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Full text of "Die entwicklung der gelehrten rechtsprechung, untersucht auf grund der akten des Brandenburger schöppenstuhls"

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Die  Entwicklung  ^ 


der 


gelehrten  Rechtsprechung 


untersucht 


auf  Grund  der  Akten  des  Brandenburger  Schöppenstuhls 


Adolf 


von 


Band  1. 


Berlin,  1901. 

Verlag  von  Franz  Vahlen. 

W.  8,  Mohrenstrassc  13  '14. 


Der 


Brandenburger  Schöppenstuhl 


Von 


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Ado^f  Stölzel. 


Mit  einer  Abbildung  von  Brandenburger  Schöppenstuhlssiegeln. 


Berlin,  1901.    . 

Verlag  von  Franz  Vahlen. 

W.  8,  Mohrenstrasse  13/14. 


rt 


Va* 


s 


0 


0CT2  5  1921 


Vorwort. 

Es  wird  nicht  vielen  Schriftstellern  das  Glück  zu  theil, 
dass  sie  zu  wissenschaftlichen  Untersuchungen,  denen  sie  einst 
mit  Interesse  obgelegen  haben,  nach  einem  Menschenalter 
zurückkehren  können,  um  sie  zur  Bestätigung  und  Bestärkung 
der  früher  gefundenen  Resultate  weiter  zu  führen. 

Als  ich  im  Jahre  1871  meine  Schrift  über  „die  Entwick- 
lung des  gelehrten  Richterthums  in  deutschen  Territorien" 
abschloss,  die  vorzugsweise  die  Verhältnisse  im  Gebiete  des 
ehemaligen  Kurfürstenthums  Hessen  zur  Grundlage  nahm, 
drängte  sich  mir  von  selbst  der  Gedanke  und  der  Wunsch 
auf,  später  einmal  jene  Arbeit  nach  doppelter  Richtung  hin 
zu  ergänzen.  Zunächst:  Nachdem  gezeigt  war,  auf  welchen 
Wegen  die  Rechtsprechung  aus  den  Händen  der  Nichtge- 
lehrten in  die  der  Gelehrten  übergegangen  war,  blieb  noch 
übrig,  klarzulegen,  wie  es  vermittels  jener  Wege  den  einzelnen 
Sätzen  der  gelehrten  fremden  Rechte  gelang,  die  abweichen- 
den Sätze  des  heimischen  Rechtes  zu  verdrängen;  denn  eben- 
sowenig wie  urplötzlich  die  Gelehrten  als  rechtsprechende 
Faktoren  an  die  Stelle  der  Nichtgelehrten  traten,  ebensowenig 
fanden  urplötzlich  die  Sätze  des  römischen  Rechtes  Eingang 
an  Stelle  der  Sätze  deutschen  Ursprungs;  ja  es  wird  sich 
zeigen,  dass  die  letzteren  in  viel  weiterem  Umfange  dauernd 
erhalten  blieben,  und  dass  unsere  Rechtsurkunden  in  viel 
späteren  Zeiten  auf  deutschen  Grundlagen  ruhen,  als  man 
anzunehmen  geneigt  ist.  Sodann:  Die  in  einem  Territorium 
des  mittleren  deutschen  Westens  angestellten  Ermittlungen 
mussten  an  Werth  gewinnen  und  um  so  mehr  zu  allgemei- 
neren Schlüssen  berechtigen,  je  mehr  sie  mit  den  Verhält- 
nissen übereinstimmten,  die  ein  dem  deutschen  Osten  ange- 
höriges Territorium  bot.    Das  hier  für  jede  Entwicklung  des 


VI  Vorwort. 

deutschen  Geisteslebens  bedeutungsvollste  Territorium  war 
die  einstige  Mark  Brandenburg,  die  Wiege  des  deutschen 
Reiches  und  damit  unserer  deutschen  Rechtseinheit.  Darum 
konnte  mir  nichts  willkommener  sein,,  als  durch  meinen 
Ueberzug  nach  Berlin  vom  Jahre  1872  ab  die  Gelegenheit  zu 
finden,  mit  der  Geschichte  des  märkischen  Rechtswesens,  so 
weit  die  Amtsgeschäfte  freie  Zeit  Hessen,  mich  vertraut  zu 
machen.  Ich  beschränkte  mich  zunächst  auf  eine  Geschichte 
des  Preussischen  Justizministeriums,  wie  das  im  Vorworte 
meiner  in  den  1880  er  Jahren  entstandenen  Schrift  über 
„Brandenburg-Preussens  Rechtsverwaltung  und  Rechtsver- 
fassung" erwähnt  ist.  Gelegentlich  dieser  Arbeit  kam  mir 
aber  zur  Kenntniss,  dass  in  der  Stadt  Brandenburg  eine 
reiche,  mehrere  Jahrhunderte  umfassende  Sammlung  der  Akten 
des  dortigen  Schöppenstuhls,  des  einstigen  Centraloberhofs 
der  Mark,  aufbewahrt  wurde,  eine  Sammlung,  die  ihrer  Reich- 
haltigkeit nach  nicht  viele  ihres  Gleichen  haben  wird.  Hier 
musste  massenhafter  Stoff  aufgehäuft  sein,  der  nach  beiden 
oben  hervorgehobenen  Richtungen  hin  eine  Ausbeute  ver- 
sprach. Alsbald  war  mir  indess  klar,  dass  meinerseits  ncir 
dann  an  einen  Versuch,  der  Bearbeitung  jener  Akten  mich 
zu  unterziehen,  gedacht  werden  durfte,  wenn  ich  in  die  Lage 
käme,  mindestens  einen  Theil  meiner  Amtsgeschäfte  abzu- 
geben, das  Aktenmaterial  in  meinem  Wohnorte  zu  benutzen 
und  einige  jüngere  Kräfte  als  Mitarbeiter  staatsseitig  bewilligt 
zu  erhalten.  Diese  dreifache  Bedingung  hat  sich  erfüllt.  Der 
Herr  Staats-  und  Justizminister  Dr.  Schönstedt,  sowie  die 
Herren  Minister  der  geistlichen,  Unterrichts-  und  Medizinal- 
angelegenheiten Dr.  Bosse  und  Dr.  Studt  haben  mich  zu  leb- 
haftestem Danke  dadurch  verpflichtet,  dass  sie  mein  Unter- 
nehmen nach  jeder  Richtung  förderten,  mir  namentlich  in 
den  beiden  Herren  Gerichtsassessoren  Deichmann  und 
Dr.  Friese,  von  denen  inzwischen  der  erstere  zum  Land- 
richter in  Stendal,  der  letztere  zum  Amtsrichter  in  Kroto- 
schin  ernannt  ist,  zwei  tüchtige,  überaus  fleissige  und  mit 
regstem  Interesse  für  die  Sache  erfüllte  Mitarbeiter  ge- 
währten. Dem  Magistrate  von  Brandenburg  habe  ich  es 
zu  danken,    dass  er  mir  mit  grosser  Liberalität  seihe  Archi- 


Vorwort.  VII 

Valien  zur  Verfügung  stellte,  auch  der  Ueberführung  der  dem 
Magistrate  wie  dem  Amtsgericht  in  Brandenburg  zu  gemein- 
samem Besitze  überwiesenen  Schöppenstuhlsakten  in  das  hie- 
sige Justizministerialgebäude  zustimmte.  Die  Abnahme  eines 
Theils  meiner  Amtsgeschäfte  erreichte  ich  dadurch,  dass  ich 
mit  dem  Beginn  der  Arbeit  von  einem  Theil  meiner  Dienst- 
geschäfte mich  entheben  Hess. 

Ein  eigenthümlicher  Zufall  hat  es  gewollt,  dass  gleich- 
zeitig mit  dem  gegenwärtigen  Unternehmen,  das  den  Bran- 
denburger Schöppenstuhl  aus  der  Vergessenheit  an  das 
Licht  zieht,  dem  bedeutungsvolleren  Magdeburger  Schöppen- 
stuhl durch  die  von  Friese  und  Liesegang  unternommene 
Veröffentlichung  einer  Sammlung  seiner  Sprüche  ein  Denk- 
mal Seitens  der  Savignystiftung  gesetzt  wird.  Ich  hoffe,  dass 
keine  der  beiden  Veröffentlichungen  die  andere  beeinträch- 
tigt, dass  vielmehr  beide  einander  sich  in  einer  Weise  er- 
gänzen, die  der  deutschen  Rechtsgeschichte  zu  Gute  kommen 
kann.  Die  Veröffentlichung  der  Savignystiftung  bringt  aus- 
schliesslich den  Abdruck  der  von  Magdeburg  nach  aussen 
gegangenen  Sprüche;  von  wem  die  Sprüche  herrühren,  ob 
von  gelehrten  oder  nichtgelehrten  Juristen,  auf  welchem  Ver- 
fahren sie  beruhten,  wie  sie  zu  Stande  kamen,  und  welche 
Verhandlungen  ihnen  vorausgingen,  darüber  erfahren  wir 
nichts  und  konnten  auch  nach  dem  uns  erhaltenen  Material 
nichts  erfahren;  denn  dies  Material  bestand  in  den  an  den  ver- 
schiedensten Orten  zerstreuten,  schwerlich  auch  nur  für  irgend 
einen  Ort  vollständigen  Spruchreinschriften;  in  Magdeburg 
selbst,  dem  Sitze  des  Schöppenstuhls,  ist  an  Material  fast  nichts 
mehr  vprhanden;  für  eine  umfassende  Geschichte  des  Magde- 
burger Schöppenstuhls  fehlt  also  leider  die  genügende  Grund- 
lage. Umgekehrt  stützt  sich  die  gegenwärtige  Veröffent- 
lichung auf  das  beim  Brandenburger  Schöppenstuhl  aufbe- 
wahrte und  verhältnissmässig  sorgsam  gehütete  Material, 
durch  das  es  ermöglicht  wird,  vom  inneren  Getriebe  des 
Schöppenstuhls,  vom  Zustandekommen  seiner  Sprüche,  von 
seinem  gesaramten  Verfahren,  von  seinem  Personal  und  auch 
von  den  Vorverhandlungen  der  Sprüche  eine  Anschauung  zu 
erhalten,   wie   sie  noch  von  keinem  Schöppenstuhl  hat  ge- 


VIII  Vorwort. 

wonnen  werden  können.  Dazu  kommt,  dass  auch  zeitlich 
das  Magdeburger  und  das  Brandenburger  Material  in  einen 
Gegensatz  treten;  denn  der  Hauptstock  der  gesammelten 
Magdeburger  Sprüche  liegt  vor  der  Mitte  des  sechzehnten 
Jahrhunderts,  während  der  Hauptstock  der  Brandenburger 
Akten  in  die^auf  diese  Periode  folgende  Zeit  fallt. 

Anfänglich  hegte  ich  die  Absicht,  mich  auf  eine  Be- 
arbeitung der  Brandenburger  Akten  behufs  Darstellung  einer 
Geschichte  der  Entwicklung  der  gelehrten  Rechtsprechung 
zu  beschränken,  und  zwar  in  einem  Umfange,  der  etwa  meiner 
Schrift  über  Brandenburg-Preussens  Rechtsverwaltung  gleich- 
kommen sollte.  Das  Wagniss,  aus  den  Verhältnissen  eines 
einzelnen  Territoriums  Schlüsse  auf  andere  Territorien 
zu  ziehen,  wie  ich  es  in  meiner  „Entwicklung  des  gelehrten 
Richterthums  in  deutschen  Territorien"  that,  hat  sich  im  Laufe 
der  Zeit  nicht  als  zu  kühn  herausgestellt;  denn  was  an  ein- 
schlagenden Schriften  innerhalb  der  letzten  dreissig  Jahre 
aus  anderen  deutschen  Territorien  veröffentlicht  worden  ist, 
hat  in  meinen  Augen  nur  die  Annahme  bestätigt,  dass  — 
fast  bis  auf  das  einzelne  Jahr  und  fast  bis  auf  jedes  einzelne 
neu  auftauchende  Gebilde  —  die  Entwicklung  unseres  Rechts- 
und Gerichtswesens  dort  wie  hier  dieselbe  gewesen  ist.  Den 
Beweis  haben  mir  nunmehr  von  Neuem  die  Brandenburger 
Akten  geliefert.  Darum  erachte  ich  es  auch  für  statthaft, 
in  der  Entwicklungsgeschichte  der  Brandenburger  Recht- 
sprechung ein  Bild  der  Entwicklung  unserer  deutschen  Recht- 
sprechung überhaupt  zu  erblicken.  Es  hat  in  den  Dingen, 
die  hier  in  Betracht  kommen,  bei  der  sonstigen  grossen  Zer- 
splitterung der  massgebenden  Gewalten  eine  staunen?werthe 
Einheit  und  Einheitlichkeit  im  deutschen  Reiche  geherrscht. 

Wer  aber  aus  den  Brandenburger  Schöppenstuhlsakten 
ein  solches  Bild  gewinnen  will,  darf  nicht  davor  zurück- 
schrecken, sich  als  die  erste  Aufgabe  eine  Ermittelung  der 
äusseren  Geschichte  des  Schöppenstuhls  zu  stellen.  Dabei 
war  als  Ziel  ins  Auge  zu  fassen,  dass  der  Schöppenstuhl  bis 
in  seine  Einzelheiten  hinein  so  vorgeführt  werde,  wie  wir 
heute  durch  Selbstanschauung  eines  unserer  gegenwärtigen 
Gerichte  kennen  zu  lernen  in  der  Lage  sind.     Nur  dadurch 


Vorwort.  IX 

lässt  sich  eine  ausreichend  feste  Grundlage  für  die  Beurtheilung 
der  Spruchthätigkeit  des  Schöppenstuhls  schaffen.  Mit  allen 
den  äusseren  Momenten,  wie  Sitzungsort  und  Sitzungszeit, 
Titulatur,  Personal,  Berufung  zum  Amte,  Bücherei,  Geschäfts- 
bereich, Verfahren,  Kosten-  und  Siegelwesen,  müssen  wir 
vertraut  sein,  ehe  sich  ein  Verständniss  von  der  Gesammt- 
bedeutung  des  Schöppenstuhls  eröffnen  kann.  Das  Bedürf- 
niss,  hier  volle  Klarheit  zu  erlangen,  steigerte  sich  mit  dem 
Eindringen  in  den  Stoff.  Da  wir  eine  ähnliche  Geschichte 
noch  nicht  besitzen,  trug  ich  kein  Bedenken,  den  ersten  Theil 
meiner  Darstellung  sich  allmählich  zu  einer  Geschichte  des 
Brandenburger  Schöppenstuhls,  der  zuerst  im  Jahre  1232 
bezeugt  ist  und  im  Jahre  181 7  aufgehoben  wurde,  auswachsen 
zu  lassen. 

An  die  Darstellung  der  äusseren  Geschichte  des  Schöp- 
penstuhls soll  sich  dann  weiter  die  Darstellung  schliessen,  in 
welcher  Weise  deutsche  Rechtsinstitute  allmählich  romanisirt 
Worden  sind.  Das  von  den  Schöppenstühlen  gehandhabte 
deutsche  Recht  war  zur  Zeit,  als  sich  das  gelehrte  Recht  Bahn 
brach,  weder  in  prozessualischer  noch  in  materiell-rechtlicher  Be- 
ziehung so  mangelhaft  ausgebildet,  dass  nicht  eine  ganze  Reihe 
von  deutschen  Instituten  existirt  hätte,  denen  römisch-recht- 
liche Institute  verwandt  gewesen  wären,  weil  beide  Völker 
nach  ihrer  Kulturstufe  in  der  Bildung  ihre  Rechtssätze  ver- 
wandte Zwecke  verfolgten.  Durch  diese  Verwandtschaft 
wurde  wesentlich  die  sich  vollziehende  Umwandlung  erleich- 
tert. Es  schiebt  sich  zuerst  der  römische  terminus  technicus 
bei  dem  deutschen  Institute  ein,  dann  folgt  dem  fremden 
Worte  der  fremde,  wenn  auch  innerlich  immerhin  verwandte 
sachliche  Inhalt.  So  im  Prozess,  wie  im  materiellen  Rechte. 
Auf  derartige  Umwandlungen  ist  ein  Hauptgewicht  zu  legen; 
denn  in  ihnen  liegt  die  Anbahnung  unserer  modernen  Rechts- 
gestaltung und  Rechtsprechung. 

Mit  diesem  leitenden  Gedanken  soll  zunächst  der  Civil- 
prozess  und  dann  der  Strafprozess  verfolgt  werden,  weil 
durch  den  Gang,  der  sich  hier  für  das  Verfahren  entwickelt, 
erst  die  Möglichkeit  eröffnet  wird,  dass  sich  das  materielle 
Recht  so  umbildete,   wie  es  in  unserer  weiteren  Erörterung 


X  Vorwort. 

dargelegt  werden  soll,  und  zwar  wiederum  zunächst  für  das 
(Zivilrecht,  dann  für  das  Strafrecht  und  für  etwa  sonstige 
Gebiete  des  öffentlichen  Rechts,  über  die  das  benutzte  Ma- 
terial Auskunft  giebt.  Hier  wird  selbstverständlich  nicht  das 
ganze  System  des  Prozesses  und  des  materiellen  Rechts  in 
Betracht  gezogen  werden,  sondern  nur  eine  Anzahl  von 
Rechtsinstituten,  an  denen  sich  auf  Grund  unserer  Schoppen- 
Stuhlsakten  die  Art  und  Weise  nachweisen  lässt,  in  der 
deutsches  Recht  durch  fremdes  verdrängt  wurde. 


Zur  Erläuterung  der  Citate  in  den  Fussnoten  der  fol- 
genden Bogen  bemerke  ich,  dass  StA.  Staatsarchiv  (bei 
fehlender  Ortsangabe  Berliner  Staatsarchiv),  RA.  Branden- 
burger Rathsarchiv,  AA.  Brandenburger  Amtsakten  bedeutet. 
Um  die  Zahl  der  Fussnoten  möglichst  einzuschränken,  sind 
die  Hinweise  auf  die  Brandenburger  Schöppenstuhlsakten  in 
den  Text  aufgenommen;  hier  bedeutet  die  fettgedruckte 
Zahl  den  Aktenband,  die  folgende  Zahl  das  Aktenblatt. 

Stellen  des  Textes,  die  durch  beigefügte  Anführungs- 
zeichen als  den  Akten  entlehnt  bezeichnet  sind,  geben  viel- 
fach den  Inhalt  dessen,  was  sie  mittheilen  sollen,  nicht  wort- 
getreu, noch  weniger  buchstabengetreu  wieder,  vielmehr  sind 
sie  des  leichteren  Verständnisses  halber  nach  Bedürfniss  in 
das  Hochdeutsche  umgestaltet. 

Gleichzeitig  mit  dem  ersten  Theile  erscheint  eine  den 
Brandenburger  Akten  entlehnte  Urkundensammlung  in  vier 
Bänden;  sie  wird  zur  Ergänzung  der  bis  jetzt  vorhandenen 
märkischen  Urkundensammlungen,  daneben  aber  vielfach 
auch  zur  Erläuterung  dessen  dienen,  was  der  erste  Theil 
dieses  Werkes  ausführt,  und  was  der  zweite  Theil  auszu- 
führen beabsichtigt.  Auf  diese  Sammlung  verweist  die  Ab- 
breviatur ÜB.  hin,  und  zwar  die  dieser  Abbreviatur  nach- 
folgende erste  Zahl  auf  den  betreffenden  Urkundenband,  die 
nachfolgende  zweite  Zahl  auf  die  Seite  des  Bandes. 

Die  am  Schlüsse  des  gegenwärtigen  Bandes  befindlichen 
Abbildungen  von  Siegeln  des  Brandenburger  Schöppenstuhls 
beruhen  auf  Druckstöcken,  welche  der  Direktor  der  chalko- 
graphischen  Abtheilung  der  Reichsdruckerei,  Herr  Geheimer 


Vorwort.  XI 

Regierungsrath  Professor  Rose  die  Güte  gehabt  hat,  in  der 
genannten  Druckerei  anfertigen  zu  lassen.  Den  Druckstöcken 
der  Abbildungen  liegen  Reproduktionen  zum  Grunde,  deren 
drei  von  noch  vorhandenen  Brandenburgern  Siegelstempeln 
gemacht  sind;  zwei  mussten  von  Siegeln  hergestellt  werden,, 
da  die  zugehörigen  Stempel  fehlen.  Das  eine  Siegel  befindet 
sich  in  einer  Siegelsammlung  des  hiesigen  Staatsarchivs,  das 
andere  in  den  Schöppenstuhlsakten.  Von  letzterem  Siegel 
übernahm  die  Reichsdruckerei  die  Reproduktion;  die  vier 
anderen  Reproduktionen  verdanke  ich  der  Gefälligkeit  des 
Direktors  des  hiesigen  Königlichen  Münzkabinett,  Herrn 
Professors  Dr.  Menadier. 

Berlin  im  Oktober  1901. 

A.  Stölzel. 


Inhaltsübersicht. 


Seite 

I.  Einleitung i —  13 

Gelehrtes  Recht  und  Reception  1.  Spuren  altgerma- 
nischen Rechts  im  heutigen  Recht,  Beispiel  in  der 
Lehre  vom  Schadensersatz  3.  Belehrung  im  Rechte  7. 
Schöppenstühle  als  Oberhöfe  8. 

IL  Material 14—  35 

1.  Die  108  Folianten  der  Brandenburger  Schöppenstqhls- 
akten  14.  Register  dazu  21.  Urtheilskopien  und  lTr- 
theilsentwürfe  24.  Auszüge  von  Oberhofssprüchen  in 
Magdeburg  13,  in  Iglau  25,  in  Frankfurt  a.  M.  25,  in 
Ingelheim  26,  in  Brandenburg  26,  in  Jüterbog  30,  in 
Stettin  30. 

2.  Das  Brandenburger  Schöppenbuch  von  1692  ff.  31. 
„ Vermachungen  des  vierten  Pfennigs  etc.**  von  1297 
bis  1389  in  der  Neustadt  Brandenburg  32.  Neustädter 
Rathsbuch  von  1386  bis  1480  33.  Neustädter  Schöppen- 
buch von   1492  bis  1548  33. 

3.  Raths-  und  Gerichtsbücher  des  Brandenburger  Amts- 
gerichts von  1534  bis  1662  34.  Archivalien  der  Stadt 
Brandenburg  34,    des   Berliner  Geheimen  Staatsarchivs 

34.  3  Bände  Konzeptbücher  des  Leipziger  Schöppen- 
stuhls  34.  Luckauer,  Zerbster,  Tangermünder,  Stettiner 
Archivalien  34.     Akten  des  Berliner  Justizministeriums 

35,  des  Berliner  Kammergerichts  35,  des  Naumburger 
Oberlandesgerichts  35.     Leichcnpredigtsammlungen  35. 

Erster  Theil. 
Der  Brandenburger  Schöppenstuhl 

(1232—1817). 

1.  Buch. 

Oertlichkeiten.    Titulaturen  und  Anreden. 
§  1.  Oertlichkeiten 39 —  65 

Lage  der  Stadt  Brandenburg  39.  Burg,  Homeienbrücke, 
Rathhaus,  Schöppenhaus  39.  Altstadt  und  Villa  Parduin 
40.  „Zwischen  beiden  Städten"  40.  „Zur  Klinke4'  41. 
„Homeienbrücke"  46.  „Lange  Brücke**  47.  Neues 
Schöppenhaus  49.  Altes  Schöppenhaus  52.  Vier  Orte 
der  Rechtspflege  in  Brandenburg  52.  „Scheppen  zu 
Brandenburg4'  53.  „Vocativus  vor  Brandenburg44  55. 
Weiteres  Schicksal  des  Schöppenhauses  60.  63.  Dessen 
Einsturz  62.     Ersatzlokalitäten  03. 


Inhaltsübersicht.  XIII 

Seite 

§  2.   Titulaturen  und  Anreden 65 —  87 

Schoppen  zu  Brandenburg  und  Schoppen  beider  Städte 
Brandenburg  66.  Weisen,  Weisthümer,  Weisheit  67. 
Richtstuhl  und  Schöppenstuhl  beider  Städte  Branden- 
burg 68.  Prädikate  wohlgelehrt  und  hochgelehrt  69. 
Kurfürstliche  verordnete  Schoppen  71.  Assessoren  72. 
Scabinatus,  Seniores.  Senior  75.  Verordnete  Senior  und 
Assessores  78.  Prädizirung  der  Mitglieder  des  Schöp- 
penstuhls  81.  Graduirte  im  Schöppenstuhl  83.  Raths- 
titel  85.     Häufung  von  Prädikaten  85. 

2.  Buch. 

Personal. 

$  3.   Vorbemerkung '    .     .     .     .  88 —  91 

1.  Abschnitt.     Schöppenschreiber      .     .     .  91 — 133 
§4.    Altstädtische  Schöppenschreiber 91 — 114 

Schulmeister  und  Stadtschreiber  91.  Schöppenschreiber 
92.  L.  Demker  93.  A.  Ackermann  94.  S.  Roter  96. 
G.  ßoldicke  99.  M.  Dobergast  100.  S.  Bardeleben 
100.  Z.  Garz  102.  Die  Urheber  der  Spruchsammlung 
103.  G.  Bluhm  106.  D.  Kuhns  107.  M.  Düring  108. 
P.  Weitzke  109.  Chr.  Bardeleben  110.  C.  Düring 
m.    A.Moritz   112.    J.  Ortelius  1 13.    L.  Saxonius   113. 

$  5.    Neustädtische  Schöppenschreiber      ....     115 — 129 

P.  Teidener  115.  N.  Plawe  118.  B.  Pletz  118.  J.  Schles- 
wig 119.  S.  Carpzow  119.  J.  Mawe  120.  J.  Heinatz 
122.  B.  Boldicke  123.  J.  Floring  123.  M.  Vossbein 
125.  J.  Tornow  125.  J.  Karge  126.  A.  Moritz  127. 
B.  Schwarz   127.     C.  J.  Berchelmann   128. 

§  6.   Secretarii  scabinatus 129 — 133 

J.  C.  Held  129.  M.  Knüttel  130.  M.  Junius  130. 
B.  C.  Pfraundt  131.    J.  W.  Steltzner  131.   J.  F.  Kriele  132. 

F.  Katsch    132.     G.  Müller   133.     G.  Tappenbeck   133. 

2.  Abschnitt.    Schoppen 133 — 176 

§  7.   Altstädtische  Schoppen  • 133 — 150 

Vorbemerkung  133.  N.  Berenwalde  135.  M.  Bellin 
136.     L.  Demker   136.     V.  Schmidt  136.     M.  Meynicke 

138.  M.  Bardeleben   138.     Th.  Liep  139.     A.  Schuller 

139.  A.  Holstein    139.      S.  Roter    139.      V.   Schwarz 

140.  S.  Bardeleben  140.  F.  Garz  140.  Z.  Garz  141. 
J.  Lampert  141.  G.  Bluhm  141.  C.  Prätorius  142. 
D.    Kuhns    142.      J.    Grell     142.      C.    Haveland    143. 

G.  Chueden  143.  J.  TiefFenbach  144.  Chr.  Bardeleben 
145.  P.  Weitzke  145.  L.  Saxonius  145.  C.  Junius  146. 
P.  Müller  146.  D.  Cichorius  147.  G.  Böckel  147. 
J.  Berchelmann  147.  F.  Kriele  147.  B.  Didden  148. 
F.  P.  Deodati  148.  F.  Katsch  149.  J.  Chr.  Hanne- 
mann  1 50.     J.  W.  Steltzner   1 50.     P.  Lange   1 50. 


XIV  Inhaltsübersicht. 

Seite 

i  8.    Neustädtische  Schoppen 151 — 168 

N.  Blankenfeld  151.  C.  v.  Guelen  152.  A.  Grelle  153. 
C.  Olste  153.  A.  Krüger  153.  C.  Storbeck  153. 
H.  Nickel  153.  G.  Bester  154.  M.  Vielitz  155.  Fr. 
Welsow  155.  L.  Scholle  155.  M.  Iden  156.  J.  Poppe 
157.  Th/Storbeck  157.  B.  Boldicke  158.  C.  Zabel 
159.  J.  Floring  159.  B.  Zieritz  160.  J.  Buchholtz  163. 
J.  Schale  163.  J.  Iden  164.  A.  Moritz  165.  B.  Schwarz 
165.  M.  Buchholtz  165.  P.  Müller  165.  C.  Nicolai 
165.  M.  Müller  166.  J.  Gramer  166.  C.  Pfreundt  167. 
L.  Cläpius   167.     J.  F.  Pfreundt   167.     M.  Heins   168. 

§  9.    Scabini  der  Einheitsstadt 168 — 176 

J.  Knackrügge  169.  J.  A.  Giesecke  171.  H.  J.  Oel- 
schläger  171.  J.  E.  Plümicke  172.  J.  Ch.  Stein beck  172. 
W.  G.  Schütte  173.  Chr.  B.  Braun  174.  G.  F.  Grust  174. 
J.  Richter  174.  J.  F.  Pauli  175.  J.  A.  Rudolli  175. 
C.W.  Hugo  175.  Zierhold  175.  Fabricius  175.  F.  L. 
Uhde  176.     S.  I).  Steinbeck  17t». 

3.  Buch. 

Ausbildung  des  Personals. 
§  10.    Notariat 177—184 

Bedeutung  des  Notariats  177.  Notare  in  der  Mark 
Brandenburg   181.     Ausbildung  eines  Notars   182. 

5  11.    Schulen 184 — 189 

General-  und  Partikularstudien  184.  Cunabula  legum 
185.     Schulung  in  Schreibstuben   186. 

$  12.    Universitäten 189 — 196 

Artisten  und  Juristen  189.  Beginn  des  juristischen 
Studiums  in  der  Mark  191.  Die  von  Brandenburgern 
besuchten  Universitäten  192.  Schriftsteller  unter  den 
Schoppen  193.  Rechtsgelehrte  im  Rath  märkischer 
Städte  194.     Graduirte   195. 

$  13.    Bibliothek 197 — 232 

Aeltester  Bücherkomplex  197..  Vitis  Bibliothek  199. 
Mag.  P.  Viti  204.  Vitis  Studien  210.  Ein  Stück  Kol- 
legicnheft  212.  Magdeburg  als  Herkunftsort  der  Bücher 
Vitis  213.  Ueberführung  seiner  Bücher  nach  Branden- 
burg 214.  Sabinus  als  deren  Benutzer  215.  Erwerb 
der  Bücher  durch  die  Altstadt  Brandenburg  216.  Weitere 
Entwicklung  der  altstädtischen  Bibliothek  217.  Neu- 
städtische  Bibliothek  220.  Aussonderung  einer  Schop- 
penstuhlsbibliothek 221.  Deren  Vereinigung  mit  der 
Rathsbibliothek  223.  Anfall  der  Bibliothek  Oelschlä- 
gers  224.  Deren  Bestandtheile  (Bücher  Nickels,  Ticffen- 
bachs.  Nicolais,  Buchholtz',  Kayes)  225.  Erwerbungen 
in  der  2.  Hälfte  des  18.  Jahrh.  229.  Bibliothekare  230. 
Verhandlungen  über  die  Bibliothek  nach  Aufhebung  des 
Schöppcnstuhls;  Vergleich  von   1810/29. 


Inhaltsübersicht.  XV 

Seite 

4.  Buch. 

Entwicklung  der  Organisation. 
:§  14.    Ausblick  auf  andere  Schöppenstühle  .     .     .     233—256 

Magdeburg  233.  Iglau  239.  Ingelheim  240.  Geln- 
hausen und  Wimpfen  244.  Frankfurt  a.  M.  244.  Aachen 
245.    Halle  246.    Leipzig  248.    Lübeck  252.    Consilien 

253- 

^  15.    Vorgeschichte    des    Schöppenstuhls    beider 

Städte  Brandenburg  (1232  bis  1432)     .     .     .     256 — 273 

Brandenburgs  älteste  Belehrungsthätigkeit  257.  Mär- 
kisches Oberhofsnetz  257.  Loslosung  von  Magdeburg 
258.  Brandenburger  Privilegien  von  131 5  und  1324; 
altstädter  und  neustädter  Oberhof  258.  Entwicklung 
des  Oberhofs  beider  Städte  Brandenburg  264.  Städte- 
bündnisse und  Brandenb.  Recht  266.  Zehn  Mitglieder 
267.  Weisthum  für  Krankfurt  a.  ().  von  1376  270. 
Zeit  der  Vereinigung  der  beiderstädtischen  Schöppen- 
kollegien   272. 

§  16.    Der  Schöppenstuhl  beider  Städte  Branden- 
burg bis  zur  Joachimica  (1432  bis  1527)   .     .     273 — 287 

Frankfurter  Begleitbrief  von  1432  273.  Anfrage  des 
Dorfgerichts  Bernewitz  von  1443  274.  Der  Schildcsche 
Vocabularius  in  Brandenburg  275.  Aeltester  Branden- 
burger Schöppenstuhlsspruch  (1455)  276.  Beziehungen 
der  Mark  zu  Magdeburg  (1488,  1503,  Belehrung  durch 
die  kurfürstlichen  Käthe)  280.  Brandenburger  Sprüche 
aus  dem  15.  Jahrh.  280,  aus  dem  ersten  Viertel  des 
16.  Jahrh.  282.  Ergänzungen  aus  der  Brandenburger 
Spruchsammlung  284.  Straffall  aus  15 21  285.  Kopei- 
liche  Urtheile  286. 

§  1 7.    Joachimica 287  -301 

Motive  287.  Verfasser  288.  Bedeutung  290.  Sachsen- 
recht und  Kaiserrecht  292.  Lossagung  vom  Sachsen- 
spiegel 295.  Brandenburgisches  Recht  296.  Erb-  und 
Güterrecht  298.     Straffälle  300. 

£  18.    Auf  die  Einholung  der  Rechtsbelehrung  be- 
zügliche Anordnungen  seit  der  Joachimica   .     301 — 315 

Vcrhältniss  zu  Magdeburg  301,  zu  Leipzig  303.  Blöthe- 
zeit  des  Brandenburger  Schöppenstuhls  305.  Civil-  und 
Kriminalsachen  306.  Vergleichung  mit  dem  Schöppen- 
stuhl zu  Stettin  306.  Kriminalsachen  und  die  Univer- 
sität Frankfurt  im  Anfange  des  17.  Jahrh.  309.  Kammer- 
G.O.  von  1709  311.  Kriminalordnung  von  17 17  311. 
Edikt  von  1723  312,  von  1732  313.  Verbot  der  Akten - 
Versendung  von   1746  314. 

§  19.    Wahl  und  Bestellung  der  Schoppen  .     .     .     316 — 333 

Kooptation  und  landesherrliche  Bestätigung  316.  Lebens- 
länglichkeit 318.  Verwandtschaft  unter  den  Schoppen 
321.    Schöppenamt  ein  Nebenamt  323.    Prüfungswesen 


XVI  Inhaltsübersicht. 

Seite 

324.  „Ansctzung"  der  Schoppen  327.  Schöppeneide 
328.  „Aufführung"  der  Schoppen  331.  Kirchgang  333. 
Marinegeld,  Rekrutengeld.  Eintrittsgeld  333. 

5.  Buch. 

Konsul  enten. 

1.   Abschnitt.      Konsulenten    aus  Branden- 

burg-Preussen  .     .     .     .     .     334 — 440 

§  20.    Vorbemerkung 334 — 340 

§21.    Stadtgerichte 340 — 348 

Märkische  Städte  341.  Städte  angegliederter  Landes- 
theile  346. 

§  22.    Landesherr 348-460 

Befehle,  Rechtsbelehrung  in  Strafsachen  einzuholen  349, 
in  Civilsachen  350.  Kommissarien  351.  Landesherr- 
liche Einwirkung  auf  den  Belehrungsspruch  352.  Fall 
Königsmark  353.  Fall  Dobbersitz  353.  Beschwerde 
an  den  Kurfürsten  gegen  einen  Brandenburger  Spruch 
358.  Versendung  nach  Brandenburg  bei  Berufungen 
gegen  Kammergerichtsurtheile  359.  Anfragen  der  Bran- 
denburger beim  Kurfürsten  360. 

§  23.    Kammergericht  und  Geheimer  Justizrath     .     361 — 374 

Zuständigkeit  des  Kammergerichts  361.  Kammerge- 
richtsabschiede 361.  Verhältniss  des  Schöppenstuhls 
zum  Kammergericht  362.  Brandenburger  Belehrungen 
in  kammergerichtlichen  Sachen  367.  Edikt  von  1723 
367.  Edikt  von  1725  370.  Einholung  von  Belehrungen 
durch  den  Geheimen  Justizrath  370.  Schöppenstuhl  und 
Reichskammergericht  371.  Reichshofrath  375.  Reichs- 
hofgericht Huckarde  376. 

§  24.    Generaldirektorium  und  Generalauditoriat  .     376 — 377 

§  25.    Hof-   und    Quartalsgerichte.      Regierungen. 

Domänenkammern 378-385 

Hofgerichte  und  Quartalsgerichte  378.  Regierungen  380. 
Kammern  381.  Regierungen  später  angefallener  Landes- 
theile:  Halberstadt  382,  Kleve  383,  Meurs,  Giebichen- 
stein,  Minden,  Rhede  384,  Quedlinburg  385. 

§  26.    Konsistorien 385 — 397 

Geistliche  Gerichtsbarkeit  in  der  Mark  385.  Recess 
von  1445  387.  Einfluss  der  Reformation  388.  Branden- 
burger Spruchpraxis  in  kirchlichen  Angelegenheiten  389. 
Straf gerichtsbarkeit  gegen  Geistliche  391.  Mitwirkung 
des  Konsistoriums  395.  Anfragen  des  Konsistoriums 
in  Brandenburg  396.  Kriegskonsistorium  und  Schöppen- 
stuhl 397. 

§  27.    Landgerichte 397 — 402 

Landgericht  zur  Klinke  398.  Landgericht  der  Priegnitz 
398.  Landgericht  der  Altmark  400.  Landgerichte  in 
später  erworbenen  Landestheilen  401. 


Inhaltsübersicht.  XVII 

Seite 

§  28.    Hauptleute 402—408 

§  29.    Aemter 408—413 

Amtsverwalter,  Amtsschreiber  409.  Amt  412.  Amts- 
richter 413. 

§30.    Dorfgerichte 413 — 424 

Schöppenbücher  in  Dörfern  413.  Verurkundung  vor 
der  Bauerschaft  415,  im  Gerichtsbuch  der  .  nächsten 
Stadt  417,  vor  Zeugen  ausserhalb  des  Gerichts  417. 
Prozessführung  der  Dorfbewohner  vor  dem  Stadtgericht 
Ruppin  418.  Prozessverhandlungen  vor  Dorfgerichten 
bis  1565  420.  Uebergang  der  dorfgerichtlichen  Rechts- 
pflege auf  die  Beamten  und  die  Junker  423. 

§31.    Junker 424—440 

Schulzenamt  und  Schulzcngericht  425.  Grundeigen- 
tümer als  Gerichtsherren  426.  Gerichtsherrinnen  430. 
Gerichts  Verwalter  als  Vertreter  des  Gerichtsherrn  432. 
Erste  gelehrte  Gerichtsverwalter  433.  Gesammtrichter 
434.  Stellung  des  Gerichtsherrn  435.  Justitiar  436. 
Graduirte  437.  Gerichtsherr  als  judex  Ordinarius  437, 
jndex  in  propria  causa  438. 

§  32.    Universitäten 

2.  Abschnitt.     Auswärtige  Konsulenten 
§  33.    Konsulenten  aus  deutschen  Landen     .     . 

Pommern  441.  Magdeburg  443.  Hildesheim,  Pader 
born,  Sachsen,  Lauenburg,  Quedlinburg,  Schlesien  444 
Anhalt  445.  Mecklenburg  446.  Braunschweig  450 
Kursachsen  451.     Hamburg  451. 

§  34.    Konsulenten  aus  Polen 452 — 453 

6.  Buch. 
Verfahren. 

§  35.    Missiven  und  Akteneinrichtung 454 — 463 

Bericht,  Gegen  beri cht,  Missive  454.  Schöppenschreiber 
als  Verfasser  der  Missiven  456.  Rasche  Erledigung 
458.  Beifügung  der  Akten  459,  deren  Rücksendung 
461.     Papierbedarf  462.     Eingelegte  Zettel  463. 

§  36,    Eingang  der  Schöppensachen] 463 — 471 

Form  und  Anlass  der  Einsendung  463.  Einsendung 
von  Amtswegen  465.  „Schöppensache"  466.  Boten- 
abfertigung 467.     Frist  für  die  Erledigung  469. 

§  37.    Behandlung  der  Schöppensachen    ....     471—500 

Zu  Schöppenhaus  kommen  472.  Vertheilung  der  ein- 
gegangenen Sachen  473.  Stellung  des  Seniors  475, 
des  Schöppenschreibers  476.  Selbständigkeit  des  Seniors 
475.  Seine  Ratifikation  480.  Cirkuliren  der  Akten 
481.  Schriftlicher  Verkehr  unter  den  Schoppen  482. 
Schriftliches  Votiren  485.  Umgehung  der  Gesammt- 
eitzung  487.  Theilnahme  von  Schoppen  beider  Städte 
bei  jedem  Spruche  488.  Turnus  bei  der  Aktenverthei- 
lung  489.     Erste  schriftliche  Vota  490.    Geschäfte  des 


440 

441—453 
441—452 


XVIII  Inhaltsübersicht. 

Scite- 
Rathsdieners  490.  Entwurf  des  Spruchs  in  der  einen 
Stadt,  Ausfertigung  in  der  anderen  491.  Beispiel  schrift- 
lichen Votirens  und  Abstim  mens  492.  Reihenfolge  der 
Schoppen  bei  der  Abstimmung  493.  Vertretung  des 
Schöppenschreibers  durch  einen  Schoppen  494.  Bericht 
von  1717  über  den  Geschäftsgang  497.  Bildung  des 
Mehrheitsbeschlusses  497. 

§  38.    Herstellung  der  Sprüche 500 — 536 

Spruchform  500.  Belehrungs-  und  Urtheilsform  501. 
Sentenz  und  Responsum  503.  Aufbau  der  Spruche  504. 
Schlussklausel  „von  Rechtswegen"  505.  Blosse  Re- 
gistratur über  den  Inhalt  des  abgegebenen  Spruchs  507. 
Aktenauszüge  und  Relationen  508.  Entstehung  der 
Auszüge  508.  Species  facti  und  Status  causae  509. 
Relation  510.  Rationes  512.  Sprüche  „im  Namen"  des 
Gerichts  521,  deren  Entstehung  um  1600  521.  Schöp- 
penstuhls-Urtheile  und  -Gutachten  524.  Sonderstellung 
der  adligen  Gerichte  529.  Sprüche  im  Namen  des 
Landesherrn  530.  Spruchreinschriften,  Urschriften  oder 
Abschriften  in  den  Schöppenstuhlsakten53o.  Korrekturen 
von  Fehlern  532.  Nicht  abgeholte  Reinschriften  5 $5. 
Form  und  Umfang  der  Reinschriften  535.  Der  Schöp- 
penschreiber  als  Schreiber  der  Reinschrift  535. 

§  39.    Siegelung 53Ö— 552 

Bedeutung  der  Siegelung  537.  Siegelbewahrer  539. 
Entwicklung  der  Brandenburger  Schöppensicgel  540. 
Die  drei  vorhandenen  Siegelstempel  541.  Die  Siegel- 
felder der  vorhandenen  Stempel  541.  Entstehungszeit 
der  Siegelstempel  543.  Anbringung  der  Siegel  550. 
Material  550.  Die  Siegel  entsprechen  dem  Entwick- 
lungsgang des  Schöppenstuhls  552. 

§  40.    Gebühren  und  Gehalt 552 — 574 

Schöppengeld  552.  Vervielfältigung  desselben  554. 
Verfahren  bei  ungenügend  vorgelegtem  Schöppengelde 
556.  Uebergang  zur  Gulden-  und  Thalerrechnung  558. 
Klagen  über  zu  hohen  Ansatz  5Ö0.  Einführung  einer 
Schreibgebühr  561.  Gebührenbetrag  vom  Anfange  des 
17.  Jahrhunderts  an  561.  Zahlptlicht  des  Landesherrn 
und  seiner  Familie  563.  Vereinnahmung,  Verwahrung, 
Vertheilung  564.     Schöppenzins  569.     Gehalt  570. 

Schluss 575—595 

Gründe  zur  Einholung  von  Rechtsbelehrung  575.  Kosten- 
und  Zeitersparniss  576.  Oberflächlichkeit  578.  Kon- 
träre Sprüche  579.  Fehlerhafte  Sprüche  580.  Auf- 
hebung der  eigenen  Sprüche  585.  Wünsche  des  An- 
fragenden, wie  erkannt  werden  möge  585.  Misstrauen 
gegen  die  Schöppenstühle  589.  Uebelstände  592. 
Aktenversendnng  als  Nothbehelf  593.    Ihre  Vorzüge  594. 

Anlagen: 

Tabelle  des  Personals  des  Schöppenstuhls 597 

Nachträge 6lO 

Abbildung  der  Siegel 6ll 


I.  Einleitung. 

Das  Inkrafttreten  unseres  Bürgerlichen  Gesetzbuchs  bildet 
zwar  sicher  nicht  den  Schlussstein  unserer  Rechtsentwicklung, 
aber  ebenso  sicher  doch  einen  Merkstein.  Von  diesem  Merk- 
stein aus  wird  es  nützlich  sein,  einen  Rückblick  zu  werfen 
und  die  Frage  ins  Auge  zu  fassen,  auf  welchem  Wege  die 
deutsche  Rechtswissenschaft  und  Rechtsprechung  dahin  ge- 
langt ist,  ein  solches  Gesetzbuch  schaffen  zu  können.  Die 
Vorbereitung  dazu  war  nicht  das  Werk  weniger  Jahre  oder 
Jahrzehnte,  sondern  das  Werk  mehrerer  Jahrhunderte.  Deut- 
licher als  unsere  Rechtsliteratur  legt  Zeugniss  von  dieser  Vor- 
bereitung unsere  Rechtsprechung  ab.  Den  Gang,  den  sie 
ging,  ist  des  Näheren  zu  entwickeln  noch  nicht  unternommen 
worden.  Zwar  weiss  jeder  Jurist,  dass  ein  Spruch  unserer 
alten  Schöffen  innerlich  und  äusserlich  anders  gestaltet  war 
als  ein  heutiger  Richterspruch.  Wie  es  sich  aber  vollzog, 
dass  dieselbe  Behörde,  die  vor  Jahrhunderten  Schöffensprüche 
ausgehen  Hess,  im  Laufe  der  Zeit  sich  der  Manier  zuwandte, 
in  der  gegenwärtig  Urtheile  abgefasst  zu  werden  pflegen, 
davon  ist  nur  wenig  bekannt.  Zwang-  und  fast  spurlos  gleitet 
die  eine  in  die  andere  Manier  vor  dem  sie  verfolgenden  Blicke 
über;  so  scharf  die  Endpunkte  sich  als  Gegensätze  heraus- 
heben, so  wenig  scharf  lässt  die  Zwischenlinie  in  Perioden 
sich  zertheilen  oder  gar  nach  Perioden  sich  darstellen. 

Wenn  man  von  einer  „Reception44  der  fremden  Rechte 
redet,  so  legt  das  den  Gedanken  nahe,  als  hätten  diejenigen, 
welche  recipirten,  in  der  Erkenntniss,  dass  das  bisher  in 
Deutschland  geübte  Recht  den  Bedürfnissen  des  Lebens 
nicht  mehr  vollständig  genüge  und  deshalb  anderweit  ersetzt 
werden  müsse,  zu  dem  besser  durchgebildeten  römischen 
Rechte  gegriffen,  weil  sie  selbst  sich  nicht  im  Stande  ge- 
fühlt hätten,    ein    eigenes  Recht  zu   schaffen.     Von  diesem 

S  tölsel,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  I 


2  I.    Einleitung. 

Gedanken  werden  sich  schwerlich  Spuren  finden  lassen.  Mit 
der  Aufnahme  des  römischen  Rechtes  verhält  es  sich  kaum 
anders,  als  mit  der  Aufnahme  der  antiken  Gedankenwelt  in 
unsere  Philosophie,  unsere  Grammatik,  unsere  Mathematik. 
Noch  Niemand  hat  hier  von  einer  „Reception"  der  antiken 
Philosophie,  Grammatik  oder  Mathematik  geredet.  Die  ge- 
sammte  wissenschaftliche  Welt  ruht  auf  antiker  Grundlage. 
Deshalb  ruht  darauf  auch  unser  Recht  von  der  Zeit  an,  in 
welcher  sich  die  Ueberzeugung  Bahn  brach,  dass  das  Recht, 
dessen  Kenntniss  man  sich  in  Deutschland  bisher  nur  im 
Wege  praktischer  Uebung  angeeignet  hatte,  ein  Gegen- 
stand wissenschaftlicher  Lehre  sei.  Dieser  Lehre  konnte 
Niemand  anderswo  theilhaftig  werden  als  auf  den  Uni- 
versitäten, erst  auf  denen  Italiens  und  Frankreichs,  dann 
auch  auf  denen  Deutschlands.  Mit  der  Herrschaft  des 
Humanismus  begann  für  uns  auch  die  Herrschaft  wissen- 
schaftlich gelehrten  Rechtes  und  damit  des  römisch- 
kanonischen Rechtes,  nicht  etwa,  weil  man  sich  dies  Recht 
als  das  vorzüglichste  und  besonders  zum  Lehren  geeignete 
unter  verschiedenen  Rechten  ausgesucht  hätte,  sondern  weil 
es  überhaupt  kein  anderes  wissenschaftlich  gelehrtes  Recht 
gab.  Nicht  um  in  dem  römisch  -  kanonischen  Rechte, 
sondern  um  in  dem  Rechte  gelehrt  und  belehrt  zu  werden, 
bezogen  unter  den  aus  der  gesammten  Kulturwelt  herbei- 
strömenden Jüngern  des  Humanismus  auch  die  Deutschen 
fremde,  wie  einheimische  Hochschulen.  Davon,  dass  sie 
fremdes  Recht  heimbrachten,  um  es  auf  ihre  heimischen  In- 
stitutionen aufzupfropfen,  fehlte  ihnen  jedes  Bewusstsein.  Wie 
die  Gelehrsamkeit  sich  überhaupt  als  Folge  der  mittelalter- 
lichen humanistischen  Zeitströmung  erst  sehr  allmählich  in  die 
unteren  Schichten  verbreitete,  so  auch  die  Rechtsgelehrsam- 
keit. Deshalb  ist  der  Akt  der  s.  g.  Reception  der  fremden 
Rechte  ein  Akt,  der  von  seinem  Beginne  bis  zu  seinem  Ab- 
schlüsse Jahrhunderte  umfasst.  Ursprünglich  war  Gelehrsam- 
keit eine  Domäne  des  Klerus.  Der  römische  Klerus  durfte 
am  ehesten  das  römische  Recht  als  sein  Recht  betrachten; 
er  modelte  es  für  sich  um  in  seinem  corpus  juris  canonici 
und    wachte    dann    eifersüchtig    darüber,    dass    dieses    sein 


I.    Einleitung.  3 

# 

corpus  juris  die  Grundlage  des  gelehrten  Rechtes  zu  bilden 
habe;  darum  erging  im  dreizehnten  Jahrhundert  das  auf  lange 
Zeit  festgehaltene  päpstliche  Verbot,  anderes  als  kanonisches 
Recht  auf  den  Universitäten  zu  lehren.     Papst  Honorius  III. 
stellte  sich  mit  diesem  Verbot    auf   denselben  autokratischen 
Standpunkt,  wie  einst  Justinian  und  wie  später  Friedrich  der 
Grosse,  deren  jeder  neben  seinem  Gesetzeswerke  nichts  An- 
deres als  Rechtsquelle  dulden  wollte,  oder  wie  Einzelne  unter 
unseren  heutigen  Juristen,    die   das  Bürgerliche  Gesetzbuch 
aus  sich  selbst  erklären  und  mit  dessen  geschichtlichen  Grund- 
lagen brechen  möchten.    Hatte  aber  von  Haus  aus  der  Klerus 
die  nächste  Anwartschaft,  vom  „gelehrten"  Rechte  Besitz  zu 
ergreifen,  so  kann  es  nicht  Wunder  nehmen,  dass  die  ersten 
Spuren  römischen  Rechtes  in  Deutschland  sich  da  finden  — 
und   zwar  schon  im  dreizehnten  Jahrhundert  — ,  wo  Männer 
des  Klerus  ihre  Hand  im  Spiele  haben.     Aus  den  klerikalen 
Kreisen  sickert  dann  das  fremde  Recht  und  die  Gelehrsam- 
keit im  Rechte  weiter  in  die  fürstlichen  Hofkreise,  in  denen 
ja  der  Kleriker  seine  Stelle  hat,  von  da  in  die  Hofgerichte, 
auch  in  die  Schöffenstühle,    soweit  sie  nicht  vor  der  Macht 
des  fremden  Elements  verschwinden,  endlich  in  die  Kreise  der 
ländlichen  Amtleute  und  Gerichte.   Dass  die  rechtsprechenden 
Organe  ohne  ausdrückliche  Gesetzesanordnung  von  der  An- 
wendung eines  deutschen  Rechtssatzes  zur  Anwendung  eines 
abweichenden  römischen   Rechtssatzes  übergingen  und  über- 
gehen konnten,    wurde  wesentlich   durch  den  Gegensatz  der 
einstigen  und  der  heutigen  Art  der  Rechtsprechung  gefördert: 
ein    Richter,    der   keine  Entscheidungsgründe  zu  geben  hat, 
und    der  in  ganz  anderem  Maasse    als    der    heutige  Richter 
Billigkeitsrücksichten    bei   seiner  Entscheidung  in  die  Wag- 
schaale  fallen  lassen  oder  dem  örtlichen  Gewohnheitsrechte, 
der  Gewohnheit  seines  speziellen  Gerichts  Einfluss  einräumen 
darf,  empfindet  es  als  keine  besondere  Schwierigkeit,  heute 
das  nach  altdeutschem  Rechte  dem  Schwertmagen  eines  Ge- 
tödteten   gebührende    Sühngeld    den    Brüdern   zu-    und    der 
Witwe   nebst  deren  Tochter  abzusprechen,   morgen  aber  es 
unter  Brüder,  Witwe  und  Tochter  nach  Köpfen  zu  vertheilen, 
weil  er  Witwe  und  Tochter   nicht   darben  lassen  mag,  oder 

i* 


4  I.    Einleitung. 

weil  es  „dieses  Gerichts u  Gewohnheit  entspricht.  Es  liegt 
auf  der  Hand,  dass  bei  einer  solchen  Entwicklung  von 
einer  Aufnahme  des  römischen  Rechtes  „in  complexu*  keine 
Rede  sein  kann  und  nie  hätte  die  Rede  sein  sollen:  der  einzelne 
römische  Rechtssatz  ist  vom  einzelnen  rechtsprechenden  Or- 
gane dann  aufgenommen,  wenn  es  ihn  aufzunehmen  für  gut 
erachtete.  Ein  heutiger  Jurist  z.  B.  wird  sich  der  Verwun- 
derung nicht  erwehren  können,  wenn  er  unter  den  im  Jahre 
1592  gefällten  Sprüchen  des  Oberhofes  zu  Stettin  folgenden 
liest:  „Hat  N.  N/s  Pferd  euern  Bruder  abgeworfen,  also 
dass  er  davon  des  Todes  worden,  und  hat  N.  N.  solches 
Pferd  bei  sich  behalten  und  nicht  proscribirt,1)  so  ist  er 
schuldig,  den  Schaden  so  hoch,  als  das  Pferd  werth  gewesen, 
zu  büssen".  Schwerlich  ist  auch  den  Verfassern  dieses 
Spruches  während  ihrer  Universitätsstudien  ein  Rechtssatz 
gelehrt  worden,  auf  den  eine  solche  Entscheidung  sich  stützen 
könnte.  Und  doch  hat  sie  ihren  guten  Grund,  freilich  keinen 
römischen,  wohl  aber  einen  deutschen;  sie  beruht  auf  der 
Vorschrift  des  Sachsenspiegels  (II,  40  §§  1.  2),  nach  welcher 
der  Herr  eines  Hundes,  Ebers,  Pferdes  oder  Ochsen  oder 
sonstigen  Viehes,  wenn  durch  ein  solches  Thier  ein  Mann  ge- 
tödtet  oder  gelähmt  wird,  den  Schaden  nach  rechtem  Wergeid 
gelten  soll,  er  müsste  dann  das  Thier  „ausschlagen,2)  weder 
hofen  noch  hausen,  noch  ätzen  noch  tränken";  thut  er  dies,  so  ist 
er  unschuldig  am  Schaden,  und  der  Beschädigte  kann,  sofern 
er  will,  sich  des  Thieres  „für  seinen  Schaden  unterwindenu. 
Deutlich  lässt  sich  auch  an  diesem  Stettiner  Beispiele  der 
Gang  zeigen,  den  unsere  Rechtsentwicklung  und  Recht- 
sprechung genommen  hat.  Der  Sachsenspiegel  knüpfte  an 
die  altgermanische  Auffassung  an,  dass  das  Thier,  das  einen 
Menschen  beschädigte  oder  gar  tödtete,  strafwürdig  sei  und 
wiederum  getödtet  werden  müsse.  Zur  Zeit  des  Sachsen- 
spiegels hatte  sich  diese  Auffassung  dahin  gemildert  und 
verfeinert,    dass   dem    Herrn    des  Thieres    das  Recht   zuge- 

')  =  geächtet.  Die  Abschrift  in  dem  betr.  Stettiner  Urtheilsbuche 
(Stettiner  StA.)  sagt  sinnlos  „präscribirt". 

2)  Das  ist  der  deutsche  Ausdruck  für  das  von  den  Stettiner  Schoppen 
gebrauchte  „proscribiren". 


I.    Einleitung.  5 

standen  wurde,  das  Thier  preiszugeben  (auszuschlagen,  zu 
derelinquiren  oder,  wie  die  Stettiner  sagen,  zu  proscribiren). 
Will  er  es  aber  behalten,  so  hat  er  das  Wergeid  des  Ge- 
tödteten  zu  zahlen  oder  den  entstandenen  Schaden  zu  ersetzen. 
Wenn  die  Stettiner  in  Obigem  die  Höhe  des  Schadensersatzes 
bis  zur  Höhe  des  Werthes  des  Thieres  bemessen,  so  mag 
ihnen  dahei  der  Fall  des  Sachsenspiegels  II,  40  §  4  vorge- 
schwebt haben,  wo  ein  in  der  Obhut  des  Gesindes  befind- 
liches Thier  Schaden  verursacht;  hier  haftet  an  erster  Stelle 
das  Gesinde,  an  zweiter  Stelle  der  Herr;  dieser  aber  nur 
bis  zur  Höhe  des  Werthes,  den  das  schädigende  Thier  hat. 
Die  Parallele  mit  der  römischen  actio  de  pauperie  und  mit 
ihrer  noxae  deditio  liegt  auf  der  Hand.  Beide  Kulturvölker, 
das  deutsche  wie  das  römische,  stimmten  in  dem  Gedanken 
überein,  dass  der  Herr  eines  Thieres,  das  Schaden  verursache, 
haften  müsse,  dem  Rechtsgefühle  beider  widersprach  es 
aber,  überall  eine  unbeschränkte  Haftpflicht  anzuerkennen; 
die  Schranke,  die  der  Germane  zog,  entnahm  er  dem  mehr 
sinnlichen  und  gröberen  Gedankenkreise  einer  Verschuldung 
und  Strafbarkeit  des  Thieres;  der  Römer  stellte  sich  auf  den 
höheren  Standpunkt,  eine  Verschuldung  des  Herrn  des 
Thieres  zu  konstruiren.  Die  Stettiner  Schoppen  des  Jahres 
1592  waren  gelehrte  Juristen;  gleichwohl  hielten  sie  an  den 
Rechtsgrundsätzen  des  Sachsenspiegels  noch  fest;  nur,  wo 
das  heimische  Recht  sie  im  Stiche  liess,  wandten  sie,  gleich 
anderen  Schoppen,  das  ihnen  „gelehrte"  Recht,  d.  h.  das 
römische  Recht,  an.  Den  weiteren  Schritt  that  dann  die 
spätere  Praxis,  die  nichts  mehr  wissen  wollte  von  der 
Aechtung  des  schädigenden  Thieres,  wie  sie  dem  alt- 
deutschen Rechte  zu  Grunde  lag,  aber  auch  nichts  von  der 
noxae  deditio  des  römischen  Rechtes,  die  schwerlich  als 
„recipirt"  nachgewiesen  werden  kann,  bis  dann  den  neueren 
Anschauungen  entsprechend  das  Preuss.  A.L.R.  und  das 
B.G.B.  die  Haftung  desjenigen,  der  das  schädigende  Thier 
„hält",  herausgebildet  haben,  sofern  ihn  ein  Verschulden  trifft. 
Ungeachtet  es  sich  also  um  eine  Zeit  handelte,  zu  der  das 
römische  Recht  in  Stettin,  wie  anderwärts  längst  bekannt 
war,    entschied    hier    der    Oberhof   noch    nach    deutschem 


6  I.    Einleitung. 

Rechte.  Auf  dem  Gebiete  der  Schadensersatzpflicht  ist  auch 
die  weitere  Verfolgung  des  oben  angedeuteten  Satzes  über 
den  Anspruch  der  Verwaadten  eines  Getödteten  von  Interesse. 
Das  durch  die  gemeinrechtliche  Praxis  seit  Alters  anerkannte 
und  in  die  neueren  Gesetzgebungen  übergegangene  Recht 
der  Witwe  und  der  Kinder  soll  nach  verbreiteter  Lehre  auf 
einer  Ausdehnung  beruhen,  die  der  usus  modernus  der  actio 
legis  Aquiliae  gegeben  habe.  Wenn  diese  lex  zwar  bei  Ver- 
wundung, nicht  aber  bei  Tödtung  eines  freien  Menschen  Ent- 
schädigung gewähre,  so  sei  dieser  spitzfindige  Satz,  meinte 
Svarez,  „längst  moribus  abgeschafft",  oder,  wie  Andere  es  aus- 
drückten, der  deutsche  Rechtssatz,  dass  der  Familie  eines  Ent- 
leibten dessen  Wergeid  zur  Genugthuung  gebühre,  sei  meist 
aufgehoben,  der  Witwe  und  den  Kindern  aber  durch  die 
Praxis  zugestanden,  mittels  der  actio  legis  Aquiliae  utilis 
ihren  Unterhalt  zu  fordern.  Ueber  diese  Frage  existirt  eine 
ganze  Literatur  germanistischer  wie  romanistischer  Autoren, 
auch  ist  ein  Responsum  der  Frankfurter  Fakultät  von  1610 
bekannt,  das  dem  Vater  und  der  Witwe  eines  Getödteten  als 
Erben  je  zur  Hälfte  das  Sühngeld  des  Getödteten  zuspricht. 
Einen  klaren  Einblick  in  die  Vorgeschichte  des  nunmehr 
auch  in  unser  Bürgerliches  Gesetzbuch  übergegangenen, 
freilich  wenig  geschmackvoll  formulirten  Satzes,  dass 
schadensersatzpflichtig  sei,  „wer  vorsätzlich  oder  fahrlässig 
das  Leben  eines  Anderen  verletze"  (§  823),  gewinnt  man 
aber  nur,  wenn  man  Schritt  für  Schritt  die  Rechtsprechung 
durch  die  Jahrhunderte  zurückverfolgt.  Hierzu  setzen  die 
Akten  des  Brandenburger  SchöfFenstuhls  ausgiebig  in  den 
Stand.  Mit  Sicherheit  lässt  sich  aus  ihnen  entnehmen,  dass 
die  von  der  Rechtsprechung  anerkannte  Entschädigungspflicht 
des  Todtschlägers  keineswegs  auf  der  lex  Aquilia  und  ihrer 
vermeinten  Ausdehnung,  sondern  ausschliesslich  auf  dem  — 
trotz  recipirten  römischen  Rechtes  festgehaltenen  —  deutschen 
Rechte  beruht,  und  zwar  auf  so  altem  deutschen  Rechte,  dass 
wir  uns  bis  in  die  Zeiten  der  Blutrache  zurückversetzen 
müssen,  um  die  gesammte  Entwicklung  zu  verstehen.  Statt 
Blutrache  zu  nehmen,  oder  —  was  später  an  die  Stelle  der 
Blutrache  trat  —  statt  den  Todtschläger  dem  Arm  der  obrig- 


I.    Einleitung.  7 

keitlichen  Strafgewalt  zu  überliefern,  konnten  die  Schwert- 
magen, denen  die  Pflicht  oblag,  für  des  Todtschlägers  Be- 
strafung zu  sorgen,  mit  ihm  einen  Sühnvertrag  schliessen, 
d.  h.  sich  mit  ihm  „versöhnen"  gegen  Zahlung  einer  Summe, 
die  ursprünglich  in  dem  Wergeid  des  Getödteten  (Manngeld) 
bestand.  Noch  1552  heisst  actenmässig  das  Sühngeld  Manngeld, 
noch  1631  heisst  die  „Aussühnung"  Wergeldium,  und  noch  1689 
stellt  das  sorgsam  angefertige  Inhaltsverzeichniss  der  „Branden- 
burgischen Schoppen  Rechtsbelehrung"  die  verschiedentlich 
darin  vermerkten  Sprüche  über  das  Sühngeld  unter  der 
Ueberschrift  „de  werigeldiou  zusammen.  Wie  aber  aus  diesem 
Sühngeld  ein  auch  den  weiblichen  Erben  ohne  jede  Zuhülfe- 
nahme  der  lex  Aquilia  zufallender  Theil  des  Nachlasses 
wurde,  ist  oben  bereits  angedeutet. 

So  erhielt  sich  weiter,  als  man  annehmen  zu  dürfen 
glauben  wird,  deutsches  Recht  noch  vielfach  in  die  neuere 
Zeit  hinein.  Erst  gegen  Ende  des  achtzehnten,  ja  vielleicht 
erst  im  Laufe  des  neunzehnten  Jahrhunderts  hat  die  Wissen- 
schaft des  gemeinen  Rechtes  einen  solchen  Höhepunkt  er- 
reicht, dass  sie  über  die  rechtsprechenden  Organe  völlige  Herr- 
schaft erlangt  und  dem  Zustandekommen  eines  Gesetzbuchs, 
wie  wir  es  heute  besitzen,  die  Wege  geebnet  hat.  Dem 
„gelehrten"  Rechte  haben  wir  dies  Gesetzbuch  zu  verdanken; 
es  ist  seine  reifste  Frucht. 

Das  Lehren  des  Rechtes  ging  indes  nicht  allein  vom 
Katheder,  es  ging  auch  vom  Gerichtsstuhl  aus,  und  zwar  von 
demjenigen  Gerichtsstuhl,  der  eine  Oberhofsthätigkeit  ent- 
wickelte. Dieser  Gerichtsstuhl  „lehrt"  aber  nicht  das  Recht, 
wie  der  Universitätslehrer,  sondern  er  „belehrt  im  Rechte".  Der 
Ausdruck  ist  technisch:  der  Gerichtsstuhl  ertheilt  einem  anderen 
Gerichtsstuhl  oder  er  ertheilt  den  Parteien  auf  ihre  Anfrage 
„eine  Belehrung  des  Rechten"  (oder  „im  Rechte");  er  spricht 
„zur  Belehrung  des  Rechten".  Was  er  da  spricht,  ist  keines- 
wegs etwa  „gelehrtes  Recht",  sondern  es  ist  das  Gegentheil 
davon:  es  ist  „geübtes"  Recht,  über  das  man  nirgends  eine 
Lehre,  etwa  auf  einer  Hochschule  oder  sonstwie,  erlangen, 
sondern  das  man  nur  aus  dem  Munde  dessen  hören  kann, 
der  es  übt  und  der  es    aus   seiner    Uebung   weiss.     Alt- 


8  I.    Einleitung. 

deutsche  Sitte  war  es,  sich  für  die  Entscheidung  eines  einzel- 
nen Streitfalls  „Belehrung"  bei  angesehenen  Gerichtsstühlen 
zu  holen.  An  diese  Sitte  knüpfte  man  an,  wenn  man  nach 
Aufkommen  eines  „gelehrten"  Rechtes  neben  den  Gerichts- 
stühlen oder  statt  derselben  diejenigen  Stellen  um  „Belehrung" 
anging,  die  zunächst  nur  zum  „Lehren"  des  Rechtes  berufen 
waren,  die  doctores,  die  Juristenfakultäten.  Dass  das,  was 
sie  zur  „Belehrung"  sprachen,  „gelehrtes"  Recht,  d.  h. 
römisches  Recht  war,  verstand  sich  von  selbst.  Anders  bei 
den  Gericntsstühlen.  Das  Recht,  in  welchem  sie  „belehrten", 
war  ursprünglich  deutsches  Recht;  erst  nachdem  die  Ge- 
richtsbeisitzer „gelehrte"  Juristen  geworden  waren*  „belehrten" 
auch  sie  —  aber  unbewusst  —  im  fremden  Rechte.  Ist  man 
also  in  der  Lage,  eine  ununterbrochene  Kette  von  „Be- 
lehrungen", die  ein  Gerichtsstuhl  ertheilte,  von  einer  zweifel- 
los vor  der  Reception  der  fremden  Rechte  liegenden  Zeit 
bis  fast  in  die  Gegenwart  hinein  zu  verfolgen,  so  muss  hier- 
bei die  Art  und  der  Gang  der  Reception  greifbar  vor  Augen 
treten,  greifbarer  als  sonst  irgendwo  in  der  gerichtlichen 
Judikatur.  Denn  solche  Gerichts-  (oder  Schöffen-)Stühle  sind 
die  einzigen  rechtsprechenden  Organe,  in  denen  alte  Zeit  und 
neue  Zeit  sich  verbinden.  Die  fürstlichen  Kanzleien, Kammerge- 
richte oder  Hofgerichte  beginnen  ihre  rechtsprechende  Thätig- 
keit  erst  mit  dem  Auftreten  des  gelehrten  Rechtes,  ja  sie  ver- 
danken ihm  der  Hauptsache  nach  ihre  Entstehung.  Ebenso  die 
Beamten,  die  auf  Instanz  der  Parteien  die  Rechtsprechung 
an  Stelle  absterbender  Schöffengerichte  übernahmen. 

Von  den  als  Oberhöfe  bis  in  die  Neuzeit  erhalten  ge- 
bliebenen Schöffenstühlen  sind  wiederum  solche,  die  ihren 
Sitz  an  Universitätsstädten  oder  Hofgerichtssitzen  hatten,  von 
den  anderen  zu  unterscheiden.  Die  Schöffenstühle  an  Uni- 
versitäts-  oder  Hofgerichtsstädten,  wie  z.  B.  Wittenberg, 
Leipzig  und  —  wenigstens  vom  Schlüsse  des  siebzehnten 
Jahrhunderts  an  —  Halle,  fielen  ganz  oder  zum  Theil  mit  der 
Juristenfakultät  oder  dem  Hofgerichte  zusammen  und  standen, 
selbst  da,  wo  Schöffenstuhl  und  Fakultät  durchaus  getrennt 
besetzt  waren,  immer  doch  unter  dem  Einflüsse  der  Univer- 
sität  oder    des    Hofes.      Ihre    eigenen    Wege    gingen    aber 


I.    Einleitung-.  9 

Schöffenstühle  wie  Magdeburg,  Soest,  Lübeck,  Bremen, 
Frankfurt  a.  M.,  Brandenburg,  Stettin  u.  A. 

Deshalb  gewinnt  das  in  annähernder  Vollständigkeit  vor- 
handene Material  gerade  eines  dieser  letztern  Schöffenstühle 
besonderen  Werth.  Wir  haben  in  solchem  Material  die  sich 
ohne  äussere  Einflüsse  vollziehende  Umgestaltung  der  Recht- 
sprechung vor  uns.  Hinsichtlich  eines  Zweiges  unseres 
Rechtes  hat  schon  1827  Planck  in  seiner  trefflichen  Rede 
über  die  historische  Methode  auf  dem  Gebiete  des  deutschen 
Civilprozesses  auf  die  Wichtigkeit  hingewiesen,  die  es  für 
die  Wissenschaft  des  heutigen  Prozesses  habe,  die  Spuren 
des  älteren  deutschen  Verfahrens  über  die  Reception  hinaus 
zu  verfolgen.  Den  gezeigten  Weg  sind  daraufhin  Stobbe, 
Seuffert,  W.  Endemann  u.  A.  bei  ihren  Erörterungen  über 
die  Entwicklung  des  Konkursprozesses  mit  bestem  Erfolge 
gewandelt.  Gerade  für  diesen  Prozess  liefern  die  branden- 
burger  Akten  reichen  historischen  Stoff.  Ebenso  liegt  aber 
die  Sache  für  viele  andere  Rechtszweige.  Die  Arbeit,  den 
Gang  des  usus  modernus  in  seinen  Einzelheiten  zu  durch- 
forschen, wird  gethan  werden  müssen,  so  gewaltig  auch  das 
zu  durchforschende  Gebiet  sein  mag. 

Auf  die  Umgestaltung  der  Rechtsprechung  hat  dann  noch 
ein  politischer  Faktor  wesentlich  eingewirkt.  Die  Geschichte 
dieser  Umgestaltung  ist  nicht  bloss  zugleich  die  Geschichte 
des  Ueberganges  der  Rechtsprechung  von  den  Auserwählten 
der  Gerichtsgenossen  auf  die  obrigkeitlichen  Beamten,  sondern 
zugleich  der  Verwandlung  der  Volksjustiz  in  Staatsjustiz  oder 
die  Geschichte  der  Erstarkung  der  Landeshoheit.  Schon  in 
römischer  Zeit  erwuchs  neben  der  ordinaria  jurisdictio  eine 
extraordinaria  des  kaiserlichen  Magistrats,  weil  jene  nicht 
mehr  dem  Bedürfnisse  genügte,  und  die  karolingische  Zeit 
kannte  bereits  „das  Ausheischen  einer  Sache  vor  allem  Ur- 
theilu  durch  reclamatio  ad  regis  definitivam  sententiam;  die 
Anrufung  des  obrigkeitlichen  Beamten  an  Stelle  des  Gerichts" 
bahnte  dem  Ex-officio-Handeln  dieses  Beamten  in  Rechts- 
streitigkeiten den  Weg  und  ersetzte  die  Schöffengerichte 
durch  die  „Aemter".  So  fallt  die  Umwandlung  der 
Oberhöfe    zu   gelehrten    Spruchbehörden    damit    zusammen, 


10  !•    Einleitung. 

dass  die  Stadtfreiheit  schwindet  und  der  Oberhof  aus 
einem  städtischen  ein  landesherrlicher  wird.  Das  Wachs- 
thum  der  landesherrlichen  Gewalt  war  zugleich  der  Grund 
des  Verschwindens  der  letzten  Oberhöfe,  nicht  etwa  das 
Eindringen  des  fremden  Rechtes;  denn  sie  bestanden 
noch  lange,  seitdem  das  fremde  Recht  zur  Herrschaft 
gelangt  war.  Mit  einem  straffen,  geordneten  Staatswesen, 
mit  einem  fest  gegliederten  Instanzenzuge  vertrug  es  sich 
schlecht,  den  Parteien  oder  gar  den  Gerichten  das  Recht  zu- 
zugestehen, beliebig  an  anderer  Stelle,  vielfach  sogar  ausser 
Landes,  den  Spruch  Rechtens  sich  zu  erbitten;  die  Oberhöfe 
passten  nicht  mehr  in  die  Zeit,  wenngleich  jedes  ihrer  Mit- 
glieder zu  ordnungsmässiger  Rechtsprechung  vollkommen 
befähigt  war,  sodass  Mitglieder  der  Oberhöfe  mit  deren 
Aufhebung  in  die  Gerichte  übergingen,  ja  vielleicht  schon 
vor  der  Aufhebung  eine  Richterstelle  neben  ihrem  Amte  als 
Mitglied  des  Oberhofs  bekleideten. 

Genaue  Nachrichten,  aus  denen  sich  die  Jahrhunderte 
hindurch  ein  sicheres  Bild  des  Entwicklungsganges  unserer 
Rechtsprechung  entnehmen  Hesse,  liegen  bislang  von  keinem 
deutschen  Gerichte  vor,  überhaupt  giebt  es  noch  keine 
Spezialgeschichte  irgend  eines  solchen  Gerichts,  geschweige 
denn  eines  unserer  Oberhöfe.  Meist  fehlt  das  genügende 
Material  dazu.  Wo  es  in  reichlicherem  Maasse  vorhanden  ist, 
hat  die  Neigung  gefehlt,  die  nicht  geringen  Schwierigkeiten 
zu  überwinden,  um  des  Materials  Herr  zu  werden.  Im  Schöffen- 
stuhl —  oder  richtiger  im  „Schöppenstuhl"  zu  Brandenburg; 
denn  noch  bei  ihrer  formellen  Aufhebung  im  J.  1817  heisst 
diese  Behörde,  wie  im  Jahre  1 863  die  analoge  Behörde  in  Halle, 
„Schöppenstuhl"  und  hat  nie  anders  geheissen  —  ist  der  Cen- 
traloberhof  des  Kurfürstenthums  Brandenburg  zu  erblicken, 
von  dem  aus  sich  strahlenförmig  „die  Belehrung  des  Rechten" 
nicht  bloss  innerhalb  der  Mark,  sondern  auch  innerhalb  benach- 
barter fremder  Territorien  und  später  auch  innerhalb  neuer- 
worbener Landestheile  verbreitete.  Nicht  in  allen  Territorien 
findet  sich  eine  gleiche  Erscheinung.  So  erhellt  z.  B.  aus  den 
über  das  ehemalige  Kurhessen  angestellten  Untersuchungen, 
dass    dort    die   Ertheilung    der    Rechtsbelehrung    durch    die 


I.    Einleitung.  ]  | 

Schöffenstühle  der  Hauptstädte  Cassel  und  Marburg  während 
der  zweiten  Hälfte  des  sechzehnten  Jahrhunderts  in  Cassel 
vor  der  Thätigkeit  der  dortigen  Kanzlei,  in  Marburg  vor  der 
des  dortigen  Hofgerichts  und  der  dortigen  Juristenfakultät 
schwand.  Besondere  Umstände  erhielten  aber  den  alten 
Schöppenstuhl  in  Brandenburg  neben  dem  Kammergericht 
in  Berlin  und  neben  der  Juristenfakultät  in  Frankfurt  a.  O. 
Ueber  die  Spruchthätigkeit  dieser  Fakultät  ist  eingezogener 
Erkundigung  nach  Material  nicht  mehr  vorhanden;  über  die 
Spruchthätigkeit  des  Berliner  Kammergerichts  wissen  wir  noch 
nichts.  Welches  Dunkel  über  die  Belehrungsthätigkeit  des 
Brandenburger  Schöppenstuhls  wie  der  Schöppenstühle  über- 
haupt herrscht,  darüber  einige  Worte.  Ein  sehr  sorgsamer 
Forscher  auf  dem  Gebiete  der  deutschen  Rechtsgeschichte 
glaubte  aus  den  ihm  zu  Gebote  stehenden  Quellen  schliessen  zu 
dürfen,  im  Brandenburger  Schöppenstuhl  fänden  sich  seit  1516 
doctores  juris  als  Schoppen,  während  der  erste  Doktor  erst 
anderthalb  Jahrhunderte  später  in  Brandenburg  auftaucht  Von 
den  Magdeburger  Schoppen  berichtet  ein  ebenso  sorgsamer 
Forscher,  sie  seien  ihrer  Aufgabe  in  späterer  Zeit  nicht 
mehr  gewachsen  gewesen  und  hätten  ihre  Erkenntnisse  mehr 
nach  einer  unbestimmten  Rechtsüberzeugung,  als  aus  sicheren 
klaren  Gründen  gesprochen,  seien  nicht  immer  konsequent 
verfahren  und  hätten  ihren  Sprüchen  mehr  den  Charakter 
eines  Schiedsspruchs  als  eines  richterlichen  Urtheils  gegeben. 
Alles  dies  ist  jedoch  ebenso  der  Charakter  der  Schöppen- 
sprüche  früherer  Zeit,  ja  überhaupt  der  Charakter  der 
älteren  deutschen  Rechtsprechung  gewesen,  ausserdem  haben 
aber  die  Magdeburger  Schoppen,  unter  denen  sich  schon 
1497  Doktoren  fanden,  fortdauernd  derselben  juristischen 
Ausbildung  sich  erfreut,  wie  die  Mitglieder  der  damaligen 
höheren  Gerichte,  und  sie  haben  sich  in  ihren  Sprüchen  — 
ebenso  wie  die  Brandenburger  Schoppen  —  in  nichts  unter- 
schieden von  den  Sprüchen  der  Juristenfakultäten.  Erst  in 
den  letzten  Jahren  sind  verlässliche  Nachrichten  über  den 
Zustand   des    Magdeburger  Schöppenstuhls    nach  1631    und 


!)  Stölzel,  Gelehrtes  Richterthum,  205  ff.,  212  ff. 


12  !•    Einleitung. 

über  die  in  den  1630er,  wie  1660er  Jahren  gemachten  Ver- 
suche der  Wiederherstellung  gegeben;  so  räthselhaft  blieb 
aber  selbst  fünfzig,  ja  hundert  Jahre  nach  dem  Aufhören 
seiner  Thätigkeit  die  Frage,  ob  er  noch  existire,  dass  um 
Rechtsbelehrung  anfragende  Behörden  im  Jahre  1685  von. 
dem  Magdeburger  Stadtrathe  beschieden  wurden,  der  Schöp- 
penstuhl  sei  noch  nicht  wieder  bestellt,  und  im  Jahre  1741 
von  der  Magdeburger  Post,  der  Schöppenstuhl  existire  schon 
„seit  Jahren11  nicht  mehr. 

Ein  Beispiel  aus  dem  eben  genannten  Jahre  1741  mag 
noch  belegen,  welche  Auffassung  man  damals  von  den  richter- 
lichen Pflichten  hatte.  Die  Brandenburger  Schoppen  jener 
Zeit  waren  selbstverständlich  sämmtlich  gelehrte  Juristen, 
meist  aus  der  Halleschen  Schule  hervorgegangen.  Das  hielt 
aber  den  tüchtigsten,  fleissigsten  und  gelehrtesten  unter 
ihnen,  einen  Schüler  des  Thomasius,  nicht  ab,  in  einem 
verwickelten  Liquidationsprozesse  gegenüber  dem  eingehend 
motivirten  Antrage  des  Referenten,  der  ein  reformatorisches 
Erkenntniss  vorschlug,  „den  Herren  Kollegen  zur  Erwägung 
zu  geben,  ob  es  nicht  bei  den  gründlichen  rationes  der  sen- 
tentia  a  qua  verbleiben  solle,  damit  diese  weitläufige  Sache 
völlig  abgethan  und  einer  Kleinigkeit  wegen  der  Lauf  des 
Rechten  nicht  von  neuem  eröffnet  werde";  sein  Nachfolger 
in  der  Abstimmung  war  „gleichfalls  der  Meinung,  das  es  bei 
der  sententia  a  qua  zu  lassen",  bemerkte  aber,  dass  er  die 
reformatoria,  „für  den  Fall,  dass  majora  nicht  erfolgen", 
alsbald  unterschrieben  habe;  der  vierte  Schöppe  endlich 
fand  zwar  die  reformatoria  des  Referenten  bündig  und  er- 
klärte sich  bereit,  sie  ebenfalls  zu  unterschreiben,  wollte  es 
indess  „ratione  confirmationis  mit  majoribus  halten";  der 
Senior  als  fünfter  Schöppe  trat  darauf,  indem  er  den  Ent- 
wurf des  Referenten  unterzeichnete,  dessen  Vorschlag  bei 
(92  14  ff.).  Hiermit  erachtete  man  einen  Mehrheitsbeschluss 
zu  Gunsten  des  Referenten  hergestellt;  denn  zwei  Schoppen 
hatten  erklärt,  sich  der  Mehrheit  anschliessen  zu  wollen;  diese 
Mehrheit  wurde  unter  den  übrigen  drei  Schoppen  dadurch 
hergestellt,  dass  Referent  und  Senior  für  die  reformatoria 
waren  und  nur  der  erste  Korreferent   für  die  confirmatoria; 


].    Einleitung.  13 

dieser  enthielt  sich  der  Unterschrift  .des  Konzepts,  während 
der  vierte  Schöppe,  den  majoribus  folgend,  unterschrieb. 
Heutzutage  würde  man  es  für  wenig  vereinbar  mit  den  Auf- 
gaben des  Berufs  rechtsprechender  Beamten  halten,  wenn 
in  einem  zweitinstanzlichen  Kollegium  ein  Richter  für  Be- 
stätigung des  erstinstanzlichen  Urtheils  ohne  Prüfung  der 
Rechtslage  lediglich  um  deswillen  stimmen  wollte,  weil  das 
erste  Urtheil  gründlich  abgefasst  und  die  kürzeste  Erledi- 
gung der  Sache  empfehlenswerth  sei;  ebenso  würde  man  es 
pflichtwidrig  nennen,  wenn  zwei  von  fünf  Richtern  erklärten, 
sie  könnten  sich  sowohl  für  Abänderung  als  für  Bestätigung 
des  erstinstanzlichen  Urtheils  erklären  und  überliessen  des- 
halb der  Majorität  unter  den  übrigen  drei  Richtern  die 
Entscheidung.  Auch  in  solchen  Auffassungen  hat  die  Recht- 
sprechung eine  Entwicklung  durchgemacht;  richterliche  Ge- 
wissenhaftigkeit und  richterliches  Rechtsgefühl  bedurften 
ebenfalls  ihrer  Erziehung.  Vom  Zeitalter  der  Folter  und  des 
Scheiterhaufens,  die  man  einem  menschenunwürdigen  Aber- 
glauben in  geradezu  entsetzlicher  Weise  dienstbar  gemacht 
hatte,  lässt  sich  die  Erziehung  zu  einem  völlig  geläuterten 
Rechtsbewusstsein  nicht  erwarten.  Mehr  als  eine  Seite 
unserer  Brandenburger  Akten  legt  davon  Zeugniss  ab. 

Es  ist  darum  für  den  Juristen  der  Gegenwart  wie  ein 
Wandeln  in  fremder  Welt,  wenn  er  Jahrhunderte  hindurch 
die  Rechtspflege  seiner  Amtsvorgänger  an  sich  vorüberziehen 
lässt.  Dazu  bieten  die  fortlaufenden  Akten  einer  Behörde, 
bei  der  sich  die  Rechtsprechung  eines  Territoriums  lange 
Zeit  konzentrirte,  die  beste  Gelegenheit.  Hat  also  zufallig 
einmal  ein  günstiger  Stern  über  den  Akten  einer  solchen 
Spruchbehörde  gewaltet,  so  kann  sich  dies  der  Wissenschaft 
nur  als  nutzbringend  erweisen. 


IL  Material. 

Die  Beschaffenheit  des  bei  gegenwärtiger  Untersuchung 
benutzten  Materials  bedarf  einer  eingehenden  Prüfung,  weil 
erst  dadurch  die  genügende  Grundlage  eines  sicheren  Urtheila 
über  das  Rechtsbelehrungswesen  gewonnen  werden  kann. 

I.  Den  Hauptstock  des  Materials  bilden  die  in  einem  be- 
sondern Zimmer  des  Amtsgerichts  Brandenburg  aufbewahrten 
108  Foliobände  Schöppenstuhlsakten,  je  in  einer  Stärke  von 
durchschnittlich  600  Blättern,  einzelne  sogar  von  etwa  1000 
Blättern.  Das  älteste  Aktenstück  datirt  von  1432,  das  jüngste 
von  1807.  ^er  Einband  (einfachster  Pappband)  stammt  aus 
neuerer  Zeit;  er  ist  kein  einheidicher  für  sämmtliche  Bände; 
einheitlich  sind  gebunden  die  Bände  1  bis  8o,  dann  die  Bände 
81  bis  99,  ferner  die  Bände  10 1  bis  107;  Band  100  und  ebenso 
Band  108  stehen  für  sich  'allein. 

Diese  Bände  entstanden  in  ihrer  jetzigen  Gestalt  der 
Hauptsache  nach  in  der  zweiten  Hälfte  des  achtzehnten  Jahr- 
hunderts. Die  Bände  101  bis  105  wurden  erst  zwischen  1809 
und  181 3  hergestellt.1) 

Alsbald  auszuscheiden  sind  die  Bände  100,  107  und  108; 
sie  enthalten  zwar  mancherlei,  was  für  die  Entwickelung  der 
Rechtsprechung  des  Schöppenstuhls  von  Wichtigkeit  ist,  aber 
sie  enthalten  keine  Schöppenstuhlsakten. 

Band  100  beginnt  mit  einem  vom  Schöppenstuhlsassessor 
Katsch  unterzeichneten  undatirten  Spruch,  dann  folgen  Spruch- 
konzepte des  Schöppenstuhls -Senior  Giesecke  und  Abschriften 
solcher  Urtheilskonzepte  aus  den  Jahren  1727  bis  1752,  unter- 
mischt mit  einzelnen  Proberelationen  von  Kandidaten  des 
Schöppenstuhlsassessorats.    Das  Ganze  scheint  aus  dem  Nach- 


J)  AA.  Akten  II.  S.  9  fol.  67  ff.:    „5  Bände  Akten  von  1759  bis  1785 
in  Pappband.u 


II.    Material.  15 

lasse  des  Senior  Giesecke  (f  1759)  herzurühren;  in  diesem 
Nachlasse  mögen  sich  auch  die  beim  Senior  eingereichten 
Proberelationen  befunden  haben.  So  wird  erklärlich,  dass 
einerseits  in  Band  100  eingeheftete  Abschriften  sich  als  eigen- 
händige Konzepte  Gieseckes,  und  dass  andererseits  in  Band 
100  eingeheftete  eigenhändige  Konzepte  Gieseckes  sich  als 
Abschriften  in  den  Schöppenstuhlsakten  wiederfinden.1) 

Band  107  ist  eine  Sammlung  von  landesherrlichen  (meist 
gedruckten)  Erlassen  strafrechtlichen  Inhalts  aus  der  Zeit 
von  1683  bis  1743;  mehrere  dieser  Erlasse  sind  in  einer 
Reihe  von  Exemplaren  vorhanden,  wie  sie  von  Amts- 
wegen dem  Schöppenstuhl  zur  Vertheilung  zugingen. 

Band  108  trägt  auf  dem  Rücken  die  Aufschrift:  „Ge- 
richtsbibliothek No.  759  zu  Brandenburg  a.  H.u,  war  also  ur- 
sprünglich Theil  der  Bibliothek  und  niemals  Theil  der 
Schöppenstuhlsakten;  er  enthält  drei  vor  dem  Gerichte  des 
Brandenburger  Domkapitels  in  den  Jahren  1682,  1699 
und  1758  wegen  Sodomie,  Vatermords  und  einfachen  Mdrds 
verhandelte  vollständige  Strafprozesse;  es  sind  dies  also  Akten 
des  Domkapitels,  die  auf  irgend  welche  unbekannte  Weise 
in  den  Besitz  des  Stadtgerichts  Brandenburg  oder  eines  seiner 
Rechtsnachfolger  gelangt  sind;  darin  sind  überhaupt  nur 
zwei  Brandenburger  Schöppenstuhls-Sprüche  (auf  Zulassung 
der  Folter  und  auf  den  Tod  durch  das  Schwert  1682  fol.  57. 
64;  ÜB  2  730)  enthalten,  und  zwar  in  Reinschrift,  wie  sie  dem 
Domkapitel  zugingen. 

Es  bleiben  alse  105  Bände  übrig,  welche  im  wahren 
Sinne  des  Wortes  Schöppenstuhlsakten  darstellen.  Sie  sind 
wahrscheinlich  allein  dadurch  vor  der  ihnen  sonst  sicher  be- 
schieden gewesenen  Vernichtung  bewahrt  worden,  dass  man 
sie,  als  der  Schöppenstuhl  seinem  Ende  sich  zuneigte,  ein- 
binden liess. 2)    Dass  sie  bis  zur  Zeit  des  Einbindens  noch  vor- 

*)  Fol.  75  ff.  des  Bandes  100  ist  z.  B.  identisch  mit  fol.  369  ff.  des 
Bandes  86,  fol.  649  des  Bandes  100  ist  identisch  mit  fol.  439  in  Bd.  98, 
fol.  680  in  Bd.  100  mit  fol.  349  in  Bd.  99,  fol.  704  in  Bd.  100  mit  fol.  184 
in  Bd.  98. 

*)  Der  Vernichtung  scheinen  werthvolle  Akten,  betr.  die  Verfassung" 
des  Schöppenstuhls,  verfallen  zu  sein,  die   1819  dem  Land-  und  Stadtgericht 


16  H.    Material. 

banden  waren,  verdanken  sie  dem  historischen  Sinne  derselben 
beiden  Männer,  welche  sich  durch  Anlegung  der  noch  vor- 
handenen Kopiarien  der  beiden  Städte  Brandenburg  verdient 
gemacht  haben.  Diese  Männer  sind  der  altstädtische  Bürger- 
meister Mag.  Simon  Roter,  von  1551  bis  1562  altstädter 
Schöppenschreiber,  dann  bis  1595  altstädter  Schöppe,  und  der 
erste  Direktor  der  17 15  aus  der  Alt-  und  Neustadt  Brandenburg 
zusammengeschmolzenen  einheitlichen  Stadt  Brandenburg, 
Martin  Heins,  der  von  1707  bis  1724  als  aus  der  Neustadt 
hervorgegangener  Assessor  des  Schöppenstuhls  fungirte. 

Da  die  gesammelten  Sprüche  bis  zum  Jahre  17 15  von 
den  Schoppen  beider  Städte  Brandenburg  ausgingen,  und 
in  Folge  dessen,  wie  später  erhellen  wird,  die  Mitglieder 
des  Schöppenstuhls  sich  aus  zwei  Kollegien  zusammensetzten, 
die  zwar  gemeinsam  über  die  eingehenden  Sachen  entschieden, 
aber  sich  in  deren  Bearbeitung  und  formelle  Erledigung 
theilten,  so  gab  es  naturgemäss  altstädtische  und  neustädtische 
Akten.  Für  die  Erhaltung  der  altstädtischen  Akten  sorgte 
Simon  Roter  und  sein  Nachfolger  in  der  Altstadt,  für  die  der 
neustädtischen  sorgte  Niemand.  Darum  sind  sämmtliche  ältere 
Akten  —  und  zwar  bis  in  die  zweite  Hälfte  des  siebzehnten 
Jahrhunderts  hinein  —  altstädtische  Akten,  d.h.  ursprüng- 
lich in  der  Altstadt  aufbewahrt  gewesene  Akten, l)  was  nicht 


Br.  übergeben  worden  sind,  noch  1833  vorhanden  waren  und  später  verloren 
gingen.  AA.  Akten  S.  9  fol.  59  ff.  Im  J.  1838  beantragte  auf  Vorschlag- 
eines  Auskultators  das  Land-  und  Stadtgericht  Br.  beim  Kammergericht,  die 
Bände  der  Schoppen  Stuhlsakten  „auctionis  modo  zu  verkaufen,  da  es  sich 
überzeugt  habe,  dass  darin  nichts  von  irgend  welchem  Interesse 
enthalten  seik\  fand  aber  damit  keinen  Beifall  beim  Kammergericht.  Vgl. 
auch  Bardey  in  den  Mittheil,  des  Vereins  für  die  Gesch.  Berlins  1891  S.  82. 
')  Darauf  weist  z.  B.  eine  durchstrichene  Notiz  des  Jahres  163H 
(76  592)  hin,  die  sich  auf  dem  Rücken  eines  Acktcnstückes  findet.  „Dieser 
bericht  ist  .  .  .  (von?)  dem  syndico  in  der  Newstadt  den  .  .  .  Juli  abge- 
fordert worden.**  Das  bedeutet:  den  zu  den  altstädtischen  Akten  gehörigen, 
dem  neustädtischen  Syndikus  auf  Wunsch  ausgehändigten  Bericht  kenn- 
zeichnete der  altstädt.  Schöppenschreiber  als  zu  den  altstädt.  Akten  gehörig 
dadurch,  dass  er  jene  Notiz  machte;  nachdem  der  Bericht  wieder  zurück- 
gelangt war,  durchstrich  er  die  überflüssig  gewordene  Notiz.  Das  sehr 
energische  Durchstreichen   hat   die  punktirten  Stellen   unleserlich  gemacht. 


II.    Material.  17 

ausschliesst,  dass  sich  darunter  einzelne  aus  der  Neustadt  in 
besonderer  Veranlassung  unter  die  altstädtische  Akten  ge- 
rathene  Sachen  befinden. 

Eine  vollständige  Sammlung  aller  Sprüche  des  Branden- 
burger Schöppenstuhls  liegt  also  nicht  vor.  Die  Gesammtzahl 
der  erhaltenen  Rechtsfälle  berechnet  sich  nach  "der  am 
Schlüsse  des  Urkundenbandes  4  mitgetheilten  Tabelle  auf 
14273.  Ein  sicheres  Bild  von  der  Gesammtthätigkeit  des 
Schöppenstuhls  kann  diese  Tabelle  schon  deshalb  nicht 
geben,  weil  sie  sich  im  Wesentlichen  auf  die  in  der  Alt- 
stadt gesammelten  Akten  beschränkt.  Auch  diese  sind  — 
namentlich  soweit  die  ältere  Zeit  und  soweit  die  zweite  Hälfte 
des  siebzehnten  Jahrhunderts  in  Betracht  kommt  —  unvoll- 
ständig. Die  Akten  pflegten  so  aufbewahrt  zu  werden,  dass 
die  einzelnen  Prozessschriften,  in  Oktav  gefaltet,  auf  einander 
gelegt  wurden.  Es  wäre  wunderbar,  wenn  bei  solcher  Ein- 
richtung aus  der  älteren  Zeit  Alles  erhalten  wäre.  Wie  wenig 
überhaupt  die  Aufbewahrung  erledigter  Akten  Stil  war,  er- 
giebt  die  mehrfach  bei  Freisprechungen  vorkommende  Wei- 
sung des  Schöppenstuhls  (z.  B.  1727  an  den  Hauptmann  von 
Bredow  zu  Wagenitz  —  xoo  95),  es  sollten  „diese  Akten  auf- 
gehoben werden,  damit,  wenn  nähere  Anzeige  sich  hervor- 
thun  sollte,  dieselben  sodann  wieder  aufgesucht  und  die  In- 
quisition fortgesetzt  werden  könne". 

Gleichwohl  liegen  einige  Thatsachen  vor,  welche  ergeben, 
dass  die  altstädtischen  Sprüche  uns  doch  in  ziemlicher  Voll- 
ständigkeit erhalten  sind. 

1.  Auf  dem  Rücken  eines  mit  Nummer  16  bezeichneten 
Aktenstücks  des  Jahres  1586  (27  79)  ist  von  der  Hand  des 
altstädter  Schöppenschreibers  Bluhm  bei  Beginn  seines  Amtes 
bemerkt:  „Von  Katherine"  (d.  i.  25.  November)  „86  bis  zu 
dem  angehenden  87.  jähre  vorsprochen  und  in  der  alten 
Stadt  geschrieben".  Dies  diente  als  Aufschrift  für  die  in 
einem  Convolute  auf  einander  gelegten  Akten  der  angegebenen 
Zeit.  Jedes  Aktenstück  hat  —  was  sonst  nur  selten  der  Fall 
ist  —  damals  seine  Nummer  erhalten.  Die  Nummern  reichen 
bis  118  und  sind,  wenn  auch  nicht  in  richtiger  Reihenfolge, 
sämmtlich  vorhanden.     Dass  in  späterer  Zeit,  nämlich  in  den 

S  t  ö  1  z  e  1 ,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    L  2 


18  II.    Material. 

Jahren  1661,  1663  und  1664,  die  einzelnen  Sachen  numerirt 
und  jahrweis  zu  einem  Volumen  (durch  Zusammenschnüren) 
vereint  wurden,  folgt  aus  einer  auf  der  mit  No.  131  bezeich- 
neten Anfrage  ersichtlichen  Bemerkung  des  Urtheilsverfassers: 
„das  urteil  lieget  supra  no.  44"  (79  159),  und  aus  zwei  Ur- 
theilsentwürfen  dieser  Jahre,  deren  einer  (79  238)  auf  „No.  163 
de  1663",  deren  anderer  (79  214)  auf  die  (jetzt  fehlende) 
„No.  15  anno  1663  sub  hoc  volumine"  verweist.  Weshalb 
aus  dieser  Zeit  der  Aktenbestand  grosse  Lücken  aufweist, 
wird  sich  später  ergeben.  Wie  lückenhaft  er  ist,  beweisen 
folgende  Thatumstände. 

Aus  dem  Jahre  166 1  hat  sich  eine  einzige  Sache  erhalten. 
Sie  trägt  die  Ordnungsnummer  131  (79  158).  Von  den  beiden 
Sachen,  die  aus  dem  Jahre  1662  vorhanden  sind,  ist  eine  mit  35 
numerirt  (79  162).  Im  Jahre  1664  wird  aus  dem  vorhergehenden 
Jahre  eine  Sache  mit  der  Nummer  163  erwähnt  (79  238).  Aus 
dem  Jahre  1663  ist  aber  keine  Sache  erhalten.  Vom  Jahre 
1664  sind  34  Sachen  vorhanden.  Eine  unter  ihnen  ist  mit  64 
numerirt  (79  296).  Die  einzige  Sache,  die  aus  dem  Jahre 
1666  (79  372)  erhalten  ist,  trägt  die  Ordnungsnummer  102. 
Die  14  Sachen  des  folgenden  Jahres  sind  mit  Nummern  von 
92  bis  110  bezeichnet  (79  376 — 419).  Aus  dem  Jahre  1672 
sind  21  Sachen  erhalten,  von  denen  eine  die  Nummer  38 
trägt  (79  536).  Hiernach  würde  es  gewagt  sein,  aus  dem 
geringen  Umtange  der  Akten  in  der  zweiten  Hälfte  des  17. 
und  im  Anfange  des  18.  Jahrhunderts  auf  einen  erheblichen 
Niedergang  des  Schöppenstuhls  zu  schliessen. 

Uebrigens  tragen  auch  sonst  Akten  aus  der  zweiten 
Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  vielfach  Ordnungsnummern,  meist 
links  oben  auf  dem  ersten  Blatte  der  Missive. 

2.  Die  vom  Magistrate  zu  Tangermünde  noch  jetzt  ver- 
wahrten Akten,  betr.  die  Strafsache  gegen  Meilhan,  seine 
Ehefrau  Grete  Minde  und  andere  Genossen  wegen  Brand- 
stiftung aus  den  Jahren  1619  und  1620,  enthalten  nicht  weniger 
als  14  Brandenburger  Sprüche  in  den  Originalausfertigungen. 
Von  11  dieser  Sprüche  finden  sich  die  Entwürfe  nebst  vor- 
hergegangenen Anfragen  in  den  Schöppenstuhlsakten  (Bd.  66 
und  69);    nur  3  Sprüche  fehlen.     Dies  sind  nach  Siegel  und 


II.    Material.  19 

Schreiberhand  in  der  Neustadt  ausgefertigte  Sprüche;  die  in 
der  Altstadt  ausgefertigten  Sprüche  liegen  also  vollstän- 
dig vor. 

3.  Die  Jibgethanen  Sachen  wurden  vom  Schöppen- 
schreiber  aufbewahrt,  wie  es  ihm  der  im  Schöppenbuche  von 
1697  mitgetheilteSchöppenschreibereid  ausdrücklich  zur  Pflicht 
macht.  Dem  entsprechend  heisst  es  z.  B.  in  einem  Schreiben 
des  altstädter  Schoppen  Roter  von  1562  (9  110),  den  in 
einer  Sache  ergangenen  früheren  Spruch  „habe  Johannes 
(d.  h.  der  Neustädter  Schöppenschreiber  Joh.  Mawe)  bei 
sichu.  Damit  ist  aber  noch  nicht  gesagt,  dass  etwa  dem 
Schöppenschreiber  bei  seinem  Amtsantritt  eine  Sammlung 
aller  unter  seinen  Vorgängern  entstandenen  Akten  über- 
liefert wäre;  für  eine  solche  Sammlung  zu  sorgen,  Hess  in 
älterer  Zeit  nur  Roter  sich  angelegen  sein;  immerhin  konnte 
1567  (11  440)  eine  der  Partei  abhanden  gekommene  Urtheils- 
ausfertigung  von  1558,  deren  Konzept  in  unserer  Sammlung 
(6  69)  vorliegt,  wiederhergestellt  werden;  Roter  als  Schöppen- 
schreiber hatte  also  schon  damals  für  ordnungsmässige  Auf- 
bewahrung Sorge  getragen;  die  Partei  unterstellte  aber  gar 
nicht,  dass  das  um  neun  Jahre  zurückliegende  frühere  Kon- 
zept noch  vorhanden  sei;  denn  sie  bat  unter  nochmaliger 
Einsendung  der  Akten,  diese  „zu  übersehen  und  ein  dem 
vorigen  Urtheil  gleiches  zu  sprechen".  Statt  dessen  liessen 
die  Schoppen  einfach  eine  neue  Reinschrift  des  alten  Spruches 
fertigen. 

Ein  Fall  des  Jahres  1591  aus  Templin,  in  welchem 
eine  frühere  Belehrung  der  Partei  abhanden  gekommen 
war  und  nunmehr,  ohne  Rücksicht  auf  die  frühere  Belehrung, 
von  Neuem  gesprochen  wurde  (33  269),  beweist  dagegen 
unverkennbare  Nachlässigkeit  in  Aufbewahrung  selbst  der 
erst  kurz  vorher  entstandenen  Akten.  Eine  Feststellung  durch 
die  Schöppenschreiber,  ehe  eine  eingegangene  Sache  zur 
Prüfung  gelangte,  ob  nicht  etwa  in  derselben  Sache  erkannt 
sei,  fand  nicht  statt;  es  blieb  dem  guten  Gedächtniss  der 
Schoppen  überlassen,  sich  der  früheren  Entscheidung  zu 
erinnern.  So  bemerkt  1615  (ÜB  2  539)  ein  neustädter 
Schöppe:    „Weil    das  gegenteil    sich  belehren  lassen,    wirt 

2* 


20  n.    Material. 

man  nach  dem  vorigen  urtel  sehen44  und  ein  Kollege 
von  ihm  schreibt  1621  (68  258)  auf  die  Anfrage  in  einer 
Stendaler  Sache:  „Es  ist  schon  in  dieser  Sache  erkannt,  das 
weiss  ich  gewiss;  es  wäre  gut,  dass  der  vorige  Bericht  auf- 
gesucht würde",  und  1623  (71  178)  ebenfalls  ein  neustädter 
Schöppe  auf  eine  andere  Anfrage:  „Ich  weiss,  dass  diese 
Sache  hie  gewesen  .  .  .  ,  daher  die  Herren  wollen  die  sache 
aufsuchen";  sein  Kollege  erinnert  sich  dann,  dass  die  Sache 
„vor  wenig  Wochen"  vom  Gegner  des  jetzt  Anfragenden  herge- 
schickt gewesen  sei,  deshalb  müsse  das  frühere  Urtheil  noth- 
wendig  aufgesucht  werden;  es  findet  sich  auch  das  vor  zwei 
Monaten  ergangene  Urtheil  (71  532),  dem  nunmehr  konform 
erkannt  wird.  Später,  und  zwar  anscheinend  nach  dem  im 
Jahre  1700  erfolgten  Einstürze  des  Schöppenhauses,  wovon 
wir  hören  werden,  hat  der  Schöppenschreiber  Steltzner  eine 
Ordnung  der  Akten  begonnen,  indem  er  auf  der  untern 
rechten  Ecke  eines  Blattes  mit  Rothstift  die  Jahreszahl  notirte, 
welcher  die  in  denselben  Konvoluten  vereinigten  Akten- 
stücke angehörten.1) 

Dass  am  Ende  des  17.  Jahrhunderts  auf  Ordnung  beim 
Schöppenstuhl  gehalten  wurde,  ergiebt  ein  vom  Dezember 
1742  (94  73)  datirtes  Schreiben  desselben  Steltzner,  damals 
81jährigen  emeritirten  Schöppenseniors,  worin  es  in  Bezug 
auf  ein  vermisstes  Aktenstück  heisst,  er  habe  im  altstädti- 
schen Aktenspinde  alle  Litteren  mit  einem  besonderen  Re- 
pertorio  und  Rotulo  versehen  und  dadurch  allem  Irrthume 
vorgebeugt,  reservire  sich  noch  eine  genaue  Revision,  die 
er  wegen  der  Kälte  jetzt  nicht  vornehmen  könne;  seit  Mai 
1685  habe  er  die  Akten  getreulich  verwaltet.  Auch  spricht 
für  die  Vollständigkeit  der  Akten  aus  Steltzner's  Zeit  ein 
vom  Schöppenstuhl  im  Dezember  1738  an  Cocceji  erstatteter 
Bericht,  laut  dessen  im  genannten  Jahre  bis  dahin  48  Sachen 
eingegangen  waren,2)  während  unsere  Aktensammlung  aus 
dem  gesammten  Jahre  1738  65  Nummern  enthält. 

Soll   hiernach    eine   Schätzung   der  Zahl    von  Sprüchen 

i)  Z.B.  1648  (7899),  1651  (78241),  1652  (78369),  1656  (791),  1659 

(79  147). 

*)  StA.  R.  21  No.  9c. 


IL    Material.  21 

versucht  werden,  welche  etwa  in  der  Zeit  von  1500  bis  1800, 
also  in  drei  Jahrhunderten  von  dem  Brandenburger  Schöppen- 
stuhl  ausgingen,  so  wird  die  Zahl  von  30000  eher  zu  niedrig 
als  zu  hoch  gegriffen  sein.  Die  Blüthezeit  fallt  nach  den 
vorhandenen  Sprüchen  in  die  1580er  Jahre;  in  den  1720er 
und  1730  er  Jahren  ist  dann  eine  Nachblüthe  der  damals  er- 
heblich zurückgegangenen  Thätigkeit  des  Schöppenstuhls 
wahrnehmbar. 

Die  Durchsicht  sämmtlicher  Bande,  die  sowohl  Civil-  wie 
Kriminalsachen,  meist  in  bunter  Mischung,  enthalten,  war  un- 
erlässlich.  Nur  dadurch  Hess  sich  ein  genügend  vollständiges 
Bild  über  den  Geschäftsgang,  über  das  mitwirkende  Personal 
und  über  andere  wichtige  Gesichtspunkte  gewinnen,  da  all- 
gemeine zuverlässige  Nachrichten  über  den  Schöppenstuhl 
durchaus  fehlen,  auch  die  Akten  sich  im  Wesentlichen  auf 
die  an  den  Schöppenstuhl  gestellte  Anfrage  und  die  von  ihm 
(bis  zum  1 7.  Jahrhundert  hin  ohne  Gründe,  wie  ohne  Namens- 
unterschriften) ertheilte  Antwort  beschränken.  Deshalb 
werden  hier  und  da  eingefugte  kurze  Notizen,  Briefe, 
Meinungsäusserungen  besonders  schätzbar,  und  zu  ihrer  Auf- 
findung bedurfte  es  einer  Durchsicht  Blatt  für  Blatt. 

Beim  Einbinden  der  106  Bände  ist  keineswegs  streng  die 
Chronologie  gewahrt,  auch  sind  an  manchen  Stellen  Ver- 
heftungen  nicht  ausgeblieben. 

Jedem  Bande  hat  in  den  1860er  Jahren  der  damals  zu 
Brandenburg  im  Ruhestande  lebende  Gymnasialoberlehrer 
Professor  Dr.  Heffter,  derselbe,  dessen  Fleiss  man  das 
Register  zu  Rieders  codex  diplomaticus  verdankt,  ein  Inhalts- 
verzeichniss  im  amtlichen  Auftrage  beigefügt.  Dasselbe  führt 
unter  fortlaufender  Nummer  nach  der  Blattfolge  des  Bandes 
jeden  Rechtsfall  und  unter  Rubriken  Personen  und  Gegen- 
stand des  Rechtsfalls,  das  Gericht,  bei  dem  die  Sache  ver- 
handelt ist,  sowie  das  Jahr  der  Verhandlung  auf.  Macht 
sich  zwar  bei  Benutzung  dieses  Registers  vielfach  bemerkbar, 
dass  dessen  Autor  ein  Nichtjurist  war,  so  gewährt  dasselbe 
doch  dem  Benutzer  der  Bände  eine  nicht  zu  unterschätzende 
Hülfe.    Aus  sämmtlichen  106  Registern  hat  dann  Heffter  mit 


22  n.    Material. 

grösstem  Fleisse  noch  ein  Gesammtrepertorium  hergestellt, 
welches  in  seiner  Abtheilung  I  (S.  i  bis  340)  das  alphabetische 
Verzeichniss  der  bemerkenswerthen  Orts-  und  Personennamen 
und  der  auf  die  ersteren  bezüglichen  Prozesse,  in  der  Ab- 
theilung II  (S.  341  bis  464)  das  alphabetische  Ortsverzeichniss 
der  Prozesse  unter  Angabe  von  Jahreszahl,  Band  und  Blatt, 
und  schliesslich  eine  15  Bl.  füllende  Liste  der  vorkommenden 
Ortschaften  und  Familien  unter  Angabe  des  Jahrhunderts 
und  der  Gesammtzahl  der  den  Ort  oder  die  Familie  be- 
treffenden Urkunden  enthält  (letztere  Liste  jedoch  ohne  An- 
gabe, wo  die  Urkunden  in  den  einzelnen  Bänden  sich  finden). 
Das  Repertorium  ist  in  sauberer  Reinschrift  vervielfältigt; 
Exemplare  davon  besitzt  das  Justizministerium,  das  Kammer- 
gericht und  das  Geheime  Staatsarchiv  in  Berlin,  sowie  der 
Magistrat  und  das  Amtsgericht  in  Brandenburg. 

Diesen  aus  der  neueren  Zeit  stammenden  Registern 
Heffter's  treten  nach  einzelnen  Seiten  hin  ergänzend  mehrere 
den  Akten  einverleibte,  unter  einander  nicht  in  Zusammen- 
hang stehende  kürzere  Verzeichnisse  hinzu,  die  auf  die  Thätig- 
keit  des  oben  bereits  genannten  Schoppen  Heins  (1707  bis 
1724)  zurückzuführen  sind;  nachdem  er  kurz  vorher  Senior 
des  Schöppenstuhls  geworden  war,  begann  er  im  Jahre 
1723,  den  in  Konvoluten  nach  Jahrgängen  aufbewahrten 
Akten  vorn  ein  Inhaltsverzetchniss  beizufügen.  Deren  erstes 
bildet  jetzt,  2l/2  Folioseiten  umfassend,  den  Anfang  von 
Bd.  81  und  ist  überschrieben:  „Copey liehe  Urthel  in 
Civilsachen".  Der  Angabe  der  Sachrubrik  wird  am  Schlüsse 
der  Zeile  die  Jahreszahl  beigefügt.  So  registrirte  Heins  bis 
zum  Jahre  1723  46  Nummern,  dann  unter  der  Ueberschrift: 
„de  anno  1723**  81  Nummern.  Im  Band  82  finden  sich  zwei 
analoge  Register,  das  eine. auf  Blatt  1  mit  der  Ueberschrift: 
„Copiae  der  Urthel,  so  in  Criminalsachen  ausgefertigt4* 
und  auf  Bl.  358  mit  der  Ueberschrift  „Copey liehe  Urthel 
in  Civilsachen  bei  hiesigem  Schöppenstuhl" ;  das  letztere 
Register  (eine  Seite  an  Umfang)  verzeichnet  eine  Nummer 
von  1703,  zwei  von  1706,  drei  von  1707,  zwei  von  1708,  drei 
von  1709,  17 10,  zwölf  von  17 12,  drei  von  1713,  je  vier  von 
17 14  und  1715;  die  so  verzeichneten  Akten  reichen  bis  Bl.  542 


II.    Material.  23 

des  Bandes;  dann  fehlt  ein  gleiches  Verzeichniss.  In  Bd.  83 
Bl.  477  erscheint  aber  wieder  ein  Verzeichniss  mit  der  Ueber- 
schrift:  „Anno  1725  sind  bei  hiesigem  Schöppenstuhl  ein- 
liegende Urtheile  ausgefertigt  worden",  desgleichen  in 
Bd.  84  Bl.  1  ein  Verzeichniss  mit  der  Ueberschrift :  „Re- 
sponsa,  so  im  Jahre  1726  von  hiesigem  Schöppenstuhl  über 
eingelaufene  acta  und  Berichte  ausgefertigt  worden" ;  dann 
folgen  die  Rubriken  in  zwei  mit  „Civilia"  und  „Criminalia" 
bezeichneten  Kolumnen.  Alle  in  letzteren  beiden  Verzeich- 
nissen  aufgeführten  Sachen  sind  vorhanden. 

Es  ist  hiernach  zweifellos,  dass  man  innerhalb  des 
Schöppenstuhles  selbst  das,  was  wir  in  unseren  Schöppen- 
stuhlsakten  vor  uns  haben,  im  Jahre  1723  Urtheilsabschriften 
nannte,  während  man  im  Jahre  1725  den  Ausdruck  Urtheile 
und  im  Jahre  1726  den  Ausdruck  Responsa  dafür  brauchte. 
Der  Ausdruck  Urtheilsabschriften  oder  copiae  der  Urthel 
scheint  auf  den  ersten  Blick  auffallig,  es  ist  aber  eine  sehr 
beachtliche  Bezeichnung  aus  ältester  Zeit,  die  sich  bis  1723 
erhalten  hat.  Auffällig  ist  sie,  weil  nach  unserer  heutigen 
Anschauung  unter  Urtheilsabschriften  etwas  ganz  Anderes 
verstanden  wird,  als  was  die  Akten  bieten.  In  ihnen  haben 
wir  nämlich  der  Hauptsache  nach  die  von  einem  Schöppen- 
schreiber  oder  von  einem  Schoppen  des  Brandenburger 
Stuhles  auf  die  gestellten  Anfragen  („Berichte"  oder  „Rechts- 
fragen", später  „Missiven"  genannt)  niedergeschriebenen 
Original  entwürfe  der  Schöppensprüche  vor  uns,  die  in 
gleichlautender  Ausfertigung  den  Anfragenden  mitgetheilt 
wurden.  Nur  vereinzelt  sind  durch  besondern  Zufall  auch  Ori-k 
ginalausfertigungen  solcher  Sprüche  in  die  Akten  auf- 
genommen, und  zwar  Ausfertigungen,  deren  Konzept  bald 
in  den  Akten  sich  findet,  bald  darin  fehlt.  Aus  der  durch 
die  Heins'schen  Register  dargethanen  Thatsache,  dass  einst 
die  auf  die  Missiven  gesetzten  Sprüche  Urtheilsabschriften, 
später  aber  Urtheils entwürfe  waren,  erhellt,  dass  man  vor 
Alters  auch  in  Brandenburg  Gewicht  darauf  legte,  Abschriften 
von  den  hinausgegebenen  Oberhofssprüchen  zurückzubehalten. 
Es  wäre  angezeigt  gewesen,  dafür  schon  früh  ein  besonderes 
Urtheilskopiarium    anzulegen.     Davon    findet   sich   aber   aus 


24  U.    Material. 

jener  Zeit  keine  Spur.1)  Als  mit  dem  sechzehnten  Jahr- 
hundert die  Zurückbehaltung  der  Missiven  und  die  Ent- 
werfung  der  Sprüche  auf  den  unbeschriebenen  Theilen 
der  Missiven  Stil  wurde,  versahen  diese  Entwürfe  den  Dienst 
eines  Urtheilskopiariums :  die  Sammlung  der  Entwürfe  be- 
deutete nichts  Anderes  als  eine  Sammlung  der  Sprüche  im 
Anschlüsse  an  die  alte  Sitte,  nach  welcher  der  Stadtschreiber 
überhaupt  eidlich  verpflichtet  wurde,  die  mit  der  Stadt  Siegel 
versiegelten  Briefe  zu  kopjren.2) 

Die  einfach  nach  der  Zeitfolge  zusammengeschnürten 
Spruchentwürfe  genügten  aber  zur  Blüthezeit  des  Schöppen- 
stuhl Wesens  nicht  dem  Bedürfnisse;  wie  hätte  man  sich  in  der 
zuströmenden  Menge  von  Sachen  ohne  alphabetisches  oder 
systematisches  Repertorium  für  die  nunmehr  gelehrt  ge- 
wordene Spruchpraxis  zurechtfinden  können?  Deshalb  be- 
gannen gegen  Ende  des  sechzehnten  Jahrhunderts  Auszüge 
wichtiger  Oberhofsprüche  —  eine  Art  von  Decisionen-  oder 
Präjudiziensammlungen  —  aufzutauchen,  wie  sie  an  vielen, 
namentlich  gemeinrechtlichen  oberen  und  obersten  Gerichts- 
höfen bis  in  die  neue  Zeit  geführt  wurden.  Eine  solche 
Sammlung  legte  man  in  Brandenburg  in  den  1580er  Jahren  an. 

Aehnlichem  Bedürfnisse  hatten  zwei  Jahrhunderte  vorher 
die  Sammlungen  gedient,  die  in  der  damaligen  Blüthezeit 
altdeutscher  Rechtsprechung  verschiedene  vom  Oberhof 
Magdeburg  abhängige  Gerichte  sich  anlegten,  um  die  er- 
gangenen, dort  erbetenen  Oberhofsprüche  festzuhalten  und 
bei  der  Urtheilsfällung  gegenwärtig  zu  haben.  Dahin  ge- 
hört das  vom  Stadtschreiber  zu  Stendal  für  die  Stendaler 
Schoppen  angelegte  Urtheilsbuch,  in  dem  sich  auf  20  Perga- 
mentblättern Urtheile  der  Magdeburger  Schoppen  in  Sten- 
daler Sachen  aus  der  Zeit  um  1330  finden.3)    Ferner  gehören 


*)  Nur  einmal,  und  zwar  in  einem  alten  Schöppenbuch  der  Neustadt 
findet  sich  um  1430  erwähnt  „das  vorige  schepenbuk,  dar  dy  ordelle 
inne  vorschreven  stanM  (ÜB  l  8);  hiermit  scheint  aber  eher  ein  Buch  für 
die  Urtheile  des  neustädter  Gerichts,  als  für  die  des  Schoppens tuhls  beider 
Städte  gemeint  zu  sein. 

2)  Z.  B.  in  Stendal:  Götze,  Gesch.  der  Stadt  St.   1873  S.  88. 

3)  Vergl.  Behrend,  Stendaler  Urtheilsbuch,  1868  S.  XIII. 


II.    Material.  25 

dahin  die  sog.  Magdeburger  Fragen,  eine  in  Breslau,  Krakau 
und  anderwärts  veranstaltete,  in  Preussen  mit  Zusätzen  ver- 
sehene Sammlung  Magdeburger  Oberhofssprüche  aus  dem 
Ende  des  vierzehnten  Jahrhunderts.1)  Drei  andere  wichtige 
Sammlungen,  die  am  Orte  der  Gerichte,  und  zwar  für  den 
Gebrauch  dieser  Gerichte,  nicht  etwa  für  auswärtige  Ge- 
richte gemacht  sind,  liegen  vor  in  den  Sammlungen  der 
Sprüche  der  Schöffen  zu  Iglau  in  Mähren,2)  der  Schöffen  zu 
Frankfurt  a.  M. :i)  und  der  Schöffen  zu  Ingelheim  am  Rhein. 4) 

Am  weitesten  zurück  in  die  Vergangenheit,  nämlich  in 
das  dreizehnte  Jahrhundert  reichen  die  Iglauer  Sprüche.  Sie 
sind  eine  Sammlung  des  Prager  Klerikers  Johannes  von  Geln- 
hausen (oder  auch  von  Gunpolcz  in  Böhmen,  wohin  sein  Vater 
auswanderte).  Erst  Bergschreiber  in  Kuttenberg,  einer 
Tochterstadt  Iglau's,  fungirte  er  1359  in  Iglau  als  kaiser- 
licher ttatar  und  magister  scolae,  1360  wurde  er  zum  Stadt- 
notar in  Iglau  erwählt.  Als  solcher  trug  er  „ad  omnium 
notariorum  notissimum  et  verissimum  documentum"  die  ihm 
zugänglichen,  zum  Theil  noch  im  13.  Jahrhundert  gefällten, 
Sprüche  auszugsweis,  anfanglich  in  lateinischer  Sprache,  später 
in  deutscher  ein.  Die  älteren  sind  in  kurzen  Sätzen  mit  den 
Einleitungsworten:  „Sententionatum  estM  oder  „Es  ist  ge- 
theilt  worden"  (also  in  der  Weisthumsform),  allmählich  mit 
Heraushebung  der  gestellten  Anfrage,  dann  mit  Erzählung 
des  Thatbestandes  und  endlich  mit  Aufnahme  der  Partei- 
reden oder  Parteischriften  wiedergegeben.  Der  Höhepunkt 
der  Thätigkeit  dieses  Oberhofs  war  die  zweite  Hälfte  des 
14.  Jahrhunderts. 

In  die  nämliche  Zeit  fallen  die  von  Thomas  als  Ober- 
hofssprüche mitgetheilten  Auszüge  aus  Frankfurter  Gerichts- 
büchern,5) ebenso  die  von  Lorsch  mitgetheilten  426  Urtheile 


')  Gaupp,  Das  alte  Magdeb.  und  Hall.  Recht,  Breslau  1826  S.  VII. 
VIII.  Stobbe,  Deutsche  Rechtsquellen  1,  421,  1860.  Behrend,  Die  Magde- 
burger Fragen,  1865.  Schröder,  Deutsche  Rechtsgesch.  2.  Aufl.  S.  665, 
Bonn   1885. 

-)  Tomaschek,  Der  Oberhof  Jglau  in  Mähren,  Innsbruck  1868. 

*)  Thomas,  Der  Oberhof  zu  Frankfurt  a.  M.,  Frkf.  1841. 

4)  Lorsch,  Der  Ingelheimer  Oberhof,  Bonn  1885.         *)  1339  bis  1485. 


26  H.    Material. 

des  Oberhofs  Ingelheim.1)  Dass  die  Frankfurter  Sprüche 
für  Frankfurt  selbst  bestimmt  waren,  ergiebt  sich  aus  ihrer 
Eigenschaft  als  Einträge  im  Gerichtsbuche.  Das  Ingelheimer 
nur  in  einzelnen  Blattern  und  Heften  erhaltene  Manuskript 
hat  in  dem  letzten  Hefte  ein  Titelblatt;  dies  Titelblatt  trägt 
die  Aufschrift;  „Fremdeortelbuch  de  anno  58u;2)  es  bestätigt 
sich  also  dadurch  die  —  auch  aus  den  anderen  erhaltenen 
Theilen  der  Sammlung  begründete  —  Annahme,  dass  es 
sich  um  ein  beim  Oberhof  Ingelheim  angelegtes  Urtheilsbuch 
handelt.  „Fremdeurtheile",  d.  h.  solche  Urtheile,  die  nach 
fremden  Gerichten  hin  ergingen,  nicht  die  für  das  eigene 
(Ingelheimer)  Gericht  ergangenen  Urtheile  wollte  das  Buch 
sammeln.  Es  diente  also  —  gleich  dem  Brandenburger  Buche 
—  den  Zwecken  des  Oberhofs,  unterschied  sich  aber  von  der 
Sammlung  des  Brandenburger  Schöppenstuhls,  dass  es  die 
von  den  anfragenden  Schoppen  des  Tochtergerichts  münd- 
lich oder  unter  Ueberreichung  von  Schriftsätzen  gestellten 
Fragen  vollständig  aufnahm,  also  sich  nicht,  wie  das  Branden- 
burger Buch  fast  überall,  auf  den  gegebenen  Urtheilsspruch 
beschränkte.  Das  Ingelheimer  Fremdurtheilsbuch  war  ein 
Kopiarium  ergangener  Rechtsbelehrungen,  geordnet  nach 
der  Zeitfolge  und  angefertigt,  als  die  Belehrungen  ertheilt 
wurden ;  die  Brandenburger  Decisionensammlung  enthält 
ebenfalls  Kopien  ergangener  Rechtsbelehrungen,  greift  aber 
in  die  Vergangenheit  zurück  und  ist  unter  systematischer 
Gruppirung  des  Stoffes  alphabetisch  geordnet. 

Diese  Sammlung  Brandenburgischer  Sprüche  besitzt  das 
Berliner  Geheime  Staatsarchiv  in  zwei  Exemplaren,  jedes  in 
festem  Einband  aus  älterer  Zeit.  Das  eine3)  war  Theil  der 
Schöppenstuhlsakten,    bis    es  1817    der  Justizminister  Kirch - 

])  1375  bis  1464. 

2)  Lorsch  Seite  V.  Wenn  Lorsch  das  Buch  „Protokolll^cn"  des 
Ingelheimer  Oberhofs  nennt  (S.  I  und  anderwärts),  so  ist  zu  beachten,  dass 
dies  eine  uneigentliche  Bezeichnung  ist;  „Protokollbücher*4,  wie  das  Wort 
Protokoll  überhaupt,  kennt  die  deutsche  Gerichtssprache  des  14.  und 
15.  Jahrh.  noch  nicht.     Stölzel,  Gel.  Richterthum  I,   179. 

3)  Im  Staatsarchiv  bezeichnet:  „No.  3a  Brandenburg,  Schoppen  Rechts- 
belehrung Prov.  Br.  Rep.  16  III b  5  f."  Es  ist  abgedruckt  im  Urkunden- 
band 4. 


H.    Material.  27 

eisen !)  als  den  nach  Versicherung  der  damals  noch  lebenden 
beiden  einzigen  ehemaligen  Mitglieder  des  aufgehobenen 
Schöppenstuhls  wichtigsten  Theil  der  Schöppenstuhlsre- 
gistratur  an  den  Staatskanzler  Fürsten  Hardenberg  abgab» 
der  es  dem  Berliner  Staatsarchiv  überwies.  Der  vorgeheftete 
Rest  eines  Titelblatts  spricht  von  „Rechtsbelehrung  der 
scheppen  beider  statte  Br.  von  bürgerlichen  zweifel- 
haften Sachen  nach  gelegenheit  der  materien  .  .  .  und  Ord- 
nung des  alphabets  zusammengeschrieben";  unter  den  34  Titeln 
des  Textes  handeln  aber  Titel  21  bis  23  von  Strafsachen. 
Das  Ganze  ist  auf  327  Blättern  einheitlich  von  derselben 
Schreiberhand,  anscheinend  im  siebzehnten  Jahrhundert,  her- 
gestellt und  am  Schlüsse  mit  einem  von  anderer  feinerer 
Hand  besorgten  lateinischen  Inhaltsverzeichniss  versehen,  das 
an  seinem  Schlüsse  das  Datum  trägt:  „Brandenburg  7.  Febr. 
1689";  von  einem  Brandenburger  Schoppen  damaliger  Zeit 
rührt  das  Inhaltsverzeichniss  ausweislich  der  Handschrift  nicht 
her.  Auf  Bl.  145  steht  unter  Einträgen  aus  dem  J.  1585  die 
Notiz:  „Und  ist  derowegen  nachfolgende  information  von 
mihr  concipiret  und  also  abgegangen".  Die  Notiz  ist  eine 
Abschrift,  die  derselbe  Schreiber  gefertigt  hat,  von  welchem 
der  gesammte  Text  kopirt  ist.  Eine  Unterschrift  fehlt,  auch 
ist  das  mitgetheilte  Konzept  nicht  in  den  Schöppenstuhls- 
akten  befindlich;  da  aber  Spruchkonzepte  nur  von  den 
Schoppen  selbst  oder  von  den  Schöppenschreibern  herrühren 
können,  so  ist  ein  Schöppe  oder  ein  Schöppenschreiber  Ur- 
heber der  Sammlung.  Das  vorliegende  Exemplar  diente 
nicht  bloss,  wie  das  Datum  des  Registers  ergiebt,  im  Jahre 
1689,  sondern  auch  noch  im  Jahre  1 705  dem  Schöppenstuhle 
selbst  zum  Gebrauche;  denn  Bl.  24  ist  von  der  Hand  des 
Schoppen  Knackrügge  unter  No.  24  des  vom  Abschoss 
handelnden  Titel  I  notirt:  „Mit  Dessau  ist  ein  Vergleich  ge- 
troffen, dass  die  Helfte  des  sonst  gewohnlichen  Abschosseß 
genommen  werde.     Revers  im  Rathhause  d.  21.  Aug.  1705". 

l)  Gen.  Akten  des  JMin.  betr.  die  Aufhebung  des  Schoppenstuhls  in 
Br.  Brandenburg  41  Bd.  1  fol.  108.  109.  Akten  des  Berliner  Staatsarchivs 
R*  73  J*  V.  Kurmark  (Bureau  des  Staatskanzlers)  No.  9  und  Akten  des  Kam- 
mergerichts betr.  die  Besetzung  des  Schöppenstuhls  StA.  R.  97  III  d. 


28  H.    Material. 

Damals  war  also  dies  Exemplar  entweder  in  Knackrügge's 
Privatbesitz  oder  im  Besitze  des  Schöppenstuhls,  der  es  noch 
1817  verwahrte. 

Das  zweite  Exempler  der  Sammlung  Brandenburger 
Sprüche  kaufte  Fürst  Hardenberg  1820  von  dem  Sammler 
Wohlbrück  und  überwies  es  ebenfalls  dem  Berliner  Staats- 
archiv. Es  hat  im  Staatsarchiv  neuerlich  auf  dem  Rücken 
die  Bezeichnung  Decisiones  Marchicae  II  erhalten l)  und  stellt 
einen  Sammelband  ohne  Titel  dar.  Die  Blätter  88  bis  223 
umfassen  —  abgesehen  von  einigen  späteren  Einschaltungen  — 
eine  Kopie  der  Brandenburger  „Rechtsbelehrungen",  wie  sie 
im  ersten  Exemplar  enthalten  ist,  mit  einer  Reihe  von  Aus- 
lassungen, aber  Bl.  178  mit  einem  im  ersten  Exemplar  feh- 
lenden Titelblatt,  das  die  nun  folgenden  „Rechtsbelehrungen 
in  peinlichen  Sachen"  einleitet. 

Die  Abschrift  von  Rechtsbelehrungen,  die  das  erste 
Exemplar  wiedergiebt,  stammt  anscheinend  aus  derselben 
Zeit  wie  die  Abschrift  von  Rechtsbelehrungen,  die  in  diesem 
Sammelband  enthalten  ist.  Blatt  102  und  103  sind  Einschal- 
tungen aus  dem  Jahre  1645  unc*  zwar  von  der  Hand  des 
damals  zum  Schoppen  gewählten  neustädter  Syndikus  Schwarz, 
nämlich  die  Abschrift  des  ihn  als  Schoppen  bestätigenden 
kurfürstlichen  Patentes  und  ein  Entwurf,  in  welchem  Schwarz 
Bedenken  gegen  seine  Schöppenwahl  erhebt.  Bl.  1  bis  87, 
wie  Bl.  227  bis  zum  Schluss  rühren  von  späterer  Hand  her 
und  enthalten  Auszüge  aus  Kollegienheften,  die  mehrfach  Jena 
erwähnen,  oder  Abschriften  von  gerichtlichen  Formularen, 
Blatt  205  bis  226  aber  enthalten  Abschriften  aus  einem  157 1 
beim  Kammergericht  und  einem  1575  beim  Brandenburger 
Schöppenstuhl  verhandelten  Konkursprozess;  letzterem  Pro- 
zess  ist  neben  der  Spruchabschrift  das  von  Roters  Hand 
herrührende  Spruchkonzept  beigefugt  (Bl.  219,  224);  am 
Schlüsse  ist  —  ebenfalls  von  Roter  —  bemerkt:  „In  der 
missiva"  (d.  h.  in  der  an  die  Brandenburger  Schoppen  ge- 
sandten Anfrage  um  Rechtsbelehrung)  „wird  gebetten,  das 
wir  die  erklerunge,  die  Johan  Weinleube,2)   der  alte  canzler 

J)  StA.  R.  94  II  K.  2. 

2)  Vergl.  Stölzel,  Brand.  Pr.  Rechtsverwaltung:  I,   161  ff. 


II.    Material.  29 

seliger,  an  die  landesconstitution  solle  deshalb* angehenget 
haben,  yn  acht  nehmen  wollten,  ich  habe  aber  davon  yn  und 
bey  den  acten  nichts  befunden44.  Die  Blattlagen  einschliess- 
lich des  erwähnten  Konzeptes  mögen  sich  im  17.  Jahrhundert 
im  Besitz  eines  Juristen,  der  in  Jena  ausgebildet  war,  viel- 
leicht eines  Advokaten,  befunden  haben.  Er  Hess  sie  für 
seinen  Handgebrauch  mit  seinen  sonstigen  Excerpten,  die  den 
übrigen  Theil  dieser  sog.  decisiones  Marchicae  füllen,  in  einen 
Sammelband  vereinigen.  Im  Katalog  des  Staatsarchivs  wird 
dieser  Band  als  Vorarbeit  zu  einem  Handbuch  der  juristischen 
Praxis  bezeichnet.  Damit  scheint  auf  die  seit  1678  in  der  Mark 
unternommenen  Arbeiten  zu  Feststellung  eines  jus  certum1) 
hingewiesen  werden  zu  sollen. 

Ihrer  grösseren  Reichhaltigkeit  wegen  ist  dem  Abdrucke 
der  „Rechtsbelehrungenu  im  Urkundenbande  4  das  erstbe- 
sprochene Exemplar  der  beiden  vorliegenden  Abschriften  zu 
Grunde  gelegt,  zur  Vergleichung  und  Ausfüllung  von  Lücken 
aber  das  zweite  Exemplar  mitbenutzt  worden. 

Abgesehen  von  einigen  älteren  auszugsweis  aufgenom- 
menen Sprüchen  aus  den  Jahren  1451,  1474,  1515  und  15402), 
fallen  die  gesammelten  Sprüche  beider  Sammlungen  der 
Brandenburger  Rechtsbelehrungen  in  die  Zeit  von  1569  bis 
1593,3)  d.  h.  in  die  Zeit,  während  deren  Roter  im  Schoppen- 
stuhle  sass.  Ihm  zur  Seite  stand  von  1576  an  als  altstädtischer 
Schöppenschreiber,  später  auch  kurze  Zeit  als  Mitschöppe 
sein  Schwager  Zacharias  Garz,  der  frühere  Brandenburger 
Schulrektor  und  spätere  märkische  Geschichtsschreiber,  der 
im  Jahre  1586  starb.  Garz1  Thätigkeit  scheint  unter  Roters 
Beihülfe  die  Spruchsammlung  ihre  Entstehung  zu  verdanken.4) 
Hymmen  kannte  1 775  dieses  erste  Exemplar  als  einen  Theil 
der  Schöppenstuhlsakten,5)  und  v.  Kamptz  sah  darin  181 1 
einen   „wahrscheinlich   reichhaltigen  Schatzu,    der  über    das 

!)  Siehe  das.  1,  48.  2)  Fol.  90,  124,  172.  *)  Fol.  191,  164. 

4)  Die  Begründung  dieser  Annahme  wird  bei  Besprechung  Garz'  und 
Roter 's  in  §  4  gegeben  werden. 

b)  Beiträge  Bd.  1  S.  213  (wo  der  Titel  freilich  nicht  genau  mit  dem 
des  oben  besprochenen  Exemplars  stimmt,  so  dass  der  Schöppenstuhl  auch 
2  Exemplare  besessen  haben  könnte). 


30  n.    Material. 

nur  in  wefliig  Bruchstücken  vorhandene  Brandenburgische 
Recht  Auskunft  gebe.1) 

Ergänzend  kommen  noch  zwei  weitere  —  gleich  der 
Decisionensammlung  —  nicht  zu  den  Brandenburger 
Archivalien  gehörige  Folianten  ähnlichen  Inhalts  in  Betracht, 
nämlich  eine  vom  Stadtgericht  Jüterbog  in  das  Berliner 
Staatsarchiv  und  eine  vom  Magistrat  zu  Stettin  in  das 
Stettiner  Staatsarchiv  gelangte  Spruchsammlung,  jede,  ebenso 
wie  die  Brandenburger  Sammlung,  aus  dem  Ende  des  sechs- 
zehnten Jahrhunderts  stammend.  Beide  Sammlungen  sind 
nicht  eingebunden,  sondern  nur  geheftet;  es  fehlen  ihnen  die 
ersten  Blätter. 

Die  Jüterboger  Sammlung 2)  beginnt  mit  Bl.  4  und  reicht 
bis  Bl.  269,  sie  besteht  aus  systematisch  unter  Ueberschriften 
zusammengetragenen  Kopieen  von  auswärtigen  Belehrungs- 
sprüchen. Das  Ganze  ist  eine  einheitlich  hergestellte  Ab- 
schrift, wahrscheinlich  bestimmt,  dem  Stadtgericht  Jüterbog 
zur  Rechtsbelehrung  zu  dienen.  Die  Sprüche  lassen  nur  zum 
geringsten  Theile  erkennen,  von  wem  sie  erbeten  und  von 
wem  sie  ertheilt  sind,  oder  von  wann  sie  datiren.  Ein  „Be- 
denken*4 Luthers,  eingeholt  von  Joachim  von  Weissbach  zu 
Ramsdorf  (bei  Chemnitz)  in  der  Ehescheidungsangelegenheit 
eines  seiner  Unterthanen  (Fol.  251),  führt  vor  das  Jahr  1546 
zurück.  Ausserdem  ist  (Fol.  161)  ein  Spruch  des  Doktor 
Fachs,  des  Ordinarius  der  Juristenfakultät  zu  Leipzig  von  1545 
und  (Fol.  117)  ein  Spruch  mehrerer  Leipziger  Doktoren  an 
den  Rath  zu  Weissenfeis  von  1559,  sowie  ein  Spruch  des 
Hofgerichts  Wittenberg  (Fol.  149)  von  1589  datirt.  Sprüche, 
die  nach  Jüterbog  selbst  gegangen  wären,  sind  nicht  ersicht- 
lich, wohl  aber  solche,  die  nach  Pirna,  Meissen,  Kolditz 
(bei  Grimma)  oder  an  den  Fürsten  zu  Schwarzburg  ergingen. 
Als  Spruchbehörden  sind  in  einzelnen  Fällen  ausser  den  be- 
reits genannten  noch  angegeben  die  scabini  Erfordenses, 
Lipsienses,  Magdeburgenses,  das  Hofgericht  zu  Leipzig,  das 
Konsistorium  zu  Leipzig  und  das  Konsistorium  zu  Wittenberg. 
Die  Sammlung  ist  wohl  nicht  vom  Stadtgericht  Jüterbog  oder 

')  Matthis  Jur.  Ztschr.  Bd.  1 1   S.  66. 

2)  StA.  Prov.  Brand.  R.  8.  Jüterbog  A  Tit.  II  Xo.  4. 


H.    Material.  31 

für  dasselbe  angelegt,  sondern  für  eine  andere  Stadt  oder 
für  mehrere  Städte  sächsischen  Rechtes;  das  demselben  Rechte 
angehörige,  1815  zuPreussen  gekommene  Stadtgericht  Jüter- 
bog hat  dann  Veranlassung  genommen,  sich  die  Sammlung 
abschreiben  zu  lassen.  Den  Schluss  des  Bandes  bildet  ein 
Inhaltsverzeichniss  von  18  Bl.  aus  der  Zeit  der  Anlage  des 
Buches.  Das  Ganze  ist  von  Interesse  für  die  Kenntniss  des 
Standes  der  Rechtsprechung  sächsischer  Stadtgerichte  am 
Ende  des  sechszehnten  Jahrhunderts. 

Ebenso  ist  für  den  Stand  der  Rechtsprechung  der  Stet- 
tiner Schoppen  in  der  nämlichen  Zeit  die  Stettiner  Samm- 
lung von  Interesse.  Sie  beschränkt  sich  auf  die  Zeit  von 
1590  bis  1601  und  enthält  auf  den  allein  noch  vorhandenen 
Folien  63  bis  440  theils  Sprüche,  die  von  den  Stettiner 
Schoppen  als  Oberhof,  theils  Sprüche,  die  von  ihnen  als 
Stettiner  Stadtgericht  ausgingen.  Die  Sammlung  der  Ober- 
hofssprüche bedeutet  dasselbe  wie  das  Ingelheimer  Fremd- 
urtheilsbuch:  die  Zurückbehaltung  von  chronologisch  geord- 
neten Abschriften  der  nach  auswärts  gesandten  Sprüche. 
Darum  trägt  auch  derjenige  Theil  des  Stettiner  Bandes,  der 
diese  Oberhofssprüche  enthält,  das  —  von  alter  Zeit  her- 
rührende —  Titelblatt  „Copien"  und  bestätigt  damit,  was 
oben1)  über  die  „copeilichen  Abschriften"  der  Brandenburger 
Schöppenstuhlsakten  gesagt  ist.  Diese  „Copienu  von  Stettiner 
Belehrungsurth eilen  (Fol.  69  bis  184)  werden  (von  Fol.  185 
bis  217)  durch  zwei  Blattlagen  „Urthell"  (d.  h.  Stettiner 
Stadtgerichtserkenntnisse)  unterbrochen ,  untermischt  mit 
einzelnen  Rostocker,  Leipziger,  Wittenberger  Belehrungs- 
urtheilen  und  einigen  anderen  Dingen. 

IL  Theil  der  Akten  des  jetzigen  Amtsgerichts  Brandenburg 
bildet  ausser  den  Schöppenstuhlsakten  noch  ein  im  J.  1855 
bei  Revision  der  Schöppenstuhlsbibliothek  aufgefundenes 
„Schöppenbuch  der  Churf.  Assessoren  Beyder  Städte  Alt- 
und  Newstadt  ^Brandenburg",  das  damals  zu  den  Generalakten 
des  Kreisgerichts  zu  Brandenburg  genommen  ist.2)    Das  Buch, 

*)  Siehe  S.  22,  23. 

2)  Im  Auszuge  mitgetheilt  von  Grupp  im  31.  Jahresberichte  des  hist. 
Vereins  zu  Brandenburg  a.  H.  S.  83  ff. 


32  n.    Material. 

ein  Folioband  von  nur  35  Blättern,  hat  der  am  20.  April  1692 
als  secretarius  scabinatus  beeidigte  Job.  Wolfgang  Steltzner 
—  anscheinend  erst  zu  dieser  Zeit  —  angelegt  (Fol.  14*). 
Auf  Bl.  1  bis  5  gab  Steltzner  einige  dürftige  geschichtliche 
Nachrichten  über  den  Schöppenstuhl.  Dann  bestimmte  er  die 
Bl.  6  bis  12  für  Einträge  über  die  Schoppen,  die  Bl.  12  bis  23 
für  Einträge  über  die  Sekretarien  und  die  Bl.  24  bis  35  für 
Einträge  über  allgemeine  den  Schöppenstuhl  angehende 
Nachrichten.  Seine  Einträge  über  Schoppen  reichen,  mit 
dem  juramentum  scabinorum  beginnend,  von  1660  bis  1703, 
seine  Einträge  über  Sekretare  von  1663  bis  1703,  dann  folgen 
gleichartige  Einträge  von  anderer  Hand;  sie  beruhen,  so- 
weit sie  die  ältere  Zeit  betreffen,  nicht  auf  eigenen  Erleb- 
nissen Steltzners;  denn  er  ist  erst  1661  geboren. 

.  Diesem  Buche  gab  man  beim  Einbinden  im  ersten  Jahr- 
zehnte des  19.  Jahrhunderts  den  Namen  „Schoppenbuch"  in 
Rückerinnerung  an  alte  Zeiten,  nur  war  früher  ein  Schöppen- 
buch  dazu  bestimmt,  Nachricht  über  die  Thätigkeit  der 
Schoppen  und  über  die  vor  ihnen  stattgehabten  Verhand- 
lungen zu  geben,  während  unser  Schöppenbuch  sich  auf 
Nachrichten  über  das  Personal  des  Schöppenstuhls  und  über 
obrigkeitliche  allgemeine  Anordnungen  beschränkte. 

Damit  führt  das  Schöppenbuch  des  Schöppenstuhls  aus 
der  Zeit  von  1660  bis  1803  zurück  zu  drei  anderen  Büchern 
aus  der  Zeit  von  1297  bis  1548,  die  jetzt  dem  Brandenburger 
Stadtarchiv  angehören,  früher  im  Besitze  der  Neustadt 
Brandenburg  waren,  weil  sie  nicht  Angelegenheiten  des 
beiden  Städten  Brandenburg  gemeinsamen  Schöppenstuhls, 
sondern  ausschliesslich  Angelegenheiten  der  neustädtischen 
Rathmannen  und  Schoppen  betrafen. 

Wie  die  Schöppenstuhlsakten  von  1432  bis  1807  ein 
werth  volles  Material  für  einen  Einblick  in  die  Spruch- 
thätigkeit  des  Schöppenstuhls,  so  bieten  diese  drei  Bücher 
ein  gleich  werthvolles  Material  für  die  Erkenntniss  dessen, 
was  vor  Rath  und  Schoppen  der  Neustadt  in  Angelegenheiten 
der  nichtstreitigen  Gerichtsbarkeit  verhandelt  ist.  Schon  hier- 
aus erhellt,  dass  die  Bücher  für  die  Entwickelungsgeschichte 
der    Rechtsprechung    überhaupt    und    des    Schöppenstuhls 


II.    Material.  33 

beider  Städte  Brandenburg  insbesondere  kaum  in  Betracht 
kommen  können:  sie  liefern  nur  einzelne  Nachrichten  über 
die  zugleich  als  Schöppensch reiber  des  Schöppenstuhls  beider 
Städte  thätigen  neustädtischen  Stadtschreiber,  ferner  über 
diesen  und  jenen  Schoppen;  wichtig  ist  aber,  dass  sie  ein 
Statut  über  die  Betheiligung  der  Schoppen  am  Schöppen- 
stuhl  beider  Städte  und  über  ihre  daraus  fliessenden  Gebühren- 
ansprüche enthalten. 

Die  beiden  ältesten  dieser  drei  Bücher  hat  Sello,  der  sie 
mit  Recht  zu  dem  Werthvollsten  des  Brandenburger  Stadt- 
archivs zählt,  in  dankenswerther  Weise  ans  Licht  gezogen 
und  durch  Mittheilungen  ausgewählter  Stellen  einen  Begriff 
von  ihrer  Einrichtung  wie  ihrem  Inhalte  gegeben.1) 

Das  älteste  Buch  umfasst  die  „  Vermachungen  des  vierten 
Pfennigs  und  andere  Vergabungen"  von  1297  bis  1389,  das 
Zweitälteste  ist  die  in  den  ersten  Dezennien  des  fünfzehnten 
Jahrhunderts  begonnene  Fortsetzung  eines  1386  auf  Raths- 
besc{iluss  angelegten  Stadtbuchs,  in  das  die  noch  nicht  ge- 
löschten und  nicht  veralteten  Einträge  des  vorhergegangenen 
älteren  Schöppenbuchs  übernommen  wurden;2)  es  reicht  bis 
zum  Jahre  1480. 

Die  Beschaffenheit  dieses  zweiten  Buches  ist  von  Erheb- 
lichkeit für  das  Verständniss  des  dritten,  seinen  Anfangs- 
worten nach  anscheinend  1492,  in  Wirklichkeit  aber  erst  1495 
angelegten  Buches,  das  nur  in  23  lose  zusammengehefteten 
Pergamentblättern  erhalten  ist.  Weil  auch  dieses  Buch  in  die 
Vergangenheit  zurückgreift,  sind  die  den  Anfang  bildenden 
statuta,    und  darunter  das  einzige  Statut,  das  wir  überhaupt 

1)  Märkische  Forschungen  Bd.  18  S.  1  bis  108.  1882.  Aehnliche 
Bucher  der  Städte  Zerbst  und  Aken  hat  Neubauer  im  7.  Bd.  der  Mit- 
theilungen des  Vereins  für  anhaltische  Gesch.  und  in  den  Jahrgängen  von 
1895,  1897  der  Geschichtsblätter  für  Magdeburg  veröffentlicht;  ebenso  an 
letzterem  Orte  Setzepfandt  ein  solches  Buch  der  Stadt  Oschersleben. 

2)  Das  zeigt  die  (Sello  unverständlich  gebliebene)  Bemerkung  auf 
Bl.  4  an:  Nota  quod  propter  inveterata  et  extincta  hec  facta  primo  incepi 
redigere  ad  scripta.  Das  extinguere  geschah  ausweislich  dieses  Buches 
und  des  älteren  Buches  dadurch,  dass  die  Schrift  mit  einer  Flüssigkeit  hin- 
weggewischt („gelöscht")  wurde.  Hierauf  ist  unsere  heutige  „Löschung44 
der  Grundbucheinträge  zurückzufuhren. 

S  t  ö  1  z  e  I ,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  3 


34  II.    Material. 

über  den  Schöppenstuhl  besitzen,  nicht  aus  1492  oder  der 
Zeit  nachher,  sondern  aus  der  Zeit  vorher,  und  zwar  der 
Sprache  nach  aus  dem  Beginne  des  fünfzehnten  Jahrhunderts, 
woraus  sich  dann  erklärt,  dass  jenem  undatirten  Statut  ein 
aus  dem  Jahre  1455  datirtes  Statut  nachfolgt. 

III.  Weiter  sind  dann  noch  an  archivalischem  Materiale 
herangezogen: 

1.  aus  dem  Aktenbestand  des  Brandenburger  Amts- 
gerichts mehrere  Raths-  und  Gerichtsbücher  von  1522  bis 
1689,  darunter  besonders  die  altstädtischen  Rathsbücher 
A  1,  ia  und  2,  und  die  neustädtischen  Raths-  und  Gerichts- 
bügher No.  1  bis  4  von  1534  bis  1662,  ferner  die  reponirten 
Akten  II  K  5  und  II  S  9,  betreffend  den  Brandenburger  Schöp- 
penstuhl; 

2.  aus  dem  Brandenburger  Stadtarchiv  die  Doku- 
mentensammlung, die  Rathsbücher,  die  Rathsrechnungen  und 
einige  Fascikel  der  reponirten  Akten; 

3.  aus  dem  Berliner  Geheimen  Staatsarchiv  die 
Urkundensammlung  R.  21  n.  9  c  von  1559  an,  die  für  die  Er- 
kenntniss  der  Verfassung  des  Schoppen  Stuhls  von  Werth  ist, 
ferner  die  Sammlung  kurfürstlicher  Strafsachen  R.  49  mit 
ihren  Brandenburger  Sprüchen,  auch  Einzelnes  aus  der 
mehrere  hundert  Bände  umfassenden  Sammlung  der  sog. 
Sentenzenbücher  des  Berliner  Kammergerichts; 

4.  die  ersten  drei  Bände  der  in  der  Leipziger  Univer- 
sitätsbibliothek befindlichen,  über  hundert  Bände  um- 
fassenden sog.  Konzeptbücher  des  Leipziger  Schöppenstuhls, 
einer  mit  den  Akten  des  Brandenburger  Schöppenstuhls  nahe 
verwandten  sehr  reichhaltigen  Sammlung; 

5.  drei  Brandenburger  Originalsprüche  aus  dem  Archiv 
der  Stadt  Luckau  und  eine  Anzahl  von  Packeten  des  Archivs 
der  Stadt  Zerbst,  betr.  die  Beziehungen  der  Stadt  Zerbst 
zur  Stadt  und  zum  Bisthum  Brandenburg  um  die  Wende  des 
15.  und  16.  Jahrhunderts,  ferner  aus  dem  Tangermünder 
Stadtarchiv  die  Inquisitionsakten  gegen  Grete  Minde  und 
Genossen  wegen  Brandstiftung  von  1619,  sowie  die  Inquisitions- 
akten gegen  Andreas  Lütken  und  Genossen  von  1621  und  gegen 
Hans  Haveman  von  1681,  die  mehrere  Originalsprüche  ent- 


II.    Material.  35 

halten  und  ein  anschauliches  Bild  von  der  damaligen  Gestal- 
tung des  Inquisitionsprozesses  geben,  aus  dem  Stettiner 
Staatsarchiv  die  Inquisitionsakten  gegen  die  Ehefrau  des 
Melchior  v.  Dobbersitz  wegen  Zauberei  von  1591,  die  einen 
interessanten  Spezialfall  aus  den  Brandenburger  Schöppen- 
x  Stuhlsakten  in  wünschenswerther  Weise  ergänzen ; 

6.  die  Generalakten  des  Berliner  Justizministeriums, 
betreffend  die  Aufhebung  des  Schöppenstuhls  in  Branden- 
burg und  die  Pensionirung  der  Mitglieder  desselben  von  18 10, 
die  Kommissionsakten  desselben  Ministeriums  wegen  künftiger 
Einrichtung  der  Patrimonialgerichte  im  Regenwalder  und 
Naugarder  Kreise  pp.  von  1847  Adh.  II  zu  P.  38,  ferner 
die  Genera] akten des  Berliner  Kammer  gerichts,  betreffend 
die  Inrotulirung  der  Akten  des  ehemaligen  Schöppenstuhls  zu 
Brandenburg  II  A  9  vol.  spec.  und  die  beim  Oberlandesge- 
richt Naumburg  verwahrten  Aktenreste  des  Schoppen- 
stuhls zu  Halle. 

Erwähnt  mögen  noch  werden  die  Leichenpredigt- 
sammlungen  des  Archivs  der  St.  Paulikirche,  der  Bibliothek 
der  St.  Gotthardtkirche  zu  Brandenburg,  der  Kgl.  Bibliothek 
und  des  Gymnasiums  zum  grauen  Kloster  zu  Berlin,  sowie 
die  Grabdenkmäler  in  den  Brandenburger  Stadtkirchen.  Sie 
lieferten  schätzbares  Material  zur  Feststellung  des  Lebens-  und 
Bildungsganges  einzelner  Schoppen. 


3* 


Erster  Theil. 


Der  Brandenburger  Schöppenstuhl 

(1232  bis  1817). 


Est  et  apud  Brandenburgenses 
celebre  Judicium,  ad  quod  tan- 
quam  ad  Areopagitarum  tribunal 
e  longinquis  regionibus  deferuntur 
causae  dijudicandae, 

Georg  Sabinus.    (f  1560.) 


i.  Buch. 

Örtlichkeiten.  Titulaturen  und  Anreden. 

§1. 

örtlichkeiten. 

Die|  heutige  Stadt  Brandenburg  an  der  Havel  zerfällt, 
wie  viele  an  Flüssen  gelegene  Städte,  nicht  bloss  in  die  an  dem 
einen  Flussufer  (hier  dem  rechten)  gelegene  Altstadt  und  die 
gegenüber  am  anderen  (hier  dem  linken)  Flussufer  gelegene 
Neustadt,  sondern  sie  hat  noch  einen  dritten  Theil,  eine  nörd- 
lich der  Neustadt  und  östlich  der  Altstadt  durch  zwei  Havel- 
arme gebildete  Insel,  auf  der  die  Burg  stand  und  der  Dom 
steht,  umgeben  von  den  Räumlichkeiten  des  Domcapitels, 
deren  Insassen  noch  heute  „auf  der  Burgu  wohnen.  Südlich 
wie  nordöstlich  wird  die  Insel  durch  einen  Mühlendamm  und 
durch  Brücken  mit  dem  Festland  verbunden;  nördlich  von 
ihr  liegt  der  grosse  Beetzsee,  der  südlich  eine  schmale  Ver- 
bindung mit  der  Havel  hat.  Diese  Verbindung  überbrückt 
die  „Homeienbrücke44,  indem  sie  von  der  Altstadt  zu  einer 
nördlich  von  der  Burginsel  gelegenen  zweiten  Insel  fuhrt, 
über  die  man  erst  in  westlicher  Richtung  auf  dem  jetzt  s.  g. 
Grillendamm  und  dann  in  südlicher  Richtung  auf  dem  nörd- 
lichen Mühlendamm  zur  Burg  gelangt.  Der  Grillendamm  hiess 
früher  „alter"  Damm  und  noch  früher  „Homeienu-Damm.1) 
Altstadt  und  Neustadt  werden  im  Südwesten  der  Homeien- 
brücke durch  die  „lange  Brücke"  verbunden. 

Neben  der  Mitte  der  langen  Brücke  —  anscheinend  im 
Wasser  —  stand  einst  das  Rathhaus,  das  später  als  Schepen- 
oder  Schöppenhaus    „beider  Städte  Brandenburg"   diente. 

2)  Gütige  Mittheilung  des  Schriftführers  des  Brandt»,  histor.  Vereins, 
Herrn  Oberlehrer  Dr.  Tschirsch.  Noch  1759  heisst  in  Verhandlungen 
zwischen  Stadt  und  Dom  der  Grillendamm  „Hameyen  -  Damm".  RA. 
Acta  A.  1  D.  13.  „Alter  Damm"  (antiquus  agger)  kommt  schon  1324  vor. 
Riedel,  cod.  dipl.  1,  9,  26,  letzte  Zeile. 


40  *•  Buch,     örtlichkeiten.     Titulaturen  und  Anreden. 

Aus  der  Lage  dieser  Oertlichkeiten  zu  einander  und  aus 
ihren  Benennungen  lassen  sich  wichtige  Schlüsse  für  die  Ent- 
wicklungsgeschichte unseres  Schöppenstuhls  ziehen. 

Im  Gebiete  der  „Altstadt"  müssen  wir  die  „Villa"  suchen, 
d.  h.  die  erste  wirtschaftliche  Anlage,  aus  der,  wie  allgemein 
die  Entwickelungsgeschichte  unserer  Städte  lehrt,  ein  Dorf 
und  dann  eine  Stadt  erwuchs.  Diese  Villa  hiess  „Parduin"; 
sie  war  wendischen  Ursprungs  und  lag  naturgemäss  am 
rechten  Flussufer,  weil  dieses  hier  einen  Aussenbogen 
bildet,  und  zufolge  dessen  höher  ist  als  das  gegenüber  ge- 
legene linke  Ufer,  wo  der  Moorgrund  hinderte,  dicht  an  die 
Wasserstrasse  der  Havel  heranzubauen.  Als  hier  später  die 
Neustadt  sich  ansiedelte,  blieb  ihr  nur  übrig,  ihre  Stadtmauern 
vom  Flussufer  erheblich  zurückzurücken,  während  gegenüber 
die  Stadtmauer  der  Altstadt  sich  nächst  dem  Flusse  her- 
ziehen konnte.  Die  Neustadt  selbst  wurde  vom  Dome  her 
angelegt  und  näherte  sich  der  Havel  nur  so  weit,  als  es  der 
Baugrund  gestattete.  So  lag  zwischen  dem  linken  Havel- 
ufer und  der  neustädtischen  Mauer  ein  mehrere  hundert 
Meter  breites  Stück.  Die  Häuser,  die  später  hier  zwischen 
beiden  Städten  entstanden,  wurden  auf  Pfählen  angelegt, 
so  dass  sich  dieser  Stadttheil  im  Volksmünde  den  Namen 
Venedig  erwerben  konnte,  während  der  Streifen,  der  sich 
hierdurch  zwischen  beiden  Stadtmauern  bildete  und  den  dann 
die  „lange  Brücke"  überbrückte,  gleichfalls  den  Namen 
„zwischen  beiden  Städten"  erhielt.  Auch  die  lange  Brücke 
und  das  Rathhaus  (das  spätere  Schöppenhaus)  befanden  sich 
deshalb  auf  dem  Terrain,  das  man  mit  dem  Ausdrucke 
„zwischen  beiden  Städten"  bezeichnete. 

Die  Rathsherren,  die  im  Rathhause  sich  versammelten, 
hielten  ebenso,  wie  nachher  die  Schoppen,  die  im  Schöppen- 
hause  tagten,  ihre  Sitzungen  „zwischen  beiden  Städten",  und 
wenn  (1455)  berichtet  wird,  dass  nach  einem  Spruche  des 
Markgrafen  und  seiner  Räthe  der  Rath  der  Neustadt  „das 
Gericht  zwischen  beiden  Städten  behalten  soll",1)  so  ist  hier 
nicht  ein  besonderes  Gericht  (neben  dem  altstädtischen  oder 

*)  Stadtbuch  von  1386  ff.,  bei  Sello,  Brdb.  RQuellen  (in  mark.  Forsch. 
Bd.  18)  S.  70  No.  32. 


§  i.     Örtlichkelten.  41 

neustädtischen  Stadtgerichte)  gemeint,  sondern  es  soll  nur  ge- 
sagt werden,  dass  dem  neustädtischen  Rathe  die  von  ihm 
bisher  bereits  „zwischen  beiden  Städten"  (d.  h.  für  das  Ge- 
biet dieses  Zwischenraums)  geübte  Gerichtsbarkeit  auch  für 
die  Zukunft  zuzusprechen  sei. 

Wo  urkundlich  die  Ortsbezeichnung  „zwischen  beiden 
Städten"  vorkommt,  muss  also  aus  dem  Zusammenhang 
ermittelt  werden,  ob  damit  eine  Lokalität  innerhalb  jenes 
Zwischenraums,  und  welche  Lokalität,  oder  ob  etwa  damit  die 
ganze  zwischen  beiden  Städten  liegende  Fläche  gemeint  sei.1) 

Die  Villa  Parduin  gehörte  zu  dem  grossen  Landgerichte, 
das  sich  „zur  Klinke"  nannte.  Denn  der  Richtsteig  Land- 
rechts (1335)  lehrt:  „We  in  der  Nienmarke  (d.  i.  in  der 
Mark  Brandenburg  im  Gegensatz  zur  Altmark)  en  ordel  seilt 
unde  bittet  ens  rechtes  war  hes  tien  scole,  so  vintme  tur 
Klinken  bei  Brandenborch",  und  er  lehrt  auch:  „Kumpstu 
tur  Klinken,  vintme  di  den  noch  unrecht,  so  du  als  er, 
so  wiset  man  di  tur  Krepen  in  der  Oldenmarke.  Van 
denne  wiset  men  di  tur  Linden."2)  Die  Krepe  ist  bei 
Stendal  und  die  Linde  bei  Salzwedel  zu  suchen.3) 

Ueber  den  Ort,  wo  „zur  Klinke"  Gericht  gehegt  wurde, 
ist  bislang  viel  Zweifel  gewesen.  Da  sich  Ortsbezeichnungen 
am  längsten  im  Volksmunde  zu  erhalten  pflegen  und  deshalb 
die  sichersten  Wegweiser  sind,  ergab  sich  von  selbst  die 
Frage,  wo  etwa  heute  noch  unweit  Brandenburg  eine  Klinke 
gelegen  ist.  Klinke  ist  ein  Ausdruck  für  einen  schmalen 
spitz  zulaufenden  Gegenstand,  also  auch  für  eine  Landzunge, 
und  gehört  sowohl  dem  germanischen  als  dem  niederwendi- 
schen Wortschatze  an,  letzterem  in  der  Form  „Klinka".4) 
Einer  Mühle    „zur  Klinke"   erinnert    man    sich    gegenwärtig 

2)  Wenn  darum  z.  B.  1560  (8  112)  der  Neustädter  Schöppe  Vielitz 
schreibt:  „Hätte  ich  .  .  .  .  zwischen  beiden  Städten  verharren  können 
und  andrer  notwendiger  geschäfte  halben  nicht  abgehen  dürfen  (=  müssen), 
wollte  ich  ....  meine  meinung  auch  gerne  darzu  gesagt  haben",  so  ist 
hier  auf  eine  Sitzung  im  Schöppenhause  verwiesen. 

2)  Homeyer,  Der  Richtsteig  Landrechts.    Berlin  1857.    S.  313,  314,  512. 

8)  Kuhns,  Ger. Verf.  in  der  Mark  Br.  II  S.  55,  62. 

*)  Grimm,  Wörterbuch. 


42  i-  Buch.     Örtlichkeiten.    Titulaturen  und  Anreden. 

etwa  3  Stunden  nordöstlich  von  Brandenburg.1)  Wenn  hier 
ein  Platz  im  Freien  sich  findet,  der  von  allen  Seiten» 
namentlich  in  der  wasserreichen  Gegend  auch  vom  Wasser 
her  zugänglich,  für  eine  Versammlung  der  Gerichtsinsassen 
geeignet  ist,  so  darf  hier  die  Klinke  des  Jahres  1 335  gesucht 
werden. 

Ein  solcher  Platz,  von  dem  1452  Richter  und  Bauern  zu 
Riewend  bezeugen,  dass  er  Eigenthum  der  Stadt  Brandenburg 
sei,2)  mit  einer  Klinkbrücke  und  einem  Klinkgraben  in  der 
Nähe,  liegt  am  nördlichen  Endpunkte  des  Riewendsees,  eines 
sich  in  nordöstlicher  Richtung  an  den  Beetzsee  anschliessen- 
den Gewässers.  Hier  wird  durch  einen  aufgeworfenen  Wall 
ein  geräumiges,  unregelmässiges,  an  den  Ecken  abgerundetes 
Viereck  gebildet,  innerhalb  dessen  bequem  mehrere  hundert 
Menschen  Platz  finden.  Im  Süden  grenzt  der  Wall  unmittel- 
bar an  die  Nordspitze  des  Sees,  auch  im  Westen  tritt  er 
wenigstens  nahe  an  den  See  heran.  Im  Nordwesten  zeigt 
der  Wall  nach  dem  anstossenden  Ackerland  hin  und  ebenso 
im  Süden  nach  dem  See  hin  eine  flache,  breite  Aushöhlung 
seines  Randes,  als  sollte  der  Zugang  einerseits  vom  Felde, 
andererseits  vom  Wasser  her  erleichtert  werden.  Im  Osten 
und  Norden  umgiebt  sumpfiges  Wiesenland  den  Wall,  das 
nach  Aussage  von  Einwohnern  des  nahen  Dorfes  Wachow 
früher  Theil  des  Riewender  Sees  gewesen  sein  soll.  Ist  dies 
richtig,  dann  lag  ursprünglich  der  Wall  am  Südostende  einer 
von  Nordwesten  her  in  den  See  sich  erstreckenden  Land- 
zunge.3) Diese  Landzunge  war  die  Klinke;  sie  gab  dem  Ge- 
richt „zur  Klinke",    wie  der   Mühle,    der  Brücke    und   dem 

1)  Das  Dorf  Klinke  bei  Gardelegen  kann  als  zu  entfernt  von  Br.  nicht 
in  Betracht  kommen.  Uebrigens  redete  man  auch  hier  1465  von  Bauern 
„wohnhaft ig  zu  der  Klinke"  (11  506)  und  1584  von  einem  „Schulzen  zur 
Klingke"  (25  275). 

2)  Riedel  I,  9,  196. 

3)  Auf  der  Karte  „Tremmen"  der  Kgl.  Pr.  Landesaufnahme  von  1880 
ist  der  Ringwall  nordlich  vom  Riewendsee  mit  33  bezeichnet.  Man  schraf- 
fire  die  Fläche  von  Fischer  bis  Möserdammbrucke  und  Klingbrücke  als  zum 
See  gehörig,  und  die  weit  in  den  See  hineinragende  „Klinke"  tritt  als  mäch- 
tige Landzunge  deutlichst  in  die  Erscheinung.  Dies  beruht  auf  dankens- 
werther  Feststellung  des  Herrn  Landrichters  Deichmann. 


§  i.     Örtlichkeiten.  43 

Graben  „zur  Klinke"  den  Namen.1)  Ein  geeigneterer  Ort  für 
die  Zusammenkunft  der  Gerichtseinsassen  ringsum  vom  Lande, 
wie  vom  Wasser  her  Hess  sich  kaum  finden.  Der  Wall  ist 
neuerdings2)  durch  graben  und  auf  seinen  archäologischen 
Werth  geprüft  worden.  Das  Ergebniss  war  die  Auffindung 
zahlreicher  Thierknochen  und  Thonscherben,  aus  denen 
mehrere  ganze  Töpfe  haben  zusammengestellt  werden  können; 
die  Thonscherben  sind  sämmtlich  slavischen  Ursprungs,  die 
jüngsten  wohl  aus  der  Zeit  zwischen  iooo  und  1200.  Es  leidet 
darum  keinen  Zweifel,  dass  sich  in  dem  Ringwall  bis  zum 
zwölften  Jahrhundert  eine  slavische,  unter  des  Walles  Schutz 
angelegte  Ansiedelung  befand,  auf  die  noch  einzelne  in 
der  Umwallung  ausgegrabene  eichene  Holzpfahle  hindeuten; 
auch  neben  der  Umwallung  entdeckte  man  slavische  Scherben, 
zugleich  aber  ganz  vereinzelte  Scherben  aus  deutschen 
Töpfereien.  Nachdem  die  Slaven  den  Wall  verlassen,  ist  er 
nicht  wieder  besiedelt  worden.  Es  kann  darum  sehr  wohl  der 
von  ihm  eingeschlossene  Raum  als  Gerichtsstätte  benutzt 
sein,  seitdem  die  Slaven,  die  nach  Obigem  auch  eine  Klinka 
kannten,  verdrängt  waren;  jener  Raum  diente  vielleicht  so- 
gar schon  den  Slaven  als  Versammlungs-  und  damit  auch  als 
Gerichtsplatz,  so  dass  ihre  Besieger  nur  den  alten  Brauch 
fortsetzten,  wenn  sie  in  der  Umwallung  Gericht  hielten.  Ihr 
Gerichtsplatz  befand  sich  dann  in  Wahrheit  auf  dem  Wasser, 
wie  es  in  wasserreichen  Gegenden,  denen  das  Wasser  ebenso 
geheiligter  Boden  war,  wie  den  bergigen  Gegenden  der  Wald 
oder  der  Berggipfel,  der  Uebung  entsprach ;  wenigstens  war 
er  rings  vom  Wasser  umgeben.3) 

2)  Unabhängig  von  den  aus  Anlass  dieser  Schrift  eingeleiteten  Unter- 
suchungen ist  Grupp  im  31.  Jahresbericht  des  histor.  Vereins  zu  Brandenburg 
(S.  93  ff.)  zu  gleichem  Ergebnisse  gelangt  (vergl.  auch  Grupp  im  7.  bis  12. 
Jahresberichte  S.  25). 

a)  Im  Okt.  1900  von  Herrn  Dr.  Götze  im  Auftrage  des  Direktors  des 
Kgl.  Museums  für  Völkerkunde  Herrn  Geheimrath  Voss.  Die  Veranlassung 
lag  in  der  gegenwärtigen  Untersuchung  über  den  Ort  des  Gerichts  zur 
Klinke. 

a)  Nach  Huber's  Mittheilung  kam  es  in  der  Schweiz  noch  im  17.  Jahrh. 
vor,  dass  die  Schoppen  den  einen  Fuss  in  ein  Gefass  mit  Wasser  stellten, 
um  der  alten  Sitte  des  Tagens  „auf  dem  Wasser"  gerecht  zu  werden. 


44  i.  Buch.     Örtlichkeiten.     Titulaturen  und  Anreden. 

Aus  diesem  Landgericht  oder  Landdinge  zur  Klinke,  wo 
einst  die  um  den  Riewendsee  sitzenden  Slaven  ihre  Ansiedelung 
hatten,  hob  sich  zu  selbständiger  gerichtlicher  Existenz,  was 
Brandenburg  betrifft,  wahrscheinlich  zuerst  das  Brandenburger 
Burggericht  heraus.  Der  Anlage  einer  Villa  folgt  in  der 
Regel  die  Anlage  einer  Burg  zum  Schutze  der  Villa  und  ihrer 
Umgebung.  Derselbe  Grund,  der  im  Berglande  bestimmte,  die 
Burgen  auf  die  Höhen  zu  setzen,  bestimmte,  im  wasserreichen 
Flachlande  die  Burgen  auf  Inseln  zu  erbauen.  Nicht  bloss 
die  Brandenburg  lag  in  der  Mark  auf  einer  Insel,  sondern 
ebenso  die  Ruppinburg  und  die  Teupitzburg,  wie  andere 
mehr.  Das  Wasser  wehrte  den  Zugang  zur  Burg,  wie 
anderwärts  es  die  Berghöhe  that.  Schon  im  Jahre  927  wird 
die  Burg  genannt;  sie  fiel  damals  zuerst  und  wiederholt  im 
Jahre  ^40  in  deutsche  Hände;  neun  Jahre  später  konnte 
Otto  I.  daran  denken,  in  der  Burg  ein  Bisthum  zu  gründen.1) 
So  diente  die  Burg  nicht  mehr  bloss  zum  Schutze  der  Villen 
jenseits  der  Havelarme,  sondern  vor  Allem  des  auf  der  Havel- 
insel erwachsenden  Bisthums,  seines  Domes  und  seiner  um  den 
Dom  sich  ansiedelnden  und  dem  Schutze  der  Burg  sich  anver- 
trauenden Domgemeinde.  Es  entstand  damit  eine  Burgstadt, 
die  der  König  schon  im  Jahre  949  eine  civitas  nannte.2)  Zu  ihr 
zog  der  Bischof  Wilmarus  vor  dem  Jahre  11 66  die  von  seinem 
Vorgänger  Wiggerus  im  Parduin  angesiedelten  Prämonstra- 
tenser  der  dortigen  Gotthardskirche  herüber3)  und  schuf  so 
das  spätere  Domkapitel  der  Burg.  Wenn  1 1 5 1  von  der  urbs 
oder  civitas  Brandenburg,4)  1165  von  der  urbs  Brandenburg 
neben  der  in  suburbio  apud  Brandenburg  gelegenen 
Gotthardskirche^)  11706)  von  einem  castrum  Brandenburg 
pro  ceteris  castris  totius  Marchiae  gloriosum,  das  ein  regale 
castrum,  eine  camera  imperialis,  eine  sedes  episcopalis  sei,  1 186 


J)    Riedel,    Die    Mark    Brandenburg    im    Jahre    1250,    1.  Thl.    1831 
S.  322  ff. 

*)  Riedel,  c.  d.  Bd.  8  S.  91. 

8)  Riedel,  c.  d.  Bd.  8  S.  107. 

4)  Riedel  1,   15,  6. 

*)  Sello,  Brdb.  Bisthumschronik  1888  S.  42. 

6)  Buchholtz,  Gesch.  Thl.  IV  Urk.  17. 


§  i.     Örtlichkeiten.  4f> 

von  einem  marchio  urbis,  1 197  von  Brandenburg  als  caput  Mar- 
chiae  die  Rede  ist,  andererseits  aber  1173,  1179,  1188,  1209 
und  1234  von  einer  civitas  oder  villa  forensis  Parduin,1) 
so  wird  mit  Brandenburg  die  Inselstadt  für  sich  allein  be- 
zeichnet, der  sich  gegenüber  der  Parduin  als  suburbium,  aber 
auch  als  eigene  Stadt  anlehnte,  bis  der  Parduin  im  Jahre 
1238  zuletzt  genannt  wird,2)  um  mit  der  Inselstadt  Bran- 
denburg zur  Altstadt  Brandenburg  zusammenzuschmelzen, 
nachdem  mindestens  schon  11 96  am  linken  Havelufer  die 
Neustadt  Brandenburg  in's  Leben  getreten  war.3) 

Die  Entwicklung  zeigt  also  denselben  Gang  wie  bei 
vielen  anderen  deutschen  Städten:  Hofanlage  (oder  Villa) 
dicht  am  Fluss,  Schutz  derselben  durch  eine  in  der  Nähe 
gebaute  Burg,  Besitzergreifung  kirchlicherseits  durch  eine 
unter  den  Schutz  derselben  Burg  gestellte  Domanlage,  Er- 
weiterung der  Villa  zum  Markte,  ihre  dadurch  angebahnte 
Ausscheidung  aus  dem  sie  umgebenden  Landbezirke  zu  einem 
mit  Mauern  gesicherten  festen  Platze,  einer  Stadt,  der  zum 
Zeichen  des  Abschlusses  ihrer  Exemtion  ein  besonderes  Recht, 
das  Stadtrecht,  und  ein  besonderes  Gericht,  das  Stadtgericht, 
zu  Theil  wird. 

Wann  und  wie  diese  Ausscheidung  sich  für  Brandenburg 
vollzog,  ist  nach  sicheren  Daten  nicht  festzustellen.  War  aber 
die  Burg  der  Centralpunkt  der  neuen  Schöpfung,  so  liegt 
die  Annahme  nicht  fern,  dass  hier,  wo  der  Markgraf  zeit- 
weise seinen  Sitz  hatte,  nicht  bloss  die  Stätte  lag,  von  der 
aus  die  Verwaltung  geführt  wurde,  sondern  auch,  wo  die 
Landesunterthanen  Rechtsbelehrung  holten  und  ihre  Huldi- 
gungseide leisteten.  Von  der  Ostseite  des  Beetzsees  her 
gelangte  man  über  den  Mühlendamm  und  seine  Brücke 
zur  Burg.  Von  der  Westseite  stellte  dann  die  an  der 
schmälsten  Stelle  des  Beetzseeausflusses  angelegte  Homeien- 
(oder  Homeyen-)  Brücke  eine  Verbindung  zur  Burg  über  den 
zu  den  Mühlenbrücken  führenden  Grillendamm  her. 


2)  Riedel   1,  8  S.  109,   112,   120,  123,  ia6,   133,   147. 

2)  Riedel  1,  8  S.  155. 

3)  Riedel  3,  1   S.  4. 


46  !•  Buch.     Örtlichkeiten.     Titulaturen  und  Anreden. 

Der  —  allerdings  sehr  eigentümliche  —  Namen  Ho- 
meienbrücke  hat  zu  den  sonderbarsten  Vermuthungen  Anlass 
gegeben. ]) 

Die  wahre  Bedeutung  dieser  Brücke  liegt  aber  nahe  und 
steht  im  Zusammenhange  mit  ihrem  eben  angedeuteten 
Zwecke.  „De  teneura  per  homagiumu  bringt  der  1250  ent- 
standene codex  legum  normannicarum  ein  ganzes  Kapitel;2) 
„pro  homagio  .  .  .  facto*  sichert  Markgraf  Ludwig  den 
Bürgern  der  Altstadt  Brandenburg  und  ihrer  Nachkommen 
als  besondere  Gnade  alle  bisherigen  Rechte  und  Freiheiten 
zu;  die,  Eidesformel,  mittels  deren  141 2  den  Markgrafen 
Sigismund  und  Friedrich  in  Brandenburg  „factum  est  homa- 
giumu,  bildet  den  Anfang  des  ersten  Blattes  in  dem  bis  1480 
reichenden  Stadtbuche  der  Neustadt  Brandenburg,3)  in  die 
einzureiten  man  damals  anfanglich  dem  Markgrafen  das  Recht 
bestritten  hatte.4)  Dies  mit  besonderen  Feierlichkeiten  be- 
gleitete Einreiten,  dem  die  Pflicht  der  Bürger  entsprach, 
den  Einreitenden  würdig  zu  empfangen  und  zu  verköstigen, 5) 
war  das  Sinnbild  der  landesherrlichen  Gewalt  über  die  Städte. 
Zwei  Schilling  für  Wecke  zahlte  1471  die  Stadt  Cassel  an 
einem  bestimmten  Tage  ihrem  vor  dem  Stadthore  haltenden 
Landgrafen,6)  und  noch  heute  erscheint  der  König  in  Eng- 
land sofort  nach  dem  Regierungsantritt,  um  Einlass  durch 
das  verriegelte  —  jetzt  zu  diesem  Akte  künstlich  hergestellte 
—  Thor  in  „the  borough"  London's  zu  erlangen,  auch  be- 
steht   eine    besondere  Feierlichkeit    der  Verschliessung    des 


*)  Schulmann,  Gesch.  der  Stadt  Br.,  Brandenburg  1882  S.  568:  »Der 
Name  Hohmeienbrücke  wird  entstanden  sein  aus  ,Hohe  meine  (gemeine) 
Brücke4,  eine  Erklärung,  welche  einen  urkundlichen  Anhalt  hat"  (welchen?). 
„Nach  der  landläufigen  Erklärung  entstand  der  Name  aus  dem  mittelhoch- 

■ 

deutschen  hameit  (Fallgatter)." 

a)  Abgedruckt  bei  J.  P.  von  Ludewig,  reliquiae  mscr.  omnis  aevi 
dipl.  tom.  7  p.  223. 

8)  Vergl.  Märkische  Forschungen  Bd.  1 8  S.  66. 

4)  Droysen,  Gesch.  der  Pr.  Politik  1,  302;  v.  Maurer,  Städteverf. 
1,  487  ff. 

6)  v.  Maurer  a.  a.  O.  3,  464  ff.,   521. 

8)  Stölzel,  Casseler  Stadtrechnungen  1871  (Supplement  der  Ztschr.  des 
Vereins  für  hess.  Gesch.)  S.  324. 


§  i.     Örtlichkeiten.  47 

Tower  und  der  Uebergabe  des  Schlüssels  zu  seinem  Haupt- 
thor an  den  Gouverneur  des  Towers  als  nunmehrigen  Ver- 
treters des  neuen  Königs  —  Beides  Akte,  durch  welche 
nichts  Anderes  symbolisirt  wird  als  das  alte  Einreiten  des 
Landesherrn  in  die  Burg,  wenngleich  den  Engländern 
selbst  der  Begriff  der  Burg  bei  dem  Gebrauche  des  Wortes 
borough  abhanden  gekommen  ist.  Das  mit  dem  Einreiten 
verbundene  Homagium  ist  demnach  die  bei  jedem  Wechsel 
in  herrschender  Hand  erforderliche  Huldigung.  Um  sie 
den  Unterthanen  und  um  dem  Landesherrn  das  Einreiten 
in  die  Stadt  von  der  Burg  her  zu  erleichtern,  erbaute  man 
in  Brandenburg  den  pons  homagii,  die  Homagium-  oder 
Homeienbrücke,  an  Stelle  der  Fähre,  mittels  deren  man 
bis  um  das  Jahr  1400  nach  einem  Berichte  des  Branden- 
burger Schöppenseniors  Giesecke  aus  dem  Jahre  1749  (98 
669.  670)  über  die  Havel  gelangte.  Wie  aus  Major  der 
deutsche  Meier,  so  ist  aus  Homagium-Brücke  die  Homeien- 
brücke geworden;  vielleicht  sogar  ist  der  Personenname 
Homayr  oder  Homeyer  der  im  Volksmunde  verdorbene 
Homagier;  bekanntlich  kommt  es  vielfach  vor,  dass  latei- 
nische Worte  in  sinnlose  deutsche  verändert  werden,  wie 
z.  B.  „Centgraf"  in  „Zinkgraf",  „das  Centgässchen"  in  „das 
Enggässchen",  die  villa  „Stercofridis"  in  das  Dorf  „Sterb- 
fritz" u.  A.  tri.  Unsere  Homeienbrücke  datirt  also  aus  der 
Zeit,  in  welcher  auf  der  Burg  gehuldigt  zu  werden  pflegte; 
sie  ist  zugleich  ein  sprachlicher  Beleg  dafür,  dass  das  latei- 
nische homagium  vor  Alters  in  die  Sprache  des  Volkes  ein- 
drang, weil  es  an  einem  deutschen  Synonymum  fehlte;  man 
ging  über  jene  Brücke  „zum  Homagium"  oder,  wie  man 
sich  das  mundgerecht  machte,  „zum  Homeyen".  An  die 
Homeyenbrücke  schloss  sich  dann  der  Homeyendamm  als 
Fortsetzung  des  zur  Burg  führenden  Weges  an;  nachdem 
noch  ein  neuerer  Damm  innerhalb  der  Stadt  entstanden  war, 
änderte  man  den  Homeyendamm  in  den  „alten"  Damm  um. 
Einer  späteren  Zeit  muss  die  „lange  Brücke"  Branden- 
burgs angehört  haben.  Lange  Brücken  verlangen  zu  ihrer 
Entstehung  zeitlich  vorausgegangene  kurze  Brücken;  zum 
Bau    langer   Brücken   über    einen   verhältnissmässig    breiten 


48  '•  Buch.     Örtlichkeiten.     Titulaturen  und  Anreden. 

Fluss  gehört  erst  eine  gesteigerte  Entwicklung  der  an- 
liegenden Ortschaften,  vor  Allem  gehört,  wenn  die  Brücke 
zwei  Ortschaften  verbindet,  die  Existenz  dieser  beiden  Ort- 
schaften dazu.  Die  lange  Brücke  verbindet  die  Neustadt 
mit  der  Altstadt  Brandenburg  und  muss  deshalb  nach 
Gründung  der  Neustadt  gebaut  sein. 

Die  lange  Brücke  war  auch  zunächst  kein  Bedürfniss. 
Mittelpunkt  für  die  Altstadt  und  die  Neustadt  war  die  Burg. 
Die  Neustadt  ist  von  der  Burg,  nicht  von  Parduin  aus,  ge- 
gründet worden.  Allmählich  dehnte  sie  sich  in  der  Richtung 
auf  die  Havel  zu  nach  Westen  aus.  Auch  damals,  als  man 
die  Neustadt  zum  ersten  Male  mit  einer  Mauer  umgab,  hielt 
man  eine  direkte  Verbindung  mit  der  Altstadt  über  die 
Havel  nicht  für  nöthig.  Die  Mauer  besass  nach  der  Altstadt 
zu  kein  Thor,  ebensowenig  die  Altstadt  nach  der  Neustadt 
zu.  Erst  später,  als  die  Verbindung  über  die  Burg  den  Ver- 
kehrsbeziehungen nicht  mehr  genügte,  schuf  man  in  beiden 
Städten  die  sich  gegenüber  liegenden  „Neuen"  Thore.  Vom 
Neuen  Thore  der  Neustadt  musste  ein  Damm  bis  zum  Havel- 
ufer aufgeschüttet  werden.  Zunächst  reichte  eine  Fähre  für 
die  Verbindung  der  Alt-  und  Neustadt  aus.  Später  schloss 
die  lange  Brücke  den  Ring.  Der  Durchbruch  der  „Neuen 
Thorew  hängt  vielleicht  mit  demselben  Akte  der  Städtever- 
einigung zusammen,  dem  das  gemeinsame  Rath-  und  spätere 
Schöppenhaus  zwischen  beiden  Städten  seinen  Ursprung  ver- 
dankt. 

Für  das  Ansehen,  das  die  Altstadt  Brandenburg  noch 
zu  der  Zeit  genoss,  als  Berlin  schon  längst  zur  Landeshaupt- 
stadt geworden  war,  spricht  ein  kurfürstliches  Edikt  von 
1521,1)  durch  welches  festgesetzt  wurde,  dass  im  Felde,  wo 
es  auch  sei,  „nächst  unserem  Hauptpanier44  auf  der  rechten 
Seite  die  aus  der  Altstadt  Brandenburg,  sowie  neben  ihnen 
die  aus  der  Neustadt  Brandenburg,  aus  Berlin-Cöln  und  aus 
anderen  Hauptstädten  der  Mittel-  und  Neumark,  auf  der 
linken  Seite  aber   die  von  Stendal,  dann  die  von  Salzwedel 


l)  Jahresberichte  des  hist.  Vereins  zu  Brandenburg  I  bis  III  S.  59.    Mit- 
theilungen des  Vereins  für  die  Gesch.  Berlins  1901  No.  4  S.  51. 


§   i.     Örtlichkeiten.  49 

und    die    anderen    altmärkischen    und    priegnitzschen   Städte 
reiten  sollen. 

Ein  Memorial  des  Brandenburger  Stadtschreibers  Mag. 
Simon  Roter1)  aus  der  zweiten  Hälfte  des  sechzehnten  Jahr- 
hunderts berichtet,  dass  1552  nach  Abriss  des  alten  Schöppen- 
hauses  ein  neues  „für  die  Schoppen  beider  Städte"  vollendet 
sei;  beide  Städte  hatten  gemeinsam  zu  den  Kosten  beigetragen. 
Dazu  bemerkt  eine  handschriftliche  Nachricht  Heffter's  über 
das  Gerichtswesen  in  Brandenburg,2)  das  Haus  sei  auf  kur- 
fürstliche Kosten  erbaut.  Die  Einwohnerzahl  beider  Städte 
wird  damals  auf  c.  10  000  angegeben,  wie  die  Berlin-Cölns 
auf  c.  14000.3)  Da  das  alte  Rath-  und  Schöppenhaus  sicher 
ein  Holzhaus  war  und  die  Durchschnittsdauer  von  Holzhäusern 
auf  dreihundert  Jahre  angenommen  wird,  möchte  das  alte 
Rath-  und  spätere  Schöppenhaus  um  1250  erbaut  sein;  1241 
werden  zuerst  Alt-  und  Neustadt  Brandenburg  neben  einander 
genannt.4)  Ein  thurmartiges  viereckiges  hohes  Gebäude  ragt 
auf  dem  ältesten  aus  der  Zeit  vor  1581  stammenden  Bilde 
Brandenburgs  in  dessen  Mitte  empor.  In  Nicolais  Branden- 
burgi  urbis  descriptio  von  16505)  wird  das  „auf  Pfählen" 
ruhende  Haus  als  „ex  ipsis  undis  exstructa"  bezeichnet;  dem- 
nach hat  das  alte  wie  das  neue  Schöppenhaus  nicht  auf  den 
Pfeilern  der  langen  Brücke,  sondern  auf  besonderen  Pfählen 
geruht,  also  neben,  nicht  auf  der  Brücke  gestanden.6) 
Heffter  berichtet  dann  auch,  dass  das  Schöppenhaus  durch 
einen  Steg  mit  der  Brücke  verbunden  gewesen  sei.  Ein  Auf- 
satz in  Hymmen's  Beiträgen7)  redet  von  einem  Thore  mit 
einem  Fallgatter,  durch  das  die  Parteien  von  der  Brücke  aus 

3)  Cod.  A  No.  8  R.  A.  fol.  29. 
*)  Im  R.  A. 

*)  Tschirsch,  Beitr.  z.  Gesch.  der  Saldria  S.  21. 

4)  Riedel  cd.  1,  8  S.  155. 

6)  S.  18  editio  Küster,  Berlin  1735. 

6)  Vergl.  auch  unten  in  diesem  Abschnitte  den  Bericht  Steltzners 
97  1  ff.,  der  nach  dem  Einsturz  des  Schoppenhauses  von  den  aus  dem 
Wasser  ragenden  Pfählen  und  von  den  durch  den  Einsturz  beschä- 
digten Balken  der  Brücke  redet,  was  nur  zu  einem  im  Wasser  stehenden 
Schöppenhause  passt.     Homeyer,  Richtsteig  S.  512. 

7)  Bd.  1  S.  180  ff.,  212. 

S  t  ö  I  z  e  I ,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  4 


50  *•  Buch.     Örtlichkeiten.     Titulaturen  und  Anreden. 

vor  Gericht  gelassen  seien,  und  von  einer  Tradition,  nach 
der  in  beiden  Städten  die  Glocken  läuteten,  damit  die  noch 
i486  vorhandenen  „beiden  Brücken"  aufgezogen  würden,  so 
oft  die  Schoppen  sich  versammelt  hatten.  Ob  mit  diesen 
beiden  Brücken  etwa  zwei  Stege  gemeint  sind,  die  das 
Schöppenhaus  mit  dem  Ufer  oder  der  Brücke  verbanden, 
muss  dahingestellt  bleiben.  Auch  ist  zu  berücksichtigen, 
dass  erzählt  wird,  die  Schoppen  seien  einst  mit  Kähnen  zum 
Rathhaus  gefahren. l) 

Das  Auffallige  der  Anlage  des  Rath-  oder  Schoppen- 
hauses  neben  der  Brücke  schwindet,  wenn  man  obige  Be- 
merkungen über  das  Tagen  der  Gerichte  auf  dem  Wasser 
berücksichtigt,  und  wenn  man  erwägt,  dass  jenes  Haus  vor 
dem  Bau  der  langen  Brücke  entstanden  sein  kann.  Nimmt 
man  noch  hinzu,  dass  das  Rathhaus,  welches  den  durch  die 
Spree  getrennten  Städten  Berlin  und  Cöln  gemeinsam  war, 
1343  als  „Rathhaus  zwischen  Berlin  und  Cölnu,2)  1432  aber 
als  „Rathhaus  bei  der  langen  Brücke"  bezeichnet  wird,  dass 
also  auch  dieses  Rathhaus  Anfangs  in  der  Spree,  nachher, 
als  eine  „lange"  Brücke  —  wie  in  Brandenburg  —  gebaut 
war,  bei  dieser  Brücke  (nämlich  auf  Pfählen  im  Flusse)  ge- 
standen haben  muss,  so  wird  es  sich  ähnlich  mit  dem  Bran- 
denburger  Rathhause  zwischen  beiden  Städten  bei  der  langen 
Brücke  verhalten  haben. 

Sicher  war  aber  das  Rathhaus  auf  der  Havel  nicht  der 
älteste  Sitz  des  Brandenburger  Stadtgerichts;  es  muss  einen 
früheren  Sitz  im  alten  Brandenburg  gehabt  haben,  und 
zwar  zunächst  auf  der  Burginsel,  dann  im  ehemaligen  Parduin, 
d.  h.  in  der  späteren  Altstadt.  Dem  schloss  sich  naturgemäss 
für  die  Neustadt  seit  deren  Gründung  ein  zweites  Stadt- 
gericht an. 

Es  entwickeln  sich  im  einzelnen  Territorium  die  Städte- 
gründungen, die  Anlagen  von  Burgen,  von  Kirchen,  von  Ge- 
richtssitzen vielfach  übereinstimmend,  namentlich,  wenn  es 
sich   um    Städte   handelt,    deren    eine    die    Mutterstadt   der 

*)   Auch   Heydemann,  Die  Joachim.  Konst.  S.  407,  nimmt  ein  in  der 
Havel  befindlich  gewesenes  Schoppenhaus  an. 
*)  Riedel,  C.  d.   1,  9,  37. 


§  i.     Örtlichkeiten.  51 

anderen  ist,  und  wenn  die  eine  Landschaft  geographisch  der 
anderen  gleicht.  Die  Stadt  Brandenburg,  die  ursprünglich 
ihr  Recht  von  Magdeburg  holte,  war  ihrerseits  die  Mutter- 
stadt von  Berlin,  wie  Berlin  die  Mutterstadt  von  Spandau.1) 
Für  Berlin  aber  ist  bezeugt,  dass  es  am  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts in  Alt-Berlin  seine  Gerichtslaube  besass,  dass  1307 
beide  Städte  Berlin  und  Cöln  vom  Markgrafen  die  Genehmi- 
gung erlangten,  eine  gemeinsame  Gerichtsverwaltung  von  4 
Schoppen  aus  Berlin  und  3  aus  Cöln  einzuführen,  und  dass 
die  kombinirten  Rathleute  im  Rathhaus  der  „langen  Brücke" 
tagten.2) 

Ein  Gericht  unter  der  Titulatur  „Rieht  er  und  Schoppen 
beider  Städte  Berlin  und  Cölnu,  damit  aber  auch  deren  ge- 
meinsamer Gerichtssitz  neben  der  Spreebrücke  erhielt  sich 
Jahrhunderte  lang,  während  von  „Richter  und  Schoppen 
beider  Städte  Brandenburg"  und  deren  Tagung  neben  der 
Havelbrücke  keine  Spur  zu  finden  ist,  wohl  aber  davon, 
dass  die  „Schoppen  beider  Städte  Brandenburg"  Jahrhun- 
derte lang  „zu  Schöppenhaus"  gingen,3)  um  Rechtsbeleh- 
rungen zu  ertheilen. 

Wann  diese  Thätigkeit  der  vereinten  Schöppenkollegien 
in  Brandenburg  begann,  ist  auf  Jahr  und  Tag  nicht  festzu- 
stellen; jedenfalls  hatten  1348  beide  Städte  noch  ein  ge- 
meinsames Rathhaus;  das  ergiebt  ein  damals  zwischen 
den  Rathmannen  Rathenows,  Nauens  und  beider  Städte 
Brandenburg    „in    deme    rathus    beyder   stede"    abge- 


*)  Vergl.  Diez,  Archiv  Magdb.  Rechte  1,  8.  Matthis,  Jurist.  Monats- 
schrift n,  59.  64.  68.  72.  Heydemann  a.  a.  O.  Seite  51.  Märkische 
Forschungen  Bd.  16  S.  5  ff. 

*)  Eine  analoge  Vereinigung  der  Schoppen  beider  Städte  Danzig  ver- 
sucht König  Casimir  1457;  die  Gerichte  beider  Städte  blieben  aber  ge- 
trennt. Günther,  des  Syndikus  Lengnich  jus  publ.  civ.  Gedan.  Danzig 
1900  S.  251. 

3)  1620  (67  351)  votirt  Floring:  „Ich  weis  mich  zu  erinnern,  das  zu 
scheppenhaus  ....  streit  vorgefallen".  Aehnlich  1621  (68  589).  In  Magde- 
burg hatten  bis  1425  die  Schoppen  eine  Schoppenkammer  (Pomarius, 
Mgdb.  Stadtchronik  1587),  dann  bauten  sie  ein  Haus  am  Markte  „zu  einem 
schöppenhause  oder  schöppenkammer"  um.  (Ueber  „Kammer**  s.  Stölzel, 
Rechtsverw.  I,   12.) 

4* 


52  *■  Buch.     Ortlichkeiten.     Titulaturen  und  Anreden. 

schlossener  Vertrag. l)  Laut  des  Schöppenbuchs  der  Neu- 
stadt Brandenburg  fanden  aber  bereits  1297  die  Begabungs- 
und Kaufverträge  der  Neustädter  in  pretorio  (nicht  in 
praetorio  nostro,  also  doch  wohl  im  gemeinsamen  Prä- 
torium)  und  zwar  coram  prefecto  et  scabinis  nove  civitatisu 
statt. 2) 

Die  Periode  der  Gemeinschaftlichkeit  des  Rathhauses, 
das  wahrscheinlich  sowohl  der  Altstadt  als  der  Neustadt  auch 
für  die  gerichtlichen  Geschäfte  der  Einzelstadt  diente,  erreichte 
ihre  Endschaft  dadurch,  dass  jede  der  beiden  Städte  sich 
ein  neues  Rathhaus  baute.3)  Das  bisherige  gemeinsame 
Rathhaus  hörte  damit  auf  als  solches  zu  existiren  und 
diente  fortan  nur  den  vereinigten  beiden  Schöppenkollegien 
als  „Schöppenhaus"  für  ihre  Rechtsbelehrungen.  Darum  hat 
auf  einer  im  Brandenburger  Stadtarchiv  befindlichen  Aus- 
fertigung des  vorhin  genannten  Vertrags  von  1348  eine  alte 
Hand  die  Anmerkung  zugefügt:  „NB.  das  Schöppenhaus.u 
Das  soll  bedeuten,  dass  zu  Zeiten  des  Schreibers  dieses  Zu- 
satzes das  Rathhaus  von  1348  nicht  mehr  Rathhaus,  sondern 
Schöppenhaus  beider  Städte  war.  Die  Entstehung  des  Schöp- 
penhauses  fallt  also  jedenfalls  nach  1348. 

Da  die  Burg  nicht  unter  der  städtischen  Gerichtsbarkeit 
stand  und  mit  ihrem  Zubehör  im  Laufe  der  Zeiten,  nachdem 
sie  aufgehört  hatte,  landesherrliche  Residenz  zu  sein,  dem 
Domkapitel  zufiel,  so  fand  —  und  zwar  mindestens  schon  im 
15.  Jahrhundert  —  an  vier  verschiedenen  Orten  Brandenburgs 
eine  Ausübung  der  Rechtspflege  statt:  auf  der  Burg  von 
Richter  und  Schoppen  des  Domkapitels,   auf  dem  altstädti- 

')  Riedel,  cd.  1,  9  S.  42.  Grupp  im  31.  Jahresbericht  des  hist.  Ver- 
eins zu  Brandenburg  S.  20. 

2)  Mark.  Forschungen  Bd.  18  S.  26. 

3)  Adler,  Mittelalter!.  Backsteinbauwerke  des  Preuss.  Staates  Bd.  1 
(1862)  S.  16  setzt  die  Entstehung  des  Vordergiebels  des  altstädtischen  Rath- 
hauses auf  1350,  die  des  Hintergiebels  etwas  später,  die  Entstehung  des 
neustädtischen  Rathhauses  (S.  31)  1320  bis  1340,  ändert  diese  Annahme 
aber  Bd.  2  (1898)  S.  119  dahin  ab,  dass  das  altstädter  Rathhaus  aus  1470 
bis  1490,  das  neustädter  aus  den  ersten  Jahrzehnten  des  15.  Jahrh.  stamme. 
Es  wird  sich  später  zeigen,  dass  die  letztere  Annahme  sehr  wohl  zu  einer 
Annahme  über  die  Umwandlung  des  Rathhauses  in  das  Schöppenhaus  passt. 


§  i.     Örtlichkeiten.  53 

sehen  Rathhaus  von  Richter  und  Schoppen  der  Altstadt,  auf 
dem  neustädter  Rathhaus  von  Richter  und  Schoppen  der 
Neustadt,  auf  dem  Schöppenhaus  von  den  „Schoppen  beider 
Städte  Brandenburg". 

Es  kann  kein  Zweifel  sein,  dass  die  letztere  uns  allein 
hier  interessirende  Art  der  Rechtsprechung,  die  der  Rechts- 
belehrung durch  Schoppen  (im  Gegensatz  zu  der  von 
Richter  und  Schoppen  ausgehenden  Urtheilsfällung), 
vor  der  Entstehung  der  langen  Brücke  und  des  Schöppen- 
hauses  ihren  Anfang  nahm,  nämlich  zu  einer  Zeit,  in  der  von 
einer  Neustadt  Brandenburg  und  von  „Schoppen  beider 
Städte14  noch  keine  Rede  war.  Das  heisst:  es  muss  einst 
Rechtsbelehrung  von  den  „Schoppen  zu  Brandenburg"  er- 
theilt  sein,  wie  sie  von  den  „Schoppen  zu  Magdeburg"  (und 
zwar  von  ihnen  ständig  bis  zu  ihrem  Verschwinden)  ertheilt 
worden  ist:1)  in  Magdeburg  gelang  es  der  Neustadt  nicht, 
wie  in  Brandenburg,  sich  an  der  Ertheilung  von  Rechtsbe- 
lehrung zu  betheiligen.  Der  Ort,  von  welchem  die  älteste 
Rechtsbelehrung  in  Brandenburg  ausging,  ist  unbekannt;  ver- 
mutlich erfolgte  sie  Anfangs  auf  der  Burg,  dann  auf  dem 
Rathhaus  in  der  Havel.  Das  älteste  urkundliche  Zeugniss 
über  eine  von  Brandenburg  ausgegangene  Rechtsbelehrung 
datirt  ohne  nähere  Ortsangabe  aus  dem  Jahre  1376.  Es 
ist  ein  von  den  „gegen  Brandenburg"  ausgesandten  Schoppen 
zu  Frankfurt  a.  O.  eingeholtes  Weisthum;2)  danach  „gaben 
ihnen  die  Scheppen  zu  Brandenburg"  ein  Recht.  Wenn, 
wie  wohl  anzunehmen,  in  dieser  feierlichen,  von  den  Frank- 
furter Schoppen  in  Frankfurt  niedergelegten  Beurkundung 
als  Urheber  des  Spruchs  schlechtweg  die  „Scheppen  zu 
Brandenburg"  bezeichnet  werden,  so  lässt  sich  annehmen, 
dass  die  übliche  Titulatur,  wie  es  der  Sitte  der  Zeit  ent- 
sprach, genau  gewahrt  wurde,  dass  also  damals  noch  „die 
Schoppen  zu  Brandenburg",  nicht  etwa  schon  „die  Schoppen 


1)  Ein  Beispiel  statt  vieler:  Richter  und  Schoppen  der  Neustadt 
Magdeburg  erbitten  eine  Belehrung  von  den  Schoppen  der  Altstadt  (1574); 
das  Belehrungsurtheil  (15  378)  ist,  wie  alle  Magdeburger  Urtheile,  über- 
schrieben:   „Scheppen  zu  Magdeburg"  (nicht  Scheppen  der  Altstadt  M.). 

2)  Mark.  Forschungen  Bd.  18  Anhang  III. 


54  i-  Buch.     Ortlichkeiten.     Tilulaturen  und  Anreden. 

beider  Städte  Brandenburg"  das  erbetene  Recht  gaben.  Die 
„Schoppen  zu  Brandenburg",  waren  aber  die  Schoppen  der 
Altstadt  Brandenburg;  sie  waren,  wie  das  Beispiel  Magde- 
burgs, annehmen  lässt,  im  Munde  der  Rechtsuchenden  ur- 
sprünglich die  Schoppen  „zu  Brandenburg"  und  scheinen  so 
noch  benannt  zu  sein,  nachdem  längst  die  Neustadt  Branden- 
burg und  deren  Schoppen  existirten.  Das  schloss  nicht  aus, 
dass  die  neustädter  Schoppen  für  sich  ein  selbständiges 
rechtsbelehrendes  Kolleg  für  Orte  bildeten,  die  von  der  Neu- 
stadt mit  deren  Recht  bewidmet  wurden.  Deshalb  hat  es 
nichts  Auffälliges,  wenn  im  Jahre  1336  Markgraf  Ludwig 
der  neu  aufgebauten  Stadt  Jerichow  (bei  Tangermünde)  be- 
fiehlt, l)  ihr  Recht  nicht  mehr  von  der  benachbarten  Stadt 
Burg,  sondern  von  den  „civibus  civitatis  nostrae  novae  Bran- 
denburg" zu  holen.  Demnach  bildete  1336  die  Neustadt 
Brandenburg  einen  Oberhof  für  sich,  getrennt  von  dem  Ober- 
hofe, der  in  den  Schoppen  der  Altstadt  bestand ;  auch  dieser 
neustädtische  Oberhof  tagte  aber  im  gemeinsamen  Rath hause. 

Es  kommt  auch  noch  1540  vor  (3  56),  dass  ein  Bürger  der 
Neustadt  Brandenburg,  der  unter  Beirath  seiner  neustädtischen 
Verwandtschaft  eine  ihm  ungünstige  Erbtheilung  vorgenommen 
hat,  sich  Rechtsbelehrung  bei  „Richter  und  Schoppen  der 
alten  Stadt  Brandenburg"  holt,  offenbar,  weil  er  die  neu- 
städtischen Schoppen  nicht  für  hinreichend  unbefangen  hält, 
also  die  Schoppen  beider  Städte  nicht  anrufen  will. 

Mit  der  Klinke  steht  das  Schöppenhaus  nur  soweit  in 
Beziehung,  als  dies  Gericht  zur  Klinke  der  Rechtsvorgänger 
der  Gerichte  und  des  Schöppenstuhls  zu  Brandenburg  war. 
Im  Jahre  1309  ist  davon  die  Rede,  dass  Brandenburg  und 
Berlin  sich  vereinigen  über  die  entstehenden  Kosten,  wenn 
ihre  Bürger  zum  Landding  herangezogen  werden.  Dies  Land- 
ding war  das  Gericht  zur  Klinke;  es  bestand  also  damals  noch. 
Aber  nicht  lange  Zeit  mehr.  Laut  des  vor  1335  oder  1340 
geschriebenen  Richtteigs  Landrechts  ist,  wie  oben  angegeben, 
die  Klinke  noch  Oberhof  für  die  Landgerichte.  Das  Berliner 
Stadtbuch  aus  dem  Ende  des  14.  Jahrhunderts  lehrt  aber:  tu 


l)  Jo.  P.  de  Ludewig,  Reliquiae  mscr.  tom.  VII  p.  29.   Riedel  c.  d.  1 , 2, 1 04. 


§  i.     Örtlichkeiten.  55 

landrechte  und  tu  borgerrechte  vint  man  tu  Brandenburch, 
dat  nu  is  die  hogeste  dingstat,  dat  hir  vormals  was  bei  der 
Klinke  by  Brandenborch.1)  Dafür,  dass  jemals  in  Branden- 
burg ein  „Schöppenstuhl  zur  Klinke"  existirt  habe,  wie  Ho- 
meyer  unterstellt,2)  findet  sich  kein  Beleg. 

Eine  Beschreibung  der  Lage  des  Schöppenstuhls  aus  alter 
Zeit  besitzen  wir  in  Knust's  fünf  Büchern  über  die  „Kunst, 
Bier  zu  brauen,  und  über  die  vornehmsten  Biere  in  Teutsch- 
land", einem  Werke,  das  in  erster  und  (1575)  in  zweiter  Auf- 
lage zu  Erfurt  erschien,  und  hinter  welchem  man  weder  einen 
ehemaligen  Berliner  Gymnasialdirektor  und  späteren  Rechts- 
gelehrten, noch  einen  Erfurter  Kanonikus  als  Verfasser  ver- 
muthet.  Hier  heisst  es:  „.  .  .  Brandenburg  .  .  .  hat  zwey  Ge- 
richt und  Ratsheuser,  sein  auch  zwo  Stedte,  welche  die  durch- 
laufende Havel  unterscheidet  ....  (alte  und  neue  Stad)  .  .  .  ; 
eine  lange  Brücke  gehet  zwischen  beiden  Städten  über  die 
Havel,  mitten  auf  der  Brücke  stehet  ein  Haus  gebaut, 
darin  niemand  wohnt;  das  nennen  etliche  den  Vocativum 
für  Brandenburg,  diß  Haus  ist  ein  Gerichtshaus,  darin 
Richter  und  Schöpen  aus  beiden  Stedten  zu  Brandenburg 
.  .  .  zusammen  kommen,  wann  sie  auf  eine  Frage,  die  an  ihrem 
Schöpenstuhl  um  belehrung  gelanget,  Urtheil  sprechen 
wollen  .  ,u 

Die  Darstellung  ergiebt  sich  als  ungenau,  sobald  man  sie 
mit  einer  älteren  aus  dem  Jahre  1532  stammenden  Nachricht 
vergleicht.4) 

Beim  Rathe  zu  Hamburg  führte  damals  der  Nonnen- 
konvent der  gewaltsam  aufgehobenen  Abtei  Herwardeshude 
(des  heutigen  Hamburger  Vorortes  Harvestehude)  Beschwerde 
über  die  Beschlagnahme  einiger  Kisten  mit  Klosterkleinodien.5) 


l)  Homeyer,  Richtsteig  S.  313.  *)  Richtsteig  S.  512  a.  E. 

*)  Vergl.  Mittheilungen  des  Vereins  für  Hamburg.  Geschichte  Bd.  12 

S.  455- 

4)  Mittheilungen  des  Vereins  für  Hamburg.  Gesch.  Bd.  8  S.  86  (von 
Dr.  O.  Beneke). 

*)  Im  Hamburger  Staatsarchiv  in  zwei  alten  Abschriften.  Gütige 
Mittheilung  des  Herrn  Amtsrichters  Dr.  G.  Seelig  in  Hamburg.  Der  Ab- 
druck Beneke*s  lässt  das  Wort  „absolute"  hinweg. 


56  l-  Buch.     Örtlichkeiten.     Titulaturen  und  Anreden. 

Die  Nonnen  erzählen:  als  sie  vom  Rathe  aufgefordert  seien, 
diese  Kleinodien  im  hamburgischen  Johanniskloster  abzuholen, 
hätten  sie  die  Oeffnung  der  Kisten  und  die  Taxation  ihres 
Inhalts  mitansehen  müssen,  die  Kisten  seien  dann  aber  in 
die  Kämmerei  geschickt.  Dann  schliessen  die  Nonnen  ihre 
Beschwerdeschrift:  „also  syn  wy  arme  verwäldigte  kinder 
upt  ys  gefort,  dar  wy  stunden  absolute,  wo  de  Vocativus 
vor  Brandenborg."1) 

Dass  die  Nonnen  sich  nicht  mit  dem  zwischen  bei- 
den Städten  Brandenburg  stehenden  Schöppenhaus  ver- 
glichen, und  dass  sie  nicht  dieses  Schöppenhaus  als  vor 
Brandenburg  befindlich  bezeichnet  haben  können,  ist  ohne 
Weiteres  klar.  Ferner  ist  klar,  dass  die  ältere,  im  Wortlaut 
vorliegende  Quelle  den  Vorzug  vor  der  jüngeren  verdient, 
die  nur  von  Hörensagen  berichtet.  Knust  ist  im  Irrthum, 
wenn  er,  dem  der  „vor  Brandenburg  stehende  Vocativusu 
im  Volksmunde  begegnet  sein  mag,  diesen  Vocativus  auf 
das  zwischen  beiden  Städten  stehende  Schöppenhaus  bezieht, 
und  der  Senior  des  Brandenburger  Schöppenstuhls  Giesecke 
schreibt  1749  diesen  Irrthum  in  einer  Auskunft,  die  er  über 
den  Schöppenstuhl  gibt,2)  nach,  indem  er  vom  Schöppen- 
hause  berichtet,  dass  man'  in  alten  Zeiten  von  ihm  gesagt 
habe:  „wo  stehest  du  da  als  der  Vocativus  zu  Brandenburg". 
Ebenso  greifen  aber  auch  die  neueren  Erklärungen  des  „Vo- 
cativus vor  Brandenburg"  fehl.3) 


j)  D.  h.:  also  sind  wir  armen  vergewaltigten  Kinder  auf  das  Eis  ge- 
führt, dass  wir  absolut  da  standen,  wie  der  Vocativus  vor  Brandenburg. 

a)  98  669  ff.  Von  diesem  Berichte  wird  noch  ferner  die  Rede  sein ; 
er  ist  abgedruckt  im  31.  Jahresbericht  des  Histor.  Vereins  zu  Brandenburg 
1899  S.  79  ff. 

3)  Der  Vocativus  vor  Brandenburg  soll  sein  nach  Lisch,  Mitth.  des 
Vereins  f.  hamb.  Gesch.  8  87  (I885):  „ein  ohnmächtiger  erfolgloser  Hülfe- 
ruf vor  einer  brennenden  Burg,  d.  h.  in  einem  extremen  Nothfall "(!?),  nach 
Beneke:  „ein  aufs  Eis  vor  Brandenburg  gelockter  loser  Geselle  ä  la  Till 
Eulenspiegel **,  nach  einem  ungenannten  Hamburger  (das.  la  453):  „Jemand, 
der  das  aussichtslose (!?)  Unternehmen  begonnen,  einen  Rechtsspruch  in 
Brandenburg  zu  begehren,  wo  sich  das  Verfahren  noch  umständlicher  als 
anderswo  dadurch  gestalten  musste,  dass  die  Schöffen  aus  der  Altstadt  und 
Neustadt  zusammentreten  mussten."     Ferner  trifft  auch   das  nicht  zu,  was 


§  i.     Örtlichkeiten.  57 

Der  Vocativus  vor  Brandenburg  enträthselt  sich  fast 
ebenso  einfach  wie  die  Homeienbrücke. 

Noch  heute  ist  Vocativus  der  Ausdruck  für  einen  Schalk, 
einen  Schelm, l)  weil  der  Vocativus  derjenige  Casus  ist,  mit  dem 
man  Jemanden  vorwurfsvoll  anruft.  So  ruft  auch  das  Gericht 
den  Schelm  an,  der  vor  ihm  zu  Recht  stehen  muss;  darum 
steht  ein  solcher  angerufener  Schelm  betreten  vor  dem  Ge- 
richte. So  standen  auch  jene  Herwardeshuder  Nonnen  be- 
treten vor  dem  Hamburger  Rathe;  sie  waren  herbeigeholt,  als 
sollten  sie  ihre  beschlagnahmten  Kleinodien  wieder  in  Empfang 
nehmen,  wurden  statt  dessen  aber  behandelt,  als  wären  sie 
es,  die  etwa  die  Kleinodien  entwendet  hätten.  Sie  fühlten 
sich  deshalb  wie  auf  das  Eis  geführt  oder  wie  Schelme,  die 
zu  Gericht  standen:  der  Vocativus  vor  Brandenburg  ist  der 
Schelm  vor  dem  Richterstuhl.  Es  wäre  auch  nicht  unmög- 
lich, dass  unter  den  Herwardeshuder  Nonnen  sich  solche  be- 
fanden, die  aus  Brandenburg  oder  wenigstens  aus  der  Mark 
herstammten,  so  dass  ihnen  der  Vocativus  vor  Brandenburg 
besonders  nahe  lag,  oder  dass  der  Verfasser  der  Hamburger 
Beschwerdeschrift  Brandenburger  Beziehungen  hatte.  Immer- 
hin musste  der  Ausdruck  doch  auch  dem  Hamburger  Rath 
verständlich  sein,  sonst  hätten  ihn  die  Nonnen  sicher  nicht 
in  ihrer  an  den  Rath  gerichteten  Beschwerde  gebraucht,  um 
ihre  kritische  Lage  möglichst  drastisch  darzustellen. 

Merkwürdigerweise  führt  auch  die  Schrift  des  Erfurter 

R.  Grupp  im  Jahresbericht  des  Brandenburger  historischen  Vereins  von  1 899 
S.  103  ausfuhrt.  Danach  soll  der  Vocativus  „aus  der  nach  1315  verlassenen 
Advocatie,  der  Dingstätte  des  advocatus  oder  Vogts  von  Brandenburg, 
abzuleiten  sein;"  diese  habe  für  alle,  die  von  Osten,  namentlich  von  Berlin 
her  nach  Brandenburg  reisten,  vor  Brandenburg  gelegen  und  sei  neben 
dem  gerade  im  16.  Jahrhundert  blühenden  Schöppenstuhl  dem  Spott  und 
der  Verhöhnung  anheimgefallen;  es  sei  unmöglich,  den  Vocativus  mit  dem 
Schoppenstuhl  irgend  zu  vereinigen. 

*)  Siehe  z.  B.  den  Kladderadatsch  von  1899  S.  51  Sp.  2.  Weiter  zu 
vergleichen  Heyse's  Fremdwörterbuch  17.  Aufl.  1896  (vocativus  =  Schalk, 
loser  Vogel,  den  man  oft  tadelnd  und  warnend  anruft);  Wander's  Spruch  - 
wörterlexikon  IV,  1644;  Simplicissimus  in  der  Stuttgarter  Ausgabe  von 
Adalbert  v.  Keller  III,  83;  Adelung,  Wörterbuch  der  hochdeutschen  Mundart 
1808  IV,  1218. 


58  *•  Buch.     Örtlichkeiten.     Titulaturen  und  Anreden. 

Knust  nach  Hamburg  und  gleichzeitig  nach  Brandenburg. 
Knust  (auch  Cnustinus,  Chnaustinus  und  Knaust  genannt)  war 
1524  in  Hamburg  geboren,  studirte  und  dichtete  1539  in 
Wittenberg,  wurde  um  1540  Rektor  des  Kölnischen  Gym- 
nasiums in  Berlin,  ging  dann  zur  Jurisprudenz  über,  wie  viele 
Philologen  und  Theologen  damaliger  Zeit,  und  diente  als 
Rathssyndikus  in  Bremen,  Danzig,  Demmin,  um  sich  schliess- 
lich 1558  (nach  einer  Reise  zum  Zweck  des  Studiums  der 
deutschen  Biersorten)  in  Erfurt  niederzulassen. l)  Vom  Vocati- 
vus  vor  Brandenburg  wird  er  wohl  in  Berlin  gehört  haben, 
aber  nur  ungenau,  so  wie  er  das  Gehörte  später  in  Erfurt 
verwendete.2) 

Im  Lichte  dieser  Thatsachen  gewinnt  der  Vocativus  vor 
Brandenburg,  besonders  im  Munde  von  Hamburgern,  eine  er- 
hebliche rechtsgeschichtliche  Bedeutung.  Ein  solches  Ansehen 
genoss  als  Spruchbehörde  in  Strafsachen  der  Brandenburger 
Schoppens tuhl  um  1530  bis  nach  Hamburg  hin,  dass  es  dort 
geläufig  war,  das  Stehen  vor  Gericht  schlechthin  mit  dem 
Stehen  vor  Brandenburg  zu  bezeichnen.  Verbindungen  Ham- 
burgs mit  Brandenburg  brachte  der  Handelsverkehr  auf 
Havel  und  Elbe;  Heringstransporte  waren  etwas  Gewöhn- 
liches nach  Brandenburg,  und  schon  1 170  erhält  Brandenburg 
das  markgräfliche  Privileg,  Heringe,  Muränen  und  Lassen 
zollfrei  einzubringen;3)  eine  Verbindung  Hamburgs  mit  dem 
Brandenburger  SchÖppenstuhl  ergeben  auch  unsere  Akten» 
namentlich  in  Strafsachen.  Ebenso  ergiebt  die  um  ein 
Menschenalter  spätere  Aeusserung  Knusts,  dass  der  Branden- 
burger SchÖppenstuhl  in  Erfurt  wohlbekannt  war.  Findet 
sich  doch  selbst  unter  den  märkischen  Bauersleuten  im  Jahre 

a)  Stintzing,  Gesch.  der  deutschen  Rechtswiss.  Bd.  1  S.  564.  Stölzel, 
Brandenburg- -Preussens  Rechtsverwaltung  Bd.  1  S.  228  Note  und  die  dort 
Zitirten. 

