gerne, dass die Herren Neustädter zuerst
der Gewohnheit nach votirten" (Bürgermeister und Rath der Altstadt
Brandenburg hatten ein Urtheil in einer Konkurssache erbeten).
*) Der Neustädter Schöppe, früherer Schöppenschreiber BoWicke
notirt unter der Missive 1591 (33 400) als Vorschlag des Neustädter Kollegs:
„ordinaria poena rotae imponfatur]"; es folgt aber ein vom AltsL Schöppen-
schreiber Bluhm konzipirter Spruch, der noch vorgängige Ermittelungen
verlangt. Da nichts Weiteres erhellt, ist der Spruch so abgegangen, nach-
dem die Neustädter sich angeschlossen haben, entweder in einer Sitzung
oder durch Rücksendung des von ihnen nicht beanstandeten Konzepts.
3) So vertritt Grell 1609 (57 552) den Altstädter Senior Bluhm und
registrirt den Sitzungsbeschluss, den dann der Altstädter Schöppenschreiber
Döring in Spruchform fasst.
§ ^7- Behandlung der Schöppe nsachen. 495
des Wortes heraus; l) ihn bestimmte anfänglich der Senior,
sofern er nicht selbst die vorbereitende Bearbeitung über-
nahm,2) bis später der Turnus eingeführt wurde, den wir
(S. 490) kennen lernten.
Immerhin muss es als Regel betrachtet werden, dass
loei zirkulirenden Sachen ein Beschluss jedes Einzelkollegs
über das Spruchkonzept nöthig war. Der Senior konnte ihn
entweder dadurch beschaffen, dass er die Sache in dem oft
a.uf dem Rathhaus versammelten Einzelkolleg besprechen
liess, oder dadurch, dass er die Akten jedem einzelnen seiner
Schoppen zur Revision des Spruchkonzepts zusandte.3) Auch
das kam vor, dass der gefasste Beschluss mündlich vom
Schöppenschreiber oder von einem Schoppen der Schwester-
stadt in Empfang genommen wurde.
Die Uebereinstimmung zwischen Altstadtern und Neu-
städtern kann aber (1648: 77 612) auch dadurch hergestellt
1) Ein analoges Verfahren findet sich bei Gerichten, z. B. in Köln
{Ennen, Gesch. v. K. 1, 584), Wiesbaden (Otto, Das älteste Gerichtsbuch
<ler St. Wiesb. 1900 S. 17), wo im Gerichtsbuch v. 1554 ff. der Name des
referirenden Schoppen bei den einzelnen Sachen genannt wird.
2) 1606 (5a 382): Der Altst. Subsenior Bluhm votirt: „Als mir diese
sache zum verlesen (d. h. zum Durchlesen und Votiren und, wenn es
zu einer Sitzung kommen sollte, auch zum Vorlesen in dieser) zugesandt,
befinde ich1* pp.; dem tritt der Altst Senior bei; dann geht die Sache in
•die Neustadt; hier votiren die Schoppen Nickel und Zieritz; dann wird die
Sache Theil der Akten der Altstadt, weil sie in die Altstadt mit der Neu-
städter Votum zurückging und in der Altstadt ausgefertigt wurde. Aehn-
lich 1607 (54 57) : „Decisionem hanc ut juri et actis consentaneam legit et
approbat B|ernhardus] Z[ieritz]. Item Greg. Bluhm. Joh. Grel. Casp. Praeto-
rius.u Auch 1608 (56 369) votirt Floring: „Ich habe diesen fall verlesen und
befinde nicht, dass dem consulenten einige actio competire . . .* ; er ent-
wirft danach den Spruch „salvo dominorum judicio". Zieritz befindet
„aus Verlesung des Berichts" das Gegentheil; dem treten die Altstädter
Grell und Prätortus bei; demgemäss entwirft der Altst. Schreiber einen
neuen Spruch, der in der Altstadt dann ausgefertigt wird. Der Senior
Muller „theilt* 1706 (80 181) dem Schoppen Cläpius Kalber Akten »zu",
die er (der Senior) nicht erbrochen hat.
•) 1607 (47 515) schreibt Zieritz unter ein Altstäder Konzept: „Non potui
diligentia debita revidere hanc sententiam propter festinationem nostri
forensis praefecti* (d. h. des Stadtrichters Iden); 1740 (91 499) schreibt
Plümicke: „Bei den heute zur Revision zugeschickten Akten ist ver-
gessen pp.u
496 6. Buch. Verfahren.
werden, dass beispielsweise der Neustädter Referent sich im:
dem Altstädter Senior und einem Altstädter Schoppen -ac
dem Rathhaus in der Altenstadt vergleicht14.1)
Die (vermuthlich 1665 eingetretene) Verschmelzung d sc-
heiden Senioren in einen und die (im Jahre 17 15 stattgehabte
Vereinigung der Altstadt mit der Neustadt hatte die natur-
gemässe Veränderung des Verfahrens in der Richtung tlx
Folge, dass die Abgabe der eingehenden Akten nunmehr cor
an einer Stelle erfolgte, und dass dieser einen Stelle die
Distribution der Akten oblag. Deshalb berichtet2) 17 17 der
Schöppenstuhl, vom Könige über sein Verfahren befragt, „dir
Akten würden dem Senior, sofern er nicht abwesend, zuge-
schickt; er sende sie an die Anderen; darauf kämen sie zu-
sammen und beriethen; ein Mitglied werde mit dem Auf-
setzen der rationes beauftragt, der Sekretarius mundire, der
Senior siegele und schicke die Akten zurück44. Das stimmt
mit dem, was die Schöppenstuhlsakten ergeben.
Besitzen wir hiernach zwar eine authentische Nachricht
über das Verfahren des Schöppenstuhls im Anfange des
achtzehnten Jahrhunderts, 3) so waren wir für die Ermittelung
des Verfahrens früherer Zeiten lediglich auf die Schöppeo-
stuhlsakten beschränkt. Sie sind ohne genaue Kenntniss des
Verfahrens überhaupt nicht zu verstehen. Aus ihnen aber
den Weg festzustellen, den die einzelne Sache von ihrem
J) Ueber eine Abstimmung, die je im Einzelkolleg stattfand, liegt eis
Zeugniss vor aus 1600 (46 407). Chueden als gewissenhafter Senior be-
merkt 1646 (77 31a), als ihm Akten aus der Neustadt ohne eine Kotn
über die Ansicht der Neustädter zurückgesandt werden: „Weil ich der
herren Neustädter votum noch nicht gesehen, kann dies coneept so nicht
abgehen*.
2) R. 21 No. 9c StA.
3) Ueber das Verfahren des Schöppenstuhls zu Halle liefert Drey-
haupt, Saalkreis Bd.*2 S. 450 für das Jahr 1750 genauen Bericht: Der
Schöppenstuhl kommt Dienstag und Freitag Nachm. 2 Uhr auf dem
Schöppenhause zusammen, dort wird referirt und nach den meisten
Stimmen beschlossen; der Referent fuhrt dann den Beschluss aus, es wird
korreferirt, darauf von Allen unterschrieben und vom Actuario unter»
Siegel ausgefertigt; in wichtigen und Blutsachen werden die Akten tob
allen einzelnen Mitgliedern zu Hause nachgelesen und mit dem konzipinea
Urtheil konferirt.
§ 37* Behandlung der Schöppensachen. 497
Eingang beim Brandenburger Schöppenstuhl bis zu ihrem
Ausgang genommen hat, musste vielfache Schwierigkeiten
bieten wegen der meist fehlenden Daten und Unterschriften,
auch wegen der meist fehlenden Registraturen über die ge-
fassten Beschlüsse. Licht Hess sich hier nur gewinnen durch
Zuhülfenahme dessen, was über die beim Schöppenstuhl be-
schäftigt gewesenen Persönlichkeiten, ihre Amtsstellung, ihre
Zugehörigkeit zum Altstädter oder Neustädter Kolleg er-
mittelt werden konnte; daneben war im Einzelfalle, wenn
die betreffende Persönlichkeit sich nicht unterzeichnet hatte,
zu ihrer Feststellung das Vertrautsein mit ihrer Handschrift
von entscheidender Bedeutung.
Hat man sich aber genügende Kenntniss vom Verfahren
des Schöppenstuhls verschafft, so ergiebt sich, dass dasselbe
auf der einen Seite das denkbar einfachste, auf der anderen
Seite — namentlich gegenüber den Einrichtungen unserer heu-
tigen Kollegialgerichte — das denkbar wunderbarste und je
nach Lage des Einzelfalles denkbar verschiedenartigste war.
Bestimmend für dies Verfahren zeigte sich der Umstand,
dass wir es von c. 1430 bis 1715 mit einem Kollegium zu
thun haben, das in Wahrheit ein Doppelkollegium darstellte.
Innerhalb des Doppelkollegs hatte der Fortbestand der bei-
den Einzelkollegien, aus denen das Doppelkolleg sich zu-
sammensetzte, den wesentlichsten Einfluss auf den gesammten
Gang /ler Geschäfte.
Selbstverständlich entschied bei der Abstimmung im Ge-
sammtkolleg die Stimmenmehrheit. „Weil styli ist, das in
votorum discrepantia die pluralitas votorum in acht genommen
wird, gso werdet ihr auch in diesem falle solchen gebrauch
halten14, schreibt 1609 (58 844) der neustädter Schöppe
Zieritz dem altstädter Schöppenschreiber,. und ebenso 1614
(63 51)^ der neustädter Schöppe Schale: „Werdet solche
urtel 'propter pluralitatem votorum aufs reine unbeschwert
bringen." Da aber jedes Einzelkolleg gleich stark besetzt
war und — wenn nicht von vornherein die Majorisirung des
einen (Kollegs [durch das andere ermöglicht sein sollte, —
auch gleich stark besetzt sein musste, so lag es auf der Hand,
dass allemal dann ein Mehrheitsbeschluss unerreichbar ge-
Stölzel, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 32
498 % 6- Buch- Verfahren.
wesen wäre, wenn die Schoppen der einen Stadt verei:
gegen die der andern Stadt stimmten. Wohlweislich ordne
von diesem Gesichtspunkte aus unser heutiges deutsche G±
richtsverfassungsgesetz bei der Einrichtung eines dem Brande*
burger Schöppenstuhl ähnlichen Doppelkolleg-s (bei der Ver-
einigung von mehreren Senaten des Reichsgerichts) in § i;
ausdrücklich an, dass die Zahl der stimmführenden Mitglieder
eine ungerade sein, und dass bei Anwesenheit einer geraden
Zahl von Mitgliedern eines ausscheiden müsse. Der Hallenser
Schöppenstuhl kannte (1750) bei Stimmengleichheit ein dop-
peltes Votum des Seniors.1) Eine entsprechende Varschrif:
bestand für die Schoppen beider Städte Brandenburg* nich:
Man sollte meinen, dass sie hier besonders nöthig- gewesec
wäre, weil es anscheinend bei der von selbst gegebenen.
naturgemässen Rivalität zwischen Alt- und Neustadt sehr nahe
lag, dass in Zweifelsfallen die Schoppen jeder Stadt zu-
sammenhielten. Und doch findet sich in unserem Aktes-
material höchst selten ein Fall, in welchem Stimmeng-leicWier
vorgelegen und Schwierigkeiten bereitet hätte. *) Diese
Wahrnehmung findet ihre Erklärung zunächst darin, das
sehr häufig nicht die volle Schöppenzahl bei der Beschluss-
fassung mitwirkte3) und in Folge dessen thatsachlich <fe
]) Dreyhaupt, Saalkreis Bd. 2 S. 449.
a) 1652 (78 472) wird schriftlich über die Gültigkeit eines 1639 •"
Kriegsgefahr vor Schulzen und zwei Schoppen in GHenicke errichten*
Testaments abgestimmt : zwei Altstädter Schoppen votiren abweichend tc:
einander, dem einen tritt der neustädter Senior, dem andern der nächst-
älteste neustädter Schöppe bei; darauf bittet der ältere der beiden a^t-
städter Schoppen den bis dahin bei der Sache nicht betheiligt geweseeea
hochbetagten altstädter Senior Chueden, „suo voto den Ausschlag zu gebei"-
Ferner: Bei einer schriftlichen Abstimmung des Jahres 1691 (79 654) be-
merkt der Schöppenschreiber auf einem Zettel: „Die vota seiod noch
paria, stelle dem herrn seniori anheim, ob er die hexren wolle convocirec
lassen."
8) Richter und Schoppen von Berlin bitten 1553 (5 l34) *n wichtiger
Suche, in der Schürf die Ertheilung eines consilium abgelehnt hatte, dass
die Brandenburger „alle sämmtlich, so viele ihrer zum Schöppenstuhl
gehörig, zusammenkommen und darauf sprechen". Die Beschlussfassung in
einer anderen wichtigen Berliner Sache wird 161 4 (63 474) vertagt, „wefl
mehrertheils der H. Schoppen verreiset und man in deren Ab wesen das
§ 37* Behandlung der Schöppensachen. 499
Stimmenden eine ungerade Zahl darstellten. Ausserdem aber
bildete sich die rechtliche Ueberzeugung des einzelnen
Schoppen nicht mit ebensolcher Bestimmtheit, wie sie sich
leute bei dem einzelnen Gerichtsmitgliede bildet. Dass bei
ler Berathung unserer jetzigen Kollegien ein Mitgled seine
bereits geäusserte Meinung aufgiebt und zur Gegenmeinung
übertritt, ist nicht häufig; wen seine juristische Schulung
und sein Rechtsgefühl zu einem für nothwendig ^erkannten
Resultate geführt hat, der entschliesst sich schwer, nachträg-
lich die zu einem gegentheiligen Resultate führende Gedanken-
operation für die richtige zu erklären. Anders zur Zeit der
Thätigkeit unserer Schöppenstühle. Hier war das Hin- und
Herwogen alten und neuen Rechtes noch so stark, auch die
Rechtsüberzeugung des Einzelnen in vielen Fragen noch so
schwankend, dass er mit grösserer Leichtigkeit bereit war,
sich der Meinung eines Anderen zu fügen. Es findet sich
darum keineswegs selten in den Abstimmungen des einzelnen
Brandenburger Schoppen die Bemerkung, er könne auch
mit der gegentheiligen Meinung „einig sein"2); ja, zu Zeiten
begleitet das Kolleg der Schoppen der einen beider Städte
mit einer ähnlichen Bemerkung seine Aeusserung über den
vom Schöppenkolleg der andern Stadt vorgeschlagenen
Spruch. Auch würde es heutzutage nicht leicht vorkommen,
dass ein Richter, wenn die Reihenfolge der Abstimmung ihn
trifft, sich dahin äussert: „desidero domini consulis Mauritii
votum, alias tarn facile non consentio" (1647: 77 437), zumal
in einem Falle, in dem es sich, wie hier, um die Billigung
oder Verwerfung einer vom Vorsitzenden seiner Abtheilung
vertretenen Meinung handelt, und wenn derjenige, dessen
Meinung man vor der eigenen Abstimmung hören will, der
Vorsitzende der anderen Abtheilung ist. In solcher Anlehnung
verfasste (= entworfene) Urtheil abgehen zu lassen Bedenken trägt*'. Von
den 5 Mitgliedern, die 1634 der vereinte Brandenburger Schöppenstuhl hat
(2 Vakanzen bestanden in der Altstadt, 3 in der Neustadt), fassten in Bd. 75
417. 504 drei einen Beschluss; sämmtliche 5 stimmten 75 528.
2) 1621 (68 526) votirt Zieritz: „Ich habe heutiges tages mein be-
denken" (= Votum) „gesagt" (nämlich dahin, dass zur Tortur nicht ge-
schritten werden dürfe), „wollen die herren aber die tortur, .... kann
ichs wohl geschehen lassen11.
32*
500 6- Buch. Verfahren.
an die Meinung Anderer und in dem damit erklärlir
wechselweisen Nachgeben liegt aber nicht bloss ein Har
grund dafür, dass es den Brandenburgern niemals an eöe:
Mehrheitsbeschluss fehlte, sondern auch dafür, dass es c
chem Satze der neuen eindringenden Rechte ohne erheWkr-
Widerstand gelang, Boden zu fassen; denn der Boden.
dem er eine Stelle finden wollte, war ein so lockerer Beet
dass er sich ohne Schwierigkeit dazu eignete, jedes ihm r.
geführte Samenkorn aufzunehmen.
§ 38.
Herstellung der Sprüche,
i. Spruchform. J)
Da es die Aufgabe der Oberhöfe ist, Belehrung für c^
von einem Gericht zu fallende Urtheil an die Hand zu geben,
nicht selbst ein Urtheil zu fällen, so kommt dies in <--
Form zum Ausdruck, in welcher die Oberhöfe ihre Sprikie
abgeben: sie schliessen sich der vom Anfragenden £
brauchten Briefform in ihrer Antwort an, geben ihre-
Spruche also einen Eingang, der, ebenfalls die Brießorr
innehaltend, den Anfragenden anredet, und sie sprechen .nr
Belehrung". Das schliesst aber nicht aus, dass sie ytzur Be-
lehrung vor Recht" sprechen, dass auch häufig in ihrrü
Sprüchen die Worte „zur Belehrung14 fehlen, *) und dass C*
mit die Sprüche (abgesehen von der Anrede im Eingänge.
eine Form annehmen, die sich der Form eines gerichtliche*.
Urtheils nähert, bis sich schliesslich vielfach der Oberhofe-
spruch unter Aufgabe der Briefform vollständig in die Fona
eines Urtheils des anfragenden Gerichtes umwandelt und
dem entsprechend sogar auf den Namen dieses Gerichtes ntf
angefügter oberhoflicher Bestätigungsklausel gestellt wird. '
1) Vgl. hierzu die im Sachregister des ÜB. unter „SchöppensprSci-e*
angeführten Stellen.
2) So bei den Leipziger Oberhofsspruchen, siehe oben S. 251.
3) Mehrere Stellen der Leipziger Konzeptbücher könnten zu der Ae-
nahme verleiten, dass Gerichte erster Instanz von ihnen gefällte UrthrJr
dem Oberhof eingesandt hätten, damit derselbe als zweite Instanz daröb«
erkenne. So schreiben (um 1490 Bd. 1 fol. 151) die Leipziger an die Laod
schöppen zu Delitzsch: „Nachdem ihr uns zweier part schriftliche
§ 38- Herstellung der Sprüche. 501
Es ist darum öfter mit Schwierigkeit verbunden, aus
en Spruchentwürfen der Akten zu erkennen, ob ein Ober-
ofsspruch oder ein Gerichtsspruch vorliegt. Das gilt nament-
ch dann, wenn die Verfasser der Entwürfe sich ersparen,
Ae Eingangsformel und wohl auch die nähere Bezeichnung
ier Spruchbehörde aufzunehmen. Bei Oberhöfen, deren
:irma als Oberhof und als Gericht die gleiche ist, bleibt
lie Schwierigkeit, auch wenn die Firma in den Akten an-
gegeben zu werden pflegt. Daraus erklärt sich z. B., dass
Thomas in seiner Schrift über den Oberhof Frankfurt a/M.
die Sprüche, die von „Richter und Scheffen zu Frankfurt"
als Oberhof ausgehen, nicht genügend sondert von denen,
die von „Richter und Scheffen zu Frankfurt** als Stadt-
gericht Frankfurt herrühren. Ebenso erklärt sich, dass man
die Sammlung von Stettiner Sprüchen der Jahre 1592, 1593, l)
die von „Richter und Schoppen zum Alten Stettin4* als Ober-
hof gefallt, aber mit einzelnen von „Richter und Schoppen
zum Alten Stettin" als Stadtgericht gefällten Sprüchen
untermischt sind, überhaupt für Sprüche des Stadtgerichts
Stettin gehalten hat in Nichtbeachtung ihres der Briefform sich
bedienenden Eingangs und in Nichtbeachtung der im Spruche
enthaltenen Klausel, es werde „zu einer Belehrung" gesprochen.
Eine gleiche Notwendigkeit, ihren Spruch als Ober-
hofsspruch zu kennzeichnen, bestand für die Oberhöfe nicht,
die eine andere Firma trugen als das an ihrem Sitze befind-
liche Stadtgericht. In dieser Lage waren u. A. Magdeburg
und Brandenburg; denn dass die Sprüche der „Schoppen
zu Magdeburg" und dass ebenso die der „Schoppen
beider Städte Brandenburg* nicht mit Sprüchen ver-
wechselt werden konnten, die von „Richter und Schoppen
ortel, bei euch im landgericht ge fället, recht darüber zu erkennen zu-
gesandt, sprechen wir darauf vor recht". Hier und anderswo (z. B. Bd. 1
fol. 216V) ist aber, der Sprache des älteren Prozesses gemäss, unter einem
im Landgericht gefällten Urtheil das von der Partei im Landgericht
über die Sachlage ausgesprochene „Urtheil* (also was wir heute den Partei-
antrag nennen) gerreint. Daraus erklärt sich auch der alte Stendaler
Schöppeneid (Götze, Gesch. der Stadt Stendal, S. 71): „zwischen zwei
ordeln das rechtste zu finden".
J) Siehe oben S. 331.
502 <*. Buch. Verfahren.
der Altstadt (bzw. Neustadt) Magdeburg- oder \«--
„Richter und Schoppen der Altstadt (bzw. Neustac:
Brandenburg14 ausgingen, lag auf der Hand. Immcrt
bedarf es einiger Aufmerksamkeit, um richtig zu bemthciler.
ob dieser oder jener Spruch aus Städten, die sowohl cir~-
Oberhof als ein Stadtgericht besassen, ein Oberhofs- »-r-
ein Gerichtsspruch ist. Für Brandenburg entsteht eine be-
sondere S :h wierigkeit dadurch, dass die ältesten Schöppcr-
stuhlsakten Oberhofssprüche enthalten, die sich ümeriLä.b
der mit den Anfragen eingesandten und zurückbehaltene -
erstinstanzlichen Akten befinden, und dass die Konzepte» dir
Oberhofssprüche wie auch die miteingesandten erstinstan:
liehen Urtheile weder im Eingang noch am Schlüsse (er»«
durch die Unterzeichnung: „Seh eppen beider Städte Brander -
burgu) ergeben, von wem sie herrühren, sich vielmehr dar-
auf beschränken, zu sagen, dass „wir" vor Recht Sprech--
(1534: 2 48. 103. 161). Als Beispiel korrekten Verfahre:-
aus der Zeit, in welcher der Brandenburger Schöppensr-i:
zu neuem Leben erwacht war, kann ein Spruch dienen, des
Roter auf den von ihm notirten Sitzungsbeschluss:
die halben Schwester kinder und halben bruder kinder schfieur-
die andern aus,
mit vollem Eingang, mit der Belehrungsklausel und mit der
vollen Unterschrift des Kollegs entwarf; er lautet auf ck
von dem Verwandten einer Witwe in Tangermünde gestellte
Anfrage (1554: 5 233):
Unsern wylligen dienst zu vorn. Fursichtiger, gutter freundu * ?
euer an uns gethane rechts frage sprechen wir scheppen beider stete
Brandenburg!* zu eyner bclherungk des rechten: Ist eure freue* ;j
verstorben, welcher mutter und euer vatter volle bulicken ') gewesen,
und hat euch an eynem und yres halben bmders und halber schwesier
kinder anders teyls hinter sich verlassen, so hat sie alle yre gutlcrr
uf yres halben bruders und halber Schwester kinder als die negste:
ym grade der succession mit genzlicher ausschliessungk yrer voBei
bulicken kinder gestemmet und vererbet. Billich und von rech*«
wegen.
Uhrkundtlich mit unserm ingesiegel besiegelt dornstages nach
Dionysii anno etc. LIIIItrn.
Scheppen beider stedte Brandenburgk.
') Geschwister.
§ 38- Herstellung der Sprüche. 503
Wenn dann derselbe Schöppenschreiber 1558 (7 73) das
Konzept seines neustädtischen Kollegen Karpzow, der in
einer beim Landgericht Perleberg schwebenden Sache die
Brandenburger Schoppen „zur Belehrung" sprechen lassen
will, dahin verbessert, dass „für Recht w gesprochen werde,
so rauss dies darauf beruhen, dass in seinen Augen nur die
auf Privatanfragen ergehenden Sprüche als Belehrungs-
sprüche zu gelten haben, während die von Gerichten er-
betenen Sprüche als Rechtssprüche" zu bezeichnen seien.
Uebrigens ist dieser Unterschied, wie anderwärts, so auch
in Brandenburg, keineswegs streng festgehalten ; Roter drang
nicht damit durch, die Formel, es werde „zur Belehrung des
Rechten44 gesprochen, auf ausserprozessualische Anfragen zu
beschränken; man wandte die Formel auch auf gerichtliche
Anfragen in schwebenden Prozessen an (1542: ÜB. 1 191;
1545: ÜB. 1 216). Die Formel, es werde „für Recht" ge-
sprochen, blieb die seltenere. *) Was auf Anfrage der Ge-
richte oder Beamten „für Recht" gesprochen wird, erscheint
den Konsulenten schon im sechzehnten Jahrhundert zuweilen
geradezu als ein „Urtheil". Darum bitten 1562 (9 292) die
Beamten zu Wittstock, in übersandten „tum Urtheil be-
schlossenen" Akten die Brandenburger „ein rechtmässiges
Urtheil" zu sprechen. Doch kommt immerhin der Gegen-
satz eines solchen Schöppenstuhlsurtheils und eines gericht-
lichen Urtheils dadurch zum Ausdruck, dass man das Schöp-
penstuhlsurtheil „Belehrungs-Urtheil", seit dem siebzehnten
Jahrhundert „Informat-Urtheil" oder kurz „Informat4'2) nennt,
bis es im achtzehnten Jahrhundert schlechtweg zum „Urtheil"
oder zur „Sentenz" wird, gegensätzlich zu dem „Responsum"
oder „Gutachten", das sich allmählich aus dem auf Anfrage
Privater erwirkten Spruche herausbildet.3)
l) Die Schöppenstuhlsakten können hier eine sichere Auskunft nicht
geben, weil die darin enthaltenen Spruchentwürfe, namentlich in späterer
Zeit, die Spruchformel abgekürzt wiedergeben („sprechen pp.u), so dass
nicht erhellt, ob „zur Belehrung*4 oder ob „für Recht44 gesprochen ist.
Ueber die Reinschriften s. unten in diesem Paragraphen unter 5.
*) z. B. 1621 (68 395).
*) Die Darstellung bei Dreyhaupt, Saalkreis Bd. 2 S. 450 ergiebt,
dass 1750 auch in Halle Urthel und Responsa gegenübergestellt werden.
504 6. Buch. Verfahren.
Der Aufbau des Oberhofsspruches erfolgt in älterer Z--
üblicherweise so, dass sich einer kurzen, der Misstve oder de*
Akten entlehnten, meist mit „demnach" eingeleiteten* Sacr-
darstellung die mit „sprechen wir" gebildete Antwort e--
Schöppen — analog der altern wie heutigen gerichtlichen Vr
theilsformel — anschliesst; dabei fehlt regelmässig die Aagzh-
von Rechtsgründen. In Brandenburger Spruchkonzepteo wir
die Darstellung des Thatbestandes mannigfach durch, cbr.
Anweisung an den Sehöppenschreiber, wie „narratio^pra?-
mittatur" oder „praemissis praemittendis" (1550: 4 252; 155.2
4360) oder „praemissa repetitionew (1554: 5314) ersetzt, r>
blieb dadurch dem Sehöppenschreiber erspart, zweimal dc~
Thatbestand schreiben zu müssen; er legte ihn nur dmn
und zwar in der Spruchausfertigung nieder. In den meister
Fällen enthält aber bereits das Konzept den Thatbestari
Dessen Fassung und die Fassung des Spruches selbst zeichne *
sich in unseren Akten durch Schärfe und Präzision acs.
Weder zuviel, noch zu wenig wurde aufgenommen, aucr
wurde streng die übliche Form der Diktion inne gehaltet
Die Gedrängtheit der Konzepte ermöglichte, dass sie eire "
lange Zeit hindurch ihren Platz auf demselben Bogen fanden
der die Missive enthielt.1) Die Reinschrift nahm in einen
grossen Theil der Sachen älterer Zeit nicht mehr als dk
Hälfte einer Folioseite ein.
Erst mit der sich ausbreitenden Schreibkunst und Schreib-
seligkeit wurden die Konzepte breiter. In einem Krbstrenc
des Jahres 1586 (27 117) erreicht das Spruchkonzept bereits
den Umfang von vier, in einem Konkursverfahren desselben
Jahres (27 8) den Umfang von fünf Folioseiten, obwohl es
sich nur um eine Theilung mit erstehelichen Kindern handelt-
Der Schöppe Zabel fragt 1598 (43 131) seine Kollegen, ob
sie, weil die Sache nicht wichtig, das von ihm weitläufig ent-
worfene Urtheil so abgehen lassen, oder ob sie es ihrem
„glaublichen Gebrauch nach" kürzer verfassen wollten. Als
ein Neuling im Schöppenschreiberdienste 16 13 (61 253) unter
29 Nummern des Thatbestandes die Bekenntnisse einer wegec
Zauberei Verurtheilten aufzählen will, belehrt ihn Zieritz, das
]) Siehe oben Seite 461.
§ 38. Herstellung der Sprüche. 505
sei nicht styli, es sei gebräuchlich, nur kürzlich .... sine
circumstantiis superfluis circa coitum (quibus offenduntur audi-
torum animi) es zu berühren.
Den Schluss der Brandenburger Sprüche bildet zwar in
den Jahren 1455 und 1494 noch nicht die Klausel „von
Rechtswegen*4,1) wohl aber ständig seit dem Beginne des
sechzehnten Jahrhunderts,2) auch wenn es sich um eine reine
Belehrung ausserprozessualischer Art handelt (z. B. 1530:
1 167). Die Klausel hat sich bekanntlich bis heute in unsern
Gerichtssprüchen erhalten. Ihr legen die Brandenburger im
Jahre 1600 (46 288) eine auffallige Bedeutung bei. Der Alt-
städter Schöppenschreiber Kuhns fugt dem von ihm wegen
gewilddiebter Rehe entworfenen Todesurtheil statt des „von
Rechtswegen" die Klausel hinzu: „inhalts des publizirten
kurf. Edikts" (vom 6. März 1582)3) und bemerkt zur Recht-
fertigung: Nota: muss ausgelassen werden communis illa
clausula „von rechtswegen." Dem Kurfürsten, dessen Amts-
vogt zu Küstrin gegen den Wilddieb eingeschritten war,
kommt die blosse Bezugnahme auf das Edikt „befremdlich"
vor, er verweist auf einzelne den Wilddieb belastende Um-
stände in der narratio; auf Erkundigung erhält der Amtsvogt
in Brandenburg die Antwort, die Sache sei nochmals collegia-
liter verlesen und erwogen; „von Rechtswegen" müsse aus-
gelassen werden, weil die gemeinen beschriebenen Kaiser-
rechte und die peinl. Ger.O. Leibes- oder Lebensstrafe für Wild-
diebe nicht androhten.4) Kurfürstliche Strafgesetze sind also
1) Vergl. oben Seite 278. 281.
2) 1502 (1 32), 1507 (1 8), 1508 (1 34. 36).
8) Vgl. oben Seite 359.
4) Denselben Unterschied machte ein 1575 an den. Kurfürsten gerich-
teter Spruch gegen Wilddiebe. Zunächst wird auf willkürliche Strafe er-
kannt mit dem Zusatz „v. r. w.u Dann wird fortgefahren, da der Kurfürst
eine Konstitution, wie es mit den Wildpretdieben wegen der Strafe solle
gehalten werden, habe ausgehen und publiziren lassen, so mögen die Thäter
„vermüge der publizirten Konstitution" — gemeint ist die Konstitution von
1574 (ÜB. 4 133) — „mit dem Strange am Galgen vom Leben zum Tode ver-
richtet werden". Die Klausel „v. r. w.* wird hier nicht wiederholt (ÜB. 4
137). Welche Bedeutung die Brandenburger Schoppen dem hier zu Tage
tretenden Konflikt zwischen Reichs- und Landesrecht beimaassen, ergiebt
506 6. Buch. Verfahren.
im Jahre 1600 den Brandenburgern zwar Befehle, die sie :.
befolgen haben, sie sind aber kein neben dem Kaisore:
bestehendes „Recht". Wenige Jahre später (1612:60:::
wiederholt sich der Fall; der altstadter SchöppenschraV
notirt als Beschluss der Mehrheit auf eine Missive aosFeb-
beilin: Plurimi eo concludunt, ut clausuletur sententia „wofer
ihre chrf. gnaden nicht begnaden . . . mag der angeschuldc
nach schärfe des publicirten edicts mit dem schwer
gestraft werden. Von rechts wegen"; letztere drei War:
sind dann in der Notiz gestrichen, gleichwohl aber im Sprue-
entwurf enthalten: die Brandenburger hatten sich also er-
mehr bequemt, landesherrliche Strafgesetze gleich den kaist:
liehen als „Recht" anzuerkennen.
Die schwache Besetzung des Schöppenstuhls in der l<
des dreissigjährigen Krieges — 1621 gab es nur zwei*
Städter und 1634 nur zwei neustädter Schoppen, zu letze:-'
Zeit anscheinend auch nur einen Schöppenschreiber1) — **
für die Brandenburger vorübergehend der Anlass zu Vr
suchen, sich die Arbeit, die dem Schöppenstuhl die Her
Stellung der Urtheile machte, zu erleichtern. Als Perleberpr
Gläubiger 1621 (69 618) in einem Konkursverfahren weg-:
ihrer Rangordnung anfragten, wollte der altstädter Sei:'
Haveland sich das Eingehen in die nicht einfache Rechtslagt
damit ersparen, dass er den Gläubigern zu antworten rar-
schlug, sie seien befugt, bei Gericht die Verschickung x
Akten zu beantragen; wenn solches geschehe, wurde jedtr
Gläubiger bei seiner Hypothek billig geschützt werden. D*
neustädter Schöppe Zieritz meinte aber, „es wurde anschiß
Urtel sein und schlechte Reputation geben", wenn man s-
die Anfragenden abfertigen wollte; dass sie sich an das Ge-
richt wenden könnten, wüssten sie selber, aber sie wolltet
wissen, inwieweit ihre Ansprüche in jure fundirt seien. ^'
gleich entwarf Zieritz einen in die Sache eingehenden Spruen.
dieser gelangte zur Ausfertigung. Und im Jahre 1634 JP
ein weitläufiges, offenbar von ihnen selbst eingeholtes, ebenfalls ao"
Roterschen Dezisionensammlung (ÜB. 4 120— 131) einverleibtes Konsul
der Wittenberger Fakultät.
l) Vgl. oben Seite 112.
§ 3**» Herstellung der Spruche. 507
wohnte sich der neustädter Schöppenschreiber Moritz (ver-
muthlich, weil ihm beim Mangel eines altstädtischen Kol-
legen die Schreibarbeit zuviel wurde) ein abgekürztes Ver-
fahren an. Ohne einen Spruchentwurf anzufertigen, liess er
alsbald — wie es bis zum Beginne des sechzehnten Jahr-
hunderts üblich gewesen war l) — die Sprüche in Reinschrift
abgehen, behielt dann aber nicht etwa eine Kopie zurück,
sondern ersetzte diese dadurch, dass er unter dem vom
Senior auf eine Missive (z. B. auf die vom 18. September)
kurz niedergeschriebenen und von einzelnen Schoppen mit
den Anfangsbuchstaben ihrer Namen unterzeichneten Be-
schluss (wie etwa: subjiciatur reus torturae) lediglich be-
merkte: „Das urteil ist in forma solita et consueta heute am
20. September abgangenu (75 431. 433). Also selbst in
wichtigen Sachen beschränkt sich Alles, was in den Akten
von der Thätigkeit der Schoppen und des Schöppenschreibers
sichtbar war, buchstäblich auf zwei Zeilen, deren eine über
den gefassten Beschluss und deren andere über den Inhalt
des gesprochenen Urtheils berichtet; die zugehörige Missive
füllt zwei Seiten. Wie sich das im Laufe der Zeiten änderte,
lässt sich kaum besser veranschaulichen, als wenn man ein
Jahrhundert weiter blickt und die vom Auditeur zu Potsdam
unterm 30. März 1724 (83 81 ff.) in Angelegenheiten der Erben
des Feldmarschalls Derfflinger gestellten Fragen und das
darauf im Mai 1724 (83 107 ff.) entworfene Urtheil betrachtet;
die Fragen nehmen den Raum von 40 Seiten ein, und eben-
falls 40 Seiten füllt das Urtheilskonzept.
Zu dieser Umwandlung, die nicht etwa bloss an den
Brandenburger Schöppenstuhlssprüchen, auch nicht etwa bloss
an den Sprüchen der Oberhöfe und der Fakultäten, sondern
ebenso an den Urtheilen der Instanzgerichte bemerkbar ist,
hat wesentlich das übermässige Anschwellen der Prozess-
schriften beigetragen, in denen das gelehrte Recht sich breit
zu machen liebte. Die Folge war das Aufkommen von
Aktenauszügen der Referenten und das daran sich an-
schliessende Aufkommen einer species facti, ferner das Auf-
kommen der Sitte, den Urtheilen die rationes, und zwar so-
l) Siehe oben Seite 23. 281.
508 6- Buch- Verfahren.
wohl die rationes dubitandi, wie die rationes decidendi, einzu-
verleiben, und endlich das Aufkommen der Relationen.
2. Aktenauszüge und Relationen.
Mit dem Wachsen des Umfanges der beim Schoppen -
stuhl eingehenden Akten musste von selbst das Bedürfniss
entstehen, demjenigen, der in der Sitzung diese Akten ver-
lesen musste, die Verlesung der gesammten Akten, und den-
jenigen, die über den Akteninhalt Beschluss fassen sollten,
die Anhörung einer solchen ermüdenden, langwierigen Ver-
lesung zu ersparen. Auch hier war es in Brandenburg
Simon Roter, dem Manne, der so vielfach um den Schöppen-
stuhl sich verdient gemacht hat, vorbehalten, die Bahn zu
brechen. Theil der Schöppenstuhlsakten ist die zwei Folio-
seiten füllende Darstellung, die er im Jahre 1560 (8 269),
damals noch Schöppenschreiber, vom Inhalte eines nach
Brandenburg gelangten Berliner Injurienprozesses gemacht hat,
in welchem es sich um eine Bagatelle handelte. Es ist das der
älteste Aktenauszug, der sich findet. Seine Existenz spricht
zugleich dafür, dass der Vortrag der Sache in der Sitzung
(d. h. die Verlesung der Akten) Aufgabe des Schöppen-
schreibers, nicht eines Schoppen war; sonst würde der Akten-
auszug von einem Schoppen gefertigt sein. Die Rand-
bemerkung Roters, „der Richter in Berlin hätte ein Einsehen
haben können und es nicht auf die Schoppen in Branden-
burg schieben dürfen,*4 beweist zugleich, dass dem Schöppen-
schreiber eine sachliche Meinungsäusserung gestattet war.
Als Schöppe fuhr Roter fort, solche Auszüge zu den Akten
zu bringen, was den Beweis liefert, dass der Vortrag der Akten
in der Sitzung nicht auf den Schöppenschreiber beschränkt
blieb. In einer Zaubereisache fertigt er 1565 (9 479) einen
5 Seiten langen Aktenauszug an, unter den der Schöppen-
schreiber das Spruchkonzept setzt, ähnlich 1573 (ÜB. 1 590)
in einer Brandstiftungssache und 1576 (17 242) in einer Erb-
theilungssache, wo er alsbald unter dem Auszug votirt, er
„halte davor, dass des Beklagten Bitte statthaben solle44.
Dann fügt er 1579 (21 139) der kurzen Wiedergabe der
Zeugenaussagen oder dem „Extrakt der vornehmsten Punkte
§ 38« Herstellung der Sprüche. 509
aus der Urgicht44 in zwei Strafprozessen sein kurzes Votum
und den Spruchentwurf bei (21 226) ; in diesen Fällen wird zum
ersten Male ein voller Bogen mit dem Vorschlage des Refe-
renten den Akten beigelegt.1) Roters Beispiel ahmt dann 1577
(5 335) 2) sem Schwager Garz als Schöppenschreiber nach, der
in seine offenbar für die Sitzung gemachten Notizen auch „Bar-
tolus de Sassoferrato44 anführt. In grösserer Ausdehnung macht
Garz' Nachfolger Mag. Bluhm während seines Schöppen-
schreiberamtes (1586 bis 1592) von Aktenauszügen Gebrauch,
zu denen er der Länge nach gebrochene halbe Bogen ver-
wendet, wie sie in jener Zeit und schon früher für Rechnungs-
aufstellungen allgemein üblich waren; sie wachsen hier und
da auf den Umfang von 10 Blättern an.3) Einmal (1592:36
123) findet sich auch ein doppelter Aktenauszug in derselben
Sache, einer des neustädter Schoppen Boldicke und einer
des altstädter Schoppen Bluhm, dazu des Letzteren Spruch-
konzept. Der neustädter Schöppe Zieritz bringt 161 2 (60
161. 274) seitenlange Referate zu den Akten; 1620 (67 733)
und 1641 (77 192) thun dies die altstädtischen Senioren
Haveland und Chueden. Einen zwei Bogen langen „Extrakt44
aus einer „artikulirten Impetration pro impetranda restitu-
tione in integrum44 liefert 1648 (7844) der neustädter Schöppe
Schwartz.
Auf die Gestaltung der Urtheile haben diese Aktenaus-
züge keinen unmittelbaren Einfluss, sie werden nicht etwa
als Urtheilsthatbestand aufgenommen.
Dies geschieht erst innerhalb des achtzehnten Jahrhunderts,
indem seit 1733 vielfach, unmittelbar vorher wenigstens hier
und da der getroffenen Entscheidung eine „species facti14, die
nichts Anderes als der bisher mannigfach vorkommende
Aktenauszug ist, vorangestellt wird (87 14 ff.). Sie sollte
bei den zirkulirenden Sachen dazu dienen, die Prüfung (tech-
nisch genannt „die Revision44) des vom Referenten vorge-
*) Vgl. auch 1589 (30 557) den Aktenauszug Roters.
2) Irrthümlich in den 5., die Jahre 1553 — 1566 betr. Bd. aufgenommener
Bogen.
3) 1588 (30 97 bis 103), 1589 (32 16), 1590 (3a 49; 33 107), 1591 (33
326; 34 vor Bl. 1. 274. 280. 350), 1592 (37 375? 36 123).
510 6- Buch. Verfahren.
schlagenen Urtheils zu erleichtern. Deshalb schreibt Oel-
schläger (1735: 88 345): „die Herren Kollegen werden er-
sucht loco relationis oralis consuetae in collegiis juridicis
speciem facti brevem, wie ich zu thun pflege, auch zu Er-
sparung meiner Zeit zu prämittiren". Der Schöppe Plümicke
bemerkt dazu: „Wird künftig von mir beobachtet werden14.
Dass die Anfertigung von Relationen anfanglich allein auf
Gewohnheit beruht, ergiebt auch das Reskript vom 26. Fe-
bruar 1738, betreffend die Verbesserung der Justiz, das von
Relationen und Korrelationen spricht, „wo solche gebräuch-
lich44. l) Als 1739 (90379) Oelschläger einmal diese species
causae oder, wie auch gesagt wird, diesen Status causae ver-
misst, bittet er, künftig „zur Erleichterung der Revision den
Status nicht zu vergessen44. Der Status causae oder extractus
actorum*2), anfanglich sehr kurz gefasst, wächst ebenfalls
allmählich zu einer Reihe von Blättern an (7 Bl. 1759: 101
13; 9 Bl. 1760: 101 152; 7 Bl. 1777: 103315), nachdem 1748
das Projekt des Codicis Fridericiani Marchici (III. Tit. 36 § 2)
den Referenten, denen Acta distribuirt werden, befohlen
hatte, „eine umständliche schriftliche Relation zu verfertigen
und die facti speciem und genus actionis vor allen Dingen
deutlich vorzustellen44.
Species facti, Status causae, extractus actorum vertreten
nach dem Mitgetheilten die relatio oralis, folglich ist diese
relatio auch* nichts Anderes als eine Darstellung des Akten-
inhalts. Aber schon, als die VO. vom 21. Juni 17 13 behufs
Prüfung der Kammergerichts-, Regierungs-, Hofgerichts- und
Oberappellationsgerichtsräthe die Anfertigung einer Relation
pro statu cum voto eingeführt hatte,3) verstand diese gesetzliche
Anordnung unter einer Relation nicht bloss einen Akten-
auszug, sondern auch einen Entwurf der vorzuschlagenden
Entscheidung nebst deren rechtlicher Begründung. Einer der
beiden Ersten, der in Brandenburg die neu vorgeschriebene
Proberelation anzufertigen versuchte, musste sehr zu seinem
Schaden erfahren, dass er geirrt hatte, wenn er unter einer
J) Mylius c. c. m. contin. i, 133.
J) So genannt 1777 (103 287).
*) Siehe oben S. 324.
§ 38- Herstellung der Sprüche. 511
relatio, wie es dem bisherigen Sprachgebrauch gemäss war,
lediglich einen Aktenauszug verstand. Als der zum assessor
extraordinarius vorgeschlagene Kapitelsyndikus Dreher l) 1 7 18
sich damit begnügte, eine Proberelation zu liefern, die ledig-
lich in einem Aktenauszug bestand, vermissten die Examina-
toren ein Gutachten „über das genus actionis, ob actio
probirt oder durch Gegentheils exceptio etwa elidirt, und
welchergestalt die Sache per sententiam abzuthun"; die
Folge war die Zurückweisung Drehers. Glücklicher war der
gleichzeitig zum assessor Ordinarius vorgeschlagene Kon-
sistorialrath Knackrügge2) mit seiner Proberelation; sie ge-
nügte den Anforderungen der Berliner Examinatoren.
Die erste in den Brandenburger Schöppenstuhlsakten
sich findende „Relation" datirt vom Januar 17 19 (81 92); sie
ist (im Umfang von 8 Bl. mit der Ueberschrift: „Extrakt
und Relation aus den mir zugeschickten Akten pp.u) von
Steltzner3) erstattet. Die Sache wird „zur Zusammenkunft"
geschrieben. Was Steltzner geliefert hat, ist im Wesent-
lichen der früher sogenannte Status causae mit einem auf
wenige Zeilen beschränkten Votum, dem der Spruch mit
ausführlichen Gründen (7 Seiten) folgt. Den Vortrag des
Referenten in der Sitzung nennt Giesecke 1732 (86 598)
„mündliche Relation14.4)
Hugo verfasst 1780 (104 44) eine „relatio ex actis", die
einen Status causae nebst dessen Beurtheilung mit der zwischen
den Zeilen nachgetragenen Ueberschrift „Votum" enthält;
dies Votum ist nichts Anderes als die — mit Nummern ver-
sehenen — früheren rationes dubitandi et decidendi, von
denen wir alsbald hören werden. Im Jahre 1 782 liefert Hugo
(104 302) eine relatio ex actis, in welcher er auf 10 Blättern
den Akteninhalt wiedergiebt, dann auf die rechtliche Lage
der Sache eingeht mit den Worten: „Die Beurtheilung zer-
fällt in zwei Hauptstücke/4 und zuletzt das „Urthel" anschliesst,
l) Siehe oben S. 170.
a) Vgl. oben S. 169.
3) Vgl. oben S. 131.
4) „Wenn wir zusammenkommen, will ich sogleich auf mündliche
relation unterschreiben."
512 6- Buch. Verfahren.
d. h. die Urtheilsformel; das Ganze wird von drei Schoppen
unterschrieben; bei seiner Unterschrift bemerkt Hugo: „Statt
der Gründe ist die Beurtheilung abzuschreiben41; demgemäss
ist dann vor den Anfang der Beurtheilung das Wort „Gründe4*
übergeschrieben.
So bildete sich die aus einer Darstellung des Sach-
verhalts, einem rechtlichen Gutachten und einem Urtheils-
entwurf bestehende Relation des in der ersten Hälfte des
neunzehnten Jahrhunderts üblichen schrifdichen Prozessver-
fahrens.
3. Rationes.
In das Urtheil rechtliche Ausführungen aufzunehmen, die
es begründen sollen, wird in Brandenburg erst mit dem sieb-
zehnten Jahrhundert üblich. Kannten doch schon die Römer
nach Seneca (ep. 94, 27) den Satz: jurisconsultorum valent
responsa, etiamsi ratio non redditur, und wenn sich ein ein-
zelner deutscher Oberhof, wie der zu Breslau, schon im Be-
ginne des sechzehnten Jahrhunderts darauf einliess, die Schrift-
sätze der Parteien nebst einer Begründung des Spruches in
das Urtheil einzufügen, so rief das 1533 den Beschluss von
Rathmannen und Schoppen hervor,1) dass „hinfurder weder
Klage noch Antwort in die Urtheile, die die Scheppen in
die umliegenden Städte versprechen, inserirt werden sollen»
sondern dass allein das Urtheil ohne einicherlei Ursach
oder Ration den Parten oder Städten soll zugefertigt
werden44. Die Gerichte, selbst die höheren, verfuhren nicht
anders. Das mag ein Urtheil des Berliner Kammergerichts
in einem Prozesse der Altstadt Brandenburg gegen den
dortigen Dom und die Neustadt Brandenburg aus dem Jahre
1541 belegen, das sich auf folgenden Wortlaut beschränkt:
„In Sachen . . . erkennen des Churfürsten zu Brandenburg
verordnete Kammergerichtsräthe: weil beklagter Syndicus
die Klage verneinet, so sind klagende Syndici der Grund
derselben inwendig geordneter Frist zu erweisen schuldig.
V. r. w.a 2)
*) Prasek in der Ztschr. des Vereins f. d. Gesch. Schlesiens Bd. 33,
S. 3*3-
8) Siehe oben S. 97.
§ 38« Herstellung der Sprüche. 513
Gewissermassen lagen freilich auch Entscheidungsgründe
in Urtheilen, die sich auf Mittheilung eines kurzen That-
bestandes und einer Urtheilsformel beschränkten; denn wenn
z. B. unter zwei Erbprätendenten dem einen als dem Grade
nach näheren der Nachlass zugesprochen wird, so enthält
diese Entscheidung klar als Rechtsgrund den Satz, dass der
dem Grade nach Nähere dem Entfernteren als Erbberechtigter
vorgeht, und wenn demjenigen, der in einem aussergericht-
lichen Testamente eingesetzt ist, das beanspruchte Erbrecht
aberkannt wird, so liegt darin der Entscheid ungsgrund, dass
ein solches Testament unwirksam sei.
Die knappe Fassung der Sprüche und namentlich die
Weglassung von Entscheidungsgründen sind vor Allem der
Grund, dass bis zum Beginne des siebzehnten Jahrhunderts
die grosse Veränderung, die im materiellen Rechte durch
Aufnahme romanistischer Sätze eingetreten war, in der Recht-
sprechung kaum zu Tage tritt. Manche Entscheidung basirt
im sechzehnten Jahrhundert sicher auf dem Einflüsse des
gelehrten Rechtes; der ergangene Spruch bringt das aber
äusserlich nicht zur Anschauung. Als Beispiel kann ein Fall
dienen, der 1540 bis 1542 im Städtchen Gransee (bei Branden-
burg) spielte (vgl. ÜB. 1 190). Hier hatte eine Witwe mit den
Verwandten ihres Mannes vereinbart, dass sie von dessen
Erbe nichts verkaufen dürfe ohne Vorwissen der Verwandten,
die zum Vorkaufe berechtigt sein sollten. Gleichwohl ver-
kaufte die Frau in allen Formen Rechtens einem Dritten eine
Braupfanne, ohne sie den Verwandten angeboten zu haben;
diese fragen an, ob ihnen der Dritte nicht die Braupfanne
gegen Rückzahlung des Kaufgelds abtreten müsse. Das be-
jaht man 1540 in Brandenburg.1) Als aber dann die Sache
zum Prozess kommt und das Granseeer Gericht in Branden-
burg anfragt, erfolgt 1542 eine ganz anders lautende Ant-
wort: der ordnungsgemäss vollzogene Verkauf könne gegen
den Dritten nicht angefochten werden, die Verwandten
möchten sich an die Witwe halten, die ihnen Gewähr zu
l) „Sofern die Freundschaft in den Verkauf nicht gewilligt, kann sie
die Pfanne wiederfordern, und der Käufer kann sich nicht schützen, ob er
gleich den Verkauf in der Schoppen Buch hat verzeichnen lassen.'1
S t ö 1 z e I , Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 33
514 6. Buch. Verfahren.
leisten habe. Die Verschiedenheit der Entscheidung findet
ihre Erklärung darin, dass der Spruch von 1540 auf dem Boden
des dinglich wirkenden deutschen Retraktrechts, der Spruch
von 1542 auf dem Boden des bloss persönlich wirkenden
römischen pactum protimiseos steht. Aus den beiden
Sprüchen lässt sich das nur ahnen; sie sagen davon kein
Wort. Deshalb wird die Aufnahme von Entscheidungs-
gründen für die Konsolidirung der gelehrten Rechtsprechung
von besonderer Bedeutung. Eine leise Hindeutung auf Ent-
scheidungsgründe ist es auch, wenn 1553 (ÜB 1 289) ein der
Schwängerung Bezichtigter von der Klage entbunden wird,
„da die Klägerin ihn der Uebelthat, wie zu Recht genugsam,
nicht überkommen kann44, oder wenn in demselben Jahre
(5 33) der altstädter Schöppenschreiber mit dem neustädter
Senior darüber korrespondirt, ob der Verurtheilung eines
Diebes zur Rückgabe des gestohlenen Roggens an die Be-
stohlene zugefügt werden solle; „tanquam miserabili personae4*,
was der Senior keineswegs etwa deshalb beanstandet, weil
Entscheidungsgründe nicht in den Spruch gehörten, sondern
deshalb, weil die Rückgabe „ohne das rechtlich sei44, <L h.
weil sie auch geboten wäre, wenn die Bestohlene nicht zu
den personae miserabiles gehören sollte.
In ausgedehnterem Maasse tauchen Entscheidungsgründe
zuerst bei Liquidationen im Konkurs auf. So z. B. 1587 (29
252) in einem Berliner Konkurs, in welchem 20 Gläubiger
auftreten. An erste Stelle wird hier ein Gläubiger lozirt,
weil er „mit keiner Zession der im Berliner Gerichtsbuch
1565 und 1567 eingetragenen Forderungen von 1000 und
1 100 Thlr. versehen, auch nicht erwiesen, dass er als Bürge
hat zahlen müssen44.1)
Ein Recht, Gründe eines gefällten Spruchs zu verlangen,
hatten aber damals die Parteien noch nicht. Der mit
einem Brandenburger Spruch unzufriedene Hans v. Restorf in
Heinrichsdorf bittet 1592 (35 480) um Mittheilung „der Ur-
theilsgründe und rationes decidendi44. Die Brandenburger
erwidern, „dass hiebe vor und bis daher nie in unserm
Scheppenstuhl gebräuchlich gewesen, einigen die Ursachen
!) Achnlich 1633 (ÜB. 2 676).
§ 38« Herstellung der Sprüche. 515
unseres Rechtsspruchs und rationes decidendi, ausge-
nommen, wann unser gn. Herr der Kurfürst solches
von uns begehrt hat,1) anzuzeigen oder schriftlich zu
geben, lassen es derwegen nochmals bei vorigen ausge-
sprochenen Urtel bleiben, übersenden euch derwegen euer
Geld hinwiederum, freundlich bittend, uns diesfalls, dass wir
euch gebetenermassen nicht willfahren können, entschuldigt
zu halten*. Wenige Jahre später (1596: 40 386) erklären
sich aber die Brandenburger dem Hauptmann Dietrich
v. d. Schulenburg gegenüber bereit zur Mittheilung ihrer
rationes decidendi, nachdem ein Anverwandter des Haupt-
manns, Werner v. d. Schulenburg, von einem ihn betreffen-
den Brandenburger Spruch gesagt hatte, „er sei so weit vom
Rechten entfernt, als der Anfang vom Niedergang, Wahr-
heit von der Lüge, Licht von Finsternisse
Sehr wohl war es den Schoppen bewusst, dass die Weg-
lassung der Gründe in den Urtheilen ihnen nicht bloss eine
erhebliche Arbeitslast ersparte, sondern dass dadurch auch
ihre Rechtsprechung vor einer unliebsamen Kontrole geschützt
wurde. Erst die mehr und mehr zunehmende Unterordnung
des Schöppenstuhls unter die landesherrliche Gewalt führte
dahin, dass die Schoppen wenigstens soweit jene Kontrole
zuliessen, als sie anerkannten, dass der Kurfürst sie zur Mit-
theilung ihrer rationes decidendi im Einzelfalle anhalten
könne. Charakteristisch ist, dass sie in der eben mitgetheilten
Erwiderung an Hans v. Restorf den anfanglich beabsichtigten
Ausspruch, dem Kurfürsten stehe das Recht zu, Mittheilung
ihrer Gründe zu begehren, nachträglich wieder strichen; es
hätten daraus ihnen unliebsame Folgerungen gezogen werden
können; denn sehr nahe lag es, dass jeder, der mit einem
Brandenburger Spruch unzufrieden war, beim Kurfürsten sich
beschwerte und um einen Befehl supplizirte, die Gründe
mitzutheilen. So mag die Sachlage gewesen sein, als der
Kurfürst den Brandenburgern 1602 (ÜB. 2 335) befahl, dem
Kastner in Tangermünde die rationes decidendi mitzutheilen,
weshalb der Knecht, der mit der Ehefrau des Junkers Rintorf
l) Die gesperrt gedruckten Worte des Konzepts sind nachträglich
getilgt.
33*
516 6. Buch. Verfahren.
Ehebruch getrieben, mit dem Schwerte, die Ehefrau aber
nur mit Staupschlägen und Verweisung bestraft werden
solle. In ihrem vom Mag. David Kuhns verfassten Berichte
machen die Brandenburger geltend, die erkannte Strafe
sei nicht zweifelhaft, es werde in allen Fakultäten und
Schöppenstühlen des gemeinen Rechts ebenso gehalten; dem
fügen sie zu näherer Begründung hinzu, der Satz Constantins:
sacrilegos nuptiarum gladio puniri oportet, sei für Frauen
propter sexus fragilitatem durch Justinians Authentiken l) in
poenam fustigationis et detrusionis in monasterium geändert,
wobei es Art. 120 der Carolina bewenden lasse; weil dann
„die Klöster abgethanu, seien im ganzen Kurfürstenthum die
Staupschläge und Verweisung an die Stelle getreten. Wenige
Zeit vorher, nämlich im Jahre 1597, fordert der Kurfürst von
den Brandenburger Schoppen die Mittheilung der „Ursachen",
weshalb sie in einer Strafsache auf Freisprechung erkannt
hätten;2) die Schoppen entwickeln darauf unter zwölf Num-
mern dem Kurfürsten ihre rationes. Ebenso erfordert der
Kurfürst die Mittheilung der rationes decidendi 1605, wes"
halb das Lehnschulzengericht Wulfestorf (bei Wittstock) auf
einen Unmündigen verstammt sei;3) die Brandenburger er-
widern, der Spruch gründe sich auf die Verträge, Lehnbriefe
und sonstigen Urkunden; diese seien den Konsulenten zurück-
geschickt worden ; in Mangelung dieser Beilagen könnten sie
ausführliche, gründliche rationes decidendi nicht zufertigen;
sie bäten, den Konsulenten zu befehlen, die Urkunden ihnen
wieder einzuantworten.
Seit dieser Zeit beginnen die Brandenburger von selbst,
Gründe in ihre Sprüche aufzunehmen. So enthält ein vom
altstädter Schöppenschreiber Düring herrührender und von
den Schoppen gebilligter Spruchentwurf von 1606 (54 155)
die Gründe, weshalb eine Witwe nicht für eine Geschäfts-
schuld hafte, die ihr verstorbener Mann kontrahirt habe, ohne
l) Zitirt werden 1. quamvis, linea 2 Cod. ad 1. Jul. d. adult; Auth. ut
nulli judicura § si vero Coli. 9 const. 9 et Auth. sed hodie C. ad 1. Jul. d.
adult. (ÜB. 2 336).
*) StA. R. 21 N. 9C-
3) StA. R. III. 79 W. 54.
§ 38- Herstellung der Spruche. 517
dass Jemand die Mittheilung von Gründen verlangt hat.
Ebenso findet sich ohne besonderen Anlass 1641 (77 121) in
einem Spruche, der auf Anfrage eines Rathsherrn aus
Treuenbrietzen in einem Erbstreite eine Vermachung für un-
kräftig erklärt, die Einschaltung, die Vermachung könne
„aus Mangel der Solennitäten und anderen Ursachen" nicht
bestehen. Aber noch 161 7 (65 106) wendet sich der Haupt-
mann des Landes Ruppin, Geheimrath von Bellin, an des
Kurfürsten hinterlassene Räthe (d. h. an die den abwesenden
Kurfürsten vertretenden Räthe), ehe er ein in Brandenburg
erwirktes Todesurtheil vollzieht, „weil es sich um eines
Menschen Leben handele und er (der Hauptmann) deshalb
gern etwas behutsam gehen wolle"; er wird beschieden,
ehe er die Exekution vor sich gehen lasse, möge er die
Brandenburger, „wie in dergleichen Fällen wohl zu geschehen
pflegt, um ihre rationes decidendi angehn". Die Branden-
burger entwickeln darauf ihre Gründe mit dem Zusatz: „wenn
mit Kurfürstlichen zur Regierung abgeordneten Räthen der
Hauptmann die Strafe mitigiren wolle, Hessen sie es ihres
Theils wohl geschehen".
Der erste Fall, in welchem nach ergangenem Spruche
auf einfachen Antrag der Partei Urtheilsgründe eröffnet
werden — und zwar aus dem Gedächtniss der Schoppen,
ohne dass ihnen Akten oder schriftliche Vota vorlagen, —
datirt aus dem Jahre 1653 (78 482). In einer beim Hofgericht
Stettin wegen einer Bürgschaft für eine Schuld von 50000 Rthlr.
anhängigen Sache der Erben des Adrian Kleist gegen Georg
Stoyentin hatte ein Brandenburger Spruch das erstinstanz-
liche Urtheil zu Ungunsten des Beklagten abgeändert; der
letztere bat um die rationes decidendi und erhielt sie unterm
14. Januar 1653, „soviel bei Mangelung der Acten wir uns
zurückerinnern".
Wurde aber den Parteien das Recht zugestanden, um
Mittheilung von Entscheidungsgründen zu bitten, so war es
natürlich, dass dadurch die Urtheilskosten sich erhöhten. Es
entstanden damit zwei Klassen von Urtheilen: Urtheile mit
Entscheidungsgründen und Urtheile ohne solche; die ersteren
spalteten sich demnächst wieder in zwei Klassen, solche mit
518 6- Buch. Verfahren.
Entscheidungsgründen (rationes decidendi) und solche
mit Zweifels- und mit Entscheidungsgründen (rationes
dubitandi et decidendi). Diese Entwicklung erhellt aus
den folgenden Thatsachen.
Bürgermeister und Rath zu Wollin übensenden 1669
(79 415) Akten, betreffend einen im Streite einer Witwe
mit ihren Stiefkindern retinirten Acker, und fragen, „weil
der Parte vorgeschützter Dürftigkeit halber zu erkundigen
nöthig sein wollen, wieviel das Genauste für eine blosse
Urthel an ihm selbst, dan auch für eine ausführliche, welcher
rationes decidendi mit angefügt sein, erfordert werden".
Nach den abgegebenen Voten sollte dem Anwalt geschrieben
werden, „dass 5 Thlr. 6 G. geschickt und die Akten abgeholt
würden". Die Brandenburger wollten also damals auf die ihnen
noch unbekannte Scheidung von weniger kostspieligen Ur-
theilen, denen die Gründe fehlen, und von theureren, in denen
die Gründe ausgesprochen sind, nicht eingehen. Zwanzig
Jahre später bitten Bürgermeister und Rath beider Städte
Quedlinburg (1688), und es bitten ebenso Fürstl. Quedlin-
burgsche Stiftskanzler und Räthe (79 572. 579) die Branden-
burger, „sich um ein rechtmässiges Urtheil zu vergleichen
und solches cum rationibus decidendi . . . einzusenden u ;
sie erhalten auch diese Gründe. Bei einem von der Halber-
stadter Regierung 1691 (79 659) beantragten Spruche fehlen
Entscheidungsgründe, da nicht um solche gebeten war, der
altstädter Senior Berchelmann überschreibt aber sein „salvo
aliorum" abgefasstes Votum, dem die Kollegen beitreten,
mit „Rationes decidendi". Und als 1691 (79 713) die Witwe
v. Kaikreuth Belehrung über eine Disposition ihres Mannes
„cum rationibus dubitandi et decidendi" erbittet, geht zwar
der Brandenburger Spruch etwas näher als sonst auf die
Sache ein, enthält aber rationes dubitandi ebensowenig wie
von diesen abgesonderte rationes decidendi; er kennt also
noch nicht die Scheidung beiderlei Art von Gründen. Auch auf
die Bitte des Konsistoriums in Köthen um „Abfassung des
Spruchs cum rationibus decidendi et dubitandi" ergeht 1701
(80 6) nur ein Spruch mit „rationes decidendi". Umgekehrt
ergeht 17 16 (81 23) unter dem Referate des jüngsten Schoppen
§ 38- Herstellung der Sprüche. 519
Lange ]) auf Anfrage des Quedlinburgers Obersteuerdirektors
v. Posadowsky, der um einen Spruch mit rationes decidendi
gebeten hat, ein Spruch mit „rationes dubitandi et deci-
dendi". Lange scheint also die Sitte der Scheidung dieser
beiden Arten von Gründen für die Brandenburger Urtheile
eingeführt zu haben. Sie wurde aber keineswegs zu einer
ständigen. Denn im nämlichen Jahre (81 50) ergeht auf die
Bitte von Bürgermeister und Rathmannen zu Nauen, sie cum
rationibus dubitandi und decidendi zu belehren, ein Spruch,
ohne dass darin rationes dubitandi et decidendi ersichtlich
gemacht sind. Dem Berliner Kammergericht gab bereits die
Ordnung vom 1. März 1709 auf,2) bei Akten Versendungen
nach auswärts stets die Beifügung von „rationes decidendi14
zu verlangen.
Den Zweck der bei der Akteneinsendung gestellten Bitte
um Mittheilung von Gründen sehen 1731 (86 200) die Bran-
denburger darin, dass sie „nicht der Partei, sondern dem
Richter" dienen sollen, und „deshalb an einigen Orten nicht
pars actorum zu werden pflegen". Darum weigerte sich
1734 (80 196) die „Domprobsteiliche Inquisitionskommission44
zu Hildesheim, die rationes eines Brandenburger Spruchs der
Partei zu verkünden, wurde dazu aber auf Beschwerde vom
König angehalten.
Für die formelle Gestaltung der Entscheidungsgründe
fing man um diese *Zeit in Brandenburg an, unter dem Ein-
flüsse des Hallenser Ludovici und seiner von 1707 bis 1750
in zwölf Auflagen erschienenen Einleitung zum Civilprozess 3)
bestimmte Regeln aufzustellen, wie z. B.: reformatorische
Sentenzen müssten in den Gründen mit: „Nunmehro aus den
Akten soviel zu ersehen" beginnen (1738: 89738), oder: die
rationes pflege man mit Nummern zu formiren (1748: 98 400),
was der Schöppe Grust mit der Bemerkung bestritt, er solle
meinen, dass der stilus einem Jeden arbiträr sein müsse, in-
dem „nicht nöthig, mit Nummern die rationes auszumessen".
.') Siehe oben Seite 150.
2) Mylius c. c. m. II, 1 Sp. 452.
*) Vgl. Landsberg, Geschichte der D. Kechtswiss. 3. Abth. 1, 135;
Noten S. 80.
520 6. Buch. Verfahren.
Bei Revisionserkenntnissen wollte Grust noch 1782 (104 19$)
und sein Kollege Zierhold noch 1786 (106 55) „nach be-
kannten Rechten4* keine Entscheidungsgründe beifügen;
solche gäben nur Gelegenheit zu neuen Streitigkeiten; der
Senior Steinfeld war anderer Meinung (104 203) und wusste
so wenig von der alten Zeit, dass er im direkten Gegensatz
zu dem Ausspruche des Schöppenstuhls von 1592, l) es sei
nie gebräuchlich gewesen, Gründe mitzutheilen, die kühne
Behauptung aufstellte, „das Collegium hiesigen Skabinats habe
gleich andern Juristenkollegien auf Universitäten stets die
Gewohnheit gehabt, die responsa mit rationibus zu versehen4'.
Die Anträge der Konsulenten lauten bis zum Schlüsse
des Jahrhunderts verschieden: der Berliner Generalauditeur
ersucht 1787 (106 112) schlechtweg „um Abfassung eines
Erkenntnisses" und erhält ein • solches ohne Gründe, ein
Justitiar in Zerbst ersucht im nämlichen Jahre (106 146) in
einer Untersuchung wegen Ehebruchs „um Abfassung eines
Definitiverkenntnisses ohne Gründe14, und die Dessauer Re*
gierung ersucht 1795 (106 247) „um rechdiches Unheil
sammt Zweifels- und Entscheidungsgründen4*.
Die Preussische Gesetzgebung hatte zunächst in Art. 54
der Allgemeinen Ordnung vom 21. Juni 1713, die Verbesse-
rung des Justizwesens betr.,2) den Referenten die Pflicht
auferlegt, ihren Re- und Korrelationen rationes dubitandi et
decidendi beizufügen und dann den darauf 'gefassten Kollegial-
beschluss den Parteien zu publiziren. Damit war aber nur
eine Niederlegung der Gründe des Referenten in die Akten,
nicht die Mittheilung der Gründe an die Parteien eingeführt.
Hierzu verpflichtete den Richter in weitem Umfange die All-
gemeine Gerichtsordnung von 1 783.3) Die einschlagenden
Gesetze des neunzehnten Jahrhunderts machten diese Pflicht
zu einer allgemeinen. Aber nur „Entscheidungs44- Gründe
wurden verlangt; damit hörten die Zweifels- Gründe in den
Urtheilen auf4)
T) Siehe oben S. 514.
2) Mylius c. c. m. II, 1 Sp. 545.
3) I. 13 S 36; I- «4 § 67J vgl- auch I. 15 § **•
*) Vgl. Preuss. Gesetzsammlung von 1825 S. 961, von 1833 S. 42. 304;
§ 38. Herstellung der Sprüche. 521
V
4. Sprüche „im Namen4* des Gerichts.
Kann man nach dem Gesagten das Auftreten von Ent-
scheidungsgründen in den Urtheilen als eine Eigenthümlich-
keit des beginnenden siebzehnten Jahrhunderts betrachten, so
gilt dasselbe von einer weiteren Eigenthümlichkeit der Ur-
theilsgestaltung.
Im Jahre 1601 (ÜB. 2 324) geschieht es, soweit unsere
Akten erkennen lassen, zum ersten Male — und zwar von
Seiten des Hamburger Obergerichts (d. h. von Bürgermeister
und Rath) — dass in Brandenburg der Antrag gestellt wird,
„im Namen44 des anfragenden Gerichtes „ein rechtmässig
Urtheil zu fassen4*. Damit war nicht etwa gemeint,-wdass der
Schöppenstuhl seinem Spruche den Eingang geben solle,
die Brandenburger Schoppen gäben ihre Belehrung „im
Namen von Bürgermeister und Rath zu Hamburg" , wie heut-
zutage die Urtheile Preussischer Gerichte in ihrem Eingange
sagen, dass sie „im Namen des Königs44 erkennen. Vielmehr
sollte der Schöppenstuhl so sprechen, als wäre er das
Hamburger Gericht, er sollte unter dessen Namen, nicht als
dessen Beauftragter sprechen. So verstand auch der Schöppen-
stuhl den Antrag Hamburgs; denn der erbetene Spruch er-
folgte laut des vom altstädter Schöppenschreiber Düring
herrührenden Entwurfs dahin:
„Auf eingewandte appellation erkennen wir bürger-
meistere und raht der Stadt Hamburg nach gehabten raht der
rechtsgelehrten vor recht (folgt die Entscheidung mit Gründen).
Dass dies urtheil den rechten und uns zugeschickten^ akten
gemäss, solches bezeugen wir verordnete schöppen des'chur-
fürstlichen schöppenstuhls beider Städte Brandenburg
mit unserm aufgedruckten secret.a
Die Fakultät zu Rostock braucht dieselbe Form bereits
1588, ebenso Richter und Schöppen zu Stettin 1593, wenn
von 1839 S. 137; von 1849 S. 18; von 1852 S. 215; von 1867 S. 994. An-
dere Staaten verfuhren ähnlich, z. B. Kurhessen laut VO. v. 19. Nov. 1816.
Auch die Reichscivilprozessordnung § 284 verlangt „Entscheidungsgründe"
(womit im Anschlüsse an die Ausdrucksweise der bisherigen Gesetzgebung
nur der Gegensatz zu Zweifelsgründen hervorgehoben, keineswegs etwa
gesagt sein soll, die Gründe hätten sich auf eine Motivirung der endlichen
Entscheidung zu beschränken und von Motivirung der Nothwendigkeit eines
eingeleiteten Beweis Verfahrens abzusehen).