2)  Knust  nennt  in  der  Vorrede  zur  2.  Aufl.  als  die  Quelle  seiner  Dar- 
stellungen Johannes  Placatomus,  de  natura  et  viribus  cerevisiarum.  1551. 
Hier  findet  sich  bei  Besprechung  des  Brandenburger  Biers  nichts  vom 
Vocativus;  die  Mittheilung  darüber  stammt  daher  von  Knust  selbst. 

3)  Oelrichs,  de  Botding  et  Lodding.  Trajecti  ad  Viadrum  1750  p.  4,  5 
des  Appendix.  Aehnliche  Privilegien  besassen  im  13.  Jahrh.  Salzwedel  und 
Stendal.     Ztschr.  f.  hamb.  Gesch.  6,  409,  412. 


§  i.     Ortlichkciten.  59 

1553  (5  92)  die  Redeweise,  dass  sie  „Brandenburg"  schlecht- 
weg als  die  Stätte  bezeichnen,  wo  Streit  und  Hader  schliess- 
lich zu  Ende  gehen:  „der  soll  noch  lange  zu  Brandenburg 
laufen,  ehe  ihm  sein  Recht  wird",  spottet  ein  Beklagter  von 
seinem  Gegner.  Wie  heute  in  der  Mark  allgemein  verständ- 
lich ist,  was  es  bedeutet,  wenn  man  von  Jemandem  sagt, 
er  komme  nach  Spandau  oder  nach  Plötzensee,  so  verstand 
laut  des  jeden  Zweifel  abschliessenden  Zeugnisses  von  1553 
einst  Jeder,  dass  „zu  Bradenbung  laufen"  nichts  Anderes 
bedeute  „als  vor  Gericht  gehen",  und  es  war  laut  der  Rede- 
weise der  Nonnen  von  1532*  dem  Hamburger  Rathe  ver- 
ständlich, dass  „vor  Brandenburg  stehen"  nichts  Anderes 
bedeute  als  „vor  Gericht  stehen". 

Nachdem  das  einstige  Rathhaus  zwischen  beiden  Städten, 
das  nur  nebenbei  als  Schöppenhaus  gedient  hatte,  zum 
Schöppenhaus  zwischen  beiden  Städten  geworden  war,  dient 
es  als  Schöppenhaus  Rathsangelegenheiten  nur  noch  aus- 
nahmsweise dann,  wenn  diese  Angelegenheiten  beiden 
Städten  gemeinsame  sind.  So  nehmen  1550  „Bürgermeister 
und  Rathmannen  beider  Städte"  den  neustädtischen  Bürger- 
meister Scholle  „ufm  Schöppenhause  zwischen  beiden  Städten" 
zu  einem  Apotheker  beider  Städte  an,1)  ebenso  lassen  die 
Räthe  beider  Städte  in  einer  sie  beide  betreffenden  An- 
gelegenheit 1578  die  Müller  aus  den  Mühlen  zwischen  beiden 
Städten  „auf  das  Schoppenhaus"  fordern.2)  Aber  der  Um- 
stand, dass  die  rechtsbelehrende  Thätigkeit  der  Schoppen 
beider  Städte  vom  Schöppenhause  ausgeht,  gewinnt  allmäh- 
lich solche  Bedeutung,  dass  die  lokale  Bezeichnung  „zwischen 
den  Städten"  mehrfach  mit  dem  Sitz  des  Schöppenstuhls 
identifizirt  wird.  Der  Schöppe  Vielitz,  der  sich  in  der  Prozess- 
sache eines  Verwandten  1560  der  Abstimmung  enthält  und 
deshalb  das  Schöppenhaus  verlässt,  nennt  das,3)  er  könne  nicht 
„zwischen  beiden  Städten  verharren";  das  neustädter 
Schöppenbuch  von  1492  ff.  redet  1572  vom  Antheil  des 
Schoppen  Mawe  am  Schöppengelde,   „so  ihm  von  den  Be- 

T)  RA  Acta  A  1. 

a)  31.  Jahresber.  des  hist.  Vereins  zu  Brandenburg  S.  69. 

3)  Siehe  oben  Seite  41  Note  1. 


60  i.  Buch.     Örtlichkeiten.     Titulaturen  und  Anreden. 

lehrungen  zwischen  beiden  Städten  zukommt",1)  und 
der  Kurfürst  adressirt  1581  eine  Anfrage  „an  die  Getreuen 
des  Scheppenstuels  zwischen  beiden  unsern  Städten 
Brandenburg44 .2) 

Ueber  die  Thätigkeit  des  Schöppenstuhls  auf  dem  Schöp- 
penhause  liegen  Nachrichten  aus  den  Jahren  1558  bis  1697 
vor.3)  An  den  Wänden  des  Schöppenhauses  fanden  wichtige 
Gesetze  ihren  Platz;  so  hing  dort  1593  (36  357)  ein  Abdruck 
des  Reichstagsabschieds  zu  Speier  von  1529,  auf  welchen 
Abdruck  das  Gutachten  des  altstädter  Schöppenseniors  Mag. 
Roter  damals  in  einem  Erbschaftsstreite  Bezug  nahm. 

Die  Existenz  des  Schöppenhauses  schloss  indess  nicht  aus, 
dass  die  Schoppen  beider  Städte  bei  besonderen  Gelegenheiten 
auch  anderswo  tagten.  So  begeben  sie  sich  von  der  Schöppen- 
bank  des  altstädter  Marktes,  nachdem  sie  daselbst  in  einer  alt- 
städter Sache  peinliches  Halsgericht  abgehalten  haben,  einmal 
im  Jahre  1579  in  die  auf  dem  Markte  gelegene  Stadtschreiberei, 
um  über  Rechtsbelehrungen  Beschluss  zu  fassen.4)  In  Zeiten 
der  Pest,  die  ausweislich  der  Schöppenstuhlsakten  sehr  häufig 
wiederkehrten,  mieden  die  Schoppen  das  Schöppenhaus  und 
überhaupt  ihre  Stadt.  Sie  zogen  sich  deshalb  1577  (18424) 
und  wiederholt  in  dem  argen  Pestjahr  1598  (43  141.  44.  198), 

J)  Der  S.  59  citirte  Jahresbericht  S.  43. 

a)  St  A.  Decis.  II  fol.  10 1. 

*)  Unter  einem  Spruchkonzept  des  Jahres  1558  steht:  „Datum  auf 
unseren  scheppenhause  mittwochs  nach  Anton ii"  (7  193);  ebenso  Montag 
post  Jacobi  1590:  „Datum  aufm  scheppenhause  zu  Brandenburg44  (33  201); 
1562:  „wenn  ihr  vom  scheppenhause  gehet"  (9  123);  „1593  ist  auf  dem 
scheppenhause  alhier  das  contrarium  gesprochen"  (StA.  Decis.  II,  164). 
Eine  Rechnung  von  1596  besagt:  „6.  aug.  ein  buch  pappier  zu  scheppen- 
hause, 23.  aug.  ein  buch  pappier  auf  das  scheppenhaus ,  26.  oct.  zu 
scheppenhause  ein  buch  pappier,  2.  Nov.  ein  buch  pappier  zu  scheppen- 
hause" (RA.  Act.  A.  1).  „Zu  scheppenhause  wart  referirt"  (1608.  56  116). 
„Oft  ist  zu  Scheppenhause  gedacht  worden"  (1609.  57  220).  „Dieses  ist  zu 
scheppenhause  .  .  .  vorgangen  und  approbiret"  (1632.  74  528).  „Sentent. 
zu  scheppenhause"  1634  (75  585;  auch  682.  417).  Ueber  1697  siehe 
Seite  .  .  .  Note  .  .  . 

4)  RA.  Cod.  A.  33  fol.  74.  Im  Jahre  1532  verkauft  der  Rath  der 
Altstadt  das  Haus  „die  Stadtschreiberei  bei  dem  Stadthof"  AA.  Rathsbuch 
A.  1  fol.  239. 


§  i.     Örtlichkeiten.  Gl 

in  welchem  das  Berliner  Kammergericht  nach  Neuruppin 
auswanderte,1)  in  die  unweit  Brandenburg  gelegenen  Wein- 
berge zurück,  und  zwar  die  altstädter  Schoppen  in  die  der 
Altstadt  gehörigen  Weinberge  bei  Radewege,  die  neustädter 
Schoppen  in  die  neustädtischen  Weinberge  bei  Kreutzwitz2); 
ihre  Zusammenkunft  fand  dann  bei  Butzow  an  der  Stelle 
statt,  wo  eine  schmale  überbrückte  Wasserstrasse  den  Beetz- 
see und  den  Riewendsee  verbindet;  die  Wahl  des  Ortes 
entsprach  der  des  Schöppenhauses  zwischen  beiden  Städten 
in  unmittelbarster  Nähe  des  Wassers.  Bisweilen  geschah  es 
auch,  dass  die  den  Schoppen  zustehende,  noch  jetzt  als 
Magistratsstuhl  dienende  Kapelle  der  Katharinenkirche3) 
dazu  benutzt  wurde,  Sonntags  eine  Sache  zu  bereden,  wegen 
deren  man  Tags  vorher  sich  erspart  hatte  zusammenzu- 
kommen.4) Sehr  häufig,  vielleicht  sogar  in  den  meisten 
Fällen  kamen  die  Beschlüsse  der  Schoppen  ohne  gemein- 
same Sitzung,  wie  sich  zeigen  wird,  dadurch  zu  Stande, 
dass  die  Akten  mit  schriftlichen  Aeusserungen  vom  Rath- 
hause  der  einen  Stadt  zu  dem  der  anderen  oder  von  einem 
Schoppen  zum  anderen  gingen. 

Die  Stürme  des  dreissig jährigen  Krieges  mögen  das 
Schöppenhaus  nicht  unberührt  gelassen  haben;  im  Jahre  1627 
plünderten  die  Kaiserlichen  200  Häuser  der  Stadt;5)  im 
Dezember  1638  fällte  man  in  Brandenburg  vier  Todesurtheile 
gegen  Plünderer  (76  659  ff.).  Wie  überall  in  Deutschland,, 
so  muss  auch  hier  der  Kriegslärm  den  ruhigen  Fortgang  der 
Justiz  gestört  haben.  Damit  steht  es  in  Zusammenhang,  dass 
unterm  19.  Juni  1646  der  neustädtische  Bürgermeister  und 
Schöppe    Mag.   Andreas    Moritz   seine   in    Berlin   weilenden 

1)  Holtze,  Lokalgeschichte  des  Kammergerichts  S.  4. 

2)  Das  heutige  Klein-Kreuz,  wo  noch  jetzt  die  Stadt  Brandenburg- 
Eigenthümerin  der  sog.  Weinberge  ist. 

3)  Wernicke,  Die  Katharinenkirche  zu  Brandenburg.  Siehe  auch 
unten  §  5. 

4)  Votum  des  neust.  Seniors  Floring:  „Die  herren  werden  darüber 
müssen  zusammenkommen  oder  wil  mit  den  herren  morgen  darüber  in  der 
kapeilen  reden44  (16 19.  66  594). 

6)  Tschirsch,  Tageb.  des  Garcäus,  20.  Jahresbericht  über  den  hist. 
Verein  zu  Brandenburg,  1888  S.  101. 


_  M 

ß2  *•  Buch.     Ortlichkeiten.     Titulaturen  und  Anreden. 

Kollegen  bittet  (77  352),  „auch  wegen  unsres  Scheppenstuhls 
und  Scheppenhauses  zu  vigiliren".  Die  Bitte  scheint  nicht 
viel  geholfen  zu  haben;  denn  die  Versammlung  der  Schoppen 
im  Schöppenhaus  hörte  auf,  das  Regelmässige  zu  sein;  von 
ihr  als  etwas  Vergangenem  erzählte  1679  Fromme's  nomen- 
clatura  rerum.1)  Im  Jahre  1680  nahm  man  jedoch  eine  wieder- 
holte Reparatur  vor;2)  so  konnten  noch  in  den  1690  er  Jahren 
die  Schoppen  das  Schöppenhaus  zu  ihren  Zusammenkünften 
benutzen.3)  Aber  am  17.  Mai  170a  brachte  ein  Sturm  das 
Haus  zum  Einsturz  und  beschädigte  den  Schlagbaum,  die 
Zugbrücke  und  die  Balken  der  langen  Brücke,  so  dass  deren 
Reparatur  nöthig  war;4)  vom  Schöppenhause  blieben  nur  „die 
aus  dem  Wasser  ragenden  Pfähle"  übrig  und  „sahen  sich 
nach  einem  neuen  Baue  um".5)  Der  neue  Bau  unterblieb. 
König  Friedrich  Wilhelm  I.  soll  die  letzten  Trümmer  haben 
beseitigen  lassen,  weil  sie  ihm  während  eines  Aufenthalts  in 
seinem  Brandenburger  „Lustschlösschen"  (dem  heutigen  „Frei- 
haus" der  Neustadt  in  der  jetzigen  Hauptstrasse)  die  Aussicht 
störten.6)  Bei  dem  ungewöhnlich  niedrigen  Wasserstande  von 
1874  traten  die  Pfähle,  auf  denen  das  Schöppenhaus  einst 
stand,  deutlich  hervor.7) 

*)  Zweite  Ausgabe  Brandenburg  1727  von  Gottschling  S.  118,  wo  Fr. 
sagt,  dass  in  dem  Hause  „vor  diesem"  die  Schoppen  ihre  Versammlung 
gehalten  haben. 

2)  Bericht  des  Schöppenstuhls  von  1691  im  Pfarrarchiv  der  Branden- 
burger Katharinenkirche,  Tit.  III  No.  30;  vgl.  Rechnung  der  Neustadt  von 
1680  Cod.  N.  No.  21  fol.  44  RA.:  „3  taler  zum  Schöppenhause". 

8)  Der  nebenzitirte  Bericht  von  1691  schliesst:  „gegeben  auf  dem 
brandenburgischen  Schoppenhause*4.  Im  Jahre  1697  schrieb  der  Schoppen- 
senior (79  758)  von  einem  Zusammenkommen  „aufm  Schöppenstuhl",  und 
der  Schöppenschreiber  Steltzner  notirte  im  August  desselben  Jahres  (79  763) 
unter  einem  Spruchentwurf:  „Dies  Urthel  ist  dato  aufm  Schöppenhause 
abgefasset  und  per  majora  also  beliebet". 

4)  Bericht  des  Schoppen  Steltzner  97  1 ;  Rechnung  der  Altstadt  von 
1700,  Ausgaben  Tit.  22  Cod.  A.  No.  58  RA. 

*)  Gottschling  a.  a.  O.  S.  169  Anm.  12; 

8)  Bericht  des  Referendars  Hübbe  von  1832  in  den  Generalakten  II 
K  5  des  Amtsger.  Brdb.,  Bericht  des  Ger.Ass.  Levin  von  1866  in  den 
Akten  des  Kammergerichts  zu  Berlin,  betr.  die  Inrotulirung  der  Schoppen- 
Stuhlsakten  II.  A.  9  fol.  33. 

*)  Schillmann,  Gesch.  der  St.  Br.   S.   177  Anm. 


§  i.     Örtlichkeiten.  63 

Aus  dem  Einsturz  des  Schöppenhauses  im  Jahre  1700 
erklärt  sich  die  Lückenhaftigkeit  der  Schöppenstuhlsakten 
der  vorausgegangenen  fünfzig  Jahre  und  die  sichtliche  Be- 
schädigung eines  Theiles  der  aus  dieser  Zeit  erhaltenen 
Akten.  Viele  dieser  Akten  zeigen  (in  den  Bänden  74  bis  79) 
Stockflecken  und  sind  am  Rande  stark  vermodert :  sie  haben 
anscheinend  im  Wasser  gelegen.  Das  Schöppenhaus  konnte 
nicht  alle  Akten  älterer  Zeit  bergen;  nur  die  aus  der  jüngsten 
Vergangenheit  mag  es  aufbewahrt  haben,  und  diese  fielen 
bei  jenem  Sturme  in  die  Havel;  ein  grosser  Theil  davon  wird 
zu  Grunde  gegangen  sein,  der  gerettete  Theil  sind  die  ver- 
moderten Akten.  Die  älteren  Akten  barg  das  altstädtische 
und  das  neustädtische  Rathhaus. 

Der  Einsturz  hatte  die  Folge,  dass  die  Schoppen  beider 
Städte  darauf  angewiesen  wurden,  abwechselnd  das  alt- 
städtische oder  das  neustädtische  Rathhaus  zu  ihrer  Ver- 
sammlung zu  benutzen,  wie  dies  ihre  Akten  nachweisen,1) 
zuweilen  benutzten  sie  auch  die  Privatwohnung  eines  Kol- 
legen.2) Eifersüchtig  wachten  die  Neustädter  und  Altstädter 
darüber,  dass  keines  der  beiden  Rathhäuser  bevorzugt  wurde.3) 
Nach  der  Vereinigung  beider  Städte  im  Jahre  17 15  wurde 
das  altstädtische  Rathhaus  von  der  Stadtverwaltung  geräumt. 
Die  Rathstube  lag  im  Jahre  17 16  „voller  Wollen",  und  die 
Tuchmacher  hatten  ein  Schloss  davor  gelegt,  so  dass  eine 
Schöppensitzung  in  der  Kämmereistube  abgehalten  werden 
musste.  Aber  im  Jahre  1727  hatten  die  Schoppen  ein  neues 
Heim.  Es  wurden  ihnen,  wie  der  Senior  Giesecke  im  Jahre  1 749 
sagt,  die  Gemächer  in  der  zweiten  Etage  des  in  der  Neustadt 
gelegenen  Accisehauses  eingeräumt.5)    Im  Jahre  1787  drückt 

*)  80  60.  113.  145.  147.  (1701.  1702);  8l  55-  56  (1709)1  3°  (J7»6); 
8a  210  (17 13). 

a)  80  181.   184.  188  (1706). 

3)  Der  altstädter  Schöppe  Katsch  schreibt  1 706 :  „weil  die  letzte  Zu- 
sammenkunft alhier  (nämlich  im  altstädter  Rathhaus)  gewesen,  werden  wir 
wohl  in  die  Neustadt  gehen  müssen"  (8a  2). 

4)  Deshalb  konnte  Hempel,  Europ.  Staatslexikon  4.  Thl.  S.  549  im 
J.  1752  berichten:  „In  der  Neustadt  Br.  berümter  Schoppenstuhl,  von 
M.  Johann  1315  errichtet". 

a)  Bericht  Giesecke's,  98  671. 


04  !•  Buch.     Örtlichkeiten.     Titulaturen  und  Anreden. 

sich  der  Schöppenstuhl  deutlicher  aus,  er  sagt,  er  nutze  die 
beiden  Dachstuben  des  Accisehauses  zur  Aufbewahrung  der 
Bibliothek  und  zur  Zusammenkunft  der  Mitglieder,1)  und 
zwar,  wie  sie  jetzt  zu  sagen  pflegten,  „auf  dem  Schöppen- 
stuhle"  (1722.  86598);  von  einer  Zusammenkunft  auf  dem 
Schöppenhause  konnte  keine  Rede  mehr  sein.  Da  das 
Accisehaus  fiskalisch  war,  so  ist  anzunehmen,  dass  der  König 
dem  Schöppenstuhl  auf  dessen  Vorstellung  diese  beiden 
Dachstuben  überlassen  hat.2)  Das  Accisehaus  stand  in  der 
jetzigen  Hauptstrasse,  dem  früheren  „Venedig",  an  der  Ecke 
des  Packhofes.  Es  hat  vor  einigen  Jahren  einem  Neubau 
weichen  müssen.  Hier  ruhten  die  Akten,  nachdem  sie,  an 
scheinend  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  aus  dem 
„Kassengewölbe"  des  altstädtischen  Rathhauses  hatten  ent- 
fernt werden  müssen.  Wenigstens  befanden  sie  sich  noch 
1749  (98  670)  im  Rathhause.  Nach  der  Auflösung  des 
Schöppenstuhls  im  Jahre  18 12  wurde  das  Accisehaus  ge- 
räumt; Akten  und  Bibliothek  siedelten  wieder  in  das  alt- 
städtische Rathhaus,  den  Sitz  des  damals  eingerichteten  Land- 
und  Stadtgerichts,  über. 

An  die  Stelle  des  Land-  und  Stadtgerichts  Brandenburg 
trat  in  Folge  der  Neuorganisation  der  Preussischen  Gerichte 
im  Jahre  1849  das  Kreisgericht,  dann  1879  für  die  wich  tigern 
Sachen  das  Landgericht  Potsdam,  für  die  minder  wichtigen 
Sachen  das  heutige  Amtsgericht  Brandenburg,  das  seinen 
Sitz  jetzt  in  einem  früheren  Postgebäude  hat. 

Im  wunderbaren  Kreislauf  der  Geschichte  hat  also  die 
vom  Landgericht  zur  Klinke  ausgegangene  Entwicklung  nach 
der  Zersplitterung  dieses  Landgerichtes  und  der  Herausbil- 
dung einer  für  Brandenburg  über  sechs  Jahrhunderte  be- 
standenen städtischen  Sondergerichtsbarkeit  wieder  zur  Be- 
seitigung   der  Zersplitterung   und    zur  Bildung   eines   neuen, 

1)  AA,  Urkunde  von  1787.  Der  Zollinspektor  forderte  einen  Beitrag- 
zur  Reparatur  des  Hauses,  den  der  Schöppenstuhl  (anscheinend  mit  Erfolg) 
ablehnte. 

*)  Bericht  Levins  in  den  Kammergerichtsakten  betr.  Inrotulirung  der 
Akten  des  ehemal.  Schöppenstuhls  zu  Br.  Vol.  spec.  II.  A.  No.  9  f.  33. 


§  2.    Titulaturen  und  Anreden.  65 

freilich  nicht  an  alter  Stätte  errichteten  Landgerichts  zurück- 
geführt 

In  der  Wahl  und  in  dem  Wandel  des  Ortes,  wo  zu 
Brandenburg  Recht  geschöpft  wurde,  findet  die  innere  Ge- 
schichte des  Brandenburger  Schöppenstuhls  einen  merkbaren 
Ausdruck:  Mit  der  Umwandlung  des  alten  Rathhauses  in  das 
Schöppenhaus  schliesst  die  Rechtsbelehrungsperiode  ab,  die 
der  Thätigkeit  des  Schöppenstuhls  beider  Städte  vorausging; 
der  Neubau  des  Schöppenhauses  im  Jahre  1552  bringt  die 
Blüthezeit  des  Schöppenstuhls  beider  Städte  in  seiner  mo- 
dernisirten  Gestalt  zur  Anschauung;  das  Herabsinken  des 
Schöppenhauses  zur  Bedeutungslosigkeit  in  Folge  der  langen 
Kriegswirren  findet  sein  Ende  durch  die  Wiederherstellung 
im  Jahre  1689,  welche  zugleich  den  Beginn  einer  Neuorgani- 
sation des  Schöppenstuhls  anzeigt,  und  die  endliche  Ueber- 
führung  des  Schöppenstuhls  in  bescheidene  fiskalische  Räume 
hängt  mit  seiner  bescheidenen  unter  König  Friedrich  Wil- 
helm I.  in  den  1720  er  Jahren  eingetretenen  Nachblüthezeit 
als  „Königlich  Preussischeru  Schöppenstuhl  zusammen. 

§2. 

Titulaturen  und  Anreden. 

Ebenso  wie  in  den  lokalen  Beziehungen  des  Schöppen- 
stuhls sich  vielerlei  Anhaltspunkte  für  seine  Entwicklung 
finden,  muss  dies,  wie  der  Schlusssatz  des  vorigen  Para- 
graphen bereits  andeutet,  von  den  Titulaturen  gelten,  die 
im  Laufe  der  Zeit  dem  Schöppenstuhl  als  solchem'  bei- 
gelegt, und  von  den  Anreden,  die  den  Schoppen  zu  Theil 
wurden.  Da  diese  Titulaturen  und  Anreden  nur  auf  der 
Uebung  beruhten,  so  entwickelt  sich  eine  Neuerung  stets 
nur  allmählich  und  mit  Kämpfen;  es  giebt  sich  daher  ein 
stetes  Schwanken  kund,  bis  schliesslich  die  Neuerung  festen 
Fuss  gefasst  hat.  Darum  lässt  sich  die  Entwicklung  nur 
durch  Beibringung  einer  grösseren  Zahl  von  Beispielen  dar- 
stellen und  belegen,  aus  denen  einerseits  hervorgeht,  dass  sich 
der  Brandenburger  Schöppenstuhl  bei  seinen  Konsulenten 
des  Ansehens  eines  oberen  Instanzgerichtes  erfreute,  anderer- 

Stölzel,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  5 


6(5  i.  Buch.     Örtlichkeiten.     Titulaturen  und  Anreden. 

seits,   dass   selbst  Behörden  keineswegs  immer  die  richtigen 
Titulaturen  anwendeten. 

„Schepen  beyder  Stede  Brandenborchu  ist  die  älteste 
Bezeichnung,  die  sich  in  unseren  Akten  (1  8)  der  Branden- 
burger Schöppenstuhl  beilegt.  Indess  finden  sich  auch  Spuren, 
dass  den  rechtsbelehrenden  Sprüchen  der  „Schoppen  beider 
Städte  Brandenburg"  in  ältester  Zeit  rechtsbelehrende  Sprüche 
der  „Schoppen  zu  Brandenburg",  und  dann  einerseits  rechts- 
belehrende Sprüche  der  „Schoppen  der  Altstadt  Branden- 
burg", andererseits  der  „Schoppen  der  Neustadt  Branden- 
burg" vorangingen. 

Da  älteste  Urkunden  überhaupt  in  lateinischer  Sprache 
abgefasst  sind,  so  muss  auch  der  älteste  urkundlich  auftretende 
Namen  der  Brandenburger  Schepen  der  übliche  lateinische 
„scabini"  sein,  der  aus  der  Zeit  Karls  des  Grossen  stammt 
und,  nachdem  er  Jahrhunderte  lang  in  Deutschland  durch  die 
Ausdrücke  Schepen,  Schoppen,  Schoppen  und  Schöffen  ver- 
drängt war,  schliesslich  vor  seinem  Absterben  merkwürdiger- 
weise noch  einmal  in  seiner  alten  lateinischen  Form  auftrat: 
den  gelehrt  gewordenen  Mitgliedern  der  Stadtgerichte  und 
der  Schöppenstühle  gab  man  den  amtlichen  Titel  „Scabinus"; 
während  des  dreissigj ährigen  Krieges  taucht  „der  scabina- 
tus"  [)  für  den  Schöppenstuhl  auf,  und  noch  in  den  ersten 
Jahrzehnten  des  neunzehnten  Jahrhunderts  war,  wenn  auch 
nicht  in  Brandenburg,  so  doch  in  anderen  Städten,  z.  B.  in 
Cassel,  der  „Herr  Schcabines"  eine  achtunggebietende  Per- 
sönlichkeit. 

Die  Hervorsuchung  der  lateinischen  Bezeichnung  sollte 
den  Schöppenstühlen  den  Stempel  der  Gelehrsamkeit  auf- 
drücken, während  ursprünglich  der  scabinus  oder  der  Schepe 
gerade  der  ungelehrte  Rechtsprecher  war.  Scabinus  stammt 
von  scapan  ab,  das  nach  Grimm  ordinäre,  decernere,  creare 
bedeutet  und  auch  mit  scephjan  (haurire)  zusammenhängen 
kann,  da  scephjan  aus  scaphan  hergeleitet  ist.2) 


*)  Es  ergeht  (u.  Okt.  1633.  75  19)  „in  scabinatu"  der  Spruch. 
a)   Rechtsalterthüroer  4.  Aufl.   %  389  ff.     Brunner  in   den   Mittheil,   des 
Inst.  f.  österr.  Gesch.F.  Bd.  8  S.  177  ff. 


§  2.    Titulaturen  und  Anreden.  (J7 

Die  Schoppen  „weisen"  das  Recht,1)  ihre  Belehrungen 
älterer  Zeit  sind  darum  „WeisthümerV)  und  die  Schoppen 
selbst  sind  „weise"  Männer.  Das  Recht  war  nach  Auffassung 
der  Germanen  ewige  Ordnung  („Ehe"),  es  war  nichts  Ge- 
machtes, „es  wird  nur  bezeugt  in  Rechtssprichwörtern,  ge- 
richtlichen Entscheidungen,  abstrakten  Urtheilen  über  Rechts- 
fragen, im  Norden  auch  in  geordneten  Rechtsverträgen  im 
echten  Dinge".3)  Diejenigen,  die  es  bezeugen,  sind  die 
Schoppen.  Das  ihnen  gegebene  technische  Beiwort  „weise" 
soll  ausdrücken,  dass  sie,  ohne  im  Rechte  „gelehrt"  zu  sein, 
das  Recht  aus  Ueberlieferung  und  Uebung  wissen;4)  es  er- 
hält sich  lange  über  die  Zeit  hinaus,  in  welcher  sie  „weisen". 
Auch  in  die  Zeit  hinein,  in  welcher  sie  „zu  Recht  sprechen" 
oder  „erkennen"  oder  „des  Rechten  belehren",  werden  sie 
mit  „Euer  Weisheit"  angeredet  und  als  „weise  Herren 
Scheppen"  titulirt.  Deshalb  bedeutet  die  Abkürzung  „E.  E. 
W.",  die  in  den  ältesten  an  die  Brandenburger  Schoppen 
gerichteten  Anfragen  regelmässig  wiederkehrt,  „Eure  Ehr- 
bare (oder  Ehrsame)  Weisheit".  Aber  auch  die  Anrede  „Eure 
achtbare  Ehrbarkeit"  kommt  vor  (1535:  2  148). 

So  treten  uns  die  Scheppen  beider  Städte  Brandenburg 
bis  in  die  ersten  Jahrzehnte  des  sechszehnten  Jahrhunderts 
als  „ehrbare,  achtbare,  weise  Herren  Scheppen  beider 
Städte  Brandenburg"  entgegen. 

Kurfürst  Joachim  in  seiner  „Konstitution,  Wilkür  und 
Ordnung  der  Erbfälle  und  anderer  Sachen  vom  Mitwoch  nach 
Francisci  (9.  October)  1527,  wie  damit  durch  die  gantze  Mark 
Brandenburg  und  zugehörenden  Landen  hinführo  soll  gehalten 
werden"  (d.  h.  in  der  später  sogenannten  Joachimica),5) 
„gönnt  und  lässt  aus  besonderen  Gnaden  zu,  dass: 

die    beyde    unser  Städte   Alt-   und   Neustadt  Branden- 


1)  Ständige    Form    des   Spruches   z.  B.    in   den   Urtheilen   des   Ingel- 
heimer Oberhofs:  „Die  Schepen  haben  gewiset,  dass  .  .  .** 

2)  J.  Grimm,  Weisthümer.     3  Bde.     1840  bis  1842. 

8)  Schröder,  Deutsche  Rechtsgeschichte,   2.  Aufl.  S.  13.  222. 
*)  Damit   hängt   auch   das  Wete-  oder  Weisebuch    der  Schoppen   zu- 
sammen, das  wir  noch  1574  (ÜB.  1  618)  finden. 
*)  Mylius,  C.  C.  M.  II,  1  S.  19. 

5* 


63  i-  Buch.     Örtlichkeiten.     Titulaturen  und  Anreden. 

bürg  hinfürder  nochmals  einen  gemeinen  Richt- 
stuhl samtlich,  wie  vor  Alters  haben  und  be- 
halten sollen". 

Hier  werden  die  Schoppen  beider  Städte  Brandenburg  als 
gemeinsamer  „Richtstuhl"  bezeichnet.  Das  lässt  fast  annehmen, 
dem  Verfasser  der  Joachimica  sei  bereits  der  wesentliche 
Unterschied  des  aus  den  Schoppen  beider  Städte  gebildeten 
Kollegs  und  eines  für  beide  Städte  vereinigten  Gerichtes 
nicht  mehr  gegenwärtig  gewesen,  wie  ein  solches  Gericht 
z.  B.  „Richter  und  Schoppen  beider  Städte  Berlin  und  Cölntt 
bildeten.  Der  Brandenburger  „Richtstuhl",  von  dem  die 
Joachimica  redet,  war  kein  Gericht;  denn  es  fehlte  ihm  der 
Richter;  dieser  Richtstuhl  war  keine  rechtsprechende,  keine 
urtheilende,  sondern  er  war  eine  rechtsbelehrende  Behörde. 
Wohl  aber  leitete  die  Bezeichnung  „Richtstuhl*,  die  (wahr- 
scheinlich im  Anschlüsse  an  die  Joachimica)  auch  anderweit 
später  noch  angewendet  wurde,1)  hinüber  zu  der  Zeit,  in  der 
es  üblich  war,  von  einem  „Schöppenstuhl  beider  Städte 
Brandenburg14  zu  reden,  obwohl  die  vereinigten  Schoppen 
selbst  sich  lange  Zeit  noch  ausschliesslich  „Scheppen  (oder 
Schoppen)  beider  Städte  Brandenburg1*  nannten.  Zum  ersten 
Male  findet  sich  aktenmässig  im  Jahre  1535  (2  148)  der  Aus- 
druck „Scheppenstuhl"  in  der  äusseren  Adresse  eines  Schrei- 
bens, mit  welchem  Richter  und  Schoppen  des  märkischen 
Städtchens  Crossen  um  eine  rechtliche  Sentenz  in  einer  In- 
juriensache bitten,  „der  sie  sich  nach  Gelegenheit  der  Part 
recht  zu  sprechen  nicht  haben  beschweren  wollen";  die 
Adresse  lautet:  „den  achtbaren,  ehrbaren  und  wohlweisen 
Herren  des  Scheppenstuhls  zu  Brandenburg".  Auch  in 
einem  Erbstreit  des  Jahres  1547  (3  471)  „beruft  sich"  eine 
der  Parteien  „an  den  Scheppenstuel  zu  Brandenburg". 

')  Z.B.  1552  (4527):  Richter  und  Schoppen  der  Stadt  Schievelbein 
in  Pommern  adressiren  an  BM.,  Richier  und  Schoppen  der  Stadt  Alten- 
brandenburg und  reden  im  Kontext  von  „eines  loblichen  Kurfürsten  Richt- 
stuhl". Altenbrandenburg  soll  hier  nicht  die  Altstadt  Brandenburg  be- 
deuten, sondern  nur  den  Gegensatz  zum  (mecklenburgischen)  Neubranden- 
burg; ähnlich  5  325  bei  einer  Anfrage  aus  Falkenberg  1554  und  14557  bei 
einer  Anfrage  aus  Waren  1573;  beide  Anfragen  stammen  aus  dem  Mecklen- 
burgischen. 


§  2.    Titulaturen  und  Anreden.  6<) 

Um  dieselbe  Zeit  beginnt  in  der  Anrede  an  die  Schoppen 
das  Prädikat  „wohlgelehrt"  aufzutauchen,  das  den  auf  Uni- 
versitäten Gebildeten  und  von  den  Graduirten  den  Magistris 
gebührte,  ja  es  findet  sich  sogar  das  nur  den  Doktoren  zu- 
kömmende Prädikat  „hochgelehrt*4,  obwohl  Doktoren  damals 
unter  den  Brandenburger  Schoppen  noch  nicht  sitzen.1) 
Selbstverständlich  wird  überhaupt  die  richtige  Titulatur  und 
Anrede  keineswegs  immer  streng  beobachtet. 

Der  Amtmann  Caspar  v.  Kökeritz  schreibt  1547  an  die 
Brandenburger,  als  an  seine  „wohl gelehrten"  Freunde,  der 
Hauptmann  Jörg  Rhor  zu  Lebus  adressirt;  1550  an  „die  ehr- 
baren, hochgelehrten  und  wohlweisen  Ern  Richter  und 
und  Schepfen  des  Richtstuhls  beider  Städte  Brandenburg" 
(3  468.  637),  obwohl  dieser  Richtstuhl  eines  Richters  entbehrt.2) 
Ein  Templiner  Bürger  adressirt  155 1  (486)  „an  die  Herren 
Scheppen  des  löblichen  und  weitberühmten  Scheppenstuhls 
zu  Brandenburg",  der  Amtsvogt  zu  Küstrin  in  demselben 
Jahre  „an  die  ehrbaren  und  weisen  Herren  Scheppen  des 
Scheppenstuhls  beider  Städte  Brandenburg"  (4  184).  Der  bei 
Stendal  erbgesessene3)  Friedrich  von  Runtorf  adressirt  1553 
an  die  „Erbaren,  hoch  gelarten  und  hochweisen  Herren 
Scheppen  des  Churfürstlichen  Scheppenstoles  Branden- 
burg" (5  10)  und  leitet  damit  hinüber  zu  der  Zeit,  in  welcher 
aus  dem  rein  städtischen  Kolleg  ein  landesherrliches  wird,  eine 
Wandlung,  mit  der  es  dann  auch   zusammenhängt,  dass  die 

l)  Ueber  die  den  Magdeburger  Schoppen  beigelegte  Titulatur  er- 
geben die  im  Druck  erschienenen  Materialien  wenig,  weil  sie  fast  durch- 
gängig nur  Sprüche,  in  denen  die  Anfragenden  von  den  Magdeburgern 
angeredet  werden,  nicht  aber  die  an  die  Magdeburger  gerichteten  Anfragen 
enthalten.  In  den  seltenen  Fällen,  wo  jene  vorliegen  (aus  den  Jahren 
c.  1500,  1528,  1564,  1600.  Friese  und  Liesegang,  Magdb.  Schöffensprüche, 
1  197.  263.  326  Anm.  1.  287),  werden  die  Magdeburger  Schoppen  ehrbare, 
achtbare  und  hoch  weise  genannt,  obwohl  schon  damals  nachweislich 
Doktoren  im  Schöppenstuhl  sassen  (s.  oben  S.  11;  auch  §  17).  Nur  ein- 
mal (1527  a.  a.  O.l  222)  findet  sich  für  sie  die  Bezeichnung  hochgelahrte. 
Man  scheint  daher  bei  Magdeburg  strenger  an  der  alten  Titulatur  fest- 
gehalten zu  haben.  Zu  vgl.  auch  das  Zitat  aus  Osse  bei  Stobbe  a.  a.  O. 
S   70  Note  30. 

*)  Aehnlich  4  161.  165  (1551). 

3)  Riedel,  c.  d.,  Namensregister  3  S.  41. 


70  i«  Buch.     Ortlichketten.     Titulaturen  und  Anreden. 

Schoppen  zu  „verordneten"  Schoppen,  d.  h.  zu  landesherrlich 
bestellten  Dienern  werden,  bis  sie  sich  sogar  selbst  so  be- 
zeichnen und  ihren  Schöppenstuhl  einen  churfürstlichen 
(schliesslich  einen  königlichen)  nennen,  indem  sie  es  sich 
zur  Ehre  anrechnen,  landesherrliche  Beamte  zu  sein. 

Dem  Uebergang  zur  Neuzeit  trägt  ferner  die  allmähliche 
Verdrängung  der  altehrwürdigen  Bezeichnung  „Schoppen" 
Rechnung.  Der  Rath  zu  Salzwedel  verwandelt  1554  (5  321) 
die  Schoppen  in  „Rechtssitzer"  (d.  i.  Gerichtsbeisitzer); 
die  v.  Schlabrendorf  auf  Sielen  schreiben  1557  (6  100) 
an  „die  brandenburgischen  Urteilsfasser  und  Rechtsprecher u, 
die  v.  Krummensehe  zu  Altlandsberg  1557  (6  147)  an  die 
„Rechtsräthe  beider  Städte  Brandenburg",  Markgraf  Johann 
von  Küstrin  braucht  1554  (5  298)  zuerst  für  die  gute  deutsche 
Bezeichnung  „Rechtssitzer"  die  lateinische  „Assessor";  erstellt 
sie  als  synonym  neben  die  Bezeichnung  „Scheppen",  indem 
er  adressirt:  „an  die  achtbarn,  unsre  lieben  getreuen  Schep- 
pen und  Assessorn  des  Scheppenstuhls  zu  Brandenburg". 

Irrthümlich  schleicht  sich  auch  zuweilen  auf  der  Adresse 
der  Rath  der  Stadt  oder  der  Richter  oder  das  Gericht  statt 
der  Schoppen  oder  des  Schöppenstuhl s  ein.  Amtmann, 
Bürgermeister  und  Rathmannen  zu  Falkenberg  (in  Mecklen- 
burg) adressiren  1554  (5  325)  an  „Bürgermeister,  Rath- 
manne  und  Scheppengericht  zu  alten  Brandenburg".  Im 
nämlichen  Jahre  findet  sich  (5  317)  die  Adresse:  Bürger- 
meister, Rathmänner  und  Scheppen  beider  Städte  Branden- 
burg. Der  Gerichtsherr  zu  Neu-Langerwisch  bei  Potsdam 
stellt  1557  (6  318)  seine  Rechtsfrage  an  „Bürgermeister 
und  Ratmannen,  Richter  und  Schoppen  beider  Städte  Bran- 
denburg"; die  Stadt  Wittenberg  adressirt  1558  (6481)  an 
„die  Ratmannen  und  Schoppen  beider  Städte  Brandenburg"; 
aus  Leuthen  (bei  Kottbus)  schreibt  man  1558  (6  471)  „den 
hochgelahrten  und  hochweisen  Präsidenten  und  Beisitzern  des 
Scheppenstuhls";  ein  Frankfurter  Anwalt  adressirt  1557  (6 
137)  an  „Richter  und  Scheppen  und  andre  Assessores  des 
Gerichtsstuhls  beider  Städte  Brandenburg";  auf  zwei  ur- 
sprünglich an  „Richter  und  Schoppen  beider  Städte  Bran- 
denburg"   gerichteten    Schreiben    des    Jahres    1557    (1    137) 


§  2.    Titulaturen  und  Anreden.  71 

und  des  Jahres  1558  (6  586)  ist  die  Streichung  der  Worte: 
„Richter  und"  vorgenommen  zum  Zeichen,  dass  der  Ab- 
sender nachträglich  die  Adresse  als  besserungsbedürftig  an- 
erkannte. Der  Erbsess  Sebastian  von  Kottwitz  wendet  sich 
T559  (7  353)  sogar  an  „Scheppen  und  Rechtssitzer  des  kur- 
fürstlichen Hofgerichts  zu  Brandenburg"  und  Erbinter- 
essenten aus  der  (mecklenburgischen)  Stadt  Neubranden- 
burg adressiren  1560  (8  58)  an  die  „ehrbaren,  hochgelehrten 
und  wohl  weisen  Schoppen  des  Schöppenstuhls  zu  Altbran- 
denburg".  Die  Auffassung,  dass  die  Schoppen  nichts  An- 
deres seien,  als  vom  Kurfürsten  bestellte  Beamte,  kommt 
bereits  1558  (6  410)  dadurch  zum  Ausdruck,  dass  z.  B. 
der  Hauptmann  Adam  Trott  zu  Zehdenick  an  die  „hoch- 
gelarten  Herren  N.  N.  N.,  churfürstlich  Brandenburgi- 
schen verordneten  Rechtsschopfen"  adressirt.  Mark- 
graf Johann  adressirt  1561  (8  460)  an  seine  „getreuen  ver- 
ordneten Schoppen  des  Schoppenstuhls  beider  Städte  Branden- 
burg". Sogar  der  Kurfürst  selbst  wendet  sich  in  einer  Be- 
lehrungsangelegenheit 1566  (ÜB.  1  466)  an  „Richter  und 
Schepfen  beider  Städte  Brandenburg" ;  die  Antwort  wird  ihm 
(das.  1  467)  nur  von  den  „Scheppen  beider  Städte  Branden- 
burg". Ein  Gutsherr  richtet  1566  (10  184)  eine  Anfrage 
Namens  einer  Dorfbewohnerin  zu  Schwante  (bei  Kremmen) 
schlechtweg  an  den  Bürgermeister  der  Altstadt,  erhält  aber 
vom  Schöppenstuhl  in  der  gewöhnlichen  Form  einen  Be- 
lehrungsspruch. Der  Probst  zu  Distorf  (bei  Salzwedel)  und 
ein  in  Görtzke  (bei  Ziesar)  Erbgesessener  wenden  sich  zu 
derselben  Zeit  (10  343.  347)  an  die  „hochgelehrten  und  acht- 
baren Herren  Doctores  und  verordneten  Beisitzer  des  Schep- 
penstuhls",  obwohl  es  damals  noch  keine  Doctoren  im  Schöp- 
penstuhl gab.  Der  Berliner  Hoffiskal  bezeichnet  1572  (12 
602)  die  Schoppen  beider  Städte,  an  die  er  adressirt,  im 
Kontext  seines  Schreibens  als  „Herren  Assessores".  Aehn- 
lich  schreibt  der  Amtsbefehlshaber  zu  Plattenburg  (bei  Havel- 
berg)  J573  (H  572)  an  die  „achtbaren,  wolgelarten,  wol- 
weisen  und  erbaren  Herren  verordneten  Schoppen  und  Asses- 
soren des  Schoppenstuels  beider  Städte  Brandenburg".  Der 
Kurfürst  adressirt  aber  im  nämlichen  Jahre  an  seine  „lieben 


72  *•  Buch.     Örtlichkeiten.     Titulaturen  und  Anreden. 

getreuen  Scheppen  beider  unsrer  Städte  Brandenburg"  (5 
616.  622). 

Gegen  Ende  des  sechzehnten  Jahrhunderts  fangt  dann 
die  Bezeichnung  „Assessoren"  an,  sich  für  „Schoppen"  mehr 
und  mehr  einzubürgern,  auch  tritt  die  Gleichstellung  des 
Schöppenstuhls  mit  den  Fakultäten  allmählich  in  der  Ver- 
mengung der  beiderseitigen  Titulaturen  zu  Tage. 

Ein  frühes  Beispiel,  dass  sich  Schoppen  selbst  „Ge- 
richtsassessores"  nennen,  lässt  sich  aus  Salzwedel  beibringen: 
1567  fragen  „Bürgermeister,  Richter  und  Gerichtsassessoren 
beider  Städte  Salzwedel"  in  Brandenburg  um  Belehrung  an; 
soweit  zurück  reichen  also  unsere  Gerichtsassessoren.  Nach 
Brandenburg  adressirt  die  Herzogin  von  Mecklenburg  1579 
(20  533)  in  einer  aus  ihrem  Leibdingsamt  Liptz  stammenden 
Sache  an  „die  hochgelarten  verordneten  Räthe  und  As- 
sessorn  des  Scheppenstuhls  zu  Alten  Brandenburg". 
Die  v.  Burckholz  in  Zieckaw  (bei  Luckau)  adressiren 
1590  (32  400)  an  „Doctoren  und  Assessoren  des  Scheppen- 
stuhls beider  Städte",  Bürgermeister  und  Rath  zu  Züllichau 
aber  im  nämlichen  Jahre  (33  210)  an  „hochgelehrte  wol weise 
Herrn  Decan  und  Assessoren  des  Schöppenstuhls  zu  Branden- 
burg". Neben  der  Anrede  „hochgelehrte  Schoppen  des  weit- 
berühmten Schoppenstuhls",  deren  sich  1598  (44  74)  ein 
Bürger  zu  Belitz  (bei  Potsdam)  bedient,  redet  ein  Pfarrer  zu 
Potsdam  1599  (43  562)  von  „verordneten  Assessoren  des 
Schoppenstuhls",  ferner  redet  1605  (51  510)  der  Rath  zu 
Neustadt  von  „wolweisen,  wolgelerten,  wolverordneten  Kur- 
fürstlich brandenburgischen  Assessores  des  Schoppenstuhls" 
und  1608  (56612)  der  Berliner  Hoffiskal  Viritz  von  „ehren- 
festen achtbaren  wohlgelarten  und  wohlweisen  verordneten 
Assessoren  des  Kurf.  Schoppenstuhls".1)     Den  Besitzern  des 

l)  Auch  für  die  Mitglieder  der  märkischen  Stadtgerichte  taucht  damals 
der  Titel  „ Assessoren**  auf;  denn  1587  (28  362)  senden  „Richtvogt  und 
Assessoren  des  unteren  Gerichts  der  Stadt  Rügenwalde*  Akten  nach 
Brandenburg,  und  1609  (57  323)  schreibt  eine  Partei  an  „Stadtvoigt  und 
Assessores  der  löblichen  Gerichte  beider  Städte  Salzwedel4*.  In  den 
Magdeburger  Sprüchen  ist  1601  und  1617  (Friese  und  Liesegang  Bd.  1 
S.  294.  310)  die  Rede  von  „Richter  und  Assessoren  des  peinlichen  Gerichtes 
zu  Zerbst".     Der  Stettiner  Oberhof  nennt  sich  zwar  in  den  1590er  Jahren 


§  2.    Titulaturen  und  Anreden.  73 

Schulzenlehns  zu  Sieversdorf  (bei  Lebus)  heissen  1611  (59 
143)  die  Brandenburger  Schoppen  sogar  „wohlverordnete 
Herren  Präsidenten  des  Schöppenstuhls",  und  die  Branden- 
burger Schoppen  selbst  nennen  sich  in  der  Bestätigungs- 
klausel eines  im  Namen  des  anfragenden  Gerichts  ge- 
sprochenen Urtheils,  anscheinend  zum  ersten  Male,  16 13  (61 
469)  »verordnete  Assessoren  des  Kurfürstlichen  Schöp- 
penstuhlsu9  während  eine  in  der  Neustadt  Brandenburg  für 
einen  Bauer  des  nahen  Dorfes  Götz  aufgenommene  Missive 
sich  in  demselben  Jahre  an  „Präsidenten,  Senior  und  sämmt- 
liche  Schoppen"  richtet  (62  256.  258). 

Um  die  gleiche  Zeit  (161 7:  81  4)  findet  sich  ein  Schreiben 
des  Kurfürsten  „an  J.  Floring,  Assessorn  des  Scheppen- 
stuhls  zu  Brandenburg"  und  ein  Schreiben  des  Altstädter 
Schreibers  Düring  (1620:  67  918)  an  „die  ehrenfesten,  acht- 
baren hochgelehrten  Assessoren  des  Kurf.  Schoppenstuels 
beider  Städte  Brandenburg".  Gleichwohl  braucht  noch  1620 
(67  935)  der  Kurfürst  in  einem  vom  Kanzler  Pruckmann 
unterzeichneten  Schreiben  die  Adresse:  „wohlgelehrte  unsere 
liebe  getreue  Schoppen  unserer  Städte  Brandenburg",  und 
der  Rath  der  Neustadt  Brandenburg  braucht  noch  1622  die 
Adresse:  „ehrenfeste,  achtbare  und  wolgelerte  Herren 
Schoppen  des  Kurf.  brandenb.  Schoppenstuhls  beider  Städte 
Brandenburg",  wenige  Wochen  später  setzt  er  aber  an  Stelle 
des  Wortes  Schoppen  „Assessoren"  (70  743.  746),  während 
ein  Mitglied  des  Schöppenstuhls  sich  1623  (71  86)  an  die 
„ehrenfesten,  grossachtbaren  und  hochgelehrten  verordneten 
Herren  Schoppen  beider  Städte  Brandenburg"  wendet 

Der  Schöppenstuhl  selbst  bedient  sich  bis  in  das  Jahr 
1644  noch  der  Firma  „Scheppen"  oder  „Schoppen"  beider 
Städte  Brandenburg,1)  ein  Spruchkonzept  von  1631  (7447), 
das  den  Ausdruck  Schoppen  offensichtlich   vermeiden   will, 


regelmässig  „Richter  und  Schoppen  zum  Alten  Stettin",  mehrfach  aber 
auch  „ verordnete  Assessoren  des  Schöppenstuhls  zum  Alten  Stettin". 
(Akta  des  Kgl.  StA.  zu  Stettin,  enth.  Rechtssprüche  des  Schöppenstuhls 
1594  fol.  399.  401.  402) 

*)  1627  (7a  435.  438.  439.  460.  466);     1631   (74  23;    76  52.  109.  631); 
1634  (75  676). 


74  *•  Buch.     Örtlichkeiten.     Titulaturen  und  Anreden. 

indem  es  formulirt:  „sprechen  wir  Verordnete  beider  Städte 
Brandenburg  ....",  wird  korrigirt  in  „sprechen  wir  ver- 
ordnete Schoppen  beider  Städte  Brandenburg". 

Im  Jahre  1632  erhebt  sich  sogar  innerhalb  des  Schoppen- 
Stuhls  ein  Streit,  der  ergibt,  dass  man  sich  wohl  bewusst 
war,  es  liege  in  der  Inanspruchnahme  des  Titels  Assessoren 
etwas  Unberechtigtes.  Der  Wunsch,  mit  der  neuen  Zeit  fort- 
zuschreiten und  äusserlich  kenntlich  zu  machen,  dass  der 
Schöppenstuhl  gleich  der  Fakultät  und  den  höheren  Gerichten 
nunmehr  ein  gelehrtes  Kolleg  sei,  trat  in  Kampf  mit  dem 
anderen  Wunsche,  die  Erinnerung  an  das  hohe  Alter  des 
Schöppenstuhls  festzuhalten.  Beiden  Wünschen  wurde  Rech- 
nung getragen,  indem  man  die  ausgehenden  Sprüche  zwart 
wie  vor  Jahrhunderten,  unterzeichnete  mit  der  Firma  „Schop- 
pen beider  Städte  Brandenburg",  aber  im  Eingange  des 
Spruches  die  Formel  brauchte:  „Wir  verordnete  Assessores 
des  kurf.  brandenb.  Schöppenstuhls"  (1632,  25.  Febr.  74. 
392).  Als  am  Tage  nach  diesem  Spruche  ein  weiterer  Spruch 
entworfen  wird,  verfallt  der  Konzipient,  der  Schöppensenior 
Chueden,  der  seit  1610  im  Schöppenstuhl  sass,  zunächst 
in  die  alte  Formel:  „sprechen  wir  verordnete  Scheppen 
beider",  streicht  die  letzteren  zwei  Worte  aber  alsbald 
durch  und  ersetzt  sie,  in  der  nämlichen  Reihe  fortfahrend, 
mit  „Adsessores"  (74  4.  5).1)  Diese  Formel  wendet  er  dann 
wenige  Tage  später  in  einem  für  den  Kurfürsten  bestimmten 
Konzepte  ohne  Korrektur  an,  indem  er  formulirt:  „demnach  er- 
kennen und  sprechen  von  E.  Chrfl.  Durchl.  wir  verordnete  As- 
sessoren Eurer  chrfl.  Durchl.  Schoppenstuhl  beider  demselben 
Städte  Brandenburg"  (74  458).  Den  Entwurf  beanstandete 
aber  Chuedens  älterer  Kollege,  der  Neustädter  Schöppen- 
senior Zieritz,  weil  man  sich  in  Berlin,  wie  er  wisse,  mit  dem 
neuen  Stile  lächerlich  mache.2)     Die  Berliner  Geheimen  und 

1)  Im  nämlichen  Jahre  braucht  er  (74  2)  in  einer  anderen  Sache  die 
frühere  Formel:  ,, verordnete  Scheppen  Euer  chrfl.  Durchl.  Scheppenstuels 
beider  Städte  Br.a,  ohne  sie  zu  korrigiren. 

2)  „Ich  wollte  rathen,  das  man  bei  dem  vorigen  sty  e  bleiben  thete: 
,wihr  schöppen  b.  st.  Br.c,  dan  ich  weis,  dafs  es  cachinos"  (Gelächter) 
„in  Berlin  verursachet".     Gleichwohl  übersetzt  Zieritz  in  seinem  (lateinisch 


§  2.    Titulaturen  und  Anreden.  75 

Kammergerichts-Räthe  waren  also  wenig  geneigt,  die  Eben- 
bürtigkeit des  Brandenburgischen  Schöppenstuhls  anzuer- 
kennen; sie  sahen  eine  Anmassung  darin,  dass  sich  die  Bran- 
denburger als  Assessores  zu  einem  gelehrten  Kolleg  erheben 
wollten.  Zieritz'  Rath  fand  im  damaligen  Falle  Beachtung: 
das  Wort  Assessoren  wurde  in  „Scheppen  beider  Städte 
Brandenburg"  umgeändert,  aber  unter  dem  nämlichen  Tage 
ging  ein  anderer  von  Chueden  konzipirter  Spruch  mit  der 
Bezeichnung  „Assessores"  unkorrigirt  an  einen  Bürger  der 
Neustadt  ab  (74  462).  Deshalb  wurde  indess  noch  keines- 
wegs ständig  die  Schöppenbezeichnung  vermieden;  denn  1633 
(75  200)  und  ebenso  bis  zum  Jahre  1656  „erkennen  und 
sprechen  .  .  .  Schoppen  beider  Städte  Brandenburg".1) 
Uebrigens  nannte  sich  1642  bereits  das  Stadtgericht  Berlin: 
„Richter  und  Assessores"  (77  238). 

Ziemlich  gleichen  Schritt  mit  der  Entstehung  der  Asses  - 
soren  geht  in  Brandenburg  die  Entstehung  des  „scabinatusu 
und  der  „seniores",  wie  des  „senior";  desgleichen  auch  die 
Neubelebung  des  uralten  „scabinus". 

„Conclusum  in  scabinatu"  oder  „decretum  in  collegio 
scabinorum"  heisst  es  1634  (75628.629);  17 13  kommen  „die 
Herren  scabini"  auf  dem  Rathhause  der  Altstadt  Branden- 
burg zusammen  (82  210);  1714  stellen  „Richter  und  scabini4* 
zu  Charlottenburg  eine  Rechtsfrage  (82  504). 

Ein  scabinatus,  wie  ein  collegium  scabinorum  deutet  hin 
auf  ein  einheitliches  Kollegium.  Die  „Schoppen  beider 
Städte  Brandenburg"  waren  ein  solches  nicht;  sie  waren  zwei 
neben  einander  stehende  Kollegien,  die  zu  gewissem  Zwecke 
gleichberechtigt  zusammentraten.  Da  ein  gemeinsamer  Leiter 
des  Ganzen  mangelte,  fiel  naturgemäss  die  geschäftliche  Di- 
rektion innerhalb  jedes  der  beiden  Schöppenkollegien  dessen 
ältestem  Schoppen  zu.  Das  war  so  Rechtens  von  alter  Zeit, 
wahrscheinlich  von  der  ersten  Vereinigung  beider  Schöppen- 


geschriebenen)  Kommentar  zur  CCC  (s.  unten  §  8)  1622  ständig  Schoppen 
mit  assessores. 

')  1636  (76  211),  1638  (76  415.651),  641  (77  126),  1643  (77  330-521). 
1649  (78   172),    1656   (79  3.  5.  8.  11.   17.  27.  29.  34.  37.  39.  43.  46.  56.  58. 

67.  73-  7Sl 


76  '•  Buch.     Ortlichkeiten.     Titulaturen  und  Anreden. 

kollegien  her.  Aus  dem  einzigen  Statut,  das  wir  über  „die 
Vorladung  der  Schepen  zwischen  beiden  Steten,  dat  sy  or- 
dell  spreken",  (d.  h.  über  den  Schöppenstuhl)  besitzen,  und 
das  vermuthlich  der  Zeit  um  1430  angehört,1)  jedenfalls 
aus  der  Zeit  vor  1455  stammt,  erfahren  wir,  dass  der  älteste 
Schöppe  es  ist,  der  seinen  Kollegen  in  vorkommenden  Fällen 
Urlaub  gibt,  und  dass  er  es  ist,  der  1492  den  Befehl  des 
Schöppenkollegs  ausführt,  ein  neues  Schöppenbuch  der  Neu- 
stadt anzulegen.  Er  war  also  der  Direktor  des  Schöppen- 
kollegs, und  zwar  des  Schöppenkollegs  seiner  Stadt,  so  dass 
es  im  Schöppenstuhl  zwei  älteste  Schoppen  gab.  Die  Bezeich- 
nung „Senior"  für  den  ältesten  Schoppen  mag  ihr  Vorbild 
bei  den  Juristenfakultäten  gehabt  haben ;  denn  diese  pflegen 
Rechtsbelehrungen  zu  zeichnen  als  „Senior,  Decanus  und 
andere  Doctores  der  Juristenfacultät".  Auch  das  Domkapitel 
zu  Brandenburg  hatte  seinen  „Senior".2)  Von  dem  Amte  des 
„ältesten  Schoppen"  geben  unsere  Schöppenstuhlsakten  für 
die  Zeit  vor  dem  Ende  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  wenig 
Kunde.  Das  neustädter  Schöppenbuch  hat  1492  „der  älteste 
Schöppe"  und  Bürgermeister  Claus  von  Gulen  angelegt.3) 
Ein  Schreiben  des  neustädter  Schoppen  G.  Bester  an  Va- 
lentin Schmidt,  „ältesten  Schoppen  der  Altstadt"  aus  dem  Jahre 
1557  (4  252)  lässt  aus  der  Adresse  erkennen,  dass  „der  älteste 
Schöppe"  eine  Titulatur  geworden  war  zum  Zeichen,  dass  man 
ihm  eine  besondere  Stellung  im  Kolleg  zuerkannte.  Der  Zeit 
unmittelbar  nach  Abschluss  des  dreissigj  ährigen  Krieges  war 
es  dann  vorbehalten,  den  ältesten  Schoppen  der  Altstadt, 
wie  den  ältesten  der  Neustadt  unter  Jdem  sie  beide  zusam- 
menfassenden Titel  der  Seniores  auch  äusserlich  in  den  Rechts- 
sprüchen des  Schöppenstuhls  hervortreten  zu  lassen.  Bei 
anderen  Schöppenstühlen,  die  nicht  zwei  Aelteste,  sondern  nur 
einen  hatten,  mag  schon  während  des  dreissigj  ährigen  Krieges 
die  Adressirung  an  den  „Senior  und  andere  Assessoren  des 
Schöppenstuhls"  gebräuchlich  gewesen  sein.  Daher  erklärt 
sich,  wenn  1633  (75  287)  die  von  Byren  zu  Cahre  (d.  h.  die 

1)  Siehe  oben  Seite  33,  34  und  ÜB  1  8.    Vgl.  auch  unten  %  15. 

2)  Riedel  I,  8  S.  451. 

3)  Siehe  oben  S.  33  und  unten  §  8. 


§  2.    Titulaturen  und  Anreden.  77 

Gerichtsherren  des  Dorfs  Karow  bei  Genthin)  eine  Rechts- 
frage dem  nhochgelerten  Seniori  und  anderen  Assessoren  des 
churf.  brand.  Schöppenstuhls  beider  Städte  Brandenburg" 
zusenden,  als  hätte  es  bereits  damals  einen  Senior  des  Stuhls 
gegeben.  Das  Gleiche  müsste  man  schliessen  aus  Urtheils- 
sprüchen  der  Jahre  1647  und  1648,  in  denen  „Senior  und 
andere  Assessoren  des  chrfstl.  Schöppenstuhls  beider  Stedte 
Brandenburg"  zu  Recht  sprechen  (77  494.  590.  594).  Aber 
in  jenen  Jahren  1647  (77  445.  463)  und  1648  (78  8.  14.  18) 
nennt  sich  der  Schöppenstuhl  in  einem  an  die  Stettiner  Hof- 
gerichtsverwalter gerichteten  Spruche  selbst:  „wir  Seniores 
und  Assessores  des  kurf.  Schoppenstuls  beider  Städte  Bran- 
denburg". Die  nämliche  Formel  wird  angewendet  16491) 
(78  205),  1651  (78  258.  278).  Das  Konzept  eines  1652  nach 
Stolp  gerichteten  Spruchs  (78  483)  wird  unterzeichnet  „Schop- 
pen beider  Städte  Brandenburg",  dann  jedoch  abgeändert 
in  „des  churf.  Schöppenstuhls  beider  Städte  Brandenburg 
verordnete  Seniores  und  andere  Assessores";  im 
Eingange  bleibt  indess  stehen:  „sprechen  wir  Schoppen 
beider  Städte  Brandenburg".  Die  Korrektur  beruht  darauf, 
dass  der  Schöppe  Schwartz  äusserte:  „Ich  wollte,  das  die 
Unterschrift  formirt  würde:  „„des  churf.  schöppenstuhls  b.  st. 
Br.  verordnete  seniores  und  assessores"",  wie  man  alle  urtel, 
so  von  importanz,  insonderheit  die  in  (=  nach)  Pommern 
abgehen,  also  abzufassen  und  zu  unterschreiben  pflegt".  In 
einer  ganzen  Anzahl  von  Konzepten  des  Jahres  1656,  die  vom 
altstädter  Schoppen  Junius  herrühren,  wird  sowohl  im  Ein- 
gange des  Spruchs  als  bei  der  Unterschrift  die  ältere  Titu- 
latur: „Schoppen  beider  Städte  Brandenburg"  angewendet.2) 
Im  Jahre  1657  wechseln  theils  im  Sprucheingang,  theils  in 
der  Spruchunterschrift  die  „Seniores"  mit  den  „Schoppen" 
ab,3)    ebenso   noch   1 659. 4)     Der    damalige   Schöppe    Saxo 

')  In  diesem  Jahre  findet  sich  auch  einmal  die  Bezeichnung:  „Krfl. 
Brandb.  G  e  r  i  c  h  t  s  assessoren  beider  Städte"  (78  165).  In  Glogau  führt  1740 
den  Titel  Gerichtsassessor  der  Uhrmacher  J.  Casp.  Brosi  (91  604). 

2)  79  3-  5-  8.  n.  17.  21.  27.  29.  34.  37.  39.  43.  46.  56.  58.  67.  73. 
75—78.  81.  83.  137. 

8)  79  107«  in«   ll5-  ll7-   122-  I35-  ,28.  130.  134.  140. 
4)  7g  141.  142.  148. 


78  i.  Buch.     Örtlichkeiten.     Titulaturen  und  Anreden. 

braucht  unterm  20.  Oktober  1659  (79  144)  im  Eingange  eines 
für  den  Kurfürsten  bestimmten  Konzepts  zum  ersten  Male 
die  Bezeichnung  „wir  Senior  und  Assessores";  hier  ist  aber 
Senior  aus  Seniores  korrigirt;  die  Verschmelzung  der  beiden 
Schöppenkollegien  mit  ihren  zwei  Senioren  zu  einem  Kolleg 
mit  einem  Senior  muss  darum  in  diese  Zeit  fallen.  Zwar 
schreibt  derselbe  Saxo  noch  unterm  17.  Nov.  1659  (79  141): 
„wir  Schoppen  beider  Städte  Brandenburg"  und  in  der 
Unterschrift:  „Schoppen  beider  Städte  Brandenburg",  aber 
ebenso  schreibt  er  unterm  1.  Nov.  (79  142)  und  24.  Dez.  1659 
(79  148):  „zum  chrfl.  Brandenburgischen  Schöppenstuhl  ver- 
ordnete Senior  und  Assessores",  bis  er  unterm  5.  Juni  1660 
<79  lS2)  m  Eingang  wie  Unterschrift  die  Formel:  „Senior  und 
Assessores  des  chrfl.  Brandenb.  Schöppenstuels"  gebraucht. 

Damit  haben  „die  Schoppen  beider  Städte  Brandenburg" 
offiziell  aufgehört  zu  existiren.  Sie  selbst  nennen  sich  schon 
seit  einiger  Zeit  nicht  mehr  Schoppen,  sondern  scabini  oder 
assessores.1)  Der  Senior  ist  technisch  geworden;  noch  1672 
läuft  indess  die  Bezeichnung  Seniores  selbst  im  Texte  des 
von  dem  Schoppen  Kriele  herrührenden  Konzepts  mit  unter 
(79  469),  ebenso  die  Bezeichnung  „Schöpfen"  in  einem 
Schreiben  des  Cölner  Hausvogtes  (79  471). 

Als  der  Schöppe  Junius  1656  (79  53)  einen  Spruch  mit 
«der  Unterschrift:  „Schoppen  beider  Städte  Brandenburg" 
konzipirte,  setzte  der  neustädter  Senior  Moritz  „Churfürst- 
liche"  vor  die  Unterschrift.  Die  Reinschrift  eines  Branden- 
burger Spruchs  von  1669  trägt  die  Unterschrift:  „Zum  churf. 
brand.  Schöppenstuel  verordnete  senior  und  andere  asses- 
sores".2) Mit  dem  Jahre  1701  wurde  aus  dem  kurfürstlichen 
Schöppenstuhl  der  königliche.  Deshalb  erfuhr  das  juramentum 
scabinorum  des  Schöppenbuchs  die  entsprechende  Aende- 
rung  in  der  Bezeichnung  des  Schöppenstuhls.3)  Der  Schöppen- 
stuhl firmirte  nunmehr  im  Sprucheingang,  wie  in  der  Spruch- 


])  1660  (79  156),  1662  (79  167),  1664  (79  174.  190.  194.  201.  237.  253. 

269.  284.  295),   1665  (79  308).     Die  Neustadt  Br.  adressirt  1667  an  „Senior 
und  Assessores  des  chrf.  br.  Sch.a  (79  396). 

s)  StA.  R.  94  II  K.  6.     Konzept  nicht  in  den  Schöppenstuhlsakten. 

3)  AA.  BI.  6:  „churf.  Brandb."  wurde  in  „königl.  Preussisch1*  corrigirt. 


§  a.    Titulaturen  und  Anreden.  79 

Unterschrift:  „Zum  Kgl.  Preussischen  Schöppenstuhl  zu  Bran- 
denburg verordnete  Senior  und  Assessores"  (1702:  80  179;  1716: 
81  31;  1721:  31  221)  oder  „Sr.  Kgln.  Maj.  in  Preussen  zu  dero 
Schöppenstuhl  beider  Städte  Brandenburg  wir  verordnete 
Senior  und  Assessoren44  (1722:  81  328.  336)  oder:  „Kgl. 
Preussische  zum  Schöppenstuhl  beider  Kur-  und  Hauptstädte 
Brandenburg  wir  verordnete  Senior  und  Assessores"  (1761: 
101  217). 

Wie  die  Kollektivbezeichnung  der  beiden  im  Schöp- 
penstuhl vereinigten  Schöppenkollegien,  so  gibt  auch  die 
Prädicirung,  welche  für  die  Einzelmitglieder  dieser  Kol- 
legien oder  welche  von  den  Einzelmitgliedern  gegenüber  den 
Anfragenden  angewendet  wird,  einen  Fingerzeig,  auf  welche 
Zeitperioden  man  sein  Augenmerk  zu  richten  hat,  wenn  man 
die  Herausbildung  der  gelehrten  Rechtsprechung  aus  der 
ungelehrten  verfolgen  will. 

Die  hauptsächlichsten  Gegensätze,  die  in  der  Bezeichnung 
der  Einzelmitglieder  hervortreten,  haben  wir  bereits  kennen 
gelernt:  aus  den  weisen  Schoppen  werden  die  gelehrten  As- 
sessoren. Aber  es  smd  auch  noch  weitere  Gegensätze  be- 
merkbar. In  alter  Zeit  ist  die  Bezeichnung  „günstige  Herren" 
oder  „Euer  Gunsten"  neben  „weise  Herren"  oder  „Eure  Weis- 
heit" sehr  an  der  Tagesordnung.  Am  korrektesten  müssen 
selbstverständlich  die  Brandenburger  Schöppenschreiber  und 
Schoppen  verfahren  sein,  wenn  sie  an  die  Schoppen  adres- 
sirten.  In  solchen  Adressen  ist  bis  1572  die  Form:  „ehrsame 
wohlweise  Herren  Schoppen"  üblich,1)  auch  tritt  wohl  noch 
das  Wort  „achtbare"  hinzu;  im  Jahre  1572  (13  92)  adressirt  der 
Schöppenschreiber  Heinatz  an  die  „achtbaren,  hochweisen 
und  wohlgelehrten  Schoppen",  lässt  aber  auch  das  Prä- 
dikat wohlgelehrt  zu  Zeiten  weg  (1572  12  448);  1573  (14  87) 
braucht  der  Schöppenschreiber  Bardeleben  zuerst  das  Prä- 
dikat „hochgelehrt",  lässt  es  aber  ebenfalls  zu  Zeiten  weg 
{1573:    14  540);    dann    wird   für    die  Schöppenschreiber   die 


*)  1531  (1260),  1535  (2  159),  1539  (3620),  1551  (4303).  1559  (7  5<56), 
1560  (8  163),  1565  (9  497 ),   1566  (10  169.  456). 


«  

SO  *•  Buch.     Ortlichkeiten.     Titulaturen  und  Anreden. 

r 

Aufnahme  des  Prädikats  „wohlgelehrt"  fast  ständig.1)  „Ver- 
ordnete Herren  Scheppen"  giebt  es  für  die  Schöppen- 
schreiber  seit  1569  (12  356);  1572  (12  448;  13  92)  fehlt  diese 
Anrede  wieder,  wird  aber  dann  Regel.2)  Von  „Assessoren" 
redet  der  Schöppenschreiber  zuerst  im  Jahre  161 9  (66  456) 
und  dann  sein  Nachfolger  im  Jahre  1635  (76  42). 

Da  sich  unter  den  auf  Universitäten  Gebildeten  von  An- 
fang an  die  Hochgelehrten  (die  Doktoren)  von  den  Wohl- 
gelehrten  scheiden,  so  erheben  sich  auch  die  Weisen  zu  den 
Wohlweisen  und  den  Hochweisen,  obwohl  hier  eine  Grenz- 
linie zwischen  beiden  nicht  gezogen  werden  kann.  Nur  das 
grössere  Maass  von  Höflichkeit,  dessen  man  sich  befleissigen 
will,  entscheidet  darüber,  ob  man  Jemanden  als  wohl-  oder  als 
hochweise  anredet.  So  bedient  man  sich  auch  des  Prädikates 
hochgelehrt  in  vielen  Fällen,  in  denen  der  Angeredete  zwar 
Universitätsbildung  genossen  hat,  aber  nicht  zum  Doktor 
promovirt  ist.  Der  Bauer  ist  der  fursichtige,  der  Bürger 
der  ehrsame,  ehrbare  oder  achtbare  gute  Freund;  auch  hier 
kommt  die  Steigerung  in  wohl-  und  hochachtbar  vor.  Der 
Ritter  ist  ehrenfest  und  wohl  geboren;  der  Beamte  edel- 
geboren,  auch  wohl-  oder  hochedelgeboren.  Alle  diese  Prä- 
dikate werden  nicht  mit  absoluter  Sicherheit,  aber  immer 
doch  mit  grösserer  Strenge  festgehalten,  als  die  analogen 
Prädikate  der  Gegenwart,  nur  ist  im  Laufe  der  Zeit  ein  stetes 
Sinken  ihres  Werthes  bemerkbar,  wie  beim  Werthe  des 
Geldes.  Wenn  heute  das  Prädikat  „wohlgeboren44  fast  auf- 
gehört hat,  eine  Ehrung  zu  sein,  so  zweifelte  man  vor  150 
Jahren  kaum,  dass  es  eine  allzugrosse  Ehrung  sei,  wenn  man 
einen  Hofrath  und  Grossrichter  „wohlgeborner  Herru  nannte. 

Erfolgt  eine  Anrede  gemeinsam  an  eine  Mehrzahl  von 
Personen,  deren  jeder  ein  besonderes  Prädikat  gebührt,  so 
ist  es  in  alter  Zeit  Stil,  diese  Prädikate  neben  einander  zu 

1)  1581  (22  615),  1583  (24  231),  1585  (26  125),  1587  (29  100),  159a. 
(37  455)i  '594  (38  3°9:  hochgelehrt),  1595  (4028:  hochgelehrt). 

2)  1573  (H  »7)>  1581  (aa  615),  1583  (34  231),  1585  (26  125),  1587  (ag 
100),  1592  (37  455),  1599  (45  555),  1603  (50  100),  1609  (58  716),  1612  (60 
380),  161 7  (65503).  „Verordnete1*  fehlt  1594  (38309),  1595  (4028),  1619 
(65  425)»  1624  (68447.448),  1627  (7*328). 


§  2.    Titulaturen  und  Anreden.  31 

stellen.  „Ehrbare,  wohlgelehrte,  weise  Herren  Schoppen" 
deutet  an,  dass  man  ein  aus  Gelehrten  und  Ungelehrten  zu- 
sammengesetztes städtisches  Schöppenkolleg  vor  sich  hat. 
Dieser  Gebrauch  ist  bis  heute  in  landesherrlichen  feierlichen 
Ansprachen  erhalten  geblieben:  Thronreden,  die  sich  richten 
an  „Durchlauchtige,  edle  und  geehrte  Herren",  ergehen  an 
die  fürstlichen,  die  adligen  und  die  bürgerlichen  Mitglieder 
der  angeredeten  Körperschaft,  so  dass  für  jede  dieser  Kate- 
gorien das  ihr  speziell  gebührende  Prädikat  bestimmt  ist; 
denn  mit  „durchlauchtigen  Herren*4  sind  nur  die  Glieder  des 
Fürstenstandes,  mit  „edelen  Herren"  nur  die  Glieder  des  niede- 
ren Adels,  mit  „geehrten  Herren"  nur  die  Glieder  des  Bürger- 
standes bezeichnet.  Werden  mehrere  Angeredete  mit  Namen 
genannt,  so  ist  oft  unsicher,  welches  der  den  Namen  vorge- 
setzten Prädikate  sich  auf  den  Einzelnen  bezieht.  So  lässt  z.  B. 
eine  vom  Rathe  der  Stadt  Loburg  (bei  Jerichow)  1556  (5  598) 
„an  die  erbaren,  wolgelerten  und  weisen  Gregorius  Bester, 
Valtin  Schmidt,  Augustin  Krüger  und  Thomas  Liepen,  Bürger- 
meister beider  Städte  Brandenburg"  gerichtete  Anfrage  zwar 
erkennen,  dass  mindestens  einer  der  vier  Bürgermeister  ein 
Gelehrter  und  mindestens  einer  ein  Nichtgelehrtef  war,  es 
lässt  sich  auch  aus  der  Reihenfolge  der  Prädikate  schliessen, 
dass  Thomas  Liepe  ein  Nichtgelehrter  war,  es  bleibt  jedoch 
zweifelhaft,  ob  alle  oder  welche  der  drei  vor  ihm  genannten 
Bürgermeister  gelehrte  Bildung  besassen.  Wenn  aber  ein 
Brandenburger  Bürger  1551  (4  98)  von  dem  „ehrsamen, 
weisen"  Bürgermeister  Valentin  Schmidt  redete,  und  dessen 
Mitschöppe  Bester  ihn  1557  (4  252)  brieflich  als  „guten  und 
weisen  Freund"  bezeichnete,  obwohl  Schmidt  1504  in 
Wittenberg  immatrikulirt  war,  so  erhellt,  dass  jener  Bürger 
ein  unzutreffendes  Prädikat  gebrauchte,  und  dass  sich  selbst 
im  Schöppenkolleg  damals  noch  nicht  das  Beiwort  „gelehrt14 
fest  eingebürgert  hatte.  Gleichergestalt  verfehlte  1531  (1  258) 
der  Rath  zu  Prenzlau  die  richtige  Titulatur,  wenn  er  die 
Brandenburger  Schoppen  mehrfach  in  seiner  Anfrage  „hoch- 
gelehrte" nannte,  und  ebenso  der  Rath  zu  Havelberg  1536 
(2  193),  wenn  er  seine  Rechtsfrage  an  „die  hochgelehrten, 
wohlweisen  Herren  Richter  und  Schoppen  zu  Brandenburg" 

Stölxel,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  6 


S'J  i.  Buch.     Örtlich  keilen.     Titulaturen  und  Anreden. 

ergehen  Hess,  obwohl  1531  und  1536  weder  ein  Richter,  noch 
ein  Schöppe  in  Brandenburg  den  Doktortitel  führte.  Dass 
der  Brandenburger  Schöppenstuhl  es  nicht  für  gleichgültig 
erachtete,  welches  Prädikat  er  den  Anfragenden  ertheilte. 
lassen  zwei  Fälle  des  Jahres  1556  erkennen.  In  einem  Witt- 
stocker  Prozesse  bittet  zunächst  die  betheiligte  Partei,  dann 
bitten  auch  die  Schoppen  zu  Wittstock  um  Belehrung;  der 
auf  die  erste  Anfrage  entworfene  Spruch  sollte  ergehen  an 
den  „ersamen  und  fürsichtigen"  Anfrager;  die  Brandenburger 
beschlossen  aber  demnächst  auf  die  nachträgliche  Eingabe 
der  Wittstocker  Schoppen,  lieber  an  diese  den  Spruch  zu 
richten;  deshalb  wird  „fursichtiger"  in  „weise"  geändert  und 
der  Spruch  an  die  Schoppen  adressirt  (5  444).  Ferner  wird 
im  nämlichen  Jahre  der  für  den  Bürger  und  Mag.  J.  Loth  zu 
Jüterbog  bestimmte,  an  den  „ehrbaren  und  weisen,  guten 
Freund44  gerichtete  Spruch  nachträglich  dahin  geändert,  dass 
„wohlgelehrten"  statt  „weisen"  gesetzt  wird  (5  555).  Da 
dem  Adel  das  Prädikat  Herr  gebührt,  wird  1586  eine  für 
die  von  Arnim  auf  Boitzenburg  bestimmte,  an  die  „gestrengen, 
edeln,  ehrenfesten,  besonderen,  günstigen,  guten  Freunde" 
gerichtete  Spruchausfertigung  kassirt  und  durch  eine  andere 
ersetzt,  die  sich  der  Anrede  bedient:  „gestrenge,  edle  und 
ehrenfeste,  günstige  Herren  und  besondere  gute  Freunde" 
(27  124).  Bürger  aus  Müncheberg  brauchen  1592  (35  379)9 
Bürgermeister  und  Rathmannen  zu  Köpenick  brauchen  1599 
(45  448)  und  Bürger  aus  Berlin  brauchen  1605  (51  590)  fiir 
die  Brandenburger  die  Anrede  „Euer  Herrlichkeit". 

Der  richtigen  Adresse  an  den  Schöppenstuhl  bedient  sich 
1585  (26  125)  ein  Bürger  der  Altstadt  Brandenburg,  1608 
(56  23)  der  Kammergerichtsschreiber,  161 2  (60  50.62.66)  der 
Rath  der  Neustadt,  der  Schöppenschreiber  der  Altstadt 
Brandenburg  (59  466)  und  der  Rath  der  Altstadt  (60  388), 
wenn  sie  schreiben  an  „die  ehrenfesten,  achtbaren,  wohl- 
weisen und  wohlgelehrten  verordneten  Assessoren  des 
Schöppenstuhls  beider  Städte  Brandenburg".  Die  damals 
vom  Kurfürsten  angewendete  Adresse  lautet  „unsre  lieben 
getreuen  Schoppen  und  Assessoren  unsres  Schöppenstuhls 
zu  Brandenburg"  (55  496).     Ueber  das   richtige  Maass  'geht 


§  2.     Titulaturen  und  Anreden.  83 

es  hinaus,  wenn  im  nämlichen  Jahre  ein  Berliner  Bürger 
adressirt  „den  ehrenfesten,  wohlachtbaren  und  hochgelehrten 
Herren  doctoribus  und  Urtheilsfassern  des  churf.  brandenb. 
Schoppenstuhls  beider  Städte  Brandenburg";  denn  auch  1612 
sassen  noch  keine  Doctoren  im  Schöppenstuhl.  Beachtenswerth 
ist  es  aber,  dass  sämmtliche  letzteren  Anreden  das  Prädikat 
„ehrenfest"  gebrauchen  und  voranstellen:  damit  ist  auf  das 
ritterbürtige  Patriziat  hingewiesen,  das  zu  jener  Zeit  noch  in 
dem  Rath  und  dem  Schöppenkolleg  seinen  Platz  hatte.  Im 
Jahre  1622  wendet  der  Rath  der  Neustadt  Brandenburg  noch 
die  nämliche  Titulatur  für  den  Schöppenstuhl  an,  nur  ist 
jetzt  das  Prädikat  „weise"  neben  dem  Prädikate  „wohlge- 
lehrte" weggefallen  (70  743). 

Als  im  Jahre  161 9  der  Rath  zu  Tangermünde  aus  Anlass 
der  Brandstiftung,  der  fast  die  ganze  Stadt  zum  Opfer  ge- 
fallen war,  sich  nach  Magdeburg  um  Rechtsbelehrung 
wenden  wollte,  wurde  in  Tangermünde  eine  Anfrage  konzipirt, 
die  „den  ehrenfesten,  grossachtbaren,  hochgelehrten  und 
hoch  weisen  Herrn  Doctorn  und  andern  Assessorn  des 
Scheppenstuhls  der  alten  Stadt  Magdeburg"  zugehen 
sollte.1)  Es  wurde  dann  beschlossen,  das  Schreiben  nach 
Brandenburg  statt  nach  Magdeburg  zu  richten.  Die  Rein- 
schrift dieses  Schreibens  in  den  Brandenburger  Akten  (67 
860 ff.)  ist  adressirt  an  die  „ehrenfesten,  achtbaren,  hoch- 
weisen und  wohl  gelehrten  Herren  Schoppen  beider  Städte 
Brandenburg".  Hier  tritt  deutlich  hervor,  dass  161 9  die 
Schoppen  in  Magdeburg,  unter  denen  seit  mehr  als  einem 
Jahrhundert  schon  Doktoren  sassen,2)  in  den  Augen  des 
Raths  zu  Tangermünde  eines  entschieden  höheren  An- 
sehens sich  erfreuten  als  die  Schoppen  zu  Brandenburg.  All- 
mählich aber  heissen  die  Brandenburger  Schoppen  „hoch- 
gelehrt", obwohl  es  ihnen  noch  an  Doktoren  fehlt :  das  Amt 
Jerichow  nennt  sie  1629  „hochgelehrt",  auch  „Eure  Excellenzen 
und  Herrlichkeiten*4;  später  (1747:  98  129)  wird  sogar  zur 
Anrede  „Magnifici,    hochedelgeborne,    hochgelehrte  Herren" 

x)  Akten  des  Rathsarchivs  zu  Tangermunde,  betr.  Grete  Minde 
fol.  46 — 50. 

2)  S.  oben  S.  11   und  unten  §  17. 

6* 


#4  i-  Buch.     Örtlichkeiten.     Titulaturen  und  Anreden. 

und  zur  Anrede  „Euer  Magnificenz"  gegriffen.  Das  Amt 
Ziesar  adressirt  1634  an  den  „ehrenfesten,  grossachtbaren, 
hochgelehrten  Bürgermeister  B.  Zieritz,  Assessor  des  Schoppen- 
stuhls zu  Brandenburg"  (75  678)  und  an  den  „ehrenfesten, 
grossachtbaren  und  hochgelahrten  Bürgermeister  und  Assessor 
des  Schöppenstuhls  Joachim  Schale"  (75  586),  obwohl  weder 
Zieritz,  noch  Schale  promovirt  waren.1) 

Mit  dem  Eindringen  der  Graduirten  in  die  Schoppen- 
stuhle  erhob  sich  die  Frage,  ob  sie  als  Graduirte  einen  Vor- 
rang vor  den  Rathsherren,  die  nicht  graduirt  waren,  be- 
anspruchen dürften.  Die  Frage  wurde  von  Stolp  (in  Pommern) 
dem  Brandenburger  Schöppenstuhl  1652  (78  480)  bei  folgen- 
der Gelegenheit  zur  Entscheidung  vorgelegt:  Salomon  Mir- 
schäus,  seit  etwa  1640  Bürger  in  Stolp,  wo  er  mit  Bierbrauen 
wie  mit  Salz-,  Herings-  und  Korn-Handel  bürgerliche  Nahrung 
trieb,  hatte  1652  in  Frankfurt  den  gradus  licenciaturae 
erworben2)  und  bildete  sich  deshalb,  wie  der  Rath  be- 
hauptete, „aus  Dünkel  und  Hochmuth  eine  Präferenz  vor  den 
Rathspersonen,  insbesondere  dem  Kämmerer  Riesen  ein", 
gegen  den  er  beim  Hofgericht  Stettin  ein  mandatum  de  non 
turbando  cum  clausula  de  respondendo  erwirkte.  Bürger- 
meister und  Rath  hatten  eine  Gegenschrift  eingereicht  und 
baten  in  Brandenburg  um  Belehrung.  Von  den  sechs  schriftlich 
votirenden  Brandenburger  Schoppen  äusserte  sich  Schwartz 
dahin:  „Weil  die  Observanz,  dass  die  Rathsherrn  den  Gra- 
duirten vorgehen,  bleibt's  dabei".  Müller  zog  —  offenbar,  weil 
die  Doktoren  und  Lizenziaten  als  Adlige  galten  —  die  Ana- 
logie des  Adels  heran  und  meinte:  „Die  Observanz  bringt  mit, 
dass  die  von  Adel,  die  dem  Rath  mit  Eid  verbunden,  unter 
den  Rathsherrn  gehen";  die  anderen  vier  Schoppen  traten 
bei.  Demgemäss  wurde  erkannt:  „wollte  M.  in  Versammlungen 
Vorsitzen  und  -gehen,  es  wäre  aber  von  undenklichen  Jahren 

!)  Eine  vom  Brandenburger  Schöppenstuhl  1648  der  Berliner  Amts- 
kammergegebene vollständige  Anrede  lautet  (78  162):  „Hochedelgeborener* 
gestrenger,  vester"  (das  bezieht  sich  auf  den  Präsidenten),  „wohlehren- 
feste, grossachtbare  und  hochgelehrte,  vielgünstige,  hochgeehrte  Herren** 
(das  bezieht  sich  auf  die  Mitglieder). 

2)  Nicht  in  der  Frankfurter  Matrikel,  wohl  aber  1596  Petrus  Mirscheus 
Stolpensis  Pomeranus  und  1672  Salomon  Myrschäus  Stolpensis  Pomeranus. 


§  2.     Titulaturen  und  Anreden.  85 

her  den  Rathsverwandten  in  Stolp  vor  Eingesessenen  von 
Adel,  und  dergleichen  graduirten  Personen  die  Ober- 
stelle gelassen  und  diese  Gewohnheit  von  BogislavXIV  in 
der  Pol.O.  konfirmirt  und  in  Observanz,  als  kann  M.  keine 
Präferenz  .  .  .  nehmen."  l) 

Von  den  grösseren  Städten  übertrugen  sich  dann  die 
Ansprüche,  immer  höher  steigende  Ehrenbezeigungen  und  An- 
reden angewendet  zu  sehen,  auf  die  kleineren  Städte.  Um 
solchem  Streben  entgegen  zu  kommen,  will  1647  (79  749)  der 
Brandenburger  Schöppenschreiber  den  Rath  zu  Nauen  (bei 
Brandenburg)  anreden  als  „ehrenveste,  wohlgelehrte  und  wohl- 
weise, grossgünstige  Herren*4;  es  wird  aber  beschlossen,  statt 
„ehrenfeste"  lieber  „edle"  zu  sagen,  weil  bei  einer  früheren 
Angelegenheit  der  Brandenburger  Schöppenstuhl .  so  titulirt 
habe.  Wenige  Jahre  später  (1702:  80  73)  wird  nach  Nauen 
hin  die  Titulatur  „ehrenvest"  angewendet,  weil,  wie  der 
Brandenburger  Schöppe  Dr.  Müller  hervorhebt,  „auch  ein 
Lieutenant  im  Kolleg  sein  wird,  wie  auch  einer  von  der 
Linde,  welcher  einen  oratorem  abgiebt". 

Nach  der  Verschmelzung  beider  Städte  Brandenburg  in 
eine  Stadt  (1715)  erhielten  die  Schoppen  den  Rathstitel, 2) 
einzelne  bekleiden  auch  eine  mit  dem  Rathscharakter  ver- 
bundene Stellung  ausserhalb  der  Justiz.3) 

Von  da  an  mehrt  sich  die  Sorgfalt,  die  man  bei  Abwä- 
gung der  Anreden  walten  lässt  Als  die  Brandenburger  1 730  in 
einer  von  der  Universität  und  dem  Magistrat  zu  Halle  gestellten 
Anfrage  u.  A.  „hochgeehrte  Herren"  genannt  werden,  der 
Schöppensenior  Giesecke  aber  in  seinem  Spruchentwurf  die 
Anrede  vorschlägt :  „Wohl-  und  hochedelgeborne,  hoch-  und 
wohledle,  hoch-  und  wohlgelehrte,  hoch-  und  wohl  weise, 
günstige  Herren  und  Freunde"  wird  auf  den  Wunsch  des  in 
Halle    ausgebildeten    und    den    dortigen   Universitätslehrern 


1)  In  Hamburg  standen  die  DD.  nur  den  Bürgermeistern  und  syndicis, 
die  Lic.  allen  Rathsherren  nach.  Seelig,  Entw.  der  hamb.  Bürgerschaft, 
1900  S.  75. 

«)  Z.B.  1717  (8a  595.  597)  „Rath  Heins,  Rath  Lange'1. 

3)  Z.  B.  171 7  (8a  592):  „Steuerrath  Katsch".  „Rathe"  (1750)  auch  beim 
Schöppenstuhl  zu  Halle  (Dreyhaupt,  Saalkreis,  Bd.  2  S.  451). 


M  

#6  i*  Buch.     Ortlichkeiten.     Titulaturen  und  Anreden. 

nahestehenden  Korreferenten  das  Prädikat  „günstige"  in 
„hochgeehrteste"  erhöht  auf  die  Bemerkung  hin:  „da  uns 
zwei  so  ansehnliche  collegia  ihre  hochgeehrten  Herren  nennen, 
könnten  wir  solches  wohl  wieder  thunu  (86  107.  109.  117). 
Für  den  1742  (93  370)  um  Rechtsbelehrung  nachsuchenden 
Richter  zu  Soest,  einen  „Hofrath  und  Grossrichter",  der  in 
seinen  Akten  „sogar  wohlgeboren"  titulirt  ist  und  den  Bran- 
denburgern den  Titel  „hochedelgeboren"  giebt,  wird  die 
Titulatur  hochedelgeborner  und  rechtsgelehrter  Herr  „etwas 
zu  gering"  gefunden.  Derselbe  Richter  wird  1747  in  einem  Ur- 
theilskonzept  angeredet  als  „hochedelgeborner,  hochgelahrter, 
insonders  hochzuverehrender  Herr".  Der  Korreferent  votirt, 
es  sei  genug,  „hochedler,  hochgeehrter  Herr"  zu  sagen,  da 
„wir  hier  nomine  collegii  schreiben,  und  es  auch  sogst  derge- 
stalt gehalten  haben  zu  schreiben";  dies  findet  Zustimmung 
(98  172).  Das  Kriegskonsistorium  in  Berlin  sendet  1743  (94 
260)  Akten,  in  denen  die  Frankfurter  Fakultät  bereits  ge- 
sprochen hat,  zu  weiterem  Spruch  nach  Brandenburg;  hier 
wird  erwogen:  „Die  Herren Francofurtenses  haben  dem  Kriegs- 
Consistorio  den  Titel  hochwohlgebohren,  hochehrenwerth  etc. 
beigelegt,  also  werden  wir  bei  dieser  Titulatur  bleiben  müssen» 
inmassen  in  den  Akten  befindlich,  dass  H.  Geh.Rath  Mylius 
nicht  allein  in  specie  mit  dem  Titul.  hochwohlgeboren 
beleget  worden,  sondern  sich  in  diesem  collegio  ver- 
schiedene Adliche  befinden."  Weil  der  Bürgermeister  von 
Lüdenscheid  1743  (94  472)  „das  Scabinat"  (in  Brandenburg) 
„wohl-  und  hochedelgeboren"  titulirt,  wird  für  das  anfra- 
gende Gericht  der  Titel  „wohledle  und  wohlgelehrte"  für  zu 
gering  gehalten  und  auf  besonderen  Antrag  eines  der  Bran- 
denburger Scabinen  die  Anrede  „wohledle,  hoch-  und  wohl- 
gelahrte" gewählt. 

Der  „Kammerrath  und  Richter  der  Stadt  und  des  Amts 
Embrich1)  wie  auch  zu  Lobitz2)"  fragt  1747  (98  196)  in  Bran- 
denburg an,  „da  allhier  landes-  und  gerichtskundigermassen 
aus  M.  Hochedelgeboren  löbl.  Schöppenstuhl  vor  und  nach 
viele    grundlich  eingesehene,  wohl  ausgeführt  und  heilsame 

*)  Emmerich  bei  Rees. 
*)  Bei  Weissenfeis. 


§  2.     Titulaturen  und  Anreden.  X7 

Rechtsprüche  herausgekommen";  er  wird  im  Urtheilskonzept 
„wohlgeborner,  hochgeehrter  Herr  und  Freund44  titulirt,  und 
der  Konzipient  bemerkt  dazu:  „Weil  aus  der  Urtheilsfrage 
scheinet,  dass  der  Richter  ein  Edelmann  sei,  habe  geglaubt, 
dass  man  ihm  wohl  den  Titel  wohlgeboren  geben  könne. 
Er.  hat  unserm  Schöppenstuhl  ein  gross  Elogium  gegeben. 
Eine  Ehre  ist  der  anderen  werth."  Dem  hält  ein  Korreferent 
entgegen:  „Es  wird  der  Richter  in  actis  nur  hochedelgeboren 
titulirt,  wäre  also  auch  genug,  wenn  er  diesen  Titel  von  uns 
bekäme.  Er  ist  ein  holländischer  Edelmann41.  Es  bleibt  aber 
bei  der  Anrede  wohlgeborener  Herr  (98  198).  „Weil  der 
„„Richter  und  Amtsverwalter  zum  Hamm1444  zugleich  Hofrath 
ist,  kann  man  ihm  wohl  den  Titel  hochedelgeboren  beilegen44 
(1748:  98  374).  Der  Richter  zu  Hoymb  (bei  Ballenstedt)  soll 
als  Consulent  1751  angeredet  werden:  „Hochedelgeborner, 
hochgelahrter,  vielverehrter  Herr44.  Das  wird  korrigirt  mit 
dem  Bemerken:  „Nach  unserm  alten  Stile  heisset  es  an 
dergleichen  Transmittenten:  hochedler,  günstiger  Herr  und 
Freund44  (99  104.  108). 

So  findet  bis  in  die  Schlussperiode  der  Schöppenstuhls- 
thätigkeit  selbst  bei  solchen  an  sich  sehr  gleichgültigen 
äusseren  Dingen  bald  das  Festhalten  am  Hergebrachten, 
bald  der  Uebergang  zu  einer  Aenderung  seinen  Vertheidiger. 
Wer  aber  diese  Erscheinung  aufmerksam  verfolgt,  muss  an- 
erkennen, dass  sich  in  ihr  manche  Zeichen  wiederspiegeln,  aus 
denen  auf  den  Uebergang  der  Rechtsprechung  an  Ge- 
lehrte und  auf  die  Wandlung  des  Schoppen  in  den  Assessor 
oder  den  scabinus,  des  von  seines  Gleichen  gewählten  Richters 
in  den  landesherrlich  verordneten  Beamten,  des  Branden- 
burgischen Doppelkollegs  der  Schoppen  beider  Städte  mit 
zwei  Vorsitzenden  in  ein  Einzelkolleg  mit  einem  Vorsitzenden 
geschlossen  werden  kann. 


2.  Buch.') 

Personal. 

§3. 
Vorbemerkung. 

Wenn  die  Brandenburger  Rechtsbelehrungen  anfanglich 
Sprüche  des  einheitlichen  Stadtgerichts  zu  Brandenburg,  dann 
Sprüche  des  Stadtgerichts  der  Altstadt  oder  Sprüche  des 
Stadtgerichts  der  Neustadt  Brandenburg  und  später  Sprüche 
der  Schöppen-Gesammtheit  beider  Städte  Brandenburg  waren, 
um  schliesslich  Sprüche  des  Schöppenkollegs  der  Einheits- 
stadt Brandenburg  zu  werden,  so  muss  diese  Entwicklung 
ihren  Einfluss  auch  auf  das  Personal  geübt  haben,  welches 
bei  Ertheilung  der  Rechtsbelehrungen  in  Thätigkeit  trat. 

Solange  die  Rechtsbelehrung  Sache  des  „Stadtgerichts", 
sei  es  in  alter  Zeit  des  Stadtgerichts  zu  Brandenburg,  sei  es 
in  späterer  Zeit  sowohl  des  Stadtgerichts  der  Altstadt,  als 
des  Stadtgerichts  der  Neustadt  war,  wirkten  dabei  naturge- 
mäss  Richter,  Schoppen  und  Schreiber  des  betreffenden  Ge- 
richts mit.  Der  Schreiber  war  der  Stadtschreiber,  da  ja 
Stadt-  und  Gerichtsschreiber  in  den  mittleren  deutschen 
Städten  eine  Person  waren.  Aehnlich  vereinte  sich  üblicher- 
weise das  Amt  der  Schoppen  mit  dem  der  Rathsherren, 
häufig  so,  dass  alle  Rathsherren  zugleich  Schoppen  waren, 
oder  auch  so,  dass  die  Schoppen  wenigstens  einen  Theil  der 
Rathsherren  bildeten. 

Mit  der  Einrichtung  eines  aus  den  Schoppen  beider 
Städte  Brandenburg  gebildeten  rechtsbelehrenden  Schoppen- 
stuhls war  es  ziemlich  von  selbst  gegeben,  dass  sämmtliche 

l)  Das  in  diesem  Buche  mitgetheilte  thatsächliche  Material  beruht 
wesentlich  auf  Ermittlungen  des  Herrn  Landrichters  Deichmann. 


§  3.    Vorbemerkung.  89 

Schoppen  beider  Städte  zum  Sitzen  im  Schöppenstuhl  be- 
rufen wurden.  Wie  war  es  aber  mit  den  Richtern  beider 
Städte  und  wie  mit  ihren  beiderseitigen  Schreibern?  Die 
Richter  Hessen  sich  nicht  passend  verwenden;  zu  richten  war 
nichts  in  dem  nur  für  Rechtsbelehrungen  zusammentretenden 
Schöppenstuhl,  wohl  aber  war  viel  zu  schreiben.  Deshalb 
Hess  man  den  Schöppenstuhl  ohne  Richter,  aber  mit  zwei 
Schreibern  seine  Sitzungen  halten,  den  beiden  Gerichts-  oder 
Stadtschreibern,  die  nunmehr  nebenamtlich  zu  „Schoppen- 
Schreibern"  wurden.  Allmählich  stellte  die  Altstadt  wie  die 
Neustadt  je  zwei  Stadtschreiber  an;  von  da  an  erhielt 
nur  je  einer  derselben  die  Funktion  als  Schöppenschreiber, 
so  dass  es  nie  mehr  als  zwei  Schreiber  des  Schöppenstuhls  gab. 

Mit  dem  schUessUchen  Sinken  der  Arbeitslast  des  Schöppen- 
stuhls schrumpften  dessen  MitgHeder  auf  die  Hälfte  der  ur- 
sprünglichen Zahl  zusammen  und  bekamen  als  einheidiches 
Kolleg  eine  einheitlictfb  Spitze  in  einem  Senior;  nunmehr  ge- 
nügte auch  ein  Schöppenschreiber,  der  secretarius  scabinatus. 

Um  einen  mögUchst  vollständigen  UeberbHck  zu  ge- 
winnen, ist  versucht  worden,  jede  der  PersönHchkeiten,  die 
an  der  Rechtsprechung  des  Brandenburger  Schöppenstuhls 
theilnahmen,  ihrem  Lebensgang,  ihrer  Ausbildung  und  ihren 
Familienbeziehungen  nach  kennen  zu  lernen,  soweit  dazu 
das  Quellenmaterial  die  nöthigen  Grundlagen  lieferte.  Da- 
bei war  auch  die  Rücksicht  bestimmend,  dass  ähnliche  Mit- 
theilungen, wie  sie  hier  über  das  Personal  des  Branden- 
burger Schöppenstuhls  gegeben  werden  können,  weder  von 
einem  unserer  Schöppenstühle,  noch  von  einem  unserer  Ge- 
richte vorliegen.  Naturgemäss  sind  Nachrichten  über  Per- 
sonalverhältnisse desto  spärHcher,  je  weiter  man  zurückgreift. 
So  giebt  es  auch  früher  Nachrichten,  die  für  die  Geschichte 
unseres  Schöppenstuhls  wichtig  sind,  ehe  man  in  der  Lage  ist, 
über  einzelne  Mitglieder  desselben  zu  berichten.  Gleichwohl 
empfiehlt  es  sich,  die  Mittheilungen  über  das  Personal  vor- 
anzustellen und  sie  bis  zur  Aufhebung  des  Schöppenstuhls 
fortzuführen,  ehe  von  der  Einrichtung  des  Schöppenstuhls 
und  seinem  Thätigkeitsbereich  wie  seinem  Verfahren  gehan- 
delt wird;  denn  die  letztere  Darstellung  gewinnt  an  Anschau- 


90  *•  Buch.    Personal. 

lichkeit,  wenn  sich  die  handelnden  Personen  mit  hineinziehen 
lassen,  und  das  hat  die  Vertrautheit  mit  den  Personen  zur 
Voraussetzung. 

Bei  der  Ermittlung  derer,  die  an  der  Rechtsprechung 
des  Schöppenstuhls  theilnahmen,  ergeben  sich  besondere 
Schwierigkeiten,  weil  es  erst  am  Ende  des  sechzehnten 
Jahrhunders  Sitte  wird,  dass  die  Schoppen  oder  die  Schöp- 
penschreiber  mit  ihrer  Namensunterschrift  auftreten.  Nur 
aus  der  Vergleichung  der  in  den  Schöppenstuhlsakten  vor- 
kommenden Handschriften  mit  anderen  Brandenburgischen 
Archivalien,  die  den  Namen  ihres  Autors  erkennen  lassen, 
kann  für  die  Zeit  vor  dem  Ende  des  sechzehnten  Jahrhunderts 
der  Konzipient  eines  Schöppenstuhlsspruchs  festgestellt  werden. 
Viel  Mühe  verursachte  es  dann  ferner,  aus  den  entlegensten 
Quellen  und  Spuren  etwas  Sicheres  über  seine  persönlichen 
Verhältnisse  zu  erfahren;  wesentlich  unterstützend,  nament- 
lich für  die  Frage,  ob  wir  einen  gelehrten  Juristen  vor  uns 
haben,  kamen  dabei  die  Universitätsmatrikeln  in  Betracht. 

Das,  was  von  der  Thätigkeit  des  Brandenburger  Schöppen- 
stuhls vor  Augen  liegt,  entfloss  wesentlich  der  Feder  seiner 
Schöppenschreiber,  in  geringerem  Maasse  der  Feder  seiner 
Schoppen.  Ausserdem  wurde  der  Schöppenschreiberdienst  eine 
hauptsächliche  Vorschule  für  den  Schöppendienst. 

Deshalb  ist  mit  den  Schöppenschreibern  zu  beginnen  und 
dann  zu  den  Schoppen  überzugehen. 

Eine  „Ordnung  des  Schöppenstuhls  beider  Städte  Bran- 
denburg" giebt  es  nicht.  Der  Schöppenstuhl  ragt  so  weit 
in  die  Vergangenheit  zurück,  dass  seine  gesammte  Einrich- 
tung wahrscheinlich  nur  auf  Gewohnheit  beruht.  Aber  auch 
was  innerhalb  der  mindestens  halbtausendjährigen  Zeit  seines 
Bestandes  an  Veränderungen  mit  ihm  vorging,  vollzog  sich 
auf  dem  Wege  der  Gewohnheit;  darum  besitzen  wir  auch 
nicht  etwa  aus  der  Zeit,  wo  sich  die  grösste  Veränderung, 
nämlich  die  Umwandlung  des  Schöppenstuhls  zum  gelehrten 
Gerichte  vollzog,  eine  erneute  Ordnung  des  Schöppen- 
stuhls, wie  sie  z.  B.  aus  dem  Jahre  1574  für  Leipzig 
und  aus  dem  Jahre  1584  für  Halle  vorhanden  ist.  Nur  sehr 
vereinzelte  Zeugnisse  finden  sich,   die   über  allgemeine  Ein- 


§  4-    Altstädtische  Schöppenschreiber.  91 

richtungen  des  Schöppenstuhls  Auskunft  geben.  In  der 
Hauptsache  sind  wir  darauf  angewiesen,  aus  dem,  was  der 
Schöppenstuhl  selbst  hinterlassen  hat,  zu  ermitteln,  auf  wel- 
chen Grundsätzen  sein  Bestand  beruht,  und  wie  er  allmäh- 
lich aus  einem  Institut  der  vom  Volk  geübten  Rechtsprechung 
zu  einer  gelehrten  Spruchbehörde  geworden  ist.  In  den 
eigenen  Mitgliedern  des  Schöppenstuhls  neuerer  Zeit  lebte 
so  wenig  das  Bewusstsein,  welche  Wandlung  mit  ihm  im 
Laufe  der  Zeiten  vor  sich  gegangen  war,  dass  im  Jahre  1 749 
der  Senior  des  Schöppenstuhls,  um  dessen  Geschichte  befragt, 
den  Frager  beschied,  man  könne  aus  alten  Berichten  schliessen, 
Karl  d.  Gr.  müsse  Brandenburg  mit  dem  Schöppenrecht  be- 
gnadet haben,  weil  er  ein  Liebhaber  der  Gelehrten  und 
der  Gerechtigkeit  gewesen  sei  (98  671).  Dem  Senior  von 
1749  war  also  der  Schöppenstuhl  von  jeher  eine  rechtsge- 
lehrte Behörde. 

Ueber  die  Berufung  zum  Schöppenschreiberamte  liegt 
nur  ein  spätes  wichtiges  Zeugniss  vor,  dass  der  Schöppen- 
schreiber aus  der  Wahl  der  Schoppen  hervorging.  Mehr  er- 
fahren wir  über  die  Berufung  zum  Schöppenamte. 

Erster  Abschnitt. 
Schöppenschreiber. 

§4. 

.  Altstädtische  Schöppenschreiber. 

Die  Stadtschreiber  gingen  in  Brandenburg,  wie  ander- 
wärts,1) aus  dem  Stande  der  Kleriker  und  Notare,  der 
magistri  und  Schulmeister,  hervor.  Ein  in  der  Welle  der 
grossen  Glocke  der  ( altstädtischen)  Gotthardkirche  im 
Jahre  141 2  eingespundet  gewesener  Pergamentzettel  nennt 
neben  Anderen  den  „Schulmeister  und  Stadtschreiber 
Petrus  Sartach".2)  Sind  auch  weitere  Stadtschreiber  der 
Altstadt  vor  1522  nicht  mit  Namen  bekannt,  so  bestätigen 
doch   jene    Thatsache    einige    Nachrichten,    die    über    neu- 


')  Stölzel,  Gelehrtes  Richterthum  Bd.  1  S.  156,  253,  400  ff. 
*)  Tschirsch,  Beitrag  zur  Gesch.  der  Saldria  S.  7. 


92  3.  Buch.    Personal,    i.  Abschnitt.    SchÖppenschreiber. 

städtische  Stadtschreiber  aus  der  Zeit  vor  1522  beigebracht 
werden  können.1) 

Früher  auf  die  Bildung  beschränkt,  die  sie  in  den 
Klosterschulen  erhielten,  zogen  gegen  Ende  des  fünfzehnten 
Jahrhunderts  solche  Kleriker,  die  als  Stadtschreiber  und 
Schulmeister  in  die  Dienste  selbst  kleinerer  Städte  treten 
wollten,  auf  die  Universitäten.  Neben  den  „gemietheten 
Doctoren",  den  ersten  gelehrten  landesherrlichen  Räthen,2) 
erscheinen  gemiethete  Schuldiener,  sog.  „Locate44,  als  die 
ersten  akademisch  gebildeten  städtischen  Schullehrer.  So  hat 
der  „Schuldiener  oder  Locate44,  den  sich  1530  die  märkische 
Stadt  Prenzlau  hielt,  in  Leipzig  studirt  (1  140).  Die  Sitte  des 
Mittelalters,  den  Schulmeister  als  Stadtschreiber  zu  verwenden, 
nahm  nach  der  Reformation  die  Gestalt  an,  dass  die  Rektoren 
reformirter  Schulen  das  Amt  der  Stadtschreiber  oder  syndici 
übernahmen,  um  von  da  aus  als  gelehrte  Juristen  in  das 
Schöppenamt  aufzusteigen.  Es  bezeichnet  das  die  Uebergangs- 
periode  zu  den  spezifisch  als  Juristen  ausgebildeten  Schoppen. 
Beispiele  werden  uns  der  Art  viele  in  Brandenburg  begegnen; 
von  anderen  Städten,  wie  Pritzwalk  und  Stendal,  wird  Gleiches 
berichtet.3)  Auch  der  magdeburgische  erste  lutherische  Schul- 
rektor ging  in  den  Rath  und  in  den  Schöppenstuhl  über.4) 

Ursprünglich  hatte,  wie  sich  aus  der  Natur  der  Sache 
von  selbst  ergiebt,  jede  der  beiden  Städte  Brandenburg  nur 
einen  Stadtschreiber,  und  diesem  lag  sowohl  die  Besorgung 
der  Schreibgeschäfte  im  Rathe,  wie  im  Gerichte  ob,  mochten 
die  Schoppen  als  Stadtgericht  Recht  sprechen,  oder  mochten 
sie  nach  aussen  hin  Rechtsbelehrung  ertheilen.  Mit  der  Ver- 
mehrung der  Geschäfte  wurden  aus  dem  einen  Stadtschreiber 
zwei  für  jede  Stadt.  Einer  dieser  beiden  erlangte  für  die 
ihm  beim  Schöppenstuhl  übertragene  Thätigkeit  die  Be- 
zeichnung  „SchÖppenschreiber44:    das  Schöppenschreiberamt 


*)  Siehe  §  5. 

f)  Stolze!,  Br.-Pr.  Rechtsverwaltung  1,  98. 

*)  Hey,  Handschr.  Chronik  v.  Pritzwalk  bei  Pieper,  der  mark.  Chronist 
!  Z.  Garcäus.    Wiss.  Beil.  zum  Jahresbericht  der  2.  städt.  Realschule  zu  Berlin. 

1898.  S.  9.     Götze,  Gesch.  des  Gymn.  zu  Stendal   1865  S.  67  fl. 
4)  Vergl.  §  5. 


§  4-    Altstädtische  Schöppenschreiber.  <)3 

wurde    ein    Nebenamt    des    ersten    oder    ältesten    Stadt- 
Schreibers.1) 

Als  fernerer,  dem  Namen  nach  sicherer  altstadtischer 
Schöppenschreiber  ist  Lorenz  Demker  (auch  Dembker, 
Demiker,  Dembche)  nachweisbar2)  und  zwar  für  die  Jahre 
1528  bis  1535.3)  In  ein  noch  jetzt  der  Schöppenstuhls- 
bibüothek  angehöriges  Decretum  Gratiani  (Baseler  Ausgabe 
von  i486),4)  das  1540  laut  einer  darin  befindlichen  Bemerkung 
dem  1542  in  Frankfurt  immatrikulirten  Brandenburger  Simon 
Fromholz,  dem  dritten  Lehrer  an  der  Schule  der  Altstadt 
Brandenburg,5)  also  einem  ehemaligen  Geistlichen,  gehörte, 
hat  Demker  eingetragen:  „Dis  buch  hat  Simon  Fromholtz 
mir  Lorentz  Dembchen  versatzt  und  nachfolgigk  mir  zu  be- 
halten vereigenthumt,  welches  ich  mit  meiner  eignen  hand- 
schrift  bezeuge."  Hieraus  wird  auch  für  Demker  geschlossen 
werden  dürfen,  dass  er.  rechtsgelehrter  Geistlicher  war,  wenn- 
gleich bei  ihm  ein  Besuch  von  Universitäten  nicht  nachweis- 
bar ist.6)  Er  kommt  von  1528  bis  1535  als  Stadt-  und  als 
Schöppenschreiber  der  Altstadt  vor.7)  Einige  Eintragungen 
von  1524  im  Rathsbuche  rühren  bereits  von  seiner  Hand  her. 
Im  Jahre  1535  mag  seine  Aufnahme  in  den  Rath  erfolgt  sein. 

*)  Die  den  neustädt.  Quellen  entnommenen  Belege  für  diese  Ent- 
wtckelung  s.  §  5.  Belege  aus  den  1570er  Jahren  ergeben,  dass  man  in  der 
Altstadt  den  damaligen  zweiten  Schreiber  Unterschreiber  oder  Substituten 
nannte. 

f)  Von  1504  (s.  Brandenb.  Urk.  des  Zerbster  Archivs:  „BM.  der  Alt- 
stadt Gregorius  Hindenborg  reitet  nach  Leipzig14)  bis  1530  ist  Gregorius 
Hindenborg  als  BM.  der  Altstadt  beglaubigt  (f  vor  1541  nach  Riedel  c.  d. 
1,9  287);  1491  erscheint  aber  in  der  Greifswalder  Matr.  ein  gleichnamiger 
clericus  Havelbergensis.  Wären  Beide  identisch,  so  läge  ein  mir  sonst 
niemals  vorgekommenes  Beispiel  vor,  dass  ein  Kleriker  Kathsperson  und 
BM.  geworden  sei,  vielleicht  durch  Vermittelung  des  Stadtschreiberamtes; 
wahrscheinlicher  ist  wohl,  dass  der  Greifswalder  stud.  ein  Sohn  des  BM. 
war,  was  nach  den  Jahreszahlen  nicht  unmöglich   ist. 

z)  Cod.  A  1  f.  10,  235,  272  AA.  In  letzterer  Urkunde  nennt  er  sich 
selbst  Stadtschreiber. 

*)  Schöppenstuhlsbibliothek  No.  138.  \ 

*)  Tschirsch,  Gesch.  der  Saldrischen  Schule  S.  16. 

6)  Andreas  Demiger,  1587  in  Frankfurt  immatrikulirt,  mag  ein  Nach- 
komme von  ihm  sein. 

7)  AA.  Cod.  A.  1.  Schöppenstuhlsakten  1  78.  <  2.  95.  100.  121.  127  u  s.  w. 


94  2-  Buch.    Personal,    i.  Abschnitt.    Schöppenschreiber. 

Zwar  yrird  er  1542  in  einer  Verhandlung,  in  der  er  als 
Partei  erscheint,  nur  als  Bürger  bezeichnet,  er  macht  aber 
1542,  1546,  1547  und  1548  vorübergehend  Eintragungen  in 
das  Rathsbuch  der  Altstadt  und  zahlt  1543  neben  Bürger- 
meister Bardeleben  dem  Baumeister,  welcher  für  den  Rath 
einen  Bau  ausgeführt  hat,  Lohn  aus.1)  Seit  1536  ist  er  allem 
Anschein  nach  Schöppe.  Spruchentwürfe  aus  dem  Jahre 
1549  (3  605)  zeigen  seine  Schriftzüge;  1551  ist  er  verstorben.2) 

Demker  gäbe  hiernach  ein  Beispiel  ab,  dass  aus  einem 
Kleriker  und  Stadtschreiber  ein  Raths-  und  Schöppenstuhls- 
mitglied  werden  kann.  Es  öffnete  ihm  der  Uebertritt  Branden- 
burgs zur  Reformation  den  Weg  in  den  ihm  bis  dahin  ver- 
schlossen gewesenen  Schöppenstuhl.  Der  Uebertritt  der  Alt- 
stadt Brandenburg  zum  Lutherthum,  der  dem  Uebertritt  der 
Neustadt  um  einige  Jahre  vorausging,  ist  kurz  vor  Trium 
Regum  1535,  also  wohl  in  das  Jahr  1534  zu  setzen:  im  alt- 
städter Rathsbuch  findet  sich  ein  Rathsbeschluss  vom  Mon- 
tag nach  Regum  1535,  laut  dessen  ein  früher  zur  Orgel  ge- 
hörig gewesenes,  „jetzt  durch  den  Rath  zur  Schulen 
gelegtes"  und  auf  dem  Rathhause  eingezahltes  Kapital  wieder 
ausgethan  werden  soll.3)  Hiernach  war  damals  bereits  Kirchen- 
gut dem  Rathe  für  seine  Schulen  zugeflossen.  Notizen  aus 
späterer  Zeit  ergeben,  dass  Demker  im  Ehestand  lebte,4)  folg- 
lich muss  er  aus  dem  Priesterstande  ausgetreten  gewesen  sein. 

Andreas  Ackermann,  Demkers  Nachfolger  als  Stadt- 
und  Schöppenschreiber  der  Altstadt,  hat  seine  Bestallung 
zum  Stadtschreiber  selbst  in  das  Rathsbuch  als  am  Sonntag 
nach  Christi  Geburt  1535  erfolgt  eingetragen.5)  Aus  dem 
Rathsbuche    erhellt,    dass   kurz   nach   seiner  Anstellung   auf 


1)  Cod.  A  1.  AA.  316.  319.  315.  313.  324. 

2)  StA.  Sentenzenbuch  des  Kammerger.  R.  97.  I.  8.  „Lorenz  Demckers 
Wittwe". 

8)  Rathsbuch  A  i.  AA.  fol.  277.  Nach  einem  Eintrag-  das.  fol.  278 
sichern  sich  Donn.  nach  Invoc.  1535  die  Kalandsherren  und  andere  gemeine 
Altaristen  ihre  Forderungen  durch  Pfandverschreibungen  und  eilige  Ein- 
ziehung der  Zinsen. 

4)  Siehe  Anm.  2  und  unten  Seite  136. 

*)  Cod.  A  1.    AA.  fol.  270. 


§  4*    Altstädtische  Schöppenschreiber.  <)f) 

dem  Kirchhof  „an  dem  Stadtschreiber  und  Capellan1)  ein 
Aufruhr  entstand",  und  dass  Freitag  nach  Epiphaniae  1536 
mehrere  deshalb  verhaftete  Schneidergesellen  auf  geschwornen 
Urfrieden  entlassen  wurden. 2)  Das  kann  sich  nur  auf  den 
neuen  Stadtschreiber  Ackermann  beziehen;  also  auch  er  war 
anfänglich  Kapellan  und  bezog  als  solcher  Kapellaneinkünfte; 
der  Tumult  auf  dem  Kirchhof  scheint  anzudeuten,  dass  man 
ihm  die  Bezüge  aus  der  Kirche  streitig  machte,  vielleicht, 
weil  er  dem  Lutherthum  sich  zuwendete.  Damit  erklärt  sich 
auch  sein  Abkommen  mit  dem  Rathe  aus  der  Osterzeit  des 
Jahres  1537,  welches  bestimmte,  dass  er  als  Stadtschreiber 
„erhält  alle  quartal  3  schock  40  groschen;  soll  mit  den 
Zinsen  gar  nichts  zu  thun  haben,  die  zu  dem  beneficio 
gehören,  welches  zur  Schreiberei  gelegt  war;  die 
2  schock  (als  l/2  schock  alle  quartal),  als  man  ihm  vor 
dieser  zeit  von  dem  rathhause  gegeben,  dazu  die  5  fl  in 
des  raths  Versetzung,  als  man  ihm  gab,  soll  alles  ab  und 
todt  sein;  zu  obigen  3  seh.  40  soll  alle  quartal  3  scheffel 
roggen  der  müllermeister  aus  der  mühle  geben".3) 

Aus  dem  Neustädter  Schöppenbuch  von  1492  ff.4)  er- 
fahren wir,  dass  es  (1493,  1494  und  1529)  e*ne  »Schepen- 
capelle"  gab,  deren  Altareinkünfte  den  Schöppenschreibern 
überwiesen  waren.5)  An  Stelle  des  dem  Stadtschreiber  bis- 
her eingeräumten  städtischen  Altarlehns,  dessen  Zinsen  er 
bezog,  und  des  Zuschusses,  den  dazu  der  Rath  gab,H) 
trat  jetzt  eine  vom  Rath  zu  zahlende  Quartalsbesoldung  in 
Geld  und  in  Roggen,  der  vom  städtischen  Mühlenmeister  ge- 
liefert werden  sollte. 

!)  Ueber  die  Kombination  der  Aemter  als  Schulrektor,  Kapellan 
und  Stadtschreiber  s.  §  5. 

2)  Cod.  A  1.    AA.  fol.  26. 

*)  Cod.  A   1.     AA.  fol.  298 ▼. 

*)  Cod.  N.  3  RA.  fol.  8.  8>.  14.  20. 

»)  Siehe  §  5. 

•)  Darauf  bezieht  sich  der  später  durchstrichene  Eintrag  im  Neu- 
städter Schöppenbuch  von  1492  ff.  (Cod.  No.  3  RA.  fol.  14):  Jacob  Sassze 
heth  von  dem  erszamen  rade  VI  schock  wedderkoeps  wisze  up  sien  husz, 
und  gehören  tho  ehr  Gregorius  altare  des  alden  stadtscrivers.  Gefft  dar- 
yon  alle  jar  up  Michaelis  ]  schock  tur  rente. 


96  2.  Buch.    Personal,    i.  Abschnitt.    Schöppensch reiber. 

Von  1535  bis  1550  verfolgt  man  Ackermanns  schöne, 
feine  regelmässige  Schrift  im  Rathsbuch  und  in  den  Schöppen- 
stuhlsakten.  In  beiden  Aemtern  wurde  1551  Mag.  Simon 
Roter  sein  Nachfolger.  Seitdem  ist  Ackermanns  Spur  in 
Brandenburg  verschwunden.  Roter,  eine  der  bedeutendsten, 
wenn  nicht  die  bedeutendste  Persönlichkeit  unter  den 
Brandenburger  Schoppen,  in  deren  Akten  sich  äusserst  zahl- 
reiche seiner  Spruchentwürfe  und  Gutachten  finden,  ge- 
hörte der  Geburt  nach  der  Gegend  Schlesiens  an, 
in  welche  Magdeburgisches  und  HaUesches  Recht  durch 
die  einst  dorthin  von  slavischen  Dynasten  gerufenen 
deutschen  Kolonisten  gebracht  war.1)  Die  beiden  ersten 
mit  deutschem  Rechte  bewidmeten  schlesischen  Städte 
waren  Goldberg  und  Neumarkt  (bei  Liegnitz).  In  Neumarkt 
lebte  Roters  Vater  als  Bürgermeister  (f  1552).  Dieser  liess 
seinen  Sohn  in  dem  von  Luther  (1538)  gerühmten  „feinen 
Partikular"  des  damals  namhaften  Neumarkter  Schulmannes 
Trotzendorf  —  einer  zur  Vorbereitung  für  die  Universität 
dienenden  Anstalt  —  seinen  Unterricht  gemessen;  dann  sandte 
er  ihn  nach  Wittenberg,  wo  er  mehrjähriger  Tischgenosse 
Melanchthons  war.  Als  24Jährigem  jungen  Manne  übertrug 
man  ihm  (1541)  die  Leitung  der  altstädtischen  brandenburger 
Schule,  nachdem  die  Stadt  evangelisch  geworden  war;  so  er- 
scheint er  als  erster  reformirter  Rektor  Brandenburgs.  Zehn 
Jahre  später  wurde  er  Stadt-  und  Schöppenschreiber,2)  nach 
weiteren  zehn  Jahren  Bürgermeister,  war  aber  daneben  noch 
zwei  Jahre  lang  als  Schöppenschreiber  thätig,3)  dann  wurde 
er  Schöppe  und  blieb  dies  bis  zu  seinem  Tode.  Als  Stadt- 
schreiber wurde  ihm  —  und   zwar  zum  ersten  Male  —  der 


*)  v.  Martitz,  Ehel.  Güterrecht  S.  31,  9. 

2)  Die  Verbindung  des  Amtes  des  Gerichtsschreibers  mit  dem  des 
Schulmeisters  kommt  in  derselben  Zeit  noch  anderwärts  vor:  1554  heisst 
in  Wiesbaden  der  Schulmeister  und  der  Stadtschreiber  Balth.  Weicker, 
ebenso  1556  der  Kastenmeister  (Otto,  Das  älteste  Gerichtsbuch  v.  W.  1900 
S.  7,  8,  wo  freilich  — m.  E.  ohne  genügenden  Grund  —  zwei  Balth.  Weicker 
angenommen  werden).  Ein  Protokoll  Roters  als  Stadtschreiber  aus  1551 
s.  5  614. 

3)  Spruchausfertigung  in  einer  Zaubereisache  von  Roters  Hand  aus 
1562  s.  StA.  R.  49,  N. 


$  4-    Altstädtische  Schöppenschreiber.  97 

Titel  Syndikus  beigelegt;  so  nennt  ihn  eine  im  Jahre  1874 
in  der  Gotthardskirche  aufgefundene  Pergamenturkunde  von 
1559.1)  Syndikus  bedeutet  überhaupt  einen  gelehrten  Rechts- 
beistand, selbst  wenn  er  nur  für  eine  einzelne  Sache  bestellt 
war.  In  einem  Prozesse  der  Altstadt  Brandenburg  gegen 
die  Neustadt  und  den  Dom  redet  1541  das  Kammergericht 
von  einem  beklagten  syndicus  und  von  klagenden  syndicis.2) 
Damit,  dass  1559  in  einer  lateinisch  abgefassten  Urkunde  der 
Stadtschreiber  ohne  Beziehung  auf  eine  einzelne  Angelegen- 
heit syndicus  heisst,  ist  noch  nicht  gesagt,  dass  er  amtlich  / 
bereits  den  Titel  Syndikus  führte,  vielmehr  übersetzte  die 
Urkunde,  da  sie  lateinisch  abgefasst  ist,  den  Titel  Stadt- 
schreiber mit  syndicus.3)  Das  deutete  den  Anfang  des  Ein- 
dringens des  gelehrten  Elementes  an,  wie  die  Uebersetzung 
des  Schoppen  in  assessor.  Deshalb  muss  1472  der  Leipziger 
Stadt-  und  Schöppenschreiber  „den  Personen  des  Raths  als 
ein  syndicus  in  lateinischen  Sachen,  wo  sein  noth  wäre, 
dienstlich  sein".4)  Beiderlei  Uebersetzungen  kommen  zuerst 
in  ausseramtlichen  Schriftstücken  vor,  bis  sie  —  nach  kleri- 
kalem5) Muster  —  amtlich  werden.     Erst  in  den  Stadtrech- 

l)  4.  bis  6.  Jahresber.  über  den  histor.  Verein  zu  Brandenburg-  S.  LIV: 
anno  .  .  .  1559  .  .  .  pastore  .  .  .  M.  Libyo  ...  et  M.  Simone  Rotero  Syndico 
existente. 

*)  RA.  Doc.  II.  A.  18.  Die  Kramergilde  in  Stendal  und  der  Rath  zu 
Spandau  wird  1574  (16  346.  390)  durch  einen  Syndikus  im  Prozesse  vertreten; 
die  Prozessvertreter  der  Gemeinde  Amfurth  (bei  Magdeburg)  heissen  1703 
(80  146)  syndici. 

3)  Aehnlich  heisst  der  Brandenburger  Stadtschreiber  Joachim  Heinatz 
1568  in  einem  Hochzeitsgedicht  Syndikus. 

*)  Ztschr.  der  Savigny-Stiftung  7,  2,  98. 

6j  Klöster  kennen  schon  syndici  im  Beginne  des  15.  Jahrh.,  z.  B.  1409 
das  Kloster  Corvey  (Riedel  I,  13,  273).  Dann  folgen  Stifter,  Universitäten 
und  je  nach  ihrer  Bedeutung  die  Städte.  Der  Bischof  von  Brandenburg-  hat 
1525  seinen  Syndikus  (Riedel  I.  ia,  170).  Der  Erfurter  Ordinarius  Henning 
Göden  aus  Havelberg  ist  1509  syndicus  civit.  Erford.;  der  fÜrstl.  Rath  Dr. 
Schreck  ist  1534  (a  345  ff.)  Frankf.  Universitätssyndikus;  der  Wittenb. 
Professor  Conrad  Lagus  wird  1538  Syndikus  von  Danzig  (Muther,  Zur 
Gesch.  der  RWiss.  S.  377,  326).  Der  Rath  zu  Perleberg  hat  1573  (14 
619)  seinen  Syndikus.  Der  „ehrbare  und  wolgelahrte*  Thomas  Neumann 
von  Treuenbrietzen  ist  1587  „Stadtschreiber"  in  Rathenow,  nachdem  er  von 
1579  bis  1586,  also  7  Jahre,  in  Wittenberg  und  Erfurt  studirt  hat  (ÜB.  a  54). 
S 1 6 1  z  e  I ,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    L  7 


98  s.  Buch.    Personal,    i.  Abschnitt.    Schöppenschreiber. 

nungen  des  siebzehnten  Jahrhunderts  heisst  der  erste  Bran- 
denburger Stadtschreiber  Syndikus  und  hat  als  solcher  1677 
in  der  Neustadt  sogar  höhere  Bezüge  nicht  bloss  als  der 
zweite  Stadtschreiber,  sondern  sogar  als  der  erste  Bürger- 
meister,1) was  damit  zusammenzuhängen  scheint,  dass  damals 
dort  zum  ersten  Male  ein  Doktor  das  Syndikat  übernahm. 

In  erster  Ehe  lebte  Roter  mit  einer  Verwandten  der 
Gattin  Melanchthons;  diese  Verwandte  war  in  Melanchthon's 
Hause  erzogen.2)  In  zweiter  Ehe  lebte  er  mit  der  Tochter 
v  des  Brandenburger  Bürgermeisters  und  Schoppen  Andreas 
Schuller,  so  dass  er  der  Schwager  „eines  der  allerberühm- 
testen  Märker"3),  Georg  Schullers,  des  Schülers  und  Eidams 
Melanchthons  war,  der  sich  Georg  Sabinus  nannte  und  als 
poeta  laureatus,  wie  als  Frankfurter  und  als  Königsberger 
Professor  zu  Ansehen  gelangte.4)  Die  ältere  Schwester 
Roters  war  einer  allerdings  nicht  ganz  sicheren  Nachricht  zu- 
folge Luthers  Schwiegertochter;  die  jüngere  Schwester  war 
mit  dem  Frankfurter  Professor  Joh.  von  Borken  aus  Bremen, 
dem  Gehülfen  Schurfs,  verheirathet;  so  stand  er  mit  den 
angesehensten  Theologen  und  Juristen  in  Verbindung. 

Roter  starb  im  78.  Jahre  am  21.  Dezember  1595  auf  der 
Rückreise  von  Berlin,  wohin  er  sich  in  Sachen  der  märkischen 
Städte  begeben  hatte.5)    Sein  prächtiges  figurenreiches,  von 

Die  1595  im  Rathsbuch  der  Altstadt  Brandenburg  (Cod.  A  3  AA.  fol.  88  ff.) 
notirte  Erweiterung  der  „Stadtschreiberei"  wird  von  späterer  Hand  am 
Rande  genannt:  „Syndikatshauses  Erweiterung".  Vergl.  auch  Magistrats- 
akten S.  15  de  171 6,  öffentliche  Gebäude:  »Secretariatshaus  und  Syndicats- 
haus"  (2  versch.  Gebäude). 

>)  RA.  Cod.  N.  19. 

')  Leichenrede  Johannis  Tomovii,  Berlin  1630,  Archiv  der  St.  Pauli* 
kirche  zu  Brdb.  S.  P.  11.  Familientafel  des  BM.  Roter  bei  Tschirsch,  Gesch. 
der  Saldria  S.  21. 

3)  Seidel,  Bildersammlung  S.  48. 

4)  Stölzel,  Brdb.-Pr.  Rechtsverw.  1,  163.  Mark.  Forschungen  Bd.  ix 
S.  123.  —  Die  Hochzeit  einer  Tochter  Roters  wird  1582  auf  dem  Rath- 
hause  gefeiert.  Cod.  A  1.  AA.  fol.  138.  Roter  hielt  sich  1584  einen  Acker- 
knecht, trieb  also  Landwirtschaft.  «Das.  fol.  142.  Der  altst.  Rath  borgte 
von  ihm  1565  200  Thaler  und  150  fl.  RADoc.  II  A.  46. 

•)  Leichenrede  des  Joh.  Tornow.  —  Das  letzte  Konzept  Roters  in  den 
Brdb.  Schöppenstuhlsakten  datirt  vom  Febr.  1595  (40  370).     Vergl.    auch 


$  4*    Altstädtische  Schöppenschreiber.  99 

ihm  selbst  schon  1584  gestiftetes  Epitaphium  ist  noch  jetzt 
eine  Zierde  der  Gotthardkirche.1) 

Um  die  Geschichte  Brandenburgs  hat  er  sich  ein 
besonderes  Verdienst  durch  die  Ordnung  des  Archivs  und 
die  Anlegung  eines  Kopiars  erworben.  Das  Kopiar  ist 
in  zwei  grossen  Foliobänden  noch  im  Brandenburger  Raths- 
archiv  aufbewahrt.  Roter  ist  es  auch  in  erster  Linie 
zu  verdanken,  dass  die  Frau  v.  Saldern  der  nach  ihr  ge- 
nannten noch  heute  blühenden  altstadtischen  Schule  den 
früheren  Bischofshof  bei  der  Gotthardkirche  schenkte,  und 
dass  die  Schöppenstuhlsakten  auf  uns  gekommen  sind.  Er 
hat  vermuthlich  den  bei  seinem  Dienstantritt  vorgefundenen 
Aktenbestand  der  Altstadt  gesammelt  und  von  nun  an 
für  die  ordnungsmässige  Aufbewahrung  aller  in  der  Altstadt 
erledigten  Sachen  Sorge  getragen.  Seinem  Beispiele  folgten 
die  späteren  Schreiber.  Seit  1551  ist  eine  annähernde  Voll- 
ständigkeit und  Kontinuität  der  Akten  zu  beobachten.  In  der 
Neustadt  erhiejt  Roter  einen  Nachahmer  erst  anderthalb  Jahr- 
hundert später  in  Martin  Heins.  Von  Roters  Betheiligung  an 
der  Sammlung  der  Brandenburger  Rechtsbelehrungen  wird 
demnächst  die  Rede  sein. 

Sein  Nachfolger  im  Schreiber-,  Schoppen-  und  Bürger- 
meisteramte, Gregorius  Boldicke,  stammte  aus  Brandenburg 
selbst.  Bereits  1514  studirte  ein  Martinus  Boldeke  de  Bran« 
denborch  in  Frankfurt,  der  1530  in  Brandenburg  Kleriker 
war.2)  Gregorius  studirte  1551  in  Wittenberg  und  1559  in 
Frankfurt.  Die  mehr  als  achtjährige  Studienzeit  spricht  da- 
für, dass  auch  Boldicke  noch  zu  denen  gehört,  die  vom 
artistischen  Studium  nachträglich  erst  zum  juristischen  über- 
gingen. Im  Jahre  1561  wurde  er  in  der  Altstadt  Branden- 
burg zum  Stadtschreiber  angenommen.3)     In  der  Bestallung 

Tschirsch,  Gesch.  der  Saldria  S.  11,  21  ff.;  Leichenrede  des  Pfr.  Boner  beim 
Leichenbegängniss  der  Frau  Roter  16.  Nov.  1593.  Frkf.  a.  O.  1595  (Univ.- 
Bibl.  zu  Breslau).  In  dieser  Rede  ist  der  Name  Roter  in  Röter  umgelautet, 
ein  Beleg  für  die  Zeit  der  Entstehung  solcher  Umlautungen. 

x)  Abgebildet  bei  Tschirsch  a.  a.  O.;  s.  auch  S.  55. 

a)  R.A.  Schöppenbuch  N.  3:  „Er"  Merthen  Boldike,  Vormund  der 
Damstorfschen  Kinder. 

>)  Gegen  vierteljährliche  Kündigung,  Memorial  Roter's  Cod.  A.  3  R.  A.,  f.  406. 

7* 


100  2.  Buch.    Personal,    i.  Abschnitt.    Schöppenschreiber. 

wurde  ihm  Hoffnung  gemacht,  dass  er  mit  der  Zeit  die 
Schöppenschreiberei  bekommen  könnte.  Seine  Thätigkeit 
als  Schöppenschreiber  begann  im  folgenden  Jahre  und  währte 
bis  er  im  Jahre  1566  Bürgermeister  und  Schöppe  wurde. 

Ihm  folgte  als  Schöppenschreiber,  aber  nur  für  zwei 
Jahre  (1566  bis  1568),  Michael  Dob  er  gast. l)  Seine  Spur  ist 
seit  1569  verschwunden.     In  Frankfurt  hat  er  nicht  studirt. 

Von  grösserer  Bedeutung  für  den  Schöppenstuhl  ist  die 
Thätigkeit  Siegmunds  Bardeleben,  des  Nachfolgers  Dober- 
gasts  im  Stadt-  und  Schöppenschreiberamt  der  Altstadt  für 
die  Jahre  1569  bis  1576. 

Er  stammt  aus  einem  in  der  Altstadt  ansässigen  Ritter- 
geschlechte;  der  Grossvater,  Kersten  Bardeleben,  sass  1523 
im  Rathe  der  Altstadt,2)  er  war  Erbherr  auf  Satzkorn  bei 
Potsdam  und  starb,  in  erster  Ehe  mit  einer  von  Schönermark, 
in  zweiter  mit  einer  von  Diericke  verheirathet,  1534  neunzig 
Jahre  alt.  Kerstens  Sohn  Matthias,  geboren  1496,  wurde 
kurfürstlicher  Kanzleischreiber,  dann  Hofrichter  in  Berlin, 
dann  altstädtischer  Bürgermeister  (1551.  1555.  1556)  und, 
vermuthlich  seit  1551,  auch  Schöppe  in  Brandenburg;3)  er 
„diente  dem  Bischof  mit  einem  Pferde  und  wurde  vorkom- 
menden Falles  damit  an  den  Kurfürsten"  (als  den  Oberherren 
des  Bischofs)  „gerufen".  Akademisch  gebildet  war  er  nicht, 
wohl  aber  sein  Bruder  Karl,  der  1545  in  Wittenberg  und 
1555  in  Leipzig  studirte;  später  war  er  Hauptmann  zu 
Lenzen.  Der  dritte  Sohn  Kersten's,  Namens  Kaspar,  war 
mit  Anna  von  Bellin  in  Brandenburg  verheirathet  und  wurde 
ebenfalls    altstädtischer   Bürgermeister.      Der    Bürgermeister 

*)  Vergl.  10  491  (1566)  und  11  570  (1567).  Dobergasts  Schrift  zeigt 
sich  in  den  Jahren  1566  bis  1568  in  zahlreichen  Spruchkonzepten  neben  dem 
Neustädter  Schöppenschreiber  Heinatz,  während  Gregorius  Boldicke  nur 
noch  ganz  vereinzelt  vorkommt.  Dobergast's  Schrift  löst  aber  auch  im 
Rathsbuch  N.  1  AA.  Boldicke  von  1566  an  ab.  Dazu  kommt,  dass  Boldicke 
1567  Bürgermeister  war.  Hieraus  ergiebt  sich,  dass  Dobergast  seit  1566 
Boldickes  Nachfolger  als  Schoppen-  und  Stadtscbreiber  der  Altstadt  war. 

*)  Leichenpredigt  des  Rathsverwandten  Joh.  Karge,  Wittenb.  1605,  im 
Besitz  des  grauen  Klosters  zu  Berlin.  40.  vol.  34.  Brdb.  Rathsbuch  A.  1 
AA.  f.  167. 

8)  Vergl.  Märkische  Forschungen  Bd.  1   S.  54;  2  S.  215. 


§  4*    Altstädtische  Schöppenschreiber.  101 

Matthias  Bardeleben  sandte  seinen  Sohn  Sigismund  1554  nach 
Wittenberg  und  1566  nach  Frankfurt.  Die  Familie  lebt  noch 
in  den  heutigen  von  Bardeleben  fort.  Sie  besass  erheb- 
liche Lehngüter.  Schon  1305  kommt  Johann  von  Bardeleve, 
der  Riddere,  in  Magdeburg  vor,  131 2  ist  dort  Hermann  de 
Bardeleve  Innungsmeister.1)  Heinrich  v.  Bardeleben,  »miles 
Johannis  marchionis  Brandeburg",  ist  1272  in  Bologna  im- 
matrikulirt,  er  fungirt  1307  als  Zeuge  Friedrichs  von  Bran- 
denburg  und    1308   als  Tempelherr.2)     In  Wittenberg  sind 

lSl4*  *5l9*  J52°i  J545»  *554t  l5S^  l562>  x589»  lS9^  Bran- 
denburger Bardeleben  immatrikulirt,  ebenso  1555  in  Leipzig 

und  1566  in  Frankfurt. 

Das  von  Siegmund  Bardeleben  als  Stadtschreiber  seit 
1571  geführte  Rechnungsbuch  des  Rathes  vermerkt  häufig, 
dass  ihm  sein  in  Stadtgeschäften  versäumtes  Schöppengeld 
(d.  h.  die  ihm  zukommende  Gebühr  als  Schöppenschreiber) 
ersetzt  wurde. 3)  Das  Bürgermeisteramt  der  Altstadt  fiel  ihm 
1576  zu;  im  Jahre  1589  starb  er  als  regierender  Bürger- 
meister.4) Laut  des  Schossregisters  der  Stadt  besass  er 
in  der  Altstadt  Haus,  Hof,  Garten  und  mehrere  Hufen 
Land.5)  Seit  1576  ist  er  Schöppe  und  betheiligt  sich  eifrig 
an  der  Spruchthätigkeit,  namentlich  konzipirt  er  1586  während 
der  im  Schöppenschreiberamt  eingetretenen  Vakanz  häufig 
die  Urtheile. 

Als  Siegmund  Bardeleben  sein  Schöppenschreiberamt 
niedergelegt  hatte,  griff  man  wieder  zu  einem  Schulmanne, 
dem  in  Wittenberg  ausgebildeten  Rektor  der  altstädtischen 
Schule  Zacharias  Garz,  auch  Garcäus  genannt.  Dieser  war 
ein  Sohn  des  Bürgermeisters  Joachim  Garz  zu  Pritzwalk,  wo 
man  mit  besonderem  Eifer  dem  Lutherthum  anhing.  Nach 
siebenjährigem  artistischen  und  juristischen  Studium  (1564  bis 
157 1)  hatte  er  das  Rektorat  der  Pritzwalker  höheren  Schule 
in  seinem  27.  Lebensjahr  übernommen,    aber  nach  3  Jahren 


x)  Hertel,  Urk.B.  der  Stadt  Magdb.  i,  126. 

a)  Knod,  Deutsche  Studenten  in  Bologna.     1899. 

3)  Cod.  A.  32  RA. 

*)  Rathsbuch  Cod.  A.  33  f.  3  und  f.  324  RA. 

»)  Cod.  A.  30  RA.  f.  93. 


102  2«  Buch.    Personal,    i.  Abschnitt.    Schöppenschreiber. 

niedergelegt,  um  1574  nochmals  nach  Wittenberg  zu  gehen. 
Auf  der  Reise  dahin  traf  ihn  die  Wahl  zum  Rektor  in  Bran- 
denburg. Die  von  ihm  zu  Ostern  1575  gehaltene  Antritts- 
rede ergiebt,  dass  es  sich  um  die  Neueinrichtung  der  Schule 
handelte,  „wie  es  die  Pflicht  jeder  Stadt  sei";  der  altstädter 
Magistrat  habe  in  dieser  Beziehung  seine  Schuldigkeit  ge- 
than.  Also  auch  Brandenburg  (wie  Pritzwalk)  gehörte  zu 
den  Städten,  in  denen  die  Schüler  der  Wittenberger  ihre 
Kräfte  der  Schaffung  unserer  heutigen  humanistischen  Gym- 
nasien widmeten.1)  Missgunst  verleidete  ihm  das  Amt;  nach 
Jahresfrist  bahnte  ihm  die  Verlobung  mit  der  Tochter  des 
altstädtischen  Bürgermeisters  Andreas  Schuller  den  Weg  zum 
altstädtischen  Syndikate.  Die  Verlobung  zeigte  er  als  Schul- 
rektor an,  das  Hochzeitsgedicht  verfassten  seine  Freunde  „in 
honorem  syndici  Reipublicae  Brandenburgensis".  So  wurde 
er  Schwager  des  Georg  Sabinus  und  der  beiden  Bürger- 
meister Valentin  Schwarz  und  Simon  Roter.  Gleich  letzteren 
amtirte  er  auch  als  kaiserlicher  Notar  (1581:  22404.  591. 
606).  Er  starb  1586  und  war  mindestens  in  diesem  Jahre, 
obwohl  die  für  diese  Zeit  besonders  lückenhaften  Schöppen- 
stuhlsakten  darüber  nichts  ergeben,  Schöppe;  denn  die  Elegie 
des  Prätorius  auf  seinen  Tod  ist  „exequiis  .  .  Garcaei  syndici 
et  scabini  electoralis  in  vetere  Brand,  civitate"  gewidmet.2) 
Zacharias  Garz  begann  1582  die  Niederschrift  seines 
Geschichtswerkes  „Successiones  familiarum  atque  res  gestae 
illustrissimorum  praesidum  Marchiaeu,  einer  noch  jetzt  hoch- 
geschätzten Chronik;  ferner  veröffentlichte  er  1583  die  „Syn- 
opsis chronologica  continens  generalem  dispositionem  histo- 
riae  Marchiae  Brandenburgensisw,  einen  kurzen  Auszug  aus 
den  Successiones,  und  1585  die  „Synopsis  annalium  Marchiae 
Brandenburgensis",  eine  in  sich  abgerundete  grössere  Arbeit. 3) 

*)  Stölzel,  Gel.  Richterthura  i,   in. 

2)  Tschirsch,  Gesch.  der  Saldria  S.  12.  Pieper,  Der  mark.  Chronist 
Z.  Garzäus  (Realschulprogamm  1896)  S.  16  Note  und  S.  4  des  Programms 
von   1898. 

3)  Die  beiden  letzteren,  anscheinend  nicht  gedruckten  Werke  befinden 
sich  in  der  Handschriftenabtheilung  der  Kgl.  Bibliothek  zu  Berlin,  Manuskr. 
Okt.  80.  Götze  (Verein  für  Geschichte  der  Mark  Brandenburg  1872,  Sitzung- 
vom  10.  Januar)  nimmt  mit  Unrecht  an,  dass  die  beiden  bezeichneten  Exem- 


§  4*    Altstädtische  Schöppenschreiber.  103 

Dass  auf  Zacharias  Garz  und  seinen  Schwager  Simon 
Roter  die  Entstehung  der  oben  genannten  Sammlung  Bran- 
denburger Schöppensprüche1)  zurückzufuhren  ist,  ergiebt  sich 
aus  folgenden  Umständen: 

i.  Die  in  die  Sammlung  aufgenommenen  Sprüche  fallen 
ihrem  Hauptbestande  nach  in  die  Amtszeit  der  beiden  Ge- 
nannten; der  jüngste  Spruch  ist  von  1593;  er  fallt  zwar  nach 
Garz1  Tod,  aber  noch  in  Roter's  Lebenszeit. 

2.  Die  im  Titel  1  der  Sammlung  stehenden  Sprüche  über 
Abschoss2)  betreffen  eine  unter  den  Brandenburger  Schoppen 
im  Jahre  1576  und  1578  lebhaft  verhandelte  Streitfrage,  ob  die 
Vorschrift  der  Joachimica:  „Wer  Kindergeld  ....  in  fremde 
Gerichte  wegbringen  will,  soll  ....  von  jedem  märkischen 
Schock  vier  Groschen  geben",  sich  auch  auf  sui  heredes  be- 
ziehe. Hierzu  wird  bemerkt:  „haec  verba  scabini  Brandenb. 
intelligi  volunt  non  de  suis,  sed  extraneis  heredibus",  und  es 
werden  zwei  einschlagende  Sprüche  aus  dem  Jahre  1578  mit- 
getheilt  mit  dem  Zusatz,  dass  die  Worte  der  Landeskonsti- 
tution „nochmals  von  den  Herren  Scheppen  erwogen"  seien; 
gleichergestalt  sei  „von  den  Herrn  Scheppen"  in  einer  an- 
deren Sache  gesprochen3).  Diese  beiden  Notizen  weisen  auf 
einen  Schöppenschreiber  als  Urheber  hin,  der  die  Schoppen 
als  ihr  Untergebener  respektvoll  mit  „Herren44  Schoppen  be- 
zeichnet. Roter,  der  selbst  Schöppe  war,  würde  diese  Wen- 
dung nicht  gebraucht  haben. 

3.  Zwei  mit  „NB.14  hervorgehobene  Stellen  der  Samm- 
lung scheinen  dagegen  aus  Roters  Feder  zu  stammen.     Die 

plare  Garz'  Handschrift  zeigen.  Der  Familie  Garz  aus  Pritzwalk  gehörte 
Joh.  Garcäus  (in  Frankfurt  1519»  in  Wittenberg  1521  immatrikulirt)  an, 
ein  Vertrauter  Luthers  und  Melanchthons,  später  Hamburger  Pastor,  Greifs- 
walder  Professor  der  Theologie  und  schliesslich  Prediger  im  mecklenb. 
Neubrandenburg  (f  1554)1  anscheinend  ein  Oheim  des  Zacharias.  Zu  der- 
selben Familie  gehörten  die  1586  in  Frankfurt  immatrikulirten  Brüder  Johann 
und  Joachim  Garz,  deren  letzterer  Dr.  theol.  und  geistlicher  Inspektor  in 
Brandenburg  wurde  (78  200).  Es  ist  auch  wohl  nicht  zu  gewagt,  den 
Brandenburger  Kaufmann  und  Schoppen  Friedrich  Garz  (1571  bis  1579)1 
der  nach  des  Schoppen  und  Bürgermeisters  Gregorius  Boldicke  Tode  (*{* 
1565)  dessen  Wittwe  heirathete,  zu  des  Zach.  Garz*  Verwandtschaft  zu 
rechnen. 

')  Siehe  oben  S.  29.  »)  Fol.  8q  ff.  »)  Fol.  89. 


104  2-  Buch.    Personal,    i.  Abschnitt.    Schöppenschreiber. 

erste  Stelle  lautet:  „Den  25.  feb.  anno  1579  hat  m.  N.  N., 
als  er  von  Berlin  zu  haus  gekommen,  auf  dem  scheppen- 
hause  berichtet,  das  er  mit  J.  K.  d.  wegen  der  landesconsti- 
tution  .  .  .  geredet  und  der  J.  K.  d.  darauf  geandtworthet, 
das  sie  so  klar  weren,  das  sie  keiner  deutungk  dürfen  .  .  ., 
wie  aber  m.  N.  N.  ferner  gesagt,  das  etliche  von  den  schep- 
penn  in  dem  verstandt  weren,  das  das  wörtlein  „wer"  non  de 
suis  ...  zu  verstehen  sey,  hette  der  J.  K.  d.  gesaget,  das 
sein  merae  truffe  .  .  ."  Unter  den  Brandenburger  Schoppen 
gab  es  damals  einen  einzigen  Magister,  und  das  war  Simon 
Roter.  Nur  für  ihn  selbst  bestand  ein  Grund,  sich  in  der 
Notiz  nicht  zu  nennen;  deshalb  darf  ihm  die  Niederschrift 
der  Notiz  zugeschrieben  werden.  Unter  J.  K.  d.  ist  Dr.  Johann 
Koppen  zu  verstehen,  damals  wohl  der  angesehenste  Jurist 
der  Mark,  früher  Frankfurter  Professor,  dann  Mitglied  des 
Berliner  Geheimenrathes;1)  mit  ihm  hatte  Roter  in  Berlin, 
wohin  er  als  Bürgermeister  öfter  in  Geschäften  kam,  über 
die  Streitfrage  der  Brandenburger  gesprochen,  und  das 
Resultat  dieser  für  Roter  günstigen  Besprechung  liess  Roter 
durch  Garcäus  in  die  Spruchsammlung  niederlegen.2)  Der 
Hauptgegner  der  von  Roter  und  Koppen  vertretenen  Mei- 
nung war  Roters  neustädtischer  Kollege  Simon  Karpzow. 
Das  ergiebt  folgende  weitere  Stelle  der  Sammlung  aus  dem 
Jahre  1579:  „Nota.  Die  hern  schöppen  haben  das  jus  sui- 
tatis  in  kindergelden  abermhal  movirt  ....  NB.  Scabini 
iterum  discordes  fuerunt  in  sententiando.  Quidam  ut  S.  K. 
(=  Simon  Karpzow)  praetenderunt  jus  suitatis  .  . ,  alii  omnes 
consuetudinem  observarunt  et  hi  obtinuerunt,  das  man  ab- 
schos  geben  solle,  .  .  .  darauf  die  uhrteile  dem  vorigen  zu- 
wider gesprochen.  Et  omnes  iterum  aequum  esse  duxerunt, 
das  man  von  hoff  aus  hierüber  resolution  bitten  und  sonder- 

■ 

lieh  an  deme  herrn  canzler  schreiben  solte." 

Eine  zweite  Streitfrage  des  Jahres  1578  knüpfte  sich  an 
die  Worte  der  Joachimica,  dass  in  Testamenten  „an  liegenden 
Gründen  allein  Summa  oder  Würderung  und  nicht  das  Gut 
bescheiden  werden  solle,  es  sei  denn  mit  der  Erben  und  der 

3)  Stölzel,  Brand. -Pr.  Rechtsverwaltung  i,  321.  259. 
»)  Fol.  93 v-  94. 


§  4*    Altstädtische  Schöppenschreiber.  105 

Herrschaft  Willen.441)  Die  Brandenburger  erklärten  demgemäss 
die  Uebergabe  eines  Wohnhauses  von  Todes  wegen  vor  ge- 
hegter Dingbank  für  ungültig.  Dabei  wird  bemerkt,  die 
Schoppen  seien  getheilter  Meinung  gewesen ;  „S.  K.  (=  Simon 
Karpzow)  voluit  hanc  donationem  esse  similem  testamento  in 
judicio  eorum  acto  judicis  facto  et  ideo  debere  valere,  etiamsi 
constitutio  repugnet.  Alii  omnes  constitutionem  servari  .  .  . 
voluerunt,  donec  resolutio  ex  aula  electoris  mitteretur.  Haben 
also  abermhal  geschlossen,  man  solte  dis  kegen  hoff  gelangen 
lassen.  Und  obwoll  S.  K.  jus  scriptum  angezogen,  so  seindt 
doch  die  anderen  scabini  mit  ihme  nicht  einigk  gewesen, 
sondern  auf  das  jus  municipale  gesehen,  wie  solches  in  der 
landes  Constitution  vorleibet.  M.  I.  hat  d.  J.  K.  resulution,  so 
er  privatim  an  im  geschrieben,  producirt  .  .  ."  Mit  M.  I.  ist 
Michael  Iden  bezeichnet,  seit  1570  Schöppe,  seit  1577  Richter 
der  Neustadt,  den  seine  Eigenschaft  als  Mitglied  des  Land- 
tags mit  Koppen  in  Beziehung  gebracht  haben  mochte.2) 

Endlich  war  1581  eine  dritte  Streitfrage  erwachsen,  ob 
ein  Sohn  die  Studienkosten  nach  der  Eltern  Tod  verab- 
schossen  müsse,  gleich  anderem  Erbgut,  das  in  andere  Ge- 
richte genommen  werde:  „In  hac  sententia  variarunt  scabini  .  . 
1581.  Et  quia  non  con venerum  in  loco  consueto,  ex  nova 
ci  vi  täte  pronunciarunt  quod  non.  Nostri  vero  quod  sie 
.  .  ."3)  Der  Autor  dieser  Notiz  war  also  Altstädter.  Dafür, 
dass  er  mit  Roter  in  Beziehung  stand,  wenn  er  nicht  Roter 
selbst  war,  spricht  das  in  die  Sammlung  aufgenommene,  oben 
(S.  27)  erwähnte  Konzept  Roters:  unser  Exemplar  könnte  die 
in  Roters  Gebrauch  gewesene  Abschrift  der  von  Garz  ange- 
fertigten und  nach  dessen  Tod  an  Roter  als  seinen  Schwager 
gefallenen  Spruchsammlung  sein.4) 

Das  stärkste  für  die  Betheiligung  des  Schöppenschreibers 
Garz  bei  der  Herstellung  unserer  Sammlung  sprechende  Ar- 
gument liegt  darin,  dass  die  Schöppenstuhlsakten  aus  der 
Zeit,  in  welcher  Garz  Schöppenschreiber  war,  auf  dem  Rücken 

!)  Fol.  133.  *)  Siehe  unten  §  8.  »)  Fol.  95 v- 

4)  Wie  in  den  aus  der  Sammlung  erhellenden  wichtigen  Streitfragen 
Karpzow  die  romanisirende  Richtung  gegenüber  Roter  vertrat,  der  am 
vaterländischen  Rechte  festhalten  wollte,  bleibt  später  zu  erörtern. 


106  2.  Buch.    Personal,    i.  Abschnitt«    Schöppenschreiber. 

verschiedener  Aktenstücke  den  Inhalt  des  gefällten  Spruchs 
in  Präjudizienform  enthalten, *)  und  dass  der  betreffende  Satz 
in  der  Spruchsammlung  als  Ueberschrift  des  Sprucheintrags 
wörtlich  wiederkehrt.  Zwar  brachte  der  Schöppenschreiber 
Dobergast2)  schon  in  den  1560er  Jahren  die  Sitte  auf,  eine 
Notiz  über  den  Inhalt  eines  Spruchs  aussen  unter  die  Adresse 
der  Anfrage  zu  setzen,  er  that  dies  aber  nur  mit  einigen 
Schlagworten,  wie  „collatio  acceptae  dotis"  (10  145)  oder  ,,mu- 
tatio  obligationis  et  fidejussorum  liberatio"  (10  345),  während 
Garz  vollständige  Sätze  als  Inhaltsangabe  wählte. 

Ende  November  1586  folgte  auf  Garz  nach  einer  Vakanz 
von  mehreren  Monaten  der  Schwager  Siegmund  Bardelebens 
(1588:  29  411)  Mag.  Gregorius  Bluhm,  der  schon  seit  1584  als 
Stadtschreiber  thätig  war,  im  Amte  des  Schöppenschreibers. 
Er  scheint  aus  Spandau  zu  stammen,  da  er  wohl  mit  dem 
1574  in  Frankfurt  immatrikulirten  Georgius  Blume  Spando- 
vensis  identisch  ist.  Der  Beginn  seiner  Schöppenschreiber- 
thätigkeit  zeichnet  sich  durch  die  von  ihm  eingeführte,  aber 
leider  bald  wieder  aufgegebene  Neuerung  aus,  die  erledigten 
Sachen  zu  numeriren.  Im  Jahre  1592,  als  er  Bürgermeister 
wurde,  tauschte  auch  er  das  Schöppenschreiberamt  mit  dem 
Schöppenamt  ein.3)  Er  bekundet  bis  in  seine  letzten  Lebens- 
jahre, in  denen  seine  Schriftzüge  deutlich  seine  Schwäche 
erkennen  lassen,  durch  Anfertigung  zahlreicher  Spruch- 
konzepte sein  reges  Interesse  für  die  Schöppenthätigkeit, 
der  er  bis  zu  seinem  Tode  (1612)  oblag.  Seine  Gattin  ge- 
hörte der  Familie  des  1549  verstorbenen  altstädtischen  Bürger- 
meisters Hans  Trebow  an.4)  Es  besass  Haus  und  Hof  in 
Brandenburg,  auch  zwei  Weinberge,  drei  Hufen,  eine  Wiese 
und  zwei  Kohlgärten  in  der  Stadtgemarkung.5)     Eine  seiner 

1)  So  1585  (26  167)  in  dorso  der  Missive:  „ob  kinder  ....  abschoss  zu 
geben  schuldig"  und  Decis.  II  fol.  97;  desgl.  26  173  vergl.  mit  Decis.  II  fol.  ioo. 

2)  Siehe  oben  S.  100. 

8)  Noch  von  Montags  nach  Exaltat.  Crucis  dieses  Jahres  rührt  eine 
Spruchausfertigung  von  seiner  Hand  her  (36  25). 

*)  Laut  Rechnungsbuch  der  Altstadt  Cod.  A  33  fol.  232  von  158T; 
„vier  hammel  m.  Bluhm  auf  seine  hochzeit".  Vergl.  auch  Elegieen  des 
Prätori us,  Wittenb.  1608,  wonach  die  Gattin  „egregiae  stirpis". 

5)  Schossregister  A  30  RA. 


§  4*    Altstädtische  Schöppenschreiber.  107 

Töchter  war  mit  dem  altstädtischen  Burgermeister  und 
Schoppen  Joachim  Tieffenbach,  eine  zweite  mit  dem  neu- 
städtischen Kämmerer,  späteren  Bürgermeister  und  Schoppen 
Schale1)  verheirathet. 

Ein  Beleg  für  das  Ansehen,  das  Bluhm  im  Schöppen- 
stuhl  genoss,  ist  die  in  die  Garz-Roter'sche  Spruchsammlung 
(Decis.II,  104)  aufgenommene  „observatio  M.  Gregorii  Blumen44. 
Sie  betraf  den  Zweifel,  wer  im  Falle  der  Konkurrenz  von 
vollbürtigen  Geschwisterkindern  mit  halbbürtigen  Geschwistern 
erbberechtigt  sei.  Mit  Berufung  auf  den  (1573  zuerst  er- 
schienenen) Institutionenkommentar  des  Wittenberger  Pro- 
fessors Schneidewin 2)  hatte  sich  Bluhm  für  den  Vorzug  der 
halbbürtigen  Geschwister  als  der  deirf  Grade  nach  Näheren 
ausgesprochen,  auf  dem  Schöppenhause  wurde  indess  (1593, 
20.  Juni)  „das  Kontrarium  gesprochen;  als  aber  nachgesucht 
ist,  befunden,  dass  diese  Belehrung  den  Rechten  ungemäss, 
die  obgesetzte  Meinung44  (nämlich  die  Blumes)  .  .  .  „den 
Rechten  gemäss  und  folgendes  danach  zYi  sprechen41. 

Auf  Mag.  Bluhm  folgte  (Sept.  1592)  Mag.  David  Kuhns 
im  Amte  des  Altstädter  Schöppenschreibers.  Er  stammte 
aus  Nauen  und  begleitete  1587  den  Grafen  August  von  Linar 
(f  1602) 3)  als  dessen  „minister44  auf  die  Universität  Frank- 
furt, wo  er  im  nämlichen  Jahre  die  Würde  eines  Mag.  artium 
erlangte.4)  An  sein  Studium  schloss  sich  also  ziemlich  rasch 
sein  Schöppenschreiberamt  an.  „Syndicus44  wurde  er  zwar 
in  Privatschreiben  (43  564),  aber  noch  nicht  amtlich  titulirt. 
Kuhns  heirathete  im  Jahre  1591  eine  Tochter  des  Bürger- 
meisters der  Altstadt  und  Schoppen  Andreas  Dieterich  und 
war  seit  demselben  Jahre  oder  seit  1592  Stadtschreiber  der 
Altstadt.5)  Später,  vermuthlich  1602,  wurde  er  Rathsherr  der 
Altstadt  und  erscheint  als  solcher  zum  letzten  Male  im  Jahre 

*)  Leichenpredigt  der  Frau  Tieffenbach  von  1616  in  der  Bibl.  der 
Gotthardkirche  zu  Brandenburg. 

2)  Stintzing,  Gesch.  der  d.  RW.  I,  309. 

3)  P.  Walle,  Der  Stiftungsaltar  des  Grafen  R.  v.  Linar.  Berlin  1882  S.  12. 

4)  Latein.  Gratul.- Gedicht  von  1587  in  der  Bibl.  des  Brandenburger 
Realgymnasium. 

5)  Lateinisches  Gratulationsgedicht.  Wittenberg  1591  a.  a.  O.,  wo  es 
von    ihm    heisst:    MCum    varios   populos,   varias  vidisset  et   urbes,    et   sua 


108  2-  Buch.    Personal,    i.  Abschnitt.    Schöppenschreiber. 

1605.1)  Bürgermeister  ist  er  nicht  gewesen.  Als  Schöppe 
dürfte  er  der  Nachfolger  seines  Schwiegervaters,  der  wahr- 
scheinlich im  Jahre  1599  gestorben  ist,  geworden  sein.2) 

Von  Brandenburg  aus  nahm  er  (anscheinend  1605)  in 
Magdeburg  die  Stelle  eines  moderator  praefecturae  molen- 
dinariae,  d.  h.  des  Vorstehers  der  Mühlenvogtei,  also  ein 
Richteramt  an,  das  er  noch  161 2  verwaltete.  Vielseitige 
Bildung  bezeugt  seine  Sammlung  von  mehr  als  100  Werken, 
meist  theologischen  Inhalts,  die  er  1601  der  Bibliothek  der 
Brandenburger  Gotthardkirche  schenkte.3) 

Sein  Nachfolger  im  Schöppenschreiberamte,  Michael 
Du  ring,  ein  geborener  Brandenburger,  der  1589  in  Witten- 
berg studirte  und  seit  1602  Stadtschreiber,  seit  161 1  Bürger- 
meister der  Altstadt  Brandenburg4)  war,  gehörte  zu  denjenigen 
Persönlichkeiten,  die  neben  ihrem  städtischen  Amte  das  No- 
tariat bekleideten.  Als  Schöppenschreiber  entwirft  er  (1607: 
54  559)  den  Schöppenspruch  in  derselben  Sache,  in  welcher 
er  als  Notar  thätig  gewesen  ist.  In  einem  Schreiben  des  näm- 
lichen Jahres  (54  153)  unterzeichnet  er:  „Secret.  (arius)  scabb. 
(=  scabinorum  oder  scabinatus)u.  Als  Notar  verfasst  er  16 13 
(62  581)  in  der  Altstadt  Namens  eines  Ungenannten  von  Adel 
eine  Missive  an  den  Schöppenstuhl,  nimmt  auch  1614  im  Auf- 
trag des  von  Vieritz  in  Falkenrehde  bei  Potsdam  das  Protokoll 
in  einer  Strafsache  auf  (63  164).5)    Im  Jahre  161 8  ist  er  Ver- 

tractasset  iura  verenda  Themis",  vergl.  Rechnungsbuch  der  Altstadt  Cod. 
A  33  f.  404*  RA.:  „11  hammel  zu  b.  Diterichs  beider  töchter  hochzeiten". 
Im  Jahre  1595  (Leichenpredigt  seiner  Tochter  1595,  Bibliothek  des  Grauen 
Klosters  zu  Berlin,  Vol.  4  No.  37)  und  1596  wird  er  als  Syndikus  der  Alt- 
stadt erwähnt  (Boner us,  Anagrammata  in  honorem  amplissimorum  et  con- 
sultissimorum  Dn.  consulum  et  senatorum  Brandenburgensium  veteris  oppidi, 
Frankfurt  1596,  Archiv  der  St.  Paulikirche  zu  Brandenburg,  unbezeichneter 
Sammelband). 

x)  Rechnungsbuch  der  Altstadt  Cod.  A  34  f.  162,  RA. 

*)  Er  votirt  zum  ersten  Mal  im  Jahre  1600  (46  168),  zum  letzten  Mal 
im  Jahre  1605  (51  89,  Rechtsfrage  vom  22.  April). 

8)  Dedikation  im  Bibliotheksarchiv  der  Gotthardkirche,  Band  Theol. 
Fol.  Nr.  127. 

4)  RA.  Cod.  A  34  fol.  272.  282. 

*)  Noch  1639  stammt  ein  Notariatsakt  von  ihm  im  StA.  R.  21  N.  10* 
Brandenburg,  Altstadt. 


§  4«    Altstädtische  Schöppenschr eiber.  ]()<) 

ordneter  der  Mittelmärkischen  und  Ruppinschen  Städte  auf 
dem  Landtage  und  schliesst,  nachdem  im  genannten  Jahre 
seine  Gattin,  eine  Tochter  des  aus  Aberdeen  in  Schottland 
eingewanderten  Kaufmanns  Zieritz,  gestorben  war,  noch  in 
demselben  Jahre  eine  zweite  Heirath,  zu  der  er  von  der 
Stadt  die  üblichen  Hammel  empfing.1)  Gleich  seinen  Vor- 
gängern im  Schöppenschreiberamte  wurde  auch  ihm  eine 
Stelle  als  Schöppe  angeboten;  auf  erfolgte  Präsentation  be- 
stätigte der  Kurfürst  (1620)  seine  Wahl.  Düring  aber  lehnte 
die  Uebernahme  des  Amtes  ab.  Merkwürdigerweise  wurden 
die  Verhandlungen  hierüber  erst  im  Jahre  1622  gepflogen. 
Düring  machte  beim  Kurfürsten  zu  seiner  Entschuldigung 
geltend,  er  sei  mit  städtischen  Geschäften  überlastet,  und  ein 
Fall  auf  den  Kopf  habe  sein  Gedächtniss  getrübt;  den  wahren 
Grund  der  Ablehnung  gab  aber  sein  Begleitschreiben  an  den 
Kanzler  Pruckmann  zu  erkennen;  er  bemerkte  darin,  dass  er 
vor  einiger  Zeit,  nachdem  er  etliche  Jahre  das  Schöppen- 
schreiberamt  verwaltet  habe,  „wider  altes  Herkommen 
und  Gebrauch,  auch  nicht  ohne  Schimpf  bei  einer 
Schoppen  wähl  übergangen  worden  sei,  indem  man  ihm 
einen  Andern  vorgezogen  habe".  Hier  ist  auf  Georg  Chueden 
hingewiesen,  der,  ohne  Schöppenschreiber  gewesen  zu  sein, 
zum  Schoppen  gewählt  wurde.  Der  Kurfürst  erkannte  die 
Ablehnungsgründe  Dürings  als  ausreichend  an;2)  Düring  trat 
niemals  als  Schöppe  in  Thätigkeit. 

An  seiner  Stelle  überkam  161 2  Mag.  Peter  Weitzke, 
Sohn  des  1585  verstorbenen  gleichnamigen  Brandenburgischen 
Superintendenten,  das  Schöppenschreiberamt  und  Syndikat 
der  Altstadt  bis  zum  Jahre  16 19.  Der  Vater  war  mit  Garz 
befreundet,  1562  dessen  Studiengenosse  in  Wittenberg,  auch 
anscheinend  dessen  Vorgänger  im  Schulamte;3)  aus  seiner 
Bibliothek    gingen    eine    Reihe    werthvoller    Drucke   in    die 


*)  Leichenpredigt  seiner  Ehefrau,  1618,  Archiv  der  Brandenburger 
Paulikirche,  Sammelband  S.  P.  7.  RA.  Cod.  A  34,  Rechnungsbuch.  Düring's 
Siegel  in  den  Schöppenstuhlsakten  66  456. 

*)  Schreiben  vom  26.  Juni  1622  R.  21  N.  9C  StA. 

8)  Vergl.  Seidel,  Bildersammlung  S.  197;  Pieper,  Brandenburger  Schul- 
programm von  1896  S.  13. 


HO  2.  Buch.    Personal,    i.  Abschnitt.    Schöppenschreiber. 

Bibliothek  der  Gotthardkirche  über.  Von  1622  bis  zu  seinem 
1648  erfolgten  Tode1)  ist  Peter  Weitzke  d.  J.  als  Schöppe 
thätig  (78  108),  nachdem  er  1622  Bürgermeister  geworden 
war.2)  Er  studirte  1599  in  Wittenberg;  unmittelbar  nach 
seiner  Anstellung  (1612)  heirathete  er  die  Tochter  des  neu- 
städtischen Schöppep  und  Bürgermeister  Joachim  Buchholz.3) 
Bei  ihm  ist  zuerst  nachweisbar,  dass  er  sich  von  einem  an- 
deren altstädtischen  Beamten,4)  der  später  sein  Nachfolger 
als  Schöppenschreiber  wurde,  im  Schöppenschreiberdienst 
unterstützen  Hess:  16 18  entwirft  statt  Weitzkes  Christian 
Bardeleben  einmal  (65  551)  und  161 9  mehrfach  (66  67.  69. 
71-  75-  77-  8°-  83  etc.)  einen  Spruch;  daneben  schreibt 
Weitzke  selbst  eine  Spruchausfertigung  (67  259).  Barde- 
leben machte  also  eine  Art  Vorbereitungsdienst  durch,  ehe 
er  (1620)  in  das  Schöppenschreiberamt  definitiv  eintrat.  Aus 
Weitzkes  Familie  stammt  der  Rektor,  spätere  Rathsverwandte 
zu  Gransee  Caspar  Weitzke  (1598:  42431)  und  der  „churf. 
Brandenb.  und  des  Raths  verordnete  Stadtrichter-  in  Span- 
dau Bartholomäus  Weitzke  (1621:  69  425).  Unseres  Peter 
Weitzke  gleichnamiger  Sohn  ist  der  in  Seidels  Bildersamm- 
lung genannte  Brandenburger  geheimer  und  Kammergerichts- 
rath,  Seidels  Schwiegersohn5),  der  1634  zu  Frankfurt  studirte, 
den  Grad  eines  lic.  j.  u.  erwarb,  1638  ein  collegium  instit. 
imper.  publ.  aliquot  dispp.  absolutum  herausgab  und  1641 
von  der  Universität  Frankfurt  zum  ordentlichen  Professor 
vorgeschlagen  wurde.6) 

Christian  Bardeleben,  aus  der  oben  (S.  100)  genannten 
alten  Ritterfamilie  hervorgegangen,  wurde  von  1620  bis  1622 
als  altstädter  Schöppenschreiber  und  Syndikus  thätig.    Unter 

1)  Unter  Gratulationsgedichten  des  Jahres  1649  auf  seines  Sohnes 
Hochzeit  (ßresl.  Univ.-Bibl.)  befindet  sich  ein  an  den  Vater  «paulo  ante 
obitum"  gerichtetes  Gedicht  des  Geh.R.  Thomas  v.  d.  Knesebeck. 

2)  StA.  R.  21  N.  9€. 

*)  Gratulationsgedicht,  Wittenberge  1612,  S.  P.  7  des  Archivs  der 
Brandenburger  Paulikirche,  Doc.  A.  II.  84  RA. 

4)  1615  Chr.  v.  Brandenburg  in  Cod.  34  fol.  419  RA. 

*)  Gratulationsgedicht  von  1649  in  der  Bresl.  Univ.-Bibl. 

•)  Vergl.  Stölzel,  Brand. -Preussens  Rechtsverwaltung  1,  37a  384. 
Meinardus,  Protocolle  und  Relationen  des  Brandenb.  Geh.  Rathes  1,  212. 


§  4*    Altstädtische  Schöppenschreiber.  Hl 

den  in  veröffentlichten  Universitätsmatrikeln  Eingeschriebenen 
findet  er  sich  zwar  nicht,  aber  schon  seine  Stellung  als  Syn- 
dikus ergiebt  seine  rechtsgelehrte  Bildung.  Mit  ihm  gleich- 
zeitig wird  „ Melchior  Bardeleben",  Erbsess  zu  Silberlang, 
und  dessen  Vetter  „Fritz  von  Bardeleben"  genannt;  letzterer 
vererbt  auf  ersteren  einen  zweiten  Rittersitz,  „das  Churland 
vor  Rathenow44  (70  228).  Um  1700  ist  ein  Bardeleben  Be- 
sitzer des  adligen  Ritterhofes  vor  Ziesar  bei  Brandenburg 
(78  436  ff.  80  79ff.);  1739  verhandeln  Gebrüder  von  Barde- 
leben über  die  Theilung  des  Gutes  Selchow  unter  die  Lehns- 
und Allodialerben  (90  235  ff.). 

Im  Jahre  1622  wurde  Christian  Bardeleben  altstädtischer 
Schöppe,  von  1627  bis  1630  amtirte  er  daneben  als  alt- 
städtischer Richter,1)  bis  er  im  November  1630  starb.  Seine 
Gattin  war  Magdalena  v.  Steinbeck  (78  436).  Ein  Hans  von 
Bardeleben  findet  sich  1635  in  der  Altstadt  Brandenburg.2) 

Caspar  Düring,  vom  Altstädter  Rath  1622  als  „wohlge- 
lehrt und  unseres  Mittels  Verwandter44  bezeichnet,3)  folgte  1623 
auf  Christian  Bardeleben  im  Amte  des  Schöppenschreibers  der 
Altstadt. 4)  Ob  er  aus  Brandenburg  stammte  und  mit  seinem 
Vorgänger  Michael  Düring  verwandt  war,  ist  nicht  bekannt. 

l)  R.  21  N.  9  c,  io»  StA. 

*)  Cod.  A  3  AA.  f.  205.    Ausführliche  Nachrichten    über   die  v.  B.  in 
genealogia  Koenigiana  (Handschr.- Samml.  der  Kgl.  Bibl.  zu  Berlin). 
•)  Doc.  II.  A.  293  RA. 

4)  Schrift  und  Name  ergiebt  sich  aus  dem  in  der  Brandenburger 
Schöppenstuhlsbibliothek  aufbewahrten  Altstädter  Gerichtsbuch.  Hier  hat 
er  1635  als  Richter  beim  Antritt  des  Amtes  Folgendes  eingetragen: 

Eu<p7);xta. 
Sim,  faxit  Dominus,  judex  felizque  piusque 
Et  possim  quosvis  jure  juvare  pios, 
Hoc  faciens  faciet  summique  rector  Olympi 
Quod  cupio,  atque  animae  prodente  aeque  meae: 
Hoc  voveo  votum,  jubeat  Deus  esse  ratumque, 
Atque  mihi  faustum,  fazit  id  ipse  deus. 

Anno  1635 

Casparus  Duringk 
p.t.  judex. 
Diese  wohl  von  Düring  selbst  herrührenden  Verse  ergeben,  dass  er 
humanistisch  gebildet  war. 


112  2-  Buch.    Personal,     i.  Abschnitt.    Schöppenschreiber. 

Dessen  Sohn  war  er  jedenfalls  nicht. l)  Ausser  Michael  Düring 
studirten  um  jene  Zeit  mehrere  andere  gleichen  Familiennamens 
aus  Brandenburg,  so  Johannes  D.  1596  und  Joachimus  D.  1599 
in  Wittenberg  und  1626  Joachimus  D.  in  Frankfurt.  Ein  Cas- 
parus  Düring  aus  Posen  (Posnaniensis  Polonus)  studirte  1619  in 
Frankfurt;  er  könnte  mit  unserem  Schöppenschreiber  identisch 
sein.  Ueber  ihn  ist  sonst  weiter  nichts  bekannt,  als  dass  er 
bis  1631  im  Schöppenstuhl  als  Schreiber  wirkte,  dass  seine 
Schrift  im  Altstädtischen  Rathsbuch  über  Hauskäufe  und 
Erbgelder  in  den  Jahren  1622,  1625,  1634,  1635  und  1637 
vorübergehend  erscheint2),  und  dass  er  1638  als  Stadtrichter 
daselbst  vom  Rathe  das  ruinirte  Haus  eines  Seifensieders  für 
20  Thaler  kaufte.  Er  war  als  Nachfolger  Bardelebens,  der 
jedenfalls  1627  bereits  im  Rathe  sass  und  Richter  war,  ver- 
muthlich  zuerst  Stadtschreiber  und  sodann  Syndicus;  seit 
1632  ist  er  aus  den  Schöppenstuhlsakten  verschwunden 
kommt  aber  in  anderen  Akten  noch  1633  als  Notar3)  vor. 
Als  Schöppenschreiber  erscheint  an  Dürings  Statt  bald 
danach  der  Neustädter  Schreiber  Moritz.  In  den  Jahren 
I635,  1636  und  1637  konzipirt  er  für  beide  Städte,  soweit 
nicht  die  Schoppen  selbst  thätig  sind.  Er  registrirt  auch 
in  den  Schöppenstuhlsacten  auf  der  Rückseite  der  Rechts- 
fragen die  Sachrubrik,  eine  Thätigkeit,  die  sonst  durchweg 
vom  Altstädter  Schreiber  ausgeht.  Ebenso  bezeugt  er  häufig, 
dass  der  Spruch  abgegangen  sei.4).  Der  Zustand  der  Akten 
dieser  Zeit  macht  demnach  den  Eindruck,  als  seien  seit 
[631  unter  des  neustädter  Schöppenschreibers  Aufsicht  die 
Akten  beider  Städte  auf  dem  Schöppenhause  verwahrt  wor- 
den; anscheinend  war  die  Stelle  des  altstädter  Schöppen- 
schreibers  unbesetzt.     Die  Wirren    des  Krieges   waren    um 

l)  Michael  During  hatte  1618  nur  einen  Sohn  mit  Namen  Johann 
(Leichenpredigt  der  Catharina  Zieritz,  Ehefrau  des  Michael  Düring,  1618, 
Archiv  der  St.  Paulikirche  zu  Brandenburg  S.P.  7). 

s)  AA.  Cod.  A.  2  fol.   14.  17.  23.   190.  220. 

8)  Amtsgerichtsakten  VII  A.  26.  Ob  der  im  Jahre  1664  als  Notarius 
publicus  und  Secretarius  des  Domkapitels  zu  Brandenburg  genannte  Cas- 
parus  DQringius  (Akten  M.  1  f.  55  RA.)  mit  ihm  identisch  ist,  muss  dahin- 
gestellt bleiben. 

•)  Z.B.  74  218;  75  433;  76  233. 


$  4'    Altstädtische  Schöppenschreiber.  J 13 

diese  Zeit  besonders  gross.  Schon  1627  schreibt  ausweislich 
des  Altstädter  Gerichtsbuchs  der  Richter  Christian  v.  Barde- 
leben, jeder  habe  bei  der  grossen  Unruhe  mit  der  hoch- 
schädlichen Einquartirung  und  den  schweren  Kontributionen 
so  viel  zu  schaffen,  dass  die  Einnahmen  bei  Gericht  gar 
schlecht  gewesen  seien;  im  Ganzen  sind  dort  1627  nur  19  gr. 
eingegangen,  während  1614  17  fl.  7  g.  vereinnahmt  waren.  Bis 
1630  blieb  Bardeleben  Richter,  hatte  aber  nach  1627  über- 
haupt keine  Einnahmen  zu  verzeichnen;  1631  und  1632  notirt 
der  Richter  wenige  Einnahmen;  aber  1633  unc*  x^34  finden 
sich  wieder  keine  Eintragungen,  ebenso  innerhalb  des  langen 
Zeitraums  von  1636  bis  1647,  so  dass  der  damalige  Stillstand 
der  Justiz  in  Brandenburg  ein  ebensolcher  wie  anderwärts 
gewesen  war.  Auch  am  Schöppenstuhl  wird  der  Krieg  nicht 
spurlos  vorübergegangen  sein.  Es  bereitete  sich  anscheinend 
die  Periode  vor,  in  der,  wie  sich  zeigen  wird,  nur  ein 
Schöppenschreiber  existirte. l) 

Von  1638  bis  1641  ist  Johannes  Ortelius  altstädter 
Schöppenschreiber.  Er  war  zugleich  altstädtischer  Syndikus 
und  Notar,2)  im  Jahre  1641  altstädtischer  Bürgermeister.  Der 
Berliner  Hausvoigt,  der  sich  in  einer  Schöppensache  an  ihn 
wendet,  nennt  ihn  dabei  wohlgelahrt  (77  128).  Das  Jahr  1642 
weist  nur  eine  (von  Zieritz  und  Weitzke  bearbeitete)  Sache 
auf.     Ortelius  hat,    wie  schon   die  Form  seines  Namens  er- 


1)  Moritz  bezeichnet  sich  einmal  (74  312)  als  protonotarius.  Vielleicht 
wollte  er  dadurch  andeuten«  dass  ihm  nur  Unterschreiber  zur  Seite  standen. 
Indessen  durfte  er  den  Ausdruck  vom  Kammergericht  entlehnt  haben, 
und  dieses  hatte  bekanntlich  damals  selbst  zwei  Protonotare.  Uebrigens 
heben  sich  Theile  der  Akten  des  Jahres  1633  (75  !49 — 25%)  nicht  nur  durch 
auffallend  stark  beschädigtes  Papier,  sondern  auch  dadurch  ab,  dass  die 
Spruchkonzepte  fast  durchweg  eine  sonst  nicht  bekannte  Hand  aufweisen, 
von  der  auch  Registratur  vermerke  herrühren.  Hier  scheinen  noch  spe- 
ciell  altstädter  Akten  vorzuliegen.  Ist  dies  richtig,  so  dürfte  damals  der 
aus  Kulmbach  gebürtige  und  1634  (75  417)  als  Syndicus  der  Altstadt 
erwähnte  Friedrich  Blechschmidt,  der  früher  Bürgermeister  und  Syndicus  zu 
Berlin  war  und  1635  den  Eid  als  Kammergerichtsadvokat  leistete  (Meinar- 
dus,  Protocolle  und  Relationen  des  Brdb.  Geh.  Raths  I,  645),  das  Amt  des 
altstädtischen  Schöppenschr eibers  vorübergehend  bekleidet  haben  (vgl. 
ÜB.  2  674  Anm.  2  und  678  Anm.  4). 

2)  Cod.  A.  2  fol.  78  AA. 

Stölzel,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  8 


114  2'  Buch.    Personal,    i.  Abschnitt.    Schöppenschreiber. 

kennen  lässt,  studirt;  1612  wurde  in  Frankfurt  Joannes  Orte- 
lius  Styrius  immatrikulirt.  Erst  26  Jahre  später  taucht  sein 
Namensvetter  in  Brandenburg  auf.  Die  Identität  dürfte  un- 
wahrscheinlich sein,  ist  aber  nicht  ausgeschlossen. 

An  Ortelius'  Stelle  übernahm  1643  Ludovicus  Saxonius 
(oder  Saxo),  nachdem  er  von  1634  an  Amtsschreiber  in 
Ziesar  (als  Nachfolger  des  zum  Hausvoigt  in  Berlin  beför- 
derten Georg  Reichnow)  gewesen,  das  Amt  des  Schöppen- 
schreibers  der  Altstadt;  1646  wird  er  als  altstädtischer  Syn- 
dikus erwähnt.1)  Es  ist  anzunehmen,  dass  er  1643  auch  in 
dieses  Amt  an  Ortelius'  Stelle  eingerückt  war.  Seit  1648 
votirte  er  als  Schöppe  (78  35).  Woher  er  stammt,  ist  un- 
sicher; ein  Mag.  Carolus  Sachse  ist  16 16  Prediger  in  Berlin,*2) 
Johannes  Saxo  aus  Krossen  studirt  1624  in  Frankfurt.  Die 
aus  dem  Jahre  1649  vorhandenen  Sprüche  sind  durchweg  von 
dem  neustädter  Schoppen  Schwarz  konzipirt;  Akten  von 
1650  fehlen;  1651  beginnen  Caspar  Junius'  Konzepte;  1650 
bis  1664  kommt  Saxo  als  altstädtischer  Bürgermeister  vor.3) 

Mit  Saxo  hört  die  Reihe  der  alt  städtischen  Schöppen- 
schreiber auf:  es  gab  seit  dem  westfälischen  Frieden,  vielleicht 
schon  seit  einigen  Jahren  vorher  nicht  mehr  zwei  Schöppen- 
schreiber des  Schöppenstuhls,  sondern  eine  Zeit  lang  nur 
einen;  von  1648  an  aber  fehlte  auch  dieser;  es  versahen  die 
jüngsten  Schoppen  beider  Städte  das  Amt  des  Schöppen- 
schreibers, 4)  bis  man  dazu  überging,  statt  eines  altstädter 
oder  neustädter  Schöppenschreibers  den  einheitlichen  „secre- 
tarius  scabinatus"  zu  schaffen.5) 

1)  R.  21   nr.  9h  Brdb.  Altstadt.     StA. 

2)  Leichenpr.  auf  der  Kgl.  Bibl.  zu  Berlin. 

3)  Akten  K.  9  RA.  Stadtrechnung  Cod.  A.  35  RA.  Auch  Schöppen- 
stuhlsakten  79  294. 

4)  Saxo  fertigt  1652  (78  307)  eine  Spruchreinschrift  an.  Die  vier 
Sachen  aus  dem  Jahre  1662  hat  der  neustädter  Schöppe  Schwarz  in  den 
Konzepten  bearbeitet.  Auch  der  altstädter  Schöppe  Junius  fertigt  nach 
1650  Spruchentwurfe  auf  Grund  der  schriftlichen  Vota  der  Kollegen  an. 

*)  Der  Erwähnung  bedarf  noch,  dass  die  Schöppenstuhlsakten  mehr- 
fache Spuren  von  Gehülfen  oder  Substituten  der  Schöppenschreiber  auf- 
weisen: 1566  (10  207  ff.  286.  378),  1567  (11  8.  55),  1568  (11  467)  entwirft  ein 
Peter  Zimmermann  statt  des  Schöppenschreibers  Sprüche;  seine  Schrift 
kommt  noch   mehr  vor,  auch   in    Spruchausfertigungen   (1585:  25  575.  590; 


§  5»    Neustädtische  Schöppenschrelber.  H5 

§5. 
Neustädtische  Schöppenschreiber. 

Laut  des  neustädtischen  Schöppenbuchs  von  1 297  ff.  be- 
zeugen 1330  Schultheis  und  Schoppen,  dass  ihrem  „rector 
scolarium  et  scriptor"  ein  Zins  überwiesen  sei;  1386  und 
1407 l)  ist  dominus  Johann  Golwicz,2)  also  ein  Geistlicher, 
neustädtischer  Stadtschreiber,  1455  ist  es  Er3)  Johann 
Gruningk.  Der  rector  scholarium  fungirt  in  der  Neustadt 
Brandenburg  zugleich  als  capellanus  oder  altarista  der 
Katharinenkirche;  sein  Gehalt  kann  er  darum  durch  Ueber- 
tragung  von  Altarlehen  empfangen,  deren  Patron  der  Rath 
der  Stadt  ist.4)  In  der  Person  des  Geistlichen  vereinigt  sich 
demnach  auch  in  der  Neustadt  Brandenburg  das  Amt  des 
Schulmeisters  und  des  Stadtschreibers  während  des  vierzehn- 
ten und  fünfzehnten  Jahrhunderts.  Eine  im  neustädtischen 
Schöppenbuche  von  1492  ff.5)  eingetragene  Vergleichsurkunde 
von  i486  nennt  Petrus  Teidener  als  Stadtschreiber;  der- 
selbe Petrus  Teidener  unterzeichnet  1505  ein  Schreiben  nach 
Zerbst  als  „Richter  zu  Brandenburg";6)  dies  ist  unverkenn- 
bar die  nämliche  Persönlichkeit,  die  Riedel  (1,  9  255)  in  dem 
Abdrucke  einer  markgräflichen  Entscheidung  über  einen 
Streit  des  Rathes  und  der  Bürger  der  Neustadt  Brandenburg 
von  1502    unter    den    markgräflichen  Räthen7)   als  „unseren 

26  427;  1586:  27  129.  61  u.  a.  O.);  ähnlich  ist  1632  ein  Georg  Wiggert 
thätig  (74  4).  In  Stadtrechnungen  wird  von  einem  Substituten  des  Stadt- 
schreibers gesprochen. 

')  Jahresber.  des  hist.  Vereins  zu  Brandenburg  I  bis  III  S.  57. 

a)  Nicolaus  Golwiz  sitzt  1376  im  Neustädter  Käthe ;  s.  Sello,  Branden- 
burger Stadtrechtsquellen  S.  60  nach  dem  neustädter  Schöppenbuch  von 
1 297  ff.  fol.  3. 

*)  Siehe  Stölzel,  Brd.-Pr.  Rechtsverwaltung  1,  7. 

4)  Sello  a.  a.  O.  S.  15.  Rasmus,  Gesch.  des  alt-  u.  neust.  Gymn.  zu 
Brandenburg,  I.  Das  neust.  Lyceum  (Programm beilage  68.   1897)  S.  10. 

4)  Siehe  oben  Seite  33. 

8)  Zerbster  Stadtarchiv.  Die  Neustadt  hatte  damals  zwei  Richter, 
einen  markgräflichen,  der  das  Niedergericht  inne  hatte,  bis  es  1565  an  die 
Stadt  Oberging,  und  einen  vom  Rathe  bestellten  obersten  Richter.  Letzterer 
war  Teidener;  mit  dem  Niedergericht  war  die  Familie  Rauch  beliehen. 

7)  Nach  Priebatsch  in  den  Forschungen  zur  Brandenburger  Gesch. 
12,  2  S.  20  verwandte  der  Markgraf  mehrfach  Teidener  in  Geschäften. 

8* 


11(>  2.  Buch.    Personal,     i.  Abschnitt.    Schöppenschreiber. 

obersten  Richter  Peter  Tydeken"  bezeichnet.1)  Der  Stadt- 
schreiber Teidener  war  also  zwischen  i486  und  1502  Richter 
der  Neustadt  geworden,  ein  Vorgang,  der  später  mehrfache 
Nachahmung  fand,  indem  die  Stadt  der  nämlichen  Persönlich- 
keit erst  das  Stadtschreiber-  und  Schöppenschreiberamt,  nach- 
her aber  das  Richteramt  übertrug.  Teidener  versah  des- 
halb 1502  und  T505  das  Stadtschreiberamt  nicht  mehr  und 
das  Richteramt  allein.  Das  Schreiben  von  1505,  das  einen 
Erbstreit  mit  Teideners  Schwiegersohn  gelegentlich  dessen 
zweiter  Verheirathung  betrifft,  dient  zur  Bestätigung;  es  er- 
wähnt „den  frommen  Priester,  den  Stadtschreiber  in  der 
Neustadt,  der  den  (Eheberedungs-)  Rezess  gemacht  hat",  als 
Zeugen.  Demnach  konnte  1505  Teidener  nicht  selbst  mehr 
Stadtschreiber  sein;  er  muss  nach  i486  und  vor  1502  einen 
Nachfolger  erhalten  haben.  Dass  er  diesen  Nachfolger  als 
einen  frommen  Priester  bezeichnet,  spricht  dafür,  dass  Teidener 
selbst  nicht  Priester  war;  ebenso  spricht  dafür  seine  Er- 
nennung zum  obersten  Richter.  So  erhellt,  dass  keineswegs 
ständig  die  Stadtschreiber  damals  aus  den  Geistlichen  ge- 
wählt wurden.  Petrus  Teidener  besass  1488  ein  dem  Rathe 
für  12  Schock  verpfändetes  Haus  in  der  Neustadt.2)  Ob  er 
mit  einem  der  1467  genannten  neustädter  Bäcker  Benedictus 
Ty den  oder  Hans  Tydeke 3)  zusammenhängt,  muss  dahinge- 
stellt bleiben.  In  den  durchgesehenen  Universitätsmatrikeln 
kommt  Peter  Teidener  ebensowenig  vor,  wie  der  neben  ihm 
(1505)  genannte  niedere  Richter  der  Neustadt  Brandenburg 
Andreas  Rock.4)  „Er  Pawel  Brandenburg"  wird  1493  als  Be- 
sitzer eines  „zu  seinem  Altar  in  der  Schopencapelle"  gehörigen 
Kapitals  von  25  fl.  genannt5)  und  „Er  Thomas  Schulte1*  1494 
als   Gläubiger    eines    nzur    andern   Portion    des   Altars    der 

*)  Der  nämliche  Abdruck  macht  aus  dem  bekannten  Rathe  des  Kurf. 
Sebastian  Stublinger  (dem  späteren  Kanzler;  Stölzel,  Rechtsverw.  1,  120  ff.) 
fehlerhaft  den  Rath  Sebastian  Stubemeyer. 

2)  Neust.  Schöppenbuch  1492  ff.  fol.  5. 

*)  Riedel  1,  9,  198. 

*)  Riedel   1,9,255. 

*)  Neust.  Schöppenbuch  von  1492  ff.  fol.  8.  Daselbst  fol.  20  erhellt, 
dass  die  Schuhmacher  von  den  Schoppen  6  Schock  wiederkäuflich  hatten 
und  jährlich  davon  1  Pfund  als  Rente  gaben. 


§  5«    Neustädtische  Schöppenschreiber.  \n 

Elenden  in  der  Schepencapelle"  gehörigen  Kapitals  von  6 
Schock  Groschen,  welches  Kapital  1522  zu  „Em  Gregorii 
Altar,  des  alten  Stadtschrivers,  gehört**;  demnach  mag  einer 
dieser  Altaristen  der  von  Teidener  zum  Zeugen  angerufene 
fromme  Priester  und  Stadtschreiber  der  Neustadt  gewesen  sein. 
Zugleich  ist  hieraus  ersichtlich,  dass  es  bereits  in  vorrefor- 
matorischer  Zeit  zwei  Stadtschreiber  der  Neustadt  gab.  Jeder 
dieser  Stadtschreiber  bezog  die  Einkünfte  eines  der  beiden 
Altäre  der  Schöppenkapelle,1)  scheint  also  Altarist  gewesen 
zu  sein.  In  der  Neustadt  hiess  der  eine  Altar  der  Schöppen- 
kapelle Altar  der  Elenden,  der  andere  hiess  ursprünglich 
Altar  der  drei  Könige,  später  zu  Ehren  Papst  Gregors  XII. 
Gregoriusaltar;2)  letzterer  war  der  Altar  des  „alten  Stadt- 
schreibers*4, mithin  stand  der  andere  --  wahrscheinlich  weniger 
reich  dotirte  —  Altar  dem  „jungen  Stadtschreiber14  zu.  Das 
lässt  auf  einen  ersten,  besser  besoldeten  und  auf  einen 
zweiten,  weniger  gut  besoldeten  Stadtschreiber  schliessen.  Zu 
den  Emolumenten  des  ersten  Stadtschreibers  gehörten  die 
Gebühren  der  Schöppenschreiberei,  d.  h.  die  Gebühren,  die 
für  die  Schreibarbeit  beim  Schöppenstuhl,  aber  auch  die 
Gebühren,  die  für  die  Schreibarbeit  beim  Stadtgericht  er- 
wuchsen. Das  Schöppenschreiberamt  war  eine  einträgliche 
und  zugleich  ehrenvolle  Zugabe  zum  Amte  des  Stadtschreibers; 
deshalb  fiel  es  dem  ersten  und  ältesten  Stadtschreiber  zu. 
Das  schloss  nicht  aus,  dass  in  Verhinderungsfällen  der  zweite 
Stadtschreiber  für  den  ersten  als  Schöppenschreiber  eintrat.3) 

>)  Im  Jahre  1550  errichtete  der  Rath  dem  verstorbenen  Söhnchen  des 
Kanzlers  Weinlob  in  der  Schöppenkapelle  ein  Epitaph.  Rasmus,  neust. 
Lyceum  (Programm  1897)  S.  12. 

2)  Statt  „Em  Gregorii  Altar"  kommt  1407  im  Stadtbuch  der  Neustadt 
von  1386  fr  „Beati  Gregorii  altare*  vor  (fol.  6).  Siehe  Mark.  Forschungen 
Bd.  18  S.  102.  Gregor  XII.  starb  1406,  deshalb  heisst  er  „beatus  Gr."  im 
Jahre  1407.  Sollte  die  Bezeichnung  „Ern  Gregorii"  nur  für  einen  noch 
lebenden  Papst  üblich  sein,  so  erklärt  sich  diese  Bezeichnung  im  vorhin 
erwähnten  Eintrag  von  1522  wohl  dadurch,  dass  die  Verschreibung,  auf 
die  jener  Eintrag  unter  Wiederholung  ihrer  Worte  Bezug  nimmt,  aus  der 
Zeit  vor  1406  datirt.  Im  Stadtbuch  der  Neustadt  wird  1434  altare  scabi- 
norum,  ferner  wird  darin  die  Schöppenkapelle  erwähnt  (Mark.  Forsch. 
Bd.  18  S.  86);  die  letztere  desgl.  1541  bei  Riedel  1,  6,  286. 

*)  Darauf  deutet    161 3    eine  Notiz    des  Schöppenschreibers  Weitzke 


Hg  2.  Buch.    Personal,    i.  Abschnitt.    Schöppenschreiber. 

Einige  Zeit  nach  dem  „frommen  Priester41  des  Jahres 
1505  (und  zwar  für  die  Jahre  1518  bis  1522)  ist  Nicolaus 
Plawe  neustädtischer  Schöppenschreiber,1)  der  151 7  und 
1521  zugleich  als  Neustädtischer  Stadtschreiber  vorkommt.2) 
Das  Neustädter  Schöppenbuch  ergiebt,  dass  er  1522  sein 
Schöppenschreiberamt  aufgab,  seine  Hand  erscheint  aber 
1524  bis  1536  (1  56.  268.  325.  342.  582.  627;  2  189)  in  den 
Schöppenstuhlsakten  und  1526,  1528,  1538  im  altstädter  Raths- 
buche,3)  er  mag  also  in  den  Rath  der  Altstadt  und  unter  die 
altstädter  Schoppen  übergetreten  sein.  Seine  Familie  wird 
aus  Rathenow  stammen;  wenigstens  nennt  1548  und  1581 
die  Frankfurter  Matrikel  zwei  dorther  stammende  Studiosen 
des  Namens  Plaue.4) 

Für  die  Jahre  1529  bis  1539  war  vermuthlich  Bartholo- 
meus  Pletz  aus  Bernau  neustädtischer  Schöppenschreiber;5) 
er  ist  1506  in  Frankfurt  immatrikulirt  und  fungirte  1526  als 
„Caminensis  dioeceseos  presbiter,  publicus  sacra  apostolica 
autoritate  notarius44  in  Prenzlau  (ÜB.  1  64),  gehörte  also  zu 
den  dort  thätig  gewesenen  Notaren,  von  denen  berichtet  wird, 
dass  sie  (1526)  Priester  seien  und  früher  Stadtschreiber 
waren,  der  eine  „auch  etliche  Jahre  Schulmeister  und  lange 
Jahre  ein  predicator".6) 


(6a  589)  hin:  „A  J.  G.  in  mundum  relatum".  Das  bedeutet,  der  Spruch, 
unter  dem  diese  Notiz  sich  befindet,  sei  von  Johann  Garlipp  (dem  damaligen 
zweiten  neustädt.  Stadtschreiber)  und  nicht  vom  neustädt.  Schöppenschreiber 
mundirt. 

1)  Cod.  N.  3  RA. 

2)  Zerbster  Archiv  II.  246.  270. 

3)  Cod.  A.  1  AA.  fol.   194.   199.  201.  231.  330. 

*)  Im  Jahre  1553  legt  ein  Nie.  PI.  wegen  des  Raths  zu  Rathenow  dem 
altst.  brdb.  Rathe  eine  Summe  ab.     RA.  Doc.  II  A  14. 

*)  RA.  N.  3;  AA.  Cod.  N.  1.    Schöppenstuhlsakten  1  255.  256.  260. 

6)  l  255.  256.  260  vergl.  mit  N.  3  RA.,  Cod.  N.  1.  AA.  Von  Pletz 
rührt  ein  auf  RA.  Doc.  I  A.  98  aufgeklebtes  Blatt  folgenden  Wortlauts  her: 

Anno  etc.  txxi0  donnerstags  nach  quasimodogeniti  haben  sich  die 
herren  scheppen  dieser  Neuenstadt  Brandenburg  irer  maltzeiten,  so 
sie  drey  mahl  zusammen  alle  jerlich  thun,  einmuttiglichen  vereiniget  und 
vertragen,  also  das  sie  stets  hinfur  und  nach  dato  dieser  Vereinigung,  nera- 
lich  ufm  donnerstag  nach  quasimodogeniti,  ufn  donnerstag  nach  der  gemein 
wochen  und  ufn  donnerstags  nach  der  oetaven  trium  regum  ire  maltzeiten 


§  5»    Neustädtische  Schöppenschreiber.  ]  1 9 

Die  Neustadt  Brandenburg  hatte  also  gleich  der  Altstadt  bis 
zur  Reformation  vorzugsweise  Kleriker  als  Schöppenschreiber 
und  darunter  bereits  in  den  ersten  Dezennien  des  sechzehnten 
Jahrhunderts  solche,  die  akademisch  gebildet  waren. 

Pletz'  Nachfolger,  dessen  Hand  von  1540  bis  1548  in  den 
Raths-  und  Gerichtsbüchern  erscheint,1)  wird  1548  in  einem 
auf  dem  neustädter  Rathhause  vor  zwei  Bürgermeistern,  dem 
Mühlenherrn,  zwei  Bauherrn  und  den  zwei  Stadtschreibern 
Johann  Schleswig  und  Martin  Baitz  geschlossenen  Vertrage 
genannt.2)  Johann  Schleswig  war  hiernach  der  erste  Stadt- 
schreiber, mithin  zugleich  der  Schöppenschreiber.  Er  stammte 
aus  Halle  und  studirte  seit  1522  in  Wittenberg,  war  also. 
wie  anzunehmen  ist,  zum  Lutherthum  übergetreten.3) 

Zu  der  nämlichen  Zeit,  als  Roter  das  Schöppenschreiber- 
arat  und  dann  das  Schoppen-  wie  das  Bürgermeisteramt  der 
Altstadt  zu  besonderem  Ansehen  brachte,  fiel  in  der  Neu- 
stadt eine  gleiche  Aufgabe  Simon  Carpzow  zu,  dem  Stamm- 
vater des  berühmten  Juristen-  und  Theologengeschlechts,  das 
in  Sachsen  sich  seinThätigkeitsfeld  schuf  und  im  Enkel  unseres 
Simon  Carpzow,  Benedict  Carpzow  dem  jüngeren,  seinen  be- 
kanntesten Vertreter  fand.4) 

thun  und  halten  wollen.  Were  auch  der  richter  aus  Ursachen  ver- 
hindert oder  sonst  das  gericht  nicht  halten  konde,  szol  gleiche 
woll  uf  obbestimpte  donnerstage  die  ausrichtunge  der  maltzeiten, 
wehm  das  in  der  Ordnung  zustehet,  mit  vier  gerichten,  wie  von  alther  mit 
kefse  und  butter  zu  beschleifsen,  bestellet  und  befordert  werden.  Darzu 
sollen  der  scheppenschreiber  und  der  scheppendiener  sampt  iren  haus- 
frauen  neben  dem  uberkoster  allein  gefordert  und  gebeten  werden  etc. 
Actum  et  supra. 

!)  Cod.  N.  1  AA.  fol.  12.  13.  17.  18.  20.  24.  25.  28.  29. 

2)  Die  Urkunde  (Cod.  N.  1  AA.  fol.  27)  sagt:  vor  „Johan  Schleswig 
und  Martin  Baitz  Stadschreibere".  Damit  sind  die  beiden  neustädt.  Stadt- 
schreiber gemeint.  Dass  es  damals  in  der  Neustadt  zwei  St.  gab,  beweisen 
die  von  zwei  verschiedenen  Händen  herrührenden  Schreiben  der  Neustadt  nach 
Zerbst  (s.  Zerbster  Stadtarchiv),  sowie  die  Eintragungen  in  den  Rathsbüchern. 

3)  Als  Verfasser  einer  Supplik  im  Namen  einiger  Rathsherrn  gegen 
den  evangelischen  Prediger  Erasmus  Alber  (I542)  wird  er  erwähnt  bei  Ge- 
bauer, die  Einführung  der  Reformation  in  Alt-  und  Neustadt  Brandenburg, 
Forschungen  zur  Br.Pr.  Gesch.  13,  2.  Hälfte  S.  130. 

4)  Siehe  die  von  Benedict  dem  älteren,  dem  Sohn  Simons,  mit  dem 
Jahre  1565  beginnende  Stammtafel  bei  Stintzing,  Gesch.  der  RW.  1  723. 


120  2-  Buch.    Personal,    i.  Abschnitt.    Schöppcnschreiber. 

Simon  Carpzow  war  ein  Brandenburger;  als  solcher  ist 
er  1541  in  Frankfurt  immatrikulirt.  Seine  Familie  mag  aus 
dem  Dorfe  Carpzow  bei  Potsdam  stammen.  In  einem 
Streite  um  das  Dorf  Schmölln  bei  Brandenburg  werden  die 
von  Carpzow  bereits  1390  erwähnt.1)  Riedels  Namensregister 
zum  codex  diplomaticus  verzeichnet  zahlreiche  Mitglieder 
einer  Familie  von  Carpzow  aus  der  Zeit  von  1272  bis  1434. 
Von  1546  an  findet  sich  Simon  Carpzows  Hand  in  den 
Brandenburger  Rathsprotokollen;  aus  den  Jahren  1553  und 
1557  sind  Belege  seiner  Thätigkeit  als  Notar  vorhanden;2) 
1 560  wirkt  er  mit  als  „von  wegen  des  Bischofs  von  Branden- 
burg Geschickter14  bei  einem  Erbstreit,  der  in  Ketzin  (einer 
dem  Bisthum  gehörigen3)  Stadt  bei  Potsdam)  spielt  (8  183). 
Stadt-  und  Schöppenschreiber  der  Neustadt  Brandenburg  ist 
er  von  15504)  bis  1559;  dann  wird  er  als  des  damals  ver- 
storbenen Schoppen  und  Bürgermeisters  Bester  Nachfolger 
Schöppe  und  1561  Bürgermeister;  in  dieser  Stellung  blieb  er 
bis  zu  seinem  1581  erfolgten  Tode  (22  374.  455).  Seit  1576 
war  er  Senior  der  neustadter  Schoppen.  Er  besass  von 
seinem  Vater  her  einen  Garten  mit  Scheune  vor  dem  Stein- 
thor und  einen  Weinberg  zu  Creutzewitz 5)  (dem j[  heutigen 
Klein-Kreuz  bei  Brandenburg).  Sein  Wohnhaus  mit  stattlichem 
Giebel  lag  in  der  Steinstrasse  und  steht,  in  hässlicher  Weise 
umgebaut,  heute  noch.  Die  Thüreinfassung  aus  Sandstein,  die 
schön  gemeisselt  sein  und  seiner  Frau  Wappen,  sowie  beider 
Namen  trägt  und  auf  beiden  Seiten  eine  Sitzbank  hat,  wurde 
beim  Umbau  von  ihrem  Platze  entfernt  und  in  die  Thür  der 
Gemeindeschule  am  altstädtischen  Stadtgarten  eingesetzt,  an 
der  Stelle,  wo  sich  in  alter  Zeit  der  Bischofshof  und  später 

*)  Kuhns,  Ger. Verf.  der  Mark  Brandenburg  1  210. 

2)  Simon  Carpzow,  offener  Notar,  und  der  Amtsschreiber  des  Amt- 
mannes von  Lehnin  vernehmen  in  Wachow  bei  Brandenburg  einen  vom 
Schulzen  des  Amtmannes  verhafteten  Dieb  (6  378). 

3)  Riedel  I,  7.  466  ff. 

4)  Ein  Fall  des  Jahres  155 1  (4  145  bis  148)  zeigt  Carpzow  im  Anfange 
seiner  Schöppenschreiberthätigkeit;  Carpzow  ist  damals  noch  so  ungeübt, 
dass  drei  Konzepte  von  ihm  in  derselben  Sache  vorliegen,  die  ersten  beiden 
durchkorrigirt  vom  Schoppen  Bester. 

*)  Stadtbuch  N.  1  fol.  36.  37.  50  AA. 


§  5'    Neustädtische  Schöppenschreiber.  121 

die  Saldrische  Schule  bis  zu  ihrer  Verlegung  in  das  Johannis- 
kloster  befand.  Wenn  sein  Enkel  den  traurigen  Ruf  eines  in 
Hexenprozessen  besonders  eifrigen  und  strengen  Richters  mit 
in's  Grab  nahm,  so  darf  ihm,  dem  Gross vater,  ein  ehrenvollerer 
Nachruhm  werden :  alsbald  im  Beginne  seines  Schöppenamtes 
(!559:  7  437)  ^am  e*ne  Zaubereisache  aus  Gransee  beim 
Schöppenstuhl  zur  Aburtheilung;  der  von  Roter,  dem  damali- 
gen altstädter  Schöppenschreiber,  nach  dem  Beschlüsse  der  alt- 
städter Schoppen  entworfene  Spruch  lautete  auf  den  Feuer- 
tod beider  Angeklagten;  Carpzow,  dem  die  Sache  zuging, 
votirte  für  Freisprechung  derjenigen  Angeklagten,  deren 
Verbrechen  darin  bestand,  dass  sie  als  Schankwirthin,  um 
Zulauf  zu  bekommen,  eine  unterm  Galgen  gefundene  Daubel 
des  Rades  in's  Bier  gehängt  hatte;  denn  —  so  schrieb  der 
hiernach  für  jene  Zeiten  sehr  aufgeklärte  „vir  excellentis 
doctrinae  et  judicii,  studiosorum  fautorul)  in  die  Akten  — 
„ist  eine  superstitio,  die  ad  forum  poenitentiae  gehört44. 
Carpzows  ältester  Sohn  Joachim  wird  (1581)  „ein  erfahrner 
Ackermann44  genannt  (22  455).  Der  Sohn  Benedikt,  der 
spätere  Frankfurter  und  Wittenberger  Romanist,  auch  Dresdner 
Appellationsrath  und  Kanzler  der  Kurfürstin  Wittwe  in  Kol- 
ditz  (1565  bis  1624),  stand  in  Brandenburg  unter  Vormund- 
schaft des  nächsten  Kollegen  seines  Vaters,  des  neustädtischen 
Stadtschreibers,  Schoppen  und  Richters  Joachim  Buchholz.2) 

Simon  Carpzow  gehört  mit  Simon  Roter  zu  den  thätigsten 
und  einflussreichsten  Persönlichkeiten  im  Schöppenstuhle. 

Carpzows  Nachfolger,  Johann  Mawe,  war  der  Sohn 
eines  Kaufmanns  in  Aschersleben.  Er  hat  in  Wittenberg  und 
auf  anderen  Universitäten  studirt.3)  Von  1559  bis  1566  neu- 
städtischer Stadt-  und  Schöppenschreiber,4)  fungirte  er  gleich- 
zeitig   (1560)    als    Notar.5)     Nachdem    er    1564  ein  Haus  in 

*)  Gottschling,  Beschr.  der  Stadt  Brandenburg1  S.  72. 

2)  Doc.  N.  2.  159  RA. 

•)  Leichenpr.  der  Witwe  Zabel  A.  2  Nr.  113  in  der  Bibliothek  der 
Brdb.  Gotthardkirche.  Joa.  Mawe  de  Prenzlo  (vielleicht  der  Vater)  ist  15 19 
in  Frankfurt  immatrikulirt. 

4)  Rathsbuch  Nr.  1.  2  AA. 

°)  Er  nimmt  (8  90)  als  solcher  das  Protokoll  in  einer  vor  den  neu- 
städtischen BM.  Lewe  und  Vilitz  stattfindenden  Diebstahlsuntersuchung;  auf. 


]'22  2.  Buch.    Personal,    i.  Abschnitt.    Schöppenschreiber. 

Brandenburg  gekauft  hatte,1)  finden  wir  ihn  1566  als  Schop- 
pen, 1568  als  Ratsherrn2)  und  1571  als  Bürgermeister.  Er 
starb  im  Februar  1572.  Der  Schöppe  Michael  Nickel  war 
sein  Schwiegersohn. 

Sein  Nachfolger  als  Schöppenschreiber  war  (1566  bis  1575) 
Joachim  Heinatz.  Dieser  scheint  aus  Ky ritz  zu  stammen;  er 
wurde  1557  in  Frankfurt  immatrikulirt;3)  ein  auf  seine  Ver- 
heirathung  mit  der  Tochter  des  Bürgermeister  Scholle  1568  in 
Wittenberg  gedrucktes  Gedicht  bezeugt,  dass  er  „duce  Gode- 
schalce  sacros  liquores  geschöpft  hatu.  Dasselbe  Gedicht 
nennt  ihn  „Syndikus",  obwohl  er  in  seiner  Bestallungsur- 
kunde „Stadtschreiber"  heisst.  Im  Jahre  1570  nahm  er  des 
Bürgermeisters  und  Schoppen  Mawe  Schwester  zur  zweiten 
Frau.  Neben  dem  Schöppenschreiberamt  versah  er  (1577)  das 
Notariat,  das  neustädtische  Syndikat  und  das  neustädtische 
Richteramt.  Diese  Aemter  nahmen  ihn  so  in  Anspruch,  dass 
er  sich  als  Notar  einen  eigenen  Schreiber  hielt,  der  mit  des 
Prinzipals  Unterschrift  und  dessen  Notariatssiegel  in  einem 
Instrument  bezeugt,  was  dem  Notar  vor  Zeugen  erklärt  wor- 
den ist  (15  27).  Er  starb  1577.4)  Als  im  Jahre  1573  Haupt- 
mann, Richter  und  Schoppen  zu  Spandau  eine  Rechtsbeleh- 
rung in  Brandenburg  in  einer  Prozesssache  erbitten,  stellen 
sie  den  Antrag, 5)  Heinatz,  den  „Mitverwandten  der  Branden- 
burger Schoppen,  in  judicando  in  dieser  Sache  abzusondern 
und  das  Urtheil  in  seinem  Abwesen  zu  konzipiren",  weil  er 
„dem  einen  Part  dient  und  setzt44  (d.  h.  als  Anwalt  Dienste 
leistet  und  Schriftsätze  verfertigt).  Er  ist  demnach  auch  als 
Anwalt  thätig  und  war  mindestens  mit  dem  Jahre  1573  vom 


1)  Für  700  Gulden.     Rathsb.  N.  1  fol.  84  AA. 

2)  Rathsb.  N.  2  57  b  AA.     Neust.  Schöppenbuch  Cod.  N.  3. 

3)  Die  Matrikel  umschliesst  in  ihrem  Abdruck  Bd.  1  S.  146  die  Namen 
seiner  beiden  Nachmänner  mit  einer  Klammer,  hinter  der  bemerkt  ist  „Kri- 
censes  ex  Marchia".  Die  Klammer  wird  aber  den  Vormann  Joachimus  Hey- 
nacius  mitumfassen  müssen,  da  bei  ihm  sonst  als  Einzigen  der  dort  namhaft 
Gemachten  die  Bezeichnung  des  Herkunftsortes  fehlt. 

4)  Vergl.  19  178.  179.  Auch  Gerichtsprot.-Buch  N.  5  AA.,  Cod.  N.  4. 
AA.,  Cod.  A.  5  fol.  65.  126.  RA.  Doc.  N.  II  95  RA.,  Rathsb.  N.  2  AA.  Cod. 
N.  11   RA. 

*)  Decis.  II,  221. 


§  5*    Neustädtische  Schöppenschreiber.  ]*23 

Schöppenschreiber  Rathsherr  und  Schöppe  geworden.  Seine 
Witwe  heirathete  den  Bürgermeister  und  Schoppen  Zabel,  des 
Heinatz  Nachfolger  im  Schöppenamte.  Auch  als  Heinatz  vom 
Schöppenschreiber  zum  Schoppen  aufgestiegen  war,  entwarf 
er  noch  für  die  Neustadt  bis  zu  seinem  Tode  alle  Sprüche 
des  Schöppenstuhls.  Ein  neuer  Schöppenschreiber  an  seiner 
Stelle  erscheint  erst  nach  seinem  Tode.  Diese  Verbindung 
vom  Schöppenschreiber-  und  Schöppenamte  mag  auf  Heinatz' 
persönlichem  Wunsche  beruht  haben:  der  zum  Schoppen 
aufgestiegene  Schöppenschreiber  setzte  als  jüngster  Schöppe 
bis  zur  Neuwahl  eines  Schöppenschreibers  die  bisherige 
Schreiberthätigkeit  fort,  wie  wir  es  für  die  spätere  Zeit  be- 
reits in  der  Altstadt  kennen  gelernt  haben  und  alsbald  noch 
weiter  in  der  Neustadt  kennen  lernen  werden. 