5'22 6- Buch. Verfahren.
sie auf Anfrage ihres Herzogs Belehrung ertheilen.1) Der
Magdeburger Oberhof beginnt gleich dem Brandenburger im
Anfange des siebzehnten Jahrhunderts seine Urtheile auf den
Namen der anfragenden Gerichte zu formiren.2) Dabei ist zu
beachten, dass zu dieser Neugestaltung der Oberhofssprüche
immer ein ausdrückliches Ersuchen in der Missive erforder-
lich ist, — ein Beweis, dass die Fassung des Urtheils auf den
Namen des anfragenden Gerichts im Interesse dieses Gerichtes
oder seines Herrn, nicht etwa im Interesse der rechtsbelehren-
den Spruchbehörde lag.
Der Grund einer solchen Aenderung der bisher üblichen
Spruch form lag äusserlich in der Bequemlichkeit der an-
fragenden Gerichte8): erhielten sie altem Brauche gemäss
nur eine Belehrung, wie zu sprechen sei, so erwuchs ihnen
die Aufgabe, ein Urtheil abzufassen, das der Belehrung sich
l) Acta des StA. Stettin, enthaltend Rechtssprüche des Schoppen-
Stuhls zu Stettin fol. 215. 331. Laut derselben Akten fol. 211 wendet da-
mals die Leipziger Fakultät die Form an: „Wir Untenbenannte erkennen"
etc. «Dass dies Urtheil den Akten und Rechten gemäss, bekennen wir
Ordinarius etc. zu Leipzig'4.
a) Friese und Liesegang, Mgdb. Schöffensprüche Bd. 1 S. 303. 305.
306 bringen Sprüche von 1611. 1612. 1613, die nach Zerbst gegangen sind
und nicht im Namen des Zerbster Gerichts formulirt sind. In Alemanns
palaestra consultationum juris I. Magdeb. 1613. 1621 finden sich Sprüche von
1567 (S. 910) bis 1613 (S. 697); unter ihnen Sprüche von 1606 (S. 36. 37),
1610 (S. 831) ebenfalls noch in der alten Form, S. 802 wird aber eine Ent-
scheidung des Erzb. von Magdeb. „ad informationem scabinorum Magde-
burgensium i6oq emissa" erwähnt, und S. 945. 947. 953 werden Sprüche aus
161 1 und 1612 mitgetheilt mit der Formel: „Auf eingenommene inquisttion
etc. sprechen wir bürgermeister, rathmanne und innungsmeister
der Altenstadt Magd, vor recht etc. Das dieses urtheil den ....
akten und beschriebenen rechten gemäss, bekennen wif schöppen zu
Mag Hb. u Hier spricht also der Oberhof Namens des altst Rathes, der
die Strafgerichtsbarkeit in der Altstadt ausübte. — Einen anscheinend 1603
(jedenfalls nicht später) im Namen des Administrators von Magdeburg ge-
fällten Spruch des Hofgerichts und der Juristenfakultät su Wittenberg s.
ÜB. 9341. Daselbst S. 340 findet sich ein Spruch der Frankfurter Fakultät
aus dem J. 1602, in deren eigenem Namen und zugleich mit der Bestätigungs-
klausel der Universität.
*) Vgl. auch Stintzing in Sybels histor. Ztschr. 15, 420. Muther, Ztschr.
f. RGesch. 4, 428 und Jahrb. f. GesellschR. 8. Böhlau in d. Ztsch. f. RGesch.
9, 12. 14. St5Izel, gel. Rieht. 1, 209.
§ 38. Herstellung der Sprüche. 523
anschloss; wurde aber vom Oberhof die Belehrung alsbald
in die Form des vom anfragenden Gericht zu fällenden Ur-
theils gegossen, so hatte das anfragende Gericht einfach den
Oberhofsspruch als seinen Spruch zu verkünden; wenn sich
dabei das Gericht der Form bediente, dass es seinen Aus-
spruch als den der Gerichtsobrigkeit hinstellte, so formulirte
auch der Oberhof seine Sentenz auf den Namen der Gerichts-
obrigkeit. Aber die Aenderung hatte auch einen wichtigen
innerlichen Grund: sie entsprang einestheils dem Gedanken,
dass der Oberhof materiell doch die Funktion eines erkennen-
den Gerichts habe, anderntheils stand sie in gewissem Zu-
sammenhange mit dem immer mehr zur Herrschaft gelangen-
den Gedanken, dass sich im Landesherrn oder Gerichtsherrn
die gerichtliche Gewalt konzentrire, und dass der Inhaber
der Gerichtshoheit auch nach aussen hin als das Organ er-
scheinen müsse, von dem persönlich oder durch den Mund
seiner Gerichte unter Zurückdrängung fremden Einflusses
die Rechtsprechung ausgehe. Die nothwendige Folge war,
dass die rechtsbelehrenden Organe allmählich in den Hinter-
grund traten: bisher wurde den Parteien eröffnet, dass und
wie der Oberhof gesprochen habe, von jetzt an ging man
dazu über, ihnen zu eröffnen, dass und wie der Inhaber der
Gerichtsgewalt gesprochen habe; dem wurde nur die höchst
unbestimmte Klausel beigefügt: „nach gehabtem Rath der
Rechtsverständigen". Wer die Rechtsverständigen waren,
verschwieg das Urtheil; nur durch die unter das Urtheil ge-
setzte Bemerkung, dass die Schoppen beider Städte Branden-
burg, oder wer sonst die Rechtsbelehrung ertheilt hatte, das
Urtheil als den Akten und den Rechten gemäss bestätigten,
wurde den Parteien kund, welche Rechtsverständigen mit-
gewirkt hatten. Oberhofsspruch und Gerichtsurtheil flössen
dadurch in Eines zusammen, was man auch so ausdrücken
kann: die Oberhöfe fällten (statt der ordentlichen Gerichte)
Urtheile, sie belehrten nicht bloss, wie Andere Urtheile
fällen sollten. So entwickelt sich die Sitte, immer häufiger
darum zu bitten, dass die Schöppenstühle „Urtheile" oder
„Sentenzen4* sprechen sollen. Keineswegs beschreiten aber
solche Schöppenstuhlsurtheile die Rechtskraft, sondern
524 6. Buch. Verfahren.
sie werden erst dadurch zu „Urtheilen" im eigentlichen Sinne
des Wortes, d. h. sie werden erst dadurch rechtskraftfahig
und vollstreckbar, dass sie das Gericht, auf dessen Namen
sie gestellt sind, den Parteien als seine Urtheile verkündet.
Immerhin hatte die Neuerung der auf den Namen des an-
fragenden Gerichts gestellten Belehrungsurtheile für die
Schöppenstühle die Bedeutung, dass sie zu der Annahme
veranlasst wurden, sie sprächen als Gericht, ja als Gericht
oberer Instanz Recht. Nur so lässt es sich erklären, dass
innerhalb des Brandenburger Schöppenkollegs 1725 (83 709)
sogar einmal der Antrag eines Mitglieds auftauchte, wegen
prozessualischer Verstösse dem Gericht, das eine Diebstahls-
untersuchung mangelhaft geleitet, auf sein Ersuchen um Er-
theilung eines Rechtsspruches die Urtheilsgebühr aufzuerlegen,
als hätte der Schöppenstuhl eine Disziplinargewalt über das
erstinstanzliche Gericht; der Antrag fand aber nicht die Mehr-
heit der Stimmen. Nur eine Konsequenz dieser Auffassung
war es ferner, dass dasselbe Mitglied 1 746 (97 411) rügte, wenn
in Sprüchen, die nicht im Namen der Gerichte, sondern im
Namen des Schöppenstuhls ergingen, unterlassen wurde, vor
dem Worte „erkennen14 in der Schlussformel die Klausel
einzufügen: „darüber unser rechtlich Gutachten verlangt
worden1*. Jenes Mitglied hielt demnach in der That alle im
Namen der Gerichte ergehenden Brandenburger Sprüche für
Urtheile, alle im Namen des Schöppenstuhls ergehenden
Sprüche aber für Gutachten und wollte dies in der Spruch-
formel ausgedrückt wissen.
In damaliger Zeit ist es überhaupt nichts Ungewöhn-
liches, „Gutachten" und „responsa" statt einer „Belehrung41
oder eines „Urtheils" zu erbitten und zu ertheilen, nament-
lich wenn die Anfragen von Privaten ausserhalb eines
Prozesses gestellt werden. So bittet 1725 (83 555 ff.) ein
Erbinteressent um ein „Gutachten", worauf ihm die Branden-
burger eröffnen, was sie in der Sache „erachten und halten";
dem Anfragenden entsteht darauf ein weiterer Zweifel; er
bittet deshalb erneut um ein Gutachten, „aber nicht etwa
durch den Herrn Direktor allein, sondern durch das Kollegium41;
die Brandenburger „konfirmiren" darauf das frühere Gut-
§ 38. Herstellung der Sprüche. 525
achten. Als sie 1726 (84 72) auf eine Privatanfrage „ihr
rechtliches Bedenken oder ihr responsum" ertheilen, werden
die gestellten Fragen dem Anfragenden mit der Beglaubi-
gung mitgetheilt, dass „Senior und Assessores auf diese
Fragen das beigehende responsum abgefasst". Auch der
Wolfenbüttler Kammerfiskal, der 1734 (87 616) in einem
beim Hofgericht Wolfenbüttel schwebenden Rechtsstreit
gegen den dänischen Reichsgrafen von Dehn drei Fragen
stellt, erhält „ein Gutachten41 der Brandenburger.
Als in einem Falle des Jahres 1732 (86 573 — 585) Bürger-
meister und Rathmannen zu Spandau den Parteien nach ge-
schlossenen Akten rathen, „von einem benachbarten Skabinat
ein Gutachten einzuholen", bitten die Parteien um ein
solches; die Brandenburger „halten davor, dass den Akten
nach der Beklagte zu verurtheilen sei". Dem fügt ein Bei-
schreiben hinzu : .,wir haben zwar zu sententioniren wegen
der Königlichen Verordnung1) billig angestanden, indess haben
wir unser Gutachten diesfalls mitzutheilen nicht ermangeln
sollen". Auf die Bitte desselben Gerichts um ein „Gut-
achten" vor gefälltem erstinstanzlichen Spruche tragen aber
1 734 (87 608) die Brandenburger kein Bedenken, die Spruch-
formel der früheren Zeiten anzuwenden und „für Recht zu
erkennen", dass die Erbschaft, um die es sich handelte, dem
Beklagten gehöre. Solche Umgehung des Verbots von 1723
mag die Aufhebung des Verbots im Jahre 17362) mit ver-
anlasst haben. Das Edikt von 1723 hatte aber immerhin
die Wirkung hinterlassen, dass die erstinstanzlichen Kollegial-
gerichte und die zweitinstanzlichen Gerichte an der Akten-
versendung besonderen Gefallen fanden, indem sie aus
dem Verbot, Einzelrichter sollten vor dem Spruche erster
Instanz nicht nach auswärts verschicken, herauslasen, dass
in andern Fällen, namentlich nach ergangenem erstinstanz-
lichen Spruche, wenn der Prozess in zweiter Instanz schwebe,
die Aktenversendung den Intentionen des Königs nicht
widerspreche.
Es ereignete sich in Folge dieser wechselnden Gesetz-
*) Siebe oben S. 312.
2) Siehe oben S. 314.
526 6- Buch. Verfahren.
•
gebung, dass die nämliche Sache mehrmals nach Branden*
bürg zum Spruche gelangte, was die Prozessualisten für un-
erlaubt erklärten. !) Die Regierung zu Kleve sandte 1 739
(90 970) Akten ein, worin die Brandenburger früher bereits
in erster Instanz gesprochen hatten ; auf diesen Umstand von
Brandenburg aus hingewiesen, zog die Regierung ihre Anfrage
zurück. Für statthaft hielt man es aber (1740: 91 550) in
Brandenburg, erst auf ein vor dem Landeshauptmann in Kottbus
verhandeltes Beweisverfahren und dann, nachdem auf Appella-
tion gegen den Brandenburger Spruch die Regierung zu
Küstrin erkannt hatte, auf die gegen den Spruch der Re-
gierung eingelegte Appellation in der nämlichen Sache noch-
mals zu erkennen. Ein möglichst sonderbares Verfahren
schlug 1740 (91 408) ein Brandenburger Superintendent ein;
er fragte beim Schöppensenior Giesecke im Interesse eines
Erbprätendenten an, „ob derselbe wohl ein günstiges Re-
sponsum erwarten dürfe, wenn es zur Anfrage käme"; darauf
liess der Senior durch den Schoppen Plümicke ein Votum
erstatten und fragte, da es ungünstig ausgefallen war, bei den
Kollegen an, ob sie beiträten; geschehe dies, so werde er
den casum zurückgeben. „Gutachten44 und „Urthefl44 fliessen
deshalb, wie in alter Zeit „Bedenken44 und „Urtheil44, in ein-
ander über:2) Das 1751 (99 245) von einem Justitiar in einer
vor ihm verhandelten Untersuchungssache begehrte „Gut-
J) Brunnemann, proc. civ. c. 24 § 20. Zigler, introd. ad proc. c. 13
§§ 7. 8. Hermann, Einl. zu den ger. Proz. Hb. 1 S. 1 c. 17 § 19. Vgl.
Brandb. Akten von 1745 (96 678).
2) Form eines Responsum (1742):
„ Wohledler . . . Herr und Freund! Als derselbe uns die i. S. . . .
ergangene Acta nebst zwoen Fragen zugesandt und unser rechtliches Be-
denken darüber verlangt, demnach erkennen zum Kgl. Pr. Schöppenstuhl
b. St. wir verordnete Senior und Assessores vor Recht, wie folgt:
Hat die Witwe ... so entstehen dahero nachstehende Fragen:
1 • • • •« 2« • « •
Die 1. Frage betr. . . .
Die 2. Frage anlangend, . . .
so sind wir aus diesen und anderen in den Akten und Rechten gegründeten
Ursachen die Fragen zu affirrairen und geschehener massen zu respon-
diren bewogen worden.
Dass dies Responsum pp."
§ 38» Herstellung der Sprüche. 527
achten" findet in der Form seine Erledigung, dass die
Brandenburger „für Recht erkennen", die Denunciaten seien
mit dreitägigem Gefangniss zu bestrafen, und dass sie „diesem
Urtheil" die übliche Bestätigungsklausel zufügen.
Eine strenge Scheidung zwischen Gutachten, die der
Schöppenstuhl in eigenem Namen, und Urtheilen, die er im
Namen des anfragenden Gerichtes sprach, hatte sich dem-
nach nicht durchführen lassen. Aber der seit dem sieb-
zehnten Jahrhundert sich einbürgernde Gebrauch, im Namen
des anfragenden Gerichts zu sprechen, hatte doch für die
weitere Geschichte der Schöppenstühle seine grosse Be-
deutung als die erste Etappe auf dem Wege, die Schöppen-
stühle zur Seite zu schieben in der Erkenntniss, dass die
Rechtsprechung ausschliesslich Sache der zuständigen Ge-
richte sein müsse.
Viel Widerstand setzten die Spruchbehörden den An-
trägen, auf den Namen der Gerichte zu sprechen, nicht ent-
gegen. Doch findet sich immerhin eine Spur, dass man
versuchte, der Neuerung den Eingang zu verwehren. Ob-
wohl, wie wir sahen, 1601 dem Hamburger Ersuchen in
Brandenburg bedenkenlos vom Schöppenschreiber Düring
Folge geleistet wurde, nahm 1605 (5l ll%) Bluhm, der da-
mals seit 20 Jahren mit den Formalien des Schöppenstuhls
vertraut war, an der Bitte des Niedergerichts Demmin, „ein
rechtmässig Urtheil in dessen Namen zu verfassen4*, Anstoss
und wollte nach alter Weise konzipiren: „Sprechen wir
Schoppen beider Städte Brandenburg vor Recht**, aber
Düring verbesserte dies dahin — sicher auf Beschluss des
Kollegs — , dass „verordnete Stadtrichter und Assessoren
des Niedergerichts zu Demmin aufgehabten Rath sprechen pp.**
Dem Beispiele der auswärtigen Konsulenten folgten
bald die märkischen. Richter und Schoppen des Stadt-
gerichts zu Perleberg bitten 1607 (ÜB. 2 404), 1608 (55 181)
und 16 13 (61 479) „unter ihrem und des Prignitzschen Land-
richters Namen zu erkennen**. Der Brandenburger Spruch
lautet demgemäss. Ebenso heisst es in einer Küstriner Sache
1608 (56 24) im Brandenburger Spruchkonzept: „Sprechen
wir verordnete Kanzler und Räthe der churf. brandb. Regierung
528 6- Buch- Verfahren.
zu Küstrin pp.w, oder in einer Sache des Quartalsgerichts
Stendal von 1609 (56504): „Sprechen wir verordnete kf.
Brandenburgische Quartalsgerichtsräthe zu Stendal auf ge-
habten Rath der Rechts verständigen . . ,ul)
Da dies letztere Konzept Bluhm zum Verfasser hat, der
damals altstädter Senior war, so beweist es, dass er sich seit
1605 der Neuerung gefügt hatte. Fragt 1615 (64 257) der
Herzog von Mecklenburg an, so beginnt der Spruch: „Von
Gottes Gn. Wir Adolf Friedrich, Herzog pp. sprechen nach
gehabtem Rath der Rechtsverständigen a und schliesst mit der
Bestätigungsklausel. Richter und Schoppen zu Altenstettin
heben in ihrer Anfrage 16 19 (67 253) mit grossen Buchstaben
hervor, dass sie um einen Spruch „in ihrem Namen" bitten.
Aehnliche Sprüche ergehen 1620 (67 602) im Namen von
Richtvogt, Bürgermeister und Rath zu Gollnow, 1633 (75
176) im Namen des Herzogs Bogislav von Pommern, 1647
(77 443) und 1652 (78 486) im Namen der von der Königin
von Schweden verordneten Hofgerichtsverwalter zu Stettin,
1666 im Namen der chrfl. Brand, zur neumärkischen Re-
gierung verordneten Kanzler und Räthe zu Küstrin. Auch
die Stadt Brandenburg selbst stellt 1707 (82 359) durch
Bürgermeister und Rath der Altstadt die Bitte, „in ihrem
Namen41 ein Liquidationsurtheil abzufassen, und dem willfahrt
der Schöppenstuhl, während in einer 1731 (86 357) von
„Richter und Assessores zu Brandenburg" (d. h. vom Stadt-
gericht Brandenburg) eingesandten Sache der Schöppenstuhl
in eigenem Namen erkennt, da ein Antrag fehlt, im Namen
des Stadtgerichts zu sprechen. Sogar auf den persönlichen
Namen eines einzelnen Beamten, wie des anhaltischen „Hof-
raths Beerbalken nomine fisci" (1707: 82 370) oder des
„Hauptmanns v. d. Groben" in Kottbus (1715: 81 19) wird
der Oberhofsspruch gestellt. Namens des „Amts Grüningen u
(bei Halberstadt) und Namens des „Gerichts Altena" sprechen
1735 (88 5Ö. 57) die Brandenburger, ebenso 1738 (89 730)
Namens des „freiherrlichen Schenckschen Amts Leimbach*%
aber sie sprechen auch auf ein fast gleichzeitiges Ersuchen
l) Aehnlich ein Urtheil Namens Richter und Schoppen des Stadtg-»
zu Frankfurt a/O. 161 9 (66 643) und 1622 (70 251).
§ 38. Herstellung der Sprüche. 529
desselben Amtes (89 751) oder des freiherrl. Bodenhausen-
schen Justitiars zu Wulfingerode (Reg.Bez. Erfurt) in eigenem
Namen als „Senior und Assessores des Königlichen Schöppen-
stuhls" (89 624), wozu eine den Akten einverleibte Be-
merkung den Schlüssel liefert, die dahin geht: „Die verord-
neten Senior und Assessores sprechen in eigenem Namen
nur noch bei den adligen Gerichten44 — ein Satz, der deut-
lich darauf hinweist, wie sehr man sich des Zusammenhangs
der zu gebrauchenden Urtheilsform mit der Landes- und
Gerichtshoheit bewusst war.1) Der Junker als Gerichtsherr
stand schon längst nicht mehr dem Landesherrn als Gerichts-
herrn gleich; die Gerichtsgewalt des Landesherrn als Aus-
fluss der Landeshoheit stand über der Gerichtsgewalt des
Junkers ; deshalb Hess sich der Schöppenstuhl bei der Formi-
rung seiner Urtheile nicht von den adligen, sondern nur von
den landesherrlichen Gerichten verdrängen. Ein Schritt
weiter war es dann, die von landesherrlichen höheren Ge-
richten erbetenen Oberhofsurtheile nicht auf den Namen
dieser Gerichte, sondern auf den Namen des Landesherrn
selbst zu stellen; waren doch diese höheren Gerichte nur die
Vertreter des Landesherrn, der ja einst persönlich an der
Spitze seiner allmählich zu „Gerichten" konsolidirten Räthe
Recht gesprochen hatte. Darum werden von 1722 ab (81
356; 83 67) die von der Regierung in Kleve oder von dem
Berliner Kriegs-, Hof- und Kriminalgericht (1731: 86 328)
erbetenen Brandenburger Urtheile im Namen des seinem
vollen Titel nach aufgeführten Königs gefasst,2) und als sich
im Jahre 1724 (81 527; 83 62) der Schöppenstuhl einmal
beigehen liess, auf Ersuchen der Klever Regierung in eigenem
Namen zu sprechen, erging an ihn auf königlichen Spezial-
befehl folgendes geharnischte Geheimrathsreskript:
. . . „Es ist diejenige Sentenz, welche Ihr in Sachen Overhoffs
und Caspar Rupen abgefasset, und wovon Abschrift hierbei lieget,
l) In eigenem Namen „reformiren" 1688 (79 58a) die Brandenburger
ein an die ftirstl. Quedlinb. Stiftsregierung gelangtes Unheil der Quedlinb.
Stiftskanzlei. Ein 1734 (87 653) auf Antrag des Stadtgerichts Meurs als
Appellationsinstanz ergangenes Brandenburger Urtheil lautet unpersönlich :
„In App.Sachen . . . wird ... für Recht erkannt".
a) Vgl. auch 1744 (95 294).
S t öl zel, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. L 34
530 6. Buch- Verfahren.
bey Unserem Tribunal produclret worden, und befrembdet Uns nicht
wenig, dass Ihr Euch unterstanden, selbige in Eurem Nahmen abru-
fassen, da Euch doch nicht unbekandt seyn können oder sollen, dass
die Provincial-Collegia in Unserem höchsten Nahmen die Sentenzen
publiciren, und die Collegia Juridica zur Verhütung aller Confusion
und Prostitution sie auch dergestalt einrichten müssen.
Ihr habt Euch darnach auch künftig zu achten, und dergleichen
Fehler, die Euch auch verkleinerlich sind und schlechte Opinion
von Euch erwecken können, zu vermeiden, hingegen aber mehrere
accuratesse zu bezeigen. Seynd Euch mit Gnaden gewogen."
Wenn das Gericht selbst in eigenem Namen sprach, so
hatte der Schöppenstuhl keinen Anlass, im Namen des Königs
zu sprechen ; ja, die Kriegs- und Domänenkammer zu Halber-
stadt änderte sogar einmal einen Brandenburger Spruch, der
auf des Königs Titel gestellt war, dahin um, dass sie den Titel
der Kammer an die Stelle setzte; deshalb widersprach 1747
(98 26) der Schöppensenior Giesecke seinem Kollegen Oel-
schläger, der bei anderer Gelegenheit auf die Anfrage der
Halberstädter Kammer im Namen des Königs erkennen
wollte.
Der König sah 1701 darin, dass er und nicht das Gericht
Recht sprach, mehr als eine blosse Form;1) dieselbe ist,
wenn auch in verblasster Gestalt, Anlass dazu gewesen, dass
bis auf den heutigen Tag die preussischen Gerichte „im
Namen des Königs" ihre Urtheile fällen.
Die letzten Urtheile, die 1806 und 1807 (oben S. 446) der
Brandenburger Schöppenstuhl fällte — und zwar auf An-
frage des Stadtgerichts zu Köthen — ergingen^ im Namen
des Schöppenstuhls.
5. Spruchreinschriften.
In die Sammlung von Spruchkonzepten eines Schoppen*
Stuhls gehören an sich keine Spruchreinschriften oder^deren
Abschriften. Sehr natürliche Umstände bringen es aber
mit sich, dass in solchen Akten sich auch eine Reihe von
.Spruchreinschriften, wie von Abschriften solcher
Reinschriften findet. Die einen sind gleich den andern des-
halb von Werth, weil sie das volle Bild der nach aussen ge-
l) Stölzel, Rechtsverwaltung 2, 9 ff.; Schulung f. d. civ. Praxis (4.
Aufl.) 1, 294.
§ 38- Herstellung der Sprüche.' 531
gangenen Thätigkeit des Schöppenstuhls geben. Ausser in
den Schöppenstuhlsakten haben sich noch verschiedene Rein-
schriften in Akten einzelner Archive gefunden, in die sie von
den Stellen aus gelangten, für welche die Reinschriften des
Brandenburger Schöppenstuhls bestimmt waren.1) Weitere
Reinschriften bergen sicher noch andere Archive; einer
umfassenderen Nachforschung danach bedarf es für unsere
Zwecke nicht. Einzelne Brandenburger Sprüche liegen auch
im Abdruck aus Reinschriften vor.
Soweit in den Schöppenstuhlsakten Reinschriften vor-
liegen, reichen sie nicht weiter zurück als bis zum Jahre 1554-
Da um diese Zeit sogar bei so angesehenen Schöppenstühlen,
wie bei dem Magdeburger, der Uebergang vom Pergament
zum Papier stattfand,2) so ist es erklärlich, dass pergamentene
Reinschriften von Brandenburger Sprüchen fehlen; die be-
nutzten sind sämmtlich papierne.
Zwei Umständen ist es zu danken, dass Spruch r ei n-
Schriften Theile der Brandenburger Akten geworden sind:
diese Reinschriften sind entweder solche, die der Schöppen-
stuhl nicht zur Absendung gelangen Hess, sei es, weil nach-
träglich eine Aenderung beschlossen wurde, sei es, weil die
Abholung und namentlich die Gebührenzahlung unterblieb,
oder es sind solche, die nach dem Abgange von den Inter-
essenten wieder eingereicht sind, theils als Beweisstücke, theils
zu Zwecken einer Korrektur.
Anders steht es mit den Abschriften oder Ab-
drücken von Spruchreinschriften. Dahin gehören als die
ältesten die oben (S. 276. 285) bereits besprochenen beiden
Abdrücke Riedels von 1455 und 1521. Ihnen reihen sich als
die ältesten in den Schöppenstuhlsakten vorhandenen Spruch-
abschriften die eines Spruches von 1540 (ÜB. 1 190) und eines
in derselben Angelegenheit ergangenen Spruches von 1542
{IIB. 1 191) an.
Den Abschriften von Spruchreinschriften gegenüber
1) Siehe oben Seite 34.
2) Friese und Liesegang, Magdb. Schaffensprüche Bd. 1 S. 253. 254.
255 erwähnen Sprüche auf Pergament um 1550 und 1554; S. 260. 266 Sprüche
auf Papier 1563, 1565, 1566.
34*
532 6- Buch. Verfahren.
sind die Spruchreinschriften von Werth, weil sie den
Spruch ohne jede Abkürzung wiedergeben, weil sie ein Da-
tum tragen,1) ferner weil sie die Hand des Schöppenschreibers
erkennen lassen, von dem sie herrühren, und weil sie mannich-
fach noch besiegelt sind, also über die Art der Besiegehmg
Auskunft geben. Bei einzelnen ist das Siegel' abgefallen,
andere sind vor der Besiegelung vom Schoppenstuhl aus
irgend welchem Grunde zurückbehalten, tragen also deshalb
kein Siegel.
Die älteste Spruchreinschrift, die sich in den Branden-
burger Schöppenstuhlsakten findet, datirt vom Donnerstag
nach Viti 1554 und rührt von dem neustädter Schöppenschreiber
Karpzow her. In einem für den Hauptmann Matthias von
Saldern gefällten Spruche, der auf die Folterung einer wegen
Zauberei Angeklagten erkannte, war der Angeklagten ein un-
richtiger Vorname gegeben; der altstädter Schöppenschreiber
ändert auf Antrag des Schreibers des Hauptmanns in der
zurückgereichten Reinschrift den Namen um; danach ergeht
eine neue Ausfertigung unter Zurückbehaltung der korrigirten
(5 278. 386). 2) Die Zweitälteste Spruchreinschrift, die das
Datum Donnerstag nach Dionysii 1554 trägt (5 234), ist von
Roters Hand und enthält am Rande einen in den Text ge-
hörigen Zusatz Roters ; dieser Korrektur halben musste eine
zweite Reinschrift gefertigt werden; die erste Reinschrift mit
der Korrektur ging als Konzept zu den Akten. Eine von
der Partei wegen fehlerhafter Sachdarstellung zurückgereichte
Spruchreinschrift liegt aus dem Jahre 1591 (34 116) vor. Es
war auf eine vom altstädter Schöppenschreiber Bluhm für
den Wittenberger Kämmerer Bluhm, wohl einen Verwandten,
verfasste Missive ein vom neustädter Schöppenschreiber
Floring entworfener und mit dem neustädter Schöppenstuhls-
siegel ausgefertigter Spruch ergangen, der irrig als Streit-
]) Die Magdeburger (s. Friese und Liesegang:, Magdb. Schöffensprüche
Bd. 1) und die Leipziger Reinschriften tragen kein Datum (vgl. Leipziger
Konzeptbücher Bd. 2 fol. 182 H, wo sich eine — korrigirte und deshalb
zurückbehaltene — Reinschrift befindet).
*) Ebenso 1599 (45 424) altstädter Reinschrift, die zurückgereicht und
vom Schoppen Lampertus mit einer Korrektur versehen ist, damit sie danach
anderweit ausgefertigt werde.
§ 38. Herstellung der Sprüche. 533
gegenständ den Nachlass des D. B. bezeichnete, während der
Nachlass des Vaters des D. B. in Frage stand. Bluhm,
dem offensichtlich die Ausfertigung für seinen Mandanten zu-
ging, verbesserte sie mit seiner Hand und reichte sie zu
anderweitiger Reinschrift wieder ein; so wurde ebenfalls die
verbesserte Ausfertigung das Konzept der neuen Ausfertigung.
Ein ähnlicher Irrthum begegnete den Schoppen, als sie
1583 (23 160. 168) auf eine Anfrage aus Gardelegen einen
Halbbruder für den Alleinerben erklärten und dadurch eine
erneute Anfrage hervorriefen, die darauf hinwies, es sei
nicht nach dem Erbrechte eines Halbbruders, sondern nach
dem der Kinder eines verstorbenen Halbbruders gefragt;
der irrige Spruch wurde dabei nicht zurückgereicht. Der
Fehler war durch ein Konzept des altstädter Schöppen-
schreibers Garz veranlasst. Der damalige Subsenior Roter
bemerkte dazu, dass „dann geirrt worden; wie jetzt der casus
figurirt worden, seien alle Betheiligten Erben in capita". Ob-
wohl Roter die Beifügung des früheren Spruchs vermisste,
forderte er ihn nicht wieder ein, begnügte sich vielmehr her-
vorzuheben, „es wäre gut, dass man hierbei hätte, was nächst
(= vor Kurzem) gesprochen sei**. Man Hess also der Partei
den irrigen Spruch und händigte ihr daneben einen zweiten
richtigen aus.
Ebenso wurde in einem Erbstreite des Jahres 1599 (43
562) aus Potsdam verfahren, in welchem der Spruch eine
Entscheidung traf, als handle es sich um eine Differenz
zwischen zwei halbbürtigen Geschwistern, während ein voll-
und ein halbbürtiges Geschwister in Frage stand; auch hier
blieb das unzutreffende Urtheil in der Hand des Anfragen-
den, dessen Angaben der Pfarrer mit dem Bemerken be-
stätigte, „der Schreiber habe das Urtheil unrecht begriffen".
Dem entsprechend wurde ein zweites Urtheil ausgefertigt,
das den richtigen Thatbestand enthielt.
Es kam auch vor, dass Konsulenten, die in Brandenburg
persönlich einen Spruch entgegennahmen und ihn dort lasen,
alsbald sich schriftlich an den Schöppenstuhl wendeten, um
durch neuvorgebrachte Thatsachen einen ihnen günstigeren
Spruch zu erlangen. So schrieben 161 5 (64 394) Konsulenten
534: 6- Buch- Verfahren.
aus Brandenburg an den Schöppenstuhl, sie hätten gestrigen
Tages der Herren gesprochenes Urtheil empfangen, dasselbe«
„weil sie noch allhier zur Stelle sein, gebrochen und ver-
lesen44; danach solle die von ihnen angefochtene Ehestiftung
gültig 'sein. Unter Anführung mehrerer Umstände ändern
sie ihren Bericht und bitten, die Ehestiftung für ungültig zu
erklären. Die Brandenburger sprechen, dass es beim früheren
Urtheile verbleibe; dem fügen sie hinzu: „Dafern ihr damit
nicht ersättigt und die ehestiftung umzustossen euch ge-
trauet, so seid ihr solches rechtlicherweise zu thun ....
schuldig". Hier war also der Spruch nur in den Augen der
Partei, nicht in denen des Schöppenstuhls ein Missgriff.
Zuweilen fiel der unleugbar vorgekommene Fehler einer
Spruchausfertigung nicht dem Schöppenschreiber, sondern
den abstimmenden Schoppen zur Last. Als 1601 (48 233 ff.)
die Neustadt Brandenburg in einer von ihrem Schöppen-
schreiber Floring verfassten Missive sich ein Belehrungsurtheil
in einer Diebstahlssache erbeten und der Schöppenschreiber
der zuerst votirenden Altstadt (Kuhns) den Spruch entworfen
hatte, kam dieser unbeanstandet aus der Neustadt zurück
und wurde so in der Altstadt unter deren Siegel ausgefertigt,
sagte aber den Neustädtern nunmehr so wenig zu, dass ihr
Schöppenschreiber Floring einen erheblichen Zusatz im That-
bestand machen und den korrigirten Spruch wieder in die
Altstadt Zwecks anderweitiger Ausfertigung gelangen lassen
musste. Diese ihm unnütz verursachte Mehrarbeit rügte
Kuhns mit folgender Bemerkung in den bei der Altstadt ver-
bleibenden Akten: „Das urthel hat müssen also corrigirt
werden, weil die Neustädtischen mit arbeit sich verschonet
und das papier gesparet, daher es dem concipienten (das
war Kuhns) ohne andre nachrichtung zu erraten und voll-
kommlich ins urtel zu bringen unmöglich gewesen".
Auch wenn es sich nur um geringe Aenderungen
einer Ausfertigung (z. B. um den Zusatz nur zweier Worte
am Rande) handelte, Hess man eine neue Ausfertigung
bewirken; Sprüche mit Korrekturen sollten nicht an die
Parteien gehen. Darum behält 1599 (45 406. 410) der alt-
städter Schreiber Kuhns die nach des neustädter Schreibers
§ 38. Herstellung der Sprüche. 535
Floring Konzept von einem Unterschreiber gefertigte, noch
unbesiegelte Reinschrift bei den altstädtischen Akten zurück,
nachdem er zwei Worte zugefügt hat.
Ausfertigungen, deren Abholung die Partei unterlassen
hat, liegen (ohne Besiegelung) vor von 1555 (5 443. 444),
1557 (6 139. 348), 1566 (10 20 1), 1567 (10 201). In dem Falle
von 1555 wurde die auf Antrag einer Partei in Wittstock
hergestellte, aber zurückgebliebene Ausfertigung benutzt,
um als Konzept für den Entwurf eines Spruchs zu dienen,
den später in derselben Sache die Schoppen zu Wittstock
beantragt hatten; man änderte nur die Adresse und den
Eingang.
Regelmässig wird der einzelne Spruch auf einem Bogen
von der Form des heutigen Aktenpapiers ausgefertigt. Noch
im sechzehnten Jahrhundert erreicht er selten die dritte
Seite (wie z. B. 1599: 45 424), oft überschreitet er nicht die
erste Seite; 1601 (48 233) kommt aber schon ein Spruch
vor, der 7 Seiten umfasst.1)
Einem Konsulenten, der um Angabe der Namen der
Schoppen bittet, von denen der ihm zugegangene Spruch
ausgegangen ist, erwidert 1583 (23 123) Roter: „Bei uns ist
nicht gebräuchlich, denen, so sich allhier belehren lassen,
aller scheppen namen zuzuschreiben". Auch hat es „allerlei
Bedenken", eine Belehrung auf Antrag doppelt „unter dem
Siegel fertigen zu lassen"; die Bedenken werden aber nicht
näher angegeben. Sendet eine Partei, der das in Branden-
burg 1558 gesprochene Urtheil abhanden gekommen ist, die
Akten nochmals mit der Bitte ein, „die Akten zu übersehen
und ein anderes dem vorigen gleiches Urtheil zu sprechen",
so wird 1567 (11 440; 6 69) darauf nur in der Form einge-
gangen, dass eine Neuausfertigung des älteren Urtheils erfolgt.2)
') Ueber die Unterschrift, die der Schöppenstuhl seinen Sprüchen gab,
siehe oben S. 73 ff.
2) Von den Parteien vorgelegte Spruchabschriften finden sich bei-
spielsweise 1585 (27 153), 1586 (27 46. 61. 73. 92. 154), 1587 (27 278. 384.
456), 1588 (30 46. 239. 456. 541). Allen diesen Reinschriften nach sprechen
die Schoppen „zur Belehrung des Rechten" mit einziger Ausnahme des
Spruchs von 1588 (30 456); hier wird auf gerichtliche Anfrage „für Recht1*
536 6- Buck- Verfahren.
Die Anfertigung der Spruchreinschrift war von Anfang
an Sache des Schöppenschreibers; sie war ursprünglich so-
gar dessen Hauptthätigkeit; denn Niemand anders als er be-
sass die nöthige Ausbildung, das, was die Schoppen ge-
sprochen hatten, in der richtigen Form zu Pergament oder
zu Papier zu bringen. Von dem heutigen Gedanken, dass
die Herstellung von Urtheilsreinschriften eine subalterne
Thätigkeit sei, muss man sich gänzlich losmachen, wenn man
die Thätigkeit des Schöppenschreibers nach Gebühr schätzen
will. Das tritt noch deutlicher hervor, wenn man berück-
sichtigt, dass die früheste schriftliche Niederlegung von
Schöppensprüchen keine „Reinschriften", sondern die alleini-
gen „Urschriften" waren; denn ihnen gingen keine Entwürfe
voraus, sondern das, was der Schreiber verfertigte, war der
von ihm abgefasste Spruch, der alsbald — ohne jede Kor-
rektur — in eine Form gegossen wurde, in der er den Inter-
essenten ausgehändigt werden konnte. Aus dieser Ent-
stehungsgeschichte der Spruchausfertigungen erklärt es sich,
dass in den Brandenburger Schöppenstuhlsakten noch beim
Beginne des achtzehnten Jahrhunderts Spruchreinschriften
auftauchen, die von der eignen Hand des Schöppenschreibers
herrühren, i)
§ 39.
Siegelung.
Den Abschluss des Verfahrens vor dem Schöppenstuhl
bildete die Siegelung der Spruchreinschrift und deren Aus-
händigung an den Konsulenten.
Während der ganzen Zeit seines Bestehens kannte der
Schöppenstuhl nur besiegelte, niemals unterschriebene Rein-
schriften. Er schloss sich damit der schon in der fränkischen
Zeit am Königshofe feststehenden Sitte an, dass auf münd-
gesprochen. Ebenso wird „für Recht" auf gerichtliche Anfrage gesprochen
1609 (58 555), 1614 (63 678). Gleichzeitig mit dem Spruch von 1609 ergeht
auf gerichtliche Anfrage ein von demselben Verfasser herrührender Spruch
„zur Belehrung" (58 556). Vergl. oben S. 503.
l) Von Steltzner, der bis 1707 Schöppenschreiber war. Eine von ihm
unterm 21. Juli 1697 gefertigte, wegen einer nachträglichen Aenderung der
Anrede nicht abgegangene Spruchreinschrift siehe 79 737.
§ 39- Siegelung. 537
liehe Relation die Gerichtsurkunden vom Gerichtsschreiber
--vollzogen und dann untersiegelt, nicht aber unterschrieben
wurden, während die Königsurkunden vom Könige unter-
zeichnet und vom Kanzler, der sie beglaubigte, besiegelt
wurden. l)
Üer; Kanzler war der frühste Schreibkundige; der König
schrieb nicht, sondern machte seine Handzeichen; darin
folgten ihm die Landesherren. Zwar werden Joachim II. von
Brandenburg und seine Schwester Herzogin Elisabeth von
Münd%o2) bereits für die Jahre 1545 bis 1550 als solche Hohen-
zollern nachgewiesen, die zuerst „mit eigner Faust" wichtige
Aktenstücke niederschreiben. Aber Kurfürst Johann Georg
von Brandenburg (1571 bis 1598) unterzeichnet noch in den
1590 er Jahren mit einem wagerechten Strich, den einige
senkrechte Striche durchschneiden;3) sein Schwiegersohn, Her-
zog Johannes Friedrich von Pommern, unterzeichnet zur
nämlichen Zeit seinen vollen Namen mit schöner regelrechter
Schrift.4) Auch bei Privaten verbreitet sich die Schreib-
kunst in den letzten Dezennien des sechzehnten Jahrhunderts;
die ersjen Unterschriften aus der Familie von Bismarck
datiren von 15695); die Gebrüder von Stutternheim zu Golssen
beiSorau bekunden 1577 (ÜB. 1 688; 4 164), dass ihre Eltern
weder schreiben, noch lesen konnten.
Das Siegel bedeutet früher in allen Kreisen das-
selbe, was heute die Unterschrift bedeutet, und wer im Be-
sitze des Siegelstempels oder Petschafts eines Dritten sich
befindet, gut als ermächtigt, Namens dieses Dritten zu sie-
geln, d. h. zu unterzeichnen, also beispielsweise zu quittiren
und auch für ihn Geld zu empfangen. Deshalb überbringt
(1557: 6 35) der Famulus eines in Frankfurt studirenden
Junkers dem Boten, der dem Junker Geld aushändigen soll,
l) Schröder, Deutsche Rechtsgesch., 2. Aufl. S» 252.
aj Tschackerr, Herzogin Elisabeth von Münden 1899. Forschungen
zur Brandenb. und Preuss. Geschichte 14, 330.
*) Ebenso als Markgraf 1565 (ÜB. 1 465).
4) Akten des Stettiner StA. betr. den Prozess gegen die v. Dobbersitz.
') Valentin v. Bismarck, Stammbuch des altmärk. Geschlechts v. B.
Berlin 1900. In den Schöppenstuhlsakten findet sich die erste eigenhändige
Unterschrift eines von Bismarck 1656 (ÜB. 3 207).
538 6- Buch. Verfahren.
den „Petschaftring" des Junkers und bestellt, es möge ihm,
dem Famulus, das Geld gegeben werden, der Junker könne
nicht selbst kommen, da er Besuch von anderen juogea Edel-
leuten erhalten habe. Der Bote soll also als Vertreter des
Junkers mit dessen Petschaft die Quittung besiegeln, oder er
soll zu seiner Legitimation, das Geld abzuheben, wenigstens
das Petschaft vorzeigen.
Auch wer schreibkundig ist, glaubt sich noch im sieb-
zehnten Jahrhundert entschuldigen zu müssen, wenn er unter-
schreibt, statt zu siegeln. Ein Bürger aus Bernau setzt 1615
(64 432) unter ein von ihm ausgestelltes Zeugniss die Bemer-
kung: „In ermangelung meines siegeis habe ich . . . dies
zeugniss subskribirt und unterschrieben".1) Wie im Siegel
des Ritters dessen Wappen, kehrt im Siegel des Bürgers
dessen Hausmarke wieder; so findet sich an dem Epitaph,
das 1584 Simon Roter für sich anfertigen lässt, sein Siegel
mit der Hausmarke,2) und mehr als eines der vielen Hunderte
von Siegeln, die in den Brandenburger Schöppenstuhlsakteo
erhalten' sind, zeigen Hausmarken.
Ehemals das alleinige Beweismittel der Echtheit einer
Urkunde, verliert allmählich das Siegel diese Bedeutung:
bei Prüfung eines vom Schosser der Stiftsdekanei Quedlinburg
gesiegelten Pachtvertrags von 1698 erwägen zwar 1701 (8037)
die Brandenburger, dass nach Baldus, wie nach verschiedenen
Dezisionensammlungen das sigillum seu imago substantiae
hominis cum eo, quod naturae negotii convenit, habeatur pro
personali praesentia; weil aber nach Bartolus die solennitas
judi Cialis . . . subscriptionem et sigilli appositionem ad con-
fectionem contractus requirit, auch nach der rota Romana
dies so entscheidend sei, ut nee litteris episcopi solo sigülo
») Aehnlich 1587 (28 143): Hans Holstein in Fürstenberg settt unter
eine Missive : „In abw.esen meines siegeis mit eigner hand underschrieben*.
Ebenso 1607 (ÜB. 2 403): J." Grävenitz zu Schilde quittirt und „unterschreibt
in man gel eines siegeis mit eigner band", zwei andere Grävenitz .haben
diese quittung mit eignen handen unterschrieben*4. Das fehlende Petschaft
wird 161 1 (59 150) dadurch ersetzt, dass dem auf das aufgedrückte Wachs
gelegten Papierkragen die Anfangsbuchstaben des Namens des Siegelnd»
aufgeschrieben oder dass kleine Messerstiche in das Siegel gemacht werden.
*) Siehe oben S. 99.
§ 39- Siegelung. 539
suo sigillatis credatur, so verlangen sie den Nachweis, dass
der Schosser Fug und Macht gehabt habe, Namens der ab-
wesenden Dekanissin Kontrakte zu schliessen. Der Besitz des
Petschafts, der im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts noch
als Bevollmächtigung zur Siegelung galt, hatte am Ende des
Jahrhunderts seine Kraft eingebüsst. l)
Für öffentliche Akte bewahrt und führt ursprünglich
eine hochangesehene Persönlichkeit das Siegel. Darum muss
sich das Gerichtssiegel in den Händen des Gerichtsvorsitzenden
befinden. Da der Brandenburger Schöppenstuhl Jahrhunderte
lang zwei gleichberechtigte Vorsitzende in seinen Senioren
hatte, so waren diese die geborenen Siegelbewahrer.2) Sie
waren es auch, die persönlich siegelten. Die Ausfertigung des
Spruches erreichte dadurch ihren Vollzug, dass der Senior
das vom Schöppenschreiber ins Reine geschriebene (d. h. in-
grossirte) Unheil siegelte; er, nicht etwa der Schöppen-
schreiber, bewahrte und führte das Siegel; deshalb schreibt
1646 (77 352) der neustädter Senior Moritz den nach Berlin
verreisten Kollegen, denen er eine Sache nachschickt, sie
möchten sich darüber vergleichen, die Sentenz schreiben
lassen und solche ihm zuschicken; dann wolle er sie sie-
geln. Darum sagte noch der Bericht von 1717,3) den der
Schöppenstuhl an den König erstattete, dass der Senior die
vom Sekretär mundirten Sprüche siegelt.4)
') Eine Untersiegelung der Vollmachten erklärt 1745 (96 414) der
Schöppenstuhl in einer Halberstädter Sache unter Berufung auf Ludovici
(ad tit. ff. de procur. §10) als nach Sachsenrecht erforderlich.
a) In Wilsnack verwahrt 1621 (68 475) der Rathskämmerer das Siegel;
weil er damals mit einer der Prozessparteien verwandt, lassen Bürgermeister
und Rath ihre Missive „derowegen sonst zumachen*4 ; sie bedienen sich also
statt des — verdächtig gewordenen — Rathssiegels eines anderen Verschlusses.
3) StA. R. 21 No. 9C-
4) Ein altstädtisches Konzept von 1613 (61 317) schliesst mit dem Zu-
satz: »vidit et sigillavit B. Grelle*4 (Senior der Altstadt). Unter einem
Spruch von 1710 (8a 403) ist vom Schreiber desselben bemerkt: „H. Syn-
dikus Heinss hat es in Abwesenheit des H. BM. Katschens gesiegelt".
Ebenso 1720 (82 661). Der Senior Cläpius erbietet sich 17 12 (85 417), zu
seinem Kollegen „morgen früh gegen 8 Uhr mit den übrigen Akten und
Siegel zu kommen und Alles zusammen seinem Gutbefinden nach auszu-
fertigen**.
540 6- Buch. Verfahren.
Die eigentümliche Zusammensetzung des Schöppenstuhls
und sein eigenthümliches Verfahren musste einen sichtbaren
Einfluss auf die Siegelführung äussern.
Deshalb lassen sich auch umgekehrt aus der Siegel-
führung Beweise für die Art der Einrichtung des Schöppen-
stuhls entnehmen, und es bedarf der eingehenden und
genauen Ermittelung der mit der Brandenburger Siegel-
führung zusammenhängenden Fragen. Damit ist nicht bloss
eine Untersuchung gemeint, wer die Siegel führte, sondern
besonders auch die Frage, welche Siegel geführt wurden.
In den Siegeln kommt die Geschichte des Schöppenstuhls
zur Anschauung, wenn man den Wandel ins Auge fasst, den
die Siegel im Laufe der Zeit erfahren haben.
Ausweislich der heute noch vorhandenen Siegelabdrücke
sind fünf verschiedene Brandenburger Schöppensiegelstempel
vorhanden gewesen; die zu dreien jener fünf Siegelabdrücke
gehörigen Siegelstempel haben sich erhalten. Sie gehören
unverkennbar verschiedenen Zeiten an. Es ist aber un-
erlässlich, aus der äusseren Beschaffenheit der Siegelstempel,
aus den Siegelbildern, wie aus den Umschriften sowohl der
Siegelstempel, als auch der Siegelabdrücke genau festzustellen,
welcher Gebrauch von den verschiedenen Siegelstempeln
gemacht wurde, und wie sie zeitlich einander ablösten.
Stimmen die hier sich ergebenden Resultate zu dem, was
über die Entwickelung des Schöppenstuhls gesagt ist, so
liegt darin ein erhebliches Bestätigungsmoment.
Die Feststellung, wie es sich mit den Siegeln verhielt,
hat ihre Schwierigkeiten. Wenn es richtig ist, dass dem
Schöppenstuhl beider Städte in ältester Zeit, ehe es zwei
Städte Brandenburg gab, ein Schöppenstuhl der Stadt Bran-
denburg voranging, so muss es auch für diesen Schöppen-
stuhl ein Siegel gegeben haben, das eine andere Firma trägt
als die des Schöppenstuhls beider Städte Brandenburg.
Die Siegelfirma kann aber für die dem Schöppenstuhl beider
Städte vorangegangene Zeit keine einheitliche gewesen sein;
denn diese Zeit zerfällt in zwei wesentlich verschiedene
Perioden : in die Periode, in welcher es nur einen Schöppen-
stuhl „der Stadt Brandenburg" (d. h. der späteren Alt-
§ 39- Siegelung. 541
Stadt Brandenburg) gab, und in die Periode, in welcher so-
wohl vom Schöppenstuhl der Altstadt als von dem der
Neustadt Belehrung geholt wurde. Das führt zu einer ältesten
Siegelung unter der Firma: „Sigillum scabinorum Branden-
burgensiumu und zu einer späteren Siegelung theils unter der
Firma: „Sigillum scabinorum antiquae (oder veteris)
civitatis Brandenburgensis", theils unter der Firma: „Sigillum
scabinorum novae civitatis Brandenburgensis". Möglicher-
weise könnte auch die Altstadt in Rückerinnerung, dass sie
früher die einzige Stadt Brandenburg war, die ursprüngliche
Siegelung mit dem sigillum scabinorum Brandenburgensium
für ihre Rechtsbelehrungen noch beibehalten haben, nachdem
ein als Oberhof thätiger Schöppenstuhl der Neustadt ins
Leben getreten war; nannten sich doch auch die Schoppen
der Altstadt Magdeburg fortdauernd „Schoppen zu Magde-
burg*1.
Es scheint fast, dass die Altstadt Brandenburg diesem
Beispiele folgte; denn von einem sigillum scabinorum an-
tiquae civitatis Brandenburgensis findet sich keine Spur,
wohl aber von einem „sigillum scabinorum Branden-
burgensium", wie von einem „secretum scabinorum nove
civitat Brand.441)
Der älteste nachweisbare Siegelstempel, dessen sich
Brandenburger Schoppen bedienten, ist jedenfalls derjenige,
der die letzterwähnte Umschrift trug. Ein einziger Abdruck
davon ist vorhanden.2) Die Umschrift, die gegensätzlich
zu allen anderen Brandenburger Schöppensiegeln deutsche
Minuskeln zeigt, weist auf das Alter des Siegels hin; der
Stempel ist nicht mehr vorhanden. Die Herkunft des Siegel-
abdrucks ist unbekannt ; man weiss also nicht, ob dasselbe bei
einem neustädtischen Oberhofsspruche oder bei einem neu-
*) Ein noch vorhandener Siegelstempel mit der Inschrift: „Sig. ju-
dicis veteris civitatis Brand." bleibt hier ausser Betracht, weil er mit
dem Schöppenstuhl nichts zu thun hat; er mag etwa aus der Mitte des
siebzehnten Jahrhunderts stammen und dem seit jener Zeit ohne Schoppen
judicirenden altstädter Richter angehört haben.
s) In einer Siegelsammlung des Berliner Staatsarchivs. Eine Abbil-
dung des Siegels s. auf der am Schlüsse dieses Bandes befindlichen Tafel
in deren Mitte.
542 6' Buch. Verfahren.
städtischen Gerichtsspruche verwendet ist. Das Siegelfeld
zeigt in der Mitte den im Thore eines Thurmes aufrecht-
stehenden Markgrafen, in der Rechten das Schwert, in der
Linken die Fahne mit dem Brandenburger Adler, über
seinem Haupte ein Fallgitter und darüber die Mauerkrone
des Thurmes, zur Seite des Thores zwei angehängte
Thürmchen.
Liesse sich die Zeit der Entstehung des Stempels dieses
Siegels bis in das vierzehnte Jahrhundert hinaufrücken, so
läge nahe, es mit der Privilegirung der Neustadt im Jahre
13153) in Verbindung zu bringen. Nach dem Urtheil Siegel-
kundiger soll der Stempel von solchem Alter nicht sein,
wohl aber aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammen können.
Dann wird seine Entstehung in die erste Hohenzollernzeit zu
setzen sein; der dargestellte Fürst wäre möglicherweise
Friedrich I. oder II. als Sieger über die unbotmässigen Städte.
Ob sich alsbald nach der um diese Zeit erfolgten Ver-
einigung der beiden Brandenburger Schöppenstühle der neu-
geschaffene Schöppenstuhl beider Städte eines einheitlichen
Siegels bediente, oder ob es jeder der beiden Städte über-
lassen blieb, ihr bisheriges Siegel für die von ihr besiegelten
Oberhofssprüche weiter zu führen, hat sich nicht feststellen
lassen, weil besiegelte Spruchreinschriften erst aus der zwei-
ten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts vorliegen. Die Ab-
drücke der einzigen zwei vorhandenen Sprüche älterer Zeit,
nämlich von 1455 und 152 1, ergeben, wenn der Abdruck
Riedels überhaupt genau ist, dass die „Schoppen beider
Städte" am Schlüsse des Spruches von 1455 bezeugen: „des
tu mehrerer bekantnisse hebben wy unse ingesegel . . . laten
drucken an dessen unsen open brif". Am Schlüsse des
Spruches von 1521 ist aber statt „unse ingesegel" gesagt
„unsere ingesegelt". Die Worte „unse ingesegel" und
„unsere ingesegelt" können sprachlich sowohl den Singular als
den Plural bedeuten; sie gestatten demnach keinen sichern
Schluss über die Art der Siegelung in den Jahren 1455 und
152 1. Ein vom altstädter Schöppenschreiber abgefasstes
Schreiben der „Schoppen beider Städte" an den Kurfürsten
8) Siehe oben Seite 358 ff.
§ 39- Siegelung. 543
vom Jahre 15391) lässt noch deutlich erkennen, dass es nur
mit einem Siegel besiegelt und wie gross das abgefallene
Siegel war; in der Grösse stimmt dies Siegel weder mit dem
eben besprochenen ältesten Siegel, noch mit einem der vor-
handenen spätem Siegel überein. Folglich muss 1539 "der
altstädter Senior ein nicht mehr vorhandenes Siegel Namens
der Schoppen beider Städte gefuhrt haben, das kein anderes
Siegel gewesen sein kann, als entweder ein sigillum scabi-
norum antiquae civitatis Brandenburg oder ein sigillum
scabinorum Branden burgensium.
Da gegenwärtig noch drei Siegelstempel vorhanden sind,
awei ältere silberne, deren Entstehungszeit nach der tech-
nischen Herstellung frühestens in das sechzehnte Jahrhundert
zu setzen ist,2) und ein neuerer eiserner, der lediglich eine
Wiederholung des einen silbernen Stempels ist,3) so ergiebt
sich, dass diese Stempel aus der Zeit nach 1539 stammen.4)
Der eine silberne Stempel, der in der Tafel am Schlüsse
mit A bezeichnet ist, hat die Inschrift: „S. scabinorum Bran-
-denburgensium", der zweite — mit B signirte — hat die
Inschrift: „S. scabinorum ambarum civitatum Brandenburg.".
Neben diesen beiden silbernen Stempeln und dem eisernen
Stempel, der eine Nachbildung des Siegels B ist, hat es
einen sicher in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahr-
hunderts benutzten, verloren gegangenen Stempel mit der
Inschrift: „S. scabinoru. ambaru. civitatu. Brandenburg." ge-
geben, der mit C bezeichnet ist. Er war bei einer Reinschrift
des Jahres 1567 (12 371) in Gebrauch und findet sich auch
noch bei späteren bis zum Jahre 16 19 reichenden, in den
Schöppenstuhlsakten enthaltenen Reinschriften,5) ausserdem
aber bei zwei Reinschriften, die das Berliner Staatsarchiv aus
') StR. 21 No. 9c.
2) Gefällige Auskunft des Kgl. MQnzkabinets in Berlin, das die Siegel
geprüft hat. Die Stempel verwahrt das Amtsgericht Brandenburg.
8) Im Brandb. Rathhaus verwahrt.
4) Siehe hierzu und zu dem Folgenden die Tafel am Schlüsse des
Bandes.
5) Siegelabdrücke des Stempels C finden sich noch 1590 (35 381),
1591 (36 30» l6oß (56 606), 1609 (58 555), 1612 (59 488), 1614 (63678),
1619 (67 261).
544 6« Buch. Verfahren.
den Jahren 1561 und 1563 aufbewahrt. ]) Das Charakteristische
an diesem Stempel ist, dass die drei Worte „scabinorum am-
barum civitatum" durch Weglassung des jedesmaligen Schluss-
buchstabens abgekürzt sind. Der eiserne Stempel (D) war
bestimmt, in eine erst der neueren Zeit angehörige Siegelpresse
eingefügt zu werden, ist deshalb ohne Griff und von härterem
Metall als die zum Handgebrauch bestimmt gewesenen sil-
bernen Siegel. Die zwei noch vorhandenen silbernen Siegel
sind mit hohen hölzernen Handgriffen versehen. Der ältere,
schönere und kunstreichere dieser Handgriffe befindet sich
am Stempel B und gehört, wenn er nicht eine blosse Nach-
ahmung ist, seiner Entstehungszeit nach dem sechzehnten
Jahrhundert an. Der rohere Handgriff des Stempels A
scheint aus dem siebzehnten Jahrhundert zu stammen.2) Bei
allen vier Stempeln hatte die Siegelfläche etwa die Grösse
eines Thalers.
Die Bedeutung dieser verschiedenen Siegelstempel, ihren
verschiedenen Inschriften und ihrer verschiedenen Einrichtung
wird erst klar, wenn man vergleichungshalber noch die Stadt-
siegel heranzieht.
Das grosse Stadtsiegel, das einst die Altstadt Branden-
burg führte, seit 17 15 aber die zur Einheit gewordene Stadt
Brandenburg verwandte, entstand nach seiner Umschrift: „Si-
gillum Brandenburgensis civitatis4*, ehe es eine Neu-
stadt Brandenburg gab.3) Ihm entspricht die Inschrift
des Siegelstempels A des Schöppenstuhls („Sigillum scabi-
norum Brandenburgensiumu): dies Siegel kannte nur scabini
Brandenburgenses, noch nicht aber altstädtische und neu-
städtische Schoppen. Eine Reminiszenz an dieses älteste
Siegel ist auch die Inschrift eines kleinen „Sigillum scabi-
norum Brandenburgensiumu, dessen sich noch 1725 (83590)
und 1745 (95 399) der Schöppenstuhl bei minder wichtigen
Angelegenheiten bediente.4) Diese Inschrift des kleinen
*) R. 49 N. StA.
2) Gef. Auskunft des Direktors des Berliner Kunstgewerbemuseums
Herrn Geh.R. Lessing.
*) So auch Sello, Siegel der Alt- und Neustadt Br. Brandenburg i*8&
4) Die Reg. zu Halberst. beschwert sich 1731 (86 345), dass ihr die
§ 39- Siegelung. 545
Siegels, wie die Inschrift des Siegels A führt also in die Zeit
zurück, in welcher noch — wie im Jahre 1376 l) — die
„Schoppen zu Brandenburg", nicht die „Schoppen beider
Städte Brandenburg" Rechtsbelehrung ertheilten.
Anders steht es mit dem Siegel felde des Stempels A.
Das alte Stadtsiegel giebt eine Art Bild der Stadt Branden-
burg, d. h. einen in der Mitte stehenden Hauptthurm mit
einem Thor und einige Nebenbauten, die sechs kleinere
Thürme und neben ihnen Arkaden vorzustellen scheinen.2)
Im Siegelfeld des Schöppenstuhls sehen wir das Wappen-
schild des Brandenburger Adlers, darüber einen Thorbogen
mit Fallgitter und darüber, bis zum oberen Siegelrand sich
erhebend, die Figur eines Kurfürsten mit Kurhut und Mantel
und mit den Attributen seiner Würde, der Fahne in der
Rechten, dem Szepter in der Linken; zu den Seiten des Thor-
bogens stehen zwei Thürme. Der Arbeit nach gehört der
silberne Stempel B etwa der zweiten Hälfte des sechzehnten
Jahrhunderts an; der Stempel A ist gröbere Arbeit und
scheint aus dem Beginn des siebzehnten Jahrhunderts zu
stammen. Aus der Zwischenzeit zwischen der Entstehung
des alten Stadtsiegels und des Schöppenstuhlsiegels B stammt
das „sigillum burgensium nove civitatis in Brandenburgh" 3)
Akten mit einem Privatsiegel verschlossen zurückgeschickt seien; Steltzner
erwidert, es sei das kleinere SchÖppensiegel gewesen. Aehnlich 1740
(9147): Die Regierung zu Halberstadt zeigt 1740 an, dass Akten zwar in
Wachstuch gepackt und mit einem losgegangenen Privatsiegel versehen,
inwendig mit grau Papier sehr schlecht verwahrt, auch nicht einmal mit
dem Siegel des Schöppenstuhls versehen eingegangen seien; es wird gefragt,
da die Parteien die Publikation beanstandet hätten, ob die Akten ordnungs-
massig abgesandt.
Die Br. antworten, dass die Akten inwendig auf dem grauen Papier
mit dem grossen Skabinatssiegel und aussen auf dem Wachstuch mit des
Scabinats kleinem Siegel mit Lack verwahrt gewesen. So grosse Packete
könnten nicht beim Emballiren unter die Presse gebracht werden, der
Pedell könne sie nur mit des Skabinats grossem Handsiegel siegeln, das
sich dann so gut nicht ausdrücke und durch das viele Fahren und Umpacken
der Packete leide, wie auch die Akten in Br. manchmal, nam. bei schlechtem
Wetter, von Siegeln, Bindfaden und Papier ziemlich entblösst ankämen.
1) Siehe oben Seite 269.
2) Dullo, Kommunalgeschichte von Br. Tafel I. 8) Dullo Tafel N.
Stölxel, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 35
546 6. Buch. Verfahren.
und das „secretum scabinorum nove civitatis Brand. ul) Das
Siegelfeld dieser letzteren beiden Siegel und des kleinen
oben genannten, welche sich alle drei als „sigillum scabinorum
Brandenburgensium" bezeichnen und damit auf eine sehr frühe
Zeit (auf die Zeit vor Gründung der Neustadt) zurückver-
weisen, zeigt zwar den Hauptthurm des Stadtsiegels, fcaber
nur zwei Nebenthürme und im grossen Thor des Hauptthurros
den Markgrafen, in der Rechten das Schwert, die Linke auf
den Schild mit dem Brandenburger Adler gestützt.
Das Stadtsiegel begnügt sich also mit Darstellung der
Stadt; in ihm fehlt das Bild des Landesherrn; die landes-
herrliche Gewalt hatte noch keine Stelle im Rahmen der
Stadtfreiheit. Vom vierzehnten Jahrhundert an hat dagegen
der Landesherr — einer Sitte nach, die in anderen JStadt-
oder Gerichtssiegeln, z. B. in Würzburg, Nürnberg, Frank-
furt a. M.,2) auch vorkommt — seinen Platz mitten unter dem
Stadtthor, ebenso beim Rathssiegel, wie beim neustadter
Schöppensiegel.
Dem „Schöppenstuhl beider Städte Brandenburg1*, und
zwar seiner Neubelebung durch die Joachimica, verdankt das
Siegelfeld des Stempels A seine Entstehung. Darin ist der
früher unter dem Thore stehende Markgraf zu dem ^das ganze
Bild beherrschenden, hoch über das Thor emporragenden
Kurfürsten geworden. Das Thor, über dem der Kurfürst
thront, ist zu einem Thorbogen mit einem Fallgitter, und das
Bild der Stadt ist zum Bilde je eines Thurmes zur Seite des
Kurfürsten zusammengeschmolzen. Das hinzugetretene Fall-
gitter scheint dasjenige Fallgitter versinnbildlichen zu sollen,
durch das man von der Mitte der langen Brücke zu dem
im Wasser stehenden Schöppenhaüs gelangte.3) Unter dem
Fallgitter hin fliesst also die Havel, und wenn zu ihrer Seite
je ein Thurm steht, so vertritt wohl der eine Thurm die am
linken Havelufer gelegene Neustadt, der andere die am rechten
Ufer gelegene Altstadt. Das Siegelb ild stellt demnach, ent-
sprechend der Zeit der Anfertigung dieses Siegelstempels,
1) Sello a. a. O S. 6 Anm. i.
2) Seyler, Gesch. der Siegel. Leipz. 1894 S. 34a 314.
8) Siehe oben Seite 49.
§ 39- Siegelung. 547
den kurfürstlichen im Schöppenhaus tagenden Schop-
pens tuhl beider Städte Brandenburg dar.1) Als Rechts-
nachfolger der alten Schoppen zu Brandenburg wählten die
Schoppen aber, zurückgreifend in die früheste Zeit ihres
Oberhofs, die alte Siegel Umschrift der „scabinorum Branden-
burgensium". Deshalb wird noch 1635 gerade derjenige der
vorhandenen Siegelstempel, der diese älteste Schöppenstuhls-
firma trägt (der Stempel A), auf dem Schöp penhause auf-
bewahrt gewesen sein; dieser alte Ort der Siegelung war
für ihn die gegebene Stelle. Keineswegs ist aber der Siegel-
stempel A der früheste von den drei im Gebrauch gewesenen
älteren Stempeln der Schoppen beider Städte, er ist viel-
mehr umgekehrt der späteste. Nur eine der in den Schöp-
penstuhlsakten befindlichen Spruchreinschriften weist ein
Siegel auf, bei welchem dieser Stempel A gebraucht ist; sie
gehört dem Jahre 1635 (76 121) an und rührt vom Schöp-
penschreiber Moritz her. Ausserdem findet sich das Siegel
auf drei von Moritz' Hand gefertigten Spruchreinschriften des
Tangermünder Stadtarchivs aus dem Jahre 1 633,2) ferner
ebendort in einer von Kanzleihand gefertigten Spruchrein-
schrift des Jahres i6$i3) und endlich auf einem im Berliner
Staatsarchiv4) befindlichen Immediatbericht des Schöppen-
stuhls aus dem Jahre 17 19. Der Stempel A muss hiernach
zwischen 1619 und 1633 den abhandengekommenen Stempel
C ersetzt haben. Das führt in die Zeit des dreissigjährigen
Kriegs, als der Neustädter Moritz vermuthlich einziger Schöp-
penschreiber war. Der Stempel A wurde während des
Krieges gefertigt und war für den Gebrauch im Schöppen-
haus wie gleichzeitig im altstädter Rathhaus bestimmt als Er-
satz eines verlorenen früheren Stempels. Darum der grössere,
aber schärfere, weil neuere Schnitt des Stempels A, dessen
') Nachdem das Erzstift Magdeburg an Brandenburg gefallen war
(1648), erhielt der Schöppenstuhl zu Halle ein Siegel, in welchem das
brand. Szepter mit dem Kurhut dargestellt war; der Kurhut verwandelte
sich im 18. Jahrh. in den Adler mit der Umschrift: „Kgl. Preussischer
Schöppenstuhl zu H."
2) In Inquisitionsakten gegen Ilse Möring.
3) In Inquisitionsakten gegen Hans Hannemann.
4) R. 21 No. 9 c.
35*
548 6- Buch. Verfahren.
eben erwähnter einziger in den Schöppenstuhlsakten befind-
licher Abdruck von 1635 das bestausgeprägte aller in den
Akten befindlichen Schöppenstuhlssiegel ist, darum der jüngere
und weniger kunstvolle Holzgriff am Stempel A als am Stempel
B, darum die durch das starke Aufdrücken verursachte
Wölbung der Platte an dem älteren häufig gebrauchten
Stempel B im Gegensatz zur tadellosen Platte des seltener
gebrauchten Stempels A. Der Stempel B dagegen ist einer
der beiden nach 1539 für die beiden Städte angefertigten
silbernen Stempel; das Gegenstück dazu existirt nicht mehr.
Anlass, neue Stempel zu wünschen, konnte der Wiederaufbau
des Schöppenhauses im Jahre 1552 und die durch das Wirken
der gerade damals in ihr Amt eingetretenen romanistisch ge-
bildeten Schöppenschreiber Roter und Karpzow inaugurirte
Blüthezeit des Schöppenstuhls sein. Dazu stimmt, dass die
Verwendung des um 1630 abhanden gekommenen Stempels
C im Jahre 1561 und die Verwendung des Stempels B im
Jahre 1563 zuerst zu Tage tritt, auch stimmt dazu die Arbeit
am Holzgriff des vorhandenen Stempels B und die Arbeit an
seiner Silberplatte. Der auf dieser Platte dargestellte Kur-
fürst ist dann Joachim IL; die später entstandenen Stempel A
und D, sowie der ebenfalls später entstandene verlorene
Stempel C wählten dasselbe Siegelbild.
Dem entspricht es, wenn der Senior Giesecke 1734 in
seinem Immediatberichte jedem der beiden Schöppenkollegien
von Alters her ein silbernes Siegel zuschreibt, deren eines in
der Altstadt, das zweite in der Neustadt zur Verwahrung stehe.1)
Der Grund, aus welchem dem um 1630 gefertigten
Stempel A die vor Bildung des Schöppenstuhls beider
Städte gebräuchlich gewesene Inschrift des einheitlichen
Schöppenstuhls der Brandenburger Schoppen gegeben wurde,
lag wahrscheinlich in der damals bestehenden Absicht, den
Verheerungen, die der Krieg angerichtet hatte und etwa
l) Giesecke selbst verwahrte einen der Stempel; der Stempel wurde 1759
nach Gieseckes Tode aus seinem Hause abgeholt, AA. Schöppenbnch
fol. it. — Die von beiden Städten im J. 1734 besessenen Siegfei sind die
an das Amtsgericht Brandenburg übergegangenen.
§ 39- Siegelung. 549
noch weiter anrichtete, dadurch Rechnung zu tragen, dass
man an die Stelle des Kollegs von 10 Schoppen (5 aus jeder
Stadt) ein kleineres, wieder einheitliches Kolleg von im
Ganzen 5 Schoppen treten lassen wollte. Als man gleichwohl
nach dem Friedensschlüsse das Doppelkolleg beibehielt, aber
auf. drei Mitglieder von jeder Stadt beschränkte, entsprach
die Verwendung zweier Siegelstempel der Zweitheiligkeit des
Kollegs.
Da diese Stempel immerhin in Kleinigkeiten von ein-
ander abwichen, so hatte das die sehr praktische Folge,
dass jeder mit der inneren Einrichtung des Schöppenstuhls
Vertraute aus dem Siegel der Spruchausfertigung alsbald er-
sehen konnte, ob die Ausfertigung auf dem altstädter Rath-
hause oder dem neustädter Rathhause entstanden war. Dies
war namentlich für den Schöppenstuhl selbst von Bedeutung,
wenn er veranlasst wurde, nach der Entstehung der in Bezug
genommenen Ausfertigung einer früheren Entscheidung oder
nach dem Verbleib der Vorakten einer solchen zu forschen.