Zwei  Jahre  lang  währte  die  Vakanz,  und  zwar  bis  zu 
Heinatz'  Tode.  Dann  trat  (1577:  19  181  ff.)  als  neustädtischer 
Stadt-  wie  Schöppenschreiber  Mag.  Bartholomäus  Boldicke 
ein,  1567  in  Wittenberg,  dann  1571  in  Frankfurt  als  magister 
Barth.  Boldich  Brandenburgensis  immatrikulirt ;  er  wird  1582 
als  Syndikus  zum  Schoppen  erwählt.  Gleichwohl  fungirt  er 
noch  weitere  sechs  Jahre  neben  dem  altstädter  Schöppen- 
schreiber als  neustädter  Schöppenschreiber,  ähnlich  wie  sein 
Vorgänger.  Zugleich  wurde  er  Rathsmitglied  und  war  als 
solches  (1588..  1589)  *)  mit  dem  Richteramt  betraut.  Als 
Schöppe  kommt  er  1597  zum  letzten  Male  vor.2) 

Dieselbe  Verbindung  zwischen  Schöppenamt  und  Schöp- 
penschreiberamt  wiederholte  sich,  als  Johann  Floring  (an- 
scheinend aus  Wittstock  stammend),3)  1588  das  Schöppen- 
schreiberamt  überkam.  Er  war  mindestens  seit  1602  Schöppe, 
da   er    einem    1603    ernannten   Schoppen  (B.  Zieritz)   in  der 

!)  Gerichtsprotokollbuch  N.  5  AA. 

*)  Rathsbuch   A.  1 a  fol.  98  AA.     In   den   Schöppenstuhlsakten   zuletzt 

1595:  40  343-  36o-  377- 

8)  Frkf.  Matrikel  1547  (gleichzeitig  mit  Hieron.  Schurpff)  Christophorus 

Floriugk  Witzstochiensis,    1589  magister  Henningus  Flöring  Wistochiensis, 

acaderaiae  notarius  (später  BM.   in  Wittstock,  Leichen pr.  v.  1661  auf  der 

Kgl.  Bibl.  zu  Berlin).     Henning  Floring,  wohl  des  Letzteren  und  vielleicht 

auch  des  Brandenburger  Joh.  Floring  Vater,  war  1561  und  1569  Schöppe 

in  Wittstock.     ÜB  1  391. 


124  2-  Buch.    Personal,    i.  Abschnitt.    Schöppenschreiber. 

Unterzeichnung  der  Sprüche  ständig  vorgeht,  er  entwarf  aber 
bis  in  das  Jahr  1602  hinein  Spruchkonzepte.1)  Nach  seiner 
in  Strassburg  verbrachten  Studienzeit  (1584:  71  480)  wurde 
er  15S8  Syndikus  der  Neustadt  (71  86).  Zwei  Jahre  darauf 
heirathete  er  des  neustädtischen  Bürgermeisters  und  Schoppen 
Michael  Iden  Tochter.2)  Nach  weiteren  zwei  Jahren  gerieth  er 
mit  dem  Rathe  in  Streit,  so  dass  er  auf  sein  Rathsamt  ver- 
zichtete (81  1).  Das  Schöppenamt  behielt  er  bis  zu  seinem 
im  Jahre  1624  erfolgten  Tode;  seit  161 2  war  er  Senior  der 
Neustädter  (68  564). 3)  In  der  Rechtsprechung  legte  er  (161 9: 
66  39)  darauf  Gewicht,  dass  er,  wie  seine  Kollegen  wüssten, 
„draconicas  sententias  abhorrire".  Dies  bewies  er  (161 9: 
ÜB  2  589)  gelegentlich  des  bekannten  Urteilsspruchs  gegen 
Tonnies  Meilhan,  den  Ehemann  der  Grete  Minte,  welche  beide 
schuldig  gesprochen  wurden,  161 7  im  Komplott  den  grossen 
Brand  von  Tangermünde  verursacht  zu  haben;  er  wandte 
sich  gegen  den  Beschluss,  dem  Manne  „die  fünf  Finger  abzu- 
zwacken und  ihn  im  Feuer  zu  schmoken",  indem  er  bemerkte: 
„ich  wüsste  niemals,  dass  solches  erhört  in  diesen  dreissig 
Jahren  oder  vorher;  nulla  jura  decernunt  tyrannidem  in 
poenis".  Auch  bekämpfte  er  1609  (57  52)*  f6i6  (65  189), 
162 1  (68  591)  mehrfach,  meist  allerdings  vergeblich,  den 
im  Schoosse  des  Kollegiums  gestellten  Antrag,  die  Folterung 
eines  Angeschuldigten  zu  beschliessen,  mit  dem  Gegenantrag, 
zunächst  den  Versuch  zu  machen,  ein  gütliches  Geständ- 
niss  zu  erlangen,  oder  mit  dem  Gegenantrag,  erst  noch 
weitere  Untersuchung  eintreten  zu  lassen,  „da  doch  die  con- 
fessio,  wofern  der  Gefangene  in  tortura  etwas  bekenne,  per 
evidentiam  manifest a  sein  müsse,  ne  ad  judicia  Westphalicau 
—  damit  sind  die  Fehmgerichte  gemeint  —  „inquisitio  post 
executionem  instituatur".  Ebenso  wollte  er  sich  1621  (68 
526)  auf  Bedrohimg  des  Angeschuldigten  mit  den  Folterwerk- 
zeugen   beschränken,    während    seine    Kollegen    Zieritz    und 

l)  Besiegelte  Spruchausfertigungen  von  seiner  Hand:  1590  R.  49  N. 
StA..  1596  41359.     Vergl.  ausserdem  35  19  (1591). 

*)  Leichenpr.  der  Wittwe  Iden,  Berlin  1621,  Archiv  der  Paulikirche 
S.P.  11.,  Kgl.  Bibl.  zu  Berlin  Ee.  516. 

8)  Leichenpr.  der  Wittwe  Iden. 


§  5«    Neustädtische  Schöppenschreiber.  X25 

Buchholtz  „ad  torturam  schlössen,  da  mit  der  Territion  wohl 
nichts  herauszubringen  sei".  Doch  hielt  ihn  seine  vermeint- 
liche Milde  nicht  ab  (1619:  66  31),  für  die  Talion  einzutreten 
und  sich  in  einer  Kindsmordsache  gegen  seine  Kollegen  zu 
wenden,  die  „poenam  ordinariam  suffocationis  in  aqua  mutiren 
wollten";  er  meinte,  das  Kind  habe  einen  schwerern  Tod  ge- 
habt, da  es  im  Schlamme  habe  ersticken  müssen,  als  wenn 
die  Mutter  ihm  die  Hand  angelegt;  dieselbe  Strafe  erleide 
die  Mutter,  wenn  man  sie  hinlege,  wo  das  Kind  umgekom- 
men sei. 

Floring  hatte  damals  bereits  Anlass,  in  einer  anderen 
Sache  (1619:  66  725)  seine  „Ungelegenheit  und  Schwachheit" 
zu  beklagen,  wollte  aber  noch  thätig  bleiben,  indem  er  die 
Hoffnung  aussprach,  „dass  ihm  gleichwohl  die  Kollegen  das 
Urtheil  sehen  lassen14.1) 

Im  Schöppenschreiberamte  folgte  ihm  (1602  bis  161 2) 
Karl  Michael  Vossbein,  ein  Verdener,  der  aus  Helmstädt,2) 
wo  er  entweder  studirt  hatte  oder  angestellt  gewesen  war, 
nach  Brandenburg  kam.  Er  war  Syndikus,  also  erster 
Schreiber  der  Neustadt. 

Für  die  Jahre  161 3,  161 4  ist  nicht  mehr  Vossbeins 
Schrift  in  den  Akten  nachweisbar,  vielmehr  die  seines  Ver- 
treters, des  zweiten  neustädter  Stadtschreibers.  Dann  tritt 
der  Stadtschreiber  und  Notar  (65  424)3)  Johannes  Tornow 
als  neustädter  Schöppenschreiber  in  Thätigkeit,  der  Schwie- 
gersohn des  altstädter  Bürgermeisters  Simon  Roter  und  ein 
Sohn  des  brandenburger  Apothekers  Franz  Tornow,  geb. 
1579,  auf  der  Schule  in  Hannover  ausgebildet  und  bis  1599 
wittenberger  Studiosus  der  Rechte.  Von  Wittenberg  rief 
ihn  damals  sein  Vater  zurück,  dem  er  in  einem  wichtigen 
Prozesse  Beistand  leisten  sollte.  Seit  April  161 2  war  er 
Stadtschreiber  der  Neustadt;   bald  darauf  trat  er  als  Syndi- 


*)  Nämlich  beim  Cirkuliren. 

2)  Die  Bibl.  der  Gotthardtkirche  zu  Br.  besitzt  Pindari  Olympia,  Py- 
thia,  Nemea,  Isthmia,  Basel  1566,  mit  der  Inschrift  „Carolus  Michael  Vos- 
beinius  Verdensis  Helmstadi".  Ueber  ihn  Schöppenstuhlsakten  51  602;  57 
614;  49  18  fT.;  60  62.  70.  72.  74.  98.  99.  104.  389. 

3)  6182.  88.  269;  62  102.  234.  239;  63247.  814.  874. 


126  *•  Buch.    Personal,    i.  Abschnitt.    Schöppenschreiber. 

kus  an  Vossbeins  Stelle.  Im  Jahre  1619  wurde  er  neustädti- 
scher Bürgermeister.  Dass  er  Schöppe  gewesen,  ist  nicht 
aktenmässig  nachweisbar,  aber  dem  gewöhnlichen  Gange 
der  Dinge  nach  wahrscheinlich;  als  1624  Floring  starb,  mag 
Tornow  in  den  Schöppenstuhl  eingerückt  sein.  Um  im  Auf- 
trage   der   märkischen   Städte   beim  Kurfürsten  wegen   der 

1629  herrschenden  Kriegsnoth  Abhülfe  zu  suchen,  reiste  er 
nach  Preussen;  auf  der  Rückkehr  starb  er  (Nov.  1629).  Sein 
Kollege,  Bürgermeister  Zieritz,  widmete  ihm  ein  schwung- 
volles lateinisches  Trauergedicht,  in  welchem  hervorgehoben 
wird,  dass  er  den  Tod  für  das  Vaterland  gestorben  sei.1) 
Vom  Kriege  war  Tornow  schon  einmal  in  Mitleidenschaft  ge- 
zogen; im  Jahre  1627  hatten  ihn  zusammen  mit  Bürgermeister 
Tieffenbach  die  Kaiserlichen  vorübergehend  gefangen  ge- 
nommen.2) Bis  zum  Jahre  1623,  also  noch  vier  Jahre,  nach- 
dem er  Bürgermeister  geworden,  dehnt  sich  seine  Thätigkeit 
als  Schöppenschreiber  aus.  Von  1624  an  löst  ihn  anscheinend 
Johann  Karge  ab,  der  seit  16 19  als  neustädter  Stadtschreiber 
thätig  gewesen  war. 

Der  .neustädtische  Schöppenschreiber,  der  1624  allem  An- 
schein nach  Tornows  Nachfolger  wird,  ist  Johann  Karge,  seit 
16 19  als  neustädtischer  Stadtschreiber  thätig.  Damals  trat 
dadurch,  dass  der  bisherige  Syndikus  Tornow  Bürgermeister 
wurde,  ein  Wechsel  ein.  Syndikus,  also  erster  Stadtschreiber 
wurde  Johann  Karge,  zweiter  Stadtschreiber  Martin  Schmidt. 
Martin  Schmidt  war  auch  noch  1626  Stadtschreiber  und  kam 
1626  in  den  Rath. 

Die  Amtszeit  Karges  als   Schöppenschreiber  reicht  bis 

1630  oder  1631.  J.  Karge  entstammte  einer  Brandenburger 
Bürgerfamilie;  der  1605  verstorbene  Rathsherr  Johann  Karge, 
ein  Verwandter  der   Familie  Bardeleben,3)  war  sein  Vater; 

J)  Leichenrede,  Berlin  1630,  Archiv  der  St.  Paulikirche  zu  Branden- 
burg, S.P.  11.  Dass  die  Leichenrede  nicht  erwähnt,  er  sei  Schöppe  ge- 
worden, würde  mit  Rücksicht  darauf,  dass  die  Leichenreden  der  Schoppen 
Lucas  Scholle  und  Joachim  Tieffenbach  deren  Schöppeneigenschaft  ebenfalls 
unerwähnt  lassen,  auch  hier  nicht  gegen  die  Schöppeneigenschaft  sprechen. 

*)  Tagebuch  des  Garzäus  S.  81. 

3)  Leichenpr.  des  Rathsverw.  Joh.  Karge,  Wittenb.  1605,  Samml.  des 
Grauen  Klosters  zu  Berlin,  4°.     VoL  34. 


§  5«    Neustädtische  Schöppenschreiber.  l'J7 

der  Grossvater  war  Knochenhauer  und  sass  ebenfalls  im 
Rathe.  In  jugendlichem  Alter  (als  non  juratus)  ist  Johann 
Karge  1599  mit  vielen  anderen  Brandenburgern  (darunter 
Lorenz  Karge,  Joachim  Karge,  Peter  Weitzke  und  Joachim 
Schale)  in  Wittenberg  eingeschrieben. 

Nach  ihm  erhielt  1632  Mag.  Andreas  Moritz,  das 
Schöppenschreiberamt;  er  versah  es  nach  Obigem  für  beide 
Städte.  Als  Sohn  eines  Pastors  zu  Neustadt-Eberswalde  be- 
suchte er  bis  in  sein  fünfzehntes  Jahr  die  dortige  Schule, 
vollendete  seine  Schulbildung  in  Jüterbog,  Berlin,  Leipzig, 
und  nahm  dann  seinen  Aufenthalt  „einige  Jahre"  in  der 
Fremde  (u.  A.  am  Rhein,  in  Altenburg,  Langensalza,  Thü- 
ringen, Nürnberg,  Schneeberg).  Hierauf  studirte  er  in  Strass- 
burg,  Jena  und  Altorf,  promovirte  1609  zu  Leipzig  in  ma- 
gistrum  philosophiae,  absolvirte  dort  sein  Studium  juris  und 
praktizirte  von  1611  an  bei  den  Berliner  judiciis  inferioribus, 
bis  er  16 13  sich  mit  der  verwitweten  Tochter  des  neu- 
städter Bürgermeisters  Buchholtz  in  Brandenburg  verheirathete 
und  161 7  Mitglied  des  neustädter  Rathes  wurde.1) 

Gleichzeitig  mit  dem  Schöppenschreiberamt  übernahm 
er  1632  das  Bürgermeisteramt  und  das  Syndikat  der  Neu- 
stadt. Im  Jahre  1637  oder  1638  zum  Schoppen  erwählt, 
hörte  er  auf,  als  Schöppenschreiber  thätig  zu  sein,  wurde 
aber  erst  im  März  1642  —  weil  er  sich  gegen  die  Schöp- 
penthätigkeit  sträubte  —  als  Schöppe  eingeführt  („zum 
Schoppen  aufgeführt");  er  hatte  sich  von  diesem  Amte 
immer  losmachen  wollen,  weil,  wie  er  sagte,  „durum  sit,  super 
humanuni  sanguinem  judicare".  In  den  Schöppenstuhlsakten 
ist  er  Ende  1659  zum  letzten  Male  thätig  (79  148).  Er  starb 
1661  als  Senior  des  Schöppenstuhls. 2) 

Von  1638  bis  1645  war  Bartolomäus  Schwarz,  der 
Schwager  des  Schoppen  und  Bürgermeisters  der  Neustadt 
B.  Zieritz,  neustädtischer  Schöppenschreiber.  Ob  er  mit  der 
Familie    des   altsiädter    Schoppen    und    Bürgermeisters   Va- 


1)  Leichenpr.  v.  1661  in  der  Samml.  des  Grauen  Klosters  zu  Berlin, 
Vol.  40.  Tschirsch,  Das  Tagebuch  des  Garcäus  S.  21  ff.,  Jahresber.  des 
hist.  V.  zu  Br.   1894  S.  89. 

2)  S.  die  citirte  Leichenpr. 


128  2*  Buch.     Personal,     i.  Abschnitt.    Schöppenschreiber. 

lentin  Schwarz  zusammenhängt,  und  welches  sein  Bildungs- 
gang war,  Hess  sich  nicht  feststellen.  Da  er  Syndikus  war, l) 
gehörte  er  zu  den  rechtsgelehrten  Juristen. 

Nach  dem  Tode  seines  Schwagers  wurde  er  1644  als 
dessen  Nachfolger  zum  Schoppen  gewählt2)  und  leistete,  vom 
Richter  Nikolai  und  dem  Bürgermeister  Moritz  „aufgeführt*1, 
den  Schöppeneid;  als  Schöppe  fungirt  er  1666  zuletzt  in  den 
Akten  (79  373).  Bis  dahin  versieht  er  zugleich  das  neu- 
städtische Schöppenschreiberamt  weiter.  Nach  ihm  giebt  es 
keine  neustädtischen  Schöppenschreiber  mehr.  Das  Amt 
erlischt  mit  dem  Jahre  1645;  es  S^11  damals  über  auf  den 
jüngsten  Schoppen,  bis  im  Jahre  1671  die  wesentliche 
Neuerung  eintritt,  nach  welcher  aus  den  beiden  Schöppen- 
schreibern  des  Schöppenstuhls  der  secretarius  scabinatus 
wird.  Thatsächlich  war  Schwarz  ein  erster  solcher  secreta- 
rius scabinatus,  seit  im  Jahre  1656  Kaspar  Junius,  seit  1650 
altstädtischer  Schöppe  und  zugleich  Schöppenschreiber,  als 
kurf.  Hof-  und  Landrichter  nach  Prenzlau  ging.3) 

Förmlich  bestellt  zum  „secretarius  scabinatus41  wurde  zu- 
erst Conrad  Julius  Berchelmann  im  Jahre  1663,  ein  Sohn 
des  16 12  in  Frankfurt  immatrikulirten  „Berlinensisu  Johann 
Berchelmann,  späteren  Berliner  Rentmeisters,  und  dessen  Ehe- 
gattin Elisabeth  Zieritz  aus  Brandenburg,  einer  Tochter  des 
dortigen  Bürgermeisters  Bernhard  Zieritz.4)  Im  Todesjahre 
seines  Vaters  (1655)  hatte  er  die  Universität  bezogen.  Am 
9.  Juni  1663  wurde  er  als  secretarius  beeidigt,  bereits  im  No- 
vember desselben  Jahres  aber  zum  Schoppen  bestätigt;5) 
1664,  1670  und  1672   fungirt   er  als  altstädtischer  Syndikus, 


')  Akten  M.  1  fol  37  RA.  (1645),  Manuale  Cod.  N.  14  RA.  (1647.  1648). 

*)  Decis.  March.  II,  103.  Abschrift  des  vom  Kanzler  Pruckmann  ge- 
zeichneten Kurf.  Konfirm. -Reskripts  („zum  Assessor  unseres  Schöppenstuhls  zu 
Br.  konfirmirt,  nachdem  er  von  den  Schoppen  eligirt"),  das.  fol.  102.  Vergl. 
auch  Meinard us,  Protokolle  etc.  3,  229. 

*)  Junius1  Leichenpr.  Frkft.   1665,  *m  Besitz  des  Realgymn.  zu  Brdb. 

4)  Leichenpr.  in  der  Bibl.  der  Brdb.  Gotthardkirche  A.  2  Nr.  113. 
Collectio  genealogica  vol.  IV  in  der  Kgl.  Bibl.  zu  Berlin  unter  „Andreas 
Diddenu  (Handschriftensammlung). 

*)  Schöppenbuch  von   1692  ff.  fol.  13. 


§  6.     Secretaxii  scabinatus.  129 

1684,  1687  als  altstädtischer  Bürgermeister;  er  starb  in  nicht 
hohem  Alter  1695. l) 

Als  jüngster  Schöppe  versah  er  die  Schöppenschreiber- 
geschäfte  neben  dem  Neustädter  Schoppen  B.  Schwarz  mitf 
bis  1671  Joachim  Conrad  Heldt  zum  secretarius  scabinatus 
bestellt  wurde.  Es  fungirten  also  intermistisch  ein  Schöppe 
der  Altstadt  und  ein  Schöppe  der  Neustadt  als  Schöppen- 
schreiber. 

Das  änderte  sich  mit  Heldts  Amtsantritt. 

§6. 
Secretarii  scabinatus. 

Zu  den  Folgen  des  dreissigjährigen  Krieges  gehörte  in 
Brandenburg  der  Uebergang  des  Schöppenschreiberamtes  in 
eine  Hand,  zugleich  aber  das  Sinken  der  Bedeutung  dieses 
Amtes.  Seit  1651  war  der  geringeren  Arbeitslast  ein 
Schöppenschreiber  vollauf  gewachsen;  das  Einkommen  der 
Schöppenschreiberei  hatte  sich  so  gemindert,  dass  eine  Thei- 
lung  desselben  unter  zwei  Personen  nur  dahin  hätte  führen 
können,  den  Posten  des  Schöppenschreibers  zu  einem  wenig 
begehrten  zu  machen. 

Als  nach  der  Ernennung  Heldts,  eines  neustädter  Be- 
amten, zum  secretarius  scabinatus,  die  Altstädter  fortfuhren, 
ihre  Spruchsachen  in  der  Altstadt  konzipiren  und  ausfertigen 
zu  lassen,  erwirkte  Heldt  ein  kurfürstliches  Verbot.  Die 
altstädter  Schoppen  suchten  zwar  dem  Kurfürsten  darzu- 
legen dass  er  von  den  scabinis  nicht  zum  secretario  in  der 
alten  Stadt  erwählt  sei  und  deshalb  zu  Unrecht  die  Urtheile, 
die  nach  altem  Herkommen  in  der  Altstadt  verfertigt  werden 
müssten,  an  sich  bringen  wolle.  Dass  er  vom  Schöppen- 
kolleg  erwählt  sei,  konnten  sie  freilich  nicht  in  Abrede 
stellen.  Der  Kurfürst  gab  Heldt  Recht,  da  er  per  majora 
zum  secretario  des.  Schöppenstuhls  erwählt  sei  und  ihm  da- 
her „nach  altem  Herkommen44  die  Expedirung  der  Urtheile 
gebühre.2) 

*)  Cod.  A.  35  RA.  Doc.  A.  II,  424.  431  RA.,  Cod.  A.  37  und  36  RA. 
Trauergedicht  von  Salpius  1695.    SP.  2  des  Archivs  der  Brdb.  Paulikirche. 

2)  R.  21  No.  9C  StA. 
Stolz  el,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    1.  9 


13Ö  2-  Buch.    Personal,     i.  Abschnitt.    Schöppenschreiber. 

Diese  Entscheidung  nahm  ein  solches  Herkommen  irriger- 
weise an;  denn  ein  Herkommen,  das  einen  Schöppenschreiber 
berechtigt  hätte,  alle  Schreibergeschäfte  des  Schöppenstuhls 
in  sich  zu  vereinen,  bestand  nicht.  Aber  der  kurfürstliche 
Befehl  schloss  die  endgiltige  Feststellung  der  Einheit  des 
Schöppenschreiberamtes  in  sich.  Die  Brandenburger  scheinen 
darin  eine  Beeinträchtigung  ihrer  Rechte  und  wohl  auch  ein 
Herunterdrücken  des  Schöppenschreiberamtes  gefunden  zu 
haben;  Heldt  mag  in  den  Augen  der  Schoppen  reicht  ge- 
nügend vorgebildet  gewesen  sein.  Er  stammte  aus  Küstrin 
und  hatte  zwar  von  1659  ab  in  Frankfurt  studirt,  sass  auch 
1675  im  Rathe,  zog  aber  1677  in  den  Krieg  *)  und  verschwand 
seitdem  in  Brandenburg.2)  Zum  Schöppenamte  gelangte 
Heldt  also  nicht.  Nach  seinem  Weggang  blieb  anscheinend 
die  Stelle  des  Schöppenstuhlsekretars  unbesetzt,  bis  sie  im 
Jahre  1680  Melchior  Knüttel  aus  Bernburg  erhielt,  der 
1664  in  Frankfurt  studirte  und  seit  den  1670  er  Jahren  alt- 
städtischer Syndikus3)  war.  Er  so  wenig  wie  Heldt  und 
wie  einer  der  nachfolgenden  Sekretare  —  mit  alleiniger  Aus- 
nahme des  Sekretars  Steltzner  —  gelangte  zum  Schöppen- 
amte; die  Schoppen  richteten  nicht  mehr  ihre  Schöppen- 
wahl  auf  ihren  Sekretär.  Ja,  obwohl  der  Kurfürst  1677  den 
Sekretär  Knüttel  als  zum  Schoppen  geeignet  bezeichnete, 
präsentirte  der  Schöppenstuhl  1677  den  altstädtischen  Bürger- 
meister j.  u.  Lic.  Didden  zum  Schoppen  und  erlangte  dessen 
Bestätigung;  dabei  bemerkte  der  Schöppenstuhl,  zur  Recht- 
fertigung seines  Verhaltens  aufgefordert,  dass  das  reformirte 
jBekeantniss  Knüttels  nicht  maassgebend  gewesen  sei;  den 
Eingriff*  des  Kurfürsten  von  1671  vermieden  die  Schoppen  als 
Grund  ihres  Vorgehens  zu  bezeichnen. 

Knüttel  starb  1684  als  Syndikus  und  Sekretär;  sein 
Nachfolger  Melchior  Junius,  ein  wohl  mit  Caspar  Junius4) 
werwandter  Brandenburger,  1678  in  Frankfurt  immatrikulirt, 
•versah  bis  169t  das  Syndikat  der  Altstadt5)  und  das  Sekre- 

*)  RA.  Cod.  ^.  *6,  17.     Cod.  N.  19. 

*)  Von   1674—1687  sind  keine  Schöppenstuhlsakten  vorhanden. 

*)  RA.  Cod.  A.  38.  1675.  *)  Siehe  oben  Seite  114. 

*)  RA.  Qod.  A  37,36. 


§  6.     Secretarii  scabinatus.  131 

tariat  des  Schöppenstuhls,  wurde  aber  gleichfalls  nicht 
Schöppe,  ebensowenig  der  Sekretär  Benedict  Conrad 
Pfreundt,  ein  Sohn  des  Schoppen  Pfreundt;  er  bekleidete 
nur  zwei  Jahre  das  Sekretariat  (1691.  1692). 

Dagegen  gelangte  der  nächste  Sekretär  Johann  Wolf- 
gang Steltzner  im  Jahre  1707  zum  Schöppenamte.1)  Er 
war  in  Brandenburg  1661  geboren  und  in  Frankfurt  (1681), 
wie  in  Jena  (1684)  ausgebildet.2)  Obwohl  von  ihm  1684  in 
Jena  eine  Dissertation  de  coitu  damnato  erschien,3)  führt  er 
nirgends  den  Licenciaten-  oder  Doktortitel.  Als  Sekretär 
der  Altstadt  fertigt  er  1691  (79  656)  eine  Missive  der  Alt- 
stadt an  den  Schöppenstuhl  aus.  Im  folgenden  Jahre  wird 
er  als  secretarius  des  Schöppenstuhls  vereidet,  im  Jahre  1707 
als  Schöppe.4)  Weil  eine  schwere  Krankheit  ihn  im  Jahre 
1722  fast  gänzlich  seines  Augenlichtes  beraubt  hatte,  ver- 
einbarte er  im  Jahre  1725,  dass  ihn  sein  Kollege  Oelschläger 
bei  der  Abfassung  der  Urtheile  vertreten  solle.  Das  ge- 
nehmigte der  König.5)  Die  Folge  war,  dass  Oelschläger 
und  der  damalige  dritte  scabinus  Giesecke  1731  und  1732 
allein  die  Urtheile  abfassten  (z.  B.  86  484).  Am  9.  Mai 
17336)  schloss  Steltzner  einen  Vergleich  mit  Genehmigung 
des  Königs,  durch  welchen  er  aus  dem  aktiven  Dienst  aus- 
schied und  von  den  300  Thalern  Salariengeldern7)  45  Thaler 
bewilligt  erhielt.  Giesecke  wurde  Senior,  und  Steltzner 
behielt  den  Titel  eines  Senior  emeritus;  1734  und  1738 
war  er  noch  bei  der  Vereidigung  der  Assessores  zugegen.8) 
Im  Jahre  1 734  sollte  er  auf  Betreiben  des  Königs  das  Senio- 
rat  wieder  übernehmen,  er  lehnte  es  ab,  erklärte  sich  aber 
mit  der  Beibehaltung  des  Titels  Senior  und  einem  Gehalt 
von  50  Thalern  einverstanden;9)    die  50  Thaler  wurden  ihm 

l)  Schöppenbuch  von  1692  ff.  fol.  14.  8. 

*)  Eigenhänd.  Schreiben  (über  seinen  Amtsantritt)  v.  28.  Der.  174a  in 
-94  74.  Eine  Urk  v.  1704  (Doc.  A.  II.  458  RA.)  nennt  ihn  Sekretär  und 
Kämmerer;  1714  heisst  er  Syndikus  der  Altst.  (Cod.  A  77  RA). 

8)  Archiv  der  Brandenburger  Paulikirche  Sammelband  SP.  6. 

4)  Schöppenbuch  von  1692  ff.  fol.  14. 

5)  StA.  R.  21  N.  9C.  6)  Schöppenbuch  fol.  34. 
7)  Vergl.  unten  §  38.           *)  Schöppenbuch  fol.  9. 
•)  R.  21  No.  9"  StA. 

o* 


132  2-  Buch.    Personal,     i.  Abschnitt.    Schöppenschreiber. 

bewilligt.  Schon  damals  klagte  er  über  seine  Gesundheit. 
Als  achtzigjähriger  Greis  überreichte  er  1741  (95  i)"dem 
Senior  als  Erinnerungszeichen  an  das  ehemalige  Schöppen- 
haus1)  mit  einem  Begleitbericht  eine  alte  bemalte  Fenster- 
scheibe, die  jetzt  verschwunden  ist.  In  einem  Schreiben  an  die 
Brandenburger  Kollegen  nennt  er  sich  am  28.  Dezember  1 742 
einen  elenden  Patienten  (94  73);  er  starb  1744.  Zwei  gedruckte 
theologische  Abhandlungen,  als  deren  anonymen  Verfasser 
ihn  ein  zeitgenössischer  Prediger  (Schaeffer)  auf  den  Titel- 
blättern bezeichnet,  sind  erhalten.2)  Die  eine  behandelt  die 
Frage,  ob  ein  unbekehrter  Prediger  im  Namen  Gottes  sein 
Amt  giltig  verwalten,  insbesondere  die  Sünden  vergeben 
könne,  und  geisselt  mit  scharfen  Worten  die  Verderbniss  und 
Heuchelei  unter  den  Geistlichen.  Die  andere  Abhandlung 
beschäftigt  sich  mit  Jesus  Christus  als  wahrem  Gott  und 
Gottes  Sohn.  Beide  zeugen  von  eingehender  Kenntniss  der 
heiligen  Schrift  und  streng  religiöser  Gesinnung.  Auch 
lateinische  Gelegenheitsgedichte  sind  von  ihm  erhalten.  Im 
Jahre  1735  schenkte  er  der  Bibliothek  der  St.  Gotthardkirche 
zum  Andenken  an  seinen  Besuch  Weismanns  zweibändige 
Introductio  in  memorabilia  ecclesiastica  historiae  sacrae. 

Sein  Nachfolger  als  Secretar  wurde  1707  Joachim 
Friedrich  Kriele,  Sohn  des  altstädter  Schoppen  Friedrich 
Kriele;  er  war  von  1707  bis  zu  seinem  im  Jahre  1714  er- 
folgten Tode  nebenher  Advokat;  die  Universität  Frankfurt 
hatte  er  im  Jahre  1682  bezogen.3) 

Ihn  löste  1714  Balthasar  Friedrich  Katsch  ab;  er 
stammte  aus  der  Altstadt  Brandenburg.  In  den  Akten  wird 
er  i;20  als  Sekretarius  erwähnt  (81  169),  er  war  höchst  wahr- 
scheinlich ein  Sohn  des  Bürgermeisters  und  Schoppen  Katsch. 
Da  er  das  vom  altstädter  Bürgermeister  Holstein  gestiftete 
und  für  Studiosi  auf  Universitäten  bestimmte  Stipendium  be- 
zog,4) hat  er  studirt.     Im  Jahre  1734  dankte  er  ab. 

Nach  ihm  verwaltete,   und  zwar  auf  die  Dauer  von  44 

*)  Siehe  unten  §  38  g.  E.     2)  Archiv  der  Brandenburger  Paulikirche  SP.  1. 
*)  Leichenpredigt    im    Archiv    der    Paulikirche,     nicht    bezeichneter 
Sammelband. 

*)  Akten  S.  1 1  RA. 


§  7-     Altstädtische  Schoppen.  133 

Jahren  Gabriel  Gottfried  Müller  und  dann  (seit  1778)  Joh. 
Gebhard  Tappenbeck  das  Schöppenschreiberamt,  das  er 
noch  1796  bekleidete.1)  Mit  ihm  scheint  die  Reihe  der  Schöp- 
penstuhlssekretare  zu  schliessen. 

Zweiter  Abschnitt. 
Schoppen. 

§7. 

Altstädtische  Schoppen. 

Noch  seltener  als  die  Namen  der  Schöppenschreiber 
treten  für  die  Zeit  bis  zum  Ende  des  sechzehnten  Jahrhun- 
derts in  den  Quellen  die  Namen  der  Schoppen  der  Alt-  wie 
der  Neustadt  Brandenburg  auf.  Die  beiden  ältesten  Raths- 
oder  Gerichtsbücher2)  nennen  zwar  hier  und  da  consules  und 
scabini  der  Neustadt,  es  erhellt  aber  nicht,  wer  von  ihnen 
Rathmann,  wer  Schöppe,  oder  wer  Beides  war,  auch  findet 
sich  kein  Name,  der  in  späterer  Zeit  unter  den  Schöppen- 
familien  fortlebte.  Eine  Urkunde  Markgraf  Sigismunds  von 
13843)  bezeichnet  9  altstädter  Bürger,  die  den  damals  noch 
lebenden  Schoppen  der  Altstadt  (wahrscheinlich  nach  einem 
Pestjahr)  hinzutreten  sollten.  Auch  von  den  hier  Genannten 
gehört  keiner  einer  Familie  an,  die  im  sechzehnten  Jahrhun- 
dert im  Schöppenstuhl  sass,  soweit  sie  zu  ermitteln  waren. 
Diese  Ermittlung  bietet  grosse  Schwierigkeit.  Denn  erst 
mit  Ende  des  sechzehnten  Jahrhunderts  beginnt  die  Sitte,  in 
den  Akten  die  Namen  der  bei  einem  Spruch  betheiligten 
Schoppen  mit  den  Anfangsbuchstaben  anzudeuten,  bis  lange 
nachher  der  volle  Namen  mitgetheilt  wird.  Die  Spruchaus- 
fertigungen enthielten  niemals  irgendwelche  Namensunter- 
schrift oder  etwa  in  ihrem  Eingange  irgendwelche  Angabe 
von  Namen  der  Schoppen.  Auch  alles  sonstige  Material  fehlt, 
aus  dem  die  Schoppen  oder  die  Rathspersonen  beider  Städte 
in  fortlaufender  Reihe  zu  entnehmen  wären;  erst  das  am  Ende 


*)  Lose  bei  den  Schöppenstuhlsakten  liegende  Bibliotheksrechnungen. 

2)  Siehe  oben  Seite  33. 

8)  Hymmen,  Beiträge  1,  212.     Riedel  cd.  1,  9,  65. 


]34  2-  Buch.    Personal.     2.  Abschnitt.    Schoppen. 

des  siebzehnten  Jahrhunderts  angelegte  Schöppenbuch  ver- 
zeichnet die  seit  1660  eingetretenen  Schoppen.  Für  die  ältere 
Zeit,  namentlich  aber  für  die  Zeit  des  ersten  Eindringens 
gelehrter  Juristen  in  den  Schöppenstuhl  konnten  daher  nur 
mit  Mühe  Nachrichten  zusammengestellt  werden,  die  desto 
lückenhafter  sind,  je  mehr  sie  sich  auf  die  Zeit  vor  1600 
beziehen.  Von  1600  an  ist  es  gelungen,  nicht  bloss  die 
Namen,  sondern  auch  Näheres  über  Herkunft,  Familien- 
beziehungen, Bildungs-  und  Lebensgang  jedes  einzelnen  der 
58  seitdem  im  Schöppenstuhl  thätig  gewesenen  Schoppen  zu 
ermitteln.  Ihnen  treten  aus  der  bis  zu  den  1490er  Jahren 
zurückliegenden  Zeit  noch  41  weitere  Schoppen  hinzu,  über 
die  wenigstens  sporadische  Nachrichten  sich  finden  Hessen. 

Die  Höchstzahl  der  für  das  einzelne  Jahr  nachweisbaren 
dem  „Schöppenstuhl  beider  Städte44  angehörigen  Schoppen 
war  5  für  jede  Stadt;  nach  dem  dreissigjährigen  Kriege 
sank  die  Zahl  auf  3,  nach  dem  siebenjährigen  Kriege  auf  2 
für  jede  Stadt;  nach  1784  schmolz  die  Gesammtzahl  auf  3 
und  im  Jahr  1809  sogar  auf  2  Schoppen  zusammen.  Dass 
sie  je  mehr  als  3  für  jede  Stadt  betragen  hatte,  war  bereits 
1689  in  der  Erinnerung  geschwunden;  der  Schöppenstuhl 
selbst  berichtete  damals  dem  Kurfürsten,  es  seien  immer 
sechs  Mitglieder  gewesen,  eine  Angabe,  die  sich  dpnn  in 
späteren  Berichten  wiederholt,1)  und  der  man  bisher  auch 
Glauben  geschenkt  hat. 

Da  in  den  1570  er  Jahren  die  Umwandlung  sämmtlicher 
Brandenburger  Schoppen  in  gelehrte  Schoppen  als  vollendet 
anzusehen  und  vorher  nur  ein  Theil  der  Schoppen  auf  Uni- 
versitäten ausgebildet  ist,  so  wird  die  Zahl  derjenigen  Per- 
sönlichkeiten, auf  deren  Schultern  die  Aufgabe  gelegt  war, 
im  Brandenburger  Schöppenstuhl  gelehrtes  Recht  zu  hand- 
haben, für  die  gesammte  Zeit  der  Existenz  des  Schöppen- 
stuhls  sicher  nicht  mehr  als  100  betragen.  Dass  ein  grosser 
Theil  des  Bedarfes  aus  den  Schöppenschreibern  beider 
Städte  gedeckt  wurde,  hat  sich  bereits  aus  dem  Vorher- 
gehenden ergeben;  von  40  Schöppenschreibern  gingen  nach- 
weisbar mindestens  19  in  das  Schöppenamt  über. 

*)  StA.  R.  ai  Nr.  9C. 


§  7-     Altstädtische  Schoppen.  135 

Die  Zehnzahl  scheint  als  die  Zahl  der  Rathspersonen 
bereits  in  einem  Falle  des  Jahre  1376  für  die  Neustadt  Bran- 
denburg bezeugt  zu  sein ; l)  es  ist  aber  nicht  ausgeschlossen, 
dass  es  mehr  als  10  Rathmannen  gab,  in  dem  damals  ver- 
handelten Falle  jedoch  nur  10  als  Vertreter  der  Gesammtheit 
anwesend  waren.  Nach  der  oben  (S.  133)  angeführten  Ur- 
kunde existirten  im  Jahre  1384  mindestens  11  altstadtische 
Schoppen.  Das  führt  auf  die  Annahme,  dass,  wie  in  anderen 
mittleren  und  kleineren  Städten,  Rathmänner  und  Schoppen 
sowohl  der  Altstadt  als  auch  der  Neustadt  dieselben  Personen 
waren,  und  zwar  in  jeder  Stadt  12.  Sicher  lassen  sich  von 
den  ersten  Jahrzehnten  des  sechzehnten  Jahrhunderts  an  12 
Rathspersonen  für  jede  Stadt  nachweisen.  Als  Spitze  jedes 
der  beiden  im  Schöppenstuhl  vereinten  Fünfmännerkollegien 
amtirte  der  älteste  Schöppe.  Die  Stellung  des  Schoppen 
pflegte  sich  mit  der  des  Bürgermeisters  zu  vereinen,  was 
auch  für  die  spätere  Zeit  Regel  blieb.  Da  der  beim  Jahres- 
wechsel abtretende  regierende  Bürgermeister  seinen  Bürger- 
meistertitel beibehielt,  so  führten  diesen  Titel  so  ziemlich  alle 
Schoppen. 

Als  erster  Rathmann  akademischer  Bildung  in  der  Alt- 
stadt Brandenburg  ist  im  Jahre  1454  Nicolaus  Berenwalde 
aus  Brandenburg  zu  nennen,  der  1442  zu  Leipzig  immatriku- 
lirt  wurde  und  1473  das  Bürgermeisteramt  der  Altstadt  be- 
kleidete.2) Um  dieselbe  Zeit  dringen  gelehrte  Rathmannen 
in  den  Rath  anderer  deutschen  Städte. 3)  Soweit  die  Univer- 
sitäten Leipzig,  Erfurt,  Rostock,  Greifswald,  Köln,  Tübingen 
und  Heidelberg  in  Betracht  kommen,  studirten  aus  Branden- 
burg in  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  ungefähr  40, 
in  der  zweiten  Hälfte  etwa  95,  im  Ganzen  also  etwa  135 
Scholaren,  die  Geistlichen  eingerechnet.  Etwa  28  von  ihnen 
tragen  Namen,  welche  im  vierzehnten  bis  sechzehnten 
Jahrhundert  im  Rath  der  Altstadt  oder  der  Neustadt  vor- 
kommen.   In  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  folgt  auf 

1)  Stadtbuch  bei  Sello,  Brd.  Stadtrechtsquellen  S.  59:  consistorium  .  . 
proconsulum  et  consulum  universorum  nove  civ.  Br.  (folgen   10  Namen). 

2)  Riedel  c.  d.  1,  9,   181.  212. 

•)  Stolze],  Gelehrtes  Richterthum  1,  276  ff. 


136  2-  Buch.    Personal.     2.  Abschnitt.    Schoppen. 

Berenwalde  Martin  Bell  in,  der  1488  in  Leipzig  studirte 
und  den  Magistergrad  erwarb,  wohl  ein  Vorfahr  der  später 
in  Berlin  vielfach  genannten  gelehrten  Räthe  desselben 
Namens;1)  die  Familie  gehörte  dem  Adel  an.  Dieser  Martin 
Bellin  erscheint  1494  und  1495  a's  Kläger  in  einem  der 
ältesten  Prozesse  unserer  Akten  (1  4a  bis  5*);  den  Gegen- 
stand bildet  sein  elterliches  Vermögen  im  Werthe  von 
109  Schock.  Er  gehörte  also  zu  einer  begüterten  Fa- 
milie und  kam,  da  jenen  Prozess  1494  noch  sein  Vor- 
mund, 1495  aber  er  selbst  führte,  in  frühreifem  Alter  nach 
Leipzig.  Wenige  Jahre  nach  dtem  Prozess  —  1502  —  steht 
er  in  einem  wichtigen  vor  der  Neustadt  Brandenburg  ver- 
handelten Erbstreite  einer  altstädtischen  Rathsfamilie  einem 
der  in  Frankfurt  ansässigen  Beklagten  bei  (1  33)  und  darf 
als  Verfasser  von  Prozessschriften  gelten,  die  mehrfach  auf 
römische  Quellen  Bezug  nehmen.  Er  sitzt  1505  im  Rathe2) 
und  gehört  demnach  mit  Berenwalde  der  artistischen  Vor- 
periode des  Rechtsstudiums  an.  Vermuthlich  waren  Beide 
als  gelehrte  Männer  auch  Mitglieder  des  Schöppenstuhls. 
Ihnen  reiht  sich  als  Dritter  der  oben  S.  93  genannte  Schöp- 
penschreiber,  nachherige  Schöppe  Demker  an.  Sicher  war 
akademisch  gebildeter  Schöppe  Valentin  Schmidt  (auch 
Fabri  genannt),3)  der  an  Stelle  des  1529  gestorbenen  Goris 
Schmidt  (seines  Vaters?)  in  letzt erm  Jahre  in  den  Rath4)  und 
von  1530  bis  i56is)  in  das  Bürgermeisteramt  einrückte. 
Nach  des  Bürgermeisters  Hans  Trebow  Tod  fungirte  er 
anscheinend  von  1551  an  als  ältester  Schöppe  (6  7).  Er 
studirte  1504  in  Wittenberg,  war  also  ein  Schüler  des  dort 
damals  hochberühmten  Petrus  Tomais  aus  Ravenna,  dessen 
alphabetum  aureum,  „ein  Produkt  ziemlich  wüster  Gelehr- 
samkeit", 6)  sich  unverdienten  Ansehens  erfreute  und  in  Bran- 

x)  Stölzel,  Rechtsverw.  i,  236.  267.  313. 

*)  Riedel  c.  d.  1,  9,  82,  wo  aber  1405  für  1505  verdruckt  ist.  Vergl. 
das.  1,8,462.    Bellins  Handschrift  aus  1509  s.  Zerbster  Stadtarchiv  II,  211. 

*)  Nicht  „Zimmermann11,  wie  Fabri  in  den  mark.  Forschungen  Bd.  14, 
S.  339  übersetzt  ist.     Schmidt  bedeutet  in  älterer  Zeit  „Handwerker". 

4)  Rathsbuch  A.  1  fol.  210.  220  AA. 

*)  Memorial  Cod.  A.  8  fol.  409  RA. 

ö)  Stintzing,  Populäre  Lit.  S.  147. 


§  7-     Altstädtische  Schoppen.  137 

denburg  sowohl  von  Schmidt,  als  von  seinem  Kollegen 
Demker  benutzt  wurde,  wie  das  Exemplar  der  dortigen 
Schöppenstuhlsbibliothek  durch  Randbemerkungen  der  Bei- 
den ausweist,  die  ein  nicht  allzugünstiges  Licht  auf  die  ehe- 
lichen Verhältnisse  der  damaligen  Brandenburger  Schoppen 
und  Rathsherren  werfen. l) 

Von  Schmidt  rührt  in  unseren  Akten  (1552:  4420)  das 
einzige  lateinisch  abgefasste  Spruchkonzept  her.2) 

Die  Rechtsgelahrtheit,  die  er  in  sein  Bürgermeisteramt 
und  Ackermann  in  sein  Schöppenschreiberamt  mitbrachte, 
reichte  indess  nicht  aus,  in  einem  wichtigen  Prozess,  den  1544 
die  Altstadt  mit  dem  Domkapitel  wegen  des  Wasserge- 
brauchs der  oberhalb  Brandenburgs  in  die  Havel  fliessenden 
Ernster  zu  fuhren  hatte,  die  Prozessvertretung  zu  übernehmen; 
hierfür  zog  man  eine  Autorität  aus  Wittenberg,  den  berühmten 
Hieronymus  Schurpf,  mit  vielem  Kostenaufwande  heran.3) 

Während  der  Amtsführung  Schmidts  trat  Brandenburg 
(1535)  zur  lutherischen  Lehre  über.  Damit  eröffnete  sich  die 
Möglichkeit,  den  Schöppenschreiber,  der  nunmehr  nicht  mehr 
dem  katholischen  Klerus  angehörte,  in  den  Schöppenstuhl 
als  Schöppe  einrücken  zu  lassen.  Gleichzeitig  begann,  wie 
anderwärts  so  auch  hier,  die  Periode,  in  der  mehrfach  Artisten 

1)  Petrus  sagt  f.  100  über  den  Ehebruch  der  Ehefrau:  „in  quibusdam 
locis  Francie  est  consuetudo,  quod,  si  uxor  ali cujus  committat  adulterium, 
ipsa  nullam  patitur  poenam.  Sed  raaritus  super  asino  ducitur  per  totam 
civitatem  praecone  alta  voce  clamante:  sie  fit  maritis,  qui  permittunt 
uxores  suas  nimium  jejunare".  Am  Rande  dieser  Stelle  ist  handschriftlich 
bemerkt;  „Not.  pro  Laurentio  Dempker,  ut  caveat  se  pro  tali  ignominiab. 
Hierunter  erwidert  Demker,  wie  die  Handschrift  erkennen  lässt:  „Her 
Valentinus  Fabri  .  .  .  ipsemet  sibi  caveatb. 

2)  „Conclusum  est  apud  scheabinos:  (folgt  die  ebenfalls  lateinische 
Darstellung  des  Sachverhalts  und  dann :)  Ideoque  sententionatum  est,  villa- 
nos  et  totam  civitatem  villae  Toppel  de  predieta  exposita  summa  22  schock 
.  .  .  indempnes  servare  de  regula  juris**.  Ein  deutsches  Konzept  fehlt  zu 
dieser  Sache.  Ganz  oder  theilweis  lateinisch  abgefasste  Vota  der  Schoppen 
kommen  mehr  vor,  das  Latein  ist  aber  nichts  weniger  als  klassisch  (vgl. 
z.  B.  ÜB  2  539.  577.  580,  58a.  589.  634.  685.  719). 

8)  Detailirte  Kostenrechnung  in  Cod.  N.  10  RA.  Beim  Prozess  wirkten 
der  Kanzler  Ketwig  und  der  kf.  Rath  Dr.  Redorffer  mit;  letzterer  erhielt 
laut  der  Rechnung  vom  BM.  Schmidt  4  Thaler  „verehrt*. 


138  *•  Buch.    Personal.     2.  Abschnitt.    Schoppen. 

nachträglich  zum  Rechtsstudium  übergingen,  um  den  Bedürf- 
nissen des  Tages  zu  genügen :  es  brach  sich  die  Erkenntniss 
Bahn,  dass  die  allgemeine  Universitätsbildung  des  Humanistea 
nicht  mehr  ausreiche,  das  Material  zu  liefern,  gelehrtes  Recht 
zu  sprechen,  dass  vielmehr  dazu  ein  juristisches  Sonderstudium 
gehörte.  Diese  Ueberzeugung  bestimmte  den  Rath  der  Alt- 
stadt, dem  Rektor  seiner  Schule,  Marcus  Meynicke,1)  einem 
Brandenburger,  der  in  Wittenberg  (1544)  „ziemlich"  (d.  h* 
wie  es  sich  ziemte,  in  genügendem  Maasse)  studirt  hatte  und 
1557  Rathmann,  1558  bis  1559  aber  altstädter  Richter  war 
und  im  letztern  Jahre  zum  Schoppen  präsentirt  wurde,  einen 
Theil  der  Gerichtseinnahmen  des  Jahres  1559  zu  überweisen» 
als  er  sich  zu  erneutem  Studium  nochmals  nach  Wittenberg 
begab.2)  Welchen  Erfolg  diese  Maassregel  hatte,  lässt  sich 
freilich  nicht  ermessen,  da  Meynicke  in  der  Wittenberger 
Matrikel  von  1559  nicht  erscheint,  auch  in  Brandenburg  nicht 
weiter  auftritt. 

In  Meynicke  haben  wir  ein  Beispiel  vor  uns,  dass  man, 
nachdem  die  Reformation  in  Brandenburg  Wurzel  gefasst 
hatte,  die  Ausbildung  zum  Lehrerberuf,  wie  man  sie  früher 
und  auch  jetzt  noch  als  passende  Vorschule  für  das  Stadt- 
und  Schöppenschreiberamt  ansah,  nunmehr  auch  als  Vorschule 
für  das  Bürgermeister-  und  Schöppenamt  betrachtete.  Auch 
hier  fand  sich  in  Magdeburg,  wo  11  Jahre  früher  als  in 
Brandenburg  die  Reformation  eingeführt  war,  ein  Vorbild: 
der  dortige  erste  Lehrer  der  evangelischen  Schule  (Gregor 
Willich)  trat  in  den  Schöppenstuhl  ein.3)  Weil  Meynicke 
Rektor  in  Brandenburg  war,  wurde  er,  obwohl  nicht  zu  den 
Rathsfamilien,  aber  immerhin  doch  zu  den  Brandenburger 
Bürgern  gehörig,  in  den  Rath  und  in  den  Schöppenstuhl  ge- 
wählt. Schmidt  dagegen,  zu  einer  Rathsfamilie  gehörig, 
wandte  sich,  um  Rathmann  und  Schöppe  zu  werden,  dem 
Studium  zu.  Seine  altstädtischen  Kollegen  im  Schöppen- 
stuhl, Bürgermeister  Matthias  Bardeleben  (1543  bis  um  1576), 

')  Tschirsch,  Gesch.  der  saldrischen  Schule  S.  11.  Mark.  Forschungen 
Bd.  14,  339. 

2)  RA.  Doc.  A.  II,  16a.  Memorial  Cod.  A.  8  fol.  356,    StA.  R.  21  No.  o\ 

3)  Geschichtsblatt  für  Land  und  Stadt  Magdeburg  I.   1866.  S.  12. 


§  7-     Altstädtische  Schoppen.  139 

aus  der  alten  ritterlichen  Rathsfamilie,  die  wir  (S.  ioo)  be- 
reits kennen  gelernt  haben,  Bürgermeister  und  Richter  Tho- 
mas Liep  (1550  bis  1554), l)  der  Schwiegersohn  des  Burger- 
meisters Kersten  Bardeleben  und  wohl  der  Sohn  des  Bürger- 
meisters Claus  Liep,2)  ferner  Bürgermeister  Andreas  Schuller 
(1551  bis  1584),  Sohn  des  Bürgermeisters  Baltzer  Schuller  (1524 
bis  1543)  und  Bürgermeister  Antonius  Holstein  (1558  bis  1561) 
hatten,  soviel  erhellt,  noch  keine  Universitätsbildung;  sie 
liessen  solche  erst  ihren  Söhnen  zu  Theil  werden;  denn  Joachim 
Liep  war  Dr.  jur.  Lipsiensis,3)  Thomas  Matthias,  der  Sohn  des 

1540  gestorbenen  altstädter  Bürgermeisters  Kersten  Matthias, 
wurde  kurfürstlicher  Rath,  nachdem  er  in  Wittenberg  studirt 
hatte,4)  und  des  Bürgermeisters  Baltzer  Schuller  Sohn,  der 
Bürgermeister  Andreas  Schuller,  hatte  den  Dichter  und  Pro- 
fessor Georg  Schuller,  Melanchthons  Schwiegersohn,  zum  Bru- 
der, der  sich  als  „Georg  Sabinus"  5)  einen  Namen  gemacht  hat. 

Es  findet  sich  also  unter  den  5  altstädter  Schoppen  von  1 530 
bis  1559  nur  einer  mit  gelehrter  Bildung  (Val.  Schmidt),  für 
die  Jahre  1559,  1560  tritt  noch  Marcus  Meynike  als  zweiter 
hinzu.  Die  beiden  werden  dann  ersetzt  von  1562  bis  1595 
durch  den  Schlesier  Mag.  Simon  Roter,  der,  wie  wir  sahen, 
vom  Schulrektoramt  zum  Schöppenschreiberamt  und  dadurch 
zum  Schöppenamt  gelangte,  sowie  mindestens  von  1565  ab, 
durch  den  Bürgermeister  Joachim  (oder  Johann?)  Damstorf,  der 

1541  in  Wittenberg  und  1543  in  Frankfurt  als  Brandenburger 
immatrikulirt  war  und  1572  als  Bürgermeister  starb.  fi) 

—  —  • 

!)  '555  «ehrbar,  ernvest  und  wolweise"  Doc.  A.  II.  32  RA. 

2)  1524.   1526.  Rathsb.  A.  1  17a.  i94b   AA. 

•)  Leichenpredigt  des  Joh.  Karge,  Wittb.  1606,  Samml.  des  Grauen 
Klosters  in  Berlin  40  vol.  34. 

*)  Seidel,  Bildersammlung  S.  84.     Stölzel,  Br.-Pr.  Rechtsverw.  1,  163. 

*)  Seidel,  Bildersammlung  S.  48.  Grabdenkmal  des  Andr.  Schuller 
in  der  Gotthardkirche  in  Brandenburg  (geb.  15 16,  t  T584)-  Rathsb.  Cod. 
A.  33  f.  192  RA. 

*)  Joachim  D.  1558.  1561  altst.  Rathmann  (Doc.  A.  I.  162  RA.  Memorial 
Cod.  A.  8  ff  409  RA.),  1565  BM.  (Doc.  A.  I.  170  RA.  Riedel  1,  9,  321), 
desgl.  und  Schöppe  157 1  (Rathsb.  Cod.  A.  32  RA.).  Nach  einem  Grab- 
denkmal der  Gotthardkirche  f  BM.  Johann  D.  1572.  Da  2  BM.  dieses 
Namens  nicht  erwähnt  werden  und  nach  1572  weder  ein  Joachim,  noch  ein 
Johann  D.  vorkommen,  so  ist  beider  Identität  anzunehmen. 


140  2-  Buch.    Personal.     2.  Abschnitt.    Schoppen. 

An  seine  Stelle  trat  Valentin  Schwarz  (1572  bis  1598 
oder  1599),  der  in  den  Akten  das  Prädikat  „ wohlgelehrt " 
führt  (14  54),  freilich  auch  das  Prädikat  „ehrbar  und  wohl- 
weise*; {)  er  war  in  erst  er  Ehe  Schwiegersohn  des  Bürgermeisters 
Andr.  Schuller,  in  zweiter  des  Bürgermeisters  Th.  Liep.2) 

Als  dritter  gelehrter  Schöppe  unter  den  fünf  altstädti- 
schen erscheint  1577  der  oben  (S.  100)  besprochene  Schöppen- 
schreiber  Siegmund  Bardeleben  (1577  bis  1589);  diese  drei 
(M.  Simon  Roter,  Siegmund  Bardeleben  und  Valentin  Schwarz) 
bildeten  also  anscheinend  zum  erster!  Male  eine  gelehrte  Mehr- 
heit unter  den  altstädtischen  Schoppen.  Neben  ihnen  fun- 
girten  die  damals  bereits  bejahrten  nichtgelehrten  Matthias 
Bardeleben  und  Andreas  Schuller  als  Schoppen  weiter  und 
seit  1571  als  fernerer  nichtgelehrter  Schöppe  der  Schwieger- 
sohn Damstorfs  Friedrich  Garz,  ein  Kaufmann,  der  aus  Pritz- 
walk  nach  Brandenburg  übergezogen  zu  sein  scheint;3)  er 
war  Schöppe  um  1578,  Rathmann  von  1571  bis  1582.4)  Die 
Übeln  Erfahrungen,  die  man  #  bei  ihm  machte,  mögen  ein 
Grund  mit  gewesen  sein,  dass  sich  später  ein  ungelehrter 
Schöppe  nicht  mehr  finde.  Der  Rath  warf  ihm  vor, 
dass  er  selten  zu  Hause  sei,  seines  Handels  warte  und  den 
Rath  wie  den  Schöppenstuhi  versäume  (1578); 5)  zur  Erklärung 
aufgefordert,  versprach  er,  sich  besser  einzurichten,  sonst 
könne  ihm  der  Rath  Besoldung  und  Accidentien  nehmen. 
Im  Jahre  1582  gerieth  er  sammt  seiner  Frau  in  Konkurs; 
das  Gericht  der  Altstadt  verhandelte  gegen  beide  Eheleute; 
auf  Grund  eines  Leipziger  Urtheils  erfolgte  die  Zwangsvoll- 
streckung; damit  verschwindet  Fr.  Garz  aus  dem  Rathe;6) 
1583  ward  er  als  Besitzer  einer  Herberge  genannt.7) 

J)  1587  Doc.  A.  II.  84  RA. 

'*)  1571.  Rathsb.  Cod.  A.  32  fol.  51  RA.  1573  BM.  das.;  1579  Schöppe 
der  Altstadt  Rathsb.  Cod.  A.  33  fol.  74  RA.;  1597  desgl.  das.  fol.  656. 

*)  Siehe  oben  S.  103  Zach.  Garz:  aus  Pritzwalk. 

4)  Cod.  A.  33  fol.  39.  42;  A.  32  fol.  5a  51  RA. 

*)  Es  ist  ein  arges  Missverstandniss,  wenn  im  31.  Jahresbericht  des 
hist.  Vereins  zu  Brandenburg  S.  68  daraus,  dass  Garz  des  SchÖppenstuhls 
und  Rathhauses  fleissiger  warten  soll,  geschlossen  wird,  er  sei  Raths- 
diener  gewesen  und  habe  als  solcher  auch  das  Schöppenhaus  reinigen  müssen. 

8)  Cod.  A.  33  fol.  147  fr.  RA.  7)  Rathsb.  A.  1  fol.  143  AA. 


§  7*     Altstädtische  Schoppen.  141 

Das  Ausscheiden  des  Friedrich  Garz  aus  dem  Schöppen- 
stuhle,  wo  er  nach  dem  Gesagten  seine  Kollegen  wie  sich 
selbst  wenig  befriedigte,  kann  der  Anlass  gewesen  sein,  ein 
anderes  Glied  der  Familie  in  den  Schöppenstuhl  zu  wählen, 
den  allen  Ansprüchen,  die  von  der  neuen  Zeit  an  einen 
Schoppen  gestellt  wurden,  in  vollem  Maasse  genügenden 
Syndikus  Zacharias  Garz,  vielleicht  einen  Bruder  des 
Friedrich  Garz. 

Nach  Friedrich  Garz1  Abgange  und  nach  dem  im  Jahre 
darauf  erfolgenden  Tode  Schullers  ergänzen  sich  die  alt- 
städter Schoppen  nur  noch  aus  gelehrten  Juristen:  1585  bilden 
das  Kolleg  Simon  Roter,  Valentin  Schwarz,  Siegmund  Barde- 
leben, Andreas  Dietrich  und  Zacharias  Garz,  die  ihrer  Mehr- 
heit nach  aus  dem  Schöppenschreiberdienste,  zu  zweien  aus 
dem  Schulrektorate  hervorgegangen  waren.  Andreas  Diet- 
rich, ein  Brandenburger,  liess  sich  1567  in  Wittenberg  und 
in  Greifs wald  immatrikuliren.  Als  Rathmann  wird  er  zuerst 
1576  genannt,  Bürgermeister  ist  er  1582  und  1598,  als  Schöppe 
ist  er  1596  thätig  (41  25 7). l)  Der  neustädter  Bürgermeister 
Storbeck  war  sein  Schwager  (1597:  41  257). 

Da  Zacharias  Garz  1586  durch  Mag.  Johannes  Lampertus 
ersetzt  wurde,  ebenso  aber  Siegmund  Bardeleben  (f  1589) 
1592  durch  Mag.  Gregorius  Bluhm,  so  zählten  damals  die 
altstädter  Schoppen  neben  Mag.  Simon  Roter  noch  zwei  Ma- 
gistri  unter  ihrer  Fünfzahl.2) 

Während  Bluhm  zu  den  von  auswärts  (nämlich  von  Span- 
dau) bezogenen  gelehrten  Juristen  gehörte,  die  zum  Schöppen- 
schreiberamte  berufen  wurden  und  dann  in  das  Schöppen- 
amt  aufrückten,3)  war  Lampert  ein  Brandenburger,  den  die 
Altstadt  bei  seinen  Studien  unterstützte.  Zunächst  1566  in 
Frankfurt,  dann  1568  in  Wittenberg  immatrikulirt,  erhielt 
Lampert  1571  eine  Beihülfe  des  Rathes  von  8  Schock  Groschen 
und  1572  zur  Erwerbung  der  Magisterwürde,  die  man  also 
für  wünschenswerth    hielt,    weitere  4V2  Schock,    bezog  auch 

!)  Rathsbuch  Cod.  A.  33  fol.  2,  155,  674  RA. 

2)  1502  sass  unter  9  Stettiner  Schoppen  ein  Magister.  Dobbersitzscher 
Zaubereiprozess  im  Stettiner  Staatsarchiv  P.  I  Tit.  93  No.  67*. 

3)  Siehe  oben  S.  106. 


142  2-  Buch.    Personal.     2.  Abschnitt.    Schoppen. 

1578  das  altstädtische  Stipendium  mit  30  Thalern  bis  zu  seiner 
in  demselben  Jahre  erfolgenden  Verheirathung  mit  der  Witwe 
des  1549  gestorbenen  Bürgermeisters  Hans  Trebbow. l)  Das 
noch  nach  Erwerbung  des  Magistergrades  fortgesetzte  Studium 
lässt  vermuthen,  aus  dem  Artisten  sei  durch  ein  erneutes,  nun- 
mehr der  Rechtswissenschaft  gewidmetes  Studium  der  Jurist 
geworden,  und  die  Stadt  habe  dies  erneute  Studium  verlangt. 
Es  führte  dahin,  dass  Lampert  1584  Rathsverwandter,  allem 
Anscheine  nach  1586,  jedenfalls  wenige  Jahre  später  Schöppe 
und  1588  Bürgermeister  wurde;    als  solcher  starb  er   1607.2) 

Da  1600  Valentin  Schwarz  durch  Mag.  Caspar  Prätorius 
vund  im  folgenden  Jahre  Andreas  Dietrich  durch  Mag.  David 
Kuhns  im  Schöppenstuhl  ersetzt  wurde,  erhöhte  sich  die 
Zahl  der  Magistri  für  die  Altstädter  Schoppen  auf  vier.  Als 
fünfter  Schöppe  trat  1599  Johannes  Grell  hinzu  (geb.  1539), 
ein  Bürgerssohn  aus  Rathenow,  der  nach  dem  Besuch  der 
dortigen  Schule  etliche  Jahre  von  1559  an  in  Wittenberg 
Melanchthons  Schüler  gewesen  war  und  es  besonders  in 
Kenntniss  der  lateinischen  Sprache  weit  gebracht  hatte.  Vom 
Kantor  und  Schulrektor  war  er  Richter  und  Rathsverwandter 
seiner  Vaterstadt  geworden,  wurde  aber  von  da  zum  Sekretär 
des  Brandenburger  Domkapitels  und  1577  „zur  ßuchhalterei 
der  Altstadt  Brandenburg",  d.  h.  zum  Gerichts-  und  Stadt- 
schreiber der  Altstadt  berufen.3)  Nach  drei  Jahren  wählte 
man  ihn  zum  Rathsherrn,  1596  zum  Bürgermeister,  1599  zum 
Schoppen.  Verheirathet  war  er  mit  der  Tochter  eines  neu- 
■städter  Bürgers.  Er  starb  im  82.  Lebensjahre  1620,  noch  im 
nämlichen  Jahre  als  Schöppe  thätig  (67  586.  S62).4) 

Sein  ungefähr  gleichzeitig  mit  ihm  in  den  Schöppenstuhl 
eingetretener    Kollege   Mag.   Caspar   Prätorius,    geboren    zu 

1)  Cod.  A.  32  fol.  63.  A.  33  fol.  55  a.  204.  302.     Doc.  II,  83  RA. 

2)  Elegie  des  Prätorius,  Wittenberg  1608  in  der  Bibl.  der  Gotthard- 
kirche  zu  Brandenburg  B.  VIII  No.  106,  jetzt  in  der  Bibl.  des  dort.  Saldri- 
.sehen  Realgymnasiums.     Akten  K.  7.     RA. 

3)  Als  solcher  rührt  er  von  1580  ab  das  Rathsbuch  A.  i»  AA.,  bis  ihn 
1584  Bluhm  ablöst. 

*)  Zu  vergl.  Leichenpr.  im  Grauen  Kloster  zu  Berlin  voL  28.  Zur 
üRegulirung  seines  Nachlasses  kommt  1621  die  Wittwe  des  Andreas  Grell 
«von  Berlin  (68  148). 


§  7*     Altstädtische  Schoppen.  143 

Putlitz  in  der  Priegnitz,  erlangte  das  Schöppenamt  eben- 
falls durch  Vermittelung  des  Schulamtes.  In  Rostock  und  in 
Wittenberg  1572  immatrikulirt,  übernahm  er  von  1576  bis 
1591  das  Rektorat  der  Altstadt  Brandenburg  auf  Vorschlag 
seines  Freundes  und  Verwandten  Zacharias  Garz.  Nachdem 
«r  1587  die  Tochter  des  Bürgermeisters  und  Schoppen  Val. 
Schwarz  geheirathet  hatte,  wurde  er  1591  Rathsherr,  1600  bis 
zu  seinem  1612  erfolgten  Tode  (46  172;  59  481)  Schöppe;  da- 
neben fungirte  er  (1603,  1605,  I^°7)  ^s  Richter  der  Altstadt.1) 
Unter  seinen  Zeitgenossen  that  sich  Prätorius  als  lateinischer 
Dichter  hervor;  drei  Bände  seiner  Elegieen  sind  gedruckt; 
sie  brachten  ihm  im  Hinblick  auf  Sabinus  den  Namen  „alter 
Sabinianusu  ein. 

Dass  der  altstädter  Schöppe  Mag.  David  Kuhns  (1600 
bis  1605)  aus  dem  altstädter  Schöppenschreiberamt  hervor- 
ging, ist  oben2)  dargethan. 

Ihn  löste  als  Schöppe  Mag.  Caspar  Haveland,  ein 
Schwager  des  neustädter  Schoppen  Mag.  Bartholomäus  Bol- 
dicke,  ab;3)  er  blieb  Schöppe  bis  1622. 4)  Anscheinend  ein 
Sohn  des  altstädter  Konrektor  Mag.  David  Haveland  (1583: 
24  209),  studirte  er  1580  in  Wittenberg  und  war  noch  1589 
im  Studium  begriffen;5)  1591  bis  1603  Rektor  der  Stadt- 
schule, kam  er  in  den  Rath  und  den  Schöppenstuhl,  be- 
kleidete auch  von  1608  bis  1616  das  Richteramt.6) 

Unmittelbar  nach  Haveland  wurde  Georg  Chueden 
Schöppe,  der  (allein  von  sämmtlichen  Mitgliedern  des 
Schöppenstuhls)  einige  vierzig  Jahre  im  Rathe  der  Altstadt 
•und  im  Schöppenstuhl  sass,  einundzwanzig  Jahre  altstädtischer 
Senior  war  und  (ebenfalls  allein  von  sämmtlichen  Schoppen) 
die  ganze  Zeit  des  30jährigen  Krieges  an  sich  vorüberziehen 

*)  R.  21  N.  ioa  StA.  JÖcher,  Gel.  Lex.  III,  1745.  Pieper,  Garzäua 
J.  1896  S.  4.  8.  9.  Tschirsch,  Saldrische  Schule  1889  S.  15.  Cod.  A.  34 
fol.  222.  302;  A.  33  fol.  282  RA. 

2)  Seite  107. 

*)  Rathsbuch  A.  1 »  fol.  98  AA. 

*)  1600:  58  127;  70  404.405.  (In  50  252  ist  das  Jahr  1603  der  Beilagen 
verschrieben  fÖr  1613). 

5)  Tschirsch,  Saldrische  Schule  S.  15. 

•)  Cod.  A.  34  fol.  222  236  ff.  RA. 


144  2-  Buch.    Personal.     2.  Abschnitt.    Schoppen. 

sah,  die  ihm  1627  die  Unbill  brachte,  dass  ihn  als  den  Bürger- 
meister .die  Kaiserlichen  eine  Stunde  lang  auf  einen  Esel 
setzten.1)  Ueber  seine  Herkunft  und  seinen  Studiengang  ist 
nichts  bekannt,  regelmässig  wird  er  aber  als  „wohlgelehrt*" 
bezeichnet.  Seine  Familie  scheint  aus  Salzwedel  zu  stammen: 
1373  ist  Henricus  Chueden  de  Soltwedel  in  Prag  immatrikulirt, 
später  als  magdeburger  Kanonikus  in  Bologna,2)  1538  ist 
Diederich  Chueden  Bürgermeister  in  Salzwedel,  1562  lebt  dort 
Christoph  Chueden,3)  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  stirbt  dort 
der  Archidiakon  Dietrich  Christoph  Chuede.4)  Bei  Salzwedel 
liegt  das  Dorf  Wendisch-Chüden;  von  diesem  Dorfe  wird  sich 
der  Familienname  Chueden  gebildet  haben.  Im  Jahre  1608 
in  den  altstädter  Rath  eingetreten,5)  fungirt  er  1609  als 
Schöppe  (58  335),  161 1  und  1612  als  Kämmerer,6)  1614  als 
Bürgermeister.7)  An  Grundbesitz  erwarb  er  in  Brandenburg- 
1606  ein  Haus  für  250  fl.,  1636  einen  Garten  für  100  fl.  und 
einen  Weinberg  für  600  Thaler,  165 1  einen  wüstliegenden 
Weinberg  für  35  Thaler.8)  Er  war  dreimal  verheirathet,  in 
zweiter  Ehe  mit  einer  Tochter  des  neustädtischen  Bürger- 
meisters und  Schoppen  Conrad  Zabel. ö) 

Da  161 2  Bluhm  und  Prätorius  starben  und  nicht  ersetzt 
wurden,  sassen  fast  ein  Jahrzehnt  nur  drei  Altstädter  im 
Schöppenstuhl;  als  1622  Haveland  abging  und  1620  Düring 
die  Wahl  zum  Schoppen  nicht  angenommen  hatte,10)  traten 
deshalb  gleichzeitig  drei  Neugewählte  ein,  so  dass  mit  Chueden 
wieder  vier  Altstädter  im  Schöppenstuhl  sassen. 

Diese  drei  waren  Joachim  Tieffenbach,  Christian  Bar- 
deleben und  Peter  Weitzke. 

1)  20.  Jahresber.  über  den  hist.  Verein  zu  Brandenburg  S.  101. 

2)  Knod,  Deutsche  Studenten  in  Bologna,  S.  281. 

Ä)  Riedel  1,  16,  282.  113.  4)  Jöcher,  Gel.-Lex.  l,  1904. 

*r')  Cod.  A.  34  fol.  222  RA. 

6)  Doc.  A.  II.  32,  103  RA. 

7)  Cod.  A.  34.  fol.  399  RA. 

b)  Cod.  A.  3  fol.  221,  209,  210  AA. 

9)  Vergl.  Leichenpr.  der  Elis.  Zabel  162 1    in   der  Samml.  des  Grauen 
Klosters  zu  Berlin   und  Leichenpr.  der  Anna  Rittner  1623,   Bibl.  der  Gott- 
hardkirche  zu  Brandenburg  A.  2  X.  47. 
10)  Siehe  oben  S.  109. 


§  7-    Altstädtische  Schoppen.  145 

Tieffenbach  war  Sohn  eines  Kaufmanns  und  Seiden- 
krämers zu  Neuruppin,  der  sich  mit  der  Tochter  des  dortigen 
Bürgermeisters  Mag.  phil.  Joachim  Kriefe,  des  Sohnes  des 
Richters  von  Neuruppin  Jacobus  Kriele,  verheirathet  hatte. l) 
Er  studirte  von  1596  ab  in  Frankfurt.  Im  Rath  der  Altstadt 
erscheint  er  zuerst  1612;  vier  Jahre  später  zum  Bürgermeister 
gewählt,  heirathete  er  161 8  die  Tochter  des  M.  Gregorius 
Bluhm  und  wurde  dadurch  Schwager  des  Caspar  Prätorius. 
Obwohl  am  28.  Nov.  1620  als  Schöppe  bestätigt,  begann  er 
erst  im  Jahre  1622  seine  Schöppenthätigkeit  (70317;  699); 
sie  endete  1638  (76  603).  Auch  er  musste,  ähnlich  wie  Chue- 
den,  in  der  Kriegszeit  eine  arge  Unbill  erdulden:  der  Obrist- 
leutnant  Moritz  Aug.  von  Rochow,  dessen  Vater  Tieffenbachs 
Schuldner  war,  gab  ihm  (Mai  1635)  einen  starken  Backen- 
streich nach  einer  kommissarischen  Verhandlung  über  die 
Schuld;2)  zwei  Tage  darauf  veranlasste  der  Kurfürst  auf 
Tieffenbachs  Anzeige  hin  den  Hofadvokaten  und  Hoffiskal, 
die  Sache  bei  dem  Kammergericht  zu  verfolgen,  und  Hess 
dem  v.  Rochow  einen  empfindlichen  Verweis  zugehen.  Die 
Städte  machten  die  Sache  zu  der  ihrigen  und  legten  dem 
Kurfürsten  eine  besondere  Beschwerde  vor;  v.  Rochow  stellte 
sich  trotz  Androhung  von  Geldstrafen  mehrmals  nicht,  indem 
er  vorschützte,  durch  die  Kriegszeiten  in  Anspruch  genommen 
zu  sein.  Auf  den  Bericht  des  Hoffiskals  ordnete  der  Kurfürst 
am  10.  Juli  an,  dass  die  Geldstrafe  beigetrieben  und  die  eid- 
liche Inquisition  angeordnet  werden  solle.3) 

Christian  Bardeleben  und  Peter  Weitzke,  sowie  des 
letzteren  Nachfolger  Ludovicus  Saxonius  haben  wir  bereits 
(S.  109, 1 10, 1 14)  unter  den  Schöppenschreibern  kennen  gelernt. 

Bardelebens  Todesjahr  (1630)  ist  das  letzte  Jahr,  in 
welchem  vier  altstädter  Schoppen  im  Schöppenstuhl  sassen. 
Von  da  ab  minderte  sich  —  offenbar  unter  den  Wirkungen 
des  dreissigjährigen   Krieges  —  die  Zahl    erst    auf  3,    dann 

1)  Leichenpr.  für  den  Bruder  Joachims  T.,  Joh.  T.,  Kaufmann, 
Schöppe,  Stadtrichter  und  BM.  von  Neuruppin  von  1652  in  der  Bibl.  der 
Gotthardkirche  zu  Br. 

2)  R.  49  c.  StA. 

3)  Weiteres  erhellt  nicht. 

St  öl z e  1,  Iüntw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  IO 


146  2.  Buch.    Personal.    2.  Abschnitt.    Schoppen. 

zwölf  Jahre  lang  (von  1638  bis  1650)  auf  2,  erhöhte  sich  nach 
eingetretenem  Frieden  wieder  auf  3  und  blieb  auf  dieser 
Zahl  mit  geringen  Schwankungen  bis  zum  Jahre  1768  stehen. 

Tieffenbach  wurde  1650  durch  Caspar  Junius  ersetzt, 
der  1624  zu  Colberg  als  Sohn  eines  Kaufmannes  geboren  war. l) 
Mit  ihm  und  dem  gleichzeitig  in  den  Rath  der  Neustadt  be- 
rufenen Peter  Müller  beginnt  im  Brandenburger  Rath  und 
Schöppenstuhl  die  Reihe  der  Hochgelehrten:  der  wiederher- 
gestellte Friede  und  das  Beispiel  anderer  Raths-  wie  Schöp- 
penkollegien,  namentlich  wohl  aber  auch  der  Niedergang  des 
Magdeburger  Schöppenstuhls,  bestimmte  die  Stadt  Branden- 
burg, ihr  Streben  darauf  zu  richten,  dass  zu  den  bedeutend- 
sten städtischen  Aemtern  Juristen  ersten  Ranges  herbeige- 
zogen wurden;  nur  so  konnte  der  Gedanke  berechtigt  sein, 
in  Brandenburg  einen  Ersatz  für  Magdeburg  zu  schaffen. 
Das  mag  für  die  Wahl  der  genannten  Beiden  bestimmend 
gewesen  sein,  wenngleich  sie  den  Doktortitel  nicht  besassen. 
Die  Ausbildung,  die  Caspar  Junius  genossen  hatte,  hob  sich 
merkbar  vor  der  seiner  Amtsvorgänger  hervor.  Die  Alt- 
stadt nahm'  ihn  im  Mai  1650  als  Syndikus  an;  schon  im  Juni 
desselben  Jahres  wurde  er  Schöppe.  Noch  nie  hatte  das 
Syndikat  Jemand  bekleidet,  der  eine  solche  Schulung  aufweisen 
konnte,  wie  Junius.  Nachdem  er  drei  Jahre  in  Königsberg 
Jurisprudenz  und  politische  Historie  studirt,  begleitete  er 
1644  die  schwedische  Botschaft  des  Grafen  Magnus  de  la 
Gardie  an  den  König  von  Frankreich  nach  Paris  und  hielt 
sich  einige  Zeit  in  Schweden,  Dänemark,  England,  Holland 
und  Ostfriesland  auf,  wo  er  die  vornehmsten  Universitäten, 
Städte  und  Festungen  besuchte.  Im  Ganzen  wanderte  er 
9  Jahre.  Demnächst  hielt  er  in  Frankfurt  Kollegien  und 
präsidirte  Disputationen,  die  ihm  Ruhm  verschafften.  So  war 
denn  auch  seines  Bleibens  in  Brandenburg  nicht  lange:  im 
Jahre  1657  wurde  er  als  Kurf.  Rath  und  Hof-  und  Land- 
richter zu  Prenzlau  thätig,2)  wo  er  1665  starb. 

Er   bahnte    den  Licenciaten    und  Doktoren    der  Rechte 


')  Leichenpr.  Frkf.  1665   in   der   Bibl.   des   Realgymn.   zu  Br.     Akten 
M.  1  fol.  152  RA. 

2)  Zuletzt  in  den  Schöppenstuhlsakten  März  1657  (79  128). 


§  7-    Altstädtische  Schoppen.  147 

den    Weg,    die    sich    nunmehr    (von  1656   ab)    mehrfach   im 
Schöppenstuhl  finden. 

Der  erste  war  Chuedens  Nachfolger,  Dr.  David  Cicho- 
rius  (1656),  der  zweite  Junius'  Nachfolger,  Lic.  jur.  Guilelmus 
Böckel. 

David  Cichorius  stammte  aus  Klein -Sora  in  der  Herr- 
schaft Hoyerswerda,  wo  sein  Grossvater,  sein  Vater  und  sein 
jüngerer  Bruder  Pastoren  waren.1)  Von  einem  anderen 
jüngeren  Bruder  Johannes  wissen  wir,  dass  er  zunächst  die 
Schulen  in  Hoyerswerda  und  Bauzen  besuchte  und  1648  die 
Universität  Wittenberg  bezog.2)  Der  ältere  Bruder  David 
mag  dieselbe  Ausbildung  genossen  haben.  Er  war  1663  und 
1664  Bürgermeister  in  der  Altstadt  und  Direktor  der  Mittel- 
märkischen und  Ruppinischen  Städte.3)  Bei  den  zwei  ein- 
zigen Spruchsachen  des  Jahres  1653,  die  sich  erhalten  haben, 
finden  wir  seinen  Namen  noch  nicht,  aus  den  Jahren  1654 
und  1655  sind  keine  Sachen  vorhanden. 

Böckel,  der  Sohn  eines  Stendaler  Arztes,  war  1644  bis 
1656  Kämmerer  in  Stendal,  als  er  1657  vom  altstädter  Rath 
zu  Brandenburg  dem  Kurfürsten  zum  Bürgermeister  und 
Schoppen  präsentirt  wurde;  er  starb  1662  oder  1663. 4) 

Seinen  Nachfolger  haben  wir  (S.  147)  in  der  Person  des 
secretarius  scabinatus  Julius  Berchelmann  kennen  gelernt, 
der  32  Jahr  lang  —  fast  bis  zum  Schlüsse  des  siebzehnten 
Jahrhunderts  —  im  Schöppenstuhle  sass. 

An  Saxonius'  Stelle  trat  1665  Friedrich  Kriele,  welcher 
aus  der  S.  145  genannten  Neuruppiner  Raths-  und  Richterfamilie 
stammte.  Er  war  von  1664  bis  1673  altstädtischer  Richter, 
1670  altstädtischer  Kämmerer,  1673  Rathsherr,  1677  Bürger- 
meister,  1679  Notar ius  publicus  caesareus  und  von  1665  bis 

1)  Leichenpredigt  seines  Vaters,  des  Mag.  David  Cichorius,  Dresden 
1663,  in  der  Bibliothek  des  Realgymnasiums  zu  Brandenburg.  In  den 
Schöppenstuhlsakten  79  368  votirt  D.  C.  auf  der  Rückseite  eines  Quart- 
blattes, das  ein  Stück  einer  Predigt  enthält. 

2)  Leichenpredigt  des  Johannes  Cichorius,  Pfarrer  zu  Osslin,  1669, 
a.  a.  0. 

8)  Leichenpredigt  seines  Vaters;  Doc.  A.  II,  418  RA. 
*)  R.  ai  N.9C  StA.    Götze,  Gesch.  der  Stadt  Stendal  S.  279.  395.  396. 

10* 


148  2-  Kuch.    Personal.    2.  Ahschnitt.    Schoppen. 

1707,  also  ebenfalls  32  Jahr  lang,  Schöppe,  fungirte  auch  als 
Verordneter  der  Mittelmärkischen,  Uckermärkischen  und 
Ruppinischen  Städte.  Seine  Gattin  war  die  Tochter  des 
neustädtischen  Rathsherrn  Zabel1) 

Den  Schöpqen  Cichorius  ersetzte  (1677  bis  1700)  der 
Kammergerichtsadvokat  Lic.  jur.  Bernhard  Didden,  gebürtig 
aus  Berlin,  wo  der  Vater  Justus  Didden  (geb.  1597  als  Sohn  des 
Pfarrers  Andreas  Didden  zu  Retzow  und  zu  Ruppin)  und  der 
Grossvater  Joachim  Didden  ebenfalls  als  Kammergerichts- 
advokaten lebten.2)  Da  der  genannte  Pfarrer  1560  in  Witten- 
berg als  aus  Brandenburg  gebürtig  immatrikulirt  ist  und  sich 
mit  Cath.  Boldicke  aus  Brandenburg  verheirathete,  scheint 
die  Familie  aus  Brandenburg  nach  Berlin  übergezogen  und 
in  Bernhard  Didden  wieder  nach  Brandenburg  zurückgekehrt 
zu  sein.  Der  Vater  Bernhards  ist  in  den  Jahren  1613  bis 
1621  in  Frankfurt,  Wittenberg,  Leipzig,  Jena  und  nochmals  in 
Frankfurt  immatrikulirt.  Seine  Gattin  war  eine  Tochter  des 
Schoppen  Bernhard  Zieritz;3)  sie  verheirathete  sich  als  Witwe 
mit  dem  Berliner  Rentmeister  Berchelmann.4)  Bernhard  Didden 
wurde  1644  als  non  juratus  in  Frankfurt  immatrikulirt;  1648 
leistete  er  den  Eid  und  studirte  1654  und  1655  m  Altorf;  er 
starb  im  Mai  1700. 5J 

Es  scheint  nach  seinem  Tode  die  Absicht  des  Königs 
gewesen  zu  sein,  den  (Berliner?)  Advokaten  Franz  Peter 
Deodati  aus  Rheinfelden  bei  Basel,  der  von  1693  ab  in 
Frankfurt  studirt  hatte,  an  Diddens  Stelle  in  den  Schöppen- 
stuhl  zu  berufen.  Er  wird  (80  15  ff.)  im  September  1701  als 
der  „schon  hier  (d.  h.  nach  Brandenburg)  gekommene  neue 
Kandidat"  und  als  „confirmatus  assessor11  bezeichnet,  der 
dem  Schoppen  Katsch  mitgetheilt  habe,  es  sei  bereits  vom 
Senior  Müller  eine  Sitzung  zu  seiner  Inpflichtnahme  und 
Aufführung  bestimmt.    Müller  erklärte,  „er  habe  mit  solchen 

')  R.  21  No.  9c  und  lo»  StA.  Üoc.  A.  II,  305,  Akten  M.  1  fol.  97  RA. 
Grabdenkmal  in  der  Gotthardkirche. 

2)  Collectio  geneal.  vol.  IV  auf  der  Kgl.  Bibl.  zu  Berlin  unter  «Andreas 
Didden*4  (Hand Schriftensammlung).  Hochzeitsged.  fiir  Bernhard  D.'s  Tochter 
i6<x>  SP.  1,  Archiv  der  Brdb.  Paulikirche 

3)  Siehe  unten  §  8.  *)  S.  oben  S.  128. 
*)  Cod.  A.  21   fol.  150  RA. 


$  7-    Altstädtische  Schoppen.  149 

Unwahrheiten  nichts  zu  thun";  von  einem  Eintritt  Depdatis 
i.i  den  Schöppenstuhl  war  weiter  keine  Rede;  die  erledigte 
Stelle  blieb  zwei  Jahre  lang  unbesetzt;  dann  erhielt  sie  der 
Schwiegersohn  eines  altstädter  Schoppen. 

Nach  Berchelmanns  Tode  fiel  dessen  Sitz  im  Schöppen- 
stuhl dem  Syndikus  der  Altstadt  Friedrich  Katsch  aus  Halle 
zu  (1696  bis  1722),  wahrscheinlich  dem  Bruder  des  Berliner 
Kammergerichtsadvokaten,  späteren  hervorragenden  Ministers 
König  Friedrich  Wilhelm's  I.  Friedrich  Katsch  studierte  in 
Leipzig  und  Frankfurt  (1689). l)  Bevor  er  nach  Brandenburg 
kam,  war  er  in  Burg  thätig,  wo  er  als  Bürgermeister  an  der 
Spitze  der  Acht-  und  Viertelsmänner  (eines  neben  dem  Rath 
stehenden  Bürgerausschusses)  mit  dem  anderen  Bürger- 
meister Mühlpfordt  in  einen  1689  bis  an  den  Kurfürsten  ge- 
brachten Streit  gerieth;  sein  Schwiegervater,  der  Berliner 
Hof-  und  Quartalsgerichtsrath  Vielhut,  wirkte  für  gütliche 
Beilegung.2)  In  diesen  Verhältnissen  mag  der  Anlass  ge- 
legen haben,  dass  Katsch  Burg  verliess.  Im  Jahre  1691 
finden  wir  ihn  in  Brandenburg,  und  zwar  zuerst  als  Syndikus 
der  Altstadt.3)  Nachdem  er  sich  in  diesem  Jahre  vergeblich 
beim  Kurfürsten  um  die  Verleihung  einer  Stelle  im  Schöppen- 
stuhl beworben  hatte,  wurde  er  im  Jahre  1695  nach  Berchel- 
manns Tode  zum  Schoppen  der  Altstadt  präsentirt  und  am 
30.  Oktober  bestätigt.  Damals  und,  als  er  den  Schöppeneid 
leistete  (den  7.  März  1696), 4)  bekleidete  er  als  erster  neben 
dem  Amt  eines  Syndikus  dasjenige  eines  Consul  extraordi- 
narius. :>)  Später  war  er  nur  noch  Bürgermeister.  Er  starb 
am  24.  März  1722  als  Steuerrath,  Kriegskommissarius  in  den 
hoch-  und  niederzauchischen  Kreisen,  Verordneter  der  Mittel-, 
Uckermärkischen  und  Ruppinischen  Städte,  ältester  Bürger- 
meister und  Senior  des  Schöppenstuhls.  Auf  seine  Beziehung 
zum   Minister   Katsch,    zu   dessen   Aufgabe   die   Bearbeitung 

J)  Trauerged.    seines    Schwiegersohnes    Pastor  Schlicht    1722,    SP.  2, 
Archiv  der  Paulikirche  in  Br. 

-)  Purger  Stadtarchiv,  Akten  A.  7.  3)  Cod.  A.  47  RA. 

*)  Schöppenbuch  von  1692  ff.  fol.  7. 

h)  Er  war  auch    hierin  Berchelmanns  Nachfolger,  Cod.  A.  54,  55  RA., " 
R.  21  N.  9C  StA. 


150  2«  Buch.    Personal.    2.  Abschnitt.    Schoppen. 

der  Strafsachen  im  Geheimen  Rathe  gehörte,1)  deutet  eine 
Bemerkung  des  Schoppen  Friedrich  Katsch  hin,  dass  man 
„bei  Hofeu  nicht  wünsche,  durch  einen  Schöppenspruch  in 
der  Art  der  Begnadigung  gebunden  zu  werden. 

Diddens  Nachfolger  im  Schöppenamte  wurde  seit  1703 
Johann  Christian  Hannemann,  Sohn  eines  Breslauer  Kauf- 
mannes und  Schwiegersohn  des  neustädtischen  Bürgermeisters 
Cläpius;2)  vor  der  Wahl  zum  Schoppen  war  er  Syndikus, 
was  er  bis  zu  seinem  Tode  blieb,  nebenher  auch  consul  extra- 
ordinarius;  er  starb  im  Jahre  1711. 

Als  Krieles  Nachfolger  im  Schöppenamte  haben  wir 
(S.  131)  den  letzten  der  aus  dem  Schöppenschreiberamt  her- 
vorgegangenen Schoppen  Johann  Wolfgang  Steltzner 
kennen  gelernt,  der  von  1 707  bis  1 739  im  Schöppenstuhl  sass. 

An  Hannemanns  Stelle  wurde  (171 2  bis  1730)  Paul  Lange 
Schöppe.  Zu  Fürstenberg  in  der  Niederlausitz  als  Sohn  des 
dortigen  Kämmerers  geboren,3)  studirte  er  in  Leipzig  und 
Frankfurt,  wurde  dann  Auditeur  im  Markgräflich  Ludwig- 
schen  Bataillon,  das  sich  damals  in  Piemont  befand,  und  dem- 
nächst im  Schlaberndorfschen  Regiment.  Sodann  wurde  er 
Kammergerichtsadvokat  und  im  Jahre  1704  Syndikus  des 
Brandenburger  Domkapitels.4)  Er  war  das  erste  Mitglied 
des  Schöppenstuhls,  das  nicht  Bürger  einer  der  beiden  Städte 
war.  Seine  Wahl  erfolgte  daher  „citra  ambarum  civitatum 
praejudicium44.5)  Bei  der  Städtevereinigung  im  Jahre  17 15 
wurde  er  Rath  und  Direktor  der  Städte,6)  bald  darauf  auch 
Verordneter  der  Uckermärkischen  und  Ruppinischen  Städte. 
Er  starb  am  15.  Juni  1730.7) 

')  Stölzel,  Rechtsverw.  2,  26. 

2)  Kirchenb.  der  Johanniskirche  in  Br.;  R.  21  No.  9c  StA.;  Schöppen- 
buch  fol.  8. 

3)  Grabmal  der  Katharinenkirche  zu  Brdbg. 

4)  Leichenpredigt,  1730,  Sammlung  des  Grauen  Klosters  zu  Berlin, 
Band  Fol.  XVI. 

•'')  Schöppenbuch  a  a.  O. 

")  Gottschling,  Fromme's  Beschreibung  der  Stadt  Brandenburg,  ed. 
Brandenburg  1727  S.  157. 

"')  Grabdenkmal  in  der  Katharinenkirche;  die  Leichenpredigt  giebt 
den  8.  Juni  als  Todestag  an. 


$  8.     Neustädtische  Schoppen.  151 

§8. 
Neustädtische  Schoppen. 

An  die  Spitze  der  mit  Namen  genannten  neustädtischen 
Schoppen  wird  Nicolaus  Blanken feld1)  gestellt  werden 
dürfen,  dessen  Witwe  141 5  in  das  neustädtische  Rathsbuch 
vermerken  Hess,  dass  sie  einen  Sachsenspiegel  und  eine 
Glosse  dazu,  je  in  besonderem  Bande,  dem  Fricko  Blanken- 
felde  (wohl  dem  Bruder  ihres  verstorbenen  Mannes)  unter  der 
Bedingung  überwiesen  habe,  dass  nach  dessen  Tode  die 
beiden  Bücher  auf  ihren  (der  Witwe)  Sohn  Henning  oder 
auf  den  ältesten  Sohn  Frickos  oder  Hennings  fallen  solle, 
mit  der  weiteren  Anordnung,  es  solle  ewiglich  so  mit  dem 
Anfalle  an  den  ältesten  Sohn  derselben  Parentel  gehalten 
werden.  Die  Handschrift  des  Sachsenspiegels  und  seiner 
Glosse  war  also  damals  so  werthvolles  Besitzthum,  dass  man 
darüber  Einträge  in  die  öffentlichen  Bücher  machte,  wie  über 
Kapitalien  und  Grundstücke,  die  man  veräusserte  oder  von 
Todeswegen  vergabte;  die  beiden  Bücher  sollten  fidei- 
kommissarisch  dem  ältesten  Sohn  der  Familie  zustehen. 
Kin  Brandenburger  Bürger,  der  um  1400  einen  solchen 
Schatz  besass,  wird  mit  ziemlicher  Sicherheit  den  Schoppen 
zugezählt  werden  dürfen,  und  wenn  die  Witwe  in  erster 
Linie  den  Bruder  ihres  Mannes,  in  zweiter  ihren  Sohn  oder 
den  Sohn  jenes  Bruders  zu  ferneren  Besitzern  der  beiden 
Bücher  bestimmte,  so  unterstellte  sie  wohl  diese  Familien- 
glieder zugleich  als  berufen,  im  Schöppenstuhl  von  den 
Büchern  Gebrauch  zu  machen.  Die  Blankenfeld  waren  eine 
angesehene  Raths-  und  Schöppenfamilie.  Ein  Zweig  der- 
selben wird  die  Berliner  Bürgermeisterfamilie  desselben  Na- 
mens sein,  aus  welcher  der  erste  Rektor  der  Universität  Frank- 
furt, der  Dr.^bonon.  und  spätere  Rigaer  Erzbischof  Johann 
Blankenfeld  hervorging.3)  Nicolaus  Blankenfeld,  der  einstige 
Besitzer  des  Sachsenspiegels    und  seiner  Glosse,  repräsentirt 


1)  Siehe  in  den  mark.  Forschungen  Bd.  18  S.  102  unter  Nr.  168. 

2)  et  hoc  debet  eternaliter  durare  sub  seniori  filio  ejusdem  parentele 
successive  etc. 

3)  Seidel,  Bildersammlung  S.  29. 


152  2«  Buch.    Personal.    2.  Abschnitt.    Schoppen. 

den  begüterten  Brandenburger  Schoppen  am  Ende  des  vier- 
zehnten Jahrhunderts. 

Einen  weiteren  neustädtischen  Schoppen,  und  zwar  aus 
dem  Jahre  1492,  lernen  wir  in  dem  Bürgermeister  Claus  von 
Gulen  kennen,  der  laut  des  neustädtischen  Schöppenbuchs 
von  1492  ff.  dieses  Buch  als  ältester  Schöppe  „auf  Befehl 
der  Schoppen"  anlegte.1)  Da  er  damals  ältester  Schöppe  war, 
gehörte  er  sicher  schon  lange  Zeit  vorher  dem  Schöppen- 
kolleg  an.  Dazu  stimmt,  dass  er  schon  1477  a's  Bürger- 
meister vorkommt.2)  Ein  Leibgedingsbrief,  den  1503  (7  265) 
der  Graf  von  Lindow,  der  Herr  der  Grafschaft  Ruppin,  in 
Wusterhausen  von  seinem  Schreiber  unter  Zuziehung  von 
sechs  seiner  Räthe  aufstellt,  zählt  unter  diesen  Räthen  Claus  von 
Gulen  auf.  Dessen  Identität  mit  dem  Brandenburger  Schoppen- 
ältesten  und  Bürgermeister  dürfte  kaum  zweifelhaft  sein.  Ist 
sie  vorhanden,  so  haben  wir  eines  der  Beispiele  vor  uns,  in 
denen  ein  Landesherr  den  rechtsgeübten  Bürgermeister  einer 
benachbarten  Stadt  als  seinen  Rathgeber  verwendet,  mag  es 
nur  in  einem  einzelnen  wichtigen  Geschäft  sein,  wie  wenn 
ein  Fürst  seiner  Witwe  das  Leibgedinge  aussetzt,  oder  mag 
es  sich  um  eine  Heranziehung  durch  Bestallung  zum  Rathe 
„von  Haus  aus44  oder  gar  zum  „wesentlichen"  (d.  h.  am  Hofe 
sesshaften)  Rath  handeln.3)  Letzteren  Falls  müsste  Gulen 
sein  Bürgermeisteramt  vor  1503  aufgegeben  haben.  Der 
Umstand,  dass  er  mitten  unter  einer  Reihe  von  Rittern  ge- 
nannt wird,  beweist,  dass  er  dem  Adel  angehörte.  Also 
auch  im  neustädter  Rathe  findet  sich  ein  Ritter.  Von  An- 
gehörigen derselben  Familie  werden  in  den  Akten  noch  ge- 
nannt: Germanus  von  Gulen  in  Neuruppin  1533  (1  601),  Busso 
von  Guelen  auf  Wustrow  1560  (8  81)  und  1588  (30  176),  alle 
von  Guehlen  auf  Rohrlake  1594  (38  5),  Christoph  Joachim  von 
Guelen  auf  Dreez  1612  (59  381).4)  Die  Familie  kann  ihren 
Namen  von  dem  bei  Wriezen  gelegenen  Gute  Alt- Gaul  tragen. 

')  Siehe  oben  Seite  33    76. 

2)  In  Brandenburger  Urkunden  des  Zerbster  Archivs,  1478  auch  im 
Über  civitatis  (siehe  oben  S.  34). 

3)  Stölzel,  Rechtsverw.  1  128.  129 

4)  An  diesen  drei  Stellen  dasselbe  Siegel  mit  Helmzier. 


§  8.    Neustädtische  Schoppen.  ]53 

Mit  Claus  von  Gulen  werden  1494  Andreas  Grelle 
und  Claus  Olste  (ÜB.  1  34)  als  neustädtische  Schoppen  ge- 
nannt. Auch  sass  1473  Hans  Krüger  im  Rathe  der  Neu- 
stadt; aus  seiner  Familie  stammen  die  in  Brandenburg  mit 
Grundeigenthum  angesessenen  Gebrüder  Krüger,  deren  einer 
{August in)  1533  Bürgermeister  und  ausweislich  der  auf  seine 
Tochter,  die  Witwe  Iden,  gehaltenen  Leichenpredigt  auch 
Schöppe  war.1)  Da  er  in  dieser  Predigt  als  wohlgelehrt 
bezeichnet  wird,  hat  er  vermuthlich  —  anders  wie  die  bisher 
Genannten  —  Universitätsbildung  gehabt,  wenngleich  sich 
das  aus  den  veröffentlichten  Matrikeln  nicht  nachweisen 
lässt.  Er  starb  1567,  gehörte  also  über  ein  Menschenalter 
dem  Schöppenstuhl  an. 

Mit  ihm  sassen  darin  als  Neustädter  die  Bürgermeister 
Clemens  Storbeck  (1534  bis  1549)  und  Hans  Nickel  (1537 

Ws  1554). 

Aus  der  Familie  Storbeck  werden  im  15.  Jahrhundert 
genannt  Heinrich  Storbeck,  Kommissarius  des  Bischofs  zu 
Brandenburg,  und  Nicolaus  Storbeck,  bischöflicher  Offizial 
zu  Ziesar  (1436  in  Leipzig  immatrikulirt),  1455  Pfarrer  der 
Neustadt  Brandenburg2)  und  Bruder  des  etwa  gleichzeitigen 
neustädtischen  Bürgermeisters3).  Des  letzteren  Sohn  Am- 
brosius  Storbeck  war  15 15  neustädtischer  Bürgermeister4). 
Dessen  Sohn  Clemens  Storbeck  studirte  1503  in  Wittenberg; 
seine  Söhne  Thomas  und  Lorenz,  von  denen  der  erstere 
seit  1574  neustädtischer  Bürgermeister  und  wahrscheinlich 
seit   1577  Schöppe  war,  studirten  von  1541  an  in  Frankfurt. 

Ueber  Hans  Nickel  ist  nur  bekannt,  dass  er  1537  im 
neustädtischen  Rathe  sass,  1545  neustädtischer  Bürgermeister, 
1548  regierender  Bürgermeister  war;  1553  wird  er  als  Bürger- 

1)  Rathsbuch  N.  1.  AA.  249.  302.  41.  26.  Leichenpr.  SP.  11  der  Pauli- 
kirche. 

2)  Gratulationsgedicht  zur  BM.-Wahl  des  Thomas  Storbeck  1574, 
Sammclband  der  Brandenburger  Paulikirche. 

3)  Zerbster  Archiv  II.  15. 

4)  Doc.  A.  1.  127  No.  6.  28;  125  No.  4  RA.  Rathsbuch  N  1  fol.  164  ff.  AA., 
wo  die  Erbausei nandersetzung  (1562)  erfolgt;  vergl.  Schöppenstuhlsakten 
15  289. 


154  2»  Buch.    Personal.    2.  Abschnitt.    Schoppen. 

meister  und  Schöppe  erwähnt  (5  38),    seit  1558    aber    nicht 
weiter  genannt. 

Unter  Krüger,  Storbeck  und  Nickel  hatte  sich  ein 
unterer  Lehrer  der  neustädtischen  Schule,  Gregorius  Bester, 
ein  Autodidakt,  der  sich  von  seinen  Kollegen  unterrichten  Hess, 
bereits  vor  dem  Jahre  1537  zum  Schulrektor  emporgearbeitet.1; 
Man  wählte  ihn  1545  in  den  Rath,2)  1546  zum  regierenden 
Bürgermeister;  zugleich  war  er  Schöppe  (1552:  4  361;  1557: 
6  7.  84; 3)  1558:  7  193).  Er  bietet  eine  Parallele  zu  dem 
damals  ebenfalls  aus  dem  Schulrektorate  hervorgegangenen 
altstädter  Schoppen  Meynicke  und  zu  dem  damals  noch  im 
Schöppenschreiberamte,  wenige  Jahre  später  aber  ebenfalls 
im  Schöppenamte  fungirenden  altstädtischen  Schulrektor 
Roter.  Als  ältester  Schöppe  der  Neustadt  hatte  Bester  1552 
(4  252.  361)  mit  dem  ältesten  Schoppen  der  Altstadt  Valentin 
Schmidt  eine  Korrespondenz  in  einer  Prozesssache  (ÜB. 
1  267  ff.).  Eine  neue  Zeit  brach  an  mit  diesem  ersten  Zeichen 
schriftlichen  Verkehrs  unter  den  Schoppen.  Bester  entwarf 
eigenhändig  den  Spruch.  Die  dem  Beischreiben  einverleibten 
lateinischen  Stellen4)  ergeben  Besters,  und  einzelne  Sätze 
des  Antwortschreibens  ergeben  Schmidts  wissenschaftliche 
Bildung.  Es  liegt  hier  der  früheste  Fall  vor,  dass  in  den 
Schöppenstuhlsakten  die  Namen  von  Schoppen  genannt 
werden,  der  Besters  in  der  Unterschrift,  der  Schmidts  in  der 
Adresse  des  Briefes. 

Mit  Besters  Abgang  (1559)  beginnt  für  die  Neustadt, 
ebenso  wie  mit  Schmidts  Abgang  für  die  Altstadt  (1561), 
die  Periode,  in  der  die  schon  seit  längerer  Zeit  aus  den 
Rechtsgelehrten  entnommenen  Schöppenschreiber  zu  Schoppen 


l)  Gottschling,  Res  praeceptorum  Neobrand.  Rasmus,  Beitr.  zur  Gesch. 
des  Alt-  und  Neustadt.  Gymnasiums  zu  Brandenburg  1897  S.  11. 
a)  Rathsbuch  N  1  fol.  13.  15.  72  AA. 

3)  Hier  Besters  Siegel. 

4)  „Quando  crimen  per  alios  pro  bar  i  non  potest,  tunc  indistincte  socius 
criminis  admittitur,  dazu  hilft  communis  consuetudo  cum  incendiariis  per 
Germaniam  observata.  quod  socii  criminum  .  .  .  torture  subjiciuntur."  Ob 
dies  Besters  eigenes  Gutachten  oder  ein  Zitat  aus  einem  Strafrechtslehrer 
ist,  erhellt  nicht. 


$  8.    Neustädtische  Schoppen.  ]/>5 

werden.  Dahin  gehören,  wie  wir  sahen/)  Karpzow,  Mawe, 
Heinatz,  Boldicke,  Floring,  die  in  der  zweiten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts  auftreten.  Auch  gehört  dahin  Matthias 
Vielitz,  der  zwar  nicht  Schöppenschr eiber,  aber  doch  — 
neben  Carpzow  —  1558  neustädtischer  Stadtschreiber  war 
und  von  1560  (8  112)  bis  1564  in  dem  Schöppenstuhl  sass.2) 
Damit  ist  noch  nicht  ausgeschlossen,  dass  ein  oder  der  andere 
ungelehrte  Schöppe  im  Schöppenstuhl  verblieb. 

Zu  diesen  ungelehrten  Schoppen  ist  anscheinend  der 
Bürgermeister  Franz  Welsow  zu  zählen  (aus  dessen  Familie 
Andreas  Welsow  1522  im  Rathe  sass);3)  er  wird  1550  als 
Rathsherr,  1567  bis  1576  als  Schöppe  genannt.4)  Sicher  war 
nicht  rechtsgelehrt  der  Bürgermeister  Lucas  Scholle.  Er 
ist  1527  in  Dünckelspiel  (Schwaben)  geboren  und  „nur  bis 
zu  13  Jahren  in  die  Schule  gegangen,  was  er  oft  beklagte". 
Er  bildete  sich  zum  Apotheker  aus  und  durchreiste  Deutsch- 
land und  Dänemark.  In  Brandenburg  heirathete  er  die 
Tochter  des  dortigen  ersten  Apothekers  Erasmus  Berisch, 
dessen  Apotheke  er  später  übernahm.  „Da  er  eine  herrliche, 
ansehnliche  Person  war  und  bescheidentlich  von  Händeln  zu 
reden  wusste,"  so  wurde  er  1552  in  der  Neustadt  zum 
Kämmerer  und  dann  zum  Bürgermeister  erwählt.5)  Dass  er 
Schöppe  war,  steht  für  das  Jahr  1567  fest  (11  118).  Auf- 
fallenderweise erwähnt  die  Leichenpredigt  seine  Schöppen- 
eigenschaft  nicht.  Er  empfand  als  Schöppe  das  geringe 
Maass  seiner  Schulbildung.  Durch  fleissiges  Selbststudium 
und  durch  Uebung  war  er  soweit  gekommen,  dass  er 
zwar    „nicht    Lateinisch    reden   und    schreiben,    aber   lesend 


l)  Oben  S.  119.   121.   122.   123. 

■)  Ein  Votum  von  Vielitz,  in  welchem  ein  lateinischer  Satz  steht  (ergo 
ne  affectibus  indulgere  videns  ....  acquiesco),  s.  8  112  (1560).  Stadtchronik 
Cod.  N.  5  fol.  65  RA,  wo  die  Rathspersonen  ohne  Vielitz  aufgezählt 
werden.     Rathsb.  N.  1   fol.  194h  AA.  (M.  Vielitz  „Wittwe"  1564). 

3)  Schöppenbuch  von   1492  fr.  RA. 

4)  Rathsb.  N.  1  fol.  35.  15.  18.  19  AA.;  N.  a  fol.  74  AA.  Schöppenstuhls- 
akten  15  18  (1562),  11  94  (1567)1  J7  761  (1576). 

6)  Leichenpr.,  Wittenberg  1576  (Kgl.  Bibl.  zu  Berlin).  Wir  finden  ihn 
1553  zum  ersten  Mal  im  Rath  (Rathsb.  N.  1  fol.  30h  AA.)  und  1558  zum 
ersten  Mal  als  Bürgermeister  (Doc.  A.  I   162  RA.). 


156  2«  Buch.    Personal.    2.  Abschnitt.    Schoppen. 

verstehen  und  den  Inhalt  vernehmen  konnte".  Rühmend 
wird  hervorgehoben,  dass  er  sich  1566  zur  Zeit  der  Pest1) 
besonders  verdient  gemacht  habe.  Zehn  Jahre  später  (Nov. 
1576),  nachdem  er  unlängst  mit  der  Tochter  des  Bürger- 
meisters M.  Simon  Roter  eine  zweite  Ehe  geschlossen 
hatte,  sollte  auch  ihn  die  Pest  dahinraffen.  Im  Jahre  1568 
heirathete  seine  Tochter  den  neustädtischen  Syndikus  Jo- 
achim Heinatz.2) 

Von  Interesse  ist,  dass  wir  unter  den  ältesten  schrift- 
lichen gutachtlichen  Aeusserungen  von  Schoppen  auch  eine 
dieses  ungelehrten  Schoppen  besitzen:  sie  spricht  sich  sehr 
verständig  gegen  die  wiederholte  Tortur  einer  Angeklagten 
wegen  fehlender  neuer  Indicien  aus  (1567:  11  118)3)  und  er- 
giebt  in  den  Schlussworten:  „ich  habe  die  Sache  auf  morgen 
(nämlich  zur  Sitzung)  eingestellt",  dass  Scholle  damals  sogar 
das  Amt  des  Seniors  der  Neustadt  versah.  Handelte  es  sich 
freilich  um  feinere  civilistische  Fragen,  z.  B.  ob  ein  Sohn, 
der  nach  dem  Tode  des  Vaters  eine  Summe  an  sich  genom- 
men hatte,  um  sie  dem  Abschoss  und  seinen  Miterben  zu 
entziehen,  seines  Erbrechts  verlustig  gehe,  dann  revidirt 
1568  (11  476)  nicht  Scholle,  sondern  der  ihm  nächstälteste 
rechtsgelehrte  Carpzow  den  aus  der  Altstadt  herüberkom- 
menden Spruchentwurf  und  schreibt  darüber  an  den  altstädter 
Schöppenschreiber. 

Mit  Scholle  und  Welsow  verschwinden  1576  die  nicht- 
gelehrten  unter  den  neustädtischen  Schoppen,  wie  sie  mit 
Andreas  Schuller  1 584  unter  den  altstädtischen  verschwanden. 

Nachdem  1 567  Augustin  Krüger  gestorben  war,  ersetzte 
ihn    sein    Schwiegersohn    Michael    Iden    aus   Jüterbog,    der 

*)  Sie  raffte  in  Br.  2285  Personen,  darunter  den  Bürgermeister  Jochim 
Lowe,  hinweg.     Stadtchronik  Cod.  N.  5  fol.  19  RA. 

2)  Gratulationsgedicht  Wittenberg  1568. 

3)  Der  von  Scholle  den  Akten  beigelegte  „Zettel**  besagt: 

„Ich  halts  davor,  das  die  Retzesche  one  neue  inditia  der  peinlichen 
fragen  nicht  zu  underwerfen,  weil  sie  albereidt  auf  der  verrichten  personen 
aussage  peinlich  befraget,  und  würde  auf  den  fal,  da  nichtes  neues  wider 
sie  ausgefuret,  der  gefangnus  erledigt.  Ich  halt  aber,  man  habe  dise 
sache  bis  auf  den  morgen  dag  eingestaldt,  das  wir  darüber  zusammen  kommen. 

Lucas  Schol.14 


§  8.    Neustädtische  Schoppen.  157 

von  1550  an  in  Frankfurt  studirt  hatte  und  als  Konrektor 
der  neustädtischen  Schule  1569  in  den  Rath  der  Neustadt 
berufen  war.  Im  folgenden  Jahre  wurde  er  Schöppe  und 
Kämmerer,  1577  Richter. 

Auf  dem  Landtag  vertrat  er  „die  Mittel-,  Uckermark-  und 
Ruppinschen  Städte".  Er  starb  1597;  sein  Sohn  und  seine 
beiden  Schwiegersöhne  Johann  Floring  und  Matthias  Buch- 
holz wurden  Schoppen.1) 

Scholles,  Welsows  oder  Heinatz'  Nachfolger,  Jacob  Poppe 
aus  Frankfurt,  hatte  sich  dort  1560  immatrikuliren  lassen 
und  seine  juristische  Praxis  als  Amtsschreiber  des  Haupt- 
manns Caspar  v.  Arnim  zu  Ziesar  (1576:  658)  begonnen,  als 
er  £578  seine  Berufung  zum  neustädter  Rathsherrn,  Richter 
und  Schoppen  erhielt.  Nebenher  fungirte  er  (1580)  als  Sach- 
walter.    Er  starb   1 589.2) 

Aus  dem  Schreiberamte,  aber  nicht  aus  dem  des  bran- 
denburger  Schöppenschreibers,  gingen  auch  die  Schoppen 
Thomas  Storbeck  und  Joachim  Buchholtz  hervor. 

Beide  waren  neustädter  Stadtschreiber  gewesen. 

Thomas  Storbeck,  Sohn  des  neustädter  Bürgermeisters 
Clemens  Storbeck,  ist  1541  in  Frankfurt  (gleichzeitig  mit 
zwei  Brüdern)  und  dann  1553  in  Wittenberg  immatrikulirt. 
Die  erste  Immatrikulation  wird  wohl  nur  eine  Scheinimmatri- 
kulation im  Knabenalter  gewesen  sein;  denn  Thomas  Storbeck 
lebte  bis  161 2,  müsste  also  an  90  Jahre  alt  geworden  sein, 
wenn  er  bereits  1541  studirt  hätte.  Er  mag  zu  denen  ge- 
hören, die  von  der  1541  vorgemerkten  Immatrikulation  nach 
dem  Durchbruch  der  Reformation  keinen  Gebrauch  machten, 
vielmehr  sich  nach  Wittenberg  als  dem  Horte  des  evange- 
lischen Bekenntnisses  wandten.  Von  1561  an  war  er  neu- 
städtischer Stadtschreiber.3)      Seit    1566    scheint    er    in    den 

')  Leichenpr.  der  Witwe  Iden.  Berlin  162 1,  Archiv  der  Brdb.  Pauli- 
kirche SP.  11.  Hierin  wird  Iden  ,,eine  der  Grundsäulen  des  Vaterlandes, 
ein  Auge  des  Kurfürsten  und  andrer  Fürsten11  genannt.  Chronik  Cod.  N.  5 
fol.  65  RA.     Gerichtsprotokollbuch  N.  5  AA. 

. -)  Schöppenstuhisakten  20  16.  169.  481;  25353;  ^6  278.  447;  29  121. 
123«  553;  30282.553;  3122.  319.  367.  Cod.  N.  4  AA.  Leichenbuch  der  Ka- 
tharinenkirche  zu  Brdbg.     Cod.  A.  1  *  fol.  5  AA. 

3)  Cod.  N.  1  fol.  144  bis  190  AA.  Heins  Kopiarl,  317  RA. 


]58  2-  Buch.    Personal.    2.  Abschnitt.    Schoppen. 

Rath  getreten  zu  sein* und  Joachim  Buchholtz  zum  Nachfolger 
erhalten  zu  haben;  1570  war  er  Richter  der  Neustadt ; J)  1574 
wurde  er  Bürgermeister  daselbst,2)  jedenfalls  seit  1579  fun- 
girte  er  als  Schöppe;  1581  war  er  ältester  Bürgermeister.3) 
In  den  Schöppenstuhlsakten  erscheint  er  zuletzt  im  August 
1607  (54  !43)-  In  Berlin  ist  er  1609  als  Sachwalter  (57  372) 
thätig.  Er  starb  im  Oktober  1612.4)  Dass  der  altstädter 
Bürgermeister  und  Schöppe  Andreas  Dietrich  mit  ihm  ver- 
schwägert war,  ist  oben  (S.  141)  gesagt. 

Eine  gleiche  Laufbahn  machte  sein  etwas  jüngerer  Kollege 
und  Landsmann  Joachim  Buchholtz.  Von  1567  bis  1576 
finden  wir  ihn  als  neustädtischen  Stadtschreiber,5)  nachdem 
er  von  1554  ab  in  Wittenberg  studirt  hat,  von  1580  ab  als 
Richter  und  Rathsherrn,  von  1585  bis  1602  als  Bürgermeister 
der  Neustadt. 6)  In  den  Schöppenstuhlsakten  kommt  er  unter 
den  Schoppen  nicht  vor,  16 17  wird  aber  an  den  Kurfürsten 
berichtet,7)  dass  durch  seinen  Tod  eine  Stelle  im  Schöppen- 
stuhl^frei  geworden  sei;  vermuthlich  ist  er  seit  1596  der 
Nachfolger  Boldickes  gewesen. 

Nachdem  1579  mit  Simon  Roter  das  erste  Mal  ein  Ma- 
gister unter  die  Schoppen  der  Altstadt  berufen  und  1586 
Magister  Lampertus,  1592  Magister  Bluhm,  1600  Magister 
Prätorius  und  um  1601  Magister  David  Kuhns  nachgefolgt 
waren8),  wollte  die  Neustadt  nicht  zurückstehen:  sie  wählte 
1582  ihren  Schöppenschreiber  Mag.  Bartholomäus  Boldicke, 
den  ersten  Magister,    der  bei  ihr  das  Schöppenschreiberamt 


*)  Stadtchronik  Cod.  N.  5  fol.  65  RA. 

3)  Rathsbuch  N.  1  fol.  167  AA.  Gratulationsged.  zu  seiner  BM.Wahl 
in  einem  Sammelband  der  Paulikirche. 

3)  Bericht  über  den  Einsturz  des  Kath.  Kirchthurms  Wittenberg  1592, 
neugedruckt  Brdb.  1726.     Cod.  A.  33  fol.  74  RA. 

4)  Leichenbuch  der  Kath.  Kirche.     Schöppenstuhlsakten  81,  x. 

4)  Stadtchronik  Cod.  N.  5  fol.  65.     Doc.  A.  II,  79,  Doc.  N.  II,  144  RA. 

6)  Bericht  über  den  Einsturz  des  Kath.  Kirchthurms  a.  a.  O.,  Doc  N.  II, 
J95-  263.  105,  Doc.  A.  II,  42  RA.  Gerichtsprot.Buch  N.  3  AA.  Schöppen- 
stuhlsakten 49  196  (1602). 

7)  R.  21  No.  9C  StA. 

8)  S.  oben  Seite  141. 


§  8.    Neustädtische  Schoppen.  159 

bekleidet  hatte,    und  gleichzeitig  den  aus   Stendal    überge- 
zogenen Bürgermeister1)  Mag.  Conrad  Zabel,  den  Schwager 
des  Brandenburger  Bürgermeisters  Mawe,  zu  Schoppen.     In 
Tanger  münde  aus  „uraltem  vornehmen  Geschlechte"  geboren, 
wie   die    Leichenpredigt   seiner  Witwe2)    sagt,    hatte    Zabel 
12  Jahre  studirt,  zuletzt  noch   1578  in  Wittenberg,   „wo  er 
andere  studiosos  instituirt  und  jura  profitirt4*,3)  d.  h.  als  Lehrer 
des   Rechtes   gewirkt   hatte,    so    dass   er  als   beider  Rechte 
candidatus  abging,   um  in  Berlin  Kammergerichtsadvokat  zu 
werden.     Bereits    im   Jahre  1578  verfasste    er  zwei   Rechts- 
fragen des  Stendaler  Rathes  nach  Brandenburg  (20  231.  290) 
und  im  Jahre  1579  nahm  er  in  Stendal  das  Amt  des  Syndikus, 
bald  nachher  das  des  Bürgermeisters  an.     In  Folge  seiner 
1579  erfolgten  Verheirathung  zog  er  1582  nach  Brandenburg, 
wo  seine  Frau,    die  Witwe  Heinatz',   mit  Haus  und  Hof  an- 
gesessen   war.     Hier    wurde    er  1583  Richter  und  Schöppe, 
1584  Bürgermeister  und   1598   Verordneter  der  Landschaft. 
Er  starb  1601.4) 

Mit  diesem  einen  Magister  begnügte  sich  vorläufig  die 
Neustadt;  erst  1641  gewann  sie  wieder  einen  solchen  für 
den  Schöppenstuhl,  während  die  Altstadt  bereits  vier  Magister 
unter  ihren  fünf  Schoppen  aufwies.  Es  fehlte  deshalb  der 
Neustadt  aber  keineswegs  an  namhaften  gelehrten  Schoppen. 
Dahin  gehört  (1591  bis  1624)  der  aus  dem  Schöppenschrei- 
beramte  hervorgegangene  Johann  Floring,5)  ferner  (1598 
bis  161 2) 6)  der  anscheinend  aus  dem  neustädtischen  Stadt- 
schreiberamte7)   hervorgegangene,    1571   in  Wittenberg  und 


1)  Götze,  Gesch.  der  Stadt  Stendal  S.  393. 

2)  1632.  Bibl.  der  Brdb.  Gotthardkirche  A.  2  No.  113.  Johann  Zabel 
war  1467  in  T.  Amts-  und  Schlossschreiber. 

*)  R.  21  No.  9c  StA. 

*)  Leichen  predigt  a.  a.  Om  die  1602  als  Todesjahr  angiebt.  In  den 
Schöppenstuhlsakten  zuletzt  1600  (46  168).  R.  21  No.  9C  StA.  Gerichts- 
protokoll b.  N.  3  AA. 

B)  Siehe  oben  Seite  123. 

6)  Leichenbuch  der  Kath. -Kirche,  auch  Schöppenstuhlsakten  81,  1; 
60,  208. 

7)  Eine  1595  von  Richter  und  Schoppen  der  Neustadt  an  den  Schöp* 
penstuhl  gerichtete  Rechtsfrage  ist  von  M.  Nickel  (40  363)  verfasst. 


\fiQ  2.  Buch.    Personal.    2.  Abschnitt.    Schoppen. 

1579  in  Frankfurt  immatrikulirte  Michael  Nickel  (Nicolaus 
Brandenburgensis),  wohl  aus  der  Familie  des  Bürgermeisters 
Hans  Nickel,  ein  Schwiegersohn  des  Bürgermeisters  Mawe, ] ) 
vorzugsweise  gehört  aber  dahin  Bernhard  Zieritz,  unter 
sämmtlichen  Brandenburger  Schoppen  einer  der  beiden, 
die  als  juristische  Schriftsteller  aufgetreten  sind.2)  Zieritz 
war  in  Brandenburg  als  Sohn  eines  aus  Aberdeen  (Schottland) 
eingewanderten  adligen  Seidenkrämers  und  Handelsmannes 
geboren.3)  Er  studirte  in  Wittenberg  (1591)  und  in  Leipzig; 
1606  verheirathete  er  sich  mit  einer  Tochter  des  damals  bereits 
verstorbenen  Bürgermeisters  und  Schoppen  der  Neustadt 
Mag.  Conrad  Zabel. 4)  Im  Jahre  16 18  erscheint  er  zum  ersten 
Mal  als  Bürgermeister  der  Neustadt.5)  Im  Jahre  1632  war 
er  dort  ältester  Bürgermeister  und  Verordneter  der  Land- 
schaft.0) Als  Schöppe  tritt  er  in  den  Akten  nicht  vor  dem 
Jahre  1604  (51  22)»  zuletzt  im  Jahre  1642  auf  (77  232).  Er 
war  aruch  „des  churf.  Landgerichts  in  der  Mark  Inspektor1*. 
Am  11.  Juli  1645  wirc*  sem  Schwager,7)  der  Syndikus  Bar- 
tholomeus  Schwartz,  als  sein  Nachfolger  konfirmirt. 8) 

Seine  „notae  et  observationes  in  Caroli  V.  Constitutionen* 
criminalem"  gehören  zu  den  bekannteren  Kommentaren  der 
Carolina9);  sie  wurden  in  drei  Auflagen  (1622.  1625.  1676)  von 
Frankfurt  aus  verbreitet.  Ausserdem  schrieb  er  „apologia  pro 
foedere  Smalcaldicou  und  „commentatiuncula  de  principum  inter 


l)  Leichenpr.  der  Witwe  Zabel,  Bibl.  depGotthardttkirche.  A.  2  No.  113. 

*)  Jöcher,  Gelehrtenlexikon  4,  2203.  —  Ein  „Ire44  Wilhelm  von  Zie- 
ritz spielt  1558  als  Liebhaber  einer  unehelichen  Tochter  des  Herzoge 
Johann  von  Cleve  eine  Rolle  in  Thüringen.  Frdr.  Bülau,  Geh.  Ge- 
schichten Bd.  8  S.  1   ff. 

3)  leichenpr.   der  Cath.   Döring  geb.  Zirits;    Archiv  der  Paulikirche 

SP.  7. 

4)  No.  8,  Leichenpredigt  der  Witwe  Zabel,  1632,  Bibliothek  Her 
Gotthard-Kirche  A.  2  No.  113. 

Ä)  Doc.  N.  II,  565  RA. 

6)  LeichenpreMigt  der  Witwe  Zabel. 

7)  Decis.  March.  II  fol.  103. 

8)  StA.  R.  94  II  No.  2,  f.  102.  Meinardus,  Protokolle  etc.  des  Berl. 
Geh.  R.  Bd.  3  S.  229. 

*)  Stintzing,  Gesch.  der  Rechtswiss.  1,  639. 


§  8.    Neustädtische  Schoppen.  \fi\ 

ipsos  dignitatis  praerogativa",  auch  „collectanea  de  scope- 
lismo".1)  Die  Notae  entstanden  dadurch,  dass  Zieritz  laut 
der  Vorrede  die  ihm  in  seiner  Schöppenpraxis  vorgekommenen 
Entscheidungen  zu  den  einzelnen  Kapiteln  der  CCC.  und  da- 
neben die  Noten  anderer  Kommentatoren  anmerkte  Das  der 
Vorrede  folgende  alphabetische  Verzeichniss  der  citirten  Auto- 
ren ist  von  grossem  Umfang,  auch  die  Noten  selbst  zeigen  eine 
aussergewöhnliche  Belesenheit.  Den  Noten  voran  geht  stets 
eine  lateinische  Uebersetzung  der  einzelnen  Artikel  der  CCC. 
Dem  Buche  widerfahrt  noch  heute  die  Ehre,  citirt  zu  werden.2) 
Viel  bietet  es  nicht,  hat  auch  schwerlich  die  Strafrechts- 
wissenschaft erheblich  gefördert,  zeigt  aber  den  Verfasser 
als  mit  beiden  alten  Sprachen  wohl  vertraut.  Die  Branden- 
burger Schoppen  benutzten  es  bei  ihren  Abstimmungen;  so 
wird  1626  von  Johann  Iden  in  einer  Sache,  in  der  es  sich 
darum  handelt,  welche  Strafe  für  den  im  kurfürstlichen 
Schlosse  verübten  Diebstahl  einer  silbernen  Schüssel  auszu- 
sprechen ist,  „dominus  consul  Bernardus  ad  C.  Carol.  art.  160 
zum  judicio  Davidis  2.  Sam.  i2u  citirt.  Zieritz  beruft  sich  hier 
auf  die  Bibelstelle,  indem  er  bemerkt:  „gravius  est  homini 
inopi  aliquid  furari  quam  opulento".  Das  war  allerdings  der 
Sinn  der  Worte  Davids:  „der  Mann  ist  ein  Kind  des 
Todes,  der  das  gethan",  als  es  sich  um  einen  beim  armen 
Manne  verübten  Schafdiebstahl  handelte.  Wie  aber  Iden  die 
Zieritzsche  Nota  verwerthete,  das  charakterisirt  den  wissen- 
schaftlichen Standpunkt  der  damaligen  Zeit.  Der  Ausspruch 
Davids  sollte  dazu  dienen,  die  Todesstrafe  für  den  Silberdieb 
des  Schlosses  zu  rechtfertigen,  als  ob  sich  zwischen  diesem 
Diebe  und  dem  Diebe,  der  nach  der  Erzählung  Nathans  als 
reicher  Mann  kein  Bedenken  trägt,  des  armen  Mannes  Schaf 
zu  stehlen,  irgendwelcher  Vergleich  ziehen  liesse. 

Die  Apologie  des  Schmalkalder  Bundes,  die  ausserdem 


])  Jöcher,  Gel.-Lexikon.     Katalog  der  Kgl    Bibl.  in  Berlin. 

a)  E.  v.  Moller,  Die  Rechtssitte  des  Stabbrechens,  in  der  Ztschr.  der 
Sav.  Stiftg.  21.  Bd.  German.  Abth.  S.  104  (1900):  „Ausserordentliche  Verbrei- 
tung hat  .  .  .  eine  wohl  von  Zieritz  (notae,  ed.  1625  p.  100)  erfundene  An- 
sicht (über  das  Stabbrechen:  judex  fidem  facit  de  reo  jam  actum  esse,  uti 
baculo  et  reum  vitam  amisisse). 

Stolze],  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    L  II 


1()2  2.  Buch.    Personal.    2.  Abschnitt.    Schoppen. 

Zieritz  geschrieben  hat,  zeigt  ihn  wohlbewandert  in  der 
Geschichte  der  kirchenpolitischen  Kämpfe  des  sechzehnten 
Jahrhunderts  und  giebt  zu  der  Vermuthung  Anlass,  dass 
diese  Kämpfe  der  Grund  gewesen  sind,  der  die  Familie 
Zieritz  zur  Zeit  der  schottischen  Gegenreformation  aus  Aber- 
deen  nach  Brandenburg  auswandern  liess. 

Der  dem  Kommentar  der  Carolina  angehängte  Aufsatz  de 
scopelismo  ist  ein  auf  vier  Quartseiten  beschränkter  gelehrter 
Kommentar  derUlpianischen  1. 9.  D.  deextraord.  crimin.  (47, 1 1), 
die  von  dem  Verbrechen  handelt,  Steine  auf  des  Nachbarn 
Acker  zu  setzen,  damit  der  Nachbar  durch  die  Nachstellungen 
dessen,  der  die  Steine  gesetzt  habe,  eines  elenden  Todes 
sterbe,  ein  Verbrechen,  was  die  Araber  Scopelismus  nannten. 
Zieritz  will  mit  diesen  Zauberkünsten,  an  die  er  zu  glauben 
scheint,  die  Worte  im  Buche  Hiob  Kap.  5  Vers  23:  „Dein 
Bund  wird  sein  mit  den  Steinen  auf  dem  Felde"  in  Beziehung 
bringen. 

Die  Abhandlung  über  die  Prärogativen  der  fürstlichen 
Würde  ist  161 1  in  Jena  erschienen  und  den  beiden  Geheim- 
räthen  Gans  zu  Putlitz  gewidmet,  deren  einer  unter  Kurfürst 
Johann  Sigismund  Statthalter  der  Mark  war.  Sie  stellt 
den  Satz  auf:  „jus  publicum  nil  aliud  est,  quam  remotior  et 
peritior  quaedam  philosophia",  und  liefert  zwar  ebenfalls 
den  Beweis  grosser  Belesenheit  wie  grosser  Vertrautheit 
mit  der  Geschichte,  ist  aber  nichts  weiter,  als  ein  politisches, 
mit  Angriffen  gegen  das  Papstthum  untermischtes  Raisone- 
ment  ohne  greifbare  Resultate,  das  die  majestas  politica  für 
nulla  erklärt,  „nisi  virtutis  purpurissa  sit  colorata";  denn 
„sola  majestatis  anima  virtusu. 

Bei  seinen  Anträgen  im  Schöppenstuhl  vertrat  Zieritz 
(im  Gegensatz  zu  seinem  neustädter  Kollegen  Floring)  viel- 
fach den  Standpunkt  grosser  Härte  bei  Abmessung  der 
Strafen.  Das  Abzwacken  der  fünf  Finger  vor  dem  Feuer- 
tode vertheidigte  er  16 19  (ÜB.  2  590)  in  der  Sache  des  Tan- 
germünders  Brandstifters  Tonnies  Meilhan,  des  Mannes  der 
Grete  Minde,  als  zulässig,  wenn  es  auch  nicht  hergebracht 
sei;  denn  —  so  votirte  er  —  „nobis  scriptum  est  psalmo  106: 
beati  qui  faciunt  justitiam  .  .  .  nee  crudelis  est,   qui  crudeles 


$  8.    Neustädtische  Schoppen.  1(>3 

jugulat  .  .  .;  nihil  obstat,  dass  solche  poena  insolita".  Auch 
hier  ist  das  durchaus  fehlgreifende  Bibelcitat  beachtlich;  die 
Worte  des  Psal misten:  „Wohl  denen,  die  das  Gebot  halten 
und  thun  immerdar  recht",  sind  schwerlich  je  sonstwo  zur 
Rechtfertigung  grausamer  Strafen  missbraucht  worden.  Den 
Satz:  non  crudelis  est,  qui  crudeles  jugulat,  nimmt  Zieritz 
1622  und  zwar  ebenfalls  unter  Heranziehung  des  106.  Psalms 
in  die  an  den  Kurfürsten  Georg  Wilhelm  gerichtete  Vorrede 
seines  Kommentars  zur  CCC.  auf;  er  tadelt  darin  diejenigen, 
welche  „de  sanguine  humano  sententiam  ferre  piaculum  existi- 
mant".  Das  entsprach  insofern  der  Auffassung  der  Zeit,  als 
es  damals  in  den  deutschen  Städten  zur  Aufrechthaltung  der 
Ordnung  für  nöthig  galt,  mit  strengen  Strafen  vorzugehen.1) 
Zugleich  zeigte  sich  aber  darin  die  Nachwirkung  der  grau- 
samen Hinrichtung  Meilhans:  so  sehr  fühlte  Zieritz  noch  drei 
Jahre  nach  ihrem  Vollzuge  das  Bedürfniss,  sie  zu  rechtfertigen, 
dass  er  die  von  ihm  im  Schöppenstuhl  vertheidigte  Anschau- 
ung an  der  Spitze  der  für  den  Kurfürsten  bestimmten  Wid- 
mung nochmals  öffentlich  vertrat. 

Da  im  Jahre  16 17  drei  Schoppen  der  Neustadt  fehlten, 
wurden  die  beiden  Bürgermeister  der  Neustadt  Johann  Buch- 
holtz  und  Joachim  Schale,  sowie  der  Richter  der  Neustadt 
Johann  Iden  in  den  Schöppenstuhl  gewählt.2) 

Johann  Buchholtz,  Sohn  des  Mag.  Martin  Buchholtz, 
des  Diakonus  der  Katharinenkirche,  Neffe  des  Bürgermeisters 
und  Schoppen  Joachim  Buchholtz,3)  studirte  in  den  1590er 
Jahren  zu  Wittenberg  und  Frankfurt,  wurde  dann  Kantor 
(d.  i.  vierter  Lehrer)  der  neustädtischen  Schule,  demnächst 
Kämmerer  und  1612  Bürgermeister.  Er  starb  1630; 4)  noch 
1629  ist  er  als  Schöppe  thätig  (78  305). 

Joachim  Schale,  ein  geborner  Brandenburger,  war 
1599  in  Wittenberg  (als  non  juratus)  immatrikulirt.  Ver- 
heirathet   mit    einer  Tochter  des  altstädter  Schoppen  Mag. 


1)  Mittermaier  in  Feuerbachs  Kriminalrecht,   14.  Aufl.  S.  15  N.  19. 

2)  R.  21  No.  9C   StA. 
8)  Doc.  N.  II,  105  RA. 

4)  Grabdenkmal  in  der  Kath.  Kirche. 


11* 


164  2.  Buch.    Personal.    2.  Abschnitt.    Schoppen. 

Bluhm,  wurde  er  161 6  Kämmerer,  später  Bürgermeister l)  und 
von  1617  bis  mindestens  1643  (77  305)  Schöppe  in  der  Neustadt. 

Johann  Iden,  Sohn  des  Bürgermeisters  und  Schoppen 
Michael  Iden, 2)  Schwager  der  Schoppen  Floring  und  Martin 
Buchholtz,  Schwiegersohn  des  Schoppen  Poppe,  studirte  seit 
1587  in  Wittenberg.  Nach  seiner  Verheirathung  nahm  er 
junge  Leute  von  Adel  an  Tisch,  „die  ein  ziemliches  Kostgeld 
gaben41,  und  fing  zugleich  damit  an,  „seine  studia  ad  praxin 
zu  dirigirenu  und  sich  reichlich  Bücher  anzukaufen,  um  sie 
„alle  und  jede  seinem  Sohne  Johann,  da  er  zum  Studiren 
Lust  habe,  nebst  den  darüber  vorhandenen  catalogis  zu  ver- 
machen". 3) 

Buchholtz,  Schale  und  Iden  bildeten  mit  Zieritz  die 
Mehrheit  in  der  ebenerwähnten  Tangermünder  Brand- 
stiftungssache und  setzten  ihrem  Schöppenstuhle  ein  trauriges 
Denkmal  durch  ihren  Spruch,  der  auf  Zieritz*  Vorschlag 
beruhte.  Das  Gegenargument  der  Minderheit  des  Kollegs, 
die  Carolina  kenne  bei  der  Brandstiftung  kein  Abzwacken 
der  Finger  mit  glühenden  Zangen  und  kein  „Schmöken* 
im  Feuer,  räumte  Buchholtz,  ein  Pfarrerssohn,  mit  dem 
rabulistischen  Grunde  hinweg,  die  Carolina  drohe  den  Tod 
durch  Feuer  an,  leide  also  durch  dies  vorgeschlagene 
Zangenreissen  und  Schmöken  keine  Gewalt,  „da  ja  Alles 
durch's  Feuer  geschehe";  das  fand  den  Beifall  Schales  und 
Idens.  Dass  letzterer  gegen  seinen  Schwager  Floring  stimmte, 
kann  übrigens  durch  ein  gespanntes  Verhältniss  beeinflusst 
gewesen  sein,  in  welches  sie  durch  den  Streit  gerathen  waren, 
den  Floring  seit  1602  mit  dem  Rathe  der  Neustadt  hatte: 
1623  wirft  Floring  in  den  Akten  (7186)  seinem  Schwager 
Iden,  damaligen  Richter  der  Neustadt,  vor,  dass  er  statt  auf 
dem  Rathhause  mit  Zuziehung  von  Schoppen  unerhörter- 
weise Zeugen  in  seiner  Wohnung  ohne  Schoppen  vernommen 
habe  —  ein  Spiegelbild  des  Kampfes  zwischen  alter  und  neuer 

*)  Leichenpredigt  der  Frau  des  BM.  Tieffenbach.  1616.  Bibl.  der 
Gotthardkirche. 

2)  Leichenpr.  der  Witwe  Iden,  Berlin  1621  im  Archiv  der  PauKkirche 
SP.  11,  in  der  Kgl.  Bibl.  zu  Berlin  Ee.  516. 

3)  Laut  Idens  Testament.     Akten  II  11  RA. 


§  8.    Neustädtische  Schoppen.  165 

Zeit,  des  Widerstreits  der  Schoppen,  die  sich  zur  Seite  ge- 
schoben und  in  ihren  Interessen,  sicher  auch  in  den  pecuniären, 
beeinträchtigt  fühlen,  gegen  das  Bestreben  des  gelehrt  ge- 
wordenen Richters,  für  sich  allein  vorzugehen  Im  Schoppen- 
stuhle  ist  Iden  zuletzt  1630  thätig  (73  528). 

Von  den  aus  dem  Schöppenschreiberamt  hervorgegan- 
genen Schoppen  Mag.  Andreas  Moritz  (1641  bis  1661)  und 
Bartholomäus  Schwarz  (1645  bis  1667)  ist  bereits  (S.  127)  die 
Rede  gewesen. 

In  den  1630er  Jahren  berief  man  den  Sohn  des  neu- 
städtischen Bürgermeisters  und  Schoppen  Joachim  Buch- 
holtz  Namens  Matthias,  den  Schwiegersohn  des  Bürger- 
meisters Michael  Iden,1)  zum  neustädtischen  Schoppen;  er 
hatte  von  1591  ab  in  Wittenberg  studirt  und  war  1619,  1621 
neustädtischer  Kämmerer,2)  1633  dritter  neustädtischer  Bür- 
germeister. Die  Schöppenstuhlsakten  zeigen  nur  im  Jahre  1643 
Spuren  seiner  Thätigkeit. 3)  Im  Jahre  1 648  wandte  sich  der 
neustädtische  Rath  an  den  Berliner  Geheimen  Rath,  um  Buch- 
holtz  wegen  Gedächtnissschwäche  pensioniren  zu  lassen;  der 
Rath  wurde  beschieden,  „das,  was  sie  ihm  zu  geben,  nach 
dem  Zustand  ihres  Rathhauses  einzurichten." 4)  Drei  Jahre 
darauf  starb  Buchholtz.  An  seiner  und  Joachims  Schale  Stelle 
wählte  man  Peter  Müller  und  Carolus  Nicolai.5) 

Peter  Müller  war  ein  Sohn  des  neustädter  Kaufmanns 
und  Rathsseniors  Joh.  Müller  und  ein  Schwiegersohn  von 
Bernhard  Zieritz.  Geboren  161 7,  bezog  er  1636  bis  1643  die 
Universitäten  Wittenberg  und  Frankfurt  und  erwarb  sich  in 
öffentlichen  Disputationen  einen  Ruf.  Sodann  reiste  er  über 
Hamburg,  Bremen  nach  Oldenburg,  Friesland,  Holland,  Eng- 
land und  Frankreich.  In  Leiden  verweilte  er  drei  Monate. 
Nach    dem  Tode  seines  Vaters  (1643)   praktizirte  er  einige 

l)  Doc.  A.  II,  84  RA. 

a)  Tschirsch,  Tagebuch  des  Garcäus  S.  58.  Leichenpr.  der  Witwe 
Iden  von  1621.  SP.  11  der  Brdb.  Paulikirche.  Daselbst  Seldts  Predigt 
von  1633.     Vgl.  auch  Schöppenstuhlsakten  71  423  ff. 

*)  77  250-  254.  277.  289.  305.  327.  335. 

4)  Meinardus,  Protokolle  und  Relationen  des  Brandenburger  Geh. 
Raths  4,  53. 

6)  R.  21  No.  9c  StA. 


IGf)  2.  Buch.    Personal.    2.  Abschnitt.    Schoppen. 

Zeit  in  Berlin,  bis  er  1650  in  den  Rath  der  Neustadt  Branden- 
burg gelangte.1)  Im  Jahre  1652  wurde  er  Bürgermeister 
der  Neustadt,  1655  Deputirter  der  mittelmärkischen  Städte 
und  1667  Verordneter  der  Landschaft.  Mit  Hinterlassung 
nennenswerthen  Vermögens2)  starb  er  am  1.  Oktober  1678. 
In  seinem  Testament  stiftete  er  für  die  neustädtischen 
Schoppen  die  Zinsen  von  1000  Thrn.  als  Legat.  Eine  gleiche 
Summe  bestimmte  er  zum  Stipendium  für  Verwandte  oder 
Brandenburger  Stadtkinder,  die  fleissig  Jura  studiren.  Dieses 
sog.  Konsul-Müllersche  Stipendium  besteht  noch  heutigen  Tages. 

Carolus  Nicolai,  1647  Bürgermeister  und  vorher  (1631) 
Sekretarius,  wie  auch  (1642)  Richter  der  Neustadt,3)  fyngirt 
ebenfalls  nur  kurze  Zeit  im  Schöppenstuhl;  über  das  Jahr 
1652  (78  376)  hinaus  enthalten  die  Schöppenstuhlsakten  keine 
Spur  von  ihm. 

Als  sein  Nachfolger  erscheint  (1660  bis  1706)  der  neu- 
städtische Syndikus  und  Kammergerichtsadvokat  Michael 
Müller,  geboren  1625  in  Neuruppin,  ein  Vetter  des  Bürger- 
meisters Peter  Müller.  Er  war  der  erste  Doktor  beider 
Rechte  unter  den  neustädter  Schoppen.  Nachdem  die  Alt- 
stadt wenige  Jahre  zuvor  (1656)  den  Dr.  David  Cichorius  in 
den  Schöppenstuhl  gewählt  hatte,  durfte  die  Neustadt  nicht 
zurückstehen.  Vom  Jahre  1666  war  Michael  Müller  Bürger- 
meister, von  1678  an  Senior  des  Schöppenstuhls  (79  760.  7Ö8).4) 

Einen  zweiten  Doktor  berief  1670  die  Neustadt  zum 
Schöppenamte  in  der  Person  des  Magdeburger  „jurisconsul- 
tusu  Johannes  Cramer,  der  im  Jahre  zuvor  neustädtischer 
Syndikus  und  dann  Bürgermeister  geworden  war,  nachdem 
er  1652  in  Strassburg  promovirt  hatte.5)     Gleich  Zieritz  trat 

1)  Leichenpredigt,  Manuskript  in  den  Akten  M.  1,  RA.,  Präsentation 
und  Konfirmation  R.  2  t  No.  oc  StA. 

2)  40335  Thr.  4  g.  6  ^,  Inventar  in  den  Akten  M.  1   f.  116  RA. 
3;  Doc.  N.  II  650.  665;  Manuale  Cod.  N.  14  RA. 

4)  Testament  Müllers,  Akten  M.  1  fol.  63  RA.  Rechnungen  Cod. 
N.  15  ff.  RA.     Leichenbuch  der  Kathar.-Kirche. 

5)  In  Frankfurt  ist  1668  „m.  Johannes  Cramer  Magdeburgertsis  Saxo*4 
eingetragen,  wohl  ein  Sohn  des  Schoppen.  —  Vergl.  ferner  Cod.  N.  1 1  RA., 
Schöppenbuch  fol.  8,  Cod.  No.  16.  17.  18.  io.  20.  21  RA.  Leichenbuch  der 
Kathar.-Kirche. 


§  8.     Neustädtische  Schoppen.  167 

er  als  kriminalistischer  Schriftsteller  auf;1)  er  verfasste  1672 
ein  compendium  criminale  über  Strafprozess,  Verbrechen  und 
Strafen  (432  Seiten  Sedez),  das  sich  —  ohne  den  Zieritz- 
schen  Commentar  zu  benutzen  —  wesentlich  auf  die  Ca- 
rolina wie  auf  Carpzow  und  Brunnemann  stützt,  auch  auf 
Brandenburgische  Gesetze  Bezug  nimmt,  z.  B.  auf  den  Rezess 
von  161 1,  der  die  Aktenversendung  nach  Frankfurt  a.  O.  in 
Strafsachen  zuliess.  Ferner  schrieb  er  eine  dissertatio  ad  1. 
Juliam  d.  adult.  Mit  diesem  zweiten  Doktor  schliesst  in  der 
Neustadt  die  Reihe  der  Hochgelehrten;  die  Altstadt  hatte 
es  auf  einen  Doktor  und  zwei  Licenciaten  gebracht.  Das  Auf- 
treten dieser  5  Graduirten  umfasst  die  Zeit  von  1656  bis  1706. 

Peter  Müllers  Nachfolger  wurde  (1680  bis  1690)  der 
neumärkische  Regierungsadvokat  Benedict  Conrad  Pfreundt, 
ein  Nachkomme  des  neustädtischen  Bürgermeisters  Augustin 
Pfreundt  (f  1631),  sowie  des  neustädtischen  Richters  und 
Bürgermeisters  Caspar  Pfreundt.2)  Geboren  in  Brandenburg, 
studirte  er  1663  in  Frankfurt. 

Nach  seinem  Tode  berief  man  den  der  reformirten  Kon- 
fession angehörigen,3)  vor  kurzem  zum  neustädter  Bürger- 
meister gewählten  früheren  Köthener  Syndikus  Ludwig 
Cläpius  (1696 — 1 7 1 4) 4)  in  den  Schöp penstuhl. 

Cramers  Nachfolger  war  (1697  bis  1 7 1 7)  Joachim  Friedrich 
Pfreundt,  dessen  nähere  Beziehung  zu  den  obengenannten 
Mitgliedern  seiner  Familie  nicht  erhellt.  Geboren  in  Bran- 
denburg, verfasste  er  1662  als  Primaner  ein  lateinisches  Gra- 
tulationsgedicht zur  Hochzeit  seines  Rektors,5)  studirte  von 
1667  an  in  Frankfurt  und  diente  von  1683  bis  in  die  Zeit  der 
gemeinsamen  Stadtverwaltung  hinein  als  Sekretär  der  Neu- 
stadt;6) 1703  bis  1707  kommt  er  als  neustädtischer  Richter  vor.7) 

!)  Bei  Stintzing,  Gesch.  der  RWiss.  nicht  genannt,  wohl  aber  bei 
Jöcher,  Gel. -Lex. 

2)  R.  21  No.  9C  StA.  Schöppenbuch  fol.  7.  Manuale  Cod.  N.  14, 
Doc.  N.  II  601.  645.  663,  Cod.  N.  15  RA. 

3)  Kirchenb.  der  St.  Johanniskirche  in  Brdb. 

4)  Kirchenbuch  a.  a.  O.,  R.  21   No.  9C    St.  A. 

5)  Archiv  der  Paulikirche  in  lir.  unbezeichneter  Sammelband. 

6)  Manuale  Cod.  N.  22  RA.     Stadtrechnungen  von   1 715. 

7)  Schöppenbuch  fol.  8. 


168  2-  Buch.    Personal.     2.  Abschnitt.    Schoppen. 

Erst  drei  Jahre  nach  Ciäpius' Tode  (1717)1)  wandte  sich 
der  Schöppenstuhl  an  den  König  um  einen  Ersatz,  indem  er 
berichtete,  Pfreundt  nähme  schon  seit  zehn  Jahren  nicht  mehr 
an  den  Berathungen  Theil.2)  Auf  diesen  Bericht  hin  legte 
Pfreundt  in  demselben  Jahre  das  Schöppenamt  zu  Gunsten  des 
Domsyndikus  Dreher  nieder,  behielt  sich  aber  seinen  Antheil 
an  den  Zinsen  des  neustädtischen  Legats  vor;  er  starb  1720. 3) 

Gleichzeitig  mit  Pfreundt  wurde  1683  der  1649  in  Bran- 
denburg geborene  Martin  Heins  zum  neustädtischen  Stadt- 
sekretarius  ernannt.4)  In  Frankfurt  1663  immatrikulirt,  leistete 
er  erst  1670  dem  Rektor  Brunnemann  den  Scholareneid  und 
reiste  nach  vollendetem  Studium  in  Preussen,  Litthauen,  Kur- 
land und  Polen.5)  Seit  dem  Jahre  1702  neustädtischer  Syn- 
dikus,6) wurde  er  1707  Nachfolger  Dr.  Michael  Müllers  als 
letzter  vor  der  Städtevereinigung  ernannter  neustädtischer 
Schöppe.7)  In  ihm  fand  Simon  Roter,  der  Schöpfer  des 
altstädtischen  Kopiariums,  einen  Nachfolger:  Heins  verfasste 
ein  Kopiarium  der  Neustadt,  das  sich  im  Brandenburger 
Rathsar<!hiv  noch  jetzt  befindet.  Bei  der  Städte  Vereinigung 
wurde  er  1 7 1 5  Rath  und  Direktor  beider  Städte.  Er  starb  1 724.0) 

§  9. 

Scabini  der  Einheitsstadt. 

Seit  der  Verschmelzung  der  beiden  Städte  Brandenburg 
zu  einer  Stadt  Brandenburg  gab  es  nur  noch  einen  einheit- 
lichen Schöppenstuhl  der  Stadt  Brandenburg.  Damit  hörte 
aber  noch  keineswegs  der  Unterschied  altstädtischer  und 
neustädtischer  Schoppen  auf,  obwohl  schon  früher  das 
Amt    eines    altstädtischen  und  eines    neustädtischen  Seniors, 

*)  StA.  R.  21  No.  9  c. 

*)  Die  Akten  (8a  389)  ergeben  indess  noch  1709  die  Theilnahme 
Pfreundts. 

8)  Just.-Min. -Akten,  betr.  die  Aufhebung  des  Schöppenstuhls  etc.  fol.  51. 

4)  Manuale  Cod.  X.  22  RA. 

5)  Gottschling,  Epitaphalia  quaedam  etc.  1728.  Bihl.  des  Gymn.  zu 
Brdb.  No.  2550°. 

6)  Cod.  X.  48  und  Cod.  X.  ti   RA. 

7)  R.  21    No.  uc  StA.     Schöppenbuch  fol.  8. 

R)  Cod.  N.  68  RA.     Stadtrechnung  von   1724  RA. 


§  o-     Scabini  der  Einheitsstadt.  169 

wie  das  eines  altstädtischen  und  neustädtischen  Schöppen- 
schreibers  verschwunden  war.  Mehrfach  bezeichnete  sich  der 
Schöppenstuhl  auch  noch  als  Schöppenstuhl  „beider  Städte u.1) 
Die  Schoppen  des  Schöppenstuhls  der  zur  Einheit  gewor- 
denen Stadt  präsentirten  nach  1715  gemeinsam  Schoppen  zum 
Schöppenstuhl;  aber  man  hielt  doch  daran  fest,  eine  gleich 
grosse  Zahl  von  Schoppen  aus  jeder  Stadt  zu  ernennen.2) 
Solcher  gemeinsam  gewählten  und  präsentirten  Schoppen 
gab  es  bis  zur  Aufhebung  des  Schöppenstuhls  (1 715  bis  18 17) 
im  Ganzen  nur  16. 

Der  erste  Anlass  zu  einer  Schöppenwahl  nach  der  Städte- 
vereinigung war,  als  der  bereits  im  Jahre  17 14  abgegangene 
neustädtische  Schöppe  Cläpius  im  Jahre  1715  einen  Nach- 
folger erhalten  sollte.  Da  sich  dessen  Ernennung  in  die 
Länge  zog,  war  von  1715  an  der  Schöppenstuhl  zeitweilig  nur 
mit  5  Schoppen,  den  3  Altstädtern  Katsch,  Steltzner,  Lange, 
sowie  den  2  Neustädtern  Pfreundt  und  Heins  besetzt  gewesen. 

Die  Wahl  fiel  auf  Joachim  Knackrügge.  In  Wuster- 
hausen geboren,  studirte  er  von  1671  an  in  Frankfurt  und 
wurde  dann  Hof-  und  Konsistorialrath  in  Sorau,  1715  aber 
Rath  und  Direktor  beider  Städte  Brandenburg, 3)  als  der  mit 
dieser  Stelle  bedachte  ehemalige  Frankfurter  Professor  Dr.  j. 
Beneckendorf  vor  Vollendung  der  Proberelation,  die  der 
König  von  ihm  verlangt  hatte,  starb.  Auch  von  Knackrügge 
forderte  im  April  171 7  der  König  eine  Proberelation  und 
„den  pflichtgemässen  Attest,  dass  er  keines  Menschen  Hülfe 
darin  gebraucht'*;4)  die  Relation  sollte  mit  einem  Gutachten 
des  Schöppenstuhls  übersendet,  dabei  aber  zugleich  über 
die  Ursachen  der  aus  einem  früheren  Bericht  von  17 14  er- 
hellenden Abnahme  des  Schöppenstuhls,  über  die  Mitglieder 
und  über  die  Behandlung  der  Sachen  berichtet  werden. 
Nebenher  wurde,  entprechend  der  geplanten  Verbesserung 
des  Justizwesens,  in  Aussicht  gestellt,  dass  jedes  Mitglied  des 


1)  Siehe  oben  S.  79. 

2)  So  wird  z.  B.  im  März  1738  Schütte  als  Assessor  des  neu  städti- 
schen Schöppenstuhls  beeidet.     R.  21  No.  9c  StA.;    Schöppenbuch  fol.  9b. 

3)  Gottschling:,  Frommes  Beschreibung  der  Stadt  Brdb.  S.  157. 

4)  R.  21  No.  9c  StA. 


170  2'  Buch.    Personal      2.  Abschnitt.    Schoppen. 

Schöppenstuhls  gleichfalls  Akten  zur  Anfertigung  einer  Probe- 
relation erhalten  werde,  „damit  nach  verspürter  Kapazität  der 
König  und  seine  Gerichte  mehr  Vertrauen  zu  ihnen  haben 
und  bei  Verschickung  der  Akten  auf  sie  reflektiren  könnten u. 
Wegen  der  Ursachen  der  Abnahme  beriefen  sich  die  Schoppen 
auf  den  früheren  Bericht;  weil  sie  keinen  Gehalt,  vielmehr 
nur  Sportein  bezögen  und  viel  Unkosten  bei  der  Aufnahme 
hätten,  wolle  Niemand  Mitglied  werden;  die  Schoppen 
müssten  Gehalt  beziehen,  damit  die  Sachen  nicht  ausser 
Landes  geschickt  würden;  von  den  jetzigen  Mitgliedern 
(Katsch,  Lange,  Heins,  Pfreundt,  Steltzner)  wolle  eines  wegen 
Alters  sein  Amt  niederlegen;  mit  der  Abfassung  von  Relationen 
seien  die  „längst  kapabel  befundenen"  bisherigen  Mitglieder 
zu  verschonen.  Der  König  stellte  darauf  eine  Salarirung, 
aber  auch  die  Bestellung  einiger  extraordinarii  in  Aussicht 
behufs  Sammlung  der  merkwürdigen  casus,  „damitthiernächst 
die  (Kriminal-)  Ordnung  könne  verbessert,  auch  der  Strafe 
halber,  was  nöthig,  verfügt  werden". 

Für  den  damals  abgegangenen  Schoppen  Pfreundt  brachte 
der  Schöppenstuhl  den  Professor  philosophiae  an  der  1704 
gegründeten  Ritterschule  des  Domkapitels  Dr.  Kämmrich1) 
zum  Assessor  und  den  Syndikus  des  Domkapitels  Dreher 
zum  extraordinarius  oder  supernumerarius  in  Vorschlag  und 
erhielt  Akten  für  Beide  zu  ihrer  Proberelation  zugesandt,  nach- 
dem er  erklärt  hatte,  selbst  Akten  zur  Proberelation  nicht  zu 
besitzen,  weil  die  ihm  überschickten  Akten  rasch  wieder  ab- 
gehen müssten.  Die  Proberelation  Kämmrichs  wird  auch 
vom  Schöppenstuhl  eingesandt  und  vom  König  einem  ge- 
heimen Rath,  einem  Kammergerichtsrath  und  einem  Kriminal- 
rath  zur  Begutachtung  überwiesen.  Weiteres  erhellt  nicht; 
Kämmrich  wurde  niemals  Schöppe. 

Für  die  Begutachtung  der  Relation  Knackrügges  bestellte 
der  König  den  Berliner  Generalauditeur,  einen  Kammerge- 
richts-   und    einen  Kriminalrath,    für    die    Begutachtung    der 

])  Vergl.  Arnold,  Kurze  Gesch.  der  Ritterakademie  zu  Dom-Branden- 
burg 1805,  S.  16.  Kämmrich  wünschte  den  Namen  Ritterschule,  weil  er 
ihn  „choquire",  in  Ritterkollegium,  wenn  nicht  Ritterakademie  geändert  zu 

sehen. 


§  9-     Scahini  der  Kinheitsstacft.  171 

Relation  Drehers  drei  Berliner  Geheimräthe.  Letztere  er- 
klärten Drehers  Relation,  weil  sie  sich  auf  blosse  Wieder- 
gabe der  Akten  beschränkte,  für  unvollständig  und  verlangten 
eine  neue  Relation.  Da  Dreher  sie  zu  liefern  unterliess,  wurde 
auch  er  nicht  Schöppe.  Knackrügge  trat  in  den  Schöppen- 
stuhl  ein  und  war  darin  bis  zu  seinem  Tode  im  Jahre  1730  thätig. ') 

Der  zweite  nach  der  Stadtvereinigung  gewählte  Scabinus 
war  Johann  August  Giesecke  (geb.  1689).  Im  Jahre  17 18 
syndicus  „substitutus",2)  ersetzte  er  seit  1720  den  neustädter 
Scabinus  Pfreundt  und  blieb  im  Schöppenstuhl  bis  1759,  seit 
1730  als  Knackrügges  Nachfolger  Rath  und  Direktor  beider 
Städte.3)  Nach  Steltzner  wurde  er  (1733)  Senior.  Durch 
Heirath  war  er  mit  der  Schöppenfamilie  Heins  verschwägert. 
Er  starb  auf  einer  Reise  nach  Magdeburg. 

Für  den  altstädter  Scabinus  Katsch  trat  als  dritter  Scabi- 
nus nach  der  Städtevereinigung  Heinrich  Julius  Oelschläger 
von  1723  bis  1747  in  den  Schöppenstuhl,  der  den  Geist  der 
Hallenser  Hochschule  in  die  Brandenburger  Rechtsprechung 
einführte4)  und  ein  besonders  fleissiges  und  tüchtiges  Mitglied 
des  Schöppenstuhls  wurde;  häufig  gab  er  in  schwierigen 
Rechtsfragen  den  Ausschlag  und  war  seiner  Zeit  die  Seele 
des  Schöppenstuhls.  Er  stammte  aus  Berlin.  Nachdem  er  in 
Halle  studirt,  wurde  er  als  candidatus  jur.  von  Thomasius  dem 
Brandenburger  Domkapitel  zum  Direktor  des  Ritterkollegiums 
(der  früheren  Ritterschule  und  jetzigen  Ritterakademie)  vor- 
geschlagen und  am  20.  Januar  1722  als  solcher  angestellt.  ^ 
Obwohl  in  seinem  Hauptamte  nicht  Jurist,  war  er  doch  eine 
äusserst  schätzbare  Kraft  mit  gediegenen  Kenntnissen;  was  vor 
fast  zweihundert  Jahren  im  Schöppenstuhl  die  Schulrektoren 
bedeuteten,  bedeutete  darin  jetzt  der  Leiter  des  Ritterkolle- 
giums. Sein  Bestreben  ging  dahin,  die  Schüler  jener  Akademie 

l)  RA.  Rechnung  G.  30. 

a)  Stadtrechnungen  G.  16  ff.  RA. 

3)  Stadtrechnung  G.  30  RA. 

*)  Schoppenstuhlsakten  84  515:  „es  würde  denen,  die  wir  in  Halle 
studirt,  sehr  verdacht  werden"  etc.  (Aeusserung  Oelschlägers). 

ft)  Köpke,  Geschichte  der  Ritterakademie  zu  Brandenburg,  Manuskript 
im  Archiv  der  Ritterakademie.  Arnold,  Gesch.  der  Ritterakademie  1805 
S.  17.     Vergl.  auch  Schöppenstuhlsakten  81  497. 


172  2'  Buch.    Personal.     2.  Abschnitt.    Schoppen. 

im  Rechtsstudium  so  vorzubereiten,  dass  sie  nicht  mehr  Jahre 
lang  auf  den  Universitäten  zubringen  müssten.  Er  wollte  also  in 
Brandenburg  eine  Art  Rechtsfakultät  schaffen.  Einer  seiner 
Schüler,  v.  Görne,  wurde  unmittelbar  von  der  Schule  aus  im 
Jahre  1726  zum  Kriegs-  und  Domänenrath  ernannt.1)  Oel- 
schläger  starb    1747. 

An  Heins'' Stelle  wurde  1733  der  Bürgermeister  Joachim 
Ernst  Plümicke  zum  Schoppen  vorgeschlagen,  nachdem  der 
zunächst  in  Aussicht  genommene  Bürgermeister  David  Laurens 
seine  Proberelation-  nicht  abgeliefert  hatte.  Plümickes  Rela- 
tion zeigte  viele  Mängel;  trotzdem  wurde  er  1734  be- 
stätigt.2) Ohne  vorher  im  Rathsdienst  gestanden  zu  haben, 
war  er  1730  zum  Bürgermeister  gewählt  worden.3)  Die 
beiden  anderen  Mitglieder  (Giesecke  und  Oelschläger)  ver- 
langten von  ihm,  dass  er  zu  den  Unkosten,  welche  seit  dem 
Jahre  1731  durch  Verhandlungen  wegen  Gewährung  einer 
Gehaltszulage  entstanden  seien,  beitrage.  Plümicke  weigerte 
sich  dessen.  Seine  Kollegen  warfen  ihm  ferner  Unfähigkeit 
zur  Abfassung  der  Urtheile4)  und  persönliche  Missgunst  vor. 
Beide  Parteien  supplizirten  deswegen  mehrmals  an  den  König, 
der  mit  der  Verhandlung  und  gütlichen  Beilegung  der  An- 
gelegenheit Steltzner  beauftragte.  Dieser  brachte,  nachdem 
zahlreiche  Schriften  und  Gegenschriften  gewechselt  waren, 
am  29.  Juni  1737  einen  Vergleich  zu  Stande.  Plümicke  blieb 
23  Jahre  im  Schöppenstuhle.  Bis  1744  war  er  zugleich 
Richter  der  Altstadt;5)  er  starb  im  Jahre  1756. 

Die  durch  den  Tod  des  altstädtischen  Schoppen  Lange 
(S.  150)  1730  frei  gewordene  Stelle  wurde  erst  im  Jahre  1738 
wieder  besetzt,  und  zwar  mit  dem  Kammergerichts-  und 
Brandenburger  Stadtadvokaten8)  Joachim   Christoph  Stein- 

1)  Arnold,  Kurze  Geschichte  der  Ritterakademie,  Brandenburg!  805,  S.  17. 

2)  R.  21   No.  qc  StA.  3)  Schöffenbuch  f.  9. 

3)  RA.  Stadtrechnung  von   1730. 

*)  R.  21  No.  9  c  StA.  Ein  jüngerer  Kollege  (Schütte)  änderte  z.  B.  1749 
(98  622)  „Einiges,  das  contra  acta  eingelaufen**,  in  einem  Konzepte  Plü- 
mickes ab. 

5)  RA.  Stadtrechnungen  von  1730  und   1744. 

ö)  Er  unterzeichnet  sich  (100  331)  1737  als  camerae  regiae  advocatus 
et  Ordinarius  hujus  loci. 


§  9-     Scabini  der  Einheitsstaat.  173 

feld,  einem  Pommern,  der  1731  in  Frankfurt  immatrikulirt 
war.  Nachdem  er  sich  einige  Zeit  beim  Schöppenstuhl  in  der 
Ausarbeitung  von  Urtheilen  geübt  hatte  —  drei  solcher 
Uebungsurtheile  aus  der  Zeit  vom  November  1736  bis  zum 
Mai  1737  sind  Theil  der  Schöppenstuhlsakten1) — präsentirte 
ihn  im  Juli  1737  der  Schöppenstuhl ;  die  Bestätigung  erfolgte 
im  November  1737,  die  Vereidigung  im  Januar  1738.2)  Nach 
Gieseckes  Tode  wurde  Steinfeld  1759  Senior  und  blieb  es 
bis  1784.3)  Neben  seiner  Schöppenthätigkeit  übte  er  die 
Anwaltsthätigkeit  weiter, 4)  auch  bekleidete  er  bei  einer  Reihe 
von  adligen  Gerichtsherren  das  Amt  eines  Justitiars5)  und 
war  Notar.»5) 

Auch  nach  Knackrügges  Abgang  blieb  eine  mehrjährige 
Vakanz  im  Schöppenstuhl,  so  dass  dieser  zeitweilig  nur  vier, 
ja  kurze  Zeit  nur  drei  Mitglieder  zählte.  Mit  dem  Jahre  1738 
war  er  aber  wieder  auf  sechs  Mitglieder  gestiegen,  da  in 
diesem  Jahre  ausser  Steinfeld  Wichmann  Gottlieb  (Gottlob) 
Schütte  (geb.  17 10  zu  Peussen  bei  Magdeburg)  als  Schöppe 
eintrat. 7) 

Nachdem  er  das  Brandenburger  neustädtische  Lyceum8) 

*)  88  398  bis  411  (28.  Nov.  1736:  relatio  ad  dominos  Seniorem  et 
Asse sso res  regii  scabinatus  Brandenburgici ;  88  370  ff.  (5.  Jan.  1737);  100 
319  bis  332  (16.  Mai  1737). 

*)  R.  21  No.  9C  StA.,  Schöppenbuch  fol.  9.  3)  Schöppenbuch  foi.  20. 

*)  Er  fertigt  kurz  vor  dem  10.  Febr.  1739  in  einer  damals  an  den 
Schöppenstuhl  gelangten  Sache  als  advocatus  ein  Memorial  (90  69),  er  tritt 
als  defensor  in  einer  Brandenb.  Ehebruchssache  im  Okt.  1739  (90  770),  als 
Advokat  1746  in  Sachen  des  Lehnschulzengerichts  zu  Golwitz  bei  Brdb. 
auf  (97  875;  98  148).  1742  wird  er  in  der  Stadtrechnung  RA.  G.  51  als 
advocatus  pauperum  erwähnt. 

5)  Er  ist  1749  Justitiar  der  hochadeligen  Hackenhausenschen  Gerichte 
des  Hauses  Grossen-Creutz  (98624),  desgl.  1751  Justitiar  der  hochadligen 
Brandtschen  Gerichte  zu  Wiesenburg  bei  Beizig  (99  203),  1752  desgl.  (99 
370)  des  v.  Schlabrendorfschen  und  Britzkeschen  Sammtgerichtes  in  Baus- 
dorf bei  Genthin,  desgl.  1756  zu  Kützkow  bei  Genthin  (99671). 

e)  In  einer  1743  schwebenden  Sache  hat  er  „als  Notar  ein  Vidimus 
gemacht"  (94  78). 

*)  Dullo,  Kommunalgesch.  v.  Brdb.  1886  S.  231.  Leichenbuch  der 
Katharinenkirche. 

*)  1728  Wichm.  Gottlob  Schi.,  Halensis,  in  der  I.  classis.  Gratulations- 
ged.  im  Sammelband  der  Paulikirche. 


174:  2.  Buch.    Personal.     2.  Abschnitt.    Schoppen. 

absolvirt  und  dann  vier  Jahre  in  Halle  studirt  hatte, l)  wurde 
Schütte  Hofrath  und  dann  Stadtsekretar  zu  Brandenburg.  Als 
solcher  machte  er,  26  Jahre  alt,  Ende  1737  seine  Probe- 
relation für  den  Schöppenstuhl,  die  von  den  damaligen  vier 
Mitgliedern  Giesecke,  Oelschläger,  Plümicke  und  Steinfeld 
für  genügend  erklärt  wurde.2)  Im  Jahre  1752  finden  wir 
ihn  als  Syndikus,  im  Jahre  1766  als  Senior  des  Schöppen- 
stuhls,  im  Jahre  1767  als  Justizdirektor  und  neustädtischen 
Richter;  er  starb  1 776.3) 

Zwei  Jahre  nach  Schütte  wurde  der  Domsyndikus 
Christoph  Bernhard  Braun  (108  363)  als  Schöppe  bestätigt.4) 
Von  seiner  Herkunft  ist  nichts  bekannt.  Er  blieb  als  Schöppe 
Domsyndikus  und  gehörte  29  Jahre  dem  Schöppenstuhl  an,5) 
war  auch  Justitiar  der  v.  Rochow  zu  Reckahn  bei  Branden- 
burg (98314). 

Oelschläger  starb  1747;  sein  Nachfolger  war  von  1747 
bis  1784  der  Brandenburger  Stadtsyndikus  und  Advokat 
Georg  Friedrich  Grust  aus  der  Uckermark,6)  der  zugleich 
(1761)  als  von  Bredowscher  Justitiar  in  Klessen  bei  Friesack 
und  als  Hoffiskal  fungirte.7) 

Als  Plümicke  1756  starb,  sank  die  Zahl  der  Schoppen 
auf  fünf,  und  als  ihm  Giesecke  1759  im  Tode  folgte,  sank 
sie  auf  vier  Schoppen,  ohne  je  wieder  eine  höhere  Zahl  zu 
erreichen. 

Für  Giesecke  (f  1759)  trat  nach  zehnjähriger  Pause 
(1769)8)  der  Brandenburger  Syndikus  und  Hoffiskal  Im- 
manuel Richter  ein,  der  1738  in  Klempzig  (Schlesien)  geboren 

')  Dullo  a.  a.  O. 

2)  89  20.  29.  30.  „Der  Herr  Hofrath  ist  auf  dem  Wege,  vermittels 
fleissiger  Beobachtung  aller  zur  Verfertigung-  derer  Urtheile  erforderten 
Umstände  die  Fähigkeiten  und  Eigenschaften  eines  tüchtigen  Scabini  zu 
erreichen."     Die  Rel.  (12  Bl.)  liegt  bei. 

3)  Leichenbuch  der  Katharinenkirche.    RA.  Stadtrechnungen  G.  43  ff. 

4)  R.  21  No.  9C  StA.     Schöppenbuch  fol.  10. 
fi)  Schöppenbuch  fol.  12  (f  Aug.  1769). 

6)  1731   in  Frankfurt  immatrikulirt. 

7)  Schöppenbuch  fol.  10.  20;  Schöppenstuhlsakten  101  199  und  227. 
Als  Advokat  fungirt  G.   1756  (99  673)  und  1757  (108  398). 

8)  R.  21  No.  9C  StA.     Schöppenbuch  fol.  12. 


§  <>.     Srabini  der  Einheitsstadt.  \  75 

und  drei  Jahre  auf  der  Universität  Halle  aus  gebildet  war.  Er 
starb  1777,  erst  39  Jahre  alt,  als  „allgemein  beliebter u  Justiz- 
direktor beider  Städte  Brandenburg. l) 

In  Schuttes  Stelle  rückte  1778  der  Hoffiskal,  Postmeister 
und  Advokat  Joh.  Friedrich  Pauli  aus  Küstrin  ein,2)  der 
1752  in  Frankfurt  immatrikulirt  war  und  [766  an  seiner 
Proberelation  arbeitete,  aber  sie  binnen  drei  Monaten  nicht 
erledigte  (102  143).  Er  sass  kein  volles  Jahr  im  Schöp- 
penstuhl ;  denn  er  ging  1779  als  Postdirektor  nach  Magde- 
burg. 

Für  ihn  und  für  Richter  wurden  1780  der  Branden- 
burger Kriminalrath  und  Justizbürgermeister  Julius  Albert 
Rudolphi  (oder  von  Rudolphi)  aus  Greiffenberg  in  Schle- 
sien und  der  Brandenburger  Stadtsyndikus  Carl  Wilhelm 
H  u  go  aus  Zehdenick  bei  Prenzlau  in  den  Schöppenstuhl  be- 
rufen.H)  Ersterer  hatte  von  1753  an  in  Frankfurt  studirt, 
letzterer  von  1757  an.  Rudolphi  war  zugleich  neustädischer 
Richter,  er  starb  1801  als  solcher  und  zugleich  als  Justiz- 
direktor und  erster  Justizbürgermeister.4)  Hugo  starb  be- 
reits 1783. 

Ihn  ersetzte  1783  der  damals  25jährige  Brandenburgische 
Justizkommissar,  auch  Hoffiskal  und  Justitiar  Zier  hold,  der 
bis  zur  Auflösung  des  Schöppenstuhls  dessen  Mitglied  war 
und  1839  als  Hoffiskal,  82  Jahre  alt,  starb.5) 

Im  Jahre  1784  trat  für  Steinfeld  der  Stadtsyndikus 
und  Kriminalrath  Fabricius  in  den  Schöppenstuhl.  Als 
Syndikus  war  er  1783  Hugos  Nachfolger  geworden;  1788 
wurde  er  Justizbürgermeister  und  Richter  der  Neustadt  an 
Rudolphis  Stelle  und  starb  als  solcher  1796.*) 

1)  Leichenbuch  der  Katharinenkirche.  Hiernach  wird  Dullo  a.  a.  O. 
S.  232  zu  berichtigen  sein,  der  Zullichau  als  Geburtsort  nennt.  RA.  Stadt- 
rechnungen von   1767  ff. 

2)  R.  21   No.  9c  StA.     Schöppenbuch  fol.  12. 

*)  R.  21  No.  9c  StA.     Schöppenbuch  fol.  18.  19. 

*)  RA.  Rechnungen  von  1778  ff. 

*)  R.  21  No.  9c  StA.;  Schöppenbuch  fol.  19.  Akten  des  Brdb.  Magi- 
strats, betr.  die  Wahl  des  Syndikus.  Brandenburger  Anzeiger  von  1839 
unterm  10.  Jan. 

fl)  RA.  Stadtrechnungen  von  1783  ff.     Schöppenbuch  fol.  20.  22. 


1 7(>  2.  Buch.    Personal.     2.  Abschnitt.    Schoppen. 

Sein  Nachfolger  war  der  Brandenburger  Justizbürger- 
meister,  frühere  Kammergerichtsreferendar  Friedrich  Ludwig 
Uhde,  geb.  1762  in  Halberstadt.  Uhde  wurde  auch  als 
Justizbürgermeister  und  Richter  der  Altstadt  1796  Fabricius1 
Nachfolger,  nachdem  er  seit  1788  die  Stelle  des  Justiz- 
aktuarius  bekleidet  hatte.  Im  Jahre  1807  siedelte  er  nach 
Berlin  als  Mitglied  des  damals  dort  gebildeten  standischen 
Komites  über  und  hat  sich  daselbst  bis  zu  seinem  Tode 
„gänzlich"  aufgehalten.1)  Er  starb  am  1.  Juni  1809,2)  ohne 
einen  Nachfolger  zu  erhalten;  der  Schöppenstuhl  bestand 
von   1807  an  thatsächlich  aus  zwei  Mitgliedern. 

Nur  der  im  Jahre  1801  verstorbene  Justizdirektor  Ru- 
dolphi  erhielt  noch  einen  Nachfolger  und  zwar  in  der  Person 
des  1801  bestätigten  Brandenburger  Justizaktuars,  früheren 
Kammergerichtsreferendars  Samuel  Dietrich  Steinbeck3) 
aus  Brandenburg,  geboren  1774,  erst  (1798)  Justizaktuar, 
dann  (1804)  Stadtsekretar  und  Stadtsyndikus.4) 

Als  1809  *n  Folge  der  Einführung  der  Städteordnung 
die  Gerichtsbarkeit  der  Stadt  entzogen  und  dem  neuorgani- 
sirten  königlichen  Stadtgericht  übertragen  wurde,  schied  Stein- 
beck, der  als  Syndikus  bereits  vorher  zusammen  mit  dem 
Justizdirektor  und  Justizbürgermeister  die  Justiz  verwaltet 
hatte,  aus  dem  Magistrat,  nicht  zugleich  aber  aus  dem 
Schöppenstuhle  und  trat  in  das  Stadtgericht  ein.  Im  fol- 
genden Jahre  wurde  das  Stadtgericht  durch  Zulegung  des 
Justizamts  Lehnin  zum  Land-  und  Stadtgericht  Brandenburg 
erweitert;  Steinbeck  erhielt  nunmehr  den  Titel  eines  Land- 
und  Stadtgerich tsraths 5)  und  starb  als  solcher  im  Jahre  18386), 
also  ein  Jahr  vor  Zierhold;  sie  beide  waren  von  1809  an 
die  einzig  übriggebliebenen  Assessoren  des  Schöppenstuhls. 

J)  Stadtrechnungen  de  1788  ff.  Akten  G.  13  betr.  die  Aufhebung  des 
Schöppenstuhls  RA. 

•)  Dullo  a.  a.  O.  S.  237.  Gen.Akten  des  Berl.  J.Min.,  Aufhebung  des 
Schöppenst.  betr.  S.  56. 

3)  R.  97  III.  d.  fol.  113.  114  StA.     Schöppenbuch  fol.  23. 

4)  Dullo  a.  a.  O.  S.  237.  45. 

*)  Acta  gen.  betr.   Organisation    des    Stadtg.   zu    Br.  etc.  IL  B.  4  AA. 
Die  darin  enthaltenen  Brandenb.  Berichte  sind  von  Steinbeck  verfasst. 
6)  Brandenb.  Anzeiger  von   1838,  unter  dem  8.  Febr. 


3-  Buch. 

Ausbildung  des  Personals. 

§  10. 

Notariat. 

Unter  den  bei  Ausübung  der  Rechtspflege  thätigen 
Stadtschreibern,  Schöppenschreibern,  Schoppen,  Richtern 
und  Prokuratoren  haben  wir  bereits  vielfach  solche  gefun- 
den, die  zugleich  Notare  waren.  Notare  sind  es  auch,  wie 
sich  weiter  zeigen  wird,  die  hier  und  da  nicht  bloss  von 
den  Parteien  den  Auftrag  erhalten,  die  Missiven  an  den 
Schöppenstuhl  abzufassen,  sondern  auch  von  den  Gerichts- 
herren damit  betraut  werden,  die  Protokolle  über  gerichtliche 
Vorgänge  aufzunehmen,  ja  allgemein  statt  der  Gerichtsherren 
die  Gerichtsbarkeit  zu  verwalten,  d.  h.  in  moderner  Sprach- 
weise, als  Patrimonialrichter  zu  fungiren. 

So  erweisen  sich  die  Notare,  von  Alters  her  schreib- 
kundige Kleriker,1)  als  die  geeignetsten  Personen,  dem 
schriftlichen  Prozessverfahren  und  zugleich  dem  kanonisch- 
römischen Rechte  die  Wege  zu  bereiten:  im  Notariate  liegt 
der  Keim  für  die  Umbildung  der  Volksrechtsprechung  zur 
gelehrten  Rechtsprechung;  aus  dem  Notare  entwickelte  sich 
der  rechtsgelehrte  Richter.  Die  Ausbildung  zum  Notar  ist  für 
die  ältere  Zeit  die  Vorstufe  zur  Ausbildung  dieses  Richters. 

Die  Heimath  des  Notars  war  Italien.  Schon  im  drei- 
zehnten Jahrhundert  kannte  man  in  Bologna  Doktoren  der 
Notariatskunde.2)  Da  der  Notar  sowohl  im  Interesse  kirch- 
licher als  weltlicher  Gerichtsbarkeit  zu  wirken  hatte,  war 
es  für  ihn  räthlich,  seine  Befugnisse  sowohl  aus  päpst- 
licher als  aus  kaiserlicher  Macht  herzuleiten;  die  päpstliche 

!)  Stölzel,  Rechtsverw.  i,  32  ff. 
2)  G.  Kaufmann,  Gesch.  der  D.  Univ.  I,  19a.  202. 
St ölzel,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    L  12 


178  3-  Buch.     Ausbildung-  des  Personals. 

Bestätigung .  im  Verein  mit  der  kaiserlichen  sicherte  ihm  das 
Recht,  in  geistlichen  wie  in  weltlichen  Angelegenheiten  mit 
öffentlichem  Glauben  aufzutreten.  So  entstand  der  „notarius 
publicus  apostolica  et  imperiali  auctoritate,  clericus  dioeceseos 
N.  N.u,  der  im  Eingang  seiner  Urkunde  sowohl  bezüglich  des 
Papstes  als  des  Kaisers  die  Zahl  des  Regierungsjahres  an- 
giebt.  Papst  und  Kaiser  kreirten  aber  nicht  persönlich  den 
einzelnen  Notar,  sie  hatten  dafür  ihre  Delegirten,  der  Papst 
seine  Bischöfe,  der  Kaiser  seine  Pfalzgrafen  (comites  pala- 
tini),  die  in  Italien  schon  im  zwölften,  in  Deutschland  erst  im 
vierzehnten  Jahrhundert  vorkamen.  *)  Auch  der  Papst  nahm 
das  Recht  in  Anspruch,  comites  palatini  zu  ernennen;  ein 
solcher  war  z.  B.  Luthers  Gegner,  der  Nuntius  Aleander. 
Vor  den  comites  oder  vor  den  Vorstehern  des  Notariats- 
kollegs oder,  wenn  Städte  einen  notarius  civitatis  annahmen, 
vor  der  städtischen  Obrigkeit  fand  eine  Prüfung  des  Notariats- 
aspiranten statt.  Nachdem  es  üblich  geworden,  dass  die 
Pfalzgrafenwürde  vom  kaiserlichen  oder  päpstlichen  Delegirten 
•auf  einen  Subdelegirten  und  von  diesem  als  Einnahmequelle 
auf  den  einen  oder  anderen  begünstigten  Beamten,  z.  B.  einen 
Universitätsdekan,  einen  fürstlichen  Rath  oder  einen  Pfarrer 
überging,  erfolgte  durch  den  Subdelegirten  die  Bestellung 
zum  Notar  nach  vorausgegangener  Prüfung.2)  Für  Manche 
war  die  Ernennung  zum  Pfalzgrafen  nur  Ehrensache:  als 
Aleander  1534  in  Venedig  seinen  Dichterkollegen  Georg 
Sabinus  zum  Pfalzgrafen  machte,  hatte  dieser  von  seinen 
pfalzgräflichen  Rechten  in  der  Heimath  wenig  zu  hoffen.3) 

In  den  italienischen  Städten  galt  gewohnheitsrechtlich 
der  Satz,  dass  die  Geschäfte  derjenigen  Schreiber,  die  im 
Dienste  von  Beamten  oder  Behörden  öffentlich  thätig  waren, 
nur  von  Notaren  besorgt  werden  durften.4)  Daraus  erklärt 
sich  die  grosse  Menge  der  Notare. 

l)  Oesterley,  Das  deutsche  Notariat,  1842  I,  426. 

-)  Formulare  der  Ernennung  von  Notaren  sind  in  den  unten  in  §  13  er- 
wähnten formulae  notariorum  fol.  186  ff.  enthalten;  der  comes  palatinus 
überkömmt  fol.  i87v  die  Befugniss,  einen  vicecomes  zu  substituiren,  der  bis 
zu  20  Notaren  ernennen  kann. 

8)  Toppen,  Univ.  Königsberg  S.  39. 

4)  Oeaterley  a.  a.  O.  I,  S.  213. 


§  io.     Notariat.  179 

Ueber  die  kreirten  Notare  Hessen  Papst  und  Kaiser  eine 
Matrikel  führen,  ebenso  ihre  Delegirten. 

In  diese  Verhältnisse  griff  die  Loslösung  deutschen  Lan- 
des von  der  päpstlichen  Autorität,  wie  sie"  eine  Folge  def 
Reformation  war,  thatsächlich  ein.  Auch  ging  das  Reich  in 
seinen  Notariatsordnungen  vom  sechzehnten  Jahrhundert  an 
gesetzgeberisch  vor.  Da  sich  die  Mark  Brandenburg  erst  im 
Jahre  1561  vom  Papste  lossagte,2)  kann  es  nicht  auffallen,  dass 
in  den  Brandenburger  Schöppenstuhlsakten  noch  bis  zum 
Ende  des  sechzehnten  Jahrhunderts  sich  Notare  auf  ihre  Be- 
stellung durch  den  Papst  berufen. 

Die  Nachrichten,  die  aus  diesen  Akten  sich  über  Notare 
entnehmen  lassen,  gehen  bis  1526,  also  bis  in  die  vorreforma- 
torische  Zeit  zurück.  Hier  finden  wir  die  zwei  oben  S.  118 
genannten  in  Prenzlau  thätigen  Notare.  Als  1537  in  Stendal 
auf  Ersuchen  des  Stadtrichters  Geistliche  vor  ihrem  Oberen, 
dem  Dechanten,  vernommen  werden  sollen,  beauftragt  der 
Dechant  einen  Geistlichen  und  Notar  mit  Ladung  der  Zeugen 
und  mit  deren  Vernehmung,  letzteres,  weil  er,  der  Dechant, 
krank  sei  (2  646).  In  Gardelegen  nimmt  1546  ein  dortiger 
Bürger  als  Notar  „kraft  päpstlicher  und  kaiserlicher  Autori- 
tät14 eine  Ehestiftung  auf  (5  622).  In  Perleberg  verhört  1552 
ein  Kleriker  aus  dem  Havelberger  Stifte  Zeugen  als  ^offenbar 
Schreiber  und  Notar  von  päpstlicher  Gewaltu  (5  307);  in  Havel- 
berg nennt  sich  1557  der  1541  in  Frankfurt  a.  O.  immatriku- 
lirt  gewesene  Matthäus  Fischer  aus  Reppen  bei  Frankfurt 
„von  päpstlicher  und  kaiserlicher  Macht  offenbarer  Notariusu 
(6  340).  Zu  gleicher  Zeit  fungirt  in  Witstock  ein  Kleriker  des 
Havelberger  Stifts  als  raus  päpstlicher  Gewalt  offener  Notar 
im  dritten  Jahre  des  allerheiligsten  Papstes  Paulus  IV.U  (8  193). 
Der  „Tribseische  Secretarius44  Christoph  von  Levenstein 
nennt  sich  1559  „aus  apostolischer  Autorität  offener  und  des 
kaiserlichen  Kammergerichts  zu  Speier  immatrikulirter  Notar4* 
(7  589);  ebenso  nennt  sich  zur  selben  Zeit  (7  263)  und  auch 
noch  1566  (10  333)  der  Wusterhausener  Sekretär  Henning 
Kemnitius,  1548  in  Frankfurt  immatrikulirt,  „sacra  apostolica 
autoritate  notarius44,  während  damals  M.  Johann  Steinkamp, 

l)  Oesterley  I,  S.  186.  2)  Stölzel,  Rechtsverwaltung  I,  208  ff. 

12* 


180  3-  Buch.     Ausbildung  des  Personals. 

der  Sekretär  des  Rathes  zu  Rostock,  wo  man  entschiedener 
als   in  der  Mark  dem  Papst  entgegengetreten  war,    nur  als 
„aus  kaiserlicher  Macht  offenbarer  Notar44  zeichnet  (9  191). 
In  Salzwedel  ist  1562  J.  Bindemann  als  „von  päpstlicher  Ge- 
walt offenbarer  Notar44    bei  einem  peinlichen  Verhör  thätig 
(9  100),  ebenso  1567  U.  Diedrich  in  Gransee,  der,  in  den  Akten 
zum  ersten  Mal,  unter  seine  Beglaubigung  ein  Notariatszeichen 
setzt  und  zwar  seine  Hausmarke  (11  163).     Eine  Hausmarke  als 
Notariatszeichen  kommt  sonst  in  den  Akten  nicht  weiter  vor, 
wohl  aber  sonstige  beliebig  hergestellte  Embleme;  ein  Notar 
in  Garz  führt  1585  einen  Holzschnittabdruck  auf  dem  letzten 
Blatte  seiner  Protokolle  (26  441).    Das  Notariatszeichen  wird 
allmählich    in  die  Bestallung  aufgenommen  und  mit  ihr  ver- 
liehen.    In  Rostock  nennt  1567  der  Notar  Ulenauw  im  Ein- 
gang seines  Instruments  nur  das  Jahr  der  Herrschaft  Maxi- 
milians IL,    er   schweigt   also   vom    Pontifikate,    gleichwohl 
unterzeichnet  er  sich  als  Notar  „aus  apostolischer  Autorität u 
(11  580);   1576  nennt  sich  in  Malchin  (Meklenburg)  J.  Sade- 
wasser     „am    kaiserlichen    Kammergericht   approbirter   und 
immatrikulirter  Notar"  (17  599).     In  Märkisch  Friedland  ver- 
nimmt 1573  ein  „sacra  apostolica  autoritate  notarius"  Zeugen 
auf  Requisition  (13  359);  in  Schönfliess  (bei. Königsberg  i.  N.) 
unterzeichnet    1573    ein    Notar     „aus     kaiserlicher    Gewalt** 
(14  162),  in  Tempelburg  der  Pfarrer  schlechtweg  als  „öffent- 
licher   Notar",     in    Stendal    Hans    Koppen    1577    (25  109) 
schlechtweg  als  „Notar   und    Stadtschreiber",   1584   (25  408) 
aber  als  „aus  römischer  kaiserlicher  Gewalt  offenbar  Notar 
und  Stadtschreiber".  Ebenso  1584  (25  335)  der  Stadtschreiber 
zu  Soldin  Johann  Musculus. 

David  Heynisch  ist  1578  „pontificia  autoritate"  Notar  in 
Pritzwalk  (20  62.  66.  70),  der  Kyritzer  Stadtsekretar  Lorenz 
Stalberg  (1562  in  Frankfurt  immatrikulirt)  amtirt  1579  als 
„auetoritate  pontificia  notarius"  (21  34).  Der  (evangelische) 
Pastor  Michael  Lademann  in  einem  Dorfe  bei  Treptow  a.  R. 
(Pommern)  nimmt  1579  als  „apostolica  autoritate  scriba  re- 
quisitus"  Verhandlungen  auf,  die  von  den  Parteien  in  einer 
Injuriensache  vor  dem  Erbjunker  in  Gültz  als  dem  judex 
Ordinarius  gepflogen  sind  (21  96). 


§  io.     Notariat.  181 

Daniel  Huber  nennt  sich  1579  „kaiserlicher  Notar  und 
Richter  zu  Berlin",  Jacob  Lange  dagegen  nennt  sich  gleich- 
zeitig „sacra  apostolica  autoritate  publicus  notarius  dioceseos 
Brandenburgensis"  (20553),  ebenso  nennt  sich  1583  (24  194), 
C.  Meteweiss  in  Retz  und  1588  (30  109)  A.  Crusemark  in 
Perleberg  „aus  päpstlicher  Macht  Notaru.  Als  „notarius 
publicusu  oder  als  „Notar"  ohne  weiteren  Zusatz  fungiren 
1587  der  altstädtische  Sekretär  von  Salzwedel  (28  235)  und 
der  Berliner  kurfürstliche  Kanzleischreiber  (284);  ebenso 
1598  (43  133)  der  Rheinsberger  Bürgermeister  und  1600  (47 
308)  der  Neuruppiner  Stadtrichter.  Der  Pfarrer  zu  Neuen- 
kirchen nennt  sich  1592  (37634)  „offenbarer  Notarius". 

Notare,  die  aus  päpstlicher  Gewalt  oder  apostolica  auc- 
toritate  zeichnen,  sind  noch  1590  in  Friedland  (32  113),  1595 
in  Schievelbein  (40  75),  1598  und  1601  in  Templin  (43  97; 
47  319)  zu  finden.  Als  Notare  sind  thätig  1588  (30  539)  in 
Garz  der  Stadtsekretar,  1590  (ÜB.  2  148.  150)  in  Callies  ein 
polnischer  „amts vergessener  Pastor u,  1602  (62  686)  in  Havel- 
berg der  Bürgermeister,  1606  (59  26.  50)  in  Arnswalde  und 
161 1  (59177)  in  Bernau  der  Stadtschreiber,  1622  (70607) 
in  Prenzlau  ein  Rathsherr,  1638  (76  589)  in  Tangermünde  ein 
Senator  und  1747  (98  129)  in  Soest  sogar  der  Küster.  Im 
Jahre  1648  (7833)  erhält  das  Stadtgericht  zu  Kremmen  (bei 
Ruppin)  auf  seine  Anfrage  die  Belehrung  aus  Brandenburg, 
dass  ein  vereideter  und  geschickter  Schöppenschreiber  bei 
peinlichen  Protokollen  als  ein  geschworener  Notar  zu  gelten 
habe.  In  Sandow  (bei  Reppen)  berichtet  1598  (43  156.  160) 
der  Pfarrer  Mag.  Bock  dem  Gerichtsjunker  von  Mandelsloh 
zu  Biberteich  bei  Reppen,  was  ein  Dieb  zu  Reichenwalde  in 
tormentis  ausgesagt  habe,  und  in  Zanthow  (bei  Landsberg) 
fungirt  1609  (57  266)  ein  legum  candidatus  als  Notar. 

Eine  alte  Sitte  war  es,  dass  der  offene  Schreiber  oder 
Notar  seinen  Sitz  in  der  Kirche  oder  auf  dem  Markte  auf- 
schlug. Davon  finden  wir  in  Brandenburg  noch  Spuren  beim 
Beginne  des  dreissigj ährigen  Krieges.  Denn  wenn  162 1  (68 
641)  berichtet  wird,  dass  auf  dem  Markte  zu  Perleberg 
einem  Schreiber  aus  seinem  Kleide  ein  Beutel  mit  Geld  von 

m 

einem  Beutelschneider    „behende  herfürgerückt  sei",    so  ist 


13*2  3*  Buch.     Ausbildung  des  Personals. 

unter  dem  Schreiber  wohl   ein  auf  dem  Markte  sesshaft  ge- 
wesener Notar  zu  verstehen. 

Um  von  den  mehreren  bei  derselben  Behörde  beschäf- 
tigten Notaren  einen  auszuzeichnen,  kam  früh  (schon  im  Beginne 
des  vierzehnten  Jahrhunderts)  der  Titel  protonotarius  in  Ge- 
brauch. })  Er  wurde  später  üblich  bei  den  Städten  und  bei 
den  angesehenen  Gerichten,  die  mehrere  Sekretarien  hielten. 
So  gab  es  schon  im  sechzehnten  Jahrhundert  zwei  Proto- 
notare  beim  Berliner  Kammergericht,  es  gab  1581  (22503. 
504)  einen  altmärkischen  Protonotar  in  Tangermünde,  der 
zugleich  Hof-  und  Landrichter  der  Altmark  war,  und  es  gab 
1574  (15  122)  einen  Protonotar  in  Frankfurt.  Das  Berliner 
Kammergericht  hatte  noch  1860  seinen  Protonotar;2)  dann 
ist  er  als  obsolet  verschwunden;  im  achtzehnten  Jahrhundert 
fungirte  als  solcher  ein  Kammergerichtsrath.3)  Auch  bei  den 
Brandenburger  Stadtschreibern  hat  sich,  wie  wir  sahen  (S. 
113),  der  Titel  des  Protonotars  eingeschlichen. 

Viele  Notare  haben  nachweisbar  schon  im  15.  und  16. 
Jahrhundert  Universitäten  besucht,  die  grosse  Masse  hatte 
aber  keine  akademische  Bildung,  sie  erwarb  sich  einige 
Kenntniss  des  Lateinischen  und  übte  sich  in  den  amtlichen 
Schreibstuben. 

Trefflichen  Aufschluss  über  die  Art  und  die  Vorbedin- 
gungen der  Bestellung  von  Notaren,  sowie  über  ihren  Bil- 
dungsgang in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  giebt 
eine  mir  vorliegende  Notarsbestellung  des  Jahres  1760.  Auf 
einem  fast  1  Quadratmeter  grossen  Pergamentblatt  „bekennt 
öffentlich  im  Namen  der  hochheiligen  Dreifaltigkeit"  der 
comes  palatinus  Samuel  Wilhelm  Oetter,  der  sich  in  der 
Urkunde  zugleich  bezeichnet  als  „hochfürstlicher  Branden- 
burgischer Onolzbachscher  Konsistorialrath,  Historiograph  und 


])  Stölzel,  Rechtsverw.  I,  51.  1456  erscheint  in  der  Greifs w.  Matrikel 
ein  protonotarius  des  Brandenb.  Bischofs. 

-)  Adresskalender  von  1860  für  Berlin  und  Potsdam:  „Mathiass,  Kanz- 
lei rat  h,  Kammergerichtssekretär  und  Protonotar". 

3)  Laut  der  aus  dieser  Zeit  stammenden  kammergerichtlichen  Missiven 
(s.  unten  §  23). 

*)  Im  Privatbesitz. 


§  io.     Notariat.  1^3 

Pfarrer  zu  Mark  Erlbach  u  (beiHof),  unter  seinem  pfalzgräflichen, 
auf  rother  Oblate  aufgedruckten  Siegel:  „Demnach  Kaiser  Jo- 
seph I.  den  regierenden  Fürsten  Johann  Friedrich  zu  Schwarz- 
burg im  Jahre  1710  mit  der  Gnade  versehen,  im  Namen  des 
Kaisers  als  comes  palatinus  Personen,  die  er  dazu  für  taug- 
lich erachte,  zu  kaiserlichen  Notarien  oder  öffentlichen  Schrei- 
bern zu  ernennen,  und  genannter  Fürst  zu  Schwarzburg  im 
Jahre  1756  im  Namen  des  Kaisers  ihm,  dem  Pfarrer  Oetter, 
Vollmacht  gegeben  habe,  solche  Notarien  zu  ernennen,  so 
bestelle  er  den  wohlgelahrten  Herrn  August  Heinrich  Wein- 
rich,  gebürtig  aus  Koditz  im  Vogtlande, l)  bisherigen  Skri- 
benten im  hochfürstlichen  Kastenamte  zu  Neustadt  an  der 
Aysch,  der  ihn  um  solches  Notariat,  Schreiber-  und  Richter- 
amt ersucht,  zu  einem  notario  publico,  offenen  Schreiber  und 
Richter,  nachdem  derselbe  das  Gymnasium  Albertinum  zu 
Hof  im  Vogtland  7  Jahre  lang  frequentirt  und  so  die 
einem  Notario  so  nöthige  lateinische  Sprache  erlernt,  hierauf 
4  Jahre  bei  der  hochfürstlichen  Landeshauptmannschaft  zu 
Hof,  sodann  7  Jahre  bei  dem  hochfürstlichen  Klosteramt 
Frauenthal  und  letztens  bei  dem  hochfürstlichen  Kasten- 
amt zu  Neustadt  a.  d.  Aysch  als  Skribent  gestanden 
und  daselbst  den  Amts-  und  Rechnungsgeschäften,  Inventuren 
und  Theilungen,  Ausfertigung  der  Kontrakte,  Jurisdiktionalien 
und  andere  Amtsverrichtungen  fleissig  abgewartet  und  noch 
überdies  seine  Geschicklichkeit  in  den  mit  ihm  in  Gegenwart 
des  kaiserlichen  Notars  Joh.  Anton  Schlottmann,  dann  vorher 
schon  von  Jacob  Carl  v.  Wilde,  kaiserl.  königl.  Commissario, 
lic.  jur.  utr.  und  procuratori  immat.  aug.  cam.  imper.,  damals 
in  Fürth  sich  enthaltend,  vorgenommenen  Examin e  wohl- 
bestanden,  wie  das  ausgefertigte  Zeugniss  mit  mehreren 
besagt,  ....  ungehindert  dies  Amt  zu  gebrauchen  mit  Ge- 
boten und  Verboten  bei  Poen,  welche  von  Kaisers  Joseph  I. 
Maj.  der  dem  Haus  Schwarzburg  ertheilten  Privilegien  gemäss 
besonders  gesetzt,  auch  dem  ihm,  dem  Pfalzgrafen,  ertheilten 
diplomati  einverleibt  worden,  nämlich  von  300  Mark  löthigen 
Goldes."    Dann  folgt  noch  die  Abbildung  und  Beschreibung 


l)  Geboren  1741,  also  zur  Zeit  seiner  Bestellung  zum  Notar  29  Jahre  alt. 


1$4  3*  Buch.     Ausbildung  des  Personals. 

des  vom  Pfalzgrafen  ertheilten  Signets  und  die  Mittheilung, 
dass  der  Pfalzgraf  den  ernannten  Notar  in  Eid  genommen. 
Die  Urkunde  datirt  von  Mark  Erlbach,  dem  Pfarrort  des 
Pfalzgrafen. 

§  11. 

Schulen. 

Ueber  die  Schulbildung  derjenigen  Persönlichkeiten,  die 
zur  Mitwirkung  an  der  Rechtsprechung  berufen  waren,  lassen 
sich  für  Brandenburg  nur  dürftige  Nachrichten  beibringen. 

Man  schied  im  Mittelalter  von  den  „Generalstudien" 
(d.  h.  den  Universitäten,  deren  Diplome  den  Werth  hatten, 
dass  sie  ihren  Inhaber  befähigten,  allgemein  inTjder  ge- 
sammten  civilisirten  Welt  als  Lehrer  aufzutreten)  die  Parti- 
kular Studien,  die  nicht,  wie  die  Universitäten,  von  Papst^und 
Kaiser,  vielmehr  von  den  Städten  oder  Bischöfen  für  ihren 
Sonderbezirk  gegründet,  bestimmt  waren,  eine  höhere 
Bildung  zu  erzielen,  als  die  Trivialschulen  sie  gewährten.1) 
Ein  solches  namhaftes  „Partikular14  war  das,  auf  welchem 
Roter  seine  Vorstudien  für  die  Universität  machte.2)  Auch 
kam  es  vor,  dass  ein  Partikular  zur  Universität  erhoben 
wurde,  wie  z.  B.  1544  in  Königsberg,3)  wo  bereits  1539 
dafür  gesorgt  wurde,  dass  in  der  Stadt  öffentliche  juristische 
Vorlesungen  stattfanden.  Aehnliche  Einrichtungen  schufen 
1529  Strassburg  und  1539  Danzig:  „der  Rechten  Doktoru  Jacob 
Kyrsser  wurde  1529  als  Diener  angenommen,  um  in  der 
Stadt  Strassburg  in  kaiserlichen  Rechten  zu  lesen,  auch 
sollte  er  advoziren  dürfen,4)  und  Mag.  Conrad  Lagus,  der 
1522  eine  Privatschule  mit  Pensionat  in  Wittenberg  hielt, 
wurde    1539  Syndikus  des  Rathes  zu  Danzig  mit    der  Auf- 

')  Vergl.  Kaufmann,  Gesch.  der  Universitäten  I,  372.  M.  Lauterbachs 

Tagebuch  auf  das  J.  1538,  herausgegeben  von  Seidemann,  S.  71. 

2)  Siehe  oben  S.  96. 

3)  Muther,  Aus  dem  Universitäts-  und  Gelehrtenleben  S.  347,  357. 

*)  Eheberg,  Verfassung,  Verwaltung  und  Wirthschaftsgesch.  von 
Strassburg  1899  S.  559.  Kyrssers  Vater  war  Kanzler  des  Markgrafen  Phi- 
lipp zu  Baden;  ein  Kleriker  Peter  K.  studirt  1497  in  Bologna  und  promo- 
virt  da,  fungirt  als  Reichskammergerichts-  und  (15 15)  als  Brandenb.  Rath 
von  Haus  aus.     Knod,  Deutsche  Studenten  in  Bologna.     1899  S.  251. 


§  ii.     Schulen.  185 

läge,  „unser  Jugend  oder  sonst,  die  solches  zu  hören  begierig 
sein  werden,  eine  Lection  in  den  Rechten  zu  thuendeu. l) 

Solche  oder  ähnliche  Einrichtungen  finden  sich  in  Branden- 
burg nicht;  auch  von  einer  Notariatsschule  ist  keine  Spur  vor- 
handen. Die  altstädtische  Schule  stand  in  vorreformatorischer 
Zeit  in  nächster  Beziehung  zur  Gotthardkirche  und  bezweckte 
nur,  diejenigen  Kenntnisse  einzuprägen,  die  beim  äusseren 
Kultus  noth wendig  waren.2)  Ein  Visitationsabschied  von  1541 
ordnete,  da  „die  Schule  in  dieser  Stadt  etwas  gefallen",  die  An- 
stellung von  vier  Lehrern  (statt  der  bisherigen  drei)  an.  Die 
neustädtische  Schule  beruhte  seit  I565  auf  der  Schulordnung 
Melanchthons  von  1528.3)  Von  Rechtsunterricht  war  in  keiner 
der  beiden  Schulen  die  Rede.  Als  in  Folge  der  Stiftung  der 
Frau  von  Saldern  1589  eine  Neuorganisation  der  altstädti- 
schen Schule  eintrat,  wurde  als  Ziel  der  Erwerb  christlicher 
Frömmigkeit  und  Kenntniss  der  Gelehrten  •  Sprachen  hin- 
gestellt, „pietas  literata",  wie  es  der  damalige  Rektor  Have- 
land  nannte;  Latinität  bildete  den  Mittelpunkt  des  ganzen 
Unterrichts;  für  begabte  arme  Schüler,  die  nicht  in  der  Lage 
waren,  die  Universität  zu  beziehen,  sollten  aber  die  ersten 
Elemente  der  Rechtsinstitutionen,  („eunabula  legum")  gelehrt 
werden,  um  vor  Allem  in  den  gerichtlichen  Sprachgebrauch 
einzuführen.4)  Ausserdem  finden  sich  vereinzelt  in  den  Schöppen- 
stuhlsakten  Spuren,  dass  vor  den  Universitäten  mehrere  aus- 
wärtige Schulen  besucht  wurden,  worunter  anscheinend  Parti- 
kularstudien zu  verstehen  sind.  So  haben  am  Schlüsse  des 
sechzehnten  Jahrhunderts  zwei  Söhne  von  Neuruppiner  Bürgern 
,,in  Trivial-  und-  hohen  Schulen  zu  Ruppin,  Olmütz,  Prag, 
Braunsberg  und  Wittenberg  ihre  Ausbildung  erhalten"  (49 
307).  Einmal  wird  auch  die  Schule  zu  Thorn  als  eine  solche 
auswärtige  Schule  genannt.  Der  Sohn  eines  Pfarrers  im 
Dorfe  Dalgow  (bei  Spandau)  besucht  im  Anfang  des  sieb- 
zehnten Jahrhunderts   bis  zum  sechzehnten  Jahre  die  Schule 


l)  Stintzing,  Gesch.  d.  RW.-I,  297.    Muther,  Zur  Gesch.  d.  RW.  S.  329. 
3)  Tschirsch,  Beiträge  zur  Gesch.  der  Saldria.     Brandenburg  1889. 
3)  Rasmus,    Beitr.  zur   Gesch.  des  alt*  und  neustädt.  Gymn.  zu  Brdb. 
I.  Das  neust.  Lyceum  1330 — 1797.     Brandenburg  1891  (Schulprogramm). 
*)  Tschirsch  a.  a.  O.  S.  63  bis  68. 


]86  3.  Buch.     Ausbildung  des  Personals. 

in  Spandau,  dann  hält  er  sich,  anscheinend  als  Präceptor  in 
adeligen  Häusern,  fünf  Jahre  in  fremden  Landen  auf,  um  mit 
21  Jahren  seine  Studien  in  Wittenberg  „zu  kontinuiren"  (6616.) 
Der  Sohn  des  Krügers  Paul  Claus  zu  Beetzendorf  besucht 
um  1600  (56  37),  nachdem  sich  seine  verwitwete  Mutter  mit 
einem  Bürger  in  Gardelegen  wieder  verheirathet  hat,  dort 
„und  anderswo  Schulen  und  Universitäten",  insbesondere  die 
Universität  Helmstädt,  auf  der  er  den  Namen  Michael  Nicolai 
führt,  i) 

Für  diejenigen  Persönlichkeiten,  die  an  der  Rechtspre- 
chung der  Schöppenstühle  betheiligt  waren,  hat  sich  etwa 
seit  der  Reformationszeit  ein  Rechtsunterricht  auf  Universi- 
täten, wie  wir  aus  den  über  die  Brandenburgischen  Schöp- 
penschreiber  und  Schoppen  beigebrachten  Nachrichten  ent- 
nehmen können,  als  unabweisliches  Bedürfniss  herausgestellt. 
Nur  Schreiber  an  den  kleineren  Gerichten  oder  Notare 
konnten  sich  mit  einer  Ausbildung  in  Trivialschulen  und  in 
Schreibstuben  auch  noch  gegen  Ende  des  achtzehnten  Jahr- 
hunderts genügen  lassen.  Wie  es  sich  mit  den  Ausbildungs- 
mitteln für  Advokaten  und  Prokuratoren  verhielt,  ist  aus  dem 
uns  vorliegenden  Material  nicht  ersichtlich;  Advokaten  und 
Prokuratoren  treten  darin  auffallig  zurück;  nur  in  seltenen 
Fällen  wird  des  einen  oder  anderen  Erwähnung  gethan.  Das 
hängt  damit  zusammen,  dass  es  lange  Zeit  Sitte  der  Advo- 
katen ist,  die  von  ihnen  gefertigten  Schriftstücke  durch  die 
Partei  besiegeln  und  später  auch  unterschreiben  zu  lassen.2) 
Ueber  die  Bibliothek  und  über  die  literarische  Thätigkeit 
eines  Brandenburger  Advokaten  aus  dem  Ende  des  sieb- 
zehnten Jahrhunderts  wird  unten  (§  13)  berichtet  werden. 
Seit  17 10  erfordert  man  in  Preussen  für  solche  Persönlich- 
keiten   eine    Prüfung,     doch    konnten  sie  auch  schon  vorher 

1)  Weitere  Schulen  und  Universitäten  macht  die  bezeichnete  Quelle 
nicht  namhaft.  Da  nach  ihr  Nicolai  1607  an  der  Pest  starb,  ist  auch  nicht 
ersichtlich,  welches  Ziel  er  bei  seinem  Studium  verfolgte. 

2)  Das  beweisen  zahlreiche  Missiven  in  den  Schöppenstuhlsakten. 
Von  Martin  Beilin  als  Anwalt  eigenhändig  geschriebene  Sätze  im  Sichter- 
schen  Prozesse  des  J.  1502  sind  mit  Sichters  Siegel  versehen.  Siehe  oben 
S.  n6. 


§  ii.     Schulen.  1#7 

sich  prüfen  lassen.1)  Die  zum  Dienst  als  Einzelrichter 
Berufenen,  wie  die  Notare  oder  die  Amtsschreiber,  werden 
auch  noch  im  achtzehnten  Jahrhundert  sich  praktisch  in 
Schreibstuben  haben  schulen  lassen,  wie  jener  Notar,  von 
welchem  oben  (S.  183)  berichtet  ist. 

Die  Zustände,  welche  hiernach  den  Uebergang  aus  der 
Periode  des  ungelehrten  Rechts  zu  der  Periode  des  gelehr- 
ten Rechts  begleiten,  ähneln  überraschend  denen  Roms,  als 
dasselbe  zur  Kaiserzeit  griechischem  Einflüsse  unterworfen 
war.  Schilderungen,  die  von  dieser  Zeit  gemacht  werden2), 
lesen  sich,  als  sollten  sie  den  Prozess  der  Romanisirung 
unseres  deutschen  Rechtes  wiedergeben:  Die  Kenntniss  des 
heimischen  Rechtes  wird  auf  der  einen  Seite  als  Bestandtheil 
des  für  den  Lebensverkehr  unentbehrlichen  Wissens  betrachtet, 
auf  der  anderen  Seite  wird  sie  in  erhöhtem  Maasse  als  ein 
Stück  humanistischer  Bildung  vom  Manne  besseren  Standes 
erfordert  und  dem  Jünglinge  vornehmlich  durch  den  Unter- 
richt eines  Kundigen  verschafft;  dann  aber  scheidet  die 
Rechtslehre  aus  den  humanistischen  Unterrichtsfächern  aus 
wegen  des  allzugrossen  Anwachsens  der  juristischen  Literatur; 
exakte  Kenntniss  des  Privatrechts  wird  eine  eigene  Disziplin; 
als  solche  wird  sie  vom  Schüler  erlernt;  didaktisch  werden 
konkrete  Rechtsfragen  und  Rechtsfalle  erörtert,  nicht  an 
bestimmten  Orten,  aber  vorzugsweise  in  Rom  und  Beryt  in 
Syrien;  Kaiser  und  Kommunen  stellen  Rechtslehrer  an  und 
schaffen  Hörsäle;  es  scheidet  sich  die  niedere  Praxis  der 
Notare  und  Anwälte  von  der  Praxis  der  dem  Jurisdiktions- 
magistrat als  Hilfsarbeiter  beigegebenen  assessores  und  von 
dem  höheren  Staatsdienst  respondirender  Rechtsgelehrten. 
Nur  das  eine  Moment  fehlt  im  alten  Rom,  das  für  Deutsch- 
land hauptsächlich  die  Rechtsgelehrsamkeit  förderte,  der 
Einfluss  des  klerikalen  Elementes;  denn  dem  rechtsgelehrten 
Laienx  des  sechzehnten  Jahrhunderts  in  Deutschland  ging 
überall  der  auf  das  neuere  Rom  hingewiesene  rechtsgelehrte 
Kleriker  voraus. 

*)  Justizmin.-Bl.  von   1882  S.  48. 

2)  Voigt,  Römische  Rechtsgesch.  Bd.  2   1899  S.  191  ff. 


1^(S  3*  Buch.     Ausbildung  des  Personals. 

Seine  Spur  haben  wir  in  den  ältesten  Stadtschreibern 
Brandenburgs  gefunden,  die  erst  aus  den  katholischen  Geist- 
lichen, dann  aus  den  protestantischen  Schulleitern  hervor- 
gingen. 

So  lange  es  für  Persönlichkeiten,  die  in  der  juristischen 
Praxis  thätig  zu  sein  hatten,  an  einer  Universitätsbildung 
fehlte,  half  in  Deutschland  die  populäre  Rechtsliteratur  aus, 
die  sich  einer  grossen  Verbreitung  erfreute,  erst  in  Hand- 
schriften, die  bis  in  das  vierzehnte  Jahrhundert  zurück- 
reichen, dann  seit  der  zweiten  Hälfte  des  fünfzehnten  Jahr- 
hunderts in  Drucken,  vor  Allem  in  den  Vokabularien  und 
Repertorien,  d.  h.  alphabetisch  geordneten  Nachschlagebüchern, 
in  denen  sich  Definitionen  und  Quellenbelege  zusammengehäuft 
finden,  damit  dem  Nachschlagenden  das  Studium  der  Quellen 
selbst  erspart    bleiben    könne. l) 

Was  von  die5en  Werken  der  Brandenburger  Schöppen- 
stuhl  besass,  wird  demnächst  (§  13)  dargelegt  werden.  Eines 
der  meistgebrauchten  dieser  Bücher  ist  das  repertorium  juris 
utriusque  des  1497  *n  Rom  verstorbenen,  in  Padua  promo- 
virten  Konsistorialadvokaten  Johannes  Bertachini  (drei  Folio- 
bände). Ueber  die  Art  und  Weise,  wie  dies  Repertorium 
von  Advokaten  benutzt  wurde,  belehrt  ein  im  Jahre  1530 
(1  168  ff.)  vor  dem  Stadtgericht  Wusterhausen  geführter 
Prozess  um  Herausgabe  einer  Mühle.  Des  Klägers  Advokat 
oder  „Setzer14  (d.  h.  der  Verfasser  von  Schriftsätzen)  füllt 
seine  Schriften  reichlich  mit  Citaten  aus  Bartolus,  Baldus, 
Dinus,  Joh.  Andreas,  Alexander  de  Imola;  dem  hält  der 
Advokat  des  Beklagten  entgegen,  „die  vielfaltigen  allegata 
seien  aus  Unverstand  hin  und  wieder  aus  den  Repertorien 
zu  Häuf  gelesen u  (=  zusammengelesen)  „und  thäten  nichts 
zur  Sache u  (1  172.  183);  wenn  der  Gegner  sich  nicht  allein 
auf  die  Repertorien  verlassen,  sondern  die  loca  und  die 
doctores  angesehen  und  verstanden  hätte,  so  würde  er  es 
viel  anders  gefunden  und  sich  geschämt  haben,  diese  allegata 
zu  diesem  casu  zu  allegiren;  das  Repertorium,  aus  dem  der 
Gegner  das,  was  er   über  die  possessio  civilissima  vortrage, 

*)  Stintzing,  Gesch.  der  populären  Literatur  des  römisch -kanonischen 
Rechtes.     Seckel,  Beiträge  zur  Gesch.  beider  Rechte  im  M. Alter,   1.  Bd. 


§  12.     Universitäten.  ]g^ 

entnommen  habe,  gebe  die  diffinitio  possessionis  civilissimae 
dahin:  scilicet  quod  dicatur  illa,  quae  ex  dispositione  statuti 
transfertur  in  heredem;  dazu  würden  die  vom  Gegner  ange- 
führten Allegata  gegeben,  damit  es  scheine,  er  habe  viel 
gelesen,  aber  die  Allegata  passten  nicht.  Denselben  Vor- 
wurf muss  1557  (6  66)  ein  Anwalt  in  Kyritz  von  seinem 
Gegner  hören:  er  habe  .,ein  halb  repertorium  voller  legest 
die  er  doch  an  ihren  Oertern  nicht  gelesen  oder  nicht  ver- 
stehe, zu  Häuf  geraffet  und  gebacken,  als  sei  es  eines 
gewaltigen  klugen  Dinges". 

§  12. 

Universitäten. 

Von  den  gelehrten  Schoppen  Brandenburgs  in  der  Ueber- 
gangsperiode  des  sechzehnten  Jahrhunderts  und  von  denen 
der  ersten  Hälfte  des  siebzehnten  Jahrhunderts  hatte  Niemand 
einen  juristischen  Gelehrtengrad  aufzuweisen.  Da  die  Ein- 
tragungen in  die  älteren  Universitätsmatrikeln  über  die  Zu- 
gehörigkeit der  Scholaren  zu  einer  bestimmten  Fakultät 
keine  Nachricht  geben,  so  ist  oft  nur  aus  besonderen  Um- 
ständen zu  vermuthen,  dass  ein  Immatrikulirter  der  Juristen  - 
fakultät  angehört  hat.  Der  Magistertitel,  welcher  viele 
Schoppen  dieser  Zeit  schmückte,  deutet  nur  auf  einen  ehren- 
vollen Abschluss  des  Studiums  der  humaniora  hin. 

Die  Juristenfakultät  sowie  die  medizinische  und  theo- 
logische bildeten  am  Ausgange  des  Mittelalters  die  oberen 
Fakultäten,  denen  die  Artistenfakultät  gegenüberstand.  In 
ihr  wurden  die  allgemeinen  Wissenschaften,  die  liberales 
artes,  gelehrt.  War  nun  auch  bei  der  Verleihung  der 
Juristengrade  nicht  ausdrücklich  vorgeschrieben,  dass  der  zu 
Promovirende  der  Artistenfakultät  angehört  haben  müsse,1) 
so  war  doch  der  normale  Bildungsgang  der  Juristen  der,  dass 
er  mit  dem  Studium  der  artes  liberales,  besonders  der  Dia- 
lektik und  Rhetorik,  begann  und  erst,  nachdem  das  Bacca- 
laureat  und  die  Magisterwürde  erreicht  war,  zu  den  studia 
altiora,  difficiliora    et  graviora  überging.      Auf  das  Studium 


])  Kaufmann  a.  a.  O.  S.  28h. 


190  3-  Buch.     Ausbildung  des  Personals. 

der  artes  liberales  rechnete  man  ein  bis  drei  Jahre,  auf  das 
juristische  Studium,  wenn  es  zur  Erlangung  der  summi 
honores  führen  sollte,  fünf  Jahre. l) 

Eine  besonders  ausgedehnte  Studienzeit  ist  daher  ein 
ziemlich  sicheres  Zeichen  dafür,  dass  dem  Studium  der  artes 
liberales  ein  SpezialStudium  gefolgt  ist.  Die  Schoppen,  welche 
längere  Zeit  studirt  haben,2)  werden  sich  also  sehr  wahr- 
scheinlich mehr  oder  weniger  eingehend  mit  juristischen 
Studien  befasst  haben. 

Einen  anderen  Anhaltspunkt  für  den  Bildungsgang  der 
Schoppen  bildet  das  Amt,  welches  sie  in  der  städtischen 
Verwaltung  bekleideten.  So  werden  wir  von  denjenigen, 
denen  das  Amt  eines  Syndikus  anvertraut  wurde,  welche 
also  berufen  waren,  in  juristischen  Angelegenheiten  dem 
Rathe  mit  ihren  Kenntnissen  zur  Seite  zu  stehen,  annehmen 
müssen,  dass  sie  eine  gründliche  juristische  Vorbildung  ge- 
nossen hatten.3) 

Andererseits  macht  bei  einer  nicht  unerheblichen  Anzahl 
von  Schoppen  jener  Zeit  ihre  frühere  Lebensstellung  eine 
genügende  juristische  Vorbildung,  ja  überhaupt  ein  juristisches 
Studium  sehr  unwahrscheinlich.  Es  sind  das  diejenigen, 
welche,  bevor  sie  in  den  Rath  und  Schöppenstuhl  eintraten, 
Rektoren  oder  Lehrer  an  städtischen,  in  der  Regel  an  Bran- 
denburger Schulen  gewesen  waren.  Wenn  sich  einige  von 
ihnen  überhaupt  mit  Jurisprudenz  befasst  haben,  so  werden 
die  Rechtskenntnisse,  welche  sie  mitbrachten,  nur-  oberfläch- 
liche gewesen  sein. 

Die  Schulmeister  waren  vorläufig  ein  Ersatz  für  gelehrte 
Juristen.    In  den  alten  Sprachen  und  gelehrten  Wissenschaften 

')  Stintzing,  Gesch.  d.  deutschen  R.  W.  i,  75. 

2)  Wir  wissen  dies  nach  Obigem  (2.  Buch)  von  Gregorius  Boldicke, 
der  1551  in  Wittenberg  und  1559  in  Frankfurt  immatrikulirt  ist  (S.  99),  von 
Bartholmäus  Boldicke,  der  1567  und  als  Magister  1571  studirte  (S.  123),  von 
Mag.  Johannes  Lampert,  dessen  Studium  sich  von  1566  bis  1577  ausdehnte 
(S.  141),  von  Mag.  Conrad  Zabel,  dessen  Studium  12  Jahre  währte,  und  der 
seine  praktische  Laufbahn  als  Kammergerichtsadvokat  begann  (S.  159). 

8)  Zu  ihnen  gehören  Joachim  Heinatz,  Johannes  Floring,  Mag.  Bartho- 
lomäus Boldicke,  Siegmund  Bardeleben,  Zacharias  Garcaeus,  Mag.  David 
Kuhns  (S.  123.  100.  101.  107). 


§   ia.     Universitäten.  191 

bewandert,  vereinten  sie  in  sich  die  Vorbedingungen,  um 
durch  Selbststudium  und  Praxis  sich  die  zur  Ausübung  des 
gelehrten  Schöppenamts  nöthigen  Kenntnisse  anzueignen. 

Im  Jahre  1630  starb  der  letzte  ehemalige  Schulmeister 
unter  den  Brandenburger  Schoppen.  Damit  war  das  Ueber- 
gangsstadium  der  Vermischung  von  juristischen  und  nicht- 
juristischen Gelehrten  überwunden.  Erst  jetzt  war  die  Um- 
wandlung des  Schöppenstuhls  in  ein  juristisches  Gelehrten- 
kollegium vollzogen.  Also  hier  auch,  wie  in  so  vielen  ander- 
weiten Entwicklungen  des  innern  Staatslebens,  bildet  der 
dreissigj ährige  Krieg  die  grosse  Cäsur.  Ausführlichere 
Nachrichten  über  den  Bildungsgang  von  Schoppen  aus  der 
folgenden  Periode  besitzen  wir  nur  vereinzelt. 

Ein  Jahrhundert  etwa  hatte  dazu  gehört,  die  spezifische 
Ausbildung  von  gelehrten  Berufsjuristen  so  in  die  Wege  zu 
leiten,  dass  nur  noch  solche  in  den  Schöppenstuhl  gelangten. 
Die  Wahrnehmung,  die  anderwärts  in  deutschen  Territorien 
gemacht  ist,  dass  die  Reformation  der  Kirche  ihren  starken 
Einfluss  dahin  äussert,  die  Universitäten  zu  bevölkern,  be- 
stätigt sich  auch  für  die  Mark.  Zahlreiche  Männer  in  Amt 
und  Würden,  denen  die  akademische  Bildung  abging,  sahen 
sich  in  der  zweiten  Hälfte  des  sechzehnten  Jahrhunderts  dazu 
veranlasst,  ihre  Söhne  auf  Universitäten  zu  senden.  Das  galt 
nicht  etwa  bloss  für  das  theologische  und  philologische,  es 
galt  ebenso  für  das  juristische  Studium.  Bernhard  Fromholtz 
war  1530  Richter  in  Brandenburg,  ohne  akademisch  gebildet 
zu  sein;  Simon  Fromholtz  aus  Brandenburg  studirt  1542  in 
Wittenberg.  Levin  Brunow,  der  nichtgelehrte  Bürgermeister 
von  Stendal  im  Jahre  1540  (3  208),  lässt  seinen  gleichnamigen 
Sohn  1578  in  Frankfurt  immatrikuliren.  Kaspar  Beilin  ist 
1551  (4  134)  als  nichtgelehrter  Erbhofrichter  in  Ruppin  thätig, 
Heinrich  Bellin  Ruppinensis  studirt  1556  in  Frankfurt.  Der 
nichtgelehrte  Amtsvogt  des  Jahres  1551  Wolf  Schacht  in 
Küstrin  sendet  seinen  Sohn  Joh.  Schacht  1563  nach  Frank- 
furt. Aus  der  Familie  des  Richters  Gorius  Maddische  zu 
Schivelbein  (1556:  4  487)  sind  Jacobus  Madiskius  Schifel- 
beinensis  1606  und  Jacobus  Madiske  Tempelbergensis  1602 
in  Frankfurt  immatrikulirt.    Jacob  Krell,  1 556  Richter  in  Neu- 


192  3-  Buch.     Ausbildung;  des  Personals. 

ruppin,  studirt  entweder  selbst  1566  in  Frankfurt  oder  lässt 
dort  in  diesem  Jahre  seinen  gleichnamigen  Sohn  studiren. 
Der  1558  in  Lenzen  genannte  Stadtrichter  Jacob  Staud  lässt 
seinen  gleichnamigen  Sohn  1558  und  1567 !)  in  Frankfurt 
studiren,  desgleichen  der  1558  in  Havelberg  als  Notar  (6  571) 
und  1561  (12  227)  als  Schöppe  genannte  Anton  Detert 
1604  seine  Söhne  oder  Enkel  Anton  und  Richard  Detert, 
und  ebenso  1592  der  1559  (7400)  genannte  Schreiber  der 
v.  Jagow  Matthias  Wiprecht.  Joachim  Gibellinus  aus  Schivel- 
bein  studirt  1591  in  Frankfurt;  Georg  Gibelle  ist  1567  (11  391) 
Richter  in  Schivelbein.  Johann  Marcus  aus  Salzwedel  studirt 
1584  in  Frankfurt,  1567  ist  Johann  Marcus  Schreiber  in 
Schönhausen  (ÜB  3  1 1.89).  Mag.  Henning  Floring  der  jüngere 
aus  Wittstock  ist  1589  Notar  der  Universität  Frankfurt; 
Henning  Floring  der  ältere  ist  1561  Schöppe  in  Wittstock. 
Matz  Hufner  ist  1572  (12  612)  Amtsschreiber  in  Lindow;  seine 
drei  Söhne  werden  1577  in  Frankfurt  immatrikulirt.  Basilius 
Melhorn  ist  1574  (15  122)  Protonotar  in  Frankfurt,  seine 
Söhne  studiren  1570  daselbst.  Der  Sohn  des  Besitzers  des 
Schulzengerichts  in  Abendorf  bei  Wilsnack,  Namens  Jahn, 
lässt  1587  (59  100)  seinen  Sohn  Arnold  in  Frankfurt  imma- 
trikuliren. 

Frankfurt,  1506  als  Landesuniversität  für  die  Mark  ge- 
stiftet, war  naturgemäss  diejenige  Universität,  welche  bei 
weitem  die  meisten  märkischen  Juristen  besuchten;  in  früherer 
Zeit  findet  man  Märker  in  Leipzig,  Erfurt  und  (zwischen  1502 
und  1506,  sowie  zur  Zeit  der  Reformatoren)  in  der  1502  ge- 
gründeten Universität  Wittenberg;  sonst  sind  noch  Rostock, 
Greifswald,  Jena,  Helmstädt  und  (seit  dem  achtzehnten  Jahrh.) 
besonders  Halle  vertreten.  Davon,  dass  einer  der  Branden- 
burger Schoppen  italienische  Universitäten  besucht  habe,  findet 
sich  nichts, 2)  wohl  aber  kommen  einzelne  Schoppen  vor,  die  die 

])  Jacob  Staudt  junior  Tangermundensis. 

a)  In  Decis.  II,  Fol.  1 14  wird  einmal  erwähnt,  dass  der  Sohn  des  Bürger- 
meisters Rögelin  *u  Padua  gestorben  sei.  Wo  R.  Bürgermeister  war,  bleibt 
ungesagt.  Des  Brandenb.  Bürgermeisters  und  Schoppen  Schuler  Sohn  stu- 
dirte  1533  'n  Padua.  Siehe  unten  S.  214.  Der  Sohn  des  Bürgermeisters 
Andreas   Goldbeck    zu  Werben   a.  E.   (f  1576)   Hess   seinen  Sohn  Heinrich 


§  12.     Universitäten.  193 

peregrinatio  academica  des  siebzehnten  Jahrhunderts  zu  ihrer 
Ausbildung  unternahmen.  Seit  dem  Jahre  1700  gab  es  keinen 
Graduirten  mehr  im  Schöppenstuhle.  Eine  der  namhaftesten 
deutschen  Juristenfamilien  des  siebzehnten  und  achtzehnten 
Jahrhunderts,  die  der  Carpzow,  leitet,  wie  wir  oben  (S.  119) 
sahen,  ihren  Ursprung  von  einem  der  frühsten  gelehrten 
Juristen  Brandenburgs  her. 

Nur  vier  Brandenburger  Schoppen  sind  als  Schriftsteller 
aufgetreten:  einer  (Garcäus)  als  märkischer  Chronist,  die 
beiden  andern  (Zieritz  und  Cramer)  als  Kriminalisten,  der 
vierte  (Prätorius)  als  Dichter.1) 

Das  Bild,  welches  uns  hiernach  die  Entwicklung  des 
Schöppenstuhls  zu  einem  aus  gelehrten  Juristen  zusammen- 
gesetzten Kollegium  bietet,  ist  kein  glänzendes.  Erst  spät 
war  die  Wandlung  vollendet.  Man  ist  geneigt,  die  über- 
wiegende Mehrzahl  der  Brandenburger  Schoppen  in  die 
Klasse  der  Halbgelehrten  zu  verweisen,  obwohl  sie  viel- 
fach in  fliessendem  Latein,2)  mannigfach  auch  in  Französisch 
schreiben,  sogar  auf  Wunsch  der  französischen  Gerichte  in 
Frankfurt  a.  O.  1736  (78599  fr.)3)  französische  Sprüche  mit 
bogenlanger  französischer  Begründung  fallen,  ja  (1747)  auf 
die  Uebersetzung  holländischer  Aktenstücke  sich  einlassen.4) 
Immerhin  steht  die  juristische  Ausbildung  der  Mitglieder  des 
Schöppenstuhls  und  der  Rathskollegien  beider  Städte  Bran- 
denburg höher  als  die  sonstiger  städtischer  Kollegien  des 
Landes,  da  diese  während  des  ganzen  siebzehnten  Jahrhunderts 
noch  zahlreiche  Laienelemente  aufweisen,  welche  das  städtische 
Amt  neben  ihrem  bürgerlichen  Beruf  versahen,  und  nicht 
wenige  Berufsbeamte,  welche  eine  untergeordnete  Ausbildung 
in  Kanzleien  genossen  hatten.  Als  Beispiele  mögen  folgende 
Nachrichten  dienen.    Der  Bürgermeister  von    Prenzlau  Am- 

(späteren  Berliner  Kammergerichtsrath)  1556  nach  (Seidel,  Bildersamml. 
S.  92)  in  Bologna  promoviren.  Die  acta  nationis  germ.  bonon.  nennen  ihn 
nicht. 

!)  Siehe  oben  Sdite  102.  160.  167.  143. 

2)  Freilich  fehlt  es  auch  nicht  an  Schnitzern  wie  „der"  lex,  „der"  dos. 

3)  Das  Urtheil  hat  Oelschläger  konzipirt.     Ueber  ihn  Seite  171. 

4)  Schütte  rückt  dem  Urtheil  in  einer  Sache  aus  Emmerich  eine 
holländische  Urkunde  ein,  die  interpretirt  wird  (98  200).     Ueber  ihn  S.  173. 

Stolze),  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  13 


194  3.  Buch.    Ausbildung  des  Personals. 

brosius  Fürstenau  war  (1551:  4226)  Handelsmann.1)  In 
Tangermünde  versah  um  1600  (68  219)  ein  Bäcker  das 
Amt  des  regierenden  Bürgermeisters  und  des  Stadtrichters. 2) 
In  Berlin3)  war  von  1623  bis  1640  Casper  Miser  Bürger- 
meister, welcher  bei  einem  Konsistorialrath  als  Schreiber 
gearbeitet  hatte,  der  Kaufmann  Jeremias  Eger  war  von  1636 
an  Gerichtsschöppe  und  von  1643  bis  1654  Rathsherr,  der 
Apotheker  Bartholomäus  Zorn  war  von  1643  bis  1667  im  Rath, 
der  Bürgermeister  Hoyer  Friedrich  Striepe  (1669  bis  1670) 
war  von  1651  an  Kammerkanzlist  des  Kurfürsten,  von  1655 
an  Vicekammermeister  und  seit  1660  Amtskammerrath  ge- 
wesen, die  Bürgermeister  Reinhard  Neuhaus  (1670  bis  1680) 
und  Matthias  Neuhaus  (1673  bis  1681)  betrieben  eine  Hand- 
lung. In  Cöln  a.  Spr.  erscheint  16 14  der  Apotheker  Peucer 
als  Rathsherr,  und  der  Bürgermeister  Heinrich  Julius  Brandes 
(1686  bis  1691)  war  bei  einem  Rath  und  Oberamtmann  als 
Schreiber  in  die  Schule  gegangen,  um  dann  kurfürstlicher 
Hof-Küchenschreiber  und  später  kurfürstlicher  Fischmeister  zu 
werden.  In  Frankfurt  a.  O.  war  Friedrich  Schaum  1597 
Assessor  des  Gerichtsstuhls,  1601  Richter  und  von  1604  bis 
161 6  Bürgermeister,  zugleich  aber  Handelsmann,  ebenso  ge- 
hörten dem  dortigen  Kaufmannsstande  an  David  Reinhart, 
1587  Schöppe,  1596  Richter  und  von  1606  bis  1630  Bürger- 
meister, desgleichen  Sebastian  Stymmel,  1601  Schöppe,  161 5 
Rathsherr,  Sixtus  Sandtreuter,  Bürgermeister  von  1609  bis 
1624,  Georg  Schuller,  161 2  Schöppe,  S.  Merten,  1635  (7684) 
Schöppe,  endlich  Gottfried  Tiefftrunck,  Schöppe  von  1656 
bis  1673.  Johann  Thieme,  ein  Buchhändler,  war  1606  Schöppe, 
1608  bis  161 1  Richter  und  von  1625  bis  1630  Bürgermeister 
In  Spandau  war  der  Kaufmann  Georg  Neumeister  von 
1639  an  Schöppe  und  von  1665  bis  1676  Bürgermeister.  In 
Küstrin  war  der  Apotheker  Georg  Heinrich  Boltzmann  von 


])  Der  dortige  Stadtschreiber  war  1584  (ÜB.  fl  21)  Magister. 

*)  J525  war  dagegen  Mag.  Martin  Brüggemann  dort  Bürgermeister 
(7  453)»  desgl.  1578  (19  604)  Mag.  Nauss  Bürgermeister  in  Müncheberg, 
1565  Mag.  Adr.  Schulz  Schöppe  in  Prenzlau  (10  235). 

a)  Diese  und  die  weiteren  Nachrichten  sind  aus  Leichenpredigtsamm- 
lungen  der  Kgl.  Bibl.  und  des  Grauen  Klosters  zu  Berlin  entlehnt. 


§  12.     Universitäten.  195 

1650  bis  1673  Bürgermeister  und  Hofrichter.  Neu-Ruppin 
hatte  von  161 8  an  den  Tuchmacher  und  Kaufmann  Laurentius 
Seger  und  von  1651  an  den  Kauf-  und  Handelsmann  Zacharias 
Stenzer  zu  Schoppen.  In  Neustadt-Eberswalde  war  von 
1675  bis  1690  der  kurfürstliche  Kupferhammer meister  Samuel 
Meiner,  in  Salzwedel  von  1687  bis  1697  der  Kauf-  und 
Handelsmann  Johann  Koppen,  in  Arne  bürg  von  1665  bis 
1680  der  Kaufmann  Abraham  Schwechten,  in  Beskow  bis 
1661  der  Apotheker  Wolfgang  Pabstein  Bürgermeister.  Jacob 
Rönnefarth,  bis  1668  Bürgermeister  in  Nauen,  hatte  den 
Handel  erlernt  und  sich  dann  bei  einem  Amtsschreiber  aus- 
gebildet. Peter  Schulze,  welcher  in  Wriezen  zunächst 
Schöppe,  dann  1608  Richter  und  161 1  Bürgermeister  wurde, 
hatte  als  Schreiber  seine  Ausbildung  genossen. 

Eine  verschwindend  kleine  Anzahl  der  Brandenburger 
Schoppen  gelangte,  wie  wir  sahen,  zu  den  summi  honores, 
während  die  grosse  Mehrzahl  über  die  Resultate  ihrer  juristi- 
schen Ausbildung  kein  Zeugniss  aufzuweisen  hatten.  Die 
Mark  besaß  nicht  die  Mittel,  für  ihre  grösseren  Städte  ein 
erstklassiges  Gelehrtenmaterial  heranzuziehen.  An  Reichthum 
stand  sie  anderen  deutschen  Territorien  nach.  Nicht  viele 
märkische  Studenten  waren  in  der  Lage,  die  volle  Studien- 
zeit, welche  zur  Promotion  verlangt  wurde,  auf  der  Universität 
zu  verweilen  und  alsdann  die  grossen  Kosten  des  Doktorats 
zu  erschwingen.1)  Den  wenigen,  welche  den  Doktorhut 
erwarben,  winkten  andere  Ehren,  als  die,  im  Rathsstuhl 
und  Schöppenstuhl  Brandenburgs  oder  anderer  märkischen 
Städte  zu  sitzen.  Das  ist  dieselbe  Wahrnehmung,  die 
wir  überhaupt  für  die  deutschen  Territorien  zu  machen 
haben.  Von  Brandenburgern  zog  es  Georg  Sabinus,  der 
Sohn  des  Brandenburger  Bürgermeisters  Balthasar  Schuller 
(t  I543)  unc*  der  Bruder  des  Brandenburger  Bürgermeisters 
Andreas  Schuller  (f  1584)  vor,  dem  kurfürstlichen  Hof  und 
der  Frankfurter  und  Königsberger  Universität  seine  Kraft 
zu  widmen.  Der  Sohn  des  Bürgermeisters  Christian  Matthias, 
Thomas  Matthias,  trat    in    den  Berliner  Geheimen  Rath  ein. 


])  Vergl.  auch  Stintzing  a.  a.  O.  I,  j6. 


196  3«  Buch.     Ausbildung  des  Personals. 

Karl  Bardeleben,  der  Sohn  des  Bürgermeisters  und  Schoppen 
Matthias  Bardeleben  wurde  Geheimer  Rath  und  Hauptmann 
zu  Lenzen.  Der  Sohn  des  Bürgermeisters  und  Schoppen 
Thomas  Lipe,  Dr.  juris  Joachim  Lipe,  wandte  sich  nach 
Leipzig;  dahin  ging  auch  der  Sohn  des  Schoppen  Zabel, 
Dr.  Johann  Zabel,  der  dort  Oberhofgerichts-  und  Schöppen- 
stuhlsassessor,  Rath  und  Bürgermeister  wurde.  Dr.  Tornow, 
der  Sohn  des  Bürgermeisters  Johann  Tornow,  wurde  Hof- 
und  Kammergerichtsrath  zu  Berlin. 

Eine  Bestimmung,  wie  sie  sich  z.  B.  für  Leipzig  in  der 
Fundationsurkunde  des  Schöppenstuhls  von  1574  findet,  dass 
wenigstens  drei  Schoppen  Doktoren  sein  müssten, l)  Hess  sich 
nur  für  die  Schöppenstühle  an  Universitätsstädten  durch- 
führen. Solche  Schöppenstühle  waren  gelehrte  Gerichte, 
denen  man  das  äusserliche  Gewand  eines  „Schöppenstuhls" 
umgehängt  hatte,  als  wären  sie  noch  alte  Volksgerichte. 
Der  Brandenburger  Schöppenstuhl  war  das  alte  Volksgericht 
selbst,  aber  im  Mantel  der  Gelehrsamkeit. 

§  13. 2) 
Bibliothek. 

Noch  mehr  als  der  Brandenburger  Schöppenstuhl  und 
das  Aktenmaterial,  das  von  seiner  Thätigkeit  Zeugniss  ab- 
legt, hat  bisher  die  Bibliothek,  die  dem  Schöppenstuhl  bei 
seiner  Thätigkeit  zur  Verfügung  stand,  im  Verborgenen 
geruht. 

Diese  Bibliothek  ist  in  demjenigen  Theile,  der  nicht- 
juristische Fachschriften  enthält,  zur  Zeit  im  Brandenburger 
Rathhaus  verwahrt  und  —  im  Bestände  von  684  Bänden3)  — 
der  heutigen  Rathsbibliothek  einverleibt,  also  Eigenthum  der 
Stadt  geworden.  Der  übrige  zumeist  juristische  Theil  — 
1084  Bände  —  ist  jetzt  Eigenthum  des  Staates4)  und  wird 


!)  Distel,  Ztschr.  für  RGesch.  Bd.  23  S.  87. 

2)  Das  in  diesem  Paragraphen  mitgetheilte  thatsächliche  Material  be- 
ruht im  Wesentlichen  auf  Ermittelungen  des  Herrn  Landrichters  Deichmann. 

3)  Dullo,  Kommunalgeschichte  der  Stadt  Br.   1886  S.  16. 

4)  Durch    einen    wundersamen   Schreibfehler    im   Schöppenbuche    des 
Brdb.  Schöppenstuhls  wird  fol.  20  unterm  Jahre  1785  die  Gesammtzahl  der 


§  13-     Bibliothek.  197 

bis  zum  heutigen  Tage  als  Schöppenstuhlsbibliothek  in  einem 
Oberstockzimmer  des  Amtsgerichts  zu  Brandenburg,  dem  sie 
überwiesen  ist,  gesondert  verwaltet. 

Wie  ein  günstiger  Zufall  in  den  Brandenburger  Schöppen- 
stuhlsakten  ein  Material  erhalten  hat,  aus  dem  wir  einen  Ein- 
blick in  die  amtliche  Thätigkeit  der  Schoppen  gewinnen,  so 
hat  uns  in  der  Schöppenstuhlsbibliothek  ein  gleich  günstiger 
Zufall  den  Apparat  erhalten,  mit  welchem  ein  deutscher 
Schöppenstuhl  vom  Beginne  des  sechzehnten  bis  zum  Beginne 
des  neunzehnten  Jahrhunderts  arbeitete.  Den  interessantesten 
Theil  dieser  Bibliothek  bildet  die  in  den  Jahren  1480  bis 
etwa  1530  entstandene  Büchersammlung  eines  gelehrten  Notars, 
des  Mag.  Petrus  Viti,  mit  einer  Reihe  werthvoller  Inkunabeln. 
Daneben  birgt  die  Bibliothek  noch  eine  Reihe  anderer  In- 
kunabeln, von  denen  feststeht,  dass  sie  nicht  jenem  Notare 
gehörten.  Da  sonst  von  ihrem  Vorbesitzer  nichts  erhellt 
und  da  kaum  anzunehmen  ist,  dass  der  Rath  der  Altstadt 
solche  Inkunabeln  nach  den  1530  er  Jahren  ankaufte,  so  lässt 
sich  wohl  in  ihnen  ein  städtischer  Erwerb  sehen,  der  vor  dem 
Erwerbe  der  Bücher  Vitis  liegt  oder  der  sich  gleichzeitig 
ohne  Kostenaufwand  für  die  Stadt  vollzog. 

I. 

Die  ältesten  nicht  von  Viti  herstammenden  Bücher  sollen 
hier  zunächst  herausgehoben  werden.  Es  sind  9  Bände,  die 
1 7  Druckwerke  umfassen.  Der  Glosse  zu  den  Institutionen  l) 
reiht  sich  der  Codex  nebst  Glosse  in  zwei  Exemplaren 
an.-)     Das  kanonische  Recht  ist  ebenfalls  in  einigen  Glossen 

im  Katalog  verzeichneten  Bücher  auf  12292  (statt  1229)  angegeben.  Im 
31.  Jahresbericht  des  Brdb  historischen  Vereins  ist  die  unrichtige  Zahl 
übernommen. 

a)  Hain,  Repertorium  bibliographicum,  Stuttgart,  1826,  1831  No.  *  9491. 
Der  Druck  umfasst  nur  112  Folien.  Nach  Hain  folgen  von  fol.  113  an  die  con- 
suetudines  feudorum  und  ist  fol.  150  als  Druckort,  Drucker  und  Jahr 
Strassburg,  Henricus  £ggesteyn,  1472  angegeben.  Auf  dem  Innendeckel 
des  Bandes  ist  handschriftlich  vermerkt:  „Liber  institutionum  domini  Jacobi 
Weyßmantel  de  Liptzk." 

2)  Venedig,  Andreas  de  Thoresanis  de  Asula,  1489  (Hain  9612), 
Venedig,  Baptista  de  Tortis,  1493  (Hain  9616). 


198  3*  Buch.     Ausbildung;  des  Personals. 

vertreten.1)  Mehrere  Werke  gehören  der  populären  juristischen 
Literatur  an,2)  einige  der  theologischen,3)  einige  anderen 
Wissenschaften.  Einem  der  Bände  sind  sieben  Handschriften 
beigefügt,  die  einzigen,  welche  die  Bibliothek  überhaupt 
besitzt.4) 

Nach  dem  Inhalte  der  Bücher  kann  es  kaum  zweifelhaft 


1)  Liber  extra  cum  apparatu  domini  Bernardi,  Nürnberg,  Koberger, 
1482  (Hain  *  8014),  Nicolaus  Siculus  (Panormitanus)  Glosse  zu  den  Clemen- 
tinen, Colonie,  Mag.  Johannes  Koelhoff  de  Lubec,  1474  (vermuthlich  Hain 
12336,  wo  die  Bezeichnung  nicht  genau  ist,  Schulte,  Geschichte  der  Quellen 
und  Literatur  des  kanonischen  Rechts,  Stuttgart,  1878,  II,  33). 

2)  Johannes  Milis  de  Verona ,  repertorium ,  Nicolaus  Götz  de  Sletzstat, 
1475,  s.  1.  (vermuthlich  Hain  11 153,  nach  Stintzing,  populäre  Literatur 
S.  145  wahrscheinlich  in  Cöln  gedruckt),  ein  besonders  das  kanonische 
Recht  berücksichtigendes  Nachschlagebuch;  liber  dans  modum  legendi 
abbreviaturas  in  utroque  jure,  Nürnberg,  Fridericus  Creusner,  1476  (Hain 
*  11 465,  Stintzing  S.  18);  auctoritates  decretorum  omnem  effectura  tarn 
teztus  quam  glossarum  nuctialiter  et  compendiose  in  se  continentes,  Colonie, 
Petrus  de  Olpe,  1470  (Druckfehler  für  1477,  vgl.  Seckel,  der  Vocabularius 
juris,  S.  358,  Noten  152,  153;  Hain  4246;  Stintzing  S.  126.  Nach  Seckel  ist 
der  Verfasser  nicht  Johannes  Calderinus);  Johann  Koelner  de  Vanckel,  sum- 
marium  textuale  et  conclusiones  super  sextum,  1465  (nach  Schulte  II  384 
Druckfehler  für  1495)«  summarium  textuale  et  conclusiones  super  clemen- 
tinas,  Colonie,  Johann  Koelhoff  de  Lubec,  1484,  summarium  et  effectus 
extravagant! um  Johannis  XXII  (Hain  *  9786),  declaratio  titulorum  legalium, 
Leipzig,  Mauricius  Brand is,  1489  (Hain  2127,  Stintzing  S.  49),  Chrtsto- 
phorus  Cuppener,  examinata  super  autenticam  habita  divi  imperatoris 
Friderici  sub  ti.  C.  ne  fi.  pro  pa.  situata,  nebst  annotationes ,  Leipzig, 
Melchior  Lotter,  1507.  Cuppener  war  von  1503  bis  15 11  Professor  in 
Leipzig  (Stintzing,  Gesch.  d.  deutsch.  R.W.  I  S.  21). 

3)  Tractatus  de  doctrina  dicendi  et  tacendi  ab  Albertano  causidico 
Brixensi  de  ore  beate  Agathe  compositus  sub  anno  1255  feria  quarta  post 
vincula  Petri ,  s.  1.  et  a.  (nicht  bei  Hain) ,  dialogus  super  Übertäte  ecclesia- 
stica  inter  Hugonem  decanum  et  Oliverium  burgimagistrum  et  Cathonem 
secretarium  interlocutores,  s.  1.  et  a.  (Hain  *  61 41),  Paulus  de  sancta  Maria, 
magister  in  theologia,  episcopus  Burgensis,  dialogus,  qui  vocatur  scruti- 
nium  scripturarum ,  s.  I.  et  a.  (Hain  *  1076a),  Divi  Bennonis  Misnensis 
quondam  episcopi  vita,  Leipzig,  Melchior  Lotter,   151 2. 

4)  Sie  sind  dem  liber  extra  mit  der  Glosse  in  demselben  Einband 
angeheftet  und  bestehen  aus  den  tituli  decretalium,  tituli  legales,  rubrice 
codicis,  tituli  autentici,  rubrice  institutiouum ,  tituli  libri  feudorum,  tituli 
legales. 


§  13.     Bibliothek.  199 

sein,  dass  sie  aus  dem  Besitze  eines  Geistlichen  dem  Stadt- 
rathe  in  nicht  näher  bekannter  Weise  zufielen  —  eine  An- 
nahme, die  durch  die  Art  bestärkt  wird,  wie  der  Stadtrath 
durch  die  Säkularisation  des  Brandenburger  Franziskaner- 
klosters (1544)  das  Eigenthum  der  seit  1533  mit  der  Kloster 
bibliothek  vereinigten  Büchersammlung  Vitis  erwarb. 

IL 

Vitis  Nachlass  an  juristischen  Büchern  umfasste  nach 
dem  noch  vorhandenen  Inventar  von  1533  88  Werke  in 
69  Bänden,  von  denen  die  Schöppenstuhlsbibliothek  heute 
noch  82  Werke  in  62  Bänden  besitzt.  Davon  sind  vor  1500 
und  ohne  Jahresangabe  53,  nach  1500  35  Werke  gedruckt.1) 
Die  Sammlung  stellt  eine  juristische  Fachbibliothek  im  eigent- 
lichsten Sinne  dar.  An  der  Spitze  stehen  die  Ausgaben  des 
Corpus  juris  canonici  und  civilis,  meist  mit  der  Glosse, 
sämmtlich,  soweit  ein  Jahr  angegeben  ist,  aus  der  Zeit  vor 
1 500. 2)  Unter  den  älteren  Drucken  sind  zahlreich  die  popu- 
lären  Bearbeitungen    der  verschiedensten  Materien.3)     Dazu 


*)  Zum  Vergleiche  sei  angeführt,  dass  die  Stadtbibliothek  zu  Braun- 
schweig 44  juristische  Inkunabeln  besitzt  (vergl.  Nentwig,  Die  Wiegen- 
drucke in  der  Stadtbibliothek  zu  Braunschweig,  Wolfenbüttel  1891). 

2)  Sine  loco  et  anno:  die  Digesten  mit  Glosse,  der  Liber  sextus,  die 
Clementinen  mit  Glosse,  die  Extravaganten  ohne  Glosse,  die  Extravaganten 
mit  Glosse  (nicht  mehr  vorhanden);  ferner:  liber  extra  cum  ordinaria 
Bernard  i,  1473  (Hain  *7<:oo,  Schulte  II,  115)1  autentica  Friderici  mit  Glosse, 
1487  (anscheinend  Hain  7382,  wo  der  Druck  mangelhaft  verzeichnet  ist), 
decretum,  Venetiis  1487  (nicht  mehr  vorhanden),  codex  Justinianus  mit 
Glosse,  Lugduni  1492  (nicht  mehr  vorhanden).  Auffallend  ist,  dass  eine 
Institutionenausgabe  fehlt.  Eine  Codexausgabe  von  1482,  die  Viti  besonders 
eifrig  durchgearbeitet  hat,  befindet  sich  in  der  St.  Gotthardkirchenbibliothek 
(vergl.  unten  S.  210). 

3)  Sine  loco  et  anno:  rubricae  juris  civilis  et  canonici  (nicht  bei 
Hain),  casus  in  terminis  domini  Accursii  (Hain* 69,  Savigny  5,  348,  Stintzing, 
pop.  Lit.  S.  61),  speculum  judiciale  Guilelmi  Durantis  cum  additionibus 
(Hain  '6504,  nach  Savigny  5,  589  gedruckt  in  Strassburg,  1473),  lectura 
arboris  von  Joh.  Andree  (Hain  *  1025),  dasselbe  Werk  in  anderer  Ausgabe 
(nicht  bei  Hain),  Roffredus,  summa  libellorum  (wahrscheinlich  Hain  119669 
wo  die  Beschreibung  ungenau  ist,  vergl.  Savigny  5,  208,  Schulte  II,  76, 
Stintzing,  pop.  Lit.  36b),  libellus  dans  modum  legendi  abbreviaturas  in 
utroque  jure,  tituli  legales,   Processus  judiciarius  von  Johannes  de  Urbach, 


200  3-  Buch.    Ausbildung  des  Personals. 

kommen  eine  Anzahl  Lektüren,1)  einige  Repetitionen  und 
Repetitionensammlungen  2)  und  endlich  Traktate  in  grosser 
Anzahl.3) 

tractatus  praesumptionum,  summa  magistri  Dominici  de  civitate  Vicentia, 
qualiter  notarii  archiepiscoporum  debeant  notarte  officium  exercere, 
epistole  et  prohemia  super  gratiis  faciendis,  tractatus  notariatus,  defen- 
sorium  juris,  tractatus  exceptionum  domini  Innoc.  quarti,  tractatus  prae- 
scriptionum  compositus  per  dominum  Dynum  de  Mugilo  legum  doctorem, 
tractatus  brevis  de  arbitris  et  arbitratoribus  Petri  Jacobi,  differencie  legum 
et  canonum  domini  Galvani  de  Bononia,  tractatus  de  tabellionibus  per  dorn. 
Bar.  compilatus  (Stintzing,  pop.  Lit.  479,  480,  Hain  11 481  oder  11 482). — 
Mit  Jahresangabe:  casus  breves  decretalium,  Cöln,  Johann  Koelhoff,  1485 
(Hain  '4661,  Stintzing,  pop.  Lit.  67),  concordantie  biblie  et  canonum  cum 
titulis  decretalium  von  Johannes  Nivicellinus,  Basel,  Nicolaus  Kessler,  1487 
(Hain  '9416,  Stintzing  S.  548),  formularium  advocatorum  et  procuratorum 
Romanae  curiae  et  regii  parleamenti,  Basel  1489  (Hain  '7296,  vergl. 
Stintzing  S.  256),  Johannes  de  Auerbach,  processus,  Leipzig,  Mauricius 
Brandis,  1489  (Hain  2126,  Stintzing  S.  239),  vocabularius  utriusque  juris, 
Basel,  Nicolaus  Kessler,  1488  (Stintzing  S.  131,  Seckel  S.  8  No.  23),  Se- 
bastian Brant,  expositiones  titulorum  legalium,  Basel,  Michael  Furter,  1490 
(Hain  *37*5,  Stintzing  S.  455),  vocabularium  juris,  Romae,  Stephan  Planck, 
1 194  (Seckel  S.  8),  compendium  juris  canonici,  Argentinae  1499  (Hain 
♦5558,  Schulte  II,  486). 

1)  Bartolus,  lecturae  super  dig.  und  codex,  sine  loco  et  anno  (Hain 
♦2568,  *25o8,  *26o5,  *2539,  *2555,  *272i,  Savigny  6,  162.  166.  167.  168. 
169),  Nicolaus  Siculus  (Panormitanus),  lectura  super  secundo,  tertio  decre- 
talium, i486  (nicht  mehr  vorhanden),  idem  super  primo  et  secundo  decretalium, 
Nürnberg,  Koberger,  1485,  i486,  super  tertio,  quarto,  quinto  decretalium, 
Nürnberg,  Koberger,  1485  (Hain  *i23i4),  Baldus,  super  duodecim  libros 
codicum  et  autenticorum,  sine  loco  et  anno  (nicht  mehr  vorhanden). 

2)  Sine  anno:  Repetitionensammlung,  venumd.  in  vico  S.  Jacobi  (Hain 
♦13876),  ferner  Lanfrancus  de  Oriano,  repetitiones,  Cöln,  Johannes  Koel- 
hoff, 1488,  Benedictus  de  Plumbino,  vepetitiones,  Papie,  Christ,  de  Canibus, 
1492  (Hain  *  13  123). 

8;  Sine  loco  et  anno:  Franciscus  de  Acceptantibus  de  Aretio,  tractatus, 
quae  sit  interlocutoria  et  quae  diffinitiva  sententia,  Senis  (nicht  bei  Hain, 
Panzer  V,  5,  vergl.  Savigny  6,  328),  Jacobus  de  Arena  tr.  positionum  (nicht  bei 
Hain,  vergl.  Savigny  5,  403),  Johannes  Baptista  Caccialupus,  tr.  de  pactis 
(Hain  *4i87,  das  Titelblatt  und  f.  1—8  fehlen,  vergl.  Savigny  6,  324  ff.), 
Paris  de  Putheo,  tr.  in  materia  ludi  (Hain  *i36i3),  Martinus  de  Laude,  tr- 
de  primogenitura,  rep.  de  ff.  de  R.V.,  Jacobus  de  Belviso,  tr.  de  excommunicato 
(Hain* 9929,  vergl.  Schulte  11,395).  Ferner:  Antonius  de  Cannaro,  tr.  de 
excusatore.  Piscie  1489  (Hain  *43o6),  Laurentius  de  Ridolfis,  tr.  de  usuris, 
Piscie  1490  (Hain  *  13959),  Amadeus  Justinus,  tr.  sindicatus,  Senis  Henrirus 


§  13.     Bibliothek.  201 

Unter  den  Drucken  nach  1500  nehmen  die  Lektüren 
und  Kommentare  zu  den  Digesten,  dem  Codex  und  dem  ka- 
nonischen Recht  einen  breiteren  Raum  ein  als  unter  den  In- 
kunabeln. l)  Bemerkenswerth  ist  die  Konsiliensammlung,2) 
der  sich  die  Decisionen  der  römischen  Kurie  anschliessend) 

de  Hartem,  1493  (Hain* 4587),  Tyndarus,  tr.  in  materia  compensationum,  Senis, 
Mag.  de  Haerlem,  1493  (Hain  *  15  157,  vergl.  Savigny  6,  498)»  Job«  Baptista  de 
Caccialupis,  tr.  de  ludo,  Senis,  Mag.  de  Harlem,  1494  (Hain  4204,  vergl.  Sa- 
vigny 6,  327),  Angelus  de  Periglis  tr.  in  materia  societatis,  Senis,  Mag.  de 
Harlem,  1493  (Hain  12632),  Franciscus  Lucanus  de  Parma,  tr.de  privilegio 
fisci,  Venetiis,  Kaynaldus  de  Novimagio,  1496  (Hain  *  10249),  Lanfrancus  de 
Oriano,  tr.  de  arbitris,  Papie,  Johannes  de  Lignano,  1498  (Hain  *98qi,  Schulte 
II,  292),  Benedictus  de  Barbis,  tr.  in  materia  guarantigiae,  Senis  1498  (nicht 
bei  Hain  und  Savigny).  Zu  nennen  ist  endlich  Bartolus  de  Saxoferrato,  con- 
silia,  quaestiones  und  tractatus  s.  1.  et  a.  (Hain  *  2649,  vergl.  Savigny  6,  171  ff. 
nebst  dem  Repertorium  aureum  des  Antonius  de  Prato  Ober  Bartolus*  Werke 
(nicht  bei  Hain). 

')  Bartholomeus  de  Salyceto,  commentarius  zum  Codex.  3  Bände, 
Venetiis,  Georgius  de  Arrivabenis,  150a  und  1503  (Panzer  VIII,  359,  348);  Jason 
Maynus,  lectura  zu  vetus,  infortiatum,  novum  und  codex,  4  Bände,  Band  t 
Theil  1:  Lugduni,  Mag.  Nicolaus  de  Benedictis,  1508,  Theil  2:  Lugduni, 
Jacobus  Saccon,  1508,  Band  2:  Lugduni,  Jo.  Clein,  1508  und  1509,  Band  3 
und  4:  Lugduni,  Mag.  Nicolaus  de  Benedictis,  1507 — 1509,  tabula  zur  lec- 
tura, Lugduni  1514,  idem,  lectura  super  tit.  de  actionibus,  Lugduni,  Jacob 
Myt,  1514;  Lucas  de  Penna,  lectura  super  tres  libros  codicis,  Paris,  Mag. 
Bertholdus  Rembolt,  1509;  Paulus  de  Castro,  lectura  super  dig.  vetus,  in- 
fortiatum,  novum  und  codicem,  Lugduni,  Jacobus  Saccon  und  Mag.  Nicolaus 
de  Benedictis,  151 1;  Alexander  de  Imola,  lectura  super  dig.  vetus,  novum, 
infortiatum,  codicem,  Tridini  1514,  1515;  Jacobus  Butrigarius,  lectura  super 
codicem,  Paris,  Mag.  Barth.  Rembolt,  1516;  Cynus  de  Pistorio,  lectura  super 
codicem,  Lugduni,  Jacobus  Saccon,  151 7;  Baldus  de  Perusio,  commentarius 
super  dig.  vetus,  infortiatum,  novum,  codicem,  Lugduni,  Jacobus  Saccon,  15 17, 
1518,  Taurini,  Mag.  Nicolaus  de  Benedictis  und  Antonius  Renatus,  1517,  1518; 
Philippus  Franchus,  lectura  super  sexto  decretalium,  Tridini  1512,  super  tit.  de 
regulis  juris  in  VI,  Tridini  1512;  Dominicus  de  sancto  Geminiano,  lectura 
super  sextum  librum  decretalium,  Lugduni,  Jacobus  Marescal,  15 14. 

*)  Petrus  Philippus  Corneus,  consilia,  4  Bände,  Perusii  1501,  1502; 
Fredericus  de  Senis,  consilia,  Mediolani,  Joan  Angelus,  1507;  Alexander 
de  Imola,  consilia,  Venetiis,  Baptista  de  Tortis,  1510,  151 1;  Philippus  Decius, 
consilia,  Papie,  Jacobus  de  Burgofranco,  1512;  Paulus  de  Castro,  consilia 
(ohne  Jahr,  nach  15 13),  Fridericus  de  Petrusiis,  consilia  et  quaestiones, 
Paris   1516  (nicht  mehr  vorhanden). 

3)  Decisiones  rotae  Romanae,  Lugduni,  Claudius  Davost,  1509  (Panzer 
VII,  292). 


202  3*  Buch.     Ausbildung  des  Personals. 

Auch  eine  Sammlung  von  Repetitionen  befindet  sich 
unter  den  späteren  Drucken. l)  Vereinzelt  sind  die  Werke 
der  populären  Rechtsliteratur.2)  Endlich  ist  eine  deutsche 
Ausgabe  der  goldenen  Bulle,  mehrerer  Landfrieden-  und  ver- 
schiedener Kammergerichtsordnungen  vorhanden. 3) 

Noch  zwei  Bände  enthält  die  jetzige  Schöppenstuhls- 
bibliothek,  die  sicher  in  Vitis  Besitz  gewesen,  aber  nicht 
im  Inventar  von  1533  verzeichnet  sind.  Der  eine  Band  ist 
ein  decretum  Gratiani,  Basel,  Michael  Wenssler,  i486,4)  der 
andere  ein  formularium  instrumentorum  ad  usum  curiae 
Romanae,  eine  populäre  Sammlung  von  Notariatsformularen.5) 
Beide  Werke  weisen  Notizen  Vitis  auf.  Der  zweite  Band  ist 
ausserdem  in  gleicher  Art  wie  die  Vitischen  Bücher  einge- 
bunden, zeigt  auch  —  in  Uebereinstimmung  mit  den  Vitischen 
Büchern  —  die  Spuren  der  Ankettung0).  Er  ist  vermuthlich 
durch  ein  Versehen  im  Inventar  übergangen  worden.  Das 
decretum  ist  dasjenige,  welches  nach  Obigem  (S.  93)  einst 
der  Lehrer  Fromholz  und  dann  der  Schöppe  Demcker  besass. 
Von  letzterem  mag  das  Buch  in  die  altstädtische  Raths-  und 
dann  in  die  Schöppenstuhlsbibliothek  gelangt  sein. 

Das  Bild,  welches  diese  summarische  Uebersicht  gewährt, 
zeigt  uns  eine  Bibliothek,  die  geeignet  war,  dem  gelehrten 
praktischen  Juristen  in  allen  Stufen  seines  Entwicklungs- 
ganges die  nöthigen  Hilfsmittel  zu  bieten,  und  die  einen  be- 
deutenden Werth  besass.7)     Dem  Anfanger  diente  die  reiche 

l)  Sie  besteht  aus  acht  typographischen  Einheiten,  Papie,  Mag.  Ber- 
nardinus  de  Garaldis,  1506,  1507,  1508,  1510,  Venetiis,  Phil.  Pincius  Mantuanus 
1506.  Auch  die  opuscula  Stephani  Auffreri,  Lugduni,  Joannes  Moelim,  1512 
sind  hierher  zu  rechnen. 

a)  Petrus  Jacobus  de  Aureliaco,  aurea  practica  libellorum,  Lugduni, 
Mag.  Jacobus  Saccon,  1501  (Panzer  VII,  276);  Petrus  de  Ravenna,  alphabe- 
tum  aureum,  Coloniae  1508  (Panzer  VII,  364);  idera,  compendium  juris  civilis, 
Coloniae  1508;  Bartholomeus  Cepolla,  cautelae,  Lugduni,  Bernardinus  Rosier 
und  Joh.  Thomas,  151 1. 

3)  Sine  loco  et  anno,  aber  nach  1507. 

4)  Hain*  7963;  das  von  Hain  vermisste  erste  Folium  ist  hier  vorhanden 
6)  Hain*  7277.     Stintzing  pop.  Lit.   S.  315,    nach  ihm    wahrscheinlich 

Spirae,  Petrus  Drach. 

*)  Vgl.  die  folgende  Anm.  und  unten  S.  205. 

7j  Während   die  Drucke   vor    1500  meist   deutschen   Ursprungs    sind, 


§  13.     Bibliothek.  203 

Fülle  der  Werke  der  populären  Literatur  auf  allen  Gebieten 
des  Rechts,  besonders  die  rubricae,  der  modus  legendi,  die 
expositiones  titulorum  u.  s.  w.,  dem  Praktiker  die  zahlreichen 
Nachschlagewerke  in  systematischer  und  alphabetischer  Be- 
arbeitung, sowie  die  prozessualen  und  Notariatsschriften.  Das 
Corpus  juris  civilis  und  canonici  mit  der  Glosse  bot  dem 
Quellenstudium  reiche  Nahrung,  und  die  vielen  Lektüren, 
Kommentare  und  Repetitionen  erleichterten  dies  Studium. 
Die  Konsilien  bildeten  dann  die  wünschenswerthe  Fundgrube 
für  die  Rechtsprechung. 

Dass  ein  wissenschaftliches  Streben  in  Brandenburg  einst 
seine  Nahrung  fand,  beweisen  neben  Vitis  Büchern  die  Reste 
der  Bibliothek  des  Brandenburger  Franziskanerklosters,  die 
in  die  Gotthardkirchenbibliothek  übergegangen  sind.  Sie  lassen 
sich  durch  zahlreiche  Eigenthumsvermerke  und  durch  den 
gleichartigen  Einband  leicht  feststellen.  Es  sind  etwa  200  In- 
kunabeln und  Drucke  aus   den  ersten  zwei  Jahrzehnten  des 


sind  die  späteren  Werke  mit  Ausnahme  zweier  Kölner  Drucke  ausländischen 
Ursprungs.  Bei  weitem  überwiegen  die  Drucke  aus  Lyon.  Es  sind  25  unter 
59  späteren  Drucken.  An  zweiter  Stelle  steht  Pavia  mit  8  Drucken,  so- 
dann  jfolgen  Venedig  mit  6,  Perusia  mit  4,  Trient  mit  3,  Paris  und  Turin 
mit  je  2  Drucken.  Der  jüngste  Druck,  ein  Lyoner,  stammt  vom  Jahre  15 18. 
Die  Bibliothek  weist  mehrere  Dubletten  auf.  Dies  lässt  darauf  schliessen, 
dass  Vitis  Sammlung  nicht  nur  durch  Ankäufe ,  sondern  auch  durch 
gelegentliche  Geschenke  zu  Stande  gekommen  ist.  Dass  Viti  einige  Werke 
aus  zweiter  Hand  erworben  hat,  zeigen  Notizen  von  fremder  Handschrift, 
die  vorhanden  waren ,  bevor  die  betreffenden  Bücher  eingebunden  wurden. 
Durch  das  Einbinden  sind  diese  Notizen  theilweise  beschädigt.  Ueberhaupt 
sind  beim  Einbinden  häufig  die  Follirung  und  die  Randnotizen  durch  Ab- 
schneiden verstümmelt  worden.  Viti  hat  daher  die  Werke  vielfach  uneinge- 
bunden benutzt  und  durchgearbeitet.  Die  Einbände  gleichen  sich  vollkommen. 
Sie  bestehen  aus  Holz  und  sind  mit  gepresstem  Schweinsleder  überzogen. 
Oben  auf  dem  Vorderdeckel  ist  der  Titel  und  zwar  immer  von  derselben 
Hand  geschrieben.  Die  Angabe  ist  öfter  fehlerhaft.  Das  Inventar  von 
1533  hat  diese  Aufschriften  in  der  Regel  wörtlich  wiederholt.  Es  scheint, 
als  ob  die  Einbände  alle  aus  derselben  Zeit  und  derselben  Werkstätte  her- 
rühren. Vielleicht  sind  sie  im  Kloster  hergestellt,  als  Viti  die  Bücher 
dessen  Bibliothek  überwies.  Die  Spuren  der  Ankettung  sind  noch  überall 
deutlich,  in  der  Regel  an  drei  Löchern  am  Hinterdeckel  in  der  Form  eines 
Dreiecks  erkennbar.  Mehrfach  sind  kraftlos  gewordene  Pergamenturkunden 
als  Schmutzblätter  benutzt  worden. 


204  3«  Buch.     Ausbildung  des  Personals. 

sechzehnten  Jahrhunderts,  darunter  etwa  28  juristische  Werke, 
während  die  Hauptmasse  vorzugsweise  der  theologischen 
Wissenschaft  angehört.  Eine  Anzahl  Drucke  tragen  den  Ver- 
merk, dass  sie  von  Klerikern  geschenkt  oder  testamentarisch 
vermacht  seien.  Das.  Kloster  besass  eine  besondere  Libene 
„mit  ziemlichen  Büchern".  Nach  Einführung  der  Reformation 
sind  viele  davon  verschleppt  worden,  undzwar  gerade  die  besten. l) 
Hieraus    erklärt   sich    wohl   das    Fehlen   der  Handschriften. 

Viti,  der  Sammler  der  jetzt  einen  Theil  der  Schöppenstuhls- 
bibliothek  bildenden  Bücherschätze,  entstammte  der  Branden- 
burger Familie  Wedige.2)  Als  „Petrus  Wedige  de  Branden - 
bürg"  bezog  er  1480  die  Universität  Leipzig;  1487  war  er 
als  Petrus  Wedegonis  de  Brandenborgh  ad  artes  in  Cöln  im- 
matrikulirt;  in  demselben  Jahre  wurde  laut  des  Cölner  De- 
kanatsbuches „Petrus  Brandenborch"  zum  licentiatus  artium 
urfd  1488  ad  gradum  magistri  promovirt;  er  muss  also  be- 
reits als  baccalaureus  artium  nach  Cöln  gekommen  sein. 
Dann  erscheint  er  in  Erfurt  1490  als  Petrus  Wedegonis  de 
Brandenborch,  magister  Coloniensis,  in  Begleitung  mehrerer 
anderen  Brandenburger,  darunter  des  Jacobus  Rosyn,  späteren 
Offizials  des  Brandenburger  Bischofs. 

Diesem  Studiengang  zufolge  mag  er  in  den  1460  er 
Jahren  geboren  sein.3)  Er  gehört  der  Periode  an,  welche 
dem  Eindringen  der  gelehrten  Rechtsprechung  in  die  welt- 
lichen Gerichte  voranging.  Seinem  gelehrten  Berufe  zu  Ehren 
latinisirte  er  dem  Gebrauche  der  Zeit  gemäss  seinen  Namen; 
als  Sohn  des  Wedige  nannte  er  sich  erst  Wedegonis,  später 


!)  Kurf.  Reskr.  von   1556,  Akten  K  5  RA. 

2)  Der  Name  findet  sich  1381,  1383,  1576  in  Berlin  (Riedel  8  336.  342; 
Schöppenstuhlsakten  Bd.  27  415),  1521  in  der  Neustadt  Br.  (Schöppenbuch 
Cod.  N.  3  RA.),  1588  im  Amte  Bellin  (29606);  1637  stirbt  in  Berlin  der 
BM.  Wedige  (Leichenpr.  der  Berliner  Kgl.  Bibl.  Ee.  540).  In  Magd,  findet 
sich  der  Name  147 1  (Hertel,  UrkB.  3  82),  in  Zerbst  1504 — 1509  (das.  3  735 
und  Zerbster  Stadtarchiv).  Gutsherrn  von  Bentwisch  (bei  Rostock)  sind 
1576  Heine  und  Jochim  Wedige  (17  336).  Johann  Wedige  ist  1594  Hoffiskal 
in  Berlin  (38  414). 

3)  Der  1461  in  Erfurt  iromatrikulirte  Petrus  Viti  aus  Uffenheim  (in 
Franken),  1463  Baccalaureus,  1467  Mag.  artium  Erford  hat  mit  dem  Bran- 
denb.  Viti  nichts  gemein  als  den  Namen. 


§  13-     Bibliothek.  205 

Viti  alias  Wedegonis  und  schliesslich  allein  Viti.  Nach  ab- 
geschlossenem Studium  finden  wir  ihn  1504  und  1505  in 
Zerbst;  dort  besass  er  ein  Haus;  1505  siedelte  er  nach 
Magdeburg  über,  seit  1526  erscheint  er  in  Brandenburg,  wo 
er  als  u.  j.  baccalaureus  auftritt  und  ein  Gemach  im  alt- 
städtischen Franziskanerkloster  innehat.1)  Im  Kloster  hatte 
er  seine  Bücher  an  Pulte  mit  Ketten  anschmieden  lassen,  wie 
das  damals  bei  werthvollen  Büchern  geschah  und  heute  noch 
in  der  Florentiner  Laurentiana  zu  sehen  ist.  Die  Bücher  ver- 
machte er  testamentarisch  dem  Kloster;  eine  Inventaraufnahme 
darüber  fand  nach  seinem  Tode  im  Jahre  1533  statt;2)  folg- 
lich starb  er  im  Jahre  1533  oder  kurz  zuvor. 

Leider  fehlen  alle  sicheren  Nachrichten  darüber,  ob  Viti 
Kleriker  oder  Laie  gewesen  ist,  und  ob  er  in  Zerbst,  Magde- 
burg und  Brandenburg  irgendwelche  Stellung  im  städtischen 
Dienste  eingenommen  hat.  Nur  soviel  ergiebt  sich  aus  allen 
den  verschiedenen  Urkunden,  die  ihn  zwischen  1504  und  1533 
erwähnen,  dass  er  in  jeder  der  drei  Städte  sowohl  mit  den 
Stadtbehörden,  als  mit  der  hohen  Geistlichkeit  in  Beziehung 
stand  und  hohes  Ansehen  genoss:  im  Jahre  1504  fügt  der 
Rath  der  Neustadt  Brandenburg  einer  offiziellen  Sendung  an 
den  Rath  zu  Zerbst  ein  Quantum  Fische  für  „Mag.  Petrus 
Wedige"  bei;3)  im  Jahre  1505  beauftragt  ihn  der  Branden- 
burger Richter  Petrus  Teydener,4)  mit  seinem  (Teydeners) 
Zerbster  Schwiegersohn  über  eine  Vermögensstreitigkeit  zu 
verhandeln;5)  im  Jahre  1508  wirkt  „Mag.  Petrus  Wedegonis" 
in  Magdeburg  bei  einem  zwischen  der  Stadt  und  dem  dortigen 
Klerus  ausgebrochenen  Streite  darüber  mit,  ob  der  Nachlass 
einer  im  Hause  eines  Geistlichen  verstorbenen  Person  dem 
Rathe  oder  dem  Klerus  gebühre.     Hier  erscheint  Viti  unter 

1)  Urkunde  von  1545  in  den  Akten  K.  5  RA.:  „Gemach  zwischen  dem 
Kreuzgang  und  dem  grossen  Garten  neben  der  Schneiderei  und  der  Barbier- 
st übe. u 

a)  R.  21  No.  io»  Brandenburg-Altstadt  —  1689  StA.  Nicht  richtig  ist, 
wenn  Tschirsch,  Beitr.  zur  Gesch.  der  Saldria  S.  9,  aus  diesen  Archivalien 
entnimmt,  Viti  habe  seine  Bibliothek  der  Altstadt  Br.  vermacht. 

Ä)  Zerbster  Archiv  Doc.  II,  184. 

4)  S.  oben  S.  115. 

*)  Zerbster  Archiv. 


206  3«  Buch.    Ausbildung  des  Personals. 

den  Vertretern  des  Rathes,  und  zwar  wird  er  als  Syndikus 
aufgeführt,  wenn  auch  dies  nach  dem  Wortlaut  der  Urkunde 
nicht  völlig  gewiss  ist.1) 

Dazu  würde  sehr  wohl  stimmen,  dass  Viti  Notar  und 
dass  er  Kleriker  war;  denn  gerade  die  Eigenschaften  als 
Syndikus,  Notar  und  Kleriker  finden  sich  damals  vielfach  in 
der  nämlichen  Persönlichkeit  vereint.  Noch  weitere  Momente 
unterstützen  die  Annahme,  dass  Viti  zu  den  Klerikern 
gehörte. 

Die  grössere  Anzahl  seiner  Bücher  fallt  in  das  Gebiet 
des  geistlichen  Rechts.  Sodann  lassen  elf  beid  er  gegen- 
wärtigen Durchsicht  dieser  Bücher  aufgefundene,  beschrie- 
bene Papierstreifen,  die  als  Buchzeichen  in  die  Bücher  gelegt 
zu  sein  scheinen,  Beziehungen  ihres  Autors  zur  Geistlichkeit 
erkennen.  Die  Schriftzüge  weisen  bei  den  meisten  eine 
grosse  Aehnlichkeit  mit  den  charakteristischen  feinen  Schrift- 
zügen Vitis  auf,  wie  sie  aus  einem  längeren,  von  ihm  ge-  und 
unterschriebenen  Briefe  des  Zerbster  Archivs  aus  dem  Jahre 


J)  Den  Wortlaut  s.  bei  Hertel,  Mgdb.  UrkB.  3  781.  Danach  ist  die 
Stadt  vertreten  durch  „Henning  Storm,  Heinrich  Westfahl,  sitzen(  de)  Borger- 
meister,  Mag.  Petrus  Wedegonis,  Hans  Robyn  Baccalaurien,  Johan  Al- 
man,  Thomas  Sult,  Hans  Ottersleben  und  .  .  .  (folgt  eine  Lücke,  in  der  zwei 
Namen  gestanden  haben  können),  Burgermeister,  Rathsherrn,  Syndicum, 
Schepfen  und  Burmeisteru.  Von  diesen  Genannten  kommen  Thomas  Suite 
1497  und  1501,  Hans  Aleman  1496,  Hans  Robbin  1505  als  BM.  vor;  nie- 
mals aber  wird  Viti  als  BM.  oder  als  Rathsherr  genannt.  Als  Bürger 
Magdeburgs  sieht  ihn  Hertel  a.a.O.  3,1010,  als  Rathsherrn  und  früheren  Stadt- 
schreiber zu  Zerbst  sieht  ihn  Pribatsch,  Forschungen  zur  Brdb.  Pr.  Gesch. 
12,20  an;  aber  Vitis  Handschrift  kommt  im  Zerbster  Schöppenbuch  von  1455 
bis  1527  nicht  vor,  und  1502,  wie  1507  werden  Andere  als  Stadtschreiber 
genannt  (Gef.  Mittheilung  des  Herrn  Archivars  Dr.  Siebert  in  Zerbst).  Dass 
der  Syndikus  bei  den  Kollektiv  bezeich nungen  der  Urkunde  von  1508  am 
Schlüsse  den  BM.  und  Rathsherren  nachfolgt,  entspricht  dem  Rangverh&ltniss, 
ebenso  entspricht  es  aber  diesem  Rangverhältniss,  dass  bei  der  Einzel- 
aufzählung die  Graduirten  den  Nichtgraduirten  vorhergehen.  Vergl.  oben 
Seite  84,  auch  Friese  und  Liesegang,  Magdeb.  Schöffensprüche  S.  339 
Über  einen  Streit  in  Zerbst  über  den  Rang  der  Rathsherren.  In  einem 
Briefe  von  1505  aus  Magdeburg  (Zerbster  Archiv)  nennt  Viti  den  BM.  Hans 
Robbin  den  älteren  zu  Magdeburg  seinen  Freund.  Dieser  Brief  trägt 
übrigens  das  schön  erhaltene  Siegel  Vitis  mit  den  Buchslaben  P.  W. 


§  13-     Bibliothek.  207 

1505  ersichtlich  sind.  Eine  undatirte  dieser  Urkunden1)  ent- 
hält das  Konzept  des  Urtheils  eines  geistlichen  Richters  in 
einer  Verlöbnisssache;  der  Wohnort  der  Beklagten  ist  nicht 
angegeben;  einer  der  beiden  Kläger  wohnt  im  Dorf  Rude- 
stet  (bei  Erfurt).  Zwei  andere  dieser  Urkunden  (Vorderseite 
und  Rückseite  desselben  Zettels)  datiren  von  15 13,  also  aus 
der  Zeit,  in  der  Viti  in  Magdeburg  thätig  war;  die  eine  der 
Urkunden  giebt  dies  Jahr  ausdrücklich  an  ihrem  Schlüsse  an, 
die  zweite  ist  zwar  undatirt,  erwähnt  aber,  dass  der  Schreiber 
„integra  hac  dieu  durch  das  Leichenbegängniss  des  Magde- 
burger Erzbischofs  Ernst  (f  am  3.  August  15 13)  in  Anspruch 
genommen  war.  Die  letztere  Urkunde  enthält  den  Entwurf 
eines  Briefes  mit  der  an  einen  unbekannten  Adressaten  ge- 
richteten Bitte  um  Angabe  der  Wege,  auf  welchen  eine 
wichtige,  nach  Erfurt  zur  Rechtsbelehrung  versandte  Sache 
ad  optatos  exitus  geführt  werden  könne.  Die  zweite  Seite 
enthält  den  Entwurf  eines  dem  Brandenburger  Bischof  Hiero- 
nymus  in  den  Mund  gelegten,  sich  besonders  nach  Biederitz 
(bei  Mägdeburg)  wendenden  Mandats,  durch  welches  ein 
ausgesprochener  Bann  aufgehoben  wird.  Ferner  ergiebt 
ein  von  Viti  im  Jahre  1526  von  Brandenburg  aus  nach 
Zerbst  gerichtetes  Schreiben,  dass  er  dort  damals  noch 
Einkünfte  aus  Lehen  der  beiden  Zerbster  Hauptkirchen 
bezog.2)  Endlich  ergiebt  eine  im  Brandenburger  Raths- 
archiv  befindliche  undatirte,  anscheinend  von  Vitis  Hand 
—  also  wohl  aus  seiner  Brandenburger  Zeit  —  herrührende 
Klageschrift, 3)  dass  ihr  Verfasser  Prokurator  des  Klägers  in 
einem  Prozesse  des  Vikars  zu  St.  Nicolai  in  Magdeburg 
gegen  einen  dortigen  Bürger  war.  Sodann  sind  1528  -,Mag. 
Petrus  Viti,  alias  Wedegonis,  utriusque  juris  baccalaureusu 
und  nächst  ihm,  also  im  Range  nachstehend,  der  Probst  der 
Nonnen  in  Arendsee  (bei  Stendal)  als  „viri  venerabiles"  bei 
einem  Vergleiche  des  Bischofs  von  Havelberg  mit  seinem 
Domkapitel  betheiligt,4)  und  endlich  wird  ebenfalls  1528  laut 

1)  im  Speculum  Guilelmi  Durantis  s.  1.  e.  a.  aufgefunden. 
Ä)  Zerbster  Archiv  Doc.  II,  441. 
8)  Doc.  A.  I,  127  R.A. 
4)  Riedel  c.  d.  3  133. 


208  3-  Buch.     Ausbildung  des  Personals. 

des  im  Brandenburger  Domarchiv  befindlichen  Berichts  über 
die  Inthronisation  des  Brandenburger  Bischofs  Matthias  von 
Jagow  Mag.  Petrus  Viti  als  derjenige  bezeichnet,  „durch  den 
dem  Domkapitel  in  Beiwesen  des  Offizials  der  Domprobstei 
zu  Brandenburg  als  einen  offenen  Notarien  und  Ge- 
zeugenu  die  Urkunde  behändigt  wird,  in  der  Kurfürst  Jo- 
achim die  erzbischöfliche  Bestätigung  der  Bischofswahl  dem 
Kapitel  in  Brandenburg  kundgiebt.  Ist  die  Sprachweise 
dieses  Berichts  korrekt,  wie  man  annehmen  muss,  so  leidet 
es  keinen  Zweifel,  dass  nach  ihm  Viti  als  Notar  fungirte. J) 
In  Viti  haben  wir  also  einen  wahrscheinlich  dem  geist- 
lichen Stande  angehörigen  Notar  aus  dem  Anfange  des 
sechzehnten  Jahrhunderts  vor  uns,  der  erst  in  Zerbst,  nach- 
her in  Magdeburg  lebte.  An  letzterem  Orte  sehen  wir  ihn 
als  Anwalt  und  Schiedsrichter  thätig.'-)  Der  Grund,  der 
ihn  von  Magdeburg  wegführte,  liegt  nahe.  Magdeburg 
trat  1524  zum  Lutherthum  über;  es  kam  dort  zu  argem 
Streit,  ja  zu  Exzessen;3)  an  der  Spitze  der  päpstlich  Ge- 
sinnten stand  der  Bürgermeister  Hans  Robin,  den  wir  als 
Viüs  Freund  kennen  lernten.  Im  Rathe  erhielten  die  Luthe- 
raner aber  die  Ueberhand;  die  Mönche,  darunter  auch  Fran- 
ziskaner, waren  lebhaften  Angriffen  ausgesetzt.  Luther  pre- 
digte in  Magdeburg,  und  sein  Wittenberger  Freund  Dr. 
Hieronimus  Schurff,  bei  Gründung  der  Universität  Wittenberg 
1502  aus  seiner  Heimath  St.  Gallen  dorthin  berufen,  war 
Sachwalter  Magdeburgs  in  dem  vom  Erzbischof  gegen  die 
Stadt   angestrengten   Prozesse.     Unter   den  Thesen,    die   im 

1)  Das  Wort  „Gezeugen**  in  der  Urkunde  bezieht  sich  dann  entweder 
auf  den  Offizial  oder  auf  Viti  und  den  Offizial.  Der  Accusativ  „als  einen 
offenen  Notarien**  kann  sich  nicht  auf  den  Genitiv  „des  officials"  beziehen. 

2)  Wenn  Viti  1508  (oben  S.  2ot>)  als  Syndikus  bezeichnet  wird,  so  kann 
damit  nicht  gesagt  sein,  dass  er  Magdeburgischer  Stadtsyndikus  war. 
Die  Reihe  der  Magdb.  Stadtsyndici  ist  bekannt:  15 14  folgte  auf  D.  Thomas 
Moritz  D.  Leonhard  Mertz,  der  1516  Schöppe  wurde  (Schöppenchronik 
S.  421)  und  15 34  noch  Syndikus  war  (s.  demnächst  unten).  Viti  fungirte 
also  in  jener  einzelnen  Sache  als  „Syndikus14,  d.  h.  als  Anwalt  der  Stadt. 
Vergl.  oben  S.  97. 

3)  Hoffmann,  Gesch.  der  Stadt  Magdb.,  neubearbeitet  von  Hertel  und 
Hülfse,  Magdb.   1885,   1.  Bd.  S.  323  ff. 


S  13.     Bibliothek.  20tt 

Mai  1524  die  Lutheraner  an  die  Strassenecken  Magdeburgs 
anschlagen  Hessen,1)  war  auch  die,  dass  das  gesammte  Ver- 
mögen der  Kirche  dem  gemeinen  Kasten,  also  der  Stadt- 
gemeinde, überwiesen  werde. 

Im  Jahre  1526  finden  wir  Viti  in  Brandenburg;  seine 
nachweisbar  nahe  Beziehung  zur  dortigen  Geistlichkeit,  sein 
Aufenthalt  in  einem  Annexe  des  Franziskanerklosters,  das 
Vermächtniss  seiner  Bibliothek  an  dies  nämliche  Kloster  und 
nicht  zum  letzten  einige  seiner  Bücher,  die  aus  der  Kloster- 
bibliothek in  die  Bibliothek  der  Gotthardkirche  zu  Branden« 
bürg  wanderten,  liefern  den  Beweis,  dass  Viti  am  alten  Glauben 
festhielt.  Den  gleichen  Einband  wie  die  Bücher  des  aus 
seiner  Bibliothek  stammenden  Theiles  der  Schöppenstuhls- 
bibUothek  weisen  zwei  in  einem  Bande  vereinigte  Inkunabeln 
der  Gotthardkirche  auf2).  Diese  Werke  ebenso  wie  die 
commentarii  in  clementinarum  volumen  Francisci  Cardin. 
Zabarele  (Lugduni  151 1)  und  das  repertorium  Antonii  Corseti 
in  Panormitanum  (Lugduni  1500)  enthalten  zahlreiche  Rand- 
notizen von  Vitis  Hand.  Gleiche  Notizen  finden  sich  in  drei 
weiteren  Büchern  der  Gotthardkirchenbibliothek,  die  Luther 
und  Erasmus  angreifen.3) 

Ein  GeistHcher,  der  in  den  Jahren  1526  bis  1533  sich 
aus  den  Stürmen,  die  damals  zufolge  des  zur  Herrschaft  ge- 
langten Lutherthums  in  Magdeburg  tobten,  in  das  Franzis- 
kanerkloster seiner  noch  gut  kathoHschen  Vaterstadt  Branden- 
burg zurückzieht,  ist  höchst  wahrscheinlich  durch  diese  Stürme 
zum  Wechsel  seines  Aufenthalts  bestimmt,  um  sich  seine 
letzten  Jahre  den  Studien  widmen  und  nebenbei  als  Notar 
möglichst  dem  Interesse  der  kathoHschen  Kirche  dienen  zu 
können.     So   erscheint    Viti    als   der   Typus    des    gelehrten 

1)  Hoffmann  a.  a.  O.  I,  S.  342. 

2)  Casus  longi  Bernard i  super  decretales,  Argentinae  1486,  und  casus 
longi  sexti  et  clementinarum   1488. 

3)  Johannis  Roffensis  assertionis  Lutheranae  confutatio,  Colon.  1524, 
Joh.  Fabri  declamationes  divinae  de  humanae  vitae  miseria,  Aug.  Vind. 
1520,  annotationes  Natalis  Bedae  in  Jacobi  Fabri  Stapulensis  commen- 
tarium  super  epist.  Pauli  et  evangelistas ,  ejusdem  censurae  in  errores 
Erasmi  super  IV  evangelia  et  epistolas,  Colon.  1526,  tractatus  Petri  Hys- 
pani,  eversio  Lutherani  epithalamii  per  Conradum   Kollin  Ulmensem,  1527. 

St ölzel,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  14 


•210  3-  Buch.     Ausbildung  des  Personals. 

klerikalen  Juristen  aus  der  Zeit,  die  unmittelbar  der  Refor- 
mation voranging. 

Mit  welchem  Fleisse  er  sich  dem  Studium  der  römischen 
Rechtsquellen  hingab,  beweist  die  ebenfalls  in  der  Gotthard- 
kirche  befindliche  Ausgabe  des  Codex  Justinians  von  1482. 
Hier  sucht  man  mit  Mühe  nach  einer  unbeschriebenen  Stelle; 
überall  ist  der  Rand  mit  Bemerkungen  gefüllt.  Möglicher- 
weise diente  diese  während  Vitis  Studienzeit  erschienene 
Ausgabe  ihrem  Besitzer  auf  der  Universität,  sei  es  für  sein 
Selbststudium,  sei  es  für  etwaige  Vorlesungen,  die  er  als 
Magister,  der  Universitätssitte  gemäss,  in  Erfurt  jungen 
Studenten  hielt.1)  Auch  sonst  zeigt  ein  grosser  Theil  seiner 
Bücher,  mit  welchem  staunenswerthen  Fleiss  er  sie  durch- 
gearbeitet hat.  Die  Dekretalen,  das  speculum  Durands,  eine 
Repetitionensammlung  des  kanonischen  Rechts,  die  Repe- 
titionen  des  Lanfrancus,  das  formularium  advocatorum,  der 
Processus  des  Auerbach  und  die  expositiones  des  Sebastian 
Brant  sitid  theilweise  Seite  für  Seite  mit  Vitis  Notizen  bedeckt, 
ebenso  die  aurea  practica  des  Petrus  Jacobus,  die  gesammelten 
Werke  des  Stephanus  Auffreri,  sowie  das  Alphabetum  aureum 
und  das  Compendium  juris  des  Petrus  de  Ravenna.  Zahl- 
reicher sind  freilich  die  Werke,  bei  denen  ein  weniger  ein- 
gehendes Studium  zu  Tage  tritt.  Hierhin  gehören  von  den 
Inkunabeln  das  Corpus  juris  mit  der  Glosse,  die  casus 
Accursii,  die  lectura  arboris,  die  summa  libellorum  des 
Roffredus*  die  lectura  super  codicem  des  Bartolus,  die  lectura 
decretalium  des  Siculus  und  der  vocabularius  juris,  von  den 
späteren  Drucken  der  Commentar  des  Bartholomeus  de  Saly- 
ceto  super  codicem,  die  consilia  des  Fredericus  de  Senis, 
die  lectura  des  Jason  Maynus  super  digestum,  codicem  et 
tit.  de  actionibus,  Baldus  de  Perusio  super  feudis,  die  deci- 
siones  rotae  Romanae  und  die  cautelae  des  Cepolla.  Be- 
sonders wenig  hat  sich  Viti  demnach  mit  den  Konsilien  und 
den  späteren  Ausgaben  der  Lektüren  und  der  Kommentare 
beschäftigt,  während  er  die  alphabetischen  und  systematischen 
Kompendien  und  die  Quellen  bevorzugte.  Sonst  finden  sich 
noch  Spuren    seines  Studiums   in    den  octo  libri  physicorum 

J)  Vgl.  Muther,  Zur  Geschichte  der  Rechtswiss.   1876  S.  301. 


$13-     Bibliothek.  211 

Aristotelis  (s.  1.  et.  a.)  und  in  der  celifodina  absconditos 
scripture  thesauros  pandens  (Lips.  1505).1)  Freilich  beschränken 
sich  alle  von  Viti  gemachten  Notizen  wesentlich  darauf, 
durch  Schlagworte  am  Rande,  die  entweder  den  Inhalt  eines 
Abschnitts  kurz  wiedergeben  oder  bemerkenswerthe  Sätze 
des  Textes  wiederholen,  dem  Gedächtniss  zu  Hülfe  zu  kommen. 
Mehrfach  hat  er  dem  Text  eine  tabula  hinzugefügt.  Sein 
Streben  ging  mehr  dahin,  zu  lernen  und  das  Gebotene  in 
sich  aufzunehmen,  als  es  einer  selbstthätigen  Kritik  zu  unter- 
ziehen. Die  Vorliebe,  mit  welcher  er  sich  den  Abschnitten 
über  den  Prozess  zuwandte,  weist  auf  die  praktische  Richtung 
seiner  Thätigkeit  hin.  Dabei  kommen  auf  einzelnen  der  in 
Vitischen  Büchern  aufgefundenen  Zettel  Rechtsausführungen 
und  Argumentationen  aus  Quellenstellen  vor,  die  einen  ge- 
radezu traurigen  Einblick  in  den  Stand  der  damaligen  Juris- 
prudenz eröffnen  und  völlig  mit  dem  zusammenstimmen,  was 
aus  den  Prozessschriften  zu  entnehmen  ist,  die  zuerst  ver- 
suchten, das  fremde  Recht  zur  Stütze  aufgestellter  Behaup- 
tungen zu  verwerthen.  Das  Charakteristische  dieser  Periode 
ist  eine  fortgesetzte  Missanwendung  und  Missdeutung  dessen, 
was  man  in  den  Quellen  fand. 

Davon  ein  Beispiel.  Viti  notirt  sich  (um  1500)  beim 
Studium  des  repertorium  aureum  des  Antonius  de  Prato2)  ver- 
schiedene Rechtsregeln,  darunter  auch  die:  „prescriptio  similis 
est  satisdationiu,  was  bedeuten  soll,  dass  ein  Anspruch  ebenso 
durch  Verjährung  erlösche,  wie  durch  Erfüllung.  Hierzu 
wird  als  Beweisstelle  die  1.  si  pupillum  in  fine  ff.  de  excu- 
satione  tutorum  (I.20D.27,  i)citirt,  welche  besagt:  „Si  pupillum 
patruus  contendat  exheredatum  esse  et  se  heredem  scriptum, 
aequum  est  tutorem  pupillo  dari  recepta  patrui  excusatione 
vel,  si  nolit  excusationem  petere,  remoto  eo  a  tutela  ita  litem 
de  hereditate  expedirew.  Wenn  also  ein  Vormund  mit  seinem 
Mündel  über  eine  Erbschaft  in  Streit  geräth,  soll  der  Vor- 
mund um  Enthebung  von  der  Vormundschaft  bitten;  unter- 
lässt  er  dies,  so  wird  er  von  Amtswegen  als  Vormund  entsetzt, 

J)    Jetzt  befinden   sich   beide  Werke   in   der  Bibl.  der  Gotthardkirche. 
Ob  sie  Viti  gehörten,  steht  dahin;  der  Einband  spricht  dafür. 
')    Siehe  oben  Seite  201   Anm. 


21  m2  3-  Buch.     Ausbildung  des  Personals. 

und  der  Erbstreit  geht  weiter.  Staunend  wird  man  fragen,  wo 
hier  irgendwelcher  Anhalt  für  den  Satz  zu  finden  sei,  dass 
Verjährung  und  Erfüllung  gleich  wirken.  Der  absonderliche 
Gedankengang  dessen,  der  die  Stelle  zitirt  hat,  kann  nur 
der  gewesen  sein:  ob  der  Vormund  seine  Verpflichtung,  um 
Enthebung  zu  bitten,  erfüllt,  oder  ob  er  dies  versäumt,  Beides 
hat  die  nämliche  Folge:  die  Erfüllung  der  Verpflichtung  (die 
satisdatio)  wirkt  mithin  ebenso,  wie  die  Versäumung  der  Er- 
füllung (die  praescriptio).  Ist  schon  mit  dem  Satze,  dass  die 
Verjährung  der  satisdatio  ähnlich  sei,  wenig  anzufangen,  so 
kann  die  Art,  wie  mangelhaft  zur  Zeit  der  Abfassung  des 
erwähnten  Schriftstücks  das  juristische  Denken  entwickelt 
war,  kaum  deutlicher  vor  Augen  geführt  werden,  als  es  hier 
geschieht. 

Nicht  viel  besser  stand  es  bei  Versuchen,  die  in  der 
Studirstube  oder  im  Universitätskolleg  gemacht  wurden, 
wenn  es  galt,  diese  oder  jene  Lehre  systematisch  darzu- 
stellen. Auch  hier  bietet  ein  in  Vitis  Lectura  des  Jason  Maynus 
über  den  Codex l)  gefundener  Zettel  einen  nicht  uninteressanten 
Beleg,  der  wohl  als  frühster  Anfang  eines  nachgeschriebenen 
oder  zu  Haus  ausgearbeiteten  Kollegienheftes  gelten  kann. 
Der  Zettel,  erheblich  kleiner  als  ein  Oktavblatt  heutigen  ge- 
wöhnlichen Schreibpapieres,  ist  der  Länge  nach  gebrochen 
und  auf  den  dadurch  entstandenen  vier  Seiten  mit  minu- 
tiösester Schrift  (nicht  von  Vitis,  sondern  von  andrer  Handv 
bedeckt.  Er  behandelt  die  „Species  praescriptionis"  nach 
gemeinem  Rechte  mit  einem  Zusatz  über  das  jus  saxonicum 
und  mit  einem  Schlussabschnitt  über  die  Frage:  an  Vitium 
aut  mala  fides  noceat  successori.  Dabei  wird  Ersitzung  und 
Klageverjährung,  Zivil-  und  Strafrecht  unter  einander  ge- 
mengt, in  unklarer  Weise  zwischen  realen,  quasirealen,  persön- 
lichen Fehlern  unterschieden  und  mit  dem  wenig  nutzbringen- 
den Satze  geschlossen:  „Successor  vero  universalis  universaliter 
non  prescribitu. 

Viti  und  seine  Bücher  nebst  deren  Einlagen  können  hier- 
nach als  redende  Zeugen  derjenigen  Periode  dienen,  welche 

])  s.  oben  S.  201,  Anm.  1. 


§  13-     Bibliothek.  213 

mittels  einer  unter  klerikalem  Einflüsse  stehenden,  erst  arti- 
stischen, nachher  juristischen  Universitätsausbildung  die  auf 
den  Boden  der  gelehrten  fremden  Rechte  sich  stellende 
Rechtsprechung  vorbereitete,  wie  sie  um  die  Mitte  des  sech- 
zehnten Jahrhunderts  zur  Blüthe  gelangte.  In  Magdeburg  ist 
der  ursprüngliche  Sitz  der  Vitischen  Bibliothek  gewesen, 
dort  mag  sie  auch  zusammengebracht  sein.  Dafür  sprechen 
namentlich  die  handschriftlichen  Einträge,  welche  sich  in  zwei 
der  von  Viti  nachgelassenen  Bücher  finden  und  sich  auf  die 
Sebastianskirche  in  Magdeburg  beziehen.  Den  im  Jahre 
1509  gedruckten  decisiones  rotae  ist  ein  1506  von  der  Alt- 
stadt Brandenburg  zu  Gunsten  der  genannten  Magdeburger 
Kirche  ausgestellter  Rentenkaufbrief  als  Schmutzblatt  vor- 
geheftet; die  Zahlung  der  Rente  soll  danach  aus  den  Ein- 
künften bewirkt  werden,  die  der  Stadt  Brandenburg  im 
Gebiete  der  Stadt  Magdeburg  zustehen.  Sodann  enthält 
das  oben  (S.  202)  erwähnte  formularium  instrumentorum l) 
auf  der  unbedruckten  letzten  Seite  die  Abschrift  eines  vom 
Dekan  der  Sebastianskirche,  dem  Magdeburger  Offizial 
Jacob  Nefe,  erlassenen  Prozessdekrets  in  einer  Appellations- 
sache. Dies  Dekret  war  sichtlich  vor  dem  Einbinden  in  das 
Buch  eingetragen. 

Hiernach  wäre  es  auch  nicht  ausgeschlossen,  dass  die 
von  Viti  hinterlassene  Bibliothek  ursprünglich  die  Bibliothek 
einer  Magdeburger  Kirche  oder  eines  Magdeburger  Klosters 
war,  und  dass  Viti  bei  seinem  Ueberzug  nach  Brandenburg 
den  Auftrag  erhielt,  sie  mitzunehmen,  um  sie  der  Kirche  zu 
erhalten  und  einstweilen  sich  als  Eigenthümer  der  Bibliothek 
zu  geriren,  aber  sie  dann  testamentarisch  wieder  in  sicheren 
Besitz  einer  katholischen  Körperschaft  zu  bringen.  Daraus 
möchte  der  an  sich  auffallige  Umstand  seine  Erklärung  fin- 
den, dass  Viti  die  seinem  Testamente  nach  ihm  eigenthüm- 


l)  Die  darin  enthaltenen  Formularbeispiele  nennen  mehrfach  als  Aus- 
stellungsort Rom  und  das  Jahr  1476.  In  der  Formel  eines  Doktoreides  ist 
von  6  cursibus  peractis  und  dann  noch  von  einigen  repetitiones  Perusinae 
die  Rede  (fol.  146).  Von  besonderem  Interesse  ist  das  Formular,  nach 
welchem  „quoddam  mancipium  videlicet  una  sclava  de  partibus  Rossie 
oriunda"  verkauft  wird  (fol.  59). 


214  3*  Buch.    Ausbildung  des  Personals. 

lieh  zustehenden  Bücher,  als  gehörten  sie  bereits  dem  Kloster, 
schon  bei  seinen  Lebzeiten  dort  anketten  liess.  Um  die 
Bibliothek  zusammenzubringen,  waren  auch  Mittel  erforderlich, 
über  die  Viti,  der  Sohn  eines  in  unsern  Materialien  nirgends 
genannten  und  deshalb  kaum  besonders  angesehenen  und 
begüterten  Brandenburger  Bürgers,  vermuthlich  nicht  ver- 
fügen konnte. l) 

Ist  diese  Annahme  begründet,  dann  haben  wir  in  Vitis 
Bibliothek  die  den  Magdeburger  klerikalen  Anwälten  und 
Notaren  zum  Gebrauch  dienende  Bibliothek  eines  Magdebur- 
ger klerikalen  Instituts  vor  uns,  welche  in  Folge  der  Refor- 
mation Theil  der  Bibliothek  des  Schöppenstuhls  eines  pro- 
testantischen Landes  geworden  ist. 

Auch  darüber,  wie  dieser  Anfall  sich  vollzog,  lassen 
sich  Nachrichten  beibringen,  aus  denen  zugleich  hervorgeht, 
welche  Bedeutung  man  schon  zu  Vitis  Lebzeiten  seinen  Büchern 
beilegte.  Im  Jahre  1533  wollte  der  Sohn  des  brandenburger 
altstädtischen  Bürgermeisters  Schuller  (oben  S.  139),  Georg 
Sabinus,  der  spätere  erste  Rektor  der  Universität  Königsberg, 
seine  Studien  der  Rechtswissenschaft  und  der  Beredsamkeit  in 
Padua  fortsetzen;  er  erfreute  sich  dabei  der  Unterstützung  des 
Kurfürsten  Joachim  I.  und  dessen  Bruders,  des  Erzbischofs 
Albrecht  von  Magdeburg.  Von  einer  Reise  aus  Süddeutsch- 
land im  Mai  jenes  Jahres  zurückgekehrt,  bat  Sabinus  im  Juni 
(vor  seiner  im  Juli  angetretenen  Reise  nach  Padua)2)  das 
Kloster  der  Franziskaner  nach  dem  kurz  zuvor  erfolgten  Tode 
Vitis,  ihm  dessen  Bibliothek,  soweit  sie  juristische  Bücher  ent- 

1)  In  den  formulae  notariorum  (um  1476)  werden  fol.  108.  109  als 
Beispiele  der  emtio  angeführt:  der  Kauf  eines  Infortiatum  zu  10,  der  Kauf 
eines  Pferdes  zu  5  Goldgulden.  Der  (1576  in  Krankfurt  immatrikulirte) 
Lucas  Gaulrap  besitzt  eine  Bibliothek,  für  welche  ein  Käufer  vor  1014 
1200  Thlr  zahlt  (66  534.  552).  Der  von  1579  bis  1586  in  Wittenberg  und 
Erfurt  ausgebildete  Rathenower  Stadtschreiber  Thomas  Neumann  aus  Treuen- 
brietzen  bringt  1587  in  die  Ehe  Bücher,  die  „nicht  unter  200  fl.  gezeuget" 
(31  40H).  In  Gardelegen  hinterlässt  1640  Dr.  j.  u.  Tristedt  200  Bände, 
„wohl  über  600  Thlr.  werth*  (77  449). 

*)  nicht  nach  Bologna,  wie  es  bei  Tschirsch,  Beitr.  zur  Gesch.  der 
Saldria  S.  9  Note  4  heisst.  Vergl.  Muther,  Aus  d.  Univ.-Leben  1866 
S.  366.     Toppen,  Die  Gründung  der  Univ.  Königsberg  S.  34. 


§13-     Bibliothek.  215 

hielt,  zur  Benutzung  zu  überliefern.  Erst  auf  Intervention 
des  Kurfürsten  Hess  sich  das  Kloster  dazu  bereit  finden.  Der 
Kurfürst  bestellte  zwei  Brandenburger  Domherren  zu  Korn- 
missarien,  welche  die  Bücher  verzeichnen  und  „dem  Bürger- 
meister Schuller  von  wegen  seines  Sohnes  Jürgen  Schuller, 
sonst  Sabinus  genannt,  in  Beiwesen  der  Räthe  beider  Städte 
auf  deren  genügsame  Kaution"  überantworten  sollten.  Die 
Kommissarien  Hessen  darauf  die  Bücher  in  den  Dom  bringen 
und  händigten  den  Räthen  beider  Städte  das  Inventar  aus. 
Da  die  Räthe  baten,  die  Bücher  ihnen  für  Sabinus  zu  über- 
lassen, nahmen  die  Domherren  die  Kaution  der  Räthe  „auf  die 
Wiederstellung  nach  Ablauf  dreier  Jahre*  an  und  überant- 
worteten ihnen  die  Bücher  am  Montag  nach  Misericordias  1533.1) 
Ein  in  Bretschneiders  Corpus  reformatorum  vol.  II  S.  642  ab- 
gedruckter Brief  ohne  Zeit-  und  Ortsangabe,  auch  ohne 
Adresse  spricht  die  Bitte  des  Sabinus  aus,  dass  ihm,  den  die 
angustia  rei  familiaris  bisher  gehindert  habe,  den  Wunsch 
der  fruchtbringenden  peregrinatio  nach  Italien  auszuführen, 
„vestra  celsitudo"  eine  solche  Reise  ermögUche,  „cum  antea 
a  vestra  celsitudine  libris  instructussim;  novit  vestra  celsi- 
tudo  vetus  proverbium,  pudorem  egenti  inutilem  esse".  Die 
Hbri,  von  denen  der  Zettel  redet,  sind  Vitis  Bücher.  Schwer- 
lich darf  aus  dem  Briefe,  den  nach  Obigem  Sabinus  vor 
seiner  Abreise  von  Brandenburg  an  den  Kurfürsten  Joachim 
schrieb,  geschlossen  werden,  Sabinus  habe  diese  Bücher 
mit  nach  ItaUen  genommen;2)  ein  egens  reiste  damals  nicht 
mit  centnerschwerem  Gepäck  über  die  Alpen,  und  die 
Brandenburger  Rathsherren,  die  als  Bürgen  hafteten,  wür- 
den eine  so  gefahrvolle  Wegführung  der  kostbaren  Bücher 
wohl  kaum  gestattet  haben.  Das  Natürlichste  war,  dass 
die  Bücher  von  den  Rathsherren  im  Rathhause,  damals 
der  allgemeinen  Hinterlegungsstelle  von  Werthgegenstän- 
den,  aufbewahrt  wurden.  Im  Jahre  1534  kehrte  dann 
Sabinus  nach  zehnmonadichem  Aufenthalt  von  Padua  zu- 
rück, und  nunmehr  mag  er  von  der  Erlaubniss  zur  Be- 
nutzung der  Bücher  Gebrauch  gemacht  haben,   um  sich  den 

J)  R.  21   No.  10 »  Brandenburg  Altstadt  —1689.  StA. 
*)  so  Tschirsch  a.  a.  O. 


216  3-  Buch      Ausbildung  des  Personals. 

Grad  eines  Doktors  beider  Rechte  zu  erwerben.1)  Allzuviel 
Liebe  zur  Rechtswissenschaft  flössten  ihm  weder  seine.  Studien 
in  Italien,  noch  Vitis  Bücher  in  Brandenburg,  noch  seine  Be- 
schäftigung mit  der  Gerichtspraxis  ein;  das  bezeugen  seine 
Distichen : 

jamque  voluminibus  juris  studioque  forensi 
deditus,  ipse  tuus,  Bartole,  miles  eram, 
blanda  sed  addictum  me  noluit  esse  severis 
legibus  inque  suum  Musa  retraxit  opus. 
Das  bezeugt  auch  die  Lehre,  die  er  1543  als  Frankfurter 
Professor  dem  jungen  Martin  Chemnitz,  dem  nachherigen  be- 
rühmten Theologen,  gab:  se  ab  experientia  didicisse,  quis 
ex  studio  juris  emergere  velit  et  non  habeat  ingenium 
aulicum,  non  multum  ipsi  prodesse  juris  cognitionem. 
Nachdem  der  erworbene  Doktorhut  dem  miles  Bartoli  1538 
eine  Professur  in  Frankfurt  eingetragen  hatte,  konnte  immer 
noch  die  Bibliothek  Vitis  im  altstadtischen  Rathhause  zu 
Brandenburg  unter  der  Obhut  des  Bürgermeisters  Schuller 
verbleiben,  da  Sabinus  juristische  Vorlesungen  nie  gehalten 
hat,  und  da  er  sich  nicht  allzufern  von  Brandenburg  aufhielt. 
Sein  „ingenium  aulicumu  verschaffte  ihm  dann  1543  im  Todes- 
jahr seines  Vaters  die  Berufung  an  den  preussischen  Hof 
nach  Königsberg.  Gleichzeitig  folgte  sein  Bruder  Andreas 
dem  Vater  im  Bürgermeisteramte.  Da  Sabinus  von  Königs- 
berg aus  keinen  weiteren  Gebrauch  von  den  Büchern  machen 
konnte,  sein  Bruder  aber  und  die  andern  Rathsmitglieder  das 
Interesse  hatten,  von  ihrer  Bürgschaft  befreit  zu  werden,  und 
da  inzwischen  das  Klostergut  in  Brandenburg  säkularisirt 
war,2)  so  lag  nichts  näher,  als  den  thatsächlichen  Zustand 
zum  rechtlichen  zu  erheben,  d.  h.  die  Vitischen  Bücher  dem 
Stadtvermögen  einzuverleiben  und  sie  in  die  Rathsbibliothek 

l)  Toppen,  Univ.  Königsberg-  S.  36. 

*)  1541  Mitw.  nach  Judica  zahlt  der  Rath  der  Altstadt  für  Renovation 
des  Pfarrhauses;  der  neue  evang.  Prediger  trat  sein  Amt  an;  1542  quittirt 
ein  Domherr,  10  fl  Zinsen  „von  wegen  seines  Pfarrlehns"  aus  dem  Gemeinde- 
kasten vertrag smäfsig  erhalten  zuhaben.  Rathsb.  A.  1.  fol.  311.  307.  32S 
A.A.  Vgl.  Gebauer,  die  Einführung  der  Reformation  in  den  Städten  Alt- 
und  Neustadt  Brandenburg,  Forschungen  zu  Brdb.  u.  Pr.  Gesch.  13.  2. 


§  13-     Bibliothek.  217 

einzustellen.  Ende  Mai  1544  war  Sabinus  einige  Zeit  noch 
in  Brandenburg;1)  hier  mag  die  Bücherangelegenheit  ge- 
ordnet worden  sein:  im  Oktober  1544  übereignete  der  Kur- 
fürst dem  altstadtischen  Rath  das  Barfüsserkloster  „nebst 
allen  Zubehörungenu, 2)  und  damit  auch  nebst  Vitis  Büchern. 
Nunmehr  standen  diese  den  altstadtischen  Schoppen  zur 
Verfügung.3)  Dass  sie  davon  Gebrauch  machten,  beweisen 
die  oben  (S.  137)  mitgetheilten  Randbemerkungen  Demkers 
und  Schmidts  im  alphabetum  aureum  des  Peter  von  Ravenna. 
Was  für  den  gelehrten,  in  der  Praxis  thätigen  Juristen 
das  Ende  des  fünfzehnten  und  der  Anfang  des  sechzehnten 
Jahrhunderts  an  gebräuchlichen  literarischen  Hilfsmitteln  bot, 
war  nunmehr  in  dieser  Rathsbibliothek  vereinigt.  Sie  liefert 
zugleich '  einen  Beleg  für  die  Zuverlässigkeit  von  Stintzings 
Geschichte  der  populären  Literatur  des  römisch-kanonischen 
Rechts  jener  Zeit:  keines  der  zu  dieser  Literatur  gehörigen 
Bücher  der  Bibliothek  fehlt  bei  Stintzing.  Ebenso  fehlt  in  der 
Bibliothek  fast  keines  der  von  Stintzing  behandelten  Werke. 
Ihr  Uebergang  aber  von  Viti  auf  Sabinus  und  von  Sabinus 
auf  die  Brandenburger  Schoppen  stellt  dar,  wie  sich  der 
Strom  des  fremden  Rechtes  über  die  Studirstube  des  Notars 
in  die  des  deutschen  Rechtsgelehrten,  der  die  italienische 
Hochschule  besucht,  und  dann  aus  ihr  in  die  Gerichtsstube 
solcher  Schoppen    ergiesst,    die    dem  gelehrten  Rechte  sich 

zuwenden. 

III. 

Die  weitere  Entwicklung  der  altstädtischen  Rathsbiblio- 
thek liegt  im  Dunkel. 

Unter    den    Bänden,    bei    denen  jeglicher   Anhalt    ihrer 

1)  Heffter,  Erinnerung  an  G.  Sabinus,   1 844  S.  44  ff. 

2)  Urk.  d.  d.  Cöln  Freitags  nach  Galli   1544.     Akten  K.  5  R.A. 

3)  Hierdurch  erklärt  sich  die  Abtrennung  der  Vitischen  juristischen 
Bibliothek  von  seinen  andern  Büchern  und  von  der  Klosterbibliothek  über- 
haupt. Diese  befand  sich  im  Jahre  1556  noch  in  der  Liberie  des  Klosters 
(vergl.  Akten  K  5,  R.A.).  Die  rührigen  und  für  die  Kirchenbibliothek 
eifrig  besorgten  evangelischen  Pfarrer  der  Gotthardkirche  werden,  als  das 
Kloster  definitiv  geräumt  wurde,  dafür  gesorgt  haben,  dass  die  Kloster- 
bibliothek nicht,  wie  die  Vitische  Buchersammlung,  in  das  Kathhaus,  son- 
dern in  die  Kirche  kam.  wo  sie  sich  noch  jetzt  befindet  (vgl.  oben  S.  203). 


218  3*  Buch.     Ausbildung  des  Personals. 

Herkunft  fehlt,  gehören  32  dem  sechzehnten  Jahrhundert, 
und  zwar  fast  alle  dessen  zweiter  Hälfte  an.  Der  älteste 
Druck  unter  ihnen  ist  die  in  Frankfurt  a.  O.  (1545  bis  155 1) 
erschienene  Konsiliensammlung  SchurfFs,  der  —  eine  Leuchte 
der  dortigen  Universität  —  als  Konsulent  viel  in  Anspruch 
genommen  wurde.1)  Dann  folgt  aus  dem  Jahre  1549  eine 
Venediger  Ausgabe  des  um  141 3  in  Padua  promovirten  Nico- 
laus de  Tudeschis  (gen.  Panormitanus).  Es  sind  ferner  zu 
nennen  Wesenbecks  Konsilien  (Basel  1577),  Mynsingers  Obser- 
vationen (Helmstädt  1584),  Hartmann  Pistors  Quästionen 
(Leipzig  1579  b*s  x5^4)»  eine  Pariser  Ausgabe  des  Corpus  juris 
canonici  (1561,  3  Bände)  und  endlich  Joh.  Bodinus'  berühmtes 
staatsrechtliches  Werk  de  re  publica.2)  Auch  Damhouder, 
Schneidewin,  Treutier,  Borcholten  und  Asinius  sind  vertreten. 
Den  Rest  bilden  Traktate  und  Disputationen,  darunter  des 
Berliner  kurf.  Rathes  Fr.  Pruckmann,  des  Sohnes  eines  Frank- 
furter Bürgermeisters,3)  tractatus  methodici  et  accuratissimi 
de  differentiis  fere  Omnibus  circa  jus  Romanum  inter  utrumque 
sexum,  Francof.  1599. 

Der  ersten  Hälfte  des  siebzehnten  Jahrhunderts  gehören 
20  Bände  an,  darunter  die  Konsilien  Pruckmanns  und  Matthias 
Colers,  mehrere  öffentlichrechtliche  Werke  von  Limnaeus, 
Knichen,  Arumaeus  u.  s.  w.,  die  Decisionen  des  Frankfurter 
Professors  und  Berliner  Geheimen  Rats  Koppen,4)  einer  in 
der  Mark  und  namentlich  in  Brandenburg  besonders  ange- 
sehenen Persönlichkeit, »)  endlich  Vigelius'  bekanntes  und  be- 
liebtes Gerichtsbüchlein,  herausgegeben  von  Melchior  Husanus, 
Naumburg,  1636. rt) 

Unter  den  56  Bänden  aus  der  zweiten  Hälfte  des  sieb- 
zehnten Jahrhunderts   sind    zu    nennen  Vinnius*   Institutionen 

*)  Ausserdem  ist  noch  eine  spätere  Ausgabe  (Frankfurt  1575)  vor- 
handen. 

2)  libri  sex,  editio  tertia,  Francof.  1554,  vgl.  St  int  ring-,  Geschichte  der 
Rechtswissenschaft  I.  668. 

3)  S.  Seidel,  Bildersammlung  S.  167. 

*)  Magdeburg  161 7,  Stintzing  Gesch.  I  557. 
*)  Vergl.  oben  Seite  104. 
6)  Stintzing,  Gesch   1  436. 


§  13.     Bibliothek.  219 

(zweimal  vorhanden,  Lips.  1674),  Hugo  Grotius,  de  jure  belli 
et  pacis  (Amsterdam  1660),  Pufendorf,  specimen  contro- 
versiarum  circa  jus  naturale  (Osnabrugi  1678),  Martinus 
Lipenius,  bibliotheca  realis  des  (Francof.  a.  M.  1679,  *)»  Zaun- 
schliffer,  opera  juridica  (Francof.  1699),  Gails  Observationen 
(Colon.  Agripp.  1668),  Brunnemanns  Hauptwerke,  Schilters 
praxis  juris  Romani  in  foro  Germanico  und  seine  institutiones 
juris  canonici,  Heigs  Quästionen,  Struves  Syntagma  juris 
feudalis,  Carpzows  Practicae  novae  rerum  criminalium. 

Eine  Reihe  anderer  Werke  haben  zwar  Vermerke 
über  frühere  Eigenthümer,  aber  es  hat  sich  Näheres 
über  diese  Eigenthümer  nicht  ermitteln  lassen.  Bemerkens- 
werth  ist  hier  Königs  beliebter  „Processus  und  Practica  der 
Gerich tsleufte  nach  dem  Gebrauch  sächsischer  Landart 
aus  den  gemeinen  bäpstlichen,  kaiserlichen  und  sächsischen 
Rechten*4  (1550),  damals  ein  „  Führer  der  sächsischen 
Praxis".2)  Das  aus  dem  Besitze  eines  Neustädters  stammende 
Exemplar  macht  den  Eindruck  häufigen  Gebrauchs.  Ausser- 
dem ist  ein  zweites  Exemplar  von  1541  vorhanden.  Daran 
schliesst  sich  „das  ganze  sächsische  Landrechtu  Melchiors 
Kling  0  543)i 3)  e*n  ebenfalls  viel  gebrauchtes  Exemplar. 
Ferner  verdienen  Decii  consilia  (Francof.  a.  M.  1588),  Me- 
nochius,  de  praesumptionibus  (Lugd.  1588,  spätere  Ausgabe 
1595),  die  Decisiones  rotae  Lucensis  (Spirae  1599),  Gails 
Observationen  (Cöln  1601),  Cothmanns  consilia  (Francof.  1602), 
Scheplitz'  statuta  (Jena,  ohne  Jahr)  und  sein  promptuarium 
(1608),  Bodinus'  de  re  publica  (Francof.  1622),  Berlichs  De- 
cisionen,  Lauterbachs  Kompendium  und  Hauptwerke  von 
Stryk,  Pufendorf,  Cocceji  und  Carpzow  hervorgehoben  zu 
werden. 

Aeusserst  spärlich  ist  demnach  die  erste  Hälfte  des 
sechzehnten  Jahrhunderts  vertreten,  während  sich  aus  der 
zweiten  Hälfte  desselben  und  aus  dem  siebzehnten  Jahrhundert 
eine  beträchtliche  Anzahl  der  besten  Schriftsteller  finden, 
von  denen   auch  mehrfach  Doubletten   vorhanden  sind.     Mit 


!)  Landsberg,  Gesch.  der  Rechtswissenschaft,  S.  131. 
*)  Stintzing,  Gesch.  I,  560. 
3)  Daselbst  305  ff. 


220  3«  Buch.     Ausbildung  des  Personals. 

der  zweiten  Hälfte  des  sechzehnten  Jahrhunderts  ist  im  Schöp- 
penstuhl  die  Herrschaft  des  gelehrten  Rechtes  entschieden, 
und  für  die  Rechtsprechung  erlangen  die  Konsiliensammlungen 
ihre  hervorragende  Bedeutung.  Das  kommt  in  dem  Bücher- 
bestand des  Brandenburger  altstädtischen  Rathes  zum  Aus- 
drucke. 

IV. 

Nach  dieser  Uebersicht  über  die  Zusammensetzung  der 
altstäd tisch e n  Rathsbibliothek  war  diese  Bibliothek  bei 
weitem  reicher  als  die  des  neustädtischen  Rathes,  wie 
sich  aus  der  jetzigen  Magistratsbibliothek  feststellen  lässt, 
wenn  man  daraus  die  vom  Schöppenstuhl  herrührenden  Be- 
stände sondert.  Das  älteste  Werk  im  Besitze  des  neu- 
städtischen Rathes  war  das  glossirte  Corpus  juris  canonici 
(Basel  1511,  1512)  in  3  Folianten,  deren  Einbanddeckel  die 
Spuren  der  Ankettung  tragen,  aber  Spuren  einer  anderen 
Weise  der  Ankettung,  als  sie  im  altstädtischen  Franzis- 
kanerkloster üblich  war.  Möglich  ist,  dass  es  sich  hier  um 
einen  Rest  der  in  Folge  der  Reformation  in  den  Besitz 
des  Raths  übergegangenen  Bibliothek  des  neustädtischen 
Dominikanerklosters  handelt,  von  der  in  den  neustädtischen 
Kirchen  keine  Spuren  mehr  vorhanden  sind.  Wir  würden 
dann  in  beiden  Städten  eine  analoge  Entwicklung  wahrnehmen. 
Den  gleichen  Ursprung  haben  vielleicht  eine  Anzahl  theolo- 
gischer Werke  des  Augustinus,  Ambrosius,  Johannes  Chry- 
sostomus  und  Theophylactus,  Drucke  von  1522  bis  1529.  Die 
übrigen  Drucke  stammen  aus  der  nachreformatorischen 
Zeit.  So  liegt  in  9  Bänden  eine  werthvolie,  in  Lyon  1549 
gedruckte,  aus  17  volumina  bestehende  Traktatensammlung 
vor.  Ebenfalls  Lyoner  Drucke,  und  zwar  von  1550,  sind  die 
Praelectiones  des  Paulus  de  Castro  zu  den  Digesten  und  zum 
Codex.  Der  Aufdruck  „Neue  Stadt  Brandenburg"  findet 
sich  auf  Lyoner  Drucken  der  in  keiner  altern  juristischen 
Bibliothek  fehlenden  Kommentare  des  Baldus  und  des  Bartolus 
von  1550  bis  1552.  Ein  ebenfalls  in  Lyon  1552  gedrucktes 
Repertorium  des  Johannes  Bertachinus  Firmanus  in  3  Theilen 
und  die  Kommentare  des  Jason  Maynus  zu  den  Digesten 
(wobei  derjenige  zum  digestum  vetus  fehlt)  und  zum  Codex 


§  i3.     Bibliothek.  221 

(Lyon  1553)  schliessen  die  Reihe  der  Drucke  aus  der  Zeit 
um  1550.  Des  Dionysius  Gothofredus  Werke  sind  in  einer 
Ausgabe  von  1590  vorhanden.  Die  Literatur  des  siebzehnten 
Jahrhunderts  fehlt  fast  ganz,  nur  aus  dem  Ende  des  Jahr- 
hunderts finden  sich  einige  Werke  (z.  B.  Brunnemann  und 
Fritsch).  Spärlich  sind  die  Werke  aus  dem  Anfang  des 
achtzehnten  Jahrhunderts  vertreten.  Die  Bibliothek,  die  in 
der  Mitte  des  sechzehnten  Jahrhunderts  einen  guten  Anlauf 
nahm,  ist  demnach  später  offenbar  vernachlässigt  worden. J) 

V. 

Der  Gedanke,  dass  neben  dem  Rathe  der  Schöppenstuhl 
als  solcher  einer  guten  Bibliothek  bedürfe,  tauchte  zuerst 
nach  der  Vereinigung  beider  Städte  auf,  und  zwar  in  einem 
Berichte,  den  der  Schöppenstuhl  im  Jahre  1 73 1  an  den  König 
richtete  mit  der  Bitte  um  Erhöhung  der  Gehälter  der 
Schoppen.  Hierin  hiess  es,  dass  sich  bei  dem  geringen 
Einkommen  Niemand  finden  wolle,  in  das  Schöppenkolleg 
einzutreten,  weil  er  ausser  Stande  sei,  sich  die  zur  Abfassung 
der  rationes  erforderlichen  Bücher  anzuschaffen. 

Zwei  Jahre  darauf  motivirte  der  Schöppe  Steltzner  beim 
König  und  dem  Kanzler  seine  Bitte  um  Pensionirung  unter 
anderem  damit,2)  „er  habe  wegen  wachsenden  Haussegens 
für  liberi,  nicht  für  libri  sorgen  müssen  und  könne  sich  bei 
ermangelnden  Blätterchen  nicht  mit  übrigen  allegatis  osten- 
tierentt.  Berichte  des  geheimen  Raths  Hartmann,  der  in 
Brandenburg  die  Stelle  des  commissarius  loci  bekleidete, 
wiesen  ebenfalls  auf  die  Nothwendigkeit  einer  guten  Biblio- 
thek für  die  Mitglieder  des  Schöppenstuhls  hin.  Dies  ver- 
anlasste das  Generaldirektorium,  dem  Minister  von  Broich 
den  Vorschlag  zu  machen,  dass  von  den  für  den  Schöppen- 
stuhl zu  Gehältern  bestimmten  Beträgen  37  Thaler  zur  An- 

*)  Ein  Katalog  der  Rathsbibliothek  vom  5.  Dezember  18 16,  Acta  I, 
9  Bl.  29 — 36  des  Magistrats  zu  Brandenburg,  führt  von  älteren  Werken 
überhaupt  nur  Gothofredus  auf.  Es  kann  aber  nicht  zweifelhaft  sein,  dass 
der  Katalog  hierin  unvollständig  ist.  Der  Verfasser  desselben  wird  die 
anderen  Bande  nicht  zu  Gesicht  bekommen  haben. 

*)  Siehe  oben  Seite   131. 


222  3-  Buch.     Ausbildung  des  Personals. 

Schaffung  einer  Bibliothek  verwandt  und  Plümicke,  welcher 
damals  zum  Mitgliede  präsentirt  worden  war,  mit  deren 
Ankauf  und  Verwaltung  betraut  werden  sollte.  Der  Minister 
erklärte  sich  hiermit  einverstanden,  weil  dadurch,  wie  er 
meinte,  den  Querelen  einiger  Assessoren,  dass  sie  bei  ihrer 
Arbeit  mit  den  gehörigen  subsidiis  nicht  versehen  seien, 
abgeholfen  werden  könnte  und  die  Anschaffung  einer  Biblio- 
thek keine  Schwierigkeiten  mache,  da  in  Berlin  täglich 
Bücherauktionen  vorkämen.  Am  29.  November  1734  erging 
hierauf  ein  königliches  Reskript,  in  welchem  37  Thaler  zur 
Anschaffung  einer  Bibliothek  bestimmt  wurden,  damit  allmäh- 
lich ein  hinlänglicher  Vorrath  an  nothigen  Büchern  vorhanden 
sei.     Plümicke  wurde  gleichzeitig  zum  Bibliothekar  ernannt. !) 

So  sehr  diese  Massregel  den  Bedürfnissen  des  Schöppen- 
stuhls  entsprach,  war  sie  von  den  damaligen  Schoppen 
Giesecke  und  Oelschläger  weder  beabsichtigt,  noch  gewünscht 
worden.  Mit  ihren  Klagen  hatten  sie  lediglich  eine  Erhöhung 
der  Gehälter  bezweckt,  um  durch  die  Mehreinnahme  ihre 
Privatbibliothek  zu  vergrössern.  Sie  waren  daher  mit  der 
getroffenen  Entscheidung  höchst  unzufrieden  und  gaben  dies 
ein  Jahr  darauf  dem  König  in  einem  Schreiben,  das  in  der 
Hauptsache  Beschwerden  über  das  Verhalten  des  neuen 
Schoppen  und  Bibliothekars  Plümicke  betraf,  deutlich  zu 
erkennen.  Dabei  führten  sie  aus,  ein  Fonds,  der  ihre  Ein- 
nahmen verkürze,  hätte  jedenfalls  nicht  angelegt  zu  werden 
brauchen;  es  hätte  vielmehr  genügt,  wenn  die  rathhäuslichen 
Bibliotheken  dem  öffentlichen  Gebrauch  freigestellt  und  etwa 
ausserdem  die  neuen  Assessoren  bei  ihrer  Rezeption  ein 
Buch  nach  der  bei  andern  Kollegien  herrschenden  Sitte  zu 
liefern  verpflichtet  worden  wären.  Diese  Vorstellung  hatte 
keinen  Erfolg;  es  blieb  bei  der  befohlenen  Errichtung 
eines  Bibliothekfonds,  aus  dem  nunmehr  fortdauernd  An- 
schaffungen für  den  Schöppenstuhl  gemacht  wurden.  Darüber, 
welche  Bücher  angekauft  werden  sollten,  bestimmten  die 
Scabinen.  Der  Ankauf  selbst  lag  in  den  Händen  des  Biblio- 
thekars.2)    Konnte  mit  dem  zur  Verfügung  gestellten  Fonds 


')  R   21  No.  9C  StA.  2)  Reskript  vom  25.  November  1734  a.  a.  O. 


§  13-     Bibliothek.  223 

auch  keine  namhafte  juristische  Fachbibliothek  geschaffen 
werden,  so  war  er  doch  gross  genug,  mit  der  Zeit  eine 
Handbibliothek  ins  Leben  zu  rufen,  welche  massige  An- 
sprüche befriedigte.  In  diesen  bescheidenen  Grenzen  bewegte 
sich  die  Entwicklung  der  Bibliothek  von  1734  bis  1746.1) 
Bereits  im  Jahre  1735  machte  man  sich  eine  Berliner  Bücher- 
auktion zu  Nutze,  aus  der  eine  Anzahl  trefflicher  Werke,  wie 
Cothmanns  responsa,  Coccejis  juris  publici  prudentia,  Brunne- 
manns  consilia  u.  a.  erworben  wurden.  Ueberhaupt  bevor- 
zugte man  mit  Recht  Werke  praktischen  Charakters,  wie 
Konsilien,  Decisionen,  vernachlässigte  dabei  aber  nicht 
allgemeine  theoretische  Werke,  besonders  solche  des  öffent- 
lichen Rechts,  ja  man  verwendete  sogar  mehr  als  die  Ein- 
nahme eines  Jahres  (im  Ganzen  39  Thaler),  um  die  von  Meyer 
herausgegebenen  acta  pacis  Westphalicae  und  die  Nürn- 
bergischen Friedensexekutionsakten  zu  erwerben. 

In  der  ersten  Zeit  musste  Plümicke  die  neuangekauften 
Werke  in  seiner  Wohnung  unterbringen,  da  dem  Schöppen- 
stuhl  damals  die  Räume  im  Accisehause  vorenthalten  wurden.2) 

Etwa  60  Bände  mögen  von  1 734  bis  1 J46  auf  diese  Weise 
angeschafft  sein,  als  man  der  bis  dahin  nur  in  diesen  wenigen 
Bänden  bestehenden  „Schöppenstuhlsbibliothek"  die  „alt- 
städtische Rathsbibliotheku  und  damit  die  Schätze  aus  Vitis 
Sammlung  formell  einverleibte.  Direkte  urkundliche  Nach- 
richten hierüber  fehlen.  Mit  der  Städtevereinigung  siedelte 
1715  die  Verwaltung  der  Altstadt  nach  dem  neustädtischen 
Rathhaus  über,_und  seit  1718  stand   das  altstädtische  Rath- 

')  Die  vom  Bibliothekar  jährlich  geführten  Rechnungen  sind  aus  den 
Jahren  1734— 1736,  1738,  1741,  1743,  1754— I758»  1762— 1769,  1809  bis 
18 13  erhalten  (A.A.).  Soweit  der  Schöppenstuhl  die  Bücher  hat  einbinden 
lassen,  zeigen  sie  einen  charakteristischen  Einband  (Pergament,  rother 
Schnitt,  goldner  Rückentitel,  seltener  franz.  Einband).  Derselbe  Einband 
findet  sich  bei  einer  Anzahl  anderer  Druckwerke  derselben  Zeit  wieder. 
Hierdurch  lassen  sich  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  die  Lücken  ergänzen, 
welche  durch  die  fehlenden  Rechnungen  entstehen. 

*)  Vgl.  das  Schreiben  Plümickes  vom  Jahr  1736  R.  21  No.  9C  StA. 
und  die  Rechnung  von  1738,  nach  welcher  von  den  Bibliotheksgeldern  die 
Schlösser  für  die  Skabinatsstube  bezahlt  und  ein  Repositorium  angeschafft 
wurde. 


224  3*  Buch.     Ausbildung  des  Personals. 

haus  unbenutzt  da.1)  Die  Bibliothek  aber  hatte  man  im 
untersten  Gewölbe  des  altstädtischen  Rathhauses,  dem  soge- 
nannten Städtekassengewölbe,  belassen. 2)  Von  hier  wurde  sie 
kurze  Zeit  vor  dem  Jahre  1749  nach  dem  Accisehause,  der 
damaligen  Stätte  des  Schöppenstuhls3),  transportirt.  Damit 
war  die  Einverleibung  der  altstädtischen  Rathsbibliothek  in 
die  Schöppenstuhlsbibliothek  vollzogen. 

VI. 

Der  mit  der  altstädtischen  Rathsbibliothek  vereinten 
Schöppenstuhlsbibliothek  fiel  mit  dem  Tode  des  Schoppen 
Oelschläger  1749  dessen  Bibliothek  zu,  die  für  ihre  Zeit 
dieselbe  Bedeutung  hatte,  wie  für  die  um  mehr  als  zwei 
Jahrhunderte  zurückliegende  Zeit  die  Bibliothek  Vitis.  Oel- 
schlägers  Bibliothek  kaufte  der  Schöppenstuhl  für  300  Thlr., 
die  er  ratenweis  in  mehreren  Jahren  abtrug.4) 

In  der  Oelschlägerschen  Bibliothek  heben  sich  zwei 
Theile  von  einander  ab,  nämlich  die  von  Oelschläger  aus 
erster  Hand  angeschafften  neueren  Werke  und  die  von  ihm 
aus  den  Bibliotheken  älterer  Brandenburger  Juristen  erwor- 
benen Werke.  Deren  Vorbesitzer  waren  die  Schoppen 
Nickel,  Nicolai,  TiefFenbach,  der  neustädtische  Richter  Buch- 
holtz  und  der  Advokat  Kaye. 

Michael  Nickel  gehörte  dem  Schöppenstuhl  zu  einer  Zeit 
an,  als  dessen  Entwickelung  zum  gelehrten  Kollegium  bereits 
vollzogen  war.  Als  Schöppe  ist  er  nicht  besonders  hervor- 
getreten. 5)     Männer  wie  Kuhns,  Floring,  Bluhm,  Zieritz,  Iden 


*)  Dullo,  Kommunalgeschichte  Brandenburgs   S.  28. 

2)  Dies  ergiebt  Gieseckes  Schreiben  vom  Jahre  1749  an  den  Dr.  Oel- 
richs.  Kr  spricht  davon,  dass  im  altstädtischen  Städtekassengewölbe  eine 
grosse  Menge  Schöppensprüche  läge,  und  fahrt  fort:  „woselbst  auch  eine 
ansehnliche   bibliothek   aufbehalten  worden,   welche  vorjetzo,   weil  das  alt- 

städtische   rathaus   ledig   stehet,   auf  den  schöppenstuhl transportirt 

worden"  (98  670).  Diese  Bibliothek  kann  nur  die  Rathsbibliothek  gewesen 
sein.  Denn  dass  diese  sich  im  altstädtischen  Städtekassengewölbe  befunden 
hat,  ergiebt  eine  Bemerkung  Steltzners  im  Rathhausinventar  von  17 14  (RA.) 

3)  Siehe  oben  S.  63,  64. 

4)  Urkundenfragmente  bei  den  Schöppenstuhlsakten.    AA. 
*)  Siehe  oben  Seite   160. 


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§  13.     Bibliothek.  225 

entwickelten  eine  weitaus  intensivere  Thätigkeit  als  er.  Das 
bedeutendste  Werk  unter  Nickels  Büchern  waren  Sichardts 
dictata  et  praelectiones  in  codicem,  von  Samson  Hertzog 
herausgegeben.1)  In  die  dialectica  juris  des  Marburger  Pro- 
fessors Vigelius2)  hat  er  als  Schurffs  Ausspruch  den  Satz 
eingetragen:  Nihil  est  velle  esse  jurisconsultum  sine  dia- 
lectica. Den  Rest  bilden  Traktate,  unter  denen  die  Mehr- 
zahl3) dem  Prozessrecht  angehören  und  Nickels  praktische 
Richtung  andeuten.  Er  hat  die  Werke  zum  Theil  in  Berlin 
(1581)  und  Helmstädt  (1592)  angeschafft. 

Aus  Joachim  Tieffenbachs  4)  Besitz  gingen  auf  Oelschläger 
über  der  umfangreiche  tractatus  des  Rutgerus  Rulant  de 
commissariis  et  commissionibus  camerae  imperialis  (ed.  se- 
cunda  Francof.  1597),  aus  Nicolais  Besitz  die  Konsiliensamm- 
lung des  Rolandus  a  Valle  (Francof.  a.  M.  1584), s)  aus 
Matthias  Buchholz*  Besitz  Colers  decisionum  pars  posterior 
(opera  Friedr.  Pensoldi  Francof.  16  io),  der  erste  Theil  dieses 
Werkes  fehlt. 

Joachim  Buchholtz,  ein  Sohn  des  neustädtischen  Bürger- 
meisters und  Schoppen  Johann  Buchholtz,  studirte  1636  in 
Frankfurt,  war  1647  Sekretarius  in  der  Neustadt,6)  1650 
ausserdem  Kämmerer7)  und  bis  1679  Mitglied  des  Raths,  in 
den  Jahren  1655,  1660  und  1662  auch  neustadtischer  Richter.8) 

*)  Frankfurt   1598,  5.  Ausgabe,  vergl.  Stintzing,   Gesch.  d.  R.  I,  216. 

2)  Basel   1573,  vergl.  Stintzing  I,  438. 

3)  Dies  sind:  Guido  Papa,  Hieronymus  Manfredus  und  Franciscus  de 
Herculanis,  tr.  de  appellationibus,  Cöln  1573;  Franciscus  Herculanus  et 
Martinus  de  Fan o,  tr.de  probanda  negativa,  Cöln  1578;  Sebastian  Vant,  tr. 
de  nullitatibus  processuum  et  sententiarum,  Cöln  1588;  Matthaeus  Brunus 
Arminensis  de  cessione  bonorum,  Jacobus  de  Arena  de  excussione  bono- 
rum. Die  übrigen  Abhandlungen  sind:  Jacobus  Rickius  ab  Arweyler  de 
unione  proeliura,  Vincentius  Carocius  Tuderinus,  tr.  locati  et  conducti 
1584,  Baldus  Novellus,  Jac.  Butrigarius,  Odofredus,  Franciscus  Hotomannus, 
tr.  de  dote  1591,  Rolandus  a  Valle,  de  inventarii  confectione  1599,  endlich 
Benekendorf,  repetitio  in  1.  2  ff.  de  regulis  juris,  Francof.  1600  und  1603. 

4)  Siehe  oben  S.  145. 

5)  Stintzing,  Gesch.  d.  R.  I,  531. 
•)  Cod.  N.  14  RA. 

7)  Widmung  Chuedens  in  Bd.  277  der  Schöppenstuhlsbibliothek. 

8)  Cod.  N.  16—21,  Doc.  N.  II  684,  666,  685  RA. 

Stölzel,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  15 


226  3-  Buch.     Ausbildung;  des  Personals. 

Daneben  war  er  Notar;1)  dem  Schöppenstuhl  hat  er  nicht 
angehört.  Seine  auf  Oelschläger  übergegangene  Bibliothek 
bestand  aus  54  Werken  in  41  Bänden,  von  denen  er  den 
grössten  Theil  in  den  Jahren  1630  bis  1643  m  Wittenberg 
und  Frankfurt  erworben  hatte.  Für  Dialektik  zeigte  er 
ebenso  wie  Michael  Nickel  Interesse.2)  Auffallend  ist  die 
reiche  Fülle  an  Werken  allgemeinpolitischen  und  öffentlich- 
rechtlichen Inhalts.3)  Textausgaben  des  Corpus  juris  fehlen 
ganz,  ebenso  die  gebräuchlichsten  Kommentare.4)  Nam- 
haftere Werke  dieser  Bibliothek  waren  Treutiers  selectae 
disputationes  (Francof.  161 7  — 1620),  die  Fichardtsche  Aus- 
gabe des  tractatus  cautelarum  des  Caepolla  (Francof.  1575), 
Menochius  de  praesumptionibus  (Cöln  1595)  und  Wesenbecks 
Konsilien  (Francof.  1601).  Die  aus  5  Bänden  bestehende 
conclusiones  practicabiles  des  Matthias  Berlich  hatte  Buchholtz 
vom  Bürgermeister  und  Schöppensenior  Georg  Chueden  1650 
zum  Geschenk  erhalten.  Ferner  war  Kriminalrecht &)  und  Lehn- 
recht6) in  dieser  Bibliothek  vertreten.  Eine  Reihe  weiterer 
Werke  dienten  als  besonders  bequeme  Hilfsmittel  für  die 
Praxis. 7)     Hierzu    kamen   endlich  eine  Anzahl  Abhandlungen 


l)  Leichenpredigt  der  Frau  Bätke  1762,  Bibliothek  der  Katharinen- 
kirche  zu  Brandenburg-  Tit.  IX  No.  13;  Akten  M.  1  f.  20,  RA. 

*)  Mattheus  Stephani,  Dialectica  juris  exactissima  et  absolutissima 
(1610). 

*)  Johann  Althusius,  Politica  (Herborn  16 14,  vergl.  Stintzing  I,  275); 
Petrus  Gregorius  Tholosanus,  libri  sex  et  viginta  de  re  publica  (1597); 
Ventura  de  Valentiis,  Parthenius  litigiosus  sive  discursus  politico-juridicus 
(Verona  161 3);  Justus  Lipsius,  libri  VI  politicorum  (Marp.  et  Francof. 
1 658);  Johannes  Sithmann,  speculum  imperii  Romani  (Stettin  1661);  Nico- 
laus Schaffshausen,  tr.  de  pace  constituenda,  firmanda  et  conscrvanda  (ed. 
iterata,  Hamburg  1640). 

*)  Nur  Julius  Pacius,  £vavxtocpav<i»  seu  legum  conciliatarum  centuriae 
VI  (Spirae  1589)  und  dessen  analysis  institutionum  imperialium  (Basel  1679) 
könnten  hier  angeführt  werden. 

*)  Joh.  Emmericus  a  Rosbach,  practica  criminalis  (Francof.  1624,  nicht 
bei  Stintzing  citirt)  und  mehrere  Spezialabhandlungen. 

•)  Everardus  Bronchorst,  methodus  feudorum  (Lugd.  Batav.  1613), 
Georgius  Schultze,  Synopsis  juris  feudalis  (Wittenbergae  1631). 

*)  Dahin  gehören  das  dem  alten  Vocabularius  nachgebildete  Lexikon 
juris  civilis  des  süddeutschen  Praktikers  Jacob  Spiegel  (Basel  1577,  vergl. 


§  t3.     Bibliothek.  227 

und  Traktate,  beispielsweise  von  Bocer,  Borcholten,  Pruck- 
mann,  Peter  Frider. 

Buchholtz*  Bücher  fielen,  vermuthlich  durch  Erbschaft, 
zunächst  an  den  Brandenburger  Advokaten  Johann  Kaye, 
und  erfuhren  hier  eine  bedeutende  Bereicherung.  Die  Er- 
werbungen Kay  es  belaufen  sich  auf  etwa  166  Werke  in 
in  Bänden.  Aus  Brandenburg  gebürtig,  studirte  er  1689  in 
Frankfurt.1)  Im  Jahre  1691  war  er  in  Wittenberg.  2)  Im 
nächsten  Jahre  leistete  er  in  der  Neustadt  Brandenburg  den 
Advokaten-  und  Prokuratoreneid;3)  1688  nennt  er  sich  selbst 
juris  practicus.4)  Ausserdem  bekleidete  er  das  Ehrenamt 
eines  Oberkirchenvorstehers.  Im  Rath  oder  Schöppenstuhl 
war  er  nicht.  Trotzdem  erweckt  seine  Persönlichkeit  für  die 
Geschichte  des  Schöppenstuhls  Interesse.  Zeigt  sie  doch, 
welch  grosses  Gewicht  auch  ein  beim  Schöppenstuhl  thätiger 
Advokat  darauf  legte,  eine  stattliche  Bibliothek  zu  besitzen. 
Den  Grundstock  der  von  ihm  angeschafften  Sammlung  bil- 
dete eine  Pariser  Ausgabe  des  Corpus  juris  civilis  und  der 
vermehrten  Accursischen  Glosse  von  1566.  Zahlreich  sind 
die  Institutionenbearbeitungen  und  die  Werke  des  öffent- 
lichen Rechts.  Die  grösseren  Kompendien  des  sechzehnten 
und  siebzehnten  Jahrhunderts  sind  stark  vertreten,  ebenso 
das  Kriminalrecht,  das  kanonische  Recht,  das  Lehnrecht.  Die 
Konsiliensammlung  ist  nicht  unbedeutend.  Unter  den  zeit- 
genössischen Schriftstellern  ragen  Stryk  und  Brunnemann 
hervor,  von  denen  kaum  ein  grösseres  Werk  fehlt.  Eine 
Anzahl  Bände  hat  Kaye  durchschiessen  lassen  und  mit  zahl- 

Stintzing  I,  580),  Oldendorp,  loci  communes  actionum  juris  civilis  ad  usum 
forensem  accomodati  (Colon.  1595),  Arnoldus  de  Reyger,  thesaurus  juris 
(Magdeb.  16 16),  Matthias  Stephani,  oeconomia  practica  juris  univcrsi  civilis 
feudalis  et  canonici  (Francof.  16 14);  Unterricht  vom  Notariatsampt  durch 
Johannem  Episcopum  Notariura  (Erflf.  1593).  endlich  Scheplitz'  promp- 
tuarium. 

*)  1689  und  1690  bezog  er  das  Stipendium  des  Bürgermeisters  und 
Schoppen  Peter  Müller  und  1690  das  neustädtische  Rathstipendium  (Akten 
S.  1 1  f.  8,  22  RA.). 

2)  Notizen  in  seinen  Büchern. 

*)  Cod.  N.  11,  S.  316  RA. 

4)  Notiz  in  Band  No.  679. 

15* 


228  3*  Buch.     Ausbildung  des  Personals. 

reichen  Bemerkungen  versehen. l)  Endlich  finden  sich  in 
seiner  Bibliothek  eine  Reihe  Bände  mit  Dissertationen,  auch 
enthält  von  ihm  die  Schöppenstuhlsbibliothek  das  anscheinend 
nicht  zur  Veröffentlichung  gelangte  Manuskript  einer  Neu- 
bearbeitung des  Cramerschen  compendium  criminale  (oben 
S.  167).     Kaye  starb  1719.2) 

Die  von  Oelschläger  selbst  angeschafften  juristischen 
Werke  belaufen  sich  auf  etwa  100  Bände,  darunter  etwa 
40  Bände  Dissertationen.3)  Bei  weitem  mehr  als  Kaye  bevor- 
zugt er  die  zeitgenössische  Literatur.  Pufendorf,  Struve, 
Stryk,  Böhmer,  Berger  sind  seine  Lieblingsschriftsteller. 
Ebenso  wie  Kaye  hat  er  eine  Anzahl  Werke  besonders 
eifrig  durchgearbeitet  und  sie  offenbar  vornehmlich  zu  seinen 
Studien  benutzt4) 

Auch  bei  ihm  zeigt  sich  ebenso  wie  bei  Kaye  eine  be- 
sondere Vorliebe  für  öffentliches  Recht.  Seine  Bibliothek 
genügte  den  höchsten  Anforderungen  einer  juristischen  Fach- 
bibliothek, und  es  ist  daher  durchaus  erklärlich,  dass  er 
an  der  Gründung  einer  besonderen  Schöppenstuhlsbibliothek 
kein  persönliches  Interesse  hatte. 5) 

y)  Dazu  gehören :  Schiller,  institutiones  juris  canonici,  Friedr.  Philipp« 
Synopsis  institut.  Justin.,  Lauterbach  -  Schütz,  compendium  juris,  Brunne- 
mann,  memoriale  praecip.  legum  codicis,  Stryk,  examen  juris  feudalis. 
idem,  institutiones  juris  publici. 

a)  Leichenbuch  der  St.  Katharinenkirche  zu  Brandenburg. 

*)  Oelschläger  hat  nur  vereinzelt  in  den  Büchern  seinen  Namen  ver- 
merkt Regelmässig  sind  seine  Bücher  an  seinen  Notizen  und  am  Einband 
zu  erkennen. 

4)  Dies  sind:  Bechtoldus,  loci  communes,  mit  Supplement  von  Rissner. 
1689,  Joach.  Hoppius,  commentatio  ad  institut.  Just.  1709,  idem,  examen 
institut.  imperialium,  Francof.  1699,  Lauterbach-Schütz,  compendium,  1707» 
(Struve),  jurisprudentia  Rom.  Germanica  forensis,  Berger,  animadversiones 
ad  Joh.  Brunnemanni  quaestiones  ad  pandectas,  Lips.  1710,  H.  Böhmer» 
delineatio  de  actionibus,  gradibus  matrimonii  et  successione  ab  intestato, 
Ludovici,  CCC,  Halae  1707,  Cocceji,  juris  publici  prudentia,  Francof.  1705, 
Brunnemann,  examen  juris  publici  Germanici,  Halae  1722,  Hugo  Grotius 
de  jure  belli  et  pacis,  Francof.  1699,  Puffendorf  de  officio  hominis  1719. 

&)  Sonst  enthält  die  Schöppenstuhlsbibliothek  noch  einige  Werke* 
welche  früher  im  Besitz  von  Schoppen  waren,  ohne  dass  die  Erwerbs- 
art ersichtlich   ist.     Einige  Werke   (Clarus,  Vinnius,  Zoesius),    welche  ver- 


§  13-     Bibliothek.  229 

Durch  die  Erwerbung  der  Rathsbibliothek  und  der  Oel- 
schlägerschen  Bibliothek  vermehrte  sich  die  Schöppenstuhls- 
bibliothek  um  etwa  640  Bände,  ungerechnet  die  nicht- 
juristischen. Die  letzte  Rate  für  die  Oelschlägersche  Biblio- 
thek wurde  im  Jahre  1754  gezahlt.  Die  nun  folgenden 
Anschaffungen  bieten  wenig  Interesse.  Man  berücksichtigte 
zwar  einigermassen  die  moderne  juristische  Literatur,  ver- 
wandte aber  vielfach  die  Gelder  dazu,  um  Werke  zu  kaufen, 
die  mit  den  Zwecken  der  Bibliothek  in  keiner  Beziehung 
standen  und  wohl  auf  Liebhabereien  einzelner  Schoppen 
zurückzuführen  sind.  Besonders  häufig  wurden  historische 
Schriften  angeschafft.  Im  Jahre  1763  wurden  aus  zwei 
Auktionen  65  Bücher  erworben,  welche  manch  werthvolles 
Erzeugniss  der  juristischen  Literatur  enthielten.1)  Auch 
bei  der  Auktion  der  Bibliothek  des  Scabinus  Uhde  kaufte 
der  Schöppenstuhl  eine  Anzahl  Bände  an.2) 

schiedenen  Personen  Namens  Cramer  gehört  haben,  weisen  auf  den  Schoppen 
Dr.  Cramer  als  Vorbesitzer.  Von  ihm  hat  sie  vielleicht  Kaye  erworben. 
Dem  Schoppen  Knackrügge  gehörte  Menochius  de  arbitrariis  judicum 
quaestionibus,  Florent.  1572,  und  dem  Schoppen  Grust  Pufendorf,  de 
officio  hominis  et  civis,  Lips.   1721. 

1)  Etwa  42  Bände  gehörten  einem  Sohn  des  theologischen  Professors 
Hanneken,  Namens  Gregorius  Ludovicus,  der  1687  in  Giessen  die  Rechte 
lehrte,  1695  als  Doctor  jur.  utr.  in  Lübeck  und  1696  und  1697  in  Wetzlar 
am  Kammergericht  beschäftigt  war  (Notizen  in  den  Bänden).  Aus  der 
Sammlung  seien  die  Konsiliensammlungen  (Alphonsus  de  Azewedo,  Coth- 
mann.  Casp.  Klock),  Werke  von  Berlich,  Treutlcr,  Lauterbach,  Brunnemann, 
Gail,  Huber,  Carpzow,"  der  codex  Fabrianus,  Bodinus  (de  republica),  Gro- 
tius  (de  jure  belli  et  pacisj,  sowie  eine  Reihe  von  Werken,  die  sich  auf 
die  Praxis  des  Reichskammergerichts  beziehen  (Frieder,  Blumet.  Henr. 
Günther,  Friedr.  Hofmann,  Rutgerus  Rulant),  hervorgehoben. 

Auch  sonst  wurden  kleinere  Sammlungen  erworben,  u.  A.  17  Bände 
mit  23  Werken  (darunter  Koppen,  decisiones,  Scheplitz,  promptuarium, 
Ayrer,  historischer  processus  juris,  Zobel,  sächs.  Lehnrecht,  Melchior  Kling, 
sächs.  Landrecht)  von  einem  Unbekannten,  der  1702 — 1705  in  Frankfurt 
studirte  und  bis  1738  in  Berlin  sich  aufhielt.  Sein  Namenzeichen  bilden 
die  in  einander  verschlungenen  Buchstaben  L  und  S,  sein  Wahrspruch  war 
„Salus  lumenque  trin.  un.  Ps.  XXV." 

2)  Akten  II  S.  9  AA.  Zu  ihnen  gehörte  Justus  Claproth,  jurisprudentia 
haerematica,  Göttingen  1773,  1774  und  Daniel  Nettelbladt,  systema  jurispru- 
dentiae  positivae  Germanorum  communis,  Halle   1781. 


230  3-  Buch.     Ausbildung  des  Personals. 

Die  Bibliotheksverwaltung  gestaltete  sich  äusserst  ein- 
fach. Der  Bibliothekar  führte  die  Rechnung,  besorgte  den 
Ankauf  und  Hess  sich  nach  Ablauf  des  Jahres  von  den 
übrigen  Mitgliedern  Decharge  ertheilen.  Ein  Katalog  wurde 
erst  1768  bei  einer  damaligen  Bibliotheksrevision  angelegt. 
Während  dieser  Katalog  nach  Nummern  geordnet  war,  fand 
sich  bei  der  Uebergabe  der  Bibliothek  an  das  Land-  und 
Stadtgericht  im  Jahre  18 19  ein  alphabetischer  Katalog  vor, 
dessen  Reste  noch  vorhanden  sind.1)  Der  Nummernkatalog, 
der  im  Jahre  1785  1229  Werke  aufwies,2)  schloss  1819  mit 
Nummer  1374  ab,  während  thatsächlich  etwa  1770  Werke 
sich  vorfanden.  Man  hatte  demnach  in  letzter  Zeit  die  Weiter- 
führung des  Kataloges  vernachlässigt.  Je  mehr  die  Bedeu- 
tung des  Schöppenstuhls  abnahm,  desto  mehr  gewöhnte  man 
sich  daran,  den  (aus  der  Magistratskasse  fliessenden)  Biblio- 
theksfonds auch  für  andere  Zwecke  zu  benutzen  als  den,  für 
den  er  bestimmt  war.3)  Als  Bibliothekare  folgten  auf  Plü- 
micke  die  Schoppen  Schütte,  Richter,  Grust,  Zierhold  und 
Steinbeck.4) 

Bei  den  Verhandlungen  über  die  Aufhebung  des  Schöp- 
penstuhls kam  im  Jahre  18 16  ein  Vergleich  zwischen  dem 
Stadtgericht  und  dem  Magistrat  dahin  zu  Stande,  dass  die 
Verwaltung  des  Fonds  und  die  Benutzung  der  Bibliothek 
gemeinschaftlich  sein  solle.  Die  Bibliothek  blieb  zunächst 
im  Accisehaus.  Als  dies  aber  1823  geräumt  werden  musste, 
kam  man  nach  langwierigen  Erörterungen  überein,  die 
Bibliothek  zwischen  Stadt  und  Gericht  zu  theilen.  Unter 
Aufstellung    eines    Katalogs     wurden     die     nichtjuristischen 

*)  Uebergabeverhandlung  vom  14.  April  1819,  Akten  II  S.  9  AA.  Die 
höchste  Nummer,  welche  die  Reste  dieses  Kataloges  aufweisen,  ist  1272. 
Er  ist  also  vermuthlich  seit  dem  Ende  des  18.  Jahrhunderts  nicht  weiter- 
geführt worden. 

a)  S.  oben  S.  196  Anm.  4. 

3)  Ausgaben  für  Papier  und  Licht  wurden  aus  ihm  bestritten.  Der 
Schoppen diener  erhielt  aus  ihm  1  Thaler  8  Gr  Schuhegeld  und  2  Thaler  für 
Reinigung  und  Aufwartung,  der  Bibliothekar  2  Thaler  für  die  Führung  der 
Bibliothek,  der  Sekretarius  seit  1778  jährlich  6  Thaler  als  Entschädigung 
für  die  Abnahme  seiner  Gebühren. 

*)  Vergl.  Rechnungen,  Urkundenrcste  und  das  Schöppenbuch  AA. 


§  i3.     Bibliothek.  231 

Werke  dem  Magistrat,  die  juristischen  dem  Gericht  zuge- 
wiesen.1) Beiden  wurde  ein  gegenseitiges  Mitbenutzungs- 
recht bewilligt.  Von  den  Bibliotheksgeldern  übernahm  der 
Magistrat  fernerhin  jährlich  20  Thaler  an  das  Gericht  zu 
zahlen.  Am  16.  Juli  1829  wurde  dieser  Vergleich  vom 
Kammergericht  genehmigt.2)  Die  20  Thaler  werden  noch 
heute  weiter  gezahlt  und  zur  Vermehrung  der  jetzt  aus- 
schliesslich vom  Amtsgericht  benutzten  und  verwalteten 
Schöppenstuhlsbibliothek  verwendet.  In  ihnen  lebt  ein  letzter 
Rest  des  Schöppenstuhls  gegenwärtig  noch  fort.3) 

1)  Ein  noch  vorhandener,  1824  gefertigter  Katalog  über  den  nicht- 
juristischen Theil  der  Schöppenstuhlsbibliothek  enthält  885  Bände.  Mehr 
als  200  dieser  Bände  sind  jedoch  dem  Gericht  verblieben,  so  z.  B.  v.  Lud- 
wig, Das  grosse  deutsche  Universallexikon  (56  Bände),  welches  der  Schöp- 
penstuhl  aus  der  Plümickeschen  Bibliothek  1756  als  Ersatz  für  den  Biblio- 
thekfonds übernahm,  ferner  Baumgarten,  Uebersetzung  der  allgemeinen 
Welthistorie,  Halle  1745 — 1796  (72  Bände),  Allgemeine  Literaturzeitung 
von  1787  — 181 3  (50  Bände),  Büsching,  Neue  Erdbeschreibung,  Hamburg 
1764 — 1768  (5  Bände),  Walch,  Philosophisches  Lexikon,  Leipzig  1740, 
M.  J.  Schmidt,  Geschichte  der  Deutschen,  Frankenthal  1785  bis  1789 
(8  Bände). 

2)  Akten  des  Brandenburger  Magistrats  und  des  Brandenburger  Amts- 
gerichts betr.  den  Schöppenstuhl  und  die  Schöppenstuhlsbibliothek. 

3)  Nicht  uninteressant  ist  ein  Vergleich  der  Brandenburger  Bibliothek 
mit  der  Bibliothek  des  im  Jahre  1863  aufgelösten  Hallenser  Schöppenstuhls. 
Sie  bestand  nur  aus  etwa  220  Bänden.  Darunter  bemerkenswerth  ist  eine 
Pergamenthandschrift  des  Sachsenspiegels,  die  1864  an  die  Universitäts- 
bibliothek in  Halle  abgegeben  wurde.  Sonst  fehlen  Handschriften.  An  In- 
kunabeln besass  der  Schöppenstuhl  nur  das  Decretum,  Argent.  1484,  und 
die  Decretales,  Basel  148 1.  Unter  den  wenigen  Drucken  vor  1550  finden 
sich  als  bemerkenswerthe  Werke  ein  Sachsenspiegel  von  1539,  ein  Voka- 
bularium zu  den  Sachsenrechten,  Durantis  Speculum,  Lugd.  1541,  Sebast. 
Brandt,  Klagspiegel,  1544,  Thomas  Murner,  utriusque  juris  tituli  et  regulae, 
Basel  1520,  König,  processus  und  practica,  Lips.  1541,  Oldendorp,  loci  com- 
munes,  Marp.  1545.  Ebenso  verdienen  eine  Anzahl  Lutherschriften  hervor- 
gehoben zu  werden,  die  gleichfalls  1864  der  Hallenser  Universitätsbibliothek 
einverleibt  sind.  Den  Hauptbestandtbeil  bilden  Drucke  aus  der  zweiten  Hälfte 
des  16.  Jahrhunderts.  Hier  finden  sich  die  Glossen,  die  gebräuchlichsten 
Gesetzeskommentare  (Baldus,  Bartolus,  Jason  Maynus,  Porcius,  Faber,  Wesen- 
becius)  und  eine  nicht  unbeträchtliche  Anzahl  anderer  hervorragender  juristi- 
scher Werke  (so  z.B.  Mynsinger,  apotelesma  1 569,  Wesenbacius,  paratitla  1560, 
tractatus  et  responsa  1575,  Julius  Clarus,  opera  1572,  Baldus.  consilia  1550, 


232  3-  Buch.     Ausbildung  des  Personals. 


tractatus  de  dote  1 57 1,  Oldendorp,  opera,  1559,  Cephalus,  consilia,  1579« 
1582,  Everardus  a  Middelburg,  loci  argument.  legales  1552,  Hartman  Pistor, 
quaestiones  juris  1579,  Rotschitz,  processus  juris  1565).  Dagegen  setzt 
sich  die  Sammlung  äusserst  spärlich  im  17.  und  noch  spärlicher  im  18.  Jahr- 
hundert fort.  Die  Werke  des  Farinacius  1606,  161 1,  1616,  Meichsner,  de- 
cisiones  1603,  Vincentius  de  Franchis  167a,  Harprecht,  consilia  Tubingensia 
1661,  1695,  1701,  Carpzow,  processus  juris,  1667,  Mevius,  decisiones  1712, 
Ludewig,  opuscula  1720,  Hörn,  consultationes  17 1 1,  Rittershusius,  consilia 
et  responsa  1702  und  eine  Anzahl  Landesordnungen  bilden  den  Haupttheil. 
Die  Literatur  des  19.  Jahrhunderts  fehlt  ganz  (Acta  generalia  des  Kgl. 
Oberlandesgerichts  zu  Naumburg  betr.  den  Schöppenstuhl  zu  Halle  f.  49, 
78  ff.). 


4.  Buch. 

Entwicklung  der  Organisation. 

§14. 

Ausblick  auf  andere  Schöppenstühle. 

Wie  ein  Gericht,  das  Jahrhunderte  hindurch  bestanden 
hat,  wesentliche  Unterschiede  aufweist,  je  nachdem  man  sich 
ein  Bild  von  ihm  für  das  dreizehnte  oder  das  sechzehnte 
oder  das  neunzehnte  Jahrhundert  entwirft,  so  auch  ein  Ober- 
hof, der  aus  solchem  Gerichte  herausgewachsen  ist  und  als 
„Schöppenstuhl*  uns  sowohl  im  dreizehnten,  wie  im  sech- 
zehnten, wie  noch  im  neunzehnten  Jahrhundert  entgegentritt. 

Der  bei  weitem  grösste  Theil  der  äusseren  Daten,  die 
nach  dem  Vorausgegangenen  uns  Kunde  von  den  örtlichen 
und  persönlichen  Verhältnissen  des  Brandenburger  Schöppen- 
stuhls  geben,  umfasst  die  Zeit  nach  dem  Beginne,  ja  sogar 
erst  nach  der  Mitte  des  sechzehnten  Jahrhunderts.  Es  ist 
darum  erklärlich,  dass  bisher  mehr  ein  Einblick  in  den  Zu- 
stand des  Brandenburger  Schöppenstuhls  der  neueren  als  der 
älteren  Zeit  eröffnet  worden  ist. 

Aber  erst  die  geschichtlichen  Grundlagen  aus  älterer 
Zeit  lassen  das  Verständniss  der  Organisation,  des  Verfah- 
rens und  der  Rechtsprechung  gewinnen,  wie  sie  vom  sech- 
zehnten Jahrhundert  ab  sich  gestalten.  Darum  muss  auf  die 
vorausgegangene  Zeit  zurückgegriffen  werden.  Für  Branden- 
burg fliessen  hier  die  Quellen  erheblich  sparsamer  als  für 
andere  Oberhöfe. 

Unter  den  letzteren  steht  Magdeburg  im  Vordergrunde 
als  die  Mutterstadt  von  Brandenburg,  d.  h.  als  diejenige  Stadt, 
mit  deren  Recht  Brandenburg  bei  seiner  Gründung  bewidmet 
worden  war. 


234  4«  Buch.     Entwicklung  der  Organisation.' 

Nach  Kaiser  Lothars  II.  Zeugniss  (c.  1130)  setzte  Kaiser 
Otto  II.  (973  bis  983)  in  Magdeburg  als  dem  caput  Saxoniae 
et  Slaviae  ein  Tribunal  ein  „super  omnes  civitates  Saxonum 
et  Slavonum".  Die  Stadt  Magdeburg  war  die  zum  Schutz 
der  sächsischen  Kolonisten  an  die  Elbe  vorgeschobene  Kaiser- 
pfalz. Das  Ansehen  der  Stadt  gründete  sich  deshalb  nicht 
etwa  bloss  auf  die  Uebertragung  seines  Stadtrechts,  sondern 
auch  vornehmlich  auf  seine  Stellung  als  kaiserliches  Pfalz- 
gericht, das  sowohl  für  die  siegreichen  Sachsen,  als  für  die 
besiegten  Slaven  Recht  sprach.1)  Noch  das  aus  dem  Ende 
des  dreizehnten  Jahrhunderts  stammende  sächsische  Weichbild- 
recht redet  davon,  wie  in  Magdeburg  „die  Pfalz  zusammen- 
kommt14, wie  man  sie  laden  und  wie  der  Burggraf  gestraft 
werden  soll,  der  auf  Ladung  nicht  in  der  Pfalz  vor  dem 
Könige  erscheint.2) 

Die  in  Stendal  entstandene  Sammlung  von  31  Magde- 
burger Sprüchen  (soweit  sie  datirt  sind,,  aus  der  Zeit  von 
1329  bis  1335) 3)  bezeichnet  sich  selbst  als  im  Jahre  1334  be- 
gonnen.4)  Die  ersten  beiden  Einträge  beschränken  sich  so 
sehr  auf  Rechtssätze,  dass  nicht  einmal  erhellt,  wer  die 
Rechtssätze  ausgesprochen  hat.  Im  dritten  Eintrag  Werden 
die  Rechtssätze  mit  einer  Anfangs-  und  mit  einer  Schluss- 
klausel gegeben;  es  heisst  am  Beginne:  „wir  schepen  der 
stad  zu  Magdeburg  bekennen  an  diesem  openen  breve  .  . . 
den  schepenen  to  Stendal  um  stucke,  der  se  uns  gevraget 
hebben  vor  eyn  recht, u  und  es  heisst  am  Schlüsse:  „dat  dit 
recht  si,  dat  betughe  we  mit  unserm  yngesegeln".  Fast 
sämmtliche  anderen  Einträge  enthalten  in  ihrem  Eingange  die 
Bemerkung  „gy  hebben  uns  gescrevenu  (Ihr  habt  uns  ge- 
schrieben); vielfach  wird  auch  der  im  anfragenden  Briefe  ent- 
haltene Thatbestand  eines  zu  entscheidenden  Falles  mitge- 
theilt,  und  dann  folgt  die  Magdeburger  Entscheidung.  Wir 
haben  also  hier  bereits  einen  brieflichen  Verkehr  zwischen 
dem  Oberhof  und  den  Stendaler  Schoppen  vor  uns;  vereinzelt 

')  Michelsen,  Oberhof  Lübeck  S.  11. 

*)  Gaupp,  Das  alte  mgdb.  und  hallische  Recht  S.  144,  145. 

3)  Behrend,  Stendaler  Urtheilsbuch  S.  i,  85. 

4)  Einleitung  bei  Behrend  S.  III. 


$   14.     Ausblick  auf  andere  Schöppenstühle.  235 

stellt  auch  der  Schultheis  oder  der  Schreiber  der  Schoppen 
zu  Stendal  die  (wahrscheinlich  briefliche)  Anfrage.1)  Von 
den  Antworten  treten  die  wenigsten2)  in  der  Form  des  blossen 
Ausspruchs  eines  Rechtssatzes  auf,  die  meisten  sind  Urtheile 
über  einen  praktischen  Fall,  immer  aber  in  der  Fassung 
eines  Zeugnisses,  das  der  Oberhof  über  das  für  jenen  Fall 
in  Betracht  kommende  Recht  ablegt.  Noch  mehr  erhellt 
dieser  Weisthumscharakter  aus  den  Magdeburger  Fragen, 
die  in  Breslau  gesammelt  sind.  Diese  in  Bücher,  Kapitel 
und  Distinktionen  systematisch  gruppirten  Sprüche  beginnen 
regelmässig  mit  der  durch  einen  Einzelfall  veranlassten  Frage 
geringeren  oder  grösseren  Umfanges ; 3)  dann  folgt:  „Hierauf 
sprechen  wir  scheppin  zcu  Magdeburg  recht4*;  der  Spruch 
nimmt  die  Frage  als  Bedingung  wieder  auf  und  giebt  die 
Antwort.  Das  bestätigen  die  Magdeburger  Schöppensprüche, 
deren  Veröffentlichung  die  Münchener  Akademie  der  Wissen- 
schaften unternommen  hat;  sie  gehören  zumeist  dem  vier- 
zehnten und  fünfzehnten  Jahrhundert  an;  mit  dem  sechzehnten 
Jahrhundert  nimmt  ihre  Zahl  ab,  aus  dem  Ende  des  sech- 
zehnten und  dem  Anfange  des  siebzehnten  Jahrhunderts  liegen 
nur  wenige  Sprüche  vor.  Sie  ergeben,  dass  sich  die  Thätig- 
keit  des  Magdeburger  Schöppenstuhls  in  älterer  Zeit  auf 
Civilsachen  beschränkte,4)  und  dass  sie  dann  abnahm,  als  das 
fremde  Recht  zur  Herrschaft  gelangte.  Dass  der  Schöppen- 
stuhl  in  seiner  späteren  Zeit  (anscheinend  seit  dem  Beginne 
des  sechzehnten  Jahrhunderts)  Strafsachen  erledigte,  beweisen 
die  in  den  Tangermünder  Akten  enthaltenen  Urtheile  gegen 
Grete  Minte  und  ihre  Genossen  aus  dem  Jahre  162 1,  und 
dies  beweisen  auch  die  jetzt  veröffentlichten  „Magdeburger 
Sprüche",  sowie  für  die  Jahre  1578,  1590,  1594  und  161 3  die 
Brandenburger  Akten  (U.  C.  3  43;  2  155,  209;  3  171). 5) 

')  Behrend  S.  59,  39,  90.         2)  z.  B.  Urtheil  II  (S.  2),  Unheil  III  (S.  12). 

3)  z.  B.  „Ob  einer  den  Rath  Lugen  strafte  .  . .  ,  was  der  darum  be- 
standen sei.  Hierauf  sprechen  wir  Seh.  zu  M.  recht:  Straft  jemand  den 
Rath  Lügen,  den  können  die  Rathmanne  vor  Gericht  beschuldigen." 
Behrend,  S.  33. 

*)  Zu  vergl.  demnächst  in  diesem  Abschnitt  die  Aeusserung  der  Leip- 
ziger Schoppen  hierüber  aus  d.  J.  15 15. 

8)  Friese    und    Liesegang,     Magdeburger    Schöffensprüche    1.  Band: 


236  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

Mit  der  Zerstörung  Magdeburgs  im  Jahre   163 1    erhielt 
der  Schöppenstuhl  seinen  Todesstoss;1)  Schöppenhaus,  Akten, 
Privatwohnungen  und  Bücher  der  Schoppen  wurden  ein  Raub 
der  Flammen ;  unmittelbar  nach  dem  Brande,  vielleicht  schon 
vorher,   gab   es  statt  der  früheren    12  Schoppen  nur  5  (die 
5   Bürgermeister,    unter    denen    sich   4  Doktoren    befanden). 
Ein  Versuch,  den  Schöppenstuhl  wieder  herzustellen,  misslang- 
sowohl    in    den    1630  er  Jahren  als  1668.      Der  Kurfürst  von 
Brandenburg  beschloss  1669,  von  der  Wiederherstellung  ab- 
zustehen, da  kein  Mangel  an  Schöppenstühlen  und  Fakultäten, 
auch  „die  Observanz  des  sächsischen  Rechts,  für  das 
der  Schöppenstuhl  eingesetzt  gewesen,  sehr  abgenommen 
habe".     Als  1685  die  Regierung  zuCleve  Akten  an  „Bürger- 
meister, Schoppen  und  Rath  der  berühmten  Stadt  Magdeburg u 
zur  Rechtsbelehrung  einsandte,  erhielt  sie  dieselben  vom  Rath 
uneröffnet  zurück,  „alldieweil  der  Schöppenstuhl  allhier  noch 
nicht  wieder  bestellt  istu.    Durch  kurfursdiche  Entscheidung- 
von  1686  wurde  dann  die  Erneuerung  wiederholt  als  unnöthig 
abgelehnt.     Wahrscheinlich    lag    der  Gedanke    zum  Grunde, 
der  Hallenser  Schöppenstuhl  genüge  dem  Bedürfnisse  jener 
Gegenden,    denen    Magdeburg    früher  vorzugsweise    gedient 
hatte,    und    der  Brandenburger  Schöppenstuhl   werde  durch 
die  Konkurrenz  leiden. 2)    Es  scheint  aber  fast,  als  sei  mannig- 
fach in  der  „Regierung    zu  Magdeburg"   der  Schöppenstuhl 
als  wieder  aufgelebt  angesehen.    Sonst  wäre  es  kaum  erklär- 
lich, dass  noch  1 745  (96  396)  der  Geheime  Rath  v.  d.  Horst, 

1502  für  Naumburg  (S.  427);  zwischen  1520  und  1570  für  Grosssalze  (S  94  0"., 
98  ff.,    1041!),  zwischen   1563  und   1617  für  Zerbst  (S.  260  bis  311). 

')  M.  Dittmar  im  30.  Jahrg.  der  Geschichtsblätter  für  Stadt  und  Land 
Magdeburg  S.  158  ff.  „Der  erste  Versuch  zur  Wiedererrichtung  des  Magdeb. 
Schöffenstuhls  nach  dem  lo./ao.  Mai  1631**.  Hertel  und  Hülfse,  Gesch.  der 
Stadt  Magdeb.  2.  Bd.  S.  294  ff. 

2)  Wenn  der  Grosse  Kurfürst  gelegentlich  der  Publikation  der  Magdeb. 
Pol.O.  von  1688  sagt  (Mylius,  corp.  const.  magd.  1714  Th.  III  Vorrede),  die 
gemeinen  Rechte  sollten,  soweit  ihnen  nicht  durch  die  landesfürstlichen 
Gesetze  derogirt  würde,  „sowohl  bei  der  Regierung,  als  in  Schöppen- 
stuhl und  anderen  Gerichten"  des  Herz.  Mgdbg.  und  der  Grafschaft 
Mansfeld  observirt  werden,  so  bestand  im  Sinne  des  Kurfürsten  der  Mgdb. 
Schöppenstuhl  anscheinend  noch,  obwohl  dessen  Erneuerung,  d.  h. 
Wiederbelebung,   1686  abgelehnt  war. 


$   14-     Ausblick  auf  andere  SchöppenstOhle.  237 

Richter  und  Gograf  der  Stadt  und  Grafschaft  Lingen  (bei 
Osnabrück)  der  Nachfolger  des  von  dort  zu  höhern  Würden 
berufenen  Eberhard  Dankelmann,  Akten  an  den  Magde- 
burgischen Schöppenstuhl  adressirt  und  dass  noch  1755  (99 
650)  der  Brandenburger  Scabinus  Steinfeld,  der  als  Justitiar 
des  bei  Brandenburg  gelegenen  Gerichts  Bensdorf  den 
Brandenburger  Schöppenstuhl  um  ein  Urtheil  in  einer  Ehe- 
bruchssache bat,  auf  den  Schöppenstuhl  einzuwirken  gesucht 
hätte,  indem  er  in  Aussicht  stellte,  die  Partei  werde  sich 
„nach  Magdeburg"  wenden  müssen,  wenn  das  Urtheil  in 
Brandenburg  nicht  in  ihrem  Interesse  ausfalle.  Auf  die 
Einsendung  aus  Lingen  fragte  das  Magdeburger  Postamt 
beim  Richter  in  Lingen  an,  ob  es  „wegen  der  Kassirung  des 
Magdeburger  Schöppenstuhls44  die  Akten  nach  Brandenburg 
gelangen  lassen  solle,  und  änderte,  wahrscheinlich  auf  be- 
jahende Antwort,  schlechtweg  auf  der  Adresse  „Magdeburg14 
in  „Brandenburg".  Das  veranlasste  die  Brandenburger,  auch 
ihrerseits  in  Lingen  anzufragen,  „da  der  Schöppenstuhl  in 
Magdeburg  bereits  vor  langer  Zeit  eingegangen  und  nicht 
mehr  in  seinem  Esse  seiu  (96  396.  397). 

Bis  zum  Ende  dieses  Schöppenstuhls  haben  sich  aus- 
schliesslich die  Schoppen  der  Altstadt  Magdeburg  (als 
Schoppen  des  ursprünglich  einzigen  Stadtgerichts  Magde- 
burg) das  Recht,  Belehrung  zu  ertheilen,  gewahrt.  Von 
Belehrungssprüchen  der  Neustadt  Magdeburg  neben  Be- 
lehrungssprüchen der  Altstadt  oder  von  Belehrungssprüchen 
einer J etwaigen  Vereinigung  beider  Städte  Magdeburg  findet 
sich  keine  Spur.  Wohl  aber  kommt  es  vor,  dass  z.  B.  im 
Jahre  1574  (15378)  die  Schoppen  der  Neustadt  Magdeburg 
bei  den  Schoppen  der  Altstadt  Belehrung  suchen  und  dann 
diese  Belehrung  durch  ein  von  den  „Scheppen  zu  Magdeburg*4 
ausgehendes  Urtheil  erhalten  zum  deutlichen  Belege,  dass  es 
die  Schoppen  der  Altstadt  waren,  die  aus  früherer  Zeit  her 
Belehrung  unter  der  Firma  „Scheppen  zu  Magdeburg" 
ertheilten,  wie  wenn  sie  allein  „Scheppen  zu  Magdeburgu 
wären. r) 


l)    Das    schliesst    nicht    aus,    dass  die  Mgd.  Schoppen  auch  zeichnen 


238  4«  Buch-     Entwicklung"  der  Organisation. 

So  ist  es  erklärlich,  dass  ihre  Belehrungsspriiche  die  alte 
Form  ihrer  Gerichtssprüche  beibehalten  haben.  Diese  Form 
erhellt  aus  den  Gerichtsbüchern,  in  denen  zunächst  die  im 
Termine  parteiseitig  erklärte  Zuspräche,  Antwort,  Gegenrede 
etc.  und  dann  mit  der  Ueberschrift  „Schepen*  das  Schöppen- 
urtheil  eingetragen  wurde,  dem  die  Einleitung  vorangeht: 
„Hierauf  sprechen  wir  vor  Recht"  (oder:  „sprechen  wir  ein 
Recht").  Nicht  bedienen  sich  in  dieser  Schlussklausel  die 
Magdeburger  der  Form,  dass  sie  „magdeburgisches"  oder 
„sächsisches"  Recht  sprächen,  wohl  aber  kommt  es  vor,  dass 
sie  in  den  Gründen  hervorheben,  sie  seien  um  sächsisches 
oder  um  magdeburgisches  Recht  gebeten.  Der  Hinweis,  dass 
es  sich  um  einen  Oberhofs-,  nicht  um  einen  stadtgerichtlichen 
Spruch  handelt,  wird  lediglich  durch  die  Einleitung  gegeben, 
die  der  entscheidende  Theil  des  Spruches  auf  dessen  Aus- 
fertigung erhält,  i) 

Diese  Einleitung  nimmt,  solange  mündlich  verhandelt 
wurde,  auf  das  Bezug,  was  die  Anfragenden  gesprochen 
haben.2)  Dann  wird  es  mit  dem  Eindringen  der  Schreib- 
kunst in  das  gerichtliche  Verfahren  (innerhalb  der  ersten 
Hälfte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts)  Sitte,  entweder  den 
Oberhofsspruch  unmittelbar  unter  die  eingesandte  Abschrift 
der  erstinstanzlichen  Verhandlung  zu  setzen  oder  diese  Ver- 
handlung zu  einer  Erzählung  des  Thatbestandes  umzugestal- 
ten und  darauf  den  Rechtsspruch  des  Oberhofs  folgen  zu 
lassen.  Auf  ein  Pergamentblatt  geschriebene  erstinstanzliche 
Prozessverhandlungen  (Klage,  Antwort,  Replik,  Duplik,  Tri- 
plik, Quadruplik,  meist  in  wörtlicher  Abschrift)  mit  darunter 
gesetztem  Magdeburger  Spruch  sind  im  Originale  noch  vor- 
handen;3) sie  füllen  im  Einzelfalle  zuweilen  einen  meterlangen 

(und  angeredet  werden)  als  „Schepen  der  alten  Stadt  M."  (z.  B.  1455  bei 
Riedel  c.  d.   1,   io,  202  und  anderwärts). 

J)  Z.  B.  „Freundlichen  Gruss  zuvor.  Ihr  habt  uns  Rechtes  gefragt  mit 
diesen  Worten  etc."    Friese  und  Liesegang,  Magdb.  Schöffensprüche  I  S.  7. 

')  Z.  B.  um  1350:  „Wir  merken  in  Reden  von  Euer  wegen  an  uns 
gebracht  etc.44     Friese  und  Liesegang  a.  a.  O.  S.  1. 

3)  Vergl.  Friese  und  Liesegang  a.  a.  O.  I,  123  Anm.  In  solcher  Form  sind 
namentlich  die  von  Magdeburg  nach  Stettin  gerichteten  Sprüche  ergangen. 


§  14-     Ausblick  auf  andere  SchöppenstQhle.j  239 

Pergamentstreifen.  Solchen  Abschriften  Hesse  das  anfragende 
Gericht  die  Anrede-  und  Begrüssungsformel  vorausgehen  und 
fügte  am  Schlüsse  die  Bitte  um  Belehrung  zu;  die  Magdeburger 
schrieben  darunter  ihren  Spruch  und  ersetzten  vielfach  in 
der  Adresse  das  Wort  Magdeburg,  das  sie  ausradirten, 
durch  den  Namen  der  anfragenden  Stadt.  Wurde  statt  dessen 
von  den  Magdeburgern  die  Form  einer  Darstellung  des 
Thatbestandes  durch  Umgestaltung  des  Inhalts  der  einge- 
reichten erstinstanzlichen  Verhandlungen  gewählt,  so  gab  das 
«dem  Oberhof  öfters  den  Anlass,  seinen  ganzen  Spruch  als 
einen  durch  die  Wahrheit  der  behaupteten  Thatsachen  be- 
dingten zu  geben,  d.  h.  bei  seiner  Entscheidung  die  Voraus- 
setzung auszusprechen,  dass  die  vorgebrachten  Thatsachen 
der  Wahrheit  entsprächen.  Allmählich  bildet  sich  dann  die 
Sitte,  mir  mit  einem  kurzen  Eingangssatze  auf  die  über- 
sandten Schriftstücke  zu  verweisen  und  zu  bemerken,  dass 
um  einen  Rechtsspruch  oder  dass  „um  Belehrung"  ge- 
beten sei.1) 

Es  wird  sich  zeigen,  dass  die  Brandenburger  ein  im  We- 
sentlichen ähnliches  Verfahren  eingehalten,  jedoch  dahin  ge- 
neigt haben,  zu  betonen,  dass  sie  ein  „brandenburgischesu 
Recht  sprechen,  wie  sie  auch  vielfach  von  ihren  Konsulenten 
um  ein  „brandenburgisches"  Recht  gebeten  werden. 

Nach  einer  anderen  Seite  hin  lehrreich  ist  für  unsere 
Zwecke  das,  was  sich  aus  den  Sprüchen  des  Oberhofs  Iglau 
ergiebt.2)  Hier  haben  wir  einen  Oberhof  vor  Augen,  der 
beim  Eindringen  der  fremden  Rechte,  ja  vor  demselben  seine 
Thätigkeit  einstellte.  „Mit  dem  Jahre  14  n  werden  die 
SchöfFensprüche  immer  seltener  und  hören  endlich  ganz  auffc% ; 
erst  1481,  1487  erscheinen  wieder  einige  Sprüche:  „der  alte 
Oberhof  feiert  einen  kurzen  Nachsommer**,  eine  Erscheinung, 

])  Z.  B.  „Unsern  freundlichen  Gruss  zuvor.  Ehrsame  besondere  gute 
Freunde.  So  ihr  uns  zweier  Parten  Schriften,  als  Klage  und  Antwort,  E.  S. 
an  einem  und  H.  C.  am  andern  Tbeil  anlangend,  gesandt  und  Recht  darauf 
zu  sprechen  gebeten,  sprechen  wir  Scheppen  zu  M."  (Ende  des  15.  Jahrh., 
nach  Grosssalze).     Friese  und  Liesegang  a.  a.  O.  S.  80. 

*)  Tomaschek,  Oberhof  Iglau  S.  13,  15,  16.  Zycba,  Das  böhm.  Berg- 
recht des  MA.  Berlin  1900  Bd.  1  S.  129.  (Für  Bergsachen  sah  Karl  IV. 
1345  in  Iglau  den  Oberhof  für  ganz  Böhmen;  das.  S.  104,  126.) 


240  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

die  wir  ebenso  beim  Brandenburger  Oberhof  Jahrhunderte 
später  finden  werden.  Im  Jahre  1545  kündigt  eine  Tochter- 
stadt der  Mutterstadt  Iglau  den  Rechtszug;  die  1548  zu  Prag 
errichtete  Appellationskammer  wird  Böhmisches  Obergericht; 
die  Iglauer  Chronik  erzählt,  dass  1543  „die  Belerungen  ab- 
kamen"; den  Städten,  die  sich  darüber  beschwerten,  ver- 
schränkten die  Iglauer  selbst  den  Rechtszug,  indem  sie  von 
jedem  Urtheil  doppelt  so  viel  als  früher  (2  fl.  statt  1  fl.)  er- 
hoben. 

Besonders    schätzenswerthe    Winke    für   die    ältere    Ge- 
schichte des  Brandenburger  Schöppenstuhls  lassen  sich  den 
Nachrichten    über    den  Ingelheim  er  Oberhof  entlehnen,1) 
der   sein  Dasein   zwar   länger  als  der  Iglauer  fristete,    aber 
doch   auch   dem    eindringenden  fremden  Rechte  erlag.     Der 
Umstand,    dass  der   Oberhof  Ingelheim   aus  den  Schoppen 
mehrerer  Gerichte  sich  zusammensetzte,   giebt  diesem  Ober- 
hof seinen  eigenthümlichen  Charakter   und  begründet  in  ge- 
wissem Sinne  eine   Verwandtschaft  mit  dem  Brandenburger 
Oberhof.     Es    kommen    beim  Ingelheimer  Oberhof  drei  Ge- 
richte in   Betracht.     Diese  Gerichte   waren  die  Gerichte  der 
Ortschaften    Niederingelheim,    Oberingelheim    und    Winters- 
heim,   die    als    Theile    der    Ingelheimer    Pfalz    „das    Reich" 
hiessen. 2)     Da  aber  dieser  kaiserliche  Besitz  schon  vom  Ende 
des    dreizehnten    Jahrhunderts    ab    in    Pfandbesitz    gegeben 
wurde,  und  zwar  vom  Jahre  1375  a^  den  Pfalzgrafen,  nach- 
herigen  Kurfürsten  von  der  Pfalz,  so  erscheinen  von  da  ab 
die  Pfalzgrafen  als  die  Gerichtsherren.     Fällt  nun  der  Beginn 
des    uns    für   die  Zeit  von   1375  bis    1464  erhaltenen  Ingel- 
heimer Fremdurtheilsbuchs 3)  gerade  in  die  nächsten  Wochen 
nach   jener  Verpfändung   von   1375,4)    so  legt  das  die  Ver- 
muthung    nahe,    dass    die  Bildung  des  Oberhofs  von  dieser 
Zeit  datirt.5)     Er    wurde    damals    zusammengesetzt  aus  den 

2)  Loersch,  Der  Ingelheimer  Oberhof.     Bonn  1885. 

*)  Loersch  S.  XLIX  ff.  *)  Siehe  oben  S.  26. 

4)  Die  Verpfändung  datirt  vom  12.  Febr.,  das  erste  Oberhofsurtheil 
vom  3.  April  1375.     Loersch  S.  LH  und  S.  1. 

•)  Deshalb  auch  um  diese  Zeit  der  primus  scriptor  judicii  regalis 
in  Ingelheim  und  die  Umänderung  der  Urkundsform.  Lorsch  S.  530. 
CXIV.  CVIII.  CIX. 


§  14.     Ausblick  auf  andere  Scböppenstuhle.  0-41 

SchefFen  der  drei  Ortsgerichte  Oberingelheim,  Winternheim 
und  Niederingelheim.  Neben  dem  Oberhof  fungirte  in  jedem 
der  genannten  drei  Orte  und  in  jedem  der  weitern  vier  Orte 
des  Ingelheimer  Grundes  ein  besonderes  Ortsgericht,  aus 
7  SchefFen  bestehend,  für  die  Sachen,  die  zur  Zuständigkeit 
des  betreffenden  Ortsgerichts  gehörten.  Beim  Oberhof  soll 
die  Zahl  von  14  SchefFen  hergebracht  gewesen  sein.  Das 
Kollegium  galt  als  vollbesetzt,  wenn  mindestens  ein  SchefFe 
über  die  Hälfte  der  Gesammtzahl  anwesend  war;  doch 
konnten  die  Parteien  die  volle  Besetzung  des  Gerichts  bean- 
spruchen; nicht  selten  war  auch  ohne  dies  das  ganze  Kolleg 
beisammen,  meist  mehr  als  8.  An  den  drei  Hauptorten  ver- 
einten sich  die  SchefFen  als  Oberhof,  und  zwar  zu  Nieder- 
ingelheim Montags,  Mittwochs  und  Freitags  bei  der  Linde 
vor  der  Kirche,  dem  alten  Hauptgerichtsplatz  des  Ingelheimer 
Grundes,  zu  Oberingelheim  Dinstags,  Donnerstags  und  Sams- 
tags in  einem  eigenen,  hinter  dem  Gerichtshaus  gelegenen 
„Scheffinhus",  zu  Winternheim  vor  dem  Kirchhofe. 
Derselbe  Schreiber  führte  seit  Ende  des  vierzehnten  Jahr- 
hunderts in  den  drei  Orten  das  Protokoll.  Der  Büttel  oder 
Heimberger  theilte  die  „ihm  zu  Händen  kommenden"  Gebühren 
den  SchefFen  ab  und  zahlte  sie  ihnen.  Mehr  als  5  SchefFen 
konnten  für  den  einzelnen  Hauptort  bei  den  Oberhofssitzungen 
nicht  nachgewiesen  werden.  Der  Oberhof  stand  unter  der 
Leitung  eines  Schultheisen ,  der  die  Verträge  und  die 
Schriftstücke,  sowie  die  Erklärungen  der  vom  auswärtigen 
Gerichte  Abgesandten  entgegennahm  und  die  Aussprüche 
des  Oberhofs  nach  von  ihm  bewirkter  Formulirung  verleim* 
dete. l)  Diese  Leitung  scheint  im  Einzelfalle  jedesmal  dem- 
jenigen der  drei  Schultheisen  zugefallen  zu  sein,  an  dessen 
Sitz  der  Oberhof  gerade  tagte.  Eine  Reihe  von  Stellen  er- 
giebt,  dass  der  Schultheis  zugleich  SchefFe  war;2)   das  weist 

*)  Lorsch  S.  CXLIV,  bes.  Note  i,  auch  S.  207  a.  E. 

2)  *435  (S.  513):  Wir  (Schultheis  und  scheffen  zu  J.)  bekennen,  dass 
vor  uns  kommen  ist  vor  Gericht  zu  N.J.  Henrich  Wolf,  schultheiss  und 
unser  Middescheff  en;  1336  (S.  XCV)  wird  als  erster  unter  den  Schoflen 
von  N.J.  aufgezählt:  Spansseymer  scultetus  et  scabinus;  1356  (ebenda): 
Johann  S.,  schultheiss  und  scheffen.     Cf.  auch  S.  495  (1436). 

StÖlzel,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  16 


*2±'2  4«  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

darauf  hin,  dass  zur  Oberhofssitzung  nicht  bloss  die  Scheffen 
der  betheiligten  beiden  Nachbarorte,  sondern  auch  ihre  Schult- 
heisen  herangezogen  wurden  und  diese  dann  als  Scheffen  fun- 
girten  neben  dem  als  Schultheis  des  Sammtkollegs  fungiren- 
den  Schul theisen  desjenigen  Ortes,  an  welchem  gerade  der 
Oberhof  tagte.  Namentlich  die  Verschiedenheit  des  Gerichts- 
sitzes an  den  drei  Orten  (die  Linde  in  Niederingelheim,  der 
Kirchhof  in  Wintersheim  und  das  Scheffenhaus  in  Oberingel- 
heim) lässt  annehmen,  dass  die  älteste  Tagung  die  an  der 
Linde  war,  die  jüngste  die  im  Scheffenhaus.  Das  Gericht 
an  der  Linde  war  das  Urgericht  des  Ingelheimer  Grun- 
des. Erst  im  Laufe  der  Zeit  gewann  Winternheim  und  dann 
Oberingelheim,  damit  aber  zugleich  Niederingelheim  je  ein 
besonderes  Ortsgericht.  Der  Bau  des  Scheffenhauses  zu 
Oberingelheim  galt  dem  neugegründeten  Oberhof  der  drei 
Orte.  Der  Oberhof  Ingelheim  diente  dann  nicht  bloss  „dem 
Reiche",  sondern  auch  entfernteren  Lokalgerichten  „ausserhalb 
des  Reichs".  Grundsätzlich  wurde  der  Oberhofsspruch  den 
anfragenden  Scheffen  in  einer  Ausfertigung  alsbald  mit  auf 
den  Weg  gegeben;  nur  ausnahmsweise  musste  er  später  ab- 
geholt werden.1)  Wie  anfangs  in  Magdeburg  nimmt  der 
Spruch  des  Oberhofs,  solange  mündlich  verfahren  wird,  das 
in  seinen  Eingang  auf,  was  die  Anfragenden  vor  dem  Ober- 
hof geredet  haben.  Nach  Aufkommen  der  schriftlichen 
Anfragen  verfahrt  der  Oberhof  ebenso  mit  den  eingereichten 
„Zeddeln4*  (d.  h.  den  Schriftsätzen). 

In  der  Zeit  von  1436  bis  1464  bildet  sich  die  Sitte,  dass 
eine  Sache  liegen  bleibt;  4  bis  7  Urtheile  fallen  auf  eine 
reichlich  besetzte  Sitzung,  meist  weniger;  im  ganzen  Jahre 
1461  werden  nur  5  Sachen  erledigt,  31  (als  höchste  Zahl 
überhaupt  für  ein  Jahr)  im  Jahre  1456,  9  im  Jahre  1440. 
Vom  Jahre  1430  an  wird  es  üblich,  die  von  den  Anfragenden 
eingereichten  Aktenstücke  zurückzugeben.  Ueber  60  Gerichte 
der  Umgegend  holten  in  Ingelheim  ihr  Recht.  Zu  Zeiten 
erschien  das  anfragende  Gericht  (Schultheis  und  Scheffen) 
in  corpore,  um  das  Recht  in  Ingelheim  zu  holen,  in  der  Regel 
erschienen  einige  Scheffen;  dabei  legten  die  in  Ingelheim  Er- 

l)  Lorsch  S.  CXL. 


§  14'     Ausblick  auf  andere  Schöppenstühle.  243 

scheinenden  das  Gelübde  ab,  vorkommenden  Falls  den  her- 
gebrachten Rechtszug  beobachten  und  die  Entscheidung  in 
Ingelheim  einholen  zu  wollen.  Damit  jeder  Scheffe  jeden 
rechtsholenden  Gerichts  dieses  Gelobniss  geleistet  habe, 
wurden  vorzugsweis  die  seit  der  letzten  Rechtseinholung  neu 
eingetretenen  Scheffen  gesandt;  das  geschehene  Gelobniss 
wurde  im  Urtheilsbuch  bemerkt. l)  Eine  technische  Be- 
zeichnung für  das  in  Ingelheim  vereinigte  Scheffenkolleg 
kommt  nur  selten  vor;  es  wird  „Obergericht**,2)  auch  „Ge- 
richt zu  Ingelheim"3)  genannt,  oder  es  wird  gesagt,  dass 
sich  das  Gericht  erster  Instanz,  da  es  der  betreffenden  Sache 
„nicht  weise,"  des  „zu  hofeu  berufen  habe.  Scheffenstuhl 
oder  Oberhof  kommt  nicht  als  Bezeichnung  vor.  Um  den 
Ingelheimer  Scheffen  das  Erscheinen  zur  Sitzung  wünschens- 
werth  zu  machen,  wendete  man  das  sehr  praktische  Mittel 
an,  dass  die  Nichterschienenen  die  Kosten  des  nach  jeder 
Sitzung  stattfindenden  gemeinsamen  Mahles  mitzutragen 
hatten;  als  das  Mittel  im  Anfang  des  siebzehnten  Jahrhunderts 
nicht  mehr  genügend  wirkte,  beschloss  man,  die  Kosten  des 
Mahles  von  den  Nichterschienenen  allein  zu  erheben.4) 

Für  das  Schicksal  des  Ingelheimer  Oberhofs  ist  das  für 
das  Dorf  Kellenbach  (bei  Kirchberg)  1560  ergangene  Weis- 
thum5)  der  Scheffen  zu  Kellenbach  bezeichnend:  „man  hat 
vor  Jahren  hieraus  gen  Ingelheim  appellirt,  ist  nun  aber 
durch  die  Gerichtsherren  abgelegt,  so  soll  man 
„nun  für  (=  an)  sie  appelliren  oder  sich  an  ihnen  erfahren, 
wo  man  hin  appelliren  möge".  Das  bedeutete  den  Beginn  der 
landesherrlichen  rechtsgelehrten  Appellationsinstanz  an  Stelle 
der  oberhoflichen  Rechtsbelehrung.  Damit  hing  dann  auch 
die  Einsetzung  eines  landesherrlichen  Oberschultheisen  als  eines 
gelehrten  Richters  (um  1580)6)  und  die  Zurückdrängung 
der  Scheffen  von  der  Entscheidung  in  Civilstreitigkeiten  zu- 

J)  N.  N.  „haint  gelobt  nach  aldem  herkommen",  oder  N.  N.  „promisit". 

2)  Lorsch  S.  102. 

*;  Lorsch  S.  127,  169,  214,  352. 

*)  Lorsch  XCVHI.  S.  531. 

•)  Grimm,  Weisthumer  Bd.  2  S.  143. 

«)  Lorsch  CXXI. 

16* 


244  4-  Buch.     Entwicklung-  der  Organisation. 

samraen;  die  Theilnahme  an  Akten  der  freiwilligen  Gerichts- 
barkeit und  an  „Freveltheidungen"  wurde  ihr  Arbeitsfeld; 
der  Oberhof  hatte  aufgehört  zu  existiren;  er  war  durch  eine 
pfalzgräfliche  Appellationsinstanz  ersetzt. 

Der  nämlichen  Periode  der  Geschichte  unserer  Oberhöfe 
gehören  die  Einzelnachrichten  an,  welche  sich  über  Sprüche 
ergeben,  die  von  den  Reichsstädten  Gelnhausen  und 
Wimpfen  nach  süddeutschen  mit  deren  Recht  bewidmeten 
Städten  ergingen;1)  diese  Sprüche  stammen  aus  dem  fünf- 
zehnten und  den  ersten  Jahrzehnten  des  sechzehnten  Jahr- 
hunderts. Hier  erscheint  noch  um  die  Mitte  des  fünfzehnten 
Jahrhunderts  der  Hauskomthur  von  Mergentheim  (der  den 
Richter  abgiebt)  mit  fünf  Schöffen  persönlich  in  Gelnhausen, 
um  seine  Anfrage  zu  stellen;  weil  das  Gericht  erster  Instanz 
„sich  der  Urtheii  auf  das  Mal  nicht  verstanden",  weist  es 
die  vor  ihm  verhandelte  Sache  nach  Gelnhausen;  die  sämmt- 
lichen  Parteiverhandlungen  nebst  den  Zeugenaussagen  und 
dem  Oberhofsspruch  legt  1451  das  Gericht  Mergentheim  in 
seinem  Stadtbuch  nieder.  Interessant  ist,  dass  141 5  König 
Siegmund  auf  Bitte  der  Stadt  Mergentheim,  weil  Gelnhausen 
zu  entfernt  liege,  Wimpfen  statt  Gelnhausen  als  die  Stadt 
bestimmt,  bei  welcher  Mergentheim  Recht  holen  und  „deren 
Rechte  und  Freiheiten  sie  fürbass  gebrauchen  soll",  dass 
aber  gleichwohl,  wie  oben  gezeigt,  die  Mergentheimer  einige 
Jahre  später  Rechtsbelehrung  in  Gelnhausen  erbitten,  ^wo 
wir  dan  urtheii  pflegen  zu  holen". 

Ein  anderes  Bild  ergeben  die  Mittheilungen,  die  Thomas 
über  den  Frankfurter  Oberhof2)  macht.  Die  Scheffen  zu 
Frankfurt,  der  Hauptstadt  von  Rheinfranken,  sassen  nicht 
bloss  zu  Stadtgericht,  sondern  auch  zu  Reichsgericht.  Aus 
der  letzteren  Eigenschaft  des  Gerichts,  entwickelte  sich  die 
Oberhofsthätigkeit.  Ihr  scheint  aber  nach  den  Auszügen 
aus  den  Frankfurter  Gerichtsbüchern  eine  andere  Thätigkeit 
vorangegangen  zu  sein:  die  der  Stadt  Frankfurt  ertheilteo 
kaiserlichen    „Gnaden    und  Freiheiten"3)    müssen    dahin   ge- 

l)  R.  Schröder,  Oberrheinische  Stadtrechte,  herausgegeben  von  der 
badischen  historischen  Kommission,  1.  Abthlg.,  3.  und  3.  Heft. 

2j  Thomas,  Der  Oberhof  zu  Frankfurt  a.  M.    1841.       3)  Thomas  S.  562. 


§  14.     Ausblick  auf  andere  Sehöppenstühle.  245 

gangen  sein,  dass  vor  den  Frankfurter  Scheffen  die  Ein- 
wohner Rheinfrankens  überhaupt  ihr  Recht  nehmen  konnten; l) 
denn  laut  des  Gerichtsbuchs  erscheinen  überallher  aus  der 
Umgegend  die  Parteien  persönlich  „vor  des  Reiches  Gericht" 
und  verhandeln  dort;  die  Scheffen  „weisen"  dann  „mit  Ur- 
theilu.  So  erklärt  sich,  dass  diese  Urtheile  nicht  etwa,  wie 
in  Ingelheim,  in  einem  besonderen  „Fremdurtheilsbuch", 
sondern  einfach  im  städtischen  Gerichtsbuche  eingetragen 
sind  und  sich  in  nichts  von  den  sonstigen  Einträgen  im  Ge- 
richtsbuch unterscheiden.2)  Erst  in  den  jüngsten  Einträgen 
tritt  vereinzelt  eine  Spur  auf,  dass  die  betreffende  Prozess- 
sache bei  einem  Dorfgericht  der  Umgegend  anhängig3)  und 
von  diesem  Gericht  nach  Frankfurt  gewiesen  war.  Ueber 
ein  etwaiges  besonders  beim  Oberhof  Frankfurt  eingehaltenes 
Verfahren  sind  also  Belehrungen  aus  Thomas'  Oberhof  nicht 
zu  entnehmen.  , 

r 

V 

Denselben  Charakter  wie  die  Thätigkeit  der  Scheffen 
zu  Frankfurt  scheint  die  der  Scheffen  zu  Aachen4)  gehabt 
zu  haben.  Hier  ist  von  Aktenmaterial  nichts  erhalten  als 
vier  wahrscheinlich  im  Jahre  1602  entstandene  Register  zu 
vier  Bänden  einer  nicht  mehr  vorhandenen  Urtheilssammlung 
von  1415  bis  1425,  1503  bis  1517,  1531  bis  1539,  1559  bis 
1602  mit  einem  Verzeichniss  der  rechtsuchenden  Orte.  Dar- 
aus ergiebt  sich  immerhin  soviel,  dass  es  sich  um  Orte  und 
Herrschaften  reichsunmittelbarer  geistlicher  Anstalten  han- 
delte, denen  Königsgut  geschenkt  war,  daneben  um  Städte, 
die  aus  königlichen  Villen  entstanden,  aber  auch  um  einzelne 
Städte,  die  mit  Aachener  Recht  bewidmet  waren.  Bei  man- 
chen, schon  früh  nicht  mehr  reichsunmittelbaren,  sondern 
einer  Lehns-  oder  Landeshoheit  unterworfenen  Herrschaften 
war    der  Gerichtsverband    mit  Aachen    der    letzte  Rest    der 


1)  Einen    Streit    über    die    Zuständigkeit    betr.    das    „kaiserl.   heilige 
beimlige  wesfphäl.  Oberstgerichte  zu  Dortmund"  s.  Thomas  S.  568  (1466). 

2)  Thomas  S.  521  ff. 

3)  Sulzbach,    Thomas   S.  549  (1405);    Seckbach  S.  562  (1449).     Vergl. 
auch  S.  559  (1443). 

*)  Fr.  Haagen,  Gesch.  Aachens.  Aachen  Bd.  1  1873,  2.  Beilage:  Ueber 
den  Aachener  Schöffenstuhl  als  Oberhof  von  H.  Loersch,  S.  347  ff. 


*24(»  4«  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

Reichsunmittelbarkeit ;  erst  im  sechzehnten  Jahrhundert  störte 
die  voll  entwickelte  Landeshoheit  den  Rechtszug  nach  Aachen, 
während  umgekehrt  anderthalb  Jahrhunderte  früher  Kaiser 
Karl  IV.  (1356)  den  Aachener  Schöffenstuhl  als  Oberhof 
„aller  Städte  und  Ortschaften  diesseits  der  Alpen"  hingestellt 
und  bei  Strafe  den  Landesherren  verboten  hatte,  diesen 
Rechtszug  zu  hindern.1) 

In  frühe  Zeit  ragt  ferner  der  aus  dem  uralten  Berggericht 
zu  Halle,  genannt  „Schultheis  und  Schoppen  des  weltlichen 
Gerichts  auf  dem  Berge  vor  dem  Roland u  erwachsene 
Schöppenstuhl  zu  Halle,2)  der  —  neben  der  dort  seit  Grün- 
dung der  Universität  (1694)  bestehenden  Juristenfakultät  — 
Rechtsbelehrung  ertheilte. 3)  Er  befasste  sich  anfänglich 
(13 15)  nur  mit  Civilsachen. 4)  Im  Jahre  1541  errichteten  die 
Schoppen  aus  eigener  Machtvollkommenheit  eine  Schöppen- 
ordnung.  Sie  bestimmte,  „damit  destomehr  freundlicher» 
guter  Wille  und  Korrespondenz  zwischen  den  Schoppen  ge- 
pflanzt und  fortgesetzt  werde*,  dass  das  Jahr  über  „drei 
Convivia  aus  dem  Frosche"  gehalten  werden  und  dabei,  wie 
gebräuchlich,  „etwas  von  Zucker"  einem  jeden  Schoppen  zu 
Abend  mit  zu  Hause  zugestellt  werde,  und  dass  die  Schop- 
pen, deren  Zahl  man  auf  11,  darunter  mindestens  6,  „die 
studirt  und  rechtsverständig  sind",  festsetzte,  die  Urtel 
besten  Verstandes  fassen  helfen,  auch  derwegen  „sich  freund- 
lich mit  einander  vereinigen  *  sollen.  Bereits  1497  stand  ein 
Dr.  jur.  an  ihrer  Spitze;  1543  sass  kein  Doktor  im  Schöppen- 
stuhle,  1558  waren  unter  sechs  Mitgliedern  zwei  Doktoren, 
!5Ö3  vier.    Den  Gerichtsschreiber  wählten  die  Schoppen;  von 


1)  Michelsen,  Oberhof  Lübeck  S.  11.  Haagen,  Gesch.  Aachens  Bd.  1 
S.  291. 

2)  Stölzel,  Gel.  Richterthum  I,  281  ff.  und  die  dort  Citirten;  bes.  Drey- 
haupt,  Saalkreis.  Vergl.  auch  Acta  des  OLG.  Naumburg,  betr.  den  Schöp- 
penstuhl zu  Halle. 

3)  Auch  in  Wittenberg  und  Jena  bestand  neben  der  Juristenfakultät 
ein  Schöppenstuhl  als  Spruchbehörde,  er  war  aber  in  Wittenberg  seit 
Errichtung  des  Hofgerichts  identisch  mit  diesem,  weil  die  HofgerichtsrSthe 
im  Schöppenstuhl  sassen.  Ztschr.  der  Sav.Stiftung  Bd.  7  Abth.  2  S.  89  ff. 
Dreyhaupt,  Beschreibung  des  Saalkreises  Bd.  2  S  449. 

*)  Ztschr.  der  Sav.Stiftung  a.  a.  O.  S.  101. 


§   14-     Ausblick  auf  andere  Schöppenstühle.  047 

jedem  bürgerlichen  Unheil  erhielt  er  i  Gr.,  von  jedem  pein- 
lichen 2  Gr.  Den  Schoppen  fiel  das  „Urtheilsgeld"  zu,  das 
einer  von  ihnen  (der  Kämmerer  oder  Einsammler)  einzog  und 
vierteljährlich  vertheilte.  Am  Markte  stand  das  Schoppen - 
haus,  das  1563  niedergerissen  und  durch  ein  neues  ersetzt 
wurde.  Nach  der  Ordnung  von  1584  „sollen  es  acht  Personen 
und  unter  denselben  etzliche  aus  den  (fürstl.)  Hofräthen  sein,  alle 
der  Geschicklichkeit,  dass  sie,  was  billig  und  Recht,  erkennen 
können",  insonderheit  „sollen  die  Doctores  oder  Licenciati 
die  Urteil  Wechsel  weis  concipiren,  welche  der  Gerichts- 
schreiber wiederumb  abschreiben  und  die  Doctores,  ehe  die 
Urthel  versiegelt,  wiederum  revidiren  lassen  soll".  Zum  Zei- 
chen, dass  eine  neue  Zeit  angebrochen  war,  änderte  man  da- 
mals das  „weltliche  Gericht  auf  dem  Berge  vor  dem  Ro- 
lande*4 in  die  „Fürstlich  Magdeburgischen  Schoppen  zu  Halle* 
um.  Im  Anschlüsse  hieran  wurde  1586  den  Ständen,  Be- 
amten, Städten  und  Unterthanen  geboten,  sich  nicht  bei  aus- 
wärtigen Universitäten  und  Schöppenstühlen,  sondern  nur  bei 
den  renovirten  Schöppenstühlen  in  Halle  und  Magdeburg  Be- 
lehrung zu  holen.  Wenige  Jahre  später  (1598)  sassen  acht 
Graduirte  im  Hallenser  Stuhl,  seit  1600  fast  ausschliesslich 
Doktoren,  bis  diese  mit  dem  achtzehnten  Jahrhundert  seltener 
wurden  und  1750  auf  einen  herabsanken.  Gegen  Ende  des 
siebzehnten  und  wiederholt  am  Anfange  des  achtzehnten 
Jahrhunderts  setzten  sogar  die  Hallenser  Schoppen  den  Be- 
fehl durch,  dass  von  den  Untergerichten  aus  dem  Herzog- 
thum  Magdeburg  die  Kriminalakten  und  zum  ersten  Male  in 
civilibus  die  Akten  an  den  Schöppenstuhl  oder  die  Fakultät 
zu  Halle  verschickt  würden. 

Der  Schöppenstuhl  erhielt  sich  über  das  Verbot  der 
Aktenversendung  hinaus,  das  für  Preussen  im  Jahre  1746 
erging.  Die  Schoppen  wurden  damals  (1750)  vom  Könige 
ernannt,  erhielten  Bestallungspatente  und  galten  als  fürstliche 
Räthe  und  Diener.1)  Auch  nach  der  Neuorganisation  durch 
die  Preuss.  Allg.  Gerichtsordnung  und  nach  der  französischen 
Zeit,  ja  nach  dem  Jahre  1849  war  der  Schöppenstuhl  noch 
als  Spruchbehörde  für  die  benachbarten  kleineren  deutschen 

')  Dreyhaupt  a.  a.  O.  Bd.  2  S.  450,  451. 


1 


248  4*  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

Fürstenthümer,  erst  in  der  Besetzung  von  sechs,  dann  von 
vier  und  schliesslich  von  drei  Mitgliedern  thätig.  Als  im 
Jahre  1858  seine  Aufhebung  in  Frage  kam  und  der  Schöppen- 
stuhl  bat,  ihn  fortbestehen  zu  lassen,  verfügte  der  Justiz- 
minister, es  solle  „im  Vertrauen,  dass  die  Lebenszeichen  des 
Kgl.  Schöppenstuhls"  nicht  bloss,  wie  seit  längerer  Zeit,  in  Be- 
schwerden über  Verzögerungen  der  demselben  zugewiesenen 
Geschäfte  erkennbar  sein  würden,  von  der  Aufhebung  zur 
Zeit  noch  abgesehen  werden",  im  Jahre  -1863  erfolgte  dann 
aber  doch  die  Aufhebung,  „nachdem  nunmehr  seit  fast  zwei 
Jahren  die  Stelle  des  Dirigenten  in  Folge  des  Ablebens  des 
Geh.  Ober-Reg.-Rathes  Dr.  Pernice  erledigt  und  es  den  Mit- 
gliedern (Justizrath  Dr.  Dryander  und  Patrimoniallandrichter 
Cäsar)  nicht  gelungen  sei,  eine  andere  geeignete  Persönlichkeit 
für  das  Amt  des  Dirigenten  zu  ermitteln".  Akten  und 
Bibliothek  gingen  (mit  Ausnahme  der  an  die  Universität 
abgegebenen  alten  Drucke,  sechs  alter  Stadtbücher  Halles 
von  1266  bis  15 19  und  einer  Pergamenthandschrift  des 
Sachsenspiegels)  auf  das  Appellationsgericht  Naumburg  über, 
das  die  Akten  bis  auf  ganz  geringe  Reste  als  werthlos  ver- 
nichten Hess. 

Der  im  Jahre  1432  für  Kursachsen  durch  landesherrliche 
Verordnung  *)  an  die  Stelle  des  Oberhofes  Magdeburg  gesetzte, 
mit  dem  sechzehnten  Jahrhundert  zu  besonderem  Ansehen 
gelangte  Schöppenstuhl  zu  Leipzig2)  ist  bis  zu  seinem 
Ursprung  wegen  fehlenden  Materials  nicht  zu  verfolgen,  eine 
alte,  leider  undatirte  Schöppenordnung,  die  in  einer  vor  1574 
gefertigten  Abschrift  vorliegt,3)  ergiebt  aber  Folgendes  mit 
Sicherheit:  Die  Schoppen,  deren  sechs  stetiglich  im  Schöp- 
penstuel  sein  sollten,  erwählten  nach  altem  Herkommen,  „so 
oft  es  not,  das  sich  ein  Schöppenstuel  verledigt,  einen  an- 
dern aus  den  dreien  Reten";  den  Erwählten  bestätigte  der 
Rath,  und  die  Schoppen  hatten  dann  in  der  „Schöppenstube* 


')  Stölzel,  Gel.  Richterthuiii   I,  294.     Schröder,  Deutsche  Rechtsgesch. 
2.  Aufl.  S.  812. 

2)  Ueher  ihn  Distel  in  der  Ztschr.  der  Savigny-Stiftung  Bd.  7  Abth.  2 
S.  89  ff.;  Bd.  10  Abth.  2  S.  63  ff. 

3)  Abgedruckt  Ztschr.  der  Sav.St.  Bd.  7  Abth.  2  S.  111. 


§  14-     Ausblick  auf  andere  Schöppenstühle.  249 

(im  Sommer  von  Morgens  7,  im  Winter  von  8  Uhr)  die 
Sachen  der  Bürger  oder  andere  fremde  Sachen,  so  an  den 
Schöppenstuhl  zu  versprechen  geschickt  (worden  sind), 
abzufertigen;  einer  der  ältesten  nicht  regierenden  Bürger- 
meister war  als  „Schöppenmeister"  ermächtigt,  die  Schoppen 
„in  Sachen  das  Gericht  oder  (den)  schoppenstuel  belan- 
gende" zu  heischen.  Die  Abfassung  dieser  Ordnung  fallt 
nach  Distel  sicher  vor  15 18,  vielleicht  noch  in  das  15.  Jahr- 
hundert. Sie  ist  von  Bedeutung,  weil  sie  (gleich  dem  Ingel- 
heimer Material)  die  fremden  Sachen  als  etwas  Besonderes 
heraushebt  und  von  einer  Zeit  Kunde  giebt,  in  der  die  Er- 
theilung  von  Rechtsbelehrung  an  Fremde  (ähnlich,  wie  in 
Frankfurt)  nichts  Anderes  war,  als  ein  Theil  der  Thätigkeit, 
die  dem  Stadtgericht  als  solchem  oblag;  das  Stadtgericht 
für  die  Leipziger  Bürger  und  der  Oberhof  für  Fremde  waren 
eins.  Dabei  ist  zu  beachten,  dass  das  Wort  Schoppenstuel 
in  der  Urkunde  eine  wechselnde  Bedeutung  hat.  Zunächst 
ist  davon  die  Rede,  dass  sechs  Schoppen  „im  Schoppen- 
stuel" sind;  hier  wird  die  Gesammtheit  der  Schoppen  als 
„Schoppenstuel"  bezeichnet;  alsbald  ist  aber  davon  die  Rede, 
dass  „ein  Schoppenstuel"  sich  erledige,  mit  Schoppenstuel  ist 
hier  der  von  einem  Schoppen  innegehabte  einzelne  Stuhl  ge- 
meint; dann  heisst  es  wieder,  dass  fremde  Sachen  „an  den 
Schöppenstuhl"  verschickt  würden,  und  endlich  sollen  die 
Schoppen  in  Sachen,  die  „das  Gericht  oder  Schoppenstuel" 
belangen",  geheischt  werden,  was  auf  den  vorher  zwischen 
Bürger  und  Fremden  gemachten  Unterschied  hindeutet  und 
bereits  den  allmählich  sich  herausbildenden  Gegensatz  zwi- 
schen „Gericht"  und  „Schoppenstuel",  damit  aber  zugleich 
im  Keime  den  Gegensatz  zwischen  Gerichts-  und  Schöppen- 
stuhlssachen  enthält.  Jedenfalls  bietet  die  Urkunde  einen  siche- 
ren Beleg,  dass  es  in  Leipzig  eine  Periode  gab,  in  welcher 
die  Oberhofsthätigkeit  Sache  des  Stadtgerichts  war.  An 
sonstigen  Nachrichten  vom  Leipziger  Schöppenstuhl  sind  aus 
dem  vierzehnten  und  fünfzehnten  Jahrhundert  wenig  und  an 

l)  Vergl.  Stobbe,  Rechtsquellen  I,  2  S.  71.  Distel,  Zur  älteren  Gesch. 
des  Leipz.  Schöppenstuhls  in  der  Ztschr.  der  Sav. Stiftung  Bd.  7  Germ.- 
Abth.  S.  1  ff. 


250  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

Spruchausfertigungen  nur  vereinzelte  aus  der  zweiten  Hälfte 
des  fünfzehnten  Jahrhunderts  erhalten.  Es  ergiebt  sich,  dass 
zuerst  das  gelehrte  Element  mit  dem  bereits  1451  genannten 
mag.  artium,  in  decr.  bacc,  syndicus  et  procuratur  .  .  .  opidi 
Lips.,  dem  Stadtschreiber,  späteren  Ordinarius  der  Juristen- 
fakultät und  kurf.  Kanzler  Scheybe  auftaucht,  der  auch  in 
Schöppensachen  thätig  war.  Zu  seiner  Zeit  kamen  bereits 
Sprüche  vor,  die  von  den  Schoppen  gemeinsam  mit  der 
Fakultät  gefällt,  in  der  Schöppenstube  ausgefertigt  und 
allein  mit  dem  Schöppensiegel ,  aber  mit  der  kombinirten 
Unterschrift:  „Doctores  der  Juristenschule  und  Scheppen  zu 
Lipczk"  versehen  waren:  die  doctores  bildeten  den  Schöppen- 
stuhl  im  Verein  mit  den  Schoppen,  denen  sie  aber  an  Rang- 
vorgingen; das  alte  Schöppensiegel  behielt  man  bei  zum 
Zeichen,  dass  das  ganze  Kolleg  nichts  Anderes  sein  sollte 
als  der  alte  Schöppenstuhl ,  dem  die  Doktoren  bei  der 
Rechtsprechung  Hilfe  leisteten.  Auch  dieser  Schöppenstuhl 
suchte  sich  der  Spruch thätigkeit  in  Strafsachen  zu  enthalten. 
Aus  der  Zeit  vor  15 15  liegt  ein  Schreiben  der  Schoppen 
nach  Zwickau  vor,  laut  dessen  sie  „etlicher  Bewegung  wegen 
in  peinlichen  Sachen  nicht  Recht  zu  sprechen  pflegen* 
aber  doch  den  Anfragenden  zu  Willen  ihr  Bedenken  (zu) 
verstehen  geben  wollen14.  Im  Jahre  1515  baten  die  Schoppen 
den  Herzog  Georg,  er  möge  ihnen  das  Sprechen  in  peinlichen 
Sachen  erlassen  (wie  den  Kollegen  zu  Magdeburg  und 
Halle),  ihre  Lust  für  die  peinliche  Rechtsprechung  sei  „gar 
cleyne";1)  dessungeachtet  findet  sich  im  Jahre  15 18  ein  an  den 
Erbsessen  von  Schönfeld  zu  Biberach  gerichteter  Spruch 
über  Zulassung  der  peinlichen  Frage.2) 

Von  1520  an  schlössen  die  Ordinarien  der  Fakultät  mit 
dem  Rathe  Verträge,  nach  denen  sie  sich  unter  Anderm  ver- 
pflichteten, im  Schöppenstuhl  Rath  zu  ertheilen,  und  im  Jahre 
1574  war  der  frühere  Stadt-  und  Schöppenschreiber  sowohl 
Ordinarius  der  Fakultät,  als  Bürgermeister  und  Schöppe. 
Auch  zwei  andere   Fakultätsmitglieder  sollten  seitdem  nach 

J)  Ztschr.  der  Sav.St.  Bd.  7  Abth.  2  S.  101. 
2)  Bd.  2  fol.  33  der  Leipziger  Konzeptbflcher. 


$   14.     Ausbiirk  auf  andere  Schöppenstühle.  2">1 

kurfürstlicher  Anordnung  unter  den  Schoppen  sein.  Die 
sieben  Schoppen  (unter  ihnen  3  Doktoren)  hatten  sich  ins- 
gesammt  als  „des  Churfürsten  zu  Sachsen  verordnete  Schop- 
pen" zu  '  bezeichnen.  Vom  Stadtgericht  Leipzig  ist  dieses 
Kolleg  nunmehr  völlig  losgelöst.  Konzeptbücher  des- 
selben sind  in  Leipzig  noch  vorhanden,  aber  nur  in  unter- 
brochener ;;  Reihenfolge,  nämlich  von  1487  bis  1492,  von 
15 17  bis  1520,  von  1546  bis  1557,  von  1562  bis  1574,  von 
'593  b's  1598,  von  1606  bis  1608,  1619  bis  1622,  1633  bis 
1645,  1656  bis  1666,  1673  bis  1679  u.  s.  w.  bis  zum  Jahre 
x^35.  0  Der  Eingang  der  Sprüche,  der  sich  an  denjenigen 
wendet,  welcher  die  Anfrage  gestellt  hat  und  regelmässig 
erwähnt,  dass  Schriftsätze  mitgeschickt  seien,  ergiebt,  dass 
es  sich  um  Belehrungssprüche  handelt;  sie  gehen  laut  der 
Unterzeichnung  aus  von  den  „Schoppen  zu  Lipzku  und 
bedienen  sich  einfach  der  Formel:  „sprechen  vor  Recht44.  Die 
eingesandten  Akten  scheint  anfänglich  der  Schöppenstuhl 
zurückbehalten  zu  haben;  denn  erst  im  dritten  Bande  (1546 
bis  1562)  taucht  mannigfach  unter  dem  Spruche  die  Bemerkung 
auf:  „acta  sunt  remissau,2)  demnach  brach  sich  erst  in  der 
genannten  Periode  die  Aktenremission  Bahn.  Als  „Urteils- 
geld4* wurden  für  jeden  Spruch  18  Gr.  berechnet;  bei  Klage 
und  Widerklage  verdoppelte  sich  der  Betrag,  bei  drei  Klag- 
stücken verdreifachte  er  sich;  in  Strafsachen  wurden  2  fl. 
beansprucht.3) 

J)  Distel  a.  a.  O.  S.  94  Note  9.  Nach  den  von  mir  durchgesehenen 
ersten  drei  Bänden  enthalten  die  Leipz.  Konzeptbücher  nur  die  Sprüche, 
keine  Anfragen,  keine  gerichtlichen  Akten,  im  dritten  Band  einige  Voten  eines 
Schoppen;  sie  bieten  also  wohl  weniger  Material,  das  gesammte  Verfahren 
des  Schöppenstuhls  kennen  zu  lernen,  als  die  Brandenburger  Schöppen- 
stuhlsakten.  Die  Ginrichtung  scheint  gewesen  zu  sein,  dass  anfänglich  die 
Schöppenschreiber  die  gefällten  Spruchreinschriften  für  den  Schöppenstuhl 
in  ein  Buch  abschrieben,  nachher  die  Schoppen  selbst  ihre  Spruchentwürfe 
in  einem  Buche  niederlegten,  Spruch  hinter  Spruch,  je  mit  der  Ueber- 
schrift,  wer  den  Spruch  erbeten  (z.  B.  „Ad  requisitionem  des  .  .  .  Abts  des 
Klosters  in  Sant  Jorgenthal"  Bd.  1   fol.  12). 

2)  Z.  B.  Bd.  3  fol.  iv  (1546);  fol.  146  (1551h 

8)  3.  Bd.  1550  fol.  1 1 8 v ;  1555  fol.  274  v.  Von  diesem  L'rteil,  „dieweil 
es  peinlich,  gebührten  uns  2  fl.,  wollet  uns  demenach  noch  1  Thaler  zu  den 
uns  übersandten   18  gr.   zuschicken."    Vgl.   auch  3.  Bd.  fol.  2.    ,,  Die  weil   dis 


25*2  4-   Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

Ein  zufolge  der  Verbreitung  seines  Stadtrechts  berühmt 
gewordener  Oberhof  ist  der  des  Raths  zu  Lübeck.1) 
Es  sind  329  Urtheile  desselben  aus  der  Zeit  von  1455  b*s 
15 12  in  einem  Sammelband  von  118  Pergamentblättern  er- 
halten,2) nicht  im  Originale,  sondern  in  einer  Abschrift, 
die  ein  Lübecker  Kanonikus  und  Raths  -  Protonotar  seinem 
Kollegen,  einem  Magister  und  beider  Rechte  Licentiaten, 
dem  Lübecker  ersten  Rathsschreiber,  gewidmet  hat.  Diese 
Urtheile  ergeben,  dass  der  Lübecker  Rath  grundsatzlich 
Rechtsfragen  vor  gefälltem  erstinstanzlichen  Urtheil  nicht  be- 
antwortete, sondern  nur  über  erstinstanzliche  Urtheile  in 
zweiter  Instanz  erkannte.  Solches  geschah  ursprünglich  auf 
persönliches  Erscheinen  eines  Schoppen  erster  Instanz,  dann 
wurde  in  Lübeck  Termin  zur  persönlichen  Verhandlung  der 
Parteien  angesetzt;  später  geschah  es  auf  schriftlichen,  von 
einem  Boten  der  ersten  Instanz  überbrachten  Bericht.  Weit 
entfernte  Städte,  wie  Elbing  und  Reval  —  aus  letzterer  Stadt 
sind  die  meisten  Urtheile  erbeten  —  verhandelten  nur  schrift- 
lich, jedoch  beruhte  dies  auf  „besonderer  Gunst  und  Will- 
fährigkeitu.  Im  Verlauf  des  sechzehnten  Jahrhunderts  kam 
die  Einsendung  der  erstinstanzlichen  Akten  auf.3)  Die  zweite 
Hälfte  und  namentlich  das  Ende  des  sechzehnten  Jahrhunderts 
stellt  die  Zeit  des  Kampfes  der  holsteinschen,  pommerschen, 
schwedischen  und  mecklenburgischen  Justizkanzleien  mit  dem 
Rath  zu  Lübeck  als  Oberhof  dar.  Im  Wesentlichen  erreichte 
der  letztere  mit  dem  Abschlüsse  des  sechzehnten  Jahr- 
hunderts sein  Ende,  wenngleich  noch  1721  der  Rath  zu 
Rostock  einmal  die  Appellation  nach  Lübeck  zuliess. 

Hiernach    bestätigen    die    Magdeburger  wie    die  Frank- 

zwue  sachen  seint,  als  clage  und  widderclage,  so  geburn  uns  auch  davon 
zwei  urteilgeld,  darum  wollet  uns  zu  den  übersandten  18  gr.  noch  18  gr. 
überschicken.  * 

1)  Michelsen,  Oberhof  Lübeck  S.  n,   12. 

2)  Dreyersches  Museum  zu  Lübeck.     Michelsen  S.  19,  20. 

%)  Das  Lübecker  Stadtrecht  von  1586  kennt  den  „Rath  zu  Lübeck* 
als  dritte  Instanz  der  mit  Lübischem  Rechte  bewidmeten  Städte:  erste  In- 
stanz bildet  das  Untergericht  der  bewidmeten  Stadt,  zweite  Instanz 
bildet  der  Rath  dieser  Stadt.  Damit  war  dem  späteren  Oberappellations- 
grricht  zu  Lübeck  der  Weg  geebnet. 


§  14.     Ausblick  auf  andere  Schöppenstöhle.  -J53 

furter  und  auch  wohl  wie  die  Ingelheimer  Sprüche  und  wie  die 
Aachener  Aktenreste  (gegensätzlich  zu  den  Iglauer  und 
Lübecker  Sprüchen),  dass  die  Entstehung  der  Sitte,  Rechts- 
belehrung einzuholen,  einerseits  auf  der  Eigenschaft  des  be- 
fragten Gerichtes  als  Reichsgerichts,  andererseits  als  Mutter- 
stadtgerichtes beruht.1)  Vielleicht  erklärt  sich  daraus,  dass 
allmählich  auch  bei  den  Mutterstädten  nicht  bloss  die  Tochter- 
städte, sondern  ebenso  die  ländlichen  Ortschaften  ringsum 
ihr  Recht  holten,  wie  sie  es  bei  den  reichsgerichtlichen  Ober- 
höfen von  vornherein  zu  holen  befugt  waren. 

Zum  Schlüsse  mag  für  die  bis  an  das  sechzehnte  Jahr- 
hundert heranreichende  ältere  Periode  der  Rechtsbelehrung 
betont  werden,  dass  es  sich  bei  ihr  lediglich  um  ein  auf  ger- 
manischer Grundlage  beruhendes  Institut  handelt.  Daneben 
gab  es  ein  wohl  ebenso  altes  Institut  der  Rechtsbelehrung 
auf  römischer  Grundlage,  nämlich  diejenige  Rechtsbelehrung, 
welche  ausserhalb  der  Gerichte  einzelne  Rechtsgelehrte, 
namentlich  Kleriker  als  „consilium"  auf  Nachsuchen  von  Par- 
teien oder  Schiedsrichtern  ertheilten.2)  Hieraus  erwuchsen 
die  Konsilien  von  Universitätslehrern,  später  von  Fakultäten. 
Dahin  gehört  das  oben  (S.  30)  erwähnte  „Bedenken"  Luthers 
in  der  Jüterboger  Sammlung;  ferner  zwei  in  den  Branden- 
burger Schöppenstuhlsakten  sich  findende  Abschriften  von 
Konsilien  des  Jahres  1541,  deren  eines  Hieronymus  Schurff  von 
Frankfurt  a./O.  über  eine  Frage  des  Testamentrechtes  (ÜB. 
1  109),3)  deren  anderes  (4  39)  der  Berliner  Rathsherr  (oder, 
wie  er  sich  unterzeichnete:  Senatus  Berolicus)  Simon  Melle- 
mann  über  das  Intestaterbrecht  eines  Berliners  und  seiner 
Mutter  am  Nachlasse  des  Sohnes  der  letzteren  ertheilte. 
Auch  die  „observatio  Magistri  Gregorii  Blumen"  von  1593 
wird  als  ein  solches  consilium  zu  betrachten  sein.4) 

*)  Thomas  S.  53.     Michelsen,  Oberhof  Lübeck  S.  8. 

2)  Stölzel,  Gel.  Richterthum  I  §  10.  Als  ältestes  Universitätsgut- 
achten, das  sich  der  Rath  zu  Leipzig  erbat,  nennt  Distel  a.  a.  O.  S.  96 
Note  2  ein  Tübinger  Gutachten  aus  dem  Jahre  1531. 

*)  Das  Gesuch  des  Berliner  Gerichts  um  ein  consilium  lehnt  Schürf 
1553  (5  134)  wegen  Abwesenheit  seines  Gehülfen  Joh.  v.  Borken  ab  (siehe 
oben  Seite  98). 

4)  Siehe  oben  Seite  107. 


254  4«  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

Reiche  Ausbeute  von  älteren  Konsilien  findet  sich  in  den 
bis  zum  Jahre  1000  zurückreichenden  Konsiliensammlungen. l) 
Aus  neuester  Zeit  kommen  hinzu  die  von  Kohler  und  Liese- 
gang veröffentlichten  Gutachten  Kölner  Rechtsgelehrter2) 
aus  dem  vierzehnten  und  fünfzehnten  Jahrhundert,  in  denen 
interessante  Beispiele  geboten  sind,  in  welcher  Weise  bereits 
damals  kanonische  Rechtslehrer  auf  rein  deutsche  Verhältnisse 
römische  und  kanonische  Quellenstellen,  wie  auch  Aus- 
sprüche der  Glossatoren  und  Postglossatoren  anzuwenden  sich 
bestrebten. 

Auf  diese  Konsilienertheilung   römisch-    und  kanonisch- 
rechtlicher Juristen  weist  es  zurück,  wenn  sich  nach  Eindrin 
.  gen  der  fremden  Rechte  die  Bezeichnung  „ Konsulenten u  für 
Private,    Gerichte  und  Beamte  einbürgert,   die  den  Oberhof 
oder  Schöppenstuhl  um  Belehrung  befragen. 

Aus  derjenigen  Rechtsbelehrung,  welche  durch  Ertheilung 
von  Konsilien  erfolgte,  und  aus  derjenigen,  welche  durch 
die  Oberhöfe  geschah,  also  aus  einem  romanistischen  und 
einem  germanistischen  Brauche,  erwuchs  um  die  Mitte  des 
sechzehnten  Jahrhunderts  das  deutsche  Institut  der  Akten- 
versendung, die  nur  insofern  noch  einerseits  an  ihre  fremde, 
andererseits  an  ihre  heimische  Quelle  erinnerte,  als  sie  sich 
bald  an  die  Juristenfakultäten,  bald  an  die  Schöppenstühle 
richtete.3)     Ob  bei  der  Aktenversendung    der  eine  oder  der 

1)  Bethmann  -  Hollweg,  Der  röm.  CPr.  Bd.  5  S.  291.'  Stölzel,  Gel. 
Richterthum   1,  188  ff.;  2,  61  ff.     Stintzing,  Gesch.  der  KWiss.   1,  527  ff. 

2)  Kohler  und  Liesegang,  Das  römische  Recht  am  Niederrhein. 
1896.    1898. 