Die um 1665 sich vollziehende Vereinigung der Schoppen
beider Städte unter einem Senior1) führte dahin, dass
dieser Senior während seines Seniorats ausschliesslich mit dem
Schöppenstuhlsiegel derjenigen Stadt siegelte, der er ange-
hörte; das Schöppenstuhlsiegel der anderen Stadt blieb so
lange ausser Gebrauch, bis wieder ein Schöppe dieser Stadt
Senior wurde.2)
Sehen wir nach 1734 das Schöppenstuhlsiegel in den
Händen des Seniors, dann aber die Siegelpresse in Thätig-
keit, die 1740 in Brandenburg der Pedell, 1750 in Halle der
Aktuar handhabt,3) so mag das damit zusammenhängen, dass
die allmählich zur Regel gewordene Unterschrift der Urtheils-
konzepte dem Akte der Siegelung einen grossen Theil seiner
Bedeutung genommen hatte: der Spruch war durch die
Konzeptunterschrift bereits vor der Siegelung festgestellt.
J) Siehe oben S. 78. 318.
*) Ausfertigungen der Altstädter Kriele und Steltzner (1672: 79 541;
1697: 79 763; 1698: 79 810) sind deshalb mit dem neustädter Siegel ver-
sehen; denn der Neustädter Peter Muller bekleidete 1672 und der Neu-
städter Dr. M. Muller bekleidete 1697. 1698 das Senoriat.
8) Dreyhaupt, Saalkreis Bd. 2 S. 450.
550 <>• Buch. Verfahren.
Was schliesslich die Art der Anbringung der Siegel
betrifft, so hat auch sie eine mit der Entwicklung des
Schöppenstuhlwesens zusammenhängende Geschichte. So-
lange der Belehrungsspruch in Form eines „offenen" Briefes
ertheilt wurde, wie im Jahre 1455, hing man das Siegel ent-
weder an die offene Urkunde oder drückte es unter deren
letzte Zeile, es diente also lediglich zur Beurkundung der
Echtheit. Bei den Spruchausfertigungen von 1561 und 1563»
wahrscheinlich aber auch bei solchen, die um ein Jahrhundert
oder wenigstens um Jahrzehnte früher entstanden, war da-
gegen das Siegel ausserdem dazu bestimmt, den Spruch zu
verschliessen, indem es einen durch den zusammengefalteten
Bogen gezogenen Papierstreifen mit der Urkunde verband.
Wenn anfragende Schoppen sich das Urtheil in eigener
Person holten, konnte die Form des offenen Briefes gewählt
werden. Dem Boten gegenüber aber musste der Spruch
geheim gehalten werden. Als es üblich wurde, die Sprüche
im Namen des anfragenden Gerichts auszufertigen, wurde
ein zweiter Siegelabdruck neben den Vermerk gesetzt, der
bekundete, dass der Spruch derjenige des Schöppenstuhls
sei. Man kehrte also damit zur ältesten Form der Siege-
lung — der Siegelung unterhalb der Urkunde an ihrem
Schlüsse — zurück.
Das Material zum Siegeln war, wie in Halle,2) rothes
Wachs ; solches führten Kaiser und Könige oder Fürsten und
Herren, denen es von jenen verliehen worden. So empfing
z. B. Stendal 151 3 als Zeichen besonderer kurfürstlicher
Gnade, weil es die Biersteuer weiter verwilligt hatte, „auf
ewige Zeiten das Recht, seine Urkunden und Missiven mit
rothem Wachs zu siegeln."3) Brandenburg muss ein gleiches
Privileg erhalten haben. Denn nicht nur die Schöppen-
sprüche, sondern auch andere Schriftstücke wichtigeren In-
halts, namentlich die Berichte an den Landesherrn besiegelte
man mit rothem Wachs. Hier wich jedoch im Laufe des
18. Jahrhunderts das Siegel den Unterschriften der Mitglieder.
') Riedel X, 290.
2) Dreyhaupt, Saalkreis Bd. 2 S. 451.
s) Götze, Gesch. der Stadt Stendal S. 246.
§ 39- Siegelung. 551
Zur Beglaubigung minder erheblicher Mittheilungen, wie z. B.
der Bescheinigungen über den Empfang der* Akten oder
der Gebühren, besass der Schöppenstuhl ausserdem das
oben erwähnte kleinere Siegel. Der Stempel dazu ist ver-
loren. Anscheinend stammte das Siegel erst aus späterer
Zeit, vielleicht erst aus dem achtzehnten Jahrhundert. Ein
kleineres Siegel der Neustadt (in Wachs) findet sich schon
1657 (79 134) und 1697 (79 795)-
Das Siegelbild, welches auf allen fünf Siegeln mit un-
erheblichen Unterschieden wiederkehrt, war zum Wahrzeichen,
zum Wappenbild des Schöppenstuhls geworden. Deshalb
wurde auch im Jahre 1568 das Schöppenhaus mit einem
Fenster geschmückt, das in Glasmalerei das Siegelbild wieder-
gab. Darunter setzte der Maler die Worte: „Scheppen
Beeder stet Bran. 1568."1) Nach dem Zusammenbruch des
Hauses wurde die Scheibe gerettet. Ein „uhraltes Monument
und richtige Uhrkunde vom Alterthum des Schöppenstuhls"
nannte sie damals Steltzner, als er sie dem Senior zur
Aufbewahrung überreichte; er hatte den Sturm des Jahres
1700 miterlebt2) und als damaliger secretarius scabinatus
wahrscheinlich die Scheibe an sich genommen.
Die Thatsache aber, dass man sie in jenem Jahre am
damals noch neuen Schöppenhause anbrachte, steht ebenso,
wie der Bau dieses Hauses und die Einführung eines sigillum
scabinorum ambarum civitatum mit der Neugestaltung in
Zusammenhang, die unter Joachim II. der Schöppenstuhl erfuhr.
Lange Zeit hatte es schon einen Schöppenstuhl beider
l) Beiträge zu der juristischen Litteratur in den Preussischen Staaten,
erste Sammlung, Berlin 1775 S. 181, Anm. 2, citirt bei Heydemann, Die
Elemente der Joachimischen Konstitution, Berlin 1841, S. 407. Der Ver-
fasser des Aufsatzes in den Beiträgen von 1775 beschreibt die Fenster-
scheibe anscheinend aus eigener Anschauung. Vermuthlich war sie das
Geschenk eines Schoppen. Grupp im Jahresbericht des Brand, histor.
Vereins von 1899 S. 65 zieht aus den Notizen bei Hymmen und Heydemann
den nicht zutreffenden Schluss, als habe der Schöppenstuhl ein Siegel mit
der Umschrift : „Scheppen Beeder stet. Bran.* besessen. Als Wappen ist
das Siegelbild übrigens auch auf einem Bilde Brandenburgs von 1740
wiedergegeben.
*) Vgl. oben S. 131. 132. 62.
■
\
552 6. Buch. Verfahren.
Städte gegeben; dass er sich eines Siegels mit der Hin-
weisung auf die scabini ambarum civitatum bediente, war
eine Neuerung der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahr-
hunderts ; vorher hatte das Siegel, das der Senior der Einzel-
stadt Namens dieser führte, oder es hatte das Siegel der
längst verschwundenen uralten scabini Brandenburgenses ge-
wissermassen leihweise dazu dienen müssen, den Sprüchen
der Schoppen beider Städte ihren äusserlichen Abschluss zu
geben; erst von jener Zeit an beurkundete der für den
Schöppenstuhl siegelnde Senior der Einzelstadt, dass er
Namens beider Städte handle, und erst damit wurde
im wahrsten Sinne des Wortes der Schöppenstuhl beider
Städte „besiegelt"; er fing an, in dem Bewustsein zu leben,
dass eine neue Zeit für ihn begonnen habe.
Der Entwicklungsgang der Besiegelung dient hiernach
zur wesentlichen Bestätigung dessen, was sich über die ge-
schichtliche Entwicklung des Schöppenstuhls selbst ergeben
hat: die Entstehung des Siegels der neustädter Schoppen
hängt mit der Bildung des Schöppenstuhls beider Städte im
fünfzehnten Jahrhundert, die Entstehung der Siegel B und C
hängt mit der Blüthezeit dieses Schöppenstuhls um 1550, die
Entstehung des Siegels A hängt mit dem Verschwinden des
Stempels zum Siegel C während des dreissigjährigen Krieges
und die Entstehung des Siegels D hängt mit der Nachblüthe-
zeit des Schöppenstuhls von 1723 bis 1746 zusammen.
§40.
Gebühren und Gehalt
Den Eingang der Anfragen musste nach feststehendem
Brauche des Brandenburger Schöppenstuhls die Zahlung des
„Schöppengeldes" begleiten : so praktisch war der Schöppen-
stuhl, dass er keinen Spruch that, bevor sich nicht das
Schöppengeld in seinen Händen befand. Unter diesen Händen
sind die des Seniors zu verstehen; er nahm das Geld für
jede einzelne Sache ein und vertheilte es, sobald der Spruch
getällt war, an Schoppen, Schreiber und Boten nach den
Jedem von ihnen gebührenden Sätzen.
Den Betrag des Schöppengelds und seinen Vertheilungs-
§ 4°- Gebühren und Gehalt. 553
modus im fünfzehnten Jahrhundert haben wir bereits oben
(S. 267) kennen gelernt, als es sich darum handelte, die Zahl
der beim Schöppenstuhl thätigen Schoppen festzustellen.
Eines der ältesten Blätter unserer Schöppenstuhlsakten ent-
hält zugleich einen interessanten Hinweis aus dem Jahre
1443 (ÜB. 1 13),1) der ergiebt, dass das Schöppengeld ur-
sprünglich in Beziehung zum „Wergeid" gestanden hat.
Denn Bürgermeister und Rath zu Nauen schreiben den
Brandenburgern, die der Rechtsbelehrung bedürftigen Schop-
pen des Dorfes Bornewitz hätten des beklagten Frankfurter
Bürgers „Wergeid" genommen, dass sie darum ein branden-
burgisch Recht holten.2)
Wenn beide Parteien Belehrung erbitten, so theilen sie
sich in die Vorlage des Schöppengeldes. Darum redet der
Hauptmann von Ruppin 1531 (1 283) davon, dass er bisher
nicht habe erkunden können, welche Partei, „wenn die
Parteien zu- beiden Theilen einlegen", das Seine nach
erfolgtem Spruche wieder nimmt, und in Osterburg (bei
Stendal) händigt 1539 (2 670. 704. 715) jede Partei dem
jüngsten Schoppen die Hälfte des Urtheilsgeldes für die
Brandenburger ein.3)
Als den Betrag des Schöppengeldes haben wir für die
1440er Jahre 3 Schilling Groschen (d. h. 36 Groschen)
kennen gelernt, die so einfach und sinnreich vertheilt wurden,
dass jeder der 10 Schoppen 3, jeder der 2 Schöppen-
schreiber 2 und jeder der 2 Knechte oder „Diener", die die
Akten herumtragen,4) 1 Groschen erhielt, indem je 18
Groschen auf jede Stadt entfielen. Da nach einer kurf. VO.
von 145 15) die Schoppen, wenn sie auserhalb des gehegten
') Es ist in der betr. Urkunde wohl richtiger Wergeid als Wetgeld
zu lesen.
*) Vgl. oben Seite 274.
3) In Havelberg „erlegt14 1557 (6 326) „jedes Part das Urteilsgeld*.
4) Das wird bezüglich der Diener noch 1703 durch einen Beschluss
des Schöppenstuhls wiederholt ausgesprochen. Schöppenbuch AA. foL 31
(„die Urtheil mögen cum oder sine rationibus dubitandi et decidendi ab-
gefasst werden").
6) Riedel I 9, 172; StA. Dec. March. II R. 94 II K. 2 fol. 90, 91 : „Wäre
es sache, dass jemand der scheppen behövede, ausserhalb des gehegeten
554 6. Buch. Verfahren.
Dings Ordel zu sprechen haben (also die zu Gericht sitzen-
den Schoppen der Einzelstadt), „10 Schilling Pfennige
Brandenburgischer Münze" erhalten, und da 1528 Richtern
und Schoppen zu Berlin und Cöln1) auf ihre „demütig-liche
Bitte" wegen ihrer vielen Mühe und Arbeit von jedem End-
urtheil und Beiurtheil 4 Groschen Gebühr bewilligt wird»
so ist der Betrag von 3 Schilling Groschen (d. h. von 36
Groschen) für die Urtheile der im Schöppenstuhl vereinten
Schoppen beider Städte Brandenburg ein recht hoher. Da-
zu kam, dass diese Schoppen 1489 den für alle Zukunft fest-
gehaltenen Beschluss fassten, dass das zu zahlende Schoppen-
geld sich vervielfältige, wenn eine Mehrzahl von Personen
einen Spruch beantrage;2) in solchen Fällen verlangen die
Schoppen „2U, „3" oder mehr „Schöppengeld".3) Hierin
findet sich zugleich ein Beleg für die eigene Machtbefugniss
der Schoppen, an Schöppengeld zu verlangen, was ihnen
angemessen erschien. In zahlreichen Fällen ist hiervon bis
zur Aufhebung des Schöppenstuhls Gebrauch gemacht; er
galt für berechtigt, seine Arbeit selbst zu taxiren, immer
freilich unter Zugrundelegung der ursprünglichen Einheits-
taxe. Einen Missbrauch hat er mit dieser Berechtigung nicht
getrieben. Ihre Kehrseite ist die mannichfach uns begegnende
Bitte der anfragenden Partei oder des für die Partei an-
fragenden Gerichts, das Schöppengeld zu ermässigen.4) Die
dings ordel zu sprechen, der soll geben den scheppen 10 Schilling pfennige
brandenb. münze". Siehe auch ÜB. 4 3.
') Zimmermann, Mark. Städteverf. Bd. 3 S. 231.
2) StA. No. 3a Brandb. Schoppen, Rechtsbelehrung. Rep. 16 III b 3 f.
pag. 188: »1489 sind die schöppen eins worden, wenn einer, zwei, drei oder
mehr die schöppen setzen und eine sache fordern, soll jeder das schepen-
geld geben". ÜB. 4 3.
3) Auf Anfrage des Raths zu Prenzlau über die zu zahlende Gebühr
erwidern 153 1 (1 296) die Brandenburger: „Wer von uns urtheil und
recht fordert, gibt 36 gr. schöppengeld, bei übersandten langweiligen
gerichtshändeln nimmt man davon 2 oder 3 schöppengeld-. Vom Haupt-
mann zu Ruppin werden 153 1 (1 283) „noch zwei Scheppengeld" verlangt.
4) z. B. 1560 (8 282): „Hätte 3 Urtelgelde sollen geben, seindt aber
mit 2 zufrieden4'; 1578 (19 463) Bitte der Berliner Konsist. Räthe „mit
einem geringen Urtheil geld zufrieden zu sein, weil die Parth arm". Unter
ein Spruchkonzept von 1546 (3 465) setzt der Konzipient: ,3 Scheppen-
§ 4°« Gebühren und Gehalt. 555
Mitsendung des Schöppengeldes ist so wichtig, dass sie regel-
mässig schon in den ältesten Missiven unserer Akten be-
sonders betont wird. Bürgermeister und Rath zu Frankfurt
a/O. bitten 1432 (1 2), ihren Schoppen „um ihr Geld" Bran-
denburgisch Recht mitzutheilen, und 1508 (1 34) bemerken
die Schoppen zu Frankfurt, ihr Bote werde die Gebühr
„nach eurer Weisheit Unterrichtung gütlich ausrichten". Bürger-
meister und Rathmannen, Richter und Schoppen zu Stendal
„schicken" (1528: 1 58) „hierbei 26 märkische Groschen"
und bitten, „so Euch mehr gebühren möchte, das zu erkennen
zu geben", oder sie bemerken (1529: 1 81), gegen den
Rechtspruch werde ihr Diener die gewöhnliche Gebühr ent-
richten. Bürgermeister und Rath zu Neuruppin schicken
(1529: 1 92) Akten „mit 36 Gr. für das Urtheil". Die
Schoppen zu Frankfurt senden 1529 (1 94) als Gebühr 3
Schilling Groschen und fügen hinzu, damit möchten sich die
Brandenburger Schoppen diesmal „sättigen lassen", zumal sie
für das frühere, in derselben Sache erbetene Urtheil sich
zur Beschwerniss der Parteien das Doppelte hätten zahlen
lassen. Auch der Hauptmann im Lande Ruppin übersendet
1531 (1 283) „36 Gr., so sich, wie ich berichtet, zu euer
Gebühr betreffen soll;" wenn mehr gebühre, solle es nach-
gesandt werden.
Ein Anlass, die Gebühr zu erhöhen, war aber nicht
bloss die vermehrte Zahl der Anfragenden, sondern auch die
vermehrte Zahl der von einem Anfragenden gestellten
Fragen und der Umfang der Sache. Andere Oberhöfe be-
folgten ähnliche Grundsätze; denn 1547 bescheidet der Ober-
hof Breslau den Rath zu Olmütz, dass die „Urtelgebühren
geldt". „Da die Part arm, auf deren Kosten allein die Akten verschickt'S
befiehlt der Kurfürst 1581 (21 540) den Brandenburgern, mit den fiber-
schickten 5 Thalern zufrieden zu sein. Das Berl. Konsist. bittet 1607 (54
6) mit 9 Thlr. statt 12 Thlr. pro studio zufrieden zu sein; die Parteien
hätten zu dem ganzen Urtelgeld noch nicht gelangen können. Der Notar
M. Plawe zu Seehausen schreibt 1615: „Wollen die herren als meine lieben
landsleute mir diesen rechtsspruch gratis ertheilen, dasselbe steht bei
ihnen und ich wollte ihnen dieser orter herwieder desto mehr klienten
und fragen zuweisen" (64 553). Antwort fehlt. Also auch hier bereits
do-utdes-Politik!
556 6. Buch. Verfahren.
von jeglichem Artikel, darauf die Scheppen sprechen*,
einen Goldgulden betragen.1)
War das eingesandte Schöppengeld ungenügend, so
wurde einfach der Spruch ausgesetzt: der oben (S. 455) er-
wähnte Osterburger Bote bringt 1539 die Nachricht zurück,
die Brandenburger wollten für ein Schöppengeld das Urtheil
nicht fällen, weil die Sache „zu langweilig seiu. Einem an-
dern Boten wird 1553 (5 38) eröffnet, nachdem er ein Schöp-
pengeld entrichtet, er solle noch 2 fl. 8 gr. nachbringen ; das
Urtheil sei deshalb zurückbehalten, bis sie erlegt würden.2)
Oder der Bote wird mit den Akten ohne Spruch zurück-
geschickt; dabei wird ihm ein Schreiben der „Schoppen beider
Städte Brandenburg" des Inhalts mitgegeben: „Der bott zeigt
an, das ime die gebur vor das urteyl vnd schepffengelt nicht
mitgeben. Darumb ist hierauff nicht gesprochen*1 (1566:
10 550-
Ueber ein solches Verfahren beschwert sich 1557 (6 16)
der Rath zu Pritzwalk, indem er bittet, ihn zu verständigen,
wann in Brandenburg mehr als ein Urtelsgeld erhoben würde.3)
Auf eine Missive aus Neubrandenburg bringt 1562 (ÜB. 1 394)
der Bote die Antwort zurück, da fünf Urtheile zu sprechen,
und der Schöppenstuhl für jedes Urtheil 2 Thaler nehmen
wolle, wären, da der Bote nur 4 Thlr. entrichtet, noch 6 Thlr.
rückständig, weshalb auch ein Theil der Akten zurück-
behalten und nichts darauf geurtheilt sei. Die Neubranden-
burger meinen, es hätte sich nur um zwei Urtheile gehandelt,
für deren jedes 36 Groschen, wie von Alters gewöhnlich,
genügt hätten. Weil die Münze im Kurfürstenthum etwas
gesteigert sei, wäre man auch zufrieden gewesen, für jedes
Urtheil statt der 36 Gr. 1 Thlr. zu zahlen ; dass aber der Thaler
gezweiföchtigt werden solle, dafür wüssten sie keinen Grund,
es beschwere auch die Parteien zu sehr; sie bäten, es bei
einem Thaler bleiben zu lassen, damit die Stadt nicht ihres
„vom ersten Anfang und Erbauung antt ertheilten Privilegs ver-
*) Prasek, Ztschr. f. d. Gesch. Schlesiens Bd. 33 S. 323.
*) '557 (6 180): „Dies urtheil ist gesprochen; solls bekommen, wenn
einer geld bringt.*4
*) Die Antwort fehlt.
§ 40- Gebühren und Gehalt. 557
lustig gehe; ein weiterer Thaler werde wohl genügen.1) Zur
nämlichen Zeit (1557: 6 118) beschwert sich Joachim v. Al-
vensleben, dessen Bote zurückgesandt war, weil er nur
1 Urtelgeld statt 2 überbrachte, er hätte sich nicht versehen,
dass ihm die Brandenburger „so wenig Glauben" (= Kredit)
gäben; wenn sie soviel Gulden als Groschen verlangten,
würden sie von ihm gesandt worden sein. Ebenso be-
schwert sich 1561 (8 292) der Richter Faustin Gibelle zu
Schivelbein, dass die Brandenburger es ungerechtfertigter
Weise auf seine Anfrage abgelehnt hätten, ihm ein Belehrungs-
urtheil zu sprechen, weil nicht für jede der anfragenden
Parteien ein Urtheilgeld mitgesandt sei; von der Neuerung,
dass das Urtheilgeld erhöht und jede Person eins zahlen
müsse, habe er und seine zugeordneten Beisitzer nichts
gewusst, man hätte ihnen auf guten Glauben das Urtheil-
geld bis zur nächsten Botschaft borgen können. Oefter
kommt es auch vor, dass ein Schöppenschreiber oder ein
Schöppe die Zahlung eines Fehlbetrags für seine Person
übernimmt, damit die Akten nicht unerledigt zurückgeschickt
werden müssen; so heisst es 1560 (8 53) : „Von drei schuldigen
urtelsgeldern ist nur eins gefallen, und will Simon Karpzow
zwei verschaffen".2) Auf Mittheilung eines Urtheils vor
Zahlung der Gebühr Hess man sich nur selten ein.3) Als
ein Berliner sich 1572 (13 262) bereit erklärt, das Urtelsgeld,
l) Die Antwort fehlt.
*) Aehnlich 1589 (31 356): „Hiervon seindt 2 taler entrichtet, einen
hat briefszeiger bey sich gehabt, den andern b. Andreas Diterich verlegt*4
(= vorgelegt).
*) Zettel (von Roter 1584: 25 114): „Briefeszeiger hätte sollen zum
wenigsten 3 thlr. pro studio erlegen, damit sich aber die partei nicht zu
beschweren, hat man den taler von ihnen eingenommen und bleibt den
herren schöppen noch 1 thlr in restu. Desgl. 1587 (28 168): „Soll die
gebühr nachgeben".
Auf eine Missive aus Frankfurt von 1633 schreibt Tiefenbach unter
sein Konzept (15292): „Es können 2 thlr. gefordert werden, wie viel
besser, das geld vorhanden und keiner in praejudiciun collegii solchen
borg zusagte, den es vergessen wird, und solche verhoffete belohnung ver-
drossene arbeit giebt**
Zieritz: „Ein ander mal lasse man den boten wieder hinlaufen und
geld holen.**
558 6. Buch. Verfahren.
wenn man ihm dessen Höhe angegeben habe, den (zum Land-
tag deputirten) Herren in Berlin demnächst bei ihrer Her-
kunft zahlen zu wollen, verspricht ihm Karpzow das Urtheü
nach Berlin mitzubringen. Der Anfragende wünscht aber
das Urtheil beeilt und schreibt deshalb nach Brandenburg.
Ein „Scheppenschreiber" unterzeichneter „Zettel** erwidert,
das Urtheil solle Conceptionis Mariae mit nach Berlin gebracht
oder gegen Erlegung der Gebühr dem Boten jeder Zeit ver-
reicht werden.
Ueber erfolgte Berichtigung des Urtelgeldes macht zu-
weilen der Schöppenschreiber eine Notiz unter die Missive
oder unter den auf sie gefassten Beschluss. Dadurch ent-
stehen manche auf den ersten Blick räthselhafte Bemerkungen
in den Akten, wie „dictum, quod non; datum i thaler44 1) oder
„dictum, quod sie; datum i thaler u (1566: 10 320. 218) oder
„datum 2 thal. pro studio sententie" (1569: 1184). 2)
Wenn bei der Anfrage Mehrere betheiligt sind, aber nur
ein Schöppengeld eingesandt ist, hilft man sich auch damit,
dass man das Urtheil auf den einen Betheiligten beschrankt.
Das bedeutet in einem Falle, in welchem Vater und Sohn
eines Vergehens bezichtigt sind, die Notiz; „In mangelungk
der gebür ist auf den vater nicht gesprochen worden1*
(1566: 10 371), oder: „noch ein urtelgeld" oder „auf diemagd
allein zu schreiben41 (1556: 5 560), oder noch kürzer die
Notiz: „In Mangel" (1556: 5 446), auch wohl einfach „Man-
gelungk" (5 361). 3)
Bereits die letzteren Beispiele ergeben das Verschwinden
der Schillinge und den Uebergang zur Gulden- oder Thaler-
rechnung. Bei den „36 märkischen- Groschen" verbleibt es
zwar noch 1556 (5 460). Aber schon 1553 (5 38) soll ein
Bote, der ein Schöppengeld oder, wie es 1556 (5 406) heisst,
„ein Scheppen" verreicht, „noch 2 fl. 8 gr. nachbringen**, weil
l) Soll bedeuten: Der Spruch ist verneinend ausgefallen; 1 Thlr.
Schöppengeld ist bezahlt.
a) Vgl. auch 1566 (10 457); 1579 (20 533): „Den hern schoppen hat
zeiger 3 tal. pro studio erlegt. Schoppenschreiber."
*) Analog 1560 (8 5. 45), 1566 (10 156), 1567 (11 370), 1569 (ia 212),
1572 (12608).
§ 4°- Gebuhren und Gehalt. 559
es sich um vier Interessenten handelt. Statt „4V2 Orts-
gulden"1) werden den Schoppen zu Prenzlau 1553 (5 26)
„9 Ortsguldenu abgefordert, so dass auch hier die Bitte um
Bericht gestellt wird, wie man sich künftig verhalten solle. 2)
Der Befehlshaber des Klosters Jerichow sendet 1554 (5 273)
„einen Gulden** für die in einer Diebstahlssache erbetene Be-
lehrung; der Schöppenschreiber bemerkt dazu: „6 gr. der
böte zugelegt, solutum ein scheppengeldt**. Folglich war
1 fl. 6 gr. = 36 gr.3) Im Jahre 1556 (5 414 b) taucht dann
zuerst die Thalerrechnung auf, indem in die Akten bemerkt
wird, ein Anfragender schulde noch „y2 Thaler u. Diese
Rechnung führt dahin, dass für die Folgezeit ein Thaler
{statt der 3 Schilling Groschen oder 36 Groschen) die Grund-
gebühr für ein Brandenburger Urtheil wird,4) was im Ver-
hältniss zu der in Leipzig üblichen Gebühr ein hoher Betrag,5)
zu anderwärts eingeholten Belehrungsurtheilen aber ein massi-
ger Betrag gewesen zu sein scheint; denn für ein 1582 (23
121) von den Berliner Gerichten verkündetes freisprechendes
Urtheil der Fakultät zu Rostock hat der Angeklagte neben
dem Botenlohn 26 Thlr. und 8 Thlr. den Gerichten zu zahlen.
Ob ein „Endurtheil" oder ob ein „schlecht Urtheil14 (d. h. ein
Beiurtheil) gefallt wird, ist (1583: 23 540) in Brandenburg
für die Höhe der Gebühr gleichgültig. Zur Erhöhung tragen
aber namentlich übersandte Beilagen bei. Denn, als sich
1587 (29 26) über das lange Ausbleiben und die angesetzten
Gebühren ein Havelberger beschwert, erwidern die Branden-
burger:
.Welchen tag dies urtel gesprochen, wird den pari das datum
berichten und solchs seinem träume nach wegen andrer Sachen und
*) In ganz zweckmässiger Schreibweise bezeichnet an dieser Akten-
stelle die Zahl 5 mit einem das Halbiren andeutenden Querstrich durch ihren
obern Thei^1^* Eine ähnliche Schreibweise findet sich bei andern Zahlen.
2) Auch hier fehlt die Antwort.
3) Vgl. auch 1554 (5 156. 277): 65 gr. und 7 gr. thut 2 Uitheilgeld.
*) Z. B. 1566 (10 266. 319). Von 6 mgdb. Schilling haben (1566: 10
386) „die Herrn Scheppen 1 Thlr. behalten, das Uebrige dem Boten wieder
zugestellt"; 1566 (10553): »Der Bote hat 4 Thlr. erlegt und 5 Tage hier
gelegen11.
*) Siehe oben Seite 251.
560 6- Buch. Verfahren.
dieser beiladen Weitläufigkeit zu viel nicht geschehen mögen.
Ob auch die h. scheppen schuldig, solch convolut von 20 blater.
vor 1 thlr. zu evolviren und darauf zu sprechen, können sie wol
leiden an gebührlichen örtern sich berichts zu erholen, und ob umb
geforderte und bezahlte 2 thlr. ihnen mühe genugsam gemacht sey.
Sonsten bitten sie sich mit unnüzzen parten zu verschonen.**')
Und als ein Anfragender 3 Thlr. zahlt, bemerkt Roter
auf einer Missive 1587 (29 26): „Soll wegen der vielen bes-
agen noch 2 geben".2)
Klagen über ungerechtfertigt hohen Gebührenansatz sind
übrigens nichts Seltenes. Auch davor schrecken die Anfra-
genden nicht zurück, dem Schöppenschreiber unterzuschieben,
er verlange von der geforderten Gebühr etwas für sich, wo-
gegen sich der Senior mehrfach mit Entschiedenheit erklärt. 'j
Noch schärfer wird (anscheinend 1588 oder 1589: 31 556)
eine Beschwerde, dass zuviel an Urtelsgeld verlangt werde,
zurückgewiesen, indem Roter an ungenannte Konsulenten
schreibt:
Euch, gutte freunde, als ihr yn euren schreiben vermeldet, das
yhr an seinen ort stellen wollet, obs yn die lenge also sein solle,
das wir uf acta wie vor alters umb ein urtelgeldt nicht sprechen
wollen etc., seindt wir euch des, das es vor alters also gehalten,
keynsweges gestendigk, wirt auch von euch, das es geschehen, nicht
können dargethan werden, dan es acta sein möchten, die so langk
l) Im ursprünglichen gestrichenen Entwurf stand, dass an anderem
Orte man wohl 4 oder 5 Thlr. zahlen müsse.
a) Vgl. auch 1591 (35 39), wo Bluhm bemerkt: „weil a part und ein
zeugniss" (d. h. ein Zeugenverhörsprotokoll als Anlage), „gebührt noch ein
thaler".
*) So klagt 1587 (29 29) der Erbsess Grotian v. Kerberg, dass man
ihm 4 Thlr. statt der mitgesandten 2 abfordere, und er sendet noch 1 Thlr.«
»ob vielleicht der scheppenschreiber pro studio dran etwas behalten wollte-.
Bluhm schreibt darunter: „Ob in beiden missiven 2, 4 oder 6 fragen ver-
steckt und in einander verwickelt, welches sonst der brauch nicht ist, sein
die h. scheppen in Vorlesung und versprechen wohl inne worden, auch
die belehrunge unterschiedlich ausweisen, darum sich consulent hierin und
das von beiden urteln 4 thlr. gefordert, nicht zu beschweren hat So be-
darf auch der scheppenschreiber dessen v. Kerbergs geldt zur ungebühr
gar nichts, hat es auch vor seine person nicht begehret, wie ihm auf blossen
argwöhn wider recht zugemessen wird, sondern sein die h. scheppen für
dass sie durch ihn zu ihrer gebühr fordern lassen, jeder zeit zur antwort
zu geben erbötig. Vgl. auch 1587 (27 192).
§ 4°« Gebühren und Gehalt. 561
wheren, das unsere vorfarn und wir unter sechs, sieben, acht oder
mher urtelgeldter daruf nicht gesprochen und auch nicht sprechen
wolten. Und weigert uns unser gnedigster herr, der churf. etc. selbst
nach gelegenheit der hendel unsere gebhür nicht. Darumb wir uns
auch hierinne von euch, die ihr viel weniger und des keyne macht
habt, gar nicht gedenken, ziel oder mas euers gefallens, als wheren
wir euer gemietete knechte, setzen zu lassen, hetten auch gehoffet,
gemeyne Vernunft, witz und synne solten euch ohne unser erynnern
geben, das man an langen acten mher verdiente, den an eyner
gemeynen kurzen fragen Weil yhr aber solchs nicht fassen
oder begreifen könnet, müssen wirs auch an seinen ort stellen.
.... Wen wir an andern orten etwas versprechen lassen, werden
wir woll ynne, obs umb ein urtelgeldt oder so geringlich, wie yrs
haben wollet, geschieht, und müssen die botten auch woll bisweilen
über 14 tage darnach liegen. Und da uns dan die herschaft selbst,
und die ym ganzen lande whonen, unsere gebhur nicht weigern, ge-
denken wir euch denselben auch nicht nachzulassen, yhr wheret dan
des sonderlich privilegiret und befreihet, das wir euch vergeblich zu
arbeiten sollen schuldigk sein. Datum ut in literis.
Ein kleines Mittel, das Urtheilsgeld zu erhöhen, war, den
bisherigen ganzen Betrag desselben den Schoppen zu über-
lassen und für die Schöppenschreiber eine Sondergebühr an-
zusetzen. Schon im Jahre 1600 (46 388) wird Schreibegebühr
neben der Schöppengebühr erwähnt.
Ist statt 2 Urtelsgeld nur 1 eingesandt, so lässt Bluhm
1606 (52 71) „wenigstens zum Scheine" einen Zettel einlegen,
der das zweite Urtelsgeld fordert, „dass man die leute nicht
darzu gewehne".
Die Vervielfältigung des Urtelsgeldes wird besonders
merkbar in Konkurssachen; hier steigt die Gebühr z. B. schon
1614 (63 769) auf 17 Rthlr., 1736 (88 599. 608) und 1739 (90
596) auf 20 Rthlr. für ein französisch abgefasstes Distributions-
urtheil, 1739 (90 596) auf 20 Rthlr. für ein 30 Bl. füllendes
Distributionsurtheil, 1745 (96432) auf 25 Rthlr. pro studio,
2 Rthlr. 18 gr. ad reliqua. Ein Responsum in einer wichtigen
Erbschaftsangelegenheit kostet 1761 (101 261) 12 Rthlr.
In peinlichen Sachen fixirt der Landtagsabschied von 161 1
das Urtelsgeld sowohl für den Schöppenstuhl in Brandenburg
als für die Frankfurter Fakultät auf „nicht mehr, als 1 Rthlr.
für eine schlechte Frage".1) Gleichwohl sendet der Stadtrichter
i) Mylius C. C. M. VI Abth. 1 Nr. 71 S. 210.
Stölxel, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 36
562 6. Buch. Verfahren.
zu Lenzen in einer Kindesmordsache 1638 (76 516) 1 Dukaten.
Es scheint überhaupt, dass die Kriegszeit eine Steigerung
der Gebühr herbeigeführt hat; es werden 2, auch 3 Rthlr.
gezahlt; in die Akten wird 1649 (78 180) vom Senior Chueden
bemerkt: „1 Thlr. dabit; will er 2 geben, nehme man sie an44.
Der Hauptmann von Lindow übersendet 1651 (78 247) „1 Thlr.
6 gr. Urtelsgebühr und 6 gr. Schreibgebühr4*.1) Demnach ist
zu dieser Zeit jedenfalls bereits aus der Schreibgebühr von 4 gr.
eine solche von 6 gr. geworden, die der Urtheilsgebühr von
36 gr. oder 1 Rthlr. hinzutritt. Das Hofgericht Stettin schliesst
zwei übersendeten Sachen 20 Rthlr. bei (1651: 78 271). In
einer Militärstrafsache, in der es sich um eine von zwei Ange-
schuldigten begangene Nothzucht handelt, soll 167 1 (79437I
4 Rthlr. 6 gr. Urtelsgebühr gefordert werden; die Leipziger
hätten 10 Rthlr. 6 gr. erhalten. In einer Quedlinburger
Strafsache beanspruchen 1690 (79 618) die Brandenburger
8 Rthlr. Gebühr, in einer Halberstadter „intrikaten" Sache,
in der beide Parteien um Urtheil gebeten haben, 1698 (79
828) 4 Rthlr. 12 sgr., da die Sportein von beiden Theilen
gegeben werden. Seit die beiden Schöppenschreiber (c. 1650)
zu einem zusammengeschmolzen waren,2) fielen naturgemäss
diesem 6 gr. als Schreibgebühr zu, und zwar nach einem Be-
schluss des Schöppenstuhls von 17033) für jede Sache, mochte
sie cum oder sine rationibus abgefasst sein. Die Diener hatten
durch das Anschwellen der Urtheile keine Mehrarbeit; des-
halb beschloss man damals, ihre Gebühr nicht zu erhöhen.