.  3)  Nur  nebenbei  sei  hier  der  höchstinteressanten,  aber,  wie  es  scheint, 
auch  höchstsingulären  Art  der  Rechtsbelehrung  gedacht,  welche  sich 
zwischen  den  7  Gerichten  des  Breidenbacher  Grundes  (jetzigen  Land- 
gerichts Marburg)  und  den  dort  die  Justiz  verwaltenden  rechtsgelehrten 
Beamten  (anscheinend  seit  dem  Ende  des  sechzehnten  Jahrhunders,  d.  h. 
seit  dem  Uebergang  der  Rechtsprechung  an  die  Gelehrten)  entwickelte. 
Vergl.  StÖlzel,  gel.  Richterthum,  1,  571;  Thudichum,  RGesch.  der  Wetterau; 
E.  Stammler,  das  Recht  des  Breidenb.  Grundes  (in  Gierkes  Unters,  z. 
deutschen  St.  u.  RGesch.  XII  1882).  Hier  holen  sich  nicht  etwa  die 
7  Schöppengerichte  Belehrung  beim  rechtsgelehrten  Beamten,  sondern  der 
Beamte  holt  sie  sich  über  das  Gewohnheitsrecht  („den  Grundsgebrauch-) 
bei  den  Schoppen   desjenigen  Gerichts,    in  dessen  Bezirk  der  Rechtsstreit 


§  14.     Ausblick  auf  andere  Schöppenstühle.  255 

andere  Weg  eingeschlagen  wurde,  war  im  Endziel  dasselbe: 
was  die  Fakultät  sprach,  unterschied  sich  von  dem,  was  der 
Schöppenstuhl  sprach,  weder  in  der  Form,  noch  in  der  Sache. 
Wie  in  der  Anschauung  eines  märkischen  Advokaten  dieser 
Zeit  das  Erbitten  eines  consilium  jurisperiti  und  das  Erbitten 
eines  Schöppenstuhlsspruches  sich  begegnete,  kann  nicht 
besser  veranschaulicht  werden,  als  durch  die  Missive,  mit  der 
sich  1552  (4  395)  ein  Pritzwalker  Bürger,  der  sich  offensicht- 
lich zu  deren  Abfassung  eines  Advokaten  bediente,  nach 
Brandenburg  wendete.  Er  schreibt:  „Nachdem  die  hohen 
und  berühmten  Doctores,  als  Bartolus  und  Baldus,  qui  sunt 
lumina  et  lucernae  juris  et  magistri  veritatis,  treulich  rathen, 

spielt.  Der  Spruch  der  Schoppen  hat  anfänglich  die  Gestalt  eines  Weis- 
thums,  nachher  die  eines  Zeugnisses;  es  wird  deshalb  auch  Attestat 
genannt.  Die  Belehrung  erfolgte  also  nicht  über  das  fremde  gelehrte, 
sondern  über  das  heimische  geübte  Recht.  Das  schliesst  nicht  aus,  dass 
vereinzelt  das  recipirt  fremde  Recht  als  „herkömmliches  Recht"  bescheinigt 
wird,  so  z.  B.  wenn  1592  und  wiederholt  1607  (Stammler  S.  86  No.  3, 
S.  87  No.  6)  „die  Schoppen  auf  Anhalten  einer  Partei  in  Aippellations- 
sachen  berichten,  dass  dieser  Orten  Herkommen,  dass  die  Partei  .  .  . 
zu  appelliren  habe  an  den  fürstlichen  Rentmeister  zu  Blankenstein  .  .  . 
innerhalb  10  Tagen".  Hier  handelt  es  sich  um  eine  auf  Grund  der 
rccipirten  römischrechtlichen  Appellation  und  ihres  Decendium  entstandenen 
Gerichtsgebrauch.  Was  die  Schoppen  „erkennen",  „sprechen**,  „berichten44 
oder  „erklären44,  ist  abschriftlich  (wahrscheinlich  vom  Schreiber  des  herr- 
schaftlichen Beamten)  in  einem  Buche  gesammelt,  das  ein  Analogon  zu  den 
oben  S.  23  besprochenen  „copeilichen  Urtheilsbüchern44  bildet.  Die  in  dem 
Buch  enthaltenen  Sprüche  sind  abgedruckt  bei  Stammler  S.  84  ff.;  sie 
timfassen  die  Zeit  von  1585  bis  1801,  also  die  Zeit,  nachdem  die  Herrschaft 
■des  gelehrten  Rechtes  entschieden  war.  Ungeachtet  dieser  Herrschaft 
erhielten  sich  die  „Grundsgebräuche";  ihrer  Erhaltung  (nicht,  wie  sonst, 
■der  Instruirung  im  neuen  Recht  —  vergl.  oben  S.  30)  diente  das  jetzt  im 
Marburger  Staatsarchiv,  früher  beim  Amtsgericht  Biedenkopf  aufbewahrte 
Buch;  es  ist  begonnen,  als  der  zur  Blüthe  gelangte  Romanismus  den  Grunds- 
gebrauchen  ihren  Untergang  drohte.  Uebrigeos  hat  Stammler  keineswegs 
überall  richtig  gelesen;  wenn  z.  B.  die  No.  6  auf  S.  87  schliesst:  „vor  die 
appellation  muss  appellans  .  .  .  zahlen:  Von  jedem  Unheil  12  Pf,  deren 
appellans  1  urtheil  und  appellant  3  zahlt"  (vergl.  auch  Nr.  3  S.  86  a.  E.), 
so  hat  das  Marb.  Mscr.  richtig  appellat  für  appellant,  und  wenn  S.  76 
No.  7  im  Eingang  davon  die  Rede  ist,  dass  einem  Erben  „wüsten  mit 
Dinst  und  gülden  zugetheilt  werden",  so  redet  hier  das  Marb.  Mscr.  deutlich 
von  „wießen",  die  zugetheilt  werden. 


256  4~  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

dass  man  in  allen  irrigen  Sachen  die  Weisen  und  Rechts- 
verständigen soll  erstlich  besuchen  und  sich  mit  denen  treu- 
lich berathen,  an  expediat,  sibi  litem  moveri;  melius  est  enim 
ante  tempus  occurrere,  quam  post  causam  vulneratam  reme- 
dium  quaerere,  et  ut  dicit  Baldus,  quod  sicuti  midieres  et 
rustici  vadunt  ad  silvam  pro  lignis  et  ad  civitatem  pro  indul- 
gentiis,  ita  etiam  debuit  ire  pro  consiliis  habendis,  dieweit 
aber  nun  alhier  in  der  Mark  zu  Brandenburg  fast  (=  sehr) 
gebräuchlich  und  üblich,  dass  man  in  irrigen  Sachen 
Belehrung  oder  Urtel  von  Euer  Gunsten  lässt  holen  .  .  .f  ist 
deshalb  unsere  freundliche  Bitte,  Euer  Gunsten  wolle  uns  in 
dieser  Sache  zu  Unterricht,  Belehrung  oder,  wie  man  es 
nennt,  ein  Beiurtheil  oder  Endurtheil  geben.- 

Dies  Aktenstück  führt  in  die  Blüthezeit  des  Branden- 
burger Schöppenstuhls.  Um  sie  zu  verstehen,  .haben  wir  uns 
erst  mit  der  Vorgeschichte  dieses  Schöppenstuhls  bis  in  das 
zweite    Viertel    des    sechzehnten    Jahrhunderts    vertraut    zu 

machen. 

§  15. 

Vorgeschichte  des  Schöppenstuhls  beider  Städte 

Brandenburg  (1232  bis  1432). 

Die  Grundlage  des  altdeutschen  Brauches,  dass  das  eine 
Gericht  beim  anderen  Belehrung  suchte,  war  der  andere  alt- 
deutsche Brauch,  dass  die  eine  Stadt  mit  dem  Rechte  der  anderen 
sich  bewidmen  Hess.  Nicht  das  Land  bildete  eine  politische 
Einheit,  sondern  die  Stadt.  Entstand  eine  solche  neue  politische 
Einheit,  so  lehnte  sie  sich  an  eine  ältere  gleiche  politische 
Einheit  an;  auf  die  jüngere  Stadt  übertrug  man  der  älteren 
Einrichtungen,  wie  deren  Verwaltungs-  und  Rechtsgrundsätze. 
So  erwuchsen  Mutter-,  Tochter-  und  Enkelstädte  in  fort- 
gesetzter Stufenleiter.  Brandenburg  war  Tochterstadt  von 
Magdeburg,  ebenso  Stendal.  Als  älteste  Tochterstadt  Branden- 
burgs und  damit  als  älteste  märkische  Enkelstadt  Magde- 
burgs wird  urkundlich  1232  Spandau  genannt.  Die  askani- 
schen  Herren  der  Mark,  die  Markgrafen  Johann  I.  und 
Otto  III.,  verkündeten  damals:  „civitas  nostra  Spandow  jura 
sua  in  Brandenburg  afferat  universau  und  weiter:  „omnes  de 
terra  Teltowe  et  omnes  de  Ghelin  nee  non  et  omnes  de  nova 


§  15.   Vorgeschichte  d.  Schöppenstuhls  beider  Städte  Brandenbg.       257 

terra  nostra  Barnem  jura  sua  ibidem  accipiant;"  {)  zum  Rechts- 
holen ist  mithin  das  Land  um  Spandau  (Teltow,  Glyn  und 
Barnim)  nach  Spandau  und  es  ist  Spandau  nach  Brandenburg 
verwiesen;  die  Schoppen  zu  Brandenburg  müssen  demnach 
bereits  1232  Belehrung  ertheilt,  d.  h.  eine  Oberhofsthätigkeit 
entwickelt  haben.  Der  Schöppenstuhl  zu  Brandenburg  lässt 
sich  so  als  Oberhof  bis  zum  Jahre  1232  zurückverfolgen,2) 
d.  h.  genau  um  zwei  Jahrhunderte  weiter  zurück,  als  seine 
uns  erhaltenen  Akten  beginnen.  Gleich  Spandau  war  Berlin 
Tochterstadt  von  Brandenburg,  Frankfurt  a.  O.  aber  war 
wieder  Tochterstadt  von  Berlin. 3)  Stendalsches  Recht  erhielten 
dagegen  1238  Ky ritz,  1248  Wittstock,  13 15  Neuruppin.  Dabei 
wurde  der  Stadt  Wittstock  ausdrücklich  die  Wahl  gelassen, 
sich  nach  Stendal  oder  unmittelbar  nach  Magdeburg  zu  wenden. 
Aehnlich  war  Salzwedel  der  Oberhof  der  benachbarten  Klein- 
städte. Brandenburg,  Stendal  und  Salzwedel  standen  sich  also 
als  Tochterstädte  Magdeburgs  und  als  Mutterstädte  ihrer 
märkischen  Nachbarstädte  gleich.  Von  Stendal  wurde  das 
mecklenburgische  Friedland  und  von  Brandenburg  das  meck- 
lenburgische Neubrandenburg  bewidmet.4)  Nach  der  Ver- 
fassung Stendals  von  1345  behielt  die  Stadt  Magdeburger 
Stadtrecht  und  holte  ihre  Rechtsbelehrungen  auch  ferner 
beim  Magdeburger  Schöppenstuhle.  Niemand  sollte  aber 
bei  Strafe  von  10  Mark  mit  Umgehung  der  Stendaler  Schop- 
pen sein  Recht  direkt  von  Magdeburg  holen.5) 

Nicht  bloss  die  angesehene  Mutterstadt  Magdeburg 
spannte  hiernach  ihr  Oberhofsnetz  über  die  territorialen 
Grenzen  hinaus,  sondern  ebenso  die  minderangesehenen 
Tochterstädte.  Aber  ein  sehr  natürliches  Bestreben  der  Lan- 
desherren,   die   sich    ihre  Städte  unterthan  machen  wollten, 

1)  Riedel  cd.  1,11  S.  1.  Vollständig;  ist  die  Urkunde  übrigens  auch 
abgedruckt  bei  Dilschmann,  Diplom.  Gesch.  v.  Spandau,  Berlin  1785  S.  131. 

2)  Vergl.  v.  Mar  ritz,  Ehel.  Güterrecht  S.  24. 

3)  v.  Kamptz  in  Matthis  Jur.  Monatsschr.  §§  9  ff.  Gaupp,  Das  alte 
magdeb.  und  hall.  Recht  S.  4.  47. 

4)  Hymmen,  Beiträge  zu  der  jur.  Liter.  I,  214.  v.  Kamptz  a.  a.  O. 
S.  40  ff.  Götze,  Gesch.  der  Stadt  Stendal  1873  S.  73.  —  Ueber  ähnliche 
Oberhofsnetze  in  Hessen  s.  Stölzel,  Gelehrtes  Richterthum  I,  212  ff. 

6)  Götze  a.  a.  O.  S.  142.  146. 

Stölzel,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  17 


258  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

musste  dahin  führen,  die  alten  Oberhofsnetze  zu  zerreissen 
und  an  Stelle  eines  etwaigen  auswärtigen  Centraloberhofs 
das  Gericht  der  territorialen  Hauptstadt  als  Oberhof  zu  setzen, 
auch  die  Stufenleiter  der  verschiedenen  Oberhöfe  zu  beseiti- 
gen und  einfach  jedes  Gericht  des  Landes  unmittelbar  dem 
Gerichte  der  Hauptstadt  zu  unterstellen. 

Ein  frühestes  Beispiel  solcher  Loslösung  seines  Landes 
vom  Oberhof  Magdeburg  bietet  1299  der  Ausschluss  des 
Rechtszuges  nach  Magdeburg  durch  einen  schlesischen 
Herzog. l) 

Ob  in  der  Mark  den  ältesten  landesherrlichen  Erlassen, 
die  den  Brandenburger  Schöppenstuhl  betrafen,  auch  als 
Hauptziel  vorschwebte,  die  Mark  dem  Einflüsse  Magdeburgs 
zu  entziehen,  oder  ob  mehr  die  Tendenz  obwaltete,  Branden- 
burg über  alle  anderen  märkischen  Städte  zu  erheben,  kann 
zweifelhaft  sein.  Diese  ältesten  Erlasse  sind  die  drei  mark- 
gräflichen Privilegien  von  13 15  und  1324, 2)  in  denen  die  Bran- 
denburger selbst  stets  die  Grundlagen  des  Ansehens  ihres 
Schöppenstuhls  erblickten;  sie  sind  die  wichtigsten  Urkunden 
für  die  Entstehung  des  „Schöppenstuhls  beider  Städte  Bran- 
denburg44. 

Zum  Verständniss  dieser  viel  angeführten,  aber  noch 
keineswegs  genügend  erörterten  Urkunden  dient  wesentlich 
die  Territorialgeschichte  der  Zeit  im  Zusammenhalt  mit  der 
Sonderstellung,  welche  die  Marken  und  —  gegensätzlich  zu 
allen  anderen  Grafen  und  Beamten  des  Reichs  —  die  Mark- 
grafen einnahmen. 

Der  Markgraf  „dingt"  (nach  dem  Sachsenspiegel  III,  65 
§  1)  „bei  seines  selbst  hulden,  und  so  jemand  von  des  mark- 
grafen  wegen  ichts  richtet  oder  thut,  desselbig  thut  der 
markgraf  selbs4t.  Das  will  bedeuten,  dass  der  Markgraf  nicht 
bei  des  Reiches  Huld,  nicht  unter  Königsbann  dingt,3)  also 
dass  der  Markgraf  in  seiner  Mark  selbständiger  Gerichtsherr 
ist,  wie  der  König  in  den  anderen  Theilen  des  Reichs.     Nur 

*)  Michelsen,  Oberhof  Lübeck  S.  7. 

*)  Abgedruckt  bei  Riedel  c.  d.  I,  9  S.  12.  22.  23;  Jahresber.  des  hi- 
stör.  Vereins  zu  Brandenburg,  1899  S.  32. 

*)  S.  hierzu  bes.  Kuhns,  Gerichtsverf.  Bd.  1  §  4. 


§  15.   Vorgeschichte  d.  Schöppenstuhls  beider  Städte  Brandenbg.      259 

um  den  Preis  dieser  Selbständigkeit  übernahmen  die  Mark- 
grafen die  schwierige  und  gefahrvolle  Aufgabe,  des  Reiches 
Grenzen  in  den  Marken  zu  sichern  und  auszudehnen.  Kam 
aber  dem  Markgrafen  in  der  Mark  dieselbe  Gerichtsbarkeit 
zu,  wie  dem  König  im  Reiche,  so  war  nichts  natürlicher,  als 
dass  der  Markgraf  bestrebt  sein  musste,  die  Hauptstadt  seiner 
Mark  mit  ähnlichen  Gerichtsprivilegien  auszustatten,  wie  der 
König  seine  Reichshauptstädte  ausstattete.  Was  die  Kaiser- 
pfalzgerichte für  das  Reichsland  der  Umgegend  kraft  kaiser- 
licher Privilegien  waren,  das  sollte  die  Stadt  Brandenburg 
für  die  Mark  Brandenburg  kraft  markgräflicher  Privilegien  sein. 

Der  Brandenburger  Schöppenstuhl  hat  also  weniger  seine 
Wurzel  in  dem  zu  suchen,  was  Brandenburg  als  städtisches 
Gemeinwesen  aus  eigener  Kraft  sich  errang,  als  in  dem,  wo- 
mit die  Brandenburgischen  Markgrafen  ihre  Hauptstadt  aus 
dynastischem  Interesse  aussteuerten. 

Von  diesem  Standpunkte  aus  gewinnen  die  Urkunden 
von  13 15  und  1324  ihre  eigentliche  Bedeutung. 

Im  Jahre  13 15  gehörte  die  Altstadt  Brandenburg  zu 
einem  andern  Territorium  als  die  Neustadt;  denn  1258  hatten 
Johann  I.  und  Otto  III.  sich  in  die  seit  1 134  ihrem  Geschlechte 
vom  Kaiser  Lothar  IL  zu  Lehn  gegebene  Mark  getheilt: 
Johann  erhielt  den  Stendalschen,  Otto  den  Salzwedel- 
schen  Antheil;  die  Grenze  bildete  die  Havel,  so  dass  die 
Altstadt  Brandenburg  nach  Stendal,  die  Neustadt 
Brandenburg  nach  Salz wedel  hin  gehörte.  Mit  dem  Jahre 
13 17  starb  die  Stendalsche  Linie  aus;  damit  fielen  beide 
Territorien  wieder  in  eine  Hand,  und  sie  gelangten  1323  nach 
mehrjährigen  unruhevollen  Zeiten  an  Ludwig  I.  von  Bayern, 
dem  sie  sein  Vater  Kaiser  Ludwig  verlieh.  Im  Jahre  13 14 
erreichte  der  letzte  Spross  der  Salzwedeier  Linie  die  Mündig- 
keit; bis  dahin  hatte  er  unter  der  Vormundschaft  Waide- 
mars, des  Hauptes  der  Stendaler  Linie,  gestanden. 

In  dieser  Zweitheilung  der  Mark  liegt  der  Schlüssel,  um 
die  wahre  Bedeutung  der  Urkunden  von  13 15  und  1324  zu 
erkennen.  Solange  der  Beherrscher  der  Altstadt  Branden- 
burg zugleich  der  Beherrscher  der  Neustadt  war,  wurde  die 
Neustadt  an  Bedeutung  von  der  Altstadt  überragt.     Es  mag 

17* 


260  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

zwar  Niemandem,  der  in  Brandenburg  Recht  holen  wollte 
verwehrt  gewesen  sein,  solches  bei  der  Neustadt  zu  holen, 
seit  sie  ein  Stadtgericht  erworben  hatte;  aber  der  alte  Ruf 
und  das  Herkommen  zog  die  Rechtsholenden  (wie  sich  das  am 
Beispiele  Magdeburgs  zeigte1),  mehr  zur  Altstadt  hin.  Dies 
änderte  sich  auch  zu  der  Zeit  noch  nicht,  als  Waldemar,  der 
Beherrscher  der  Altstadt,  die  Vormundschaft  über  den  Be- 
herrscher der  Neustadt  führte;  denn  dieser  Vormund  wird 
wenig  bedacht  gewesen  sein,  das  Uebergewicht  der  ihm  zu- 
gehörigen Altstadt  zu  Gunsten  der  seinem  Mündel  Johann 
zugehörigen  Neustadt  zu  mindern.  Sobald  aber  der  Beherrscher 
der  Neustadt  mündig  geworden  war  und  auf  eigenen  Füssen 
stand,  musste  in  ihm,  wie  in  der  Neustadt  Brandenburg  selbst, 
lebhaft  der  Wunsch  sich  regen,  nunmehr  der  Neustadt  Bran- 
denburg für  das  Salzwedeische  Territorium  die  nämliche 
Bedeutung  zu  verschaffen,  deren  die  Altstadt  Brandenburg 
für  das  Stendaler  Territorium  bereits  theilhaftig  war. 

Diesen  Wunsch  verwirklichte  Markgraf  Johann  unterm 
3.  November  1315,  indem  er  davon  ausging,  dass  seine 
Stadt  Brandenburg  (die  Neustadt  Brandenburg)  doch  nichts 
Anderes  als  ein  Theil  des  alten  Brandenburg  überhaupt  sei, 
dass  ihr  also  die  nämlichen  Rechte  wie  der  Altstadt  „von 
Alters  heru  gebührten.  Hierzu  gehörte  auch  die  Befugniss, 
Rechtsbelehrung  zu  ertheilen.  Zur  vollen  Wirksamkeit  ge- 
langte diese  Befugniss  für  die  Neustadt  Brandenburg  aber 
nur  dann,  wenn  für  Johanns  Territorium  die  Rechtsbelehrung 
anderswohin,  als  nach  der  Neustadt  Brandenburg — nament- 
lich also  auch  nach  der  Altstadt  Brandenburg  —  abge- 
schnitten wurde.  „Weil  unsere  einstigen  Vorfahren1*  —  so 
erklärte  Markgraf  Johann  —  „unsere  Stadt  Brandenburg  mit 
vielen  Vorrechten  geschmückt  haben  und  unsere  ganze  Herr- 
schaft von  dieser  unserer  Stadt  ihren  Ursprung  herleitet,  wie 
von  der  Quelle  die  Bächlein,  so  bestätigen  wir  die  von  un- 
seren Vorfahren  verliehenen  Rechte  und  verleihen  unserer 
Stadt  Brandenburg  das  besondere  Vorrecht,  dass  alle  im  Ge- 
sammtbereich  unserer  Herrschaft  gelegenen  Städte  und  Plätze 
(omnes  nostrae  civitates  et  opida)  von   ihr  ihre  Raths-  wie 

')  S.  oben  Seite  237. 


§  15-   Vorgeschichte  d.  Schöppenstuhls  beider  Städte  Brandenbg.       261 

Schöppenrechte  (jura  sua  tarn  consulum  quam  scabinorum) 
holen  sollen ,  und  dass  Niemand  das  von  ihren  Schoppen  und 
Rathmannen  oder  Geschwornen  gegebene  Recht  anfechten 
könne4*.  Dabei  wird  für  die  neue  Privilegirung  besonders 
betont,  dass  Brandenburg  „prae  Omnibus  fulget  banno  regio, 
qui   vulgo  dicitur  konningsbannu. 

Mit  Geschick  hat  die  Urkunde  unter  Berufung  auf  die 
Rechte  des  alten  Brandenburg,  als  kämen  sie  von  selbst  der 
Neustadt  zu,  die  Neustadt  als  ausschliesslich  berechtigt  be- 
zeichnet, für  den  Umkreis  des  Salzwe  dl  er  Landes  Rechtsbe- 
lehrung zu  ertheilen.  Absichtlich  vermied  man  das  Wort 
„Neustadt4*;  denn  nur  so  Hessen  sich  die  früher  der  Altstadt 
verliehenen  Rechte  als  der  Neustadt  zuständig  hinstellen. 
Die  Urkunde  richtete  sich  damit  wohl  weniger  gegen  die 
Konkurrenz  von  Magdeburg,  als  vor  Allem  gegen  die  Kon- 
kurrenz der  Altstadt  Brandenburg. 

Das  von  Markgraf  Johann  seiner  Neustadt  Branden- 
burg 131 5  ertheilte  Privileg  liefert  hiernach  den  Beweis,  dass 
die  Schoppen  der  Neustadt  Brandenburg  (mindestens  von  da 
an)  einen  Oberhof  für  sich  bildeten. 

Dasselbe  Verhältniss  blieb  1324  bestehen,  als  eben  die 
herrenlos  gewordene  Mark  unter  der  bayerischen  Herrschaft 
Ludwigs  I.  sich  konsolidirt  hatte:  unterm  2.  Februar  1324 
erhielten  die  Bürger  der  Altstadt  Brandenburg  (burgenses 
in  antiqua  Brandenburg  presentes)  alle  ihre  Privilegien  be- 
stätigt. Die  Urkunde  beschränkt  sich  auf  diese  kurze  all- 
gemeine Mittheilung.  Es  handelte  sich  nur  um  die  beim 
Wechsel  in  herrschender  Hand  übliche  Bestätigung  bisheriger 
Rechte;  eine  nähere  Aufzählung  der  von  dem  Privileg  umfassten 
Rechte  war  überflüssig;  die  Rechte  waren  in  den  alten 
Privilegien  klar  aufgezählt.  Zwei  Tage  später  beeilte  sich 
die  Neustadt,  eine  Bestätigung  auch  ihrer  Privilegien  zu 
erwirken,  aber  hier  wurde  anders  verfahren,  als  bei  der  Alt- 
stadt. Für  die  Neustadt  drohte  die  Gefahr,  dass  nach  Ver- 
einigung beider  Städte  unter  demselben  Herrn  etwa  die  alte 
Zeit  zurückkehrte,  in  der  die  Altstadt  als  Oberhof  an  erster, 
vielleicht  sogar  an  alleiniger  Stelle  fungirte.  Darum  war 
es  für  die  Neustadt  von  besonderem  Interesse,    die  ihr  13 15 


262  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

für  den Salzwedelschen  Theil  der  Mark  speciell  ertheilten 
Rechte  auch  unter  dem  neuen  Herrn  gewahrt  zu  sehen.  Des- 
halb liessen  sich  die  Neustädter  ihr  Privileg  von  13 15  seinem 
vollen  Umfang  nach  wiederholen.  Das  Privileg  von  13 15  er- 
hielt seine  ausschliessliche  Beziehung  auf  die  Neustadt  ledig- 
lich dadurch,  dass  sein  Aussteller  Markgraf  Johann  nur  die 
Neustadt  nostra  ci vi tas  Brandenburg  zu  nennen  in  der  Lage 
war;  die  Altstadt  gehörte  zu  fremdem  Territorium.  So  wörtlich 
wurde  dies  Privileg  im  Jahre  1324  für  die  Neustadt  erneuert, 
dass  das  neue  Privileg  ebenfalls  von  „unserer  Stadt  Branden- 
burg" redet,  als  besässe  Markgraf  Ludwig  nur  eine  Stadt 
Brandenburg,  während  er  deren  zwei  besass,  die  Altstadt 
und  die  Neustadt.  Nur  in  dem  neu  hinzugekommenen  Schlüsse 
der  Urkunde  vom  4.  Februar  1324  erscheinen  dir  „burgenses 
novae  civitatis  Brandenburg"  als  diejenigen,  denen  das 
Privileg  ertheilt  wird. 

Liest  man  die  beiden  Urkunden  von  1324  lediglich  für 
sich,  so  könnte  es  scheinen,  als  ob  die  Neustadt  Branden- 
burg allein  als  Oberhof  thätig  zu  sein  befugt  wäre;  denn 
das  am  2.  Februar  der  Altstadt  ertheilte  Privileg  sagt 
vom  Rechtsholen  nichts,  ein  früheres  der  Altstadt  als  Ober- 
hof ertheiltes  Privileg  fehlt,  und  das  der  Neustadt  ertheilte 
Privileg  vom  4.  Februar  1324  lautet  so,  als  werde  den  Neu- 
städtern das  Recht  zur  Rechtsbelehrung  für  die  ganze 
Mark  ertheilt.  Im  Eingange  des  Privilegs  von  13 15  bezeugt 
aber  Markgraf  Johann,  dass  die  marchiones  quondam  Bran- 
denburgenses  nostram  civitatem  Brandenburg  mit  grossen 
Privilegien,  darunter  mit  dem  der  Rechtsbelehrung  geschmückt 
haben.  Diese  „einstigen"  Markgrafen  können  nur  der  alten 
Stadt  Brandenburg,  also  nicht  ausschliesslich  der  Neustadt 
Brandenburg  Privilegien  ertheilt  haben. 

Ein  direktes  Zeugniss,  dass  bereits  vor  1324  in  der  Alt- 
stadt Belehrung  geholt  wurde,  enthält  die  Urkunde  Mark- 
graf Ludwigs  vom  2.  Februar  1324, l)  in  der  er  die  Altstadt 
mit  den  Mühlen  auf  dem  alten  Damme  beschenkt  und  sie 
dabei  als  diejenige  Stadt  bezeichnet,  „quae  tanquam  caput 
ceteris  civitatibus  tamquam  membris  jura  atque  normam  juste 

')  Riedel  c.  H.   1,  i),  27. 


§  15-   Vorgeschichte  d.  Schöppenstuhls  beider  Städte  Brandenbg.       263 

vivendi  ex  diutina  et  approbata  atque  prescripta 
consuetudine  distribuit".  Darin  liegt  eine  Anerkennung 
des  Markgrafen,  dass  die  Oberhofsstellung  Brandenburgs  auf 
Gewohnheit,  also  nicht  auf  Privilegien  beruht. 

Im  Jahre  1324  stand  es  hiernach  fest,  dass  auch  unter 
der  damals  wieder  einheitlich  gewordenen  Regierung  jede 
der  beiden  Städte  Brandenburg  Rechtsbelehrung  —  und  zwar 
nunmehr  jede  für  die  gesammte  damalige  Mark  —  zu  ertheilen 
befugt  sein  solle.  Dass  dabei  die  Absicht,  Magdeburgs 
Rechtssuprematie  über  die  Mark  zu  brechen,  nicht  allzufern 
lag,  wird  aus  dem  1336  erlassenen  Befehle  Markgraf  Ludwigs, 
desselben  Markgrafen,  der  die  Privilegien  von  1324  ertheilt 
hat,  zu  schliessen  sein;  denn  er  wies  Jerichow  an,  sein  Recht 
nicht  mehr  in  Burg,  sondern  in  der  Neustadt  Brandenburg 
zu  holen.  Bisher  war  Jerichow  als  Tochterstadt  Burgs  nach 
dessen  Mutterstadt  Magdeburg  gewiesen ;  wurde  Burg  durch 
Brandenburg  ersetzt,  so  löste  sich  Jerichows  Verbindung  mit 
Magdeburg,  zumal  die  Privilegien  ausdrücklich  besagten,  dass 
die  jura,  quae  scabini  dederint,  „nullus  omnino  reclamare  va- 
leat  aut  presumatu.  Jedenfalls  gab  es  im  Jahre  1336  nach  der 
Urkunde  von  1336  einen  Oberhof  der  Neustadt  Brandenburg, 
und  insofern  findet  der  oben  aus  den  Privilegien  von  13 15 
und  1324  gezogene  Schluss,  dass  Alt-  und  Neustadt  zwei 
getrennte  Oberhöfe  bildeten,  seine  Bestätigung 

Ohne  die  Landestheilung  hätte  es  schwerlich  je  zwei 
Oberhöfe  Brandenburg,  einen  der  Altstadt  und  einen  der 
Neustadt,  gegeben,  ohne  sie  hätte  also  ein  „Schöppenstuhl 
beider  Städte  Brander  burgu  niemals  entstehen  können.  Denkt 
man  sich  die  Landes  iheilung  als  nicht  geschehen,  so  würde 
voraussichtlich  der  Schöppenstuhl  der  frühern  einzigen  Stadt 
Brandenburg,  d.  h.  der  Schöppenstuhl  der  späteren  Altstadt 
Brandenburg,  sich  allein  die  Sitte,  Rechtsbelehrung  zu  ertheilen, 
gewahrt  und  damit  die  Befugniss  zu  dieser  Ertheilung  als 
sein  Privileg  erworben  haben.  Wie  wir  allein  Oberhofssprüche 
der  „Schoppen  zu  Magdeburg"  oder,  was  dasselbe  ist,  der 
„Schoppen  der  Altstadt  Magdeburg"  haben,  so  würden  wir 
allein  auch  Oberhofssprüche  der  „Schoppen  zu  Brandenburg44 
oder  der  „Schoppen  der  Altstadt  Brandenburg"  haben. 


2(>4  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

Bis  zu  welcher  Zeit  in  Brandenburg  der  Zustand  einer 
sowohl  von  der  Altstadt,  als  von  der  Neustadt  ausgehenden 
gesonderten  Rechtsbelehrung  andauerte,  lässt  sich  wenigstens 
annähernd  feststellen. 

Naturgemäss  waren  beide  Städte,  deren  jeder  die  Er- 
theilung  von  Rechtsbelehrungen  nicht  bloss  erhöhtes  Ansehen 
in  der  gesammten  Mark  und  deren  Nachbarschaft,  sondern 
auch  eine  erfreuliche  Mehreinnahme  verschaffte,  darauf  hin- 
gewiesen, sich  über  die  Vertheilung  der  Rechtsbelehrungs- 
geschäfte zu  einigen.  Die  durch  die  bisherige  Landesspaltung 
von  selbst  bewirkte  Theilung  nach  geographischen  Bezirken 
war  weggefallen.  Nachdem  nun  gar  ein  gemeinsames  Rath- 
haus  gebaut  war,  das  wir  1348  zuerst  erwähnt  fanden  (oben 
S.  51),  nachdem  also  die  Stadtverwaltung  für  beide  Städte 
unter  einem  Dache  tagte,  erschien  nichts  natürlicher,  als 
die  eine  Hälfte  der  eingehenden  Rechtsfragen  den  Schoppen 
der  Altstadt,  die  andere  Hälfte  denen  der  Neustadt  zuzuweisen. 
Daneben  musste  der  Wunsch  lebendig  werden,  widersprechende 
Rechtsbelehrungen  der  beiden  Schöppenkollegien  und  eine 
gegenseitige  Rivalität  der  beiden  Städte  thunlichst  zu  ver- 
meiden. Dies  geschah  am  einfachsten,  wenn  Schoppen  aus 
beiden  Städten  bei  der  einzelnen  Rechtsbelehrung  zusammen- 
wirkten. 

So  entwickelte  sich  aus  Anlass  der  Priviligien  von  13 15 
und  1324 l)  die  Rechtsbelehrung  durch  „Scheppen  beider 
Städte  Brandenburg",  nicht  durch  „die  Scheppen  beider 
Städte  Brandenburg44.  Denn  nicht  sämmtliche  Schoppen 
beider  Städte  mussten  bei  jeder  Rechtsbelehrung  mitwirken. 
Nach  Ausweis  der  Magdeburger  Fragen  (T.  2  d.  1)  „sollen 
der  Scheppen  zum  mindesten  drei  sein,  einer,  der  Urtheil 
finde,  und  zwei,  die  dazu  Folge  geben;  mit  diesen  Scheppen 
mag  der  Richter  dingen,  wenn  er  mehr  nicht  haben  mag44.  -) 

l)  Ueber  die  Bestätigung  dieser  Privilegien  durch  die  späteren 
Landesherren  1388,  1395,  141 1,  1440.  1460,  1471,  i486,  1499,  1527,  154t, 
l57l*  I598.  1610,  1613,  1620,  1643,  1676,  1705  s.  Heydemann,  die  Elemente 
der  Joachim.  Const.  S.  404. 

*)  T.  3  d.  8 :  Ist  der  Scheppen  drei  oder  mehr,  so  mögen  und  können 
sie  zu  Dinge  sitzen,  als  sie  der  Richter  dazu  heischet. 


§  15.   Vorgeschichte  d.  Schöppenstuhls  beider  Städte  Brand enbg.      265 

Dieser  Grundsatz  wird  auch  auf  Brandenburg  sich  vererbt 
haben;  er  stimmt  mit  dem  römischen  „tres  faciunt  collegium** 
der  1.  85  d.  v.  s.  überein. 

Im  Schöppenstuhl  der  Altstadt  Brandenburg  sassen  aber, 
wie  wir  oben  (S.  133.  135)  sahen,  im  Jahre  1384  zwölf 
Schoppen.  Denn  Markgraf  Siegmund,  der  damalige  Herr 
der  Mark,  schrieb  zu  jener  Zeit  von  Ungarn  aus  an  9 
namentlich  aufgeführte  Bürger  der  Altstadt,  dass  er  sie,  da 
ein  Theil  der  Schoppen  verstorben  sei,  alter  Gewohnheit 
nach  zu  Schoppen  kiese  und  ihnen  befehle,  den  Schöppeneid 
den  anderen  Schoppen,  die  noch  leben,  zu  schwören.  Der 
„andern  Schoppen,  die  noch  leben",  müssen  mindestens  2 
gewesen  sein.  Da  weder  1 1  Schoppen,  noch  mehr  als  1 2 
eine  übliche  Schöppenzahl  ist,  so  darf  geschlossen  werden, 
dass  die  Altstadt  ein  Schöppenkolleg  von  1 2  hatte.  Bei  der 
Neustadt  wird  dasselbe  anzunehmen  sein,  zumal  1320  urkund- 
lich zwölf  Namen  mit  dem  Beisatz  „ceterique  consules  et 
scabini  nove  civitatis  Brandenburgensisu  und  ebenso  1349 
zwölf  Namen  als  consules  nove  civitatis  vorkommen.1) 

Auf  die  Zwölfzahl  der  Schoppen  weist  auch  eine  un- 
datirte,  im  fünfzehnten  Jahrhundert  niedergeschriebene  Ur- 
kunde hin,2)  laut  deren  die  altstadter  Schöppenwahlen  „in 
Gegenwart  des  Markgrafen  und  der  and.eren  Schepen,  dy 
dar  danne  noch  synt,"  durch  einen  Fürsprech  des  Mark- 
grafen vollständig  nach  den  Formen  einer  gerichtlichen, 
durch  ein  Urtheii  der  Schoppen  abgeschlossenen  Verhandlung 
vor  sich  gehen.  Der  Fürsprech  des  Markgrafen  fragt  laut 
jener  Urkunde  die  Schoppen  um  ein  Recht,  ob  sein  Herr 
mit  Rücksicht  darauf,  dass  „die  Vierschaar  der  Schöppen- 
bankett  Lücken  aufweise,  biedere  Leute  zu  diesem  Amte 
kiesen  könne.  Unter  der  Vierschaar  der  Schöppenbänke 
sind  —  wie  noch  heute  unter  den  quatre  rangs  des  conseillers 
beim  Pariser  Kassationshof  —  die  vier  für  die  Schoppen 
bestimmten  Bänke  der  Gesammtheit  der  Schöppenbank  zu 
verstehen.     Es  ergiebt  das  wiederum  die  Gesammtzahl  von 

l)  Riedel  c.  d.  1,  9,  15,  44. 

*)  Riedel  c.  d.  1.  9,  S.  252,  Jahresbericht  des  hist.  Vereins  zu  Bran- 
denburg, 1899  S.  56  ff.     Original  RA.  Doc.  A.  1  98. 


266  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

zwölf  Schoppen,  nämlich  auf  jeder  Bank  drei.  Wenngleich 
sich  die  Form,  im  gehegten  Ding  eine  Schöppenwahl  vor- 
zunehmen, noch  im  sechzehnten  Jahrhundert  findet, l)  so  gehört 
doch  der  Ursprung  dieser  Form  jedenfalls  früher  Zeit  an 
und  wird  also  vor  das  Jahr  1384  zu  setzen  sein ,  aus 
welchem    die  Zwölfzahl  der  Schoppen  verbürgt  ist. 

Die  Stellung  des  Landesherrn  zur  Schöppenwahl  scheint 
eine  verschiedene  gewesen  zu  sein,  je  nach  dem  Ansehen 
und  der  Macht,  deren  er  sich  erfreute.  Ein  Markgraf, 
der  zwecks  Vollziehung  der  Schöppenwahl  persönlich  oder 
durchweinen  Fürsprech  ein  Urtheil  der  Schoppen  im  gehegten 
Ding  erbat,  stand  seinen  Städten  nicht  so  einflussreich  gegen- 
über wie  ein  Markgraf,  der  „seinem  Rechte  und  alter  Ge- 
wohnheit" zu  folgen  meint,  wenn  er  von  Ungarn  aus  9  Schoppen 
ernennt  und  ihnen  befiehlt,  den  Schöppeneid  zu  leisten.  Das 
Endendes  vierzehnten  Jahrhunderts  und  der  Anfang  des  fünf- 
zehnten ist  für  die  Mark  Brandenburg  diejenige  Periode,  in  der 
die  Städte  ihre  grössten  Freiheiten  errangen.  Die  vielfache 
Abwesenheit  der  Herrscher  führte  dahin,  dass  die  Städte  auf 
sich  selbst  angewiesen  waren  und  den  Schutz  ihrer  Rechte, 
den  sie  beim  Landesherrn  nicht  fanden,  durch  Städtebündnisse 
sich  zu  verschaffen  suchten.  So  vereinten  sich,  2)  als  Mark- 
graf Jobst  1399  nach  einer  längeren  Anwesenheit  in  der  Mark 
diese  wieder  verlassen  hatte,  die  neumärkischen  Städte 
(voran  die  beiden  Städt^  Brandenburg)  in  der  Neustadt 
Brandenburg,  „dass  sie  alle  miteinander  bei  ihrem  und 
bei  Brandenburgischem  Rechte,  damit  sie  von  Alters 
begnadigt,  verbleiben  wollten",  und  es  wiederholten  diese 
Vereinigung  ein  Menschenalter  später  (im  Jahre  1431)  die 
Städte  Brandenburg,  Berlin-Cölnlind  Frankfurt, 3)  als  sie  sich 
gegen  Jdie  aufkeimende  Herrschaft  der  Hohenzollern  rüsteten. 
Sie   wollten   nichts   wissen  von  dem  Rechte,    das  ihnen  von 


')  z.  B.  in  Magdeburg,  wo  153 1  der  Erzbischof  Burggrafending  setzt 
und  darin  die  Schoppen  bestätigt.  Pomarius,  Magdeburger  Stadtchronik 
1587-  Vergl.  auch  Hertel,  Urkundenbuch  der  Stadt  Magdeburg  3,  683. 
684  (1501)  und  Magdeb.  Gesch.  Bl.  5,  335  ff.  (1533). 

2)  Fidicin,  Gesch.  Berlins  2,   123. 

3)  Daselbst  S.   152. 


§  15.  Vorgeschichte  d.  Schöppenstuhls  beider  Städte  Brandenbg.       267 

Franken  her  etwa  gebracht  wurde,  sondern  sie  wollten 
bleiben  jede  Stadt  bei  ihrem  Sonderrechte  und,  wo  dies 
Sonderrecht  nicht  ausreichte,  jede  Stadt  bei  dem  Rechte, 
mit  dem  sie  bewidmet  war,  d.  h.  bei  dem  Rechte  ihrer 
Mutterstadt  Brandenburg. 

Das  bedeutete  einen  neuen  Zeitabschnitt  für  die  in  Bran- 
denburg zu  holende  Rechtsbelehrung.  Sie  musste  erheblich 
an  Ansehen  gewinnen,  wenn  sie  sich  auf  einen  Schöppen- 
stuhl  konzentrirte,  und  zwar  auf  den  der  Landeshauptstadt. 
Brandenburg  hatte  aber  zwei  Schöppenstühle,  den  der  Alt- 
stadt und  den  der  Neustadt.  Da  empfahl  es  sich,  um  eine 
einheitliche  Spitze  zu  schaffen,  die  beiden  Schöppenstühle  zu 
einem  „Schöppenstuhl  beider  Städte  Brandenburg44  zu  ver- 
schmelzen. Nicht  zweckmässig  wäre  es  gewesen,  die  Zwölf- 
zahl der  Schoppen  für  jede  Stadt  beizubehalten;  Schöppen- 
stühle von  24  Mitgliedern  kannte  man  nicht.  Eine  Minderung 
der  Zahl  war  geboten.  Man  verfiel  darauf,  den  Schöppen- 
stuhl so  zusammenzusetzen,  dass  aus  jeder  Stadt  5  Schoppen 
und  als  Schöppenschreiber  aus  jeder  Stadt  ein  Stadtschreiber 
zugezogen  wurden.  So  kam  wieder  eine  Zwölfzahl  zu  Stande, 
freilich  in  anderer  Komposition  als  beim  früheren  Schöppen- 
stuhl der  Einzelstadt. 

» 

Einen  unzweideutigen  Beleg,  dass  der  Schöppenstuhl 
beider  Städte  in  der  ersten  Hälfte  des  fünfzehnten  Jahr- 
hunderts aus  10  Mitgliedern  bestand,  liefert  denn  auch  eine 
andere  wichtige  Urkunde,  nämlich  das  oben  (S.  33)  erwähnte, 
dem  Schöppenbuch  von  1492  vorangestellte  undatirte  statu- 
tum  scabinorum  (ÜB.  1  10),  das  einzige  ältere  Statut,  welches 
sich  über  gewisse  Grundsätze  ausspricht,  die  für  den  vereinig- 
ten Schöppenstuhl  beider  Städte  galten. 

„Wenn  die  Schoppen  geladen  werden  zwischen  bei- 
den Städten,  dass  sie  Urtheil  sprechen"  (d.  h.  nach  Obigem 
S.  59,  wenn  sich  die  Schoppen  jeder  Stadt  auf  dem  Schöppen- 
haus  behufs  der  Ertheilung  von  Rechtsbelehrung  zusammen- 
finden), „so  nehmen  sie  dafür  3  Schilling  Groschen"  (oder, 
was  dasselbe  ist:  36  Groschen);  „davon  nehmen  die  alt- 
städtischen 18  Gr.  und  wir  (die  neustädtischen)  auch  18  Gr., 
davon  giebt  man  dem  Schreiber  2  Gr.,    dem  Knechte  1  Gr. 


268  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

und  15  Gr.  behalten  die  Schoppen.  Wer  nicht  kommt,  kriegt 
nichts,  es  wäre  denn,  dass  er  nicht  zu  Haus  wäre,  wann  er 
geladen  wird.  Wäre  er  aber  zu  Haus  und  verreiste  oder 
käme  nicht,  so  kriegt  er  nichts,  es  hätte  ihn  denn  der  Rath 
verschickt,  oder  er  wäre  krank,  oder  er  hätte  wichtige  Ge- 
schäfte und  darum  vom  ältesten  Schoppen  Urlaub;  danngiebt 
man  ihm  von  jedem  Urtheil  einen  Schilling.  Werden  aber 
die  Schoppen  von  Gerichts  wegen  geladen  auf  das  Rath- 
haus  oder  davor,  so  kriegt  der  nichts,  der  nicht  kommt; 
wäre  er  aber  von  der  Stadt  verschickt,  so  giebt  man  ihm 
einen  Schilling."1) 

In  der  Hauptsache  ist  hier  zwar  nur  die  Rede  von  den 
Gebühren;  die  Urkunde  lässt  aber  noch  Weiteres  erkennen. 
Sie  redet  offensichtlich  von  einer  Zeit,  in  der  das  alte  Rath- 
haus,  ersetzt  durch  ein  Sonderrathhaus  in  jeder  Stadt,  bereits 
zum  Schöppenhaus  geworden  war,  und  sie  scheidet  scharf  die 
Thätigkeit  der  Schoppen,  „zwischen  den  Städten  Urtheil  zu 
sprechen"  von  ihrer  „gerichtlichen"  Thätigkeit  „auf  oder 
vor  dem  Rathhaus".  Da  noch  1420  das  „Rathhaus  zwi- 
schen beiden  Städten"  genannt  wird,  so  ist  die  Verwandlung 
dieses  Rathhauses  in  das  Schöppenhaus  und  damit  die  Er- 
richtung des  „ Schoppens tuhls  beider  Städte"  nach  1420  zu 
setzen.  Ebenso  gewiss  liegt  sie  aber  vor  dem  Jahre  1432; 
denn  von  dieser  Zeit  datirt  das  älteste  an  die  „Scheppen  der 
Stede  Nien-  und  Oldin-Brandenborch",  also  an  den  Schöppen- 
stuhl  beider  Städte  gerichtete  Aktenstück  dieses  Schöppen- 
stuhls  (ÜB.  1  7).  2) 

Weiter  beweist  die  im  undatirten  statutum  scabinorum 
angeordnete  Vertheilung  der  Gebühren,  dass  in  der  That 
von  jeder  Stadt  5  Schoppen  den  vollbesetzten  Schöppen- 
stuhl  des  Schöppenhauses  bildeten.  Die  15  Gr.  erscheinen 
nämlich  nur  dann  als  eine  für  ein  Schöppenkolleg  vernünftig 
festgesetzte  Gebühr,    wenn  die  Höchstzahl    nicht  mehr  als  5 


1)  Wer  ist  rman"?  Erhält  der  in  Geschäften  der  Stadt  abwesende 
Schöppe  2  Schilling  aus  dem  Schöppengeld  oder  1  Schilling  aus  der  Stadt- 
kasse? Stadtrechnungen  von  1571,  1647,  1648  sprechen  für  das  Letztere. 
Siehe  unten  §  38  unter  5  (Gebühren). 

2)  Zu  vergl.  ÜB.  112  (1443). 


§  15.   Vorgeschichte  d.  Schöppenstuhls  beider  Städte  Brandenbg.       2t)9 

beträgt.  Dann  ergiebt  sich  die  sachgemässe  Skala:  der  Knecht 
(d.  h.  der  Schöppenstuhlsdiener)  erhält  i,  der  Schöppen- 
schreiber  2,  der  Schöppe  3  Gr.  Wer  von  den  Schoppen 
ohne  genügende  Entschuldigung  nicht  erscheint,  dessen  Ge- 
bühr theilen  die  erschienenen ;  ist  der  nicht  erscheinende  ent- 
schuldigt, so  erhält  er  1  Schilling,  das  heisst  die  Hälfte  von 
drei  Groschen;  denn  in  der  ersten  Hälfte  des  fünfzehnten 
Jahrhunderts  hat  1  Schilling  12,  ein  Groschen  8  Pfennige.1) 
Der  Rest  fallt  den  erschienenen  zu  ihrem  Kopftheil  zu.  Von 
einem  Richter  ist  bei  dieser  Vertheilung  nicht  die  Rede;  er 
fehlt  eben,  wenn  „zwischen  den  Städten"  Urtheil  gesprochen 
wird;  nicht  fehlt  er  z.  B.  bei  Auflassungen  und  Verschrei- 
bungen  vor  dem  neustädtischen  Gericht;  deshalb  weisen  ihm 
unsere  Statuten  bei  Vornahme  solcher  Geschäfte  einen  Ge- 
bührenantheil  ausdrücklich  zu.  Urlaub  zu  gewähren,  ist  Sache 
des  ältesten  Schoppen;  dieser  ist  also  im  vereinigten  Schöppen- 
stuhl  der  Vorgesetzte  der  vier  Kollegen  seiner  Stadt. 

Was  das  Berliner  Stadtbuch  aus  dem  Ende  des  vier- 
zehnten Jahrhunderts  unter  dem  „Rechtholen  zu  Branden- 
burg44 verstanden  wissen  will,  kann  zweifelhaft  sein.  Immer- 
hin spricht  dieser  Ausdruck,  zusammengehalten  mit  den 
Worten  des  Weisthums  von  13762)  in  seinem  Eingange,  wo- 
nach „die  Schepen  zu  Brandenburg  vor  ein  Recht  gabinw, 
eher  dafür,  dass  damals  die  Einrichtimg  des  aus  beiden 
Städten  kombinirten  Kollegs  noch  nicht  bestand,  als  dafür, 
dass  damals  bereits  „die  Schepen  beider  Städte  Branden- 
burg" die  Rechtsbelehrung  ertheilt  hätten. 

Auch  für  Berlin-Cöln  bildeten  1442  die  Schoppen  einen 
Ausschuss  der  Rathmannen;  denn  es  wird  beurkundet,  dass 
im  genannten  Jahre  „die  Bürgermeister  und  Rathmannen44 
beider  Städte  in  der  Kanzlei  Markgraf  Friedrichs  erschienen, 
und  dass  „die  Schepfen  geloben,  die  Schepfenstete  von 
des  Herrn  wegen  getreu  vorzustehen";3)  dabei j wird  aner- 
kannt, dass  der  Rath  die  Schoppen,  wenn  es  nothwendig  sei, 
kiesen  möge,   dass  sie  jedoch  von  der  Herrschaft  oder  dem 

*)  Gefällige  Auskunft  aus  dem  Berliner  Münzkabinet. 

2)  Siehe  oben  S.  53. 

3)  Räumer,  cod.  cont.   1,  213. 


270  4*  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

Richter  bestätigt  würden,  sofern  die  Schoppen  der  Herr- 
schaft „behaglich14  seien.  Die  Schoppen  gehörten  also  zu 
den  erschienenen  Rathmannen. 

Die  Folge  der  Einrichtung,  dass  von  etwa  1431  an  je 
5  Schoppen  der  alten  wie  der  neuen  Stadt  Brandenburg 
den  vereinigten  Schöppenstuhl  bildeten,  musste  auch  eine 
Minderung  der  Schoppen  des  Stadtgerichts  der  Einzelstadt 
sein;  denn  es  ist  kaum  denkbar,  dass  die  je  5  zum  vereinigten 
Schöppenstuhl  zusammentretenden  Schoppen  nur  ein  Schöp- 
penausschuss  gewesen  wären,  und  dass  das  gewichtigere 
Kolleg  der  vereinigten  Städte  sich  mit  weniger  Schoppen 
begnügt  hätte,  als  das  minder  gewichtige  Kolleg  des 
Stadtgerichts  der  Einzelstadt.  Dass  aber  vor  1457  bereits 
nicht  mehr  jeder  Rathmann  zugleich  Schöppe  war,  erhellt 
aus  dem  kurfürstlichen  Privileg,  welches  damals  Bürgermeister 
und  Rathmannen  der  Altstadt  Brandenburg  erhielten :  danach 
sollten  alle  Rathleute  und  ihre  Kinder  allzeit  in  der  Altstadt 
Brandenburg,  wie  in  'anderen  Städten  und  auf  freien  Jahr- 
märkten des  Landes  frei  Gewand  schneiden  dürfen,  und  diese 
Freiheit  wurde  „auch  den  Schoppen  der  Stadt,  die 
jetzund  sein  oder  die  fürder  an  die  Schöppenbank  gesetzt 
werden",  gewährleistet.1)  Das  Schöppenkolleg  bestand  also 
neben  dem  Rathskolleg. 

Was  das  Einholen  der  Rechtsbelehrung  beim  Oberhof 
betrifft,  so  brachte  es  das  auf  der  Mündlichkeit  der  Verhand- 
lung beruhende  altdeutsche  Prozessverfahren  mit  sich,  dass 
auch  da,  wo  man  Rechtsbelehrung  einholte,  mündlich  ver- 
handelt wurde.  Dem  entsprechend  erschienen  ursprünglich 
die  Schoppen  des  der  Belehrung  bedürftigen  Gerichtes  in 
Person  vor  ihrem  Oberhof  und  erhielten  dort  mündlich  Be- 
lehrung. Das  schwächte  sich  zunächst  dahin  ab,  dass  nicht 
sämmtliche  Schoppen  des  anfragenden  Gerichts  vor  dem 
Oberhof  zu  erscheinen  hatten;  es  genügten  drei;  dann 
wurden,  wie  uns  das  in  Brandenburg  1376  für  Frankfurt  a.  O. 
eingeholte  Weisthum  belehrt,  aus  den  drei  Schoppen  zwei. 

Das  Weisthum  von  1376  war  ein  mündlich  ertheiltes, 
obwohl  aus  der  dem  fünfzehnten  Jahrhundert  angehörigen  Ab- 

l)  Zimmermann,  Mark.  Städteverf.  Bd.  2  S.  309.  Riedel  c.  d.  1,9,  S.  189. 


§  15-   Vorgeschichte  d.  Schöppenstuhls  beider  Städte  Brandenbg.       271 

schrift,1)  die  allein  uns  Kunde  von  dem  Weisthum  giebt,  das 
Gegentheil  zu  folgen  scheint,  da  sie  den  Schlusssatz  trägt: 
„scriptum  hoc  est  anno  Christi  1376  die  Veneris  ante  do- 
minicam  invocavit".  Da  laut  des  Eingangs  des  Weisthums 
an  dem  ebenbezeichneten  Tage  die  Frankfurter  Schoppen 
ausgesandt  waren,  das  Weisthum  in  Brandenburg  zu  holen, 
ist  unmöglich  am  nämlichen  Tage  das  Weisthum,  wie  der 
Zusatz  besagt,  in  Frankfurt  niedergeschrieben  worden; 
Brandenburg  ist  von  Frankfurt  20  Meilen  entfernt:  der  Zu- 
satz muss  gedankenlos  von  dem  Abschreiber  gemacht  sein, 
der  im  fünfzehnten  Jahrhundert  die  Kopie  des  Weisthums 
anfertigte. 

Nach  der  Urkunde  von  1376  wurden  damals  drei  einzeln 
namhaft  gemachte  Schoppen  von  Frankfurt  a.  O.2)  ausgesandt, 
„zu  erfaren  in  eine  Brandenborchschen  rechte  diese  stücke, 
die  nachgeschrebin  stein",  und  nach  der  Urkunde  von  1432 
kommen  damals  „die  gesworne  Scheppen  der  Stadt  Frank- 
furt a.  O.,  die  Rechte  zu  fragen  und  zu  holen".  Da  nach 
Magdeburger  Recht  drei  Schoppen  genügten,  ein  Gericht 
zu  besetzen,  so  brauchten  auch  nicht  mehr  als  drei 
Schoppen  beim  Oberhofe  Recht  zu  holen.  Selten  wird 
man  sich  den  Luxus  erlaubt  haben,  mehr  als  drei  zum 
Oberhof  abzusenden;  deshalb  stellen  laut  des  Weisthums 
von  1376  drei  Frankfurter  Schoppen  ihre  Rechtsfragen  in 
Brandenburg:  sie  sind  ausgesandt  worden,  „zu  erfaren  in 
eine  Brandenborchschen  rechte  diese  stücke,  die  nachge- 
schrieben stein**.  Das  ist  im  eigentlichsten  Sinne  „der 
Rechts-  (d.  h.  Gerichts-)Zug  an  den  Oberhof":  das  er- 
kennende Gericht  zieht  an  den  Oberhof.  Unter  diesen 
Rechtsfragen  befindet  sich  auch  eine  über  die  Zahl  der  für 
eine  Anfrage  erforderlichen  Schoppen.  Die  Herabminderung 
der  Dreizahl  (d.  h.  des  Schöppenkollegs  in  corpore) 3)  musste 
dem  anfragenden  Gerichte  als  angenehme  Erleichterung  er- 
scheinen. Die  Brandenburger  gestatteten,  um  den  Wünschen 
der  Frankfurter  entgegen  zu  kommen,    eine  Anfrage  durch 

')  Sello  in  den  Märkischen  Forschungen  Bd.  18  S.  23,  106. 
2)  Di  scheppin  zu  Fr.,  also  (folgen  drei  Namen). 
*)  Vgl.  oben  Seite  264. 


272  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

nur  zwei  Schoppen:  „Auch  mögen  (=  können)  zweene 
scheppin  recht  holen  zu  Brandenburg  mit  der  stat  brive, 
ab  si  nicht  dri  senden  wollin w.  Künftig  sollen  zwei  ge- 
nügen, jedoch  müssen  sie  sich  mit  einem  Briefe  (einer  Voll- 
macht) der  Stadt  legitimiren,  weil  das  mündliche  Vorbringen 
zweier  Schoppen  nicht  ausreichte,  einen  Gerichtsbeschluss 
darzustellen;  dazu  gehörten  mindestens  drei  Schoppen. 
Ebenso  erkannte  im  vierzehnten  Jahrhundert  der  Iglauer 
Oberhof  die  Sendung  zweier  Schoppen  für  genügend  an, 
wenn  sie  eine  von  ihrer  Stadtobrigkeit  besiegelte  Akten- 
abschrift mitbrachten.1) 

Die  Vereinigung  beider  Schöppenkollegien  zu  Zwecken 
der  Rechtsbelehrung  darf  also  in  die  Zeit  zwischen  1420  bis 
1432  gesetzt  werden.  Unsere  mit  einem  Schriftstück  des  Jahres 
1432  beginnenden  Schöppenstuhlsakten  enthalten  denn  auch 
nur  Oberhofssprüche  der  vereinigten  Schöppenkollegien. 
Damit  stimmt  es,  dass  das  Statut,  welches  im  fünfzehnten 
Jahrhundert  das  Gebührenwesen  des  Schöppenstuhls  beider 
Städte  regelte,  in  die  Zeit  um  1430  zu  setzen  ist;2)  es  liegt  die 
Vermuthung  nicht  fern,  dass  dies  Statut  bei  Einrichtung  des 
combinirten  Schöppenstuhles  erlassen  wurde.  Hieran  knüpft 
sich  die  weitere  Vermuthung,  dass  die  vorhandenen  Branden- 
burger Schöppenstuhlsakten  überhaupt  in  den  Beginn  der 
Zeit  fallen,  in  welcher  Schöppenstuhlsakten  sich  bildeten. 
Vor  1432  wird  es  keine  solche  Akten  gegeben  haben.  Er- 
wägt man  weiter,  dass  141 1  die  Herrschaft  der  Hohenzollern 
in  der  Mark  ihren  Anfang  nahm,  dass  auf  dem  ersten  Blatte 
des  um  die  damalige  Zeit  angelegten  neustädter  Stadtbuches 
nicht  bloss  das  dem  Burggrafen  Friedrich  141 2  geleistete 
homagium,3)  sondern  auch  eine  wichtige  Vereinbarung  von 
1438  vermerkt  ist,  in  der  sich  Rath  und  Richter  über  ihre 
Zuständigkeit  in  Sachen  der  freiwilligen  Gerichtsbarkeit  ver- 
einbaren,4) so  ist  klar,  dass  um  diese  Zeit  manche  Neuerung 
im  Rechtswesen  Brandenburgs  sich  vollzog. 

')  Tomaschek,  Oberhof  Iglau  S.  19,  20.  Zycha,  Böhm.  Bergrecht. 
Berlin  1900.     Bd.  1   S.  130. 

•)  Siehe  oben  Material  S.  33  und  ÜB.  l  8  Anm.  4. 

3)  Siehe  oben  Seite  46.  *)  Märkische  Forsch.  18,  66.  70. 


§  i6.    Der  Schöppenstuhl  bis  zur  Joacbimica  (1432  bis  1527).  273 

Eine  solche  Neuerung  war  auch  der  um  1430  entstandene 
„Schöppenstuhl  beider  Städte  Brandenburg",  ein  aus  den 
märkischen  Städtebündnissen  der  Jahre  1399  und  1431  er- 
wachsener Hüter  der  städtischen  Privilegien  und  des  Branden- 
burgischen Sonderrechtes  gegenüber  den  Gefahren,  die  den 
Städten  ihrer  Meinung  nach  von  wechselnden,  der  Mark 
fremden  Landesherren  oder  die  nach  Meinung  der  Landes- 
herren diesen  von  fremden  Oberhöfen,  namentlich  dem  Magde- 
burgs drohten:  was  1432  in  Kursachsen  der  Oberhof  zu 
Leipzig  bedeutete,  sollte  in  derselben  Zeit  für  die  Mark  der 
Oberhof  beider  Städte  Brandenburg  bedeuten. 

§16. 

Der  Schöppenstuhl  beider  Städte  Brandenburg  bis  zur 

Joachimica  (1432  bis  1527). 

Ein  Jahrhundert  lang  fehlte  es  an  einem  äusseren  An- 
stoss,  der  auf  die  Geschichte  des  Schöppenstuhls  beider 
Städte  Brandenburg  einen  wesentlichen  Einfluss  geäussert 
hätte.  Seine  Entwicklung  war  keine  andere  als  die  Entwick- 
lung eines  Oberhofs  oder  Stadtgerichts  während  der  Zeit 
von  1432  bis  1527,  in  welcher  sich  der  Uebergang  vom  münd- 
lichen Prozess  zum  schriftlichen  vollzieht  und  sich  die  Anfänge 
des  Einflusses  der  fremden  Rechte  zeigen. 

Das  gesammte  Aktenmaterial  des  Schöppenstuhls,  so- 
weit es  aus  dieser  Periode  noch  vorhanden  ist,  beschränkt 
sich  auf  die  ersten  55  Blätter  des  ersten  unserer  Aktenbände; 
dazu  treten  noch  anderwärtsher  einige  wenige  Nachrichten. 
Immerhin  lässt  sich  doch  ein  ungefähres  Bild  der  Thätigkeit 
des  Schöppenstuhls  gewinnen. 

Als  hätte  mindestens  ein  sichtbares  Zeugniss  aus  der 
ersten  Periode,  aus  der  des  mündlichen  Verfahrens,  auf  uns 
kommen  sollen,  ist  das  älteste  Blatt  der  Brandenburger 
Akten  (ÜB.  1  7)  gerade  ein  solcher  Begleitbrief,  wie  ihn  das 
Weisthum  von  [376  erwähnt.  Bürgermeister  und  Rathmannen 
zu  Frankfurt,  einer  der  beim  Bund  von  143 1  betheiligten 
Städte,  gaben  den  Brief  zwei  „geschwornen  Scheppen"  ihrer 
Stadt  nach  Brandenburg  mit,  um  „die  Rechte  zu  fragen  und 
zu  holen,    wie   sie   (die  Frankfurter  Schoppen)  darüber  be- 

Stftlzel,  Entw.  d.  gelrhrtrn  Rechtsprrchunp.     I.  l8 


274  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

richten  werden".  Von  der  Sachlage,  die  der  Anlass  zur 
Einholung  der  Rechtsbelehrung  gewesen  ist,  enthält  der 
Brief  nichts ;  der  mündliche  Bericht  der  Schoppen  musste  den 
Oberhof  darüber  ins  Klare  setzen.  Nur  die  Bitte  fügt  der 
Rath  von  Frankfurt  an  die  Brandenburger  bei,  „Branden- 
burgisch Recht  für  ihr  .Geld"  (d.  h.  für  die  den  Branden- 
burgern zukommende  Gebühr,  das  „Schöppengeld"  genannt) 
„mitzutheilen"  und  die  Angelegenheit  zu  fördern,  auf  dass  die 
Frankfurter  Boten  deshalb  nicht  „ein  langes  Lager  haben 
müssen".  Alles  Weitere  fehlt;  der  Brandenburger  Spruch 
wurde  mündlich  eröffnet. 

Ein  zweiter  Fall  —  aus  dem  Jahre  1443  (ÜB.  1  12)  — 
ist  von  erheblichem  Interesse,  weil  er  einen  Einblick  in  die 
Verhältnisse  eines  Dorfgerichts  bietet  und  auf  der  Anfrage 
des  Rathes  von  Nauen,  einer  der  beim  Bund  von  1399  be- 
theiligten Städte,  beruht.  In  Barnewitz,  einem  Dorfe  des 
Domkapitels  zu  Brandenburg,  war  ein  Nauener  Bürger  ver- 
klagt; die  Schoppen  beschieden  beide  Parteien  „auf  ein 
Brandenburgisch  Recht".  Demgemäss  lassen  sich  die 
Schoppen  von  den  Parteien  einen  Kostenvorschuss  geben  und 
reisen  persönlich  nach  Brandenburg;  dann  eröffnen  sie  den 
Parteien  das  in  Brandenburg  geholte  Urtheil.  Da  dies  Urtheil 
dem  beklagten  Nauener  „ungültig"  erscheint,  bitten  in  seinem 
Interesse  Bürgermeister  und  Rathmannen  zu  Nauen  bei  den 
Schoppen  beider  Städte  Brandenburg  um  schriftliche  Mit- 
theilung des  Urtheils.  Sie  erfahren  dann  aber,  dass  die 
Barnewitzer  Schoppen  das  Urtheil  von  der  Burg,  dem  Sitze 
des  Domkapitels,  (statt  von  dem  Schöppenstuhl)  geholt  haben, 
und  da  sie  fürchten,  der  Propst  habe  zum  Nachtheil  ihres 
Mitbürgers  und  des  Markgrafen  gesprochen,  so  bitten  sie  in 
einem  zweiten  Schreiben,  die  Brandenburger  Schoppen  möch- 
ten sich  beim  Markgrafen  des  Nauener  Beklagten  annehmen, 
dass  ihm  von  dort  zu  Hülfe  gekommen  werde.  Die  Schoppen 
des  Dorfs  Barnewitz  verstehen  also  unter  „Rechtsbelehrung 
in  Brandenburg"  nicht  eine  Rechtsbelehrung  durch  die 
Schoppen  beider  Städte,  sondern  durch  ihren  Gerichtsherm, 
den  Propst.  Der  beklagte  Nauener  Bürger  kennt  aber  nur 
eine  Rechtsbelehrung    durch    den  Schöppenstuhl,    der  unter 


$  16.    Der  Schöppenstuhl  bis  zur  Joachimica  (1432  bis  1527).         275 

dem  Markgrafen  steht,  und  der  dessen  Interesse,  wie  über- 
haupt das  Interesse  der  Stadtbürger,  also  auch  das  des  be- 
klagten Naueners  wahrt,  während  der  Propst  im  eigenen 
Interesse  und  damit  im  Interesse  seiner  Barnewitzer  Unter- 
thanen  handelt.  Dem  Spruche  des  Propstes  will  sich  der 
beklagte  Nauener  nicht  unterwerfen,  er  lässt  darum  durch 
den  Rath  seiner  Stadt  den  Markgrafen  um  Hülfe  anrufen. 
Das  ganze  Verfahren  zeigt,  dass  1443  der  Rechtszug  von 
einem  gutsherrlichen  Dorfgericht  an  den  Brandenburger 
Schöppenstuhl  noch  kein  fester  war.       • 

Ob  dabei  die  in  damaliger  Zeit  sehr  weitgreifende  geist- 
liche Gerichtsbarkeit1)  mitspielte,  lässt  sich  nicht  erkennen. 
Dass  sie  sich  in  Brandenburg  damals  bemerklich  machte  und 
dort  Vertreter  hatte,  die  literarisch  thätig  waren,  ergiebt  eine 
jetzt  in  Halle  befindliche  Handschrift  des  Schildeschen  Voca- 
bularius, 2)  die  in  die  erste  Hälfte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts 
zu  setzen  ist.  Sie  enthält  einen  auf  das  Brandenburgische 
Recht  bezüglichen  Zusatz,  der  auf  einen  Brandenburger  als 
den  Urheber  der  Handschrift  hinweist.  Um  ein  Beispiel  für 
die  Anwendung  der  actio  popularis  zu  geben,  wird  bemerkt: 
„exemplum  in  foro  Brandenburgensi,  si  quis  in  isto  loco 
communi  vellet  domum  aedificare,  quilibet  admittitur  ad 
prohibendumu.  Von  dem  mitgetheilten  Rechtssatz  fehlt  jede 
Kunde ;  als  sicher  kann  aber  gelten,  dass  die  Belehrung  über 
die  Statthaftigkeit  der  actio  popularis  gegen  einen  auf  dem 
Brandenburger  Markte  beabsichtigten  Hausbau  nicht  für  die 
Brandenburger  Schoppen  bestimmt  war;  in  der  ersten  Hälfte 
des  fünfzehnten  Jahrhunderts,  aus  welcher  die  Handschrift 
herrührt,  verstanden  diese  Schoppen  nichts  von  einer  actio 
popularis.  Der  Verfasser  der  Handschrift  mag  ein  Geistlicher, 
vielleicht  ein  Brandenburger  Klosterbruder  gewesen  sein, 
der  seinem  wohl  für  Geistliche,  namentlich  für  Notare  und 
geistliche  Richter  bestimmten  Werke  ein  Beispiel  der  actio 
popularis  aus  seiner  nächsten  Umgebung  vorführen  wollte. 
Der  Satz,  dass  jeder  Bürger  gegen  ein  Verbauen  des  Marktes 

1)  Stölzel,  Rechtsverw.   1,  66  ff. 

2)  Seckel,    Beitr.    z.    Gesch.    beider   Rechte    in   MA.    1898   I  S.   222, 
330,  267. 

18* 


276  4«  Buch.     Entwicklung-  der  Organisation. 

Widerspruch  erheben  könne,  mag  in  Brandenburg  als  Ge- 
wohnheitsrecht oder  als  Theil  städtischer  Statuten  einst 
gegolten  haben;  eine  actio  popularis  erwuchs  daraus  nur  in 
den  Augen  eines  Klerikers  damaliger  Zeit. 

Diesen  Zeugnissen  aus  der  ersten  Hälfte  des  fünfzehnten 
Jahrhunderts  tritt  aus  dem  Jahre  1455  die  Abschrift  des 
ältesten  Schöppenstuhlsspruches  hinzu,  die  wir 
überhaupt  aus  Brandenburg  besitzen.  Er  betrifft  einen 
Streit  des  Klosters  Lehnin  (bei  Brandenburg)  mit  den  Leuten 
des  dem  Bischof  von  Brandenburg  zugehörigen  Dorfes 
Ketzin  an  der  Havel.1)  Das  Kloster  hatte  vom  Bischöfe  ein 
Dorf  mit  Zubehör  vor  vielen  Jahren  gekauft  und  überliefert 
erhalten,  worüber  Fürstenbriefe  gegeben  waren.  Als  vor 
länger  als  vierzig  Jahren  „grosser  Krieg*  in  der  Mark  war, 
gestattete  das  Kloster  den  Ketzinern,  innerhalb  der  Ge- 
markung jenes  Dorfes  zu  hüten,  wie  das  Kloster  behauptet, 
mit  dem  Beding  des  Widerrufs.  Der  Bischof  machte  mit 
Beziehung  hierauf  in  dem  entstandenen  Streite  Namens 
des  Dorfes  Ketzin  geltend,  es  liege  Erwerb  der  länger 
als  Menschengedenken  ausgeübten  Hütungsgerechtigkeit 
vor;  dem  widerspricht  das  Kloster  und  holt  sich  Belehrung 
in  Brandenburg  und  in  Magdeburg.  Die  Abschrift  beider 
Sprüche  theilt  deren  Eingang  nicht  mit,  auch  ersieht  man 
aus  den  Sprüchen  nicht,  wo  der  Streit  anhängig  war.  Die 
Bemerkung  im  Magdeburger  Urtheilsthatbestand,  dass  eine 
„Teidigung"  stattgefunden  habe,  spricht  für  eine  schieds- 
gerichtliche Verhandlung.  Diese  geschah  mittels  Schriften- 
wechsels, wie  der  Thatbestand  beider  Sprüche  und  der  Ein- 
trag ergiebt,  der  in  dem  14 19  angelegten  Gedenkbuch  des 
Klosters  Lehnin  den  Inhalt  der  beiderseitigen  Schriftsätze 
über   jenen    Streit     viel    ausführlicher    mittheilt,2)    als    der 


1)  Riedel  c.  d.  1,  10  S.  290,  291.  Das  Verständniss  der  hier  abge- 
druckten, den  Streit  betreffenden  beiden  Urkunden  ist  nicht  einfach,  nament- 
lich weil  die  Darstellung  der  species  facti  im  Brandenburger  Spruch  zum 
Theil  aus  der  Rede  fallt  („wir44  am  Schlüsse  der  species  facti  bedeutet 
zweimal  die  Lehniner  Klosterleute,  das  dritte  Mal  die  Brandenburger 
Schoppen). 

2)  Riedel  c.  d.  l,  10  S.  413,  437  ff. 


§  16.    Der  Schöppenstuhl  bis  zur  Joachimica  (1432  bis  1527).  277 

Thatbestand  beider  Sprüche  es  thut.  Aus  dem  Gedenkbuch 
erhellt,  dass  die  Schriften  von  gelehrten  Juristen  angefertigt 
sind;  sie  nehmen  mehrfach  sowohl  auf  den  Sachsenspiegel 
als  auf  Stellen  des  Corpus  juris  und  der  Glosse  Bezug, 
welche  sämmtlich  in  dem  Brandenburger,  wie  in  dem 
Magdeburger  Spruch  mit  Stillschweigen  übergangen  werden, 
zum  Zeichen,  dass  die  Schoppen  das  ihnen  noch  fremde 
gelehrte  Recht  unbeachtet  Hessen.  Die  Annahme,  dass 
es  sich  um  einen  vor  Schiedsrichtern  verhandelten,  seitens 
des  Klosters  nach  Brandenburg  und  nach  Magdeburg  ge- 
brachten Streit  dreht,  bestärkt  der  nächstfolgende  Ein- 
trag im  Gedenkbuch  des  Klosters,  der  klar  ergiebt,  dass 
das  Kloster  in  einem  anderen  vor  Schiedsrichtern  anhän- 
gigen Streit  sich  Rechtsbelehrung  in  Magdeburg  holt.1)  Da 
von  den  beiden  in  derselben  Sache  ergangenen  Sprüchen 
der  Magdeburger  (der  bestehenden  Uebung  nach)  undatirt 
ist,  weiss  man  nicht,  ob  das  Kloster  erst  in  Magdeburg  und 
dann  in  Brandenburg  anfragte,  oder  umgekehrt.  Die 
Brandenburger  „sprechen  zu  einer  Belehrung",  dass,  wenn 
das  Kloster  nachweise,  es  habe  niemals  freiwillig  den 
Ketzinern  die  Gewere  gestattet,  der  Abt  von  Lehnin  näher 
daran  sei,  die  Gewere  zu  behalten.  Die  Magdeburger 
stimmen  dem  zu,  jedoch  nur  für  den  Fall,  dass  die  Ketziner 
bekennen,  die  Grasung  widerruflich  eingeräumt  erhalten  zu 
haben;  bekennen  sie  das  nicht,  weisen  vielmehr  ihre  rechte 
Gewere  nach,  so  sollen  die  Ketziner  beschwören,  dass  sie 
ungestört  40  Jahre  lang  gehütet  haben.  Die  beiden  Sprüche 
gehen  also  in  Betreff  der  Beweislast,  oder,  wie  nach  deutschem 
Rechte  zu  sagen  ist,  des  Beweis  yor  recht  es  aus  einander. 
Es  liefert  für  das  Ansehen,  dessen  sich  der  Brandenburger 
Schöppenstuhl  zu  erfreuen  hatte,  einen  Beleg,  wenn  er  in 
einem  Streite  zwischen  seinem  Bischof  und  einem  Kloster 
überhaupt  um  Rechtsbelehrung  angegangen  wurde,  und  es 
spricht  für  die  Unparteilichkeit  des  Schöppenstuhls,  wenn  er 
zu  Gunsten  des  Klosters  entscheidet,  indem  er  diesem  das 
Beweisvorrecht  zuerkennt,  wie  hier  geschehen  ist.  Ausser- 
dem   ergiebt    ein  Vergleich    der    beiden  Sprüche,    dass    die 

')  Riedel  c.  d.  1,  10  S.  441. 


278  4*  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

Magdeburger  Schoppen  in  Beurtheilung  schwierigerer  Rechts- 
fragen damals,  wo  ihr  Schöppenstuhl  seine  Blüthezeit  hatte, 
doch  den  Brandenburgern  voraus  waren. 

Der  Brandenburger  Spruch,  der  in  den  Schöppenstuhls- 
akten  nicht  enthalten  ist,  ergiebt,  dass  man  zwar  1455  in 
Brandenburg  den  Inhalt  der  Anfrage  an  den  Anfang  des 
Spruches  stellte,  nicht  aber,  dass  man  den  Spruch  auf  die  An- 
frage selbst  schrieb;  denn  die  Schriftsätze  der  Parteien  bringt 
unser  Spruch  untermischt  in  direkter,  wie  in  indirekter  Rede, 
also  nicht  wörtlich :  die  Brandenburger  hatten  die  Schriftsätze 
umgeschrieben  und  ausgezogen.  Die  ihnen  mitgetheilt  ge- 
wesene Urschrift  oder  Abschrift  der  Schriftsätze  mögen  sie 
daher  in  diesem  Falle  zurückbehalten  haben.  Wir  sehen 
also  hier  bereits  schriftliche  Parteiverhandlungen  vor  uns. 

Da  die  Schoppen  beider  Städte  Brandenburg  „sprechen 
vor  eine  beleringe  des  rechten14,  so  liegt  die  korrekte 
Form  eines  Belehrungsspruches  vor.  Selbst  für  Konsulenten, 
die,  wie  die  Klosterleute  zu  Lehnin,  nahe  bei  Brandenburg 
wohnten,  war  es  nach  diesem  Prozesse  1455  nicht  ausge- 
schlossen, in  Magdeburg  Belehrung  zu  suchen ;  weder  die  Er- 
lasse von  13 15  und  1324,  noch  die  Städtebünde  von  1399 
und  1431  hatten  das  abgeschafft. 

Als  nach  dem  harten,  durch  Auflage  der  Bierziese  ver- 
anlassten, die  Städte  unter  das  landesherrliche  Scepter 
beugenden  Kampfe  der  Gilden  gegen  den  Kurfürsten  und 
den  Rath  zu  Stendal  im  Jahre  14881)  mit  Zustimmung  des 
Kurfürsten  ein  neues  Statut  für  die  dortigen  Schuhmacher 
erging  (ÜB.  1  24),  wird  bei  etwa  sich  wiederholendem  Streite 
dem  Stendaler  Rathe  das  Recht,  die  Gilde  aufzuheben,  zu- 
gesprochen, wenn  die Rathmanne  zu  Magdeburg  entscheiden 
sollten,  dass  die  Gilde  sich  gegen  den  Kurfürsten  und  die 
Stadt  vergangen  habe.  Das  spricht  nicht  für  ein  planmässiges 
Hinausdrängen  Magdeburgischen  Einflusses  aus  der  Mark. 
Erst  einige  Jahre  später  taucht  am  kurfürstlichen  Hofe  der 
Gedanke  auf,  ob  man  nicht  statt  der  Belehrung  durch  die 
Magdeburger  Schoppen    die   Belehrung    durch    kurfürstliche 

l)  Vergl.  Zimmermann,    Mark.  Städtcverf.    1836  BH.  1   S.  102,  292. 


§  i6.    Der  Schöppenstuhl  bis  zur  Joachiraica  (1432  l)is  1527).         279 

Räthe  einführen  solle.  Laut  der  Landtagsakten  von  1503  *) 
„  beratschlagten u  nämlich  der  Kurfürst  und  seine  Räthe  mit 
der  Landschaft  der  Mark  „der  Belehrung  halber,  so  man  zu 
Magdeburg  holt",  dass  der  Kurfürst  „gelert  und  ver- 
ständig Leut  an  seinen  Hof  verordne,  damit  seine  Unter- 
thanen  sich  Belehrung  an  ihnen  erholen  mögen  und  das 
Geld,  so  an  den  Ort  gebracht,  denselbigen  gegeben  werde; 
das  bringe  dem  Kurfürst  und  der  Herrschaft  Ehre  und 
Nutzen;  die  Belehrung  zu  Magdeburg  solle  man  ab- 
stellen". 

Einen  solchen  Beschluss  konnten  Regierung  und  Stände 
nicht  fassen,  wenn  schon  seit  zwei  Jahrhunderten  Branden- 
burg an  Stelle  Magdeburgs  der  märkische  Centraloberhof  ge- 
wesen wäre.  Das  schliesst  nicht  aus,  dass  sich  Brandenburg 
als  Oberhof  neben  Magdeburg  immerhin  grossen  Ansehens 
erfreute,  und  zwar  namentlich  in  Strafsachen,  in  denen 
Magdeburg  sich  damals  noch  der  Oberhofsthätigkeit 
enthielt.  Denn  schon  1504  berief  sich  der  Bischof  von  Lebus 
Dietrich  von  Bülow,  der  spätere  erste  Kanzler  der  Universität 
Frankfurt,  in  einer  Immediatbeschwerde  gegenüber  dem  Rath 
zu  Frankfurt,  der  einen  Verwandten  Bülows  als  Strassen- 
räuber  hatte  hinrichten  lassen,  auf  die  dabei  versäumte  legi- 
tima  causae  tantae  cognitio:  es  habe  der  „assensus  scabino- 
rum  Brandenburgensium"  gefehlt,  „quibus  in  ejusmodi 
casibus  consultis  solenniter  pronunciandum  fuis- 
set.u2)  Was  später  befolgt  wurde,  war  demnach  schon 
1504  feste  Gewohnheit:  das  Anfragen  in  Brandenburg  bei 
todeswürdigen  Verbrechen.  So  zwingend  galt  dem  Kur- 
fürsten diese  Gewohnheit,  dass  er  auf  die  erhobene  Be- 
schwerde hin  dem  Rathe  in  Frankfurt  die  judicia  capitalia 
(die  Gerichtsbarkeit  in  Kapitalsachen)  entzog. 

Wie  der  Landtagsbeschluss  von  1503  ergiebt,  sahen 
Regierung    und    Stände    die    Ehre,    welche  der  Mark  durch 


')  Rep.  20.  C.  St.A.  Landschaft- Fragmenta  Zu  vergl.  auch  Holtze, 
Gesch.  des  Kammergerichts  1,  218.  219. 

*)  Nicolai  Leutingeri  de  Marchia  ejusque  statu  Joachimo  I  et 
Joachimo  II  principibus  ....  commentariorum  über  primus,  opera  orania 
edidit  KuMeru«?  Frcf.  1720  S.  17. 


280  4-  Buch.     Entwicklung-  der  Organisation. 

eine  allgemein  auszusprechende  Beseitigung  Magdeburgs  als 
Oberhofs  erwuchs,  darin,  dass  sich  die  Mark  vom  Einflüsse 
einer  im  Auslande  zu  holenden  Rechtsbelehrung  befreite,  und 
sie  sahen  den  Nutzen,  welcher  durch  diese  Beseitigung  der 
Mark  erwuchs,  darin,  dass  das  für  solche  Rechtsbelehrung 
zu  zahlende  Geld  im  Inlande  blieb. 

Es  bestand  also  damals  der  Plan,  die  Magdeburg-er 
Schoppen  durch  gelehrte  Räthe  zu  ersetzen.  Dem  entsprechend 
überwies  ihnen  denn  auch  1507  die  Bamberger  und  1516  die 
Brandenburger  Halsgerichtsordnung  (Art.  277)  die  Rechtsbeleh- 
rung in  peinlichen  Sachen  ganz  allgemein  Dass  diese  Räthe 
in  ganz  anderem  Rechte  „belehren"  würden,  als  in  dem  der 
Magdeburger  Schoppen,  nämlich  im  römischen  und  nicht 
mehr  im  sächsischen  Rechte,  darüber  war  man  sich  im  Jahre 
1503  nicht  klar.  Keineswegs  ist  aber  ausgeschlossen,  dass 
der  1502  eingetretene  romanistisch  gebildete  Rath  des  Kur- 
fürsten Dr.  Stublinger, l )  der  spätere  Kanzler,  bei  dem  Be- 
schlüsse von  1503  seinen  Einfluss  geltend  machte  und  das 
Sachsenrecht  schon  damals  beseitigen  wollte. 

Belehrung  durch  die  kurfürstlichen  Räthe  wäre  dasselbe 
gewesen,  wie  Belehrung  durch  das  Kammergericht  zu  Berlin, 
das  um  diese  Zeit  aus  den  Räthen  erwuchs. 2)  Aber  es  hatte 
der  Rathschlag  der  Landschaft  von  1503  damals  keine  wei- 
tere Folge ;  Magdeburg  blieb  noch  vorläufig  der  angesehenste 
Oberhof  für  die  Mark,  woneben  es  freilich  nicht  ausgeschlossen 
war,  bei  den  kurfürstlichen  Räthen  sich  Belehrung  zu  er- 
holen, soweit  dies  deren  geringe  Anzahl  zuliess. 

Aus  diesem  Stande  der  Dinge  mag  sich  erklären,  wes- 
halb das  Aktenmaterial  des  Brandenburger  Schöppenstuhls 
bis  tief  in  das  sechzehnte  Jahrhundert  hinein  ein  recht  spär- 
liches ist;  der  Magdeburger  Schöppenstuhl  machte  dem 
Brandenburger  noch  erhebliche  Konkurrenz. 

Was  aus  dem  fünfzehnten  Jahrhundert  erhalten  ist,  be- 
schränkt sich  —   ausser  den  oben  besprochenen  drei  Blättern, 

])  Kr  entscheidet  1502  als  kurf.  Rath  einen  Streit  in  Brandenburg. 
Riedel  1,  q,  255  (wo  Stublinger  statt  Stulemeyer  zu  lesen)  Im  Uebr.  s. 
Stölzel,  Rechts verw.    1,   123  ff. 

-)  Stölzel,   Rechtsverw.    1,  84  ff. 


§  i6.    Der  Schöppenstuhl  bis  zur  Joachimica  (1432  bis  1527).  281 

die  von  zwei  Prozessen  der  Jahre  1432  und  1443  handeln 
—  auf  zehn  Blätter  (1  4a  bis  5a),  welche  die  beiden 
1494  und  1495  über  das  väterliche  Vermögen  Martin  Bellins 
vor  dem  Stadtgerichte  der  Altstadt  Brandenburg  geführten 
Prozesse  und  die  darin  erbetenen  Rechtsbelehrungen  der 
Schoppen  beider  Städte  Brandenburg  betreffen.1)  Es  sind 
das  Abschriften  erstinstanzlicher  Akten  oder  die  Original- 
akten nebst  zwei  Oberhofssprüchen,  den  ältesten  unserer 
Sammlung.  Beide  Sprüche  sind  undatirt,  ohne  Eingangs- 
anrede und  ohne  Unterschrift. 

Der  erste  Spruch  füllt  die  Vorderseite  eines  sonst  leeren 
Quartblatts  (1  4^).  Er  gestattet  die  Anfechtung  des  Kaufes 
eines  Brandenburger  Weingartens  aus  dem  Gesichtspunkt 
des  Näherrechtes,  während  die  Schoppen  der  Altstadt  den 
Kauf  für  unanfechtbar  erklärt  hatten  (1  4c).  Der  Oberhofs- 
spruch ist  als  solcher  nur  dadurch  erkennbar,  dass  er  sach- 
lich das  Gegentheil  des  in  den  Akten  enthaltenen  altstädter 
Spruchs  ausspricht,  und  dass  er  in  seinem  Eingang  lautet: 
„Hieraufsprechen  wir  für  Brandenburgisch  Recht."  Diese 
Betonung  Brandenburgischen  Rechtes  haben  die  erstinstanz- 
lichen Sprüche  nicht.  Das  den  Oberhofsspruch  enthaltende 
Blatt  muss  eine  vom  Originalspruch  zurückbehaltene  Ab- 
schrift sein.  Es  beweist,  dass  man  damals  solches  Zurück- 
behalten von  Abschriften  in  Brandenburg  kannte.2) 

Der  zweite  Spruch  belehrt  uns  über  ein  wesentlich  an- 
deres Verfahren.  Die  Vorderseite  eines  halben  Bogens  ist 
ganz,  die  Rückseite  theilweis  von  ein  und  derselben  Schreiber- 
hand mit  den  Parteierklärungen  in  einem  altstädter  Prozess 
beschrieben;  der  Klage,  in  welcher  der  Kläger  den  „lieben 
Herrn  und  Scheppen  und  allen  Dingpflichtigen u  seine  Sache 
vorträgt,  folgt  die  Antwort  des  Beklagten  und  ihr  die  Ant- 
wort des  Klägers,  dann  der  Spruch  der  „Schepen",  d.  h.  des 
altstädter  Stadtgerichts.  Unmittelbar  daran  sind  von  anderer 
Hand  die  Worte  zugefügt:  „dar  late  wy  dat  so  bliven 
na  unßen  bed unken".  Hierin  ist  der  von  der  Hand  des 
Schöppenschreibers  herrührende  Originalspruch  des  Oberhofs, 

1)  Siehe  oben  Seite  136. 

2)  Vgl.  oben  Seite  23  die  „copeilichcn  Urtheile". 


282  4«  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

oder  es  ist  darin  dessen  Entwurf  enthalten:  entweder  ging* 
das  Blatt  in  dieser  Gestalt  an  das  altstädter  Gericht  zurück 
und  wurde  dort  aufbewahrt,  oder  das  Blatt  wurde  beim 
Oberhof  zurückbehalten,  und  der  Oberhofsspruch  wurde  aus- 
gefertigt durch  Ertheilung  einer  den  obigen  Zusatz  aufneh- 
menden Abschrift  des  erstinstanzlichen  Spruchs.  Die  eratere 
Art  des  Verfahrens  scheint  die  wahrscheinlichere.  Sie  ent- 
spricht dem  in  Magdeburg  zeitweise  eingehaltenen  Verfahren, 
auf  die  eingesandte  erstinstanzliche  Aktenabschrift  den  Ori- 
ginaloberhofsspruch  zu  setzen  (s.  oben  S.  239). 

Aus  dem  ersten  Viertel  des  sechzehnten  Jahrhunderts 
liegen  nur  sechs  Prozesse  vor.  Der  wichtigste  und  älteste 
derselben,  ein  in  der  reichen  und  angesehenen  neustädter 
Rathsfamilie  Sichter  spielender  Erbsteit  des  Jahres  1502,  der 
zu  verschiedenen  Klagen,  Widerklagen  und  sonstigen,  offen- 
sichtlich von  gelehrten  Juristen  abgefassten  Prozessschriften 
Anlass  gegeben  hat  (1  91*  bis  33),  scheidet  hier  aus,  weil  der 
Schöppenstuhl  beider  Städte  niemals  darin  angerufen  worden 
ist;  das  erstinstanzliche  Gericht  war  das  der  Neustadt 
Brandenburg;1)  die  gefällten  Sprüche  (1  32.  33)2)  sind  Sprüche 
des  neustädter  Stadtgerichts  zu  den  einzelnen  Klagepunkten ; 
am  Schlüsse  derselben  heisst  es,  dass  zu  zwei  Punkten  die 
beklagte  Partei  „und  Märten  Bellin  mündlich  appelliret 
hat",  dass  aber  zu  einem  Punkte  die  Parteien  auf  einen  be- 
stimmten Tag  ^zum  Berlin  bescheiden  sind*4  (133);8)  es 
wurde  also^nicht  Rechtsbelehrung  beim  Schöppenstuhl  beider 
Städte,  sondern  Urtheil  und  Abschied  der  kurfürstlichen 
Räthe  in  Berlin  erbeten,  wahrscheinlich,  weil  der  wichtige 
Prozessj  innerhalb  einer  Brandenburger  Rathsfamilie  spielte 
und  man  deshalb  vorzog,  ihn  ausserhalb  Brandenburgs  ent- 
schieden ^zu  sehen,  zumal  bei  den  des  römischen  Rechts  kun- 
digen Parteivertretern  ein  Spruch  der  gelehrten  Berliner 
Räthe  schwerer  wog  als  der  Spruch  der  heimischen  Schöp- 

')  Zu  vgl.  1  10 v.  13.   19. 

-')  Eingeleitet  mit:  „Hir  up  spreken  die  schepen  vor  recht**. 

3)  Die  Prozessschriften  nehmen  vielfach  auf  römisches  Recht  Bezug, 
eine  auch  auf  das  „landläufige  bewährte  sächsische  Recht1*,  zu  dessen 
Unterstützung  die  11.  5  u.  9  D.  27,  9  mitgetheilt  werden  (1  22) 


§  16.    Der  Schöppenstuhl  bis  zur  Joachimica  (1432  bis  1527).         283 

pen.  Theil  der  Brandenburger  Schöppenstuhlsakten  ist  dieser 
neustädtische  Prozess  nur  aus  Versehen  geworden.  Seiner 
Bedeutung  wegen  mag  er  aufbewahrt  und  schliesslich  unter 
die  Sammlung  der  Schöppenstuhlsakten  gerathen  sein. l) 

Unter  den  fünf  übrigen  Prozessen  aus  der  Zeit  vor  1527 
steht  voran  ein  1506  und  1507  (1  5b  bis  8)  beim  Stadtgericht 
Gransee  zwischen  der  dortigen  Knochenhauer-  (d.  h.  Fleischer-) 
Gilde  und  einem  Granseer  Bürger  geführter  Streit  über  Auf- 
nahme in  die  Gilde.  Auch  hier  sind  die  Prozessschriften  von 
Rechtskundigen,  wenn  auch  nicht  von  gelehrten  Juristen  ver- 
fasse die  sich  mehrfach  auf  „die  gemeinen  schriftlichen 
Rechte* ,  aber  ohne  spezielle  Zitirung  römischer  Stellen, 
nebenher  auch  auf  eine  wörtlich  eingerückte  Stelle  der 
„glosa", 2)  über  die  Pflicht  des  Richters  oder  Beisitzers  be- 
rufen, „eine  dunkle  Zuspräche  zu  vorlegen"  (d.  h.  eine  dunkle 
Klage  zurückzuweisen).  Hiermit  ist  die  Glosse  zu  einem  der 
sächsischen  Rechtsbücher  gemeint,  vermuthlich  die  weitver- 
breitete des  aus  Neuruppin  stammenden,  in  Italien  ausgebil- 
deten Nicolaus  Wurm,  späteren  Rechtskonsulenten  schlesi- 
scher  Städte  und  Fürsten,  aus  dem  Ende  des  vierzehnten 
Jahrhunderts. 3) 

In  diesem  Prozesse  ist  zunächst  mündlich  vor  „Richter 
und  Schepen  der  Stadt  Granseeu  verhandelt;  die  Knochen- 
hauer verweigern  die  Aufnahme  ihres  Mitbürgers  in  die 
Gilde,  weil  sie  dessen  „Adelbrief*  (d.  h.  den  Nachweis  seiner 
ehelichen  deutschen  Geburt)  anzweifeln.  Das  Gericht  giebt 
den  Parteien  auf,  zum  nächsten  Gerichtstag  schriftlich  „ihre 
Gerechtigkeit1*    (d.  h.  eine  ihr  Recht  darlegende  Schrift)  „zu 


J)  Mit  Unrecht  hat  daher  der  neust.  Schöppe  Bart.  Schwarz  1645  in 
dorso  der  dort  von  ihm  notirten  Rubrik  des  Prozesses  hinzugesetzt:  „beim 
schöppenstuhl  alhier  geführt44  (1  10). 

2)  Die  Stelle  lautet  (1  7) :  Ock  sprecket  de  glosa  darup :  Isset  sake, 
dat  die  richtere  apenbarlich  irkennen  kann,  dath  die  thosprake  dunkel 
is  unde  nicht  klar,  ock  nicht  ordentlich  geordent,  van  stunde  an  schal  de 
richtere  edder  beisitter  dath  libell  vorlegen.4* 

8)  Vgl.  Stobbe,  Rechtsq.  1,  380  ff.,  410  ff.  Stintzing,  Rechtswiss.  x,  11. 
Dass  Wurm  in  Bologna  studirt  habe,  bestätigen  die  Acta  bonon.  nicht. 

*)  In  dem  Prozess  von  15 16,  einen  Pferdehandel  betr.,  wird  „appelirt 
an  unsern  gnädigsten  Herrn*4  (1  8  d). 


284  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

übergeben",  die  an  „die  hoch-  und  wohlweisen  Schepen  zu 
Brandenburg"  übersendet  werden  soll  (l  6).  Demgemäss  be- 
steht der  Prozess  aus  zwei  Schriften;  ihnen  legt  der  Kläger 
ein  Zeugniss  seiner  Heimathstadt  Neuruppin  über  seine  Ge- 
burt bei.  Die  Brandenburger  lassen  ihre  „Belehrung  Bran- 
denburger Rechten"  (l  8)  nicht  dem  Gericht  Gransee,  son- 
dern jeder  der  Parteien  in  besonderer  Ausfertigung  zugehen. 
Die  Akten  deuten  dies  dadurch  an,  dass  sie  auf  den  leeren 
Raum  am  Schlüsse  der  Parteischriften  zunächst  lediglich  den 
Eingang  des  für  die  Knochenhauer  bestimmten  Spruches  mit 
den  Worten  setzten:  „Vorsichtige  gunstige  freundt.  Up  jue 
uns  togeschickte  schrifte  spreken  wy  zu  eine  beleringe 
Brandenburger  rechten :  Nachdem  etc.u  und  dann  vollständig 
den  für  den  Kläger  bestimmten  Spruch  folgen  lassen,  der 
den  vom  Kläger  angetretenen  Beweis  für  geführt  erklärt. 

Auch  diese  beiden  in  den  Schöppenstuhlsakten  enthal- 
tenen Niederschriften,  die  —  im  Gegensatz  zu  den  vorher- 
gehenden mit  keinerlei  Firma  unterzeichneten  Oberhofs- 
sprüchen —  zum  ersten  Male  die  Unterzeichnung  tragen: 
„Schepen  beyder  Stede  Brandenborgh",  werden  als  Kopien, 
nicht  als  Konzepte  von  Oberhofssprüchen  anzusehen  sein. 
Dasselbe  muss  von  mehreren  in  Frankfurter  Sachen  1508  er- 
gangenen Brandenburger  Oberhofssprüchen  (1  34.  36.  38.  39) 
und  einem  wohl  in  den  Anfang  der  1520er  Jahre  zu  setzen- 
den Spruch  (1  40)  s.  1.  et  a.  gelten,  der  in  einem  Erbstreit 
„nach  Uebersehung  aller  eingebrachten  Gerichtsakta"  auf 
einen  Gefährdeeid  und  auf  die  Leistung  einer  Gewere  erkennt. 

Drei  weitere  Prozesse  und  zwar  aus  den  Jahren  1514 
(1  8*".  &),  1516  (18  g  bis  d)  und  1524  (1  41  bis  57)  haben  hier  aus- 
zuscheiden, weil  sie  nur  altstädter  Streitigkeiten  behandeln,  in 
denen  der  Schöppenstuhl  beider  Städte  nicht  angegangen  wird. 
.  Als  Ergänzung  der  Schöppenstuhlsakten  dienen  noch 
einige  Sprüche,  die  in  der  Garz-Roterschen  Decisionensamm- 
lung  *)  (ÜB.  4)  enthalten  sind.  Ein  darin  als  „vetus  sententia* 
abgedruckter  und  in  niederdeutscher  Sprache  mit  den  Ein- 
leitungsworten „ist  gespracken  v.r."  verfasster  Spruch  ohne 
Datum  erging  auf  Anfrage  der  Schoppen  zu  Berlin  und  be- 

')  Siehe  oben  Seite  24  ff. 


§  i6.    Der  Schöppenstuhl  bis  zur  Joachim ica  (1432  bis  1527).         285 

traf  die  Frage,  was  des  Mannes  oder  der  Frau  „vorbate"  in 
der  Erbschichtung  sei,  während  ein  anderer  gleichfalls  un- 
datirter  Spruch  sich  über  den  Begriff  des  Hausgeräths  aus- 
liess  (ÜB.  4  60).  Sodann  sprachen  sich  um  1456  (ÜB.  4  95) 
die  Brandenburger  Schoppen  über  den  Werth  einer  Bran- 
denburgischen Mark  fein  Silbers  und  einer  „loddigen"  Bran- 
denburgischen Mark  Silbers  aus;  die  Eingangsformel  lautet: 
„Hirup  spreeken  wy  vor  eine  beleringe  Brandenborges 
rechtens";  die  Anfragenden  sind  nicht  angegeben.  Ferner 
entschied  im  Jahre  i486  ein  als  „Brandenburgisch  recht44  be- 
zeichneter Spruch,  dass  die  Halbbrüder  dem  Gross vater  und 
der  Grossmutter  vorgehen,  später  aber  gaben  die  Branden- 
burger diesen  Grundsatz  nach  dem  Vorgang  der  Magde- 
burger und  Leipziger  auf  (ÜB.  4  43).  Weiter  wurde  im  Jahre 
1503  (ÜB.  4  41)  in  einer  Bernauer  Sache  „vor  Recht  ge- 
sprochen4*, dass  die  vollen  Geschwisterkinder  mit  zwei  Theilen 
und  des  halben  Bruders  Kinder  mit  einem  Theile  erben 
sollen.  Endlich  verbreitet  sich  ein  Spruch  von  15 15  (ÜB.  4  20) 
über  die  Frage,  ob  die  Ehefrau  das,  was  ihr  vom  Vater  mit 
in  die  Ehe  gegeben  sei,  konferiren  müsse. 

Dem  schliesst  sich  noch  ein  von  Riedel1)  mitgetheilter 
Fall  des  Jahres  1521  an.  Er  behandelt  den  vom  Kuhhirten 
in  Straussberg  gelegentlich  eines  Brandes  begangenen  Dieb- 
stahl zweier  Kessel;  der  Kuhhirt  sammt  seinem  Weibe  werden, 
obwohl  sie  „sehr  geringe  Sachen  gestohlen*4,  weil  die  Dieberei 
in  Feuersnöthen  erfolgt  sei,  zum  Tode  verurtheilt,  es  sei  denn, 
dass  sie  der  Rath  zu  Straussberg,  der  die  Rechtsfrage  ge- 
stellt hatte,  „begnaden  und  befristen  wolle44.  Die  letztere 
Sache  giebt  einen  weiteren  Beleg»  dass  schon  im  Anfang 
des  sechzehnten  Jahrhunderts  der  Brandenburger  Schöppen- 
stuhl auch  in  Strafsachen  Belehrung  ertheilten. 

Im  Ganzen  scheinen  sämmtliche  Aktenreste  aus  der  Zeit 
vor  1527  die  Annahme  zu  begründen,  dass  der  Schöppen- 
stuhl beider  Städte  in  den  Formen,  in  denen  er  seine  Sprüche 
schriftlich  ausgehen  Hess,  noch  mannigfach  hin-  und  her- 
schwankte,   dass  er  aber  anfing,  seine  Sprüche  in  Abschrift 

*)  C.  d.  i,  12  S.  127.  Das  von  Riedel  angezogene  „Original44  des 
Spruches    besitzt    die  Stadt  Staussberg  nicht  mehr. 


286  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

und  die  ihm  eingesandten  Akten  im  Original  zurückzube- 
halten. Von  Hinweisen  auf  römisches  oder  gemeines  oder 
geschriebenes  oder  Kaiser-Recht  findet  sich  keine  Spur,  wohl 
aber  betonten  die  Schoppen  mit  Vorliebe,  dass  sie  Bran- 
denburgisches Recht  sprechen,  wie  die  Anfragenden  mit 
Vorliebe  sich  ein  Brandenburgisches  Recht  erbitten. 

Den  untrüglichsten  Beleg,  dass  in  der  That  das  Verfahren 
des  Schöppenstuhls  während  dieser  Periode  darin  bestand, 
seine  Sprüche  urschriftlich  den  Anfragenden  mitzutheüen  und 
sich  eine  vom  Schöppenschreiber  herzustellende  und  zu  ver- 
wahrende Abschrift  zurückzubehalten,  bietet  der  Eid,  den 
der  Schöppenschreiber  zu  leisten  hatte.  Dessen  Formel 
lautet  nach  dem  Schöppenbuch  von  1692  r1) 

Ich  gelobe  und  schwere  zu  gott,  demnach  ich  zum  secretario 
des  churf.  Brandenb.  schöppenstuhls  alhier  angenommen,  so  will  ich 
solchem  ampte  in  schreiben  der  urtheln  und  andern  Sachen  mit 
treuen  fleis  vorstehen,  die  Schriften  und  berichte,  so  im  schöppen- 
stuhl  einkommen,  nebst  den  copeyen  der  ausgefertigten 
urtheln  getreulich  verwahren,  dieselbe  niemand  lesen  laßen  oder 
abschrift  davon  ohne  erlaubnis  der  herrn  schöppen  geben  noch 
sonsten  dieselbe  melden  oder  offenbahren,  ehe  denn  sie  publiciret 
seyn,  auch  alle  heimligkeiten  des  schöppenstuhls  gänzlich  ver- 
schweigen und  deßen  nutzen  und  frommen  beobachten  und  be- 
fordern, keinem  part  wieder  das  andere  einrathen  oder  warnen 
und  sonsten  alles  thun  und  laßen,  was  einem  getreuen  secretario 
gebühret  und  wohl  anstehet,  so  wahr  als  mir  gott  helfe. 

Die  Formel  eines  älteren  Schöppenschreibereides  ist  nicht 
bekannt.  Offenbar  weist  aber  die  in  den  Eid  aufgenommene 
Verpflichtung  des  Schreibers,  neben  den  eingegangenen  Be- 
richten die  „Copeyen  der  ausgefertigten  Urthelu  aufzube- 
wahren, in  eine  Zeit  zurück,  in  welcher  es  noch  keine  Ur- 
theils  entwürfe  beim  Schöppenstuhl  gab.  Da,  wie  sich  ge- 
zeigt hat,  noch  im  Beginne  des  achtzehnten  Jahrhunderts  die 
Bezeichnung  „Urtheilskopeien"  für  „Urtheilsentwürfe"  ge- 
bräuchlich war,2)  so  kann  es  nicht  befremden,  dass  dieser 
Gebrauch  sich  in  der  Eidesformel  wiederspiegelt,  die  man  in 


l)  Fol.    13,    abgedruckt  im   31.  Jahresbericht    des    histor.  Vereins    «u 
Brandenburg  S.  87. 

a)  Siehe  oben  S.  22. 


§   ij.     Joachimica.  287 

den  letzten  Jahrzehnten  des  siebzehnten  Jahrhunderts  bei  der 
Verpflichtung  des  Schöppenschreibers  anwendete. 

§17. 

Joachimica. 

Ein  tierinnerer  Grund  war  es,  der  die  Brandenburger 
Schoppen,  wie  die  märkischen  Gerichte  und  deren  Insassen 
bestimmte,  auf  ihr  Brandenburgisches  Recht  Gewicht 
zu  legen.  Aus  demselben  Grunde  hatten  die  Städtebünde 
von  1399  und  1431  auf  ihre  Fahne  die  Wahrung  Branden- 
burgischen Rechtes  geschrieben,  demselben  Grunde  entsprang 
auch  der  Erlass  der  Joachimica  und  ihre  Aufrechthaltung  bis 
zur  neuesten  Zeit. 

In  der  Mark  Brandenburg  brachte  es  die  Germanisation 
durch  westfälische,  fränkische  und  flandrische  Kolonisten  zu 
selbständigen  Rechtsbildungen,  von  denen  die  eheliche  Halb- 
theilung  eine  der  bekanntesten  ist.1)  Das  war  diejenige 
eheliche  Gütergemeinschaft,  die  dem  überlebenden  Ehegatten 
das  Recht  gab,  die  Hälfte  des  Gesammtgutes  zu  beanspruchen, 
wenn  er  nicht  die  Zurücknahme  seines  Eingebrachten  vorzog. 
Gerade.um  dies  den  Märkern  in  Fleisch  und  Blut  übergegangene 
Recht  handelte  es  sich  bei  der  Wahrung  Brandenburgischen 
Rechtes  durch  den  Schöppenstuhl  zu  Brandenburg,  und  es 
handelte  sich  gerade  darum  bei  Erlass  der  Joachimica. 
Ausserdem  hatten  sich  aber  Fürst  und  Stände  der  Mark  den 
fremden  Rechten  zugeneigt.  Dabei  mag  der  politische  Ge- 
sichtspunkt mitgewirkt  haben,  dass  sich  die  Mark  dem  be- 
nachbarten Sachsen  gegenüber  eine  mehr  unabhängige  Stel- 
lung sichern  wollte;  sie  erstarkte  dadurch  als  Territorial- 
macht. Bei  Joachim  I.,  einem  eifrigen  Anhänger  des  Katho- 
lizismus, hat  sicher  auch  die  Antipathie  gegen  die  in  Sachsen 
beschützte  neue  Lehre  mitgewirkt,  deren  Anhänger  —  Luther 
an  der  Spitze  —  wenig  vom  römischen  und  kanonischen  Rechte 
hielten,  so  dass  sich  in  Sachsen  auch  darin  eine  andere  Strö- 
mung als  in  Brandenburg  kundgab:  vom  Jahre  1488  an  bis 
zur  Festlegung  des  sächsischen  Rechtes  durch  die  sächsischen 

*)  Hänel  in   der  Ztschr.   f.   RGesch.  1,  273.     v.  Martitz,    Ehel.  Güter- 
recht S.  3,  24,  50. 


288  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

Konstitutionen  des  Jahres  1572  ist  man  dort  bestrebt,  das 
sächsische  Recht  in  den  Vordergrund  zu  stellen  und  nur,  wo 
es  dunkel  war,  seine  Deutung  nach  gemeinem  Rechte  zuzu- 
lassen. Dem  galt  auf  Veranlassung  der  sächsischen  Kurfürsten 
die  Thätigkeit  der  sächsischen  Juristen,  namentlich  Lagus\ 
Klings  und  Königs. l)  Dass  man  in  Magdeburg,  dem  eigent- 
lichen Sitz  des  sächsischen  Rechtes,  gleichem  Streben  huldigte, 
kann  nicht  Wunder  nehmen,  obwohl  zur  kritischen  Zeit  des 
Kurfürsten  Joachim  Bruder  der  Erzbischof  und  Landesherr 
Magdeburgs  war;  hatte  doch  Magdeburg  sich  bereits  1524 
mit  Entschiedenheit  dem  Lutherthum  zugewandt.2) 

Wie  sehr  Joachim  sich  davon  überzeugt  hielt,  dass 
seinen  Zielen  das  gelehrte  Recht  viel  dienlicher  sei  als  das 
heimische  Recht  seines  Landes,  geht  am  unzweideutigsten 
aus  der  Ermahnung  hervor,  die  er  seinem  jugendlichen 
Enkel,  dem  Herzog  Erich  von  Braunschweig,  bei  dem 
letzten  Zusammensein  zu  Theil  werden  Hess;  „es  solle  kein 
Fürst  regieren,  er  wüsste  denn  zuvor  die  Kaiserrechte;  der 
Enkel  möge  ja  dieselben  lernen".  Erichs  Mutter,  die  Her- 
zogin Elisabeth  von  Münden,  wiederholte  diese  Ermahnung 
nach  Joachims  Tode  mit  dem  Zusätze:  „Ich  achte,  der  löb- 
liche Fürst  hat  es  aus  Erfahrung  seines  Regiments  be- 
kommen".3) 

Als  muthmassliche  Verfasser  der  märkischen  Landes- 
konstitution Joachims  (der  sog.  Joachimica)  von  1527 4)  dürfen 
der  mit  Magdeburger  Verhältnissen  wohl  bekannte  Dr.  Metsch 
und  der  als  Verfasser  eines  Ruppiner  Landregisters  mit  mär- 
kischen Lokalgewohnheiten  besonders  vertraute  Stendaler 
Propst  Rehdorffer  gelten. 5)  Der  letztere  stand  dem  Kur- 
fürsten sehr  nahe,  war  nach  Eröffnung  des  Landtags  von  1527 
als  Ketzerrichter  über  der  Kurfürstin  Abfall  vom  Katholizis- 

')  Muther,  Zur  Gesch.  der  RWiss.,  Jena  1876  S.  305,  319  ff.,  352  ff. 
Stintzing,  Gesch.  der  d.  RWiss.   1,  304,  308,  560. 

2)  Siehe  oben  Seite  208. 

3)  Tschackert,  Herzogin  Elisabeth  von  Münden  1899  S.  31.  Brandenh.- 
Preuss.  Forschungen  14,  330. 

4)  Material  über  die  Entstehungsgeschichte  fehlt. 
•)  StÖlzel,  Rechtsverw.   1,  138  ff. 


§  17.    Joachimica.  289 

mus  thätig  und  setzte  bis  in  die  1550er  Jahre  der  Einführung  des 
Lutherthums  in  die  Mark  den  stärksten  Widerstand  entgegen.1) 

Ein  grosser  Staatsakt  des  von  solchem  Manne  unter- 
stützten streng  katholischen  Brandenburgischen  Kurfürsten  ist 
im  Jahre  1527  nicht  denkbar  ohne  eine  gegen  das  Luther- 
thum  gerichtete  Spitze.  So  vereinte  sich  sehr  natürlich  die 
Strömung,  des  Brandenburgischen  Rechtes  Eigentümlich- 
keiten zu  erhalten,  mit  der  anderen  Strömung,  die  Bezie- 
hungen zu  dem  benachbarten,  seit  Kurfürst  Friedrichs  Tode 
(1525)  unter  dessen  Nachfolger  offen*  zu  Luther  übergegan- 
genen Sachsen,  namentlich  aber  die  zum  Schöppenstuhl  des 
ebenso  offen  abgefallenen  Magdeburg  möglichst  zu  lösen. 
Eine  dritte,  mindestens  gleich  starke  Strömung  ging  dahin, 
der  sich  mehrenden  landesherrlichen  Gewalt  eine  neue  Stütze 
dadurch  zu  verschaffen,  dass  an  Stelle  des  über  das  Land 
verbreiteten  städtischen  Oberhofsnetzes  ein  der  kurfürstlichen 
Autorität  unterstellter  Landescentraloberhof  gesetzt  werde. 

Diesen  Strömungen  trug  die  Joachimica  Rechnung;  sie 
ist  das  letzte  in  der  Mark  gegen  das  Lutherthum  aufgerich- 
tete Bollwerk,  erfüllte  aber  hier,  wie  die  Zeitläufe  nun  ein- 
mal waren,  weit  weniger  ihren  Zweck,  als  nach  den  beiden 
anderen  Richtungen  hin,  die  Märker  fernzuhalten  von  allzu- 
grosser  „Saxonisirung"  2)  ihres  Rechtes  und  mit  Beiseiteschie- 
bung der  kleineren  Oberhöfe  des  Landes  dem  Oberhofe  der 
einstigen  Hauptstadt  Brandenburg  neues  Leben  einzuhauchen. 

Als  Kurfürst  Joachim  I.  und  der  Landtag  sich  über  eine 
„Ordnung  der  Erbfalle  und  andern  Sachen"  einigte,  wie  es 
die  Joachimica  unterm  9.  Oktober  1527  dem  Lande  verkün- 
dete, zog  man  in  die  Einigung  auch  die  Frage  hinein,  wo 
Rechtsbelehrung  zu  holen  sei,  setzte  nun  aber  an  die  Stelle 
der  Magdeburger  Schoppen  nicht  etwa,  wie  es  1503  beab- 
sichtigt war,3)  die  kurfürstlichen  gelehrten  Räthe  oder  das 
bereits  längst  konstituirte  Kammergericht,  sondern  die  Bran- 
denburger Schoppen. 

x)  Heyäemaon,  Reformation  S.  153,  345  ff.  Zu  vergl.  WohlbrOck, 
Lebus  a,  376. 

')  Vergl.  v.  Kamptz,  in  Mathis'  jur.  Monatsschr.   u,  66. 
3)  Siehe  oben  Seite  279. 

Stölzel,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung-.    I.  K) 


290  4*  Huch.     Entwicklung  der  Organisation. 

In  der  Joachimica  werden  zunächst  die  „Erbfalle  zwischen 
Eheleuten",  dann  die  „Testamente",  „die  gemeinen  Erbfalle" 
(jedoch  nur  mit  dem  generellen  Satze,  dass  in  ihnen  nach 
Kaiserrecht  zu  sprechen  sei),  ferner  das  „Kindergeld  und 
Erbgeld"  behandelt.  Ehe  aber  die  Kapitel  folgen,  welche 
im  Einzelnen  die  Intestaterbfolge  nach  den  Grundsätzen  des 
römischen  Rechtes  regeln,  findet  ein  Kapitel  „von  den  Bran- 
denburgischen Rechten"  (d.  h.  hier  von  den  Brandenburgischen 
Gerichten)  seinen  Platz  mit  folgendem  Wortlaut: 

„Dieweil  wir  auch  betrachten,  das  unsere  beide  Städte  Alt-  und 
Neustadt  Brandenburg  eines  alten  und  löblichen  gerichts,  mit  einem 
sonderlichen  gerichtsstuhl  sambtlich  begnadet  und  von  vielen  unsern 
vorfahren  löbl.  und  seelicher  gedacht  nis,  churfÜrsten  und  forsten, 
damit  privilegiret  und  befreyet  worden  seyn,  welches  sie  auch  als 
hauptstädte  unseres  churfürstenthumbs  bis  anhero  in  löblicher  ge- 
wohnheit  und  gebrauch  also  hergebracht  und  erhalten,  dass  auch 
viel  andere  umliegende  Städte  und  flecken  ihr  recht  in  allen  ihren 
Sachen,  auch  in  erb  fällen  bei  ihnen  gesucht  und  erholet,  haben 
wir  aus  sonderlichen  gnaden,  auch  mit  aller  geständte  unserer  land 
rath  und  ihrem  selbst  wissen  und  willen,  ihnen  gegönnet  und 
zugelassen,  dass  die  beide  unser  Städte  Alt-  und  Neustadt  Branden- 
burg hinfürder  nochmals  einen  gemeinen  richtsstuhl  samtlich, 
wie  vor  alters,  haben  und  behalten  sollen,  von  dem  auch  die  um- 
liegende städte,  flecken  und  sonsten  jedermanniglich  in  allen  ihren 
sachen,  auch  in  erb  fällen,  recht,  urtheil  und  belehrung  suchen 
und  holen  mögen  wie  vor  alters.  Doch  sollen  sie  nicht  anders, 
denn  nach  dieser  Satzung  und  willkör  in  den  ausgedrückten 
articuln  und  sonsten  in  allen  andern  sachen  nach  beschrie- 
benen keyserrecht  belerung  und  urtheil  geben  und  sprechen, 
von  den  auch  das  beschwerte  part,  so  das  solches  appellirens 
füge  haben  möchte,  an  uns,  unsere  cammergerichte  rechtlicherweise 
zu  appelliren  macht  haben  sollen.14 

Erst  eine  Durchsicht  der  Brandenburger  Schöppenstuhls- 
akten  Iässt  klar  erkennen,  welche  grosse  Bedeutung  der  Er- 
lass  der  Joachimica  hatte;  sie  war  für  die  Mark  im  Kleinen, 
was  das  Bürgerliche  Gesetzbuch  heute  für  das  Deutsche  Reich 
im  Grossen  ist.  Darum  heisst  auch  in  unsern  Akten  die 
Joachimica  durchgängig  „die  Landeskonstitution u  xai*  igo/^v. 
Zwar  griff  sie  unmittelbar  nur  in  einzelne  Theile  des  mate- 
riellen Rechtes  ein,  indem  sie  die  güterrechtlichen  und  die 
erbrechtlichen  Verhältnisse  regelte,  aber  das  waren  gerade 


§  17.    Joachimica.  291 

diejenigen  Gebiete,  auf  denen  es  von  lange  her,  noch  ehe  von 
Einflüssen  fremden  Rechtes  die  Rede  war,  empfindliche 
Zweifelsfragen  gab,1)  und  auf  denen  das  deutsche  Recht  mit 
dem  römischen  Recht  am  fühlbarsten  zusammenstiess,  so  dass 
sich,  um  den  Streit  zu  schlichten,  die  Gesetzgebung  zu  einem 
Vorgehen  entschliessen  musste.  Auf  den  anderen ,  Gebieten 
konnte  es  der  Rechtsübung  überlassen  bleiben,  den  römischen 
Auffassungen  allmählich  Eingang  zu  verschaffen.  Im  Grossen 
und  Ganzen  stellte  sich  die  Joachimica  auf  den  Standpunkt, 
dass  die  Geltung  „der  gemeinen  und  beschriebenen  Kaiser- 
rechte"  (d.  h.  des  römischen  und  kanonischen  Rechtes)  eine 
bereits  vollendete  Thatsache  sei;  denn  —  den  Schlussworten 
der  Joachimica  zufolge  —  sollen,  „so  über  hier  oben  gesetzte 
.  .  .  Erbfalle  etliche  sonderliche  Fälle  sich  begeben  würden, 
die  hierinnen  nicht  begriffen,  dieselbigen  nach  gemeinen  und 
beschriebenen  Keyser  -  Rechten  geörtert  und  gesprochen 
werden".  Das  gemeine  Recht  wurde  also  als  das  subsidiäre 
Recht  anerkannt,  soweit  nicht  im  ehelichen  Güterrecht  und 
im  Erbrecht  die  Joachimica  —  in  weiser  Wahrung  heimischer, 
auf  deutschem  (sächsischem)  Rechte  ruhender  Gebräuche  — 
etwas  Abweichendes  bestimmte.  Gerade  für  die  Wahrung 
dieses  heimischen  Sonderrechts  sollte  der  Richtstuhl  beider 
Städte  Brandenburg  erhalten  bleiben,  und  zwar  wie  bisher 
als  gemeinschaftlicher  vereinigter  Richtstuhl  (als  „gemeiner" 
Richtstuhl  „sammtlichu).  Dass  er  je  anders  bestanden  hatte, 
war  in  der  Erinnerung  geschwunden;  man  kannte  ihn  „von 
Alters"  nur  als  vereinigten  Richtstuhl.  Er  ist  kein  kurfürst- 
licher Richtstuhl,  wie  das  Kammergericht  ein  kurfürstliches 
Gericht2)  ist,  sondern  er  ist  ein  Richtstuhl  der  Städte.  Hieran 
will  die  Joachimica  nichts  ändern. 

')  Man  sehe  z.  B.,  wie  in  dem  1404  vom  Rath  zu  Wimpfen  in  seinem 
erneuerten  Stadtbuch  niedergelegten  Stadtrecht  das  eheliche  Güter-  und  Erb- 
recht in  den  Vordergrund  tritt.  Oberrheinische  Stadtrechte,  herausg.  von 
der  bad.  hist.  Kommission.     Heidelberg  1895.     2.  Heft  S.  77  ff. 

*)  „Unser**  Kammergericht.  S.  die  Schlussworte  obiger  Stelle  der 
Joachimica.  —  Aus  der  Bestimmung  der  Joachimica  über  Brandenburg 
glaubt  Holtze,  Gesch.  des  Kammerger.  1,  197  „deutlich  zu  erkennen,  dass 
der  Kurfürst  damit  umgegangen  war,  die  Wirksamkeit   des  Schöffenstuhls 

IQ* 


292  4*  Buch.     Entwicklung-  der  Organisation. 

Zum  Verständniss  der  verschiedenen  Stellung  des  Magde- 
burger und  des  Brandenburger  Schöppenstuhls  wird  es  bei- 
tragen, wenn  man  erwägt,  dass  die  hauptsächlichste  Rechts- 
quelle für  die  Gerichte  älterer  Zeit  das  Gewohnheitsrecht 
war.  .Auch  der  Sachsenspiegel  war  nichts  als  nieder- 
geschriebenes Gewohnheitsrecht,  und  die  fremden  Rechte 
hielten  ihren  Einzug  auf  keinem  anderen  Wege  als  auf  dem  der 
Gewohnheit.  Wo  eine  Lücke  sich  zeigte  in  der  Ortsgewohn- 
heit der  einzelnen  Stadt,  da  fing  man  an,  als  man  das  Recht 
auf  hohen  Schulen  gelehrt  bekam,  die  Lücke  aus  diesem  ge- 
lehrten Rechte  vermittels  dessen  gewohnheitsmässiger  An- 
wendung auszufüllen.  Das  Recht,  das  die  Oberhöfe  sprechen, 
ist  im  Wesentlichen  Ortsrecht,  nämlich  das  Recht  der  Stadt, 
in  der  der  Oberhof  seinen  Sitz  hat;  der  Magdeburger 
Schöppenstuhl  spricht  darum  Magdeburgisches,  der  Branden- 
burger Schöppenstuhl  spricht  Brandenburgisches  Recht  Das 
schliesst  nicht  aus,  dass  jenes  Recht  zu  seinem  Untergrund 
Sachsenrecht  hat,  wie  das  Brandenburgische  Recht  zu  seinem 
Untergrund  das  Kaiserrecht  und  das  Joachimische  Landes- 
recht hat. 

Je  umfassender  und  je  energischer  das  deutsche  Ge- 
wohnheitsrecht von  den  Oberhöfen  festgehalten  wurde,  desto 
spärlicher  blieb  für  die  fremden  Rechte  der  Raum,  in  welchem 
sie  zur  Herrschaft  gelangen  konnten.  In  Magdeburg  wurde 
der  Raum  durch  Festhalten  am  Sachsenspiegel  erheblich 
mehr  eingeschränkt  als  in  der  Mark.  Auf  Gebieten  aber, 
auf  denen  in  Magdeburg,  wie  in  Brandenburg  gleichmässig 
die  fremden  Rechte  sich  Eingang  verschaffen  konnten,  ent- 
wickelte sich  die  Rechtsprechung  in  Magdeburg  nicht  anders 
wie  in  Brandenburg,  bis  der  grosse  Kurfürst  im  Jahre  1688 
die  Sachsenrechte  sogar  für  Magdeburg  abschaffte,  indem  er 
sie  dahin  einschränkte,  dass  sie  nur  so  weit  neben  dem  ge- 
meinen Kaiserrecht    beobachtet  werden    sollten,    als  sie  den 

auf  die  Streitsachen  in  den  bei  den  Städten  Brandenburg  selbst  einzu- 
schränken*. Diese  unzutreffende  Auffassung  erklärt  sich  nur  aus  dem  Dunkel, 
in  welchem  bisher  der  Brandenburger  Schöppenstuhl  lag;  sie  macht  aus 
dem  -  für  die  ganze  Mark  bestimmten  —  Richtstuhl  beider  Städte 
Brandenburg  einen  für  die  beiden  Städte  bestimmten  Richtstuhl. 


§  17«     Joachimica.  293 

Magdeburgischen    Kirchen-,    Polizei-,  Prozess-    und    anderen 
Ordnungen  konform  seien.1) 

Es  gab  auch  für  die  gelehrten  Juristen  Magdeburgs 
frühester  Zeit  keine  andere  Ausbildung  auf  den  Universitäten, 
als  die  romanistische,  die  bereits  im  Jahre  1547  soweit  vor- 
geschritten war,  dass  alle  Magdeburger  Schoppen  gelehrte 
Juristen  waren.2)  Aus  der  Büchersammlung  des  Magdeburger 
Notars  Viti3)  lässt  sich  zugleich  auf  das  Blühen  der  Studien 
der  fremden  Rechte  schon  einige  Jahrzehnte  früher  in  Magde- 
burg schliessen,  wie  denn  z.  B.  die  Magdeburger  Schoppen 
schon  „etliche  Zeittt  nach  1469  ein  vor  Notar  und  Zeugen 
errichtetes  Testament  als  gültig  anerkennen.4) 

In  der  Mark  fasste  man  mit  Recht  den  Zweck  der 
Joachimica  dahin  auf,  dass  durch  sie  „das  Sachsenrecht  auf- 
gehoben145) oder,  wie  es  in  einem  unserer  Aktenstücke 
drastisch  heisst,  „niedergeschlagen  sei".  Eine  authentische  Inter- 
pretation giebt  in  dieser  Beziehung  der  Eingang  der  Ver- 
ordnung Joachim's  II.  von  1536 6): 

„Dieweil  hier  vormals  die  stende  unser  landtschaft  sich  ein- 
trechtiglich  mit  uns  vereinigt  und  verwilligt,  das  hinfurder  in  unsern 
churfurstenthumb  und  landen  keiserrecht  gehalten  und  gesprochen 
soll  werden,  derwegen  sich  auch  unsere  prelaten,  herrn,  manne  und 
stedte  aller  gebrauch  und  gewonheiten  voriger  gericht  und  rechtens 
verziehen  und  abgesagt,  ordnen  und  wollen  wir,  das  hinfurder  in 
erbteylung  kein  heregewedte,  gerade  noch  museteil  sol  genommen 
werden  noch  gegeben,  besunder  in  dem  und  andern  allen  keiserrecht 
dergestalt,  wie  hievon  in  unser  aufgerichten  Constitution  und  ordenunge 
der  erbfelle  geordnet,  durch  ydermeniglich  sol  gehalten  werden." 

Also  auch  der  Nachfolger  des  Schöpfers  der  Joachimica 
bekannte  sich  mit  Beginn  seiner  Regierung  zum  Kaiserrecht 
und  zur  Abschaffung  des  Sachsenrechtes. 


J)    VO.  vom   3.  Januar   1688,    betr.    die    Polizeiverordnung    von    1688 
(Mylius,  corpus  constit.  magdeb.  17 14.  Dritter  Theil,  Vorrede). 

*)  Magdb.  Gesch. Bl.  30.  Jahrg.  S.  158  ff.  

3)  Siehe  oben  Seite  199  ff. 

4)  Friese  und  Liesegang,  Magdeb.  Schöffensprüche  1,  175. 

•)  1560  (8  157). 

6)  Rep.  20  C.  Landschaftfragmente  1470 — 1543.  St.A.     Mylius,  c.  c.  m. 
Bd.  VI  Abthl.  1.  Sp.  35. 


294  4*  Buch      Entwicklung  der  Organisation. 

Um  „die  gemeinen  Rechte"  oder  „die  Kaiserrechte-, 
d.  h.  das  Recht  des  Corpus  juris,  im  einzelnen  Lande  zur 
Geltung  zu  bringen,  genügte  nach  dem  deutschen  Staats- 
rechte am  Ende  des  fünfzehnten  und  am  Anfange  des  sech- 
zehnten Jahrhunderts  so  wenig  ein  Reichstagsschluss,  als  ein 
kaiserliches  Edikt.  Das  1500  in  Augsburg  regulirte  Erbrecht 
der  Enkel  gelangte  erst  damit  in  der  Mark  zur  Anwendung, 
dass  es  der  Landtag  zu  Berlin-Cöln  151 1  als  natürlich,  billig 
und*  recht  annahm.1)  Das  Nürnberger  Edikt  des  Kaisers 
über  das  Repräsentationsrecht  der  Seitenverwandten  vom 
27.  November  1521  schickte  Herzog  Georg  von  Sachsen 
den  Schoppen  zu  Leipzig2)  zur  Nachachtung,  zog  es  aber 
zurück,  nachdem  die  Schoppen  vorgestellt  hatten,  dass  das 
Oberhofgericht  Bedenken  trage,  es  anzuwenden  und  sie 
mit  diesem  nicht  „gezweit"  werden  möchten.  Erst  1545 
erklärten  sich  auf  Bitten  des  Rathes  von  Zerbst  die  Fürsten 
von  Anhalt  bereit,  nach  jenem  Edikte  statt  nach  dem 
sächsischen  Rechte  die  Erbfolge  der  Enkel  und  Geschwister- 
kinder eintreten  zu  lassen. 3)  Darauf  beruht  es  unverkennbar, 
dass  die  Joachimica  es  für  erforderlich  hielt,  ausdrücklich 
auszusprechen,  es  solle  nach  gemeinen  Kaiserrechten  ge- 
sprochen und,  wenn  etwa  demnächst  eine  kaiserliche  Kon- 
stitution das  Erbrecht  der  Geschwisterkinder  regele,  — 
wie  es  zwei  Jahre  später  auf  dem  Reichstag  zu  Speier  be 
liebt  wurde  —  so  solle  sie  in  den  Brandenburgischen  Landen 
gehalten  werden.4) 

Die  Joachimica  will  das  hier,  und  da  ortsgebräuchlich 
geänderte  Sachsenrecht  ersetzen  durch  das  hier  und  da  ge- 
setzgeberisch geänderte  Kaiserrecht.  Der  Sachsenspiegel 
rückte  damit  in  das  Reich  der  Träume  und  Wunder;  er  half 
dem  Hexenglauben  Nahrung  geben,  vielleicht  nicht  ohne  Ein- 
fluss  der  praefatio  rhytmica  Eikes  von  Repkow,  nach  der 
man   Sachsenrecht    im    Sachsenspiegel   finden   soll,    wie   in 

!)  Stölzel,  Rechtsverw.  1,  125. 
*)  Ztschr.  der  Sav.Stiftung  7,  2.  102. 

3)  Friese  und  Liesegang,  Magdeburger  Schöffenspruche,  Bd.  x  S.  24a. 
*)  Auf   diese    kaiserliche   Konstitution    hin  sprechen  die  Br.  1590  (32 
65)»  i59i   (33  263). 


§  17-    Joachimica.  295 

einem  Spiegel  die  Frauen  ihr  Antlitz  beschauen.  So  be- 
kennt eine  in  Soldin  wegen  Zauberei  Verfolgte  1564  (9307), 
sie  habe  sich  dem  Teufel,  „dem  weisen  Peter-,  vertraut  und 
besässe  einen  Sachsenspiegel,  wie  auch  einen  Kristall  (dieser 
galt  als  besonders  gefährliches  Zaubermittel);  damit  könne 
sie  den  Peter  bannen,  dass  er  ihr  sagen  müsse,  was  sie  von 
ihm  wolle  (9  307).  Noch  ein  Jahrhundert  später  besteht  der- 
selbe Wahn:  eine  wegen  Zauberei  Gefolterte  bekennt  1656 
in  Zehden  (Städtchen  bei  Landsberg  a.  W.),  dass  sie  sich 
dem  Teufel  vertraut  habe,  der  ihr  versprochen,  Alles  ihr 
sagen  zu  wollen,  was  sie  ihn  „aus  dem  Spiegel  fragen  würde", 
sie  habe  „in  den  Kristallenstein  oder  Sachsenspiegel  gesehen" ; 
bei  nochmaliger  Vernehmung  sagt  sie,  „sie  habe  den  Sachsen- 
spiegel ihrer  Tochter  gegeben,44  und  dann,  „sie  habe  keinen 
Sachsenspiegel,  wohl  aber  zwei  Teufel  gehabt44  (ÜB.  2  7 16  ff. 
7943.  67.  23.   12). 

Mit  der  Lossagung  vom  Sachsenspiegel  ging  in  der 
Mark  .die  Lossagung  vom  Magdeburger  Schöppenstuhl  Hand 
in  Hand. 

Aehnlich  war  die  Sachlage  1547  für  Breslau,  als  Prag 
zum  böhmischen  Appellationshof  bestellt  wurde;  damit  hörte 
die  bisher  übliche  Berufung  nach  Magdeburg  auf,  und  es 
begann  die  Beseitigung  des  sächsischen  Rechtes. l)  Die 
Joachimica  sah  aber  voraus,  dass  durch  die  Neuordnung  der 
Dinge  —  namentlich  „in  Erbfallen44  —  viele  Zweifelsfragen 
auftauchen  und  somit  viele  Prozesse  entstehen  würden.  Dass 
sie  sich  darin  nicht  täuschte,  ergiebt  die  im  Jahre  1549  von 
den  Städten  dem  Kurfürsten  vorgetragene  Bitte,2)  erklären 
zu  wollen,  wie  die  Konstitution  zu  verstehen  und  zu  deuten 
sei,  da  sich  ihretwegen  in  „Erbfällen,  Testamenten,  Ver- 
machungen, Ehestiftungen,  auch  mit  Bezahlung  der  Schulden 
in  stehender  Ehe  und  sonst  viel  Zanks,  Disputation  und 
Uneinigkeit  zutrage44. 

Die  vermehrte  Arbeitslast  der  Rechtsprechung  wäre  an 
oberster  Stelle  den  wenigen  gelehrten  Räthen  zugefallen,  die 
der  Kurfürst  in  das  Kammergericht  gezogen  hatte.     Der  Ent- 

l)  Prasek,  Ztschr.  f.  Geschichte  Schlesiens  33,  324. 
*)  R.  20  D.   Landtag-sakten   1548  —  1550. 


29t)  4«  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

wurf  der  Kammergerichtsordnung  von  1 516  kennt  deren  zwei. 
Diese  rein  römisch  gebildeten  Juristen  kannten  nicht  den  auf 
Magdeburgischem  Rechte  beruhenden  Landesbrauch,  wie  ihn 
die  Joachimica  in  mancher  Beziehung  aufrecht  erhielt.  Hier 
waren  die  Brandenburger  Schoppen  kundig;  denn  bei  ihnen 
war  „von  Alters  her  auch  in  Erbfällen  von  den  umliegen- 
den Städten  und  Flecken  in  allen  Sachen  ihr  Recht  gesucht 
worden"  (oben  S.  290).  Als  eine  passende  Maassregel  erschien 
es  daher,  dem  Brandenburger  Oberhof  grösseren  Einfluss 
einzuräumen.  Das  empfahl  sich  noch  besonders  aus  finanziellen 
Gründen  :  auf  seine  Räthe  hätte  der  Kurfürst  die  sich  häufen- 
den Geschäfte  der  Rechtsprechung  nur  legen  können,  wenn  T 
er  die  Zahl  der  gelehrten  Räthe  erheblich  mehrte.  Dazu 
gehörten  Geldbewilligungen  durch  die  Stände.  Diese  zu 
erreichen,  war  aussichtslos;  denn  es  beschwerte  sich  1541  die 
Ritterschaft  darüber,  dass  „so  viele  Doktoren  bei  Hofe  an- 
gestellt würden". l)  Also  obwohl  seit  mehr  als  einem  Jahrzehnt 
die  Brandenburger  Schoppen  zur  Mithülfe  bei  der  Recht- 
sprechung besonders  herangezogen  waren,  erschienen  den 
Ständen  die  Kosten  der  verhältnissmässig  wenigen  bei  Hof  1 
gemietheten  Doktoren  zu  hoch;  wie  würden  sich  erst  die 
Stände  gesträubt  haben,  wenn  von  1527  an  die  Zahl  der 
Doktoren  hätte  vermehrt  werden  müssen.  Die  Brandenburger 
Schoppen  kosteten  den  Ständen  und  dem  Kurfürsten  nichts; 
sie  bezogen,  wie  später  (§  38)  erörtert  werden  wird,  keinen 
Gehalt,  sondern  nur  Gebühren,  die  von  den  Konsulenten  zu 
zahlen  waren. 

Das  Recht,  nach  welchem  der  neubelebte  Brandenburger 
Schöppenstuhl  von  1527  an  sprechen  sollte,  konnte  man 
wiederum  Brandenburgisches  Recht  nennen,  und  man  hat 
es  so  genannt,  ja  man  trug  ihm  solche  Verehrung  ent- 
gegen, dass  seine  Bezeichnung  als  „göttliches"  Brandenbur- 
gisches Recht  in  den  Anfragen  der  Konsulenten  keine  Selten- 
heit  ist.2)     Nicht   mehr  war  es   aber  das  Recht  der  Stadt 

1)  Kep.  20  C.  1541.  HA.  Landschaftfraganenta.  Zu  vgl.  Holtze, 
Gesch.  des  Kamraergerichts  1,  202. 

2)  Richter  und  Schoppen  der  Neustadt  Eberswalde  bitten  1528  um 
..schriftliche  Zusendung  ein  göttlich,  Brandenburges  Recht,"  und  die  Bran- 


§  17.     Joachimica.  297 

Brandenburg,  wie  es  im  dreizehnten  Jahrhundert  den  Tochter- 
städten mitgetheilt  oder  wie  es  in  die  Brandenburger  Privi- 
legien von  13x5  und  1324  aufgenommen  oder  wie  es  1376 
in  einzelnen  seiner  Sätze  den  Frankfurter  Schoppen  eröffnet 
oder  wie  es  in  den  Städtebünden  von  1399  und  1431  dem 
Sonderrecht  der  einzelnen  mitverbündeten  Stadt  entgegen- 
gesetzt wurde.  Es  war  vielmehr  jetzt  das  für  das  Land 
Brandenburg  geltende,  namentlich  das  in  der  Joachimica 
niedergelegte  Territorialrecht. 

Dieser  Auffassung  trägt  ein  interessanter  Vorgang  des 
Jahres  1741  Rechnung.  Die  Schoppen  der  ehedem  pommer- 
schen  Stadt  Pyritz  waren  1346  von  ihrem  Herzog  Barnim 
mit  der  „plenaria  potestas  dandi,  inveniendi  atque  demon- 
strandi  justum  et  verum  jus  Brandenburgense  secun- 
dum  ipsorum  conscientias"  ausgestattet  worden,  „sicut  et 
a  progenitoribus  nostris  habueruntu.  Gestützt  auf  dieses 
Privileg  fragt  1741  Bürgermeister  und  Rath  zu  Pyritz,  das 
1 648  an  die  Mark  Brandenburg  gefallen  war,  in  Brandenburg 
an,  „worinnen  eigentlich  diesesjus Brandenburgense  bestanden" 
habe ;  ihre  Urkunden  seien  durchBrandschäden  vernichtet,  nach 
bisheriger  Observanz  werde  aber  noch  beständig  die  Güter- 
gemeinschaft unter  Eheleuten,  ingleichen  die  Gerade  und  das 
Heergewete  nebst  dem  Schoossfall  beibehalten,  bisweilen 
fielen  indess  noch  immer  einige  dubia  voru  (93  368  ff.).1)  Die 
Pyritzer  knüpfen  daran  die  Fragen:  1.,  mit  was  für  einem 
Recht  1346  Brandenburg  begabt  gewesen;  2.,  ob  es  ein  jus 
scriptum  und  davon  noch  Nachricht  vorhanden;  3.,  ob  das 
jus  Brandenburgense  mit  dem  jus  Magdeburgicum  einerlei 
sei;  4.,  ob  in  Brandenburg  die  communio  bonorum  inter  con- 
juges,  ingleichen  die  Gerade  und  das  Heergewete  und  wie 
solche  recipirt  sei.  Dann  fügen  die  Pyritzer  hinzu:  .Sollten 
auch  noch  sonsten  einige  particularia  in  dieser  Sache  vor- 
handen   sein,    so    bitten  wir   uns    solche    für  die  Gebühr  zu 

denburger  antworten  (1  79):  „Sprechen  wir  Euch  brandenborgesk  Rechten.1* 
Nach  1591  (24  117)  bittet  der  Hauptmann  von  Oderberg  (bei  Prenzlau), 
„nach  göttlichen  und  Brandenburgischen  Rechten  zu  erkennen". 

')  Das    Privileg    von     1346     liegt    der    Rechtsfrage    abschriftlich    in 
extenso  bei.     Es  ist  abgedruckt  bei  Riedel  c.  d.   1,  24,  39. 


298  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

communiciren,  woran  wir  um  so  weniger  zweifeln,  da  es  ex 
historia  constiret,  dass  der  dortige  Schöppenstuhl  schon  in 
anno  13 15  gestiftet  worden,  auch  nachher  beständig  in  grosser 
renomme  gewesen*4. 

Die  vom    damaligen  Schöppensenior  Giesecke  verfasste 
und  von  seinen  fünfMitscabinen  mitunterzeichnete  Antwort  geht 
dahin:     1346    (wie  vor-  und  nachher  bis  1527  und  1529)    sei 
„in  hiesigen  Landen  und  den  beiden  Städten  Brandenburg  dem 
alten  sächsischen  Rechte  nachgegangen".   Zum  Beleg  werden 
Pruckmann  l)  consilia  (I,  1  No.  12;  48  No.  194)  und  Giesebert2) 
periculum    statutorum  harmonico-practicum  (1,  3  No.  n)  an- 
geführt.   Im  Jahre  1527  sei  aber  bekannt  gemacht,   dass  die 
Konstitution  wegen  der  Erbfalle  gelten  solle,  welche   durch 
Karls  V.  Konstitution  von  1529  bekräftigt  sei;    „folglich  sei 
mit  Hintansetzung  des  alten  sächsischen  Rechts  das  jus  civile 
lediglich  introduzirtu;  aus  dem  Sachsenspiegel  sei  zu  ersehen, 
dass  das  Brandenburger  Recht  vom  alten  Sachsenrecht  merklich 
abgehe,   „gestalt  dann   noch  heutigen   Tages  weder  das  jus 
Marchicum  im  Magdeburgischen  angenommen,    noch  das  jus 
Saxonicum  weiter  stattfinde,    als   es   der  Kirchen-,  Prozess-, 
Polizei-  und  anderen  Ordnungen  conform  ist  (reform.  Mgdb. 
Pol.O.  v.  3.  Jan.  1688)44;    auf  gleiche  Weise  werde  es  in  der 
Mark    gehalten,    wo  das  jus  Magdeburgicum  niemals  einge- 
führt worden;    communio  bonorum  sei  zwar  nach  dem  alten 
Sachsenrecht  vorhanden  gewesen,  jedoch  nicht  in  dem  Ver- 
stände,   als  wenn  dem    marito  das  Eigenthum  an  dem  (sie!) 
dote  zugestanden,    vielmehr  sei  die  Witwe  befugt,  nach  des 
Mannes  Tode  „den  (!)  dotem  zu  repetirenM,  so  dass  die  Frau  in 
puncto  dotis  zwar  de  lucro  partieipirt,    nicht  aber  de  damno 
haftet,  was  „bis  auf  diese  Stunde  beibehalten  und  der  Witwe 
repetitio  dotis  et  illatorum  oder,   wenn  sie  des  Mannes  Erbe 
werden  will,    dimidia  pars  bonorum  gelassen  wird".     So  sei 
1583  in  einer  Sache  aus  Stendal,3)    1585  in  einer  Sache  aus 


')  Ueber  ihn,  der  1606 — 1630  märkischer  Kanzler  war,  s.  Stölzel, 
Rechtsverwaltung  1,  283  ff. 

2)  Ueber  ihn,  einen  Privatmann,  s.  Landsberg,  Gesch.  der  Deutschen 
Rechtswiss.,  3.  Abth.,  Noten  zum    1.  Halbband  S.  32. 

•)  Dieser  Nachweis  ist  der  (iarz-Roterschen  Decisionensammlung  ent- 


§  17.     Joachimica.  299 

Lenzen1)  und  vor  einigen  Jahren  in  einer  Sache  aus  einer 
Mecklenburgischen  Hauptstadt  erkannt,  der  auch  das  jus 
Brandenburgense  in  alten  Zeiten  als  Norm  vorgeschrieben 
worden.  Gerade  und  Heergewete  möchten  nach  dem  alten 
Sachsenrechte  wohl  in  Brandenburg  gebräuchlich  gewesen 
sein,  doch  finde  sich  keine  Spur  davon,  sie  seien  abge- 
schafft und  nur  jure  retorsionis  zulässig;  der  Schoossfall  sei 
in  Brandenburg,  dessen  Schöppenstuhl  übrigens  nicht  13 15 
erst  gestiftet,  sondern  nur  konfirmirt  sei,  niemals  zur  Obser- 
vanz gekommen. 

Man  sieht  hier  deutlich,  wie  sehr  die  erb-  und  güter- 
rechtlichen Verhältnisse  im  Vordergrund  standen,  und  wie  in 
ihnen  der  charakteristische  Unterschied  des  Sachsenrechts 
von  dem  auf  der  Joachimica  beruhenden  Rechte  gesehen 
wurde.  Durch  den  Anfall  von  Landestheilen  an  das  Kur- 
furstenthum  Brandenburg  und  hernach  an  das  Königreich 
Preussen,  für  welche  die  Joachimica  nicht  galt,  ebenso  aber 
durch  Anfragen  aus  Gebieten  fremder  Landesherren  kamen 
die  Brandenburger  Schoppen  öfter  in  die  Lage,  altes,  nicht 
durch  die  Joachimica  modifizirtes  Sachsenrecht  anzuwenden.2) 

Hätte  nicht  in  kräftiger  Weise  die  landesherrliche  Ge- 
walt den  Schöppenstuhl  unter  ihre  Obhut  genommen,  so 
würde  er  gleich  vielen  Schöppenstühlen  dem  Ansturm  der 
gelehrten  Rechtsprechung  erlegen  sein.  Die  Neubelebung 
von  1527  bildet  eine  Parallele  zu  der  Neubelebung,  welche 
eine  Folge  der  landesherrlichen  Privilegirung  von  13 15  und 
1324  war.  Nur  ergiebt  sich  der  beachtenswerthe  Gegensatz, 
dass  der  Landesherr  des  14.  Jahrhunderts  anerkennt,  die 
Brandenburger  Sprüche  seien  unanfechtbar  („Jura,  que  sca- 
bini  .  .  .  dederint,  nullus  omnino  reclamare  valeat"),  während 
der  Landesherr  des  16.  Jahrhunderts  so  weit  in  seinen  Rechten 


nommen  mit  wöi  tl.  Citirung  der  Sachbezeichnung.  ÜB.  435.  Das  beweist, 
dass   1741   der  Schöppenstuhl  die  Sammlung  benutzt  hat. 

')  Auch  dieser  Fall  ist  der  Garz -  Roterschen  Sammlung  entlehnt. 
ÜB   4  74. 

*)  Beispiele  aus  dem  Magdeburgischen:  1614  (63  325),  1620  (67  342. 
780),  1621  (68614),  l648  (78  99)»  1672  (79520),  1733  (81  246),  aus  Kur- 
sachsen:   1669  (81  9),  aus  Quedlinburg  1745  (96  184). 


300  4*  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

erstarkt  ist,  dass  er  der  beschwerten  Prozesspartei  vorbe- 
halten kann,  von  einem  Brandenburger  Spruch  „an  Uns, 
Unsere  Kammergerichte  rechtlicher  Weise  zu  appelliren". 
Im  Prinzipe  steht  also  der  Kurfürst,  oder,  was  nach  damaliger 
Auffassung  dasselbe  ist,  sein  Kammergericht  als  höhere  In- 
stanz über  dem  Schöppenstuhl,  thatsächlich  indess  werden  wir 
sehen,  dass  der  Kurfürst  wie  das  Kammergericht  keineswegs 
davor  zurückschrecken,  sich  in  Brandenburg  Rechtsbelehrung 
zu  suchen  und  damit  die  ihnen  obliegende  Rechtsprechung 
nach  ihrem  Belieben  auf  den  Schöppenstuhl  abzuladen. 

Wie  sehr  für  die  Beschäftigung  des  Schöppenstuhls  aber 
die  Ueberweisung  der  Erbfalle  im  Jahre  1527  und  die  schon  für 
den  Beginn  des  sechzehnten  Jahrhunderts  als  üblich  bezeugte 
Ueberweisung  der  Straffalle  von  massgebender  Bedeutung 
war,  erhellt  daraus,  dass  die  grosse  Masse  der  in  Branden- 
burg verhandelten  Sachen  in  guter-  und  erbrechtlichen  Streitig- 
keiten oder  in  Kriminalfallen  besteht;  nur  ein  geringer  Theil 
beschäftigt  sich  mit  Civilstreitigkeiten  aus  anderen  Rechts- 
gebieten. *) 

Der  Brandenburger  Oberhof  ist  von  1527  an  der  Ober- 
hof der  Joachimica  geworden. 

Das  fiel  zusammen  mit  der  Zeit,  in  welcher  sich  über- 
haupt in  der  Aufgabe  der  Oberhöfe,  soweit  sie  dem  ein- 
dringenden fremden  Rechte  nicht  erlagen,  eine  grosse  Um- 
wandlung anbahnte.  Man  fing  an,  die  Rechtsbelehrung  nicht 
mehr  zu  suchen,  um  darüber  beschieden  zu  werden,  welches 
Recht  in  dieser  oder  jener  Frage  am  Sitze  des  Oberhofs  als 
dessen  Recht  gelte,  sondern  man  wollte  wissen,  was  das  am 
Orte  der  gestellten  Anfrage  geltende  Landes-  oder  Reichs- 
recht, d.  h.  das  partikulare  Territorialrecht  oder  das  subsi- 
diäre Kaiserrecht  für  den  konkreten  Fall  anordne.  Früher 
lag  der  Grund  zu  der  Anfrage  darin,  dass  der  Anfragende 
Belehrung  darüber  bedurfte,  was  das  Sonderrecht  des  Ober- 
hofs vorschrieb,  jetzt  lag  der  Grund  darin,  dass  der  Anfra- 
gende   sich    in    seinem    eigenen    Rechte    nicht   zurechtfinden 

')  Den  Bd.  60  (1621)  bezeichnet  deshalb  eine  anscheinend  aus  dem 
19.  Jahrhundert  herrührende  Aufschrift  auf  dem  Rücken  des  Bandes  als 
„Inquisitionen  und  Erbrechtssachen". 


§  18.   Auf  die  Einholung  der  Rechtsbelehrung  bezügl.  Anordn.  etc.      301 

konnte,  weil  er  im  Rechte  zu  wenig  „gelehrt"  war,  um  ord- 
nungsmäßig Recht  zu  sprechen. 

§18. 

Auf  die  Einholung  der  Rechtsbelehrung  bezügliche 
Anordnungen  seit  der  Joachimica. 

So  wenig  es  die  Folge  der  markgräflichen  Erlasse  von 
13 15  und  1324  gewesen  war,  dem  Oberhof  Magdeburg  seine 
Wirksamkeit  in  der  Mark  abzuschneiden,  so  wenig  war  dies 
die  Folge  des  kurfürstlichen  Erlasses  von  1527.  Einer  Stadt, 
wie  z.  B.  Tangermünde,  die  mit  Magdeburg  äusserst  bequem 
vermittels  der  Wasserstrasse  der  Elbe  verbunden  war,  konnte 
es  nicht  gleichgültig  sein,  sich  nach  dem  entfernten,  auf 
morastigem  Landwege  schwer  zu  erreichenden  Brandenburg 
gewiesen  zu  sehen.  Sie  musste  danach  streben,  dass  ihr 
gegenüber  die  Joachimica  möglichst  eng  interpretirt  werde. 
Und  sie  erreichte  das  bereits  im  Jahre  1528.  Das  Stadt- 
buch von  Tangermünde  enthält  eine  kurfürstliche  Anord- 
nung von  diesem  Jahre,  laut  deren  „die  Rechtsbelehrung  in 
Erb  fällen  in  Brandenburgischen  Rechten"  (d.  h.  bei  den 
Brandenburgischen  Gerichten,  nämlich  beim  Schöppenstuhl 
beider  Städte)  „nach  Kaiserrecht  erholt  werden  solle,  in  allen 
übrigen  Fällen,  wie  bisher,  in  Magdeburg".  Andere 
Städte  fanden  bereitwilligst  in  der  Landeskonstitution  die 
kurfürstliche  Anordnung,  dass  „Prälaten,  Ritterschaft,  Mannen 
und  Städte  nur  in  Brandenburg  Belehrung  suchen  sollen". 
So  wenden  sich  mit  Berufung  hierauf  Richter  und  Schoppen 
zu  Stendal,  das  bis  dahin  sein  Recht  in  Magdeburg  holte,2) 
1528  nach  Brandenburg  (1  58),  und  der  Rath  zu  Prenzlau, 
„obwohl  von  Alters  mit  Magdeburgischem  Rechte  begnadet", 
beschied  sich  1531  (1264),  dass  er  den  mit  Bewilligung 
der  Stände  erlassenen  kurf.  Befehl,  der  sie  „nunmehr 
unter  Kaiser-  und  Brandenburgisches  Recht  stelle",  „nicht 
zu  verändern  und  nichts  dagegen   zu  sagen  wisse".3)     Einen 

1)  Fol.  16  (Besitz  der  Stadt  T.).  « 

2)  Behrend,    Ein    Stendaler    Urtheilsbuch    aus    dem    14.    Jahrhundert. 
Berlin   1868. 

3)  Ein  Bürger  Salzwedels  legt    1552  (4  258)  ebenfalls  die  Joachimica 
dahin    aus,    „dass    der    Kurfürst    Jedermann    in  seinem  Lande,     wenn    in 


302  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

Zuwachs  seiner  Thätigkeit  erhielt  der  Brandenburger  Schöppen- 
stuhl,  der  sich,  abweichend  von  anderen  Schöppenstühlen, 
bereits  vor  der  Karolina  von  Strafsachen  nicht  ferngehalten 
hatte,  durch  die  Karolina,  als  diese  (Art.  219)  die  peinlichen 
Gerichte  in  Zweifelsfallen  an  ihre  Oberhöfe  wies,  während 
andererseits  dem  Schöppenstuhl  durch  die  bald  danach  auf- 
keimende Konkurrenz  der  Juristenfakultäten  als  Spruch- 
behörden ein  gewisser  Eintrag  geschah.  Die  märkischen 
Städte  begehrten  auf  dem  Landtage  von  1 542 l)  ausdrücklich, 
dass  ihnen,  „wenn  die  Parteien  ihre  zum  Urtheil  beschlossene 
Sache  an  eine  unverdächtige  Universität  zu  schicken 
wünschten,  solches  gnädiglich  möge  nachgegeben  werden4*. 
Fehlt  auch  die  Antwort  auf  dies  Gesuch,  so  lässt  doch  die 
Folgezeit,  in  der  zahlreiche  Frankfurter  Fakultätssprüche  be- 
gegnen, keinen  Zweifel,  dass  Joachim  II.  dem  Antrage  der 
Stände  entsprach.  Der  Antrag  bezog  sich  aber  nur  auf 
Sachen,  in  denen  die  Parteien  zum  Urtheil  beschlossen,  also 
auf  Civilsachen. 

Seit  unter  diesem  Kurfürsten  die  Reformation  in  der  Mark 
durchgedrungen  war,  brauchte  Magdeburg  nicht  mehr  wegen 
seiner  Anhänglichkeit  an  das  Lutherthum  gemieden  zu 
werden,  aber  seinem  Schöppenstuhl  that  es  starken  Eintrag, 
als  die  Stadt  wegen  ihrer  Weigerung,  das  Interim  anzu- 
nehmen, geächtet  und  von  Moritz  von  Sachsen  eingenommen 
wurde.  Das  hatte  eine  Unthätigkeit  des  Schöppenstuhls 
von  1547  bis  1562  zur  Folge.2)  Der  Abschluss  des  Traktats, 
der  über  das  Schicksal  Magdeburgs  entscheiden  sollte,  war 
Ende  1550  der  Anlass,  dass  Joachim  II.  sich  Lampert  Distel- 
Händeln,  Geschäften  oder  Sachen  Uneinigkeit  entstehe,  die 
Schoppen  in  Brandenburg  anzugehen  verordnet  habe11.  Desgl.  1557  (6135) 
ein  Magister  in  Frankfurt  a.  O.  Die  5  Erbherren  des  Dorfs  Quilitz  bei 
Lebus  reden  1548  (3  594)  davon,  dass  sie  „der  Landordnung  und  altem 
Gebrauch  nach"  an  die  Brandenburger  als  „dazu  von  Gott  und  Gerichts 
wegen  verordnete  Rechtsprecher"  gewiesen  seien. 

l)  StA.  Rep.  ao.  C.  1470— 1543  Landschaft-Fragmenta.  Zu  vergl. 
Holtze.  Gesch.  des  Kammergerichts  1,  265. 

*)  Mgdb.  Gesch.Blätter,  30.  Jahrg.  S.  158  ff.  Hertel  und  Hülsse,  Gesch. 
der  St.  Mgdb.  2,  294  ff. 


§  18     Auf  die  Einholung  der  Rechtsbelehrung  bezügl.  Anordn.  etc.       303 

meier  aus  Leipzig  zu  seinem  Rath  berief. J)  Wenige  Wochen 
nach  Distelmeiers  Ankunft  (Ostern  1551)  und  offensichtlich 
unter  seinem  Einflüsse  erwirkte  die  seit  1482  märkische  Stadt 
Krossen  ihre  Privilegirung,  in  Leipzig  Belehrung  zu 
holen.  Als  hätte  es  nie  eine  Joachimica  gegeben,  Hess  Distel- 
meier dem  Kurfürsten  sagen,  dass  diese  Stadt  „von  Alters 
zu  Sachsen  gewidmet  und  ihre  Erholung  der  Rechten  in  allen 
peinlichen  und  bürgerlichen  Fällen  der  Succession  halben  zu 
Magdeburg  gehabt  habe".  Weil  die  Stadt  aber  „unter- 
thänig  berichte"  —  so  heisst  es  weiter  — ,  „dass  der  Schöppen- 
stuhl  zu  Leipzig  mit  mehreren  Rechtsgelehrten  versehen  .  .  ., 
so  solle  aller  Fällen,  wie  sie  wären,  pein-  oder  bürgerlich 
oder  der  Succession  .  .  .,  „an  keinem  andern  Orte,  denn  bei 
dem  Schöppenstuhl  zu  Leipzig  gesprochen  .  .  .  werden44.2) 
Aehnlich  scheint  Züllichau  und  Kotbus  privilegirt  worden 
zu  sein. 3)  Ob  dabei  der  Umstand  mitwirkte,  dass  ein  Leipziger 
Spruch  halb  so  viel  kostete  als  ein  Brandenburger, 4)  mag  dahin- 
gestellt bleiben.  Das  Privileg,  in  Leipzig  Belehrung  zu  holen, 
blieb  den  Städten  Krossen,  Züllichau  und  Kotbus  dann  aus* 
drücklich  im  Landtagsabschied  von  161 1  erhalten.5)  Wie  wenig 
streng  aber  solche  Befehle,  nur  an  einem  bestimmten  Ober- 
hof Belehrung  zu  holen,  beobachtet  wurden,  zeigte  sich  auch 
hier:  ausweislich  der  Brandenburger  Akten  wandte  sich 
Krossen  in  der  Zeit  von  1554  bis  1740,  Kotbus  in  der  Zeit 
von  1586  bis  1743  und  Züllichau  in  der  Zeit  von  1558  bis 
1664  mehrfach  nach  Brandenburg.6)  Distelmeier  hatte  seiner 
Vaterstadt,  an  deren  Universität  er  gebildet  war,  die  Rechts- 
sachen aus  jenen  Städten  der  Mark  zuwenden  wollen;  für 
das  Ziel  der  Joachimica,  ein  märkisches  Territorialrecht  unter 
dem  Einflüsse  des  Brandenburger  Schöppenstuhls  zu  erhalten, 
ging  ihm  das  Verständniss  ab.     Sogar  innerhalb  märkischer 

*)  Stölzel,  Rechts  verw.  1,  202. 

*)  Mylius,  c.  c.  m.  Bd.  VI  Abth.  1  No.  30  S.  91. 

8)  1592  holen  BM.  und  Rath  zu  Kalau  (bei  Kottbus)  Belehrung  in 
einer  Diebstahlssache  bei  den  Schoppen  zu  Leipzig  (36  74  ff.). 

4)  Siehe  oben  Seite  251. 

•)  Mylius  c  c  m.  VI.  Abth.  1  No.  71  S.  210  ff. 

*)  Siehe  die  betreff.  Aktenstellen  im  Ortsregister  des  Hefft ersehen 
Repertoriums. 


304:  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

Städte  selbst  war  man  (1558)  nicht  völlig  klar  über  das  An- 
wendungsgebiet der  Joachimica;  denn  damals  entstand  z.  B. 
in  Wittstock,  einer  Stadt  der  Priegnitz,  die  seit  Jahrhunderten 
zur  Mark  gehörte,  Zweifel,  ob  die  Joachimica  für  Wittstocker 
Bürger  gelte;  es  wird  dies  vom  Verfasser  einer  Rechtsfrage 
aus  Wittstock  bejaht,  weil  der  Erbherr  von  Wittstock,  der 
Bischof  von  Havelberg,  (auf  dem  Landtage)  in  die  Konstitu- 
tion gewilligt  habe  (7  65). 

Ueberhaupt  ist  in  älterer  Zeit  die  Handhabung  der  Ge- 
setze   eine    viel    laxere  als  heutzutage.      Einen    Beleg    dafür 
haben  wir  schon  früher  kennen  gelernt,  als  oben  (S.  244)  da- 
von die  Rede  war,  dass  König  Sigismund  1415  zwar  Wimpfen 
an   Stelle  Gelnhausens    zum    Oberhof  für   Mergenthetm    er- 
klärte,   dass    gleichwohl    aber    Mergentheim    1444    in    Geln- 
hausen,   „wo   es   Urtheil    zu    holen    pflege",    um   Belehrung 
nachsuchte.     Darum  verschwindet  das  Holen  von  Belehrung 
in  Magdeburg  keineswegs  ständig  in  der  Mark,  wie  es  auch 
vorkommt,    dass  aus  Magdeburg  Belehrung  in  Brandenburg 
gesucht    und   dass    in   derselben    Sache  in    Magdeburg    wie 
in    Brandenburg    angefragt    wird,    was    ja    gerade   in    der 
ältesten  Sache  geschah,   die  uns  aus  Brandenburg  erhalten 
ist, l)  endlich  aber  auch,  dass  Tangermünder  Bürger,  wie  auch 
der  Rath    von  Tangermünde    zuwider    der   Anordnung    von 
1528   in    nichterbrechtlichen    Prozessen    1622  (1629)    sich   in 
Brandenburg  Belehrung  ertheilen  lassen.2) 

Ein  Zeugniss  über  die  Bedeutung  des  Schöppenstuhls 
legt  aus  seiner  Blüthezeit  Georg  Sabinus  ab,  der  1556  von 
Neuem  das  Rektorat  in  Frankfurt  bekleidete  und  daselbst 
1560  starb.  Er  bemerkt  in  der  1581  zu  Frankfurt  er- 
schienenen Beschreibung  seiner  Vaterstadt,  um  sie  —  aller- 
dings mit  übertriebenem  Localpatriotismus  —  zu  verherr- 
lichen: „Est  et  apud  Brandenburgenses  celebre  iudicium,  ad 
quod  tanquam  ad  Areopagitarum  tribunal  e   longinquis  re- 

*)  Siehe  oben  Seite  276. 

a)  In  einem  Prozesse,  in  dem  es  sich  um  Evalvation  (70  243),  in 
einem,  in  dem  es  sich  um  Kondiktion  handelt,  und  in  einer  Strafsache  73 
71.  293.  14. 

s)  Seidel,  Bildersammlung,  S.  51,  52. 


§  i8.    Auf  die  Einholung  der  Rechtsbelehrung  bezügl.  Anordn.  etc.       305 

gionibus  deferuntur  causae  dijudicandae.  Qui  ius  ibi  dicunt* 
vulgo  scabini  vocantur,  idque  ipsum  ius  nominatur  Brande- 
burgense.ul)  Dabei  war  von  wesentlicher  Bedeutung,  dass 
gewohnheitsmässig  oder  zufolge  einer  Anordnung  des  Kur- 
fürsten die  peinlichen  Sachen  des  Landes  an  den  Branden- 
burger Schöppenstuhl  einzusenden  waren.  Hierüber  berichtet 
1572  Dr.  Jobst  aus  Frankfurt  in  seiner  Beschreibung  des  Kur- 
fürstenthums2):  „Brandenburg  ...  ist  mit  einem  Schoppen - 
Stuel  begnadet,  da  die  ganze  Mark  ihr  Recht  und  Urteil 
in  peinlichen  Sachen  holen  muss."  Darauf,  dass  ein  solcher 
Zwang  bestand,  weist  es  hin,  wenn  1572  (13  198)  der  Rath 
zu  Brietzen,  nachdem  er  ein  Todesurtheil  in  Wittenberg 
erlangt  hat,  sich  nach  Brandenburg  wendet,  weil  ihm  „dann 
auch  der  dortigen  Schoppen  rechtlicher  Unterricht  von 
nöthen"  sei.  Ein  besondrer  kurfürstlicher  Befehl  ist  nicht 
zu  ermitteln  gewesen.  Da  nach  der  im  Jahr  1552  erfolgten 
Restaurirung  des  Schöppenstuhls  Kurfürst  Johann  Georg  1570 
vorzugsweis  eifrig  die  Revision  des  Rechtswesens  betrieb3)  und 
die  Universität  Frankfurt  damals  sehr  in  Abgang  gekommen 
war,  so  würde  man  wohl  den  kurfürstlichen  Erlass,  wenn  er 
existirt  hat,  in  die  Zeit  zwischen  1552  und  1572  verlegen 
dürfen.  Jedenfalls  galt  für  die  Mark  schon  im  sechzehnten 
Jahrhundert  der  Rechtssatz,  dass  jedes  Todesurtheil,  wie 
jedes  Urtheil  auf  Zulassung  der  Folter  von  Brandenburg  aus- 
zugehen habe.  Dem  entsprechend  bekundete  1564  der  Stifts- 
dechant  zu  Havelberg  in  dem  vom  Reichsfiscal  gegen  den  Kur- 
fürsten von  Brandenburg,  sowie  gegen  die  Bischöfe  daselbst, 
zu  Havelberg  und  Lebus  wegen  ihrer  angeblichen  Eigen- 
schaft als  Reichsstände  angestrengten  Prozesse  als  seine 
Erfahrung,4)  peinliches  Gericht  sei  im  Lande  nach  Erlernung 

1)  S.  oben  S.  37.  Beispiele,  dass  noch  bis  zum  Schlüsse  des  16. 
Jahrh.  Sprüche  „Brandenburgischen  Rechtes4*  erbeten  werden,  finden  sich 
1566  (10  248),  1580  (ai  549),  1595  (36  457). 

*)  Collectio  opusculorum  historiam  marchicam  illustrantium,  6.  u.  7. 
Stück,  Berlin  1730:  Ein  kurzer  Aufszug  und  Beschreibung  des  gantzen 
Churfurstenthumbs  der  Mark  zu  Brandenburg  durch  Wolffgangum  Jobsten 
D.,  Frankfurt  a.  O.  1572,  S.  119. 

3)  Stolze!,  Rechtsverw.  1,220  ff. 

*)  v.  Raumer  in  den  Märkischen  Forschungen,  Bd.  1  S.  48. 
S  t  ö  1  z  e  1,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    L  20 


306  4    Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

der  Schoppen  zu  Brandenburg   gehalten;    vom    kaiser- 
lichen Regal  des  Blutbanns  wisse  er  nichts. 

So  konnte  etwa  zwanzig  Jahre  nach  Sabinus  der  Historio- 
graph  Leutinger  (f  1612)  im  Brandenburger  Schöppenstuhl 
das  „quasi-parlamentum  Marchiaeu  sehen,  „ad  quod  dubii 
casus  omnes  et  judicia  capitalia,  de  quibus  ex  jure 
Brandenburgico,  quod  legibus  caesareis  inhaeret,  solenniter 
pronunciatur,  perpetuo  referuntur".  Zu  den  casus  omnes, 
d.  h.  zu  den  Civilsachen,  waren  ganz  allgemein  die  Kapital- 
sachen, in  denen  ja  auch  schon  früher  Brandenburger  Be- 
lehrung geholt  wurde, l)  gekommen:  kein  Todesurtheil  konnte 
in  der  Mark  anderswo  gesprochen  werden,  als  in  Branden- 
burg. Wie  seit  1527  in  Civilsachen  der  Brandenburger 
Schöppenstuhl  als  Centraloberhof  der  Mark  wirkte,  so  auch 
in  Kriminalsachen.  Damit  erreichte  er  gegen  den  Schluss 
des  sechzehnten  Jahrhunderts  den  Höhepunkt  seines  Ansehens. 

Es  ist  nicht  ohne  Interesse,  hier  heranzuziehen,  was  man 
beispielsweise  aus  dem  Kopiarium  des  benachbarten  Stettiner 
Schöppenstuhls  (s.  oben  S.  31)  entnehmen  kann.  Wie  der 
Brandenburger  Schöppenstuhl  der  Oberhof  des  Kurfursten- 
thums  Brandenburg,  so  war  Stettin  der  Oberhof  für  den 
Pommern-Stettinschen,  östlich  der  Oder  gelegenen  Theil  des 
Herzogthums  Pommern.  Was  jener  im  Grösseren,  hatte  dieser 
im  Kleineren  zu  leisten,  und  die  Blüthezeit  beider,  wie  viel- 
leicht mancher  andern  Oberhöfe,  waren  die  1590er  Jahre. 
Der  Geschäftsbereich  des  Stettiner  Oberhofs  innerhalb  der 
Jahre  1590  bis  1596  umfasste  das  gesammte  Herzogthum 
Pommern- Stettin.2)     Besonders  war   er  von  den  Aemtern  in 


')  Siehe  oben  Seite  279.  285.  Die  Stadt  Prenzlau  er  bittet  153« 
(ÜB.  1  126)  Auskunft  Ober  die  Brandenburger  Praxis  „in  peinlichen  Sachen*. 
Ein  Angeschuldigter,  dessen  Ankläger  sich  in  Wittenberg  belehren  lassen 
wollen,  verlangt  1539  „nach  Brandenburgischem  Rechte  gerichtet  zu  werden* 
(Burckhardt,  H.  Kohlhase.  Leipzig  1864  S.  52).  Eine  Zauberin  wird  1555 
(ÜB.  131 1)  „nach  Brandenburger  Urtheil  und  Recht  verhört".  Überhaupt 
nehmen  seit  1529  die  Kriminalsachen  in  den  Schöppenstuhlsacten  einen 
erheblichen  Raum  ein. 

*)  Hierbei  ist  allerdings  zu  berücksichtigen,  dass  auch  in  Stargard 
ein  Schöppenstuhl  existirte.  Vermuthlich  hing  dieser  mit  der  im  Jahre 
1295    erfolgten    Theilung    der   Pommerschen    Lande,    die    fast    zwei   Jahr- 


§  18.    Auf  die  Einholung  der  Rechtsbelehrung  bezügl.  Anordn.  etc.       307 

Anspruch  genommen.  Auch  der  Landesherr  suchte  dort 
Rechtsbelehrung.  Das  Hauptkontingent  der  Anfragenden 
stellten  dem  Charakter  des  Landes  entsprechend  die  Erb- 
sessen als  Gerichtsherren.  Aus  dem  Herzogthum  Pommern- 
Wolgast  ergehen  Anfragen  von  Anklam,  Boltenhagen,  Ucker- 
münde,  Usedom,  aus  der  Neumark  von  Arnswalde,  Berkenow, 
Dolgen,  Freienwalde,  Meseritz,  Reppen,  Schönfliess,  Schivel- 
bein,  Semerow,  aus  der  Ukermark  von  Kleptow.  Ueber 
die  Grenzen  des  Herzogthums  hinaus  erstreckte  sich  die 
Thätigkeit  des  Schöppenstuhls  in  ganz  geringem  Maasse,  und 
zwar  lediglich  auf  einige  Orte  der  nächsten  vorpommerschen, 
neumärkischen  und  ukermärkischen  Nachbarschaft.  Mit  Regel- 
mässigkeit wandten  sich  nur  die  geographisch  zu  Pommern 
gehörigen  Theile  der  Neumark  ihm  zu.  Ebenso  wie  der 
Brandenburger  Schöppenstuhl  stellt  sich  der  Stettiner  als 
ein  vom  Landesherrn  begünstigter  Territorialschöppenstuhl 
<iar,  dessen  Thätigkeit  sich  im  Wesentlichen  auf  das  landes- 
herrliche Gebiet  beschränkte.  Die  Anzahl  der  vom  Stettiner 
Schöppenstuhl  ertheilten  Rechtsbelehrungen  betraf  im  Jahre 
1591  124,  im  Jahre  1592  127,  im  Jahre  1593  156  und  im  Jahre 
1594  bis  zum  10.  September  70  Sachen.  Die  Brandenburger 
Schöppenstuhlsakten  enthalten  270  Fälle  aus  dem  Jahre  1591, 
256  Fälle  aus  dem  Jahre  1592  und  130  Fälle  aus  dem  Jahre 
1593.  Aus  dem  letzteren  Jahre  fehlt  offenbar  eine  erhebliche 
Anzahl.  Einigermassen  vollständig  dürften  die  Akten  aus  den 
beiden  vorhergehenden  Jahren  sein.  Aber  diese  repräsen- 
tiren  nur  den  Altstädter  Aktenbestand;  deshalb  ist  anzu- 
nehmen, dass  im  Jahre  1591  etwa  540,  im  Jahre  1592  etwa 
500  Sachen  vom  Brandenburger  Schöppenstuhl  erledigt  sind. 
Hieraus  ergiebt  sich,   dass  das   Arbeitspensum  dort  drei  bis 

hunderte  bestand,  zusammen.  Pommern -Wolgast  erhielt  die  Lande  nördlich 
der  Peene  (in  Vorpommern)  und  der  Ihna  (in  Hinterpommern),  Pommern- 
Stettin  die  Gebietstheile  südlich  beider  Flösse.  Stargard  gehörte  zu  dem 
an  Pommern -Wol gast  gefallenen  Theil  von  Hinterpommern.  Vielleicht 
schuf  der  Fürst  damals  in  dieser  Stadt  den  Schöppenstuhl,  um  seine  Hinter- 
pommerschen  Lande  von  Stettin  fern  zu  halten,  ein  Beweggrund,  welcher 
zur  Gründung  so  mancher  Territorialschöppenstühle  (z.  B.  in  der  Neustadt 
Brandenburg,  in  Wittenberg)  geführt  hat.  Am  Ende  des  16.  Jahrhunderts 
hatte  Stargard  anscheinend  neben  Stettin  seine  Bedeutung  verloren. 

20* 


3()8  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

vier  mal  so  gross  war  als  bei  dem  Stettiner  Schöppenstuhl. 
Das  Herzogthum  Hinterpommern  umfasste  nicht  die  Hälfte 
des  Flächeninhalts,  den  das  Kurfürstenthum  Brandenburg- 
einnahm,  und  man  wird  ferner  nicht  fehl  gehen,  wenn  maxi 
die  Bevölkerungsdichtigkeit  in  Pommern  erheblich  geringer 
annimmt  als  diejenige  der  Mark.  Zieht  man  dies  in  Betracht, 
so  ist  zu  folgern,  dass  in  Brandenburg  und  Stettin  der  Um- 
fang der  Spruchthätigkeit  im  Verhältniss  zur  Einwohnerzahl 
des  Geltungsgebiets  ungefähr  gleich  war. 

Dieselbe  Gleichmässigkeit  tritt  zu  Tage,  wenn  man  die 
Materien,  auf  welche  sich  die  Spruchthätigkeit  in  Branden- 
burg und  Stettin  bezog,  neben  einander  stellt.  In  Branden- 
burg waren  im  Jahre  1593  von  130  Fällen  83  strafrechtlich, 
47  civilrechtlich.  Von  den  strafrechtlichen  betrafen  28  Fälle 
Diebstähle,  10  Zauberei,  9  Mord  und  Todtschlag,  ebensoviel 
Unzucht  und  Ehebruch,  8  Injurien,  3  Kindermord,  je  2  Ge- 
walt, Unterschlagung,  Branddrohung,  Amtsvergehen,  Befeh- 
dung und  Bedrohung.  Unter  den  Civilsachen  nahmen  die 
Erbfalle  mit  3 1  den  grössten  Raum  ein,  ein  Fall  betraf  einen 
verschuldeten  Nachlass,  die  übrigen  verschiedene  Rechts- 
streitigkeiten. In  demselben  Jahre  waren  in  Stettin  von 
156  Fällen  118  strafrechtlicher,  die  übrigen  civilrechtlicher 
Natur.  Unter  den  Straffällen  nahmen  auch  hier  die  Dieb- 
stähle (25)  den  grössten  Raum  ein.  An  zweiter  Stelle  stehen 
die  Zaubereisachen  (18);  14  Fälle  betrafen  Mord  und  Todt- 
schlag, 9  Unzucht  und  Ehebruch,  ebensoviel  Brandstiftung. 
Es  reihen  sich  7  Fälle  von  Injurien  an,  3  Fälle  betrafen 
Gewalt,  2  Befehdung,  je  einer  Bigamie,  Raub,  Kindermord, 
Leichenberaubung,  Sodomie  u.  s.  w.  Eine  Anzahl  Sachen 
sind  nicht  zu  bestimmen.  Unter  den  Civilsachen  betrafen 
7  Erbfalle,  die  übrigen  verschiedene  Streitigkeiten.  Es  be- 
stätigt dies  die  obige  Annahme,  dass  das  Ueberwiegen  der 
Erbfalle  in  Brandenburg  mit  dem  Erlasse  der  Joachimica 
zusammenhängt.  Im  Uebrigen  aber  zeigt  sich  auch  in  Bezug 
auf  die  zur  Kognition  gekommenen  Fälle  eine  unverkennbare 
Uebereinstimmung,  so  dass  es  berechtigt  ist,  aus  den  Branden- 
burger Akten  Schlüsse  allgemeinerer  Natur  zu  ziehen.  Dafür 
sprechen    auch    die   Konzeptbücher    des   Schöppenstuhls    zu 


§  i8.    Auf  die  Einholung  der  Rechtsbelehrung  bezugl   Anordn.  etc.       301) 

Leipzig,  nach  denen  dieser  Schöppenstuhl  wesentlich  der 
Territorialschöppenstuhl  für  Sachsen  und  Thüringen  war  und 
ein  ähnliches  Verfahren  einhielt  wie  einerseits  der  Stettiner, 
andererseits  der  Brandenburger  Schöppenstuhl.  Man  darf 
annehmen,  dass  die  Verhältnisse  in  den  verschiedenen  Ter- 
ritorien trotz  der  Zersplitterung  des  Reiches  im  Allgemeinen 
dieselben  waren,  und  dass  daher  die  genaue  Kenntniss  eines 
Schöppenstuhls  Licht  über  das  gesammte  Rechtsbelehrungs- 
wesen verbreitet. 

Zu  einer  Herabminderung  der  Bedeutung  Brandenburgs 
führte  zunächst  der  Landtagsabschied  von  1611,1)  der  aner- 
kannte, dass  „auch  nunmehr  in  peinlichen  Sachen  bei  der 
Juristenfakultät  zu  Frankfurt  ebensowohl  als  von  dem  Schöp- 
penstuhl zu  Brandenburg  geurtheilt  und  gesprochen  werden 
solle. u  Frankfurt  hatte  im  März  1606  mit  vielem  Pompe  sein 
hundertjähriges  Universitätsjubiläum  gefeiert  und  von  da  an 
einen  neuen  Aufschwung  genommen.  In  den  damals  festge- 
stellten Statuten  der  juristischen  Fakultät  wurde  anerkannt,2) 
dass  die  Facultät  in  allen  Civilsachen  die  potestas  pronunciandi 
habe,  dass  sie  aber  „in  criminalibus,  quae  poenam  sanguinis 
et  corporis  äff lictivam  ingerunt,  exemta  erit,  uti  huc  usque 
receptum  et  observatum  fuit."  In  der  Fakultät  regte 
sich  indess  das  Bestreben,  doch  möglichst  —  um  ihr  Ansehen 
und  ihr  Einkommen  zu  erhöhen  —  auch  die  Rechtsbelehrung 
in  Strafsachen  an  sich  zu  ziehen.  Sie  griff  zu  einem  ähnlich 
rabulistischen  Mittel,  wie  einst  der  Magdeburger  Schöppen- 
stuhl, als  er  sich  die  Rechtsbelehrung  nach  Orten  hin  sichern 
wollte,  deren  Landesherren  verboten  hatten,  den  Magde- 
burger Schöppenstuhl  anzugehen.  Denn  laut  der  Magdeburger 
Fragen3)  werden  die  dortigen  Schoppen  ermächtigt,  den 
Untersassen    derjenigen    geistlichen    oder  weltlichen  Herren, 

')  Mylius  c.  c.  m.  VI.  i  No.  71  Sp.  210  ff. 

-)  Kaufmann,  Bauch  und  Reh,  Akten  und  Urk.  der  Univ.  Fr.  3.  Heft. 
1900.  S.  53,  54. 

8)  Behrend,  Magdeb.  Fr.  dist.  3  auf  S.  23:  „Wolde  ouch  keyn  herre 
geistlich  odir  weltlich  synen  undirsessen  dirlouben,  das  sy  uwer  stadrecht 
mete  gebruchen  wolden,  den  moget  ir  ouch  uwer  recht  mete  teilen.  Abir 
ane  der  herren  wille,  under  den  ire  stete  gelegin  sint,  moget  ir  nicht  or- 
teil mete  teilen." 


310  4«  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

welche  nicht  erlauben  wollen,  dass  sie  „das  Magdeburger  Recht 
mitgebrauchen u,  doch  „ihr  Recht  mitzutheilen",  nur  sollen  sie 
ohne  jener  Herren  Willen  Urtheile  nicht  mittheilen;  also 
Gutachten  abzugeben,  deren  Einholung  das  gericht^herrliche 
Verbot  nicht  ergriff,  zu  erbitten,  blieb  den  Schoppen 
unverwehrt.  Deshalb  verwiesen  ja  auch  im  fünfzehnten  Jahr- 
hundert die  Leipziger  Schoppen,  die  sich  der  Strafrechts- 
pflege enthielten,  das  Zwickauer  Gericht  darauf,1)  sich  bei 
ihnen  in  der  übersandten  Strafsache  ein  „Bedenken41  zu  er- 
bitten. Die  Frankfurter  Statuten  interpretirten  in  ähnlicher 
Weise  das  Gebot,  nach  welchem  sich  die  Fakultät  in  Straf- 
sachen, „die  eine  Blut-  oder  Leibesstrafe  mit  sich  fuhren", 
der  Rechtsprechung  enthalten  sollte,  dahin,  dass  die  Fakultät 
in  übersandten  Strafsachen  dann  sprechen  dürfe,  i.  wenn 
„absolutoria  a  poena  mortis  vel  a  tortura  ferri  vel  mulcta 
aliqua  pecuniaria  vel  relegatio  imponi  possit,  und  2., 
wenn  sie  nicht  als  Fakultät  spräche,  sondern  der  Mehr- 
heit ihrer  Mitglieder  es  überliesse,  „sententiam  nomine  fa- 
cultatis  concipere".  Mit  dieser  Spitzfindigkeit  schaffte 
sich  die  Fakultät  überhaupt  die  Kompetenz,  in  peinlichen 
Sachen  Recht  zu  sprechen:  gelangte  sie,  wenn  Strafsachen 
übersandt  wurden,  zu  einer  Freisprechung  oder  zu  einer 
Geldstrafe  oder  zur  Strafe  der  Landesverweisung,  so  er- 
achtete sie  sich  ohne  Weiteres  für  zuständig,  gelangte  ihre 
Majorität  zur  Todes-  oder  Leibesstrafe,  so  überliess  sie  dieser 
Majorität,  ihr  Responsum  „Namens  der  Fakultät"  abzu- 
fassen. Der  Kurfürst  stand  noch  zu  derselben  Zeit  auf  einem 
andern  Standpunkte;  denn  in  seinem  gegen  das  „ungescheut 
sich  wieder  kundgebende  Fehden,  Mordbrennen  und  Brand- 
Stiften"  erlassenen  Edikte  vom  Juli  16062)  kennt  er  nur  den 
Schöppenstuhl  zu  Brandenburg  als  diejenige  Behörde,  welche 
„auf  alle  und  jede  solche  zutragende  Fälle  zu  ur- 
theilen  schuldig  sei.u  Die  Fakultät  hatte  aber  glänzenden 
Erfolg  mit  ihrem  Vorgehen.  Bereits  aus  dem  Jahre  1607 
(55  2(J)  liegt  ein  Spruch  vor,  in  welchem  sie  ein  auf  die 
Tortur  lautendes  Brandenburger  Urtheil  für  „wohlgesprochen* 

')  Siehe  oben  Seite  250. 

*)  Pape,  Joachimi  Srheplitz  consuetudincs  brand.     Berlin    1744  S.  482. 


§  18.    Auf  die  Einholung  der  Rechtsbelehrung  bezügl.  Anordn.  etc.      31  l 

erklärte,  also  auf  die  Tortur  erkannte,  und  1609  (61  728) 
sprach  die  Fakultät  aus,  dass  ein  Meineidiger  durch  Ab- 
hauung der  Schwurfinger  zu  bestrafen  sei. l)  So  bereitete  sich 
der  Landtagsabschied  von  1611  vor,  der  die  Fakultät  auch 
in  peinlichen  Sachen  dem  Brandenburger  Schöppenstuhl 
gleichstellte.  Der  letztere  empfand  bereits  1609  die  Kon- 
kurrenz der  Universitäten  so  sehr,  dass  er  unter  seinen  beim 
Kurfürsten  damals  angebrachten  Beschwerden  hervorhob,2) 
es  sei  ausser  Gewohnheit  gekommen,  sich  beim  Schöppen- 
stuhl Recht  zu  holen,  statt  dessen  wende  man  sich  nach 
Frankfurt,  Rostock  und  Helmstädt.  Wie  übertrieben  aber 
diese  Beschwerde  war,  ergiebt  die  Uebersicht  der  Branden- 
burger Schöppenstuhlsakten ;  danach  gehörten  die  Zahlen  der 
gerade  aus  den  Jahren  1608  und  1609  erhaltenen  Akten  zu 
den  höchsten,  die  sich  überhaupt  finden.3) 

Auch  nach  dem  Landtagsabschied  von  161 1  ist  keine 
erhebliche  Abnahme  im  Verhältniss  zu  den  Jahrzehnten  vorher 
bemerkbar,  bis  der  grosse  Krieg  seinen  Einfluss  äusserte.  Dem 
Niedergange  in  der  zweiten  Hälfte  des  siebzehnten  Jahrhun- 
derts that  die  neue  Kammergerichtsordnung  von  1709  da- 
durch keinen  Einhalt,  dass  sie  (Tit.  47  §  8)  bestimmte,  das 
Kammergericht  könne  auch  ohne  Provokation  der  Parteien 
„aus  bewegenden  Ursachen44  seinerseits  die  Aktentransmission 
jeder  Zeit  veranlassen.  Deshalb  änderte  sich  die  Lage  des 
Schöppenstuhls  auch  nur  wenig,  als  in  Nachahmung  der 
Magdeburger  Prozessordnung  von  17 14,  die  vor  Einleitung 
jeder  Spezialuntersuchung  auswärtige  Belehrung  einzuholen 
befahl,  die  Kriminalordnung  vom  8.  Juli  17 174)  den  anschei- 
nend in  Vergessenheit    gerathenen  früheren  Rechtszustand5) 

l)  Wenn  1593  (4a  196)  der  Rath  zu  Angermünde  sich  einen  Spruch 
bei  der  Fr.  Fakultät  holt,  wonach  ein  Beleidiger  mit  vier  Wochen  bürgerl. 
Gef.  zu  bestrafen  sei,  so  war  dies  keine  peinliche  Sache.  Vgl.  Mitter- 
maier-Feuerbach,  Lehrb.  des  peinl.  R.  14.  Aufl.   1847  §§  495,  496. 

a)  Zimmermann,  Entw.  der  mark.  Stadtverfassungen.  3.  Bd.   1837.  S.  186. 

3)  Die  Höchstzahl  ist  315  für  1587  und  314  für  1583;  seit  1587  bis 
1609  ist  die  in  1608  und   1609  erreichte  Zahl   243   nur   dreimal  übertroffen 

(i59ii  i59»i   1599)- 

4)  Mylius  c.  c.  m.  II.  Abth.  3  Sp.  95  (Kap.  8  §  14). 

5)  Siehe  oben  Seite  305. 


312  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

wieder  ins  Leben  rief  und  den  Gerichtsobrigkeiten  das  Recht 
aberkannte,  „in  peinlichen  Sachen,  worinnen  inquisitorie  zu 
verfahren,  selbst  zu  sprechen",  mit  dem  Befehle,  „acta 
durchgehends  zu  einem  unparteiischen  Richter  zum  Spruch 
zu  versenden, u  auch  vor  Anwendung  der  Folter  ebenfalls 
einen  unparteischen  Spruch  einzuholen.1)  Durch  diese  Mass- 
nahmen hätte  dem  Brandenburger  Schöppenstuhl  eine  erheb- 
liche Mehrarbeit  erwachsen  müssen,  wenn  nicht  ein  Theil  seiner 
Funktion  auf  das  Kriminalkolleg  übergegangen  wäre,  da 
an  dasselbe  ebenso,  wie  bisher  an  die  Brandenburger,  die 
Aktentransmission  gestattet  wurde;2)  denn  die  Deklaration 
vom  29.  April  17203)  verbot  in  Kriminalsachen  jede  Versen- 
dung ausser  Landes  zu  Gunsten  der  inländischen  „Juristen- 
fakultäten und  Schöppenstühle  oder  des  (Berliner)  Kriminal- 
kollegs". Eine  Erleichterung  der  Akten  Versendung  inner- 
halb des  Landes  brachte  dann  die  Verordnung  vom  30.  De- 
zember 1720,4)  die  bestimmte,  dass  die  Post  zur  Vermitte- 
lung  des  Transportes  benutzt  werden  solle,  und  die  zugleich 
der  Ordnung  halber  ein  Register  der  versendenden  Behörde 
über  die  versandten  Akten,  sowie  ein  Formular  für  die 
anzuwendenden  Missiven  einführte,  damit  nicht  dem  Ersuchen 
um  Belehrungsurtheile  unstatthafte,  den  Schöppenstuhl  oder 
die  Fakultät  beeinflussende  Zusätze  angehängt  würden. 

Dem  schloss  sich  weiter  das  Edikt  vom  17.  Februar  17235) 
an,  das  die  Akten  Versendung  fernerhin  den  Gerichten  erster 
Instanz  verbot.  In  der  Begründung  wird  hervorgehoben,  die 
Aktenversendung  bezwecke  zwar,  den  Parteien,  die  wider 
einen  oder  den  anderen  Richter  Verdacht  hätten,  eine  un- 
parteiische Justiz  zu  verschaffen,  sie  werde  aber  zur  Ver- 
schleifung  der  Sachen  missbraucht  und  stelle  öfter  da,  wo 
Landesgesetze  und  Gewohnheiten  in  Betracht  kämen,  bei 
auswärtigen  Sprüchen  die  Entscheidung    auf   nicht  geringen 

')  Kap.  4  §  15,   Kap.  9  §  1.     Stolzel,  Kechtsw.  .2,  73. 
3)  Einen    im  J.   1735    durch    die  Regierung   zu  Cleve  an  das  Berliner 
Krim. Kolleg  eingesandten  Strafifall  s.  88  307. 
3)  Mylius  c.  c.  m.  II.  Abth.  3.  Sp.  121. 
*)  Mylius  c.  c.  m.  11.  Abth.   1.  Sp.  709. 
•"')  Mylius  c.  c.  m.   II   Abth.  1   Sp.  729  ff. 


§  i8.    Auf  die  Einholung  der  Kechtsbelehrung  beziigl.  Anordn.  etc.       Ö13 

„ Hasard".  Deshalb  wird  zugleich  die  vornehmliche  Berück- 
sichtigung der  inländischen  Fakultäten  und  Schöppenstühle 
empfohlen.  Die  Folge  des  Edikts  war,  dass  dadurch  die 
Fakultäten  und  Schöppenstühle  zum  Range  zweitinstanzlicher 
Gerichte  aufstiegen,  aber  eine  ähnliche  Einbusse  ihrer  Inan- 
spruchnahme zu  gewärtigen  hatten,  wie  einst  der  Magde- 
burger Schöppenstuhl,  als  die  umliegenden  fremden  Landes- 
herren die  Rechtsstellung  ausser  Landes  durch  Gesetz  aus- 
schlössen. Beispiele,  dass  auf  Grund  des  Edikts  von  1723 
in  Brandenburg  die  von  Gerichten  erster  Instanz  erbetene 
Belehrung  abgelehnt  wurde,  finden  sich  aus  den  Jahren  1727 
(84461.  463.  509.  528),  1728  (8542.  75).  Zuweilen  kehrte 
sich  der  Schöppenstuhl  aber  nicht  an  das  Edikt1).  Dann 
ahmten  auch  die  Brandenburger,  um  sich  vor  der  Schädigung 
zu  bewahren,  die  ihnen  %  das  Verbot  von  1723  brachte,  das 
Beispiel  nach,  das  in  alter  Zeit  die  Magdeburger,  in  neuerer 
Zeit  die  Frankfurter  gegeben  hatten2):  sie  umgingen  das 
Verbot,  indem  sie  sich  bereit  erklärten,  statt  eines  zu  fällen- 
den Urtheils  ein  rechtliches  Gutachten  .auch  vor  gefällter 
erstinstanzlicher  Entscheidung  zu  geben. 

Auf  der  von  171 7  an  in  Preussen  betretenen  Bahn,  die 
Aktenversendung  einzuschränken,  schritt  König  Friedrich 
Wilhelm  I.  weiter,  indem  er  1732  befahl,8)  alle  Inquisitions- 
sachen künftig  „direkt  an  die  Regierungen",  und  nicht  „wie 
bisher  an  entfernte  Fakultäten  und  Schöppenstühle"  gelangen 
zu  lassen. 

Das  Verbot  der  Aktenversendung  durch  erstinstanzliche 
Richter  bewährte  sich  aber,  theils  weil  die  Einzelrichter  sich 
ihrer  Aufgabe  als  nicht  gewachsen  erwiesen,  theils  weil  sie 
vielfach  „wegen  naher  Freundschaft,  offenbarer  Feindschaft 
oder  anderen  Ursachen*4  perhorrescirt  wurden,  so  wenig,  dass 

*)  In  Betreff  einer  Anfrage  der  Amtskammer  zu  Schwedt  in  der  Ucker- 
mark wirft  1726  (iiesecke  die  Frage  auf,  oh  nicht  zunächst  nach  dem  Kgl. 
Edikt  die  Kammer  selbst  hätte  sprechen  sollen  (84  152  ff.).  Der  Schöppen- 
stuhl geht  aber  über  die  Frage  hinweg;  1727  (84  468)  wird  in  einem 
gleichen  Falle  die  Frage  gar  nicht  angeregt.     Aehnlich   1 728  (85  54). 

2)  Siehe  oben  S.  309. 

8)  Allg.  Ordn.  und  Dekl.  v.   12.  Juli.     Mylius  II   Abth.  3  S.  161. 


3 1  -4  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

es  1736  für  die  nur  mit  Einzelrichtern  ohne  Beisitzer  be- 
setzten Gerichte  aufgehoben  werden  musste.1)  Dabei  sollte 
jeder  Partei  frei  bleiben,  „von  den  sieben  in  unseren  (den 
preussischen)  Reichslanden  befindlichen  Universitäten  und 
Schöppenstühlen  wider  ein  Kollegium  zu  excipiren".  Mit 
den  sieben  Kollegien  werden  ausser  Brandenburg  die  vier 
Schöppenstühle  zu  Halle,  Stettin,  Minden  und  Stargard,  sowie 
die  Universitäten  Frankfurt  und  Halle  gemeint  sein.2) 

Um  die  Klagen  wegen  Saumseligkeit  der  Universitäten 
und  der  Schöppenstühle  abzuschneiden,  bestimmte  unterm 
19.  Dezember  17383)  der  König,  dass  bei  50  Thaler  Strafe 
in  Kriminalsachen  binnen  vier  Wochen,  sonst  binnen  sechs 
Wochen,  in  höchst  wichtigen  Sachen  aber  binnen  acht 
Wochen  das  Urtheil  zurückzubefördern  sei. 

Eine  Folge  des  Edikts  von  1723  und  der  Deklaration 
von  1736  war,  dass  zwischen  jenen  Jahren  der  Branden- 
burger Schöppenstuhl  eine  zweite  Blüthezeit  erlebte,  die 
freilich  lange  nicht  den  Höhepunkt  der  ersten  Blüthezeit  er- 
reichte. 

Friedrich  der  Grosse  setzte  aber  der  Aktenversendung 
durch  preussische  Gerichte  überhaupt  ein  Ende.4)  Bereits 
mehrfach  hatte  er  an  Sprüchen  ausländischer  Fakultäten 
Anstoss  genommen,  die  ohne  genügende  Berücksichtigung 
des  Landesrechtes  Erkenntnisse  preussischer  Gerichte  besei- 
tigten. Er  hatte  sich,  ehe  die  Order  vom  20.  Juni  1746 
erging,5)  anscheinend  aus  eigener  Initiative,  entschlossen, 
seinen    Gerichten    die    Aktenversendung    allgemein    zu   ver- 

l)  Mylius  c.  c.  m.  II  Abth.  1  Sp.  837  ff. 

-)  Kolberg,  wo  des  bekannten  Johann  Brunnemann  Neffe,  Jacob  Br., 
von  1704  bis  1735  Direktor  des  Schöppenstuhls  war,  scheint  schon  1736 
unbeachtet  geblieben  zu  sein.  Aus  Stargard  existirt  im  Berliner  StA. 
R.  49  L.  ein  Spruch  von  „Direktor  und  Assessores  des  Kgl.  Preuss.  Hinter- 
pomm ersehen  Schöppenstuhls"1.  Sonstiges  Material  fehlt.  Ebenso  alles 
Material  bezuglich  Mindens.  Auch  die  Akten  der  Frankfurter  Fakultät  sind 
nicht  mehr  vorhanden.  Die  der  Halleschen  Fakultät  konnten,  da  sie  erst 
von   1694  beginnen,  unberücksichtigt  bleiben. 

*)  Mylius  c.  cm.   1.  conti  n.  Sp.  227. 

*)  Stölzel,  Rechtsverwaltung  2,  165.   168.   173. 

•,')  Mylius  c.  c.  m.  3.  contin.  Sp.  75. 


§  18.    Auf  die  Einholung  der  Rechtsbelehrunjr  bezügl.  Anordn.  etc.      315 

bieten.  Denn  in  dem  „unvorgreiflichen  Plan  wegen  Ver- 
besserung der  Justiz14,  den  Cocceji  unterm  9.  Mai  1746  dem 
Könige  eingereicht  hatte,1)  hiess  es:  „Die  Verschickung  derer 
Akten  ausser  Landes  haben  S.  Kön.  Maj.  schon  aufgehoben, 
welches  eine  höchstnöthige  und  nützliche  Verordnung 
istu.  Dann  erging  —  ohne  Gegenzeichnung  eines  Ministers  — 
von  Potsdam  aus  unterm  20.  Juui  1746  die  Order  „an  das 
gesammte  Etatsrathskollegium  zu  Berlin",  dass  den  „Justiz- 
kollegiis, Konsistoriis  und  Gerichten"  die  Verschickung  der 
Akten  „an  inländische  Fakultäten  und  Schöppenstühle  so- 
wohl als  an  ausländische  für  das  Künftige  gänzlich  verboten 
sei";  ihre  allgemeine  Bekanntmachung  erfolgte  unter  dem 
1.  Juli  1746.  Der  Zweck  des  Königs  bei  seinem  Verbote 
war  zu  verhüten,  dass  „die  Prozesse  weitläufig  und  kostbar 
gemacht,  auch  dass  gottlos  interessirte  und  korrumpirte 
Richter  ihre  unerlaubten  Ränke  und  Verkaufung  der  Justiz 
frech  und  ungescheut  exerziren";  denn,  so  bemerkte  der 
König  erläuternd  in  seiner  Dissertation  sur  les  raisons  d'eta- 
blir  ou  abroger  les  lois,  ein  Kläger  würde  grosses  Unglück 
im  Spiele  haben,  wenn  er  nicht  in  fünf  Tribunalen  und  wie- 
viel Universitäten  käufliche  Seelen  fände. 

Damit  war  der  Brandenburger  Schöppenstuhl  als  Spruch- 
behörde in  Sachen,  die  bei  Gericht  schwebten,  ausser  Wirk- 
samkeit gesetzt.  Dessenungeachtet  blieb  für  ihn  noch  sechzig 
Jahre  lang  die  Möglichkeit,  in  äusserst  beschränktem  Maasse 
thätig  zu  sein.  Das  Verbot  von  1746  erstreckte  sich  weder 
auf  die  durch  Reglement  vom  19.  Juni  1749  den  Kammern2) 
überwiesenen,  mit  öffentlich-rechtlichen  Fragen  zusammenhän- 
genden Rechtssachen,  noch  auf  die  beim  Generalauditoriat 
zu  verhandelnden  Strafsachen;  selbstverständlich  Hess  auch 
das  Verbot  von  1746  die  nichtpreussischen  gerichtlichen 
Sachen  unberührt.  So  kam  es,  dass  —  allerdings  sehr  ver- 
einzelt —  auch  nach  1746  in  Brandenburg  Belehrung  geholt 
wurde. 


')  v.  Kamptz,  Jahrb.  Bd.  59  S.  77,  85. 
*)  Siehe  §  25. 


316  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

§19. 

Wahl  und  Bestellung  der  Schoppen. 

I. 

Ist  die  Annahme  richtig,  dass  jede  der  beiden  Städte 
ursprünglich  ihre  Rechtspflege  durch  ihre  zwölf  Rathmannen 
als  Schoppen  ausüben  Hess  und  erst  im  Anfang  des  fünf- 
zehnten Jahrhunderts  dazu  überging,  sich  mit  einem  Fünfer- 
ausschuss  der  Rathmannen  für  die  Ausübung  der  Schöppen- 
thätigkeit  zu  begnügen,1)  so  heisst  das  nichts  Anderes,  als 
dass  allmählich  dem  gesteigerten  Bedürfniss  entsprechend 
die  Verwaltung  der  Rechtspflege  als  Sonderthätigkeit  von 
der  allgemeinen  Stadtverwaltung  ausgeschieden   wurde. 

Die  Wahl  der  Schoppen  aus  den  Rathmannen  stand  den 
Schoppen  selbst  zu.  Die  Schoppen  cooptirten  sich;  die 
Gewählten  zu  bestätigen,  war  Sache  des  Landesherrn.  Des- 
halb ist  es  erklärlich,  dass  wir  nur  sehr  vereinzelt  Schoppen 
kennen  gelernt  haben,  die  nicht  zugleich  Rathmänner  waren, 
und  dass  noch  1747  geltend  gemacht  wird,  das  Amt,  im 
Schöppenstuhl  zu  sitzen,  sei  ein  Vorrecht  der  Mitglieder  des 
Magistrats  (s.  S.  322).  Da  der  Rath  es  war,  der  den  Landes- 
herrn um  Bestätigung  der  Schöppenwahl  anging,  —  das  er- 
giebt  für  Brandenburg  wenigstens  der  älteste  der  vorhandenen 
Berichte2)  aus  dem  Jahre  1559  — ,  so  setzte  das  voraus,  dass 
der  Rath  die  von  den  Schoppen  vollzogene  Kooptation 
billigte.  Ein  Streit  des  Frankfurter  Rathes  mit  seinen 
Schoppen  aus  dem  Jahre  15333)  lehrt  weiter,  dass  diese 
Billigung  der  Schöppenwahl  durch  den  Rath  auch  als  ein 
Bestätigungsrecht  des  Rathes  aufgefasst  wurde;  denn  es  Hess 
damals  der  Kurfürst  einen  Streit  des  Rathes  und  der  Schoppen 
zu  Frankfurt  über  die  Schöppenwahl  durch  seine  Räthe  dahin 
entscheiden,  dass  die  Schoppen  selbst  bei  eintretender  Vakanz 
neue  Schoppen  wählen  und  dem  Rathe  anzeigen  sollen,  da- 
mit der  Rath  sie  „wie  von  Alters  bestätige*  oder,  wenn  er 
Bedenken    habe,    andere  wählen    lasse;    nur  wenn  Rath  und 

1)  Siehe  oben  Seite  267. 

2)  StA.  R.  21  N.  qc.  Die  Berichte  sind  sehr  lückenhaft;  es  folgen 
nur  die  Jahre  1582,  161 7,  1620,  1650,  165 1,  1657,  1660  etc. 

3)  Riedel  c.  d.  1,  23,  448. 


§  19-     Wahl  und  Bestellung  der  Schoppen.  317 

Schoppen    sich    nicht    vereinigen    könnten,    möchten  sie  den 
Bescheid  des  Kurfürsten  oder  seiner  Räthe  gewarten. 

Brandenburg  gegenüber  hatte  sich  die  landesherrliche 
Gewalt  stärker  entwickelt,  da  der  Rath  sich  an  den  Kur- 
fürsten um  Bestätigung  der  Schöppenwahl  wandte,  auch 
wenn  zwischen  Rath  und  Schoppen  keine  Meinungsverschieden- 
heit herrschte.  Aber  in  den  Augen  des  Kurfürsten  war  es 
1559  der  Rath,  der  über  die  Schöppenwahl  entschied;  denn 
das  betreffende  Gesuch  des  Rathes  um  die  Bestätigung 
hat  in  der  kurfürstlichen  Kanzlei  die  Aufschrift  erhalten: 
„Rath  der  Altenstadt  Brandenburg  haben  Marcus  Meynicken 
zum  schepfen  gemacht."  Allmählich  erwuchs  indess  das 
Schöppenkolleg  jeder  Stadt  zu  solcher  Unabhängigkeit  vom 
Rathe,  dass  es  für  sich  selbständig  mit  Uebergehung 
des  Rathes  die  erfolgte  Schöppenwahl  dem  Kurfürsten 
anzeigte  und  um  dessen  Bestätigung  bat,  wie  sie  „nach 
ihren  Privilegien  müssten";  die  Bitte  geht  dahin,  den  neu- 
gewählten Schoppen  „zum  Schöppenstuhl  und  dann 
zum  Schoppen  der  Neustadt  Brandenburg  zu  konfirmiren". 
Ein  derartiges  Gesuch  liegt  aus  dem  Jahre  1582  vor.  Der 
Schöppenstuhl  war  also  den  Bittstellern  die  Hauptsache,  erst 
in  zweiter  Linie  kam  ihnen  ihr  Stadtgericht.  Das  nächst- 
folgende der  vorhandenen  Bestätigungsgesuche  geht  161 7 
wieder  von  den  Schoppen  der  Neustadt  aus  und  redet  von 
drei  Stellen,  „die  im  Schöppenstuhl  ledig  geworden4* 
seien;  das  Stadtgericht  ist  nicht  erwähnt  und  die  Siegelung 
ist  mit  dem  Schöppensiegel  beider  Städte  bewirkt,  d.  h. 
die  neustädter  Schoppen  für  sich  suchen  um  die  Bestätigung 
nach,  weil  in  ihrem  Schöppenkolleg  die  Lücken  entstanden 
sind,  sie  handeln  aber  damit  im  Interesse  des  Schöppenstuhls 
beider  Städte  und  schreiben  deshalb  unter  des  Schöppen- 
stuhls  Siegel.1)      Die    altstädter   Schoppen    hingegen  bitten 

')  Etwas  später  (im  Jahre  1619)  beanspruchten  die  Neustädter  dem 
Kurfürsten  gegenüber  das  Recht  der  freien  Kathswahl.  Der  Kurfürst  er- 
klärt dies  Recht  für  ein  oberstes  Regal,  „wie  bei  der  Schöppenwahl";  die 
Befreiung  müsse  nachgewiesen  werden,  sie  ergebe  sich  aber  nicht  aus  der 
früheren  Gewohnheit  der  Unterlassung;  die  Gewohnheit  bewirke  nur  bei  dem 
crimen  laesae  majestatis  die  Verjährung.  R.  21  n.  9  b  StA.,  Jahresbericht 
des  historischen  Vereins  zu  Brandenburg  1894  S.  58. 


318  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

1620  und  1622  um  Bestätigung  einiger  von  ihnen  gewählten 
Schoppen  zu  „Schoppen  der  alten  Stadt  Brandenburg" , 
bemerken  dabei  jedoch,  dass  solches  „zur  Erhaltung  Seiner 
churf.  Durchl.  Schöppenstuhls  gereiche".  Die  Bestäti- 
gung erfolgt  zu  „Scheppen  an  dem  churfürstlichen 
Scheppenstuhlu.  Zwar  bitten  dann  noch  in  den  Jahren 
1650,  1651,  1657  und  1660  die  Schoppen  derjenigen  Stadt, 
unter  deren  Schoppen  eine  Vakanz  eingetreten  ist,  um  Be- 
stätigung der  gewählten  Nachfolger,  die  Antwort  geht  aber 
auch  hier  stets  an  die  Schoppen  beider  Städte  zum 
Zeichen,  dass  es  sich  nicht  mehr  um  Stadtgerichts-Schöppen 
(die  aufgehört  hatten,  zu  existiren),  sondern  nur  um  Schöppen- 
stuhls-Assessoren  handelte,  bis  von  1665  ab  die  Bestätigungs- 
gesuche vom  gesammten  Schöppenstuhl  statt  von  den 
Schoppen  der  Einzelstadt  ausgehen:  der  Schöppenstuhl  war 
zu  einem  einheitlichen  Kolleg  geworden  (s.  oben  S.  78). 

Als  Durchgangsstufe  zum  Schöppenamt  hat  sich  uns  das 
Schöppenschreiberamt  ergeben.  Wer  Schöppenschreiber  war, 
hatte  damit  eine  gewisse  Anwartschaft  auf  das  Schöppenamt. 
Den  Schöppenschreiber  stellte  in  Brandenburg  ursprüng- 
lich der  Rath,  später  der  Schöppenstuhl  an;  von  einer  Be-. 
stätigung  des  Landesherrn  findet  sich  dabei  keine  Spur,  ob- 
wohl für  Berlin-Cöln  Bürgermeister  und  Rathmannen  1442  in 
der  Kanzlei  des  Markgrafen  bekennen,1)  dass  „die  Herrschaft 
allzeit  Macht  hat,  Gerichtsschreiber  zu  setzen  und  entsetzen*4. 
Lag  aber  in  Brandenburg  die  Anstellung  des  Schöppen- 
schreibers  völlig  in  der  Hand  der  Schoppen,  so  war  ihnen 
damit  von  vornherein  ein  starker  Einfluss  auch  auf  die  An- 
stellung der  Schoppen  eingeräumt. 

Das  Schöppenamt  erklärt  Brunner  von  Haus  aus  für  ein 
lebenslängliches.2)  So  tritt  es  uns  auch  in  Brandenburg 
entgegen.  Die  lebenslängliche  Dauer  entsprach  mehr  der 
Natur  der  Sache,  als  ein  jährlicher  Wechsel,  wie  er  beim 
Rathsamt  üblich  war:  ein  guter  Schöppe  brauchte  lange 
Uebung;  Unabhängigkeit  stärkte  seine  Unparteilichkeit  und 
seinen  Gerechtigkeitssinn.    Wenn  dagegen  Bürgermeister  und 

1)  Raumer,  cod.  cont.  1,  213. 

2)  RGesch.  2,  224. 


§  19.     Wahl  und  Bestellung-  der  Schoppen.  3M 

Rathmannen  jährlich  zu  wechseln  pflegten,  so  war  dies  für 
die  Stadtverwaltung  ebenso  wünschenswerth,  wie  die  Stetig- 
keit für  die  Rechtspflege.  Wo  aber,  wie  dies  meist,  bei 
den  kleineren  Städten  wohl  immer  der  Fall  war,  die  Schoppen 
zugleich  im  Rathe  sassen,  mussten  die  beiden  Prinzipien  der 
Lebenslänglichkeit  auf  der  einen  und  des  jährlichen  Wechsels 
auf  der  anderen  Seite  in  Konflikt  gerathen.  Schoppen-  und 
Rathsdienst  wurden  in  derselben  Person  vereinigt,  weil  die 
Arbeitskraft  einer  Person  für  beide  Dienste  ausreichte. 
Erhielt  also  ein  Rathmann  durch  Wahl  zum  lebenslänglichen 
Schoppen  den  Schöppendienst  übertragen,  so  übte  das  einen 
Druck  aus,  dass  er  bei  der  jährlichen  Rathswahl  wieder  zum 
Rathmann  gewählt  wurde.  Es  scheint  jedoch  auch,  dass 
Schoppen  auf  Zeit  gewählt  wurden.  In  Stendal  lautet  ein 
alter  Schöppeneid,  die  Schoppen  sollen  zu  der  Schöppenbank 
schwören,  dass  sie  dies  Jahr  zwischen  zwei  Urtheilen  das 
rechteste  finden  wollen,  als  sie  am  besten  wissen.  Nach  der 
Verfassung  von  1345  ist  dort  aber  das  Schöppenamt  lebens- 
länglich.1) In  Berlin  amtirten  die  Schoppen  nach  der  Ver- 
einigung von  1307  auf  drei  Jahre,  in  Spandau  ebenso  nach 
einer  Urkunde  von  1319.2)  Ein  in  den  Brandenburger 
Schöppenstuhlsakten  (7  76)  verhandelter  Rechtsfall  des  Jahres 
1 558  aus  Plaue  scheint  umgekehrt  anzudeuten,  dass  dort  die 
Rathswahl  auf  die  Schöppenwahl  eingewirkt  und  die  letztere 
auch  zu  einer  jährlich  wiederkehrenden  gemacht  habe.  Der 
Fall  war  folgender:  Die  Frau  eines  Rathmanns  und  Schoppen 
zu  Plaue  hatte  1558  ein  Rind,  das  von  anderm  Vieh  umge- 
bracht war,  mit  Hülfe  ihrer  Magd  vergraben,  nachdem  sie 
die  Haut  abgezogen;  dann  hatte  sie  auch  die  Haut  vergraben. 
Die  That  wurde  ruchbar;  der  Mann  bestritt,  davon  gewusst 
zu  haben.  Dies  glaubten  ihm  Bürgermeister,  Richter  und 
Schoppen  nicht,  sie  fragten  deshalb  unterm  7.  Okt.  1558, 
da  „nun  nach  altem  Gebrauch  die  Zeit  ist,  dass  sich  ein 
Rath  mitsammt  den  Schoppen  pflegt  zu  verändern  und  zu 
versetzen",  an,  ob  sie  den  Mann  ferner  im  Rath  und  Schöppen- 

J)  Götze,  Gesch.  von  Stendal  S.  71.  143.    Jährliche  Beeidigung  lebens- 
länglicher Schoppen  durfte  kaum  anzunehmen  sein. 

a)  Mark.  Forschungen  Bd.  16  S.  8.     Riedel  c.  d.   1,  11,   19. 


3'20  4.  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

stuhl  behalten  und  bleiben  lassen  könnten.  Die  Brandenburger 
antworteten,  dass  die  Anfrager  nicht  befugt  seien,  ihren  „  Mit- 
genossen, Rathsverwandten  und  Verordneten  im  Schöppen- 
stuhlu,  weil  sein  Weib  ihm  unbewusst  das  Aas  mit  der  Haut 
vergraben,  „zu  entsetzen". 

Kleinere  Städte  kennen  auch  bei  den  Rathspersonen  ein 
Ernennungsrecht  ihres  Gerichtsherrn.  Im  Städtlein  Freien- 
stein an  der  Dosse  haben  der  von  Rohr  auf  Neuenkauf  und 
Freienstein  und  seine  Voreltern  seit  undenklichen  Zeiten  an 
Stelle  einer  verstorbenen  Rathsperson  eine  andere  ernannt 
(1598:  43  287). 

In  Brandenburg  ergiebt  sich  aus  der  Sitte,  dass  der 
regierende  Bürgermeister  nach  Ablauf  seiner  Amtsperiode 
(mit  Beibehalt  des  Titels  Bürgermeister)  wieder  in  den 
Rath  tritt,  und  dass  zufolge  dieser  Sitte  bis  zu  sechs  Bürger- 
meister an  dessen  Spitze  stehen,  die  weitere  Sitte,  die  ab- 
tretenden Bürgermeister  wieder  zu  Rathsherrn  zu  wählen. 

Der  Fall  einer  zwangsweisen  Amtsentsetzung  ist,  soviel 
sich  hat  ermitteln  lassen,  in  Brandenburg  nicht  vorgekommen. 
Nach  dem  Tode  des  Schoppen  Mawe  beschlossen  1572  die 
Neustädter  Schoppen,  dass  die  Schöppenwitwen  ein  Jahr 
lang  im  Genuss  der  Schöppengebühren  bleiben  sollten,  und 
sie  erneuerten  diesen  Beschluss  im  Jahre  1584. l) 

Einen  freiwilligen  Rücktritt  liess  das  Magdeburger  Recht 
ausdrücklich  zu;  er  kam  auch  in  Brandenburg  vor.  Einmal 
geschah  es,  dass  ein  gealterter  Brandenburger  Schöppe  (1725) 
mit  Genehmigung  des  Königs  in  seiner  Arbeit  erleichtert  und 
vertragsmässig  in  seiner  Einnahme  zu  Gunsten  seiner  Kollegen» 
die  für  ihn  arbeiteten,  beschränkt  wurde.2) 

Etwaige  die  Befähigung  eines  Gewählten  zur  Ausübung 
seines  Amtes  beeinträchtigende  Mängel  wurden  durch  die 
landesherrliche  Konfirmation  behoben,  wenn  sie  in  Kenntniss 
dieser  Mängel  erfolgt  ist.3) 

1)  Schöppenbucb  Cod.  N.  3  RA. 

2)  Siehe  oben  Seite  131. 

s)  Rechtsspruch  der  Brandenburger  von  1607  (54  350)  auf  Anfrage 
eines  Bürgers  zu  Schönfliess,  ob  der  nach  Biesenthal  bestätigte  Bürger- 
meister nicht  seines  Amtes  unfähig,  weil  er  seine  Magd  geschwängert 
habe  und  Ehefrauen  nachgelaufen  sei. 


§   ig.     Wahl  und  Bestellung  der  Schoppen.  321 

Die  jahrhundertelange  Uebung,  dass  die  Schoppen 
Lücken,  die  in  ihrem  Stuhle  entstanden,  durch  eigene 
Wahl  aus  den  Rathspersonen  ausfüllten,  ermöglichte  es,  das 
Schöppenamt  nach  Art  einer  erblichen  Würde  dauernd  in  den 
Rathsfamilien  zu  erhalten.  Deshalb  kommen  Beispiele  in 
so  grosser  Zahl  vor,  dass  der  Sohn  an  die  Stelle  des 
ausgeschiedenen  Vaters  oder  der  Schwiegersohn  an  die  Stelle 
des  ausgeschiedenen  Schwiegervaters  tritt.  Die  landes- 
herrliche Bestätigung  war  im  Wesentlichen  Formsache. 
Fälle,  in  denen  sie  versagt  wurde,  haben  sich  nicht  gefunden. 
Die  Akten,  welche  im  Staatsarchiv  über  die  Bestätigung 
Auskunft  geben,  beginnen  mit  dem  Schlüsse  der  1550  er 
Jahre.  Es  war  das  die  Periode,  mit  welcher  zufolge  der 
Anordnungen  der  Joachimica  der  Schöppenstuhl  mehr  und 
mehr  den  Charakter  eines  „kurfürstlichen  Gerichtsstuhls44 
annahm.  Das  hinderte  den  Schöppenstuhl  nicht,  bei  vor- 
kommender Gelegenheit  streng  sein  Wahlrecht  zu  wahren. 
Vergeblich  war  1691  das  vom  Kurfürsten  sichtlich  begünstigte 
Bestreben  des  Syndikus  Katsch,  als  siebenter  Schöppe  einzu- 
treten.1) Nachdem  der  Schöppenstuhl  berichtet  hatte,  es 
seien  immer  nur  sechs  Mitglieder  gewesen,  er  beantrage,  es 
dabei  zu  belassen,  antwortete  zwar  der  Kurfürst,  es  stünde 
ihm  frei,  die  Zahl  zu  vermehren,  auch  empfehle  sich  bei 
Meinungsverschiedenheiten  die  Zahl  sieben, 2)  nichtsdesto- 
weniger blieb  die  Angelegenheit  liegen,  bis  im  Jahre  1695 
Katsch  in  eine  freigewordene  Schöppenstelle  eintreten  konnte. 
Ebenso  führte  ein  anscheinend  1701  gemachter  Versuch, 
einen  dem  Schöppenkolleg  nicht  genehmen  extraneus  durch 
landesherrliche  Bestimmung  einzufügen,3)  nicht  zum  Ziele. 

Bei  einer  1747  eingetretenen  Vakanz  meldete  sich  ein 
Brandenburger  Notar  direkt  beim  Könige,  wurde  auch  nach 
Berlin  zur  Prüfung  zitirt;  der  Schöppenstuhl,  der  hiervon 
keine  Kenntniss  hatte  und  seinen  Stadtsyndikus  präsentirte, 
erhielt  von  Cocceji,  dem  damaligen  chef  de  justice,  zur  Ant- 
wort, es  habe  sich  bereits  Jemand  gemeldet,  und  dabei  bleibe 

1)  Vergl.  oben  Seite  149. 

2)  R.  21  No.  9c  StA. 

8)  Siehe  oben  Seite  148. 
Stölzel,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  21 


322  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

es;  erst  nachdem  der  Schöppenstuhl  sich  auf  sein  Präsen- 
tationsrecht und  auf  den  Brauch  berief,  die  Magistratsmitglieder 
verdienten  den  Vorzug,  lenkte  Cocceji  ein,  verlangte  aber 
die  Einsendung  der  Fundationsurkunde ;  das  Resultat  war 
die  Bestätigung  des  Stadtsyndikus.  Als  sich  im  Jahr  1800 
ein  Kandidat  beim  Könige  um  Verleihung  der  „vierten4* 
Assessorstelle  bewarb,  nachdem  seit  1784  nur  drei  Assessoren 
im  Schöppenstuhl  gesessen  hatten,  erging  ein  abschlägiger 
Bescheid,  weil  der  Schöppenstuhl  berichtet  hatte,  dass  bei 
der  geringen  Arbeit  drei  genügten.1) 

In  Wahrheit  ergänzte  sich  also  das  Schöppenkolleg,  wie 
das  auch  anderwärts  Regel,2)  selbst  aus  den  Rathsfamilien;3) 
dem  Bedürfniss,  allmählich  die  Wahl  auf  Männer  von  rechts- 
gelehrter Bildung  zu  beschränken,  wurde  dabei  gebührend 
Rechnung  getragen,  indem  man  akademisch  gebildete  Söhne 
neuer  Familien  als  Bürger  aufnahm  oder  Rathssöhne  auf  die 
Universitäten  sandte  und  dann  die  Einen  wie  die  Andern  in 
den  Rath  hereinzog.  Wohnsitz  des  Wahlkandidaten  in  einer 
der  beiden  Städte  war  Erforderniss;  nach  17 17  wurden  die 
auf  der  Burg  wohnhaften  Wahlkandidaten  Kämmrich  und 
Dreher  nur  citra  ambarum  civitatum  praejudicium  zugelassen. 
Für  die  Rathswahl  war  zwar  durch  einen  altstadter  Haupt- 
rezess  von  16854)  ausdrücklich  festgestellt,  dass  zum  Rath 
nicht  nur  tüchtige  und  geschickte  Leute,  sondern  auch  „nicht 
leicht  Vater  und  Sohn,  zwei  oder  mehr  Brüder  oder  auch 
zwei  oder  mehr  Schwestermänner"  gewählt  werden  sollten, 
und  diese  Bestimmung  galt  damit  auch  für  die  Schoppen,  da 
man  nurRathmänner  zu  Schoppen  wählte,  aber  sie  wurde  jeden- 
falls nur  lax  gehandhabt;  denn  in  einem  Protokoll,  betr.  die 
Untersuchung  des  Brandenburger  rathhäuslichen  Wesens  von 
17395)  heisst  es,  an  den  damaligen  grossen  Unordnungen  sei 
wohl  grossentheils  die  nahe  und  viele  Verwandtschaft  der 
Rathsglieder    unter    einander  Schuld,    indem  mehrere   näher 


')  R.  97  III  d  fol.  100  ff.  StA. 

2)  Rathmann,  Gesch.  v.  Magdeburg  2,  168.     Gaupp,  Das  alte  magdeb. 
R.  Seite  141,   142,  269. 

8)  R.  21   nr.  9c.  StA. 

4)  R.  21   nr.  10a.  StA.  5)  RA.  Acta  I  R.  15. 


§   19-     Wahl  und  Bestellung  der  Schoppen.  323 

Bezeichnete,  darunter  auch  Schoppen,  Vater,  Sohn,  Bruder 
und  Vettern  seien,  „die  dessenungeachtet  zum  Theil  in  nicht 
geringer  Feindschaft,  zum  Theil  in  grosser  Vertraulichkeit 
leben  und  Parteien  machen". 

Die  Verbindung  des  Schöppenamts  mit  dem  Rathsamte 
musste  zur  Folge  haben,  dass  es  keinen  einzigen  Branden- 
burger Schoppen  gegeben  hat,  der  in  seiner  Schöppenthätig- 
keit  seinen  ausschliesslichen  Beruf  und  seine  ausschliessliche 
Erwerbsquelle  gesehen  hätte.  Von  jeher  war  das  Schöppen- 
amt  ein  Amt,  das  Jemand  neben  seinem  eigentlichen  Berufe 
übernahm.  Das  änderte  sich  auch  nicht  mit  der  Zeit,  mit 
welcher  man  begann,  akademische  Bildung  der  Schoppen 
für  wünschenswerth  zu  halten:  noch  gegen  Ende  des  sech- 
zehnten Jahrhunderts  trieben  Rathsherrn  und  Bürgermeister 
die  im  Schöppenstuhl  sassen,  Landwirtschaft  auf  den  ihnen 
bei  Brandenburg  gehörigen  Hufen  und  Weinbergen ;  in  diese 
Weinberge  flüchteten  sie,  wenn  ein  arges  Pestjahr'  sie  aus 
der  Stadt  trieb,  und  sie  kamen  am  See  zusammen,  um  über 
ihre  Rechtsprüche  sich  zu  einigen.  Selbst  in  der  späteren 
Periode,  in  der  man  anfing,  allein  in  juristischer  Thätigkeit 
die  Lebensaufgabe  zu  finden,  beschränkte  sich  Niemand  auf 
die  Schöppenthätigkeit;  denn  sie  konnte  ihren  Mann  nicht 
ernähren.  Auch  war  das  Schöppenamt  vielfach  nicht  das  ein- 
zige Nebenamt,  das  ein  Rathsherr  übernahm.  Der  Branden- 
burger spezifisch  juristisch  ausgebildete  Schöppe  strebte  viel- 
mehr danach,  noch  gleichzeitig  weitere  juristische  Aemter  in 
sich  zu  vereinigen,  wie  dies  auch  sonst  im  Staatsdienst  bis  tief 
in  das  neunzehnte  Jahrhundert  hinein  üblich  wurde.  Als 
Cocceji  1737  zum  chef  de  justice  aufstieg,  trat  eine  Vakanz 
des  Präsidiums  in  sieben  Kollegien  ein,  denen  er  vorgesessen 
hatte.  Der  Brandenburger  Schöppe  des  siebzehnten  und 
achtzehnten  Jahrhunderts  war  häufig  zugleich  Richter  des  alt- 
oder  neustädtischen  Stadtgerichts,  Justitiar  verschiedener  in 
der  Umgegend  sesshaften  Gerichtsherren,  daneben  Notar  und 
Advokat,  eine  Sitte,  die  in  analoger  Weise  sich  überhaupt 
allgemein  bis  zur  Aufhebung  der  Patrimonialjurisdiktion  auch 
anderwärts  verfolgen  lässt. 

Da  die  zu  Brandenburger  Schoppen  Ernannten  während 

21* 


824  4*  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

der  Zeit  von  1550  bis  1650  vor  ihrer  Ernennung  in  Branden- 
burg selbst  praktisch  thätig  gewesen  zu  sein  pflegten,  so 
hatte  der  Schöppenstuhl  Gelegenheit  genug,  durch  persön- 
liche Anschauung  sich  ein  Urtheil  über  ihre  Fähigkeiten  zu 
bilden  und  hiernach  seine  Wahl  zu  treffen.  Dass  das  ge- 
schah, ergeben  die  Präsentationen. l)  Der  Landesherr  bezog 
sich  in  seiner  Bestätigungsurkunde  auf  das  Urtheil  des 
Schöppenstuhls  und  bemerkte  zuweilen  auch,  dass  ihm  die 
Tüchtigkeit  des  neuen  Mitgliedes  selbst  bekannt  sei. 

Obwohl  daher  die  neuen  Schoppen  keine  Universitats- 
zeugnisse  über  ihre  Fähigkeiten  hatten,  empfand  der  Schöp- 
penstuhl selbst  nicht  das  Bedürfniss,  eine  besondere  Prüfung- 
einzurichten.  Die  Entwickelung  des  Prüfungswesens  in  Bran- 
denburg-Preussen  führte  hierin  erst  eine  von  aussen  hinein- 
getragene Aenderung  herbei.  Nachdem  man  am  Ende  des 
siebzehnten  Jahrhunderts  begonnen  hatte,  für  Mitglieder 
höherer  Gerichte  eine  Prüfung  vor  dem  Gericht,  bei  welchem 
sie  thätig  sein  sollten,  zu  verlangen,2)  bestimmte  die  Allge- 
meine Verordnung  vom  21.  Juni  1713:3) 

.  .  .  .So  wollen  wir  daß  in  unserm  Kammergericht  zu  Colin  an 
der  Spree,  in  Unsern  Regierungen  und  Hofgerichten,  am  wenigsten 
aber  in  Unsern  Ober-Appellations-Gerichten  von  nun  an  keiner  zu 
einer  Ratsbedienung  gelangen  solle,  der  nicht,  wie  in  andern  hohen 
Gerichten  es  üblich,  aus  Akten,  die  ihm  von  dem  Praeside  Collegit 
gegeben  werden  sollen,  vorher  eine  Relation  pro  statu  cum  voto 
ab  gefasset,  und  hat  er  in  seiner  künftig  zn  leistenden  Pflicht  xu 
erhärten,  dass  er  eine  solche  Relation  selbst,  ohne  andere  im  gering* 
sten  zu  consuliren,  und  also  ohne  frembde  Beihulf  verfertiget,  die 
sodann  von  dem  Collegio,  worin  er  Sitz  und  Stimme  haben  will,  nicht 
allein  beleuchtet  und  dessen  Videtur  darüber  ertheilet,  sondern  cum 
Actis  anhero  gesandt,  von  unsern  wirklichen  Geheimten  Räthen  oder 
dem,  welchen  sie  es  committiren,  abermals  mit  den  Akten  conferirt, 
judicirt  werden  sollen. 

1)  Welche  Schwierigkeiten  es  machte,  überhaupt  gelehrte  Mitglieder 
zum  Schöppenstuhl  zu  erhalten,  lassen  die  Verhandlungen  wegen  Bestel- 
lung neuer  Mitglieder  in  der  2.  Hälfte  des  17.  und  ersten  Hälfte  des 
18.  Jahrhunderts  erkennen.     (R.  21  n.  oc  StA.) 

2)  Stölzel,  Entstehung  der  Jurist.  Prüfungen  in  Preussen  (Justizministe- 
rialblatt 1882  S.  48);  ders.,  Entwicklung  der  Justizprüfungskommission  und 
des  Amtes  ihres  Vorsitzenden  (das.   1898,  S.  51). 

•)  Mylius  I,  Theil  II  Abth.  I,  S.  532,  533. 


§   19.     Wahl  und  Bestellung  der  Schoppen.  325 

Der  Schöppenstuhl  war  in  diese  Verordnung  nicht  ein- 
begriffen, aber  dennoch  wurden  ihre  Bestimmungen  für  ihn 
massgebend.  Der  König  wandte  sie  an,  als  im  Jahre  17 15 
der  Rath  und  Direktor  der  Städte  Brandenburg,  Dr.  jur. 
Beneckendorf,  bei  dem  als  früheren  Frankfurter  Professor 
sicher  eine  Prüfung  am  allerwenigsten  von  Nöthen  war,  prä- 
sentirt  wurde.  Der  König  erklärte  in  seinem  Reskript  vom 
27.  August  1715,  er  sei  entschlossen,  dass  hinführo  keiner  in 
den  Schöppenstuhl  genommen  werden  solle,  welcher  nicht, 
wie  es  bei  den  Justiz-Kollegiis  eingeführt  sei,  seine  relationem 
pro  statu  gemacht  und  selbige  nebst  des  Schöppenstuhls 
Gutachten  eingesendet,  und  approbirt  oder  hinlänglich  be- 
funden sei.  Als  nach  Beneckendorfs  Tode,  der  vor  seiner 
Bestätigung  starb,  Joachim  Knackrügge  vorgeschlagen  wurde, 
wiederholte  der  König  sein  Verlangen  und  stellte  in  Aus- 
sicht, einem  jeden  älteren  Mitgliede  gleichfalls  Akten  zur  Probe- 
relation zu  übersenden.  Erst  auf  die  Vorstellung  des  Schöp- 
penstuhls, dass  die  bisherigen  Mitglieder  schon  längst  für 
kapabel  befunden  worden  seien,  nahm  der  König  hiervon 
Abstand.  Ein  im  Jahre  1779  unternommener  Versuch,  den 
Prüfungszwang  zu  umgehen,  blieb  erfolglos.  Der  König  wies 
die  Bitte  des  Schöppenstuhls,  Hugo  und  Rudolph i  wegen 
ihrer  bekannten  Rechtserfahrenheit  von  der  Anfertigung  der 
Proberelationen  zu  dispensiren,  zurück. l) 

Die  Abfassung  der  Proberelationen  galt  somit  für  uner- 
lässlich.  Anfangs  wurden  die  Akten  aus  den  dem  Schöppen- 
stuhl zur  Rechtsbelehrung  übersandten  Sachen  genommen. 
Da  diese  aber  auf  längere  Zeit  nicht  entbehrt  werden  konnten, 
wurden  auf  Verlangen  des  Schöppenstuhls  Akten  vom  König 
und  später  vom  Kammergericht  übersandt.  Massgebend  für 
die  Beurtheilung  war,  ob  der  sogen.  Reichsstylus,  d.  h.  die 
beim  Reichskammergericht  befolgte  Methode  befolgt  war. 
Der  Vorgeschlagene  fertigte  aus  den  Acten  einen  Status  causae 
cum  voto.  Der  Schöppenstuhl  fügte  sein  Gutachten  bei  und 
sandte  Alles  an  den  König.  Dieser  beanftragte  zwei  oder 
drei  Räthe  des  Geheimen  Raths  oder  des  Kammergerichts 
mit    der    Beurtheilung    der    Relation.      Erachteten    sie    die 

])  R.  21   No.  9!»  StA.     Siehe  oben  S.    169,    170. 


32fi  4«  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

Arbeit  für  ausreichend,  so  erfolgte  die  Bestätigung.  Der 
Kandidat  versicherte,  die  Relation  ohne  fremde  Hülfe  ange- 
fertigt zu  haben,  und  diese  Versicherung  nahm  man  1737 
ausdrücklich  in  den  Eid  auf.1) 

Im  Jahre  1755  wurde  für  die  Kandidaten  der  Richter- 
stellen in  den  Justizkollegien  in  Preussen  eine  besondere 
staatliche  Prüfungskommission  eingesetzt,  deren  Aufgabe  es 
war,  die  Kandidaten  einer  schriftlichen  Prüfung,  die  in  der 
Anfertigung  einer  Relation  in  einer  Civil-  und  in  einer  Kri- 
minalsache bestand,  und  einer  mündlichen  Prüfung  zu  unter- 
ziehen. 2)  Diese  Neuerung  galt  ebenfalls  nicht  für  den 
Schöppenstuhl.  Nach  wie  vor  genügte  hier  eine  Relation; 
eine  mündliche  Prüfung  fand  nicht  statt.  Seit  1768 
wurde  an  Stelle  einzelner  Geheimen  Räthe  oder  Kammer- 
gerichtsräthe  das  Kammergericht  selbst  mit  der  Beurtheilung 
der  Relation  von  Fall  zu  Fall  beauftragt.  Seit  1796  endlich 
richtete  der  Schöppenstuhl  die  Präsentation  an  das  Kammer- 
gericht, worauf  dieses  aus  eigener  Machtvollkommenheit 
Akten  zur  Proberelation  übersandte  und  nach  deren  Begut- 
achtung an  den  König  berichtete.  Der  Justizminister  rügte 
dieses  Verfahren,  da  nach  Reskript  vom  29.  Februar  1784 
der  Schöppenstuhl  unmittelbar  dem  Justizministerium  unter- 
stehe. 3) 

Das  Prüfungswesen  nahm  dem  Schöppenstuhl  viel  von 
seiner  Selbständigkeit.  Immerhin  aber  wurde  seine  Eigen- 
art dadurch  gewahrt,  dass  er  nicht  den  allgemeinen,  für 
Justizkollegien  gegebenen  Bestimmungen  unterworfen  wurde. 

Eine  besondere  Altersgrenze  gab  es  weder  für  die  Be- 
rufung zum,  noch  für  den  Abgang  vom  Schöppenamte. 
Jeder  Dingpflichtige,  d.  h.  jeder  freie,  mündige  Gerichtsein- 
eingesessene, konnte  Schöppe  werden.  Nach  sächsischem 
Recht  kam  der  Jüngling  mit  21  Jahren  zu  seinen  Tagen. 
Dass  Jemand    in    diesem    Alter    Schöppe    wurde,    hinderten 

1)  Schöppenbuch  f.  9. 

-i)  Justizministerialblatt   1898,  S.  51. 

s)  R.  21  No.  9c,  Akten  des  Kammergerichts  betr.  die  Besetzung  des 
Schöppenstuhls  f.  108  ff.  R.  97  III  d  StA.,  Akten  des  Justizministeriums  heti. 
die  Aufhebung  des  Srhöppenstuhls  u.  s.  w.  f.  56 — 60. 


§   19.     Wahl  und  Bestellung  der  Schoppen.  327 

schon  die  tatsächlichen  Verhältnisse.  Aeltere  hatten  be- 
gründetere Ansprüche  auf  die  wenigen  Stellen,  die  von  Zeit 
zu  Zeit  durch  Tod  frei  wurden. 

Seitdem  der  Schöppenstuhl  aus  Gelehren  bestand,  bildete 
die  Dauer  des  Schulbesuchs  und  Universitätsstudiums  eine 
natürliche  Grenze.  Aus  den  Nachrichten  des  siebzehnten  und 
achtzehnten  Jahrhunderts  können  wir  soviel  entnehmen,  dass 
das  Alter  der  neu  eintretenden  Schoppen  in  der  Regel 
dreissig  Jahre  überstieg.  Wenige  waren  jünger.  Eine  obere 
Altersgrenze  für  die  Wählbarkeit  kannte  man  ebenfalls  nicht. l) 

II. 

Nicht  die  landesherrliche  Bestätigung,  noch  weniger  die 
Wahl  oder  das  Bestehen  der  Prüfung  machte  aber  Jemanden 
zum  Schoppen,  sondern  die  durch  diese  Akte  vorbereitete 
„Ansetzung  zur  Schöppenbank".  Die  Ansetzung  war  ebenso 
wie  die  Heischung  des  Schoppen  zur  Schöppenbank  bei  der 
einzelnen  Sitzung  Sache  des  Richters  als  Vertreters  des 
Landes-  oder  Gerichtsherrn;  doch  scheint  der  letztere  die 
Ansetzung  auch  in  eigener  Person  vorgenommen  zu  haben. 2) 

Aus  dem  „Ansetzen",  d.  h.  der  Besetzung  der  leeren 
Stelle  einer  Schöffenbank,  mag  sich  überhaupt  der  heute  all- 
tägliche Ausdruck  der  „Stellenbesetzungu  herleiten;  noch  zu 
Zeiten  der  Entstehung  des  Preussischen  Allgemeinen  Land- 
rechts redete  man  von  „angesetzten",  wie  man  gegenwärtig 
von  „angestellten"  Beamten  redet.  Solange  die  Wahl  der 
Schoppen  vom  Landesherrn  persönlich  vor  gehegtem  Gericht 
vorgenommen  wurde,  folgte  in  derselben  Gerichtssitzung  auf 
die  Wahl  die  Ansetzung  des  Schoppen.  Als  1384  der 
Landesherr  die  Wahl  schriftlich  vornahm,  musste  eine  be- 
sondere Gerichtssitzung  für  die  Ansetzung  bestimmt  werden. 
Dies  wurde  die  Regel,  nachdem  der  Kurfürst  seine  Thätig- 
keit  auf  die  schriftliche  Bestätigung  der  Wahl  beschränkt 
hatte.     Deshalb  erscheint  in  dem   ältesten  vorhandenen  Ge- 


l)  Matthias  Bardeleben  war  über  60,  Grell  war  60,  Martin  Heins  58, 
Kaspar  Junius  war  26,  Zierhold  25  und  Steinbeck  27  Jahre,  als  sie 
Schoppen  wurden. 

8)  Riedel  I,  9  S.  180  (1457:  Schoppen  der  Altstadt,  „die  wir  ansetzen**). 


328  4-  Buch.     Entwicklung:  der  Organisation. 

suche  des  Rathes  der  Altstadt  Brandenburg  um  die  Be- 
stätigung der  Wahl  des  Rektors  Meynicke  zum  Schoppen 
(1559)  die  Bitte,1)  der  Kurfürst  möge  in  der  Bestätigungs- 
urkunde dem  Rathe  befehlen,  durch  den  Richter  die  Schoppen 
alsofort  zur  Schöppenbank  heischen  und  den  neuen  Schoppen 
dazu  fordern  zu  lassen.  Man  hielt  also  damals  noch  daran 
fest,  dass  es  sich  um  einen  im  gehegten  Ding  stattfindenden 
gerichtlichen  Akt  handelte.  Da  Brandenburg  nicht  ein  aus 
den  Schoppen  beider  Städte  kombinirtes  Gericht,  sondern 
nur  ein  Sondergericht  der  Altstadt  und  ein  Sondergericht  der 
Neustadt  hatte,  so  erfolgte  die  Ansetzung,  ebenso  aber 
auch  die  Wahl  eines  neuen  Schoppen  in  jedem  Stadtgericht 
besonders,  d.  h.  bei  einer  Vakanz  im  altstädter  Schöppen- 
kolleg  wählten  nur  die  altstädter  Schoppen  aus  dem  alt- 
städter Magistrat  den  neuen  Schoppen  und  setzten  ihn  in 
ihrer  Gerichtssitzung  an.  Dasselbe  galt  für  die  Neustadt. 
Demgemäss  erfolgte  auch  im  Einzelstadtgericht  die  Beeidigung. 
Diese  war  wesentlich;  denn  nach  Magdeburger  Recht  galt 
das  unter  Mitwirkung  eines  unbeeidigten  Schoppen  gefällte 
Urtheil  für  nichtig. 

Da  ursprünglich  die  Schoppen  der  Altstadt  Brandenburg 
ebenso  wie  der  Neustadt  ihrer  Thätigkeit,  Rechtsbelehrung 
nach  aussen  zu  erth eilen,  neben  der  Thätigkeit  oblagen, 
als  Stadtgericht  Recht  über  ihre  Mitbürger  zu  sprechen, 
so  schloss  von  selbst  die  Wahl  zum  Schoppen  die  Befugniss 
zur  einen  wie  zur  anderen  Thätigkeit  in  sich.  Die  Befugniss 
zur  Rechtsbelehrung  und  die  auf  sie  bezügliche  Pflicht  des 
Schoppen  war  eine  so  selbstverständliche,  sie  ging  so  sehr 
in  der  Pflicht,  Recht  zu  sprechen,  auf,  dass  sie  im  Schöppen- 
eide  —  dessen  ursprünglicher  Fassung  nach  —  keinen  be- 
sonderen Ausdruck  fand.  Daraus  erklärt  sich  die  ganz  all- 
gemeine Fassung  des  im  fünfzehnten  Jahrhundert  üblichen 
schönen  uralten  Eides2): 

Zu  der  Bank  der  Vierschar,    dazu  ich   gekoren   bin,    will  ich 
fleissig  dazu  sein  bei  Nacht3)  und  bei  Tage  und  will  Recht  sprechen 

»)  R.  21   N.  9c  StA.    ^ 

-)  Vergl.  die  oben  S.  265  Note  2  <  itirte  Urkunde. 

3)  Bei  den  Germanen   ,,nox  ducit  diemu  (Tacitus). 


§   19-     Wahl  und  Bestellung  der  Schoppen.  ,329 

zum  Lobe  Gottes  und  um  gemeinen  Nutzens  willen  dem  Herrn  wie 
dem  Knechte,  dem  Reichen  wie  dem  Armen,  dem  Elenden  wie  dem 
Freunde,  dem  Gast  wie  dem  Wirthe,  und  will  das  nicht  unterlassen 
um  Leib,  um  Leid,  um  Magschaft,  um  Fehde,  um  keinerlei  Furcht 
willen;    dass    mir   Gott   helfe    und  seine  Heiligen. 

Im  Jahre  1582  unterschied  schon  ein  neustädter  Antrag 
zwischen  Konfirmation  „zum  Schöppenstuhl  und  dann  zum 
Schoppen  der  Neustadt",  die  Konfirmation  lautete  dagegen 
1620  wieder  nur  auf  Bestätigung  zum  „Schoppen  in  unserer 
alten  Stadt  Brandenburg".  Andererseits  erfolgte  sie  1622 
lediglich  zum  „Schoppen  am  churf.  Schöppenstuhl-,  1651 
und  1660  zum  „Assessor  des  Schöppenstuhls"  und  1657 
zum  „scabino  im  churf.  Schöppenstuhl". 

Drei  Jahrhunderte  etwa  —  bis  in  die  Zeit  des  dreissig- 
j ährigen  Krieges  hinein  —  verblieb  die  rechtsbelehrende 
Thätigkeit  der  Brandenburger  Schoppen  ein  Nebenberuf  im 
Verhältniss  zu  ihrer  urtheilenden  Thätigkeit  als  Mitglieder 
ihres  besonderen  Stadtgerichts;  dann  aber  gewann  die  rechts- 
belehrende Thätigkeit  die  Oberhand,  weil,  wie  die  Gerichts- 
protokollbücher1) ergeben,  die  Theilnahme  der  Schoppen  an 
der  stadtgerichtlichen  Rechtsprechung  mehr  und  mehr  auf- 
hörte. Das  kam  in  der  Abänderung  der  Formel  des 
Schöppeneides  zu  sichtbarem  Ausdruck.  Am  1.  Oktober  1645 
leistete  Bartholomäus  Schwarz  laut  seines  eigenen  Zeugnisses2) 
folgenden  Eid  ab: 

„Bei  den  Schöppensachen,  dazu  ich  gefordert  und  von  Churf. 
Durchlaucht  konfirmirt  worden  bin,  will  ich  recht  thun  und  nach 
meinem  besten  Wissen  und  Vermögen  meine  Meinung  eröffnen,  dem 
Reichen  als  dem  Armen  und  dem  Armen  als  dem  Reichen«  und 
solches  nicht  unterlassen  um  Gift,  Gaben,  Geschenk  oder  einigen 
Vortheils  willen,  so  mich  von  der  Wahrheit  ableiten  könnte,  insonder- 
heit will  ich  die  peinliche  HGO.  Kaisers  Carl  V.  mit  Fleiss  in  Acht 
*  nehmen,  und  die  Urtheil  geheim  halten  und  solche  gefahrlicher 
Weise  nicht  entdecken,  als  wo  ich  solches  zu  Recht  zu  thun  befugt 
bin;  solches  will  ich  so  stet  und  fest  halten,  als  mir  Gott  helfe 
und  sein  heiliges  Wort.** 


l)  Sie    sind    beim   Amtsgericht    Brandenburg    aufbewahrt,    wie    oben 
Seite  34  bemerkt  worden  ist. 

*)  Decis.  II.  R.  94  II.  No.  2  fol.  102  StA. 


330  4*  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

Der  Unterschied  beider  Eide  liegt  zu  Tage.    Nicht  mehr 
hat  der  Schöppe  in  gehegter  Bank  Recht  zu  sprechen,  son- 
dern er  hat  „bei  Schöppensachen  Recht  zu  thun   und   seine 
Meinung   zu    eröffnen".     Das  Rechtsprechen    ist   Sache    des 
Stadtrichters  ohne  die  Schoppen.    Nur  wenn  in  gerichtlichen 
Sachen  Schoppen  zu  besonderen  Akten,  wie  Vernehmungen» 
Geschäften    der    freiwilligen    Gerichtsbarkeit,  Augenscheins- 
einnahmen   etc.,  zugezogen    werden,    verpflichtet    sich    der 
Schöppe,  „Recht  zu  thun14  (=  richtig  zu  verfahren);  ausser- 
dem will  er  in  solchen  Schöppensachen,  die  an  den  Schöppen- 
stuhl    gelangen,    seine    Meinung    frei    äussern     (als    rechts- 
belehrende Instanz).   Wegen  der  wichtigen,  später  erst  hinzu- 
getretenen Spruchthätigkeit   in    peinlichen  Sachen   ist    dann 
ein  darauf  bezüglicher  Zwischensatz  aufgenommen.     Charak- 
teristisch ist  die  Einschaltung  der  Verpflichtung,  Iceine  Gaben 
oder     Geschenke     anzunehmen:      die     Bestechlichkeit     der 
Schoppen    muss    sich   hiernach    im  Laufe  der  Zeit  erheblich 
gesteigert  haben. 

Schwarz  leistete  den  Eid  dem  neustädter  Richter 
Nicolai  und  dem  damaligen  einzigen  neustädter  Schoppen 
Moritz,  jenem  als  dem  Vertreter  des  neustädter  Stadtgerichts, 
diesem  als  dem  Vertreter  des  neustädter  Schöppenstuhl- 
kollegs  zum  Zeichen,  dass  der  Eid  für  die  Thätigkeit  des 
neuen  Schoppen  einerseits  beim  Stadtgericht,  andererseits 
beim  Schöppenstuhl  galt. 

Bald  danach,  wahrscheinlich  mit  Abschluss  des  dreissig- 
jährigen  Krieges,  gab  es  keine  Doppelthätigkeit  der  Schoppen 
mehr  im  Rechtsprechen,  es  gab  nur  noch  die  eine  Thätigkeit 
beim  Schöppenstuhl.  Diese  Neuerung  wirkte  mit  bei  An- 
legung des  Schöppenbuchs  von  1692')  Dasselbe  belehrt 
über  eine  abgeänderte  Eidesformel.     Sie  lautet: 

Ich  schwöre  zu  Gott,  dem  Allmächtigen,  demnach  ich  zum 
Assessor  beim  Churf.  Brandenb.  Schöppenstuhl  erwehlet  und  von 
höchstgedachter  Seiner  Churf.  Durchl.  confirmiret,  dass  ich  solchem 
Ampt  treulich  und  redlich  vorsein,  nach  den  gemeinen  geschriebenen 
Rechten,  des  heiligen  Reichs  Constitutionen  und  Ordnungen,  nach 
hiesigen  Land-Recessen  und  Gewohnheiten  nach  meinem  besten  Ver- 

l)  Siehe  oben  Seite  31. 


§  19-    Wahl  und  Bestellung  der  Schoppen.  331 

stand  männiglichen,  hohen  und  niedrigen  Standes,  Urthel  und 
Recht  sprechen  und  weder  um  Lieb,  Neid,  Gabe,  Freundschaft 
noch  keiner  anderen  Sachen  willen  darwider  handeln,  keinen  Parteien 
Rath  und  Warnung  thun,  die  Heimlichkeit  des  Schöppenstuhls 
Niemanden  eröffnen  und  alles  Andere  thun  und  lassen  will,  das  einem 
frommen  und  gerechten  scabino  geziemet  und  gebühret.  Alles  ge- 
treulich und  ohne  Gefährde.     So  wahr  als  mir  Gott  helfe. 

Der  Schöppe  ist  danach  zum  Assessor  des  Schöppen- 
stuhls geworden;  nur  in  dem  Hinweis  am  Schlüsse,  dass  er 
wie  ein  gerechter  scabinus  verfahren  soll,  ist  der  Anklang 
an  das  alte  Schöppenthum  erhalten;  voran  das  gemeine  Recht, 
dann  Reichsgesetz,  in  dritter  Linie  Landesgesetz  und  schliess- 
lich erst  die  somit  weit  zurückgedrängten  partikularen  Gewohn- 
heiten geben  ihm  die  Normen  für  seine  Thätigkeit.  Diese 
besteht  in  „Urthel  und  Recht  sprechen;14  der  Schöppenstuhl 
belehrt  nicht  mehr,  sondern  er  urtheilt,  er  „richtet"  im 
modernen  Sinne  des  Wortes :  der  Schöppe  ist  Gerichtsassessor, 
er  ist  Richter  der  Neuzeit  geworden;  der  Schöppenstuhl  ist 
dasselbe  wie  ein  Instanzgericht.  Einst  war  die  rechtsbeleh- 
rende Oberhofsthätigkeit  ein  selbstverständliches  Anhängsel 
der  rechtsprechenden  Gerichtsthätigkeit,  jetzt  ist  die  letztere 
nicht  mehr  Sache  der  Schoppen,  und  die  Oberhofsthätigkeit 
ist  allein  für  die  Schoppen  übrig  geblieben. 

Der  Schöppeneid  —  oder,  wie  nunmehr  zu  sagen  ist, 
der  Assessoreneid  —  wird  nicht  mehr  dem  Stadtgericht  und 
dem  Schöppenstuhl,  sondern  nur  dem  letzteren  (und  zwar  in 
gemeinsamer  Versammlung  der  beiderstädtischen 
Schoppen)  geleistet;  deshalb  ist  der  Stadtrichter  laut  der 
Einträge  im  Schöppenbuche  seit  1660  nicht  mehr  zugegen, 
wohl  aber  sind  zugegen  die  alt-  und  die  neustädtischen 
Schoppen.  Damit  steht  in  Zusammenhang,  dass  seit  1650 
der  Landesherr  seine  Konfirmation  und  seinen  Befehl  zur  Be- 
eidigung an  den  gesammten  Schöppenstuhl  beider  Städte, 
nicht  mehr  an  die  Schoppen  der  Alt-  oder  Neustadt  richtet.1) 

Im  siebzehnten  Jahrhundert  nimmt  auch  die  Ansetzung 
einen  anderen  Namen  an;  sie  wird  „Aufführung"  genannt 
(81  1).    Darum  berichtet  der  am  1 1.  September  1645  „eligirte", 

')  Rep.  21    nr.  9«*.  StA. 


332  4-  Buch.     Entwicklung  der  Organisation. 

am  20.  September  laut  der  Geheimerathsakten l)  landesherr- 
lich „zum  Assessor  des  Schöppenstuhls  konfirmirte"  Bartholo- 
mäus Schwarz,  er  sei,  nachdem  ihm  der  Bürgermeister  Moritz 
„die  confirmatio  intimirt",   am  1.  Oktober  1645    „aufgeführt- 
und  beeidigt.     Die  Aufführung,    welche    hier  noch   vor  dem 
Stadtgerichte  erfolgte,   geschah  bald  darauf   durch  den  ver- 
einigten Schöppenstuhl.     Sie    vollzog   sich    auch  nicht  mehr 
an  den  Stätten  des  Stadtgerichts  in  gehegter  Bank,  sondern 
auf  dem  Schöppenhause,  der  Wirkungsstätte  des  Schöppen- 
stuhls. 2)     Nichts  veranschaulicht  deutlicher  seine  Konsolidation 
als  diese  Entwickelung.      Die   Ansetzung    oder    Aufführung 
war  nunmehr  zu  einer  Einführung    (Introduktion)  durch  das 
Schöppenkollegium  geworden.    Ihr  ging  im  achtzehnten  Jahr- 
hundert die  Eidesleistung,  die  eidliche  Verpflichtung'  voran. 
Zwischen    beide    Akte    aber   schob    sich,  wie  dies   seit  dem 
Jahre  1769   bezeugt  wird,    die   „gewöhnliche"   Gratulation.  :) 
Sie  bestand  in  dem  vom  Senior  ausgedrückten  Wunsche,  der 
neue  Assessor  möge  sein  Amt  viele  Jahre  bei  gutem  Wohlsein 
zum  Besten  des  Publici  und  zur  Konservation  der  Reputation 
des    Collegii    verwalten,     Dass    diese  Sitte  aus    älterer  Zeit 
stammt,    ergiebt    ein  Bericht    des  Raths    der  Neustadt    vom 
Jahre  161 7,    in    dem  es    heisst,    der  Schöppe  Floring    habe, 
nachdem  vor  zwei  Jahren  neue  Schoppen  gewählt  seien,  ihnen 
die  Election  eröffnet  und  gratulirt,    aber    immer    noch   nicht 
die  nöthigen  Schritte  zur  Konfirmation    und  Aufführung  der 
Electen  gethan  (811).    Die  Gratulation  scheint  hiernach  früh 
ein    Theil    der   Bestellungsfeierlichkeiten   gewesen,    aber  all- 
mählich   von    dem  Zeitpunkt   der  Wahl   auf  den  Zeitpunkt 
nach  der  Vereidigung  verlegt  worden  zu  sein.' 

Ueber  weitere  Förmlichkeiten,  welche  die  Bedeutung, 
die  man  in  der  Stadt  dem  Schöppenstuhl  beilegte,  deutlich 
erkennen  lassen,  berichtet  der  Senior  Giesecke  im  jähre 
1749.     Nach  ihm  wurde  in  alten  Zeiten,  wenn  ein  membrum 


')  Meinardus,  Protokolle  des  Geh.R.  3,  229. 

2)  Das  wird  zuerst  am  7.  März  1696  in  den  Protokollen  bezeugt 
(Schöppenbuch  a.  a.  O.  f.  7  v).  Die  ersten  Protokolle  enthalten  über  die  Auf- 
führung oder  Einfuhrung;  keine  Notizen. 

*)  Schöppenbuch  a.  a.  O.  f.  12,  r8  ff. 


§  19.    Wahl  und  Bestellung  der  Schoppen.  333 

abging,  auf  den  Kanzeln  in  beiden  Städten  öffentlich  ge- 
beten, dass  Gott  die  erledigte  Stelle  mit  einem  frommen  und 
gelehrten  subjecto  hinwiederum  besetzen  möge.  War  die 
Wahl  vollzogen,  so  wurde  der  Erwählte  am  nächsten  Sonntag 
unter  Glockengeläute  in  beiden  Städten  von  dem  Kollegium 
zur  Kirche  geführt,  „auf  die  Art,  als  wenn  man  einen  Bräu- 
tigam dahin  begleitet**  (98671). l)  Zu  Gieseckes  Zeit  war 
diese  Sitte  abgekommen.  Der  Kirchgang  erfolgte  am  Sonn- 
tag nach  der  Wahl,  also  zu  einer  Zeit,  in  welcher  die  Be- 
stätigungsorder sicher  in  den  meisten  Fällen  noch  nicht 
eingetroffen  war,  und  hatte  demnach  mit  der  Aufführung 
nichts  zu  thun. 

Aber  nicht  urnsonst  eröffneten  sich  dem  neuen  Mitgliede 
die  Pforten  des  Schöppenstuhls.  Nach  einem  kurfürstlichen 
Reglement  zahlten,  soweit  bekannt,  seit  1691  die  Erwählten 
10  Thaler  zur  Marine  an  die  Generalchargekasse2)  —  es  war 
die  Zeit  der  für  Oberguinea  vom  Grossen  Kurfürsten  ge- 
gründeten Flotte.  Mit  ihrem  Verschwinden  verwandelte  sich 
das  Marinegeld  in  Rekrutengeld.3) 

Der  Schöppenstuhl  selbst  endlich  führte  für  sich  noch 
ein  besonderes  Eintrittsgeld  ein.  Im  Jahre  1747  musste  der 
Syndikus  Grust  bei  seiner  Einführung  16  Thaler  pro  recep- 
tione  und  wegen  des  erhofften  Salarii  geben,  und  dies  Geld 
wurde  unter  die  Uebrigen  vertheilt.  Man  beschloss,  es  immer 
so  zu  halten.4) 

])  Solche  Fürbitte  kannte  man  auch  bei  der  Rathsversatzung  in  der 
Neustadt  (Stadtrechnung,  Ausgabe  bei  der  Rathsversatzung,  Cod.  N.  20  RA.). 

■)  R.  21  n.  9c,  Brand.  Schöppenstuhl,  RA.  Dass  1697  10  Thaler  an 
die  Generalchargekasse  und  ebensoviel  an  die  Marinekasse  gezahlt  worden 
seien,  wie  Heffter  in  einem  Manuskript  über  das  Gerichtswesen  Branden- 
burgs (RA.)  anfuhrt,  ist  nicht  richtig. 

3)  1714  wird  es  noch  als  Marinegeld  bezeichnet  (R.  21  11.9c,  RA.), 
1723  erscheint   es  als  Rekrutengeld   (R.  21  n.  9,   Brandenburg  Stadt,  StA.). 

*)  Schöppenbuch  f.  10 v.  Vielleicht  war  diese  Summe  die  Ablösung 
für  eine  Bewirthung  der  alten  Mitglieder  durch  das  neu  eintretende.  Ein 
Bericht  von  1714  (R.  21  n.  9h,  StA.)  erwähnt  neben  dem  Marinegeld  „andere 
Unkosten"  bei  der  Aufnahme.  Ueber  gemeinsame  Mahlzeiten  der  neu- 
städtischen Schoppen  berichtet  das  Schöppenbuch  von  c.  1430  (ÜB.  1  8  ff.) 


5-  Buch. 

Konsulenten. 

Erster  Abschnitt. 
Konsulenten  aus  Brandenburg -Preussen. 

§20. 

Vorbemerkung. 

Obwohl  die  landesherrlichen  Erlasse,   die  in  den  Jahren 
1315,     1324    und    1527     das    Ansehen    des    Brandenburger 
Schöppenstuhls    zu    heben    bestrebt    waren,1)    naturgemäss 
stets    nur    für    das  zeitweilige  Gebiet  der  Landesherrschaft, 
d.   h.    für    den  jedesmaligen    Umfang   der    Mark    Branden- 
burg   ergingen,    enthielten    sie    doch   keineswegs    einen    Be- 
fehl,   dass    der    Schöppenstuhl    seine    Thätigkeit    auf    das 
Gebiet    der    Mark    zu    beschränken    habe.      Im    Gegentheil 
konnte    es  auch  dem  Interesse    des  Landesherrn  selbst   nur 
entsprechen,    wenn  der  Schöppenstuhl   der  einstigen  Haupt- 
stadt der  Mark,  der   allmählich  zum  „churfürstlich  Branden- 
burgischen"   und    schliesslich    zum    „königlich   preussischen* 
Schöppenstuhl  umgestaltet  wurde,  auch  ausserhalb  der  Mark 
nicht    bloss    im   übrigen    Kurfürstenthum    Brandenburg   oder 
in    den    andern    deutschen    Reichslanden    des    Königreichs 
Preussen,     sondern    auch    über    die    Grenzen    Brandenburg- 
Preussens    hinaus    seine  Wirksamkeit   entfaltete.      In   erheb- 
lichem Maasse    gelang   dies    dem  Brandenburger  Schöppen- 
stuhl nicht,  immerhin  streifte  er  zunehmend  seinen  Charakter 
als    Hüter    des   speziell    märkischen    Sonderrechtes    ab    und 
nahm    statt  dessen  den   Charakter    eines    in    der  Mark    ge- 
legenen   gemeinrechtlichen    Schöppenstuhls    an.       Mit    dem 
Ende  des  dreissigj ährigen  Krieges,  von  dem  ab  die  bedeutend- 

l)  Siehe  oben  Seite  258  ff.,  287  ff. 


§  20.    Vorbemerkung.  335 

sten  Landeserwerbungen  der  Kur  Brandenburg  erst  datiren, 
war  die  Blüthe  der  deutschen  Oberhöfe  vorüber.  Immerhin 
waren  es  zwei  Momente,  die  dafür  bestimmend  waren,  dass 
vielfach  Gesuche  um  Rechtsbelehrung  theils  von  später  er- 
worbenen Landestheilen  Brandenburg-Preussens,  theils  von 
ausserpreussischen  Landen  in  Brandenburg  eingingen.  Das 
eine  dieser  Momente  ist  eine  alte,  durch  die  Geschichte  ge- 
knüpfte Beziehung  zwischen  Brandenburg  und  dem  ausser- 
preussischen Orte,  aus  welchem  der  Schöppenstuhl  um  Be- 
lehrung gebeten  wird.  Das  andere  Moment  ist  darin  zu 
finden,  dass  dem  Territorium,  aus  welchem  man  Belehrung 
in  Brandenburg  erbittet,  eine  eigene  Instanz  fehlt,  die  als 
Oberhof  oder  als  Ersatz  dafür,  d.  h.  als  Gericht  höherer 
Instanz,  hätte  thätig  sein  können.  Die  geschichtliche  Be- 
ziehung des  Brandenburger  Schöppenstuhls  zu  Orten,  die 
jenseits  der  brandenburgisch- preussischen  Grenze  lagen,  hatte 
ihren  Grund  entweder  in  der  Bewidmung  mit  Brandenburger 
Recht,  wie  sie  für  mehrere  Städte  Mecklenburgs  und  Pommerns, 
ja  auch  für  einzelne  Städte  Polens  nachweisbar  ist,  oder  in 
der  einstigen  Landeszusammengehörigkeit,  wie  sie  zwischen 
Brandenburg  und  Anhalt  bestand,  oder  in  dem  Hansabunde, 
dem  im  fünfzehnten  Jahrhundert  auch  Brandenburg  ange- 
hörte. Deshalb  knüpften  Städte  wie  Rügenwalde,  Wismar, 
Rostock,  Hamburg  in  späterer  Zeit  lediglich  an  alte  Be- 
ziehungen an,  wenn  sie  sich  nach  Brandenburg  um  Belehrung 
wandten,  mochte  auch  diese  Stadt  —  gleich  den  anderen 
märkischen  Städten  Stendal,  Salzwedel,  Berlin  und  Frank- 
furt —  1525  dem  Hansabund  abgeschrieben  haben.2)  Der 
Mangel  einer  eigenen  höheren,  mit  genügenden  rechtsge- 
lehrten Kräften  besetzten  Instanz  bewirkte  aber,  dass  Fragen 
um  Rechtsbelehrung  aus  dem  Herzogthum  Cleve,  der  Graf- 
schaft Mark,  aus  dem  Herzogthum  Magdeburg,  dem  Fürsten- 
tum Halberstadt,  dem  Stift  Quedlinburg,  den  Grafschaften 
Hohenstein,  Lingen  und  Tecklenburg  nach  Brandenburg  ge- 
langten, vereinzelt  auch  solche  aus  Schlesien.  Eines  besondern 
Ansehens  scheint  sich  dabei  Brandenburg  in  Strafsachen  erfreut 

')  Lindner,  Hansa  im   15.  Jahrh.   1899  S.  105. 
*)  Gfitze,  Gesch.  der  Stadt  Stendal   1873  S.  418. 


336       5-  Buch.    Erster  Abschnitt.    Konsulenten  aus  Brandenburg-Preussen. 

zu  haben,  was  damit  zusammenhängen  mag,  dass  andere  Ober- 
höfe überhaupt  erst  später  als  Brandenburg  sich  auf  eine 
Ertheilung  von  Rechtsbelehrung  in  Strafsachen  einliessen. 

Die  Anfragen,  die  nach  Brandenburg  gelangten,  gingen 
entweder  von  Privaten,  sei  es  vor  Beginn  eines  Prozesses, 
um  ihn  zu  vermeiden,  sei  es  innerhalb  eines  solchen,  oder 
sie  gingen  von  einem  bei  der  Rechtspflege  betheiligten 
Organe  aus. 

Vorzugsweis  häufig  sind  private  Anfragen  in  Erbschafts- 
angelegenheiten, die  ja  nach  der  Joachimica  die  Hauptsache 
für  die  Brandenburger  Rechtsbelehrungsinstanz  sein  sollten. 
Auch  gelehrte  Juristen  wenden  sich  in  solchen  Angelegen- 
heiten nach  Brandenburg,  so  z.  B.  1378  (20  127)  der  Berlin- 
Kölner  Hausvogt  Magister  Neilingk  und  noch  1748  (98  377) 
der  Berliner  Hoffiskal  Köhler. 

Es  kommt  dabei  vor,  dass  die  Brandenburger  sich  selbst 
darüber  aussprechen,  welcher  Gebrauch  von  einer  behufs 
Abwendung  eines  Prozesses  eingeholten  Belehrung  gemacht 
werden  soll.  So  ordnen  sie  1634  (75  456)  bei  einem  Zweifel  in 
der  Familie  Scheplitz l)  zu  Wittstock,  ob  der  Sohn  die  Kinder 
des  vorverstorbenen  Bruders  ausschliesse,  unter  Berufung 
auf  die  Joachimica  an,  wenn  der  Sohn  allein  die  Erbschaft 
beanspruche,  möge  ihm  „dies  Informaturtheilu  vorgezeigt 
werden;  im  Falle  der  Sohn  sich  die  Verwaltung  des  Nach- 
lasses anmasse,  sei  die  andere  Partei  wohl  befugt,  ndas 
officium  judicis  zu  imploriren". 

Die  anfragenden  Privatpersonen  gehören  den  nämlichen 
Landestheilen  an,  aus  welchen  Anfragen  der  bei  der  Recht- 
sprechung betheiligten  Organe  erwähnt  sind;  jeder  Stand» 
von  dem  der  Dorfbewohner  bis  hinauf  zum  hohen  Adel,  ist 
vertreten.  Einer  Zusammenstellung  der  einzelnen  Anfragen- 
den bedarf  es  nicht;  im  Verlaufe  der  späteren  Darstellung 
werden  sich  reichlich  Beispiele  ergeben.  Da  es  auch  ge- 
schieht, dass  inländische  Parteien,  die  bei  einem  auswärtigen 
Gerichte  Prozess  fuhren  oder  im  Bezirke  eines  solchen  Ge- 
richtes aussergerichtlich  Rechtsinteressen  zu  verfolgen  haben, 
in  Brandenburg  sich  des  Rechtes  belehren  lassen,  kommt  der 

')  Vergl.  unten  S.  346  Note  2. 


§  20.    Vorbemerkung.  337 

Schöppenstuhl  zuweilen  in  die  Lage,  nach  fremdem  Rechte 
sprechen  zu  müssen,  so  z.  B.  wenn  ein  Märker  bei  einer  in 
sachsenrechtlichem  oder  in  lübischrechtlichem  Gebiete  eröffne- 
ten Erbschaft  betheiligt  ist,  oder  wenn  er  vor  dem  kurfürst- 
lich Mainzischen  Obergerichte  in  Erfurt  prozessirt,  oder  wenn 
er  Fragen  in  Beziehung  auf  jüdisches,  beim  jüdischen  Ober- 
gerichte in  Posen  zur  Sprache  gebrachtes  Recht  stellt.  Im 
Laufe  der  Zeit  mindert  sich  die  Zahl  privater  Anfragen  er- 
heblich. Während  der  Jahre  1550  bis  1556,  die  der  5.  Band 
der  Schöppenstuhlsakten  umfasst,  ist  die  Zahl  der  Anfragen 
Privater  ebenso  hoch  wie  der  Anfragen,  die  von  Stadt- 
gerichten oder  die  von  Gutsherren  oder  die  von  Beamten 
gestellt  werden;  während  der  Jahre  1565  und  1566,  soweit 
sie  den  Inhalt  von  Band  10  der  Schöppenstuhlsakten  bilden, 
werden  sogar  die  Anfragen  der  Stadtgerichte  und  die  der 
Beamten  bedeutend,  die  der  Gutsherren  immerhin  erheblich 
an  Zahl  von  den  Anfragen  Privater  übertroffen.  Später 
dreht  sich  dies  Verhältniss  um;  die  Anfragen  Privater  werden 
allmählich  zur  seltenen  Ausnahme.  Von  1720  bis  1761  sind 
nur  22  Anfragen  von  Privaten  bei  den  Akten.  Die  drei  letzten 
stammen  aus  den  Jahren  1752,  1754  und  1761  (99278.557, 
101  227).  Diese  erhebliche  Abnahme  fallt  zeitlich  damit  zu- 
sammen, dass  den  Sprüchen  eine  nähere  rechtliche  Begründung 
beigefügt  wird.  Die  im  achtzehnten  Jahrhundert  auf  Privat- 
anfragen ergangenen  Sprüche,  meist  Responsa  oder  Gut- 
achten genannt,  versah  der  Schöppenstuhl  ebenso  wie  andere 
Sprüche  mit  weitläufigen  rationes,  so  dass  z.  B.  ein  von 
Schütte  verfasstes  Responsum  des  Jahres  1752  (99278—323) 
45  Blätter  füllte.  Dadurch  erhöhte  sich  die  Gebühr  ganz  be- 
deutend, und  es  ist  hierin  wohl  einer  der  Gründe  zu  erblicken, 
aus  welchen  der  allmähliche  Fortfall  von  Anfragen  Privater 
sich  erklärt. 

Die  Anfragen  der  bei  der  Rechtspflege  betheiligten 
Organe  scheiden  sich  in  solche,  die  von  den  Gerichten,  und 
zwar  von  den  Gerichten  niederer  oder  höherer  Gattung,  von 
den  Gerichtsherren  selbst  oder  von  ihren  Beamten  gestellt 
werden.  Diese  Scheidung  steht  in  nächstem  Zusammenhang 
mit    der    doppelten  Art   der   Schlichtung  von  Streitigkeiten, 

Stölzel,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  22 


338      5»  Buch.   Erster  Abschnitt.    Konsulenten  aus  Brand enburg-Preusseo.. 

die    —    ein  Analogon    der    römischen  judicia  ordinaria  und 
extraordinaria  oder  der  Volks-  und  der  Magistratjurisdiktion 
—  unsere  gesammte  deutsche  Rechtspflege  durchzieht.     Man 
kann  seine  Streitigkeiten  austragen  mit  „Urtheil  und  Recht", 
d.  h.  vor  Gericht,  nämlich  vor  Richter  und  Schoppen  in  ge- 
hegter Bank,  man  kann  sie  aber  auch  austragen  durch  Ver- 
gleich,   in  der  Güte,    durch  „Abschied",    den    die    von    den 
Parteien  zur  Vermittlung  angerufene  Obrigkeit  giebt.     Beruht 
ja    doch    der    altgermanische  Prozess    überhaupt    auf   einem 
aussergerichtlichen  Vertrage,  mittels  dessen  die  Parteien  sich 
verpflichten,  vor  Gericht  zu  erscheinen  und  hier  ihre  Sache 
zur  Entscheidung   zu   bringen.1)     Noch   eine   dritte  Art  des 
Austrags    gab    es   in    älterer  Zeit,    die   mit  der  Fehde,    mit 
Selbstgewalt   oder  Selbstrecht   oder   Selbstgericht,    mit    der 
Faust,    dem  Faustrecht  oder  Faustgericht.     Dieser    letzteren 
Art  von  Schlichtung  der  Rechtsstreite  verdanken  nicht  bloss 
die  bis  in  die  zweite  Hälfte  des  sechzehnten  Jahrhunderts  in 
unseren  Akten  ersichtlichen  „Fehdebriefe"2)  ihre  Entstehung, 
sondern   auch  die  Eide,  in  denen  Urfehde  geschworen  wird, 
mit  der  üblichen  Klausel,  „an  Gleich  und  Recht"  (d.  h.  Ver- 
gleich und  Rechtsspruch)  „sich  genügen  zu  lassen44,  oder  die 
Eide,  in  denen  die  Unterthanen  schwören,  sich  vor  den  Erb- 
herren  „in  Friede  oder  Rechte  vertragen  zu  lassen",3)    also 
auf  die  Selbstgewalt  verzichten  zu  wollen.4) 

Noch  das  kurfürstliche  Edikt  von  1606,5)  das  die  im 
Lande  sich  wieder  häufenden  Friedensbrüche  und  Brand- 
stiftungen mit  der  Strafe  des  Feuers  und  Schwertes  bedroht, 
verlangt,  „dass  sich  männiglich  an  Gleich  und  Recht, 
welches    einem   Jeden   ohne  Ansehen    der   Person    von    uns 

l)  Brunner,  Deutsche  RGsch.   1,  340. 

*)  Siehe  Sachregister  der  Urkundenbände  in  ÜB.  4  s.  h.  v. 

s)  Vergl.  ÜB.  151  (Eid,  den  die  Burger  zu  Freienstein  1503  denen 
v.  Rohr  schwören). 

4)  Darauf  beruht  es  auch,  dass  Caspar  von  Eickstedt  zu  Danitzow 
1590  seinen  Schreiber  im  Diensteide  schwören  lässt,  allen  denen,  denen 
sein  Junker  rabsageu,  oder  die  ihm  absagen  lassen,  auch  Feind  zu  sein, 
eine  Bestimmung,  wegen  deren  der  Brandenburger  Schöppenstuhl  den 
Diensteid  für  unverbindlich  erklärt  (ÜB.  a  160  ff). 

6)  Pape,  Joachim  Scheplitz  consuetudines  .  .  .  brand.  S.  482. 


1 


§  20.    Vorbemerkung.  339 

und  den  Gerichten  mitgetheilt  werden  soll,  genügen  lassen 
soll".  Hier  verschwimmt  aber  bereits  die  ursprüngliche  Be- 
deutung von  „Gleich  und  Recht";  es  ist  nicht  mehr  die  Rede 
von  einem  durch  Vergleich  oder  durch  Gericht  zu  erledi- 
genden Streite,  sondern  von  einem  Streite,  den  das  Gericht 
für  Jedermann  „gleich"  (nämlich  ohne  Ansehen  der  Person) 
zu  erledigen  angeheissen  wird:  der  „Vergleich"  ist  zur 
„Gleichheit"  vor  dem  unparteiischen  Gerichte  geworden. 

Eine  Vergleichsinstanz  war  neben  der  Gerichtsinstanz  in 
den  Städten  wie  auf  dem  platten  Lande  Jedermann  zugäng- 
lich. In  der  Stadt  findet  sie  vor  dem  Rathe,  in  den  Dörfern 
vor  den  landesherrlichen  Beamten  oder  vor  dem  Gutsherrn 
und  dessen  Beamten,  am  Hofe  des  Fürsten  findet  sie  vor 
diesem  oder  vor  seinen  beauftragten  Räthen  statt.  Mit  dem 
Absterben  der  Schöppengerichte  wird  sogar  die  Vergleichs- 
instanz, namentlich  auf  dem  Lande,  zur  Gerichtsinstanz,  der 
„Beamte"  wird  „Richter".  In  allen  Stadien  des  Vergleichs- 
verfahrens, wie  in  allen  Stadien  des  Gerichtsverfahrens  kann 
aber  Rechtsbelehrung  eingeholt  werden.  So  erklärt  es  sich, 
dass  bald  Richter  und  Schoppen  der  Stadt-  oder  der  Dorf- 
gerichte, bald  Bürgermeister  und  Rath  der  Städte,  bald  der 
Landesherr  oder  der  Gutsherr  selbst,  bald  ein  landesherr- 
liches Kammer-  oder  Hofgericht  oder  eine  Regierung,  bald 
ein  Beamter  der  Gerichtsobrigkeit  (ein  Hauptmann,  ein  Amt- 
mann, ein  Amtsschreiber,  ein  Justitiar)  als  bei  der  Rechts- 
pflege mitwirkende  Organe  erscheinen.  Erwägt  man  dabei 
die  ausserordentliche  Zersplitterung  der  Gerichte  auf  dem 
Lande,  die  zur  Folge  hatte,  dass  jeder  Gutsherr  zugleich 
als  Gerichtsherr  seines  Gutssprengeis  auftrat,  so  ergiebt 
sich,  dass  die  Zahl  der  Stellen,  von  welchen  aus  Organe 
der  Rechtspflege  sich  nach  Brandenburg  wenden  konnten, 
eine  sehr  grosse  war. 

Eine  Namhaftmachung  aller  dieser  Stellen  würde  ebenso 
zwecklos  sein,  wie  die  Namhaftmachung  aller  Privaten,  die 
in  Brandenburg  angefragt  haben;  aber  eine  Reihe  nach 
Gruppen  geordneter  Beispiele  wird  sich  doch  nutzbringend 
für  die  Erkenntniss  dessen  erweisen,  womit  der  Branden- 
burger Schöppenstuhl  sich  zu  beschäftigen  hatte. 

22* 


340      5*  Buch.    Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg-Preussen. 

Als  die  geographischen  Grenzen,  bis  zu  welchen  hin  sich 
die  Wirksamkeit  des  Brandenburger  Schöppenstuhls  er- 
streckte, werden  sich  ergeben  im  Norden  Rostock  und  Stral- 
sund, im  Nordosten  Rügenwalde,  im  Nordwesten  Lauenburg 
und  Hamburg,  im  Südosten  Sagan,  im  Westen  Kleve.  Nach 
Süden  ist  der  Schöppenstuhl  am  wenigsten  weit  vorgedrungen. 

Seltsamerweise  hat  das  deutsche  Prozessrecht  keinen 
technischen  Namen  für  denjenigen  geschaffen,  der  sich  um 
Belehrung  an  einen  Oberhof  wendet.  Es  wird  von  ihm  zwar 
gesagt,  dass  er  „Recht  hole",  oder  dass  er  eine  „Rechts- 
frage" bringe,  oder  dass  er  bitte,  ihn  „des  Rechts  zu  be- 
lernen  (belehren)",  aber  einen  Rechtsholer  oder  Rechts- 
frager oder  einen  Belehrung  Suchenden  kennt  man  nicht. 
Erst  unter  dem  Einfluss  der  fremden  Rechte  bildet  sich  beim 
Brandenburger  Schöppenstuhl  in  Anknüpfung  an  die  Krthei- 
lung  von  Konsilien1)  der  Ausdruck  „Konsulent"  für  den- 
jenigen, der  eine  Belehrung  erbittet,  mag  die  Bitte  von  einem 
Gerichte  oder  von  einer  sonstigen  Behörde  oder  von  einer 
Gerichtsobrigkeit  oder  von  einer  Partei  ausgehen.  Die  Wahl 
dieses  Ausdrucks  hat  das  Auffällige,  dass  in  anderen  Lan- 
destheilen  ein  Konsulent  nicht  denjenigen  bedeutet,  der  ein 
consilium  erbittet,  sondern  den,  der  es  ertheilt.  Deshalb 
wird  vielfach  der  Syndikus  auch  Konsulent  —  und,  wenn  er 
Rathssyndikus  ist,  auch  Rathskonsulent  —  genannt.2) 

Entsprechend  dem  Brandenburger  Sprachgebrauch  sollen 
hier  mit  dem  Ausdruck  Konsulenten  alle  Diejenigen!  umfasst 
werden,  welche  in  Brandenburg  Belehrung  erbeten  haben.1} 

§21. 

Stadtgerichte. 
Hier    ist   zunächst   Einiges    über  die  Anfragen  aus  den 
Brandenburgisch -Preussischen  Stadtgerichten  zu  sagen.     Für 
sie  war  ja  der  Brandenburger  Schöppenstuhl  in  erster  Linie 
eingerichtet  worden. 

')  Siehe  oben  Seite  253. 

2)  Stölzel,  Gelehrtes  Richterthum  1,  237,  276,  289  ff.,  297  fl.,  302. 

3)  Wo  im  Folgenden  bei  Angabe  der  Konsulenten  der  Hinweis  auf 
Band  und  Blatt  der  Schöppenstuhlsakten  fehlt,  ist  Band-  und  Blattzahl  leicht 
aus  dem  Heffterschen  aiphabet.  Verzeichniss  der  Konsulenten  zu  entnehmen. 


§  2i.     Stadtgerichte.  341 

Dass  zu  den  anfragenden  märkischen  Städten  die  Stadt 
Brandenburg,  und  zwar  die  Altstadt  wie  die  Neustadt,  später 
die  vereinigte  Stadt  gehört,  versteht  sich  von  selbst;  nament- 
lich ergehen  in  Strafsachen  Anfragen,  und  zwar  werden  diese 
Anfragen  von  „Bürgermeister  und  Rathu  gestellt,  da  der 
Rath,  nicht  Richter  und  Schoppen,  die  Strafgerichtsbarkeit 
verwalten. l)  Hierbei  überwiegen  in  den  vorhandenen  Schöp- 
penstuhlsakten  die  Anfragen  aus  der  Neustadt,2)  was  einen 
Beleg  mehr  dafür  abgiebt,  dass  ihrem  Hauptbestande  nach 
diese  Akten  solche  der  Altstadt  sind.  „Bürgermeister  und 
Rathmannen"  stellen  dann  —  nicht  bloss  in  Brandenburg, 
sondern  auch  in  anderen  Städten  —  die  Anfragen,  wenn  (Zivil- 
sachen vor  dem  Rathe  als  Vergleichsinstanz  verhandelt 
worden  sind.  So  schreiben  Bürgermeister  und  Rathmannen 
der  Neustadt  Brandenburg  (durch  des  Richters  Iden  Hand) 
1623,  sie  nebst  dem  Richter  hätten  die  Güte  unter  den  streiti- 
gen Parteien  vergeblich  tentirt,  bis  sie  sich  auf  den  von 
ihnen  gethanen  Vorschlag  endlich  dahin  erklärt,  dass  diese 
Sache  an  den  löblichen  Schöppenstuhl  hierselbst  zu  ver- 
schicken und  darin  erkennen  zu  lassen  sei  (71  16).  Ueber 
einen  bei  den  Untergerichten  der  Neustadt  Brandenburg 
verhandelten  Pferdekauf  fragt  1627  Iden  als  verordneter 
Stadtrichter  an,  ohne  dass  dabei  eine  Mitwirkung  von  Schop- 
pen erhellt  (72  429) ;  es  war  die  Zeit,  in  der  der  Richter  be- 
gann, die  Schoppen  zur  Seite  zu  schieben,  und  gerade  Iden 
zog  sich  ja  deshalb  (1623)  den  Vorwurf  seines  Schwagers 
und  Mitschöppen  Floring  zu,  dass  er  in  „unerhörter  Weise" 
verfahre. 3) 

In  besonders  reger  Beziehung  stand  Berlin  zu  dem 
Brandenburger  Schöppenstuhl.  Von  1532  ab  brachten  Bür- 
germeister und  Rath  oder  Richter  und  Schoppen  von  Berlin- 

*)  Beispiele  sind:  1560  (8  88.  254),  1601  (48  185),  1630  (73  367),  1716 
{82331),  1728  „Syndici,  Judex  und  Assessores  zu  Br."  (8579),  1731  „Rich- 
ter und  Assessores  zu  Br.u  (86  357),    1743  „Directores,    BM.   und   Rath  zu 

Br.a  (94  773)- 

2)  Nach  dem  Heffterschen  Repertorium  c.  60  altstädter  Sachen  gegen- 
über c.  300  neustädter  Sachen;  daneben  einige  60  Strafsachen,  die  das 
Domkapitel  einsandte. 

3)  Siehe  oben  Seite  164. 


342      5-  Buch.   Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg-Preusscn. 

Cöln  mehrere  hundert  Sachen  nach  Brandenburg". l)     Das  Ge- 
ständniss,    hinter   den  Brandenburger  Schoppen    an    Rechts- 
kunde zurückzustehen,    sprechen  die  Cölner  Schoppen  noch 
1557  (6  110)  ohne  Zögern  aus,    wenn    sie  die  Aktenversen- 
dung in  einer  Civilsache  damit  begründen,   „dass   es  wichtig 
und  schwer  sei,  auf  den  Handel  zu  erkennen*4.     Hauptsäch 
lieh    sind    die    eingesandten    Sachen    Strafsachen.      In   einer 
Konkurssache  bitten  1691  (79  692)  „ Richter  und  Aktuar  der 
Dorotheenstadt"  (in  Berlin)  um  ein  Priori tätsurtheil.     „Direk- 
tor, Richter  und  Assessores   des  Stadtgerichts  hiesiger  Kgl 
Preussischer  Residenzien"  fragen  1712  (82  156)  von  Berlin  in 
einer  Diebstahlssache  an.     Als  Gerichtsstand  für  Hofbeamte 
und   demnach    als  Nachfolger  des  alten  Hofgerichts  erbitten 
1723  (8i549)i    l73l  (86251.  328),   1736  (88558)    „zum  Kgl. 
Preuss.  Kriegs-,   Hof-  und  Kriminalgericht  zu  Berlin  verord- 
nete Direktor,   Vizedirektor   und   Räthett2)  in  verschiedenen 
Civilprozessen  Brandenburger   Sprüche.      Der   Scharfrichter 
zu  Oranienburg  (bei  Berlin),  der  unter  dem  „Hof Jägermeister- 
amte  auf  dem  Jägerhof  zu  Berlin"  steht,    appellirt  im  Jahre 
1743  (94  111),  wegen  Vernichtung  dreier  angeblich   rotzigen 
Pferde    zum    Schadensersatz    verurtheilt,    an    das    Hof  Jäger* 
meisteramt,  das  die  Akten  nach  Brandenburg  versendet 

Sogar  aus  Magdeburg  gelangen  Anfragen  nach  Bran- 
denburg, und  zwar  auch  aus  der  Zeit  vor  dem  dreissigjäbn- 
gen  Kriege.  Das  hatte  nichts  Auffälliges,  wenn  es  sich  darum 
handelte,  inwiefern  Magdeburger  Bürger  auf  eine  in  der 
Mark  Brandenburg  eröffnete  Erbschaft  berechtigt  waren.  7 
Aber  es  kommt  auch  vor,  dass  Magdeburger  Erbprätendenten 
sich  bezüglich  einer  in  Magdeburg  eröffneten  Erbschaft  Rathes 
in  Brandenburg  erholen.4)  Der  Rath  zu  Loburg  (im  Magde- 
burgischen) wendet  sich  1557  (6  3)  nach  Brandenburg,  weil 
das  Magdeburger  Gericht  sich  weigert,  eine  erkannte,  aber 
unterbrochene    Tortur    am    nächsten  Tage    fortzusetzen.    Ja 

*)  Die  Bibliothek  des  Magistrats  zu  Berlin  besitzt  zwei  Folianten  Ab- 
schriften von  Berliner  Sachen  der  Brandenburger  Schöppenstublsakten. 
*)  Mylius,  Berger,  Fromme,  Gerbel,  Katsch. 

3)  So   1553  (5  115),  1556  (5422),  1567  (11  435)- 

4)  So   1560  (8  280K  1561  (8436),   1577  (18  570),   1621    (68613). 


§  21.     Stadtgerichte.  343 

selbst  die  Schoppen  der  Neustadt  Magdeburg  wenden  sich 
1574  (15  370)  um  weitere  Rechtsbelehrung  an  die  Branden- 
burger, l)  nachdem  ein  Verurtheilter  die  auf  Grund  eines  Be- 
lehrungsurtheils  der  Magdeburger  altstädtischen  Schoppen 
geleistete  Urfehde  gebrochen  hatte;  der  Grund  dieses  Ver- 
fahrens konnte  nur  darin  liegen,  dass  die  Neustadt  Magde- 
burg ihr  Interesse  durch  den  Magdeburger  Schöppenstuhl 
nicht  genügend  gewahrt  glaubte.  Darauf  mag  es  auch  be- 
ruhen, dass  der  Domkapitelsvogt  der  Magdeburger  Vorstadt 
Sudenburg  sich  1608  (56  68)  in  einer  Strafsache  einen  Bran- 
denburger Spruch  erbittet.  Dass  nach  dem  Verschwinden 
des  Magdeburger  Schöppenstuhles  und  nach  dem  Anfall 
Magdeburgs  an  Preussen  dorther  17 16  vom  Magdeburger 
Kammerfiskal  (8140),  1730  vom  Magdeburger  Stadtsyndikus 
und  v.  Münchhausenschen  Justitiar  (85  405)  und  1738  wie 
1740  (89  547;  91  165)  von  der  Regierung  zu  Magdeburg,  auch 
1743  (95  45)  und  1746  von  Bürgermeister  und  Rath  zu  Magde- 
burg (97  836)  in  Brandenburg  Belehrung  geholt  wird,  mag 
nur  nebenbei  bemerkt  werden. 

Die  Sonderstellung,  die  zu  Gunsten  Magdeburgs  Tanger- 
münde 1528,  sowie  Krossen,  Kottbus  und  Züllichau  1551  zu 
Gunsten  Leipzigs  eingeräumt  erhalten  hatte,2)  that  Branden- 
burg sichtlichen  Abbruch;  denn  die  von  Tangermünde  nach 
Brandenburg  gesandten  mehreren  hundert  Sachen  beschränken 
sich  fast  ausschliesslich  auf  Strafsachen  und  Erbschaftsstrei- 
tigkeiten,3)    die    aus    den   drei  andern  Städten  eingesandten 

*)  Aehnliche  Doppelfrage  in  Magdeburg1  und  in  Brandenburg  :  1566 
(10  450)  erwirkt  der  v.  Rochowsche  Richter  auf  Golzow  (bei  Brandenburg) 
gegen  einen  wegen  versuchter  Brandstiftung  und  wegen  Pferdediebstahls 
beschuldigten  Pfarrer  ein  Todesurtheil  in  Magdeburg;  mit  Hinweis  auf  dies 
Unheil  fragt  der  Richter  noch  in  Brandenburg  an.  Weil  in  einer  pommer- 
schen  Zaubereisache  (1583  bis  1592:  35211fr.)  die  Magdeburger  auf  Zulas- 
sung weiterer  Defension  statt  auf  Verurtheilung  erkennen,  wird  an  zweiter 
Stelle  in  Brandenburg  angefragt.  Nachdem  1600  ein  Schulzenhofsbesitzer  im 
Magdeburgischen  günstige  Belehrung  der  Magdeburger  Schoppen  erhalten, 
„erfordert*  (1606:  53  465)  „seiner  Witwe  und  Kinder  höchste  Nothdurft, 
dass  sie  auch  vom  Schöppenstuhl  zu  Brandb.  einen  beständigen  Grund  des 
Rechten  haben  möchten." 

2)  Siehe  oben  Seite  303. 

3)  Siehe  das  Hefftersche  Generalrepertorium. 


344       5-  Buch.   Erster  Abschnitt.    Konsulenten  aus  Brandenburg-Preussen. 

Sachen  sind  aber  von  sehr  geringer  Zahl,  und  zwar  etwa  zur 
Hälfte  Strafsachen.  Aus  den  (1815  an  Preussen  gefallenen) 
sächsischen  Landestheilen  wandten  sich  nur  hier  und  da  solche 
Städte  nach  Brandenburg,  die  an  der  Grenze  der  Mark  lagen, 
wie  z.  B.  Beizig  und  Jüterbog.  Aus  letzterer  Stadt  finden  sich 
26  Straf-  und  4  Civilsachen,  die  der  Zeit  von  1556  bis  1636 
angehören. 

Vorzugsweise  reichlich  sind  der  Natur  der  Sache  nach  die 
Städte  der  Mark  vertreten ;  von  Beispielen,  in  denen  ein  vor 
dem  Rathe  der  Stadt  schwebendes  Vergleichsverfahren  den 
Anlass  zur  Einholung  einer  Belehrung  in  Brandenburg  giebt, 
mag  je  ein  Fall  aus  Salzwedel  und  aus  Gardelegen  angeführt 
werden.  Das  Verfahren  in  Salzwedel  leitet  sich  1622  (70 
687)  damit  ein,  dass  Bürger  beim  regierenden  Bürgermeister 
um  Citation  ihrer  Gegner  zum  nächsten  Tage  behufs  Erledi- 
gung ihres  Streites  durch  einen  „Abschied"  des  Rathes  bitten. 
In  Gardelegen  „gedeihen44  (1623:  70  340)  ein  Hamburger 
und  ein  Gardelegener  Bürger  in  einem  Evalvationsprozesse 
„zu  Verhör  beim  Rathe1'  zu  Gardelegen,  der  einen  „Ab- 
schied44 giebt,  dass  der  Beklagte  in  schwerem  Gelde  zu 
leisten  habe;  der  Beklagte  lässt  sich  darauf  in  Brandenburg 
belehren,  „wie  er  sich  gegen  des  Raths  Abschied  helfen 
könne44. 

Kleinere  märkische  Städte  haben  mehrfach  eine  Selbst- 
verwaltung der  Gerichtsbarkeit  nicht  erlangt.  Beispiele  sol- 
cher Städte,  die  nicht  unter  dem  Landesherrn,  sondern  unter 
einem  ihnen  benachbarten  Gutsherrn  gleich  dessen  Dörfern 
stehen,  oder,  die,  wenn  sie  unter  dem  Landesherrn  stehen, 
von  diesem  behandelt  werden,  als  gehörten  sie  gleich  der 
umliegenden  Landschaft,  unter  die  Verwaltung  der  landes- 
herrlichen Beamten,  sind  die  Städte  Freienstein,  Reetz,  Witten- 
berge,  Wilsnack,  Gransee. 

In  Freienstein  (Regierungsbezirk  Potsdam)  lehnten  sich 
1503  die  Einwohner  gegen  ihre  Erbherren,  die  Gebrüder  von 
Rohr,  auf  und  beanspruchten  eigene  Gerichtsbarkeit  mit  der 
Befugniss,  ihrerseits  die  Rathmannen,  Schoppen  und  Richter 
wählen  zu  können.  In  einem  Vergleiche  desselben  Jahres 
wird  anerkannt  (47  1 1 1),  dass  denen  von  Rohr  alle  Gericht  ein 


§  21.     Stadtgerichte.  345 

und  ausser  dem  Städtlein  zustehen,  und  dass  die  von  Rohr 
Rath  und  Richter  ordnen  und  absetzen.  Demgemäss  wenden 
sich  1557  (6  145)  Richter  und  Schoppen  an  einen  von  Rohr 
mit  der  Klage,  dass  ein  Verurtheilter  dem  Kläger  den  diesem 
zugesprochenen  Garten,  ungeachtet  er  gerichtlich  eingewiesen, 
nicht  herausgebe;  der  von  Rohr  befiehlt,  Belehrung  in  Bran- 
denburg zu  suchen.  Ein  solcher  Erbherr  nimmt  zu  Zeiten 
auch  an  den  Verhandlungen  der  Gerichte  persönlich  theil. 
So  wird  1565  ein  Erbstreit  zweier  Bürger  von  Reetz  (Städtchen 
bei  Arnswalde),  „vor  den  v.  Wedel,  zu  Retz  und  Norenberge 
Erbgesessenen,  auch  Bürgermeister,  Rath  und  Gericht  des 
Städtleins"  verhandelt  (9523  fr.);  „Bürgermeister,  Rath  und 
Gericht  zu  Reetz"  senden  dann  die  Akten  „nicht  allein  ihrem 
alten  Gebrauch  nach,  besondern  auch,  nach  Verordnung 
kurfürstlicher  Konstitution"  nach  Brandenburg  zum  Spruche. 

Das  Gericht  in  Gransee,  einer  Stadt  der  1524  an  die  Mark 
gefallenen  Grafschaft  Ruppin,  bittet  1533  (3  622)  beim  Bran- 
denburger Schöppenstuhl  als  seinem  „Stipeln"  {=  Stamm-) 
„und  Hauptgericht"  um  Unterweisung,  wie  mit  einer  Partei 
zu  verfahren  sei,  die  das  Gerichtsurtheil  geschmäht  habe. 
Das  Städtchen  Wilsnack  hatte  die  von  Saldern  zu  Erb- 
junkern; sie  setzten  um  1600  ihren  dortigen  Richter  wegen 
seiner  Verfehlungen  ab  und  einen  neuen  aus  der  Mitte  des 
Rathes  ein.  Auf  Anfrage  von  Bürgermeister  und  Rath  er- 
klären dies  1601  (ÜB.  2  321)  die  Brandenburger  für  zulässig, 
es  müsste  denn  erwiesen  werden,  dass  keiner  seiner  Vor- 
gänger im  Richteramte  zugleich  im  Rathstuhl  gesessen  hätte. 

Streitet  eine  Stadt  mit  einem  ihrer  Bürger,  so  kommt 
es  vor,  dass  die  Stadt  sich  selbst  das  Recht  zuspricht  zu 
bestimmen,  wer  den  Streit  entscheiden  soll.  Dies  geschieht 
1557  (6  46  bis  71)  in  Kyritz:  der  dortige  Rath  „verordnet" 
in  einem  solchen  Streite  einen  Bürger  zu  Kyritz  zum  Richter ; 
dieser  Richter  nimmt  die  Schriftsätze  beider  Theile  entgegen 
und  verschickt  die  Akten  nach  Brandenburg,  Schoppen  wirken 
dabei  nicht  mit:  weil  es  unziemlich  wäre,  dass  ein  Bürger  der 
Stadt  die  Stadt  selbst  bei  dem  aus  ihren  Rathmannen  ge- 
bildeten Gericht  belange,  wird  pro  forma  von  dem  Rath,  der 
einer  der  Streittheile  ist,   ein   besonderer  Richter  ad  hoc  er- 


346      5-  Buch.   Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg-Preussen. 

nannt,  dessen  Aufgabe  aber  nur  darin  besteht,  als  Brief- 
träger zwischen  den  Parteien  und  Brandenburg  zu  dienen. 
Aehnlich  fungirt  zur  selben  Zeit  (6319)  der  Richter  des 
Städtchens  Putlitz  (bei  Pritzwalk)  als  Einzelrichter  in  einem 
Gerichtshandel,  der  „vor  ihm  gerichtlich  eingebracht  ist";  er 
sendet  den  Handel  nach  Brandenburg,  da  er  „der  Rechten 
nicht  genugsam  erfahren44.  Und  ohne  solche  Begründung 
sendet  1558  (7  195)  der  Stadtrichter  zu  Lenzen  Akten,  „die 
vor  ihm  erwachsen44,  nach  Brandenburg. 

Das  Stadtgericht  Wittstock  verwaltete  1608  der  als  einer 
der  angesehensten  und  gelehrtesten  märkischen  Juristen  be- 
kannte, aus  einer  dortigen  Schöppenfamilie  *)  stammende 
Joachim  Scheplitz,  der  auf  verschiedenen  Hochschulen  Deutsch- 
lands ausgebildet  und  in  Basel  zum  Licenciaten  promovirt 
war.2)  Auch  er  holte  sich  Namens  Bürgermeisters  und 
Raths  1608  (56443)  in  Brandenburg  Belehrung.  In  Gransee 
hat  1619  (66  713)  der  landesherrliche  Gerichtsverwalter  bei 
Aburtheilung  einer  Schwängerungssache  mitzureden;  von 
ihm,  Bürgermeister  und  Rathmannen  geht  die  Anfrage  nach 
Brandenburg,  wie  die  Geschwängerte  zu  bestrafen  sei. 

Als  im  Laufe  der  Zeit  neue  Landestheile  dem  Branden- 
burg-Preussischen  Staate  zufielen,  wandten  sich  auch  aus 
diesen,  wie  wir  es  von  Magdeburg  gesehen  haben,3)  ver- 
schiedene Stadtgerichte  nach  Brandenburg. 

So  z.  B.  1651  (78  275.  289)  Richter  und  Schoppen  zu 
Stettin,  1667  (79  390)  Bürgermeister  und  Rathzu  Stargard 
in  Hinter-Pommern,  das  1648  mit  Preussen  vereinigt  wurde, 
1690  (79  645),  1691  (79  706.  712)  Richter  und  Schoppen  des 
ebenfalls  1648  unter  preussische  Hoheit  gefallenen  Stadt- 
gerichts Halberstadt,  1723  (81555)  Bürgermeister  und 
Rath  zu  Aschersleben  (im  früheren  Fürstenthum  Halber- 
stadt) 1743  (94416),  1746(97  i32)i  *747  (98  7)  „Kgl.  Preuss. 


2)  1545  Christoph  und  Anton  Seh.  Witstochienses  in  Frankfurt  irorna- 
trikulirt,  Christoph  Seh.  1569  (ia  229)  Schöppe  in  Wittstock. 

2)  Siehe  Seidel,  Bildersammlung  S.  168,  und  Stölzel,  Rechtsverwaltung' 
an  den  im  Namensregister  des  Bd.  I  angegebenen  Stellen.  Stintzing,  Gesch. 
der  Rechtswiss.  1,  571. 

3)  Siehe  oben  Seite  342. 


§  2i.     Stadtgerichte.  347 

Geheimerath  und  zu  denen  Berg-  und  Thalgerichten  verord- 
nete Schul theiss,  Salzgräfe  und  Assessores  zu  Halle14  in  Civil- 
wie  in  Strafsachen,  1747  (98237)  Richter  und  Schoppen  des 
„fürstlichen  weltlichen  Gerichts  beider  Städte  Quedlinburg4*, 
die  seit  1698  unter  preussischer  Hoheit  standen, J)  1724  (83  462), 
1734  (87  653),  1735  (88  222)  Schultheiss,  Statthalter  und 
Schoppen  des  Stadt-  und  Hauptgerichts  zu  Meurs,  das  zu 
dem  1609  mit  Brandenburg  vereinten  Herzogthum  Cleve  ge- 
hörte und  ein  Gericht  war,  das  zugleich  als  Appellationsgericht 
sprach,  ferner  1730  (85  374)  und  1736  (88  445)  der  Scabinat 
der  zum  nämlichen  Herzogthum  gehörig  gewesenen  Städte 
Wesel  und  Xanten,  1741  (92325.380)  der  Richter  der 
Stadt  Hamm  in  der  ebenfalls  1609  angefallenen  Grafschaft 
Mark,  1743  (95  265)  das  Stadtvogteigericht  der  Stadt 
Konnern  im  Amte  Giebichenstein,  ferner  aus  der  Grafschaft 
Mark  1743  (94472)  der  Magistrat  zu  Lüdenscheid,  1743 
(94299)  der  Stadtrichter2)  zu  Iserlohn,  im  nämlichen  Jahre 
(94  723),  wie  auch  1745  (96  224.  365)  und  1746  (97  148)  der 
„Königliche  Richter  der  Stadt  und  des  Amts  Unna44,  ferner 
im  Jahre  1743  der  Richter  der  Königlich  Soestischen 
Gerichte  (94  159),  1742  (93  369),  1743  (94  159),  1746  (97  37<>)> 
1747  (98  129.  161.  167.  210),  1748  (98  360.  415.  427)  Bürger- 
meister und  Rath  zu  Soest,  1744  (95  277)  „Kgl.  Preussischer 
Richter  und  Assessores  des  Bürgergerichts  zu  Herford44, 
*743  (94  547-  602.  608.  617)  das  Gericht3)  zu  Schwelm, 
1743  (94  796)  der  Richter  der  Stadt  Schwerte  (bei  Hagen), 
1747  (98  174.  175)  der  Richter  zu  Hagen4),  1747  (98  70) 
Bürgermeister  und  Rath  zu  Hatn eggen  (Hattingen  bei 
Essen).  Wie  einfach  die  Prozesse  liegen,  in  denen  aus  den 
genannten  Stadtgerichten  Anfragen  nach  Brandenburg  ge- 
langten, mag  ein  Fall  des  Jahres  1747  (98  168)  aus  Soest 
belegen.      Ein    Beklagter   sollte   die    von  ihm  vorgeschützte 


!)  Dieselbe  Sache  war  vorher  nach  Wittenberg-  und  Frankfurt  a./O. 
versandt  gewesen. 

*)  Namens  Pütter,  der  Vater  des  Staatsrechtslehrers. 

8)  Nähere  Titulatur  nicht  ersichtlich. 

4)  Nach  der  Adresse:  Monsieur  Wulfin  gk,  juge  tres  renomme  de  S. 
Maj.  le  Roi  de  Prusse. 


348      5*  Buch.  Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg-Preussen. 

Zahlungseinrede  beweisen;  er  tritt  den  Beweis  durch  Zeugen 
an,  steht  aber  nachher  von  der  Beweisführung  ab;  dass  nun- 
mehr der  Beklagte  zu  verurtheilen  sei,  lag  auf  der  Hand; 
weil  aber  „in  den  Akten  ad  extraneos  provozirt  isttt  —  ob 
von  einer  Partei  oder  von  beiden,  ersieht  man  nicht  —  wird 
in  Brandenburg  ein  Erkenntniss  verlangt,  das  natürlich  auf 
Verurtheilung  des  Beklagten  geht. 

Eines  besonderen  Zuspruchs  erfreute  sich  der  Branden- 
burger Schöppenstuhl  im  letzten  Jahrhundert  seiner  Thätig- 
keit  aus  dem  Stifte  Quedlinburg,  das  1802  an  Preussen  fiel, 
nachdem  es  seit  1698  unter  Preussischer  Hoheit  gestanden 
hatte.  Demgemäss  gelangten  auch  viele  Sachen  aus  der 
Stadt  Quedlinburg  nach  Brandenburg.  In  Quedlinburg  übten 
„Richter  und  Schoppen  des  weltlichen  Gerichts  beider  Städte" 
noch  im  achtzehnten  Jahrhundert  die  Gerichtsbarkeit;  „Bür- 
germeister und  Rath  beider  Städte"  in  Verwaltung  der  preussi- 
schen  Erbvogtei  bildete  dem  Stadtgericht  gegenüber  die 
„Läuterungsinstanzu  (1701:  8031),  und  diese  holte  ihre 
Rechtsbelehrung  in  Brandenburg. 

§22. 

Landesherr. 

Dem  Vertrauen,  das  in  der  Joachimica  dem  Branden- 
burger Schöppenstuhl  geschenkt  wurde,  entsprach  es,  dass 
Kurfürst  Joachim  und  seine  Nachfolger,  solange  sie  noch 
persönlich  an  der  Rechtsprechung,  namentlich  an  der  Er- 
ledigung der  Strafsachen  Antheil  nahmen,  in  dem  Schöppen- 
stuhl ein  Hülfsorgan  sahen,  dem  sie  —  wie  den  gelehrten 
Räthen  ihrer  Umgebung  —  die  Beantwortung  zweifelhafter 
Fragen  übertrugen.  Der  Landesherr  holte  in  solchen  Fällen 
sich  Belehrung  bei  den  Schoppen,  oder  er  wies  diejenigen, 
die  ihm  rechtliche  Zweifel  vortrugen,  an  die  Schoppen.  Da- 
bei hatte  er  aber  keineswegs  die  Absicht,  unbedingt  seine 
Meinung  der  der  Schoppen  unterzuordnen,  scheute  vielmehr 
nicht  davor  zurück,  ihnen  kund  zu  thun,  welchen  Rechts- 
spruch er  erwarte,  oder  auf  Abänderung  des  Rechtsspruchs 
hinzuwirken,  wenn  derselbe  bereits  ergangen  war;  erschien 
ja  doch  in  der  Joachimica  der  Kurfürst  noch  als  die  Instanz, 


§  22.     Landesherr.  34£) 

an  welche  die  Appellation  von  den  Sprüchen  der  Branden- 
burger Schoppen  ging.  Die  Joachimica  erwähnte  zwar  die 
Strafgerichtsbarkeit  nicht,  aber  auch  vor  ihrer  Zeit  hat 
Brandenburg  als  der  Schöppenstuhl  gegolten,  bei  dem  die 
ganze  Mark  und  damit  auch  vorkommenden  Falles  der 
Landesherr  in  peinlichen  Sachen  Recht  holte.1)  In  den 
Schöppenstuhlsakten  datirt  der  erste  Fall,  in  welchem  der 
Kurfürst  das  bei  ihm  anfragende  Strafgericht  nach  Branden- 
burg weist,  vom  Jahre  1529  (ÜB.  1  113).  Es  handelte  sich 
um  eine  Vergiftungs-  oder  Zaubereisache  aus  Spandau,  die 
früheste  bis  jetzt  bekannte  Verfolgung  einer  Zauberin  in  der 
Mark;  der  Kurfürst  befahl  dem  dortigen  Rath,  bei  dem 
„Rathe  zu  Brandenburg14  —  so  bezeichnete  der  Kurfürst  kurz 
den  „ Gerichtsstuhl  beider  Städte  Brandenburg*,  wie  die 
Joachimica  korrekter  sagte  —  Belehrung  zu  suchen  und  wies 
zugleich  die  Spandauer  an,  „fürder"  die  Brandenburger  zu 
fragen;2)  die  Befragung  in  Brandenburg  war  also  für  solche 
Sachen  nicht  alter  Spandauer  Brauch,  sondern  etwas  Neues. 
Einige  Jahre  später  (1539)  übersandte  Joachim  II.  den  Branden- 
burgern die  Anschuldigung  des  Kurfürsten  von  Sachsen  gegen 
Em  Johann  Kohlhase,  Pfarrer  in  Müncheberg,3)  einen  Ver- 
wandten des  bekannten  Berliner  Kaufmanns  Hans  Kolhase,4) 
der  Kursachsen,  weil  es  ihm  sein  Recht  verweigert  hatte, 
die  Fehde  ansagte  und  dort  brannte  und  plünderte.5)  Der 
Kurfürst  von  Sachsen  beschuldigte  die  Brandenburger,  auf 
Kolhases  Seite  zu  stehen  und  um  dessen  Einfall  gewusst  zu 
haben;  deshalb  baten  sie  den  Kurfürsten,  sie  in  diesem 
schwierigen  und  wichtigen  Handel  „mit  der  Frage  zu  ver- 
schonen14 und  an  andere  Oerter  die  Akten  zu  verschicken 
oder  ihnen  wenigstens  soviel  Frist  zu  gewähren,  dass  sie 
selbst  die  Sache  verschicken  könnten,  wohin  es  dem  Kur- 
fürsten und  den  Parteien  leidlich  sei. 


1)  Siehe  oben  Seite  279. 

2)  „Darnach  ihr  euch  fürder  sie  zu  fragen  wohl  der  Gebühr  zu  halten 
wissen  werdet". 

3)  StA.   1  R.  49c. 

4)  Riedel  1.  20  S.  173. 

•)  Vergl.  Burckhardt,  der  histor.  Hs.  Kohlhase.     Lpzg.  1864. 


350       5-  Buch.   Erster  Abschnitt.    Konsulenten  aus  Brandenburg^-Preussen. 

Als  1555  „ein  Pfarrer  vom  Adelu  (Anthonius  Holstein 
in  Wilmersdorf)  nach  dem  Abgang  seiner  Köchin  sich  ver- 
ehelicht hatte  und  mit  ihr  nachher  in  Streit  gerieth,  so  dass 
sie  ihn  mit  einem  Messer  in  den  Leib  stach,  begehrte  der 
Kurfürst,  der  das  Weib  hatte  gefangen  setzen  lassen,  von 
den  Schoppen  beider  Städte  Brandenburg  Belehrung",  wie 
das  Weib  zu  strafen  sei. l) 

Damals  galt  noch  in  den  Augen  der  Parteien   der  Kur- 
fürst selbst  als  der  massgebende  Richter,   und  zwar  auch  in 
Civilsachen  1545  (ÜB.  1211).     Denn  als    es    in    einem    Erb- 
streite von  Unterthanen  den  Junkern  von  der  Schulenburg  zu 
Apenburg  (bei  Salzwedel)  nicht  gelang,  die  Streitenden  gütlich 
zu    einigen,    kam  es   auf  Antrag  der    einen  Partei  zu  einem 
Spruche  in  Brandenburg,  den  der  obsiegende  Theil  vermittels 
einer  Supplikation  dem  Kurfürsten  mit    der  Bitte    vorlegte, 
die    „Konfirmation"    zu    ertheilen    und    „den  Rath  zu  Apen- 
burg   anzuweisen,    sich   hiernach    bei    der    Erbtheilung^    zu 
achten";   dies  geschieht.     Der  Rath  zu  Apenburg  war    nicht 
etwa    das    zuständige   Prozessgericht,    sondern    er    war,    wie 
der  heutige  Nachlassrichter,  die  Instanz  zu  ausserprozessuali- 
schem   Vollzuge   der  Erbtheilung;    was    der   Brandenburger 
Schöppenstuhl   gesprochen    und  was    der  Kurfürst  bestätigt 
hatte,    diente    den    Erbinteressenten    und     dem    Rathe    als 
Grundlage  für  die  Erbtheilung.      Ebenso  ging  1573  (14457) 
der  Junker    von  Schlaberndorf  zu  Siethen    (bei  Potsdam)   in 
einer  zu  seiner  Entscheidung  stehenden  Zaubereisache  erst  die 
Brandenburger   mit  der  Frage  an,    ob  die  Beschuldigte  der 
Folter  zu  unterwerfen  sei,  und  wandte  sich  dann,  da  die  Bran- 
denburger einen  genügenden  Verdacht  nicht  annahmen,    mit 
derselben  Frage   an   die  Magdeburger,   die   „den    peinlichen 
Zutritt  erkennen44.     Beide  Sprüche  legte  darauf  der  Junker, 
„damit  er  nicht  zu  viel  und  nicht  zu  wenig  thue44,  dem  Kur- 
fürsten  vor    und  bat  um  dessen   „Bedenken44;    der   Kurfürst 
rieth    zur    peinlichen    Frage    und    lies    durch    den    Kanzler 
Lampert  Distelmeier  sagen,  er  (der  Kurfürst)  wisse  wohl,  dass 
die  Brandenburger,  wenn  dorthin  die  Umstände  klar  berichtet 
wären,  sich  auch  für  die  peinliche  Frage  erklärt  hätten.     Nun- 

lj  StA.  R.  49  c. 


§  22.     Landesherr.  351 

mehr  wandte  sich  v.  Schlaberndorf  unter  Vorlage  eines  Ver- 
zeichnisses der  Indizien  und  des  Magdeburger  Spruchs  von 
neuem  nach  Brandenburg.  Hier  „erscheint44  jetzt  auch  „so- 
viel, dass  die  Angeklagte  der  peinlichen  Frage,  jedoch  mit 
rechtlicher  Mässigung  unterworfen  werden  mögeu. l) 

Eine  andere  Reihe  von  Fällen,  in  denen  der  Kurfürst  in 
die  Lage  kommt,  Rechtshändel  dem  Schöppenstuhl  zuzu- 
führen, erwuchs  aus  der  Sitte,  dass  die  eine  oder  andere 
Partei  den  Kurfürsten  „supplikationsweise"  bat,  „Kommissare 
zu  bestellen",  die  einen  entstandenen  Streit  entscheiden  sollten. 
Dies  war  eines  der  Mittel,  unter  Vermeidung  des  ordentlichen 
Gerichtes  zum  Austrag  eines  Streites  zu  gelangen.2)  Die 
Kommissare  erhielten  dann  mannigfach  die  Weisung,  die 
Sache  in  näher  bestimmten  Prozessformen  verhandeln  zu 
lassen  und  hierauf  die  Akten  nach  Brandenburg  zu  senden. 
Es  kam  auch  vor,  dass  Richter  und  Schoppen  eines  benach- 
barten Gerichts,  zu  dessen  Zuständigkeit  die  Sache  an  sich 
nicht  gehörte,  unter  Zuziehung  eines  Rechtsgelehrten  zu 
Kommissarien  bestellt  wurden.  So  lässt  1552  (4  593)  in 
einem  Streit  zwischen  einer  Wittwe  und  ihren  Schwägern 
zu  Rheinsberg  der  Kurfürst  „Richter  und  Schoppen  zu  Neu- 
Ruppin44  sammt  Joachim  Kriel  eine  Kommission  behändigen, 
dass  sie  (die  Kommissarien)  „die  Rechtfertigung"  der  Parteien 
„mit  drei  Gesetzen  (d.  h.  Schriftsätzen)  verwechselterweise 
annehmen  und  zu  Kürzung  des  langwierigen  Prozesses  von 
vierzehn  Tagen  zu  vierzehn  Tagen  sollen  einbringen  lassen, 

1)  Beispiele,  in  denen  der  Kurfürst  BM.  und  Rath  oder  Richter  und 
Schoppen  oder  seinen  Hauptmann,  Hausvogt,  Kastner  anweist,  in  Br.  Be- 
lehrung zu  holen,  oder  in  denen  er  selbst  solche  holt,  sind  noch  aus 
»557,  1558  (6i73-  356;  7  «5)>  1565  (10103.  ÜB.  1449),  '573  (15  494)  > 
»574  (16392.  117-  ÜB.  1  613),  1577  (19  114).  iS78(i9  574-  ÜB.  1702), 
»583  (*3  21-  87),  1591  (34  131-  ÜB.  3  106),  1626  (7a  225.  ÜB.  a  646),  1631 
{74  2.  ÜB.  a  659)  anzuführen.  Eine  Auskunft  über  die  Frage,  „wie  breit 
eine  Wenderuthe  oder  Anwende  sei",  also  ein  Weisthum  erbittet  der  Kur- 
fürst 1581  (ai  ac),  aufgenommen  in  Decis.  II  fol.  101,  siehe  ÜB.  4  14.  15. 
Bei  Abwesenheit  des  Kurfürsten  weisen  Statthalter  und  Räthe  1609  (58490) 
den  BM.  und  Rath  zu  Beeskow  in  einer  Diebstahlssache,  „da  sie  zu  des 
Kurf.  Resolution  beruhe,  dieser  aber  ausser  Landes  sei",  nach  Brdbg. 

2)  Vgl.  Stölzel,  Rechtsverwaltung  Bd.  1  an  den  im  Sachregister  unter 
„Supplikation*'  genannten  Stellen. 


352      5-  Buch.   Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg-Preusseo. 

um  dann  die  Akten  nach  Brandenburg  zu  schicken".  Dem- 
gemäss  sind  die  Parteien  bis  zum  Unheil  geschritten,  und 
es  ist  nach  der  Ansicht  der  Kommissarien  „der  scopus  con- 
troversiae  daran  gelegen,  wem  der  Beweis  möge  auferlegt 
werden".  Indem  dies  die  Kommissarien  den  Brandenburgern  "! 
unter  Beifügung  der  Akten  schrieben,  baten  sie,  „was  tür  ! 
das  Beständigste  und  Erheblichste  erscheinen  werde,  für 
Recht  zu  erkennen". l) 

Wie  intensiv  unter  Umständen  der  Kurfürst  seinerseits 
glaubte  auf  die  Entscheidung  einwirken  zu  müssen,  welche 
von  Brandenburg  eingeholt  wurde,  ergiebt  zunächst  ein  Fall 
des  Jahres  1573  (ÜB.  1  589).  Die  Brandenburger  Schoppen 
hatten  damals  gegen  ein  der  Blutschande  mit  ihrem  Bruder 
und  der  Abtreibung  geständiges  Weib  auf  Staupschläge  er- 
kannt. Auf  die  Beschwerde  des  Propstes  zu  Diesdorf  Christof 
von  der  Schulenburg  befahl  der  Kurfürst  den  Branden- 
burgern, da  die  erkannte  Strafe  „fast  (=sehr)  zu  linde*1 
sei,  die  Urgicht  nochmals  durchzulesen  und  einen  neuen 
Spruch  zu  fallen.  Dieser  lautete  dann  auf  den  Tod  durch 
das  Wasser.  Ferner  hatten  im  Jahre  1574  (15  80.  ÜB,  1  612) 
die  Brandenburger  nach  Meinung  des  Kurfürsten  einen  des 
Mords  Angeklagten  auf  die  Anfrage  des  Hausvogts  Rosen- 
ecker „zu  gnädig"  angesehen,2)  weil  er  die  That  auf  An- 
stiften seines  Junkers  vollbracht  habe;  der  Kurfürst  reskri- 
birte  den  Brandenburgern,  dass  sie  „das  Bekenntniss  noch  ein- 
mal erwägen  und  den  Rechten  nicht  ungemäss  sprechen- 
möchten.  Die  Folge  war  ein  Urtheil,  nach  welchem  der  An- 
geschuldigte mit  dem  Rade  vom  Leben  zum  Tode  zu  ver- 
richten sei. 

Mehr  Festigkeit  bewiesen  die  Brandenburger  in  zwei 
Fällen  aus  den  Jahren  1582  (30  338)  und  1592  (35  296  fr.). 
In  ersterem  Falle  gab  der  Kurfürst  einen  Befehl,  der  einen 
Spruch  der  Rostocker  Fakultät  inhibirte,  und  einen  zweiten 
Befehl,  der  bis  auf  Weiteres  ein  beim  Kammergericht 
schwebendes    Verfahren    unterbrach;    eine    dagegen    mittels 

1)  Ebenso  1565  (10  235);  hier  waren  in  einem  Prenzlauer  Erbstreit 
drei  Prenzlauer  Schoppen  und  Andreas  Schulz  die  Kommissarien. 

2)  Wie,  erhellt  nicht. 


§22.     Landesherr.  353 

Anfrage  um  Rechtsbelehrung  in  Brandenburg  eingelegte  Be- 
schwerde erklärte  der  Schöppenstuhl  für  begründet  und 
sprach  der  Beschwerdeführerin  das  Recht  zu,  wider  ihren 
Gegner  mit  Pfändung  vorzugehen.  Darin  lag  die  Entscheidung, 
dass  der  kurfürstliche  Befehl  unberechtigt  sei.  Des  Nähern 
ist  die  Sachlage  folgende: 

Die  Gebrüder  von  Königsmark  zu  Kötzlin  (bei  Kyritz) 
hatten  iooo  Fl.  von  der  Jungfrau  Ursula  Gans  Edle  zu  Putlitz 
gegen  Verpfandung  von  Kornpächten  geliehen.  Nachdem 
die  Gläubigerin  sich  mit  Martin  Kieseling  in  Ribbenitz  ver- 
ehelicht, verweigerten  die  Schuldner  die  Rückzahlung,  weil  sich 
die  Gläubigerin  nicht  mit  ihres  Gleichen  verehelicht  und  des- 
halb keinen  Anspruch  auf  das  ausgeliehene  Geld  habe,  das 
ihre  Ehesteuer  darstelle.  Dies  erklärte  die  Fakultät  in  Rostock 
auf  Befragen  für  unberechtigt  (März  1580).  Der  Kurfürst 
Joh.  Georg  befahl  aber  dem  Christof  v.  Königsmark  im 
Mai  1580,  dass  er  der  Ursula  auf  ihr  Ansuchen  ohne  besondern 
kurfürstlichen  Befehl  nichts  von  der  Hauptsumme  folgen  lassen 
solle,  weil  sie  „zu  Schimpf  ihres  ganzen  Geschlechts  sich  zu 
einem  Schulmeister  gesellet,  mit  dem  sie  davon  gezogen  und 
und  sich  nachgehends  vertrauen  lassen",  da  er  (der  Kurfürst) 
dergleichen  Unthaten  zu  dulden  nicht  gemeint  sei.  Im  Jahre 
1582  supplizirte  Ursula  an  den  Kurfürsten,  und  dieser  gab  dem 
Landreiter  zu  Perleberg  auf,  zu  erkunden,  „was  aus- 
geliehen Geld  seiu;  dazu  möge  der  Landreiter  ihr  gebühr- 
lich verhelfen;  was  aber  ihre  Ehesteuer  anlange,  dazu  könne 
ihr  keine  Hülfe  verstattet  werden,  weil  sie  sich  so  vergessen 
und  sich  mit  ihres  Gleichen  nicht  verehelicht.  Auf  ihren 
Pfandungsantrag  wurden  darauf  die  Königsmark  vor  die 
Kammergerichtsräthe  beschieden;  hier  legten  sie  einen  sub- 
et  decepticie  ausgebrachten  Befehl  vor,  die  Sache  bis  auf 
weitere  Relation  liegen  zu  lassen.  Weil  dieser  Verzug  ihr 
beschwerlich,  bat  Ursula  Gans  die  Brandenburger  um 
Belehrung,  ob  nicht  die  v.  Königsmark  zu  zahlen  schuldig 
und  sie  sich  nicht  im  Fall  der  Nichtzahlung  in  die  ihr  mit 
kurfürstlichem  Konsens  verpfändeten  Kornpächte  einweisen 
lassen  könne.     Dies  bejahten  die  Brandenburger. 

Der  zweite  Fall  ist  von  erheblich  grösserer  Bedeutung. 

Stolze),  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  23 


354-      5-  Buch.    Erster  Abschnitt.    Konsulenten  aus  Brandenburg- Preussea. 

Ein    in  Pommern    wegen    Zauberei    verbranntes    altes  Weib 
hatte  die  Gattin   des  Pommerschen  Jägermeisters  und   Haupt- 
mannes von   Dobbersitz,  Erbsessen  zu  Ploha,  Elisabeth   von 
Strauss,  bezichtigt,1)  sich  gegenüber  der  Tochter  des  Kurfürsten 
Johann  Georg,  der  Gemahlin  des  Herzogs  Johannes  Friedrich 
in  Stettin,  der  Zauberei  schuldig  gemacht  zu  haben;  sie  sollte 
durch  einen  Verwandten,  den  Kammerjungen  Bartold  Flans, 
„vor  zehn  Jahren"  der  Herzogin  einen  Zaubertrank  beigebracht 
haben,    damit  sie  keine  Kinder  bekomme;2)   von   einem  ge- 
wissen Hans  Meurer    (dessen  Mutter  und  Schwester    früher 
wegen  Zauberei  verbrannt  waren)  sei  der  Dobbersitz  Glocken- 
fett verschafft,  das  sie  ihrem  Manne,  wenn  er  zu  Hofe  fuhr, 
an  den  Wagen  geschmiert  habe,  um  ihm  des  Herzogs  Gunst 
zu  erhalten.    Auf  der  Folter  bekannte  dann  Meurer,  von  der 
Dobbersitz   zum   Ehebruch    verfuhrt   zu    sein.     Richter    und 
Schoppen  zu  Stettin  verurtheilten  die  Beschuldigte,  nachdem 
sie  aus   dem  Brandenburgischen    dorthin  „ abgefordert"  war, 
auf  Grund  ihres  in  der  Folter  abgelegten  Geständnisses  zum 
Feuertod,  obwohl  der  Ehemann  Dobbersitz  eine  Defensions- 
schrift  mit  Sprüchen  aus  Brandenburg,  Magdeburg,  Leipzig, 
Wittenberg  und  Frankfurt  vorgelegt  hatte,  wonach  die  Frau 
von  Dobbersitz  auf  geleistete  Kaution  der  Haft  zu  entledigen 
sei,  weil  gegen  sie  kein  genügender  Verdacht  vorliege.    Dies 
und  die  Rücksicht,  in  einer  Sache,  bei  der  er  selbst  betheiligt 
war,  „nicht  zu  viel  oder  zu  wenig  zu  thunu,    bestimmte  den 
Herzog,    nicht    bloss  beim  Brandenburger  Kanzler   Christian 
Distelmeier    und    bei    Dr.  Koppen,    dem    gelehrten    Berliner 
Geheimen   Rathe,    welche    beide    sich    für    den  Vollzug  des 
Stettiner  Urtheils  aussprachen,  sondern  auch  bei  der  Fakultät 
in  Rostock  Belehrung  zu  suchen.   Die  Rostocker  sprachen,  dass 
der  Strafe  halber  noch  nicht  zu  erkennen,  vielmehr  der  An- 

l)  Die  diesen  Fall  behandelnden  Akten  des  Berliner  Geheimen  Rat h es 
s.  StA.  Rep.  49  N  und  die  Akten  des  Stettiner  Hofes  s.  Stettiner  StA.  P.  1 
Tit.  23  No.  67*.  Kriedborn,  Histor.  Beschr.  v.  Alten  Stettin  1613.  II  S.  138. 
Leuthinger,  de  Marchia  Hb.  24  §§  22  p.  871. 

9)  Soviel  scheint  aus  dem  „ungefähren  Verzeichniss44,  d.  h.  einem 
Rxcerpt  (35  226—229)  zu  erhellen,  das  der  SchÖppe  Bluhm  nach  seiner 
Erinnerung  aus  den  pommerschen  Akten  niedergeschrieben  hat. 


$  22.     Landesherr.  355 

geklagten    ihre  Defension  zu  verstatten   sei.     Mit  Rücksicht 
hierauf  versandte  der  Herzog  die  Akten   nach  Brandenburg 
und  erwirkte  vom  Kurfürsten  dorthin  den  Befehl,  „die  Sache 
umständlich  zu  erwägen  und  das  Bedenken  ungesäumt  durch 
ein    einhellig    Unheil    zu    eröffnen14.       Die     Brandenburger 
sprachen,    wie    die    Rostocker,    da    der    Frau    Bekenn tniss 
ein   auf  der  Folter  ungerechtfertigt   erzwungenes   sei.     Dem 
Kurfürsten   theilten   sie  zugleich  mit,  „dass  sie  vermöge  Eid 
und  Pflicht,  damit  sie  ihm  und  dem  Scheppenstuhl  verwandt, 
nicht    anders    hätten   sprechen    können".     Darauf   rieth    der 
Kurfürst  seinem  Schwiegersohn  auf  dessen  Anfrage,  er  möge 
den  Verwandten  der  Angeklagten   aus  den  Akten  vorhalten 
lassen,    dass  die  Angeklagte    nichts  tauge,    darnach  würden 
sie  als  ehrliebende  adlige  Leute  zur  Erhaltung  der  Geschlechts- 
ehre selbst  „bedacht  sein,  wie  sie  solch  Ungeziefer  aus  ihnen 
abschaffen" ;  dann  sei  ihnen  das  Stettinsche  Urtel  vorzulegen 
mit  der  Erklärung,  darüber  könne  der  Herzog,  weil  es  ihn  und 
seine  Gemahlin   selbst  betreffe,  nicht  so  leicht  hinweggehen, 
dasselbe  solle  vollzogen  werden;  nur  um  mehr  Sicherheit  pro 
informatione  privata  sei  noch  anderwärts  weitere  Sentenz  geholt. 
Hiernach  würde  die  Freundschaft  der  Dobbersitz  ohne  Zweifel 
Gnade  erflehen;  alsdann  könne  der  Herzog  etwa  aus  Gnaden 
die  Exekution  auf's  Schwert  oder  ewig  Gefangniss  richten.1) 
Gleichzeitig    befahl    der  Kurfürst    den    Brandenburgern,    sie 
sollten  zwei   aus   ihrer  Mitte  „mit  genügsamen  Bescheid  der 
Andern44  nach  Berlin  schicken  und  beim  Kanzler  sich  melden 
lassen,  da  die  Nothdurft  erfordere,  „etwas  mit  ihnen  zu  reden44. 
Dem  Herzog  schlug  dann  der  Kurfürst,  da  auch  er  nicht  sein 
Gewissen  beladen  wolle,  weiter  vor,  den  Stettiner  Schoppen 
das  Rostocker  und  das  Brandenburger  Urtheil   mitzutheilen; 
beharrten  sie,  wie  er  nicht  zweifele,  bei  ihrem  Spruche,  dass 
die  Dobbersitz  des  Feuertodes   schuldig,    so  sei  ihr  das  Ur- 
theil vorzuhalten  und  sie  zu  vernehmen;  bitte  sie  um  Gnade, 
so  könne  man  ein  gelinderes  supplicium  wählen,  revozire  sie, 
so  sei  ferner  Rechtsbelehrung  zu  brauchen.     Einige  Wochen 
darauf  fand  in  Berlin  vor  Distelmeier  und  Koppen,  den  Ur- 
hebern des  wenig   zu  ihrer  Ehre  gereichenden  Rathschlags, 

»)    StA.  R.  49  N. 

*3* 


856      5*  Buch.   Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brand enburg-Preussen. 

die  Vernehmung  der  Brandenburger  Schoppen  statt;1)  der 
Kanzler  fragte,  wie  sie  zu  dem  Urtheil  gekommen,  das  die 
Dobbersitz  fast  ganz  absolvire,  und  Koppen  sprach  sich  dahin 
aus,  er  hätte  aus  den  Akten  genügsame  indicia  ad  torturam 
gefunden.  Da  die  Akten  ein  weiteres,  das  frühere  etwa  ab- 
änderndes Urtheil  nicht  enthalten,  so  haben  sich  die  Branden- 
burger ungeachtet  ihrer  Zurechtweisung  anscheinend  nicht  ver- 
anlasst gefunden,  das  vom  Kurfürsten  und  vom  Pommernherzog- 
gewünschte  Urtheil  zu  fallen.  Dies  hinderte  nicht,  dass  in 
Stettin  zunächst  Meurer  enthauptet  wurde.  Am  Tage  der 
Hinrichtung  fand  eine  nochmalige  Vernehmung  der  Dobber- 
sitz vor  Schlosshauptmann,  Verwalter,  Kammersekretar  und 
neun  Schoppen  statt.  Eine  geringe  Variation  in  ihrem  Be- 
kenntniss  veranlasste  den  Herzog,  einen  weiteren  Spruch  von 
Richter  und  Schoppen  zu  Stettin  zu  erfordern;  sie  beliesser» 
es  beim  vorigen  Urtheil  und  verlangten  nicht  erneute  pein- 
liche Frage.  Da  die  Dobbersitz  aber  nachträglich  widerrief, 
erkannten  die  Stettiner  nochmals  auf  die  Folter;  sie  fand 
zum  zweiten  Male  statt;  laut  des  darüber  aufgenommenen 
Protokolles  wiederholte  das  unglückliche  Weib  selbstverständ- 
lich ihr  Bekenntniss  und  bat  „ihrem  adeligen  Stande  und 
ihren  Verwandten  zu  Ehren  um  Gnade".  Damit  war  der 
eine  der  beiden  Fälle  eingetreten,  von  dem  der  Kurfürst  ge- 
redet hatte,  es  war  jetzt  seinem  Vorschlag  nach  „ein  ge- 
linderes supplicium  zu  wählen";  der  Herzog  wählte  die  Ent- 
hauptung.2) Richter  und  Schoppen  sprachen  demgemäss  zu 
Recht,  dass  die  Dobbersitz  „auf  erklärte  Müdigkeit  des 
Herzogs  mit  dem  Schwert  vom  Leben  zum  Tode  zu  bestrafen 
und  der  Leichnam  zu  verbrennen  sei".  Der  Richter  theilte 
der  Dobbersitz  diese  „Begnadigung"  mit  und  ermahnte  sie, 
beim  Bekenntniss  zu  bleiben;  das  Protokoll  berichtet,  dass 
die  Dobbersitz  der  Ermahnung  Folge  leistete;  sie  erklärte, 
sie  wolle  bis  ans  Ende  bei  dem  Bekenntniss  beharren,  aber 


!)  Ueber  deren  Inhalt  macht  Bluhm  nachträglich  eine  Notiz  zu  den 
Schöppenstuhlsakten  (35  22$). 

*)  Vor  der  Abführung  dazu  machte  die  Dobbersitz  einen  Selbstmord- 
versuch, indem  sie  eine  Nadel  schluckte;  laut  der  Akten  wurde  ihr  diese 
aber  „aus  dem  Maule  gerissen'4. 


§  22.     Landesherr.  357 

« 

„ihren  Leib  und  ihre  Seele  wollte  sie  auf  dessen  Leib  und 
Seele  befehlen,  der  sie  hierzu  gebracht".  Am  nämlichen 
Tage  wurde  sie  auf  freiem  Markte  hingerichtet;  ihr  Körper 
nebst  dem  abgeschlagenen  Haupte  aber  wurde  vor  dem  Thore 
an  gewöhnlicher  Gerichtsstelle  verbrannt;  andern  Tages  er- 
hielt der  Kurfürst  darüber  Bericht  nach  Berlin.  Laut  der 
gegebenen  Antwort  sah  der  Kurfürst  „gern,  dass  der  Herzog 
dieser  beschwerlichen  Sache  also  abgekommen;  wenn  der 
Dobbersitz  Freundschaft  aller  ergangenen  Geschieht  aus  den 
Gezeugnissen  Bericht  bekomme",  würde  sie  sich  „zur  Billig- 
keit zufrieden  geben". 

Dass  man  es  hier  mit  einem  Todesurtheil  traurigster 
Art  zu  thun  hat,  kann  kaum  einem  Zweifel  unterliegen.  Um 
wie  viel  höher  als  die  auch  in  dieser  Sache  dem  Wahne 
ihrer  Zeit  verfallenen  Stettiner  Schoppen  und  Berliner  Hof- 
räthe  stehen  die  Brandenburger  Schoppen,  indem  sie  es  ab- 
lehnen, eine  Schuld  an  der  Angeklagten  zu  finden?  Der  Fall 
ereignete  sich  in  der  glanzvollsten  Periode  ihres  Schöppen- 
stuhls,  in  derjenigen  Periode,  in  der  er,  mit  der  Vollzahl  von 
zehn  Mitgliedern  besetzt,  eben  zu  einem  Colleg  umgebildet 
war,  das  aus  lauter  gelehrten  Juristen  bestand  und  fünf  Magistri 
unter  sich  zählte.  Die  römisch-rechtliche  Bildung  hatte  ihrem 
Rechtsgefuhl  keinen  Eintrag  gethan.  Bei  dem  ersten  von 
der  Familie  v.  Dobbersitz  erwirkten  Brandenburger  Spruche 
führte  der  Neustädter  Schöppensch  reiber  Floring  die  Feder, 
bei  dem  zweiten  Spruche  Bluhm,  letzterer  —  seit  1592  Schöppe 
und  Bürgermeister  der  Altstadt  —  war  es  auch,  der  ad  au- 
diendum  verbum  cancellarii  nach  Berlin  geladen  wurde;  wer 
ihn  als  zweiter  Schöppe  begleitete,  erhellt  nicht.1) 

Man  könnte  annehmen,  dass  sich  in  diesem  Falle,  in 
welchem  die  Brandenburger  vor  den  Kanzler  geladen  werden, 
oder  in  einem  anderen  Falle  (1629  73  118),  in  welchem  der 
Kanzler  die  im  Namen  des  Kurfürsten  abgefasste  Missive 
unterzeichnet,  der  Kurfürst  persönlich  mit  der  betreffenden 
Sache  nicht  befasst  habe,  und  dass  dasselbe  von  den  Fällen 
gelten  müsse,  in   denen  die  vom  Hoffiskal  oder  dem  Haus- 

1)  Es  fehlt  der  damaligen  Brandenburger  Sitte  gemäss  bei  beiden 
Sprüchen  jede  Unterschrift. 


358     5«  Buch.    Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg-Preiis^n. 

vogt  gezeichnete  Missive  die  Form  gebraucht1):  „Von  Gottes 
Gnaden  Georg  Wilhelm.  Ihr  wollt  ....  uns,  wie  wir  N.  X. 
von  Rechtswegen  zu  strafen  befugt,  in  Rechten  aussprechen 
und  unter  euerm  Siegel  um  die  Gebühr,  so  Zeiger  an  2 
Rthlr.  bei  sich  hat,  zu  vernehmen  geben.*2)  Aber  noch  im 
Jahre  1638  begründet  der  Hoffiskal  (76  554)  in  einem  Falle, 
in  welchem  ein  Spion  für  die  Schweden  von  Stettin  nach 
Prenzlau  gegangen  sein  soll,  seine  Missive  mit  der  ausdrück* 
liehen  Bemerkung,  es  sei  des  Kurfürsten  Wille  und  Meinung, 
hierüber  ein  rechtliches  lnformaturtheil  einholen  zu  lassen. 
Und  dass  der  Kurfürst  in  dem  Stettiner  Prozesse  persönlich 
eingegriffen  hatte,  liegt  nahe;  er  hatte  ein  „ einhellig1*  Urtheil 
der  Brandenburger  verlangt  und  wahrscheinlich  auch  ein 
solches  erhalten;  ihm  zu  entsprechen,  konnte  sich  der  Herzog 
nicht  entschliessen,  er  umging  es  vielmehr  mit  Hülfe  der 
Berliner  Räthe;  es  in  Brandenburg  selbst  abändern  zu  lassen, 
misslang  diesen. 

Die  Sprüche  der  Brandenburger  werden  in  allen  den 
genannten  Fällen  an  den  Kurfürsten  selbst  gerichtet. 

Es  kommt  auch  vor  (1607:  55  495),  dass  gegen  einen 
Brandenburger  Spruch  beim  Kurfürsten  Beschwerde  einge- 
legt wird,  und  dass  daraufhin  der  Kurfürst  die  Akten  nach 
Leipzig  versendet.  Den  abweichenden  Leipziger  Spruch  lässt 
dann  der  Kurfürst  den  Brandenburgern  zum  Bericht  zugehen, 
„weshalb  das  Leipziger  Urtheil  dem  Brandenburger  durchaus 
zuwider  sei";  in  einem  13  Blätter  füllenden  Bericht,  den  der 
altstädter  Schöppenschreiber  verfasst  und  ein  Neustädter 
Schöppe   mit  Zusätzen   versehen  hat,   rechtfertigen   sich  die 

>)    1621  (68  307.  318.  351). 

2)  Anfragen  des  Hoffiskals:  1572,  1573:  12  515.  601;  13  329  (Mag. 
Johann  Moller),  1581,  1583;  21  628;  26  126  (Joh.  Westphalen,  1575  Schöppe 
in  Prenzlau,  nicht  in  Frankfurt  immatr.),  1608,  1623:  56  578;  71  186  (Mag. 
E.  Viritz).  Der  Hausvogt  fragt  Namens  des  Kurfürsten  an:  1578:  20  127 
(Mag.  Neilingk),  1623  bis  1638  (71  186;  74  233.  398.  499.  411;  75  111 ;  76  502 
(Hans  Ritter)  aus  eigener  Machtvollkommenheit:  1633  (ÜB.  2  671),  1638 
(ÜB.  2  692),  1641  (ÜB.  2  702).  Hausvogt  und  Hoffiskal  fragen  auf  Befehl 
des  Kurfürsten  an  1620  (67  754),  1626  (ÜB.  2  647),  1629  (73  224),  1638 
(76  502),  auf  Befehl  des  Kanzlers  1634  (75  687),  aus  eigener  Machtvoll- 
kommenheit:   1572  (13  275),    1638  (76  404.  504),    1640  (77  74.  75). 


§  22.     Landesherr.  359 

Brandenburger  und  heben  dabei  hervor,  dass  ihr  Urtheil  von 
dem  Kammergericht  „approbirt  und  publizirt  seiV;  das 
Kammergericht  hatte  also  in  Brandenburg  Belehrung  gesucht. 
In  ähnlicher  Weise  tritt  (1600:  46  288)  der  Schöppenstuhl 
dem  Wunsche  des  Kurfürsten  entgegen,  dass  in  einem  Ur- 
theil, welches  einen  Wilddieb  „inhalts  des  kurfürstlichen 
hiebevor  publizirten  Edikts"  (d.  h.  des  Edikts  von  1574  wider 
die  Wilddiebe,  dass  sie  mit  dem  Galgen  zu  bestrafen) ])  zum 
Strang  verurtheilt,  der  Darstellung  des  Thatbestandes  noch 
Einzelnes  nachgetragen  und  nicht  allein  auf  das  Edikt  Bezug 
genommen  werde;  die  Brandenburger  erwidern,  sie  könnten, 
auch  nachdem  die  Sache  nochmals  collegialiter  verlesen,  das 
Urtheil  „nicht  hinterziehen  (=  zurückziehen)  und  nicht  ändern". 

Wenn  aber  eine  Beschwerde  gegen  einen  Spruch  des 
Schöppenstuhls  an  den  Landesherrn  als  obersten  Gerichts- 
herrn Veranlassung  geben  konnte,  dass  der  Landesherr  die 
Akten  verschickte,  so  lag  es  nahe,  ein  gleiches  Verfahren 
einzuhalten  bei  Appellationen  gegen  Urtheile  des  Kammer- 
gerichts. 

Als  1703  für  die  im  Deutschen  Reiche  gelegenen  neuen 
Provinzen  Preussens  ein  Oberappellationsgericht  in  Berlin  ein- 
gerichtet wurde,2)  trat  dies  Gericht  nur  zu  den  Landesregie- 
rungen und  Landestribunalen  des  neuen  Königreichs  Preussen 
in  das  Verhältniss  der  höheren  Instanz;  das  Kammergericht 
wurde  dem  Oberappellationsgericht  nicht  untergeordnet.3) 
Auch  noch  17 16  erklärte  man  eine  solche  Unterordnung  für 
bedenklich,  „indem  dadurch  die  Vorrechte,  so  S.  Maj.  beim 
Kammergericht  haben,  geschwächt  würden".  Dies  bedeutete, 
dass  man  die  Berufung  von  Urtheilen  des  Kammergerichts  an 
den  König  —  wie  weiland  an  den  Kurfürsten  —  erhalten  wissen 
wollte.4)    Auch  ein  Menschenalter   später    bestand   noch  ein 

')  Mylius  C.  C.  M.  II,  3  Sp.  3.  LB.  4  133  ff. 

a)  Stölzel,  Rechtsverw.  2,  3  ff.  *)  Ebenda  S.  70. 

*)  Wie  wenig  der  Brandenburger  Schöppenstuhl  selbst  das  Verhältniss 
des  Oberapp.Gerichts  zum  Kammergericht  kannte,  ergiebt  eine  Notiz  des 
Seniors  Heins  in  einer  kammergerichtlichen  Sache  (83  668),  wonach  das 
„Oberapp. Gericht11  noch  gewisse  Gebühren  aus  der  Zeit  vor  dem  24.  Okt.  1723 
schulden  soll,  als  wäre  es  die  dem  Kammergericht  übergeordnete  Instanz; 
dies  war  nur  der  König  selbst. 


360      5-  Buch.   Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg-Preussen. 

Recht  des  Königs,  jede  ihm  geeignet  scheinende,  bei  Gericht 
anhängige  Sache  „nach  Hofe  zu  avozirenu.     Dann   entschied 
formell  der  König   persönlich,    materiell    leiteten    die  Justiz- 
minister  den    Prozess,    denen    dann    wiederum    der  Ausweg 
blieb,  nach  Brandenburg  oder  sonstwohin  die  Akten  zu  ver- 
senden.    So  wandten  sich  1745  (96  300)    „auf  Sr.  Kgl.  Maj. 
Spezialbefehl"    die  vier  Minister  Cocceji,    Happe  (Präsident 
des    Generaldirektoriums),    Marschall    und   Arnim    in    einem 
zwischen  dem  Fürsten  Salm,  dem  General  v.  Sonsfeld  und  dem 
Staate  erwachsenen  Streit,   der  seit  1717  bei  der  Regierung 
in  Kleve,  der  Fakultät  in  Halle  und  dem  Oberappellations- 
gericht in  Berlin  wegen  Jagdgerechtigkeit  geschwebt  hatte, 
an  die  Brandenburger,  nachdem  die  Sache  vom  Hofe  avozirt 
und  dorthin  eingesandt  war. 

Schliesslich  mag  nicht  unerwähnt  bleiben,  dass  die 
Brandenburger  bei  vorkommender  Meinungsverschiedenheit 
über  die  Interpretation  von  Landesgesetzen  zu  dem  Aushülfs- 
mittel  griffen,  beim  Kurfürsten  als  dem  besten  Interpreten  seines 
eigenen  Willens  um  Belehrung  nachzusuchen.  So  setzt  sich 
1579  einer  der  Schoppen  mit  dem  Kanzler  Distelmeier  oder 
mit  Dr.  Koppen  in  Verbindung,  um  eine  resolutio  ex  aula 
electoris  zu  erlangen  über  eine  Stelle  der  Joachimica,1)  oder 
es  wird  im  Anfange  des  siebzehnten  Jahrhunderts  einmal  die 
Anfrage  an  den  Hof  beschlossen,  was  nach  dem  Jagdedikt 
unter  Schwarzwild  zu  verstehen  sei.  Damit  kehrt  sich  für 
diese  Fälle  das  Verhältniss  zwischen  Oberhof  und  Landes- 
herrn geradezu  um. 

§23. 
Kammergericht  und  Geheimer  Justizrath. 

Die  eigenthümliche  Stellung,  die  einerseits  Schöppenstuhl 
und  Kammergericht  zum  Landesherrn,  andererseits  Kammer- 
gericht und  Schöppenstuhl  zu  einander  einnahmen,  musste  zu 
mannigfacher  Konkurrenz  zwischen  Schöppenstuhl  und  Kam- 
mergericht führen;  streng  abgegrenzt  war  ihre  Zuständigkeit 
gegen  einander  nicht. 

Nach    dem    Entwürfe    der  Kammergerichtsordnung  von 

')  Decis.  march.  II.  133.  89  fr.  ÜB.  4  7.  8.  31. 


§  23-     Kammergericht  und  Gebeimer  Justi/raih.  361 

1516  und  nach  der  Kammergerichtsreformation  von  1540 
sollte  das  Kammergericht  nur  in  Civilsachen  thätig  sein,1) 
und  es  sollten  beim  Kammergericht  in  erster  Instanz  die 
keinem  sonstigen  landesherrlichen  oder  keinem  städtischen, 
gutsherrlichen  oder  geistlichen  Gerichte  Unterworfenen  Recht 
nehmen;  daneben  war  den  diesen  Gerichten  Unterworfenen 
die  Appellation  an  das  Kammergericht  gestattet,  wie  ja  auch 
die  Joachimica  die  Appellation  dahin  von  den  Sprüchen  des 
Brandenburger  Schöppenstuhls  gestattet.2)  Eine  wesentliche 
Aufgabe  der  besonders  hierzu  vom  Kurfürsten  verordneten 
Räthe  (also  nicht  des  Kammergerichts  als  solchen,  sondern 
der  Kommissarien,  die  aus  den  Räthen  gewählt  wurden) 
bestand  aber  darin,  vor  Einleitung  eines  gerichtlichen  Pro- 
zesses mit  den  Parteien  Vergleichsversuche  vorzunehmen  und 
sie,  wo  möglich,  auf  Grund  derselben  der  Art  zu  „verab- 
schieden", dass  der  gerichtliche  Prozess  vermieden  wurde. 
„Alle  Parteyen  und  Sachen,  so  vor  unser m  Kammergericht, 
auch  hier  vor  unserm  Hofgerichte  ohne  Mittel  (=  unmittel- 
bar) unterworfen,  die  sich  selbst  nicht  haben  vertragen 
können,  sollen  erstlich  zur  gütlichen  Handlung  für  uns  oder 
unsern  dazu  verordneten  Räthen  in  Schriften  bescheiden  sein" 
—  so  verlangte  es  die  Reformation  von  1540.  Es  scheint, 
dass  diese  Ertheilung  von  „Bescheiden"  oder  „Abscheiden*4 
in  weit  ausgedehnterem  Maasse  stattgefunden  hat  als  nur 
zwischen  Parteien,  die  dem  Kammergericht  unmittelbar  unter- 
worfen waren.  Die  in  zahlreichen  Bänden  erhaltenen  Pro- 
tokollbücher des  Kammergerichts,  welche  vom  Jahre  1540 
bis  in  das  neunzehnte  Jahrhundert  hinein  die  Aufzeichnungen 
über  die  abgehaltenen  Vergleichstermine  enthalten,  legen 
davon  Zeugniss    ab.3)     Es    war    zweifellos    eine  der  Haupt- 

l)  Vgl.  hierzu  Holtze,  Gesch.  des  Kammergerichts  1,  184,  204.  Stölzel, 
Rechtsverwaltung  1,  136  fr.,  170  ff. 

8)  Siehe  oben  Seite  299. 

s)  Derartige  Einträge  lauten  z.  B.  im  Bd.  von  1565  fol.  685:  „Mitwoch 
nach  Dionysii  seindt  Fruw  T hurieis,  Brose  Besikows  Wittwe  zu  Dalum, 
eins  und  Otto  Brietzke  zu  B.  andernteils  bescheiden.  Seindt  auch  Joachim 
Gloge  zu  Bernau  eins,  Leonhart  Sehet  und  Peter  Voigt  daselbst  anderstheils 
bescheiden.*4  Vielfach  ist  der  Inhalt  des  Abschieds  ausführlich  mitgethellt. 
Auch  enthalten   die  Bücher  zahlreiche   abschriftlich  überreichte  Urkunden 


3()2      5*  Buch.    Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg-Preussen. 

thätigkeiten  der  Räthe  des  Kammergerichts,  auf  diesem 
Wege  Prozessen  vorzubeugen  und  damit  dem  Kammergerichte 
eigentliche  Rechtsprüche  zu  ersparen. 

Wie  gering  die  rechtsprechende  Thätigkeit  im  Gegen- 
satz zur  gütlichen  Verhandlung  und  Bescheidung  bei  den 
Kammergerichten  und  Regierungen  war,  lässt  die  Neumär- 
kische  Kammer-  und  Hofgerichtsordnung  von  1561  deutlich 
erkennen,  indem  sie  es  für  ausreichend  erachtet,  wenn  die 
Hofgerichtsräthe  ein  oder  zwei  Mal  im  Jahre  über  alle 
zum  Urtheil  beschlossenen  Akten  Recht  sprechen.  Dadurch 
musste  sich  der  Einfluss  der  Kammergerichte  und  der  ihnen 
gleichgestellten  Regierungen  auf  die  Gestaltung  und  nament- 
lich die  allmähliche  Umgestaltung  des  Rechtes  mindern ;  hier 
wirkten  intensiver  die  Rechtsbelehrungsinstanzen  der  Schöp- 
penstühle  und  der  Fakultäten,  damit  also  besonders  der 
Brandenburger  Schöppenstuhl.  Ein  naturgemässes  Gefühl 
sagte  indess  den  Brandenburgern,  von  deren  Sprüchen  ja 
die  Joachimica  die  Berufung  an  das  Kammergericht  gestattet 
hatte,  dass  es  nicht  ihres  Amtes  sei,  in  Sachen,  die  etwa 
beim  Kammergericht  schwebten,  einzugreifen  oder  mit  kam- 
mergerichtlichen Sprüchen  sich  in  Widerstreit  zu  setzen. 
Dies  Gefühl  kam  z.  B.  in  Fällen  der  Jahre  1558  und  1560 
zum  Ausdruck.  In  einem  1558  (7  232)  vor  dem  Kammer- 
gericht schwebenden  Erbstreit  schlössen  die  Parteien  vor 
Bürgermeister,  Rathsfreunden  und  Richter  zu  Rathenow  einen 
Vertrag,  von  dem .  sie  anscheinend  dem  Kammergericht  keine 

(Verträge,  Testamente,  Lehnbriefe  etc.).  Noch  im  19.  Jahrhundert  giebt 
es  solche  „Bescheid-4*  oder  „Abscheid-Bücher",  wie  ihre  Aufschrift  besagi; 
seit  1630  gehen  jährlich  2  neben  einander  her,  jedes  von  einem  der  beiden 
Protonotare  (vgl.  KGO.  v.  1562  bei  Mylius  II,  1  Sp.  33,  55)  geführt.  Von 
1720  an  beginnen  Protokolle  des  Geh.  Justizraths  mit  den  vor  diesem 
Gerichte  geführten  vollständigen  Prozessen;  von  1750  an  ex i stiren  neben 
den  Abscheidebüchern  „Sentenzen"- Bücher  (mit  den  im  Namen  des  Königs 
gesprochenen  Appellationserkenntnissen  in  vollständiger  Abschrift).  —  Die 
kammergerichtlichen  Prozessakten  älterer  Zeit  (die  wahrscheinlich,  wie 
anderwärts,  in  zusammengefalteten  und  zusammengeschnürten  Konvoluten 
aufbewahrt  wurden)  mögen  vernichtet  sein.  Holtzes  Gesch.  des  Kammerger. 
lässt  das  für  eine  Geschichte  des  Kammergerichts  vorhandene  archivalische 
Material  unerortert. 


§  23.     Kammergericht  und  Geheimer  Justizrath.  363 

Nachricht  gaben;  einer  der  Beklagten  meinte,  der  Vertrag 
gelte  „unangesehen,  was  im  Kammergericht  gesprochen/4 
und  fragte  bei  den  Brandenburgern,  zu  denen  er  „ein  sonder- 
lich Vertrauen"  hatte,  unter  Uebersendung  der  Kammerge- 
richtsakten um  Belehrung  an;  die  Brandenburger  lehnen 
nicht  etwa  die  Belehrung  ab,  weil  das  Kammergericht  ent- 
schieden habe,  sondern  sie  „sprechen  vor  Recht,  dass  billig 
bei  Kräften  bleibe,  was  die  hochachtbaren  Kammergerichts- 
räthe  gesprochen". 

Auf  ähnliche  Art  erledigen  die  Brandenburger  1560  (8 
269)  einen  Prozess,  in  welchem  eine  Berlinerin  mit  ihrer 
wegen  angeblich  grundloser  gefänglicher  Einziehung  erhobenen 
Entschädigungsklage  von  den  verordneten  Kommissarien  des 
Kammergerichts  auf  Grund  eines  1559  abgeschlossenen  Ver- 
gleichs abgewiesen  ist:  nachdem  die  Klägerin  hiergegen 
Belehrung  in  Brandenburg  gesucht  hat,  „sprechen  die 
Schoppen  für  Recht,  .  .  .  dass  der  Klägerin  ihre  Klage 
wider  Beklagten  anzustellen  nicht  gebührt". 

Als  anlässlich  der  Tödtung  des  Hans  Seger  in  Nauen 
1567  (11  25)  ein  Verfahren  beim  Kammergericht  schwebte, 
das  bezweckte,  eine  Aussöhnung  zwischen  der  Witwe  des 
Getödteten  und  den  Todtschlägern  herbeizuführen,  erwirkten 
die  Todtschläger  in  Brandenburg  einen  Spruch,  dass  sie  zur 
Sühne  zuzulassen  seien,  sie  verweigerten  aber,  der  Witwe 
den  ergangenen  Spruch  kundzugeben.  Die  Witwe  sup- 
plizirte  beim  Kurfürsten,  er  möge  die  Brandenburger  zur  Mit- 
theilung anhalten,  da  sie  zu  dem  beim  Kammergericht  ange- 
setzten Termin  des  Spruches  bedürfe;  demgemäss  befahl 
der  Kurfürst  den  Brandenburgern  die  Einsendung  ihres 
Spruchs  an  das  Kammergericht. 

Aus  dem  Bestreben,  mit  dem  Kammergericht  nicht  in 
Zwiespalt  zu  gerathen,  erklärt  es  sich  wohl  auch,  wenn  der 
Schöppenstuhl  1579  (2193)  der  Schustergilde  zu  Pritzwalk 
abschlägt,  ihr  Abschrift  einer  früher  ertheilten  Belehrung  zu- 
gehen zu  lassen,  die  für  eine  beim  Kammergericht  schwebende 
ähnliche  Sache  von  Bedeutung  sei;  die  Antwort  geht  dahin:  „das 
zu  thun,  was  gebeten,  sei  im  Schöppenstuhl  nicht  bräuchlich" 
(ÜB.  4  167).     Mit    aller  Bestimmtheit    aber  kommt  eine  be- 


364      5-  Ruch.   Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brand enburg-Preussen. 

sondere  Rücksichtnahme  auf  das  Kammergericht  zum  Aus- 
druck, wenn  die  Garz-Rotersche  Spruchsammlung  (ÜB.  4  103) 
berichtet,  im  Jahre  1584  hätten  die  Brandenburger  Schoppen, 
vom  Kurfürsten  über  die  gegen  einen  Abschied  der  Kammer- 
gerichtsräthe  eingebrachte  Supplikation  befragt,  zwar  ge- 
funden, dass  „übel  von  den  Kammergerichtsräthen  verab- 
schiedet" sei,  hätten  jedoch  „sich  Bedenken  gemacht1*,  solches 
auszusprechen,  und  sie  hätten  deshalb  des  Abschiedes  in  ihrem 
Spruche  nicht  gedacht. 

Aber  das  hielt  doch  die  Brandenburger  nicht  ab  (1582: 
30  34 1),1)  insofern  in  einen  kammergerichtlichen  Prozess  sich 
einzumischen,  als  sie  eine  bei  ihnen  anfragende  Partei  be- 
lehrten, dass  sie  mit  Pfändung  ihres  Gegners  vorgehen  könne, 
obwohl  ein  kurfürstlicher  Befehl  dem  Kammergericht  aufge- 
geben hatte,  das  Verfahren  einstweilen  beruhen  zu  lassen. 

Auch  nach  der  Richtung  hin  entwickelte  sich  eine  Kon- 
kurrenz zwischen  Kammergericht  und  Schöppenstuhl,  dass 
mehrfach  die  Brandenburger  in  Sachen,  die  beim  Kammer- 
gericht  schwebten,  zur  Beihülfe  herangezogen  wurden,  sei  es 
vom  Kurfürsten,  sei  es  vom  Kammergericht  selbst,  sei  es 
von  den  Parteien. 

Wenn  es  üblich  war,  dass  der  Kurfürst  sich  seine  Recht- 
sprechung dadurch  erleichterte,  dass  er  in  Brandenburg  Be- 
lehrung einholte,  so  folgten  seine  Räthe  diesem  Beispiele, 
nachdem  sich  ein  Theil  derselben  als  „Kammergericht'1  tn 
einem  Gerichte  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  ausge- 
bildet hatte  und  ohne  des  Landesherrn  persönliche  Mitwir- 
kung Urtheile  fällte. 

Zunächst  verwies  das  Kammergericht  1572  (13  60)  einen 
Fall,  in  welchem  ein  Knabe  einem  anderen  im  Streit  mit  der 
Scheere  eines  gekochten  Krebses  ein  Auge  ausgestossen 
hatte,  den  bei  ihm  anfragenden  Rath  zu  Bernau,  vor  dem 
der  Vater  des  Verletzten  Klage  erhoben  hatte,  an  die  Bran- 
denburger Schoppen  zum  Spruche,  „weil  es  ein  casus 
fortuitus". 

Sodann  gab  ein  Rangstreit  unter  Gläubigern,  die  vor 
dem  Rathe    in  Kyritz  im  Jahre  1584  (39  132  fr.)   verhandelt 

*)  Siehe  oben  Seite  352. 


§  23.     Kammergericht  und  Geheimer  Justizrath.  365 

hatten,  und  deren  einer  beim  Kammergericht  1584  Beschwerde 
führte,  Anlass,  dass  die  Kammergerichtsräthe  „zu  Bescheid 
gaben,  der  Rath  solle  die  Gläubiger  liquidiren  und  deduziren 
und  dann  die  Akten  nach  Brandenburg  -verschicken  lassen. u 
Obgleich  durch  die  Joachimica  feststand,  dass  der  Schöp- 
penstuhl  dem  Kammergericht  als  seiner  höheren  Instanz 
untergeordnet  war,  so  hinderte  das  die  Brandenburger  1540 
(3  182)  nicht,  in  einem  beim  Kammergericht  gegen  „Bürger- 
meister, Radtmanne  und  gemeine  Knochenhaueru  (d.  h.  die 
Fleischergilde)  anhängigen  Prozess  auf  Anfrage  der  Beklagten 
Rechtsbelehrung  darüber  zu  ertheilen,  wie  es  in  Brandenburg 
mit  Aufnahme  eines  Schinders  in  die  Gilde  gehalten  werde, 
es  hinderte  auch  die  Brandenburger  1607  (54  l7^)  nicht*  au^ 
Anfrage  einer  Partei  zu  sprechen,  was  sie  in  dem  vor  den 
Kammergerichtsräthen  vom  Kurfürsten  anberaumten  Termine 
zu  fordern  berechtigt  sei.  Solche  kammergerichtlichen  Ter- 
mine waren  meist  Termine  zur  gütlichen  Verhandlung,  die 
—  ohne  vorgängige  Prozessschriften  und  ohne  prozessuale 
Formen  —  mit  einem  „Abschiede**  der  Kammergerichtsräthe 
endeten,  vorbehaltlich  etwaiger  weiterer  Beschwerde  der 
Partei  oder  vorbehaltlich  der  Einleitung  eines  Prozessver- 
fahrens. Es  stand  jedem  Interessenten  frei,  sich  an  das 
Kammergericht  zu  wenden,  um  einen  solchen  Abschied  zu 
erzielen.  So  konnte  auch  ein  Verfahren  vor  dem  Kammer- 
gericht und  daneben  ein  erstinstanzliches  Verfahren  schweben, 
in  welchem  Belehrung  in  Brandenburg  geholt  wurde.  Wäh- 
rend Richter  und  Schoppen  der  ersten  Instanz  Belehrungs- 
urtheile  in  Brandenburg  auswirken,  erlangt  der  Beklagte 
eine  Verhandlung  vor  den  Kammergerichtsräthen,  die  mit 
dem  „Abschied44  schliesst,  die  Sache  werde  vor  Richter  und 
Schoppen  zum  ordentlichen  Prozess  remittirt;  nunmehr  reicht 
der  Kläger  seine  ordentliche  Klage  ein,  und  der  Beklagte 
antwortet;  dann  suchen  Richter  und  Schoppen  wieder  in 
Brandenburg  um  Belehrung  nach  (1609:  57  19).  So  kommt 
der  Schöppenstuhl  dazu,  zweimal  in  derselben  Sache  zu 
sprechen.  Das  wäre  auch  möglich,  wenn  das  Gericht  erster 
Instanz  Belehrung  in  Brandenburg  erhalten  hätte,  gegen  das 
vom  erstinstanzlichen  Gericht  eröffnete  Belehrungsurtheil  aber 


366      5*  Buch.   Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg-Preußen 

appellirt  und  in  der  Appellationsinstanz  wieder  in  Branden- 
burg Belehrung  gesucht  wäre.  Bei  solcher  Sachlage  eröffnet 
der  Schöppenstuhl  1616  (656)  einer  Regierung:  „es  ist  in 
diesem  collegio  nicht  hergebracht,  wann  ein  in  priori  instantia 
gefälltes  Urtheil  per  viam  appellationis  impugriirt,  ...  uns 
in  secunda  instantia  des  Judicirens  anzumassen,  will  sich  auch 
nicht  ziemen";  dabei  berufen  sich  die  Brandenburger  auf  die 
Uebung  der  Kammergerichtsräthe,  die  „in  solchen  Fällen 
auch  die  Akten  ad  alium  judicem  transmittiren". 

Erfährt  man  in  Brandenburg,  dass  eine   Sache  vor  dem 
Kammergericht  schwebt,  so  enthalten  sich  ebenfalls  die  Bran- 
denburger, in  dem  nämlichen  Prozesse  zu  entscheiden.    Dem 
entspricht  es,  dass  sie  16 19  (66  192)  den  Grobschmieden  zu 
Zehdenick  die  Belehrung  ertheilen:  da  ihr  Prozess  wegen  Aus- 
stossung  eines  Gildebruders  bereits  vor  die  Kammergerichts- 
räthe gediehen,  sei  abzuwarten,  was  dort  verabschiedet  werde. 
Auch  in  einer  Sache,  die  eine  dem  Rath  zu  Nauen  zugefügte 
Beleidigung  betrifft,  lehnen  1651  (79  298)  die  Brandenburger 
ab,  zu  entscheiden,   „weil  in  Folge  der  Belehrung,  dass  der 
Rath,   um  nicht    Richter  in  eigener  Sache  zu  sein,   den  Be- 
leidiger   vor    dem    Kammergericht    zu    belangen    habe,   die 
Sache    vor    den    Kurf.    Geheimen  Räthen  anhängig   sei  und 
allda  ausgeführt  werden  müsse.u     Gleichwohl  fühlen  (1619: 
66  455)    die  Brandenburger  ihren  Einfluss  auf  die  Kammer- 
gerichtsräthe,   wenn    es  sich  um  Feststellung  eines  gerichts- 
gebräuchlichen Rechtssatzes  handelt:  als  die  Frage  zu  beant- 
worten ist,  wie  die  Früchte  zwischen  Land-  und  Lehnerben 
zu  theilen  seien,  macht  der  Schöppe  Floring  auf  einen  Wandel 
der   vor    zwanzig  Jahren    gegensätzlich    zu    der    neuerdings 
vom    Schöppenstuhl    innegehaltenen  Judikatur   und   auf  die 
Nothwendigkeit   einer  Einigung  in  diesem  Punkte  aufmerk- 
sam, „weil  die  Herren  Räthe  (nämlich  des  Kammergerichts) 
sich  danach  achten". 

Seit  dem  Jahre  1632  sollten  „auch  die  Kriminalsachen 
unter  des  Kammergerichts  Direktion  erörtert44,  d.  h.  den  Ge- 
heimen Räthen  des  Kurfürsten  abgenommen  werden.1)  Den 
Arbeitszuwachs  erleichtert  sich  dann  das  Kammergericht,  in- 

*)  Stölzel,  Rechtsverw.   i,  337. 


§  23.     Kammerg-ericht  und  (ieheimer  Justizrath.  3()7 

dem  es  von  der  Akten  Versendung  Gebrauch  macht.  So  er- 
klärt sich  (1648:  78  22),  dass  „nach  Disposition  der  verord- 
neten Vizekanzler  und  Kammergerich tsräthe"  der  Hoffiskal 
aus  einer  Zeugenaussage  gewisse  Artikel  detrahiren,  dem 
Gegentheil  zuschicken,  die  Zeugen  in  Gegenwart  eines  Notars 
vernehmen  und  die  Sache  dann  (inscia  parte,  an  welchen 
Ort)  verschicken  soll.  Sie  gelangt  an  die  Brandenburger, 
und  von  ihnen  wird  das  Urtheil  gesprochen. 

Dies  Alles  waren  nur  Vorläufer  der  erheblich  regeren 
Beziehungen,  in  welche  das  Kammergericht  seit  dem  Edikt 
vom  17.  Februar  1723  (s.  oben  S.  312)  zu  dem  Schöppenstuhl 
trat.  Die  Eingangsworte  des  Edikts  ergeben,  dass  man  damals 
als  Anlass  zur  Einfuhrung  der  Aktenversendung  offen  den 
Verdacht  der  Parteilichkeit  der  Richter  bezeichnete,  denn 
die  Erfahrung  lehre,  wie  die  Versendung  von  ränkesüchtigen 
Parteien  zur  Verschleifung  und  Vertheuerung  der  Prozesse 
missbraucht  werde  und  bei  auswärtigen  Sprüchen  die  Gefahr 
ungerechter  Behandlung  der  Landesgesetze  und  Landesge- 
wohnheiten mit  sich  führe.  Seinen  Zweck  erreichte  das 
Edikt  aber  nur  in  geringem  Maasse,  da  es  nach  wie  vor 
die  Versendung  in  höherer  Instanz  zuliess. 

Die  Appellation  von  Entscheidungen  der  Kammergerichts- 
räthe  an  den  König  war  allmählich  zur  Appellation  von 
einem  Senate  des  Kammergerichts  an  den  andern  geworden, 
wie  noch  heute  die  Sache  bei  dem  mit  dem  Kammergerichte 
verbundenen  Geheimen  Justizrath  liegt. l)  Deshalb  redet  das 
Edikt  von  1723  auch  von  „Kollegien,  welche  mehr  als  eine 
Instanz  haben,  und  wo  denen  Ordnungen  nach  Akta  trans- 
mittirt  werden  können";  ihnen  soll  die  Verschickung  nach 
wie  vor  gestattet  sein. 

Die  Urtheile,  die  von  diesen  Behörden  gesprochen 
wurden,  ergingen  stets  im  Namen  des  Königs,  und  zwar  nicht 
in  derjenigen  Form,  in  welcher  noch  heute  die  Gerichte  „im 
Namen  des  Königs"  sprechen,  sondern  so,  dass  der  König 
selbst  (mit  der  Eingangsformel:  Wir  von  Gottes  Gnaden 
N.  N.  Kurfürst  —  oder  König  —  etc.  erkennen  zu  Recht  etc.) 

*)  Jahrb.  der  Preuss.  Justizverf.  von  1900  S.  m. 


368      5-  Buch.   Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brande nburg-Preusscn. 

das  Urtheil  fallt,  es  aber  nicht  selbst  unterzeichnet,  sondern 
durch  den  Gerichtsvorsitzenden  unterzeichnen  lässt.    Auf  Ein- 
haltung dieser  Form  legte  der  Landesherr  noch  zu  der  Zeit 
Gewicht,  in  der  er  persönlich  sich  nicht  mehr  an  der  Recht- 
sprechung betheiligte.     Deshalb  ist  aus  der  Urtheilsform  nicht 
zu  ersehen, "  ob  man  ein  Urtheil  des  Landesherrn  oder  ein  Ur- 
theil des  Gerichts  vor  sich  hat.    Ebensowenig  ist  aber,  weno 
ein  solches  auf  den  Namen  des  Landesherrn  gestelltes  Urtheil 
„auf  gehabten  Rath  der  Rechtsverständigen",  d.  h.  nach  ein- 
geholter Rechtsbelehrung  ergeht,  oder  wenn  eine  im  Namen 
des  Landesherrn  an  die  Belehrungsinstanz  gerichtete  Anfrage 
vorliegt,  feststellbar,  ob  der  Landesherr  oder  ob  das  Gericht 
die  Belehrung  eingeholt  hat.     Nur  die  Zeit,  aus  der  das  Ur- 
theil oder  die  Anfrage  stammt,  kann  für  Beantwortung  dieser 
Frage  einen  Anhalt  geben.     Erachtete  man  1716  die  Unter- 
ordnung   des    Berliner    Kammergerichts    unter     ein    Ober- 
appellationsgericht den  Rechten  des  Königs   für    präjudizir- 
lich,1)  so  sollte  damit  dem  Könige  die  Möglichkeit  gewahrt 
bleiben,  in  Fällen  persönlich  zu  richten,  in  denen  er  sich 
dazu  veranlasst  sah,  nicht  etwa  hiess  es,  des  Königs  Interesse 
fordere,    dass  er  in  allen  Fällen,    in  denen  an  ihn    appellirt 
werde,  selbst   entscheide.     Im  Gegentheil,  die  im  Edikt  von 
1723  erwähnten    „Kollegien,    welche    mehr    als    eine  Instanz 
haben44,  waren  solche  grössere  Kollegien,  bei  denen  die  Ein- 
richtung bestand,  dass  von  den  Urtheilen  des  einen  Senates 
an  den  andern  Senat    appellirt    werden    konnte.     Dies  Aus- 
hülfsmittel  hatte  gerade   den  Zweck,  dem  Landesherrn  die 
persönliche  Entscheidung  in  oberster  Instanz  abzunehmen  und 
zugleich    ein    fehlendes  Oberappellationsgericht   zu  ersetzen. 
Wird  es  also  zu  der  Zeit,  als  das  Edikt  von  1723  die  Akten- 
versendung  den    erstinstanzlichen  Gerichten   untersagte  und 
damit   die    Belehrungsinstanzen   gewissermassen   zum  Range 
zweitinstanzlicher  Behörden  erhob,  in  solchen  Kammergerichts- 
sachen üblich,    Rechtsbelehrung  zu  suchen,    in  denen  gegen 
das  im  Namen  des  Königs  gesprochene  Kammergerichtsurtheil 
des  einen  Senats  beim  andern  Senat  Appellation  eingelegt  war, 
so  ist  die  unter  des  Kammergerichtspräsidenten  Unterschrift 

l)  Siehe  oben  Seite  359. 


§  23<     Kammergericht  und  Geheimer  Justi/rath.  369 

in  Brandenburg  erbetene  Rechtsbelehrung  nicht  eine  Anfrage 
des  Königs,  sondern  sie  ist  eine  Anfrage  des  Kammergerichts, 
die  schliesslich  zu  einem  Urtheile  führt,  das  der  zweite  Senat 
im  Namen  des  Königs  ausspricht.  Es  hat  sich  also  die  ursprüng- 
lich vom  Landesherrn  ausgehende  Einholung  der  Rechts- 
belehrung im  Laufe  der  Zeit  zu  einer  vom  Kammergericht 
erforderten  Belehrung  verwandelt.  Unter  Coccejis  Präsidium 
(1722  ff.)  wurde  eine  solche  Einholung  der  Belehrung  beim 
Brandenburger  Schöppenstuhl  besonders  beliebt  Sie  begann 
von  1723  an1)  und  erging  in  der  Form,  dass  der  König  unter 
Coccejis  Unterschrift  das  in  seinem  (des  Königs)  Namen  ge- 
sprochene, mit  der  an  den  König  gerichteten  Appellation  an- 
gegriffene kammergerichtliche  Urtheil  nebst  den  Akten  den 
Brandenburgern  zum  Spruch  übersandte.  Die  Brandenburger 
entwarfen  dann  einen  Spruch  des  Königs  „in  Appellations- 
sachen des  N.  N.  auf  eingeholten  Rath  der  Rechtsgelehrten" 
und  setzten  unter  das  so  formulirte  Urtheil  des  Königs  ihre 
Bescheinigung,  „dass  dies  Urtheil  den  Rechten  und  Akten 
gemäss  seiu.  Vorzugsweise  derjenige  Minister,  der  zwanzig 
Jahre  später  in  seinem  Justizreformplan  das  allgemeine  Ver» 
bot  der  Aktenversendung  eine  höchstnöthige  und  nützliche 
Verordnung  nannte,  hat  als  Präsident  des  Kammergerichts 
von  der  Aktenversendung  reichlichen  Gebrauch  gemacht. 
Auch  unter  seinen  Nachfolgern  im  Kammergerichtspräsidium, 
unter  v.  Görne  und  v.  Broich,  ist  nicht  anders  verfahren, 
so  dass  zwei  Dezennien  hindurch  der  Schöppenstuhl  zu 
Brandenburg  thatsächlich  über  Appellationen  entschied,  die 
gegen  kammergerichtliche  Urtheile  eingelegt  waren.2)  In  den 
benutzten  gedruckten  Formularen3)  ist  bemerkt,  dass  „in 
Kammergerichtssachenu  ein  Spruch  des  Schöppenstuhls  be- 
gehrt werde,  und  dass  dessen  Einsendung  an  den  Protonotar 
des  Kammergerichts  (nicht  etwa  an  den  König)  erfolgen  solle 
—  zum  deutlichen  Beweis,    dass  es  sich  nicht  um   eine  vom 


J)    Von  1725  bis  1746  wurden   77  Sachen    des   Kammergerichts  nach 
Brandenburg  versandt.     Als  Beispiel  vgl.  ÜB.  2  765  (1723). 

3)   Zahlreiche  Beispiele  in  den  Bänden  81  bis  93. 

Ä)  Beispiele  davon  1740  (91  381.  706),   1741  (9a  970.  615.  627.  470.  719. 
846),  1742  (93  79.  198.  320),  1745  (46  334),   n.  Juli  1746  (97  767.  828). 
S t öl* ei,  Entw.  <L  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  24 


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370      5«  Buch.    Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg-Preussen.  I 

König,  sondern  um  eine  vom  Kammergericht  erforderte  Be- 
lehrung handelt.  Den  gleichen  Weg  wie  die  Appellationen 
gehen  die  gegen  Kammergerichtsurtheile  eingelegten  remedia 
extraordinaria.1)  Die  Aktenversendung  in  Kammergerichts- 
sachen  war  deshalb  allmählich  so  an  der  Tagesordnung, 
dass  für  sie  1725  (107  77)  sogar  eine  allgemeine  königliche 
Anordnung  erging,  indem  „sämmtlichen  einheimischen  Universi- 
täten und  Schöppenstühlen,  insonderheit  dem  zu  Bran- 
denburg41, befohlen  wurde,  wenn  in  Kammergerichtss- 
achen Akten  dorthin  geschickt  würden,  solche  binnen 
höchstens  sechs  Wochen  abzufertigen,  widrigenfalls  der 
Referent  in  20  Rthlr.  Strafe  zu  nehmen  sei. 

Diese  kammergerichtliche  Aktenversendung  bleibt  auch 
nicht  auf  Sachen  beschränkt,  in  denen  Kammergerichtsurtheile 
mit  Rechtsmitteln  angefochten  werden,  sie  findet  vielmehr 
statt  bei  Sachen,  die  beim  Kammergericht  als  Appellations- 
instanz  oder  als  erste  Instanz  schweben.  So  versendet  1744 
(95  60 1)2)  das  Kammergericht  als  Berufungsinstanz  Akten 
nach  Brandenburg,  in  denen  ein  v.  Saldrischer  Pächter  zu 
Wilsnack,  der  einen  säumigen  Dienstpflichtigen  mit  dem 
Hirschfänger  verwundet  hat,  auf  Strafe  und  Schadensersatz 
belangt  und  in  erster  Instanz  verurtheilt  ist.  Und  als  die 
v.  Putlitz  1746  (97  246)  ihre  Unterthanen  zu  Gottberge  u.  a. 
wegen  aufzubringender  Inquisitionskosten  vor  dem  Stendaler 
Altmärkischen  Obergericht  verklagen,  gegen  dessen  Unheil 
an  das  Kammergericht  apellirt  wird,  transmittirt  das  Kammer- 
gericht  ebenfalls  nach  Brandenburg.  Sogar  nachdem  unterm 
1.  Juli  1746  das  Verbot  der  Aktenversendung  ergangen  ist,3) 
wird  noch  unterm  11.  Juli  1746  (97  828)  in  Kammergerichts- 
sachen ein  Brandenburger  Spruch  erbeten. 

Das  Verfahren  des  Kammergerichts  wiederholt  sich  beim 
Geheimen  Justizrath  und  den  bei  ihm  eingelegten  Rechts- 
mitteln. Der  Geheime  Justizrath  war  das  Gericht,  das  sich 
neben  dem  Kammergericht  und  dem  Oberappellationsgericht 

l)  Vgl.  als  Beispiel  1724,  83  23,  wo  vor  den  Brandenburgern  bereits 
die  Hallenser  und  Leipziger  gefragt  waren. 

*)  Im  Namen  des  Königs,  gezeichnet  v.  Broich. 
')  Siehe  oben  Seite  315. 


§  23.     Kammer gericht  und  Geheimer  Justizrath.  371 

für  gewisse  Sachen  aus  den  landesherrlichen  Geheimen 
Räthen,  ähnlich  wie  das  Kammergericht  entwickelt  hatte.1) 
In  all  diesen  Fällen  ersetzt  die  Versendung  nach  Bran- 
denburg den  Mangel  der  fehlenden  höheren  Instanz;  die 
Existenz  der  Schöppenstühle  und  der  Fakultäten  hebt  über 
diesen  Mangel  hinweg.  Naturgemäss  wäre  es  gewesen,  An- 
fragen nach  auswärtigen  Schöppenstühlen  oder  Universitäten 
abzuschneiden,  wie  dies  schon  in  alter  Zeit  versucht  wurde. 
Aber  die  Sitte,  über  die  Landesgrenze  hinaus  Rechtsbeleh- 
rung zu  holen,  erwies  sich  als  so  mächtig,  dass  das  Edikt  von 
1723  sich  nicht  getraute,  weiter  zu  gehen,  als  die  inländi- 
schen Fakultäten  und  Schöppenstühle  zu  empfehlen; 
auf  sie  solle  „vornehmlich"  bei  Verschickungen  Rücksicht 
genommen  werden,  weil  sie  die*  „aus  unsern  Landen  kommenden 
Akten  mit  sonderbarem  Fleisse  erwägen,"  und  weil  sie  zur 
Ausarbeitung  der  Akten  —  anders  wie  die  auswärtigen  — 
verpflichtet  seien. 

Eine  Parallele  zu  der  Frage,  welche  Stellung  der  Schöp- 
penstuhl  zu  den  beim  Berliner  Kammergericht  schwebenden 
Sachen  einnahm,  bildet  die  andere.  Frage  über  das  Verhält- 
niss  des  Schöppenstuhls  zum  Reichskammergericht.  Sie 
mag  daher  hier  anhangsweise  erörtert  werden,  soweit  die 
Brandenburger  Akten  Material  dazu  liefern. 

Die  Kur  Brandenburg  war  seit  der  goldenen  Bulle  von 
der  Reichsgerichtsbarkeit  eximirt.  Während  der  Periode,  in 
welcher  die  Neumark  getrennt  von  der  Kurmark  verwaltet 
wurde  (1535  bis  1571),  musste  es  ein  natürliches  Bestreben 
der  Neumark  sein,  dieselbe  Befreiung  vom  Reichskammer- 
gericht zu  gemessen,  deren  sie  vor  1535  theilhaftig  gewesen 
war;  auf  die  goldene  Bulle  konnte  sie  sich  nicht  berufen, 
um  diese  Befreiung  zu  erzielen;  denn  nur  den  Kurfürsten 
gewährte  die  Bulle  jene  Befreiung,  und  Markgraf  Johann  von 
Küstrin  war  nicht  Kurfürst.     Er    griff  deshalb   in    dem  mit 

J)  Stölzel,  Rechtsverw.  1,  375;  2,  104.  Beispiele  von  Belehrungen, 
die  der  König  den  Brandenburgern  befiehlt  „„beim  Geheimen  Justizrath" 
abzugeben14  und  bei  denen  die  Mitglieder  des  Geh.  JRaths  den  Befehl  auf 
Königl.  Specialbefehl  zeichnen,  s.  1723  (81481.  492.  ÜB.  2  763),  1743  (94 
408  ff.),  1746  (97  158  ff.),   1741  (9a  260  ff). 

24* 


372      5*  Buch.    Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenbur^-Preassen. 

seinen  Ständen  geschlossenen  Soldiner  Vertrag  von    1552  zu 
einem    anderen  Mittel,  indem  er  überhaupt  die  Appellation 
gegenjUrtheile  seines  Kammergerichts  zu  Küstrin  verbot  und 
nurzuliess,  vom  Landesherrn  selbst  oder  „in  dessen  Namen 
auf  Belehrung    unverdächtiger    Universitäten**    ein 
Urtheil  zu  erholen.     Die  Begründung,    welcher  diese  Maass- 
nahme   gegeben    wurde,   liefert  einen  Beweis,  wie  gross  die 
Missstimmung  im  Lande  gegen  das  Reichsgericht  war,  und 
wie    sehr   sich   selbst    ein   Landesherr   minderer    Bedeutung 
durch    das    Reichsgericht    in    seinen    Rechten    beeinträchtigt 
glaubte:    weil   sich    Einige,    sagt  der  Markgraf,  neuerlicher 
Zeit  unterstanden  haben,  durch   Appellation   an  das  Kaiser- 
liche Kammergericht  „Uns  die   Hand  zu  schliessen,  ihr 
Gegentheil  nach  ihrem  Gefallen  umzutreiben,  auch  mit  uner- 
träglichen   Kosten    auszuschöpfen,    des   Rechtens    müde    zu 
machen  und  davon  abzuschrecken,  ...  da  ein  Geschlecht  das 
andere  bis  auf  den  äussersten  Grad  mit  solchem  weitläufigen 
Rechtsgang   ausgemergelt    und    etliche  .  .  .  über    Menschen- 
gedenken weder  Urtheil  noch  Ende  zu  gewarten  haben,  .  .  . 
und    also   oftmalen  ...  zu  Grunde  verderben  und  zu  Boden 
gehen  müssen,  haben  Wir  uns    mit  Unterthanen    und  Land- 
schaft verglichen,  dass  Jeder,  der  sich  auf  seine  Appellation 
an  Unser   Hof-  und  Kammergericht  beschwert  erachtet,  an 
Unsre  Person  zu  suppliciren  Macht  habensoll,  und  sollen 
alsdann  die  Akten  an  der  fünf  Universitäten  eine,  als 
nämlich   Leipzig,   Wittenberg,   Frankfurt  a.  O. ,   In- 
golstadt oder  Heidelberg,  auf  der  Parteien  Unkosten  und 
Gefallen  überschickt  werden,    könnten  sich  aber  die  Parten 
auf  derer  Städte  eine   nicht  vergleichen,    sollen  Wir  solche 
Verschickung  anobgemelte  unverdächtige  Universitäten  eine, 
doch  beiden  Parten  unbewust,  zu  thun  und  des  Rechten  Uns 
zu  belehren  Macht  haben."     Hier  ist  von  Interesse,  dass  der 
Markgraf  und  sein  Land  von  der  Belehrung  durch  Schoppen - 
stuhle  und  namentlich  durch  den  Brandenburger  Schoppenstuhl 
nichts    wissen   wollten.     Der  Berather  des  Markgrafen   war 
sein    Kanzler  Hadrianus  Albinus    aus   Lauban,  einst  Witten- 
berger und  Leipziger,  dann  Frankfurter  Professor;1)  für  ihn 

])  Stölzel,  Rechtsverw.  i,   196. 


§  23*     Kammergericht  und  Geheimer  Justizrath.  373 

traten    die  Schöppenstühle  in   den  Hintergrund,  er  hielt  es 
mit  den  Universitäten,    namentlich    mit  denen,  die  ihm  nahe 
standen;    hatte    doch   auch   Distelmeier,    der    kurmärkische 
Kollege  und  einstige  Leipziger  Schüler  des  Albinus,  die  Stadt 
(Crossen  ein  Jahr  zuvor  mit  dem  Rechte  privilegirt,  in  Leipzig 
Belehrung  zu  suchen. l)     Ausserdem  hätte  es  ja  die  Neumark, 
die  auf  ihre  Selbständigkeit  Gewicht  legte,  in  Abhängigkeit 
von  der  Kurmark  gebracht,  wenn  der  Brandenburger  Schöp- 
penstuhl   als    Centraloberhof  für   die   Neumark    fortgewirkt 
hätte;  für  das  neugegründete  Territorium  der  Neumark  er- 
strebte man  die  Loslösung  wie   vom    kaiserlichen  Kammer- 
gericht, so  auch  vom  kurmärkischen  Schöppenstuhl.     Einen 
deutlichen  Fingerzeig,    auf  welchem  Wege   es  sich  vollzog, 
dass  die  Reichshoheit  von  der  Landeshoheit  verdrängt  wurde, 
"gewährt    der  im  Jahre  1564  vor  dem  Reichskammergericht 
geführte,    oben  (S.  305)    erwähnte  Prozess  über  die  Reichs- 
standschaft der  drei  märkischen  Bisthümer:  der  Reichsfiskal 
hatte  den  Kurfürsten  von  Brandenburg  und  seine  drei  Bischöfe 
belangt,  indem  er  geltend  machte,  die  Bischöfe  unterständen 
in  Sachen  des  Blutbanns  dem  Kaiser,  nicht  dem  Kurfürsten; 
die    vernommenen    Zeugen    bekundeten    aber,    die    Bischöfe 
hätten  die  peinlichen  Gerichte,  die  sie  exerciren  Hessen,  „vom 
Kurfürsten  gehabt;    nie  sei  von  ihnen  an  den  Kaiser  appel- 
lirt;u  einer  der  Zeugen,  ein  Ritterdienstpflichtiger,  sagte  aus, 
dass  er  mit  dem  Pferde,  mit  welchem  er  dem  Bischof  diene, 
vorkommenden  Falles  an  den  Kurfürsten  (nicht  an  den  Kaiser) 
gerufen   sei    (S.  100).      Also    gewohnheitsrechtlich    war    die 
Reichshoheit  abgestreift  und  zur  Landeshoheit  umgewandelt: 
weil  der  Kurfürst  sich  in  den  Besitz  des  Blutbannregals  ge- 
setzt  hatte   und    es  durch  seinen  Brandenburger  Schöppen- 
stuhl   ausübte,    war    kein   Raum    mehr    für  ein  kaiserliches 
Blutbannregal,     und    weil    der    Kurfürst    die    bischöflichen 
Lehnsleute  mit  Erfolg  zum  Reiterdienst  rief,  gab  es  keinen 
kaiserlichen    Reiterdienst    mehr;     die    Observanz    entschied 
auch  hier;  der  blosse  Nichtgebrauch  begründete  den  Rechts- 
verlust,   die   juristische    Feinheit    des    Erfordernisses    einer 
usucapio    libertatis,    die  den   kaiserlichen  Rechten  zu  einem 

,)  Siehe  oben  Seite  303. 


374       5-  Buch.   Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenbur^-Preussen. 

wirksamen    Schutze    hätte    gereichen    können,    kannte    man 
noch  nicht. 

Die  Fälle,  in  denen  die  Brandenburger  Schöppenstuhls- 
akten  reichsgerichtliche  Instanzen  überhaupt  erwähnen,  sind 
erklärlicherweise  wenig  zahlreich.  Es  waren  aber  keineswegs 
ausschliesslich  Sachen,  die  aus  nichtpreussischen  Landes- 
gebieten nach  Brandenburg  gelangten.  Ein  Jude  Levi 
den  1566  (10  264)  der  Markgraf  Johann  Georg  in  Vor- 
mundschaft und  Administration  des  Bischofs  von  Lebus 
wegen  2000  Goldgulden  vor  „Rath,  Richter  und  G^erichts- 
assessoren  beider  Städte  Salzwedel44  belangt  hatte,  berief 
sich  darauf,  dass  die  Sache  beim  „Kaiserlichen  Kammer- 
gericht in  Speyer44  anhängig  und  er  deshalb  in  Salzwedel 
zu  antworten  nicht  schuldig  sei.  Obwohl  die  Befreiung 
der  Kur  Brandenburg  vom  Reichskammergericht  1558  noch 
besonders  anerkannt  war,1)  verwarf  das  Gericht  zu  Salz- 
wedel die  Einrede  nicht,  sondern  verlangte  den  Beweis,  dass 
die  Sache  in  Speyer  schwebe,  und  fragte  dann  in  Branden- 
burg an,  ob  der  Beweis  erbracht  sei ;  hier  wurde  ebenfalls 
nicht  die  Einrede  als  rechdich  unbegründet  verworfen,  viel- 
mehr der  Beweis  für  misslungen  erklärt. 

Einen  Einfluss  des  Reichskammergerichts  auf  die  märki- 
sche Rechtspflege  erkannte  auch  der  Brandenburger  Landtag 
von  1601  ausdrücklich  an;2)  denn  es  wurde  damals  von  Seiten 
der  Stände  zugestimmt,  „dass  der  gerichtliche  Prozess  in 
rechtshängigen  Sachen  nach  dem  stylo  des  kaiserlichen 
Kammergerichts  soviel  wie  möglich  dirigirt  werde, u  und 
dass  „bei  zweifelhaften  opinionibus  doctorum  man  sich  sen- 
tentiae  in    camera  imperiali  receptae  accomodiren  solle**. 

Von  auswärtigen  nach  Brandenburg  gelangten  Sachen, 
die  eine  Beziehung  zum  Reichskammergericht  haben,  sind 
zwei  Strafsachen  der  Jahre  1588  und  1591  aus  Pommern  zu 
nennen.  In  .der  einen  (31  311)  handelt  es  sich  um  die  „ver- 
unehrte  Magd"  des  Professors  .und  Stadtsyndikus  Dr.  Gruwel 
zu  Greifswald;  weil  die  Appellation  in  dieser  Sache  „un- 
ordentlich  interponirt  seiu,  fragte  Herzog  Ernst  Ludwig  von 

J)  Kuhns,  Ger. Verf.  i,  6 

a)  StA.  Rep.  20.  72  (3).     Landtagsacta  von   1601. 


§  23.     Kammergericht  und  Geheimer  Justizrath.  375 

Pommern  1589  in  Brandenburg  an,  ob  nicht  vom  pommer- 
schen  Gerichte  weiter  verfahren  werden  könne;  die  Befugniss 
dazu  sprachen  die  Brandenburger  dem  Herzog  ab.  Die 
zweite  Sache  ist  die  oben  näher  erörterte  Dobbersitzsche 
Zaubereisache,3)  in  der  der  Ehemann  der  Angeklagten  drohte, 
sich  an  das  Reichskammergericht  wenden  zu  wollen;  auf  den 
Gang  des  Prozesses  beim  Schöppenstuhl  hatte  das  keinen  Ein- 
fluss.  Eine  dritte  Stettiner  Sache,  die  von  1583  bis  1653  spielte 
und  1626  beim  Reichskammergericht  verhandelt,  aber  nach 
Stettin  remittirt  wurde,  sandte  1653  (78  482)  das  dortige 
Hofgericht  zum  Spruche  nach  Brandenburg;  Gegenstand  des 
Prozesses  war  die  Zwangsvollstreckung  wegen  einer  geleisteten 
Bürgschaft.  In  Bernburg  verweigerte  1732  (100  189)  ein  Wegen 
Beleidigung  des  Landesherrn  Angeklagter  die  Einlassung, 
weil  ein  von  ihm  anhängig  gemachter  anderer  Streit  beim 
Reichskammergericht  schwebe;  in  Brandenburg  wurde  die 
Weigerung  für  unberechtigt  erklärt.  Die  Quedlinburger 
Stiftskanzlei  sollte  1743  (94  332)  auf  Leuteration  in  Sachen  der 
Erben  des  Hofraths  Harprecht  gegen  den  Magistrat  beider 
Städte  Quedlinburg  erkennen;  auf  Anfrage  in  Brandenburg 
wurde  ausgesprochen,  dass  die  klagenden  Städte  im  Rechte 
seien,  wenn  nicht  die  Beklagten  nachwiesen,  dass  die  von  ihnen 
gegen  ein  Unheil  von  1739  eingewendete  Appellation  vom 
Reichskammergericht  angenommen  und  der  Appellations- 
prozess  eingeleitet  sei;  die  Entschuldigung  der  Beklagten,  sie 
hätten  eine  Verfügung  auf  die  eingewendete  Appellation 
nicht  auswirken  können,  weil  nach  dem  Tode  des  Kaisers 
(Karl  VI.)  das  Reichskammergericht  „einige  Zeit  geschlossen 
gestanden  und  auch  sonst  die  expeditiones  durch  die  über- 
häufte Arbeit  aufgehalten  worden",  beseitigten  die  Branden- 
burger mit  der  Begründung,  „die  Kaiserliche  und  Reichs- 
kammer habe  sich  allzeit  in  Aktivität  befunden",  und  es 
sei  die  erforderliche  reichskammergerichtliche  Verordnung 
„wenigstens  in  einigen  Jahren    auszuwirken    gewesen". 

Der  Reichshofrath  zu  Wien  wird  1744  (95  583) 
einmal  erwähnt,  als  der  Mindensche  Domkapitular  von  Baar 
sich  beschwerte,  man  habe  in  Minden,  während  er  in  Wien 

8)  Siehe  oben  Seite  353. 


376      5-  Buch.   Erster  Abschnitt.    Konsulenten  aus  Brandenburg--Preussen. 

sich  aufgehalten  habe;  um  eine  Klage  auf  Schutz  seines 
Wahlrechts  anzubringen,  seine  absentia  militiae  causa  nicht 
angenommen.  Ferner  weit  wird  der  Reichshofrath  1761  (101 
237  ff.)  erwähnt  in  einem  Erbstreit,  der  vom  Rathe  zu  Lübeck 
im  Wege  der  Appellation  zweimal  nach  Wien  gegangen  ist; 
es  handelte  sich  um  den  Nachlass  des  1707  gestorbenen 
Bürgermeisters  Winckler  zu  Lübeck,  zu  welchem  ein  Berliner 
Kriegsrath  mitberechtigt  sein  wollte;  auf  dessen  Anfrage 
ertheilten  die  Brandenburger,  während  die  Sache  in  Wien 
anhängig  war,  ein  responsum. 

Endlich  spielte  in  einer  westphälischen  Sache  noch  1746 
(97672)  das  kaiserliche  freie  Reichshofgericht  Huckarde 
eine  Rolle;  es  wurden  beim  Landgericht  Lünen  (Stadt  bei 
Dortmund)  Pachte  einer  Hufe  eingeklagt;  der  Beklagte 
bestritt  das  Recht  des  Klägers  an  der  Hufe;  die  Regierung 
zu  Cleve  avozirte  die  Sache  und  sandte  sie  nach  Branden- 
burg. Hier  wurde  gefunden,  dass  die  Hufe  „unter  dem 
kaiserlichen  freien  Reichshofgericht  Huckarde  (einem  Dorfe 
unweit  Dortmund)  mitsortire,"  und  dass  Kläger  „vom  Hof- 
gericht wirklich  angenommen  und  für  huldig  und  hofhörig 
deklarirt  worden;41  daraus  folge  sein  Recht  auf  die  Pachte. 
Hier  handelte  es  sich  also  um  ein  bäuerliches  Reichsgericht, 
das  die  zu  seinem  Gebiet  gehörigen  Hufen  an  Lehnleute  aus- 
that;  die  Huldigung  der  Unterthanen  nahmen  Richter  und 
Schoppen  des  Dorfes  Namens  des  Reichs  entgegen. 

§24. 
Generaldirektorium  und  Generalauditoriat 

Dem  Beispiele  der  obersten  Gerichte  folgte  die  seit  1723 
gegründete  oberste  Verwaltungsbehörde  Preussens,  das 
Generaldirektorium. 

Dasselbe  ersuchte  1731  (86369)  den  Brandenburger 
Schöppenstuhl  in  einer  Sache,  in  der  ein  Gebrauch  des 
Brandenburger  Tuchmachergewerks  von  Erheblichkeit  war, 
„um  Sentenz  nach  eingenommener  Instruktion  vom  Tuch- 
gewerk  zu  Brandenburg".  Einige  Jahre  später  (1738)  glaubte 
in  einer  andern  Sache  das  Generaldirektorium  Anlass  zu  haben, 

])  Stölzel,  Rechtsverwaltung  Bd.  2  S.  92  ff. 


§  24-     Generaldirektorium  und  Generalauditoriat.  377 

sich  über  die  Säumigkeit  des  Schöppenstuhls  zu  beschweren, 
fand  aber  damit  kein  Gehör.1) 

Auch  die  Militärjustiz  gewöhnte  sich  daran,  in  Branden- 
burg Recht  zu  holen.  Der  Oberstleutnant  von  Redern  in 
Spandau  erbat  bereits  1628  (72  530)  Auskunft  wegen  der 
Bestrafung  eines  Soldaten,  der  einen  Bauer  erstochen  hatte. 
Auf  Befehl  des  „Generalmajeur  Dörflinger"  fragte  1656  (79 
39.  86)  ein  Rittmeister  wegen  eines  der  Sodomie  Verdächtigen 
an.  Seit  mit  dem  Jahre  1671  ein  Generalauditeur  ge- 
schaffen war,2)  hörten  solche  Anfragen  nicht  etwa  auf.  General 
v.  Pfuel,  Rath  und  Generalauditeur  Hoyers  und  Lic.  Filitsch 
baten  im  August  1671  (79  437)  um  Belehrung  in  Branden- 
burg, wie  gegen  zwei  des  stupri  bezichtigte  Soldaten  vorzu- 
gehen sei;  in  derselben  Sache  war  zuvor  in  Leipzig  angefragt. 
Der  Brauch,  in  Brandenburg  anzufragen,  wurde,  wie  es  sich  bei 
der  Domänenkammer  zeigt  (s.  unten  S.  382)  noch  lange  über 
das  Verbot  der  Aktenversendung  hinaus  beibehalten  und  trug 
wesentlich  mit  dazu  bei,  dass  die  Thätigkeit  des  Brandenburger 
Schöppenstuhls  sich  bis  zum  Beginne  des  neunzehnten  Jahr- 
hunderts erhielt.  Da  von  Urtheilen  des  Generalauditoriats 
ähnlich  wie  von  denen  des  Kammergerichts  die  Appellation 
an  den  König  ging,  dieser  aber  eine  solche  „Immediatrevision" 
wiederum  an  das  Generalauditoriat  zur  rechtlichen  Entschei- 
dung weisen  konnte,  und  dann  das  Generalauditoriat,  um  nicht 
selbst  nochmals  zu  entscheiden,  Rechtsbelehrung  einzuholen 
pflegte,  so  wurde  vorkommenden  Falls  thatsächlich  der 
Schöppenstuhl  zu  einer  über  das  Generalauditoriat  sich  er- 
hebenden Instanz.3) 


J)  Siehe  unten  §  36. 

2)  Holtze,  Strafrechtspfl.  unter  Friedr.  W.  I.  S.  10. 

3)  Beispiele,  die  dies  Verfahren  belegen,  liegen  vor  aus  den  Jahren 
1766  (loa,  141),  1769  (103,45),  l7%6  (106»  173)-  In  letzterer  Sache  ist  die 
Appellation  gegen  ein  Urtheil  des  Generalauditoriats  von  diesem  an  den 
Schöppenstuhl  in  Stettin  verschickt;  gegen  dessen  Urtheil  provoziren  beide 
Theile  „ad  remedium  revisionis";  das  hierdurch  wiederum  mit  der  Sache 
befasste  Generalauditoriat  sendet-  die  Akten  nach  Brandenburg.  In  einen 
eigenthflmlichen  Konflikt  kam  der  Schöppenstuhl  mit  dem  Generalauditoriat 
im  Jahre  1787  (ÜB.  a  777).  Gegen  ein  Urtheil,  das  vom  Auditoriate  in  Sachen 
eines   Kürschnermeisters   gegen   12  Offiziere   und   den   Quartiermeister  des 


378      5-  Buch.    Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg--Preussec. 

§25. 

Hof-  und  Quartalsgerichte.    Regierungen. 
Domänenkammern. 

Was  den  Räthen  in  der  nächsten  Umgebung  des  Kur- 
fürsten zu  ihrer  Erleichterung  gestattet  war,  konnte  auch  den 
Räthen  nicht  versagt  sein,  die  im  Lande  eine  über  den  all- 
gemeinen ordentlichen  erstinstanzlichen  Gerichten  stehende 
Rechtspflege  zu  üben  berufen  waren. 

Dahin  gehören  zunächst  die  Hofgerichte  und  die 
Quartalsgerichte,1)  d.  h.  die  zur  Entlastung  des  Kammer- 
gerichts viermal  jährlich  aus  den  Landräthen  innerhalb  der 
Provinz  zusammentretenden  Gerichte.  „Richter  und  verord- 
nete Beisitzer  des  Hof  ge  rieht  s  zu  Prenzlau*4  erbaten  1548 
(3  482  -  590)  in  einem  Rechtsstreit  aus  vormundschaftlicher 
Verwaltung  („actio  tutelae")  Rechtsbelehrung.     Der  Erbhof- 


Husarenregiments  v.  Wuthenow  in  zweiter  Instanz  erlassen  war,   hatte  der 
Kläger  appellirt;   auf  Antrag  des  Brandenburger  Referenten,  KriminaJrath 
und  Syndikus  Fabricius,    eröffnete    aber    der  Schöppenstuhl    dem    um  Ab- 
fassung des  Erkenntnisses  ersuchenden  Generalauditeur  v.  Goldbeck,  den 
spätem  Grosskanzler,  die  Verbindung  der  vielen  Klagen  zu  einem  Prozesse 
ohne  Formirung  eines  den  Vorschriften  des  corp.  jur.  Frid.  entsprechenden 
Status    beruhe    auf   einem    gesetzwidrigen    tumultuarischem  Verfahren    des 
erstinstanzlichen  Regimentsgerichtes;  das  Rechtsmittel  sei  pro  non  devoluto 
zu  erachten,   und  der  Instruent  erster  Instanz  sei   anzuweisen,  sich    besser 
mit  den  Gesetzen  vertraut  zu  machen  (106  107).     Das  Auditoriat  erwiderte 
unter  Rücksendung  des  Spruches,  es  könne  denselben  nicht  publiziren,  da 
es  selbst  nicht   nur   die  Kumulation    der  Klagen,  sondern   auch   die  Appel- 
lation verstattet  habe;  es  ersuche  um  ein  Erkenntntss  in  der  Sache.    Fabri- 
cius wollte  nochmals  die  Akten  zurückschicken,  weil  immer  noch  die  Nor- 
mirung  des  Status  causae  fehlte,  wurde   aber   von   seinen   beiden  Kollegen 
Rudolphi   und    Zierhold   überstimmt,  nachdem   Zierhold  das  Referat  über- 
nommen hatte ;  der  Spruch  des  Schöppenstuhls  bestätigte  nunmehr  das  Er- 
kenntniss  des  Auditoriats,   „wenn  auch,  was  doch  nicht  sei,  die  Förmlich- 
keiten des  Rechtsmittels  für  richtig  anzunehmen*  (106  139).     Als  in  einer 
andern  Sache  aus  der  nämlichen  Zeit  (106  117)  wiederum  formelle  Verstösse 
Seitens  der  Regimentsgerichte    bemerkbar    wurden,    meinte    der    Referent 
y.  Rudolphi  darüber  hinweggehen    zu  dürfen,    weil   die  Regimentsgerichte 
sich  nach  den  Vorschriften  des  corp.  jur.  Frid.  „nicht  zu  achten  scheinen44 
und  das  Generalauditoriat  als  oberstes  Gericht  das  erstinstanzliche  Verfahren 
gebilligt  habe. 

*)  Vgl.  Stölzel,  Rechtsverwaltung  1,  287. 


$  2$.    Hof-  u.  Quartalsgerichte.   Regierungen.   Domänenkammern.       379 

richter  Caspar  Beilin  im  Lande  Ruppin  bat  den  Schöppen- 
stuhl,  in  einer  vor  dem  Hofgericht  anhängigen  Prozesssache 
1551  (4  134)  auf  die  übersandten  Akten  „ein  Urtheil  zu  be- 
greifen". HansGladow,  verordneter  Hofrichter  des  Lan- 
des Ruppin,  übersandte  1556  (5  572)  die  vor  ihm  von  sechs 
Wochen  zu  sechs  Wochen  verhandelten  Akten  zur  Belehrung. 
Im  Jahre  1557  (5  529)  stellten  von  Stendal  aus  „Kurfürst- 
lich Brandenburgische  jetzt  anher  verordnete 
Räthe"  eine  Anfrage,  wie  gefangen  gesetzte  umherziehende 
und  bettelnde  Trommler  und  Pfeifer  zu  strafen  seien;  das 
möchten  die  Brandenburger  dem  Rath  zu  Stendal  schreiben. 
Matthäus  Wirtenheim,  Hof-  und  Landrichter  im  Ucker- 
lande,  bat  1576  (17  241)  von  Prenzlau  aus  in  einer  „vor 
dem  Hofgericht  eingebrachten11,  etliche  Jahre  verhandelten, 
zum  Urtheil  beschlossenen  Erbstreite  um  Belehrung.  „Hof- 
richter und  Schoppen  zu  Küstrin"  baten  1573  (14  499)  um 
Belehrung,  wie  auf  eine  „in  Gegenwart  der  Gerichte"  statt- 
gefundene peinliche  Befragung  zu  erkennen  sei. 

Die  Quartalsgerichtsräthe  zu  Stendal  gaben  1579 
(21  74)  dem  Hof-  und  Landrichter  Franz  Staudt  zu  Tanger- 
münde auf,  die  vor  ihm  zwischen  Diedrich  v.  Rengerschlage 
zu  Rengerschlage  und  Lewin  v.  Kannenberg  zu  Kannenberg 
verhandelten  Akten  nach  Brandenburg  zu  verschicken.  Der 
Hofrichter  zu  Kottbus  fragte  1583  (23  643)  an,  was  mit 
einer  Witwe  von  Adel  zu  geschehen  habe,  die  mit  einem 
Knecht  Unzucht  getrieben.  „Der  Hof-  und  Landrichter  der 
Alten-Mark  Brandenburg"  zu  Tangermünde,  Kuno  v.  Eich- 
städt,  sandte  inrotulirte  Akten  1603  (50  9)  ein,  weil  er  „ohne 
Belehrung  und  Rath  der  Rechtsgelehrten"  darin  zu  sprechen 
Bedenken  trage.  „Hofrichter  und  Schoppen"  zu  Züllichau 
baten  1595  (39  522)  m  einem  peinlichen  Anklagcprozess  und 
„die  verordneten  Hofgerichte  zu  Züllichau"  oder,  wie  die 
Adresse  des  Belehrungsurtheils  lautet,  „die  zum  Hofgericht 
der  kurfürstlichen  Stadt  Züllichau  Verordneten"  (d.  h.  die 
an  Stelle  von  Hofrichter  und  Schoppen  nunmehr  getretenen 
gelehrten  Richter)  baten  1664  (79  268)  um  Belehrung  wegen 
der  Bestrafung  der  einem  Dreizehnjährigen  zur  Last  fallen- 
den  fahrlässigen  Tödtung. 


380      5*  Buch.   Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg-Preussen. 

Den  Hofgerichten  schliessen  sich  die  Regierungen  an. 

Hier  ist  vor  Allem  die  Regierung  in  Küstrin  zu  nennen, 
wo  die  Aktenversendung  besonders  häufig  beschlossen  wurde. 
Was  für  die  Kurmark  das  Kammergericht  zu  Berlin,  war  für 
die  Neumark  die  Regierung  zu  Küstrin  oder,   wie  diese  Re- 
gierung ursprünglich  hiess,  „das  Kammer-  und  Hofgericht*4 ;r) 
nicht  bloss  innerhalb  der  Zeit,  während  welcher  die  Neumark 
im  Markgrafen  Johann    ihren  selbständigen  Regenten   haue 
(x535  bis  1571)»  ist  von  „Kammergerichtsräthen"  in  Küstrin  die 
Rede,2)  vielmehr  sprechen  noch  1578  (ÜB.  1716)  die  „Kur- 
fürstlichen   Kammergerichtsräthe  zu  Küstrin44    auf   eine  An- 
frage des  Landvogts  zu  Schievelbein  für  Recht;*  diesen  Spruch 
nennen    dann    1608    die   Brandenburger    einen    Spruch    der 
„Regierung44  zu  Küstrin;  der  „Kammergerichtsschreiber44  zu 
Küstrin   bat    1608    (56  23)    in    Brandenburg   um    Zusendung 
eines  Urtheils,  und  ein  Abschied  des  Kammergerichts  zu  Ber- 
lin von  1622  (70  280)  redete  davon,  dass  der  Beklagte,  wenn 
der  Abschied  (d.  h.  die  gütliche  Vereinbarung)  nicht  befolgt 
werde,  „anderweit  bei  der  Regierung44   (nämlich  dem  Kam- 
mergericht)   zu    belangen   sei.     „Verordnete  Räthe  der  kur- 
fürstlichen Regierung  zu  Küstrin44   oder,    wie   sie    sich  auch 
nennen,  „Statthalter  und  Räthe  der  kurfürstlichen  Regierung44 
fragten  1572  (13  99.  102)  in  einer  Brandschadenssache  um  Be- 
lehrung an.     Sie  schickten  ebenfalls  1572  (12421)  Strafakten, 
die  ihnen  der  Rath  zu  Friedeberg  mit  der  Bitte  um  Belehrung 
übersandt  hatte,  den  Brandenburgern  zu,  „weil,44  wie  sie  sagen, 
„wir  solche  Händel  alleweg  an  euch  weisen44.     Als  1594  (39 
347)  Bürgermeister  und  Rath  zu  Lippehne  (Regierungsbezirk 
Frankfurt)  in  Brandenburg  ein  Urtheil  in   einer   Strafsache 
erwirkt  hatten,  wurde  dasselbe  durch  die  Regierung  zu  Küstrin 
„als  den  Oberrichter  dieser  Stadt44  dem  Bürgermeister  und 
Rath  mit  der  Auflage  eröffnet,  es  zu  befolgen.     In  einer  In- 
juriensache konsulirte  1607  (54  434)  die  Regierung  zu  Küstrin; 


l)  „Kammer-  und  Hofgerichtsordnung"  des  Markgrafen  Johann  von 
1548,  neue  ,,  Kammer-  und  Hofgerichtsordnung"  desselben  Markgrafen  von 
1561  s.  Mylius,  CCM.  II,  1  Sp.  35  ff.     Stölzel,  Rechts  Verwaltung  1,  214. 

a)  Soldiner  Vertrag  von  1552  (Stölzel,  Rechtsverw.  i,  214),  Eingang. 
Mylius  CCM.  II,  1  Sp.  33. 


§  2$.   Hof-  u.  Quartalsgerichte.   Regierungen.    Domänenkamroern.       381 

1640  im  April  wurden  von  den  Schweden  Akten  aufgefangen, 
die  der  Amtsvogt  zu  Küstrin  auf  Befehl  der  Regierung  nach 
Brandenburg  gesandt  hatte  (77  64). 

Noch  viele  Beispiele  von  Anfragen  der  Küstriner  Regie- 
rung Hessen  sich  beibringen,  namentlich  aus  den  1730er  und 
1740er  Jahren;1)  auch  die  Versendung  an  andere  Schöppen- 
stühle  als  den  Brandenburger  kam  dort  vor;  z.  B.  nach  Min- 
den (1743:  94  58)  oder  nach  Stettin  (1745:  96  599).  Es  kam 
ferner  vor,  dass  die  Regierung  zu  Küstrin  als  dritte  Instanz 
zu  entscheiden  hatte  und  als  solche  in  Brandenburg  anfragte. 
So  in  einem  Falle  des  Jahres  1 734  (91  604),  als  ein  „Uhr- 
macher und  Gerichtsassessor44  zu  Glogau  wegen  eines  Uhren- 
kaufs vor  dem  Hofgericht  Züllichau  klagte  und  in  der  Appel- 
lationsinstanz beim  „Verweseramt  in  Krossen"  ein  verurtei- 
lendes Erkenntniss  erlangte,  das  bei  weiterer  Appellation  die 
Regierung  in  Küstrin  bestätigte;  nachdem  in  Küstrin  weitere 
Appellation  eingelegt  war,  erfolgte  seitens  der  dortigen 
Regierung  Versendung  nach  Brandenburg. 

Dem  Kammergericht,  wie  den  Regierungen  thaten  "es  die* 
Kriegs-  und  Domänenkammern  gleich,  die  als  Appel- 
lationsinstanzen mit  der  Entscheidung  von  Streitigkeiten  be- 
traut waren,  bei  denen  ein  öffentliches  Interesse  konkurrirte. 
Von  diesem  Gesichtspunkt  aus  bestand  eine  weitgehende 
Kompetenz  dieser  Kammern,  wie  die  Anfragen  ergeben,  die 
von  den  Kammern  nach  Brandenburg  kamen. 

Als  die  mit  ihrem  Anspruch  auf  Freiheit  von  der  Bierein- 
lage in  zwei  Instanzen  abgewiesene  Berliner  Schützengilde  1726 
(84  T03)  appellirte,  ersuchte  die  kurmärkische  Domänen- 
kammer den  Brandenburger  Schöppenstuhl  um  Abfassung 
des  Urtheils,  das  dann  im  Namen  des  Königs  erging;  ebenso 
1730  (89  100)  in  Appellationssachen  eines  königlichen  Messing- 
werkes wegen  Rechnungslegung  und  1738  (89  828)  in  einer 
Untersuchung,  die  in  erster  Instanz  vor  dem  Hof-  und  Stadt- 
gericht Beeskow  wegen  Ehebruchs  geschwebt  hatte  und  an 
die  Domänenkammer  gelangte,  weil  sie  Mitglieder  der  Brauer- 
gilde betraf.    Da  das  Verbot  der  Aktenversendung  von  1 746 

l)  In  der  Zeit  von  1734  bis  1746  sandte  die  Küstriner  Regierung 
96  Fälle  nach  Brandenburg.    Vgl.  ÜB.  3  2x6. 


382       5*  Buch.   Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg"- Preussen. 

sich  nur  an  die  Justizkollegien,  Konsistorien  und  Gerichte 
wendete,  konnten  die  zu  keiner  dieser  Behördenkategorien 
zählenden  Domänenkammern  auch  nach  1746  in  Branden- 
burg Belehrung  holen.  Daraus  erklären  sich  Anfragen  der 
Berliner  Domänenkammer  als  Appellationsinstanz  von  1765 
(102  114)  in  Sachen  eines  Gärtners,  der  den  General  von  Hörn 
auf  Tagelohn  verklagt,  von  1766  (102  157.  163)  in  Sachen  des 
Magistrats  zu  Fürstenwalde  gegen  das  dortige  Amt  wegen 
Koppelhute,  von  demselben  Jahre  in  Sachen  eines  Dreihufners 
zu  Werben  gegen  den  dortigen  Magistrat  wegen  Holzdefraude, 
von  1768  (80  197)  in  Sachen  eines  Mühlenmeisters  zu  Prenzlau 
gegen  das  Lohgerbergewerke. 

Häufiger  als  die  Berliner  Domänenkammer  wandte  sich 
die  Küstriner  Domänen kammer,  dem  Beispiele  der 
Küstriner  Regierung  folgend,  nach  Brandenburg.  So  hatte 
Friedrich  d.  Gr.,  der  als  Kurprinz  1734  bei  den  Küstriner 
Behörden  arbeitete,  reichlich  Gelegenheit,  sich  aus  eigener 
Anschauung  sein  Urtheil  über  die  Missstände  der  Aktenver- 
•sendung  zu  bilden,  das  bei  der  Inangriffnahme  der  Justiz- 
reform in  dem  Verbot  des  Jahres  1 746  seinen  Ausdruck  fand. 

Auch  von  Regierungen  oder  ihnen  gleichstehenden 
höheren  Gerichten  solcher  Landestheile,die  erst  im  siebzehnten 
oder  achtzehnten  Jahrhundert  mit  Brandehburg-Preussen  ver- 
eint wurden,  ist  mannigfach  der  Brandenburger  Schöppen- 
stuhl  um  Belehrung  angegangen  worden.  Nachdem  aus  dem 
Bisthum  Halberstadt  das  1648  an  Brandenburg  überwiesene 
Fürstenthum  Halberstadt  geworden  war,  erbitten  „kurfürst- 
lich Brandenburgische  zur  Regierung  des  Fürötenthums 
Halberstadt  verordnete  Direktor  und  Rätheu  (1690:  79 
634.  647.  659.  662;  1691:  79  662)  Sentenzen  in  Sachen, 
in  denen  die  Regierung  bereits  als  erste,  sowie  als  Läuterungs- 
und Oberläuterungsinstanz  erkannt  hatte.1)  Ebenso  fragt 
1744  (95  417)  „die  Kriegs-  und  Domänenkammer  in 
Halberstadt"  bei  den  Brandenburgern  an,  als  gegen  ihr 
zweitinstanzliches  Urtheil  des  remedium  supplicationis  eingelegt 

l)  Aus  demselben  Jahre  liegen  mehrere  Anfragen  der  Halberstädter 
Regierung  hinter  einander  in  Bd.  79  vor;  aus  dem  Jahre  1739  eine  in  Bd.  90, 
864  ff. 


§  35.   Hof-  u.  Quartalsgerichte.    Regierungen.    Domänenkammern.      383 

und  darüber  bei  ihr  verhandelt  war.  Mit  dem  Fürstenthum 
Halberstadt  war  die  Grafschaft  Hohenstein  an  Brandenburg 
abgetreten.  Von  daher  bitten  17 12  (82  163.429)  „Königl. 
Preussische  zur  Regierung  der  Grafschaft  Hohnstein 
verordnete  Landeshauptmann  und  Rathe  zu  Ellrich"  um  Ab- 
fassung eines  Straf-  und  eines  Civilurtheils,  nachdem  in  der 
Civilsache  vorher  der  Schöppenstuhl  in  Leipzig  erkannt  hatte 
und  bei  der  Regierung  die  Läuterungsinstanz  dagegen  be- 
schritten war. 

Besonders  regen  Gebrauch  macht  in  den  Jahren  1721 
bis  1746 l)  die  Regierung  zu  Cleve  von  der  Aktenver- 
sendung.2) Sie  hält  sich  dazu  gedruckte  Formulare,  in  welche 
nur  die  Rubrik  der  Sache,  das  Datum  und  die  Adresse  hand- 
schriftlich eingefügt  werden.  Ein  solches  Formular  lautet 
(1721:  81239): 

Wohledle  und  hochgelahrte,  sonders  gunstige  Herren  und 
Freunde!  Nachdem  kraft  hiesiger  Landtagsabscheide  dehnen  liti- 
girenden  Partheyen  freystehet,  in  vollschriebenen  ihren  Sachen  ad  juris 
consultos  extraneos  zu  provociren,  und  dann  solche  Abberufung  i. 
S.  .  .  .  geschehen  ist,  als  senden  wir  .  .  .  ein  .  .  .  Urtheil  zu  verfassen 
cum  rat.  dec.  (jedoch  dass  diese  .  .  .  auf  ein  absonderlich  Blath  ge- 
schrieben) innerhalb  6  oder  längstens  8  Wochen,  welche  dazu  von 
I.  Kgl.  Maj.  bestimmt  sind  .  .  .  solche  an  einen  von  uns,  nicht  an  das 
Collegium  zu  remittiren  .  .  .  unter  der  Verwarnung,  dass  sonst  nach 
Anleitung  des  Kgl.  Justizregl.  in  so  Jahren  keine  Acta  mehr  an  die 
Säumigen  transmittirt  werden  sollen  ... 

Der  Herren  dienstfreund  willige  Kgl.  Prß.  zur  Clev-  und  Marcki- 
schen  Landesregierung  verordnete  Geh.  Reg.-,  auch  zu  dieser  Sachen 
Verschickung  deputirte  Käthe. 

In  einem  anderen  Formular  (81  254. 348)  sind  drei  Monate 
Frist  gegeben,  und  es  fehlt  die  Verwarnung.  Wie  sehr  das 
Aktenversenden  bei  der  Clever  Regierung  gebräuchlich  war, 
ergiebt  der   Umstand,  dass  man  dort  eigens  zwei   Räthe  für 

*)  x7*4  (*3  180);  1727  (84  451);  1739  (90  564.  599-  725);  1746,  a-  Dez. 
(97  887).  In  94  386  fragt  1743  das  „Cleve-Märkische  Hofgericht"  betreffs 
einer  beim  Richter  in  Hoerde  schwebenden  Sache  an.  In  95  382  spricht 
der  Thatbestand  eines  Brandenburger  Unheils  1744  von  einem  Urtheil  des 
Gerichts  Schwerte,  das  „der  Kgl.  Justizrath  zu  Cleve  konfirm irt  hat44.  Unter 
diesem  Justizrath  scheint  die  Regierung  verstanden  zu  sein. 

*)  Ueber  einen  Versuch  der  Clever  Regierung,  1685  nach  Magdeburg 
Akten  zu  versenden,  s.  oben  Seite  236. 


384      5-  Buch.   Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  ßrandenburg-Preusseo. 

die  Geschäfte  der  Aktenversendung  deputirt  hatte.  Dabei 
herrschte  eine  grosse  Unordnung,  da  man  in  Cleve  das  vor- 
geschriebene Register1)  nicht  ordnungsgemäss  führte;  es 
kam  vor,  dass  im  August  1747  (98  277)  an  „säramtliche 
Universitäten  und  Schöppenstühle"  ein  Zirkular  ergehen 
musste,  um  festzustellen,  wohin  gewisse  nicht  wieder  ein- 
gegangene Akten  verschickt  seien. 

Gleich  der  Regierung  in  Cleve  macht  auch  die  dortige 
Kriegs-  und  Domänenkammer  von  der  Aktenversendung 
Gebrauch  (1726:  84  312;  1739:  90  997);  2)  nachdem  gegen 
die  Entscheidung  der  Kammer  an  das  Tribunal  in  Berlin 
appellirt,  von  dort  die  Sache  nach  Halle  zum  Spruche  ge- 
schickt, gegen  den  Hallenser  Spruch  appellirt,  auch  dieser 
Spruch  deklarirt  ist,  wird  zwischen  den  Parteien  in  Cleve 
weiter  verhandelt  und  dann  ein  Spruch  in  Brandenburg  ein- 
geholt. 

Die  Regierung  zu  Wesel  (im  Herzogthum  Cleve)  erbittet 
1733  (87  323)  in  Brandenburg  eine  Sentenz  in  einer  Konkurs- 
sache. 

Da,  wie  wir  bereits  (S.  347)  sahen,  das  Stadt-  und 
Hauptgericht  in  Meurs  zugleich  als  Appellationsinstanz  in 
den  bei  ihm  anhängigen  Sachen  erkannte,  so  gehören  die 
Fälle,  in  denen  es  nach  eingelegter  Appellation  Akten  nach 
Brandenburg  versandte,  auch  hierher. 

Das  Gleiche  gilt  von  dem  Amte  Giebichenstein  bei 
Halle,  das  1 743  (95  265)  als  Appellationsinstanz  in  einer  beim 
Stadtvogteigericht  Connern  hängigen  Sache  angegangen  ist. 

Die  Regierung  des  (seit  1707  preussischen)  Fürsten- 
thums  Minden  und  der  Grafschaft  Ravensberg  zu  Minden 
wendet  sich  1739  (90  197.  359)  nach  Brandenburg  und  ebenso 
noch  1751  (99  109)  die  hochgräflich  Bentheim-Hohenlimburg- 
sche  Appellationsinstanz  der  1707  mit  Preussen  vereinten 
Grafschaft  Tecklenburg  zu  Rhede. 

*)  Siehe  oben  Seite  312. 

*)  Anscheinend  auch  das  „Cleve -Märkische  Hofgericht"  (zu  Cleve?)? 
denn  1743  (94  386)  ergeht  ein  an  den  „juge  de  Hoerde  de  S.  M.  le  roy  dc 
Prusse44  adressirter  Brandenburger  Spruch;  dieser  Richter  hatte  vor  ihm 
verhandelte  Akten  in  Kommission  des  Cleve- Märkischen  Hofgerichts  ein- 
gesandt. 


§  26.     Konsistorien.  385 

Wie  das  Stadtgericht  Quedlinburg,  so  bitten  auch  vor 
der  Unterordnung  des  Stifts  unter  die  Preussische  Hoheit 
1688  (79  582)  „fürsdich  Quedlinburger  Stiftskanzler  und 
Rät  he"  und  während  der  Preussischen  Hoheit  1721  (81  171), 
1732  (87  i)1)  „Fürstlich  Schleswig  Holsteinsche  zur  Quedlin- 
burger Stiftskanzlei  verordnete  Räthe"  um  einen  Spruch; 
diesen  fallen  die  Brandenburger  „Namens  der  Fürstlich 
Schleswig -Holsteinschen  zur  Quedlinburgischen  Stifts re gie- 
rung verordneten  Räthe".  Kanzlei  und  Regierung  sind  also 
dasselbe,  nämlich  die  höhere  Gerichtsinstanz  des  Stiftes. 

§26. 
Konsistorien. 

Als  eine  Abzweigung  vom  Kammergericht  zu  Berlin 
bildete  sich  allmählich  das  dortige  Konsistorium  zu  einer 
besonderen  Behörde  für  geistliche  Angelegenheiten  und  die 
in  solchen  entstehenden  Prozesse  aus.2)  Dem  Berliner  Kon- 
sistorium folgten  im  Lande  die  von  den  Regierungen  sich 
abzweigenden  Konsistorien.  Auch  diese  Konsistorien  traten 
zu  dem  Brandenburger  Schöppenstuhl  in  Beziehung,  und  zwar 
entwickelte  sich  das  Verhältniss  analog  wie  beim  Kammer- 
gericht, nur  äusserte  der  Satz,  dass  kirchliche  Fragen  nicht 
vor   weltliche  Gerichte  gehörten,   einen  merkbaren  Einfluss. 

Zum  Verständniss  dieser  Entwickelung  bedarf  es  daher 
einer  in  die  vorreformatorische  Zeit  und  dann  in  die  Anfangs- 
periode der  Konsistorien  zurückgreifenden  Erörterung,  aus 
der  erhellt,  in  welcher  Weise  die  Grenzen  zwischen  geist- 
licher und  weltlicher  Gerichtsbarkeit  sich  festlegten  oder  hin- 
und  herschoben.  Dabei  wird  es  unumgänglich  sein,  die  Zu- 
stände der  Mark  kurz  nach  Einführung  der  Reformation  mit 
in  Rücksicht  zu  ziehen,  auch  eine  Reihe  von  Einzelfällen  mit- 
zutheilen,  die  sich  in  den  Brandenburger  Schöppenstuhlsakten 
aus  der  Anfangszeit  konsistorialer  Thätigkeit  finden. 

Die  geistlichen  Gerichte  hatten  während  des  Mittelalters 
in  deutschen   Territorien  einen    Boden   gewonnen,   der   weit 

x)  Im  Febr.  1732  werden  gleichzeitig  9  Sachen  nach  Quedlinburg  ab« 
gefertigt. 

s)  Stölzel,  Rechts  Verwaltung  1,  181 ,  294  fr. 
Stolze!,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  25 


386      5-  Buch.    Erster  Abschnitt.    Konsulenten  aus  Brandenburg-Preussen. 

über   ihre  rechtsbegründete  Zuständigkeit  hinausging.     Der 
Grund  dafür,  dass  dies  geschehen  konnte,  lag  einerseits  in  der 
gesteigerten  Macht  der  Kirche,    andererseits  in  der  Schwer- 
fälligkeit der  weltlichen  Gerichte:  die  Parteien   selbst  zogen 
es  vor,  ihre  Streitigkeiten  vor  dem  geistlichen  Offizial  anstatt 
vor  Richter   und  Schoppen    des    weltlichen  Gerichts  ausge- 
tragen  zu   sehen;  namentlich  forderte  der  Zerfall  der  Land- 
gerichte   den    Zug    der   Landbewohner    an    den    geistlichen 
Richter;  nur  in  den  Städten,  deren  Bürger  stolz  auf  ihr  Pri- 
vileg  waren,    nirgends    anders,    als    vor  ihrem  Stadtgericht 
Recht    nehmen   zu  müssen,  regte  sich  ein  Widerstand.    Ein 
Ausdruck  dieses  Widerstandes  war  die  Beschwerde,  die  Berlin 
und  andere  —  nicht  näher  bezeichnete  —  märkische  Städte 
gegen  Ende  des  vierzehnten  Jahrhunderts   an  ihren  Bischof, 
den  zu  Ziesar  residirenden  Bischof  von  Brandenburg, l)  rich- 
teten,   es   seien  Klagen  vor  sie  gekommen,  dass  „jetzt  dick 
und    viel  ein  Laie  den    andern  und  auch  Priester  die  Laien 
vor  dem  (Ge-)richte  zu  Seyeser  (Ziesar)  geladen  haben  solle*. 
Der  Bischof  erwiderte  darauf  sehr  lakonisch:  „Wir  haben  ein 
geistliches  Gericht  im  Stifte  zu  Brandenburg  von  Rechts  und 
alter  Gewohnheit  her;  will  dort  Jemand  klagen,  so  können  wir 
ihm  darin  wohl  Rechtes  geben."     Dass  Brandenburg  mit  ai 
den  beschwerdeführenden  märkischen  Städten  gehörte,  wird 
ohne  Weiteres  angenommen  werden  dürfen ;  es  war  die  dem 
Sitz  des  bischöflichen   Gerichts  nächstgelegene  Stadt.     Das 
Brandenburger  Stadtgericht  und  der  Brandenburger  Schöppen- 
stuhl  standen  demnach  mit  dem  geistlichen  Gerichte  zu  Ziesar 
in  Konkurrenz.      Davon,    dass    etwa   das    geistliche   Gericht 
beim    Schöppenstuhl    Belehrung   gesucht   hätte,    findet   sich 
hiernach,  wie  erklärlich,  keine  Spur.    Den  deutlichen  Beweis 
von  der  Uebermacht  der  geistlichen  Gerichtsbarkeit  liefert 
der  im  Jahre  1445  auf  dem  neumärkischen  Landtage  zwischen 
Geistlichkeit,   Adel   und    Städten    geschlossene    Rezess,2)  in 
welchem  es  als  ein   besonderes  Zugeständniss    der  Prälaten 
hingestellt  wird,  dass  der  weldiche  Gerichtsherr  des  vor  dem 
geistlichen  Gerichte  beklagten  Laien  die  Abgabe  der  Sache 

*)  Riedel  c.  d.   i,  8  S.  378. 

2)  Stölzel,  Rechtsverwaltung  1,  68  ff. 


§  26.     Konsistorien.  387 

an  das  weltliche  Gericht  fordern  könne;  die  Befugnis9,  jeden 
Laien  in  rein  weltlicher  Sache  vor  das  geistliche  Gericht 
laden  zu  lassen,  wurde  ohne  Weiteres  dem  geistlichen  Ge- 
richte zuerkannt.  Dass  auch  nach  diesem  Rezesse  die 
Abgabe  einer  Sache  an  das  weltliche  Gericht  nicht  allzuoft 
gefordert  wurde,  dass  vielmehr  die  landesherrliche  Gewalt 
in  der  Ausdehnung  der  geistlichen  Gerichtsbarkeit  eher  eine 
Wohlthat  als  eine  Benachtheiligung  sah,  ergiebt  sich  aus  dem 
„Rathschlag"  des  Landtags  von  1503,  man  solle  „den  geist- 
lichen Gerichten  nach  den  alten  Verträgen  ein  Maass  geben, 
dass  die  Beschwerung,  die  täglich  geschieht,  abgestellt 
werde*4,1)  und  auch  aus  den  wiederholten  Bitten  der  Städte 
der  Priegnitz,  als  mit  der  Reformation  die  geistliche  Gerichts- 
barkeit verschwand.  Diese  Städte  stellten  um  1 540  vor,  dass 
sie  eines  Landgerichtes  bedürften,  weil  bisher  ordentlich  Land- 
gericht nicht  gehalten  und  die  geistliche  Jurisdiktion,  davor  ehe- 
mals Schulde  und  andere  geringe  Sachen  wider  die  Bauersleute 
auszutragen  geduldet,  abgegangen  sei.2)  Also  die  landes- 
herrliche und  gutsherrliche  Gewalt  hatte  im  eigensten  Inter- 
esse ihrer  Bauern  von  ihrem  rezessmässigen  Rechte  der  Ab- 
berufung weltlicher  Streitsachen  wenig  Gebrauch  gemacht. 
In  die  Zeit  kurz  vor  dem  Rezess  von  1445  fällt  der  ^e" 
reits  näher  besprochene,  vor  dem  Dorfgericht  Barnewitz  ver- 
handelte Prozess.3)  Er  schwebte  vor  dem  weltlichen  Ge- 
richte; dadurch,  dass  sich  aber  die  Schoppen  an  den  Propst 
zu  Brandenburg,  ihren  Guts-  und  Gerichtsherrn,  um  Beleh- 
rung wandten,  gelangte  der  Prozess  vor  den  geistlichen 
Richter.  Denn  mochte  der  Propst  selbst  die  Rechtsbelehrung 
ertheilen  oder  sie  durch  seinen  Offizial  ertheilen  lassen, 
immer  war  der  Spruch,  den  die  Schoppen  nach  Barnewitz 
zurückbrachten,  und  der  dem  beklagten  Nauener  Bürger 
wenig  zusagte,  ein  geistlicher  Spruch.  So  wurden  auf  dem 
Wege  der  Einholung  von  Rechtsbelehrung  rein  weltliche 
Streitigkeiten  dem  geistlichen  Richter  zugeführt,  und  die 
geistliche  Gerichtsbarkeit  konnte  in  die  weltliche  eingreifen, 

])  Daselbst  1,  184. 

a)  StA.  Rep.  20  C.  1470 — 1543.     Landschaft-Fragmenta. 

3)  Siehe  oben  Seite  274. 

25* 


388      5*  Buch.   Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brand  enburg-Preusscn. 

wenn    es  sich  um  Verhandlungen  vor  solchen  Dorfgerichten 
handelte,    die   geistlichen  Körperschaften,   wie  Domkapiteln,       j 
Stiftern,  Klöstern  und  dergl.  unterstanden. 