Zugleich wurde verordnet, dass von jeder Urtheilsgebühr
4 gr. Siegelgebühr vorweg abgezogen werden sollten. Dea
Bezugsberechtigten nennt der Beschluss nicht; jedenfalls war
es der Senior. Solange es zwei Senioren gab,4) ist von einer
Siegelgebühr noch keine Rede; es hätte sich auch schlecht
einrichten lassen, eine solche Gebühr zwischen beide Senioren
zu theilen, weil die Thätigkeit des Siegeins nach der be-
J) Von 6 gr. „Schreibgebuhr'4, die eingesendet sind, ist auch 166*
(79 164) die Rede.
') Siehe oben S. 129 ff.
*) Schöppenbuch AA. fol. 31.
*) Siehe oben S. 77.
§ 4°- Gebühren und Gehalt. 563
stehenden Einrichtung nicht so theilbar war, dass der einfc
Senior sie bei einer gleichen Zahl von Urtheilen geübt hätte,
wie der andere.1)
Die Kosten für ein einfaches Urtheil werden 1706 (80
189) berechnet auf 2 Rthlr. t8 gr., die sich zusammensetzen
aus 2 Rthlr. pro sententia, 4 gr. pro sigiHo, 6 gr. für den
Sekretär, 2 gr. für den Diener, 3 gr. Stempelpapier zur Sen-
tenz, 3 gr. desgl. „um die Urtheilsfrage zu schlagen44, oder
{80 182) zusammen auf 3 Rthlr. 4 gr. für das Urtheil cum
rationibus, 6 gr. für Stempel, oder (1710: 81 138) für ein Ur-
theil mit Gründen, betr. die Gültigkeit eines Testamentes,
auf 3 Rthlr. 3 gr.
Machen die Urtheile „viel Mühe44, so dass es „eigentlich
zwei Urtheile" sind, so halten sich 1726 (84 220) die Schoppen
für berechtigt, 8 Rthlr. 3 gr. zu fordern, 1 730 (86 40) 6 Rthlr.
21 gr., 1732 (86 439) sogar 8 oder 9 Rthlr., „weil ein Haufen
Arbeit dabei gewesen44. Nach Köthen schreiben* 1727 (85 77)
die Brandenburger, sie wollten sich diesmal mit 4 Rthlr. be-
gnügen, weil der Bote nicht mehr bei sich habe. Als 1739
(90 3) Plümicke in einer Sache, in der er Referent ist,
4 Rthlr. 21 gr. ansetzt, aber bemerkt, weil die in 10 Bänden
bestehenden Akten sehr mühsam durchzulesen, könne wohl
noch 1 Rthlr. gefordert werden, ist Oelschläger dagegen,
weil es unnöthig gewesen sei, sämmtliche Akten zu lesen. In
einem anderen Falle aus derselben Zeit (90 995) will er noch
1 Rthlr. ansetzen, da „die Herren Hallenses auch nichts ge-
schenkt, sondern 9 Rthlr. angesetzt, und die Akten mühsam
und intricat". Für ein 43 Blätter füllendes responsum über
17 Fragen liquidirt Schütte 1751 (99 323) mit Zustimmung
der Kollegen 22 Rthlr. Für das Urtheil in einer Ehebruchs-
sache, das ausdrücklich „ohne Gründe4* erbeten ist, werden
1788 (106 148) 3 Rthlr. Gebühr berechnet.
Auch der Kurfürst hat Schöppengeld zu zahlen. Er be-
gehrt 1558 (7 225) Rechtsbelehrung „um unsere Belohnung"
und sendet 1574 (1698) 2 Thaler mit der Missive ein, 1614
(63 474) 4 Thaler. Den Boten des Markgrafen Johann Georg
schicken 1566 die Brandenburger unverrichteter Sache zurück,
*) Siehe oben S. 474, 539.
36*
5(J4 6. Buch. Verfahren.
weil das Urtheilgeld nicht alsbald gezahlt ist, bis es nach
einem recht ungnädigen Reskripte des Markgrafen zu
einer Uebereinkunft kommt, dass das Urtheilgeld, das er zu
zahlen habe, vierteljährlich oder jährlich verzeichnet werden
solle, und dass dann auf das eingereichte Verzeichniss der
Markgraf die Gebühr „förderlichst zustellen zu lassen bereit
seiM (ÜB. l 465). Die Brandenburger berufen sich darauf,
dass von des Markgrafen Vorfahren das Urtheilgeld dem
Schöppenstuhl, „der auch darüber nichts einzukommen4* (= der
kein anderes Einkommen) habe, „zugeordnet" sei. Auch der
Markgraf von Küstrin muss sich 1561 (8457) gefallen lassen,
dass die Rechtsbelehrung bezüglich eines von mehreren An-
geschuldigten „in Mangel der Gebühr" unterbleibt. Doch
wird den herrschaftlichen Beamten mehr als Anderen die
nachträgliche Zahlung eines Fehlbetrages gestattet; so sichert
1572 (12 601) der Berliner Hoffiskal dem Bürgermeister Karpzow
zu, fehlende 8 Thlr. auf künftigem Landtag zu erlegen ; der
kurfürstliche Richter zu Fürsten walde wird 1577 (18 61) aufge-
fordert, mangelnde 4 Thlr. aufs Nächste mitzuschicken, der
Hauptmann auf dem Hause Lüchow soll den im Jahre 1586
schuldig gebliebenen Thaler 1587 (28 43) überschicken; der
Kästner zu Tangermünde soll 1586 (27 81) den wegen der
Beilagen der Gezeugnisse noch gebührenden Thaler, „für den
Bürgermeister Roter gutgesagt", bei erster Botschaft anher zu
schicken wissen. Wegen einer vom Kurfürsten 1595 (39 234»
eingesandten Strafsache verlangen mit Rücksicht auf deren
Weitläufigkeit die Brandenburger noch 2 Thlr., der Haus-
vogt beruft sich aber auf einen Bericht des Rentmeisters,
nach welchem von einer Frage und einer Person, das Kon-
volut möge noch so dick sein, 1 Thlr. zu zahlen sei; die
Brandenburger behalten sich ihren Gegenbericht für den
nächsten Landtag vor.
Das Schöppengeld vereinnahmt vom Boten der älteste
Schöppe bei Empfang der Akten, *) oder er stellt bei Ueber-
i) 1574 (16 83) Schreiben an die Herren zu Putlitz, dass «der älteste
Schöppe" vom Boten nicht mehr als 3 Thlr. erhalten habe; 1598 (44404)
eingelegter Zettel : „BM. Storbecke (neust. Subsenior) hat von dieser Sache
das Scheppengeld empfangen". War der Bote der jüngste Schöppe des
§ 4°- Gebühren und Gehalt. 565
Sendung des Votums seiner Stadt dem Senior der Schwester-
stadt anheim, das Geld dem Boten abzufordern (1598: 43
121). Wird es nicht alsbald vertheilt, so kommt es in das
vom Stadtschreiber verwahrte Rathsdepositorium. l)
Die Verrechnung der Gebühr vollzieht sich sehr einfach,
-wenn bei Erledigung der betreffenden Sache 10 Schoppen,
2 Schreiber und 2 Diener zugegen waren. Dann fielen 30
Groschen den Schoppen, d. h. jedem der Schoppen 3,
4 Groschen den Schreibern und 2 den Dienern zu. Von den
Schoppen war unbedingt jeder der anwesenden gleichbetheiligt
beim Spruche, von den Schreibern möglicherweise nur einer,
wenn dieser eine sowohl das Spruchkonzept als die Spruch-
reinschrift schrieb. Das gehorte zu den Seltenheiten ; der Ge-
schäftsgang war darauf zugeschnitten, dass, wenn der Schreiber
der einen Stadt den Spruch entworfen hatte, der Schreiber
der anderen Stadt ihn „ingrossirte". Dadurch wurde bewirkt,
dass bei jeder Sache jeder Schreiber in Thätigkeit trat, wie
dies bei jedem Schoppen der Fall war, und dass zugleich
derjenige Schreiber, der ingrossirte, seinen Kollegen, den
konzipirenden Schreiber, kontrolirte. So rechtfertigte es sich,
die für den Spruch gezahlten 4 Gr. Schreibgebühr unter beide
Schreiber analog zu theilen, wie die 30 Gr. Spruchgebühr
halb den Schoppen der einen, halb denen der anderen Stadt
zufielen. Es scheint sich aber doch als Regel gebildet zu haben,
dass der konzipirende Schreiber, nachdem sein Konzept bei
der anderen Stadt Billigung gefunden hatte, selbst die Rein-
schrift besorgte, so dass das Konzept Theil der Akten seiner
Stadt wurde. Denn nur so erklärt es sich, wenn in unseren
Schöppenstuhlsakten, die ja nur altstädtische Schöppenstuhls-
akten sind,2) die alt städtischen Konzepte vor den neustädti-
schen der Art überwiegen, dass zuweilen im einzelnen Bande
kaum ein neustädtisches Konzept zu finden ist. Konzipirte
anfragenden Gerichtes (oben S. 455), so wanderte das Schöppengeld also
vom jüngsten Schoppen erster Instanz zum ältesten Schoppen der Ober-.
hofs-Instanz.
!) I594 (38 4°7) schreibt Roter: „1 thlr. urtelgeld hat Hs Albrecht
(Schreiber der Neustadt) an sich."
f) Siehe oben Seite 16.
566 6. Buch. Verfahren.
und ingrossirte derselbe Schreiber, ohne dass sein Kollege
auf dem Schöppenhause mitanwesend war, so gebührte ihm
auch die volle Schreibgebühr; er allein war auf ihren Be-
zug berechtigt. Den Beleg dafür liefern die von Roter 1554
mehrfach (5 156. 210. 273. 277) unter das Spruchkonzept ge-
setzten Worte: „Ego solusu. Deshalb vereinnahmt Roter
auch 1553 (5 38) 4 Gr. Schreibgebühr in einem Falle, in welchem
sein Spruchentwurf unausgefertigt ihm sammt 2 Gr., deren
sich sein Kollege der Neustadt Carpzow „verziehen" hat, aus
der Neustadt wieder zugeht, damit in der Altstadt die Aus-
fertigung geschehe. Ebenso verhält es sich, als 159« der
neustädter Schöppenschreiber Floring als solcher abtritt, weil
er Schöppe wird; in Folge desseg geben die Neustädter 1592
(35 *9) m einer Sache das ihnen zugesandte Schreibegeld an
die Altstadt für den dortigen Schöppenschreiber Bluhm, weil
ihm nunmehr an Florings Stelle auch die Ausfertigung des
Spruches zufällt.1)
Die Vertheilung der für die Schoppen bestimmten Ge-
bühr musste Schwierigkeiten bereiten, wenn bei einer Sache
weniger Schoppen mitwirkten als die Vollzahl. Da die
Vereinigung der beiderstädtischen Schoppen den Zweck
verfolgte, die für Rechtsbelehrungen eingehenden Gelder
der Neustadt und der Altstadt zu gleichem Antheil zufallen zu
lassen, so konnte nicht davon die Rede sein, die Urtheils-
gebühr nach der Zahl der beim Urtheil Mitwirkenden zu ver-
theilen, sondern zunächst wurde sie halb der einen, halb der
anderen Stadt zugewiesen, und die Schoppen jeder Stadt
theilten dann ihre Hälfte unter sich. 2) Den Beleg liefert eine
Bemerkung Bluhms (1592: 35 19), nach welcher die Parteien
zu einem bereits gezahlten und den Neustädtern zuge-
th eilten 1 Thaler noch 1 Thaler bei Abforderung dieses
Konzepts schicken und dieser „uns" (d. h. den Altstadtern)
*) Ueber der bezüglichen Bemerkung Bluhms steht ausgewischt, aber
immerhin noch lesbar: „dedit 1 thlr., hiervon schreibgeld Johann Floring".
Diese Bemerkung ist getilgt, weil Fl. die ihm zugedachte Schreibarbeit
nicht mehr ausführte.
') Die Halbirung der GesammtgebQhr — nach Abzug von Siegeige-
bohr, Schreibergeld und Dienergeld — zwischen beiden Städten erkennt
auch der oben S. 502 erwähnte Beschluss von 1703 an.
§ 4°- Gebühren und Gehalt. 567
„allein" bleiben soll.1) Auch wenn das Urtheilgeld nicht
sofort voll entrichtet wurde, fand eine alsbaldige Verthei-
lung des gezahlten Betrags statt.2) Die Vereinnahmung des
Urtheilsgeldes ist Sache des Seniors; deshalb schreibt 1606
(53 436) der Senior Lampert: „Hiervon seint 4 thlr. urtels-
gebühr gezahlt, welche montags post visitationis" (also in
der Sitzung) „unter den herren Schoppen getheilt worden",
und es schreibt 1613 (62 35) der Senior Floring: „Ich habe
nichts weiter als 10 sgr. empfangen; soll noch ein thaler
sein". Eine Buchführung über die Gebühreneinnahme
war bei diesem einfachen Verfahren überflüssig; darum
konnte 1634 (75 530) der Senior Chueden Konsulenten, die
zu wissen wünschten, wieviel ihr ohne Quittung3) zurück-
gekehrter Bote gezahlt habe, nur erwidern: „Was es vor
geld gewesen und wie viel, ist eigentlich nicht behalten
und verzeichnet; wird über 2 thlr. nicht gewesen sein".
Indess kommen doch Spuren vor, dass eine Anzahl der
von mehreren Sachen vereinnahmten Gebühren auf der
Rückseite von Spruchkonzepten zusammengestellt werden,
so durch den Schöppenschreiber Boldicke 1590 (32 240)
6 Beträge und 1592 (37 4) 14 Beträge mit Angabe der Kon-
sulenten. Es hat dies den Zweck, die Gesammtsumme
zur Vertheilung zu bringen. Dem entspricht es auch, dass
1726 (84 3 ff.) über eine solche Distribution bemerkt wird,
die Gebühren vom 3. September betrügen 22 Thlr., die vom
T) Vgl. auch 1598 (43 50): Der Senior der Altst. übersendet den Neust.
1 Thlr., nämlich 12 sgr. von dem Urtheil und 12 sgr dann «von dieser
Frage*4, ebenso (43 198) in einer anderen Sache „die Hälfte der Urtelgebühr
mit 1V2 Thlr.", und (44 198) „1 Thlr. zur halben Urtelgebühr-.
') l5&7 (3& 293) notirt der Schöppenschreiber Bluhm: es hätten 3 Thlr.
gegeben werden sollen, der Bote habe aber nur einen Goldgulden gehabt;
das Urtheil sei nicht abgefordert und der Gulden den .Herren Schoppen
überantwortet und aufgetheilt worden (später wird der Rest bezahlt).
Ebenso 1589 (31 256): „3 Thlr., darauf ist ein goldgulden entrichtet und
getheilt u. Der Schöppenschreiber Bardeleben bemerkt 1576 (16 618), dass
das Geld für Anfertigung eines gewissen Urtheils „noch ungetheilt vor-
handen u.
3) Die Quittung des „Kgl. Preuss. Schöppenstuhls14 fÖr einen Bern-
burger Boten über die bei Ueberbringung von 5 Sachen gezahlten Einzel-
beträge, lautet auf eine Summe von 28 Thlr. 6 gr.
568 6- Buch. Verfahren.
5. Mai bis 23. September 69 Thlr., „thut zum 5. Thcxl
13 Thlr.ul) oder zur nämlichen Zeit (845): „an Urtheils-
gebühr empfangen ... 8 Thlr. 10 gr., bekommt der Herr
Rath tertiam".
Hieraus ergiebt sich, dass nach Vereinigung der beiden
Städte die Gebühr gleichmässig nach Köpfen vertheilt wurde.
Der Grundsatz, dass ein Schöppe, der bei einer Sache nicht
mitgewirkt hatte, kein Anrecht auf Theilnahme an den Ge-
bühren hatte, war ein zweckmässiger Ansporn für jeden
Schoppen, seine Stimme in der einzelnen Sache, sei es münd-
lich in der Sitzung oder schriftlich beim Zirkuliren abzugeben.
Zu weiteren energischen Maassregeln, gegen Säumige vor-
zugehen, wie es sich z. B. beim Ingelheimer Oberhof (oben
Seite 243) gezeigt hat, war in Brandenburg kein Anlass;
nur einmal — nämlich im Jahre 1578 (oben S. 140) — sind
Klagen über die Säumigkeit eines dem Kaufmannsstand
angehörigen Schoppen laut geworden.
Solange es zwei gesonderte Schöppenkollegien für Alt-
und Neustadt gab und je die Hälfte der Gebühren der
einzelnen Stadt zufiel, wurde innerhalb dieser Stadt jede
Hälfte nach dem nämlichen Prinzip getheilt, welches wir eben
kennen lernten, also nach den Köpfen der am Spruche theil-
nehmenden Schoppen.2)
Diese ganze Art der Berechnung und der Vertheilung
des Schöppengeldes hatte zur Folge, dass der einzelne
Schöppe nicht etwa an der Vermehrung, sondern an der
Verminderung der Schöppenzahl interessirt war, wenn er
seinen pekuniären Vortheil ins Auge fasste. Daraus mag es
sich erklären, dass die Schoppen bei eintretenden Vakanzen
oft Jahre lang die Wahl neuer Schoppen anstehen Hessen,
und dass sie mehrfach der Erhöhung der Schöppenzahl
widersprachen. :))
Geschah es, dass ein Schöppe der Theilnahme sich ent-
1) Aehnlich 1727 (85 70. 74), 1728 (85 69. 71), 1729 (86 118): „Vom
16. Dez. 1728 bis ti. April 1729 sind bei hies. Sch.Stuhl an Urthel eingeholt
(folgen 9 Nummern mit 4, 8, 6 oder 5 Thlr. Gebuhr), fach 49 Thlr."
2) So Statut im Schöppenbuch von c 1430, siehe ÜB. 1 10.
s) Siehe oben S. 144 ff., 163 ff., 172, 173 ff.
§ 4°- Gebühren und Gehalt. 569
halten musste, weil er kraft seines Amtes als Rathsherr ab-
wesend war, so ersetzte ihm die Stadt das entgangene
Schöppengeld. l) Das ergeben die städtischen Rechnungs-
bücher für die Jahre 1571, 1647 und 1648, worin eine Be-
stätigung der Regel der alten Statuten des fünfzehnten Jahr-
hunderts liegt, dass den nichtmitthätigen Schoppen vom
Schöppengeld an sich nichts gebührt, zugleich aber die Be-
stätigung, dass dem in Geschäften abwesenden Schoppen
1 Schilling nicht vom Schöppengeld, sondern aus der Stadt-
kasse zukommt.
Vertrat ein Schöppe den Schöppenschreiber bei Ent-
werfung des Spruches, so war es nur folgerichtig, wenn die
Schreibgebühr dem Schoppen zufiel. Wenn daher 1620 (67
697) der neustädter Senior (frühere Schöppenschreiber)
Floring in einer Abschosssache, in der mehrere Fragen ge-
stellt sind, schreibt: „Es sein mir 2 sgr gesandt und wirt nicht
aufgezeichnet, was gegeben oder wir bekommen. Pleibe dero-
wegen dem alten gebrauch nach bei der ersten frage,"2) so
sind mit den 2 Sgr. die der Neustadt zufliessenden Schreib-
gebühren gemeint, die für Floring als Vertreter des Schöppen-
schreibers fallig geworden waren durch den von ihm zur ersten
Frage entworfenen Spruch ; zu den anderen Fragen unterliess
er den Spruchentwurf, weil ihm dafür die Gebühr von der Alt-
stadt nicht mitgesandt war, und weil auch in den Akten ein
Vermerk fehlte, wieviel der Bote an Schöppengeld gezahlt
habe, oder welcher Betrag den Neustädtern zufallen solle.
Neben ihren Gebühren bezogen die Neustädter Schoppen
laut der Stadtrechnung von 1647 einen jährlichen „Schöppen-
zins" von 12 Thlr. 1 gr. 10 ^;3) der Zins stammt von 1000
Thlr. Kapital her,4) die einst diese Schoppen ihrer Stadt ge-
1) RA. Rechnungsbuch des altst. Stadtschreibers Bardeleben und
Manuale Luciae 1647 bis dahin 1648, Cod. Neustadt 14, wonach vielfach die
Schoppen Bardeleben und Schwarz wegen Abwesenheit in des Raths Ge-
schäften „versäumtes Schöppengeld14 ersetzt erhielten, s. oben S. 268.
*) Analog Schreiben desselben Floring 1620 (67 586).
*) RA. Manuale Luciae 1647, Cod. N. 14.
4) Cod. G. 104 S. 117. RA. „37 thlr. 1 gr., so der schöppenstuhl jähr-
lich haben rauss, oder es muss die kämmerei ein kapital von 1000 thlr.,
570 6- Buch. Verfahren.
liehen hatten. Durch ein ebenfalls 1000 Thlr. betragende
Legat des Seniors Peter Müller, der Neustädter war, ver-
mehrte sich dieser Betrag um jährlich 15 Thlr., so dass die
neustädtische Rechnung von 1694/5 unter den ausbezahlten
gemeinen Zinsen des Raths „27 Thlr. 1 gr. den hiesigen
Herren scabinis" aufführen konnte. *) Derselbe Posten geht
in die Kämmereirechnung der Gesammtstadt bis zum Jahre
1721 2) über. Er stellt den Anfang einer festen Einnahme der
Schoppen dar.
Mit der Neuordnung des Justizwesens in Preussen wäh-
rend der Jahre 17 13 bis 17 18 musste das Streben der Schop-
pen erwachen, gleich den landesherrlichen Dienern der Justiz
ständige Bezüge ausgeworfen zu erhalten und jenen oben-
erwähnten geringen Posten erhöht zu sehen. Deshalb
beantragten die Berichte des Schöppenstuhls von 1714 und
17 17 beim Könige die Verwilligung eines Gehaltes.3) Der
König erwiderte, das Generalkommissariat werde für Sala-
rirung aus der Rathskämmerei Sorge tragen. Damit lehnte
der König eine Gehaltszahlung aus landesherrlichen Mitteln
ab; er verwies den Schöppenstuhl an die Stadt. Das Resultat
war eine Salarirung mit 100 Thlr. für den Schöppenstuhl
(nicht etwa für den einzelnen Schoppen) seit 1718, und zwar
aus städtischen Mitteln.4) Dem trat 1723 ausser dem
Sterbequartal noch ein halbjährliches Gnadengehalt — zuerst
nach Katschs Tode — hinzu.5) Als sich 1731 der Schöppen-
stuhl, da Lange, Heins und Knackrügge gestorben und im
Magistrate keine geeigneten Ersatzmänner zu finden waren,
um Beschaffung solcher an den König wandte,6) wurde
so zu diesem behufe an ihr in vorigen Zeiten gezahlt worden, zurück-
geben44.
1) Einen Streit zwischen der Stadt und den neust Schoppen Dr. Krämer
und D. Mich. Müller verweist 1680 (R. 21 No. oc StA.) der Kurfürst vor
das Kammergericht. Die Schoppen scheinen gesiegt zu haben.
2) Cod. G. 21 RA.
8) R. 21 n 9C StA., vgl. auch oben S. 221.
*) Schöppenbuch AA. fol. 33 v. Rechnung von 1722 Cod. G. 28 RA.:
„auf Kgl. Special- VO. denen Herren Scabinis auf die ihnen jahrlich
accordirte 100 Thlr. . . .u
5) Schöppenbuch AA. fol. 33V. 6) StA. Rep. 21 No. 9c.
§ 4°- Gebühren und Gehalt. 571
in dem Berichte hervorgehoben, ioo Thlr. seien zu wenig;
Geld und Ehre, die die Welt beherrschen, könnte der
Schöppenstuhl seinen Mitgliedern nicht mittheilen; die
rationes seien mühsam; man brauche eine gute Bibliothek;
es möchten noch ioo Thlr. zur gleichen Vertheilung unter
die vier Membra zugelegt werden. Darauf wurden die
ioo Thlr. noch um 200 vermehrt, wovon 100 die Branden-
burger Kämmerei, 100 die Städtekasse zahlten und dann
von den 300 die beiden ältesten Assessoren je 60, die
andern vier je 45 Thlr. zum Traktament haben sollten.
Allmählich wurden diese 300 Thlr. nebst den früheren
27 Thlr. 1 gr. verrechnet als 290 Thlr. ad salaria und
37 Thlr. 1 gr. zur Bibliothek;1) dies beruhte auf einem Kgl.
Reskript vom 29. Juni 1734,2) das von den 327 Thlr. 1 gr.
an Steltzner 50 Thlr., an Giesecke und Oelschläger je 60 Thlr.,
an Plümike 40 Thlr., ferner an jedes der zwei zu bestellen-
den Membra 40 Thlr. und die übrigen 37 Thlr. zur Bibliothek
überwies.3)
Nach Plümickes Tod im Jahre 1756 genehmigte der
Grosskanzler Jariges, dass der frei gewordene Gehalt auf die
jüngsten Mitglieder vertheilt werde, weil sich ein Ersatz nicht
finde;4) dem hielt das Stadtdirektorium entgegen, es sei
besser, die erledigte Stelle wieder zu besetzen, was aber
noch schwerer sein werde, nachdem das Gehalt vertheilt sei.
Es verblieb indess bei der Streichung der sechsten Skabinats-
s teile; damit leitete sich die weitere Einschränkung der
Schöppenzahl und die dadurch bewirkte, allerdings sehr
unbedeutende Steigerung des Gehalts jedes einzelnen
Schoppen ein.
Als gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts die Zahl
der Schoppen auf drei herabgesunken war, erhielten die
beiden älteren je 100, der jüngste 90 Thlr. Gehalt. 5) Damit
]) Cod. Ges.St. No. 122. Auslagen Sektion 1 Tit. Kap. 2 S. 86 StA.
*) R. 21 No. 9c. StA.
3) Giesecke hatte dagegen protestirt, dass Steltzner als Altstädter am
Schöppenzins der 27 Thlr. theilnehme.
4) R. 21 No. 9c. StA.
5) z. B. Stadtrechnung vom 1787, 1795. RA.
572 *. Buch. Verfahren.
war die Vertheilung des Gehaltes so angebahnt, dass der Aus-
fall eines Schoppen die Gehaltseinnahme der übrigen Schoppen
vermehrte. Hierzu fehlte es an einer inneren Berechtigung,
weil der Grund des Niedergangs der Schöppenzahl regel-
mässig in der Minderung der eingehenden Sachen lag. Des-
halb verlangte der Magistrat und setzte es durch, dass seit
1787 in den Stadtrechnungen nicht mehr als ein Posten die
Gesammtsumme der 290 Thlr., sondern jeder der unter die
einzelnen Schoppen vertheilten Beträge als ein besonderer
Posten aufgenommen werde. x) Die Folge war, dass, nachdem
der Justizbürgermeister Uhde 1809 gestorben und sein Gehalt
von 90 Thlr. bis zum 1. März i8to auf seine Witwe als Gnaden-
gehalt übergegangen war, die Stadt jene 90 Thlr. einzog, weil
ein neuer Schöppe nicht ernannt wurde. Ausserdem zog damals
die Stadt weitere 100 Thlr. ein mit der Behauptung, dieser
Betrag sei von der Ziesekasse — es war die Zeit der
napoleonischen Okkupation — nicht mehr zu erlangen.2)
Die der Stadt noch zur Last bleibenden weiteren 100 Thlr.
wollte ihr der Syndikus Thiede ebenfalls abnehmen, weil
durch die Städteordnung der Stadt neue Lasten aufgelegt
seien; er veranlasste deshalb den Magistrat, im Juli 1810 beim
Ministerium die Aufhebung des Schöppenstuhls zu beantragen,
der , jetzt nur noch eine Antiquität und ein Beweis der unzweck-
mässigen und sonderbaren Justizverfassung früherer Zeiten sei,
nicht den entferntesten Nutzen gewähre und statt mit 6 jetzt
mit 3 Mitgliedern besetzt sei, die keinen andern Federstrich
thäten, als ihre Quittung schreiben;3) der Zeitgeist heische
*) RA. Cod. Ges. St. Nr. 132 S. 88.
8) Akta des Magistrats betr. die nachgesuchte Aufhebung des Schöppen-
stuhls Vol. 1 BI. 1 16 — 19.
8) Nach Dullo, Kommunalgeschichte der Stadt Br., Brandenburg 1886,
S. 15 ist im Kämmereietat für 1810 notirt:
Gehalt des Seniors 300 Mk.
Gehalt des t. Assessors 300 „
Gehalt des 2. Assessors 270 „
Bibliothekfonds m „
981 Mk.
Davon zahlte die Städtekasse in Berlin durch das hiesige Zieseamt 300 Mk.,
den Rest die Kämmereikasse.
§ 4°- Gebühren und Gehalt. 573
Reformen; es seien ja bereits so manche Institute der Vor-
zeit, als für die Gegenwart nicht mehr passend, durch des
Königs Weisheit und väterliche Fürsorge abgeschafft worden4*.
Der Justizminister (Kircheisen) fand „keinen ausreichenden
Grund, weshalb die Aufhebung dieses uralten Instituts noth-
wendig sei"; es könnten noch Akten von auswärtigen Ge-
richten einkommen, und namentlich seien noch in neuerer
Zeit Akten von den Gerichten aus den Anhaltischen Ländern
an den Schöppenstuhl gesandt worden, auch könnten Privat-
personen sich zu ihrer Belehrung von ihm Responsa geben
lassen; ganz unnütz sei daher dieses Institut ebensowenig wie
das Institut der Spruchkollegien auf den Universitäten. Jeden-
falls müssten die jetzigen Mitglieder noch die Hälfte der
ioo Thlr. als Pension erhalten. Ein Jahr später (August
1811) aber forderte der Staatskanzler Hardenberg anlässlich
einer nochmaligen Vorstellung der Stadt Brandenburg den
Justizminister auf, den Schöppenstuhl zu beseitigen und die
jetzigen Mitglieder auf verhält nissmässige Pension zu setzen.
Im Anschlüsse hieran sah sich im Dezember 181 1 der Magistrat
veranlasst, die Regierung zu bitten, dafür sich zu verwenden,
dass die zweite Assessorstelle nicht besetzt, auch die Bibliothek
des Schöppenstuhls der zum gemeinschaftlichen Gebrauch
für die öffentlichen Behörden der Stadt bestimmten rath-
häuslichen Bibliothek einverleibt werde. Die Regierung ant-
wortete, der Schöppenstuhl sei ja bereits aufgehoben.
Der Minister erklärte sich schliesslich damit einverstanden,
dass die Hälfte der bisherigen Gehälter der Mitglieder des
Schöppenstuhls, nämlich je 50 Thlr., vom 1. Dezember 18 13
an aus der Staatskasse angewiesen werde, die Stadt die
37 Thlr. 1 G. weiter zahle und dafür die Bibliothek mit der
Rathsbibliothek zum Mitgebrauch des Stadtgerichts vereinigt
werde; über die Vereinigung sollten Magistrat und Stadt-
gericht verhandeln; die Verwendung der 37 Thlr. 1 G. solle
dem Stadtgericht zum Ankauf juristischer Bücher überlassen
bleiben.
So wurde der ärmliche Gehalt, den die Stadt mit jähr-
lich 100 Thlr. dem Schöppenstuhl leisten sollte, zum äussern
Anlass seiner Aufhebung. Als Zeit derselben scheint nach
574 6- Buch. Verfahren.
dem eben Mitgetheilten thatsächlich das Jahr 1811 gleiten za
müssen; im Jahre 1869 setzt ein Bericht des Kammerg-erichts
die Aufhebung in das Jahr 181 2 und ein Bericht des Kreis-
gerichts Brandenburg gar in das Jahr 1817, weü unterm 31. März
1817 die Regierung zu Potsdam in ihrem Amtsblatt (S. 151t
„zur öffentlichen Kenntniss brachte, dass der bisher in der
Stadt Brandenburg bestandene Schoppenstuhl zufolge der
Bestimmung des Justizministers vom 22. März c. aufgehoben
worden sei."1) Formell erfolgte demnach die Aufhebung
erst im Jahre 181 7.
Der Schoppenstuhl hatte sich so überlebt, dass Niemand
den Zeitpunkt seines Endes mit Sicherheit feststellen konnte.
Einst der Stolz der Stadt war er ihr eine Last geworden,
seit sie für ihn eine Aufwendung zu machen hatte, die dem
Stadtinteresse in keiner Weise nützte. Das gab ihm den
Todesstoss; sonst wäre sein Hinsterben vielleicht, wie das
Hinsterben des Schöppenstuhls zu Halle (oben Seite 248),
noch einige Jahrzehnte hingezögert worden.
1) Akten des Amtsgerichts Br. betr. die Schöppenstuhlsbibliothek.
Schluss.
Die Bedeutung, welche nach unserer bisherigen Gesammt-
•darstellung dem Institut der Rechtsbelehrung Jahrhunderte
hindurch zukam, findet ihre Erklärung im Wesentlichen darin,
dass den in erster Reihe zur Rechtspflege berufenen Organen
die Stetigkeit und Festigkeit fehlte, ohne die wir uns heute
-eine ordnungsgemässe Ausübung der Gerichtsbarkeit nicht
denken können. Die Zersplitterung der alten Landgerichte
stärkte den Einfluss der Gerichtsherren, an deren Spitze sich
die Landesherren und deren Beamte als ihre Stellvertreter
befanden; der letzteren Rechtsprechung trat neben die Recht-
sprechung der Gerichte; den Parteien stand es frei, den
Gerichtsherren oder das Gericht oder beide in ihrer Ver-
einigung anzurufen ; der Gerichtsherr konnte, wem er wollte,
Auftrag („Kommission44) zur Verhandlung und zur Ent-
scheidung des Rechtsstreits geben.1) Auch vor der städti-
schen Gerichtsbarkeit machte das Heranwachsen der gerichts-
oder landesherrlichen Macht nicht Halt. Was hätte hindern
sollen, dass die solchergestalt zur Rechtsprechung herange-
zogenen Organe sich ausserhalb „Belehrung44 holten und im
Gefühle ihrer eigenen Unzulänglichkeit auf fremde Schultern
abluden, was ihre Schultern zu tragen nicht vermochten?
Thaten doch von Alters her die Gerichte das Nämliche, wenn
sie den Schöppenstuhl derjenigen Stadt, mit deren Recht sie
bewidmet waren, um Belehrung angingen. Nur ein geringer
Schritt weiter war es, auch zuzulassen, dass die einzelne
1) Das Ueberweiseo der Prozesse an „immediate Königliche Kommis-
sionen" war 1745 (97 4) etwas so Gewöhnliches, dass die Missiven,
mit denen die Kommissare sich nach Brandenburg wenden (es waren in
dem bezeichneten Falle zwei Regierungsräthe und ein Oberauditeur), sich
eines für solche Kommissionen allgemein eingeführten Siegels bedienten
(Adler mit Krone und Umschrift: „Königlich Preussisches Kommissions-
siegel").
576 Schluss.
Partei, ehe sie den Prozessweg betrat, sich bei einer Spruch-
behörde Raths erholte. Dadurch konnte unter Umständen
der gerichtliche weitläufige und kostspielige Austrag eines
Streites ganz erspart werden, zumal wenn beide Parteien um
die Rechtsbelehrung nachsuchten und dadurch bekundeten,
dass sie sich mit dem Resultate der Belehrung zufrieden
geben wollten. Zu Zeiten wird das in der Missive ausdrück-
lich gesagt, z. B. 1601 beim Stettiner Schöppenstuhl in einem
Erbstreit: „Ich mit meinen konsorten habe mich verglichen»
den fall an euch (Richter und Schoppen zu Alten Stettin)
zu transmittiren und was daselbst decidiret, dem
wirklich nachzusetzen compromittiret." In anderen
Missiven treten wenigstens Anklänge an diese Auffassung
deudich hervor: ein Bürger in Königsberg i. N. bemerkt
1556 (5 445) in seiner Anfrage, die einen Intestaterbstreit
betrifft, er habe sich bei etlichen Leuten darüber be-
fragt, aber keinen zu Recht genügenden Bericht bekommen
können; um sich nun nicht auf ungewissen Wahn oder Grund
ins Recht (d. h. ins Gericht) zu begeben, bitte er um Be-
lehrung. Und der Landrichter der Altmark zu Tangermünde
übersandte 1567 (11 458) Akten, darin beide Parteien „zu
Verhütung mehrerer Unkosten1' gebeten hatten, eine Belehrung
zu suchen. Eine solche Verhütung von Unkosten war nament-
lich für Strafsachen von Bedeutung, indem einBelehrungsurtheil
viel rascher zu erlangen war, als ein Gerichtsurtheil und des-
halb der von den zahlpflichtigen Gerichtsunterthanen regel-
mässig als sehr drückend empfundene Aufwand, einen An-
geklagten gefangen zu halten und zu verköstigen, sich min-
derte, wenn man den Oberhof anging. Der Hauptmann auf
Potsdam Abraham von Rochow reicht Freitag nach Andreae
Apostoli 1560 (8 230) Bekenntnisse dreier wegen Diebstahls
und Zauberei Gefangenen ein, die er hat „mit der Schärfe
verhören lassen14; auf beigelegtem Zettel bittet er, „da es
an dem wäre, das ihr als morgen solcher Sachen halben
nicht zusammenkommen könntet41, ihn mit der Belehrung nicht
zu „verschieben", weil die drei schon lange auf seiner Amts-
verwandten (d. h. Amtseinsassen) Unkosten gesessen. Die
Belehrung lautet darauf, dass der eine Gefangene gehängt^
Schluss. 577
der zweite (die Zauberin) verbrannt und der dritte mit Ruthen-
streichen des Gerichts verwiesen werde. Wie rasch sich
diese Sache erledigt hatte, lässt sich nicht feststellen, da das
Spruchkonzept undatirt ist; in einem Kindesmordsfalle des
Jahres 1633 (75 287) ergeht aber der Spruch, dass die An-
geschuldigte zu ertränken sei, am nämlichen Tage, an welchem
der Gerichtsherr, ein Erbsess, um Belehrung nachgesucht
hat. Den ähnlichen früher mitgetheilten Beispielen kann noch
eines aus dem Jahre 1567 (11 279) zugefügt werden: eine
Witwe von Buch, die mit ihrem Schwager wegen der Vor-
mundschaftsführung und einem ihm angeblich vermachten
Geldbetrage in Streit geräth, und den Brandenburgern dar-
über sieben Fragen in einem Schreiben vorlegt, erhält zwei
Tage darauf aus der nächsten Schöppenstuhlssitzung sieben
Urtheilsausfertigungen (auf jede gestellte Frage eine Sonder-
ausfertigung). Sehr förderlich war hierbei die Einrichtung,
dass man in Brandenburg den Schöppenschreiber mit Ab-
fassung der Missive betrauen konnte. Eine Partei, die am
Tage vor der Sitzung des Schöppenstuhls sich in Branden-
burg die Anfrage niederschreiben Hess, ermöglichte es sich
dadurch unter Umständen, schon andern Tags ihre Belehrung
ausgehändigt zu erhalten. Auch wer von auswärts her seine
Anfrage sandte, durfte während der Blüthezeit des Schöppen-
stuhls auf eine baldige Antwort hoffen. Welche wohlthätige
Wirksamkeit der Schöppenstuhl in dieser Beziehung entfaltete,
lässt sich kaum schlagender nachweisen, als an der Rechts-
frage, die 1539 aus der Familie von Bismarck nach Branden-
burg gelangte (ÜB. 31). Im Sommer 1539 unmittelbar
vor der Ernte starb die Witwe Pantaleons von Bismarck,
dessen Lehnsnachfolger sein Neffe Jobst von Bismarck ge-
worden war; einen Theil der Güter hatte die Witwe als Leib-
gedinge besessen; ihre Schwester als Allodialerbin bean-
spruchte die Ernte des Leibgedinges, ebenso beanspruchte
sie der Lehnsfolger; letzterer wandte sich am 25. Juni nach
Brandenburg und erhielt vier Tage darauf die Belehrung,
dass er im Rechte sei. Damit war der Streit als erledigt
anzusehen; denn ein solcher für einen Thaler erlangbarer
Spruch der Schoppen beider Städte Brandenburg genoss
Stölzel, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 37
.")78 Schluss.
damals dasselbe Ansehen wie heute etwa ein Spruch der
vereinten Zivilsenate des Reichsgerichts. Das legt für die
Gegenwart die Erwägung nahe, wie dankbar man es aner-
kennen würde, wenn die Möglichkeit bestände, in ähnlichen
Fällen, wie in dem ebenerwähnten, sich an autoritativer
Stelle — wäre es auch für einen sehr viel höheren Kosten-
aufwand und nur auf Grund eines von beiden Parteien ge-
meinsam eingereichten Sachberichtes — eine entscheidende
Belehrung binnen wenigen Tagen zu holen, statt zu einem
über Jahr und Tag währenden, recht kostspieligen Prozess
genöthigt zu sein.
So hoch man diese Lichtseite des Instituts der Rechts-
belehrung anschlagen mag, wird sie doch erheblich durch
die eine Schattenseite verdunkelt, dass die Strafjustiz über
alle Massen im Argen lag, da zweifellos Strafurtheile über-
haupt, namentlich aber Todesurtheile massenhaft ohne ge-
nügende Vorprüfung leichthin gefallt worden sind; es wird
dabei mit einer Oberflächlichkeit verfahren, die wir heute
Gewissenslosigkeit nennen würden, und die den Glauben an
die Gerechtigkeit der Richtersprüche tief erschüttert haben
muss.
Dazu treten noch weitere arge Schattenseiten.
Dass eine Spruchbehörde in ihren Rechtsauffassungen
wechselt, und dass deshalb jüngere ihrer Sprüche mit älteren
in Widerstreit gerathen, ist unvermeidlich und kommt auch
gegenwärtig vor, ja es muss vorkommen, wenn die Rechts-
entwickelung und Rechtsfortbildung nicht unterbunden wer-
den soll. Es gereicht darum den Brandenburgern nicht zum
Vorwurf, wenn ihr Präjudizienbuch1) anmerkt, was i486
und was umgekehrt später über das Intestaterbrecht des
Halbbruders im Verhältniss zu den Grosseltern, oder was
1503 und was umgekehrt später über das Intestaterbrecht
der Kinder des vollbürtigen Bruders und denen des halb-
bürtigen Bruders erkannt worden sei. Aber es hätte nicht
vorkommen dürfen, dass in der nämlichen Angelegenheit zwei
sich widersprechende Urtheile des Oberhofs ergehen, je nach-
dem von Seiten des Klägers oder von Seiten des Beklagten
1) Siehe oben Seite 24 ff. ÜB. 4 41. 43.
Schluss. 579
Belehrung erbeten ist. Die dadurch eröffnete Möglichkeit
einander widerstreitender Belehrungssprüche in derselben
Sache wäre vom Oberhof zu vermeiden gewesen. Es fehlte
indess an den erforderlichen Einrichtungen, die verhütet hätten,
dass aus jener Möglichkeit eine Wirklichkeit wurde. Ein
Beispiel, dass auf die vom Kläger, vom Beklagten und vom
Gericht in derselben Sache eingegangenen drei Fragen drei
verschiedene Sprüche ergingen, haben wir oben (S. 513)
kennen gelernt. Die Möglichkeit der Entstehung solcher
„Kontrarietäten" war im Schosse des Schöppenstuhls kein
Geheimniss; sie wurden dadurch wesentlich gefördert, dass
die abgethanen Akten nicht an einheidicher Stelle, sondern
zur Hälfte in der Altstadt, zur Hälfte in der Neustadt auf-
bewahrt wurden, ferner dadurch, dass die bei Erledigung
der Sachen betheiligten Persönlichkeiten nicht immer die-
selben waren, dass vielmehr Schoppen wie Schöppen-
schreiber bei den einzelnen Sachen wechselten, und dass
man die Führung eines Repertoriums nicht kannte. Man
verliess sich auf das gute Gedächtniss des einen oder andern
Schöppenschreibers oder Schoppen; dieses musste aber
stets da versagen, wo zufällig etwa keiner der bei einem
früheren Spruch Betheiligten bei einem späteren konnexen
Spruche mitwirkte, oder wo ein Betheiligter zwar mitwirkte,
aber sich des früheren Spruches nicht mehr erinnerte.
Einen Einblick in diesen wenig befriedigenden Zustand giebt
es, wenn 1562 (9 109) der altstädter Schöppenschreiber Roter
in einer Sache, in welcher der Schöppenstuhl bereits zwei-
mal gesprochen hatte, unter Beifügung des ersten früheren
Spruchs dem bisherigen neustädter Kollegen Karpzow, der
inzwischen neustädter Schöppe geworden war, darauf hin-
weisen muss, dass der zweite ohne Karpzows Betheiligung
ergangene Spruch vom neustädter Schöppenschreiber Joh.
Mawe verwahrt werde.1) Fehlt es an einem gleich sorg-
') „Diese frage ist nun zum drytten mal alhier und stets aus grossem
bedenken (wie ihr des fragenden teyls gelegenheit wisset) daruf gesprochen,
als nemlich das erste mal, wie hiebey sub numero 1 zu befinden. Das
ander mal seid ihr nicht dabey gewest und hat dasselbe Johannes
bey sich. Bitte ganz freundtlich, wollets euch zeigen lassen, und weyl
3/
580 Schluss.
faltigen Schöppenschreiber, so ist den Kontrarietäten Thor
und Thür geöffnet.
Nachdem Bürgermeister und Rath zu Treuenbrietzen
1615 (ÜB. 2 539) auf eine Anfrage beschieden sind, dass der
Käufer eines Fleischscharrens, den er für 100 fl. gekauft und
theilweis alsbald bezahlt hat, obwohl er wusste, dass der
Scharren nie über 40 fl. verkauft sei, mit seiner Einrede
der Verletzung über die Hälfte nicht durchdringe, vielmehr
den Kauf zu halten schuldig sei, ergeht drei Monate später
auf Anfrage des Käufers die Belehrung: da der Verkäufer
sich weigere, den Scharren wiederzunehmen, so sei der
Käufer die Uebermass, so den halben Theil des rechten
Werths überreichet, vom Kaufgeld zu behalten befugt.
Beide Spruchkonzepte sind von demselben Schöppen-
schreiber (Weitzke) konzipirt, das erste auf schriftliche Voten
der Neustädter Floring und Zieritz, sowie der Altstadter
Haveland, Grell und Chueden, das zweite mit der Schluss-
bemerkung des altstädter Senior: „vidit Joh. Gr"(ell). Hier
liegt zunächst eine Unaufmerksamkeit des Schöppenschrei-
bers, dann aber auch eine solche der beiden Senioren vor:
der neustädter Senior Floring durfte den zweiten Spruch
nicht als Beschluss der neustädter Schoppen in die Altstadt
gelangen lassen, und der altstädter Senior Grell durfte ihn
nicht mit seinem Vidit zurücksenden; alle drei — Weitzke,
Floring und Grell — hatten bei dem früheren Spruche mit-
gewirkt und mussten sich bei der Kürze der zwischenliegen-
den Zeit dessen erinnern.1)
demselben noch keine folge geschehen, die sache dahin bewegen, das keyne
contrarietet daraus erfolge." Ohne dass erhellt, auf welchem Wege dit
Kontrarietät vermieden ist, ergehen 1597 (41 565. 582) zwei sachlich über-
einstimmende Sprüche auf eine in derselben Sache gestellte Doppelanfrage.
Den einen Spruch hat der neustädter, den anderen der altstadter Schöppen-
schreiber entworfen; es handelt sich um die Art, wie das Sühnegeld eines
Entleibten zu vertheilen sei; danach fragt der Pfarrer des Orts, und es
fragt auch der Vormund des Todtschlägers.
l) Allerdings nennt auffälligerweise die Anfrage des Käufers den
Verkäufer mit anderem Namen als der Rath. Die Zeit des zweiten
Spruchs erhellt daraus, dass die Anfrage vom 18. Juni 1615 datirt (64 470).
Diese Anfrage verschwieg, welche Einwendung der Verkäufer machte.
Schluss. 581
Eine noch grössere Unordnung trat in einer beim Gericht
Fürstenwalde anhängigen Erbstreitigkeit zu Tage, in der im
Mai 1621 dem" Beklagten durch einen Brandenburger Spruch
ein Reinigungseid aufgelegt war, dass er Nachlassgegenstände
nicht in Besitz genommen habe; im Oktober 1621 bat der
Beklagte um weitern Spruch, nachdem er in Fürstenwalde
einen Beweis zur Vermeidung des Reinigungseides unter-
nommen hatte (69 5B9). Es kam nunmehr in Brandenburg
darauf an festzustellen, wie es sich mit dem früheren Spruche
verhalten habe. In der gemeinschaftlichen Sitzung beider
Kollegien einigte man sich nicht; die Sache zirkulirte des«
halb nach der Sitzung zu schriftlicher Abstimmung. Sie ge-
langte zunächst in die Neustadt. Hier stellte der Senior
Floring aus den Akten fest, dass die früheren vota „diversi-
modo ergangen und das Urtheil indebite dirigiret, indem ad
unius votum das Urtheil abgegangen und die Herren zu ein-
helliger Vergleichung nicht bescheiden, weniger ihnen wieder
zugegangen;" er wisse nicht, wie es gekommen, dass die
Bürgermeister Buchholtz und Schale (also zwei neustädter
Schoppen) sich nicht resolviret. Darin lag ein starker Vor-
wurf gegen den altstädter Senior Haveland: er hatte das
Urtheil, obwohl die abgegebenen Vota nicht mit einander
übereinstimmten, ungerechtfertigter Weise (indebite 1) nach
seinem Sonder votum abgehen lassen, ohne die Neustädter
noch einmal zu hören. Wegen dieses unzulässigen Verfahrens
hätte die verletzte Partei den Spruch anfechten und die
Schuldigen zur Verantwortung ziehen können. Die Neu-
städter Zieritz und Iden lehnten die Verantwortung ab, Iden
erinnerte sich keines voti in dieser Sache, seine subscriptio
werde auch nicht zu finden sein. Der altstädter Senior Have-
— Beispiele des Erinnerns liegen aus dem Jahre 1623 vor: Der
neustädter Senior Floring votirt: „Ich weis nicht anders, dan das diese
sache hie gewesen und darüber erkant. Daher die herrn wollen die",'sache
vfsuchen". Und Iden votirt: „Die Sachen seindt vor wenig wochen von
des consulenten seinen kegner auch anhero geschicket gewesen, aber
species facti war etwas anders figurirt, darum das vorige urtheil not-
wendig aufgesuchet werden mus". Es findet sich auch der frühere Spruch
(vom März 1623: 71532), mit dem der nunmehr gefällte (vom Mai 1623:
71 178) übereinstimmt.
682 Schluss.
land erinnerte sich der Sache nur noch dunkel, schlug aber
vor, den zur Vermeidung des Reinigungseides angebotenen
Zeugenbeweis zu erheben; hierauf einigte man sich laut des
Spruchentwurfes.
Das direkte Eingeständniss, dass „ihr Urtheil den Akten
nicht gemäss sei", findet sich 1626 (72 126) in schriftlichen
Votis der Schoppen, als der Landrichter zu Perleberg auf
eingezogene Brandenburger Belehrung einen Beklagten ver-
urtheilt hatte, versprochenes Korn oder dessen Werth zu
leisten, vier Monate später aber der Kläger das Urtheil in
Brandenburg dahin „deklariren" liess, dass „das Korn der-
gestalt als zur Zeit des geschlossenen Kontrakts nicht gelie-
fert werden könne", und dass deshalb der Beklagte schuldig
sei, das Uebermass des für das Korn erlangten Kaufpreises
zu erstatten.1)
Weniger Tadel trifft die bei verschiedenen Sprüchen
betheiligten Persönlichkeiten als die bestehende Einrichtung,
wenn die „ Kontrariet ät" zweier Sprüche darin ihren Grund hat,
dass jede Partei in besonderer Missive den Schöppenstuhl an-
gegangen hat, und dass die Missiven in ihrer Darstellung der
Thatsachen von einander abweichen. Gehen in Folge dessen
die Sprüche auseinander, so kann der eine wie der andere
Spruch sachlich berechtigt sein; denn jeder hat zu seiner Bedin-
gung, dass der vorgetragene Thatbestand richtig und vollständig
ist. Das dem Spruche nachfolgende Gerichtsverfahren hatte
dann festzustellen, ob die vom einen oder die vom anderen
Spruch unterstellten Thatsachen der Wahrheit gemäss seien;
je nachdem trat der eine oder der andere Spruch in Wirk-
samkeit. Immerhin musste es der Partei einen eigenthüm-
lichen Eindruck machen, wenn sie zunächst vom Oberhof be-
lehrt wurde, dass sie im Rechte sei, bis ihr dann aus einer
zweiten vom Gegner erwirkten Belehrung das Gegentheil
klar wurde.
Dahin gehörige Beispiele sind:
Auf Anfrage des Heine Stölting zu Sandau (im Magde-
]) Aus Versehen des Schöppenschreibers passirt es auch einmal (1598 :
44 616), dass auf zwei Rechtsfragen dasselbe Urtheil doppelt ausgefertigt
wird und das eine Urtheilskonzept unausgefertigl zurückbleibt.
Schluss. 583
burgischen), dessen Ehefrau ihre in Havelberg wohnhaften
Eltern beerbt hat, wird 1578 ausgesprochen, l) dass die Ehe-
frau als nicht zu den extraneis, sondern den suis heredibus
gehörig, Abschoss von der Erbschaft des Ehemannes dem
Rathe zu Havelberg nicht zu zahlen habe; wenige Tage
später aber erhält in der nämlichen Angelegenheit der Rath
zu Havelberg die Belehrung, wenn er, wie er behaupte,
mit der Stadt Sandau einen Vergleich geschlossen habe, und
wenn es seit lange diesem Vergleiche entsprechend üblich
gewesen, dass Jeder, der aus den beiderseitigen Gerichten
ziehe oder Erbe fordere, den dritten Pfennig davon den
Gerichten folgen lassen müsse, so sei es bei Stölting ebenso
zu halten. In ähnlicher Weise wird 1587 einer Witwe in
Fürstenwalde, nachdem des verstorbenen Mannes Geschwister
dessen halben Nachlass nach Kommothau in Böhmen ge-
holt haben, auf die Behauptung hin, dass in Böhmen ein
Nachlass an Auswärtige nicht verabfolgt werde, in Branden-
burg eröffnet, sie könne den Nachlass ihres Mannes von
dessen Geschwistern zurückfordern; ein Jahr später aber
sprechen die Brandenburger auf Anfrage eines der Komino-
thauer Erben, der sich auf ein besonderes Privileg abschoss-
freien "Anfalls auswärtiger Erbschaften an die Einwohner
der Stadt Kommothau von 1497 (ÜB. 1 40) beruft, die aus-
geantwortete Erbschaft den Kommothauer Erben zu.
Als ein nützliches Mittel, auf unrichtiger Sachdarstellung
basirende Sprüche zu verhindern, ergab sich gegenüber den
von einer Partei eingereichten Missiven, dass die andere
Partei ebenfalls eine Missive einreichte, in der sie die that-
sächliche*Lage des Falles zu ihren Gunsten darstellte, einerlei,
ob sie die Darstellung der anderen Partei kannte oder nicht.
So folgte mehrfach dem „Berichte44 der an erster Stelle an-
fragenden Partei ein „ Gegenbericht u der anderen Partei als
Grundlage einer zweiten Anfrage in derselben Angelegenheit
(vgl. S. 456). Belege für dies Verfahren sind:
Die Magd des Burgermeisters Georg Matthis zu Berlin hat 1556
(5 545 ff.) einen Streit mit dessen Ehefrau. Es soll beiderseits zu
Thätlichkeiten gekommen sein. Der Burgermeister lässt die Magd
l) ÜB. 4 1.
584 Schluss.
gefänglich einziehen und drei Wochen sitzen. Dann bittet er, zi>-
die Verwandten der Magd deren Freilassung gegen Burgschaft l«e-
gehren, um Rechtsbelehrung. Da die Verwandten das erfahren.
aber nicht wissen, was der Bürgermeister berichtet habe, machen
sie einen n Gegenbericht u und bitten auch um Rechtsbelehrung. Auf
diesen Gegenbericht sprechen die Brandenburger zu Recht, die
Magd sei auf Ermässigung des Richters willkürlich zu strafen.
Ein Bruder erlangt um 1559 (7 244 ff.) einen Spruch der Bran-
denburger, dass der ältere Bruder Inventar des väterlichen Ver-
mögens auflegen und Theilung vornehmen soll. Der unterliegende
Theil erwirkt in Brandenburg, dass dem Hauptmann und dem Kästner
aufgetragen wird, die Sache zu verhören. Es kommt zu einem Eide
des Beklagten, dass der Kläger abgefunden sei; auch legt der Be-
klagte darüber Urkunden vor und fragt nun mittels „ Gegenberichts "
in Brandenburg an, ob er Inventar aufzulegen schuldig. Der Spruch
lautet dahin, dass der Beklagte nicht mehr vom Kläger in Anspruch
genommen werden könne.
Der belehnte Schulze des Dorfs Bantzendorf (bei Potsdam; Benis
Schulte stirbt 1560 (8 288) mit Hinterlassung zweier Söhne ersterjEhe,
eines vierzehnjährigen Sohns und vier unberadener Töchter zweiter
Ehe. Die beiden ältesten Söhne beanspruchen Verwaltung uod Be-
sitz des Schulzengerichts bis zu des jüngsten Sohnes Mündigkeit.
Ihnen wird auf ihre Anfrage eine die Mutter von der Verwaltung
ausschliessende Rechtsbelehrung ertheilt. Die Mutter thut aber ihren
„Gegenbericht" an den Hauptmann des Klosters Lindow mit der
Angabe, dass sie ihren Witwenstand nicht verrücken wolle und des
jüngsten Sohnes wie der Töchter Vormund sei. Auf des Hauptmanns
Anfrage ergeht dann die Belehrung: Wenn die Witwe in ihrem
Witwenstand bleiben wolle und neben ihrem minderjährigen Sohne
noch vier unmündige Töchter habe, die alle aus dem Schulzengericht
beraden und ausgesteuert werden müssen, so wird sie in der Ver-
waltung des Gerichts als Vormunden n beiden Stiefsöhnen vorgehen
bis zu ihres leiblichen Sohnes mündigen Jahren.1)
Auf des Obristen Isaak Kracht Schreiben muss 1606 (53 140) der
Rath zu Wittstock zu des Kf. rjüngst gethanen Pfälzschen Reisen"
2 Pferde und Wagen liefern. Der Kath kauft deshalb ein schwarzes
Pferd vom Scharfrichter für 34 Thlr., das er als ein gut Pferd zu
gewähren zusagt. Es wird nach Beskow mit dem anderen Pferde
geschickt, aber gleich im Anfang der Reise vom Koller befallen,
wie der Kfl. Sekretär und Küchenschreiber, für den das Pferd be-
stimmt war, bezeugt. Der Obrist verlangt Rücknahme des Pferdes
und Rückzahlung. Dazu erklären die Brandenburger auf Anfrage
des Amtsschreibers zu Wittstock den Scharfrichter für schuldig, ob-
') Zu vergl. auch die Zaubereisache von 1590 im Dorfe Callies ÜB. a
145 ff.
Schluss. 5^5
wohl er auf seinen „wilden Bericht* vorher ein ihm günstiges Ur-
theil erlangt hat.1)
Kam solchergestalt ein Oberhof unvermeidlich in die
Lage, bewusst konträre Spruche thun zu müssen, so fehlte
nicht viel zu dem Schritte, dass er — ähnlich wie der
.Landesherr zur Zeit der Herrschaft des Supplikenunwesen$
— den eigenen früheren Spruch aufhob, weil er ihn nach-
träglich als erschlichen erkannte. Auch dieser Schritt wurde
gethan.
Nachdem Bürgermeister und Rath zu Kyritz auf Belehruug der
Brandenburger eine Ehefrau mit ihrem zweiten Ehemanne wegen
Bigamie gefänglich eingezogen haben, stellt 1560 (8 224) die Tochter
der Ehefrau vor, ihre Mutter sei vor dem Rathe zu Kyritz und vor
dem Kammergericht geschieden; der Rath habe die Theilung ver-
schwiegen und nunmehr der Mutter, die nicht lesen könne, im Ge-
fangniss Fragstücke unter ihren Kopf gelegt; daraufhin solle sie
' vielleicht pro coniesso erklärt werden. Die Tochter bittet um Rechts-
belehrung und Freilassung ihrer Eltern gegen Bürgen. Dem ent-
sprechen die Brandenburger und erklären den bisher geführten
Prozess für unkräftig.
Im Jahr 1609 (ÜB. 2 440) lässt eine Partei, nachdem ihr Gegner
„auf seinen unwahrhaftigen Bericht" ein „Urtheil, so auf seiner
Seiten11, in Brandenburg erlangt hatte, sich die Wahrheit ihres
ebenfalls dorthin gesandten Berichts vom Amtmann bescheinigen,
um ein gegentheiliges Urtheil zu erlangen. Auf einen ähnlichen
Gegenbericht erklären 1613 (ÜB. 3 177) die Brandenburger ein auf
Tortur einer Zauberin ergangenes, von Valentin von Bismarck er-
wirktes Urtheil für unberechtigt.
Es ergiebt sich somit, dass die Art der Berichterstattung
in der Missive einen erheblichen Einfluss darauf hatte, wie
der Spruch ausfiel; das gesammte Rechtsbelehrungswesen
krankte daran, dass es sich auf Prinzipien aufbaute, unter
denen der Satz keine Stelle hatte: „Eines Mannes Rede ist
keine Rede, man muss die Parte hören beede44.
Wenn solchergestalt die Darstellung, welche der Sach-
verhalt durch den Anfragenden erhielt, einen Einfluss auf die
Gestaltung des Spruches hatte, dann lag auch der Gedanke
nicht allzufern, es könne dem Anfragenden vielleicht auch
eine Andeutung darüber nützen, welchen Spruch er wünsche.
Das galt namentlich für Strafsachen, in denen das zu-
JJ Statt wilden Bericht stand im Konzept erst ^Unbericht".
586 Schluss.
ständige Gericht oft weniger der Rechtsbelehrung halben-,
alsum sich vor Schadensansprüchen zu schützen, beim Schoppen-
stuhl anfragte, und in denen ein sich vielfach bemerkbar
machendes Geldinteresse mitspielte, den Angeschuldigten
möglichst bald bei Seite geschafft oder wenigstens aus dem
Gerichtsbezirke verwiesen zu sehen. Charakteristisch ist in
dieser Beziehung ein Fall des Jahres 1560 (8 227). Bürger-
meister und Rath zu Pritzwalk hatten einen des Ehebruchs
Verdächtigen setzen lassen und hofften auf eine Anfrage
in Brandenburg belehrt zu werden, dass sie mit der pein-
lichen Frage vorgehen könnten, was zur Folge gehabt hätte,
dass der Gefolterte auf Grund des erpressten Geständnisses
mindestens aus der Stadt verwiesen worden wäre. I~)ie
Brandenburger erkannten indess auf Freilassung gegen
Kaution. Dem Spruche fügten sich Bürgermeister und Rath,
Hessen aber baldigst den Mann wegen erneuten Verdachts
des Ehebruchs wieder verhaften und erbaten unter miss-
billigenden Bemerkungen über den früheren Spruch von
neuem eine Belehrung in Brandenburg. Hier wurde nunmehr
auf Einleitung einer näheren Untersuchung (also auch dies-
mal nicht auf die peinliche Frage) erkannt, Roter musste
jedoch dem von ihm entworfenen Beischreiben, welches dem
Rath zu Pritzwalk anbefahl, künftig den Schöppenstuhl „mit
Subtilitäten und übermässiger Klugheit billig zu verschonen1*,
auf Beschluss der Schoppen noch den Zusatz beifügen:
wenn die frühere Belehrung anders ausgefallen gewesen
sei, als der Rath es gewünscht, wolle man dem Rathe
nicht bergen, dass er künftig bei der Anfrage eine Notel
übersenden möge, „wie er die Belehrung gerne haben
wolle"; gefiele das dem Schöppenstuhle, so könne die
Belehrung dem Rathe vielleicht also widerfahren. Die
Brandenburger fanden demnach nichts Anstössiges darin,
den Konsulenten zu erkennen zu geben, sie möchten sich
äussern, welcher Spruch ihnen genehm sei. Dass unter Um-
ständen eine solche Aeusserung von weittragender Bedeutung
war, erhellt aus dem oben (S. 305) angezogenen Falle des
Jahres 1572. Gleich dem Rath zu Pritzwalk war damals der
Rath von Brietzen in einer Strafsache unzufrieden, dass von
Schluss. 587
den Brandenburgern auf Staupschläge und Freilassung einer
wegen Abtreibung Angeschuldigten erkannt sei. Der Rath
wandte sich „mit gleichem Bericht, jedoch mit etlichen mehr
im Anfange und zu Ende angehangenen Umständen u, da des
Raths „dringende Noth ein Mehr" (d. h. den Feuertod der
Angeschuldigten) „erfordere", nach Wittenberg an das Hof-
gericht um weitere Belehrung; hier wurde umgehend der
Angeschuldigten wegen Zauberei „das Feuer zuerkannt".1)
Mit Beifügung dieses Spruches stellte nunmehr der Brietzener
Rath, der nur auf einen Brandenburger Spruch hin die Todes-
strafe vollziehen konnte in Brandenburg vor, der Schoppen
Weisheit möge durch derselben hellen klaren Rechtspruch
zu erkennen geben, wie die Angeschuldigte zu strafen sei.
So eilig wurde die Sache behandelt, dass diese zweite An-
frage nach Brandenburg an einem Sonntag und zwar un-
mittelbar nach Eingang des Wittenberger Spruchs abgefasst
und ihr ein von demselben Sonntag datirter Zettel beigefügt
wurde, in welchem der Rath zu Brietzen die Brandenburger
bat, „ihren Scharfrichter zu verleihen und denselben schirst
Mittwochs gegen Abend herüberkommen zu lassen", wenn
erkannt werden sollte, dass die Angeschuldigte am Leben
zu strafen sei. Die Bedingung trat ein; man verstand in
Brandenburg den Wink: an Stelle der früher erkannten
Staupschläge wurde nunmehr der Feuertod beschlossen; da-
bei blieb in dem — vom altstädter Schöppenschreiber Barde-
leben entworfenen — Urtheil das frühere Urtheil gänzlich
unerwähnt. Das Konzept ist undatirt; da von einer Vorbe-
reitung desselben zur Sitzung oder von einer schriftlichen
Abstimmung nichts ersichtlich ist, so wird es in der Montags-
sitzung des 14. Juli auf Verlesung der Akten gefasst, und
nachdem innerhalb sechs Tagen von Brietzen aus sowohl in
Wittenberg, wie in Brandenburg ein Todesurtheil erlangt
war, auch der Wunsch des Rathes zu Brietzen erfüllt sein,
alsbald am Mittwoch den Scharfrichter zum schleunigen Voll-
1) Die Missive, die ein Bote von Brietzen nach dem einige Stunden
entfernten Wittenberg brachte, datirt von Mittwoch den 9 Juli 1572,
die nach Empfang des Wittenberger Spruchs weitere, für die Branden-
burger bestimmte Missive datirt von Sonntag den 13. Juli.
588 Schluss.
zuge der Hexenverbrennung geliehen zu erhalten, damit nun
baldmöglichst die Stadtverwaltung von ihrer „dringenden
Noth" befreit wurde.
Ein ähnliches Verfahren erhellt aus einer Köpenicker
Sache des Jahres 1 599 (45 448). Als Bürgermeister und Rath-
mannen zu Köpenick fanden, dass ihnen das gegen einen „ver-
wegenen bösen Feind" gegebene Brandenburgische Unheil
„wenig erspriesslich sei, sintemalen sie in keiner Ringmauer
sässen" und deswegen vor dem Beschuldigten „weder Tag und
Nacht sicher sein möchten", bitten sie in nochmaliger An-
frage, die aber keine neuen Belastungsmomente enthält, den
Schöppenstuhl zu erwägen, „ob der Beschuldigte nicht des
Todes würdig sei". Die Brandenburger sprechen demzufolge
auf die mit dem Strange zu vollziehende Todesstrafe, rügen
aber, sie könnten „in peinlichen Sachen auf ,blinde Berichte4
keinem das Leben aberkennen", ein unzweifelhaftes Bekennt-
niss hätten sie aus dem mit grossem Unfleiss begriffenen Be-
richte bisher nicht finden können; deshalben sei die Auf-
zögerung der Exekution den Konsulenten und deren eigenem
Unfleiss, aber nicht ihnen, den Brandenburgern zuzuschreiben".
Eine gleiche Rüge zog sich 1608 (56 177) der Amtmann
des Klosters zum heiligen Geist (bei Salzwedel) Ludolf Senf zu,
als er die Brandenburger bat, „die greuliche Missethat, wegen
deren sie in einem früheren Urtheile weitere Vernehmungen
angeordnet, mit besserem Fleisse als zuvor hin zu ponderirent
Recht, und Gerechtigkeit darauf zu judiziren und ein recht-
mässig Endurtheil auszusprechen". Statt sein Ziel [zu er-
reichen, wurde aber diesmal der Konsulent von dem in seiner
Ehre gekränkten Schöppenstuhl abgewiesen; denn die Branden-
burger erwidern, es hätte alsbald zum Endurtheil geschritten
werden können, wenn bei dieser weitaussehenden, Menschen-
blut und Leben betreffenden Sache mit besseren und mehr
Fleiss (bei der Untersuchung) vorgegangen wäre; „wir wollen
hiermit" — so heisst es am Schlüsse der Erwiderung — „das,
was uns von euch mit gesparter Wahrheit vorgerückt, auf
euch retorquirt haben, . . . weil auch ihre cf. gn. selbst sich
bisher an unsern urtheilen gnädigst genügen lassen; wird es
mehr geschehen, werden wir solches an gebührenden örtern
Schluss. 58f>
rechtlich zu eifern unumgänglich verursacht werden" (56 191).
Als aber im nämlichen Jahre eine vom Berliner Hoffiskal
nach Brandenburg gebrachte Brandstiftungssache (56 605) den
Schöppenstuhl veranlasst zu fragen, weshalb ein in der Sache
ergangenes Wittenberger Urtheil aus den Akten entfernt und
dem Angeschuldigten nicht gestattet worden sei, seine ge-
rühmte Unschuld zu beweisen, wird der Schöppenstuhl durch
den Hoffiskal alsbald umgestimmt. Der Hoffiskal antwortet»
dem Angeschuldigten sei seine auf 700 Artikel gestellte De-
fension zur Verbesserung zurückgegeben, und sei kein Grund
zu finden, sein vor wiederholter Tortur abgelegtes Geständ-
niss ungewiss zu machen. Das veranlass? den Schöppenstuhl,
nunmehr weitere Untersuchung für überflüssig zu halten und,
statt sie zu verlangen, auf den Feuertod zu erkennen.
Es kann hiernach nicht bestritten werden, dass der
Schöppenstuhl äusserer Einwirkung unter Umständen zugäng-
lich war. Dies mag für ihn mitbestimmend gewesen sein, das
Licht der Oeffentlichkeit möglichst von seiner Rechtsprechung
fern zu halten, wie es für die Parteien mitbestimmend war,
in vielen Fällen Zweifel in die Unparteilichkeit der Belehrungs-
urtheile zu setzen.
Von diesem Standpunkt aus erklärt es sich zunächst
dass Mittheilung von Abschriften aus den Akten des Schöppen-
stuhls verweigert wird, so 1579 (21 93) der Partei die Ab-
schrift ihrer eigenen Anfrage und der darauf erfolgten Be-
lehrung, so 1590 (33 100) und 1609 (58444) die Abschrift
der gegnerischen Anfrage und der darauf erfolgten Belehrung,
so 1561 (34521) dem Beamten, der um Rechtsbelehrung er-
sucht hat, die Abschrift der Missive des Gegners und der
von ihm eingereichten Briefe, so 1598 (44 520) der Partei die
Abschrift der vom Rath gegen sie eingereichten Beschuldi-
gung, so 1661 (79 159) der Partei sogar die Abschrift der
ihr verloren gegangenen Sprüche.1) Dabei wird sich ständig
darauf berufen, solche Mittheilungen seien beim Schöppen-
stuhl nicht bräuchlich, es müsste denn der Kurfürst sie be-
*) Dass der Rath den an den Hof erstatteten Bericht, seine Rechts-
fragen und die erlangten Urtheile dem Betheiligten zu seiner Defension
nicht vorenthalten darf, ist dagegen 1598 (44 452) ausgesprochen.