Einen  solchen  Eingriff  lässt  ein  Fall  des  Jahres  1476  er- 
kennen,   der   in  Frankfurt  a.  O.    spielte.1)     Ein  Frankfurter 
hatte   einen   Nürnberger  vor  dem  markgräflichen  Richter  in 
Frankfurt  belangt;    die  Schoppen  erkannten,   dass   die  Par- 
teien ihr  Recht  nach  Einbringung  zweier  Schriften  zu  Bran- 
denburg holen  sollten;  das  geschah;  währenddessen  liess  aber 
der  Kläger  den  Beklagten  vor  den   Offizial,  der  nach  Mei- 
nung des  Beklagten  als  geistlicher  Richter  mit  dieser  Sache 
nichts  zu  thun  hatte,  und  gleichzeitig  auch  vor  den  Rath  der 
Stadt  Frankfurt  laden.     Der  Rath  verlangte,  das  Parteivor- 
bringen in  Schriften  zu  verfassen,    dann    wolle    er  sprechen, 
wenn    er    es    wisse,  sonst  ihr  Beider  Geld   nehmen  und  das 
Recht  holen  lassen  zu  Brandenburg. 

Es  gehen  also  auch  hier  geistliche  und  weltliche  Ge- 
richtsbarkeit in  derselben  Sache  neben  einander  her;  das 
Entscheidende  wird  gewesen  sein,  wer  von  beiden  zuerst 
zum  Urtheilsspruche  und  zu  dessen  Vollstreckung  gelangte. 
Zwischen  Oberhof  und  geistlichem  Gericht  bestand  kein  Zu- 
sammenhang.2) 

Das  änderte  sich  durch  die  Reformation. 

Diese  führte,  obwohl  erst  1539  der  Kurfürst  die  neue 
Lehre  öffentlich  annahm,  schon  während  der  1520er  Jahre 
in  der  Mark  zu  argen  Unordnungen.  Die  Einnahmen  der 
Kirchen  blieben  auf  dem  Papier.     Ganze  Pfarrstellen  nebst 


')  lieber  ihn  berichtet  eine  Notariatsinstr.  von  1476,  StA.  Urkunden- 
repertorium  Frankfurt  Nr.  35. 

*)  Eine  vor  dem  „consistorium  Berlinense",  d.  h.  vor  dem  bischöf- 
lichen Offizial  und  seinem  Schreiber,  gepflogene  Verhandlung  aus  den 
1520er  Jahren  s.  ÜB.  l  83.  Die  Verhandlung  entspricht  vollständig  den  in- 
weltlichen Gerichtsbüchern  niedergelegten  Verhandlungen,  nur  ist  sie  la- 
teinisch abgefasst.  Der  erste  Satz  erwähnt  den  Rezess  von  1445:  gemäss 
desselben  ist  die  gegen  einen  Laien  erhobene  Klage  an  den  Rath  der  Stadt 
Bernau  abgegeben.  —  Dass  im  dinglichen  Gerichtsstand  auch  ein  Geist- 
licher vor  weltlichem  Gericht  Recht  zu  nehmen  hat,  beweist  ein  1531 
(1631)  vor  dem  Stadtgericht  Stendal  gegen  den  Vikar  Schulte  wegen 
eines  angeblich  zur  Vikarie  gehörigen  Hauses  anhängiger  Prozess. 


§  26.     Konsistorien.  389 

Ländereien  wurden  eingezogen.  Christof  v.  Rochow  als 
Patron  der  Kirche  von  Klein-Behnitz  (bei  Nauen)  legte  1529 
das  Haus  der  Kirche  zu  dem  seinen.  Aehnlich  verfuhren 
andere  um  Ziesar  begüterte  v.  Rochow,  die  als  die  ent- 
schiedensten Anhänger  der  neuen  Lehre  auftraten,  und  auch 
die  Bauern  in  Grosskreuz  und  Kemnitz  bemächtigten  sich 
des  Kirchenbesitzes;  Monstranzen  wurden  entwendet,  zer- 
trümmert oder  verkauft.1) 

Dass  die  Geistlichkeit  selbst  hieran  nicht  schuldlos  war, 
beweist  der  Ausspruch  Melanchthons  2),  nirgends  gebe  es  eine 
dümmere,  schlechtere  Geistlichkeit  als  in  der  Mark;  auch 
beweist  es  die  erste  nach  Einführung  der  Reformation  abge- 
haltene Visitation,  laut  deren  Protokolls  (1541)  den  Branden- 
burger Kapitularen  aufgegeben  wurde,  ihre  Konkubinenwirth- 
schaft  abzuschaffen  und  „die  verdächtigen  Personen  zu  ent- 
fernen".3)  Mannichfache  Streitigkeiten,  die  aus  solchen  Ver- 
hältnissen sich  zwischen  den  Konkubinen  Geistlicher  oder 
deren  Kindern  (zuweilen  bei  nachfolgender  Ehe)  und  den 
Familienangehörigen  des  Geistlichen  nach  dessen  Tode  ent- 
wickeln, gelangen  vor  den  Brandenburger  Schöppenstuhl. 
Aus  mehr  als  einer  Verhandlung  ersieht  man  den  Einfluss 
der  Säkularisation  des  Kirchengutes.4) 

Der  Predigt  wird  besondere  Bedeutung  beigelegt;  denn 
die  landesherrlichen  Visitatoren  ordnen  (1542:  5  126)  in  Perle- 
berg wöchentlich  zwei  Sermones  über  das  göttliche  Wort  an, 
und  im  Anschlüsse  daran  bestimmen  Privatleute  testamentarisch 
(1546:  ÜB.  1  220)  Legate  für  eine  dritte  wöchentliche  Predigt. 
Derart  heilig  hält  man  die  Predigt,  dass  man  während 
ihrer  die  Stadtthore  schliesst  und  in  Gardelegen  einen 
Schlächterjungen,  der  unter  der  Predigt  muthwillig  über  die 
Stadtpfosten  steigt,  zur  Rechenschaft  zieht;  die  1552  (71) 
um  Belehrung  gebetenen  Brandenburger  erkennen,  dass  er 
mit  dem  Schwerte  vom  Leben  zum  Tode  verrichtet  werden 


')    Gebauer,    Zur  Gesch.   der  Reform,   im  Bisthum  Brdb.,    Programm 
der  Ritterakademie  in  Br.  von  1898,  S.  30  ff. 
*)  Droysen,  Politik  II.  2,  185. 
*)  Gebauer  a.  a.  O.  S.  18. 
4)  Altstädter  Rathsbuch,  Cod.  A  1  AA.     Siehe  oben  S.  94. 


390      5»  Buch.    Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg"- Preussen. 

soll,  wenn  der  Stadtrath  ihm  wegen  seiner  Jugend  nicht 
Gnade  zu  erzeigen  sich  entschliesst.  Das  Verbrennen  „heiliger 
Hostien"  durch  einen  ungeweihten  Priester  tragen  aber  die 
Brandenburger  in  demselben  Jahre  Bedenken,  vor  ihr  Forum 
zu  ziehen  (ÜB.  1  273):  als  nach  dem  Tode  des  Bischofs  Busso 
von  Havelberg  und  vor  Bestätigung  der  Wahl  des  Erzbischofs 
Friedrich  von  Magdeburg  Bürgermeister  und  Rathmannen 
nebst  den  Kirchenvätern  der  Stadt  Wilsnack  einem  von  ihnen 
angenommenen  nicht  geweihten  Priester  die  Reichung  der 
Sakramente  und  die  Vornahme  der  Zeremonien  verboten 
haben,  dieser  aber  doch  den  Gottesdienst  ändert  und  mit 
Hülfe  von  Küster,  Schulmeister  und  Wächter  die  mit  dem 
sogenannten  Wunderblut  getränkten  Hostien  verbrennt,  auch 
sich  auf  der  Kanzel  der  That  rühmt,  weisen  die  von  den 
weltlichen  Befehlshabern  um  Belehrung  angegangenen  Branden- 
burger die  Sache,  soweit  sie  den  Priester  angeht,  vor  den 
geistlichen  Superintendenten. 

Dagegen  finden  die  Brandenburger  1559  (7  590)  kein 
Bedenken,  über  die  Verwendung  kirchlicher  Vermächtnisse 
Entscheidung  zu  treffen.  Dies  bezeugt  ein  in  Havelberg 
vorgekommener  Streit  zwischen  dem  Domkapitel  und  der 
evangelisch  gewordenen  Pfarrkirche.  Die  Kapitelsherren  zu 
Havelberg  hatten  in  vorreformatorischer  Zeit  57  lodige  Mark 
Silber  empfangen,  um  eine  Fraternität  in  der  Stadtkirche  zur 
Besorgung  der  divina  herzurichten.  Auf  Grund  des  darüber 
ausgestellten  Briefs  erbaten  die  Kastenherren  und  Vorsteher 
der  Pfarrkirche  in  Brandenburg  Belehrung,  wie  es  mit  den 
57  Mark  neuerdings  zu  halten.  Sie  werden  verständigt,  das 
Domkapitel  müsse  von  den  57  Mark  jährlich  soviel  zum 
(evangelischen)  Predigtamt  und  Gottesdienst  der  Pfarrkirche 
geben,  als  es  früher  dem  im  Briefe  genannten  Messpfaffen 
zu  geben  hatte,  oder  es  müsse  im  Fall  der  Weigerung  das 
Kapital  zurückerstatten,  „ungeachtet,  dass  jetzt  die  angeord- 
neten abgöttischen  Messen  nicht  gehalten  werden14. 

Die  hierin  liegende  Anerkennung,  dass  für  den  katho- 
lischen Kultus  gemachte  Stiftungen  nunmehr  für  Zwecke 
des  Protestantismus  zu  verwenden  seien,  wiederholte  sich  bei 
Altarlehen;  aus  ihnen  waren  in  den  Augen  der  weltlichen 


§  26.     Konsistorien.  391 

Gerichte  ohne  Weiteres  Stipendien  für  die  Familie  des 
Stifters  geworden.  Das  nahmen  die  Brandenburger  bezüg- 
lich zweier  von  Mollendorfscher  Altarlehen  zu  Krampfer  bei 
Perleberg  1586  (39  564)  einfach  als  Thatsache  hin;  die  Lehen 
behandelte  man  als  Stipendien,  deren  Verleihung  ein  Studiren- 
der  der  Familie  mit  kurfürstlichem  Konsens  beanspruchen 
könne.1)  Zu  weit  ging  indess  den  Brandenburgern  das  Be- 
gehren des  Gemeindekastens  von  Havelberg,  ihm  und  nicht 
den  Intestaterben  sei  der  Nachlass  einer  „früher  geistlichen 
Person"  zuzuweisen  (15608  178).  Was  zu  Zeiten  aus  solchen 
früheren  Geistlichen  wurde,  lehrt  ein  in  Cöln  a/Spr.  1557 
(6  225)  aufgenommenes  Protokoll  über  das  Bekenntniss  des 
„Ern  Johann  Kossuick,  etwan  Pfarrers  zu  Zulenu  (Zuhlen  bei 
Rheinsberg).  Danach  hatte  der  Pfarrer  mit  einem  Gesellen 
Paul  Tue  einen  Bauern  erschlagen,  ihm  das  Pferd  genommen 
und  verkauft,  auch  noch  weitere  Unthaten  begangen,  Kirchen 
im  Lande  Mecklenburg  und  im  Lande  Ruppin  erbrochen 
und  Kirchengeräthe  entwendet.  Welche  Strafe  ihn  trifft, 
ist  aus  den  Akten  nicht  ersichtlich.2)  Dass  aber  die  Branden- 
burger für  zuständig  gelten,  auch  gegen  geistliche  Personen 
Strafen  auszusprechen,  folgt  daraus,  dass  der  Kurfürst  selbst 
1574  (ÜB.  1  613)  einen  Gutsherrn  nach  Brandenburg  verweist, 
als  er  anfragt,  wie  gegen  einen  —  verheiratheten  —  Pfarrer 
vorzugehen  sei,  der  sich  mit  einer  Nonne  des  Klosters  Dam- 
beck bei  Salzwedel,  der  Tochter  des  dortigen  Bürgers 
Christoph  Chuden,3)  vergangen  hat;  die  Brandenburger  er- 
kennen dem  Pfarrer  den  Tod  durch  das  Schwert  zu. 

Damit  ist  der  Weg  betreten,  der  allmählich  zu  einer 
Scheidung  der  Zuständigkeit  zwischen  dem  Schöppenstuhl 
und  dem  seit  der  Reformation  aus  verordneten  kurfürstlichen 
Räthen  an  Stelle  der  früheren  geistlichen  Obrigkeit  ge- 
bildeten Konsistorium  führt.4)  Die  Ausübung  der  Straf- 
gerichtsbarkeit gegen  geistliche  Personen  betrachtet  der 
Schöppenstuhl   als   seine    Sache;    anders    stellt    er    sich    zu 


Vvgl.  ÜB.  1514. 

a)  Ueber  einen  ähnlichen  Fall  vgl.  ÜB.  1  478. 

3)  Vergl.  oben  S.  144. 

4)  Stölzel,  Rechtsverwaltung:   1,  181   ff. 


392      5-  Buch.    Erster  Abschnitt.    Konsulenten  aus  Brandenburg--Preusse&- 

kirchenrechtlichen  Fragen,  bei  denen  es  sich  nicht  um  eine 
Bestrafung  handelt;  hier  überlässt  er  dem  Konsistorium  die 
Entscheidung. 

Darum  lehnen  1569  (11  552)  die  Brandenburger  ab,  dar- 
über Belehrung  zu  ertheilen,  ob  die  Ehebrecherin    sich   mit 
dem  Ehebrecher  wieder verheirathen  darf,  und  verweisen  den 
um  Belehrung  Fragenden    an    das  Konsistorium;    ebenso  er- 
kennen sie   16 14  (ÜB.  2  515)  auf  Anfrage  des   Hauptmanns 
zu  Zehdenick  in  einem  Falle,   in  welchem  sich  Jemand  nach 
zugesagter    Ehe    und    fleischlicher    Vermischung    mit    einer 
Anderen    hat  trauen  lassen,    während  sie    sich  1573   (14  271  j 
über    die   Unzulässigkeit    einer  Ehe    mit    der  Halbschwester 
Tochterkind    ohne    Bedenken    aussprechen.      In    demselben 
Jahre  entlässt  (14  53)    das  Konsistorium  einen  Küster    derer 
v.  Lochau  in  Nennhausen  (bei  Rathenow),   verständigt   aber 
dabei  die  v.   Lochau,   wegen    der  Strafe  sei    der  Schöppen- 
stuhl  in  Brandenburg   anzugehen,   da   es   in  „Criminalsachen 
nicht    sprechen    könne44.      Aus    gleichem    Grunde    gelangen 
folgende     Sachen    nach     Brandenburg :     Dorfgerichtsherren, 
deren  Namen  nicht  ersichtlich  ist,  fragen  (c.  1578  *):    11  480) 
in  Brandenburg  an,  wie  ein  verheiratheter  früherer    Kaplan 
der    Gemeinde,    der    seine    Magd    geschwängert    habe,    zu 
bestrafen    sei.      Nach    Roters,    des    Referenten,    Vorschlag 
sollte    —    ohne    Rücksicht    auf   die   Eigenschaft   des    Ange- 
schuldigten als  Geistlichen  —  gesprochen  werden,    dass  der 
Gerichtsherr    den    stuprator   inhalts    der    kaiserlichen     Hals- 
gerichtsordnung in  Geldbusse  nehmen  und  diese  als  Gerichts- 
herr   behalten,    desgleichen    die  Geschwängerte   mit   Staup- 
schlägen der  Gerichte  verweisen  dürfe ;  wolle  die  Magd  den 
Kaplan,    weil    er    ihr   angeblich    die    Ehe    versprochen,    an 
gebührlichen    Orten,    dahin    Ehesachen    gehören,     be- 
sprechen,  so  wäre  ihr  solches  unbenommen,  sie  könne  sich 
aber,  da  das  bei  Lebzeiten  des  Eheweibs  des   Kaplans  ge- 
gebene Versprechen  nichtig,  der  Strafe  nicht  entbrechen.    Das 
Kolleg  beabsichtigte,  grössere  Rücksicht  auf  die  geisdichen 
Gerichte  zu  nehmen;  Roters  Konzept  änderte  Bardeleben  dahin, 

*)  Da  Garz  den  Spruch  ausgefertigt  hat,   erging  derselbe  nach  1576, 
in  welchem  Jahr  Garz  Schöppenschreiber  wurde. 


§  26.     Konsistorien.  393 

dass  vorläufig  über  die  Bestrafung  des  Kaplans  und  der 
Magd  noch  nichts  zu  sagen,  vielmehr  abzuwarten  sei,  ob  die 
Sache,  die  als  einen  Geistlichen  betreffend  vermöge  der  be- 
schriebenen geistlichen  Rechte  vor  die  geistliche  Jurisdiktion 
gehöre,  zur  peinlichen  Strafe  an  die  weltliche  Obrigkeit  und 
an  den  Gerichtsherrn  wiederum  werde  verwiesen  werden.  In 
dieser  Fassung  gelangte  der  Spruch  zur  Ausfertigung. 

Ein  Verlobter  in  Prenzlau  sollte  sich  1573  (ÜB.  1  593)  nach 
der  Verlobung  mit  losen  Weibern  abgegeben  haben  und  im- 
potent geworden  sein.  Nach  Verhandlung  vor  dem  Geist- 
lichen gelangte  durch  ihn  die  Sache  vor  das  geistliche  Kon- 
sistorium. Dieses  befahl  dem  Pfarrer,  dem  Bürgermeister  und 
dem  Rath  die  Sache  zu  untersuchen  und  in  Brandenburg  zu 
fragen,  welche  Strafe  den  Bräutigam  treffen  müsse.  Die 
Brandenburger    erkannten  auf  willkürliche  Strafe. 

In  einer  Ehesache  wandte  sich  1577  (18  579)  Bürger- 
meister und  Rath  zu  Strasburg  i/N.  an  das  Konsistorium; 
dieses  gab  die  Akten,  „weil  zu  strafen  sei",  nach  Branden- 
burg ab. 

Ein  Küster  hatte  1578  (19  463)  eine  Pfarrerstochter 
fleischlich  erkannt;  die  vor  den  „Kurf.  Brand,  geistlichen 
Konsistorialräthen  eingebrachten  Akten"  sandten  die  Räthe 
nach  Brandenburg,  „zu  erkennen,  was  recht  ist".  Die 
Brandenburger  sprachen  gegen  den  Küster  die  Gerichts- 
verweisung mit  Staupenschlägen  auf  geschworenen  Urfrieden 
aus  (ÜB.  4  179). 

Ebenso  sandten  die  „verordneten  Konsistorialräthe  zu 
Berlin"  1584  (25  278)  Akten  zum  Rechtspruch  ein,  in  denen 
es  sich  um  einen  Küster  handelte,  der  Scheltworte  ausge- 
stossen  haben  sollte. 

Ein  vom  Gutsherrn  v.  Plato  seines  Amtes  entsetzter 
Pfarrer  zu  Parei  (bei  Genthin)  ging  1585  (26  148)  in  den 
Krug,  wurde  vom  Wein  trunken,  zog  des  Krügers  Rock  an, 
setzte  dessen  Hut  auf,  nahm  einen  alten  Spiess  in  die  Hand 
und  ging  wie  ein  Bauersmann  in  die  Kirche,  lehnte  sich  auf  die 
Taufe,  half  singen  und  redete  in  die  Predigt  hinein.  Er 
wurde  aus  der  Kirche  gebracht  und  dann  vom  Diener  des 
v.  Plato  gefänglich  angenommen.     Auf  Anfrage  seiner  Frau 


394      5-  Buch.    Erster  Abschnitt.    Konsulenten  aus  Brandenburg- Preus^n. 

sprachen  die  Brandenburger,  dass  er  auf  einen  geschwornen 
Urfrieden  erledigt  (=  frei  gelassen)  werden  soll. 

Verordnete  kurfürstlich  Brandenburgische  Konsistorial- 
räthe  in  Cöln  a/Spr.  baten  1590  (33  256)  auf  Befehl  des 
Kurfürsten  in  Sachen  eines  gefangenen  Geistlichen,  in  der 
sie  zu  sprechen  Bedenken  haben,  in  Brandenburg  um  Be- 
lehrung des  Rechten,  hoffend,  weil  es  eine  geistliche  Person 
anlangt,  die  Brandenburger  würden  damit  soviel  mehr  Acht 
haben.  Es  wurde  auf  die  peinliche  Frage  erkannt.  Dem 
Pfarrer  war  Betrug,  Bedrohung,  mehrmaliges  öffentliches 
Verlöbniss  vorgeworfen. 

Auf  Anfrage  des  Kurfürsten,  wie  eine  dem  Kloster  zu 
Heiligen -Grabe  angehörige,  im  Hoflager  zu  Cöln  gefangen 
gehaltene  Klosterjungfrau  von  Adel  zu  strafen  sei,  weil  sie 
ausserhalb  und  auch  zuwider  ihrem  Gelübde  innerhalb  des 
Klosters  mit  Jochim  Scheplitz1)  zu  Wittstock  Unzucht  ge- 
trieben habe,  sprachen  die  Brandenburger  1592  (36  220)  auf 
Staupschlag  und  Landesverweisung. 

Im  Streite  des  Pfarrers  und  der  Gemeinde  Straussberg 
wegen  Injurien,  der  1605  (51  170)  vor  dem  Konsistorium  ver- 
handelt wurde  und  dort  zur  Beweisaufnahme  führte,  über- 
sandte der  Kurfürst  (mit  Johann  Köppens,  des  Vizekanzlers 
und  Konsistorialpräsidenten,  Unterschrift)  den  Brandenburgern 
die  Akten,  „ein  rechtmässig  Urtheil  zu  fallen,  was  wider  den 
einen  oder  den  andern  Theil  der  Strafe  halber  vorzunehmen44 
Der  Pfarrer  hatte  die  Christnachtpredigt  „für  sich  allein 
abgeschafft,  war  auch  sonst  säumig  gewesen  und  hatte  auf 
dem  Markte  einen  Bürger  öffentlich  geschlagen,  der  Bürger- 
meister dagegen  hatte  in  der  Kirche  in  der  Christnacht 
Geheul  anf  der  Orgel  verursacht  und  den  Pfarrer  auf  der 
Strasse  „zum  Schlage  und  Haarverlesen  provozirt".  Die 
Brandenburger  sprachen  auf  Geldbusse  für  beide  Theile  und 
auf  Vermahnung  des  Pfarrers. 

Formell  ist  vermuthlich  in  solchen  Fällen  das  Konsistorium 
das  erkennende  Gericht,  das  der  eingeholten  Belehrung  ge- 
mäss das  Urtheil  fällt.    Als  darum  ein  Erbsess  (1602:  49  384) 


,)  Vgl.  oben  Seite  336. 


§  26.     Konsistorien.  395 

in  Brandenburg  fragte,  was  mit  seinem  Pfarrer,  der  gefälscht 
habe,  geschehen  könne,  wurde  er  belehrt,  dass  er  ihn 
deshalb  und  wegen  der  Amtsentsetzung  „vor  dem  Kon- 
sistorium zu  belangen  wohl  befugt  seiu.  Das  sollte  nicht  etwa 
eine  Befragung  des  Schöppenstuhls  durch  das  Konsistorium 
ausschliessen.  Die  Ehefrau  eines  Archidiakonus  in  Prenzlau 
(1647:  77600),  wegen  Beleidigung  vor  Bürgermeister  und 
Rath  daselbst  belangt  und  zur  Publikation  des  in  Branden- 
burg geholten  Urtheils  vorgeladen,  weigerte  sich,  Folge  zu 
leisten,  weil  sie  vor  das  Konsistorium  gehöre.  Die  Weigerung 
wurde  in  Brandenburg  für  nicht  gerechtfertigt  erklärt,  da 
der  beleidigte  Kläger  vom  Rath  in  seine  Ehren  restituirt 
werden  könne. 

Zuweilen  soll  nach  einem  Spruche  der  Brandenburger 
das  Konsistorium  bei  Vollziehung  einer  Strafe  oder  der  Unter- 
suchung mitwirken;  denn  1603  (50  627)  wird  ein  Amtsschreiber 
auf  seine  Anfrage  belehrt,  dass  berauschte  Zechgesellen,  die 
den  Gottesdienst  gestört  haben,  „in  willkürliche  Strafe  zu 
nehmen  seien  und  dann  der  Gemeinde  auf  vorgehende 
Bewilligung  des  Konsistoriums  in  der  Kirche  öffent- 
liche Abbitte  zu  thun  hätten".  Aehnlich  ergeht  1608  in  einer 
Berliner  Unzuchtsache  der  Brandenburger  Spruch  dahin,  die 
Entschuldigung  der  Geschwächten,  dass  der  Schwängerer  ihr 
die  Ehe  versprochen  habe,  sei  mit  Vor  wissen  des  Kon- 
sistoriums zu  untersuchen  (ÜB.  2  430). 

Ein  Fall,  in  welchem  der  Schöppenstuhl  dem  Konsistorium 
gegenüber  als  dessen  vorgesetzte  Instanz  angerufen  wird, 
lässt  sich  bereits  aus  dem  Jahre  1567  (11  250)  beibringen. 
Damals  hatte  eine  Geschwängerte  aus  Wustrau  (bei  Neu- 
Ruppin)  das  Konsistorium  angegangen,  die  Sache  „zu  verhören 
und  zu  vertragen11,  dort  gewannen  aber  —  so  bemerkt  die 
Klägerin  in  der  Missive  —  „munera,  wie  der  Poet  spricht, 
die  Oberhand14;  obwohl  es  heisse:  ducat  aut  dotet,  habe  ihr 
das  Konsistorium  nicht  geholfen;  sie  habe  dort  abdanken 
und  an  die  Brandenburger  Schoppen  „appelliren  müssen11; 
diese  bat  sie,  ihr  behülflich  zu  sein.  Die  Brandenburger  er- 
kannten dahin,  dass  von  ihr  der  Beweis  des  Eheversprechens 
zu  verlangen  sei ;  danach  werde  weiter  ergehen,  was  Rechtens. 


396      5-  Buch.    Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg-Preussen. 

Solcher  Art  Fälle  führten  allmählich  dahin,  ein  Rechts- 
mittel von  den  Erkenntnissen  des  Konsistoriums  an  den 
Schöppenstuhl  zuzulassen.  Das  tritt  besonders  deutlich  her- 
vor in  den  Landestheilen,  in  denen  das  Konsistorium  Theil 
der  Regierung  war,  wie  in  Küstrin.  Hier  bat  z.  B.  1746 
97  358)  ein  wegen  Ehebruchs  auf  Ehescheidung  Beklagter 
beim  Konsistorium,  die  Untersuchung  einem  Fiskal  aufzu- 
tragen; gegen  das  ergehende  Konsistorialdekret  ergriff  er  „re- 
medium  supplicationis";  die  „Regierung  zu  Küstrin"  ersuchte 
hierauf  den  Schöppenstuhl,  „Namens  des  Königs  zu  erkennen". 
Ein  Beamter,  der  einen  Prediger  belangt  hatte,  weil  er  an- 
züglich gepredigt  und  einen  erbetenen  Taufakt  bis  auf  den 
Abend  verschoben  habe,  erhält  1746  (97  566)  auf  seine  gegen 
den  klagabweisenden  Bescheid  der  „Regierung  zu  Küstrin" 
angebrachte  „Imploration"  einen  Spruch  des  von  der  Regie- 
rung um  ein  Erkenntniss  angegangenen  Schöppenstuhls,  der 
es  bei  der  Klagabweisung  belässt,  weil  bei  einem  Prediger 
der  animus  injuriandi  nicht  zu  vermuthen  sei.  Gegen  ein  vom 
„geistlichen  Konsistorium  zu  Berlin14  (unter  Cocceji's  Unter- 
schrift) 1736  (88  428)  erlassenes  Urtheil,  das  gegen  eine  Ehe- 
frau zweijährige  separatio  a  thoro  et  mensa  aussprach,  legte 
die  beklagte  Ehefrau  beim  Konsistorium  Appellation  ein;  das 
Konsistorium  ersuchte  den  Schöppenstuhl  um  ein  Erkenntniss, 
und  der  Schöppenstuhl  verurtheilte  den  Ehemann,  die  Frau 
„nach  christlicher  Versöhnung  und  Versprechung,  vernünftig 
und  gebührlich  einander  zu  begegnen,  zu  sich  zu  nehmen". 
Eine  derartige  Erledigung  eingegangener  Appellationen  war 
beim  Berliner  Konsistorium  allmählich  so  üblich  geworden, 
dass  man  sich  ähnlicher  gedruckter  Formulare  bediente, 
wie  wir  sie  beim  Kamipergerichte  kennen  lernten1);  das  For- 
mular besagt  (z.  B.  1741:  92  235),  dass  „Königlich  Preussische 
zum  geistlichen  Konsistorium  verordnete  Präsidenten  und 
Räthe"  die  Akten  übersenden,  „sich  eines  Urtheils  zu  ver- 
einigen". 

Die  Anfragen  in  Sachen  geistlicher  Gerichtsbarkeit  blieben 
auch  nicht  auf  die  Mark  beschränkt:  das  Konsistorium  zu 
Ei  sieben    sandte    1744  (95  493)  Akten   nach  Brandenburg, 

*)  Siehe  oben  S.  369. 


§  27.     Landgerichte.  397 

in  denen  der  Dekan  zu  Leimbach  seinen  Substituten  wegen 
Beleidigung  belangt  hatte;  die  Brandenburger  erklärten  die 
Remotion  des  Substituten  nicht  für  angezeigt,  sprachen  viel- 
mehr nur  dreimonatige  Suspension  aus.  Gegen  einen  Ab- 
schied, mittels  dessen  das  Magdeburger  Konsistorium 
eine  Ehescheidungssache  beendete,  legte  1745  (96  345)  der 
Kläger  in  Brandenburg  das  Rechtsmittel  der  Läuterung  ein; 
die  Brandenburger  beliessen  es  bei  dem  Abschied.  „Dechant 
und  Kapitularen  der  Archidiakonal-  Stiftskirche  ad  sanctum 
Patroclum  binnen  Soest"  (in  der  Grafschaft  Mark)  baten 
1746(97370)  in  einer  Injuriensache  gegen  den  Kanonikus 
v.  Horst  um  ein  Erkenntniss;  es  wurde  in  Brandenburg  Beweis 
verlangt. 

Nachdem  in  Berlin  für  Militärpersonen  ein  besonderes 
Kriegskonsistorium  (mit  Mylius  an  der  Spitze)  geschaffen 
war,  wendete  sich  auch  dies  Konsistorium  nach  Branden- 
burg, z.  B.  1735  (88  108)  in  einer  Schwängerungssache,  1737 
(89  195)  in  einer  Schwängerungs-  und  Verlöbnisssache,  1743 
(94  257)  in  einer  Ehescheidungssache.  Da  für  das  Kriegs- 
konsistorium das  im  Jahre  1746  erlassene  Verbot  der  Akten- 
versendung nicht  galt,  so  gehörte  es,  ebenso  wie  das  General- 
auditoriat  und  die  Domänenkammern,1)  zu  denjenigen  Preussi- 
schen  Behörden,  die  über  das  Jahr  1 746  hinaus  dem  Branden- 
burger Schöppenstuhl  Arbeitsstoff  zuführten  und  dadurch  zu 
seiner  Erhaltung  beitrugen.  Anfragen  der  „zum  Kgl.  Preussi- 
schen  Kriegskonsistorio  verordneten  Präses  und  Assessoresu 
oder  der  „zum  Kgl.  Preuss.  Kriegskonsistorio  bestellten  Ge- 
heimer Kriegsrath  und  Gener alauditeur,  Kriegsräthe  und 
Oberauditeurs,  auch  Assessores"  liegen  noch  aus  den  Jahren 
1776  (103  149),  1777  (103  302),  1781  (104  147.  229)  vor. 

§27. 

Landgerichte. 

Wenn  bereits  1232  omnis  de  terra  Teltow,  de  terra 
Ghelin  et  de  terra  Barnem  sein  Recht  zu  Spandau  und 
Spandau  das  seinige  zu  Brandenburg  holte,2)  so  folgt  daraus, 

*)  Siehe  oben  S.  377.  381. 
a)  Siehe  oben  Seite  256. 


398      5«  Buch.    Erster  Abschnitt.    Konsulenten  aus  Brandenburg-- Preussen. 

dass   gleich    den    Städten    auch    das    platte  Land    an    seine 
Zentralstadt  als  den  Oberhof  gewiesen  war:  wie  die  Richter 
und  Schoppen  der  alten  märkischen  Stadtgerichte,  so  haben 
sich  auch  Richter  und  Schoppen   der  alten  Landg-erichte 
des  Rechten  belehren  lassen.     Das  geht  vor  Allem  aus  dem 
Berliner  Stadtbuch  vom  Ende  des  vierzehnten  Jahrhunderts 
hervor:  „Zu  Landrecht  und  zu  Borgerrecht  findet  man  zu 
Brandenburg,  das  hier  vormals  war  bei  der  Klinke  bei  Bran- 
denburg."    Spuren  davon   zeigen   sich  mannichfach    in   den 
oben  berührten  Quellen  aus  dem  vierzehnten  und  fünfzehnten 
Jahrhundert. l) 

Dass  in  Brandenburg  ein  „Landgericht"  Recht  geholt 
hätte,  namentlich  etwa  das  Landgericht  zur  Klinke,  davon 
enthalten  unsere  Schöppenstuhlsakten  keine  Nachricht ;  zu  der 
Zeit,  mit  welcher  diese  Akten  beginnen,  waren  die  alten 
Landgerichte  längst  zerschlagen.2)  Erst  seit  die  fremden 
Rechte  zur  Herrschaft  gelangten,  treten  in  der  Mark  wieder 
„Landgerichte"  auf;  sie  haben  aber  mit  den  alten  Landge- 
richten nur  den  Namen  gemein:  sie  sind  Bezirke,  in  denen 
es  Richter  und  Schoppen  der  alten  Zeit  nicht  mehr  giebt, 
sondern  nur  einen  gelehrten  Richter  ohne  Schoppen,  den  als 
Einzelrichter  der  Landesherr  mit  der  Rechtsprechung  beauf- 
tragt hat.  So  wird  durch  die  Gerichtsordnung  von  15463)  der 
Bürgermeister  zu  Perleberg  als  Landrichter  der  Priegnitz 
bestellt,  mit  einem  Gerichtsschreiber  auf  dem  Rathhaus  zu 
Perleberg  Gericht  zu  halten.  Dass  es  sich  hier  um  einen 
Richter  ohne  Schoppen  handelte,  war  nicht  immer  dem 
Brandenburger  Schöppenstuhl  gegenwärtig;  denn  als  einmal 
(1607:  47  514.  ÜB.  2  404)  der  Landrichter  zu  Perleberg  ge- 
meinsam mit  Richter  und  Schoppen  daselbst  (d.  h.  mit  dem 
Stadtgericht)  zwei  Prozesse  in  demselben  Packete  einschickt, 
von  denen  der  eine  vor  dem  Landgerichte,  der  andere  vor 
dem    Stadtgerichte   verhandelt   war,  begeht    der  Schöppen- 

*)  Siehe  oben  §§  15.  16. 

*)  Die  Geschichte  dieser  Zerschlagung  ist  noch  für  kein  Territorium 
geschrieben.  Ihre  Erforschung  bietet  grosse  Schwierigkeit  wegen  der 
Lückenhaftigkeit  der  Quellen. 

3)  Stölzel.  Rechts  Verwaltung  1,  184. 


§  27-     Landgerichte.  399 

Schreiber  das  Versehen,  auch  in  der  landgerichtlichen  Sache 
die  Formel  zu  gebrauchen,  dass  die  Brandenburger  Namens 
der  „verordneten  Richter  und  Schoppen  des  Landgerichts" 
erkennen;  der  Spruch  ist  auch,  da  das  Versehen  unbemerkt 
blieb,  mit  dem  Fehler  abgegangen.1) 

Dieser  Landrichter  der  Priegnitz  verschmäht  aber,  ob- 
wohl er  selbst  rechtsgelehrt  ist,  keineswegs,  sich  in  zweifel- 
haften Fällen  nach  Brandenburg  zu  wenden. 

In  einem  Streite  des  Gotteshauses  zu  Quitzöbel  (bei 
Havelberg)  gegen  einen  Bewohner  des  benachbarten  Dorfes 
Lennewitz,  betreffend  die  Herausgabe  eines  Ackers,  erlassen 
1552  (4587)  auf  seine  Anfrage  zunächst  die  Brandenburger 
ein  „Interlocutorium".  Dies  publizirt  der  Landrichter,  beide 
Theile  bringen  darauf  „vermöge  der  Landgerichtsordnung" 
den  erforderten  Beweis  und  disputiren  darüber;  dann  sendet 
der  Landrichter  die  Akten  nach  Brandenburg  „zu  fernerer 
Belehrung,  was  Recht  ist  und  die  Billigkeit  vermag;  das- 
selbige  werde  Gott,  dem  Allmächtigen,  und  Kurfürstlichen 
Gnaden  gefallen".  Ebenso  sendet  1553  (5  10 1)  und  1557 
(6  217)  „nach  altem  Brauche"  der  Landrichter  in  der  Prieg- 
nitz die  vor  „dem  kurfürstlichen  Landgericht"  erwachsenen 
Akten  in  Sachen  zweier  Neuruppiner  Bürger  gegen  die 
Bauerschaft  des  Dorfes  Derbow  ein.  Der  Spruch  der  Bran- 
denburger verlangt  den  Beweis  der  angestellten  Klage.  Als  in 
einem  Streit  zweier  Unterthanen  derer  zu  Putlitz  1572  (12  615) 
die  Herren  zu  Putlitz  sich  einmischen,  sieht  sich  der  Land- 
richter der  Priegnitz,  „weil  sich  die  Herren  ihrer  Unterthanen 
zum  heftigsten  annehmen,"  veranlasst,  „wiewohl  er  der  Sache 
hätte  abhelfen  können,"  in  Brandenburg  zu  fragen,  ob  Be- 
klagter schriftlich  oder  mündlich  zu  antworten  schuldig  sei;  das 
bejahen  die  Brandenburger  „bei  Pen  des  Ungehorsams".  In 
einem  Falle  des  Jahres  1579  (20  439)  haben  die  Parteien  vor 
dem  Landgericht  der  Priegnitz  zum  Urtheil  beschlossen; 
der  Kläger  stirbt  aber  vor  Erlass  des  Urtheils ;  sein  Rechts- 
nachfolger   bittet    um  Verschickung  der  Akten.     Der  Land- 

l)  Richtig  ist  das  1626  (ÜB.  2  646)  im  Namen  des  LG.  Perleberg  er- 
gangene Belehrungsurtheil  dahin  formulirt:  .  .  .  „spricht  der  verordnete 
Landrichter  zu  P.  nach  eingeholtem  Rath  der  Rechtsgelehrten.* 


400      5'  Buch.   Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg -Preussen. 

richter  ladet  die  Parteien  „zur  Inrotulation  der  Akten4',  durch- 
liest im  abgehaltenen  Termine  die  Akten  in  ihrem  Beisein, 
legt  sie  zusammen  und  versieht  sie  mit  dem  Landgerichts- 
siegel. Nachdem  die  Parteien  in  die  Verschickung  gewilligt, 
auch  der  Landrichter  selbst  für  seine  Person  zu  sprechen 
Bedenken  hat,  überschickt  er  die  Akten  nach  Brandenburg. 
Der  Umstand,  dass  der  Landrichter  zugleich  als  Bürgermeister 
von  Perleberg  vorkommt,  weist  auf  eine  nahe  Verbindung 
von  Land-  und  Stadtgericht  hin;  der  Landrichter  mag  zu- 
gleich öfter  Stadtrichter  gewesen  sein;  so  erklärt  es  sich, 
wenn  1607 l)  „verordnete  Richter  und  Schoppen  des 
Stadtgerichts  zu  Perleberg  „etliche  Akten"  nach  Branden- 
burg senden,  „so  einestheils  vor  uns  im  Stadtgericht,  eines- 
theils  vorm  Priegnitzschen  Landrichter  verhandelt  sind**. 

Eine  ähnliche  Verbindung  des  Landrichteramtes  mit 
einem  anderen  Amte  ergiebt  sich  für  einen  zweiten  märki- 
schen Landrichter,  den  zu  Tangermünde.  Hier  tritt  der 
„Hof-  und  Landrichter  der  Altmark*4  auf;  sein  Hof-  und 
Landgericht  ist  noch  am  Ende  des  sechzehnten  Jahrhunderts 
(1583:  24  282),  wie  vor  Alters,  „vor  der  Schlossbrücke  ^)  zu 
Tangermünde".  Hier  führte  1558  (17  514)  der  Hof-  und 
Landrichter  sein  „Hofgerichtsbuch", 3)  in  das  er  auf  der  Par- 
teien Bitten  Vergleiche  einträgt,  hier  verhandeln  1567  (11457) 
die  Parteien  vor  dem  Hof-  und  Landrichter  nebst  dem 
Kastner  (dem  Rentbeamten)  als  bestellten  Kommissarien,  die, 
weü  sie  selbst  zu  sprechen  sich  bedenken,  und  weil  die  Par- 
teien darum  gebeten  haben,  die  Akten,  in  denen  zum  Urtheil 
beschlossen,  nach  Brandenburg  verschicken.  Beispiele  von 
Aktenversendungen  nach  Brandenburg  durch  den  Hof-  und 
Landrichter  allein  ergeben  Fälle  von  1574  (15  197),  1583  (24 
282),   11585  (26448),   1586  (27  112). 

*)  Siehe  oben  Seite  398. 

*)  Hier  sei  die  Gelegenheit  benutzt,  einen  Irrthum  in  Stölzels  Rechtsv. 
x,  71  zu  berichtigen:  die  Schlossbrücke  überbrückt  nicht  die  Elbe,  sondern 
nur  einen  Schlossgraben  unweit  der  Elbe. 

8)  Dem  bekannten  Tangerraünder  Landbuch  Karls  IV.  von  1375 
(Stölzel,  Rverw.  i,  147)  ist  1427  ein  zweites  Landbuch  gefolgt,  von  welchem 
1586  (27  138)  abschriftlich  ein  kurzer  Auszug,  betr.  das  hoheste  und  sideste 
Gericht  über  das  Dorf  Schwarzholz,  mitgetheilt  wird  (ÜB.  1  97,  Anm.  1). 


§  27.     Landgerichte.  401 

Einmal  findet  sich  (1591 :  34  196)  ein  „Landgericht  der 
von  Bartensieben  zu  Wolfsburg"  (Kreis  Gardelegen)  erwähnt. 
Die  von  Bartensieben  sind  mit  dem  Dorf  Steimbke  nebst  Ge- 
richten „höhest  und  niedrigst"  innerhalb  und  ausserhalb  des 
Dorfes  vom  Kurfürsten  beliehen.  Im  Dorfe  wohnen  Leute, 
die  andern  von  Adel  mit  Diensten  und  Pachten  verwandt 
sind.  Es  entsteht  deshalb  die  Frage,  welcher  Gerichtsbar- 
keit solche  Leute  unterstehen.  Die  von  Bartenslfeben  fragen 
in  Brandenburg  um  Belehrung  an,  indem  sie  behaupten,  die 
Leute  seien  „vor  dem  Landgericht  zu  erscheinen  dingpflichtig" 
und  zu  demselben  zu  kontribuiren  verpflichtet,  weil  sie  die 
dem  Landgericht  unterstehenden  Strassen  und  Feldmark  ge- 
brauchen.    Diesen  Anspruch  erklären  die  Brandenburger  für 

« 

begründet,  „wenn  nicht  seit  rechts  verjährter  Zeit  es  anders 
gehalten  ist".  Um  welche  Art  Landgericht  es  sich  hier 
handelt,  war  nicht  zu  ermitteln. 

Aus  später  erworbenen  Landestheilen  finden  sich  „Land- 
gerichte" erwähnt  zu  Aerzen,  einem  Flecken  bei  Hameln, 
1576  (ÜB.  1667),1)  zu  Tecklenburg  (1745:  96674)  und  zu 
Lünen,  einer  Stadt  bei  Dortmund  (1746:  97672).  Eine  „in 
den  Tecklenburgischen  Landgerichten"  verhandelte  Civil- 
sache  sendet  im  genannten  Jahre  „der  Reg.Rath  des  Fürsten- 
thums  Minden  und  Grafschaft  Ravensburg"  nach  Branden- 
burg,2) nachdem  vorher  die  Mindener  und  Hallenser  ge- 
sprochen. Die  beim  Landgericht  Lünen  anhängige  Sache 
hat  die  Regierung  zu  Cleve  avozirt  und  dann  zum  Spruche 
nach  Brandenburg  gelangen  lassen. 

Im  Pommerschen  und  Magdeburgschen  (ebenso  im  Sächsi- 
schen)3)   haben   sich   die   alten  Landgerichte  länger  als   im 

l)  Die  Anfrage  nach  Br.  stellt  hier  der  Syndikus  von  Hameln  und 
„der  Richter  des  Landg.  zu  Ertzen";  von  Schoppen  ist  keine  Rede.  Das 
Verhältniss  wird  dasselbe  sein  wie  in  Perleberg  (oben  Seite  398). 

a)  In  demselben  Jahre  sprechen  die  Brandenburger  (97  398)  im  Namen 
von  „Friedrich  Freiherr  v.  d.  Horst,  Probst  zu  Levern,  Geh.  O.Finanzrath, 
commissaire  en  chef  der  beiden  kombinirten  Grafschaften  Lingen  und 
Tecklenburg,  wie  auch  Richter  und  Hochgräf  (sie!)  der  Stadt  und  Graf- 
schaft Lingen".  Der  Hochgräf  ist  hier  wohl  nur  der  verbalhornisirte  Go- 
graf  (Gaugraf). 

8)  Die  bis  1562  reichenden  ältesten  Konzeptbücher  des  Leipziger 
S  t  ö  1 1  e  I ,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  26 


402      5-  Buch.    Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg--PreusseiL 

Brandenburgischen  erhalten;  denn  „Richter  und  Land- 
scheppen  des  Landgerichts  zum  alten  Stargard"  (in 
Pommern)  fragen  1558  (7  19)  in  einer  Strafsache  bei  den 
Brandenburgern  an  und  bemerken  unter  der  Anfrage,  sie 
sei  „gegeben  in  unserer  Schepenbank  zu  alten  Stargard"; 
„Landrichter  und  Schoppen  zu  Barby"  (im  Magde- 
burgischen), denen  als  den  „oberen  Gerichtsverwaltem" 
der  „Rath  t\x  Barby"  ein  auf  seine  Anfrage  in  Brandenburg 
gesprochenes  Folterurtheil  zusendet,  erbitten  1587  (27  194) 
auf  die  Urgicht  des  Gefolterten  einen  ferneren  Spruch  in 
Brandenburg,  und  von  „Landschöppen  zu  Burg"  (bei  Magde- 
burg), sowie  einem  „Burgischen  Landgericht"  ist  1572  (13  26) 
die  Rede. 

§  28. 

Hauptleute. 

Der  Zerfall  der  Landgerichte  hatte  eine  Menge  Sachen 
den  geistlichen  Gerichten  zugeführt;  das  wurde  noth- 
gedrungen  von  der  weltlichen  Gewalt  geduldet.  Die 
Lücke,  die  sich  zufolge  der  Reformation  mit  dem  Ver- 
schwinden der  geistlichen  Gerichte  fühlbar  machte,  erzeugte 
den  Wunsch  nach  einem  Ersatz.  Ihn  zu  bieten,  war  der  als 
landesherrlicher  Vertreter  in  den  einzelnen  Landen  eingesetzte 
Hauptmann  bestimmt,  ein  Ritter,  dem  mit  seiner  gewapp- 
neten Macht  der  Schutz  des  ihm  zugewiesenen  Landes  und 
damit  auch  der  Austrag  der  im  Lande  entstehenden  Streitig- 
keiten anvertraut  war,  soweit  sie  nicht  vor  ordentlichen 
Gerichten  verhandelt  wurden.1)  Weil  „die  Landgerichte 
nicht  ordentlich  gehalten,  die  geistlichen  Gerichte  in  Abgang 
gekommen,  dem  Hauptmann  aber  unmöglich,  alle  und  jede, 
sonderlich  geringe  Schuldsachen  vorzunehmen  und  gericht- 
lich erörtern  zu  lassen",  war  1546  in  Perleberg  das  neue 
Landgericht   gebildet.2)     Daraus   folgt,    dass   vor    der   Ein- 


Schöppenstuhls  enthalten  zahlreiche,  auf  Ersuchen  von  „Richter  und 
Schoppen"  sächsischer  „Landgerichte"  ergangene  Sprüche.  Vgl.  Friese  und 
Liesegang,  Magdeburger  Schöffenspr.  1  S.  323  (Landgericht  zu  Hoym). 

l)  Der  Name  „Capitän"  für  Hauptmann  findet  sich  schon  1566  (10 
469):  „Hans  von  Minde,  Capiten  der  Altmark". 

f)  Vergl.  oben  S.  398. 


$  28.     Hauptleute.  403 

Setzung    des    neuen  Landrichters   der  Hauptmann    diejenige 
Persönlichkeit   war,    der  die   nunmehr   landrichterlichen  Ge- 
schäfte neben  ihren  sonstigen  Geschäften  obgelegen  hatten. 
Der  Hauptmann  bedurfte,  um  Rechtshändel  zu  erledigen, 
jedenfalls   noch   mehr   der  Rechtsbelehrung  als  Richter  und 
Schoppen ;  die  Erledigung  der  Rechtshändel  vor  ihm  war    im 
Wesentlichen  die  vergleichsweise,  nicht  die  urtheilsweise  Er- 
ledigung; er  war  überhaupt  kein  Mann  der  Feder;  erst  gegen 
Ende    des   sechzehnten  Jahrhunderts  (z.  B.  1589:  31  467.  477) 
taucht  seine  eigenhändige  Namensunterschrift  auf.  Zeigten  sich 
prozessualische  Akte  in  dem  vor  ihm  spielenden  Verfahren 
unerlässlich,  so  half  er  sich,  so  gut  es  anging ;  das  beliebteste 
Aushilfsmittel  lag  in  der  Aktenversendung;  der  „Hauptmann" 
wendet  sich  darum  besonders  häufig  an  den  Schöppenstuhl. 
Dem  Hauptmann  im  Lande   Ruppin  Matthias  v.  Oppen 
war   im    Jahre   1531  (1  283)   als   Vorsitzenden    des    dortigen 
Quartalgerichts1)    die    Einholung    der    Rechtsbelehrung    in 
Brandenburg  noch  etwas  Neues;   er  erkundigte  sich  damals 
nach  den  Gebuhren  und  nach  der  zahlpflichtigen  Partei;  „es 
werde   sich   schier    mehr   begeben",   dass    er  um  Rechtsbe- 
lehrung nachsuche.    Dies   that  er  denn  auch;   als  ihn    1533 
(1  605)    eine  Partei    angeht,    den  Miterben,    der  den  ganzen 
Nachlass   in  Besitz   genommen  habe,   zur  Inventarerrichtung 
und  Rechenschaftsablage  anzuhalten,  erwirkt  er  in  Branden- 
burg einen  Spruch,  der  eine  Beweisaufnahme  vor    ihm    er- 
fordert; diese  wird  damit  erledigt,  dass  der  Hauptmann  einen 
Pfarrer  und  eine  ihrem  Berufe  nach  nicht  näher  bezeichnete 
zweite  Persönlichkeit  (wahrscheinlich  einen  Notar)  zu  Kom- 
missarien bestellt,  vor  welchen  die  Zeugenvernehmung  nebst 
der   Einreichung   von  Fragstücken   und  Deduktionsschriften 
stattfindet.     Dann  gehen  auf  Antrag  eines  Betheiligten    die 
Akten  wieder  nach  Brandenburg. 

Da  die  Verhandlung  vor  dem  Hauptmann  keine  gericht- 
liche Verhandlung  ist,  so  entbehrt  sie  naturgemäss  der 
bei  Gericht  nöthigen  Formea  Welche  Schwierigkeiten 
daraus  für  den  Schöppenstuhl  entstehen,  und  wie  dieser 
sich    über   die  Schwierigkeiten   hinweghilft,    ergiebt  ein  im 

*)  Siehe  oben  S.  378. 

26* 


404      5*  Buch.    Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburjr-Preussea- 

Jahre  1537  (2  280  ff.)  vor  denselben  Hauptmann  gebrachter 
Streit. 

Die    Kalandsherren   zu   Lindow   (Stadt    bei   Neurupplrt 
nehmen    vor    dem  Hauptmann    einen  Bürger  zu  Lindow  a> 
Bürgen  in  Anspruch,     lieber  die  Verhandlung    wird    mch:> 
Schriftliches  niedergelegt,  es  fehlt  also  Klage  und  Antwort: 
nur   ein    Zeugenverhörsprotokoll    und    ein   SchriftenwechseJ 
darüber  liegen  vor.      Die  Zeugen  sind  verhört   durch    ein« 
Neuruppiner  Schoppen  und  durch  des  Hauptmanns  Schreiber. 
der  zugleich  das  Protokoll  geführt  hat.    In  den  dem  Haupt- 
mann    eingereichten    Fragstücken    stellt    der    offensichtlich 
juristisch  gebildete  Verfasser  eine  Reihe  von   Rechtsfrage-» 
(ob  der  Beklagte  sich  selbstschuldig  verbürgt  habe,    ob  der 
Bürge  hafte,    so   lange    der  Prinzipal    gegenwärtig    und  sa- 
vendo  sei).    Darüber  die  Zeugen  zu  fragen,  unterbleibt,  „weil 
solches  zu  Recht  müsste  ausgetragen  werden  und  arme  ein- 
fältige   Leute    keine   Juristen    seien*'.      Die    Brandenburger, 
denen  der  Hauptmann  die  Schriftstücke  einsendet  (er  nenn: 
sie  „Gerichtshändel14),  antworten,  „rechtlich  nicht  erkennen  ra 
können,  weil  keine  Klage  noch  litiscontestatio  vorläge",  sie  er- 
klären jedoch,  „damit  die  Parteien  einen  gütlichen  Bericht  der 
Sache  dem  Rechte  gemäss  erlangen"  (d.  h.   einen  nicht  als 
Urtheil   zu    betrachtenden,    aber    doch  der  rechtlichen  Lage 
der  Sache  entsprechenden  Vergleichsvorschlag),    „zu   Unter- 
richt der  Sachen1',    es    würde  ihres  Erachtens  der  Beklagte 
von  der  Klage  zu  entbinden  sein,  da  die  Kläger  für  beweis- 
fallig    und    in   poenam  temere    litigantium  verfallen    erkannt 
werden  müssten. 

Des  Hauptmanns  Amtsgewalt  erstreckt  sich  nicht  bloss 
auf  die  Landbewohner  seiner  Hauptmannschaft,  sondern  auch 
auf  die  Stadtbewohner.  Er  ist  auch  den  Städten  überge- 
ordnet. Ein  Streit  zwischen  Bürgern  Gransees  wird  1535  (3 
171.  308)  vergleichsweise  geschlichtet  im  Beisein  des  Ritters  > 
Barfuss  und  dreier  Abgeordneten  des  Raths  zu  Gransee,  dar- 
unter des  Bürgermeisters.  Den  Streittheilen,  einer  Witwe 
und  ihren  Kindern,  setzt  der  Hauptmann  Vormünder,  legt 

y)  „ehrenfester"  Paul  Barfuss. 


§  28.     Hauptleute.  405 

auch  den  Streitenden  die  Befolgung  des  Rezesses  „bei  Vermei- 
dung des  Hauptmanns  Amtsstrafe"  auf. 

Der  Hauptmann  auf  Ziesar  (Stadt  des  Kreises  Jerichow, 

Sitz  des  Bischofs  von  Brandenburg)  übersendet  1554  (5  248) 

die    ihm    eingereichten  Schriften   eines  Erbstreites    zwischen 

einer  Ziesarer  Bürgerfamilie,  nachdem  die  Beklagten  in  ihrer 

letzten  Schrift  um  Abgabe  d^r  Akten  an  unverdächtige  Orte 

gebeten  haben.      Dabei  sucht  der  Hauptmann  nach,  ihm  zu 

überschicken,  „was  darinnen  Recht  den  Parten  zu  publiziren". 

Als  1596  (41  288)  der  Rath  der  Altstadt  Salzwedel  den 

Sohn  des  Bürgermeisters  der  Neustadt  wegen  einer  Gewalt- 

that  hat  gefänglich  einsetzen  lassen,  „gesinnt"  der  Hauptmann 

„bei   1000  Thlr.  unnachlässiger  Strafe  anstatt  des  Kurfürsten 

von  Amtswegen  ganz   ernstlich14,    den  Gefangenen  der  Haft 

zu  entledigen,  auch  der  weiteren  Verhandlung  der  Sache  sich 

zu  enthalten ;  er  könne  mit  Wahrheit  melden,  dass  er  mit  den 

Altstädtern  wegen  ihrer  störrigen  Köpfe  mehr  zu  thun  habe, 

als  mit  anderen  Leuten;  der  Boden  am  Fass  sei  bald  los. 

So  wird  es  auch  erklärlich,  dass  der  Stadtrichter  (z.  B. 
1556:  5  478  in  Ruppin)  den  abwesenden  Hauptmann  vertritt 
und  statt  seiner  in  Brandenburg  Belehrung  erbittet,  selbst 
wenn  es  sich  um  Dorfbewohner  handelt. 

In  einer  Injuriensache  zweier  Bauern  zu  Manker  (bei 
Ruppin)  giebt  1565  (9  387)  auf  Ersuchen  des  einen  Bauern  der 
Hauptmann  der  Priegnitz  Kurt  Rhor  dem  Richter  des  kurf. 
Stadtgerichts  zu  Ruppin  Thomas  Vilitz  „amtshalber"  auf, 
dass  er  neben  etlichen  ihm  zugeordneten  Schoppen  un$l  neben 
dem  Landreiter  des  Landes  Ruppin  der  Parteien  Klage, 
Antwort  und  ferneres  mündliches  Vorbringen  verzeichnen  und 
nach  Brandenburg  verschicken  solle.  Es  wird  demgemäss 
ein  Protokoll  unter  Zuziehung  beider  Theile  Beistand  und 
Freundschaft  aufgenommen.  „Richter,  Schoppen  des  kurf. 
Stadtgerichts  zu  Neuruppin  und  Landreiter"  senden  das  Pro- 
tokoll nach  Brandenburg.  Das  gesprochene  Urtheil  wird 
dann  in  Ruppin  publizirt,  und  darauf  bitten  auf  Befehl  des 
Hauptmanns  „Richter  und  Schoppen  des  kurf.  Stadtgerichts 
zu  Ruppin"  nochmals  um  Belehrung  in  Brandenburg. 

Es  ist  aber  keineswegs  ausgeschlossen,  vor  dem  Haupt- 


406      5*  Buch.    Erster  Abschnitt.   Koosuleoten  aus  Branden burg-Preusse*. 

mann  Klagen  anzubringen.  Immerhin  sind  das  keine  gericht- 
lichen Klagen.  Der  Hauptmann  entscheidet  nicht  voo 
Gerichtswegen,  sondern  von  Amts  wegen,  d.h.  anstatt  des 
Landesherrn  kraft  des  ihm  übertragenen  Verwaltungsamtes. 
Darum  ist  er  auch  nicht  an  die  für  das  Gericht  geltendes 
strengen  Prozessgrundsatze  gebunden.  Statt  einer  mangel- 
haften Klage  eine  neue  Klage  anzubringen,  kann  das  Gericht 
nicht  erlauben;  den  Hauptmann  kann  man  aber,  weil  eine 
frühere  Klage  durch  Säumniss  des  Advokaten  verfehlt  ge- 
wesen, mit  Erfolg  bitten,  „ amtshalben "  eine  neue  Klage 
zu  gestatten  (1536:  2  205).  Die  Prozessschriften  werden  inner- 
halb der  bei  Gericht  üblichen  Fristen  dem  „Schreiber"  des 
Hauptmanns  übergeben;  ist  dieser  zufallig  abwesend,  so  wirc 
auch  nach  Fristablauf  die  Schrift  angenommen.  Will  der 
Gegner  eine  verspätet  dem  Schreiber  eingereichte  Schrift 
nicht  ohne  Ersatz  der  erwachsenen  Terminskosten  zulassen, 
so  bleibt  bei  Abwesenheit  des  Hauptmanns  dessen  Bescheid 
nach  der  Heimkehr  abzuwarten. 

Als  1605  (53  488)  die  Mutter  einer  Geschwängerten  beim 
Hauptmann  zu  Fürsten walde  (Stadt  bei  Frankfurt  a.  O.)  ihre 
Klage  gegen  den  Schwängerer  einbringt,  befiehlt  der  Haupt- 
mann dem  Amtsschreiber,  dem  Richter  und  dem  Bürgermeister, 
die  Betheiligten  zu  verhören,  die  Sache  in  Artikel  zu  bringen 
und  einzuschicken;  nachdem  dies  geschehen,  giebt  der  Haupt- 
mann die  Akten  weiter  nach  Brandenburg  zur  Belehrung. 

Es  kommt  auch  vor,  dass  Bürgermeister  und  Rath  beim 
Hauptmann  um  Belehrung  anfragen,  so  1622  (70  653)  in 
Tangermünde  betreffs  der  Frage,  ob  Bürgermeister  und 
Rath  auf  eine  gegen  ihren  Abschied  eingelegte  Appellation 
Aposteln  ertheilen  sollen,  so  1647  (77  449)  m  Gardelegen  be- 
treffs der  Frage,  ob  in  einem  Erbstreit  der  Beklagte  ein 
Inventar  zu  legen  habe.1) 

Naturgemäss  ist  der  Hauptmann  derjenige,  an  den  sich 
der  Landesherr  mit  seinen  Aufträgen  in  Rechtsangelegen- 
heiten wendet. 

Eine  dem  Kurfürsten   eingereichte  Beschwerde  darüber, 

')  Bürgermeister  und  Rath  thun  einen  „mit  dem  Konsilium  des 
Hauptmanns4'  übereinstimmenden  Rechtsspruch. 


§  28.     Hauptleute.  407 

dass  ein  Verlobter  wortbrüchig  geworden,  giebt  1538  (2  740) 
Anlass,  den  Hauptmann  zu  Spandau  zu  kommittiren,  er  solle 
den  Handel  schlichten;  der  Hauptmann  nimmt  den  Verlobten, 
da  dieser  den  gütlichen  Handel  abschlägt,  „in  Strafzüchtigung 
und  Gehorsam11.  Dem  Hauptmann  zu  Zehdenick  befiehlt 
1558  (7  81)  der  Kurfürst,  einen  Kindesmordsfall  nach  Branden- 
burg zum  Spruch  zu  senden.  Solche  Aufträge  wünscht  aber 
1541  *)  die  Ritterschaft  der  Altmark  nicht  an  den  dem  Haupt- 
mann untergeordneten  Kastner  (in  Tangermünde)  ertheilt  zu 
sehen,  und  der  Kurfürst  sagt  das  —  vorbehaltlich  eiliger 
Frevelsachen  —  auf  Beschwerde  der  Ritterschaft  zu.  Bei 
Vakanzen  aber,  wie  sie  beim  Tode  des  Hauptmanns  eintreten, 
ist  (1605:  51  161)  der  Kastner,  der  „seit  24  Jahren  Korn- 
schreiber" gewesen,  der  „Amtsverwalter44,  also  der  Vertreter 
des  Hauptmanns.  Ja,  in  solchen  Fällen  wird  sogar  zugelassen, 
dass  im  Interesse  der  Kinder  des  Hauptmanns  die  Geschäfte 
von  seiner  Witwe  geführt  werden.  Katharina  Ribbeck,  die 
Witwe  des  Hauptmanns  auf  Angermünde  Christof  Flans, 
die  „das  Amt  wegen  ihrer  Kinder  noch  in  Verwaltung 
hat41,  lässt  1573  (13  500)  die  Klage  des  im  Dorfe  Welsow 
wohnenden  Vaters  eines  todtgeschlagenen  Kindes  an  den 
Kurfürsten  „oder  dessen  Räthe"  gelangen  und  erhält  den 
Befehl,  „sich  selbst  nach  Welsow  zu  verfügen,  um  im  Dorf  zu 
erkunden,  wie  es  sich  zugetragen,  auch,  was  die  Leute  aus- 
sagen, auf  Papier  zu  bringen11,  es  nach  Brandenburg  zu 
schicken  und  um  Belehrung  zu  bitten.  Das  thut  sie;  dem 
Schreiben  liegt  die  „in  Beisein  zweier  Scheppen  abgegebene 
Aussage  der  Gezeugen44  bei  (eine  gedrängte  Darstellung 
dessen,  was  durch  fünf  Zeugen  festgestellt  ist). 

Einen  besonderen  Anlass,  Hauptmannsstellen  zu  kreiren, 
bildete  die  Säkularisation.  So  ist  z.  B.  1554  (5  273.  361)  der 
Hauptmann  zu  Jerichow  „Befehlshaber  des  Klosters  Jerichow41; 
1561  (8  289)  wird  ein  Hauptmann  des  Klosters  Lindow,  1566 
(10  134)  ein  solcher  des  Klosters  zum  Heiligen-Grabe  genannt. 
Ebenso  treten  in  Ziesar  und  in  Lebus,  den  frühern  Bischofs- 
sitzen,  in   der  zweiten  Hälfte  des  sechzehnten  Jahrhunderts 


l)  Rep.  20  C.  1470 — 1543  StA. 


408      5'  Buch.    Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg- PreusseiL 

kurfürstliche  Hauptleute  auf.  Das  Stift  Quedlinburg- hat  (1727: 
84421;  1730:  8614;  1733:  87204)  einen  Berliner  geheimen 
Rath  zum  Stiftshauptmann,  in  dessen  Namen  die  Branden- 
burger sprechen;1)  1743  und  ebenso  1746  (94  740.  746)  be- 
steht zu  Quedlinburg  sogar  eine  Königlich  Preussische  Stifts- 
hauptmannei(l);  der  Stiftshauptmann  bildet  (1733:  87  2041 
für  Beamte  ein  privilegirtes  Forum  an  Stelle  des  Stadtgerichts 
Quedlinburg. 

In  Schievelbein  (früher  Stadt  der  Neumark)  versieht  in  der 
zweiten  Hälfte  des  sechzehnten  Jahrhunderts  der  Landvogt 
und  Komthur  die  Geschäfte  des  Hauptmanns:  vor  ihm  und 
Richter  und  Schoppen  der  Stadt  spielt  sich  (1552:  4  527)  ein 
Rechtshandel  ab,  vor  ihm  wechseln  (1556:  5  487)  Parteien 
ihre  Schriftsätze  in  einer  Injuriensache,  die  der  Landvogt  vor 
das  Untergericht  mit  der  Auflage  weist,  in  Brandenburg  Be- 
lehrung zu  holen;  vor  ihm  „disputiren"  und  führen  Parteien 
Beweis,  über  den  zu  erkennen  der  Landvogt  (1576:  16  6191 
die  Brandenburger  oder  (1578:  55  55)  die  Räthe  zu  Küstrin 
ersucht. 

„Namens  des  Hauptmanns14  sendet  1697  (79  728)  der 
„Justiciarius  im  Amte  Derneburg"  (bei  Halberstadt)  Akten 
nach  Brandenburg  ein;  hier  taucht  zum  ersten  Male  der 
Titel  Justiciarius  auf. 

§29. 

Aemter. 

Vom  Hauptmann  und  vom  Landvogt  führen  die  eben 
mitgetheilten  Nachrichten  hinüber  zum  Amtmann,  wie  sie 
von  der  Hauptmannschaft  zum  Amte  und  zu  denjenigen  nie- 
deren Beamten  hinüberführen,  die  in  Vertretung  des  Haupt- 
mannes oder  Amtmannes  Akte  der  Rechtspflege  vorzunehmen 
berufen  sind.  Vielfach  untersteht  dem  Hauptmann  ein  grösserer 
Bezirk  als  dem  Amtmanne;  die  Hauptmannschaft  umfasst 
mehrere  Aemter,   doch  kommt   es  auch  vor,   dass  die  näm- 

!)  ,,In  Sachen:  .  .  .  erkennt  der  Hauptmann  .  .  .  nach  vorgehabtem 
Rath  der  Rechtsverständigen,  dass  .  .  .  der  Beweis  geführt  sei. 

Dass  dies  Urtheil  den  Akten  und  Rechten  gemäss,  bezeugen  Senior 
und  Assessores  beim  Schoppenstuhl  in  Brandenburg"  (1715:  81  19). 


§  29-     Aemter.  409 

liehe  Person    bald    als    Hauptmann,    bald   als  Amtmann  be- 
zeichnet wird,  so  z.  B.   in  zwei  Magdeburger  Sprüchen  des 
Jahres  1502. l)    Die  Gehülfen  und  Vertreter  des  Hauptmanns 
heissen  „Amtsverwalter412)  oder  „Gerichtsverwalter",  sie  ge- 
hören meist  dem  Schreiberstande  an  und  werden  dann  „Amts- 
schreiber41 genannt;  die  Bezeichnungen  Kornschreiber,  Kastner, 
Schosser  weisen  mehr  auf  die  Thätigkeit  eines  Rechnungs- 
und Kassenbeamten  hin,  indem  sie  diese  Thätigkeit  als    die 
Hauptthätigkeit  eines  solchen  Amtsverwalters  betont.     Alle 
diese  Beamten   füllen,    wenn    sie   in  Rechtssachen  auftreten, 
die  Lücke    aus,    die    durch  die  Auflösung  der  Landgerichte 
entstanden  ist ;  sie  sind  in  der  Mark  Brandenburg  und  deren 
Umgegend,  wie  anderwärts,3)   „die   Beamten,44  welche  „von 
Amtswegen44    kraft    der    ihnen   landesherrlich    überwiesenen 
Machtbefugnisse  da  eingreifen,  wo  das  Vorgehen  von  Richter 
und  Schoppen,  das  Handeln  im  ordentlichen  Prozessverfahren 
erschwert  oder  unmöglich  gemacht  ist. 

„Der  Amtsschreiber  auf  dem  Schloss  zu  Spandau44,  der 
einen  Dieb  gefangen  gesetzt  hat,  bittet  1529  (1  100)  in  Bran- 
denburg   um    eine   „Belehrung  Brandenburgischen  Rechtes44. 
Der  „Amtsschreiber44    zu    Lehnin    verhört    einen  Dieb  unter 
Zuziehung  eines  Notars  1557  (6  378)  im  Auftrage  des  „Amt- 
mannes44.    Der  Hausvogt    mit    dem   Kastner   zu  Zechlin  und 
dem  Amtsschreiber  zu  Wittstock  halten  1562  (9  213)  ein  pein- 
liches Verhör  zu  Wittstock  ab.    Von  da  versenden  1562  (9  292) 
ein   fürstlicher    Rath,    der    Hausvogt    und   der  Kastner  das, 
was   „vor   ihnen    zu  Recht  verfasst  ist44  (d.  h.  die  Parteiver- 
handlungen),   nach  Brandenburg,    nachdem  die  Parteien  zum 
Urtheil    beschlossen    haben.      Amtsschreiber,    Bürgermeister 
und   Rath   der    Stadt    Zehdenick   fragen  1562  (9  239)   unter 
Vorlage   eines    in  der  Güte  abgegebenen  Bekenntnisses  um 
Rechtsbelehrung  an.     Der  „Kastner44    zu  Tangermünde  be- 
scheinigt 1591  (43  86)    einer    Partei    „aus    dem  Amte44,  dass 
für  sie  eine  Einweisung  in  die  Güter  des  Schuldners  erfolgt 
sei.    Derselbe    Kastner   lässt   1565    (10  35)    auf  Urtheil    der 

1)  Friese  und  Liesegang,  Magdb.  Schöffensprüche  Bd.  1  S.  101,  10a. 

2)  Z.  B.  Hans  Neumann  1602  (4g  150)  „Amts Verwalter  zu  Plauen". 

3)  Stölzel,  Gel.  Richterthum   r,  142  ff. 


410      5«  Buch.    Erster  Abschnitt.    Konsulenten  aus  Branden burg-Preussen. 

Brandenburger    einen    wegen    Diebstahls    Verhafteten     mit 
massiger  peinlicher  Frage  verhören;  ein  ebensolches  Verhör 
findet   1566  (10  326)   statt  in  Beisein   des  Hausvogts    Caspar 
Beilin    auf   Zechlin,    seines  Amtsschreibers  daselbst  und  des 
Amtsschreibers  zu  Lindow;1)  der  letztere  Amtsschreiber   ist 
1545  in  Frankfurt  immatrikulirt,  er  lässt  dort  1577,  nachdem 
er  „praefectus  coenobii"  (Klostervogt)  in  Lindow   geworden, 
seine  drei  minderjährigen  Söhne  einschreiben:     Akademische 
Bildung    war   aber    damals  für  Amtsschreiber  nichts  Regel- 
mässiges; der  161 2  gestorbene  Amtsschreiber  zu  Rüdersdorf 
hat    das   Schreiben   in    einer  Kanzlei  gelernt.2)     Der  Amts- 
schreiber von  Ziesar,  Georg  Reichenow,  ist  1602  als  puer  in 
Frankfurt  immatrikulirt;  während  man  ihm  1632  (74  239)  von 
Brandenburg  aus  die  Titulatur  „Amtsschreiber4  giebt,  unter- 
zeichnet er  seine  Anfrage  als  „Amtmann".     Der  „Schosser** 
zu  Dahme,    einer    Stadt   des   Landgerichtsbezirkes  Potsdam, 
greift  1585  (25  250)  zwei  Gefangene  mit  der  Tortur  an. 

Wie  sich  in  der  Vorstellung  eines  solchen  Beamten 
gegenüber  dem  Stadtbewohner,  der  seine  Freiheit  von  jedem 
andern*  Gerichtszwange  als  dem  der  Stadt  hochhält,  die  Auf- 
fassung von  seiner  obrigkeitlichen,  auch  die  Städter  mit- 
ergreifenden Macht  gestaltet,  lehrt  ein  Fall  des  Jahres  1602 
(49  414)  aus  Wittstock,  einer  Stadt  des  Landgerichtsbezirks 
Neuruppin.  Als  sich  der  damalige  auf  Schloss  Wittstock 
sesshafte  Amtsschreiber  dort  in  seinem  Zimmer  einen  Witt- 
stocker  Bürger  durch  den  Amtsdiener  vorführen  und  mit 
ihm  in  Gegenwart  zweier  Wittstocker  durch  einen  Notar  ein 
Verhör  vornehmen  lässt,  fragt  die  Partei,  in  welcher  Eigen- 
schaft der  Amtsschreiber  handle,  ob  als  Advokat  oder  Rich- 
ter, und  bestreitet  auf  die  Antwort  „als  Richter"  des  Amts- 
schreibers Zuständigkeit;  sie  unterstehe  dem  Rathe.  Der  Amts- 
schreiber erklärt,  obwohl  vom  Kurfürsten  die  Gerichte  dem 
Rath  untergeben  seien,  so  hätte  doch  der  Kurfürst  die  hohe 
Obrigkeit  für  sich  behalten  und  er  (der  Amtsschreiber)  sitze 
im  Amt  an  des  Kurfürsten  Statt.     Die  Partei  wendet  ein,  es 

])  Vgl.  auch  12  612  (1572). 

*)  Leichenpredigt  des  Matthias  Schultze  in  der  Bibl.  des  Berl.  Grauen 
Klosters  vol.  50. 


$  2<>.     Aerater.  41 1 

« 

sei  früher  in  wichtigen  Sachen  so  gehalten,  dass  der  Rath  die 
Amtsverwalter  zu  sich  gezogen  habe,  die  auch  unweigerlich 
gekommen  seien.  Darauf  erwidert  der  Amtsschreiber,  dass 
er  entweder  zum  Rath  gekommen  oder  dieser  zu  ihm;  die 
vorliegende  Klage  sei  ihm  aber  principaliter  angebracht. 

Hier  haben  wir  das  Bestreben  eines  Städters  vor  uns, 
den  Amtsschreiber  als  Gerichtsinstanz  abzuschütteln;  es  wird 
zwar  zugegeben,  dass  der  Rath  sich  in  Nothfallen  den  Amts- 
schreiber zur  Hülfe  herangezogen  habe,  nicht  aber,  dass  der 
Amtsschreiber  selbständig  vorgehen  könne.  Die  Partei  ent- 
fernt sich  deshalb,  ohne  den  Entscheid  des  Amtsschreibers 
abzuwarten,  sie  will  nur  zulassen,  dass  der  Amtsschreiber  mit 
dem  Rathe  im  Rathhaus  Gericht  halte;  in  seiner  Wohnung 
ohne  den  Rath  dürfe  er  es  nicht. 

Dem  entspricht  es,  wenn  1608  (56  391.  414)  Amts- 
schreiber, Bürgermeister  und  Rathmannen  zu  Fürstenwalde 
sagen,  dem  Amtsschreiber  seien  „die  Amtsgerichte  anbe- 
fohlen,u  und  deshalb  stehe  ihm  frei,  wenn  die  Parteien  „sich 
in  der  Güte  nicht  weisen  lassen  wollen,"  in  Brandenburg 
Belehrung  zu  erbitten.  Aber  doch  werden  —  wenigstens 
im  Anfang  des  siebzehnten  Jahrhunderts  —  zu  wichtigen 
Akten  noch  Richter  und  Schoppen  zugezogen.  In  einem 
Streit  über  den  bei  einem  Grundstückskauf  gemachten  Vor- 
behalt nimmt  zu  Zehdenick  (Städtchen  zwischen  Neuruppin 
und  Prenzlau)  1608  (56  347)  der  Amtsschreiber  ein  Zeugen- 
verhör vor  Richter  und  Schoppen  zu  Protokoll,  und  einer 
Geschwächten,  der  nach  alter  Sitte  durch  Gerichtsbeschluss 
befohlen  wird,  die  Haube  aufzusetzen, l)  lässt  1606  (53  297) 
der  Amtsschreiber  zu  Rüdersdorf  „durch  Richter  und  Schop- 
pen zu  Werder"  die  Haube  geben,  was  laut  der  Aussage 
der  „Gehaubten"  so  geschieht,  dass  ihr  im  Hause  ihrer 
Schwester  „eine  von  den   Scheppenfrauen,   der  viel  Frauen 


l)  „ Unter  die  Haube"  kommen  nicht  bloss  die  ausserehelich  Ge- 
schwächten, sondern  auch  die  Ehefrauen ;  daher  noch  der  heute  gebräuch- 
liche Ausdruck  und  die  Sitte,  bei  Hochzeiten  den  Kranz  mit  der  Haube 
zu  vertauschen.  —  Eine  der  Gerichte  verwiesene  Hure  kehrt  1562  (9  281) 
nach  Krussow  bei  Wittstock  zurück  und  „setzt  sich  selbst  den  Tuch  und 
Mütze  auf. 


412      5-  Buch.    Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg-Preussen. 

dabei  gewesen,  die  Haube  aufsetzt".  Also  sogar  die  Schöppen- 
frauen  sind  noch  thätig,  um  bei  amtlichen  Funktionen  mit- 
zuwirken. 

Mit  dem  Anfang  des  siebzehnten  Jahrhunderts  kann  die 
Herausbildung  des  „Amtes"  als  einer  neben  dem  „Gerichte44 
oder  statt  desselben  in  Rechtshändeln  thätigen  Behörde  für 
vollzogen    gelten.      „Actum   im    kurfürstlichen    Ambt    Alten 
Ruppin",    so   beginnt    1614  (63  823)    ein    Protokoll    in    einer 
Untersuchungssache.     „Vor  das  Amt  zu  Ziesar"  kommen  1615 
(64  549)   nach  Bericht  des  dortigen  Amtsschreibers  die  Par- 
teien, um  „zu  klagen".     Wo  sonst  auf  „Gerichts"- Verweisung 
(d.  h.  auf  Verbannung  aus  dem*  Bezirk  des  Urtheil  fallenden 
Gerichtes)  erkannt  wird,  tritt  (1576:  17  137)  die  Verweisung 
aus  dem  „Amte"1)  oder  (1615:  64484)  die  „Verweisung  der 
Amtsgerichte",  d.  h.  die  Verbannung  aus  den  innerhalb  des 
Amtsbezirks  gelegenen  Gerichten.     In  Städten  erbitten  Amt 
und  Stadtgericht,  d.  h.    die   landesherrlichen  und  die  städti- 
schen   Beamten   gemeinsam,    Rechtsbelehrung  zum   Zeichen« 
dass  Bürgermeister  und  Gericht  dem  landesherrlichen  Amte 
unterstellt  sind.2) 

Mit  dem  Ende  des  dreissig jährigen  Krieges  ist  ein  Ritt- 
meister „Kurfürstlich  Brandenburgischer  arrendator"  (d.  h. 
Pächter)  der  Aemter  Ruppin  und  Lindow;  er  fuhrt  1652  (78 
492)  ein  Siegel,  das,  soweit  es  leserlich,  die  Umschrift  trägt: 
„1648  Ruppin  Ambt  .  .  ."  Der  in  Brandenburg  erbetene 
Spruch  ergeht  an  „den  arrendatorem  der  Ampter  Ruppin 
und  Lindow"  (78  495.  498). 

Mit  der  Zeit  entstehen  auch  nichdandesherrliche  Aemter, 
die  sich  der  Ausübung  der  Gerichtsbarkeit  unterziehen.  So 
spricht  1736  (88451),  1739  (90  148),  1743  (94696)  der  Ver- 
walter der  Bismarckschen  Gerichte  zu  Schönhausen  von  den 
Gerichten  des  „Bismarckischen  Amts  Schönhausen" ;  der  Grund 
mag  darin  liegen,  dass  Schönhausen,  ehe  es  ein  Bismarcki- 
sches  Amt  wurde,  ein  landesherrliches  Amt  war.  Vielleicht 
verhält  es  sich  ebenso,  wenn  1737  (89  206)  ein  Brandenburger 

l)  Urfehdeeid,  „das  Amt  Potsdam  meiden  zu  wollen".     ÜB.  1617. 
*)  So  fragt  162c)  (73  444)    „das    Kurf.   Amt,    wie  auch   Burgermeister 
und  Gericht  zu  Potsdam"  in  Brandenburg  an. 


§  3<>-     Dorfgerichte.  4]  3 

Spruch  auf  Instanz  des  „hochadligen  Amtes  zu  Polleben"  (bei 
Merseburg)  in  einem  Besitzstreit,  1738  (89  730)  auf  Instanz 
des  „freiherrlich  Schenckschen  Amtes  Leimbach"  (bei  Ilfeld) 
in  einer  Leuterungssache  ergeht. 

Die  Bezeichnung  Amtsgericht  und  Amtsrichter 
taucht  für  Amt  und  Amtmann  schon  im  siebzehnten  Jahr- 
hundert auf;  so  findet  sich  z.  B.  16 15  eine  letzwillige  Verord- 
nung vor  Notar,  „Amtsrichter"  und  Schoppen  (ÜB.  2  546), 
I665  (79  3*4)  e>ne  Anfrage  des  „Amtsrichters*1  in  Grieben 
bei  Gardelegen,  1738  (89  786)  eine  Anfrage  des  „Amtsge- 
richts" Wittstock. 

§30. 

Dorfgerichte. 

Der  Zerfall  der  alten  Landgerichte  erzeugte  unter  den 
Landbewohnern  das  natürliche  Streben,  sich  Dorfgerichte  zu 
schaffen.  Allmählich  konnte  man  darüber  nicht  im  Unklaren 
bleiben,  dass  Richter  und  Schoppen  des  Dorfes  ausser  Stande 
seien,  der  Aufgabe  gerecht  zu  werden,  die  früher  der  Land- 
richter mit  seinen  Landschöppen  zu  erfüllen  gehabt  hatte. 
Zunächst  erwuchs  den  Dorfgerichten  die  Schwierigkeit,  wie 
zu  verfahren  sei,  wenn  es  sich  um  Angelegenheiten  handelte, 
für  deren  Beurkundung  das  Gerichtsbuch  diente;  denn  die 
Dorfgerichte  hatten  selten  die  zur  Führung  von  Gerichts- 
büchern erforderlichen  Schreibkräfte  zur  Verfügung.  Gleich- 
wohl müssen  sie  sich  vereinzelt  gefunden  haben. 

Das  Dorf  Fischbeck  (bei  Tangermünde)  hat  z.  B.  1502, 
ja  schon  früher,  sein  Schöppenbuch ;  im  Jahre  1502  (ÜB.  1 
44)  wird  eine  Abfindung  unter  Geschwistern  darin  einge- 
tragen; nach  einer  vorhergehenden  datumlosen  Eintragung 
„ist  Richter  und  Schoppen  wisslich",  dass  eine  Witwe  jedem 
ihrer  fünf  Söhne  an  Vatergut  9  Mark  und  2  Viertel  Bier 
gelobt  hat.  Zur  Zeit  des  letztern  Gelöbnisses  scheint  also 
ein  Gerichtsbuch  noch  nicht  existirt  zu  haben;  denn  Richter 
und  Schoppen  legen  auf  Grund  ihrer  Erinnerung  einen  Ver- 
trag im  Schöppenbuch  nieder. 

In  Jenckendorf,  einem  Dorf  der  Hauptmannschaft  Fürsten- 
walde, wird  1572  (17  406)  bei  einem  Brande  im  Schulzenge- 
richt „die  Schöppenlade,  darin  das  Schöppenbuch  neben  et- 


414      5*  Buch.    Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg-Preussea. 

lichem  unmündigen  Kindern  gehörigem  Gelde  gewesen,  heraus 
ins  Dorf  geworfen";  sie  findet  sich  eröffnet  wieder.  Der 
Küster  bringt  acht  Tage  darauf  das  Schöppenbuch  zurück 
und  erklärt,  er  habe  es  gefunden.  Nach  vier  Jahren  fordern 
die  Kinder  vom  Schulzen  und  Gericht  das  Geld;  der  Schulz 
wendet  sich  an  den  Hauptmann.  Auf  dessen  Verhör  kommt 
ein  Vergleich  zu  Stande,  nach  welchem  den  Kindern  8  Schock 
binnen  vier  Jahren  zu  zahlen  sind. 

Auch  der  Name  „Bauerbuch"  kommt  für  Schöppenbuch 
vor.  Im  Dorf  Buntfelde  bei  Salzwedel  werden  1574  (ÜB.  1 
618)  elterliche  Auslobungen  in  das  „Bauerbuch4'  oder,  wie  es 
im  Auszuge  daraus  genannt  wird,  in  das  „Wetebuch"  ein- 
getragen; auf  Grund  des  Buches  geben  dann  Schulz  und  Ge- 
meinde ein  schriftliches  Bekenntniss  über  das,  was  sie  „wissen", 
sie  geben  ein  Weisthum. 

Ein  „Landbuch"  besass  1588  (ÜB.  2  125)  das  Dorf 
Flechtingen  im  Kreise  Gardelegen;  in  dasselbe  wird  eine  zu 
Wegenstädt  (Dorf  in  demselben  Kreise),  anscheinend  von 
einem  Notar  aufgenommene  Ehestiftung  „zum  Ueberfluss" 
eingetragen;  das  Land  buch  scheint  auf  ein  in  Flechtingen 
sesshaft  gewesenes  Landgericht  hinzudeuten. 

Wo  in  einem  Dorfe  die  Schreibkräfte  fehlten,  blieb  nur 
übrig,  anderweiten  Ersatz  zu  suchen.  Diesen  bot  die  Her- 
anziehung des  Pfarrers  oder  die  des  Schreibers  der  Gerichts- 
herrschaft, mag  die  Gerichtsherrschaft  ein  adliger  Herr  oder 
mag  sie  der  Hauptmann  als  Vertreter  des  Landesherrn  sein : 
aus  dem  Schöppenbuch  des  Dorfs  Etzin  (bei  Nauen)  von 
1546  fertigt  1598  (ÜB.  1  226)  der  dortige  Pfarrer  einen  Aus- 
zug. Die  um  1551  stattgehabte  Ehestiftung,  auf  Grund  deren 
1567  (11  79)  ein  Erbstreit  vor  „Richter  und  Schoppen"  des 
Dorfs  Wustermark  bei  Nauen  verhandelt  wird,  ist  nach  dem 
Berichte  der  in  Brandenburg  um  Belehrung  anfragenden 
Schoppen  „in  unser  Herrn  Schöppenbuch  zu  Wustermark 
verzeichnet";  aus  dem  Schöppenbuch  des  Gerichts  ist  also 
ein  Schöppenbuch  der  Herren  geworden,  weil  die  Herren 
die  Führung  des  Buches  übernommen  haben.1} 

*)  Es  wäre  auch  denkbar,  dass  die  mit  „Richter  und  Schoppen"  unter- 
zeichnete, jedenfalls  von  einem  Dritten  (einem  Schreiber)  abgefasste  Missive 


§  30-     Dorfgerichte.  415 

Ebenso  wandelt  sich  im  Dorf  Wendisch-Chueden  vor 
Salzwedel  das  Schöppenbuch  in  ein  „Klosterbuch"  um:  dort 
werden  1575  ein  „vor  Schulz  und  Bauern  verlauteter"  und  ein 
notariell  aufgenommener  abändernder  Kinderabschichtungs- 
vertrag  durch  die  von  Bartensieben  „in  des  Klosters  Buch 
verleibt",  und  die  Brandenburger  erklären  1581  (22  20)  solche 
in  das  Klosterbuch  erfolgte  Einzeichnung  für  kräftig. 

In  Phöben  bei  Potsdam  tragen  „Richter  und  Schoppen  im 
Dorfe",  die  ein  Vater  1557  (6  95)  bittet,  seine  Vermachung 
des  Mutterguts  „im  Scheppenbuch  zu  verzeichnen11,  diese 
Bitte  ihrem  Hauptmann  vor;  er  befiehlt  seinem  Amtsschreiber, 
die  Vermachung  in  eine  Kopie  zu  verzeichnen  und  sie  in 
das  Schöppenbuch  zu  legen.  Auf  dem  nächsten  gehegten 
Dingtage  soll  die  Vermachung  „klerich"  (==  klärlich)  ver- 
zeichnet werden.  In  sieben  Jahren  ist  aber  kein  Dingtag 
gewesen;  inmittels  sind  zwei  der  betheiligten  Kinder  gestorben. 
Die  Geschwister  fragen,  ob  die  Vermachung  ihnen  oder  dem 
Vater  angestorben  sei.  Die  Vermachung  wird  als  gültig  an- 
gesehen; der  Vater  und  die  Kinder  werden  in  capita  für  be- 
rechtigt erklärt 

Ein  ferneres  Auskunftsmittel  war  die  Rückkehr  zu  einem 
Brauche  ältesten  Datums:  vor  der  Gemeindeversammlung 
und  auf  gehegtem  Dingtage  fand  jeder  gerichdiche  Akt 
einst  mündlich  statt;  er  wurde  auf  diese  Weise  öffentlich 
verkündet  („verurkundet";  denn  Urkunde  ist  anfanglich  jede 
feierliche  Kundmachung,  nicht  bloss  die  schriftliche).  Solche 
Verurkundungen  nehmen  sogar  die  Gerichtsherren  selbst  vor 
der  Versammlung  ihrer  Unterthanen  vor.  So  „verlassen" 
(=  auflassen)  1510  (ÜB.  1  67)  die  Gevettern  von  Stülpnagel 
auf  Taschenberg  Hebungen,  die  sie  in  den  Dörfern  Milow 
und  Papendorf  (bei  Genthin)  besitzen  „vor  Richter,  Schoppen 
und  Bauern"  beider  Dörfer.  Die  Gegenwart  der  „gemeinen 
Bauern"  oder  der  „Bauern",  oder  des  „Schulzen  und  der 
Bauern"  (d.  h.   der  Gemeindeversammlung)   wird  ferner  bei 

mit  den  Worten  „unser  Herrn*  die  Schoppen  bezeichnen  wollte.  Ein  ana- 
loger Fall,  dass  Richter  und  Schoppen  sich  selbst  „Herren"  Schoppen 
nennten,  ist  mir  aber  aus  den  Schöppenstuhlsakten  nicht  erinnerlich.  Ich 
habe  mich  deshalb  für  die  im  Text  gegebene  Auffassung  entschieden. 


416      5-  Buch.    Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg- Preussen. 

Auflassungen,  die  von  den  Bauern  unter  einander  geschehen, 
aus  der  Zeit  kurz  vor  1540  (3  4)   im  Dorfe  Grossbesten   bei 
Teupitz  erwähnt;    1547  (ÜB.  1  227)  wird  der  von  Jagowsche 
Schulzenhof   im    Dorf  Jeggel    vom    Sohn    des   verstorbenen 
Schulzen  „mit  Uebergebung  eines  freien  Reises  in  Beiwesen 
seiner  Brüder,  auch  Schulzen  und  gemeinen  Bauern  und 
des  Pfarrers44  verkauft;   1553  berufen  sich  Eheleute  aus  einem 
Dorfe  bei  Kyritz  (9  250)  darauf,    dass    sie   sich   ihre  gegen- 
seitige Erbeinsetzung  mit  Zustimmung  der  beiderseitigen  Ver- 
wandtschaft „rechter  Dingpflichter  vor  Schulzen  und  Bauern 
hier  im  Dorfe  haben  vorwidtlichen  lassen44,  und  1555  (6  141) 
will   die   ganze  Gemeinde  eines  Dorfes  bei  Salzwedel  „ge- 
ständig sein44,  dass  vor  „Richter  und  Bauern44  eine  Prozess- 
partei keine  „Verlassung44  (d.  i.  Auflassung)  ihrer  Güter  ge- 
than   habe.     „Vor    der   ganzen   Bauerschaft44   bezichtigt 
„in    unser    gnädigen    Fürstin    (der    Herzogin -Witwe    Anna 
Sophie  von  Mecklenburg)  Schulz  engerichte44   zu    Cosse- 
bade    (bei   Parchim)    1587    (28   154)    eine    Stieftochter   ihren 
Stiefvater    der  Zauberei;   der  Bericht  darüber   wird    an  die 
Amtleute  des  herzoglichen  Witwensitzes  Luptz  erstattet  und 
gelangt  von  da  nach  Brandenburg  zur  Belehrung.    Zu  Rochau 
verspricht  1588  (ÜB.  2  127)  der  Vater,  seinem  Sohne  den  ihm 
verkauften  Hof  „vor  der  Bauerschaft44   mit  einem   Reise 
zu  übergeben. 

Damit  nicht  das,  was  vor  der  Bauerschaft  verhandelt  ist, 
in  Vergessenheit  gerieth,  wiederholte  man  in  älterer  Zeit  die 
Verhandlung  in  der  öffentlichen  Gemeindeversammlung  (der 
„Bursprake44  oder  Bauersprache).  Unterblieb  dies,  so  verlor 
der  vorgenommene  Gerichtsakt  seine  Wirksamkeit.  Vom 
Prozessgegner  wurde  1536  (2  222)  eine  solche  „jährliche  Ver- 
urkundung44  als  ein  erdichteter,  allem  Rechte  ungemässer* 
jedenfalls  durch  die  geschriebenen  Rechte  und  die  churfürst- 
liche  Konstitution  aufgehobener  Missbrauch  bezeichnet  mit 
der  weiteren  Bemerkung:  „die  Bauern  soffen  wohl  alle  vier 
Wochen  ein  Viertel  Bier  darüber  aus  und  sollte  wohl  einem 
ein  solches  thundt  vierfach  mehr  kosten  als  es  würdig;  con- 
suetudo  irrationabilis  et  contraria  legi  corruptela  est  et  nullo 
modo  admittenda;  refert  se  ad  jus44. 


§  3°.     Dorfgerichte.  417 

Um  ein  sichereres  Mittel,  als  das  mündliche  Zeugniss  der 
ganzen  Gemeinde  oder  der  Schoppen  zu  haben,  verfiel  man  auch 
wohl  auf  den  Ausweg,  den  von  Dorfinsassen  vorgenommenen 
Rechtsakt  in  einem  Buche,  das  eine  benachbarte  Ortschaft  be- 
sass,  wie  in  dem  ebenberührten  Wegenstädter  Falle,  oder  im 
Gerichtsbuche  der  nächsten  Stadt  eintragen  zu  lassen;  die 
Städte  hatten  keinen  Grund,  dem  entgegenzutreten,  da  ihren 
Gerichten  aus  diesem  Brauche  eine  Erhöhung  der  Einnahme 
erwuchs.  Ein  solcher  Eintrag  eines  von  Dorfbewohnern  vor- 
genommenen Aktes  in  das  Schöppenbuch  der  benachbarten 
Stadt  wird  um  1550  (10  415)  bezüglich  einer  Ehestiftung  unter 
den  Betheiligten  vereinbart.  Auch  kommt  es  —  beinahe 
schon  fünfzig  Jahre  früher  —  vor,  dass  ein  Leibgedingsbrief, 
statt  vor  gehegtem  Ding,  vor  dem  Gerichtsherrn,  dem  Grafen 
von  Lindow,  in  Gegenwart  seiner  sechs  „Räthe"  von  seinem 
Schreiber  ausgestellt  wird  (1503:  ÜB.  1  48). 

Also  das  Bestreben,  die  Thätigkeit  des  ordentlichen 
Gerichtes  zur  Seite  zu  schieben  und  sie  von  der  Obrigkeit  mit 
ihren  amtlichen  Organen  ausüben  zu  lassen,  giebt  sich  auch 
auf  dem  Gebiete  der  freiwilligen  Gerichtsbarkeit  kund.  Das 
musste  die  Prozessgerichte  mannigfach  vor  die  Frage  stellen,  ob 
sie  derartige  ausserhalb  des  gehegten  Dinges  aufgenommene 
Akte  freiwilliger  Gerichtsbarkeit  als  gültig  behandeln  dürften. 
Hierüber  bildete  sich  eine  vollständige  Judikatur,  deren  End- 
resultat, dem  Zuge  der  Zeit  entsprechend,  die  Annahme  der 
Gültigkeit  solcher  Akte  war.  Es  ist  erklärlich,  dass  in  der 
Uebergangsperiode  eine  vorsichtige  Partei  bestrebt  ist,  den 
von  ihr  ausserhalb  des  Gerichts  vor  der  Obrigkeit  und  vor 
Zeugen  stattgehabten  Akt  der  freiwilligen  Gerichtsbarkeit 
noch  vor  Richter  und  Schoppen  zu  wiederholen.  So  begehrt 
ein  Bauer  aus  Woldenhagen  1571  (31270),  nachdem  er  eine 
Vermachung  vor  dem  Junker  Thomas  von  Calbe  in  Gegenwart 
von  vier  andern  Bauern  hat  niederschreiben  lassen,  dass  dar- 
über „noch  ein  Dingstag  gehalten  werde",  die  Brandenburger 
lassen  es  aber  auf  Anfrage  einer  betheiligten  Partei  genügen, 
wenn  die  vier  Zeugen  den  Inhalt  der  Vermachung  bestätigen.1) 


*)  Vor  „Richter   und   Schoppen"   schliessen  in  Rosian   (bei  Jerichow) 
Stolz  ei,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    L  27 


418      5«  Buch.    Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg^Preus=>en. 

Wie  sich  Dorfbewohner  bei  ihren  Akten  der  freiwilligen 
Gerichtsbarkeit  an  das  benachbarte  Stadtgericht  anlehnten, 
so  auch  bei  ihren  Prozessen.  Dies  beweist  ein  im  Jahre  1536 
vor  dem  Stadtgericht  Neuruppin  zwischen  Bewohnern  des 
nahegelegenen  Dorfes  Protzen  verhandelter  lehrreicher  Pro- 
zess,  dessen  Vorgeschichte  zugleich  ein  Bild  von  Zuständen 
giebt,  die  im  kleinern  Rahmen  dieselbe  Entwickelung  dar- 
stellen, welche  wir  bei  der  Stadt  Brandenburg  kennen  lernten. 

Gleich  der  Brandenburg  ist  die  Burg  Reppin  oder  Ruppin 
auf  einer  von  zwei  Plussarmen  umschlossenen  Insel    nahe  an 
einem  See    erbaut,    gleich    der  Brandenburg    diente    sie   als 
Grenzschutz  in  den  Kämpfen  gegen  die  Slaven,1)  gleich  der 
Brandenburg  war  sie  der  Vorläufer  der  aus  dem  Burgflecken 
sich  entwickelnden  Altstadt;  dort  wie  hier  entstand  jenseits 
am  Wasser    die  Neustadt.      Die  Burg  Ruppin,    die  Altstadt 
Ruppin,  die  Neustadt  Ruppin  nebst  dem  umliegenden  Lande. 
wozu  auch  die  Stadt  Lindow  gehörte,  hatte  sich  zu  einer  beson- 
dern Grafschaft  entwickelt,  welche  die  Grafen  von  Lindow,  die 
Besitzer  der  Burg  Ruppin,  von  den  Brandenburger  Markgrafen 
zu  Lehn  trugen.    Dies  Lehn  fiel  1524  an  Brandenburg-  heim; 
denn  damals  wurde,  wie  es  in  einem  vom  Kanzler  Dr.  Stub- 
linger  unterzeichneten  Lehnbrief  des  genannten  Jahres  heisst, 
der  letzte  des  Geschlechts  der  Graf«*  zu  Lindow  und  Ruppin 
„sammt  Schild  und  Helm  begraben14  (7  266).    Bis  dahin  waren 
also   die    Grafen  von  Lindow  die  Territorial-  und  Gerichts- 
herren.    Es  ist  erklärlich,  dass  in  solchen  kleinen  Territorien 
sich  die  alten  Verhältnisse   länger    erhalten    als    in    grossen. 
Längst  hatte  man  in  Brandenburg  aufgehört,  „auf  der  Burg44, 
d.  h.  beim  Burgvogt  oder   beim   Burgherren,    das  Recht    zu 
holen,  als  man  „im  Lande  Ruppin"  noch  so  verfuhr.     Des- 
Dorfbewohner  Verträge   1574  (29  479)    „auf  dem  Schulzengericht",    1575 
(22  18)  in  Busendorf  (Buschdorf  bei  Merseburg),  1583  (60  155.  ÜB.  931)  in 
Grabow  (bei  Jerichow?)  vor  Richter  und  acht  Schoppen,    1578  (55487)  in 
Gohlitz    (bei    Brandenburg),    1575    (20453.    ÜB.  1 642)    in    Leitzkau    (bei 
Magdeburg),    1600  (46  282.  ÜB.  2  287)    in  Sebzig    (bei  Brandenburg),   160; 
in  Schonhausen    „im    gehegten  Dinggerichte  a  (ÜB.  3  148).     Noch   1737  (89 
206)  stellen  „Richter  und  Schoppen4*  in  Polleben  (bei  Merseburg)  ein  Zeug- 
niss  aus. 

*)  Liesegang,  Forschungen  zur  Brdb.  Gesch.  Bd.  5  S.  1  ff. 


§  3°-     Dorfgerichte.  419 

halb  sehen  wir  im  Jahre  15 18  (2  602)  die  das  Dorf  Protzen 
von  den  Grafen  von  Lindow  zu  Lehn  tragenden  Gebrüder 
von  Gadow  mit  ihren  Unterthanen,  einem  Matthias  Nitze- 
bandt  und  seinen  drei  Stiefsöhnen  aus  Protzen,  in  Begleitung 
von  vier  andern  Ortsangehörigen  auf  die  Burg  Ruppin  ziehen, 
damit  dort  „die  Räthe  der  Herrschaft  Reppin"  darüber  „ent- 
scheiden", in  welcher  Weise  der  Vater  seine  Stiefkinder  ab- 
finden soll.  Es  kommt  ein  Vertrag  zu  Stande,  der,  wie  da- 
mals und  noch  lange  Zeit  allgemein  gebräuchlich,  auf  dem- 
selben Blatte  in  doppelter  Ausfertigung  niedergeschrieben 
„und  dann  ein  Zettel  aus  den  andern  geschnitten"1)  wird 
(ÜB.  1  76).  Der  Vertrag  führt  im  Jahre  1533  (2  601)  zu  einem 
Streit  und  in  Folge  dessen  zu  einem  zweiten  Vertrag,  der  dies- 
mal, da  die  Grafen  von  Lindow  nicht  mehr  auf  der  Burg  sitzen, 
vor  den  Lehnsherren  des  Dorfes,  den  Gebrüdern  von  Gadow, 
und  sechs  Bauern  unter  dem  Siegel  der  Gadow  abgeschlossen 
wird.  Im  Jahre  1536  verlangt  dann  der  eine  Stiefsohn  von 
seinem  Vater  noch  eine  Leistung  von  5 1/2  Schock,  der  Vater 
behauptet,  geleistet  zu  haben.  Dieser  Streit  konnte  nicht  im 
Vertragswege  erledigt  werden;  er  bedurfte  einer  gerichtlichen 
Entscheidung.  Wo  war  das  zuständige  Gericht?  Das  einstige 
Landgericht,  welchem  das  Dorf  Protzen  ursprünglich  zu- 
gehörte, war  verschwunden,  auch  die  Grafen  von  Lindow  mit 
ihren  Räthen,  die  für  das  Dorf  Protzen  an  die  Stelle  getreten 
waren,  existirten  nicht  mehr;  die  unmittelbaren  Herren  des 
Dorfes,  die  Gadow,  scheinen  keinen  Anlass  gefunden  zu  haben, 
etwa  ihrerseits  nach  dem  Aussterben  der  Grafen  von  Lindow 
ein  Gericht  für  Protzen  einzurichten,  wohl  aber  wurde  das  Ge- 
richt der  Stadt  Neuruppin  mit  neuem  Ansehen  bekleidet,  als 
es  unter  die  unmittelbare  Hoheit  des  Kurfürsten  von  Branden- 
burg fiel;  das  prägte  sich  schon  in  dem  nunmehr  ihm  bei- 
gelegten Namen  eines  „kurfürstlichen  Stadtgerichts"  (2  595) 
aus.  Bei  diesem  Stadtgericht  verklagte  Hans  Nitzebandt 
seinen  im  Dorf  Protzen    ansässigen  Vater,    und    der  Prozess 

J)  Die  Schnittlinie  erbringt  den  Echtheitsbeweis,  wenn  die  eine  Partei 
ihre  Vertragsausfertigung  produzirt  und  die  andere  Partei  ihr  Exemplar 
daran  hält.  Vgl.  auch  Sachregister  zum  ÜB.  unter  „Beurkundung".  Noch 
heute  wird  bei  Ausgabe  mancher  Inhaberpapiere  ebenso  verfahren. 

27* 


420      5-  Buch.   Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg-Preussen, 

wurde  dort  geführt,  ohne  dass  dabei  die  Frage  der  Zuständig- 
keit irgendwie  zur  Sprache  kam.  Landbewohner  nehmen 
und  erhalten  also  ihr  Recht  beim  benachbarten  Stadtgericht 
in  Ermangelung  eines  andern  ihnen  zu  Gebote  stehenden 
Gerichtes.  Das  kurfürstliche  Stadtgericht  Neuruppin  bittet 
daDn  die  Schoppen  zu  Brandenburg,  „zu  erkennen,  was 
Recht  ist". 

Keineswegs  sind  aber  Richter  (oder  Schulz)  und  Schoppen 
als  rechtsverwaltende  Organe  im  sechzehnten  Jahrhundert 
bereits  gänzlich  verschwunden. 

Als  1530  (1  208)   der  Erbsess  von  Bredow  zu  Kremmen 
(bei  Ruppin)  das  „verlaufene"  Gut1)  eines  Unterthanen   des 
benachbarten  Dorfes  Bornike  einziehen  will,   spricht  er   dies 
mit  drei  Klagen  im  Dorfgerichte  an;  „Richter  und  Schoppen** 
weisen,    weil   sie    „zu    geringen  Verstandes,    ein    Urtheil    zu 
sprechen",    die   Sache    nach  Brandenburg   und    bitten    dort, 
ebenso  wie  am  nämlichen  Tage  der  von  Bredow  selbst,   um 
ein  Erkenntniss.    Richter  und  Schoppen  des  Dorfes  Dämmen 
erklären  1557  (6  303),  „dass  ihnen  als  Einfaltigen  der  Handel" 
(den  der  Gerichtsherr   mit    einem  Bauer  wegen    zuviel    em- 
pfangenen Korns  anhängig  gemacht  hat)  „zu  hoch  und  wichtig 
zu  versprechen    sei    und   beide  Theile   sich   an  den  Rechten 
genügen  zu  lassen2)   sich   erboten  hätten".     Vor  Schulz   und 
Schoppen  der  Gemeinde  Krakau  (bei  Magdeburg)  wird  153S 
(3  429)  eine  Schuld  von  32  fl  ausgeklagt;  der  siegreiche  Kläger 
„bekümmert  mit  dem  Gerichte  und  Gerichtshülfe"  die  Güter 
der  Beklagten.     Richter  und  Schoppen    des  Dorfs  Warnick 
bei  Küstrin   sind  1555  (5  389)  in  Sachen  einer  Angeklagten 
thätig,  die  mit  verbrannten  pulverisirten  Eulenfedern  Zauberet 
getrieben   haben   soll,    und    fragen   in   Brandenburg  um  Be- 
lehrung an;  ihre  Missive  geben  sie  zuvor  ihrem  Junker  zum 
Pitschiren.    Ein  Erbtheilungsvertrag,  der  vor  dem  Hauptmann 
zu  Schönhausen  und  vor  Richter  und  Schoppen  daselbst  ge- 
schlossen ist,  hat  Interessenten  Anlass  gegeben,   in  Branden- 
burg  Belehrung  zu  erbitten;    die  erhaltene  Belehrung   theüt 
er  „Richter  und  Schoppen  und  ganzer  Gemeinde  zu  Schön* 

1)  D.  h.  das  Gut,  von  welchem  sich  der  Besitzer  entfernt  hat. 

2)  Vergl.  oben  S.  338. 


§  3<>«     Dorfgerichte.  421 

hausen"  mit,  diese  bitten  nun  ihrerseits  in  Brandenburg  um 
Belehrung  (1557:  6  21).  Vor  den  Erbgesessenen  zu 
Brunne  (bei  Fehrbellin)  klagt  1557  (6  296)  im  „Schulzen- 
gerichte des  Dorfes  Brunne44  eine  Geschwächte  darauf,  dass 
sie  ihr  Schwängerer,  der  ihr  die  Ehe  gelobt,  zur  Ehe  nehme, 
„weil  der  allmächtige  Gott  diesen  Erbgesessenen  sammt 
den  Richtesherrn  dieses  Dorfs  nebst  der  hohen  welt- 
lichen Obrigkeit  befohlen  habe,  den  Gerechten  Rechtes  zu 
helfen44.  Die  Parteien  werden  vor  einen  der  Erbgesessenen 
in  das  Schulzengericht  beschieden  und  dort  verhört;  der 
Beklagte  beantwortet  die  Klage  ^mit  nein,  und  beide  Par- 
teien thun  „genügsamen  borgerlichen  Vorstand44,  dann  bitten 
die  Erbsessenen  als  des  Rechts  unerfahren  in  Brandenburg 
um  Rechtsbelehrung.  Vor  Richter  und  Schoppen  des  Dorfs 
Damme  bei  Prenzlau  belangt  1557  (6  303)  der  Gerichts- 
und Lehnsherr  Kersten  Eichstedt  einen  Bauer,  weil  er  von 
einem  flüchtig  gewordenen  Leihemann  28  Scheffel  Korn  und 
Hausgeräth  aus  dem  Leihegut  heimlich  in  Verwahrung  ge- 
nommen habe.  Der  Bauer  wird  dreimal  vor  Gericht  ge- 
laden; im  dritten  Termin  giebt  er  zu,  18  Scheffel  erhalten 
zu  haben,  die  er  herausgeben  wolle.  Richter  und  Schoppen 
ist  „als  einfältigen  dieser  Handel  zu  hoch  und  wichtig  zu  ver- 
sprechen (=  entscheiden)44;  sie  fragen  in  Brandenburg  an. 
Der  Vater  einer  Geschwächten  bringt  1558  (6  485)  vor 
„Richter  und  Schoppen44  zu  Pärchen  (Dorf  bei  Jerichovv)  seine 
Klage  „jüngstem  Verlasse  nach441)  schriftlich  ein  „tanquam 
actionem  atrocissimam  injuriarum  seines  Gefallens  peinlich 
oder  burglich44.  Der  Beklagte,  ein  Knecht,  der  die  klägerische 
Tochter  „mit  eigener  Gewalt  im  Stalle  genöthigt44  haben  soll, 
leugnet  und  stellt  vier  in  Pärchen  sesshafte  Bürgen,  macht 
sich  demnächst  aber  von  dannen.  Richter  und  Schoppen  zu 
Pärchen  bitten  um  Rechtsbelehrung  in  Brandenburg.  Aehn- 
lich  erbitten  Rechtsbelehrung  1565  (10  3)  „Schulz  und 
Schoppen  des  Dorfs  Dolzig"  bei  Soldin  i.  N.,  als  es  sich  um 
Bestrafung  eines  ihrem  Junker  zum  Verhör  vorgeführten 
Landstreichers    handelt.      „In    Beisein    eines    vollkommenen 

!)  Verlass,  Verlassung  bedeutet  (wie  Auflassung)   eine  Vereinbarung. 
„Verlassbuch  des  Raths  zu  Prenzlau"  s.  ÜB.  1  55. 


422      5*  Buch.    Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg  Preussen. 

Gerichts  als  Richter  und  Schoppen  und  des  sacra  apostolka 
autoritate  bestellten  Notars",  des  Gerichtsnotars  der  Stadt 
Friedland,  findet  1590  (32  113)')  im  benachbarten  von  Gunters- 
bergschen  Dorf  Callis  das  Verhör  in  einer  Zaubereisache 
statt.  Hier  haben  wir  also  wiederum  ein  wohlbesetztes  Dorf- 
gericht vor  uns,  ihm  ist  aber  der  von  der  benachbarten  Stadt 
requirirte  Notar  als  Protokollführer  zugesellt.  Ohne  solchen 
Notar  wird  in  Beisein  der  Erbsessen  von  Britzke  1598  (43 
165)  ein  Dieb  „vor  Richter  und  Schoppen  des  Dorfs  Phisen*k 
(Viesen  bei  Genthin)  vernommen. 

Zum  Belege,  dass  noch  1565  Dorfgerichte  vollständige 
Civilprozesse  verhandeln,  in  denen  es  zu  einem  regelrechten 
Beweisverfahren  mit  Eidesauflage  kommt,  können  folgende 
Beispiele  dienen. 

Ein  Bauer  zu  Studenitz  (bei  Kyritz)  belangt  1565  (9  367) 
vor  dem  „Dorfgerichte,  Schulzen  und  Bauern"  seinen  Halb- 
bruder, der  behauptet,  sein  väterlich  Erbe  noch  nicht  er- 
halten zu  haben.  Schulz  und  Bauern  haben  auf  einen  Eid 
erkannt,-  dass  die  Behauptung  des  Halbbruders  richtig  sei; 
nach  Leistung  des  Eides  soll  der  Beklagte  mit  seinen  Zeugen 
gehört  werden.  Der  Beklagte  fragt  in  Brandenburg  an,  ob 
nicht  seine  Zeugen,  mit  denen  er  des  Klägers  Eid  verwerfen 
wolle,  zunächst  zu  hören  seien.  Der  Spruch  geht  dahin, 
dass  Kläger  seine  Klage  nicht  mit  seinem  Eide  belegen 
könne,  vielmehr  Beklagter  zu  beweisen  habe,  dass  dem 
Kläger  sein  Vatergut  entrichtet  sei. 

Zur  nämlichen  Zeit  (10  106)  haben  Richter  und  Schoppen 
zu  Rhinow  (Dorf  bei  Rathenow)  zu  entscheiden  über  einen 
vor  ihnen  in  gehegtem  Ding  verhandelten  Prozess,  in  welchem 
der  Bruder  eines  Verstorbenen  dessen  Gut  als  Theil  des 
väterlichen  Nachlasses  von  der  in  zweiter  Ehe  lebenden 
Witwe  und  deren  Kind  beansprucht.  Das  Gut  hat  der  Ver- 
storbene von  seinem  Vater  gekauft;  die  beklagte  Witwe 
bestreitet  deshalb  des  Klägers  Anrecht  an  dem  Gute;  der 
Kläger  beruft  sich  auf  Zeugen  und  ist  im  „nächst  ver- 
gangnen angesetzten  gehegeten  Dinge  mit  seinen  Zeugen 
plötzlich  ohne  Rechtsforderung  und  Zulass  eingetreten".    Die 

J)  Zu  vergl.  ÜB.  2  145  ff. 


§  30.     Dorfgerichte.  423 

Brandenburger,  an  die  sich  „Richter  und  Schoppen"  wenden, 
sprechen  laut  der  vorgelegten  Urkunden  das  Gut  dem  zweiten 
Ehemanne  sammt  seinem  Weibe  zu. 

Noch  1586  (ÜB.  2  76)  vermitteln  im  Dorfe  Nitzan  (bei 
Genthin)  neben  dem  Hauptmann  des  Amts  Plaue  „Richter, 
Paurmeister  und  Altsessen44  eine  Erbauseinandersetzung; 
ein  Exemplar  des  Vertrages  wird  im  Gericht  niedergelegt. 

In  welcher  Weise  unter  Umständen  die  Dorfschaft  selbst 
es  dahin  bringt,  dass  statt  ihrer  die  landesherrlichen  Beamten 
einschreiten,  legt  ein  Fall  des  Jahres  1566  dar.  Schulz  und 
Gemeindebauern  zu  Göricke  (Dorf  bei  Kyritz)  beschliessen 
1 566  (ÜB.  1 472  ff.),  weil  in  ihrem  Walde  mehrfach  Holz  gehauen 
ist,  dass  sich  das  künftig  Niemand  bei  Strafe  einer  Tonne 
Biers  unterstehen  soll.  Ein  Bauer  lässt  gleichwohl  etliche 
Fuder  Holz  schlagen,  weigert  sich  aber,  die  Tonne  Bier  zu 
geben,  ist  vielmehr  nur  bereit,  einen  halben  Thaler  zu  zahlen. 
Darauf  bringen  Schulz  und  Gemeindebauern  den  Mann,  und 
da  seine  Frau  erklärt,  bei  ihrem  Manne  bleiben  zu  wollen, 
auch  sie  in  das  Gefangniss  zu  Havelberg  und  setzen,  um  für 
ihr  Dorf  die  Gefangenen  unschädlich  zu  machen,^  einen 
Prozess  wegen  Zauberei  in  Szene  —  ein  charakteristisches 
Beispiel,  wie  man  Hexenprozesse  zu  schaffen  verstand.  Die 
Bauerschaft  berichtet  den  „weltlichen  Befehlshabern44  in 
Havelberg,  welche  Gerüchte  im  Dorfe  über  Zaubereien 
der  beiden  Eheleute  umgehen;  das  bestimmt  die  Befehls- 
haber, in  Brandenburg  anzufragen,  ob  sie  mit  der  Tortur 
vorgehen  könnten.  Die  Brandenburger  verneinen  die  Frage 
und  verlangen  nochmalige  gütliche  Befragung;  im  Leug- 
nungsfalle  müsse  die  Bauerschaft  die  Bezichtigung  erweisen. 

Mit  dem  Anfang  des  siebzehnten  Jahrhunderts  schwinden 
Richter  und  Schoppen  immer  mehr  in  der  dorfgerichtlichen 
Rechtspflege.  Nachdem  zunächst  der  Erbsess  als  Gerichts- 
herr persönlich  seinen  Platz  im  Gerichte  (vor  Richter  und 
Schoppen)  eingenommen  hat,  ersetzt  ihn  später  sein  Gerichts- 
verwalter;1) daneben  wird  je  nach  Bedarf  der  Pfarrer  oder 
der  Notar  mit  herangezogen  und  die  Zahl  der  Schoppen  all- 
mählich   bis    auf  zwei   beschränkt,    welche  mit  dem  Richter 

l)  Siehe  den  nächsten  Paragraphen. 


424      5-  Buch.    Erster  Abschnitt.    Konsulenten  aus  Brandenburg-Preusse*. 

oder  Schulzen  schliesslich    nur  noch  der  Feierlichkeit  halber 
gegenwärtig  sind. 

So  vereinbart  man  im  Dorfe  Eichstedt  bei  Kremmen 
1572  (12  610)  eine  Erbtheilung  vor  Richter,  zwei  Schoppen, 
einem  weitern  Zeugen  in  Gegenwart  des  Junkers  und  de* 
Pfarrers;  einen  daran  sich  anschliessenden  Gutsverkauf  hat 
der  Pfarrer  auf  das  Papier  zu  bringen  unternommen.  In 
Zehlendorf  bei  Berlin  macht  eine  zur  zweiten  Ehe  schreitende 
Witwe  mit  ihren  Kindern  1606  (ÜB.  2  370  ff.)  Erbschichtunq 
„durch  den  Hauptmann  zu  Möllenhof  und  den  Amtsschreiber 
in  Beisein  von  Schulzen  und  Schoppen  zu  Zehlendorf1*;  ihr 
Testament  nimmt  1608  (ÜB.  2  436)  in  Zehlen-dorf  der  Pfarrer 
„anstatt  eines  Notars  vor  Richter  und  seinen  verordneter 
Schoppen"  auf;  der  Schoppen  sind  es  vier.  Ein  durch  die 
Brandenburger  erkanntes  peinliches  Verhör  hält  1620  (674611 
im  Dorf  Schiagentin  bei  Genthin  der  Notar  in  Gegenwart  der 
Junker,  des  Pfarrers,  des  Schulzen  und  zweier  Schoppen  ab 
In  Schönefeld  (bei  Templin)  vermachen  sich  1610  (ÜB.  2460 
Eheleute  vor  J.  v.  Schlaberndorf  und  Georg  v.  d.  Streithorst 
in  Gegenwart  von  Richter  und  Schoppen  ihr  Vermögen. 

Damit  werden  wir  auf  die  Erörterung  der  Frage  hin- 
gewiesen, wie  sich  die  Beziehungen  der  Junker  als  Gerichts- 
herren  zu  dem  Brandenburger  Schöppenstuhl  entwickelt 
haben. 

§31. 

Junker. 

In  den  Nachrichten,  die  über  dorfgerichtliche  Anfragen 
Auskunft  geben,  ist  bereits  mannigfach  eine  Mitwirkung  des 
„Junkers"  ersichtlich  gewesen.  Dem  Junker  fallt,  als  dem  erb- 
lich belehnten  Herrn  des  Dorfes,  im  Rechtsleben  der  Dorf- 
bewohner  (seiner  „Unterthanen")  dieselbe  Thätigkeit  zu,  wie 
dem  Landesherrn  im  Rechtsleben  seiner  städtischen  oder 
ländlichen  Unterthanen.  Was  vom  Verhältniss  des  Landes- 
herrn zur  Rechtspflege  für  das  landesherrliche  Gebiet  gik 
wiederholt  sich  —  nur  in  verkleinertem  Maasstabe  —  ^>eUD 
Verhältniss  des  Gutsherrn  zur  Rechtspflege  innerhalb  des 
gutsherrlichen  Gebietes.  Weit  ausgedehnter  als  sonstwo  hat 
im  deutschen  Osten  das  gesammte  Dorf  einen  einzigen  Herrn. 


§  3i.    Junker.  425 

den  „Junker",  wie  das  Dorf  ihn  nennt,  den  „Erbsessen",  wie 
er  sich  nennt;  ihm  ist  das  Dorf  dienstpflichtig  und  deshalb 
erbunterthänig. l)  Die  Bezeichnung  Junker  und  Erbsess 
brauchen  unsere  Schöppenstuhlsakten  in  der  angegebenen 
Bedeutung  als  technische  Dass  im  deutschen  Osten  regel- 
mässig nicht  eine  Mehrzahl  konkurrirender  Berechtigten  sich 
kreuzt,  dass  auch  der  Dorfherr  grössere  Selbständigkeit  ge- 
niesst  und  nicht  dem  landesherrlichen  „Amte"  untersteht,  ist 
die  Folge  der  Kolonisation.2)  Die  Dorfgründungen  waren 
vertragsmässig  Unternehmern  überlassen,  deren  Mühewaltung 
mit  dem  erblichen  Schulzenamt  belohnt  wurde,  das  den  Vor- 
sitz (das  „Richteramt")  im  Dorfgericht  und  den  Bezug  eines 
Drittels  der  Gerichtseinkünfte  in  sich  schloss.  Dies  Schulzen- 
amt oder,  wie  es  in  Brandenburg  ständig  heisst,  das  „Schulzen- 
gericht" war  ein  grösserer  Gutskomplex  in  der  Dorfgemar- 
kung mit  einem  Gebäude,  das  auch  schlechtweg  „das  Schulzen- 
gericht" hiess  und  den  öffentlichen  Gemeinde-,  namentlich 
den  Gerichtsangelegenheiten  diente,  wie  das  Rathhaus  in  der 
Stadt.  Der  Schulz  war  der  Lehnsträger  dieses  Komplexes, 
daher  heisst  er  auch  Lehnschulze.  Zu  Netzen  (bei  Lehnin) 
giebt  „altem  Brauche  nach"  (1665:  79  34S)  der  Schmied  des 
Klosters  Lehnin  seinen  „Schmiedegästen"  (d.  h.  seinen  Kun- 
den) „im  Schulzengericht"  jährlich  eine  halbe  Tonne  Bier; 
ein  Kossäte  muss  sie  den  „Nachbarn"  (d.  h.  den  Bauern) 
zapfen.  Ein  Landsknecht,  der  1565  (10  1)  „das  Schulzen- 
gericht" in  Chorin  erbricht  und  den  Schulzen  mit  gezückter 
Wehr  bedroht,  wird  zum  Tod  durch  das  Schwert  verurtheilt. 
„Im  Schulzengericht"  zu  Jerthall  (bei  Genthin  oder  Tanger- 
münde) vernimmt  1609  (57  3)  ein  Notar  eine  Diebin,  „die 
daselbst  enthalten"  (gefangen  gehalten)  ist.  Eine  der  Haupt- 
pflichten des  Lehnschulzen  war  es,  vor  den  Thüren  der 
Unterthanen  die  Leistung  der  gebührlichen  Dienste  anzu- 
kündigen und  für  die  Leistung  zu  sorgen  (1554:  5  308;  1566: 
10  35<>)-  Die  Vererbung,  die  Veräusserung  und  die  dem 
Lehnsherrn  unter  Umständen  gestattete  Einziehung  des 
Schulzengerichts   giebt  Anlass  zu. häufigen  und  schwierig  zu 

!)  Vgl.  G.  v.  Below,  Territorium  und  Stadt.     Lpzg.   1900. 
a)  Blum,  Preuss    Gesch.   1900  Bd.  1   S.  118. 


426       5-  Buch.    Erster  Abschnitt.    Konsulenten  aus  Brandenburg- Preusscn. 

entscheidenden  Streitigkeiten,  von  denen  bei  Erörterung  der 
Rechtsprechung  über  Grundeigenthumsverhältnisse  die  Rede 
sein  wird.  Auch  noch  nach  einer  anderen  Richtung  hin  ent- 
wickelte sich  aus  dem  Lehnschulzenverhältniss  eine  weit- 
tragende Zweifelsfrage. 

Der  Lehnschulze  hat  den  Herren  seines  Dorfes  zum 
Lehnsherrn  und  dieser  den  Landesherrn  zum  Oberlehnsherrn. 
Wir  sahen  bereits  (S.  410),  wie  aus  einem  analogen  Verhält- 
nisse der  Amtsschreiber  zu  Wittstock  1602  seine  Berechtigjung 
herleitete,  Bürger  zu  Wittstock  vor  sein  Forum  zu  laden» 
weil  er  „an  des  Kurfürsten  Statt  sitze"  und  dieser  die  „hohe 
Obrigkeit44  für  sich  behalten  habe.  Eines  der  Rechte  des 
Gerichtsherrn  war  der  Anfall  erbloser  Güter  ihrer  Unter- 
thanen.  Da  fragte  sich,  ob  auf  diesen  Anfall  der  Lehnsherr 
oder  der  Oberlehnsherr  Anspruch  habe.  Hierüber  war  zu 
entscheiden,  als  im  Anfange  des  achtzehnten  Jahrhunderts 
einige  Aecker  im  Dorfe  Wilsleben  bei  Aschersleben  erblos 
wurden.  Das  Dorf  hatte  Kurfürst  Friedrich  Wilhelm  denen 
v.  Königsmark  geschenkt;  von  ihnen  war  es  mit  landesherr- 
lichem Konsens  dem  Landgrafen  von  Hessen-Homburg  ver- 
kauft, der  dann  auch  17 16  „mit  Ober-  und  Untergerichten, 
Civil-  und  Kriminaljurisdiktion  und  allen  davon  fallenden 
Strafen44  beliehen  war  (90  46).  Dadurch  wurde  Wilsleben 
Theil  des  benachbarten  hessen-  homburgischen  Amtes  Win- 
ningen.  Dies  Amt  nahm  die  erblosen  Aecker  in  Besitz,  ein 
Soldat  zeigte  aber  1725  bei  Hofe  an,  die  Aecker  gehörten, 
weil  sie  erblos  gewesen,  dem  Könige  zu,  und  bat,  sie  ihm 
gegen  einen  Kanon  zu  konferiren.  Es  kam  zu  einer  Klage 
gegen  das  Amt  auf  Herausgabe  der  Aecker,  und  die  erste 
Instanz  erkannte  gleich  dem  Hallenser  Schöppenstuhl  der 
Klagbitte  gemäss,  weil  dem  Amte  die  jura  regalia  nicht  zu- 
ständen und  dasselbe  kein  jus  fisci  auf  die  vakanten  Güter 
habe.  Die  Brandenburger  dagegen  sprachen  das  Recht  auf 
den  erblosen  Nachlass  dem  Landgrafen  zu  als  Pertinenz  sei- 
nes merum  imperium  (1738:  90  50);  sie  waren  also  für  Ein- 
engung der  oberhoheitlichen  Rechte. 

Der  Erwerb  des  Eigenthums  eines  Dorfes  schloss  demnach 
den  Erwerb  von  Rechten,  namentlich  darunter  der  Gerichts- 


§  3i.    Junker.  427 

barkeit,  in  sich,  die  ein  merum  Imperium  ausmachten.  Ob 
dieser  Erwerb  von  einem  Herrn  des  Adels  oder  von  einer 
juristischen  Person  (einer  Stadt,  einer  geistlichen  Korporation, 
sei  es  ein  Kloster  oder  Stift,  ein  Domkapitel  oder  eine  Uni- 
versität) ausging,  war  gleichgültig.  So  z.  B.  sind  Arnsdorf, 
Jacobsdorf  und  Lindo  Dörfer  der  Universität  Frankfurt; 
Rektor,  Magistri  und  Doctores  der  Universität  fragen  des- 
halb 1578  (20  151),  ob  das  Sühnegeld  eines  Entleibten  nach 
Brandenburgischem  Recht  nur  den  männlichen  Verwandten 
oder  auch  den  Schwestern  und  Schwesterkindern  gebühre, 
sie  fragen  ferner  1597  (21  229),  was  einem  Unterhanen  zu 
geschehen  habe,  der  den  geschworenen  Urfrieden  verletzt, 
sie  fragen  1604  (51  3°)>  w*e  em  ihres  Dorfes  Arnsdorf  Ver- 
wiesener, aber  dorthin  Zurückgekehrter,  und  sie  fragen  1609 
(58  752),  wie  eine  Kindesmörderin  in  Lindo  zu  bestrafen  sei. 
Als  Obrigkeit  von  Jacobsdorf  erlassen  Rektor,  Magistri  und 
Doctores  der  Universität  1602  (ÜB.  2  342)  einen  Stockbrief, 
um  einen  Dieb  gefänglich  einzuziehen. 

Frauenklöster  sind  ebenfalls  Gerichtsherrschaft  und 
sprechen  Recht  auf  Grund  einer  in  Brandenburg  geholten 
Belehrung.  Nach  der  Säkularisation  treten  an  Stelle  der 
geistlichen  Korporationen  die  vom  Landesherrn  eingesetzten 
„weltlichen  Befehlshaber".1)  Sie  stehen  zur  Rechtspflege 
und  zur  Aktenversendung  in  demselben  Verhältnisse,  wie  die 
sonstigen  landesherrlichen  Beamten,  namentlich  die  Haupt- 
oder Amtleute.  Als  die  Quitzow  1474  (ÜB.  1  20)  ihr  halbes 
Dorf  Lübars  bei  Berlin  „mit  Zubehör"  verkaufen,  wird  unter 
dem  Zubehör  „das  Gericht  hogest  und  sidest"  (höchstes  und 
niederstes)  „in  Feld  uud  in  Marken"  aufgezählt.  Die  Stadt 
Brietzen  kauft  151 3  (7  234)  das  Dorf  Grochwitz  bei  Merse- 
burg 4von  einem  Edelmanne  „mit  aller  Gerechtigkeit".  Die 
Neustadt  Brandenburg  nennt  das  nahe  gelegene  Dorf  Poesin 
(=  Päwesin)  1560  (8  1)  „ihr"  Dorf.  Darum  macht  1530  (1 
208)  ein  Ankauf  gewisser  auf  vererbpachteten  Dorfgrund- 
stücken   ruhenden    Gerechtigkeiten,    darunter  „oberstes  und 

')  Z.  B.  1552  (4428):  „Hans  Topp  und  andere  Befehlshaber  des  ehr- 
würdigen Domkapitels  zu  Havelberg  ;rt  1574  (15  355):  »weltliche  Befehls- 
haber der  Stiftkirchen  zu  Brandenburg. u 


428      5«  Buch.   Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg-Preussen. 

niederstes  Gericht",    und    der   hinzutretende    landesherrliche 
Leihebrief   den   Käufer   d,er  Gerechtigkeiten    zum   „Richter, 
Erb-  und  Oberherrn"  der  Grundstücke,  und  dieser  Erbherr 
selbst  erhebt  vor  seinem  Dorfgericht  Klage,  wenn  er  Grund- 
stücke anspricht,  die  ihm  durch  Wegzug  eines  Unterthanen 
heimgefallen  sein  sollen.     Welcher  Art  im  Einzelnen  solche 
Gerechtigkeiten   sind,    wird    1529    (ÜB.  1   122)    gelegentlich 
eines  Vertrags  aufgezählt,  durch  den  die  Stadt  Trebbin  mit 
kurfürstlichem    Konsens    vom    Erbsess    auf  dem    Th  uro  wer 
Damm    (bei  Trebbin)    diesen   Damm  für  1 10  fl.    kauft.     Die 
Gerechtigkeiten  sind:  „ von  jedem  Wagen,  der  den  Weg  dar- 
über gebraucht,  1  ^ ,  mit  2  Raden,  oder  einer  Schütte  davon 
zu  nehmen,    von   jedem  Hausgeräthe  2  gr  2  ^ ,   wenn  Braut 
oder  Bräutigam    darüber    zieht,  vom    Bräutigam  18  ^     und 
sonderlich  von  der  (Braut)  einen  Käse  vom  Groschen  oder  das 
Geld  dafür,  darzu  für  1  gr  Bier  und  4  ^  Brot,  von  einem  Mühl- 
stein, der  gelöchert  ist,    18  ^,  von  jedem  Juden  1  gr.,  dazu 
von  jedem  Pferde  1  gr.,    von  Ochsen,  Schweinen,  Hammeln, 
Ziegen,  Böcken  je   1  $ ,  ferner  das  Flies  vor  und  nieden  der 
Brücke  bis  zum  Trebbiner  Mühlenflies  darin  zu  fischen  .  .  ., 
Holzung,  Hütung,  Garten  mit  Wiese  .  .  .,  6  Ruthen  dem  Flies 
und  Landfestung  nicht  zu  nahe  zu  hauen  und  sonderlich  sich 
darauf  mit    dem    obersten    und    niedersten    Gericht    zu    ge- 
brauchen."    Bei  etwaigem  weiteren  Verkauf   wird  der  erste 
Kauf  dem  Vogt  gestattet,   doch   die  Besserung  vorbehalten. 
In    welchem  Maasse    der    Erbsess    seine    Gerichtshoheit 
ausnutzen  zu  können  glaubte,  erweist  ein  Beispiel  des  Jahres 
1566  (10  285)  aus  Mecklenburg.     Hier  verboten  die  Gebrüder 
Freyberg    im  Dorfe  Karchow  der  dortigen  Bauerschaft,   im 
Karchower  See    zu    fischen.      Weil    ein  Unterthan    dagegen 
fehlte,  fragten  die  Freyberg  in  Brandenburg  an,   ob  sie  den 
der  Uebertretung  des  Verbots  Beschuldigten  gefänglich  ein- 
ziehen und  foltern  lassen,  oder  ob  sie  die  ganze  Gemeinde 
„bürgerlich  strafen"  könnten.    Der  gesunde  Sinn  der  Branden- 
burger  lehnte  das  Eine  wie  das  Andere  ab:  aus  dem  Bericht 
erhelle  nicht  soviel,  dass  die  Gemeinde  zu  strafen,    es   seien 
auch  nicht    genügsame  Ursachen  vorhanden,    den  Beklagten 
mit  Gefangniss  oder  peinlicher  Frage  vorzunehmen. 


§  3i.    Junker.  429 

Als  eine  selbstverständliche  Folge  des  Erwerbes  der 
Gerichtshoheit  galt  es  aber,  dass  der  Grundeigenthümer  ober- 
vormundschaftliche  Rechte  auszuüben  befugt  war.1)  .Ein 
„Annahmegeld1*  von  dem  nach  des  Vaters  Tode  neu  an- 
ziehenden Hofbesitzer  zu  fordern,  erklären  aber  die  Branden- 
burger 1592  (37  108)  den  Inhaber  des  obersten  und  niedersten 
Gerichts  nicht  für  befugt.  An  der  Prozessleitung  sich  zu 
betheiligen,  sogar  Prozessschriften  selbst  —  statt  des  Gerichtes 
—  entgegenzunehmen  und  sie  zum  Spruche  zu  versenden,  ist 
aber  ein  zweifelloses  Recht  der  Gerichtsherrschaft.  So  wird 
1553  (ÜB.  1  285)  eine  Schwängerungs-  und  Verlöbnisssache 
im  Dorf  Schalene  (an  der  Havel  bei  Sandau),  das  denen 
v.  Treskow  zusteht,  vor  Thomas  v.  Treskow  und  vor  der 
Freundschaft  beider  Theile  verhandelt.  „Klage"  und  „Ant- 
wort" werden  kurz  niedergeschrieben  mit  der  Schlussbemer- 
kung: „Hierauf  bitten  beide  Parthe  Belehrung  des  Rechten". 
Abschrift  davon  senden  Th.  v.  Treskow  und  zwei  Verwandte 
der  Parteien  nach  Brandenburg.  Hier  wird  auf  Beweis  er- 
kannt. Nebenher  bittet  auch  der  Beschuldigte,  weil  ihm 
das  seine  Obrigkeit  auferlegt,  um  Rechtsbelehrung,  indem 
er  vorstellt,  der  Bruder  des  Mädchens  habe  ihn  vor  wenig 
Tagen  mit  Anderen  vom  Pfluge  weggeholt  und  in  der 
Küsterei  gefangen  gehalten,  bis  ihn  „seine  Freundschaft  bei 
der  Herrschaft  zu  Schollene  auf  ein  Recht  ausgebürgt".2) 
Die  Brandenburger  erklären  den  Bruder  für  schuldig,  wegen 
der  zugefügten  Gewalt  Abtrag  zu  thun ;  auch  sei  er,  da  das 
Gefangniss  nicht  der  Obrigkeit  gewesen,3)  in  deren  Strafe 
verfallen. 

In  einem  Hutestreit  zweier  benachbarter  Dörfer  befiehlt 
1565  (9  360)  die  Obrigkeit,  „den  Fall  zu  Papier  zu  bringen 
und  nach  Brandenburg  zu  übersenden";  die  Anfrage  nebst 
„facti  contingentia"    verfasst    darauf  der    1557    in  Frankfurt 


1)  In  Biesenthal  bei  Berlin  setzt  1564  (ÜB.  1  435)  der  Pfarrer  zu  Mestorf 
auf  Befehl  des  zu  Wulfesburg  erbgesessenen  Hans  von  Barenschleben 
Vormünder,  und  er  verfasst  vor  vier  Zeugen  einen  Erbrezess. 

*)  d.  h.  mit  Bürgschaft  ausgelöst. 

3)  Nämlich  der  tür  eine  etwaige  Verhaftung  zuständigen  Obrigkeit 
des  Burschen. 


430      5-  Buch.    Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg^-Preussea 

immatrikulirte    Arnoldus    Baumana   in    Salzwedel,    wohl    ein 
Notar. 

.Auch  Frauen,    die    als  Vormünderinnen  minderjähriger 
Erben  oder  kraft  Leibgedingsrecht  das  Gut  ihres  verstorbenen 
Ehegatten  verwalten,  üben  als  Gerichtsherrinnen  gerichtliche 
Funktionen    aus.     Die   Witwe  Schenck    von    Landsberg   zu 
Burg  Teupitz  sendet  in  einem  Streit  um  das  Schulzengericht 
ihres    benachbarten    Dorfes    Grossbesten    die    beim    Gericht 
Teupitz  verhandelten  Akten    1540  (3  4)   nach  Brandenburg 
mit  der  Frage,  ob  der  aufgelegte  Beweis  erbracht  sei.    Den 
Nonnen    des    Klosters    zum    Heiligen    Geiste   vor  Salzwedel 
steht   das    Gericht   des   Dorfs   Wendisch  -Chueden    zu.     Die 
Oberin,  Witwe  des  Franz  von  Bartensieben,  Agnes  geb.  von 
Mandeslo,  fragt  1557  (6  82)   an,  ob   auf  das   zu]  Wendisch- 
Chueden  gehegte  Gericht,  in  welchem  die  Klage  der  Freund- 
schaft   eines  Getödteten    und   die  Antwort   des  Bezichtigten 
gehört    ist,    die    leugnenden    Beklagten    zugelassen     werden 
sollen,  sich  durch  ihren  Eid  zu  purgiren.    Die  Brandenburger 
erkennen  1557  auf  den  Eid,    „dass    den  Beklagten    von  des 
verstorbenen  Tod    nichts    bewusst,    dass    sie  keine  Ursache, 
Rath    oder  That   dazu   gegeben".      Des    Matthias    Gans   zu 
Putlitz   Witwe    weiss    1559   (7  592)    in  einem   Fall    kulposer 
Tödtung,    der    in    den  Gerichten   ihrer   unmündigen    Kinder 
vorgekommen,    als  Frau    und  der  Rechte  unverständig,    den 
Parteien    nicht,  was  Recht,    zu  verhelfen   und    fragt  um  Be- 
lehrung an.     Der  Witwe  des  Erbsessen  Luckow  zu  Sterne- 
beck   bei  Wriezen    lassen    1553    (5  109)    die  Brandenburger 
das  Todesurtheil  zugehen,    das  sie  auf  Anfrage  der  Mutter 
eines  Erstochenen    gegen    einen   in  Sternebeck   Gefangenen 
gefallt  haben;    die  Witwe  verwaltet  also  auch  die  Kapital- 
gerichtsbarkeit.    Im  Jahre  1591  (ÜB.  3  108)   holt  die  Witwe 
Ludolfs  von  Bismarck  zu  Schönhausen  wegen  einer  in  ihrem 
Gerichte  vorgekommenen  Schwängerung  und  Abtreibung  in 
Brandenburg  Belehrung  ein. 

Wie  mit  solcher  Verwaltung  der  Strafgerichtsbarkeit 
unter  Umständen  sogar  eine  persönliche  Thätigkeit  der  Guts- 
herrin verbunden  sein  konnte,  ersieht  man  daraus,  dass 
Sabina  v.  d.  Groben,   Otto  v.  Thümens  Witwe   zu  Walters- 


§  3i.    Junker.  431 

dorf,  als  sie  am  Pfingstsonntag  1607  (54  10)  vom  Krüger 
des  Dorfes  erfahrt,  im  Kruge  sei  Lärm  und  Streit,  ihrem 
nach  Brandenburg  gesandten  Berichte  zufolge  „alsofort  hin- 
geht, Gerichtshalber  Friede  bietet,  auch  den  Knecht,  der 
das  Lärmen  mehrentheils  getrieben,  gefänglich  einziehen 
lasset". 

In  der  Stellung  einer  Gutsherrin  befindet  sich  auch  die 
beleibdingte  Witwe  des  Landesherrn.  Darum  kommt  die 
Kurfürstin  Elisabeth  auf  ihrem  Witwensitze,  dem  Amte 
Krossen,  1605  (51  356)  in  die  Lage,  sich  nach  Brandenburg 
zu  wenden,  um  zu  erfragen,  wie  mit  einem  vom  Pfarrer  zu 
Eichberg  angeklagten  Gefangenen  zu  verfahren  sei,  der  den 
Pfarrer  der  Unzucht  beschuldigt  habe. 

Findet  der  Gutsunterthan  seiner  Meinung  nach  in  seinen 
Gerichtshändeln  nicht  den  ihm  erwünschten  Schutz  des  Guts- 
herrn, so  kommt  es  vor,  dass  er  auswandert  und  sich  einen 
anderen  Herrn  sucht.  Ein  solcher  Fall  ereignete  sich  1554 
(5  211)  im  Dorfe  Seedorf  (bei  Lenzen).  Ein  dortiger  Bauer 
setzte  nach  dem  Tode  seiner  Frau  deren  Brüdern  als  ihren 
Erben  20  fl.  von  dem  Gute  der  Frau  aus,  das  er  besass, 
und  legte  sie  auf  Rath  seines  Junkers  im  Gerichte  (d.  h. 
beim  Schulzen)  zu  Seedorf  nieder.  Sie  lagen  dort  sechs 
Jahre.  Nachmals  vereinigt  sich  der  Bauer  mit  den  Brüdern 
seiner  Frau,  denen  die  20  fl.  nicht  genügen,  ihnen  das  Gut 
für  60  Mark  zu  verkaufen,  sie  beanspruchen  daneben  aber 
noch  die  20  fl.  und  erhalten  sie  vom  Schultheis  in  Seedorf 
ohne  Zustimmung  des  Hinterlegers.  Da  ihn  sein  Junker 
Quitzow  nicht  genügend  vertheidigt,  begiebt  sich  der  Bauer 
in  das  Dorf  Warnstedt  (bei  Quedlinburg)  unter  Christoph 
von  Bülow  und  kauft  sich  hier  an.  Auf  des  Bauern  Anfrage 
erklären  die  Brandenburger  den  Schulzen  für  verpflichtet, 
die  bei  ihm  hinterlegt  gewesenen  20  fl.  zu  erstatten,  wenn 
er  sie  hinter  deren  Wissen  und  Willen  herausgegeben  habe. l) 

Zur  Erledigung  seiner  Geschäfte  als  Gerichtsherr  bedient 
sich  bald  nach  der  Mitte  des  sechzehnten  Jahrhunderts  der 

')  Einen  ähnlichen  Fall  des  Jahres  1600,  in  dem  Kossathen  wegen  un- 
rechtmässiger Beschwerung  mit  Diensten  „ihres  Junkern  Dienst  und  Ge- 
bieden"  lossagen  und  (ihre  Güter)  zu  verkaufen  erklären,  s.  ÜB  a  305. 


432      5-  Buch.    Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brand  enburg-Preussea. 

Junker    eines    Vertreters.      Im  Jahre   1554  (5  359)   bereits 
lassen  die  von  Lüderitz  zu  Lüderitz  einen  Rechtsstreit  zweier 
dem  Gericht  zu  Lüderitz  unterworfenen  Bauern  „vor  Schiü 
und  Gerichtsverwalter  im  Dorfe  Nakelu    (bei  Wusterhausen* 
ohne  Schoppen  verhandeln;    auf  die    erste    und    zweite  vor 
Schulz  und  Gerichtsverwalter  (mündlich)  eingebrachte  Kla^e 
wird    schriftliche  Einbringung   verabschiedet;    der  Streit  ist 
dadurch  veranlasst,  dass  der  Beklagte  des  Klägers  Sohn  ge- 
tötet haben  soll;    da   der  Beklagte   nicht  antwortet,   schick: 
der  Schulz  „mit  Wissen  und  Willen  der  Junker"  die  Klage 
nach  Brandenburg;  hier  ergeht  der  Spruch,  dass  der  Beklagte 
nochmals  zur  Antwort  zu  laden  sei.    Jochim  v.  d.  Schulenburg 
zu  Lockwitz  (bei  Krossen)  hat   1556  (5  466)    einen  Beamten 
zur  Seite,  der  Namens  seines  Herrn  Anfragen  nach  Branden- 
burg abfasst  und  unterzeichnet,  auch  die  freiwillig  gemachte 
Aussage  eines  vom  Junker  wegen  Untreue  gefangen  gesetztes 
Vogtes    protokollirt;    1572   wird  dieser  Beamte   als  „Haupt- 
mann" bezeichnet.     Die  Gänse  zu  Putlitz  haben   1557  (^Sl9 
einen    „Richter"    zu   Putlitz    (einem    den    Gänsen    gehörigen 
Städtchen),  vor  dem  —  ohne  Zuziehung  von  Schoppen  —  *Ge- 
richtshändel  von  beiden  Theilen    eingebracht    und   zu  recht- 
licher  Erkenntniss   gestellt  werden";  er  sendet,   „da  er  der 
Rechten  nicht  genugsam  erfahren",  die  Akten  nach  Branden- 
burg.1)    Der  „Schreiber  der  von  Jagow"  führt   1559  (7  4°°; 
s.  oben  S.  192)  einen  Prozess  in  Seehausen.  Der  „ Befehlshaber* 
der  Junker  von  Alvensleben  zu  Erxleben  (bei  Neuhaldenslebem, 
denen  die  Gerichte  zu  Erxleben  sämmtlich  (d.  h.  gesammter 
Hand)  zukommen",    erbittet  1560  (8  28)  Rechtsbelehrung  ia 
einer  Todschlagssache.     Zwei  Unterthanen  des  Amtes  Fhw 
(Städtchen  bei  Brandenburg)  verhandeln  1560  (8  33)  zunächst 
gütlich    vor    ihrem  Junker  Matthias  von  Saldern,    dann  w 
seinen  Befehl  schriftlich  vor  „Richter  und  Schoppen  dieses 
Städtchens";  die  Verhandlung  sendet  dann  der  „Befehlshaber 
des  Hauses  Plauen"  nach  Brandenburg.     Auch  von  Boitzen- 
burg   fragt    1565  (9  455)    der  „Befehlshaber"  oder,   wie  er 

!)  1615  (64  169.  ÜB.  2  382)  wird  ihr  Richter  zu  Wittenberge  bezeichne 
als  „herrlicher   Putlitzscher   verordneter  Richter",   ebenso  um  1607  U"- 
179.  403)  und  1608  (ÜB.  2  436). 


§  3i.    Junker.  433 

1566  (10  337)  heisst,    der  „Hauptmann"  in   Brandenburg  an. 
Auf  dem  Hause  Tuetz  (bei  Deutsch- Krone)    haben    die  von 
Wedel  1567  (11451)   einen  Notar  zum  „Amtsschreiber*4,   auf 
Schönhausen  1567  die  v.  Bismarck  (ÜB.  3  1 1. 89;  s.  oben  S.  192) 
und  die  von  Putlitz  (11  431)  einen  „Schreiber14.    Die  von  Wedel 
zu  Neuen- Wedell  (bei  Landsberg)  verordnen  1561  (8  377)  den 
Pfarrer  daselbst  und  einen  Bürger  als  Kommissarien  für  ein 
Zeugenverhör  m  dnem  Zivilprozesse.    Abraham  v.  Bredow  auf 
Friesack  hat  von  1.567  (11  415)  drei  Jahre  lang  „einen  Schreiber44 
bei   sich   gehabt.  m   Die  Witwe   von  Mandesloe,  die    1561  (8 
453)  von  ihrem  Holzvogt  bei  der  Holzfuhr  beschädigt  zu  sein 
glaubt,   lässt  Zeugen  vor  Notar  und  zweien  ihrer  Leute  ver- 
nehmen.    Der  Junker  Helmolt  Rhor  zu  Meyenburg  (bei  Neu- 
ruppin)  versucht  1562  (9  284),  streitende  Bauern  zunächst  güt- 
lich zu  vertragen,  dann  „weist  er  sie  zu  Recht44;  demzufolge 
„bringt  jeder  Theil  drei  Sätze  ein  und  legt  sie  in  das  Rhorer 
Gericht  nieder44,   das  Gericht  tritt  aber  in  keinerlei  Thätig- 
keit ;  der  Richter  scheint  nur  die  Schriften  entgegengenommen 
zu  haben,  der  Junker  übersendet  sie  nach  Brandenburg  zum 
Urtheil.     Einige  Jahrzehnte  später  (161 1 :  60  7)  ist  das  „Ge- 
richt44 zu  Meyenburg  gänzlich  verschwunden:    Die  Erbsessen 
v.  Rhor  daselbst  setzen  161 1  auf  brandenburgische  Belehrung 
persönlich  dem  Beklagten  eine  peremtorische  Rechtsfrist  „zu 
vollführen,    dass   er    die   Injurie  von  J.G.  gehört44.     Da    der 
Beklagte    siebzehn   Wochen    nichts    gethan    hat,    bittet    der 
Kläger,  den  Gegner  zu  weiterem  Beweis  nicht  zuzulassen  und 
die  Akten  zu  verschicken.     Demgemäss  erfolgt  die  Versen- 
dung.    Die  Brandenburger  sprechen  (als  läge  ein  ordnungs- 
mässiges   gerichtliches  Verfahren  vor),  dass    dem  Beklagten 
nach  Zulassung  der  Rechte    die    zweite,    und    wenn  er  auch 
dann  noch  nichts  beweisen  würde,  die  dritte  Frist  bei  Strafe 
des  Ungehorsams  angesetzt  werde;  wann  solches  geschehen, 
ergehe '  alsdann  der  Strafe  halber  weiter,  was  Recht  sei. 

Die  ersten  nachweisbar  akademisch  gebildeten  Richter 
adliger  Gerichtsherren  sind  1574  Mag.  Paulus  Wagner,  Ge- 
richtsverwalter derer  von  Alvensleben  zu  Kalbe  (15  416),  der 
zugleich  als  Notar  bezeichnet  wird,  und  Joachimus  Listen, 
„aller  v.  d.  Schulenburg  zu  Beetzendorf  und  Apenburg  ver- 

Stölzel,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  28 


434:      5«  Buch.    Erster  Abschnitt.    Konsulenten  aus  Brandenburg-Preussen. 

ordneter  Richter,  Bürger  zu  Salzwedel44  (15  I49);1)  er  wurde 
als  Joachimus  Listhenius  aus  Wittstock  1572  in  Frankfurt 
immatrikulirt. 2)  Die  Witwe  des  Wulf  von  Kloster  zu  Buckow 
hat  1599  (45  192)  den  aus  Rheinsberg  gebürtigen,  1593  in 
Frankfurt  immatrikulirten  Joh.  Cillichius  als  „Schreiber41. 
Dem  v.  d.  Schulenburgschen  „Richter44  Listen  folgt  1590  (32 
418)  der  „Amtmann44  Ulrich  Kreien,  1605  (51  350)  als  „der 
von  sämmtlichen  v.  d.  Schulenburg  verordnete  Richter"  der 
Rathsverwandte  Conr.  Stille  zu  Salzwedel,  ferner  162 1  (69 
216)  der  „ehrenfeste  wohlgelehrte44  Christoph  Asseburg  aus 
der  Familie  des  Bürgermeisters  und  seines  Bruders,  des 
Magister  Diaconus  Asseburg  in  Tangermünde.  Der  Amts- 
Schreiber  zu  Ziesar  Ludovicus  Saxo  ist  1634  (75  585)  Gerichts- 
verwalter zu  Ketzin  (bei  Potsdam)  und  wird  später  Schöppen- 
schreiber,  dann  Schöppe  der  Altstadt  Brandenburg.4) 

Die  Kosten  für  die  Anstellung  solcher  Richter  oder  Ge- 
richtsverwalter Hessen  sich  von  einer  Familie,  deren  Grund- 
besitz mehrere  Gerichte  umfasste,  leichter  aufbringen,  wenn 
die  Familie  für  mehrere  Gerichte  einen  gemeinsamen  Ver- 
walter oder  Richter  einsetzte,  statt  für  jedes  Gericht  einen 
besonderen.  So  entstand  der  von  „sämmtlichen  v.  d.  Schulen- 
burg verordnete  Richter44.  Auch  die  v.  Alvensleben  zu  Kalbe 
besassen  einen  „Gesammtrichter44;5)  dieser  war  (1609:  57  532; 
161 3  62  269)  Theodorus  Hupäus.  Die  v.  Arnimschen  Gesammt- 
gerichte  zu  Theessen  (bei  Jerichow)  haben  (1697:  79  752) 
Daniel  Plank  zum  gemeinsamen  „Justitiar44.  Auch  zwei  ver- 
schiedene Familien  vereinen  sich  zu  einem  Gesammtgericht; 
so  besteht  ein  „hochadliges  Wulffisches  und  Plotosches  Ge- 
sammtgericht zu  Steglitz44  bei  Berlin  (1701:  80  23),    ein   Ge- 

!)  Auch   1586  (27  75)  genannt. 
1    a)  Auch  der  oben  Seite  430  genannte  Arnoldus  Baumann  könnte  1565 
Richter  gewesen  sein. 

3)  Dietrichs  und  Parrisius,  Bilder  aus  der  Mark  Brandenburg  1,  86.  96. 

4)  Siehe  oben  S.  114. 

()  Den  Gegensatz  der  Sammtgerichte  bilden  die  Theilgerichte:  Das 
Gericht  der  v.  Bredow  im  Städtchen  Friesack  steht  1583  (34  165)  einem 
v.  Bredow  zu  V6,  dem  andern  zu  */e  zu«  Sieben  Besitzer  des  Guts  Sachsen- 
dorf bei  Osterburg  sind  1588  (ao  391)  die  „Herrschaft  des  Dorfs  S.41  Das 
Dorf  Quilitz  bei  Lebus  hat  1548  (3  594)  fünf  Erbherren. 


§  3i-    Junker.  435 

sammtgericht  zu  Groben  und  Wendlobbese  bei  Ziesar  (1752: 
99  395)-     Der  Stadt-  und  Landrichter  zu  Wettin  bei  Halle  ist 

1742  (93  298)  „zum  Kgl.  Preuss.  und  hochadligen  Winckel- 
schen  Gesammtgerichten  verordneter  Gesammtrichter*1,  ein 
Kriegs-   und  Domänenrath  zu  Stendal   wird  1736,   1739  und 

1743  (ÜB.  3  209.  212.  2i  8)  als  „Verwalter  der  hochadligen 
v.  Bismarckischen  Gesammtgerichte  des  Amts  Schönhausen" 
erwähnt,  und  der  Kammergerichtsadvokat,  auch  brandenbur- 
gische Schöppenstuhlsassessor  Steinfeld  verwaltet  1752  (99 
370)  die  v.  Schlaberndorff-  und  v.  Britzkenschen  Gesammt- 
gerichte in  Bensdorf.1) 

Irrig  wäre  es,  anzunehmen,  mit  dem  Eintritt  rechtsgelehrter 
gutsherrlicher  Richter  habe  die  Aktenversendung  oder  die 
eigene  Mitwirkung  der  Gutsherren  bei  der  Rechtsprechung 
aufgehört.  Mag.  Wagner2)  weiss  den  Streit  zweier  v.  Alvens- 
lebenscher  Unterthanen  des  Dorfs  Grossengers  über  die 
dortige  Kruggerechtigkeit  1574  (15  416)  nicht  besser  zu  er- 
ledigen, als  dass  er  die  Aeltesten  des  Dorfs  summarisch  ver- 
nimmt und  ihre  Aussagen  nach  Brandenburg  mit  Bitte  um 
Belehrung  schickt.  Der  Erbsess  selbst  (Joachim  Sehle  zu 
Jüterbog  und  auf  Grabendorf)  bescheidet  seinen  Schulzen, 
der  als  Zeuge  benannt  ist,  1583  (23  230)  vor  sich  und  belegt 
ihn  mit  dem  gewöhnlichen  Zeugeneid,  stellt  auch  über  den 
Vorgang  eine  Urkunde  aus.  Die  Gerichtsjunker  zu  Kurtow 
(bei  Arnswalde)  befehlen  1592  (35  639)  Schulz  und  Schoppen 
zu  Kurtow,  dass  sie  Zeugen  durch  den  verordneten  Notar 
vernehmen  lassen.  Der  Erbsess  von  Saldern  auf  Plattenburg 
erkennt  161 4  (64  692.  ÜB.  2517)  in  einer  Wilsnacker  Sache, 
„auf  vorgehende  Belehrung  der  Juristenfakultät  zu  Rostock46, 
dass  der  Beklagte  von  der  Klage  zu  absolviren  sei.  Das  Dom- 
kapitel zu  Brandenburg  als  Gerichtsherr  zu  Tremmen  (bei 
Nauen)  erkennt  1622  (70  343)  in  einem  Darlehnsprozess  auf  Be- 
weis, deputirt  Examinatores  der  Zeugen  und  fragt  dann  beim 
Schöppenstuhl  in  Brandenburg  an,  ob  der  Beweis  geführt 
sei.3)    Bruder  und  Schwesterkinder  eines  in  Kotzen  kinderlos 

.  *)  Siehe  oben  S.  173. 
*)  Siehe  oben  S.  433. 
*)  Vergl.  auch  71  88  (1623). 

28* 


436      5*  Buch.    Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg-Preusser. 

verstorbenen  Bauern  werden  1622  vom  ErbsessHans  v.  Stecbow 
zu  einem  Tag  geladen,  um  das  Erbe  zu  schichten;  es  wird 
ein  Vertrag  produzirt;  die  Schwesterkinder  verlangen,  dass 
der  Junker  den  Vertrag,  der  ohne  ihren  Konsens  geschlossen, 
kassire;  da  er  das  nicht  thut,  befragen  sie  die  Brandenburger. 

Mit  dieser  Zeit,  also  innerhalb  des  dreissigjährigeji 
Krieges,  hört  die  Sitte  auf,  dass  sich  der  Gerichtsherr  „Erb- 
sess"  nennt,  er  unterzeichnet  bloss  mit  dem  Namen,  oder  fugt 
den  Titel  bei,  den  ihm  seine  staatliche  Stellung  etwa  als 
Landrath  oder  als  Soldat  giebt.1)  Von  dem  „gebietenden 
Junker",  an  dem  sich  „als  an  seiner  Obrigkeit"  ein  Unter- 
than  vergriffen  hat,  redet  1636  (76  330)  der  Berliner  Haus- 
vogt, und  der  (nicht  unterzeichnete)  Schreiber  einer  Missive 
von  1657  (79  124)  redet  davon,  dass  die  Anfrage  von  dein 
„Gerichtsjunker  zu  Uetz"  (bei  Potsdam)  gestellt  werde. 

Für  den  Gerichtsverwalter  oder  Richter  taucht  dann  all- 
mählich der  „Justitiar"  auf.  Mit  den  Interessenten  am  Hause 
Falkenberg  (bei  Freienwalde)  bittet  167 1  (79  433)  der 
Bürgermeister  zu  Seehausen,  „bestallter  Justitiarius  zu 
Falkenberg"  in  einer  Injuriensache  die  Brandenburger  um 
Belehrung.  Der  „justiciarius  p.  t.  im  Amte  Derneburg**  (bei 
Halberstadt)  sendet  1697  (79  728)  nicht  weniger  als  fünfzig 
Aktenstücke  nach  Brandenburg  mit  der  Bitte,  „im  Namen 
des  Hof-  und  Landraths  v.  Feldheimb  als  Hauptmanns  der 
Herrschaft  Derneburg  Urtheil  abzufassen".  In  gleicher  Weise 
fungirt  1702  (80  1 14)  der  Bürgermeister  v.d.  Linde  zu  Nauen  als 
Justitiar  des  Joh.  Tentzer,  Erb-  und  Gerichtsherrn  zu  Lietzow, 
und  des  von  Hake  zu  Berge.  Der  Vertreter  des  hochadligen 
Trotischen  Amts  Hecklingen  (bei  Bernburg)  fragt  1729 
(85  248)  in  einer  Leuterationssache  an.  Ein  „Regierungs- 
fiskal"  zu  Halle  übersendet  1734  (87  626)  Akten  des  adligen 
Brenkenhofischen  Gerichts  Zoberitz  bei  Halle.  Als  „Justitiar* 
des  königl.  Amts  Grüningen  (bei  Halberstadt?)  erbittet  1735 
(88  50)  ein  Halberstädter  Advokat    ein  Urtheil    Namens  des 


')  Zwei  Vettern  v.  Bredow  unterzeichnen  sich  1621  (61  304)  mit  dem 
Zusatz  „Landrath  resp.  Rittmeister";  1635  (76  87)  nennt  sich  aber  noch 
J.  v.  Blumenthal  „auf  Horst  Erbsess14. 


§  3i.    Junker.  437 

Amtes.  Akten  des  Markgräflich  Brandenburgischen  Probstei- 
amtes  Dardesheim  bei  Halberstadt  übersendet  1739  (90  248) 
der  „Justitiar". 

Es  kommt  nunmehr  auch  vor,  dass  Graduirte  das  Richter- 
amt oder  Justitiariat  bei  adligen  Gerichtsherren  übernehmen : 
1744  (96  126)  ist  ein  Licenciat  „hochadlig  Bulauischer  Amt- 
mann des  Amtes  Helmsdorf u  (bei  Merseburg)  und  1746  (97 
2 1 2)  ist  ein  Doktor  „Justitiar  des  Dorfs  Friedeburg".  Gleich- 
zeitig findet  sich  (1743:  94  765)  ein  Geheimer  Regierungs- 
rath1)  als  „Richter  zu  Kastropu  (bei  Arnsberg). 

Zu  damaliger  Zeit  galt  ein  solcher  Justitiar  oder  Richter, 
der  seine  Urtheile  an  Stelle  des  Gerichtsherrn  fallt,  noch  so 
sehr  als  dessen  blosser  Vertreter,  dass  z.  B.  ein  vom  Justitiar 
wegen  der  Dienstpflicht  eines  Unterthanen  1738  (100381) 
gesprochenes  Erkenntniss  von  den  Brandenburgern  ein  Er- 
kenntniss  des  Gerichtsherrn  „in  propria  causau  genannt 
wird,  weil  der  Gerichtsherr  der  judex  Ordinarius  seiu.  Aus 
dem  gleichen  Grunde  erhält  der  in  Brandenburg  sesshafte 
Justitiar,  der  nach  dem  Dorfe  Groben  (bei  Ziesar)  in  einer 
dortigen  Untersuchungssache  reist,  keine  Reisekosten ;  denn : 
„judex  semper  esse  debet  in  loco,  und  dies  ist  der  Edelmann 
als  jurisdictionarius,  nicht  der  Gerichtsverwalter". 

Diese  Auffassung  der  Rechtsbelehrungsinstanz  trug 
wesentlich  mit  dazu  bei,  einen  der  Hauptübelstände  ztf 
mildern,  den  die  gutsherrliche  Gerichtsbarkeit  mit  sich 
brachte.  Sah  der  Schöppenstuhl  im  Streite  des  Gutsherrn 
mit  seinen  Unterthanen  ein  Urtheil  des  Justitiars  bei  der  ab- 
hängigen Stellung  des  letzteren  immer  als  ein  Urtheil  des 
Gutsherrn  in  eigener  Sache  an,  so  hatte  dies  Urtheil  für 
den  Schöppenstuhl  nicht  nur  keinen  Werth,  sondern  es 
drängte  den  Schöppenstuhl  dazu  hin,  eher  die  Partei  des 
Gutsunterthanen  als  die  des  Gutsherrn  zu  nehmen.  Deshalb 
sind  zahlreichere  Brandenburger  Sprüche  zu  finden,  die  den 
Unterthanen,  als  Sprüche,   die  den  Gutsherren  günstig  sind. 

Ein  Beispiel  von  dem  unliebsamen  Widerstreit,  in  welchem 
die    Ausübung    des    gutsherrlichen    Richteramtes     mit    den 


l)  Adolf  Grolmann. 


438      5-  Buch.    Erster  Abschnitt.    Konsulenten  aus  Brandenburg-Preus^ci 

obrigkeitlichen  Rechten  des  Gutsherrn  tritt,  liefert  ein  vcf 
den  Schöppenstuhl  gelangter  Fall  des  Jahres  1573  (15  141 
Die  v.  d.  Schulenburg  lassen  vor  ihrem  Gerichte  zu  Ramia 
(bei  Stettin)  einen  Prozess  geschiedener  Eheleute  wegen 
ihrer  Vermögensauseinandersetzung  verhandeln  und  verab- 
schieden ihn  dann  selbst  dahin,  dass  der  Frau  ihr  Einge- 
brachtes herauszugeben  sei,  verbieten  aber  gleichzeitig  dem 
Ehemanne  diese  Herausgabe,  weil  der  Abschied  „ihnen  nich* 
präjudizireu  und  die  Ehefrau  sich  heimlich  aus  den  Gerichten 
(d.  h.  aus  dem  v.  d.  Schulenburg'schen  Gebiete)  entfern: 
habe,  wodurch  ihr  Gut  den  Gerichtsherren  heimgefallen  sei; 
die  Brandenburger  sprechen  jedoch  aus,  dass  die  Junker  sici 
des  Guts  der  Frau  nicht  anmassen  dürfen. 

Ein  Beispiel,  dass  der  Junker  in  Geldstrafe  genommen 
und  zu  Schadensersatz  verurtheilt  wird,  wenn  er  einen  Bauers- 
knecht ohne  genügsame  Ursache  gefangen  setzen  und  aus- 
peitschen lässt  und  der  Knecht  darüber  beim  Kurfürsten  Be- 
schwerde führt,  liegt  aus  dem  Jahre  1608  (ÜB.  2429)  vor.' 

Viel  Kämpfe  zwischen  Gutsherren  und  Unterthanen  ver- 
anlasste das  Recht  auf  den  Abschoss,  d.  h.  auf  eine  -  durch 
allgemeine  Normen  nicht  festgestellte  —  Abgabe  von  dem 
Vermögen,  das  aus  dem  Gutsbezirke  hinausgeführt  wurde 
(ÜB.  4  1  ff.).  Wie  es  bei  der  Geltendmachung  dieses  Rechtes 
herging,  lässt  sich  aus  einer  Aeusserung  entnehmen,  die  Zientx 
gelegentlich  eines  Prozesses  über  die  Höhe  des  Abschosses 
1620  (37  351)  mit  den  Worten  in  die  Akten  niederlegt:  „B 
wäre  gut,  dass  man  eine  Gewissheit  im  ganzen  Lande  hätte; 
.  .  .  die  Edelleute  machens,  wie  sie  selber  nur  wollen,  nehmen 
bisweilen  quartam,  bisweilen  tertiam  partem  des  ganzen 
Vermögens  hinweg".  Einem  Bestreben,  die  erlaubten  Grenzen 
gewaltsamen  Vorgehens  der  Gutsherren  zu  eignem  B&ten 
zu  überschreiten,  treten  die  Brandenburger  in  zwei  weiteren 
Fällen  entgegen.  Der  Gutsherr  Georg  von  Lossow  in  ^eßR' 
hausen  (bei  Rathenow)  befiehlt  einem  Unterthan  in  Bamme, 
weil  er  ein  Jahr  keine  Dienste  geleistet  habe,  „das  ku 
zu   räumen    und  sein  Bleiben  an  anderen  Orten  zu  suchen  » 


J)  Es  betrifft  Melchior  von  Pfuel  zu  Garzin. 


§  3i.    Junker.  439 

da  der  Bauer  gleichwohl  sich  nicht  entfernt  und  dadurch 
den  Junker  hindert,  einen  Anderen  als  Käufer  auf  das  Gut 
anzunehmen,  „lässt  der  Junker  durch  Richter  und  Schoppen 
des  Dorfs  dem  Bauer  das  Hausgeräthlein  herausnehmen u, 
der  Bauer  erbricht  aber  die  Hausthür  und  bleibt  mit  dem 
wieder  eingebrachten  Hausrath  im  Gute;  der  Junker  sucht 
sein  Recht  in  Brandenburg  und  wird  belehrt,  dass  der  Bauer 
nicht  ohne  Weiteres  des  Gutes  zu  entsetzen,  sondern  artikel- 
weis zu  vernehmen  sei,  ehe  ein  Spruch  erfolgen  könne. 
Ferner:  Die  Witwe  v.  Grävenitz  zum  Schilde  (bei  Perle- 
berg), der  von  einer  ihrer  Mägde  eine  üble  Nachrede  ge- 
macht wird,  belangt  (1622:  70  488)  die  Magd  vor  den  Mit- 
junkern von  Grävenitz;  die  Magd  vertheidigt  sich  damit,  ihre 
Nachrede  beruhe  auf  Wahrheit;  die  Witwe  wendet  sich  nun- 
mehr nach  Brandenburg ;  hier  hält  es  Zieritz  „für  bedenklich, 
auf  solchen  Bericht  in  causa  propria  zu  der  (vom  erstvoti- 
renden  Schoppen  zugelassenen)  Folter  der  Diffamantin  zu 
schreiten14,  auch  die  anderen  Schoppen  verlangen  erst  ein 
förmliches  Verhör  der  Magd. 

Mehr  neigen  sich  die  Brandenburger  in  einem  Falle 
des  Jahres  1652  (78  473)  auf  des  Junkers  Seite.  Jakob  v. 
Saldern  kauft  einige  Jahre  vor  1652  von  den  Kindern  seines 
Amtsschreibers  in  seinem  Städtchen  Wilsnack  einen  Garten 
und  zahlt  dafür  20  Thlr.,  der  Kaufbrief  hat  wegen  Ab- 
wesenheit einzelner  Erben  nicht  gefertigt  werden  können. 
Im  Jahre  1652  umzäunt  v.  Saldern  den  Garten;  die  Bürger, 
die  ihm  das  Recht  bestreiten,  sich  in  Wilsnack  anzukaufen, 
rotten  sich  zusammen  und  hauen  den  Zaun  um.  Als  „natür- 
liche Obrigkeit  und  territorii  dominus"  fragt  von  Saldern  in 
Brandenburg,  ob  seine  unmittelbaren  Unterthanen  ihm  den 
Kauf  wehren  dürften,  und  wie  die  Rebellion  zu  strafen  sei. 
Obwohl  der  Schöppe  Junius  meint,  dass  dem  v.  Saldern, 
weil  es  propria  causa,  anstehe,  ad  evitandam  omnem  suspi- 
cionem  die  Wilsnacker  vor  dem  Hauptmann  der  Altmark 
zu  belangen,  ergeht  der  Spruch,  die  Wilsnacker  könnten 
nicht  wehren,  dass  v.  Saldern  bürgerliche  Güter  —  unter 
Tragung  der  bürgerlichen  onera  —  an  sich  bringe,  sofern 
nicht  besondere  Privilegien  oder  Verträge    beständen,    auch 


440      5*  Buch.    Erster  Abschnitt.   Konsulenten  aus  Brandenburg-Preus^ 

sei  er  befugt,  mit  Zuziehung  eines  legalis  notarii  die  Thite: 
zu  inquiriren,  sie  zur  litiscontestatio  anzuhalten  und  Zeugen  eid 
lieh  zu  verhören;  wenn  solches  geschehen,  ergehe  der  Strafe 
halber  weiter,  was  Rechtens. 

§32. 
Universitäten. 

Auch  Universitäten  als  Inhaber  der  ihnen  über  die  An- 
gehörigen   der    Universität    zustehenden    akademischen  Ge- 
richtsbarkeit   wenden   sich   nach  Brandenburg  um  Rechtste 
lehrung.     Von  Frankfurt  aus  geschieht   das   in  zehn  Strat 
Sachen,  und  zwar  während  der  Jahre  1574  bis  1626,  also  auch 
noch  zu    der  Zeit,    als    die  dortige  Fakultät    bereits  für  be- 
rechtigt   erklärt    ist,    in    Strafsachen   ihrerseits  Belehrung  m 
ertheilen.     Das   akademische  Gericht  zu  Halle   wendet  sich 
vierzehnmal  (zwischen  1726  und  1746,  also  gerade  in  der  Zeit 
in  welcher  Oelschläger,  Schüler  des  Thomasius,   im  Branden- 
burger Schöppenstuhl  sass)  nach  Brandenburg ;   bald  handelte 
es  sich  dabei  um  einen  des  Ehebruchs  bezichtigten  Studiosen 
gegen  den  die  Mehrheit  der  Brandenburger  die  Spezialunter- 
suchung mangels  ausreichenden  Verdachtes  ablehnt,  während 
Oelschläger    auf  sie  erkennen  will,    da    die  Zeugenaussagen 
„zur  Tortur  genügten"  (1727:   84513),   bald  handelt  es  sich 
(1727:  58577;    1744:  96  18)  um  eine  Entleibungssache  oder 
(1733:  87  137)    um    eine  Verwundung  unter  Studiosen,  bald 
(1732:   86490;    1744:  96  1;   95643;    1745:  96  270  und  510: 
1746:  97  684;  97  751)  um  Schuldsachen.     Das  officium  aca- 
demicum    erkennt    in    erster,    das    concilium    academicum 
(Prorektor,  Direktor,  Kancellarius  und  sämmtliche  Professoresl 
auf  schriftliche    Appellationsverhandlung  in  zweiter  Instanz, 
nachdem  in  Brandenburg  mit  Konsens  der  Parteien  das  Cr- 
theil  geholt  ist. 

Dass  in  dieser  Weise  der  Brandenburger  SchöppenstuM 
sogar  aus  Universitätskreisen  angegangen  wurde,  spricht  für 
das  Ansehen,  dessen  er  sich  während  seiner  zweiten  Blütne- 
zeit  als  gelehrtes  Kollegium  erfreute. 


§  33*     Konsulenten  aus  deutschen  Landen.  441 

Zweiter  Abschnitt. 
Auswärtige  Konsulenten. 

§  33. 

Konsulenten  aus  deutschen  Landen. 

Aus  Landen  des  Deutschen  Reichs,  die  nicht  zur  Mark 
Brandenburg  und  zum  Königreich  Preussen  gehörten,  ist 
gleichfalls  der  Brandenburger  Schöppenstuhl  um  Belehrung 
angegangen  worden.  Es  gelangten  an  ihn  Anfragen  i.  aus 
Gebieten,  die  erst  nacfy  der  Zeit,  aus  welcher  die  Anfrage 
stammt,  mit  Brandenburg-Preussen  vereinigt  sind,  2.  aus  Ge- 
bieten, die  nicht  bloss  zur  Zeit  der  Anfrage,  sondern  noch 
heute  unter  anderer  als  preussischer  Staatshoheit  stehen. 
Aus  beider  Art  Landestheilen  liegen  abgesehen  von  den 
nächst  benachbarten  (Pommern,  Mecklenburg,  Anhalt)  nur 
vereinzelte  Anfragen  vor,  woraus  der  weitere  Beweis  zu 
entnehmen  ist,  dass  der  Brandenburger  Schöppenstuhl  der 
Hauptsache  nach  nur  dem  brandenburgisch-preussischen  Inter- 
esse diente. 

Die  meisten  der  hierhingehörigen  Sachen  sind  Straf- 
sachen; sie  reichen  nicht  in  die  früheste  Zeit  unserer  Akten 
zurück,  beginnen  vielmehr  erst  innerhalb  der  zweiten  Hälfte 
des  sechzehnten  Jahrhunderts,  d.  h.  mit  der  Blüthezeit  des 
Schöppenstuhls. 

Von  Anfragen,  die  aus  der  er  st  bezeichneten  Kategorie 
von  Landestheilen  stammen,  sind  zu  nennen  solche  aus  den 
pommerschen  Herzogtümern,  aus  dem  Fürstenthum  Magde- 
burg, dem  Stift  Hildesheim,  der  Grafschaft  Mansfeld,  dem 
Stift  Herford,  dem  Herzogthum  Lauenburg  und  dem  Fürsten- 
thum Sagan. 

Der  zweit  bezeichneten  Kategorie  gehören  Anfragen 
aus  Anhalt,  Mecklenburg,  Braunschweig,  Sachsen,  ferner  aus 
Hamburg  und  Lübeck  an. 

Zu  i. 

Aus  Pommern  liegt  1583  (ÜB.  4  154)  eine  Anfrage  von 
Bürgern  der  Stadt  Greifswald  in  einer  Injuriensache,  1583 
(23  199)  eine  solche    von  Bürgermeister  und  Rath  derselben 


442  5-  Buch.    Zweiter  Abschnitt.    Auswärtige  Konsulenten. 

Stadt  in  einer  Diebstahlssache  vor.  Aus  Beigard  fragen 
1581  (22  166)  Bürgermeister  und  Rath  in  einem  bürgerlichen 
Rechtsstreit  an,  aus  Stralsund  1581  (21582)  und  1584  (25 
43),  ebenso  aus  Bergen  auf  Rügen  1586  (27  26),  aus  Barth 
(bei  [Stralsund)  161 3  (62  240)  Bürgermeister  und  Rath  in 
Strafsachen,  1587  (28362)  Richter  und  Assessoren  des  unte- 
ren Gerichts  der  freien  Stadt  Rügenwalde  in  einer  Straf- 
sache, 16 12  (60  17)  „Richter  und  Schoppen  beider  Wieken 
und  Lastadien" 1)  vor  Alten-Stettin  in  einer  Injuriensache, 
1615  (64843)  Stadtvogt  und  Assessores  des  Niedergerichts 
zu  Garz  in  einer  Zaubereisache,  1619  (67  253)  und  1648 
(78  18)  ,,Richter  und  Schoppen  von  Alten-Stettin4*,  1620 
(67  602)  „Fürstlicher  Rechtvogt,  Bürgermeister  und  Rath  zu 
Gollnow"  in  einer  Injuriensache,  1645  un<^  £^47  ("77  4^3) 
Bürgermeister  und  Rath  der  Stadt  Woll in  in  einem  Prozesse 
über  Ablegung  einer  Vormundschaftsrechnung. 

Pommernherzöge  fragen  in  Brandenburg  aus  Wolgast 
an:  1554  (5  366),  1566  (10553),  1583  (22623)  und  1588  (30 
256),  und  zwar  in  Strafsachen.  Dem  tritt  hinzu  die  oben 
(S.  355)  näher  besprochene  Anfrage  des  Herzogs  Johann 
Friedrich  aus  Neuen-Stettin  vom  Jahre  1592  in  der  Dobber- 
sitzschen  Zaubereisache,  eine  Anfrage  der  Herzogin -Witwe 
Hedwig  Sophie  zu  Stettin  in  einer  andern  Zaubereisache,  die 
161 1  (59  155)  in  ihrer  Leibgedingsstadt,  dem  Gericht  zu 
Loytz,  spielt,  und  je  eine  Anfrage  des  Herzogs  Bogislaw  aus 
Alten-Stettin,  die  in  die  Jahre  1623  (71  3)  und  1633  (75  173) 
fallen;  auch  sie  betreffen  sämmtlich  Strafsachen.  Im  Jahre 
1621  (68  415)  holt  sich  die  Herzogin  Erthmuth  zu  Stettin, 
geborene  Markgräfin  zu  Brandenburg,  Frau  der  Lande  Lauen- 
burg und  Bütow,  Belehrung  in  einer  Strafsache,  1647  (77  533) 
die  Herzogin  von  Croy,  Fürstin  von  Pommern,  in  einer  Civil- 
sache.  Ein  Beispiel,  dass  auch  pommerscher  niederer  Adel 
sich  nach  Brandenburg  wendet,  bietet  1595  (41  275)  Joachim 
v.  d.  Schulenburg  auf  Löcknitz  (bei  Stettin);  er  holt  in 
einer  Strafsache  zuvörders  der  Nähe  halben  Belehrung  bei 
den  Schoppen   zu   Alten-Stettin;   diese    erklären  in  casu 

1)  Aeltester  Theil  der  Stadt,  der  mit  Lubischem  Recht  bewidmet  war, 
während  die  neueren  Theile  Stettins  Magdeburgisches  Recht  hatten. 


§  33-     Konsulenten  aus  deutschen  Landen.  443 

„nur  die  Beinschrauben"  behufs  des  Beschuldigten  Tortur  für 
zulässig  ^nachdem  der  Anfragende  hiernach  verfahren,  obwohl 
der  Spruch  ihm  befremdlich  erscheint,  fragt  er  weiter  in 
Brandenburg  an  unter  Berufung  auf  Karls  V.  Konstitution 
und  einige  Pandektenstellen;  die  Brandenburger  erkennen 
auf  den  Tod  durch  den  Strang.1) 

Als  diejjSchweden  Vorpommern  in  den  Jahren  1647  und 
1648  verwalteten,  ehe  es  ihnen  der  westphälische  Frieden 
zusprach,  fragten  „verordnete  schwedische  Hofgerichtsver- 
walter und  Räthe  zu  Stettin"  (d.  h.  das  Stettiner  Hofgericht) 
wiederholt  (77  443 ;  78  44)  in  Brandenburg  an,  und  die  Bran- 
denburger stellten  damals,  wie  auch  demnächst  (1652:  78  486) 
ihr  Urtheil  auf  den  Namen  der  „von  Ihrer  Königlichen  Ma- 
jestät zu  Schweden,  unserer  gnädigsten  Königin4*  (der  Witwe 
Gustav  Adolfs)  „allhier  verordneten  Hofgerichtsverwalter  und 
Räthe". 

Das  Fürstenthum  Magdeburg  liefert  aus  der  Stadt 
Arendsee  von  1548  bis  1664  viele  Strafsachen  nach  Bran- 
denburg, ebenso  aus  der  Stadt  Sand  au  von  1547  bis  1649. 
Der  „Amtsvogt  zu  Gibichensteinu  (bei  Halle)  lässt  sich 
1558  (7^9)  in  Brandenburg  belehren,  ob  er  in  einer  Straf- 
sache zur  peinlichen  Frage  schreiten  darf;  die  „fürstlich 
Magdeburgischen  Räthe  zu  Halle14  2)  wollen  1579  (21  305)  und 
1581  (22  41)  wissen,  wie  sie  in  zwei  Strafsachen  zu  verfahren 
haben,  ^ebenso  1585  in  einer  Strafsache  wegen  Injurien 
(ÜB.  4154);  der  „Schultheis  zu  Halle  „übersendet  1583 
(24  547;  vgl.  ÜB.  231)  die  Satzschriften  in  der  peinlichen 
Anklagesache  gegen  den  fürstlich  Magdeburgischen  Kanzler 
Dr.  Trautenbuhl,  und  „Rathmanne,  Meister  der  Innung  und 
Gemeinheit  der  Stadt  Halle44  wollen  1583  (23  119)  wissen, 
wie  in  Anlass  von  Drohbriefen  vorzugehen  sei,  die  auf  dem 
Haller  Markte  an  ein  Thor  und  an  die  Kirchthür  mit  grünem 
Wachse  geklebt  sind.  Weitere  Strafsachen  finden  sich  aus 
den  fürstlich  Magdeburgischen  Städten  Barby  (1576  bis 
1587),  Arneburg  (1588.  1630.   1656),  Aken  (1597:  20366), 

!)  Vgl.  ferner  ÜB.  4  147;  2  30. 

9)  Die  Missive  geht  Namens  der  Räthe  von  David  Rischer  aus,  der 
sie  an  seinen   „Schwager"  Simon  Karptzauen  (Karpzow)  adressirt. 


444  5'  Buch.    Zweiter  Abschnitt.    Auswärtige  Konsulenten. 

Aschersleben  (1638:  76  550),  auch  aus  dem  Amte  Angern 
(1615:  64  200.  321). 

Aus  Hildesheim  holt  eine  „auctoritate  caesarea"  ein- 
gesetzte dompropsteiliche  Inquisitionskommission  1734(80  196) 
den  Urteilsspruch  in  einer  Landfriedensbruchssache  beim 
Brandenburger  Schöppenstuhl.  „  Richter ,  Bürgermeister, 
Scheffen  und  Rath  zu  Herford"  (im  Fürstenthum  Pader- 
born) senden  in  einer  Civilsache  1745  (96323)  die  Akten 
nach  Brandenburg. 

Aus  Jüterbog  (Herzogthum  Sachsen)  sind  innerhalb  der 
Jahre  1556  bis  1600  26  Straf-  und  4  Civilsachen  nach  Bran- 
denburg gelangt,  aus  Görlitz  16 13  eine  Civilsache,  ebenso  1627 
aus  Königstein  und  1 744  aus  Zeitz.  Herzog  Franz  zu  Sachsen 
fragt  1590  (33  207)  in  einer  Strafsache  und  1598  (44  331)  in 
vier  Strafsachen  von  Lauenburg  aus  um  Belehrung  an. 

„Bürgermeister  und  Rath  beider  Städte  Quedlinburg 
(Stifts  Quedlinburg)  in  Verwaltung  Krfstl.  Sächsischen 
Erbvogtei"  oder  „zur  Kurf.  Sächsischen  Quedlinburgischen 
Erbvogtei  verordnete  Syndikus,  Stadtvogt  und  Assessores*% 
sowie  „Fürstlich  Quedlinburgische  verordnete  Stiftskanzler  und 
Rätheu  fragen  1688  (79  572.  575.  579)  in  mehreren  Sachen  an. 

Aus  Schlesien  fragt  Seifried t  v.  Promnitz,  Freih.  zur 
Pless  auf  Sora  und  Hoyerswerda,  R.  Kais.  Maj.  Rath  und  des 
Saganschen  Fürstenthums  Pfandesherr,  1566  (10  487)  und  1583 
(24  370.  397)  je  in  einer  Strafsache  von  Hoyerswerda  an; 
desgleichen  16 16  (65  336;  vgl.  ÜB.  1  382  ff.)  in  einer  wichtigen 
Erbschaftsangelegenheit,  in  der  es  sich  darum  handelt,  wer 
nach  der  1561  von  Balthasar,  Bischof  v.  Breslau,  Herrn  zu 
Pless,  Sora  und  Triebell,  der  Saganschen  Fürstenthümer 
Pfandherrn,  Oberst-Hauptmann  in  Ober-  und  Niederschlesien 
aufgerichteten  Successionsordnung  Erbe  aus  dem  Geschlechte 
der  Promnitz  sei;  darüber  waren  bereits  „die  Juristen- 
fakultäten zu  Leipzig,  Marburg,  Freiburg,  Tübingen,  Altorf, 
Giessen  u.  a.u  gehört;  der  Anfragende  wollte  aber  „der 
Herren  (in  Brandenburg)  Judicium  auch  gern  haben**. 

„Richter  und  Zugeordnete  des  Stadtgerichts  zum  Saganu 
bitten  1572  (13  271)  in  einer  Münzfalschungssache  um  Be- 
lehrung. 


§  33*    Konsulenten  aus  deutschen  Landen.  445 

Zu    2. 

Der  Umstand,  dass  der  Schöppenstuhl  in  Brandenburg 
seinen  Ursprung  aus  der  Zeit  herleitet,  zu  welcher  das  Haus 
Anhalt  über  Brandenburg  herrschte,  mag  erklären,  dass 
verhältnissmässig  zahlreiche  Anfragen  aus  Anhalt  vorliegen, 
und  dass  die  Stellen,  von  denen  sie  ausgehen,  allee  den  Stellen 
entsprechen,  von  denen  aus  im  Brandenburger  Lande  Be- 
lehrung beim  Schöppenstuhl  erbeten  wird.  Neben  Privat- 
personen, die  aus  Dessau  (1578:  20  297)  oder  aus  Köthen 
(1592:37390)  in  Erbschaftsstreitigkeiten  Belehrung  holen, 
finden  sich  Anfragen  aus  den  anhaltischen  Städten  Bernburg 
(1727:  84552;  1739:  90  136;  1753:  99426),  Zerbst  (1 743:  94 
813),  Köthen  (1791: 106  228;  1806: 106  277.  290).  Ein  anhalti- 
sches Dorfgericht  lernen  wir  1577  (18  205)  kennen,  als  der 
„Schreiber"  in  Hundeluft,  einem  Dorfe  im  Kreise  Zerbst,  auf 
Grund  eines  vor  „Richter  und  Schepen  zur  Hundeluft  und 
Regosen"  abgelegten  Geständnisses  in  einer  Diebstahlssache 
um  Belehrung  bittet;  der  Schreiber  ist  hier  der  Beamte  des 
Guts-  und  Gerichtsherrn.1)  Als  landesherrlicher  Beamter 
tritt  (1594:  38  520),  analog  wie  im  Brandenburgischen  und 
anderwärts,  der  Hauptmann  auf,  z.  B.  der  „Hauptmann  zu 
Roslau  und  Koswig"  (Kreis  Zerbst);  er  lässt  sich  belehren, 
ob  in  einer  Zaubereisache  die  peinliche  Frage  zu  erkennen 
sei.  Im  Namen  des  Fürsten  Christian  zu  Bernburg  bitten 
161 2  (60  272)  Fürstl.  Anhalt,  verordnete  Oberhauptmann 
und  Rät  he  um  Rechtspruch  und  Urtheil  in  Sachen  Rosen- 
dorff  gegen  die  Beamten  zu  Bernburg.  Es  handelt  sich  um 
verkaufte  Grundstücke,  in  deren  Besitz  der  Kläger  geschützt 
wird.  Der  Amtmann  zu  Sandersleben  (Kreis  Bernburg)  über- 
sendet 1702  (80  118)  die  Akten  in  einer  Injuriensache,  ebenso 
1728  (85  105)  der  Amtsrath  zu  Gernrode  (bei  Ballenstedt), 
1531  (86  350)  der  „Amtmann"  zu  Bernburg,  1732  (86  473) 
das  „fürstlich  Köthensche  Amt  Wulfen",  1733  (87  180)  das 
Amt  Warmsdorff  (bei  Bernburg)  und  1737  (89  264)  das  Amt 
Ballenstedt.  Ein  Justitiar  der  von  Kalitzschen  Gerichte  zu 
Doberitz,  Retha  und  Hagendorf  ersucht  von  Zerbst  aus  1787 
(106  146)  um  ein  Erkenntniss  in  einer  Ehebruchssache. 

')  Siehe  oben  S.  433. 


446  5-  Buch.    Zweiter  Abschnitt.    Auswärtige  Konsulenten. 

Auch  die  anhaltischen  Konsistorien  und  Regierungen 
ersuchen  in  Brandenburg  um  Abfassung  ihrer  Sprüche:  1701 
(80  4),  17 10  (82  59),  1 716  (81  30)  das  Konsistorium  in  Köthen, 
1732  (86529)  das  Konsistorium  zu  Bernburg,  1725  (83  601), 
1727  (84  360.  372.  392)  die  „zur  Landesregierung"  (in  Bern- 
burg) „verordneten  geheimbder  Rath,  Kanzleidirector  und 
Räthe". 

Als    hätte    im  Kreislauf  der  Geschichte    das  Ende    der 
Thätigkeit   des   Brandenburger  Schöppenstuhls    mit    seinem 
aus  anhaltischer  Zeit  stammenden  Ursprung  in  Beziehung  ge- 
bracht werden  sollen,  waren  die  letzten  Sachen,  die  ihn  über- 
haupt beschäftigten,    zwei  anhaltiner  Sachen.     Nachdem   der 
Schöppenstuhl  von  1799  bis  1806  völlig  ohne  Arbeit  gewesen 
war,  gingen  im  letztgenannten  Jahre  noch  zwei  Sachen    vom 
Stadtgericht  zu  Köthen  ein;  der  Schöppenstuhl  that  darin  am 
7.  Oktober  1806  seinen  vorletzten  und  am  10.  März  1807  seinen 
letzten  Spruch  (107  277  bis  340);    es  handelte   sich    um   eine 
weitläufige  Liquidationssache,  in   der  fünf  Urtheile  zu  fallen 
waren.1)    Hierbei  ereignete  sich  noch  sonderbarer  Weise,  dass 
diese  Urtheile  von  nur  zwei  Mitgliedern  gesprochea  wurden, 
da  das  dritte  Mitglied   nach   Berlin  übergezogen   war;2)  der 
Schöppenstuhl  schloss  also  in  seiner  Agonie  seine  Thätigkeit 
mit  einer  Rechtsverletzung. 

Nächst  Anhalt  und  Pommern  gravitirte  yon  nichtbranden- 
burgischen  Landen  Mecklenburg  am  meisten  nachJBranden- 
burg  hin.  Das  in  Mecklenburg  gelegene  Neubrandenburg 
war,  wie  oben  (S.  257)  gezeigt  ist,  Tochterstadt  des  märkischen 
Brandenburg.  Der  Rechtszug  von  gescholtenen  Neubranden- 
burger Urtheilen  ging  darum  nach  Brandenburg.  Nachdem 
längst  die  Appellation  an  die  Stelle  der  Urtheilsschelte  ge- 
treten war,  nämlich  im  Jahre  1566  (ÜB.  1  361)  —  als]in  einem 
vor  Richter  und  Schoppen  zu  Neubrandenburg  verhandelten 
Retraktsprozesse  der  verurtheilte  Beklagte  den  Spruch  des 
Gerichts  mittels  der  „Appellation"  angefochten  hatte,  —  wendet 
sich  das  Neubrandenburger  Gericht  an  die  Schoppen  beider 
Städte  Brandenburg,  „auch  ihr  Gericht   zu  fällen  und,    was 

!)  Eines  derselben  s.  ÜB.  2  778. 
2)  Siehe  oben  S.  176. 


§  33«     Konsulenten  aus  deutschen  Landen.  447 

Recht  ist,  ergehen  zu  lassen'1.     Die  alte  Gewohnheit  war  so 
eingewurzelt,  dass  auch  die  „Appellation"  des  neuern  Rechtes 
als  Urtheilsschelte  nach  Brandenburg  statt  an  den  Mecklen- 
burger Landesherrn   oder    dessen  Kanzlei    befördert   wurde. 
Nach  einem  Zeugnisse  von  1559  (7  419)  hatte  Neubranden- 
burg   damals    in   Erbfallen    die  altmärkischen  Stadtgewohn- 
heiten:   1.    dass    der    überlebende    Gatte    mit    dem    vierten 
Pfennig    voraus    begiftigt    werden    kann,    die    übrigen    drei 
Viertel  des  Nachlasses  aber  den  Erben  zufallen,  und  2.  dass 
bei     der     Theilung    zwischen    Ehegatten     und    Erben     die 
Erben  das  Gut  setzen  und  astimiren,  der  überlebende  Gatte 
aber  wählt.     War  solchergestalt  das  im  Norden  von  Mecklen- 
burg-Strelitz  gelegene  Neubrandenburg  mit  dem  Rechte  des 
märkischen  Brandenburg  bewidmet,  so  lässt  sich  annehmen, 
dass  eine  Bewidmung  mit  Brandenburgischem  Rechte  auch  bei 
anderen  Mecklenburgischen  Städten  erfolgte,  die  dem  märki- 
schen Brandenburg    näher   lagen    als  Neubrandenburg,    z.  B. 
bei  den  dicht  an  der  märkischen  Grenze  gelegenen  Mecklen- 
burgischen   Städten    Woldegk    und    Fürstenberg.      Bürger- 
meister,   Richter   und  Rathmannen    von  Woldegk   bezeugen 
1577  (18  13),  dass  sie  „über  Alters  des  alten  Brandenburgischen 
Schöppen-Rechtens  Belerung  gebraucht",  und  Bürgermeister 
und  Rathmanne  von  Fürstenberg  bemerken  bei  einer  Anfrage 
in  Brandenburg  1554  (5  325)    ausdrücklich,    ihr  Herr  werde 
der  ertheilten  Belehrung  in  Gnaden  gedenken.    Die  Mecklen- 
burgischen Landesherren    setzten    auch    der   Einholung   von 
Brandenburgischen  Rechtsbelehrungen  keinen  Widerstand  ent- 
gegen,   sondern    beförderten    sie,     und    kaum   irgendwelche 
Fürsten  haben  selbst  so  häufig  sich  nach  Brandenburg  ge- 
wandt,  als  gerade  die  Mecklenburger.     Neben  Brandenburg 
war  für  Mecklenburg  die  Fakultät  zu  Rostock  rechtsbelehrende 
Instanz;  hier  ist  auch  in  einer  Anzahl  derjenigen  Sachen  an- 
gefragt,   welche  im   Folgenden    als    nach   Brandenburg   ge- 
sandt aufgeführt  werden. 

Herzog  Johann  Albrecht  von  Mecklenburg  giebt  1557 
{6  208)  dem  Rath  der  mecklenburgischen  Stadt  Neustadt 
auf,  in  einem  Ehescheidungsstreite  den  Handel  in  Schriften 
verfassen  zu  lassen  und  ihn  dann  „gegen  Alten-Brandenburg 


448  5*  Buch.    Zweiter  Abschnitt.    Auswärtige  Konsulenten. 

oder  Stendal,  wie  solches  bisher  gebräuchlich  gewesen**,  zu 
schicken  und  dort  Rechtsbelehrung  einzuholen.  Herzog  Karl 
v.  Mecklenburg  sucht  1565  (9  415)  um  Belehrnng  in  einer 
Diffamationssache  und  1574  (15  535)  in  einer  Zaubereisache, 
Herzog  Albrecht  und  Herzog  Ulrich  1572  (13  133)  in  einer 
Kindsmordsache  nach.  Herzog  Ulrich  fragt  1589  (31  5)  wegen 
eines  entsetzten  Pfarrers  an,  der  sein  Kind  ermordet  haben 
soll  und  vor  Hauptmann,  Stadtvogt  und  Gerichtsschreiber 
zu  Güstrow  vernommen  ist. 

Die  Kommissarien  des   Herzogs  Ulrich  zu   Mecklenburg 
in  Schwerin,  beauftragt,  einen  unverdächtigen  Schöppenstuhl 
zu  befragen,    übersenden  1577  (19  129)   die  Akten    in    einer 
Strafsache;  den  Anlass  bildet  die  Supplikation  eines  Schulze» 
an    den  Hauptmann   zu  Schwerin    um  Einziehung    und  Tor- 
quirung  einer  Zauberin.     Die  Supplikation  wird  dem  Herzog 
zugeschickt;    dieser   befiehlt    Zeugenvernehmung;    nach  Be- 
schickung  des  Protokolls    befiehlt   er   erneute   Vernehmung 
und  Einsendung  der  Akten  „an  die  Fakultät  in  Rostock*; 
gleichwohl  bezeichnen  sich  die  Kommissarien  als  „beauftragt, 
einen     unverdächtigen    Schöppenstuhl    zu    befragen44,     und 
wenden  sich  nach  Brandenburg. 

Ferner  fragen  1578  (19  362.  369)  die  Gebrüder  Herzoge 
Karl  und  Ulrich,  auch  1579  (ÜB.  4  190.  191)  und  1581  (22  349) 
der  letztere  allein  und  161 5  (64  257)  Herzog  Friedrich  Adolf 
in  Strafsachen  an.  Herzog  Friedrich  begehrt  1632  (74  2^7» 
Rechtsbelehrung,  wie  gegen  einen  Rostocker  zu  verfahren 
sei,  der  als  Kundschafter  der  Wallensteiner  gedient  habe, 
und  ebenso  begehrt  er  1633  (75  33)  Rechtsbelehrung^  was 
mit  einem  Rostocker  zu  geschehen  habe,  der  sich  „in  unserm 
exiliou  zu  den  Feinden  geschlagen,  und  „nachdem  wir  wiederum 
unser  Land  und  Leute  guten  Theils  recuperirt  und  in  unser 
Residenzstadt  Schwerin  gewesen,  bei  unsern  Feinden  in  unser 
Stadt  Wismar  verblieben,  auch  sich  mit  .  .  .  Plünderung 
unseres  Amts  Mecklenburg  hostiliter  verhalten". l) 

Die  Herzoginwitwe  Anna  Sophie  sendet  1579  (20  527), 
1581  (2268  und  ÜB.  4172)  und  1587  (28  154)  Strafsachen 
nach  Brandenburg  als  Gerichtsherrin  ihres  „Leibgedingsamtes 

l)  In  beiden  Fällen  erkennen  die  Brandenburger  auf  die  Folter. 


§  33-     Konsulenten  aus  deutschen  Landen.  449 

Luptz"  und  ihrer  „Leibgedingsstadt  Rehnau ;  die  letzte  dieser 
Sachen  ist  oben  (S.  416)  bereits  berührt;  sie  spielt  in  dem 
Dorfe  Kossebade:  vor  der  ganzen  Bauerschaft  des  Dorfes  hat 
ein  Bauermädchen  „berichtet14,  sein  Stiefvater  habe  vor  drei 
Jahren  während  der  Pest  einen  Erbkesselhaken  genommen, 
ihn  „an  den  vordem  Fuss  an  den  grossen  Zehen  gebunden  und 
nackend  um  sein  Haus  geschleppt",  damit  dasselbe  vor  der 
Pest  sicher  sei;  dies  wird  von  dem  Bauermädchen  den  Amt- 
leuten in  Luptz,  wo  die  Bauerschaft  Vater  und  Tochter  in 
Haft  gebracht  hat,  mitgetheilt;  die  Herzogin,  der  die  Amt- 
leute Kenntniss  davon  gegeben  haben,  wünscht  Belehrung. 
Den  gleichen  Gang  nimmt  1615  (64  87)  eine  von  „der  ganzen 
Bauerschaft  zu  Trebbowu  wegen  Zauberei  erhobene  Anklage; 
sie  sendet  der  fürstlich  mecklenburgische  „Amtmann  aufm 
Hause  Strelitzu,  d.  h.  der  im  Schlosse  zu  Strelitz  sesshafte 
Beamte,  nach  Brandenburg. 

Neben  den  mecklenburgischen  Fürstlichkeiten  und 
Aemtern  treten  mecklenburgische  Städte  als  der 
Rechtsbelehrung  bedürftig  in  Brandenburg  auf,  und  zwar 
Bürgermeister  und  Rath  zu  Sternberg  in  elf  Strafsachen 
aus  der  Zeit  zwischen  1557  und  1602,  Bürgermeister  und 
Rath  zu  Parchim  1573  (13  540)  unter  Vorlage  eines  herzog- 
lichen Reskripts,  das  ihnen  in  einer  Todtschlagssache  be- 
fiehlt, „dass  sie  das  eingeschickte  Gezeugniss  an  einen  un- 
verdächtigen Ort  zu  versprechen  fertigen",  ferner  Bürger- 
meister und  Rath  zu  Rostock  1574  (16  160)  in  einer  dort 
zwischen  zwei  Engländern  verhandelten  Injuriensache,  Bürger- 
meister und  Rath  zu  Wismar  1577  (18  607  bis  620)  und  1591 
(34  3325  vgl.  ÜB.  4  191),  ferner  Bürgermeister  und  Rath  zu 
Friedland  in  elf  Strafsachen  aus  der  Zeit  von  1579  bis 
161 5  (vgl.  ÜB.  429.  113),  desgleichen  „Rathsverwandte  und 
Gerichtsverwalter  zu  Wismar"  1581  (22  154)  oder  ein  Guts- 
herr zu  Wismar  (Wipert  von  Pless)  161 1  (59  113),  ebenso 
Bürgermeister  und  Rathmannen  zu  Waren  1563  (24  563), 
Bürgermeister  und  Rathmannen  zu  Woldegk  15771)  (18  13) 
und  1579  (21  268),  zu  Wartenberg  1583  (23  16),  desgleichen 


*)  Vgl.  oben  S.  447. 
Stölzel,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  29 


450  5-  Buch.    Zweiter  Abschnitt.     Auswärtige   Konsulenten. 

zu  Strelitz  1583  (24  152),  Bürgermeister,  Richter  und  Rar 
mannen  zu  Röbel  1587  (29  109), l)  endlich  Bürgermeister  tr.- 
Rath  zu  Alt-Stargard  1558  (7  19),  1560  (8  209),  1592  -* 
80),  1602  (49  215),  sowie  Bürgermeister  und  Rath  zu  Rostod 
1606  (53  454)  und  1607  (54  352),  sämmtlich  in   Strafsachen. 

Als  Beispiele  von  Anfragen  mecklenburgischer  geg- 
lichen Korporationen  können  namhaft  gemacht  werden  fr 
Missive  des  „Domprobsts,  Dechanten,  Seniors  und  Kapitels  r. 
Ratzeburg"  in  einer  Zaubereisache  des  Jahres  1603  iy 
134)1  sowie  die  Missive  der  „Priorissa  und  ganzen  Versamn:- 
lung  des  adeligen  Jungfrauenklosters  Stepenitz"  als  Obri; 
keit  der  den  Geschwistern  Messow  zugefallenen  Lehnmüi; 
zu  Kremmendorf  aus  dem  Jahre  1635  (76  1),  betreffend  ci- 
Theilung  zwischen  Lehn-  und  Alloderben.2) 

Auch  von  Privaten  wird  aus  Mecklenburg  der  Brander. 
burger  Schöppenstuhl  angegangen. 

Ein  Bürger  zu  Wismar,  dessen  Frau  angeblich  Zauberei 
hat  erdulden  müssen,  bittet  1573  (13  316)  unter  Berufung  atf  f 
Art.  169  der  peinlichen  Halsgerichtsordnung,  nach  welchem  di- 
Angeschuldigte  am  Leben  zu  strafen,  und  unter  Vorlage  einer 
Reihe  von  Artikeln  um  Belehrung,  auf  „dass  ferner  Prozess 
unnöthig".  Ein  Bürger  aus  Strelitz,  dem  während  seiner 
Abwesenheit  in  Livland  sein  Stiefvater  alle  seine  Güter  ver- 
kauft hat,  holt  sich  in  Rostock,  Greifswald  und  dann  (röi;: 
20  295)  in  Brandenburg  Belehrung. 

Aus  dem  Lande  Braunschweig  sendet  der  Rath  zu 
Helmstädt  1578  (20  194)  und  es  senden  „Richter  und  Bei- 
sitzer des  hochnoth-  und  peinlichen  Halsgerichts  vorm  Kohl- 
hofe  zu  Hertzberg"  1579  (21  307)  Strafakten  ein.  Zwei 
Kaufherren  zu  Braunschweig  bitten  1612(60459)  um  Be- 
lehrung, weil  ihnen  der  Rath  zu  N.  die  Immission  in  ihres 
Schuldners  Güter,  die  andern  Kreditoren  zum  Nachtheil  ge- 
reichen würde,  abgeschlagen  hat.  Der  Wolfenbüttler  Kammer- 
fiskal holt  sich  1734  (87  616)  über  drei  Rechtsfragen  Beleh- 
rung, die  in  einem  Civilprozesse  der  Polichschen  Erben  gegen 
den  dänischen  Staatsminister  Reichsgrafen  von  Dehn  aufge- 

*)  In  einem  früheren  Stadium  der  Sache  ist  die  Fakultät  in  Rostock  befragt 
a)  Das  Konsistorium  von  Rostock  wird  in  ÜB.  4  178  erwähnt. 


§  33-     Konsulenten  aus  dsutschen  Landen.  451 

taucht  waren;  der  Prozess  schwebt  beim  fürstlich  lünebur- 
gischen Hofgericht  zu  Wolfenbüttel.  Auch  „Vizerektor 
und  Professoren  der  braunschweigisch- lüneburgischen  Aca- 
demiae  Juliae  Carolinae"  (also  die  Universität  Helmstadt) 
erbitten  1746  (97  846)  eine  Sentenz  in  Brandenburg;  der  Pro- 
zess hatte  Rückzahlung  eines  Kapitals  und  Quittungsleistung 
zum  Gegenstande. 

Selbst  aus  Kursachsen  finden  sich  Anfragen,  die 
nach  Brandenburg  gerichtet  werden.  Die  „kurfürstlich  ver- 
ordneten Räthe  zu  Dresden"  bitten  1557  (ÜB.  4  138),  der 
Amtschosser  dortselbst  bittet  1561  um  Belehrung  je  in  einer 
Wilddiebstahlssache.  Die  Vormünder  der  jungen  Brücken 
zu  Segrehn  (in  Sachsen?)  bitten  1591  (35  190)  um  Beleh- 
rung darüber,  was  in  der  Mark  der  in  einem  dem  Hof- 
richter zu  Wittenberg  Peter  v.  Sebin  ertheilten  Lehnbrief  des 
Herzogs  Friedrich  von  Sachsen  (d.  d.  Leipzig  1464)  vor- 
kommende Ausdruck  „Fischerei  der  Sackweideu  bedeute;  die 
Brandenburger  weisen  sie  damit  an  Oerter,  wo  solche 
„Fischerei  der  Sackweide"  gebräuchlich.  In  einer  Konkurs- 
sache holt  sich  16 10  (59  18)  die  Universität  Wittenberg 
Belehrung  bei  den  Brandenburgern. 

Von  Hamburger  Sachen,  die  nach  Brandenburg  ge- 
langten, liegen  fünf  aus  den  Jahren  1599  bis  1601,  eine  aus 
dem  Jahre  161 3  vor.  Die  ersteren  Sachen  waren  wichtige 
Strafsachen,  die  vor  Bürgermeister  und  Rath  zu  Hamburg, 
dem  dortigen  Obergericht,  schwebten;  die  untergeordnete 
erste  Instanz  hatte  das  aus  „Bürgern  und  Dingleuten"  be- 
stehende „Niedergericht"  gebildet.  Die  „Gerichtsverwalter" 
oder,  wie  sie  auch  genannt  werden,  „die  Offiziere",  nämlich 
der  Gerichtsschreiber,  der  Balbirer  —  als  die  gerichtliche 
Medizinalperson  —  und  der  Brockvogt  (d.  h.  Brüchevogt), 
hatten  durch  eine  beim  Fiskal  erhobene  Klage  die  Unter- 
suchung veranlasst  (47  626).  In  den  beiden  ersten  Sachen 
aus  dem  Jahre  1599,  die  der  Rath  zu  gleicher  Zeit  mit  einem 
Schreiben  übersandte,  handelte  es  sich  um  ein  in  Hamburg 
verübtes  Münzverbrechen  und  um  einen  dort  verübten  nächt- 
lichen Ueberfall  (45  450  bis  456),  in  der  drittten,  aus  demselben 
Jahre  stammenden  Sache  (43  583  bis  588)  um  einen  in  Lissabon 

29* 


452  5-  Buch.    Zweiter  Abschnitt.    Auswärtige  Konsulenten. 

verübten  Todtschlag.  Hier  stellt  der  Vater  des  Getödtetc. 
die  Anfrage  in  Brandenburg;  das  Niedergericht  hat  aufLr 
desverweisung  erkannt,  wogegen  der  Verurtheilte  an  dasOh-r: 
gericht  appellirt  hat.  Der  vierte  Fall  (47281;  ÜB.  2324)'» 
trifft  einen  Todtschlag,  der  im  Jahre  1601  unter  Hamburg-: 
Kaufleuten  auf  Island  geschehen  ist;  das  Verfahren  endet  beb 
Niedergericht  damit,  dass  der  Schuldige  nach  stattgehabte: 
Versöhnung  aus  der  Stadt  verbannt  werden  soll;  auf  d 
hiergegen  eingelegte  Berufung  beschliesst  das  Obergericht,  z 
Brandenburg  Belehrung  zu  suchen.  In  der  fünften  Kapitalsaö 
(Todtschlag  einer  Hamburger  Müllersfrau)  hat  ebenfalls  ifr  • 
das  Niedergericht  „nach  angehörter  Klage  und  Antworr 
auf  den  Tod  mit  dem  Schwerte  erkannt;  hiergegen  appellir 
der  Verurtheilte,  und  das  Obergericht  bittet  (47  626)  d* 
Brandenburger,  ihrem  „hochbegabten  Verstände  nach  r- 
Urtheil  schriftlich  zu  verfassen." 

Der  Prozess  aus  dem  Jahre  161 3  (63  1)  betrifft  die  Ar- 
frage  der  in  Hamburg  ansässigen  Intestaterben  eines  in  fc 
Altmark  verstorbenen  Schulzen,  ob  dessen  vor  einem  Noo: 
und  sieben  Zeugen  errichtetes  Testament  gültig"  sei;  es  har 
delt  sich  hier  also  um  einen  innerhalb  der  Mark  entstandenes, 
nach  märkischem  Rechte  zu  entscheidenden  Streitfall 

Ebenso  liegt  die  Sache  bei  einer  1752  (99  280)  aus  Lü- 
beck eingegangenen  Anfrage. 

§34. 

Konsulenten  aus  Polen. 

Zu  den  der  Mark  Brandenburg  benachbarten  Landen. 
aus  denen  Anfragen  an  den  Schöppenstuhl  gelangten,  ge- 
hörte auch  Polen.  Das  Städtewesen  war  dorthin  von  Deut- 
schen übertragen  worden;  die  Polen  kannten  nur  Adel  un^ 
Dienstleute;  der  Bürgerstand  war  ihnen  fremd;  er  bildete 
sich  zuerst  um  die  von  deutschen  Kaufleuten  zum  Schule 
ihres  Handels  in  Polen  gegründeten  Burgen.  Daher  dieBe- 
widmung  polnischer  Städte  mit  Magdeburger  Recht  bis  dbA 
Kiew  hin. l)    In  verkleinertem  Maassstab  kam  auch  an  den 

])  Halban,  Zur  Gesch.  des  deutschen  Rechts  in  Podolien,  Wol&ynte 
und  der  Ukraine  1896  S.  8,  17  ff. 


§  34-     Konsulenten  aus  Polen.  453 

brandenburgischen  Grenzen  die  Bewidmung  polnischer  Städte 
mit  Brandenburger  Recht  vor.     Dies  ist  bezeugt  für  das  bei 
Deutsch-Krone  im  heutigen  Westpreussen  gelegene  Städtchen 
Tütz,  das  im  Eigenthum  der  Familie  von  Wedell  stand  und 
in    der    zweiten    Hälfte    des    sechzehnten  Jahrhunderts    vom 
königlich  polnischen   Zöllner  Wenzel  Magnoffski  als  Pfand- 
herrn besessen  wurde.     Er  fragte  1573  (14  432),  weil  „dieses 
Städtlein    mit    den   Brandenburgischen  Rechten    befreit    und 
privilegirt,"  an,  wie  „besage  der  Kaiserrechte  und  polnischen 
Satzungen"    gegen    einen    Nachbarn    zu   verfahren    sei,    der 
ihn   mit    mordlichen  Wehren  überfallen  habe;    die  Branden- 
burger erkannten,   ohne  sich  auf  Kaiserrecht  oder  polnische 
Satzungen  zu  berufen,   dass   der  Angeschuldigte  mit  recht- 
licher Mässigung  peinlich  zu  befragen  sei.     Die  „von  Wedell 
auf  dem  Hause  Tütz"  und  der  Stadtmagistrat  daselbst  sen- 
den ausserdem  innerhalb  der  Jahre  1558  bis  1596  neun  Straf- 
sachen und  vier  Civilsachen  zur  Belehrung  ein.1)     Ausserdem 
fragt  1558  (7  130)  Bürgermeister  und  Rath  der  Stadt  Krön 
(Deutsch-Krone  bei  Bromberg)  an,  was  vor  dritthalbhundert 
Jahren  die  brandenburgischen  Schillinge  gegolten  hätten;  die 
Stadt   schuldete  dem  Grafen  Andreas  von  Gorcke  gewisse 
Zinsen,    die  ihm   der    König  von  Polen  „untergeben"  hatte. 
Im  Jahre    1745   sandte   (96  515)    das  „königlich   litthauische 
Hofgericht  zu  Insterburg"  Akten,  die  gegen  die  Tribunals- 
räthin von  Baer  verhandelt  waren,   zum  Spruche  nach  Bran- 
denburg, nachdem  der  König  befohlen  hatte,  die  Sache  „ad 
impartiales  zu  transmittiren14. 


*)  Verzeichnet  im  Hefft  ersehen  Generalrepertorium. 


6.  Buch. 
Verfahren. 

§35. 

Missiven  und  Akteneinrichtung. 
Es  hat  sich  gezeigt,  dass  in  Brandenburg-Preussen  rrrir 
destens  seit  dem  sechzehnten  Jahrhundert  äusserst  zahlrek  - 
Stellen  mit  Ausübung  der  Rechtspflege  jeder  Art  betr— * 
waren,  und  dass  sie  alle  mehr  oder  weniger  häufigen  Gi- 
brauch davon  machten,  sich  selbst  der  Rechtsprecht:-. 
nicht  nur  in  zweifelhaften,  sondern  auch  in  oft  recht  tz 
fachen  Fällen  zu  enthalten  und  dieselbe  dem  Brandenburg 
Schöppenstuhl  zuzuweisen.  So  wurde  dieser  Schöppenstui 
eines  der  wirksamsten  Mittel,  durch  die  vielen  Kanäle,  l.* 
zu  ihm  ihren  Zugang  hatten,  das  gelehrte  Recht  in  c-> 
Land  fliessen  zu  lassen  und  es  dort  zur  Kenntniss  Solche' 
zu  bringen,  die  ein  Interesse  daran  hatten,  damit  bekar". 
zu  werden.  Andererseits  leistete  aber  die  Zulassung  <te 
Einholens  von  Rechtsbelehrung  wesentlich  der  möglichst 
langen  Aufrechthaltung  von  Organen  Vorschub,  die  an  si:s 
zur  Rechtsprechung  berufen,  aber  wegen  ihrer  mangelbarV 
Rechtskenntniss  ausser  Stande  waren,  sie  selbst  auszuüber- 
Nur  weil  es  Instanzen  gab,  bei  denen  Rechtsbelehrung  ge- 
holt werden  konnte,  war  es  möglich,  dass  die  sog.  Patrimo- 
nialgerichtsbarkeit sich  bis  in  das  vorige  Jahrhundert  hinein 
erhielt.1)  Landesherr,  Gutsherr  und  Gutsherrin,  Gerich:*- 
und  Amtsverwalter,  Dorf-  und  Stadtgerichte  sprachen  viel- 
fach nur  nominell  Recht,  materiell  fungirten  sie  als  die  Brief- 
träger der  Parteien,    indem  sie  das,    was  ihnen  die  letzteren 

')  Noch  unbekannte  Aeusserungen  Ottos  von  Bismarck  gelegen;. ;ci 
der  Verhandlungen  über  die  Aufhebung  der  Patr. -Gerichte  in  Preusscn  aas 
den  Jahren  1846  und   1847  siehe  ÜB.  3  233  ff. 


§  35-     Missiven  und  Akteneinrichtung.  455 

vorlegten,  zur  Entscheidung  an  die  Rechtsbelehrungsinstanz 
abgaben.  Denselben  Weg  betraten  im  achtzehnten  Jahrhun- 
dert sogar  Gerichte  oberer  Instanz,  namentlich  wenn  über 
ihnen  eine  oberste  Instanz  fehlte. 

Als  die  Form,  in  der  zu  ältester  Zeit  die  Rechtsbelehrung 
geholt  wurde,  haben  wir  das  persönliche  Erscheinen  des  der  Be- 
lehrung bedürftigen  Gerichts,  dann  das  Erscheinen  eines  Theiles 
dieses  Gerichts  —  erst  dreier  Schoppen,  dann  zweier  durch  ein 
Schreiben  ihres  Kollegs  legitimirter  Schoppen  —  kennen  ge- 
lernt. l)    Schon  im  fünfzehnten  Jahrhundert  kommen  aber  auch 
bloss  schriftliche  Anfragen  vor. 2)    Diese  überbringt  ein  Bote. 
Aus  den  zwei  Schoppen,    deren  Sendung  den  Frankfurtern 
1376  an  Stelle  der  bisherigen  drei  Schoppen  gestattet  wird,  ist  • 
1508  (1  34)  „ein  Bote"  geworden,  der  die  Akten  mit  Begleit- 
brief nach  Brandenburg  trägt.     Laut  eines  Begleitbriefs  von 
1530  (1  154)  senden  Richter  und  Schoppen  zu  Prenzlau  „ihren 
in    der    Schöppenbank    enthaltenen    Mitbruder"    als    Boten. 
Möglicherweise    ist    noch    1539  (2  715.  670)  für  das  Gericht 
zu  Osterburg  (bei  Stendal)   „der  jüngste  seiner  Schoppen14, 
dem  jede  der  beiden  Parteien  die  Hälfte  des  in  Brandenburg 
zu  zahlenden  Urtheilsgeldes    einhändigen    soll,    zugleich    der 
Bote,    aus    dessen  Hand  die  Brandenburger  ihr  Urtheilsgeld 
erhalten.     Wie    dem    aber    sei,   jedenfalls   kann  für  die  Zeit 
nach   der  Joachimica   das    Einbringen    der  Anfragen    durch 
einen  Boten,  der  nicht  Schöppe  war,  als  die  Regel  gelten. 
Zum  mündlichen  Bericht  über  die  Sachlage  war  er  ungeeignet. 
Deshalb    überbrachte  er  eine  schriftliche  Auskunft  über  die 
Sachlage    und    über   die    daran   zu    knüpfende  Rechtsfrage. 
Diese  Auskunft    konnte  gegeben  werden  entweder  in  einem 
schriftlichen  „Berichte"  anstatt  des  früher  mündlichen  Berichts, 
oder   —    seitdem    es   bei    den  Gerichten   schriftliche   „acta" 
gab,3)  also  etwa  seit  der  Mitte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts 
—  durch  Uebersendung  der  Akten,  hier  wie  dort  unter  als- 
baldiger Zahlung   der  dem  Oberhof  geschuldeten  Gebühren, 
wie  sie  früher  nach  den  oben  (S.  273.  274)  gegebenen  beiden 

')  Siehe  oben  Seite  271. 