590 Schluss.
sonders befehlen.1) Kraft solchen Befehls erhält 1612 (59 2501
eine Partei die Abschrift ihrer Missive und der rationes deci-
dendi, und es erhält 1620 (97 931) der Rath zu Templin da*
Original der gegnerischen Missive gegen die schriftliche Ver-
pflichtung der Rücksendung ausgehändigt. Als der Erbsess
von Trottau zu Schkopau (bei Merseburg) 1595 (39 366) un-
geachtet seiner Bitte, Brandenburger Belehrungen mit der
Namensunterschriften der Schoppen zu versehen, gleichwohl
solche Belehrungen ohne Namensunterschriften erhalten hat
und die Bitte mit dem Bemerken wiederholt, „fast alle andern
Orte brauchten solche Unterschriften", lehnen das die Branden-
burger ab, weil es nie bei ihrem Schöppenstuhl brauchlich
gewesen, sie auch jetzt erhebliches Bedenken hätten, es zu
thun. Was im Schöppenstuhl vorgeht, ist sein Geheimniss,
es ist nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt. Darum schwört
der Schöppe — zwar nicht in frühster, aber doch in späterer
Zeit2) — „die Urthel geheim zu halten und solche gefahr-
licher Weise nicht zu entdecken", oder „die Heimlichkeiten
des Schöppenstuhls Niemandem zu eröffnen", und auch der
Schöppenschreiber leistet einen ähnlichen Eid (oben S. 286).
Sodann findet aber ein unverkennbares Misstrauen gegen
die Spruchbehörden darin seinen Ausdruck, dass sogar in
den gesetzlichen Erlassen, welche von der Rechtsbelehrung
handeln, regelmässig betont wird, es habe die Versendung
der Akten an „unverdächtige" oder „unparteiische" Spruch-
behörden oder Rechtsverständige zu geschehen, und dass jeder
Partei ein sogenanntes „Exceptionsrecht", d. h. das Recht zu-
stehe, in gewissem Umfange Einspruch wider die eine oder
andere gegnerischerseits vorgeschlagene Spruchbehörde zu
erheben. Auch die Vorschrift, dass bei den ex officio vor-
genommenen Aktenversendungen der Ort, wohin die Ver-
sendung erfolgt, bis zur Publikation des Spruches geheim
gehalten werden soll,3) beruht auf der Annahme, dass, wenn
l) Vergl. auch ÜB. 4 167.
a) Siehe oben Seite 329. 331.
3) So soll nach dem Soldiner Vertrag von 1552 in der Neu mark die
Aktenversendung, wenn sich die Parten nicht einigen, „beiden Parten uo-
•bewusst'* erfolgen (s. oben Seite 372). Nach der Magdeb. Pr.O. von r688
Schluss. 591
der Ort der Versendung bekannt sei, die Parteien in unstatt-
hafter Weise auf die Spruchbehörde einzuwirken in der Lage
wären. Sogar ein städtischer Bürgermeister (der von Schivel-
bein) wagt es 1609 (58 94), in Bezug auf ein ihm nicht zu-
sagendes Urtheil der Brandenburger zu äussern, er kenne für
seine Person „einen Theil der Gesellen wohl", sie würden
sich „mit Uebersendung von Perlenhutschnur und Perlen-
hauben haben stechen lassen", wogegen dann beim Landvogt
die Schoppen Beschwerde führend vorstellen: „Unsre Vor-
fahren und wir, denen beide diese Chur- und Hauptstädte
Brandenburg von der hohen Landesobrigkeit mit dem
Schöppenstuhle hieselbst vor vielen undenklichen Jahren an-
her gnädigst versehen, haben einzig und allein dahin ge-
trachtet, dass jedem Konsulenten ohne einige Parteilichkeit
auf sein Begehren Rechtens widerfahre".
Zur Bestätigung dessen darf bezeugt werden, dass sich
in den Akten nirgends auch nur die leiseste Spur des Ver-
suchs einer Beeinflussung der Schoppen durch Anerbieten
persönlicher Vortheile gefunden hat, und dass auch ausser
der eben mitgetheilten verdächtigenden Aeusserung einer
Partei eine ähnliche Aeusserung nur noch einmal dem
Konsistorium gegenüber vorkommt,1) die aber sachlich ebenso
unbegründet gewesen sein wird, wie gleiche heute noch
vorkommende Aeusserungen über unsere Gerichte unbe-
gründet wären.
Ein Recht, auf Grund gehegten Verdachtes der Partei-
lichkeit, „wider gewisse Kollegien zu dem Ende zu protestiren,
damit solche Akten an solche Kollegien nicht gesandt werden
mögen", — das preussische Edikt vom 17. Februar 1723 2)
redet von 3 speziell zu benennenden Fakultäten oder Schöppen-
stühlen, deren Zahl nicht zu übersteigen sei — erkennen die
Kap. 41 ist den Boten bei Staupschlägen verboten, zu entdecken, wohin er
verschickt gewesen. Nach einer Bemerkung des Brandenburger Schoppen
Kriele (1703: 80 152) ist es „sehr gefährlich", die herumzutragenden Akten
den Boten anzuvertrauen, ehe sie besiegelt. Wegen eines Defekts in der
Verpackung spricht (1733: 80 191) bei Rückkunft der Akten ein Vertreter
der Partei in Kleve den — sich als grundlos erweisenden — Verdacht aus,
das Packet sei vorher erbrochen worden.
!) Siehe oben Seite 395. 2) Mylius c. c. m. Th. II Abth. 1 3. 730.
592 Scbluss.
Brandenburger (1731: 86 253) in einer Entscheidung ausdrück-
lich an; sie vermissen aber, dass die Partei nicht zu rechter
Zeit im Termin der Akten-Inrotulation ihren Protest erhoben
habe. In Halle konnten nach einem Bericht der Stadt
vom 29. Juni 1701 „seit seculis drei Fakultäten eximirt
werden'4.1) In einer vor Richter und Aktuar der Dorotheen-
stadt zu Berlin verhandelten Konkurssache hat eine Partei
(1691: 79 692) „wider die Universität Frankfurt und alle
churf. brandenburgischen Schöppenstühle protestirt*4; da gleich-
wohl die Akten vom Gericht nach Brandenburg gesandt sind,
damit dort das Prioritätsurtheil abgefasst werde, wollen die
Schoppen Didden und Kriele die Akten unerledigt zurück-
gehen lassen, fugen sich aber der Ansicht des Seniors Müller,
dass sie ein Urtheil sprechen und die Verantwortung für die
Uebersendung der Akten dem Gericht überlassen könnten.
Es wird nach alledem keinem Zweifel unterliegen, dass
das Verfahren des Brandenburger Schöppenstuhls an argen
Misständen krankte, an Missständen, die in der ganzen Ein-
richtung des Rechtsbelehrungswesens ihre Wurzel hatten und
von der allgemeinen Rechtsauffassung der Zeit gefordert
wurden. Die Missstände sind also nicht etwa besondere
Eigenthümlichkeiten des Brandenburger Schöppenstuhls ge-
wesen, sie werden sich bei anderen Schöppenstühlen, wie
auch bei den Juristenfakultäten in gleicher Weise gefunden
haben. Hiervon frommt es, Kenntniss zu nehmen, wenn man
ständigen Tadel unserer heutigen Rechtspflege aussprechen
hört. Der Fortschritt in der Entwickelung unserer Rechts-
pflege ist im letzten Jahrhundert gegensätzlich zu den vor-
hergehenden Jahrhunderten ein gewaltiger. Am meisten
gilt das von der Strafrechtspflege. Bei manchen Einzel-
heiten ist das bereits angedeutet worden; es muss noch klarer
hervortreten, wenn unsere folgende Darstellung auf das
Strafverfahren und die Gestaltung der Anwendung der Straf-
gesetze des Näheren eingeht. Nur lag darin ein Vorzug des
Verfahrens in Strafsachen, dass hier wenigstens eine einheit-
liche Instanz insofern gesichert war, als das Urtheil bei wichtigen
Sachen in Brandenburg eingeholt werden musste und
*) Akten des OLG. Naumburg, betr. Einsendung der Akta etc.
Schluss. 593
die Sprüche anderer Oberhöfe, um in Vollzug gesetzt zu
werden, der Sanktionirung durch einen Brandenburger Spruch
bedurften. Ein gleicher Satz galt nicht für Civilsachen; hier
konnte sich das anfragende Gericht mit dem bei einem an-
dern als dem Brandenburger Schöppenstuhle eingeholten
Spruch begnügen. Daneben hat sich auch im Uebrigen, soweit
das Verfahren in Civilsachen in Betracht gezogen wird,
nicht viel Rühmliches gezeigt und wird sich des Weiteren
nicht zeigen; ja gerade die prozessualische Gestaltung, in
die allmählich das Belehrungswesen sich auswuchs, musste
ihm sein Ende bereiten. Mehr Lobenswerthes bietet die Ent-
wickelung des materiellen (Zivilrechts, soweit sie in die
Hand der Schöppenstuhle gelegt war. Hier kamen sie un-
verkennbar einem lebhaften Bedürfniss entgegen, namentlich
in Territorien, in denen nicht ein festgegliedertes, mit gelehrten
Räthen. besetztes Gerichtskolleg oder eine Juristenfakultät
den Schöppenstühlen den Lebensfaden abschnitt. Dies wider-
fuhr dem Brandenburger Schöppenstuhl, wie sich gezeigt
hat, weder durch das Kammergericht zu Berlin, noch durch
die Universität zu Frankfurt. Im Gegentheil haben wir er-
kannt, dass theils in Folge der beschränkten Zuständigkeit
des Kammergerichts und seiner Instruktion, möglichst die
Parteien vergleichsweise zu verabschieden, theils in Folge
des Niedergangs der Universität Frankfurt gegen Ende des
sechzehnten Jahrhunderts der Brandenburger Schöppenstuhl,
den die Joachimica zu neuem Leben erweckt hatte, nament-
lich in erb- und güterrechtlichen Streitigkeiten die Zuflucht-
stätte der gesammten Mark und ihrer Umgebung wurde.
So fiel gerade diesem Schöppenstuhl ein besonders starker
Antheil an der Umgestaltung des Civilrechts zu, wie sie sich
von der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts ab in der Mark
vollzog. Aktenversendung nach Brandenburg, das war der
Nothbehelf für die rechtsuchenden Parteien und für die an
sich zur Rechtsprechung berufenen, aber dazu nicht genügend
geschickten zahlreichen Gerichte des Landes. Für sie Alle
war der Schöppenstuhl zu Brandenburg eine Wohlthat. Er
hat nach bestem Können seines Amtes gewaltet. Kräfte,
die für ihre Zeit tüchtig, gewissenhaft und arbeitsfreudig
Stolze), Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 38
594: Schluss.
waren, standen ihm zur Verfugung. Nicht, weil er sich un-
fähig zur Losung seiner Aufgaben erwiesen hätte, oder weil
er genöthigt gewesen wäre, dem eindringenden g-elehrten
Rechte zu weichen, ist er eines langsamen Todes verblichen,
sondern weil sich mit den Grundsätzen des modernen Staats-
wesens auch hier, wie bei andern Oberhöfen, die Einholung
einer aussergerichtlichen Rechtsbelehrung, welche für die
allein zur Entscheidung berufenen Instanzgerichte massgebend
sein sollte, als unvereinbar erwies.
Dass im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts, als die
Auswüchse das Belehrungswesens jedem Unbefangenen sicht-
bar vor Augen lagen, das scharfe Urtheil Friedrichs des Grossen
über die unter Häufung der Aktentransmissionen leidende
Rechtspflege — abgesehen von dem schwerlich mit genügen-
dem Grunde ausgesprochenen Vorwurfe der Käuflichkeit
der Justiz — seine volle Berechtigung hatte, wird durch
einen Einblick in die Einzelheiten der Entwickelung- des
Brandenburger Schöppenstuhls bestätigt worden sein. Aber
auch aus überlebten Einrichtungen lassen sich hier und
da nützliche Lehren für die Gegenwart oder für die Zu-
kunft ziehen. Nach verschiedenen Richtungen hatte die
Rechtspflege zur Blüthezeit der Schöppenstühle nicht gering
anzuschlagende Vorzüge; sie ermöglichte rasche und billige
Entscheidungen und kam aus mit einem Minimum von Schreib-
werk. Dass nach diesen Richtungen hin bei den heutigen
vielfach ausserordentlich verwickelter gewordenen Rechts-
verhältnissen ein Schöppenstuhl schlechthin uns als Muster
dienen könnte, wird kein Verständiger behaupten wollen.
Immerhin kommen viele Prozesse vor, in denen sich —
ähnlich wie bei dem mehrgenannten Falle, der sich 1539
in der Familie von Bismarck zutrug (s. S. 577) — der Streit
ausschliesslich auf eine zu entscheidende Frage beschränkt,
und deshalb wäre es doch der Erwägung werth, ob sich nicht
eine autoritative Instanz schaffen Hesse, bei der die Parteien
auf kurze schriftliche Darstellung ihres Streitpunktes hin rasch
und ohne allzugrossen Kostenaufwand eine ebenso kurze Ent-
scheidung erhielten. Ferner Hesse sich angesichts der grossen
Geschäftslast sehr vieler unserer Gerichte die Frage auf-
Schiuss. 595
werfen, mit welchen Mitteln etwa eine erhebliche Minderung
des Schreibwerkes zu erzielen wäre. Hier stände zunächst
nichts entgegen, dass die oberen Instanzen in Fällen, in
denen ihrer Ansicht nach die untere Instanz eine richtige
Entscheidung getroffen und sie richtig begründet hat, wieder
dazu übergingen, die vorinstanzliche Entscheidung einfach aus
deren nicht widerlegten Gründen zu billigen und nach dem
klassischen Vorbilde der Brandenburger Schoppen [des Jahres
1495 (oben S. 281) zu sagen: „dar late wy dat so by bliven
na unsen bedunken", statt ausführlich mit andern Wendungen
dasselbe nochmals zu sagen, was der Vorderrichter bereits
gesagt hat. Menschenalter hindurch ist noch im neunzehnten
Jahrhundert bei hochangesehenen Gerichten die Formel der
„nicht widerlegten vorinstanzlichen Entscheidungsgründe" an-
gewendet worden, ohne dass man an ihr jemals irgendwelchen
Anstand nahm, und ohne dass die Gründlichkeit der Sach-
prüfung jemals dadurch gelitten hätte. Ausserdem käme in
Frage, ob sich nicht den Parteien in Rückkehr zu einem
alten Brauche wieder gestatten Hesse, auf Mittheilung der
für sie vielfach gleichgültigen Entscheidungsgründe Ver-
zicht zu leisten und sich mit der Urtheilsformel zu begnügen,
was dann zugleich eine erspriessliche Minderung der Kosten-
last zur Folge haben müsste. Offensichtlich befindet sich
schon seit lange, namentlich aber seit der Wiederbelebung
des mündlichen Verfahrens, die das Aktenwesen des acht-
zehnten und auch noch eines grossen Theiles des neunzehnten
Jahrhunderts beherrschende Schreibseligkeit in rückläufiger
Bewegung. Indess hat noch immer das Wort des Preussi-
schen Finanzministers von Motz aus den 1820er Jahren seine
Berechtigung: „es wird allenthalben, namentlich aber bei uns
zu viel geschrieben".
Dieser rückläufigen Bewegung wird Vorschub zu leisten
sein, wo es nur immer möglich erscheint. Auch von den
Schöffenstühlen zu lernen, was annehmbar ist, braucht die
Gegenwart kein Bedenken zu tragen, so sehr sie dieselben in
dem überholt haben mag, was einen geordneten und gesicherten
Rechtsgang, sowie eine gewissenhafte und sachgemässe, auf
festen Grundlagen ruhende Rechtsprechung verbürgt.
38*
Tabelle
Qber das
Personal des Brandenburger
Schöppenstuhls,
soweit es sich hat ermitteln lassen.
A. Schöppenschreiber des Branden-
i. Schöppenschreiber
der Altstadt.
1401 Petrus Sartach, J
Schulmeister.
1528 — 1535 LorenzDemker. ,
1535 — 1548 Andreas Acker- ;
mann. i
1551 — 1562 Mag. Simon
Roter.
1563 — i566Gregorius Bol-
dicke.
1 566— 1 568 Michael Dober-
gast.
1569 — 1576 Siegmund Bar-
deleben.
1576 — 1585 ZachariasGarz.
1586 — 1592 Mag.Gregorius
Bluhm.
1592— 1601 Mag. David
Kuhns.
1602 — 16 11 Michael Düring.
1612 — 1619 Mag. Peter
Weitzke.
1620 — 1622 Christian Bar-
deleben.
2. Schöppenschreiber
der Neustadt
1330 Everhardus,rector
scolarium.
1386. 1407 Johann Golwitz.
i486 — 1 508 Petrus Teydener.
1518 — 1522 Nicolaus Plaue.
1529 — 1539 [Bartholomäus
Pletz, presbyter].
1540 — 1548 Johann Schleswig.
x55° — i559SimonCarpzow.
I559-~I5^5 Johann Mawe.
l&5— x573 Joachim H ei-
natz.
1577 — 1582 Mag. Bartholo-
mäus Boldicke.
1588— 1591 Johannes Flo-
ring.
1602— 161 2 Carl Michael Vos-
bein.
1615 — 1623 Johannes Tor
now.
burger Schöppenstuhls.1)
i. Schöppenschreiber
der Altstadt.
1622 — 1631 Caspar Düring.
1 632 — 1637 [Friedrich Blech-
schmidt].
1638 — 1641 Johannes Ortelius.
1643 — x^4^ Ludovicus
Saxonius.
2. Schöppenschreiber
der Neustadt.
1624 — 163 1 [Johann Karge].
1632 —1637 Mag. Andreas
Moritz.
1638 — 1645 Bartholomäus
Schwarz.
3. Secretarii scabinatus.
Conrad Julius Berchelmann.
Joachim Conrad Heldt.
Melchior Knüttel.
Johann Melchior Junius.
Benedict Conrad Pfreundt.
Johann Wolfgang Steltzner.
Joachim Friedrich Kriele.
Balthasar Friedrich Katsch.
Gabriel Gottfried Müller.
Johann Gebhard Martin Tappenbeck.
l) Die Namen der Schöppenschreiber, welche Schoppen geworden
sind, sind gesperrt gedruckt; vgl. Liste B.
1663
1671 —
1677
1680—
1684
1685-
1691
1691 —
1692
1692 —
1707
1707—
1714
1714-
1734
1734-
1778
1778-
>
•
B. Schoppen des Branden-
I. Bis zur Vereinigung der
i. Schoppen der Altstadt.
1530 — 1535 [Hans Trebow, Valentin Schmidt].
1536 — 1549 [Hans Trebow, Valentin Schmidt, Lorenz
Demker].
1550 [Valentin Schmidt, Lorenz Demker, Thomas
Liep].
1551 — 1554 Valentin Schmidt, [Thomas Liep, Matthias
Bardeleben, Andreas Schuller].
x555 — *557 Valentin Schmidt, Matthias Bardeleben, [Andreas
Schüller].
1558 Valentin Schmidt, Matthias Bardeleben, [Andreas
Schuller, Antonius Holstein].
1559 Valentin Schmidt, Matthias Bardeleben, [Andreas
Schuller, Antonius Holstein], Marcus Mey nicke.
1560 — 1561 Valentin Schmidt, Matthias Bardeleben, [Andreas
Schuller, Antonius Holstein].
1562 — 1564 Matthias Bardeleben, [Andreas Schuller], Mag.
Simon Roter.
1565 — 1570 Matthias Bardeleben, [Andreas Schuller], Mag.
Simon Roter, [Joachim Damsdorf, Gregorius
Boldicke]
1 571 — 1572 Matthias Bardeleben, [Andreas Schuller], Mag.
Simon Roter, Joachim Damsdorf, [Friedrich
Garz].
burger Schöppenstuhls.1)
beiden Städte Brandenburg.
2. Schoppen der Neustadt
492 Claus von Gulen.
494 Claus von Gulen, Andreas Grelle, Claus Olste.
545 Clemens Storbeck.
1546 — 1549 Clemens Storbeck, Gregorius Bester, Au-
gustin Krüger, Hans Nickel.
550 [Gregorius Bester, Augustin Kruger, Hans Nickel].
1551—
*555-
1558-
1560—
1564—
1566-
1567—
l57°—
"57«—
554 Gregorius Bester, [Augustin Krüger], Hans Nickel.
557 Gregorius Bester, [Augustin Krüger].
559 Gregorius Bester, Augustin Krüger, [Lucas
Scholle],
560 Augustin Krüger, [Lucas Scholle], Simon
Carpzow.
564 Augustin Krüger, [Lucas Scholle], Simon Carp-
zow, Matthias Vielitz.
566 Augustin Krüger, [Lucas Scholle], Simon Carp-
zow, [Franz Welsow].
567 Augustin Krüger, Lucas Scholle, Simon Carpzow,
[Franz Welsow], Johann Mawe.
570 Lucas Scholle, Simon Carpzow, Franz Welsow,
Johann Mawe.
572 Lucas Scholle, Simon Carpzow, Franz Welsow,
Johann Mawe, Michael Iden.
573 Lucas Scholle, Simon Carpzow, Franz Welsow,
Michael Iden.
*) Die eckige Klammer bedeutet, dass sichere urkundliche Belege
fehlen. Die Schoppen, deren Namen gesperrt gedruckt sind, sind im ersten
Jahre des betreffenden Zeitraums neu hinzugetreten.
602 l. Schoppen der Altstadt.
1573 — 1576 [Matthias Bardeleben, Andreas Schuller], Mag.
Simon Roter, [Friedrich Garz], Valentin
Schwarz.
1577 — 158 1 Andreas Schuller, Mag. Simon Roter, [Friedrich
Garz], Valentin Schwarz, Siegmund Barde-
leben.
1582 — 1584 Andreas Schuller, Mag. Simon Roter, Valentin
Schwarz, Siegmund Bardeleben, [Andreas
Dietrich].
1585 — 1586 Mag. Simon Roter, Valentin Schwarz, Siegmund
Bardeleben, [Andreas Dietrich], Zacharias
Garz.
1586 — 1589 Mag. Simon Roter, Valentin Schwarz, Siegmund
Bardeleben, [Andreas Dietrich, Mag. Johannes
Lampertus].
1589 — 1592 Mag. Simon Roter, Valentin Schwarz, Andreas
Dietrich, [Mag. Johannes Lampertus],
1592 — 1595 Mag. Simon Roter, Valentin Schwarz, Andreas
Dietrich, Mag. Johannes Lampertus, Mag. Gre-
gorius Bluhm.
1595 — 1598 Valentin Schwarz, Andreas Dietrich, Mag. Jo-
hannes Lampertus, Mag. Gregorius Bluhm.
1599 [Valentin Schwarz, Andreas Dietrich], Mag. Jo-
hannes Lampertus, Mag. Gregorius Bluhm, Jo-
hannes Grell.
1600 — 1601 [Andreas Dietrich], Mag. Johannes Lampertus,
Mag. Gregorius Bluhm, Johannes Grell, Mag.
Caspar Praetorius.
1601 — 1605 Mag. Johannes Lampertus, Mag. Gregorius Bluhm,
Johannes Grell, Mag. Caspar Praetorius, Mag.
David Kuhns.
1606 — 1607 Mag. Johannes Lampertus, Mag. Gregorius Bluhm,
Johannes Grell, Mag. Caspar Praetorius.
1607 — 1609 Mag. Gregorius Bluhm, Andreas Grell, Mag.
Caspar Praetorius.
1609 — 16 12 Mag. Gregorius Bluhm, Johannes Grell, Mag.
Caspar Praetorius, Mag. Caspar Haveland,
Georg Chueden.
2. Schoppen der Neustadt 60$
1573 — 1576 Lucas Scholle, Simon Carpzow, Franz Welsowv
Michael Iden, Joachim Heinatz.
1577 — 1581 Simon Carpzow, Michael Iden, Jacob Poppe,
[Thomas Storbeck].
1582— 1589 Michael Iden, Jacob Poppe, Thomas Storbeck,
Mag. Conrad Zabel, Mag. Bartholomäus
Boldicke.
1590 Michael Iden, Thomas Storbeck, Mag. Conrad
Zabel, Mag. Bartholomäus Boldicke.
1591 — 1595 Michael Iden, Thomas Storbeck, Mag. Conrad
Zabel, Mag. Bartholomäus Boldicke, Johannes
Floring.
1596 — 1597 Michael Iden, Thomas Storbeck, Mag. Conrad
Zabel, Johannes Floring, [Joachim Buchholtz].
1
1598 — 1601 Thomas Storbeck, Mag. Conrad Zabel, Johannes
Floring, Joachim Buchholtz, Michael Nickel.
1602 — 1603 Thomas Storbeck, Johannes . Floring, Joachim
Buchholtz, Michael Nickel.
1604 — f6i2 Thomas Storbeck, Johannes Floring, Michael
Nickel, Bernhard Zieritz.
604
i. Schoppen der Altstadt.
1612 —
1620 —
1622 —
1630—
1638-
1648—
1650—
1654—
1656-
1657—
1663—
1665-
1677-
1696 —
1700—
1703—
1707—
1711
i7J3-
620 Johannes Grell, Mag. Caspar Haveland, Georg
Chueden.
622 Mag. Caspar Haveland, Georg Chueden, Joachim
Tieffenbach.
630 Georg Chueden, Joachim Tieffenbach, Mag.
Peter Weitzke, Christian Bardeleben.
638 Georg Chueden, Joachim Tieffenbach, Mag. Peter
Weitzke.
648 Georg Chueden, Mag. Peter Weitzke.
650 Georg Chueden, Ludovicus Saxonius.
653 Georg Chueden, Ludovicus Saxonius, Caspar
Junius.
655 Ludovicus Saxonius, Caspar Junius.
657 Ludovicus Saxonius, Caspar Junius, Dr. jur.
David Cichorius.
662 Ludovicus Saxonius, Dr. jur. David Cichorius,
Lic. jur. Guilelmus Böckel.
664 Ludovicus Saxonius, Dr. jur. David Cichorius,
Conrad Julius Berchelmann.
677 Dr. jur. David Cichorius, Conrad Julius Berchel-
mann, Friedrich Kriele.
695 Conrad Julius Berchelmann, Friedrich Kriele,
Lic. jur. Bernhard Didden.
700 Friedrich Kriele, Lic. jur. Bernhard Didden,
Friedrich Katsch.
703 Friedrich Kriele, Friedrich Katsch.
706 Friedrich Kriele, Friedrich Katsch, Johann
Christian Hannemann.
711 Friedrich Katsch, Johann Christian Hannemann,
Johann Wolfgang Steltzner.
713 Friedrich Katsch, Johann Wolf gang Steltzner.
715 Friedrich Katsch, Johann Wolf gang Steltzner,
Paul Lange.
2. Schoppen der Neustadt. 605
1612 — 161 7 Johannes Floring, Bernhard Zieritz.
1617 —
1624—
1630 —
1633-
1642 —
1643-
1645-
1648—
1651—
1660—
1661—
1667 —
1670 —
1678—
1680-
1691 —
1696 —
1697—
1706—
1707—
624 Johannes Floring, Bernhard Zieritz, Johann
Buchholtz, Johann Iden, Joachim Schale.
630 Bernhard Zieritz, Johann Buchholtz, Johann Iden»
Joachim Schale, [Johann Tornow],
632 Bernhard Zieritz, Joachim Schale.
642 Bernhard Zieritz, Joachim Schale, [Matthias
Buchholtz].
643 Joachim Schale, [Matthias Buchholtz], Ma*2
Andreas Moritz.
645 [Matthias Buchholtz J, Mag. Andreas Moritz.
648 Matthias Buchholtz, Mag. Andreas Moritz, Bar-
tholomäus Schwarz.
651 Mag. Andreas Moritz, Bartholomäus Schwarz.
659 Mag. Andreas Moritz, Bartholomeus Schwarz,.
Carolus Nicolai, Peter Müller.
661 Mag. Andreas Moritz, Bartholomäus Schwarz,
Peter Müller, Dr. jur. Michael Müller.
667 Bartholomäus Schwarz, Peter Müller, Dr. jur.
Michael Müller.
670 Peter Müller, Dr. jur. Michael Müller.
678 Peter Müller, Dr. jur. Michael Müller, Dr. jur.
Johannes Cramer.
680 Dr. jur. Michael Müller, Dr. jur. Johannes Cramer.
691 Dr. jur. Michael Müller, Dr. jur. Johannes Cramer»
Benedict Conrad Pfreundt.
696 Dr. jur. Michael Müller, Dr. jur. Johannes Cramer.
697 Dr. jur. Michael Müller, Ludwig Claepius.
706 Dr. jur. Michael Müller, Ludwig Claepius, Jo-
achim Friedrich Pfreundt.
707 Ludwig Claepius, Joachim Friedrich Pfreundt.
714 Ludwig Claepius, Joachim Friedrich Pfreundt»
Martin Heins.
17 14 — 17 15 Joachim Friedrich Pfreundt, Martin Heins.
«06
IL Scabini seit der Vereinigung
1715— 1717 Friedrich Katsch, Joachim Friedrich Pfreuxidt,
Martin Heins, Johann Wolfgang Steltzner, Paul
Lange.
171 8 Friedrich Katsch, Martin Heins, Johann Wolfgang
Steltzner, Paul Lange.
17 19 Friedrich Katsch, Martin Heins, Johann Wolfgang
Steltzner, Paul Lange, Joachim Knackrügge.
1720 — 1722 Friedrich Katsch, Martin Heins, Johann Wolfgang
Steltzner, Paul Lange, Joachim Knackrügge,
Johann August Giesecke.
1723—1724 Martin Heins, Johann Wolfgang Steltzner, Paul
Lange, Joachim Knackrügge, Johann August
Giesecke, Justus Heinrich Oelschläger.
1724 — 1730 [Johann Wolfgang Steltzner], Paul Lange, Joachim
Knackrügge, Johann August Giesecke, Justus
Heinrich Oelschläger.
l73° — x733 [Johann Wolfgang Steltzner], Johann August
Giesecke, Justus Heinrich Oelschläger.
1734 — 1738 Johann August Giesecke, Justus Heinrich Oel-
schläger, Joachim Ernst Plümicke.
1738 — 1740 Johann August Giesecke, Justus Heinrich Oel- J
schläger, Joachim Ernst Plümicke, Joachim '
Christoph Steinfeld, Wichmann Gottlieb
Schütte.
1740 — 1747 Johann August Giesecke, Justus Heinrich Oel-
schläger, Joachim Ernst Plümicke, Joachim
Christoph Steinfeld, Wichmann Gottlieb Schütte,
Christoph Bernhard Braun.
1 747 — 1 756 Johann August Giesecke, Joachim Ernst Plümicke,
Joachim Christoph Steinfeld, Wichmann Gottlieb
Schütte, Christoph Bernhard Braun, Georg
Friedrich Grust.
607
beider Städte Brandenburg.
1 756 - 1 759 Johann August Giesecke, Joachim Christoph
Steinfeld, Wichmann Gottlieb Schütte, Christoph
Bernhard Braun, Georg Friedrich Grast.
1 759— 1 768 Joachim Christoph Steinfeld, Wichmann Gottlieb
Schütte, Christoph Bernhard Braun, Georg Fried-
rich Grust.
1769 — 1776 Joachim Christoph Steinfeld, Wichmann Gottlieb
Schütte, Georg Friedrich Grust, Emanuel
Richter.
1776 — 1778 Joachim Christoph Steinfeld, Georg Friedrich
Grust, Emanuel Richter.
1778 — 1779 Joachim Christoph Steinfeld, Georg Friedrich
Grust, Johann Friedrich Pauli.
1780 — 1783 Joachim Christoph Steinfeld, Georg Friedrich
Grust, Carl Wilhelm Hugo, Julius Albert
Rudolphi.
1783 — 1784 Joachim Christoph Steinfeld, Georg Friedrich
Grust, Julius Albert Rudolphi, Zierhold.
1784 — 1796 Julius Albert Rudolphi, Zierhold, Fabricius.
1797 — 1801 Julius Albert Rudolphi, Zierhold, Friedrich
Ludwig Uhde.
1802— 1809 Zierhold, Friedrich Ludwig Uhde, Samuel
Dietrich Steinbeck.
1809 — 181 7 Zierhold, Samuel Friedrich Steinbeck.
C Senioren der Schoppen
i. Senioren
der Altstädtischen Schoppen.
1530 — 1549 [Hans Trebow].
1 550—1 561 Valentin Schmidt.
1 56 1 — 1 576 Matthias Barde-
leben.
1577 — 1584 Andreas Schuller.
1 584 — 1 595 Mag. Simon Roter.
1595 — 1598 Valentin Schwarz.
1 599[Valentin Schwarz]
1600 — 1601 [Andreas Diet-
rich],
1 60 1 — 1 607 Mag. Johannes
Lampertus.
1 607 — 16 1 2 Mag. Gregorius
Bluhm.
1612 — 1620 Johannes Grell.
1620 — 1622 Mag. Caspar Ha-
veland.
2. Senioren
der Neustädtischen Schoppen.
1492 — 1494 Claus von Gulea.
1546— 1559 [Augustin Krüger
oder Gregorius
Bester].
1559 — 1567 Augustin Krüger.
1567 — 1576 Lucas Scholle.
I 1576 — 1581 Simon Carpzow.
i 1581 — 1597 Michael Iden.
1597 — 161 2 Thomas Storbeck.
1622 — 1653 Georg Chueden.
1 654 — 1 664 Ludovicus Saxo-
nius.
1665 — 1677 [Dr. jur. David
CichoriusJ.
161 2 — 1624 Johannes Floring.
1624 — 1642 Bernhard Zieritz.
| 1642 — 1643 Joachim Schale.
j 1645 — 1648 [Matthias Buch-
holtz oder Mag.
Andreas Moritz].
1645 — 1661 Mag. Andreas
Moritz.
| 1 66 1 — 1 667 [Bartholomeus
| Schwarz].
! 1667— 1678 [Peter Müller].
beider Städte Brandenburg.
3. Senioren des Skabinats zu Brandenburg.
1664 — 1667 [Bartholomeus Schwarz].
1667— 1678 [Peter Müller].
1678 — 1706 Dr. jur. Michael Müller.
1706 — 1707 Friedrich Kriele.
1707 — 17 14 Ludwig Claepius.
1714— 1722 Friedrich Katsch.
1722 — 1724 Martin Heins.
1724— 1730 [Johann Wolfgang Steltzner oder Paul Lange].
x73° — x733 [Johann Wolfgang Steltzner oder Johann August
Giesecke].
1733 — 1759 Johann August Giesecke.
1759 — 1784 Joachim Christoph Steinfeld.
1784 — 1801 Julius Albert Rudolphi.
1801 — 18 17 Zierhold.
Stölzel, Entw. d. gelehrten Rechtsprechung. I. 39
Nachträge und Berichtigungen.
Zu S. ii. Die Bemerkung, dass schon 1497 sich unter den Schöpper
Magdeburgs Doktoren fanden, ist für Magdeburg nicht sicher, wo\
aber für Halle. Vgl. S. 246.
Zu S. 29. Die älteren Sprüche der Brandenburger Spruchsammlung in ÜB
4 sind von 1456. i486. 1503 und 1515 (vgl. S. 285), nicht von 1451.
1474. 1515 und 1540.
Zu S. 39. 49. 61. 91. 98. 102. 127. 138. 143. 165. 185. 205. 214. 215 ist in de:
betr. Noten statt rTschirschu zu lesen „Tschirch4*.
Zu S. 43. Die Resultate der Untersuchung des Walles am Riwendtsee sin !
inmittels in den „Nachrichten über deutsche Alterthumsfunde* Heft 2
1901 S. 17 ff. veröffentlicht. Am Schlüsse seines Berichts weist Herr
Dr. Götze darauf hin, dass auch anderwärts, z. B. in Thüringen, vor-
geschichtliche umwallte Plätze in historischer Zeit als Gerich tsstätter
benutzt sind. Uebrigens ist auf S. 43 Z. 7 v. o. „ganze" zu streichen.
S. 71 Z. 18 v. o. ist statt „Kurfürst" zu lesen „Markgraf Johann Georg".
S. 118 Z. 5 v. u. statt WUB. 1 64" ÜB. 1 56.
Zu S. 155. 156 vergl. über L. Scholle auch ÜB. 4 100.
Zu S. 205 ff. Noch heute hat jedes Franziskanerkloster für seine weltlichen
Geschäfte einen syndicus apostolicus als Vertreter, der im Kloster
nicht wohnen darf und eine besondere Vertrauensstellung einnimmt
Ein solcher Syndikus mag Viti gewesen sein.
S. 296 Z. 14 v. u. statt „§ 38" § 40.
S. 421 Z. 13 v. o. statt „Erbsessenen" Erbsessen.
S. 427 Z. 1 1 v. o. statt „Unterhanen" Unterthanen.
Wilhelm Gronau's Buchdruckerei, SchÖneberr- Berlin.
Siegel des Brandenburger SchÖppenstuhls.
SIC.ILI.VM SCABINOKVM S . SCAUINOKVM AMBARVM
BRANDENBVRGENS1VM CiVITATVM BRAND ENBVRG
utem Felde seit c. 1550
; gebraucht. in der Neustadt gebraucht.
feccetum fcnbinonim
nuoc cioitut brant)
1 der Altstadt gebraucht.
1