2)  Siehe  oben  Seite  274. 

3)  Stölzel,  Gelehrtes  Richterthum   1,   183 


456  6.  Buch.    Verfahren. 

Beispielen  von  1432  und  1443  durch  die  anfragenden  Schoppen 
überbracht  waren. 

Bis  in  die  zweite  Hälfte  des  sechzehnten  Jahrhunderts 
hinein  heisst  das  Schriftstück,  mittels  dessen  die  a  Anfragen 
dem  Oberhof  vorgelegt  werden,  der  „Bericht",  und  wenn  die 
Anfrage  die  einer  Partei  ist,  der  zu  widersprechen  die  Gegen- 
partei Anlass  findet,  so  redet  man  von  einem  „Gegenbericht- 
der  Gegenpartei.  Später  wird  für  Bericht  der  Ausdruck 
,,Missive"  technisch. 

Derartige  Berichte  oder  Missiven ])  gehen,  wenn  Privatper- 
sonen die  Anfragenden  sind,  regelmässig  unter  deren  Namens- 
unterschrift ein;  doch  rührt  diese  Unterschrift  meist,  namentlich 
in  älterer  Zeit,  nicht  von  dem  Anfragenden  persönlich  her,  denc 
er  ist  schreibensunkundig;  vielmehr  verfasst  und  unterzeichne: 
ein  beauftragter  Schreiber  die  Anfrage  mit  dem  Namen  des  Ar- 
fragenden.   Dieser  Schreiber  ist  vielfach  ein  Notar2)  oder  auch 
einer  der  Brandenburger  Schöppenschreiber.    Vor  dem  Schöp- 
penschreiber  erschien  oft  die  Partei  persönlich  in  Brandenburg  °t 
und  liess  ihn  dort  ihre  Anfrage  aufsetzen,  wie  heutzutage  die 
Partei    persönlich    vom    Gerichtsschreiber   ihre    Anträge    zu 
Protokoll  nehmen  lässt.     Es  kommt  auch  vor  (1569:    12  22), 
dass  die  Partei  den  Schöppenschreiber  schriftlich  um  Formu- 
lirung  ihrer  Anfrage  bittet.     Da  der  Schöppenschreiber,  wie 
sich  zeigen  wird,  zugleich  derjenige  ist,  dem  es  obliegt,  das 
Spruchkonzept  anzufertigen,  so  rühren  Anfrage  und  Spruch- 
konzept  häufig   von    derselben    Hand,    zuweilen    auch    von 
demselben  Tage    oder   von    einem  dem  Tage  der  Anfrage 
sehr  naheliegenden  Tage  her,  befinden  sich  auch  mannigfach 
auf  demselben   Blatte.     So   hat   der    Neustädter  Schöppen- 
schreiber Pletz   1534    (2  48)  die  Anfrage    eines  Frankfurter 
Bürgers   und    das    Spruchkonzept   unter   demselben   Datum, 

J)  Beispiele  s.  ÜB.  Sachregister  unter  „Rechtsfragen". 

3)  Dahin  rechnet  wohl  Mag.  Sebastianus  Stylbachius,  der  1557  (6  137) 
einer  Frankfurter  Partei  als  Verf.  einer  Missive  ».dient*.  Eine  Missive  des 
G.  von  Bernstein  auf  Bernstein  ist  unterzeichnet  1563  (24  464)  Joa.  Wener 
notarius  immatr.  manu  propria. 

3)  Z.  B.  1576  (17  128)  ein  Bauer  aus  Stacke  bei  Spandau,  dessen  An- 
frage das  Ortsdatum  Brandenburg  trägt.  Aehnlich  (aber  ohne  Ortsdatum) 
»539  (2626). 


§  35*     Missiven  und  Akteneinrichtung.  457 

desgleichen  (2  6i)  die  Anfrage  eines  Dorfbewohners  von 
Bötzow  (bei  Spandau)  und  die  zwei  Tage  später  erfolgte 
Belehrung,  ferner  1539  (2  626)  die  Anfrage  in  einer  Erb- 
schaftsangelegenheit (ohne  Ortsangabe)  und  am  nächsten 
Tage,  einem  Sitzungstage,  die  Belehrung  niedergeschrieben, 
ebenso  1540  der  altstädtische  Schöppenschreiber  Andreas 
Ackermann  (3  172;  ÜB.  1  190),  wo  auf  die  von  einem  Nicht- 
sitzungstage  datirte  Anfrage  eines  Burgers  aus  Gransee  am 
nämlichen  Tage  der  Spruch  ergeht.  Dabei  fallt  nicht  bloss 
bei  diesen,  sondern  auch  bei  anderen  vom  Schöppenschreiber 
Namens  auswärtiger  Konsulenten  verfertigten  Missiven  auf, 
dass  bei  ihrer  Datirung  die  Ortsangabe  fehlt.  Das  könnte 
darauf  beruhen,  dass  der  Schöppenstuhl  eine  solche  Thätig- 
keit  seiner  Schöppenschreiber  ungern  sah,  und  dass  deshalb 
die  Schöppenschreiber  vermieden,  die  von  ihnen  geschriebenen 
Missiven  durch  die  Ortsangabe  Brandenburg  als  auf  ihrer 
Beihülfe  beruhend  kund  zu  geben. 

Der  altstädter  Schöppenschreiber  Roter  entwirft  1552 
(4  379)  eine  Anfrage  in  einem  Brandenburger  Erbstreit,  nach- 
dem die  Parteien  sich  vor  dem  Bürgermeister  und  zwei  Raths- 
freunden  verglichen,  aber  den  Vergleich  nicht  gehalten  haben, 
lässt  die  Anfrage  von  einem  Kanzlisten  abschreiben  und  an 
den  Schöppenstuhl  adressiren,  setzt  dann  auf  diese  Missive 
das  Spruchkonzept  und  darunter  den  Hexameter:  frangenti 
fidem  fides  frangetur  eidem. l)  Ebenso  verfasst  1583  (24467) 
Roter  die  Missive  des  Seniors  der  erzbischöflichen  Kirche  zu 
Magdeburg  unter  dem  Ortsdatum  „Brandenburg"  und  zu- 
gleich das  Spruchkonzept.  Roters  Nachfolger  im  Schöppen- 
schreiberamte  verfahren  in  gleicher  Weise:  Garz  wird  1581 
(22  618)  vom  Erbsess  Hünicke  zu  Mötelitz  gebeten,  aus  einem 
übersandten  Register  „die  Rechtsfrage  zu  stellen,  sie  zu  über- 
antworten und  das  Urtheil  durch  Zeiger  (=  den  Ueberbringer) 
zu  übersenden44;  Düring  protokollirt  1607  (54559)  in  einer 
vor  „Allen  von  Wehrde44  in  Woltersdorf,  Bretten  und  Wuster- 
witz    (bei    Brandenburg)    verhandelten  Todtschlagssache  als 

2)  Ebenso  rühren  Anfrage  und  Spruch  von  Roter  her  1553  (5  59),  1557 
(6  78.  199)  —  in  letzteren  beiden  Fällen  sind  aber  Anfrage  und  Spruch  mit 
verschiedener  Tinte  geschrieben  — ,  1558  (6  567). 


458  6-  Buch     Verfahren. 

Notar  die  vor  Richter  und  Schoppen  aufgenommene  Urgicht 
und  verfasst  die  Missive,  mittels  deren  die  Urgicht  in  Bran- 
denburg eingereicht  wird;  desgleichen  verfasst  Düring  1608 
(55  61)  Namens  des  Erbsess  Katte  zu  Vieri tz  (bei  Genthin) 
eine  Missive  mit  der  Frage,  ob  die  auf  einem  Lehngut  er- 
baute Windmühle  Lehn  oder  Erbe  sei,  und  zugleich  entwirft 
er  den  Spruch.  Zuweilen  übernimmt  es  auch  die  Stadtbe- 
hörde, Namens  eines  ihrer  Bürger  die  Missive  anzufertigen, 
so  Bürgermeister  und  Rath  zu  Arendsee  1558  (6  558).  Hat 
eine  der  Städte  Brandenburg  den  dortigen  Schöppenstuhl  zu 
befragen,  so  ist  es  Sache  des  Stadtschreibers,  der  ja  zugleich 
häufig  Schöppenschreiber  war,  die  Missive  niederzuschreiben; 
derartige  Missiven  von  Karpzows  Hand  finden  sich  1560 
(8  1.  254). 

Den  Charakter  einer  weitläufigen  Prozessschrift  (zehn 
Blätter)  trägt  1^35  (75  560)  eine  Missive  Bussos  v.  d.  Asse- 
burg; sie  betrifft  ein  1618  ausgeliehenes  Kapital  von  5000  Thlr. 
Ohne  Beifügung  einer  Missive  giebt  1585  (26  448)  der  Hof- 
und  Landrichter  der  Altmark  Akten  in  Brandenburg  ab,  wie 
der  altstädter  Schöppenschreiber  in  den  Akten  vermerkt. 

Ist  eine  Missive  nicht  recht  verständlich,  so  verlangen  die 
Brandenburger  (1567: 11 94;  1590:  33  261),  „die  Frage  anderge- 
stalt  verfassen  zu  lassen,  da  sie  unklar".  Der  Senior  greift  auch 
wohl  (161 2:  60  401)  in  einer  Erbschaftsangelegenheit  dazu, 
den  Anfragenden,  wenn  er  in  Brandenburg  anzutreffen  ist, 
persönlich  die  unvollständige  Angabe  der  Erbinteressenten 
ergänzen  zu  lassen. [)  Eine  Missive  des  Bürgermeisters  und 
Raths  zu  Wusterhausen  vom  Dienstag  nach  Ostern  1599  (45 
424)  rührt  von  der  Hand  des  altstädter  Schoppen  Lampertus 
her;    ihr    liegt    eine   vom    nächsten  Tage    datirte,    auf   dem 

l)  Floring  votirt:  „weil  keine  gewisse  sipschaft  angedeutet,  habe  ich 
consulenten  in  der  person  befraget,  berichtet,  das  des  letzt  verstorbenen 
J.  B.  kindesmutterschwester  und  mutterschwesterkinder  vorhanden,  achte 
dero wegen,  das  .  .  .  consulent  der  erbschaft  sich  nicht  anzumassen~. 
Chuden  1648  (71  142)  desgl.:  „Dieser  bericht  ist  vom  concipienten  intricat 
gesetzet,  ich  habe  aber  consulentin  selbst  vernommen  und  sie  berichtet  etc." 
Schriftlich  eine  Ergänzung  zu  verlangen,  bezeichnet  1619  (66  607)  Floring 
als  nicht  gebräuchlich,  auf  solchen  Fall  entgingen  den  Schoppen  auch  die 
Geböhren. 


§  35*     Missiveti  und  Akteneinrichtung.  459 

Schöppenhause  besiegelte,  von  Lampertus  mit  einer  Kor- 
rektur versehene  Spruchreinschrift  bei.  Da  Wusterhausen 
eine  volle  Tagereise  von  Brandenburg  entfernt  ist,  so  kann  die 
Dienstags  datirte,  vom  Brandenburger  Schoppen  geschriebene 
Missive  nicht  in  Wusterhausen  aufgesetzt  und  zur  Mittwochs- 
sitzung nach  Brandenburg  gebracht,  sondern  sie  muss  Diens- 
tags in  Brandenburg  für  die  Mittwochssitzung  geschrieben  und 
in  dieser  Sitzung  dann  erledigt  sein:  d.  h.  der  Brandenburger 
Bürgermeister  und  Schöppe  that  seinem  Wusterhäuser  Kol- 
legen, der  die  Ostertage  in  Brandenburg  weilte,  den  Gefallen, 
die  Rechtsangelegenheit  seiner  Stadt  mit  möglichster  Beschleu- 
nigung zu  erledigen,  indem  er  die  Missive  niederschrieb  und 
anderen  Tages  zur  Beschlussfassung  in  die  Sitzung  des 
Schöppenstuhles  brachte. 

Waren  die  Missiven  von  Akten  begleitet,  so  wurden 
diese  zu  Zeiten  in  Urschrift,  meist  in  Abschrift  eingesandt. 
Die  beim  Stadtgericht  Berlin  in  den  Jahren  1528  bis  1538 
(2345)  erwachsenen  Akten  des  umfangreichen  Möller- Frei- 
bergschen  Erbstreites  sind  urschriftlich  überreicht,  wie  die 
von  der  Hand  des  Berliner  Gerichtsschreibers  den  einzelnen 
Schriftsätzen  zugefügte  Inhaltsangabe  darthut.  Das  Stadt- 
gericht Stendal  übersandte  1529  (1  81)  Abschrift  der  in  sein 
Gerichtsbuch  über  die  abgehaltenen  Termine  niedergelegten 
Registraturen  und  der  laut  dieser  Registraturen  dem  Gericht 
zugegangenen  Schriftstücke.  Statt  eine  Abschrift  des  erst- 
instanzlichen Gerichtsbuchs  einzusenden,  begnügte  sich  (1529: 
1  93)  das  erstinstanzliche  Gericht,  eine  Urkunde  über  den 
Inhalt  des  Gerichtsbuchs  auszustellen,  in  welcher  Richter 
und  Schoppen  „bekennen",  dass  vor  ihnen  das  Nachfolgende 
verhandelt  sei,  und  dabei  dem  Oberhof  erläuternde  Auskunft 
zu  geben.1) 

Die  eingesandten  Akten  blieben  anfanglich  beimSchöppen- 
stuhl.  Sobald  er  gesprochen,  hatten  sie  ihren  Zweck  erfüllt. 
Mit  Einführung  der  Appellation2)    und  der  Sitte,    mehrmals 

1)  Die  Urkunde  mag  dann  die  anfragende  Partei  dem  Oberhof  ein- 
gesandt haben;  ein  Nachweis  darüber  und  ein  Begleitschreiben  fehlen  in 
den   Akten. 

2)  So  hebt  1530  (1  154)  das  Stadtgericht  Prenzlau,  das  bisher  in  Magde- 


460  6.  Buch.    Verfahren. 

die  Akten  an  verschiedene  Orte  zu  versenden,     baten    Ge- 
richte wie  Parteien  den  Oberhof  um  Rücksendung*  der  Akten, 
die  allmählich  (auch  ohne  besonderen  Antrag)  ausnahmslose 
Regel  wurde.   Den  eingesandten  Akten  brauchte  ein  „Bericht4* 
über  den  Sachverhalt  nicht  beigefügt  zu  werden;    der  „Be- 
richt" schrumpft  in  ein  Schreiben  zusammen,  das  sich  auf  die 
Mittheilung  der  Anzeige  beschränkt,  die  anliegenden  Akten 
würden  zum  Spruche  übermittelt.     Nur  ausnahmsweise   wird 
noch  ein  Bericht  mit  sachlichem  Inhalt   erstattet.1)      So  stellt 
x598  (44  414  bis  1516)  ein  des  Ehebruchs  beschuldigter  Frank- 
furter Weissgerber  in  einer  Schrift  von  37  Blättern  10  Rechts- 
fragen und  fügt  abschriftlich  viele  Anlagen  bei  mit  der  Bitte, 
„die    Rechtsfrage    zu    untersiegeln,    unterschreiben     und    wo 
möglich  zurückzuschicken,  damit  er  dieselbe   nebst  dem  Ur- 
theil  vorlegen    könne   und    die  Widersacher  nicht  vorgeben 
möchten,  dass  ich  ungleichen  und  un wahrhaftigen  Bericht  ge- 
thanu.      Die    Brandenburger    erwidern,    die    Rechtsfrage    zu 
unterschreiben  und  sammt  den  Beilagen  zurückzusenden  sei 
auf  diesem  Schöppenstuhl  nicht  bräuchlich,  sondern  sie  werde 
zur  Nachrichtung  (in  Brandenburg)   behalten  und   (hier)  bei- 


burg  Recht  geholt  hat,  zur  Begründung  seiner  Bitte  um  Aktenrücksendung 
hervor,  die  —  in  Magdeburg  übliche  —  Rucksendung  biete  den  Vortheil, 
dass  die  Akten  im  Falle  einer  „Appellation  an  den  Kurfürsten**  in  die 
kurfürstliche  Kanzlei  geschickt  werden  könnten.  Ebenso  1551  (1  283)  der 
Hauptmann  von  Ruppin,  und  ohne  Angabe  eines  Grundes  1552  (4  220)  das 
Stadtgericht  Prenzlau,  1553  (5  30.  101)  das  Stadtgericht  und  der  Landrichter 
zu  Perleberg,  1557  (6  315.  217.  14.  319.  110.  356.  42)  derselbe  Landrichter. 
das  Stadtgericht  Pritzwalk,  der  Richter  zu  Putlitz,  das  Stadtgericht  Berlin, 
das  Stadtgericht  Wrietzen  und  das  Stadtgericht  Stendal.  Das  Stadtgericht 
Osterburg    belässt   noch   1552  (4  262)  die  Akten  in  Brandenburg. 

])  In  Leipzig  blieben  anfänglich  die  eingesandten  Akten  ebenfalls  beim 
Schöppenstuhl,  sie  sind  aber  nicht  —  wie  in  Brandenburg  —  den  Konzept- 
buchern  einverleibt.  Dass  die  Akten  in  älterer  Zeit  zurückbehalten  wurden, 
ergiebt  sich  aus  folgenden  Umständen:  1.  Eine  Missive  von  1510  (Bd.  2 
fol.  158  v)  übersendet  „Läuterungsschriften  zweier  Parteien  sammt 
etlicher  Kundschaft"  und  bittet,  die  Kundschaft  (also  nicht  die  Läuterungs- 
schriften) den  Konsulenten  „widder  zu  banden  zu  stellen44.  2.  Der  dritte 
Band  enthält  oft  unter  dem  Spruche  die  Bemerkung  „acta  sunt  remissa". 
Das  entspricht  dem  Verfahren  in  Brandenburg,  wo  ebenfalls  um  1550  die 
Rucksendung  üblich  wird. 


§  35«     Missiven  und  Akteneinrichtung.  461 

gelegt  (d.h.  aufbewahrt).  Wohl  aber  wird  1577  (18  84) l) 
und  1602  (48  479)  zugelassen,  Abschrift  der  Rechtsfrage  zu 
ertheilen  und  mit  dem  Schöppensiegel  zu  bekräftigen. 

Ausser  dem  Einsendungsschreiben  pflegt  man  Urkunden- 
abschriften, namentlich  aber  in  Strafsachen  die  Urgicht  (d.  h. 
das  nach  stattgehabter  Folter  abgelegte  Geständniss  des  Ange- 
schuldigten) zurückzubehalten.2)  Dem  entsprechend  bescheidet 
man  1614  (ÜB.  2  515)  Bürgermeister  und  Rath  zu  Stendal:  „beim 
Brandenburger  Schöppenstuhl  würden  wie  bei  anderen  Stühlen 
und  bei  den  Fakultäten  in  Prozesssachen,  so  auf  Instanz  der 
Parteien  ventilirt  werden,  die  Akten  im  Original  zurück- 
gesandt, in  Inquisitions-  oder  informativis  processibus  aber 
verwahrlich  behalten.*4  Nicht  in  voller  Uebereinstimmung 
hiermit  lässt  [634  (75  530)  der  altstädter  Senior  Chueden 
Beamten  in  Cöln,  die  anfragen,  weshalb  die  in  einem  Straf- 
falle eingesandten  Akten  nicht  zurückgelangt  seien,  durch 
den  Schöppenschreiber  eröffnen,  die  Rücksendung  sei  unter- 
blieben, weil  sie  nicht  verlangt  sei  und  man  die  Akten  für 
Abschriften  gehalten  habe. 

Durch  die  Aktenrücksendung  mindert  sich  im  Laufe  der 
Zeit  erheblich  das  beim  Schöppenstuhl  sich  sammelnde 
Material.  Während  aber  ursprünglich  die  in  den  uns  er- 
haltenen Bänden  sichtbare  Thätigkeit  des  Schöppenstuhls  sich 
auf  das  wenige  Zeilen  umfassende  Spruchkonzept  beschränkt, 
das  meist  auf  die  —  abgesehen  von  der  Adresse  —  leere 
letzte  Seite  des  Berichts  gesetzt  wird,  wächst  mit  der  sich 
mehrenden  Schreiblust  von  der  zweiten  Hälfte  des  sechzehnten 
Jahrhunderts    an    der  Aktenstoff   des  Schöppenstuhls    durch 

1)  Roter  bemerkt  unter  dem  Spruchkonzept:  „Die  missive  und  zu- 
gehörige copeien  wiederzuschicken,  ist  nicht  gebräuchlich.  Wollen  sie 
abschriften  davon  haben,  so  können  ihnen  dieselben  um  die  gebühr  mit- 
getheilt  werden".      Vgl.  ÜB.  4  167. 

2)  Unier  einem  Spruchkonzept  bemerkt  1598  der  altstädter  Schöppe 
Bluhm :  „Die  ehestiftung  wird  wieder  zurückgesandt,  weil  es  das  original'4 
(4a  445).  Derselbe  Schöppe  legt  1591  (33  305)  der  Spruchreinschrift  einen 
Zettel  bei:  „Ob  auch  wohl  sonst  nicht  bräuchlich,  dass  man  die  urgicht 
und  dergl.  akten  wiederumb  zurückschicke,  sondern  zur  nachrichtung  bei- 
gelegt werden,  so  haben  wirs  doch  uf  euer  bitte  zu  diesem  mahle  dem 
boten  wieder  zustellen  lassen*4. 


462  6-  Buch.    Verfahren. 

gutachtliche  Bemerkungen  seiner  Mitglieder  und    dann  durch 
Aufnahme  von  Entscheidungsgründen  allmählich  zur  ^  Relatfocr 
mit  einem  „Status  eausae"  und  mit  breiter  Entwicklung  der 
rationes  dubitandi  et  decidendi  an.     So  kommt    es,     dass  dit 
Schlussbände  unserer  Akten  innerlich  gerade  umgekehrt  sich 
gestaltet  haben,  wie  die  Anfangsbände.     Was  die   Anfangs- 
bände anschwellen  macht,  sind  die  von  auswärts  eingesandtes 
Aktenstücke,  auf  deren  eines  der  Schöppenstuhl  seinen  kurz- 
gefassten   Spruch    niederlegen   lässt.     Die  Schlussbände  da- 
gegen   werden    gefüllt    durch   langathmige    Relationen    der 
Schoppen;  das  von  aussen  kommende,  in  den  Bänden    ent- 
haltene   Material    besteht    lediglich   aus   den   kurzgefassten. 
je    kaum    eine  Seite    füllenden  Uebersendungsschreiben    der 
Anfragenden.     In    der   letzten    Periode    des    Schöppenstuhls 
sendet  man  vielfach  sogar  die  Missiven  zurück  und  behält  sie 
nur  auszugsweise  oder  abschriftlich  bei  den  Schöppenstuhls- 
akten.1) 

Die  einer  mittleren  Periode  angehörigen  Bände  zeigen 
die  Eigentümlichkeit,  dass  vielfach  ein  einzelnes  Blatt  der- 
selben den  gesammten  uns  erhaltenen  Stoff  eines  Rechts- 
streites darstellt.  Das  Blatt  ist  die  Missive,  auf  deren  leeren 
Raum  das  Konzept  des  Belehrungsspruches  gesetzt  ist;  die 
erstinstanzlichen  Akten,  welche  die  Anlage  der  Missive 
bildeten,  sind  remittirt. 

Solche  Spruchkonzepte  tragen  weder  Data,  noch  Unter- 
schriften, auch  unterlassen  sie,  im  Eingang  die  Namen  der 
Mitwirkenden  anzugeben.  Ebenso  verfahren  bis  zur  Auf- 
hebung des  Schöppenstuhls  die  von  ihm  ausgegangenen 
Spruchreinschriften.  Nach  aussen  hin  ersetzt  das  Siegel  die 
Unterschrift.  Für  den  inneren  Geschäftsgang  des  Schöppen- 
stuhls genügte  das  von  der  Hand  eines  der  Schoppenschreiber 
oder  der  Schoppen  gefertigte  Spruchkonzept,  bei  welchem 
nur  in  seltenen  Fällen  ein  oder  das  andere  Mal  sich  die 
Notiz  findet,  es  sei  abgegangen.  Wurden  diese  Konzepte 
auf  die  Missiven  geschrieben,  so  hatte  der  Schöppenstuhl 
dazu  keinerlei  Papier  zu  verwenden;  er  war  lange  Zeit   hin- 

*)  Z.B.  1726  (84280),  1721.  173a  1736.  1739.  1743.  1777.  1806  (ÜB. 

a  754.  767.  3  209.  212.  218.  227.  2  778). 


§  36-     Eingang  der  Schöppensachen.  463 

durch  eine  Spruchbehörde,   deren  Papierbedarf  sich  auf  die 
Ausfertigung  ihrer  Sprüche  beschränkte. 

Dann  kam  eine  Zeit  —  von  etwa  1560  an  — ,  in  der  es 

üblich  wurde,    dass    der    eine   oder    andere  der  stimmenden 

Schoppen  zur  Kenntnissnahme   für   seine  Mitschöppen  einen 

Zettel  kleinsten  Formates  beilegte,  auf  welchem  er  —  oft  in 

Briefform  —  seine  Rechtsansicht  äusserte   (ÜB.  1  267.  268). 

Der  Zettel  wurde  nach  Abgang  der  Akten  und  des  Spruches 

in    die  zusammengefaltete  Missive    gelegt    und   ist   so  Theil 

unserer  Schöppenstuhlsakten   geworden.1)     Auf  dem   Zettel 

äusserten   sich    zu    Zeiten    noch   weitere  Kollegen,    oder  sie 

fügten  dem  einen  Zettel  einen  weiteren  Zettel  bei.    Zuweilen 

sind  auch  derartige  Vota  auf  die  Missive  gesetzt.    Allmählich 

finden  sich  auf  den  Zetteln  oder  auf  den  Missiven  ganz  kurze 

Abstimmungen  der  Schoppen,   mit  den  Anfangsbuchstaben 

ihrer  Namen  unterzeichnet,  bis  schliesslich  —  im  achtzehnten 

Jahrhundert  —  sämmtliche  Mitwirkende  das  Urtheilskonzept 

mit  voller  Namensunterschrift  versehen. 

Durch  die  Heranziehung  jener  Zettel  und  der  auf  den 
Missiven  befindlichen  Vota  ist  es,  nachdem  das  Personal  der 
Schöppenschreiber  und  Schoppen,2)  namentlich  aber  deren 
Handschriften  festgestellt  waren,  gelungen,  von  dem  Ver- 
fahren des  Schöppenstuhls  ein  klares  Bild  zu  erhalten.  Erst 
dadurch,  dass  sich  in  die  todten  Blätter  hinein  die  Menschen 
versetzen  liessen,  denen  die  Blätter  ihre  Entstehung  dankten, 
gewinnen  die  Blätter  Leben. 

§36. 

Eingang  der  Schöppensachen. 

Ist  nunmehr  der  Gang  des  Verfahrens  beim  Schöppen- 
stuhl  des  Näheren  darzulegen,  so  bleibt  die  vor  dem  Beginne 
der  Schöppenstuhlsakten  liegende  Zeit  ausser  Betracht,  in 
welcher  noch  die  erstinstanzlichen  Schoppen  selbst  als  An- 
fragende vor  dem  Oberhof  erscheinen;  wir  versetzen  uns 
alsbald  in  diejenige  Zeit,  in  welcher  das  Verfahren  damit 
begann,  dass  ein  Bote  die  Anfrage  mit  oder  ohne  Akten 
als  versiegelten  Brief  oder  versiegeltes  Packet  überbrachte. 

l)  Ein  solches  Beispiel  s.  ÜB.  2  367.  ')  Siehe  oben  S.  88  ff. 


464  6.  Buch.    Verfahren. 

Die  denkbar  einfachste  Art,  in  welcher  ein  Gericht 
Brandenburger  angehen  konnte,  war,  das  es  die  itun  ein 
gereichte  Parteischrift  nach  Brandenburg  schickte,  indem  es 
nur  die  Adresse  abänderte.  So  geschah  es  1528  (1  76;  rai: 
einer  dem  Stadtgericht  Neuruppin  eingereichten  Schrift,  h 
der  die  Erben  eines  verstorbenen  Ehemannes  um  gütliche 
Erbauseinandersetzung  mit  der  Witwe  bitten  und,  wenn  die 
Güte  nicht  zu  Stande  käme,  erklären,  „rechtliches  Krkennt- 
niss  leiden  zu  wollen".  Abschrift  hiervon  sendet  nach  einigte 
Tagen  das  Stadtgericht  —  wahrscheinlich,  nachdem  der  Güte- 
versuch misslungen  War,  —  nach  Brandenburg,  und  hier  wird, 
als  läge  die  Bitte  um  gütliche  Verhandlung  gar  nicht  vor, 
„eine  Rechtsbelehrung  Brandenburgischen  Rechtes  auf  diV 
eingeschickte  Rechtsfrage**  ertheilt. 

In  einer  anderen  Sache  geben  1530  (1  134)  Richter  und 
Schoppen  zu  Prenzlau  den  Grund,  weshalb  sie  Rechtsbe- 
lehrung erbitten,  dahin  an,  dass  sie  zwar  die  Prozessschriften 
„übersehen  und  überwogen  hätten,  aber  nicht  sinnreich 
wären,  darauf  Recht  zu  sprechen".  Es  kommt  auch  vor 
(1539:  2  717  in  Spandau),  dass  in  einer  vor  Richter  und 
Schoppen  anhängigen  Sache  Bürgermeister  und  Rath  als 
höhere  Instanz  „in  beschlossener  Sache  um  das  Urtheil  voo 
den  Parteien  angelangt"  werden  und  ihrerseits  ohne  Partei- 
antrag sich  nach  Brandenburg  mit  der  Bitte  wenden:  .uns 
des  Rechten  zu  belernen  und  das  Urtheil  auf  unsere  Kosten 
anfertigen  zu  lassen,  damit  sich  kein  Teil  zu  beklagen  habe. 
dass  wir  ihnen  Rechts  zu  verhelfen  nicht  gesinnet  wären*. 

Ueber  Erbtheilungen  wird,  ehe  es  zum  Prozesse  kommt, 
häufig  behufs  gütlicher  Auseinandersetzung  vor  dem  Rathe 
der  Stadt  verhandelt.  Ist  der  Rath  dabei  über  eine  Frage 
des  Erbrechts  in  Zweifel,  so  fragt  er,  „damit  sich  die  Freund- 
schaft unter  einander  vergleiche",  um  Rechtsbelehrung*  an.1) 
Der  Oberhofsspruch  sollte  also  zur  Förderung  eines  Ver- 
gleichsabschlusses dienen. 

Richter  und  Schoppen  zu  Gardelegen  beschliessen  1557 
(6  457),   dass  die  Streittheile  sich  bis  zum  nächsten  Gericht 

l)  Ein  Fall  dieser  Art  ereignete  sich  1551  (4  31)  beim  Rathe  in 
Mittenwalde. 


§  36.     Eingang  der  Schöppensachen.  465 

vergleichen  sollen,  wo  nicht,  sollen  die  Gerichtsfrieden l)  und 
Zeugnisse  zusammengefasst  und  auf  ihre  Kosten  nach  Branden- 
burg versandt  werden;  Richter  und  Rath  zu  Perleberg  bitten 
X558  (6  527)  in  einem  „vor  ihnen  zu  Recht  erwachsenen  und 
h>is    zum  Beschluss  prozedirtentt  Rechtsstreit   um  Belehrung; 
die  Beamten  zu  Wittstock  übersenden  1562  (9  292)  das,  was 
vor   ihnen  die  Parteien  „zu  Recht  verfasst*,    und    bitten    in 
Brandenburg,  nachdem  die  Parteien  zum  Urtheil  beschlossen, 
„ein    rechtmässiges   Urtheil   zu   sprechen".      Man  sieht  hier 
bereits,  dass   die   Aktenversendung   erfolgt,    ohne   dass    ein 
Parteiantrag  oder  die  Zustimmung  der  Parteien  für  nöthig  er- 
achtet wird.    Solche  Aktenversendung  von  Amtswegen  mag 
noch  mehr  in  Gebrauch  gekommen  sein,  seit  alle  peinlichen 
Urtheile  in  Brandenburg  erbeten  werden  mussten.2) 

Noch  1721  (81  226)  finden  wir,  dass  in  Civilsachen  das 
Gericht  (die  Schleswig-Holsteinische  Kanzlei  zu  Quedlinburg) 
„ex  officio4*  um  Sentenz  ersucht  und  zugleich  um  Erkennt- 
niss,  ob  beide  Theile  die  Transmissionskosten  zu  tragen 
hätten.  Einigen  sich  die  Parteien  über  die  Aktenversendung, 
so  fällt  jeder  die  Hälfte  der  Kosten  zur  Last;  doch  kommt 
es  vor  (1588:  30  493),  dass  nach  solcher  Einigung  die  eine 
Partei  durch  Nichterlegung  ihres  Kostenantheils  die  Akten- 
versendung auihält  und  „sich  untersteht,  für  sich  in  Branden- 
burg Belehrung  zu  erbitten41,  was  das  einsendende  (Berliner) 
Gericht  rügt,  in  der  Hoffnung,  es  werde  „mehr  auf  die 
Gerichtsakten  als  auf  das  Privatschreiben  der  Partei  ge- 
geben werden".  Auch  getrennt  für  sich  bittet  jede  Partei 
um  Belehrung,  entweder  hinter  dem  Rücken  der  anderen 
(1540:  3  171;  1597:  41  565.  582)  oder  nach  vorgängiger  Ab- 
rede, „dass  den  Fall  jeder  Theil  nach  Brandenburg  berichte 
und  sich  an  dem  dort  erfolgenden  Ausspruch  genügen  lasse" 
(1567:  11  238),  —  eine  Reminiscenz  an  die  ursprüngliche  Art 
jeder  Einleitung  eines  Prozesses  durch  Vertrag.3)  Der 
klagende  Theil   für   sich  allein  verlangt  und  erlangt  Akten- 

*)  d.  h.    die   unter  dem  Frieden   des  Gerichts    gepflogenen  Verhand- 
lungen und  gefassten  Beschlüsse. 
a)  Siehe  oben  S.  305. 
3)  Siehe  oben  S.  338. 
Stolz  ei.  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    1.  30 


4(j()  6.  Buch.    Verfahren. 

einsendung  beispielsweise  1528  (1  79),  1538  (3  169)  und  155" 
(6  581),  wie  1730  (86  56);  in  dem  Falle  von  1538  spridr 
der  Kläger  am  Schlüsse  seiner  beim  Stadtgericht  Steoda. 
eingereichten  Schriften  davon,  dass  „die  acta  gegen  Brandes- 
burg, wie  ge wohnlich,  eingeschickt"  würden;  in  dem  Falk 
von  1730  bezeichnen  es  die  Urtheilsgründe  als  „bekannt,  dass, 
wenn  ein  Theil  pure  submittirt,  der  andere  aber  die  senteo- 
tiam  extraneam  verlangt,  derselbe  die  Transmissiooskostcc 
allein  tragen  mussu. 

Damit,  dass  eine  Prozesssache  von  auswärts  für  des 
Schöppenstuhl  in  Brandenburg  einging,  wurde  sie  dort  *j 
einer  ,,Schöppensacheul)  (im  Gegensatze  zu  einer  beim  Geriete 
der  Einzelstadt  anhängigen  Rechtssache  oder  zu  einer  beim 
Rathe  der  Einzelstadt  zu  verhandelnden  Rathssache).  Axf 
naturgemässesten  wären  solche  Schöppensachen  im  Schöppec- 
hause  abzugeben  gewesen,  aber  das  Schöppenhaus  haue 
keinen  ständigen  Bewohner,  es  diente  nur  für  die  Sitzung« 
der  vereinten  Schoppen  beider  Städte,  und  vor  dieser  Ver- 
einigung war  für  die  beim  Oberhof  der  Altstadt,  wie  ffi: 
die  beim  Oberhof  der  Neustadt  anzubringenden  Fragen  das 
Rathhaus  jener  und  dieser  Stadt  die  richtige  Stelle  gewesen 
An  dieser  Sitte  sollte  auch  nach  Vereinigung  der  beiden 
Gerichtsstühle  zum  einheitlichen  Schöppenstuhl  beider  Städte 
nichts  geändert  werden.  Darum  schreibt  Bürgermeister  und 
Rath  zu  Spandau  1529  (ÜB.  1  112)  an  Bürgermeister  und 
Rath  beider  Städte  Brandenburg,  der  Schöppenstuhl  werde 
vom  Rathe  der  Neustadt  die  eingesandten  Akten  ifl 
einer  Zaubereisache  empfangen;  die  Stadt  Spandau  bat  also 
die  Neustadt  Brandenburg,  die  ihr  zugegangenen  Akten  aß 
den  Schöppenstuhl  gelangen  zu  lassen.  Und  die  Rathe  za 
Halle   adressiren   1579  (21  305)  ihre  für  den  Brandenburger 

')  Vgl.  den  Schoppen eid  oben  S.  329.  „Es  ist  mir  gestern  die 
Schoppen sache  zugeschickt  worden14,  schreibt  1703  (80  178)  der  Senior 
Müller. 

')  Als  1597  (41  357)  Altstädter  Schoppen  unterwegs  nach  Berlin  ein« 
Boten  mit  Rechtsfragen  antreffen,  schreiben  sie  an  den  Neustadter  Sub- 
senior  Storbeck:  „Auf  unser  reise  .  .  .  hat  uns  der  böte  mit  den  rechts- 
fragen,  so  euch  behändigt  werden,  angetroffen". 


§  36«     Eingang  der  Schöppensachen.  467 

Schöppenstuhl  bestimmten  Akten  an  den  Neustädter  Bürger- 
meister Karpzow,  „abwesens  von  Bürgermeister  Iden  zu  er- 
brechen", sie  nahmen  mithin  ebenfalls  die  Neustadt  und  zwar 
den  Senior  deren  Schöppenkollegs  (Karpzow),  eventuell  den 
Subsenior  (Iden)  in  Anspruch,  um  die  Akten  dem  Schöppen- 
stuhl zu  übermitteln.     Es  blieb  sonach  dem  jeweiligen  Ein- 
sender   oder    —   wenn   der   Einsender   schlechthin   an    den 
Schöppenstuhl   beider   Städte    adressirte  —  dem  Boten  die 
Wahl  frei,  ob  die  für  den  Schöppenstuhl  bestimmte  Sendung 
im  Altstädter  oder  im  Neustädter  Rathhause  abzugeben  sei. 
Der  streng  genommen  allein  legittmirte  Empfanger  war  der 
betreffende  Schöppensenior.  Regelmässig  einer  der  mehreren 
Bürgermeister  hielt  sich  täglich  im  Rathhause  auf.    Ihm  lag  das 
Erbrechen  der  Siegel  jedes  Eingangs  ob.    Da  um  diese  Zeit  ein 
Präsentatum  auf  die  Eingänge  nicht  gesetzt  zu  werden  pflegte, 
ist  aus  den  Akten  nicht  leicht  zu  ermitteln,  in  wessen  Hände 
zunächst   eine   Schöppensache   kam.     Sicher   sind   die  Ein- 
gänge vom  Boten  nicht  immer  persönlich  dem  Senior  über- 
geben, wohl  aber  entsprach  die  persönliche  Uebergabe  dem 
Brauche,  und  es  legte  der  Absender  auf  sie  in  besonderen 
Fällen  Werth.      So   erklärt   sich    aus   der    Wichtigkeit    der 
Sache   z.  B.,   dass   einer    kurfürstlichen  Missive    des   Jahres 
1591  (ÜB.  3  107),    betreffend   die  Entleibung  Abrahams  von 
Bismarck,  ein  Zettel  des  Inhalts  beigefugt  ist:   „dies  packet 
in  folio  soll  bürgermeister  Iden"  (Senior  der  Neustadt)  „oder 
Roter11  (Senior  der  Altstadt)  „überanwortet  werden  und  von 
ihnen  ein    zettelu  (d.  h.  eine  Quittung)  „fodern".      Von    dem 
einen,   wie    dem  anderen  Rathhaus  wurden  dann  die  einge- 
laufenen Sachen  in  das  Schöppenhaus  zur  Sitzung  gebracht. 
Der  Bote  wartete  auf  die  ihm  versiegelt  auszuhändigende 
Ausfertigung  des  Schöppenstuhlsspruches;   daher  die  häufig 
wiederkehrenden,  schon   aus    den    äjtesten  Missiven   ersicht- 
lichen  Bitten   der  Anfragenden,    den  Boten  möglichst  rasch 
zurückzusenden, l)  damit  die  Kosten  nicht  zu  sehr  anwüchsen. 

')  „Bitt,  wollet  den  Boten  nicht  lange  aufhalten",  schreibt  1556(5411) 
der  Hauptmann  von  Leizkau.  BM.  und  Kath  zu  Lob u Tg  bitten  1556,  „den 
Boten  nicht  lange  aufzuhalten*.  Der  Hauptmann  zu  Potsdam  fragt  1560 
{7  230)  über  drei  Gefolterte  an  und  meint,  wenn  die  Br.  andern  Tags  nicht 

30* 


468  6-  Buch-    Verfahren. 

Das  Drängen    des  Boten  bewährte  sich  als  ein  vorzüglich  - 
Mittel,    den   Spruch   des   Schöppenstuhls   zu    beschleunigt:: 
Mannigfach   erfolgte    er  am  Tage  des  Eingangs   der  Sach- 
sehr   vielfach   an  einem  der  nächsten  Tage,1)   bis  allmäh: .- 
aus  den  Tagen  Wochen  und  aus  den  Wochen  Monate  wut 
den,  was  dann  bewirkte,  dass  man  die  Warteboten  abschafrr 
Solange  sie  bestanden,  spielt  das  „  Wartegeld tt  eine  Rolle  r 
der  Kostenrechnung.2)     Sind  die  Akten  „mannigfaltig^  odtr 
wie    es   auch  heisst,  „langweilig44  (d.  h.  umfangreich),  so  b=- 
scheidet   sich   schon    1532  (1  540)    das    anfragende   Geriet' 
z.  B.  das  zu  Bernau  (bei  Berlin),  „dass  das  Urtheil  nicht  \kl  . 
und  eilend  zu  fallen  sei";   darum  wird  gebeten,   das  Urthc 
den  Bernauer  Bürgern  mitzugeben,  die  acht  Tage  spater  dtn 
Brandenburger   Markt   besuchen.     Klagen    über   Säumigktr 
der  Brandenburger  begegnen  höchst  selten  und  erst  aus  (kr 
jüngeren  Zeit.     Man   arbeitete  in  Brandenburg   sehr  fletssi: 
In  Leipzig  hatte  schon  1556  der  Kurfürst  Anlass   zu   rüge:, 
dass    die  Boten  dort  „acht,    vierzehn  Tage,  Monatsfrist  un: 
mehr  Wochen  liegen  müssen";    er  verlangte,  den  Schöpper- 
stuhl   stattlich    und   wohl  zu  bestellen.3)     Noch   1579  (2159 
ergeht  in  Brandenburg  der  Spruch  in  einer  Erbschaftsange- 

zusammenkommen  könnten,  sei  die  Belehrung  nicht  zu  verschieben,  .m 
die  drei  schon  lange  auf  seiner  Amtsverwandten  Unkosten  gesessen";  e> 
handelte  sich  um  Tod  esurt  heile. 

')  Auf  eine  zu  Tangermünde  am  7.  Okt.  1554  datirte  Anfrage  in  eim~ 
Streite  um  Erbrecht  ergeht  der  am  9.  Okt  signirte  Spruch  (5  234);  A> 
frage  aus  Wrietzen  d.  d.  Sonntag  Exaudi  1557  (6  357),  Spruch  d.  d.  Mitt- 
woch nach  Exaudi.  Sieben  Urtheile  erwirkt  1567  (U  279)  eine  Anfragefide 
binnen  zwei  Tagen.  Die  letzte  Brdb.  Sache  ging  am  7.  Aug.  1806  ein  u*i 
am  29.  März  1807  ab  (ÜB.  a  779,  785).     Vergl.  auch  oben  Seite  446. 

a)  Z.  B.  Manual  Cod.  Neustadt  Br.  22.  1683.  4  Thlr.  12  gr.  Urtbek- 
gebühr,  Botenlohn  und  Wartegeld  für  H.  L.,  als  er  die  Inquisitionalakteo 
gegen  .  .  .  nach  Wittenberg»  tragen  müssen.  Kämmereirechnung  Cod. 
Neust.  Nr.  27.  1689.  3  Thlr.  8  gr.  eingeholtes  Urtehl  von  Wittenberg  mit 
Botenlohn  und  Wartegeld;  Nr.  43.  1698  .  .  .  Wartegeld  vor  zwei 
Tage;  Nr.  44.  1699  ...  Botenlohn  und  Wartegeld.  Einem  Wolgastcr 
Boten  bescheinigen  1566  (10  553)  die  Br.,  dass  er  „fünf  Tage  alhier  ge- 
legen*4, einem  Aiendseher  Boten  bescheinigt  1600  der  Senior  (46  345),  dass 
er  „Montags  Nachm.  2  Uhr  angekommen  und  bis  auf  Mitwoch  aufgebalten*. 

3)  Distel  in  der  Ztschr.  der  Savigny-Stiftung  Bd.  7  Abt.  2  S.  104. 105. 


§  $6.     Hingang  der  Schöppensachen.  469 

legenheit  auf  eine  vom  Sonntag  nach  Latare  datirte  Anfrage  am 
Tage  darauf.    Indess  wird  es  zu  dieser  Zeit  auch  in  Branden- 
burg schon  üblich,  eine  Frist  für  Abholung  des  Urtheils  zu  be- 
stimmen.  Auf  eine  Anfrage  vom  Anfang  April1)  1579  (21  307) 
erhält  das  Halsgericht  zu  Herzberg  den  Bescheid,  es  könne 
das  Urtheil   „ Ausgang   der  Osterfeiertage   abholen   lassen"; 
da  Ostern  1579  auf  den  19.  April  fiel,  betrug  die  Frist  etwa 
zwei  Wochen.     Der  Administrator  des  Stifts  Halle  will  1584 
(25  316)    „in  drei  Wochen"    die  Antwort    auf  seine    Fragen 
holen  lassen.     Dem  antworten  die  Brandenburger   1585  (25 
495)i  erst  drei  Wochen  später,  als  er  angegeben  habe,  könne 
das  Urtheil,    das   er  verlange,  fertig  sein.     So  bürgert  sich 
die   Sitte    ein,    dem  Boten  ein  Recepisse  über  den  Eingang 
der    Akten    unter   Bezeichnung    des   Tages    mitzugeben,    an 
welchem    er    den   Spruch    abholen    könne. 2)     Während  des . 
dreissigjährigen  Krieges  mindert  sich  einerseits  die  zwischen 
Missive  und  Spruch  liegende  Zeit  (1627  ff.:  73  133.  134)  auf 
drei  bis  vier  Tage;  andererseits  verzögert  sich  die  Zeit  bis 
zur  Abholung   des  Spruchs    auf  Jahre.3)     Im  Mai   1628  (72 
576)  ist  es  den  Schoppen  „unmöglich,  ein  Stündlein  zusammen 
zu    kommen",    es   möge    „in  8  oder  10  Tagen"   ein  zweiter 
Bote  gesandt  werden.     Als  Anfang  November  1633  (75  173) 
der  Herzog  Bogislav  von  Altstettin   eine   Rechtsfrage  stellt, 
theilt  er  mit,  er  wolle  die  Akten  durch  den  Botenmeister  zu 
Berlin  abholen  lassen ;  wegen  Gefährlichkeit  und  Unsicherheit 
der   streifenden    Soldaten    habe    er   die  Akten   durch   einen 
Boten  nicht  abholen  lassen  können;   man  könne  keine  Meile 
Weges   sicher   reisen  und  werde  von  den  eigenen  Soldaten 


*)  Der  Tag  ist  nicht  angegeben. 

2)  1584  (25  278);  1585  (a6  176.  427);  1586  (27  291):  „Auf  den  Montag 
nach  Trium  Regum  87  die  Akta  und  Urteil  abzuholen  bestimmt**);  1589 
(31 5*6):  «Der  Bote  soll,  da  er  jetzt  nicht  gefördert  werden  kann,  über 
8  Tage  .  .  .  wiederkommen14);  1592  (3692):  „soll  in  drei  Wochen  als 
Sonnabends  post  purif.  Mar.  abgefordert  werden";  1604  (51511):  „ein- 
kommen  (Montag)  3.  Dez.,  künftigen  Sonnabend  wieder  abzuholen.14  Auf 
Missive  vom  15.  Febr  1591  soll  der  Spruch  am  3.  März  abgeholt  werden 
(ÜB.  4  107). 

*)  BM.  und  Rath  zu  Seehausen  (bei  Stendal)  lassen  wegen  des  Kriegs 
eine  1626  eingesandte  Liquidationssache  erst  1630  abholen  (73  $35). 


470  6-  Buch.    Verfahren. 

spoliirt.     Die   Brandenburger  antworten,  sie  hätten  gern  <.'t 
Akten  dem  Botenmeister  zu  Berlin1)  zufertigen    wollen,   c:- 
„feindliche"  (dann  verbessert  in  „kaiserliche")  besorgte  En- 
fall,  vor  dem  fast  Jeder  geflohen,  auch  stetige,  schwere  Eis- 
quartirung  hätten  es  aber  removirt  (28.  Dezember  1633).  h 
Jahre  1648  (78  21)    bestimmt    der  Senior   für   die  Abholer; 
der   Akten   acht  Tage  Frist.     Nachdem  1650   in  Berlin  der 
erste  Postdirektor  geschaffen  war, 2)  wird  allmählich  die  Pc*: 
zur  Besorgung  der  Missiven  benutzt:  eine  Missive  des  Haos- 
vogts  zu  Cöln  von  167 1    (79  471)    trägt    die  äussere   Bemer- 
kung: „Franco  mit  6  gr.u     Von  Kalbe  überbringt   aber  ei: 
eigener   Bote   noch   1706  (80  181)   die   Akten,    und    er  &«" 
warten ;  deshalb  bittet  der  Referent  die  Kollegen,   die  Akxe 
zu  perlustriren  und  wegen  der  Sentenz  andern  Nachmittags 
beim  Senior  zusammenzukommen.  Das  Reglement  vom  26.  Ok- 
tober 1720  (107  59)  ordnet  dann  allgemein  an,  dass  die  Akte - 
Versendung  durch  die  Post  erfolgen  soll.3) 

Mittlerweile  war  der  Schöppenstuhl  in  die  Periode  ge- 
treten, die  sich  durch  die  Umständlichkeit  der  gelieferten 
Arbeiten  kennzeichnete.  Vier  Wochen  nahm  der  Referent 
(17 14:  82  503)  in  Anspruch,  um  seine  Relation  fertig  zu 
stellen.  Daraus  erklärt  sich  das  Formular,  das  sich  seit  172: 
die  Klever  Regierung  für  alle  ihre  Aktenversendungeo 
drucken  liess,  und  das  gedruckte  Erinnerungsformular,  das 
sie  seit  1724  (83  73)  verwendete.4)  Die  Arbeit  des  Schöppen- 
stuhls  mehrte  sich  um  diese  Zeit  und  damit  mehren  sich  auch 
die  monitoria  (1735:  88  208). 5)     Der  König  muss  durch  Ver- 

')  Seit  der  Botenordnung  von  1614  sass  in  Berlin  ein  kor£  Boter- 
meister,  dem  24  Boten  zur  Vermittlung  des  Verkehrs  zwischen  dem  Hör 
und  den  Behörden  unterstanden.  (Daher  noch  die  heutigen  „Botenmeisier* 
und  „Boten"  bei  den  preussischen  Behörden.)  Vgl.  Stephan,  Gesch.  Her 
Preuss.  Post.  1859  S.  12  ff. 

3)  Stölzel,  Rechtsverwaltung  1,  359. 

8)  Mylius  c.  c.  m.  II,  1  Sp.  714.  4)  Siehe  oben  383. 

a)  Oehlschläger  bemerkt  zu  einer  Anfang  Mai  1735  eingegangenen 
Strafsache  im  Juli:  „Die  acta  haben  etwas  aufgehalten  werden  müsset) 
wegen  ihrer  und  derer  vorhergehenden  Weitläufigkeit  und  meiner  sons: 
überhäuften  Arbeit.  Deshalb  ich  mir  künftig,  und  ehe  wir  mehr  Mitarbeit 
bekommen,  nicht  helfen  kann,  wenn  auch  noch  so  viel  monitoria  einlaufen 
sollten". 


§  37-     Behandlung  der  Schoppensachen.  471 

Ordnung  vom  19.  Dezember  1738  von  neuem  die  Frist  für 
Erledigung  der  Anfragen  reguliren.i) 

Als  Cocceji  mit  äusserster  Energie  seine  Reinigung  des 
Richterstandes  betrieb,  gelangten  an  ihn  (1738)  Beschwerden 
des  Generaldirektoriums,  dass  nicht  Alles  beim  Schöppen- 
stuhl  zu  Brandenburg  in  Ordnung  sei;  die  Sachen  währten 
zu  lange.2)  Der  über  die  Besoldung  und  die  Gebuhren  er- 
forderte Bericht  ergab,  dass  48  Sachen  anhängig  waren,  die 
185  Thlr.  Gebühren  eintrugen.  Mit  Rücksicht  auf  die  Zahl 
der  Sachen  fand  Cocceji,  dass  man  mit  dem  Schöppenstuhl 
zufrieden  sein  müsse.  Auf  dieses  Zeugniss  eines  Justizchefs, 
dem  fast  keines  der  ihm  untergebenen  Gerichte  mit  der  ge- 
wünschten Raschheit  arbeitete,  durften  die  Brandenburger 
stolz  sein. 

Seit  Erlass  des  Verbots  der  Aktenversendung3)  minderte 
sich  die  Thätigkeit  des  Schöppenstuhls  erheblich.  Es  konnte 
deshalb  bei  den  wenigen  Aktenversendungen,  die  noch  aus 
den  benachbarten  Kleinstaaten  stattfanden,  wieder  daran  ge- 
dacht werden,  die  Akten  durch  Boten  einreichen  zu  lassen, 
die  auf  das  beantragte  Urtheil  in  Brandenburg  warteten:  die 
Regierung  zu  Dessau  verfuhr  so  beispielsweise  1788  (106  170) 
und  1794  (106  234).  In  letzterer  Sache,  in  der  bereits  die 
Fakultäten  zu  Erfurt,  Frankfurt  und  Marburg  gesprochen 
hatten,  forderte  zehn  Tage  nach  dem  Eingang  der  Schöppen- 
stuhl die  Regierung  auf,  die  Akten  durch  den  Boten  abholen 
zu  lassen;  sie  erhielt  die  Antwort,  der  Bote  müsse  sich  noch 
in  Brandenburg  befinden;  erst  vier  Wochen  später  tauchte 
er  in  Brandenburg  auf  und  empfing  die  Akten.  Als  1795 
(106  247)  dieselbe  Regierung  einen  Spruch  durch  einen  Boten 
erbat,  „welcher  darauf  zu  warten  befehligt"  war,  sandten  die 
Brandenburger  den  Boten  zurück  und  liessen  ihren  Spruch 
drei  Wochen  später  mit  Begleitschreiben  nachfolgen. 

§37. 

Behandlung  der  Schöppensachen. 

Aus  dem  Prinzip  der  Mündlichkeit  des  Verfahrens  folgte, 
dass  über  die  gestellten  Anfragen   die  vereinten  Schöppen- 

*)  Siehe  oben  314.         2)  R.  21  Nr.  9C.  StA.        *)  Siehe  oben  Seite  315. 


472  6.  Buch.    Verfahren. 

kollegien  beider  Städte  mündlich  verhandeln  oder  beschliessen 
mussten.  Dazu  diente,  dass  sie  „zu  Schöppeohaus  kamen" 
oder  „zu  Schöppenhaus  zusammenkamen".  „Sitzungen4*  hatten 
die  Schoppen  niemals;  das  war  ein  zu  Zeiten  des  Schoppen- 
Stuhls  ungebräuchlicher  Ausdruck;  nur  der  Kürze  halber 
wenden  wir  ihn  im  Folgenden  an.  Die  für  die  Sitzungen 
bestimmten  Zeiten  waren  Montags,  Mittwochs  und  Sonn- 
abends, l)  regelmässig  2  Uhr.  Vormittags  gingen  die  Schop- 
pen zu  Rathhaus,  um  die  Raths-  und  Gerichtssachen  zu 
erledigen.  Eine  ähnliche  Einrichtung  bestand  in  Halle;  hier 
giebt  die  Schöppenordnung  von  1584  als  Sitzungstage  Mon- 
tag, Mittwoch  und  Freitag  mit  dem  Zusätze  an,  dass  man 
Nachmittags  wegen  der  anderweiten  am  Vormittag  zu  erle- 
digenden Geschäfte  zusammenkomme. 

Seit  den  zu  Schöppenhaus  Versammelten  nicht  mehr 
mündlich  von  den  Anfragenden  Bericht  erstattet,  sondern 
das  Aktenmaterial  eingesandt  wurde,  ersetzte  den  mündlichen 
Bericht  die  Aktenverlesung.  Zu  dieser  war  ursprünglich 
niemand  Anderes  als  der  Schöppenschreiber  im  Stande. 
Ebenso  war  nur  er  im  Stande,  den  gefällten  Spruch  in  die 
Form  zu  giessen,  in  der  er  den  Anfragenden  schriftlich  zuging. 

Beide  Brandenburger  Schöppenschreiber,  der  altstäd- 
tische, wie  der  neustädtische,  hatten  zu  Schöppenhaus  gegen- 
wärtig zu  sein.2) 

War  es  der  Zweck  der  Schaffung  eines  kombinirten 
Schöppenstuhls  beider  Städte  Brandenburg,3)  die  Einkünfte 

J)  Das  ergeben  einzelne  datirte  Spruchentwürfe  (1578:  90  345.  453; 
1579:  so  569)  und  die  meisten  der  stets  datirten,  in  den  Akten  vorfindlichen 
Spruchreinschriften  (1575:  16412;  1579:  1646;  1583:  1649;  1584:  1650, 
240;  1585:  16  115.  412;  1586:  1746.  73.  92.  153).  Auf  einen  der  Sitzungs- 
tage werden  auch  meist  die  Boten  zum  Abholen  der  Sprüche  bestellt  (1587: 
27  192;  1589:  31516).  In  1590  (33  261)  wird  notirt:  „Datum  aufm  Schep- 
penhause  Br.  Montag  post  Jacobi".  In  1560(8230)  bittet  der  Hauptmann 
auf  Potsdam  sub  dato  ,, Freitag'4  nach  Andrea:  „da  ...  ihr  morgen  nicht 
zusammenkommen  könntet  etc." 

2)  Das  schliefst  nicht  aus,  dass  sie  ausnahmsweise  einmal  fehlen:  1615 
(64  547)  schreibt  der  Neustädter  Senior  Floring  unter  die  Missive  den  in 
der  Sitzung  gefassten  Beschluss,  „weil  kein  Scheppenschreiber  ankommen'1. 

*)  Siehe  oben  267. 


§  37*     Behandlung  der  Schöppensachen.  473 

des  Schöppenstuhls  gleichmässig  unter  beide  Städte  zu  theilen, 
so    musste  dies  auch  zu  einer  gleichmässigen  Theilung  der 
Arbeit  führen.    Für  die  Schoppen  ergab  sich  diese  Theilung 
von  selbst,  wenn  in  ihrer  gemeinsamen  Sitzung  von  einem 
der  Schöppenschreiber  jede  Sache  verlesen   und    dann  dar- 
über abgestimmt  wurde.   Jeder  anwesende  Schöppe  hatte  an 
dieser   Thätigkeit   gleichen    Antheil,    also    auch    mit    Recht 
einen  gleichen  Anspruch  auf  eine  Quote  des  für  die  Sachen 
der  einzelnen  Sitzung  erwachsenen  Schöppengeldes.    An- 
ders   lag   die  Sache  bei   den  Schöppenschreibern.     Nur 
einer    von    ihnen    konnte    die  einzelne  Sache  verlesen,    nur 
einer  den  beschlossenen  Spruch  ausfertigen,    sei    es  in  der 
Sitzung,1)  während  sein  Kollege  die  nächste  Sache  zur  Ver- 
handlung  brachte,    sei  es  nach  der  Sitzung,    wenn  während 
der  Sitzung  die  nöthige  Zeit  fehlte.    Eine  gerechte  Theilung 
der   für    die    Sachen    der    einzelnen    Sitzung     erwachsenen 
Schreibgebühr    war   nur    möglich,    wenn    alternirend  die 
eine  Sache  dem  Schreiber  der  Altstadt, .  die  andere  dem  der 
Neustadt   zur   Erledigung   zufiel.     Verreiste    der   Schöppen- 
schreiber,   dem    die  Ausfertigung  eines  Spruches  zugefallen 
war,    in  Amtsgeschäften,  und  wurde  dadurch  bewirkt,    dass 
der  Wartebote  einen  übergebührlichen  Aufenthalt  erfuhr,  so 
kam  es  vor,  dass  ihm  die  Schoppen  eine  Bescheinigung  mit- 
gaben, gegen  deren  Vorlage  er  später  das  Urtheil  sollte  ab- 
holen können.2). 

Diese  gleichmässige  Vertheilung  der  Sachen  unter  die 
Schreiber   konnte    erst   in   der  Sitzung  stattfinden;    denn  es 

')  1697  (79  7<>3)  notirt  der  Sch.Schreiber  auf  seinem  Spruchentwurf: 
„Dies  urtheil  ist  dato  (21.  Aug.)  aufm  seh. hause  abgefasst  und  per  ma- 
jora  also  beliebet." 

*)  1587  (2959):  „Briefzeiger  hat  den  hn.  scheppen  die  nachständige 
4  thlr.  .  .  .  überantwortet,  und  obwohl  vorlängst  darauf  gesprochen,  so  ist 
doch  der  schöppenschreiber,  dem  solches  coneept  zu  fertigen  zugestellt, 
Über  land  verreist,  das  man  also  des  urteils  nicht  mächtig  werden 
können;  weil  aber  der  böte  bis  auf  seine  ankunft  zu  warten  sich  be- 
schwert, ist  ihm  dieser  zettel  dergestalt  mitgeteilt,  das  in  der  nächst- 
folgenden zeit  auf  erfordern  gegen  Überreichung  dieses  schriftlichen  Scheins 
gedachte  acta  beneben  den  urteilen  dem  hn.  landrichter  (der  Priegnitz) 
zugefertigt  werden   sollen.     Sign.  Brandenburg  montags   post  Kiliani  1587. 

Scheppen  beider  st.  Br." 


474  <>.  Buch.    Verfahren. 

stand  ja  jedem  Konsulenten  frei,  ob  er  seine  Anfrage  bei  (kr 
Altstadt  oder  der  Neustadt  einbringen  wollte;  der  Eingang 
der  Sachen  konnte  also  deren  gleichmässige  Vertheflung  rricr 
herbeifuhren.3) 

Demgemäss  wurde  erst  nach  gefasstem  Beschlüsse  d:t 
eine  Sache  eine  neustädter,  die  andere  eine  altstädter  oder 
umgekehrt,  und  so  bildete  sich  ein  neustadter,  wie  ein  alt- 
städter Aktenbestand,  deren  jeder  die  Hälfte  der  in  gemein- 
samer Sitzung  erledigten  Sachen  umfasste.  Also  bestimm:- 
sich,  ob  eine  Sache  Theil  der  altstädter  oder  der  neustädter 
Akten  wurde,  durch  die  Stelle,  von  welcher  der  Spruch  b 
die  Aussenwelt  gelangte,  nicht  durch  die  Stelle,  bei  welcher 
der  Konsulent  die  Sache  einreichte;  die  Ausgangs-,  nick: 
die  Eingangsstelle  war  das  Maassgebende.4) 

Seit  von  der  zweiten  Hälfte  des  sechzehnten  Jahrhundert 
an  sämmtliche  Brandenburger  Schoppen  lesens-  und  Schreibens 
kundig  waren,    bereitete  sich  eine  naturgemasse  Aenderu^ 
des  Verfahrens  vor. 

Nahe   lag   es,    dass    der  Senior,   an  welchen  Akten  ge- 

3)  Den  Beleg;,  dass  erst  nach  dem  in  der  Sitzung  beschlossenen  Spru>  *«■ 
in  dieser  Sitzung  die  Sachen  alternirend  den  beiden  Schreibern  überwies  * 
wurden,  enthält  eine  Verhandlung  des  Jahres  1652  (78  494)  zwischen  d'-n 
Amtsverweser  zu  Neuruppin  und  dem  Schöppenstuhl.  Der  Amts  verwese: 
hatte  zwei  Schöppensachen  in  einem  Packet  nach  Br.  eingesandt  und  nc- 
derte  sich  demnächst,  dass  er  nur  eine  zurückerhielt;  der  SchÖppenstth 
belehrte  ihn:  „nachdem  die  Sachen  geöffnet,  verlesen,  die  Vota  darüf.' 
kolligirt  und  ein  Schluss  gemacht,  sei  die  eine  Sache  dem  Secrctar  > 
der  Neustadt,  die  andere  dem  der  Altstadt  zugefallen,  das  sei  des 
Boten  gesagt,  er  möge  es  nicht  verstanden  haben  und  sei  weggegangen 
nachdem  er  die  eine  Sache  von  der  Neustadt  erhalten  habe4*.  Aus  diesem 
Verfahren  erklärt  sich  eine  1576  (17  491)  nach  abgehaltener  Sitzung  in  fa 
Akten  niedergelegte  Aeusserung  des  altstädter  Schöppensch reibers  Bardf- 
leben: „Wollte  J.  Heinatz  (der  neustädter  Schöppenschreiber)  diese  sacke 
fertigen  (=  ausfertigen)  und  briefeszeigern  abfertigen,  dann  (=  worauf' 
ich  am  roontag  allhie  (in  der  Altstadt)  ein  urteil  (seil,  in  einer  ander« 
Sache)  dagegen  gefertigt." 

*)  Einen  weiteren  Beleg  dazu  aus  16 14  giebt  folg.  Schreiben  dr> 
Neustädter  Schoppen  Schale  an  den  Altst.  Schöppenschreiber:  „  . .  Werdet 
solche  urtel  .  .  .  aufs  reine  bringen,  die  acta  bei  euch  behalten  uml 
einen  zettel,  das  der  zweite  taler  (nämlich  der  zu  entrichtenden  Gebuhr' 
im  rest  verblieben,  den  urteln  einlegen44  (6351). 


§  37«     Behandlung  Her  Schöppensachen.  475 

langten,   seine  Lesens-  und  Schreibkunde  dazu  verwendete, 
nach  Eröffnung  der  Akten  sich  mit  ihnen  vertraut  zu  machen 
und  sich  eine  Meinung  zu  bilden,  wie  er  in  der  Sitzung  stimmen 
wollte.      Hierüber    schrieb    er   oft   vor    der   Sitzung    eine 
kurze  Notiz  auf  die  Missive.     Er  konnte   aber  auch   in  der 
Sitzung   eine'  ähnliche   Notiz  über   den   gefassten  Beschluss 
auf   die  Missive   setzen.    Derartige  Notizen  finden  sich  zahl- 
reich;   nur  in  seltenen   Fällen  ist  jedoch  feststellbar,  ob  sie 
den  Antrag  ihres  Autors  oder  den  beschlossenen  Spruch 
wiedergeben  sollen.     Wenn  nachweislich  die  Notizen  letzteren 
Zweck  haben,  so  rühren  sie  vielfach  vom  Schöppenschreiber 
her.1)      Den    Beschluss,    dass    wegen   einer    Unklarheit    die 
Missive  zu  ergänzen  sei,  schreibt  1599  (45  602)  der  Senior  in 
die  Akten  und  bemerkt  dabei:  „konzipirt  auf  dem  Scheppen- 
hauseM.      Dass    ein    vollständiges   Spruchkonzept    vor    der 
Sitzung  angefertigt  wird,  ergiebt  1598  (42  535)  die  vom  neu- 
städter Schreiber  unter  sein  Konzept  gesetzte  Notiz:  „Dominis 
consulibus  et  scabinis  oppidi  veteris44  oder  1600  (46  372)  die 
unter  das  Spruchkonzept  nachträglich  gesetzte  Notiz:    „Sen- 
tentionirt  worden   Sonnabends  23.  August".     Einen  fast  un- 
heimlichen Charakter  nehmen  solche  Registraturen  über  ge- 
fasste  Beschlüsse   oder   gestellte  Anträge  an,    wenn  man  in 


1)   Z.B.  1557  (689):    „Ist  gesprochen»    das  der  unsinnige  ersoffene'4 

(d.  h.  ein  ertrunkner  Geisteskranker)  „sein  vaterteil  auf  die  erben  vererbt, 

und    das    die  obrigkeit  dasselbe  zu  beanspruchen   nicht  befugt11;    1566  (10 

224):    „Weil    dies    zwei    ledige   personen,    achten    die    herren    schepen   zu 

einer  belehrung  etc.((;  161 1  (59  181):  „Dominorum  scabinorura  decisio:  der 

angeschuldigte     seines     unerheblichen     vorwandes     ungeachtet    mit     dem 

Schwerte   vom    leben    zum    tode    zu    verrichten"    (Notiz    des    neust.   Sch.- 

Sch reibers,  der    danach    das   Unheil    entwirft,  das  dann    der  Altstadt    zur 

Ausfertigung  zugeht    und    so  Theil  der  altstädtischen  Akten  wird).     Aehn- 

lich    1569  (11   599);    1572    (13   192).      Der    neust.    Subsenior    Zieritz    setzt 

1612  (60  252)   auf  die  Missive    einer  Strafsache   sein  Votum:    „ad   depor- 

tationem",  fügt  dann  aber  —  offenbar  nach  abgehaltener  Sitzung  —  hinzu : 

„plurimi    eo  concludunt,    ut  clausuletur  sententia:    wofern  ihre  kf.  g.  nicht 

begnadigen  wollten,    solle  der  angeschuldigte  mit  dem  Schwerte  verrichtet 

werden".    Aehnlich  161 2  (59  333).    Hierhergehören  auch  die  kurzen  Notizen, 

wie:    „Quod  sicu    (1562:  9  280),  „Ut  petitur"    (1562:  9  107),    „Sind    gleich 

nahe1'  (nämlich  als  erbberechtigt)  (1558:  7  162),   „Nehmen   das  in  stirpes" 

(1572:  1372),    „Soll  die  Injurie  inner  Rechtsfrist  erweisen"    (1608:  5694). 


476  6.  Buch.    Verfahren. 

den  wichtigsten  Strafsachen,  zuweilen  am  Tage  des 
der  Missive  oder  an  einem  der  nächsten  Tage,  die   Notiz  de? 
Schöppenschreibers  liest:  „Mit  dem  Schwert  vom  Leben  zur 
Tode  zu  verrichten"    (1565:  9  54;   1572:  13  210),    oder  werr 
man  ein  noch  lakonischeres  „Ad  ignemtt   (1559:  ÜB.  1  35: 
„Subducatur    quaestioni44    (1573:    13  503),      „Dentur    corvis- 
(1609:  58  366),   „Zum  Strange"  (1574:  15  170;    *576'-  ^447 
„Mit  dem  Wasser"  (1576:  16  61 8),  „Ad  golgata  salvo  judickr 
(1583:  23  441),    „Rea  vulcano  tradatur4    (1633:  ÜB.  2685*, 
„Rota  sit  benedictio  tua  tota"1)  (1559:  7646)  findet.2)     Dir 
Kürze  der  Spruchentwürfe  und  der  schriftlichen  Vota,  die  ie 
unseren  Akten  späterer  Zeit   mannigfach  enthalten  sind,  be- 
rechtigen  zu   dem  Schlüsse,    dass   die  Erörterungen   in  der 
Sitzungen    des    Schöppenstuhls    nicht    allzu    eingehend    ge- 
wesen sein  mögen.     Erst  mit  der  vermehrten  Gelehrsamkeit 
dehnen  sich  mündliche  wie  schriftliche  Vota  aus.    Ja,  bei  der 
kurzen  Notizen    über   gefasste  Beschlüsse   fehlt    oft    ein  den 
Beschluss  ausführender  Spruchentwurf,  so  z.  B.  bei  dem  Be- 
schlüsse „ad  ignem";  Sprüche,  die  zum  Feuertod  verurtheilten. 
waren    etwas   so  Einfaches,    so  Gewöhnliches,    so  Formular- 
massiges,    dass  es  überflüssig  erschien,   beim  Schöppensruhl 
eine    Nachricht    über    den    Wortlaut    des    Urtheils    zurück- 
zubehalten;   angesichts  des  furchtbaren   „ad  ignem"    wusste 
man  ohne  Weiteres,    was  das  Urtheil  besagt  haben  musste. 

Der  Schöppenschreiber  hatte  zwar  keine  Stimme  im 
Kolleg;  es  war  lediglich  seine  Aufgabe,  den  Spruch  der 
Schoppen  vorzubereiten  und  ihn  genau  nach  der  gestellten  An- 
frage dem  gefassten  Beschlüsse  gemäss  auszuführen;  deshalb 
musste  er  sich  1573  (14  271),  als  er  einmal  ordnungswidrig 
verfahren,  vom  Senior  oder  dessen  Vertreter3)  sagen  lassen: 
„Scheppenschreiber  will  nicht  gebühren,  viel  anders  zu 
schreiben,  als  gefragt  und  darauf  gesprochen  ist;  dies  ding 
will  einer   Unterredung  wegen  solches  unfleisses   bedürfen.14 

])    Diesem  Verse    ist    ein   kleines  Rad   mit  ein   paar  Strichen  {voras- 

gestellt. 

*)  Aehnlich  1609  (51  380.  644)  161 1  (59  181).    Ein   längerer  Beschluss 
findet  sich  in  einer  Strafsache  von  1566  (10  534). 

3)  Hier  Karpzow. 


§  37-     Behandlung  der  Schöppensachen.  477 

Das  schloss  aber  eine  sachliche  Mitwirkung  des  Schöppen- 
s  ehr  eibers    beim  Zustandekommen   des  Spruchs   keineswegs 
aus.      Als   1566  (10  145)    ein  Altstädter  Spruchkonzept   des 
Schöppenschreibers    Dobergast    bei    Karpzow,    der    damals 
bereits  Schöppe  war,  Bedenken  erregte,  setzte  sich  Dober- 
gast mit  seinem  Neustädter  Kollegen  Heinatz  in  Korrespon- 
denz und  schrieb  ihm:   „Carpzovius  ....  dubitat  de  casu  nee 
satis  se  explicare  potest,    nee   ego   propter  negotia  publica 
videre  libros  potui,  tu,  si  tempus  erit,  tuos  textus  et  ff.  con- 
sulere  poteris.    Me  autem  aliquid  hoc  movet,  quod  emancipatT 
tantum  profecticia  conferunt.     Mater  vero  filios  vel  filias  non 
habet  in  potestate.    Ergo.    Sed  tibi  reiinquo."    Und  als  1568 
(11  476)  der  Schöppe  Karpzow  einem  Sohne,    der    aus    dem 
väterlichen  Nachlasse  eigenmächtig  Gelder  an  sich  genommen 
hat,  sein  Erbrecht  an  diesen  Geldern  nicht  absprechen  will, 
setzt   unter   dies  Gutachten   der  Schöppenschreiber  Heinatz 
ein  lateinisches  Gegengutachten,  in  welchem  er  mit  Berufung 
auf  1.  3  Cod.  de  fam.  herc.    und   auf  Wesenbeck  wegen  In- 
dignität des  Sohnes  dessen  Erbrecht  verneint.    Der  altstädter 
Schöppenschreiber   Bardeleben    legt    1574   (15  2.  10)    einem 
Spruchkonzept  sein  (lateinisches)  Votum  bei,  und  er  begründet 
1574   (16  116)     das    Spruchkonzept    durch    Zufügung    eines 
Zitates  (1.  1  C.  d.  raptu  virg.),  oder  er  liefert  eine  ausführ- 
liche Beurtheilung  des  Rechtsfalles   mit   dem  Schlussantrag, 
„dass  der  Gefangene  mit  der  Pein  zu  beschweren;  es  wollen 
dies  aber  die  Herren  Scheppen  durchlesen   und  darauf  ihre 
Bedenken  geben".  Der  Altstädter  Schöppenschreiber  Zacharias 
Garz  theilt  1579  seinem  Schwager  Roter,  da  dieser  anderen 
Tags  nicht  „zu  Schöppenhause  komme",  sein  Gutachten  in  Be- 
zug auf  ein  um  Aktenabschrift  eingereichtes  Gesuch  mit. 

Sache  des  Schöppenschreibers  ist  es  (1590:  32  354),  auf 
der  Missive  den  Tag  des  Eingangs l)  und  den  Tag,  wann  das 
Urtheil  abgeholt  werden  könne,  zu  bemerken,  auch  unter 
seinem  Namen  nebensächliche  Beschlüsse,  die  das  Urtheil  be- 
gleiten sollen,  namentlich  über  die  Gebühren,  ausgehen  zu 
lassen.  Sind  solche  Beschlüsse  in  Gegenwart  beider  Schöppen- 
schreiber gefasst,  so  treten  sogar  die  Schöppenschreiber  als 

l)  „Praesent.  Mittwoch  Nativ.  Christi  90"  von  Bluhms  Hand. 


i._ 


478  6-  Buch.    Verfahren. 

eine  Gesammtheit  auf  (1596:  41  176).1)  Ein  Fall,  in  weldier 
ein  Schöppenschreiber  die  Voten  der  in  der  Gesammöitear . 
zugegen  gewesenen  drei  Schoppen  protokollirt  hat,  liegt  a~ 
dem  Jahre  1643  (77  212)  vor. 

Obwohl  es  dem  Senior  oblag,  die  Abstimmung  zu  lerrer 
die  Stimmen  zu  sammeln   und  danach  festzustellen,    welcii*:- 
Beschluss   gefasst   war,    so  ergab  sich  doch  bei  der  sch.r£rr 
liehen  Abstimmung  als  das  Natürliche,  dass    der  Schöppen- 
schreiber, der  auf  Grund  der  schriftlichen  Vota    das  Urth«: 
zu  fassen  hatte,  seinerseits  aus  den  Voten  den  gefassten   R-- 
schluss  herauszog.     Machte  ihm  dies  Schwierigkeit,   so  wer. 
dete  er  sich  an  seinen  Senior  oder  dessen  Vertreter  um  Ver- 
haltungsmassregeln.  So  schreibt  1607  der  altstädter  Schöpper- 
Schreiber  Düring  an  den  Subsenior  Grell,  er  wisse  sich  mer- 
zu  helfen,  weil  die  Neustädter  sich  zu  einer  gewissen  Memn^- 
nicht  geeinigt  hätten.    Die  Entscheidung  des  Seniors  genü  ~ 
dann;    die  Anhörung  der  anderen  Schoppen    gilt    für    über- 
flüssig; daher  erhält  der  altstädter  Schöppenschreiber  Barde- 
leben 162 1  (69  374)   vom  neustädter   Subsenior2)   Zieritz  anr 
die  Anfrage,  ob  das  Urtheil,  wie  entworfen,  bleiben  solle,  dk 
Antwort,    es    könne    so  wohl  abgehen,    und    der    altstädter 
Schöppenschreiber  Düring,  der  (wegen  seiner  Abwesenbe? 
in   der  Sitzung)    „die  Vota  der  Herren   selber    nicht   gehört 
und  keinen  Bericht  darüber  bei  den  Akten  befunden**,  frag: 
beim  Senior  an,  ob  er  sententia  votis  conformis  getroffen. 

Ueberhaupt  vertritt  der  Senior  der  einen  Stadt  sei:. 
Kollegium  gegenüber  der  andern  Stadt.  Roter  als  altstädter 
Schöppenschreiber  fertigt  1558  (6  578)  einen  vom  neustädter 
Schöppenschreiber  entworfenen  Spruch  und  sendet,  da  er  zu 
der  Sitzung  nicht  kommen  kann,  die  Ausfertigung  dem  alt- 
städter Senior,  in  dessen  „Bedenken44  er  stellt,  ob  er  (der 
Senior)    die   Ausfertigung    den    zur    Sitzung    und     zur    Be* 

')  „Die  herren  schöppen  beider  Städte  Brandenburg:  lassen  dem  (an- 
fragenden) pfarrer  zu  bescheid  geben,  das  sie  mit  2  rthlr.  nicht  über- 
fordert. Signatum  in  schöppenstuhl  mitwochs  post  Fabiani  et  Sebasi 
anno  96.     Schöppenschreibere  beider  Städte  Brandenburg." 

*)  Die  Bezeichnung  Subsenior  kommt  in  älterer  Zeit  nicht  vor,  st 
wird  aber  1739  im  Schöppenbuch  von  1697  ff.  gebraucht  (foL  11). 


§  37*     Behandlung  der  Schöppensachen.  479 

rathung   anderer  Rechtsfragen  versammelten  Schoppen  „zu- 
vor verlesen  wolle,   ehe  sie  besiegelt  werde".     Es  hing  also 
von    des  Seniors  Ermessen  ab,    ob  er  für  sich  allein,   ohne 
seine  Schoppen  zu  hören,  oder  ob  er  erst  nach  deren  An- 
hörung den  Spruch   abgehen   lassen  wollte;    Letzteres  zieht 
in  jenem  Falle  der  Senior  vor  und  notirt  dann  einen  die  Ab- 
änderung des  Entwurfs  enthaltenden  Beschluss  des  Kollegs. 
Sodann  lässt  Roter  1576  (17  769),  wohl  als  Subsenior,  eine  von 
ihm  einseitig  bearbeitete  Sache  an  die  Schwesterstadt  gelangen, 
indem  er  schreibt:    „Ich  bitte  diese  acta  fleissig  in  acht  zu 
nehmen,    dann  ich  wegen  etlicher  Verhinderungen  denselben 
so  nicht  habe  nachdenken  können,  wie  der  Sachen  nothdurft 
erfordert."     Ferner  entwirft  Roter  als  Senior  1586  (26  541) 
einen  Spruch  und  sendet  ihn  mit  der  Bemerkung  in  die  Neu- 
stadt:   „Salvo;  wollen  mirs  die  hern  wieder  schicken,  so  will 
ichs  schreiben   lassen44;    von    einer  Mitwirkung    der   andern 
altstädter  Schoppen  ist  keine  Rede.    Gemäss  dem  einseitigen 
Votum    Roters1)     konzipirt    1590    (32   293)    der    altstädter 
Schreiber  Bluhm    den  Spruch.     Es   ist  wahrscheinlich,    dass 
die  Absendung   an  die  Neustadt   erst   erfolgte,    nachdem  in 
diesen  beiden  Fällen  die  altstädter  Schoppen  ihrem  Senior  in 
einer  Sitzung  beigetreten  waren,  aber  dies  brauchte  den  Neu- 
städtern gegenüber  nicht  kundgegeben  zu  werden.     Der  alt- 
städter Seniorvertreter  Lampertus  unterzeichnet  1592  (37  490) 
einen   Entwurf   seines    Schreibers   Bluhm    mit    den    Worten 
,,M.  Joh.  Lampertus   sententia    concepta   propria  manu  sub- 
scripsit";  mit  dieser  alleinigen  Unterschrift  des  Seniors  geht 
die  Sache  in  die  Neustadt   und    kommt   von    da   ohne  jede 
Aeusserung  zurück,  um  nach  Bluhms  Konzept    in    der  Alt- 
stadt ausgefertigt  zu  werden:   die  Bemerkung  des  altstädter 
Seniors   reichte   also   hin,    die  Meinung   der  Altstädter   den 
Neustädtern    kundzugeben,    und    die  einfache  Rückkehr  der 
Akten  aus  der  Neustadt  bedeutete  für  die  Altstadt,  dass  die 
Neustädter  nicht  Widerspruch  erhoben,  also  zustimmten.  Auch 
dem  Schöppenschreiber  der  eigenen  Stadt  gegenüber  ver- 
tritt der  Senior  sein  Kollegium:  die  Bemerkung  unter  einem 
von  der  Neustadt  übersandten  Konzept:  „Placet  Simon  Roter" 

})  „Ich  achte  davor  etc.tt 


480  6.  Buch.    Verfahren. 

bedeutet    für    den    altstädter  Schöppenschreiber   den  Bei:. 
seines  Seniors  Roter,    das    neustadter  Konzept  auszuferu 
(1584:  25  299). 

Ein  Spruchkonzept  des  Altstädter  Schöppenschreü*' 
unterzeichnen  1606  (52  62)  Lampertus  und  Storbeck,  1 
Senioren  beider  Städte,  allein,  und  über  ein  Spruchkoozr 
von  161 5  (64  79)  korrespondirt  der  Neustädter  Seniorvertre:: 
Zieritz  mit  dem  Altstädter  Senior  Grell.  Ein  von  :■* 
Neustädter  Schoppen  Iden  gefertigtes  Konzept  unterscirei: 
dieser  1621  (68  646):  „Cum  consensu  Floringi  (des  Neusüc 
Seniors)  ita  coneeptum".  Der  Spruch  ist  dann  an  die  M 
Stadt  gegangen  und  dort  ohne  weitere  Aeusserungen  l: 
Schoppen  ausgefertigt.  Auf  eine  Missive  des  Raths  der  Xu 
Stadt  Brandenburg  von  162 1  (68  57)  votirt  der  Neustädtbd 
Senior  Floring,  der  Altstädter  Subsenior  Chueden  fertigt  dar 
den  Entwurf.  Eine  dem  Neustädter  Senior  Zieritz  rr 
„Verlesen"  1633  (75  176)  zugesandte  Sache,  in  der  vier  Ar- 
stadter  Schoppen  übereinstimmend  schriftlich  votirt  habe 
kommt  von  der  Neustadt  mit  der  alleinigen  Unterschrift  & 
Seniors  Zieritz  zurück  und  gelangt  in  der  Altstadt  zur  Ab- 
fertigung. 

In  späterer  Zeit  (1730:  86  14.  28)  genügte  die  L'fl'ff 
schrift  des  Konzipienten  eines  Urtheils  und  des  Seniors  i 
Anweisung  für  den  Schreiber,  das  in  der  Sitzung  k- 
schlossene  Urtheil  auszufertigen.  Dafür,  dass  das  Sprud- 
konzept dem  gefassten  Beschlüsse  entspricht,  ist  der  Seotf 
des  mitKonzipirung  des  Spruchs  betrauten  Schöppenschreibcts 
verantwortlich:  das  Konzept  „steht  auf  des  Seniors  Ratifica- 
tion44. l)  Ebenso  ist  der  Senior  bei  den  durch  Zirkuliren  er- 
ledigten Sachen  dafür  verantwortlich,  dass  aus  seinem  Eintf- 
kolleg  nur  solche  Vorschläge  an  das  andere  Kolleg  ge* 
langen,  die  collegialiter  beschlossen  sind,  wie  er  ferner  da- 
für verantwortlich  ist,  dass  die  Billigung  eines  ihm  v*oß 
andern  Kolleg  zugegangenen  Vorschlags  nicht  auf  seinem 
alleinigen  Beschlüsse,  sondern  auf  der  Zustimmung  mindeste* 
des  einen  oder  anderen  seiner  Mitschöppen  beruht  Tat- 
sächlich  ist   freilich    ein    wenig   skrupulöser   Senior  in  dcr 

A)  Beispiel  einer  solchen  Ratifikation  siehe  vorige  Seite. 


§  37-     Behandlung  der  Schöppensachen.  481 

Lage,     einen    von    ihm    allein   gefassten    Beschluss    als    Be- 
schluss  seines  Kollegs  dem  anderen  Senior  zugehen  zu  lassen, 
wie   dieser  in  der  Lage  ist,    für  sich  allein  die  Ausfertigung 
eines     solchen   Beschlusses    anzuordnen,   als    hätte   der   Be- 
schluss  die  Zustimmung   der  Mitschöppen  erlangt;  denn  die 
Einrichtung   der  Akten  bot  keinerlei  Gewähr  für  korrektes 
Handeln    des  Seniors,    weil   die  Angabe    der  beim  Spruche 
Betheiligten  oder  auch  nur   eine  Registratur  des  Schöppen- 
schreibers  oder  desSchöppenseniors,  dass  ein  Kollegialbeschluss 
gefasst  sei,  nicht  obligatorisch  war.1)  Die  Bedeutung  der  Einzel- 
stimme   des    Seniors    oder   seines   Vertreters    erhellt,    wenn 
(1623:  71  421)  Zieritz  als  Subsenior  dem  Tags  zuvor  gefassten 
Sitzungsbeschlusse  gemäss  ein  Urtheil  entwirft  und  dabei  an 
die    Neustädter    Kollegen    schreibt:    „weil    die   sache   ardua 
und    wol   möchte   ad    altiora   loca   kommen,    habe    ich    das 
urtel  concipiren  wollen  und  stelle  es  auf  gutacht  der  herren. 
Do    die   herren    damit    einig,    kanns   in    der  Altenstadt   ufs 
reine  gebracht  werden44.    Hierzu  erklärt  der  Altstädter  Senior 
(ohne  seine  Schoppen  zu  hören)  schriftlich  seine  Zustimmung, 
„sintemalen   das  conzept   den  gestrigen  votis  gemäss4*,   und 
es  erfolgt  die  Ausfertigung  in  der  Altstadt. 

Das  Zirkuliren  der  Akten  an  Stelle  der  Abhaltung  einer 
Gesammtsitzung  scheint  um  die  Mitte  des  sechzehnten  Jahr- 
hunderts begonnen  zu  haben.  Aus  dem  Jahre  1551  (4  145) 
liegt  ein  Fall  vor,  in  welchem  der  Spruch  drei  verschiedene 
Entwürfe  hat:  die  erste  Fassung  lieferte  der  Neustädter 
Schöppenschreiber  Karpzow;  hieran  nahm  der  Neustädter 
Senior  Bester2)  Aenderungen  vor;  er  Hess  die  Akten  in  die 
Altstadt  gelangen,  wo  man  seiner  Meinung  beitrat  und  da- 
nach den  Spruch  ausfertigte. 

Aber  nicht  bloss  aus  solchen  Korrekturen  der  Spruch- 
entwürfe ist  auf  ein  Zirkuliren  zu  schliessen.  Ein  sicheres 
Zeichen,    dass    ein   Spruch    nicht    auf   einen    gemeinsamen 


*)  Zu  Zeiten  findet  sich  eine  solche  Registratur:  1577  (18  128)  ver- 
sieht ein  Neustädter  Schöppe  einen  aus  der  Altstadt  herübergekommenen 
Spruchentwurf  mit  der  Bemerkung:  „Die  herren1'  (nämlich  der  Neustadt) 
„sind  hiermit  zufrieden".     Aehnlich  1576  (17  761). 

2)  Ueber  ihn  s.  Seite  154. 
Stölzel,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  31 


482  6*  Buch.    Verfahren. 

in  einer  Gesammtsitzung  gefassten  Beschluss  beruht,  ist  d» 
Bemerkung  unter  dem  Spruch:  „auf  der  Herren  Schoppen 
(nämlich  der  andern  Stadt)  Verbesserung**  oder  „auf  Ver- 
besserung*, „auf  Besserung"  oder  bloss  „Besserung**,  später 
ersetzt  durch  „salvo".  Damit  wird  angedeutet,  dass  die 
Sache  zirkuliren  und  der  etwaigen  Abänderung  durch  das 
Einzelschöppenkolleg,  dem  sie  zugeht,  unterliegen  soll.  Diese 
Form  des  Verfahrens  leitet  zum  schriftlichen  Verkehr  unter 
den  Schoppen  hinüber,  der  in  den  1550  er  Jahren  mit  dem 
Momente  beginnt,  in  welchem  der  Sieg  der  gelehrten  Recht- 
sprechung bei  den  Schöppenstühlen  als  entschieden  gleiten 
kann. 

Hier  erhält  das,  was  die  Akten  des  Brandenburger  Schöp- 
penstuhls  ergeben,  eine  wesentliche  Unterstützung  durch  den 
Befund  der  Akten  des  Leipziger  Schöppenstuhls.  Während  die 
beide  ersten  Bände  des  letztern  Schöppenstuhls  (aus  der  Zeit 
von  1487  bis  1492  und  von  151 7  bis  1520)  nichts  enthalten  als 
anfanglich   Kopieen,   dann  Konzepte  von  Oberhofsspruchen, 
findet  sich  im  dritten  Bande  (1546  bis  1562)  vom  Jahre  1554 
ab  mehrfach  unter  dem  Spruchentwurf  eine  Entwicklung  der 
Gründe,     die    den   gefällten    oder   vorgeschlagenen    Spruch 
rechtfertigen  sollen,  sämmtlich  von  einer  Hand  herrührend 
und   zwar   von    derselben  Hand,    die  den  Spruch  entworfen 
hat,  bald  in  kürzerer,  bald  in  längerer  Fassung.1)      Ein  um 
1550   neu    eingetretener  Schöppe    mag   dies  Verfahren    ein- 
geführt haben.2)      Dabei   sind   in   diesen  Ausführungen   und 
auch   noch  ausserdem  am  Rande  vielfach  Institutionen-  und 
Pandektenstellen  zitirt,3)   auch  Sätze  in  lateinischer  Sprache 


T)  Man  sehe  z.  B.  fol.  240.  269.  283V.  284.  298.  302.  327.  336».  364. 
377.  381V.  389V.  396.  416.  429.  (1554  b»s  1557) 

*)  Von  dessen  Hand  rührt  auch  ein  Randzusatz  im  2.  Bande  der 
Leipziger  Akten  fol.  246 v  her,  der  einzige,  der  sich  in  diesem  Bande  findet. 
Er  behandelt  die  Frage,  ob  und  wie  vollbürtige  Geschwisterkinder  neben 
einem  Halbbruder  erben,  und  nimmt  auf  Scheybe  (s.  oben  S.  250)  Bezug, 
der  seine  Ansicht  auf  Stellen  des  Sachsenspiegels  begründet  habe.  Hier- 
über wird  bei  Betrachtung  des  Erbrechts  zu  handeln  sein. 

8)  z.  B.  fol.  i9ov  1.  aequissima  §  perinde  ff.  d.  usufr.,  Inst.  d.  rer.  div. 
%  certe  constat,  ff.  de  verb.  sign.  1.  impense  bei  Beurtheilung  der  Frage,  wer 
die  Kosten  der  vom  Pächter  errichteten  Gebäude  tragen  müsse;  fol.  »85 ▼  1. 


§  37-     Behandlung  der  Schöppensachen.  483 

eingeschaltet.     Sogar  im  Spruche  selbst  werden  bei  Verur- 
theilung  eines  stuprator,  der  die  stuprata  „zu  ehelichen  nicht 
"bedacht44,    die   „gemeinen  beschriebenen   Rechte"    in 
Bezug  genommen,    nach  deren  Ordnung  der  stuprator,    weil 
er  der  Dirne  Vormund  gewesen,  zu  Staupe  geschlagen  und 
der  Gerichte  verwiesen  werden,  auch  aller  Güter  verlustig 
gemacht  soll.1)    Es  bestätigt  sich  also,  wie  beim  Magdeburger 
Oberhof, 2)  dass  die  sächsischen  Juristen  ungeachtet  der  Bei- 
behaltung ihres  Sachsenrechtes  dann  in  der  gleichen  Weise 
zum  römischen  Rechte  ihre  Zuflucht  nahmen,  wenn  sie  seiner 
zu  bedürfen  glaubten,  wie  die  Brandenburger  Juristen,  wenn 
ihr  Brandenburger  Recht  sie  rathlos  Hess.     So  stehen  denn 
die    Leipziger    Schöppensprüche   und    deren   in   die  Akten 
niedergelegte  Entscheidungsgründe  jener  Zeit  auf  demselben 
Standpunkte  wie  die  Brandenburger;  die  einen  wie  die  andern 
gehen  von  römisch-rechtlich  gebildeten  Juristen  aus,   die  als 
primäre  Rechtsquelle   zwar  ihr  Landesrecht,    als  sekundäre 
aber  die  gemeinen  beschriebenen  Rechte  heranziehen. 

Die  ersten  in  den  Brandenburger  Akten  befindlichen, 
neben  den  Spruchentwürfen  hergehenden  Rechtsausführungen 
von  Schoppen  könnten  gerade  so  gut  von  sächsischen  Schoppen 
herrühren.  Sie  sind  in  Korrespondenzen  zwischen  den 
akademisch  gebildeten  Senioren  des  Jahres  1552  enthalten. 
Der  Neustädter  Senior  Bester  sendet  (ÜB.  1  267)  seinem  Alt- 
städter Kollegen  Schmidt  einen  Spruchentwurf  zu,  der  die 
Erbfähigkeit  der  Nonnen  anerkennt;  dem  fügt  Schmidt 
einige  Sätze  ein,  die  er  gutachtlich  am  Rande  und  durch 
eine  an  den  Schluss  gesetzte  rechtliche  Ausführung  über 
Morgengabe  und  Musstheil  begründet,  indem  er  sich  durch 
wohl  oder  übel  angebrachte  Zitirung  einiger  römisch-recht- 
licher Sätze  als  gelehrter  Jurist  und  zugleich  als  guter,  die 
Erbfähigkeit  der  Nonnen  verfechtender  Lutheraner  kund- 
giebt. 3)    Ebenso  sendet  Bester  (ÜB.  1  268)  den  Spruchentwurf 

<\m\  foveas    in    princ.  ad  1.  Aquil.    bei  Beurtheilung    der   Frage,    wer    bei 
verschuldetem  Ertrinken  eines  Knaben  Abtrag  leisten  müsse. 

1)  fol.  114  V. 

2)  Siehe  oben  S.  292. 

3)  Die    Ausführung   schliesst:    „salvo   vestro    meliori  judicio*4.      Ein 

31* 


484  6.  Buch.    Verfahren. 

in  einer  Brandstiftungssache  mit  Angabe  seiner  Gründe,  die 
sich  auf  eine  communis  consuetudo  cum  incendiariis  per  Ger- 
maniam  observata  stützen. 

Daraus,  dass  ein  solches  Zirkuliren  der  Spruchentwürfe 
zu   jener  Zeit    noch    ungewöhnlich   war,    erklärt   sich,    wenn 
Roter  als  Schöppenschreiber  1553  (5  33)  eines  seiner  Konzepte 
mit    den  Namen  zweier  Altstädtischer  Schoppen    unterzeich- 
nete,1) auf  deren  Votum  wahrscheinlich  der  Spruch  beruhte 
Dass    in   der  Namensnennung   derjenigen,    die  einen  Spruch 
gefallt   hatten,    oder    in    ihrer  Unterschrift  eine  nicht  gering 
zu  achtende  Garantie  für  das  korrekte  Zustandekommen  des 
Spruchs  lag,    war    den    rechtsuchenden  Parteien    damaliger 
Zeit  sehr  wohl  bekannt.      Hatten  doch  die  Stände   auf  dem 
Landtage  von  1542  ausdrücklich  verlangt,  dass  die  Kammer- 
gerichtsräthe,  welche  ein  Urtheil  fassen,    „nach  altem  guten 
Gebrauch  allzeit,  wer  dabei  gewest,  unter  das  Konzept  des 

nächstes  Beispiel    der  Verbesserungsklausel  1553  (5  82):     In    einer    Todr- 
schlagssache     schreibt   der    Neustädter    Schöppenschreiber    Karpxow    a's 
den  Vorschlag  der  Neustädter  auf  die  Missive:    „soll  er  mit  dem  Schwerte 
vom  leben  zum  tode  verrichtet  werden;    uff  Verbesserung" ;    der  Altstädter 
Schöppenschreiber  Roter  hat  als  Gegenvorschlag  der  Altstädter  (d.  h.  ab 
deren  „Verbesserung*4)    darunter    gesetzt:     „soll  er  mit  dem  rad  gerichtet 
werden";    so    muss    der  Spruch    in    der  Altstadt  ausgefertigt  sein,    da  die 
Sache  Theil    der  Altstädter  Akten    geworden    ist.     Fernere  Beispiele   der 
Klausel  salvo  s.  1579  (21  148),  1581  (21  472),   1583  (23  272.  307.  363),  t$U 
(25294.296),  1592  (3635);  »salvo  dominorum  scabinorum  judicio.    S(tntor» 
R(oter).  Sig.  Bardeleben";  darunter  die  Neustädter  Notiz:    „stat  sentemia. 
Mich.  Iden.     Bitten    das    urtheil    zu    verfertigen    und    abgehen  zu    lassen". 
Der  Altstädter  Schreiber  Garz  entspricht  dem.     Vgl.  auch  1597  (4a  48;  43 
378).      Unter    einem    1588  (29  291)    mit  „salvo"  des  Neustädter  Schreibers 
versehenen  Entwurf  ist  bemerkt :    „Da  (=  wenn)  die  herren  (seil,  der  Alt- 
stadt) mit  diesem  conzept  nicht  einig  sein  können,   seindt  die  hern  schoppen 
der  Neustadt  erpottig,    umb    1   uhr   ufm  schoppenhause  sich  einzustellen". 
Da  Weiteres  in  den  Akten  fehlt,  waren   die  Herren  einig  und  die  Sitzung 
überflüssig;  der  Spruch  wurde  in  der  Altstadt  alsbald  ausgefertigt. 

l)  „Matthias  Schmidt*4  (womit  wohl  Matthias  Bardeleben  und  Valentin 
Schmidt  gemeint  sind,  da  es  einen  Matthias  Schmidt  im  SchÖppenstuhl 
nicht  giebt).  Noch  einmal  hat  1576  (17  761)  der  Neustädter  Schöppe  Michael 
Iden  die  von  ihm  unter  einen  Altstädter  Entwurf  gesetzte  Bemerkung:  «ist 
recht,  soll  also  ingrossirt  werden1*,  mit  dem  Namen  des  Seniors,  zweier 
Schoppen  und  mit  seinem  eigenen  Namen  unterzeichnet. 


§  37*     Behandlung  der  Schöppensachen.  485 

Unheils  schreiben  sollen,  Verdacht  zu  verhüten". l)    Die 
Brandenburger    Schoppen    sahen    beim    Aufkommen    des 
schriftlichen    Votirens   von    der    Notwendigkeit    der  Unter- 
zeichnung durch  alle  Mitwirkenden  ab,  bis  es  im  Beginne  des 
siebzehnten   Jahrhunderts    üblich    wird,    dass   die    schriftlich 
Votirenden  unter  ihr  Votum  eigenhändig  ihren  Namen  oder 
wenigstens   dessen  Anfangsbuchstaben  setzen.2)     Ferner  er- 
klärt sich  aus  der  Neuheit  des  schriftlichen  Votirens,  dass  sich 
Bester  1552  (ÜB.  1  269)  und  1557  (ÜB.  1  330)  der  Briefform 
bedient,  um  Namens  der  Neustädter  Schoppen  seine  Rechts- 
ansicht dem  Altstädter  Senior   zu    eröffnen,    ein  Verfahren, 
wie  es  ebenfalls  später  nicht  wieder  vorkommt.      Dabei  er- 
giebt  zugleich  der  älteste  dieser  beiden  Briefe,  dass  er  durch 
einen  Tags  zuvor  auf  dem  Schöppenhaus  gefassten  Beschluss 
der    vereinten    Schöppenkollegien    hervorgerufen    war:     in 
einer  Brandstiftungssache   erhebt   sich   der  Zweifel,   ob    auf 
Grund   der  Aussage   eines  Angeklagten  der  Mitangeklagte 
gefoltert  werden  dürfe;   die  Schoppen  „verlassen"  (d.  h.  ver- 
einbaren), die  Neustädter  möchten  ihr  „Bedenken44  (d.  h.  ihr 
Gutachten,  ihren  Spruchentwurf)   den  Altstädtern  „auf  Ver- 

1)  Holtze,  Gesch.  des  Kammergerichts  1,  265. 

2)  1593  (36  457)  drei  schriftliche  Aeusserungen  ohne  jede  Namens- 
unterschrift; 1607  (54  440)  Neustadter  Votum  von  der  Hand  des  Schoppen 
Nickel  mit  dem  Zusatz  des  Altstädter  Seniors:  „Redigatur  in  forma  sen- 
tentiae.  Ego  Joh.  Lampertus  consentio."  Darunter  schreibt  Johan  Grell 
(nächstältester  Altstädter  Schöppe)  seinen  Namen;  der  Altstädter  Schreiber 
entwirft  den  Spruch;  161 7  (65513)  ausführliche  lateinische  Voten  in  einer 
Abschosssache  von  Floring,  Zieritz  (Neustadt),  Chueden,  Grell,  Haveland 
(Altstadt);  1619  (66  307)  5  Altst.,  3  Neust,  (66  433.  472;  67  58)  je  4  Altst., 
3  Neust, schriftliche  Abstimmung  mit  Namensunterschrift;  8  Stimmen  eben- 
so 1620  (67  625.  635.  663).  Unterzeichnung  mit  den  Anfangsbuchstaben  der 
Namen  so  z.  ß.  1632  (74  198.  203.  207).  Neun  Schoppen  wirken  laut  ihrer 
Unterzeichnung  mit  1622  (70  488);  es  fehlt  nur  der  jüngste  (Bardeleben);  vier 
wirken  mit  1630  (73  480.  496),  fünf  1630  (73  474.  501),  sieben  1630  (73  451.  477. 
452),  sechs  1630  (73  478).  Vgl.  auch  ÜB.  2  573.  577.  588.  634.  670.  674.  678. 
685.  719.  Einer  kürzlich  aufgestellten  Behauptung  gegenüber,  dass  das 
Schreiben  mit  Bleistift  erst  nach  dem  dreisstgj ährigen  Kriege  erfunden  sei, 
darf  bemerkt  werden,  dass  Roter  schon  1558  (6  4x4)  einen  Spruch  mit  Blei- 
stift entwirft  und  Chueden  von  1620  an  (67  635)  als  Einziger  Jahrzehnte  lang 
ausschliesslich  mit  Blei  unterzeichnet;  1732  (86  616)  wird  der  Bleistift  noch 
„Bleiweiss*  genannt,  1734  (87  405)  „Blei  StifFt\ 


486  6.  Buch.    Verfahren. 

besseruflg44    zuschicken;    weil   der   Neustädter  Schreiber  aa 
diesem  Tage   hat  verreisen  müssen,    übernimmt    der  Senior. 
damit  die  Neustädter  nicht  den  Vorwurf  der  Saumseligkeit 
auf  sich   laden,    „sein  Bedenken  schriftlich  zuzustellen",  das 
er  auf  die   communis  consuetudo  cum    incendiariis  per  Ger- 
maniam  observata   gründet   und   in  einen  Spruch   fasst,   des 
er    bei    der    Wiederzusammenkunft   des  Schöppenstuhls 
vorschlagen  werde.     Hier  blickt  durch,    dass  die  mündliche 
Beschlussfassung   noch    die    Regel    bildet;    nur    weil    in  der 
ersten  Sitzung   sich  Schwierigkeiten    ergaben,    wird    schrift- 
liches Votiren    beschlossen,    aber    diesem  Votiren  folgt,   wie 
der  Neustädter  Senior  als  selbstverständlich  betrachtet,  eine 
zweite  Sitzung   zur    endlichen  Beschlussfassung.     Hierbei  ist 
die  Eile  zu  beachten,   mit  der  nach  Ansicht  des  Seniors  der 
Beschluss  vom  Tage  zuvor  erledigt  werden  musste;    wegen 
zeitweiser    Abwesenheit    des  Schöppenschreibers    übernimmt 
es    der   Senior,    die  Feder   in    der  Sache  zu  führen ;    ob  er 
über    „sein"   Bedenken    die  Neustädter  Mitschöppen    gehört 
hat,  bleibt  zweifelhaft;  sein  Brief  sagt  nichts  darüber.      Yoo 
dem  Ermessen  des  Seniors   hing  es  ab,    ob  er  eine  von  der 
anderen  Stadt    mit    deren  Votum    ihm    zugesandte  Sache  io 
die  Sitzung  bringen  oder  ohne  Sitzung  erledigen  wollte.    So 
fertigt  der  Altstädter  Schöppenschreiber  ein  in  die  Altstadt 
übersandtes  Konzept  seines  Neustädter  Kollegen  1558  (6518) 
aus  und  schreibt,  da  er  „um  2  Uhr  auf  dem  Schöppenhause 
nicht  sein  könne",    seinem  Senior,    er    stelle    es    in   dessen 
Bedenken,  ob  er  das  Urtheil  den  Herren  Schoppen  (d.  b. 
den  auf  dem  Schöppenhause  versammelten  Schoppen  beider 
Städte)  vorlesen  wolle,  ehe  es  besiegelt  werde,  weil  sie  dort 
(ja    doch)    anderer  Rechtsfragen    wegen   zusammen    kämen. 
Die    Ausfertigung    eines    Konzepts    durch    den    Schöppen- 
schreiber hiess  technisch  die  „Ingrossation". l) 

J)  Auf  eine  Anfrage  der  zu  Glinicke  erbgesessenen  Flanse,  bemerkt 
1559  S.  Roter:  Die  herren  scheppen  der  Altenstadt  achten,  das  auf  dies« 
fall  das  urthel  zu  stellen  sei,  das  der  N.  N.  bis  zu  genügsamer  Caution 
gefänglich  gehalten  werde.  Auf  der  herren  scheppen  der  Neustadt  Ver- 
besserung. Und  weil  der  scheppenschreiber  der  Neustadt  itzo  verhindert, 
solch  urthel  zu  ingrossiren,  ist  der  in  der  Altenstadt  erbötig,  dasselbe  zu 
thun,  sofern  es  bei  solcher  meinung  bleiben  soll1*  (7  431). 


§  37*     Behandlung  der  Schöppensachen.  487 

Die  vom  Schreiber  oder  jüngsten  Schoppen  entworfenen 
Sprüche  werden  also  im  regelmässigen  Gang  der  Dinge  den 
Schoppen   der   betreffenden  Stadt   vorgetragen   und   gehen 
dann  den  Schoppen   der  anderen  Stadt  zu,  um  —  im  Falle 
des  Einverständnisses    —   dort  ausgefertigt  zu  werden.     Die 
„auf   Verbesserung"   zugesandten   Konzepte    konnten   sogar 
ohne  nochmaliges  Gehör  desjenigen  Einzelkollegs,    von  dem 
sie    herrührten,    mit  Korrekturen   versehen  werden.     Regel- 
mässig  scheinen  sich  aber   einseitige   Korrekturen  nur   auf 
minder  wesentliche  Punkte  zu  beziehen. 

Das  Bedenkliche  eines  solchen  Umgehens  der  Gesammt- 
sitzung   tritt    besonders    dann    hervor,    wenn    der  Vorbehalt 
einer    Verbesserung    auf   Kapitalsachen    angewendet    wird. 
Dadurch    geschieht    es,    dass   sogar    Todesurtheile    ergehen, 
ohne  in  einer  Gesammtsitzung  berathen  zu  sein.2)    Es  genügt 
selbst  (1603:  50  252)    die  Zustimmung   eines  Schoppen  der 
anderen  Stadt,  ein  Todesurtheil  zu  Stande  zu  bringen:  Dem 
Votum    dreier  Altstädter,    das    einem    Dieb    die   Strafe   des 
Rades  zudiktirt,  schliesst  sich  der  Neustädter  Zieritz  schrift- 
lich   an,    und    auf  diese  Erklärung  des  einen  von  vier  Neu- 
städter Schoppen  erfolgt  die  Ausfertigung  des  Todesurtheils 
durch  den  Altstädter  Schöppenschreiber.    Dasselbe  geschieht 
1634  (75  600)  mit  zwei  Todesurtheilen  durch  den  Neustädter 
Schreiber,  nachdem  den  drei  Schoppen  der  Altstadt  der  eine 
Neustädter    Schöppe   Schale    beigetreten    war,    der    zweite 
Schöppe,  Senior  Zieritz,    aber   erklärt    hatte,    er    wisse  sich 
der  Sache  —  in  der  früher  (1634:  75  614)  bereits  die  Bran- 


')  Vgl.  1590(3344):  Spruchkonzept  des  Neustädter  Schreibers  „salvo 
do  minor  um  judicio"  mit  einer  Korrektur  des  Altstädter  Schreibers.  1607 
(54  445):  Ein  Neustädter  Spruchkonzept  auf  „etwa  50  Thlr.14  Geldbusse 
ändern  die  Altstädter  ab  auf  Geldbusse  „nach  seinem  Vermögen". 

')  Der  Neustädter  Schöppe  Nickel  schreibt  als  sein  Votum  oder  als 
den  in  der  Neustadt  gefassten  Beschluss  unter  eine  Missive  des  Raths  zu 
Prenzlau  1603  (50  626):  „Gladio  plectorandus  est  ut  adulter  et  ut  raptor. 
Salvo";  demgemäss  setzt  der  Neustädtische  Schöppenschreiber  das  Todes- 
urtheil auf;  so  gehen  die  Akten  in  die  Altstadt,  und  hier  wird  —  zum 
Zeichen,  dass  man  einverstanden,  —  das  Todesurtheil  ausgefertigt;  denn 
die  bei  der  Altstadt  verwahrten  Akten  enthalten  nichts  als  die  Missive, 
Nickels  Votum  und  das  Neustädter  Konzept. 


488  6.  Buch.    Verfahren. 

denburger  auf  die  Folter  erkannt  hatten  —  nicht  zu  erinntr 
und  „stelle  es  derwegen  auf  die  anderen  Herren**.  Mit  solcher 
Begründung  konnte  sich  demnach  in  Kapitalsachen  sei'rv 
der  Senior  seiner  Stimme  enthalten;  die  eine  Neustäcter 
Stimme  stellte  den  Beschluss  der  Neustadt  dar,  deren  Schoppen 
sich  damals  auf  zwei  reduzirt  hatten.  In  einer  vom  Branden 
burger  Domkapitel  eingesandten  Kapitalsache  beruht  i^  , 
(57  78)  das  in  der  Altstadt  ausgefertigte  Todesurtheil  eben- 
falls nur  auf  der  Abstimmung  eines  Neustädter  und  dreier 
Altstädter  ad  statum  legendi;  statt  der  Gesammtsitzung  der 
damaligen  acht  Schoppen  beider  Städte  reichte  also  cur 
schrifdiche  Abstimmung  von  vier  Schoppen  aus. !) 

Immerhin  hatte  jeder  Spruch,    da  er  einen  Spruch  de: 
Schoppen    „beider"   Städte    darstellte,    zur    nothwendiger 
Voraussetzung,  dass  Schoppen  mitwirkten,  die  theils  der  Alt- 
Stadt,  theils  der  Neustadt  angehörten.     Gesetzt,  es  wären  je- 
weilig fünf  Schoppen  der  Altstadt  und  nur  vier  der  Xeustacr 
vorhanden  gewesen,  so  konnte  nicht  davon  die  Rede  sein,  das? 
etwa  die  fünf  Altstädter,  weil  sie  die  Mehrheit  des  Gesamnir- 
kollegs  bildeten,  für  sich  allein  eine  Belehrung  des  Schoppen- 
Stuhls  ertheilt  hätten;  wohl  aber  war  hierzu  eine  aus  vier  Alt- 
städtern und  ein  Neustädter  gebildete  Mehrheit    im  Stande. 
Dasselbe  wäre  möglich  gewesen,  wenn  eine  Sitzung  gehalten 
und  etwa  nur  drei  Schoppen  (zwei  Altstädter  und  ein  Neu- 
städter) anwesend  gewesen  wären. 

Die  Vertrautheit  der  Schoppen  mit  Lesen  und  Schreiben 
führte  aber  noch  weiter,  als  dazu,  dass  vor  der  Sitzung  der 
künftige  Spruch  vorbereitet  wurde.  Es  konnte  sich  ereignen, 
dass  die  Sitzung  ein  bestimmtes  Resultat  nicht  ergeben  hatte; 
dann  war  eine  nachträgliche  schriftliche  Erörterung  ange- 
zeigt. Oder  man  konnte  auch  den  Wunsch  haben,  eine 
Sitzung  der  Bequemlichkeit  halber  überhaupt  zu  umgehen. 
Es  gab  kein  Gesetz,  welches  eine  mündliche  Abstimmung 
geboten  hätte,  darum  konnte  sowohl  mündliches  und  schrift- 
liches Verfahren  mit  einander  verbunden,  als  auch  rein  schrift- 
liches Verfahren  an  die  Stelle  des  mündlichen  gesetzt  werden, 

l)  Ebenso  wird    161 2  (60  357)  auf  schriftliche  Abstimmung  von  vier 
Altstädter  und  einem  Neustädter  Schoppen  ein  Todesurtheil  gefällt. 


I 


§  37.     Behandlung  der  Schöppensachen.  489 

wie     es  je  nach  Lage  des  Einzelfalles  die  Schoppen  für  an- 
gezeigt hielten.     So   Hess    es   sich   auch   ermöglichen,    dass 
Sprüche  zu  Stande  kamen,  wenn,  wie  in  den  Jahren  1577  und 
1 598,    der   Pest   halber   die    neustädter  Schoppen   in  Klein- 
Kreutz,    die    altstädter    in    Radewege    unweit    Brandenburg 
weilten,  oder  wenn,  wie  im  Jahre  1597  (41  257),  zwei  auf  der 
Reise  nach  Berlin  befindliche  altstädter  Schoppen,  denen  ein 
Bote  mit  Rechtsfragen  begegnet,  dieselben  sofort  unter  sich 
verlesen  und  sich  darüber  schriftlich  äussern,  damit  (weil  die 
Sache  kurfürstliche  Gefangene  betraf)  in  ihrer  Abwesenheit 
der  Bote  nicht  aufgehalten  werde,   oder  wenn  1646  (77  352) 
der  neustädter  Senior  eine  eilige  Sache  den  in  Berlin  weilen- 
den Kollegen  nachschickt,  damit  sie  sich  darüber  einigen  und 
ihm  die  Sentenz  zugehen  lassen.    Eine  Beschwerde,  dass  ein 
Urtheil  „zu  Schöppenhaus   nicht    konzipirt,    auch    nicht   ver- 
lesen, noch  weniger  herumgeschickt"  worden  sei,  erhebt  ein- 
mal 1620  (67  288)    der   an  alten  Bräuchen  festhaltende  Sub- 
senior  Zieritz  Namens  seiner  Neustädter  Kollegen. 

Im  Prinzipe    blieb    es   indess  bis  zur  Städtevereinigung 
im  Jahre  1 715  dabei,  dass  es  sich  stets  um  die  Abstimmung 
zweier  besonderer  Körperschaften  auf  Grund  wechselweiser 
Kommunikation    handelte.     Diese  Zweitheiligkeit    giebt    sich 
nicht  bloss  dadurch  kund,  dass  eine  fortdauernde  Korrespon- 
denz   zwischen    „Altstädtern"    und    „Neustädtern"    entsteht, 
sondern  besonders  auch  dadurch,  dass  zu  der  Zeit,  als  schrift- 
liche Abstimmungen  mit  Namensunterzeichnung  üblich  werden, 
die  Altstädter  auf  der  einen,  die  Neustädter  auf  der  andern 
Hälfte  des  Blattes  ihre  Namenszeichen  setzen.1) 

Der  frühere  Modus,  bei  der  Verlesung  der  eingegangenen 
Sachen  den  altstädter  und  den  neustädter  Schöppenschreiber 
in  der  Sitzung  alterniren  zu  lassen  und  auf  diese  Weise  die 
eine  Hälfte  der  Sachen  den  Altstädtern,  die  andere  Hälfte 
den  Neustädtern  zuzuweisen,  passte  nicht  für  ein  solches 
schriftliches  Verfahren.  Es  musste  ein  neuer  Modus  der 
Aktenvertheilung  sich  bilden.  Welcher  Modus  dies  in  älterer 
Zeit  war,  ist  nicht  mit  Sicherheit  zu  ermitteln  gewesen.  Seit 
der  Städtevereinigung   sandte    der  Senior   den  Scabinen  die 

l)  Vgl.  unten  S.  493  und  ÜB,  2  685. 


490  6.  Buch.    Verfahren. 

eingehenden    Sachen    nach    einem    Turnus    in     das    Haas. 
Es   ist    möglich,    dass    ein    ähnlicher   Turnus    schon   längv 
namentlich,  seit  es  nur  einen  Senior  gab,   von   diesem  ei: 
geführt  worden  war. 

Schriftliches  Votiren   mehrerer  Schoppen    unter    knrzr 
Angabe   der    Gründe   findet   sich   zuerst  1593    (36  518)  a- 
einem  schmalen  quergenommenen  Zettel.     Die  Votamen,  ■ 
hier   ihre  Namen    angeben,    sind   zwei  Altstädter    und   rw~ 
Neustädter,    nämlich   die    drei    Magistri    Lampertus,    Blnhr 
Boldicke  und  Thomas  Storbeck.     Da  die  Vota    auseinander- 
gehen, gelangt  die  Sache  in  die  Gesammtsitzung;    hier  ßnl- 
die  Meinung  des  neustädter  Seniors  Iden  Billigung,    wie  d- 
Schlussnotiz  ergiebt:  „Opinio  consulis  Idenii  placet  cooser>. 
scabinorum  aliorumu.    Der  Wunsch  eines  Einzelnen  genügt 
(1606:  52438),   die  Sache  zur  Abstimmung  in    eine  gcmär- 
schafttiche  Sitzung  zu  bringen,  unter  Umständen  ebenso  (160^ 
57  101)  das  abweichende  Votum  eines  Einzelnen.2) 

Ein  Zirkuliren  der  Akten  nach  abgehaltener  Sitaa^ 
empfahl  sich  zu  Zeiten,  wenn  wichtige  oder  weitlaitizgc 
Sachen  abzuurtheilen  waren.  Dahin  gehörte  z.  B.  im  Jahr? 
1552  der  oben  (S.  485)  besprochene  Fall  und  im  Jahre  i6\u 
der  Fall  des  Ehemannes  der  Grete  Minte  (ÜB.  2  58s).3) 

Die  Akten  von  einer  Stadt  in  die  andere  zu  bringet, 
war  Sache  des  Rathsdieners  der  betreffenden  Stadt,  nich: 
etwa  des  die  Akten  überbringenden  Warteboten.4)  Dieser 
Diener  war  es  auch,  der  nicht  bloss  zuweilen  mit  dem  Auftraf 

f)  Deshalb  redet  1731  (86  282}  Giesecke,  als  die  Schöppenzahl  *•■' 
3  auf  4  erhöht  werden  soll,  davon,  dass  er  bereit  sei,  ferner  »seinen  Stra-j 
pro  tertia  zu  ziehen".  Von  dem  Turnus  wird  auch  1736  (88  544)  und  175* 
(90  596.  891)  gehandelt. 

2)  Vgl.  auch  69  460  (1621);  78  321  (1651). 

8)  Im  Jahre  162 1  (68  526)  votirte  auf  eine  Anfrage  des  Hauptmann- 
von  Zechlin  der  neustädter  Senior  Floring  auf  Territion ;  Zieritz  hatte  dar- 
auf in  der  Sitzung  abweichend  votirt;  sein  Kollege  Buchholz  „durchlas 
nachmals  mit  Fleiss  die  Akten,  da  er  (in  der  Sitzung  beim  Verlesen)  „nicht 
so  Alles  habe  assequiren  können". 

4)  Kriele  bemerkt  1703  (80  152):  „Die  Diener  müssen  die  Acta  herum- 
tragen, denn  sie  das  Ihrige  davon  bekommen,  weil  es  sehr  gefahrlich  hl 
dieselben  dem  Boten  anzuvertrauen." 


$  37*     Behandlung  der  Schöppensachen.  491 

abgesandt   wurde,    mündlich  die  Vota  der  Schoppen  einzu- 
sammeln (1613:  61  532)  oder  die  Zustimmung  der  Schoppen 
seiner  Stadt  zu  dem  Entwurf  der  andern  Stadt  auszusprechen, 
sondern  der  zuweilen  sogar  dazu  gebraucht  wurde,  gewünschte 
Aenderungen  des  Entwurfs  mündlich  zu  bestellen.     Denn  der 
altstädter  Subsenior  schrieb  1596  (41  380)  seinem  Schoppen« 
Schreiber  in  Bezug  auf  einen  altstädtischen  Spruchentwurf: 
„Es   seindt  die  Neustedtische  hern  scheppen  mit   dem  con- 
cipirten    urtel  gar  woll  zufrieden,    auch   durch   iren  bothen 
sonderlich  anzeigen  lassen,  das  die  angehefte  clausel  im  urtel 
möge  zugleich  einverleibt  werden u. 

Einen  deutlichen  Beleg,  dass  das  in  der  einen  Stadt  ent- 
worfene Konzept  in  der  andern  Stadt,  wenn  deren  Schoppen 
einverstanden  waren,    ausgefertigt  wurde,    ergiebt   im  Jahre 
1598    (44  290)    eine   Bemerkung    des   altstädter   Schöppen- 
schreibers  Kuhns,  nach  der  er  die  Neustädter  bittet,  das  von 
ihm  entworfene  Urtheil  „verfertigt  bald  anher  zu  schicken", 
weil  er  es  mitnehmen  wolle  und  nicht  „an  seinem  Abreisen 
aufgehalten  werden**  möchte.     Wäre  nicht  diese  Gelegenheit 
zur  Beförderung  des  Urtheils  vorhanden  gewesen,  so  hätte  die 
Neustadt   das  Urtheil  dem  Anfragenden  oder    seinem  Boten 
auszuhändigen  gehabt.   Neben  diesem  Verfahren  bestand  aber 
noch  das  andere,  dass  die  in  zweiter  Linie  stimmende  Stadt, 
auch  wenn  sie  dem  Entwurf  der  andern  Stadt  beipflichtete, 
sich  auf  die  Erklärung  ihrer  Zustimmung  oder   gar   auf  die 
blosse  Rücksendung   der  Akten    (z.  B.   1609:  58  458;    161 4: 
63  492.  537)  beschränkte  und  der  andern  Stadt  die  Ausferti- 
gung überliess  (1606:  52  395). l)    Wie   wenig   eingehend  die 
Prüfung  solcher  zugesandter  Akten  zu  Zeiten  war,    ergiebt 

')  Ein  Konzept  des  altst.  Schreibers  Michael  Düring  geht  mit  der 
Unterschrift  des  altstädter  Seniors  und  des  altstädter  Subseniors  in  die 
Neustadt  und  kommt  zurück  mit  des  neust  Schoppen  Zieritz  Bemerkung: 
«Sententiam  hanc  actis  et  juri  consentaneam  admitto."  Ebenso  kommt  1606 
(53  419)  ein  vom  altst.  Senior  unterzeichneter  Entwurf  Dürings  mit  der 
Notiz  aus  der  Neustadt  zurück:  „M.  Nickel  approbat",  während  (1606:  53  397) 
Nickel  auf  einer  Missive  bemerkt:  „Huic  furi  poenam  relegationis  dictandam 
esse  judicat  M.  N.*  und  daneben  der  altst.  Senior  schreibt:  „Huic  sententiae 
asseotitur  M.  Joh.  Lampertus.  Salvou;  dem  entspricht  das  Spruchkonzept 
des  altst.  Schreibers.     Vgl.  auch  52  306.  447;  54  433. 


492  6«  Buch.    Verfahren. 

sich  daraus,  dass  1615  (64  56)  der  neustädter  Senior  unter  c-- 
ihm  zugesandten,  von  einem  altstädter  Schoppen  mitgezc. 
neten  Votum  des  altstädter  Seniors  bemerkt:    ^Dieser  ca=- 
ist   hie   gewesen   und   uns  aufgezeigt  worden"*;    im  Sir- 
jenes  Seniors  genügte  also  ein  Vorzeigen    der  Akten:  i. 
eine  sachliche  Prüfung  legte    man    keinen  Werth.      Mit  c±r 
einfachen  Zurücksenden  der  Akten  ohne  irgendwelche  Beair- 
kung  wollte  sich  jedoch  1634  (75  459)  der  altstadtische  Sc--  - 
Chueden  nicht  zufrieden  geben;  weil  er  wegen  Amtsgeschärtr 
verhindert  war,  hatte  als  sein  Vertreter  der  Subsenior  Tie5r- 
bach    eine   Sache    mit   seinem  Votum   an    die    zwei    Hat--.- 
allein  vorhandenen  neustädter  Schoppen  gelangen  lassen;  iL* 
die  Sache   zurückkam,    schrieb    Chueden    den    Neustädter 
„Weil  keiner  sein  votum  ad  acta  gelegt,    kann    ich    dara-? 
kein    urteil  concipiren  ....    Mag   man    morgen    zusammen 
kommen1*.      Tieffenbach   bemerkte    dazu,    um    sich    zu  er 
schuldigen:    „Man  sollte  selbiges  bei  Zeiten  herumgeschkh 
haben  ....    Ich    bin  zum  teil  durch  Schwachheit    verbinde: 
worden,    sonst  wäre  es  geschehen;    wenn  aber  etliche  nich 
einheimisch   und  etliche  lange  zeit  außen  sein,    wo  soll  mar 
hinschicken?" 

Um  einen  Begriff  zu  geben,  in  welcher  knappen  Forz 
damals  noch  die  Vota  der  beiden  Kollegien  abgegeben  wurden 
sei  hier  ein  Votum  Schales,  des  einen  der  beiden  neustidtc 
Schoppen,  nebst  den  zustimmenden  Erklärungen  des  alt- 
städter Seniors  Chueden  und  seiner  zwei  Kollegen  TieflFenbacr 
und  Weitzke  aus  dem  Jahre  1637  (76  388)  in  einer  Pferde* 
diebstahlssache  wortgetreu  eingerückt;  es  nimmt  acht  Zeilen 
eines  Sedezblättchens  ein  und  lautet: 

Die  indicia  sein  sehr  schlecht,  und 
ist  testfis]  3,  welcher  durch  minis  die 
pferde  zu  verrathen  testiret,  Singu- 
lar is.  Schließe  meines  teils 
zur  leidlichen  haft,  articulatam 
examinationem ,  confrontation  mit 
den  zeugen,  auch  erkundigung 
seines  vorigen  lebens.     Ergehet  etc. l) 

G.  Ch.2)  s.  J.  Seh. 

J.  T. 

M.  P.  W. 


§  37-     Behandlung  der  Schöppensachen.  493 

Am  Ende  des  17.  Jahrhunderts  beginnt  man,  die  Fassung 
ies  beschlossenen  Unheils  nicht  dem  Einzelkolleg  zu  über- 
lassen, vielmehr  auch  über  sie  das  andere  Kolleg  zu  hören; 
so  bittet  der  neustädter  Schöppe  Cläpius  1697  (79  807)»  nach- 
dem er  einem  Votum  der  Altstädter  beigetreten  ist,  „die 
Sentenz  vor  deren  Mundirung  zu  kommuniziren".  Nur  bei 
Sachen  einfachster  Art  überlässt  das  Kolleg  der  einen  Stadt 
dem  der  anderen  die  Ausfertigung  des  Spruchs  allein. 

Die  Abstimmung  der  Schoppen  erfolgte  (anders  wie 
in  unsern  heutigen  Kollegien)  so,  dass  der  älteste  zuerst,  der 
jüngste  zuletzt  stimmte.  Dies  ist  bei  schriftlichen  Abstimmungen 
aus  der  Reihenfolge  der  Abstimmenden  erkennbar.3)  Auch  hier 
wird  rückwärts  auf  die  ältere  Zeit  und  es  wird  auch  auf  das 
Verfahren    bei  mündlicher  Abstimmung  geschlossen  werden 
können.     Solche   Art    der    Abstimmung    hatte    ihren    guten 
Grund:  das  „Wissen",  die  „Weisheit"  der  Schoppen  beruht 
auf  ihrer  Uebung;    der   neueintretende  Schöppe   tritt   ohne 
Wissen  oder  nur  mit  beschränktem  Wissen  in  das  Kolleg; 
der  ältere  Schöppe  soll  sein  Lehrmeister  sein  und  sich  nicht 
von  den  jüngeren  Kollegen  majorisiren,  vielmehr  sollen  die 
Jüngern  sich  von  ihm  beeinflussen  lassen.   Diese  Beeinflussung, 
die  heutzutage  vermieden  werden  soll,  indem  man  die  jünge- 
ren vor  den  älteren  Gerichtsmitgliedern  stimmen  lässt,  hatte 
für  die  Schöppenstühle  nichts  Bedenkliches. 

Da  dem  Kolleg  der  Schoppen  beider  Städte  Branden- 
burg der  Richter  fehlte,  so  sammelte  der  Senior  die  Stimmen, 
der  altstädter  die  Stimmen  der  altstädter  Schoppen,  der  neu- 
städter die  der  neustädter.4)    Handelte  es  sich  um  eine  Sache, 


*)  Damit  ist  die  Schlussklausel  des  vorgeschlagenen  Spruchs  ange- 
deutet: „Ergeht  weiter,  was  Rechtens*4  (nachdem  nämlich  die  angeordnete 
weitere  Untersuchung  beendet  sein  wird). 

*)  Bleistift  Unterschrift  Chuedens.  Schale  hat  zuerst  gezeichnet  und  zwar 
mit  „salvo".  Das  ist  die  Abstimmung  der  Neustadt.  In  davon  getrennter 
Kolumne  stimmt  die  Altstadt,  zuerst  der  Senior,  dann  der  Zweitälteste,  zuletzt 
der  jüngste. 

8)  Z.  B.  1603  (50  267),  1609  (58  328.  335),  1622  (70  369):  Senior  Floring 
schreibt  unter  eine  Missive:  „Dieser  fall  ist  sehr  nachdenklich,  will  mich 
darauf  ein  wenig  bedenken u.     Vgl.  auch  vorige  Note. 

4)  Auch  bei  Gerichten  vertrat  der  älteste  Schöppe  den  Richter  (oder 


494  6    Buch.    Verfahren. 

die  aus  Brandenburg  selbst  eingegangen  war,  so  hatten  „nach 
alter  Gewohnheit"  die  Schoppen  derjenigen  der  beiden 
Städte  zuerst  zu  stimmen,  die  nicht  die  anfragende  Stadt 
war.1)  Darin  spricht  sich  ein  analoger  Gedanke  aus,  wie  bei 
der  Gewohnheit,  dass  der  älteste  Schöppe  zuerst  abstimmt: 
die  Vota  der  bei  der  Sache  nicht  interessirten  Schöpper. 
sollten  auf  die  der  möglicherweise  dabei  interessirten  ein- 
wirken und  dahin  fuhren,  dass  die  interessirten  Schoppen  un- 
geachtet ihres  Interesses  sich  von  ihren  nicht  interessirten 
Kollegen  leiten  Hessen. 

Mannichfach  rührt  das  Spruchkonzept  nicht  vom  Schop- 
penschreiber,    sondern    von    einem    Schoppen    oder    vom 
Senior   selbst   her:    der    konzipirende  Schöppe    oder   Senior 
vertritt   dann   den  Schöppenschreiber,   was  namentlich  vor- 
kommt,   wenn    er    etwa    früher    Schöppenschreiber    war.-i 
So  trifft  öfters  den  jüngsten  Schoppen  die  Vertretung  des 
Schöppenschreibers.     Das  findet  sich  in  der  Stadt  Osterburg 
(bei  Stendal)    schon    1538  (ÜB.  1  173);    hier    ertheilt    damals 
der  jüngste  Schöppe  den  Parteien  Abschrift  der  gegnerisches 
Prozessschriften;    das    dortige    Gericht    hatte    also     bereits 
schreibenskundige  Schoppen.     Auch  der  Senior  muss  häufig 
vertreten   werden;    dies  geschieht  durch  den  nächstältesten 
Schoppen. 3)     Aus  dem  Senior,  der  sich  vor  der  Sitzung  über 
eine  eingegangene  Sache  sein  Urtheil  bildete,  oder  aus  seinem 
Vertreter  wuchs  allmählich  der  Referent  im  heutigen  Sinne 

Schultheis)  und  hiess  deshalb  z.  B.  in  Wiesbaden  „Unterschultheis*4  (Otto. 
Das  älteste  Gerichtsbuch  der  Stadt  W.  1900  S.  14). 

')  17°7  (8fl  359) :  »ich  sene  gerne,  dass  die  Herren  Neustädter  zuerst 
der  Gewohnheit  nach  votirten"  (Bürgermeister  und  Rath  der  Altstadt 
Brandenburg  hatten  ein  Urtheil  in  einer  Konkurssache  erbeten). 

*)  Der  Neustädter  Schöppe,  früherer  Schöppenschreiber  BoWicke 
notirt  unter  der  Missive  1591  (33  400)  als  Vorschlag  des  Neustädter  Kollegs: 
„ordinaria  poena  rotae  imponfatur]";  es  folgt  aber  ein  vom  AltsL  Schöppen- 
schreiber Bluhm  konzipirter  Spruch,  der  noch  vorgängige  Ermittelungen 
verlangt.  Da  nichts  Weiteres  erhellt,  ist  der  Spruch  so  abgegangen,  nach- 
dem die  Neustädter  sich  angeschlossen  haben,  entweder  in  einer  Sitzung 
oder  durch  Rücksendung  des  von  ihnen  nicht  beanstandeten  Konzepts. 

3)  So  vertritt  Grell  1609  (57  552)  den  Altstädter  Senior  Bluhm  und 
registrirt  den  Sitzungsbeschluss,  den  dann  der  Altstädter  Schöppenschreiber 
Döring  in  Spruchform  fasst. 


§  ^7-     Behandlung  der  Schöppe nsachen.  495 

des  Wortes  heraus; l)  ihn  bestimmte  anfänglich  der  Senior, 
sofern  er  nicht  selbst  die  vorbereitende  Bearbeitung  über- 
nahm,2) bis  später  der  Turnus  eingeführt  wurde,  den  wir 
(S.  490)  kennen  lernten. 

Immerhin   muss   es   als  Regel  betrachtet  werden,    dass 
loei    zirkulirenden  Sachen   ein  Beschluss  jedes  Einzelkollegs 
über  das  Spruchkonzept  nöthig  war.     Der  Senior  konnte  ihn 
entweder  dadurch  beschaffen,  dass  er  die  Sache  in  dem  oft 
a.uf    dem    Rathhaus   versammelten   Einzelkolleg   besprechen 
liess,  oder  dadurch,  dass  er  die  Akten  jedem  einzelnen  seiner 
Schoppen  zur  Revision  des  Spruchkonzepts  zusandte.3)    Auch 
das    kam   vor,    dass   der   gefasste  Beschluss   mündlich   vom 
Schöppenschreiber  oder  von  einem  Schoppen  der  Schwester- 
stadt in  Empfang  genommen  wurde. 

Die  Uebereinstimmung   zwischen    Altstadtern  und  Neu- 
städtern kann  aber  (1648:  77  612)  auch  dadurch  hergestellt 

1)  Ein  analoges  Verfahren  findet  sich  bei  Gerichten,  z.  B.  in  Köln 
{Ennen,  Gesch.  v.  K.  1,  584),  Wiesbaden  (Otto,  Das  älteste  Gerichtsbuch 
<ler  St.  Wiesb.  1900  S.  17),  wo  im  Gerichtsbuch  v.  1554  ff.  der  Name  des 
referirenden  Schoppen  bei  den  einzelnen  Sachen  genannt  wird. 

2)  1606  (5a  382):  Der  Altst.  Subsenior  Bluhm  votirt:  „Als  mir  diese 
sache  zum  verlesen    (d.  h.  zum  Durchlesen    und  Votiren  und,    wenn  es 
zu  einer  Sitzung  kommen  sollte,  auch  zum  Vorlesen  in  dieser)  zugesandt, 
befinde  ich1*  pp.;   dem  tritt  der  Altst  Senior  bei;  dann  geht  die  Sache  in 
•die  Neustadt;  hier  votiren  die  Schoppen  Nickel  und  Zieritz;  dann  wird  die 
Sache  Theil  der  Akten  der  Altstadt,  weil  sie  in  die  Altstadt  mit  der  Neu- 
städter Votum  zurückging  und  in  der  Altstadt  ausgefertigt  wurde.     Aehn- 
lich  1607  (54  57) :    „Decisionem  hanc  ut  juri  et  actis  consentaneam  legit  et 
approbat  B|ernhardus]  Z[ieritz].  Item  Greg.  Bluhm.    Joh.  Grel.    Casp.  Praeto- 
rius.u  Auch  1608  (56  369)  votirt  Floring:  „Ich  habe  diesen  fall  verlesen  und 
befinde  nicht,    dass  dem  consulenten  einige  actio  competire  .  .  .* ;    er  ent- 
wirft  danach    den    Spruch    „salvo    dominorum  judicio".      Zieritz    befindet 
„aus  Verlesung  des  Berichts"    das  Gegentheil;    dem    treten    die    Altstädter 
Grell  und  Prätortus  bei;    demgemäss    entwirft    der    Altst.  Schreiber    einen 
neuen  Spruch,    der    in    der  Altstadt    dann    ausgefertigt  wird.      Der  Senior 
Muller  „theilt*   1706  (80  181)    dem  Schoppen  Cläpius    Kalber  Akten   »zu", 
die  er  (der  Senior)  nicht  erbrochen  hat. 

•)  1607  (47  515)  schreibt  Zieritz  unter  ein  Altstäder  Konzept:  „Non  potui 
diligentia  debita  revidere  hanc  sententiam  propter  festinationem  nostri 
forensis  praefecti*  (d.  h.  des  Stadtrichters  Iden);  1740  (91  499)  schreibt 
Plümicke:  „Bei  den  heute  zur  Revision  zugeschickten  Akten  ist  ver- 
gessen pp.u 


496  6.  Buch.    Verfahren. 

werden,  dass  beispielsweise  der  Neustädter  Referent  sich  im: 
dem  Altstädter  Senior  und  einem  Altstädter  Schoppen  -ac 
dem  Rathhaus  in  der  Altenstadt  vergleicht14.1) 

Die    (vermuthlich  1665  eingetretene)  Verschmelzung  d  sc- 
heiden Senioren  in  einen  und  die  (im  Jahre  17 15  stattgehabte 
Vereinigung  der  Altstadt  mit  der  Neustadt  hatte  die  natur- 
gemässe  Veränderung   des  Verfahrens  in  der  Richtung  tlx 
Folge,  dass  die  Abgabe  der  eingehenden  Akten  nunmehr  cor 
an  einer  Stelle  erfolgte,  und  dass  dieser  einen    Stelle   die 
Distribution  der  Akten  oblag.    Deshalb  berichtet2)   17 17  der 
Schöppenstuhl,  vom  Könige  über  sein  Verfahren  befragt,  „dir 
Akten  würden  dem  Senior,  sofern  er  nicht  abwesend,  zuge- 
schickt;   er  sende  sie  an  die  Anderen;  darauf  kämen  sie  zu- 
sammen   und  beriethen;    ein  Mitglied   werde  mit  dem  Auf- 
setzen der  rationes  beauftragt,  der  Sekretarius  mundire,  der 
Senior  siegele  und  schicke  die  Akten  zurück44.     Das  stimmt 
mit  dem,  was  die  Schöppenstuhlsakten  ergeben. 

Besitzen  wir  hiernach  zwar  eine  authentische  Nachricht 
über  das  Verfahren  des  Schöppenstuhls  im  Anfange  des 
achtzehnten  Jahrhunderts, 3)  so  waren  wir  für  die  Ermittelung 
des  Verfahrens  früherer  Zeiten  lediglich  auf  die  Schöppeo- 
stuhlsakten  beschränkt.  Sie  sind  ohne  genaue  Kenntniss  des 
Verfahrens  überhaupt  nicht  zu  verstehen.  Aus  ihnen  aber 
den  Weg   festzustellen,    den   die    einzelne  Sache  von   ihrem 

J)  Ueber  eine  Abstimmung,  die  je  im  Einzelkolleg  stattfand,  liegt  eis 
Zeugniss  vor  aus  1600  (46  407).  Chueden  als  gewissenhafter  Senior  be- 
merkt 1646  (77  31a),  als  ihm  Akten  aus  der  Neustadt  ohne  eine  Kotn 
über  die  Ansicht  der  Neustädter  zurückgesandt  werden:  „Weil  ich  der 
herren  Neustädter  votum  noch  nicht  gesehen,  kann  dies  coneept  so  nicht 
abgehen*. 

2)  R.  21  No.  9c  StA. 

3)  Ueber  das  Verfahren  des  Schöppenstuhls  zu  Halle  liefert  Drey- 
haupt,  Saalkreis  Bd.*2  S.  450  für  das  Jahr  1750  genauen  Bericht:  Der 
Schöppenstuhl  kommt  Dienstag  und  Freitag  Nachm.  2  Uhr  auf  dem 
Schöppenhause  zusammen,  dort  wird  referirt  und  nach  den  meisten 
Stimmen  beschlossen;  der  Referent  fuhrt  dann  den  Beschluss  aus,  es  wird 
korreferirt,  darauf  von  Allen  unterschrieben  und  vom  Actuario  unter» 
Siegel  ausgefertigt;  in  wichtigen  und  Blutsachen  werden  die  Akten  tob 
allen  einzelnen  Mitgliedern  zu  Hause  nachgelesen  und  mit  dem  konzipinea 
Urtheil  konferirt. 


§  37*     Behandlung  der  Schöppensachen.  497 

Eingang   beim  Brandenburger  Schöppenstuhl    bis   zu   ihrem 
Ausgang  genommen   hat,   musste    vielfache  Schwierigkeiten 
bieten  wegen  der  meist  fehlenden  Daten  und  Unterschriften, 
auch  wegen  der  meist  fehlenden  Registraturen  über  die  ge- 
fassten  Beschlüsse.     Licht  Hess  sich  hier  nur  gewinnen  durch 
Zuhülfenahme  dessen,  was  über  die  beim  Schöppenstuhl  be- 
schäftigt gewesenen  Persönlichkeiten,  ihre  Amtsstellung,  ihre 
Zugehörigkeit    zum    Altstädter   oder  Neustädter  Kolleg    er- 
mittelt werden  konnte;    daneben    war    im  Einzelfalle,    wenn 
die  betreffende  Persönlichkeit  sich  nicht  unterzeichnet  hatte, 
zu  ihrer  Feststellung  das  Vertrautsein  mit  ihrer  Handschrift 
von  entscheidender  Bedeutung. 

Hat  man  sich  aber  genügende  Kenntniss  vom  Verfahren 
des  Schöppenstuhls  verschafft,  so  ergiebt  sich,  dass  dasselbe 
auf  der  einen  Seite  das  denkbar  einfachste,  auf  der  anderen 
Seite  —  namentlich  gegenüber  den  Einrichtungen  unserer  heu- 
tigen Kollegialgerichte  —  das  denkbar  wunderbarste  und  je 
nach  Lage  des  Einzelfalles  denkbar  verschiedenartigste  war. 
Bestimmend  für  dies  Verfahren  zeigte  sich  der  Umstand, 
dass    wir    es   von   c.   1430  bis  1715  mit  einem  Kollegium  zu 
thun  haben,  das  in  Wahrheit  ein  Doppelkollegium  darstellte. 
Innerhalb  des  Doppelkollegs  hatte  der  Fortbestand  der  bei- 
den Einzelkollegien,    aus    denen    das  Doppelkolleg   sich   zu- 
sammensetzte, den  wesentlichsten  Einfluss  auf  den  gesammten 
Gang /ler  Geschäfte. 

Selbstverständlich  entschied  bei  der  Abstimmung  im  Ge- 

sammtkolleg  die  Stimmenmehrheit.     „Weil  styli  ist,    das  in 

votorum  discrepantia  die  pluralitas  votorum  in  acht  genommen 

wird,  gso   werdet    ihr  auch  in  diesem  falle  solchen  gebrauch 

halten14,    schreibt    1609    (58  844)    der    neustädter    Schöppe 

Zieritz  dem  altstädter  Schöppenschreiber,.  und  ebenso  1614 

(63  51)^ der    neustädter   Schöppe    Schale:    „Werdet   solche 

urtel  'propter  pluralitatem   votorum  aufs   reine   unbeschwert 

bringen."     Da  aber  jedes  Einzelkolleg   gleich  stark   besetzt 

war  und  —  wenn  nicht  von  vornherein  die  Majorisirung  des 

einen  (Kollegs  [durch    das  andere   ermöglicht  sein  sollte,  — 

auch  gleich  stark  besetzt  sein  musste,  so  lag  es  auf  der  Hand, 

dass   allemal   dann    ein  Mehrheitsbeschluss   unerreichbar  ge- 

Stölzel,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  32 


498  %  6-  Buch-    Verfahren. 

wesen   wäre,    wenn    die  Schoppen    der  einen    Stadt  verei: 
gegen  die  der  andern  Stadt  stimmten.    Wohlweislich  ordne 
von  diesem  Gesichtspunkte  aus  unser  heutiges   deutsche  G± 
richtsverfassungsgesetz  bei  der  Einrichtung  eines  dem  Brande* 
burger  Schöppenstuhl  ähnlichen  Doppelkolleg-s   (bei  der  Ver- 
einigung von  mehreren  Senaten  des  Reichsgerichts)  in  §  i; 
ausdrücklich  an,  dass  die  Zahl  der  stimmführenden  Mitglieder 
eine  ungerade  sein,  und  dass  bei  Anwesenheit   einer  geraden 
Zahl  von  Mitgliedern  eines  ausscheiden  müsse.    Der  Hallenser 
Schöppenstuhl  kannte  (1750)  bei  Stimmengleichheit  ein  dop- 
peltes Votum  des  Seniors.1)    Eine    entsprechende   Varschrif: 
bestand  für  die  Schoppen  beider  Städte  Brandenburg*  nich: 
Man  sollte  meinen,    dass  sie  hier  besonders  nöthig-  gewesec 
wäre,    weil    es   anscheinend   bei   der  von  selbst   gegebenen. 
naturgemässen  Rivalität  zwischen  Alt-  und  Neustadt  sehr  nahe 
lag,    dass   in    Zweifelsfallen   die   Schoppen  jeder  Stadt  zu- 
sammenhielten.    Und    doch    findet   sich    in    unserem   Aktes- 
material höchst  selten  ein  Fall,  in  welchem  Stimmeng-leicWier 
vorgelegen    und    Schwierigkeiten    bereitet    hätte.  *)     Diese 
Wahrnehmung   findet   ihre  Erklärung   zunächst    darin,   das 
sehr  häufig  nicht  die  volle  Schöppenzahl  bei  der  Beschluss- 
fassung  mitwirkte3)    und    in  Folge   dessen    thatsachlich  <fe 

])  Dreyhaupt,  Saalkreis  Bd.  2  S.  449. 

a)  1652  (78  472)  wird  schriftlich  über  die  Gültigkeit  eines  1639  •" 
Kriegsgefahr  vor  Schulzen  und  zwei  Schoppen  in  GHenicke  errichten* 
Testaments  abgestimmt :  zwei  Altstädter  Schoppen  votiren  abweichend  tc: 
einander,  dem  einen  tritt  der  neustädter  Senior,  dem  andern  der  nächst- 
älteste  neustädter  Schöppe  bei;  darauf  bittet  der  ältere  der  beiden  a^t- 
städter  Schoppen  den  bis  dahin  bei  der  Sache  nicht  betheiligt  geweseeea 
hochbetagten  altstädter  Senior  Chueden,  „suo  voto  den  Ausschlag  zu  gebei"- 
Ferner:  Bei  einer  schriftlichen  Abstimmung  des  Jahres  1691  (79  654)  be- 
merkt der  Schöppenschreiber  auf  einem  Zettel:  „Die  vota  seiod  noch 
paria,  stelle  dem  herrn  seniori  anheim,  ob  er  die  hexren  wolle  convocirec 
lassen." 

8)  Richter  und  Schoppen  von  Berlin  bitten  1553  (5  l34)  *n  wichtiger 
Suche,  in  der  Schürf  die  Ertheilung  eines  consilium  abgelehnt  hatte,  dass 
die  Brandenburger  „alle  sämmtlich,  so  viele  ihrer  zum  Schöppenstuhl 
gehörig,  zusammenkommen  und  darauf  sprechen".  Die  Beschlussfassung  in 
einer  anderen  wichtigen  Berliner  Sache  wird  161 4  (63  474)  vertagt,  „wefl 
mehrertheils  der  H.  Schoppen  verreiset  und  man  in  deren  Ab  wesen  das 


§  37*     Behandlung  der  Schöppensachen.  499 

Stimmenden  eine  ungerade  Zahl  darstellten.    Ausserdem  aber 
bildete     sich    die    rechtliche    Ueberzeugung    des    einzelnen 
Schoppen    nicht   mit  ebensolcher  Bestimmtheit,    wie  sie  sich 
leute  bei  dem  einzelnen  Gerichtsmitgliede  bildet.     Dass  bei 
ler  Berathung   unserer  jetzigen  Kollegien  ein  Mitgled  seine 
bereits  geäusserte  Meinung  aufgiebt  und  zur  Gegenmeinung 
übertritt,    ist  nicht  häufig;    wen    seine    juristische  Schulung 
und  sein  Rechtsgefühl   zu   einem   für  nothwendig  ^erkannten 
Resultate  geführt  hat,  der  entschliesst  sich  schwer,  nachträg- 
lich die  zu  einem  gegentheiligen  Resultate  führende  Gedanken- 
operation für  die  richtige  zu  erklären.     Anders  zur  Zeit  der 
Thätigkeit  unserer  Schöppenstühle.     Hier  war  das  Hin-  und 
Herwogen  alten  und  neuen  Rechtes  noch  so  stark,  auch  die 
Rechtsüberzeugung  des  Einzelnen   in  vielen  Fragen  noch  so 
schwankend,    dass  er  mit  grösserer  Leichtigkeit  bereit  war, 
sich  der  Meinung  eines   Anderen  zu  fügen.     Es  findet  sich 
darum  keineswegs  selten  in  den  Abstimmungen  des  einzelnen 
Brandenburger  Schoppen    die  Bemerkung,    er    könne    auch 
mit  der  gegentheiligen  Meinung  „einig  sein"2);  ja,  zu  Zeiten 
begleitet  das  Kolleg  der  Schoppen  der  einen  beider  Städte 
mit  einer  ähnlichen  Bemerkung   seine  Aeusserung  über  den 
vom    Schöppenkolleg    der    andern    Stadt    vorgeschlagenen 
Spruch.    Auch  würde  es  heutzutage  nicht  leicht  vorkommen, 
dass  ein  Richter,  wenn  die  Reihenfolge  der  Abstimmung  ihn 
trifft,   sich  dahin  äussert:    „desidero  domini  consulis  Mauritii 
votum,  alias  tarn  facile  non  consentio"  (1647:  77  437),  zumal 
in  einem  Falle,  in  dem   es  sich,   wie  hier,   um  die  Billigung 
oder  Verwerfung  einer  vom  Vorsitzenden  seiner  Abtheilung 
vertretenen    Meinung   handelt,    und   wenn    derjenige,   dessen 
Meinung  man  vor  der  eigenen  Abstimmung  hören   will,  der 
Vorsitzende  der  anderen  Abtheilung  ist.    In  solcher  Anlehnung 

verfasste  (=  entworfene)  Urtheil  abgehen  zu  lassen  Bedenken  trägt*'.  Von 
den  5  Mitgliedern,  die  1634  der  vereinte  Brandenburger  Schöppenstuhl  hat 
(2  Vakanzen  bestanden  in  der  Altstadt,  3  in  der  Neustadt),  fassten  in  Bd.  75 
417.  504  drei  einen  Beschluss;  sämmtliche  5  stimmten  75  528. 

2)  1621  (68  526)  votirt  Zieritz:  „Ich  habe  heutiges  tages  mein  be- 
denken" (=  Votum)  „gesagt"  (nämlich  dahin,  dass  zur  Tortur  nicht  ge- 
schritten werden  dürfe),  „wollen  die  herren  aber  die  tortur,  ....  kann 
ichs  wohl  geschehen  lassen11. 

32* 


500  6-  Buch.    Verfahren. 

an   die   Meinung    Anderer   und   in    dem    damit    erklärlir 
wechselweisen  Nachgeben  liegt  aber  nicht    bloss  ein  Har 
grund  dafür,  dass  es  den  Brandenburgern   niemals  an  eöe: 
Mehrheitsbeschluss  fehlte,  sondern  auch  dafür,    dass  es  c 
chem  Satze  der  neuen  eindringenden  Rechte  ohne  erheWkr- 
Widerstand   gelang,    Boden  zu  fassen;    denn    der   Boden. 
dem  er  eine  Stelle  finden  wollte,  war  ein  so  lockerer  Beet 
dass  er  sich  ohne  Schwierigkeit  dazu  eignete,   jedes  ihm  r. 
geführte  Samenkorn  aufzunehmen. 

§  38. 
Herstellung  der  Sprüche, 
i.  Spruchform. J) 
Da  es  die  Aufgabe  der  Oberhöfe  ist,  Belehrung  für  c^ 
von  einem  Gericht  zu  fallende  Urtheil  an  die  Hand  zu  geben, 
nicht   selbst    ein  Urtheil    zu   fällen,    so   kommt    dies    in  <-- 
Form  zum  Ausdruck,  in  welcher  die  Oberhöfe  ihre  Sprikie 
abgeben:    sie    schliessen    sich    der    vom    Anfragenden  £ 
brauchten    Briefform    in    ihrer    Antwort    an,     geben    ihre- 
Spruche   also    einen  Eingang,    der,    ebenfalls    die    Brießorr 
innehaltend,  den  Anfragenden  anredet,  und  sie  sprechen  .nr 
Belehrung".     Das  schliesst  aber  nicht  aus,  dass  sie  ytzur  Be- 
lehrung  vor   Recht"   sprechen,    dass   auch    häufig    in   ihrrü 
Sprüchen  die  Worte  „zur  Belehrung14  fehlen,  *)  und   dass  C* 
mit  die  Sprüche  (abgesehen  von  der  Anrede  im  Eingänge. 
eine  Form  annehmen,    die  sich  der  Form  eines  gerichtliche*. 
Urtheils  nähert,  bis  sich  schliesslich  vielfach  der  Oberhofe- 
spruch unter  Aufgabe  der  Briefform  vollständig  in  die  Fona 
eines    Urtheils    des   anfragenden    Gerichtes    umwandelt   und 
dem  entsprechend  sogar  auf  den  Namen  dieses  Gerichtes  ntf 
angefügter  oberhoflicher  Bestätigungsklausel  gestellt  wird.  ' 

1)  Vgl.  hierzu  die  im  Sachregister  des  ÜB.  unter  „SchöppensprSci-e* 
angeführten  Stellen. 

2)  So  bei  den  Leipziger  Oberhofsspruchen,  siehe  oben  S.  251. 

3)  Mehrere  Stellen  der  Leipziger  Konzeptbücher  könnten  zu  der  Ae- 
nahme  verleiten,    dass  Gerichte  erster  Instanz   von  ihnen  gefällte  UrthrJr 
dem  Oberhof  eingesandt  hätten,  damit  derselbe  als  zweite  Instanz  daröb« 
erkenne.     So  schreiben  (um  1490  Bd.  1  fol.  151)  die  Leipziger  an  die  Laod 
schöppen    zu    Delitzsch:    „Nachdem    ihr    uns  zweier  part  schriftliche 


§  38-     Herstellung  der  Sprüche.  501 

Es    ist    darum    öfter    mit  Schwierigkeit  verbunden,    aus 
en   Spruchentwürfen  der  Akten  zu  erkennen,  ob  ein  Ober- 
ofsspruch  oder  ein  Gerichtsspruch  vorliegt.    Das  gilt  nament- 
ch  dann,    wenn   die  Verfasser  der  Entwürfe  sich  ersparen, 
Ae  Eingangsformel  und  wohl  auch  die  nähere  Bezeichnung 
ier    Spruchbehörde    aufzunehmen.       Bei    Oberhöfen,    deren 
:irma    als  Oberhof  und    als  Gericht  die  gleiche  ist,    bleibt 
lie  Schwierigkeit,    auch  wenn  die  Firma  in  den  Akten    an- 
gegeben zu  werden  pflegt.     Daraus  erklärt  sich  z.  B.,    dass 
Thomas  in  seiner  Schrift  über   den  Oberhof  Frankfurt  a/M. 
die  Sprüche,  die  von   „Richter  und  Scheffen  zu  Frankfurt" 
als   Oberhof  ausgehen,   nicht  genügend  sondert  von  denen, 
die    von    „Richter   und   Scheffen   zu    Frankfurt**    als    Stadt- 
gericht Frankfurt  herrühren.     Ebenso  erklärt  sich,  dass  man 
die  Sammlung  von  Stettiner  Sprüchen  der  Jahre  1592,  1593, l) 
die  von  „Richter  und  Schoppen  zum  Alten  Stettin4*  als  Ober- 
hof gefallt,    aber  mit  einzelnen  von  „Richter  und  Schoppen 
zum     Alten    Stettin"     als    Stadtgericht    gefällten    Sprüchen 
untermischt   sind,    überhaupt  für  Sprüche   des  Stadtgerichts 
Stettin  gehalten  hat  in  Nichtbeachtung  ihres  der  Briefform  sich 
bedienenden  Eingangs  und  in  Nichtbeachtung  der  im  Spruche 
enthaltenen  Klausel,  es  werde  „zu  einer  Belehrung"  gesprochen. 
Eine   gleiche   Notwendigkeit,    ihren  Spruch    als  Ober- 
hofsspruch zu  kennzeichnen,  bestand  für  die  Oberhöfe  nicht, 
die  eine  andere  Firma  trugen  als  das  an  ihrem  Sitze  befind- 
liche Stadtgericht.     In  dieser  Lage  waren  u.  A.  Magdeburg 
und  Brandenburg;  denn  dass  die  Sprüche  der  „Schoppen 
zu   Magdeburg"    und    dass    ebenso   die  der  „Schoppen 
beider  Städte  Brandenburg*    nicht   mit  Sprüchen  ver- 
wechselt werden  konnten,  die  von  „Richter  und  Schoppen 

ortel,  bei  euch  im  landgericht  ge  fället,  recht  darüber  zu  erkennen  zu- 
gesandt, sprechen  wir  darauf  vor  recht".  Hier  und  anderswo  (z.  B.  Bd.  1 
fol.  216V)  ist  aber,  der  Sprache  des  älteren  Prozesses  gemäss,  unter  einem 
im  Landgericht  gefällten  Urtheil  das  von  der  Partei  im  Landgericht 
über  die  Sachlage  ausgesprochene  „Urtheil*  (also  was  wir  heute  den  Partei- 
antrag nennen)  gerreint.  Daraus  erklärt  sich  auch  der  alte  Stendaler 
Schöppeneid  (Götze,  Gesch.  der  Stadt  Stendal,  S.  71):  „zwischen  zwei 
ordeln  das  rechtste  zu  finden". 
J)  Siehe  oben  S.  331. 


502  <*.  Buch.    Verfahren. 

der  Altstadt  (bzw.   Neustadt)  Magdeburg-    oder  \«-- 
„Richter  und  Schoppen  der  Altstadt  (bzw.  Neustac: 
Brandenburg14    ausgingen,    lag   auf  der    Hand.     Immcrt 
bedarf  es  einiger  Aufmerksamkeit,  um  richtig  zu  bemthciler. 
ob  dieser  oder  jener  Spruch  aus  Städten,  die  sowohl  cir~- 
Oberhof  als  ein  Stadtgericht    besassen,    ein  Oberhofs-    »-r- 
ein  Gerichtsspruch  ist.     Für  Brandenburg  entsteht  eine  be- 
sondere S  :h wierigkeit  dadurch,  dass  die  ältesten  Schöppcr- 
stuhlsakten    Oberhofssprüche    enthalten,    die    sich    ümeriLä.b 
der   mit    den  Anfragen    eingesandten  und   zurückbehaltene - 
erstinstanzlichen  Akten  befinden,  und  dass  die  Konzepte»  dir 
Oberhofssprüche   wie    auch  die  miteingesandten    erstinstan: 
liehen  Urtheile  weder  im  Eingang  noch  am  Schlüsse  (er»« 
durch  die  Unterzeichnung:  „Seh  eppen  beider  Städte  Brander  - 
burgu)  ergeben,  von  wem  sie  herrühren,  sich  vielmehr  dar- 
auf beschränken,  zu  sagen,  dass  „wir"  vor  Recht   Sprech-- 
(1534:  2  48.  103.  161).     Als   Beispiel   korrekten  Verfahre:- 
aus  der  Zeit,    in    welcher  der  Brandenburger  Schöppensr-i: 
zu  neuem  Leben  erwacht  war,  kann  ein  Spruch  dienen,  des 
Roter  auf  den  von  ihm  notirten  Sitzungsbeschluss: 

die  halben  Schwester  kinder  und  halben  bruder  kinder  schfieur- 
die  andern  aus, 

mit  vollem  Eingang,  mit  der  Belehrungsklausel  und  mit  der 
vollen  Unterschrift  des  Kollegs  entwarf;  er  lautet  auf  ck 
von  dem  Verwandten  einer  Witwe  in  Tangermünde  gestellte 
Anfrage  (1554:  5  233): 

Unsern  wylligen  dienst  zu  vorn.  Fursichtiger,  gutter  freundu  *  ? 
euer  an  uns  gethane  rechts  frage  sprechen  wir  scheppen  beider  stete 
Brandenburg!*  zu  eyner  bclherungk  des  rechten:  Ist  eure  freue*  ;j 
verstorben,  welcher  mutter  und  euer  vatter  volle  bulicken  ')  gewesen, 
und  hat  euch  an  eynem  und  yres  halben  bmders  und  halber  schwesier 
kinder  anders  teyls  hinter  sich  verlassen,  so  hat  sie  alle  yre  gutlcrr 
uf  yres  halben  bruders  und  halber  Schwester  kinder  als  die  negste: 
ym  grade  der  succession  mit  genzlicher  ausschliessungk  yrer  voBei 
bulicken  kinder  gestemmet  und  vererbet.  Billich  und  von  rech*« 
wegen. 

Uhrkundtlich  mit  unserm  ingesiegel  besiegelt  dornstages  nach 
Dionysii  anno  etc.  LIIIItrn. 

Scheppen  beider  stedte  Brandenburgk. 
')  Geschwister. 


§  38-     Herstellung  der  Sprüche.  503 

Wenn  dann  derselbe  Schöppenschreiber  1558  (7  73)  das 
Konzept   seines    neustädtischen   Kollegen  Karpzow,    der   in 
einer    beim  Landgericht  Perleberg  schwebenden  Sache    die 
Brandenburger  Schoppen  „zur  Belehrung"  sprechen  lassen 
will,  dahin  verbessert,  dass  „für  Recht w  gesprochen  werde, 
so  rauss  dies  darauf  beruhen,   dass  in  seinen  Augen  nur  die 
auf    Privatanfragen   ergehenden  Sprüche   als  Belehrungs- 
sprüche  zu   gelten   haben,    während   die  von  Gerichten  er- 
betenen Sprüche   als   Rechtssprüche"  zu   bezeichnen  seien. 
Uebrigens   ist  dieser  Unterschied,    wie  anderwärts,   so  auch 
in  Brandenburg,  keineswegs  streng  festgehalten ;  Roter  drang 
nicht  damit  durch,  die  Formel,  es  werde  „zur  Belehrung  des 
Rechten44  gesprochen,  auf  ausserprozessualische  Anfragen  zu 
beschränken;    man  wandte  die  Formel  auch  auf  gerichtliche 
Anfragen   in   schwebenden  Prozessen  an   (1542:    ÜB.  1  191; 
1545:  ÜB.  1  216).     Die  Formel,    es   werde    „für  Recht"  ge- 
sprochen,  blieb  die  seltenere.  *)     Was  auf  Anfrage  der  Ge- 
richte oder  Beamten  „für  Recht"  gesprochen  wird,  erscheint 
den  Konsulenten  schon  im  sechzehnten  Jahrhundert  zuweilen 
geradezu  als  ein  „Urtheil".     Darum  bitten  1562  (9  292)  die 
Beamten   zu   Wittstock,    in    übersandten    „tum    Urtheil    be- 
schlossenen"  Akten   die   Brandenburger    „ein    rechtmässiges 
Urtheil"  zu  sprechen.     Doch  kommt  immerhin  der  Gegen- 
satz eines  solchen  Schöppenstuhlsurtheils  und  eines  gericht- 
lichen Urtheils  dadurch  zum  Ausdruck,  dass  man  das  Schöp- 
penstuhlsurtheil  „Belehrungs-Urtheil",    seit    dem   siebzehnten 
Jahrhundert  „Informat-Urtheil"  oder  kurz  „Informat4'2)  nennt, 
bis  es  im  achtzehnten  Jahrhundert  schlechtweg  zum  „Urtheil" 
oder  zur  „Sentenz"  wird,  gegensätzlich  zu  dem  „Responsum" 
oder  „Gutachten",  das  sich  allmählich  aus  dem  auf  Anfrage 
Privater  erwirkten  Spruche  herausbildet.3) 

l)  Die  Schöppenstuhlsakten  können  hier  eine  sichere  Auskunft  nicht 
geben,  weil  die  darin  enthaltenen  Spruchentwürfe,  namentlich  in  späterer 
Zeit,  die  Spruchformel  abgekürzt  wiedergeben  („sprechen  pp.u),  so  dass 
nicht  erhellt,  ob  „zur  Belehrung*4  oder  ob  „für  Recht44  gesprochen  ist. 
Ueber  die  Reinschriften  s.  unten  in  diesem  Paragraphen  unter  5. 

*)  z.  B.  1621  (68  395). 

*)  Die  Darstellung  bei  Dreyhaupt,  Saalkreis  Bd.  2  S.  450  ergiebt, 
dass  1750   auch    in  Halle  Urthel  und  Responsa    gegenübergestellt  werden. 


504  6.  Buch.    Verfahren. 

Der  Aufbau  des  Oberhofsspruches  erfolgt  in  älterer  Z-- 
üblicherweise  so,  dass  sich  einer  kurzen,  der  Misstve  oder  de* 
Akten  entlehnten,   meist  mit  „demnach"   eingeleiteten*  Sacr- 
darstellung   die    mit   „sprechen  wir"   gebildete  Antwort  e-- 
Schöppen  —  analog  der  altern  wie  heutigen  gerichtlichen  Vr 
theilsformel  —  anschliesst;  dabei  fehlt  regelmässig  die  Aagzh- 
von  Rechtsgründen.    In  Brandenburger  Spruchkonzepteo  wir 
die    Darstellung  des   Thatbestandes  mannigfach   durch,    cbr. 
Anweisung   an  den  Sehöppenschreiber,    wie   „narratio^pra?- 
mittatur"  oder  „praemissis  praemittendis"  (1550:  4  252;    155.2 
4360)  oder  „praemissa  repetitionew  (1554:  5314)  ersetzt,  r> 
blieb  dadurch  dem  Sehöppenschreiber  erspart,   zweimal  dc~ 
Thatbestand    schreiben   zu   müssen;    er  legte  ihn  nur  dmn 
und  zwar  in  der  Spruchausfertigung  nieder.     In  den  meister 
Fällen    enthält   aber   bereits  das  Konzept  den  Thatbestari 
Dessen  Fassung  und  die  Fassung  des  Spruches  selbst  zeichne  * 
sich    in   unseren    Akten    durch   Schärfe    und    Präzision   acs. 
Weder   zuviel,    noch    zu    wenig   wurde   aufgenommen,   aucr 
wurde  streng  die  übliche  Form  der  Diktion    inne    gehaltet 
Die  Gedrängtheit  der  Konzepte    ermöglichte,    dass    sie   eire      " 
lange  Zeit  hindurch  ihren  Platz  auf  demselben  Bogen  fanden 
der    die    Missive    enthielt.1)     Die  Reinschrift  nahm    in  einen 
grossen  Theil  der  Sachen    älterer  Zeit   nicht    mehr    als   dk 
Hälfte  einer  Folioseite  ein. 

Erst  mit  der  sich  ausbreitenden  Schreibkunst  und  Schreib- 
seligkeit wurden  die  Konzepte  breiter.  In  einem  Krbstrenc 
des  Jahres  1586  (27  117)  erreicht  das  Spruchkonzept  bereits 
den  Umfang  von  vier,  in  einem  Konkursverfahren  desselben 
Jahres  (27  8)  den  Umfang  von  fünf  Folioseiten,  obwohl  es 
sich  nur  um  eine  Theilung  mit  erstehelichen  Kindern  handelt- 
Der  Schöppe  Zabel  fragt  1598  (43  131)  seine  Kollegen,  ob 
sie,  weil  die  Sache  nicht  wichtig,  das  von  ihm  weitläufig  ent- 
worfene Urtheil  so  abgehen  lassen,  oder  ob  sie  es  ihrem 
„glaublichen  Gebrauch  nach"  kürzer  verfassen  wollten.  Als 
ein  Neuling  im  Schöppenschreiberdienste  16 13  (61  253)  unter 
29  Nummern  des  Thatbestandes  die  Bekenntnisse  einer  wegec 
Zauberei  Verurtheilten  aufzählen  will,  belehrt  ihn  Zieritz,  das 

])  Siehe  oben  Seite  461. 


§  38.     Herstellung  der  Sprüche.  505 

sei  nicht  styli,  es  sei  gebräuchlich,  nur  kürzlich  ....  sine 
circumstantiis  superfluis  circa  coitum  (quibus  offenduntur  audi- 
torum  animi)  es  zu  berühren. 

Den  Schluss  der  Brandenburger  Sprüche  bildet  zwar  in 
den    Jahren   1455  und  1494    noch    nicht    die    Klausel    „von 
Rechtswegen*4,1)    wohl    aber   ständig   seit  dem  Beginne  des 
sechzehnten  Jahrhunderts,2)  auch  wenn  es  sich  um  eine  reine 
Belehrung    ausserprozessualischer    Art    handelt   (z.  B.    1530: 
1  167).    Die  Klausel  hat  sich  bekanntlich  bis  heute  in  unsern 
Gerichtssprüchen  erhalten.     Ihr  legen  die  Brandenburger  im 
Jahre  1600  (46  288)  eine  auffallige  Bedeutung  bei.     Der  Alt- 
städter Schöppenschreiber  Kuhns  fugt   dem  von  ihm  wegen 
gewilddiebter  Rehe  entworfenen  Todesurtheil  statt  des  „von 
Rechtswegen"    die    Klausel    hinzu:    „inhalts    des   publizirten 
kurf.  Edikts"  (vom  6.  März  1582)3)    und   bemerkt  zur  Recht- 
fertigung:   Nota:    muss    ausgelassen    werden    communis  illa 
clausula  „von  rechtswegen."     Dem  Kurfürsten,  dessen  Amts- 
vogt   zu  Küstrin   gegen  den    Wilddieb    eingeschritten    war, 
kommt  die  blosse  Bezugnahme  auf  das  Edikt  „befremdlich" 
vor,  er  verweist  auf  einzelne  den  Wilddieb  belastende  Um- 
stände in  der  narratio;  auf  Erkundigung  erhält  der  Amtsvogt 
in  Brandenburg  die  Antwort,  die  Sache  sei  nochmals  collegia- 
liter  verlesen  und  erwogen;   „von  Rechtswegen"  müsse  aus- 
gelassen   werden,    weil    die  gemeinen  beschriebenen  Kaiser- 
rechte und  die  peinl.  Ger.O.  Leibes-  oder  Lebensstrafe  für  Wild- 
diebe nicht  androhten.4)    Kurfürstliche  Strafgesetze  sind  also 

1)  Vergl.  oben  Seite  278.  281. 

2)  1502  (1  32),  1507  (1  8),  1508  (1  34.  36). 
8)  Vgl.  oben  Seite  359. 

4)  Denselben  Unterschied  machte  ein  1575  an  den.  Kurfürsten  gerich- 
teter Spruch  gegen  Wilddiebe.  Zunächst  wird  auf  willkürliche  Strafe  er- 
kannt mit  dem  Zusatz  „v.  r.  w.u  Dann  wird  fortgefahren,  da  der  Kurfürst 
eine  Konstitution,  wie  es  mit  den  Wildpretdieben  wegen  der  Strafe  solle 
gehalten  werden,  habe  ausgehen  und  publiziren  lassen,  so  mögen  die  Thäter 
„vermüge  der  publizirten  Konstitution"  —  gemeint  ist  die  Konstitution  von 
1574  (ÜB.  4  133)  —  „mit  dem  Strange  am  Galgen  vom  Leben  zum  Tode  ver- 
richtet werden".  Die  Klausel  „v.  r.  w.*  wird  hier  nicht  wiederholt  (ÜB.  4 
137).  Welche  Bedeutung  die  Brandenburger  Schoppen  dem  hier  zu  Tage 
tretenden  Konflikt  zwischen  Reichs-  und  Landesrecht   beimaassen,    ergiebt 


506  6.  Buch.    Verfahren. 

im  Jahre  1600  den  Brandenburgern  zwar  Befehle,  die  sie :. 
befolgen  haben,  sie  sind  aber  kein  neben  dem  Kaisore: 
bestehendes  „Recht".  Wenige  Jahre  später  (1612:60::: 
wiederholt  sich  der  Fall;  der  altstadter  SchöppenschraV 
notirt  als  Beschluss  der  Mehrheit  auf  eine  Missive  aosFeb- 
beilin:  Plurimi  eo  concludunt,  ut  clausuletur  sententia  „wofer 
ihre  chrf.  gnaden  nicht  begnaden  . . .  mag  der  angeschuldc 
nach  schärfe  des  publicirten  edicts  mit  dem  schwer 
gestraft  werden.  Von  rechts  wegen";  letztere  drei  War: 
sind  dann  in  der  Notiz  gestrichen,  gleichwohl  aber  im  Sprue- 
entwurf  enthalten:  die  Brandenburger  hatten  sich  also  er- 
mehr  bequemt,  landesherrliche  Strafgesetze  gleich  den  kaist: 
liehen  als  „Recht"  anzuerkennen. 

Die  schwache  Besetzung  des  Schöppenstuhls  in  der  l< 
des  dreissigjährigen  Krieges  —  1621  gab  es  nur  zwei* 
Städter  und  1634  nur  zwei  neustädter  Schoppen,  zu  letze:-' 
Zeit  anscheinend  auch  nur  einen  Schöppenschreiber1)  —  ** 
für  die  Brandenburger  vorübergehend  der  Anlass  zu  Vr 
suchen,  sich  die  Arbeit,  die  dem  Schöppenstuhl  die  Her 
Stellung  der  Urtheile  machte,  zu  erleichtern.  Als  Perleberpr 
Gläubiger  1621  (69  618)  in  einem  Konkursverfahren  weg-: 
ihrer  Rangordnung  anfragten,  wollte  der  altstädter  Sei:' 
Haveland  sich  das  Eingehen  in  die  nicht  einfache  Rechtslagt 
damit  ersparen,  dass  er  den  Gläubigern  zu  antworten  rar- 
schlug, sie  seien  befugt,  bei  Gericht  die  Verschickung  x 
Akten  zu  beantragen;  wenn  solches  geschehe,  wurde  jedtr 
Gläubiger  bei  seiner  Hypothek  billig  geschützt  werden.  D* 
neustädter  Schöppe  Zieritz  meinte  aber,  „es  wurde  anschiß 
Urtel  sein  und  schlechte  Reputation  geben",  wenn  man  s- 
die  Anfragenden  abfertigen  wollte;  dass  sie  sich  an  das  Ge- 
richt wenden  könnten,  wüssten  sie  selber,  aber  sie  wolltet 
wissen,  inwieweit  ihre  Ansprüche  in  jure  fundirt  seien.  ^' 
gleich  entwarf  Zieritz  einen  in  die  Sache  eingehenden  Spruen. 
dieser   gelangte   zur  Ausfertigung.     Und  im  Jahre  1634  JP 

ein  weitläufiges,  offenbar  von  ihnen  selbst  eingeholtes,  ebenfalls  ao" 
Roterschen    Dezisionensammlung  (ÜB.  4  120— 131)   einverleibtes  Konsul 
der  Wittenberger  Fakultät. 
l)  Vgl.  oben  Seite  112. 


§  3**»     Herstellung  der  Spruche.  507 

wohnte  sich  der   neustädter  Schöppenschreiber  Moritz  (ver- 
muthlich,    weil    ihm    beim  Mangel   eines  altstädtischen   Kol- 
legen   die  Schreibarbeit  zuviel  wurde)  ein  abgekürztes  Ver- 
fahren an.     Ohne  einen  Spruchentwurf  anzufertigen,  liess  er 
alsbald   —   wie   es   bis   zum  Beginne  des  sechzehnten  Jahr- 
hunderts üblich  gewesen  war l)  —  die  Sprüche  in  Reinschrift 
abgehen,    behielt   dann   aber  nicht  etwa  eine  Kopie  zurück, 
sondern    ersetzte    diese    dadurch,    dass    er   unter    dem    vom 
Senior  auf  eine  Missive  (z.  B.   auf  die  vom   18.  September) 
kurz  niedergeschriebenen  und  von    einzelnen  Schoppen    mit 
den    Anfangsbuchstaben    ihrer    Namen    unterzeichneten    Be- 
schluss    (wie  etwa:    subjiciatur   reus   torturae)    lediglich  be- 
merkte: „Das  urteil  ist  in  forma  solita  et  consueta  heute  am 
20.   September    abgangenu    (75  431.  433).      Also   selbst    in 
wichtigen  Sachen  beschränkt  sich  Alles,  was  in  den  Akten 
von  der  Thätigkeit  der  Schoppen  und  des  Schöppenschreibers 
sichtbar  war,   buchstäblich   auf  zwei  Zeilen,  deren  eine  über 
den  gefassten  Beschluss    und   deren  andere  über  den  Inhalt 
des  gesprochenen  Urtheils  berichtet;  die  zugehörige  Missive 
füllt  zwei  Seiten.    Wie  sich  das  im  Laufe  der  Zeiten  änderte, 
lässt  sich  kaum  besser  veranschaulichen,    als  wenn  man  ein 
Jahrhundert  weiter  blickt  und  die  vom  Auditeur  zu  Potsdam 
unterm  30.  März  1724  (83  81  ff.)  in  Angelegenheiten  der  Erben 
des   Feldmarschalls  Derfflinger   gestellten   Fragen   und    das 
darauf  im  Mai  1724  (83  107  ff.)  entworfene  Urtheil  betrachtet; 
die  Fragen  nehmen  den  Raum  von  40  Seiten  ein,  und  eben- 
falls 40  Seiten  füllt  das  Urtheilskonzept. 

Zu  dieser  Umwandlung,  die  nicht  etwa  bloss  an  den 
Brandenburger  Schöppenstuhlssprüchen,  auch  nicht  etwa  bloss 
an  den  Sprüchen  der  Oberhöfe  und  der  Fakultäten,  sondern 
ebenso  an  den  Urtheilen  der  Instanzgerichte  bemerkbar  ist, 
hat  wesentlich  das  übermässige  Anschwellen  der  Prozess- 
schriften beigetragen,  in  denen  das  gelehrte  Recht  sich  breit 
zu  machen  liebte.  Die  Folge  war  das  Aufkommen  von 
Aktenauszügen  der  Referenten  und  das  daran  sich  an- 
schliessende Aufkommen  einer  species  facti,  ferner  das  Auf- 
kommen der  Sitte,  den  Urtheilen  die  rationes,  und  zwar  so- 

l)  Siehe  oben  Seite  23.  281. 


508  6-  Buch-    Verfahren. 

wohl  die  rationes  dubitandi,  wie  die  rationes  decidendi,  einzu- 
verleiben, und  endlich  das  Aufkommen  der  Relationen. 

2.    Aktenauszüge  und  Relationen. 

Mit  dem  Wachsen  des  Umfanges  der  beim  Schoppen  - 
stuhl  eingehenden  Akten  musste  von  selbst  das  Bedürfniss 
entstehen,  demjenigen,  der  in  der  Sitzung  diese  Akten  ver- 
lesen musste,  die  Verlesung  der  gesammten  Akten,  und  den- 
jenigen, die  über  den  Akteninhalt  Beschluss  fassen  sollten, 
die  Anhörung  einer  solchen  ermüdenden,  langwierigen  Ver- 
lesung zu  ersparen.  Auch  hier  war  es  in  Brandenburg 
Simon  Roter,  dem  Manne,  der  so  vielfach  um  den  Schöppen- 
stuhl  sich  verdient  gemacht  hat,  vorbehalten,  die  Bahn  zu 
brechen.  Theil  der  Schöppenstuhlsakten  ist  die  zwei  Folio- 
seiten füllende  Darstellung,  die  er  im  Jahre  1560  (8  269), 
damals  noch  Schöppenschreiber,  vom  Inhalte  eines  nach 
Brandenburg  gelangten  Berliner  Injurienprozesses  gemacht  hat, 
in  welchem  es  sich  um  eine  Bagatelle  handelte.  Es  ist  das  der 
älteste  Aktenauszug,  der  sich  findet.  Seine  Existenz  spricht 
zugleich  dafür,  dass  der  Vortrag  der  Sache  in  der  Sitzung 
(d.  h.  die  Verlesung  der  Akten)  Aufgabe  des  Schöppen- 
schreibers,  nicht  eines  Schoppen  war;  sonst  würde  der  Akten- 
auszug von  einem  Schoppen  gefertigt  sein.  Die  Rand- 
bemerkung Roters,  „der  Richter  in  Berlin  hätte  ein  Einsehen 
haben  können  und  es  nicht  auf  die  Schoppen  in  Branden- 
burg schieben  dürfen,*4  beweist  zugleich,  dass  dem  Schöppen- 
schreiber eine  sachliche  Meinungsäusserung  gestattet  war. 
Als  Schöppe  fuhr  Roter  fort,  solche  Auszüge  zu  den  Akten 
zu  bringen,  was  den  Beweis  liefert,  dass  der  Vortrag  der  Akten 
in  der  Sitzung  nicht  auf  den  Schöppenschreiber  beschränkt 
blieb.  In  einer  Zaubereisache  fertigt  er  1565  (9  479)  einen 
5  Seiten  langen  Aktenauszug  an,  unter  den  der  Schöppen- 
schreiber das  Spruchkonzept  setzt,  ähnlich  1573  (ÜB.  1  590) 
in  einer  Brandstiftungssache  und  1576  (17  242)  in  einer  Erb- 
theilungssache,  wo  er  alsbald  unter  dem  Auszug  votirt,  er 
„halte  davor,  dass  des  Beklagten  Bitte  statthaben  solle44. 
Dann  fügt  er  1579  (21  139)  der  kurzen  Wiedergabe  der 
Zeugenaussagen  oder  dem  „Extrakt  der  vornehmsten  Punkte 


§  38«     Herstellung  der  Sprüche.  509 

aus  der  Urgicht44  in  zwei  Strafprozessen  sein  kurzes  Votum 
und  den  Spruchentwurf  bei  (21  226) ;  in  diesen  Fällen  wird  zum 
ersten  Male  ein  voller  Bogen  mit  dem  Vorschlage  des  Refe- 
renten den  Akten  beigelegt.1)  Roters  Beispiel  ahmt  dann  1577 
(5  335) 2)  sem  Schwager  Garz  als  Schöppenschreiber  nach,  der 
in  seine  offenbar  für  die  Sitzung  gemachten  Notizen  auch  „Bar- 
tolus  de  Sassoferrato44  anführt.  In  grösserer  Ausdehnung  macht 
Garz'  Nachfolger  Mag.  Bluhm  während  seines  Schöppen- 
schreiberamtes  (1586  bis  1592)  von  Aktenauszügen  Gebrauch, 
zu  denen  er  der  Länge  nach  gebrochene  halbe  Bogen  ver- 
wendet, wie  sie  in  jener  Zeit  und  schon  früher  für  Rechnungs- 
aufstellungen allgemein  üblich  waren;  sie  wachsen  hier  und 
da  auf  den  Umfang  von  10  Blättern  an.3)  Einmal  (1592:36 
123)  findet  sich  auch  ein  doppelter  Aktenauszug  in  derselben 
Sache,  einer  des  neustädter  Schoppen  Boldicke  und  einer 
des  altstädter  Schoppen  Bluhm,  dazu  des  Letzteren  Spruch- 
konzept. Der  neustädter  Schöppe  Zieritz  bringt  161 2  (60 
161.  274)  seitenlange  Referate  zu  den  Akten;  1620  (67  733) 
und  1641  (77  192)  thun  dies  die  altstädtischen  Senioren 
Haveland  und  Chueden.  Einen  zwei  Bogen  langen  „Extrakt44 
aus  einer  „artikulirten  Impetration  pro  impetranda  restitu- 
tione  in  integrum44  liefert  1648  (7844)  der  neustädter  Schöppe 
Schwartz. 

Auf  die  Gestaltung  der  Urtheile  haben  diese  Aktenaus- 
züge keinen  unmittelbaren  Einfluss,  sie  werden  nicht  etwa 
als  Urtheilsthatbestand  aufgenommen. 

Dies  geschieht  erst  innerhalb  des  achtzehnten  Jahrhunderts, 
indem  seit  1733  vielfach,  unmittelbar  vorher  wenigstens  hier 
und  da  der  getroffenen  Entscheidung  eine  „species  facti14,  die 
nichts  Anderes  als  der  bisher  mannigfach  vorkommende 
Aktenauszug  ist,  vorangestellt  wird  (87  14  ff.).  Sie  sollte 
bei  den  zirkulirenden  Sachen  dazu  dienen,  die  Prüfung  (tech- 
nisch   genannt  „die  Revision44)    des    vom  Referenten   vorge- 


*)  Vgl.  auch  1589  (30  557)  den  Aktenauszug  Roters. 

2)  Irrthümlich  in  den  5.,  die  Jahre  1553 — 1566  betr.  Bd.  aufgenommener 
Bogen. 

3)  1588  (30  97  bis  103),  1589  (32   16),  1590  (3a  49;  33  107),  1591  (33 
326;  34  vor  Bl.  1.  274.  280.  350),  1592  (37  375?  36  123). 


510  6-  Buch.    Verfahren. 

schlagenen  Urtheils  zu  erleichtern.  Deshalb  schreibt  Oel- 
schläger  (1735:  88  345):  „die  Herren  Kollegen  werden  er- 
sucht loco  relationis  oralis  consuetae  in  collegiis  juridicis 
speciem  facti  brevem,  wie  ich  zu  thun  pflege,  auch  zu  Er- 
sparung meiner  Zeit  zu  prämittiren".  Der  Schöppe  Plümicke 
bemerkt  dazu:  „Wird  künftig  von  mir  beobachtet  werden14. 
Dass  die  Anfertigung  von  Relationen  anfanglich  allein  auf 
Gewohnheit  beruht,  ergiebt  auch  das  Reskript  vom  26.  Fe- 
bruar 1738,  betreffend  die  Verbesserung  der  Justiz,  das  von 
Relationen  und  Korrelationen  spricht,  „wo  solche  gebräuch- 
lich44. l)  Als  1739  (90379)  Oelschläger  einmal  diese  species 
causae  oder,  wie  auch  gesagt  wird,  diesen  Status  causae  ver- 
misst,  bittet  er,  künftig  „zur  Erleichterung  der  Revision  den 
Status  nicht  zu  vergessen44.  Der  Status  causae  oder  extractus 
actorum*2),  anfanglich  sehr  kurz  gefasst,  wächst  ebenfalls 
allmählich  zu  einer  Reihe  von  Blättern  an  (7  Bl.  1759:  101 
13;  9  Bl.  1760:  101  152;  7  Bl.  1777:  103315),  nachdem  1748 
das  Projekt  des  Codicis  Fridericiani  Marchici  (III.  Tit.  36  §  2) 
den  Referenten,  denen  Acta  distribuirt  werden,  befohlen 
hatte,  „eine  umständliche  schriftliche  Relation  zu  verfertigen 
und  die  facti  speciem  und  genus  actionis  vor  allen  Dingen 
deutlich  vorzustellen44. 

Species  facti,  Status  causae,  extractus  actorum  vertreten 
nach  dem  Mitgetheilten  die  relatio  oralis,  folglich  ist  diese 
relatio  auch*  nichts  Anderes  als  eine  Darstellung  des  Akten- 
inhalts. Aber  schon,  als  die  VO.  vom  21.  Juni  17 13  behufs 
Prüfung  der  Kammergerichts-,  Regierungs-,  Hofgerichts-  und 
Oberappellationsgerichtsräthe  die  Anfertigung  einer  Relation 
pro  statu  cum  voto  eingeführt  hatte,3)  verstand  diese  gesetzliche 
Anordnung  unter  einer  Relation  nicht  bloss  einen  Akten- 
auszug, sondern  auch  einen  Entwurf  der  vorzuschlagenden 
Entscheidung  nebst  deren  rechtlicher  Begründung.  Einer  der 
beiden  Ersten,  der  in  Brandenburg  die  neu  vorgeschriebene 
Proberelation  anzufertigen  versuchte,  musste  sehr  zu  seinem 
Schaden  erfahren,  dass  er  geirrt  hatte,  wenn  er  unter  einer 

J)  Mylius  c.  c.  m.  contin.   i,   133. 
J)  So  genannt  1777  (103  287). 
*)  Siehe  oben  S.  324. 


§  38-     Herstellung  der  Sprüche.  511 

relatio,  wie  es  dem  bisherigen  Sprachgebrauch  gemäss  war, 
lediglich  einen  Aktenauszug  verstand.  Als  der  zum  assessor 
extraordinarius  vorgeschlagene  Kapitelsyndikus  Dreher l)  1 7 18 
sich  damit  begnügte,  eine  Proberelation  zu  liefern,  die  ledig- 
lich in  einem  Aktenauszug  bestand,  vermissten  die  Examina- 
toren ein  Gutachten  „über  das  genus  actionis,  ob  actio 
probirt  oder  durch  Gegentheils  exceptio  etwa  elidirt,  und 
welchergestalt  die  Sache  per  sententiam  abzuthun";  die 
Folge  war  die  Zurückweisung  Drehers.  Glücklicher  war  der 
gleichzeitig  zum  assessor  Ordinarius  vorgeschlagene  Kon- 
sistorialrath  Knackrügge2)  mit  seiner  Proberelation;  sie  ge- 
nügte den  Anforderungen  der  Berliner  Examinatoren. 

Die  erste  in  den  Brandenburger  Schöppenstuhlsakten 
sich  findende  „Relation"  datirt  vom  Januar  17 19  (81  92);  sie 
ist  (im  Umfang  von  8  Bl.  mit  der  Ueberschrift:  „Extrakt 
und  Relation  aus  den  mir  zugeschickten  Akten  pp.u)  von 
Steltzner3)  erstattet.  Die  Sache  wird  „zur  Zusammenkunft" 
geschrieben.  Was  Steltzner  geliefert  hat,  ist  im  Wesent- 
lichen der  früher  sogenannte  Status  causae  mit  einem  auf 
wenige  Zeilen  beschränkten  Votum,  dem  der  Spruch  mit 
ausführlichen  Gründen  (7  Seiten)  folgt.  Den  Vortrag  des 
Referenten  in  der  Sitzung  nennt  Giesecke  1732  (86  598) 
„mündliche  Relation14.4) 

Hugo  verfasst  1780  (104  44)  eine  „relatio  ex  actis",  die 
einen  Status  causae  nebst  dessen  Beurtheilung  mit  der  zwischen 
den  Zeilen  nachgetragenen  Ueberschrift  „Votum"  enthält; 
dies  Votum  ist  nichts  Anderes  als  die  —  mit  Nummern  ver- 
sehenen —  früheren  rationes  dubitandi  et  decidendi,  von 
denen  wir  alsbald  hören  werden.  Im  Jahre  1 782  liefert  Hugo 
(104  302)  eine  relatio  ex  actis,  in  welcher  er  auf  10  Blättern 
den  Akteninhalt  wiedergiebt,  dann  auf  die  rechtliche  Lage 
der  Sache  eingeht  mit  den  Worten:  „Die  Beurtheilung  zer- 
fällt in  zwei  Hauptstücke/4  und  zuletzt  das  „Urthel"  anschliesst, 

l)  Siehe  oben  S.  170. 
a)  Vgl.  oben  S.  169. 

3)  Vgl.  oben  S.  131. 

4)  „Wenn  wir  zusammenkommen,  will  ich  sogleich  auf  mündliche 
relation  unterschreiben." 


512  6-  Buch.    Verfahren. 

d.  h.  die  Urtheilsformel;  das  Ganze  wird  von  drei  Schoppen 
unterschrieben;  bei  seiner  Unterschrift  bemerkt  Hugo:  „Statt 
der  Gründe  ist  die  Beurtheilung  abzuschreiben41;  demgemäss 
ist  dann  vor  den  Anfang  der  Beurtheilung  das  Wort  „Gründe4* 
übergeschrieben. 

So  bildete  sich  die  aus  einer  Darstellung  des  Sach- 
verhalts, einem  rechtlichen  Gutachten  und  einem  Urtheils- 
entwurf  bestehende  Relation  des  in  der  ersten  Hälfte  des 
neunzehnten  Jahrhunderts  üblichen  schrifdichen  Prozessver- 
fahrens. 

3.  Rationes. 

In  das  Urtheil  rechtliche  Ausführungen  aufzunehmen,  die 
es  begründen  sollen,  wird  in  Brandenburg  erst  mit  dem  sieb- 
zehnten Jahrhundert  üblich.  Kannten  doch  schon  die  Römer 
nach  Seneca  (ep.  94,  27)  den  Satz:  jurisconsultorum  valent 
responsa,  etiamsi  ratio  non  redditur,  und  wenn  sich  ein  ein- 
zelner deutscher  Oberhof,  wie  der  zu  Breslau,  schon  im  Be- 
ginne des  sechzehnten  Jahrhunderts  darauf  einliess,  die  Schrift- 
sätze der  Parteien  nebst  einer  Begründung  des  Spruches  in 
das  Urtheil  einzufügen,  so  rief  das  1533  den  Beschluss  von 
Rathmannen  und  Schoppen  hervor,1)  dass  „hinfurder  weder 
Klage  noch  Antwort  in  die  Urtheile,  die  die  Scheppen  in 
die  umliegenden  Städte  versprechen,  inserirt  werden  sollen» 
sondern  dass  allein  das  Urtheil  ohne  einicherlei  Ursach 
oder  Ration  den  Parten  oder  Städten  soll  zugefertigt 
werden44.  Die  Gerichte,  selbst  die  höheren,  verfuhren  nicht 
anders.  Das  mag  ein  Urtheil  des  Berliner  Kammergerichts 
in  einem  Prozesse  der  Altstadt  Brandenburg  gegen  den 
dortigen  Dom  und  die  Neustadt  Brandenburg  aus  dem  Jahre 
1541  belegen,  das  sich  auf  folgenden  Wortlaut  beschränkt: 
„In  Sachen  .  .  .  erkennen  des  Churfürsten  zu  Brandenburg 
verordnete  Kammergerichtsräthe:  weil  beklagter  Syndicus 
die  Klage  verneinet,  so  sind  klagende  Syndici  der  Grund 
derselben  inwendig  geordneter  Frist  zu  erweisen  schuldig. 
V.  r.  w.a  2) 

*)    Prasek   in  der  Ztschr.  des  Vereins   f.  d.  Gesch.  Schlesiens   Bd.  33, 

S.  3*3- 

8)  Siehe  oben  S.  97. 


§  38«     Herstellung  der  Sprüche.  513 

Gewissermassen  lagen  freilich  auch  Entscheidungsgründe 
in  Urtheilen,  die  sich  auf  Mittheilung  eines  kurzen  That- 
bestandes  und  einer  Urtheilsformel  beschränkten;  denn  wenn 
z.  B.  unter  zwei  Erbprätendenten  dem  einen  als  dem  Grade 
nach  näheren  der  Nachlass  zugesprochen  wird,  so  enthält 
diese  Entscheidung  klar  als  Rechtsgrund  den  Satz,  dass  der 
dem  Grade  nach  Nähere  dem  Entfernteren  als  Erbberechtigter 
vorgeht,  und  wenn  demjenigen,  der  in  einem  aussergericht- 
lichen  Testamente  eingesetzt  ist,  das  beanspruchte  Erbrecht 
aberkannt  wird,  so  liegt  darin  der  Entscheid  ungsgrund,  dass 
ein  solches  Testament  unwirksam  sei. 

Die  knappe  Fassung  der  Sprüche  und  namentlich  die 
Weglassung  von  Entscheidungsgründen  sind  vor  Allem  der 
Grund,  dass  bis  zum  Beginne  des  siebzehnten  Jahrhunderts 
die  grosse  Veränderung,  die  im  materiellen  Rechte  durch 
Aufnahme  romanistischer  Sätze  eingetreten  war,  in  der  Recht- 
sprechung kaum  zu  Tage  tritt.  Manche  Entscheidung  basirt 
im  sechzehnten  Jahrhundert  sicher  auf  dem  Einflüsse  des 
gelehrten  Rechtes;  der  ergangene  Spruch  bringt  das  aber 
äusserlich  nicht  zur  Anschauung.  Als  Beispiel  kann  ein  Fall 
dienen,  der  1540  bis  1542  im  Städtchen  Gransee  (bei  Branden- 
burg) spielte  (vgl.  ÜB.  1  190).  Hier  hatte  eine  Witwe  mit  den 
Verwandten  ihres  Mannes  vereinbart,  dass  sie  von  dessen 
Erbe  nichts  verkaufen  dürfe  ohne  Vorwissen  der  Verwandten, 
die  zum  Vorkaufe  berechtigt  sein  sollten.  Gleichwohl  ver- 
kaufte die  Frau  in  allen  Formen  Rechtens  einem  Dritten  eine 
Braupfanne,  ohne  sie  den  Verwandten  angeboten  zu  haben; 
diese  fragen  an,  ob  ihnen  der  Dritte  nicht  die  Braupfanne 
gegen  Rückzahlung  des  Kaufgelds  abtreten  müsse.  Das  be- 
jaht man  1540  in  Brandenburg.1)  Als  aber  dann  die  Sache 
zum  Prozess  kommt  und  das  Granseeer  Gericht  in  Branden- 
burg anfragt,  erfolgt  1542  eine  ganz  anders  lautende  Ant- 
wort: der  ordnungsgemäss  vollzogene  Verkauf  könne  gegen 
den  Dritten  nicht  angefochten  werden,  die  Verwandten 
möchten  sich  an    die  Witwe   halten,    die   ihnen   Gewähr  zu 

l)  „Sofern  die  Freundschaft  in  den  Verkauf  nicht  gewilligt,  kann  sie 
die  Pfanne  wiederfordern,  und  der  Käufer  kann  sich  nicht  schützen,  ob  er 
gleich  den  Verkauf  in  der  Schoppen  Buch  hat  verzeichnen  lassen.'1 
S  t  ö  1  z  e  I ,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  33 


514  6.  Buch.    Verfahren. 

leisten  habe.     Die  Verschiedenheit  der  Entscheidung   findet 
ihre  Erklärung  darin,  dass  der  Spruch  von  1540  auf  dem  Boden 
des  dinglich  wirkenden  deutschen  Retraktrechts,  der  Spruch 
von  1542    auf  dem  Boden   des    bloss   persönlich   wirkenden 
römischen     pactum     protimiseos     steht.      Aus    den     beiden 
Sprüchen  lässt  sich  das  nur  ahnen;    sie   sagen   davon    kein 
Wort.      Deshalb    wird    die    Aufnahme    von    Entscheidungs- 
gründen für  die  Konsolidirung  der  gelehrten  Rechtsprechung 
von  besonderer  Bedeutung.     Eine  leise  Hindeutung  auf  Ent- 
scheidungsgründe ist  es  auch,  wenn  1553  (ÜB  1  289)  ein  der 
Schwängerung  Bezichtigter  von  der  Klage  entbunden  wird, 
„da  die  Klägerin  ihn  der  Uebelthat,  wie  zu  Recht  genugsam, 
nicht    überkommen    kann44,    oder  wenn  in  demselben    Jahre 
(5  33)  der  altstädter  Schöppenschreiber   mit  dem  neustädter 
Senior    darüber    korrespondirt,    ob  der  Verurtheilung  eines 
Diebes  zur  Rückgabe  des  gestohlenen  Roggens  an  die  Be- 
stohlene  zugefügt  werden  solle;  „tanquam  miserabili  personae4*, 
was  der  Senior  keineswegs   etwa  deshalb  beanstandet,    weil 
Entscheidungsgründe  nicht  in  den  Spruch  gehörten,  sondern 
deshalb,    weil   die  Rückgabe  „ohne  das  rechtlich  sei44,  <L  h. 
weil  sie  auch  geboten  wäre,    wenn  die  Bestohlene  nicht  zu 
den  personae  miserabiles  gehören  sollte. 

In  ausgedehnterem  Maasse  tauchen  Entscheidungsgründe 
zuerst  bei  Liquidationen  im  Konkurs  auf.  So  z.  B.  1587  (29 
252)  in  einem  Berliner  Konkurs,  in  welchem  20  Gläubiger 
auftreten.  An  erste  Stelle  wird  hier  ein  Gläubiger  lozirt, 
weil  er  „mit  keiner  Zession  der  im  Berliner  Gerichtsbuch 
1565  und  1567  eingetragenen  Forderungen  von  1000  und 
1 100  Thlr.  versehen,  auch  nicht  erwiesen,  dass  er  als  Bürge 
hat  zahlen  müssen44.1) 

Ein  Recht,  Gründe  eines  gefällten  Spruchs  zu  verlangen, 
hatten  aber  damals  die  Parteien  noch  nicht.  Der  mit 
einem  Brandenburger  Spruch  unzufriedene  Hans  v.  Restorf  in 
Heinrichsdorf  bittet  1592  (35  480)  um  Mittheilung  „der  Ur- 
theilsgründe  und  rationes  decidendi44.  Die  Brandenburger 
erwidern,  „dass  hiebe  vor  und  bis  daher  nie  in  unserm 
Scheppenstuhl  gebräuchlich  gewesen,  einigen   die   Ursachen 

!)  Achnlich  1633  (ÜB.  2  676). 


§  38«     Herstellung  der  Sprüche.  515 

unseres  Rechtsspruchs  und  rationes  decidendi,  ausge- 
nommen, wann  unser  gn.  Herr  der  Kurfürst  solches 
von  uns  begehrt  hat,1)  anzuzeigen  oder  schriftlich  zu 
geben,  lassen  es  derwegen  nochmals  bei  vorigen  ausge- 
sprochenen Urtel  bleiben,  übersenden  euch  derwegen  euer 
Geld  hinwiederum,  freundlich  bittend,  uns  diesfalls,  dass  wir 
euch  gebetenermassen  nicht  willfahren  können,  entschuldigt 
zu  halten*.  Wenige  Jahre  später  (1596:  40  386)  erklären 
sich  aber  die  Brandenburger  dem  Hauptmann  Dietrich 
v.  d.  Schulenburg  gegenüber  bereit  zur  Mittheilung  ihrer 
rationes  decidendi,  nachdem  ein  Anverwandter  des  Haupt- 
manns, Werner  v.  d.  Schulenburg,  von  einem  ihn  betreffen- 
den Brandenburger  Spruch  gesagt  hatte,  „er  sei  so  weit  vom 
Rechten  entfernt,  als  der  Anfang  vom  Niedergang,  Wahr- 
heit von  der  Lüge,  Licht  von  Finsternisse 

Sehr  wohl  war  es  den  Schoppen  bewusst,  dass  die  Weg- 
lassung der  Gründe  in  den  Urtheilen  ihnen  nicht  bloss  eine 
erhebliche  Arbeitslast  ersparte,  sondern  dass  dadurch  auch 
ihre  Rechtsprechung  vor  einer  unliebsamen  Kontrole  geschützt 
wurde.  Erst  die  mehr  und  mehr  zunehmende  Unterordnung 
des  Schöppenstuhls  unter  die  landesherrliche  Gewalt  führte 
dahin,  dass  die  Schoppen  wenigstens  soweit  jene  Kontrole 
zuliessen,  als  sie  anerkannten,  dass  der  Kurfürst  sie  zur  Mit- 
theilung ihrer  rationes  decidendi  im  Einzelfalle  anhalten 
könne.  Charakteristisch  ist,  dass  sie  in  der  eben  mitgetheilten 
Erwiderung  an  Hans  v.  Restorf  den  anfanglich  beabsichtigten 
Ausspruch,  dem  Kurfürsten  stehe  das  Recht  zu,  Mittheilung 
ihrer  Gründe  zu  begehren,  nachträglich  wieder  strichen;  es 
hätten  daraus  ihnen  unliebsame  Folgerungen  gezogen  werden 
können;  denn  sehr  nahe  lag  es,  dass  jeder,  der  mit  einem 
Brandenburger  Spruch  unzufrieden  war,  beim  Kurfürsten  sich 
beschwerte  und  um  einen  Befehl  supplizirte,  die  Gründe 
mitzutheilen.  So  mag  die  Sachlage  gewesen  sein,  als  der 
Kurfürst  den  Brandenburgern  1602  (ÜB.  2  335)  befahl,  dem 
Kastner  in  Tangermünde  die  rationes  decidendi  mitzutheilen, 
weshalb  der  Knecht,  der  mit  der  Ehefrau  des  Junkers  Rintorf 

l)  Die  gesperrt  gedruckten  Worte  des  Konzepts  sind  nachträglich 
getilgt. 

33* 


516  6.  Buch.    Verfahren. 

Ehebruch    getrieben,    mit    dem  Schwerte,    die  Ehefrau  aber 
nur    mit    Staupschlägen    und    Verweisung    bestraft    werden 
solle.     In  ihrem  vom  Mag.  David  Kuhns  verfassten  Berichte 
machen    die    Brandenburger    geltend,     die    erkannte  Strafe 
sei    nicht    zweifelhaft,    es    werde    in    allen   Fakultäten    und 
Schöppenstühlen  des  gemeinen  Rechts  ebenso  gehalten;  dem 
fügen  sie  zu  näherer  Begründung  hinzu,  der  Satz  Constantins: 
sacrilegos    nuptiarum   gladio  puniri  oportet,    sei  für  Frauen 
propter  sexus  fragilitatem  durch  Justinians  Authentiken  l)  in 
poenam  fustigationis  et  detrusionis  in  monasterium  geändert, 
wobei  es  Art.  120  der  Carolina  bewenden  lasse;    weil  dann 
„die  Klöster  abgethanu,  seien  im  ganzen  Kurfürstenthum  die 
Staupschläge  und  Verweisung  an  die  Stelle  getreten.  Wenige 
Zeit  vorher,  nämlich  im  Jahre  1597,  fordert  der  Kurfürst  von 
den  Brandenburger  Schoppen  die  Mittheilung  der  „Ursachen", 
weshalb   sie  in  einer  Strafsache  auf  Freisprechung  erkannt 
hätten;2)  die  Schoppen  entwickeln  darauf  unter  zwölf  Num- 
mern   dem  Kurfürsten    ihre    rationes.     Ebenso  erfordert  der 
Kurfürst  die  Mittheilung   der    rationes    decidendi  1605,   wes" 
halb  das  Lehnschulzengericht  Wulfestorf  (bei  Wittstock)  auf 
einen   Unmündigen   verstammt  sei;3)   die   Brandenburger  er- 
widern, der  Spruch  gründe  sich  auf  die  Verträge,  Lehnbriefe 
und  sonstigen  Urkunden;  diese  seien  den  Konsulenten  zurück- 
geschickt worden ;  in  Mangelung  dieser  Beilagen  könnten  sie 
ausführliche,   gründliche   rationes  decidendi  nicht  zufertigen; 
sie  bäten,  den  Konsulenten  zu  befehlen,  die  Urkunden  ihnen 
wieder  einzuantworten. 

Seit  dieser  Zeit  beginnen  die  Brandenburger  von  selbst, 
Gründe  in  ihre  Sprüche  aufzunehmen.  So  enthält  ein  vom 
altstädter  Schöppenschreiber  Düring  herrührender  und  von 
den  Schoppen  gebilligter  Spruchentwurf  von  1606  (54  155) 
die  Gründe,  weshalb  eine  Witwe  nicht  für  eine  Geschäfts- 
schuld hafte,  die  ihr  verstorbener  Mann  kontrahirt  habe,  ohne 


l)  Zitirt  werden  1.  quamvis,  linea  2  Cod.  ad  1.  Jul.  d.  adult;  Auth.  ut 
nulli  judicura  §  si  vero  Coli.  9  const.  9  et  Auth.  sed  hodie  C.  ad  1.  Jul.  d. 
adult.  (ÜB.  2  336). 

*)  StA.  R.  21  N.  9C- 

3)  StA.  R.  III.  79  W.  54. 


§  38-     Herstellung  der  Spruche.  517 

dass  Jemand  die  Mittheilung  von  Gründen  verlangt  hat. 
Ebenso  findet  sich  ohne  besonderen  Anlass  1641  (77  121)  in 
einem  Spruche,  der  auf  Anfrage  eines  Rathsherrn  aus 
Treuenbrietzen  in  einem  Erbstreite  eine  Vermachung  für  un- 
kräftig erklärt,  die  Einschaltung,  die  Vermachung  könne 
„aus  Mangel  der  Solennitäten  und  anderen  Ursachen"  nicht 
bestehen.  Aber  noch  161 7  (65  106)  wendet  sich  der  Haupt- 
mann des  Landes  Ruppin,  Geheimrath  von  Bellin,  an  des 
Kurfürsten  hinterlassene  Räthe  (d.  h.  an  die  den  abwesenden 
Kurfürsten  vertretenden  Räthe),  ehe  er  ein  in  Brandenburg 
erwirktes  Todesurtheil  vollzieht,  „weil  es  sich  um  eines 
Menschen  Leben  handele  und  er  (der  Hauptmann)  deshalb 
gern  etwas  behutsam  gehen  wolle";  er  wird  beschieden, 
ehe  er  die  Exekution  vor  sich  gehen  lasse,  möge  er  die 
Brandenburger,  „wie  in  dergleichen  Fällen  wohl  zu  geschehen 
pflegt,  um  ihre  rationes  decidendi  angehn".  Die  Branden- 
burger entwickeln  darauf  ihre  Gründe  mit  dem  Zusatz:  „wenn 
mit  Kurfürstlichen  zur  Regierung  abgeordneten  Räthen  der 
Hauptmann  die  Strafe  mitigiren  wolle,  Hessen  sie  es  ihres 
Theils  wohl  geschehen". 

Der  erste  Fall,  in  welchem  nach  ergangenem  Spruche 
auf  einfachen  Antrag  der  Partei  Urtheilsgründe  eröffnet 
werden  —  und  zwar  aus  dem  Gedächtniss  der  Schoppen, 
ohne  dass  ihnen  Akten  oder  schriftliche  Vota  vorlagen,  — 
datirt  aus  dem  Jahre  1653  (78  482).  In  einer  beim  Hofgericht 
Stettin  wegen  einer  Bürgschaft  für  eine  Schuld  von  50000  Rthlr. 
anhängigen  Sache  der  Erben  des  Adrian  Kleist  gegen  Georg 
Stoyentin  hatte  ein  Brandenburger  Spruch  das  erstinstanz- 
liche Urtheil  zu  Ungunsten  des  Beklagten  abgeändert;  der 
letztere  bat  um  die  rationes  decidendi  und  erhielt  sie  unterm 
14.  Januar  1653,  „soviel  bei  Mangelung  der  Acten  wir  uns 
zurückerinnern". 

Wurde  aber  den  Parteien  das  Recht  zugestanden,  um 
Mittheilung  von  Entscheidungsgründen  zu  bitten,  so  war  es 
natürlich,  dass  dadurch  die  Urtheilskosten  sich  erhöhten.  Es 
entstanden  damit  zwei  Klassen  von  Urtheilen:  Urtheile  mit 
Entscheidungsgründen  und  Urtheile  ohne  solche;  die  ersteren 
spalteten  sich  demnächst  wieder  in  zwei  Klassen,  solche  mit 


518  6-  Buch.    Verfahren. 

Entscheidungsgründen  (rationes  decidendi)  und  solche 
mit  Zweifels-  und  mit  Entscheidungsgründen  (rationes 
dubitandi  et  decidendi).  Diese  Entwicklung  erhellt  aus 
den  folgenden  Thatsachen. 

Bürgermeister  und  Rath  zu  Wollin  übensenden  1669 
(79  415)  Akten,  betreffend  einen  im  Streite  einer  Witwe 
mit  ihren  Stiefkindern  retinirten  Acker,  und  fragen,  „weil 
der  Parte  vorgeschützter  Dürftigkeit  halber  zu  erkundigen 
nöthig  sein  wollen,  wieviel  das  Genauste  für  eine  blosse 
Urthel  an  ihm  selbst,  dan  auch  für  eine  ausführliche,  welcher 
rationes  decidendi  mit  angefügt  sein,  erfordert  werden". 
Nach  den  abgegebenen  Voten  sollte  dem  Anwalt  geschrieben 
werden,  „dass  5  Thlr.  6  G.  geschickt  und  die  Akten  abgeholt 
würden".  Die  Brandenburger  wollten  also  damals  auf  die  ihnen 
noch  unbekannte  Scheidung  von  weniger  kostspieligen  Ur- 
theilen,  denen  die  Gründe  fehlen,  und  von  theureren,  in  denen 
die  Gründe  ausgesprochen  sind,  nicht  eingehen.  Zwanzig 
Jahre  später  bitten  Bürgermeister  und  Rath  beider  Städte 
Quedlinburg  (1688),  und  es  bitten  ebenso  Fürstl.  Quedlin- 
burgsche  Stiftskanzler  und  Räthe  (79  572.  579)  die  Branden- 
burger, „sich  um  ein  rechtmässiges  Urtheil  zu  vergleichen 
und  solches  cum  rationibus  decidendi  .  .  .  einzusenden u ; 
sie  erhalten  auch  diese  Gründe.  Bei  einem  von  der  Halber- 
stadter  Regierung  1691  (79  659)  beantragten  Spruche  fehlen 
Entscheidungsgründe,  da  nicht  um  solche  gebeten  war,  der 
altstädter  Senior  Berchelmann  überschreibt  aber  sein  „salvo 
aliorum"  abgefasstes  Votum,  dem  die  Kollegen  beitreten, 
mit  „Rationes  decidendi".  Und  als  1691  (79  713)  die  Witwe 
v.  Kaikreuth  Belehrung  über  eine  Disposition  ihres  Mannes 
„cum  rationibus  dubitandi  et  decidendi"  erbittet,  geht  zwar 
der  Brandenburger  Spruch  etwas  näher  als  sonst  auf  die 
Sache  ein,  enthält  aber  rationes  dubitandi  ebensowenig  wie 
von  diesen  abgesonderte  rationes  decidendi;  er  kennt  also 
noch  nicht  die  Scheidung  beiderlei  Art  von  Gründen.  Auch  auf 
die  Bitte  des  Konsistoriums  in  Köthen  um  „Abfassung  des 
Spruchs  cum  rationibus  decidendi  et  dubitandi"  ergeht  1701 
(80  6)  nur  ein  Spruch  mit  „rationes  decidendi".  Umgekehrt 
ergeht  17 16  (81  23)  unter  dem  Referate  des  jüngsten  Schoppen 


§  38-     Herstellung  der  Sprüche.  519 

Lange ])  auf  Anfrage  des  Quedlinburgers  Obersteuerdirektors 
v.  Posadowsky,  der  um  einen  Spruch  mit  rationes  decidendi 
gebeten  hat,  ein  Spruch  mit  „rationes  dubitandi  et  deci- 
dendi". Lange  scheint  also  die  Sitte  der  Scheidung  dieser 
beiden  Arten  von  Gründen  für  die  Brandenburger  Urtheile 
eingeführt  zu  haben.  Sie  wurde  aber  keineswegs  zu  einer 
ständigen.  Denn  im  nämlichen  Jahre  (81  50)  ergeht  auf  die 
Bitte  von  Bürgermeister  und  Rathmannen  zu  Nauen,  sie  cum 
rationibus  dubitandi  und  decidendi  zu  belehren,  ein  Spruch, 
ohne  dass  darin  rationes  dubitandi  et  decidendi  ersichtlich 
gemacht  sind.  Dem  Berliner  Kammergericht  gab  bereits  die 
Ordnung  vom  1.  März  1709  auf,2)  bei  Akten  Versendungen 
nach  auswärts  stets  die  Beifügung  von  „rationes  decidendi14 
zu  verlangen. 

Den  Zweck  der  bei  der  Akteneinsendung  gestellten  Bitte 
um  Mittheilung  von  Gründen  sehen  1731  (86  200)  die  Bran- 
denburger darin,  dass  sie  „nicht  der  Partei,  sondern  dem 
Richter"  dienen  sollen,  und  „deshalb  an  einigen  Orten  nicht 
pars  actorum  zu  werden  pflegen".  Darum  weigerte  sich 
1734  (80  196)  die  „Domprobsteiliche  Inquisitionskommission44 
zu  Hildesheim,  die  rationes  eines  Brandenburger  Spruchs  der 
Partei  zu  verkünden,  wurde  dazu  aber  auf  Beschwerde  vom 
König  angehalten. 

Für  die  formelle  Gestaltung  der  Entscheidungsgründe 
fing  man  um  diese *Zeit  in  Brandenburg  an,  unter  dem  Ein- 
flüsse des  Hallenser  Ludovici  und  seiner  von  1707  bis  1750 
in  zwölf  Auflagen  erschienenen  Einleitung  zum  Civilprozess 3) 
bestimmte  Regeln  aufzustellen,  wie  z.  B.:  reformatorische 
Sentenzen  müssten  in  den  Gründen  mit:  „Nunmehro  aus  den 
Akten  soviel  zu  ersehen"  beginnen  (1738:  89738),  oder:  die 
rationes  pflege  man  mit  Nummern  zu  formiren  (1748:  98  400), 
was  der  Schöppe  Grust  mit  der  Bemerkung  bestritt,  er  solle 
meinen,  dass  der  stilus  einem  Jeden  arbiträr  sein  müsse,  in- 
dem „nicht  nöthig,  mit  Nummern  die  rationes  auszumessen". 

.')  Siehe  oben  Seite  150. 
2)  Mylius  c.  c.  m.  II,  1  Sp.  452. 

*)  Vgl.  Landsberg,  Geschichte  der  D.  Kechtswiss.  3.  Abth.  1,  135; 
Noten  S.  80. 


520  6.  Buch.    Verfahren. 

Bei  Revisionserkenntnissen  wollte  Grust  noch  1782  (104  19$) 
und  sein  Kollege  Zierhold  noch  1786  (106  55)  „nach  be- 
kannten Rechten4*  keine  Entscheidungsgründe  beifügen; 
solche  gäben  nur  Gelegenheit  zu  neuen  Streitigkeiten;  der 
Senior  Steinfeld  war  anderer  Meinung  (104  203)  und  wusste 
so  wenig  von  der  alten  Zeit,  dass  er  im  direkten  Gegensatz 
zu  dem  Ausspruche  des  Schöppenstuhls  von  1592, l)  es  sei 
nie  gebräuchlich  gewesen,  Gründe  mitzutheilen,  die  kühne 
Behauptung  aufstellte,  „das  Collegium  hiesigen  Skabinats  habe 
gleich  andern  Juristenkollegien  auf  Universitäten  stets  die 
Gewohnheit  gehabt,  die  responsa  mit  rationibus  zu  versehen4'. 

Die  Anträge  der  Konsulenten  lauten  bis  zum  Schlüsse 
des  Jahrhunderts  verschieden:  der  Berliner  Generalauditeur 
ersucht  1787  (106  112)  schlechtweg  „um  Abfassung  eines 
Erkenntnisses"  und  erhält  ein  •  solches  ohne  Gründe,  ein 
Justitiar  in  Zerbst  ersucht  im  nämlichen  Jahre  (106  146)  in 
einer  Untersuchung  wegen  Ehebruchs  „um  Abfassung  eines 
Definitiverkenntnisses  ohne  Gründe14,  und  die  Dessauer  Re* 
gierung  ersucht  1795  (106  247)  „um  rechdiches  Unheil 
sammt  Zweifels-  und  Entscheidungsgründen4*. 

Die  Preussische  Gesetzgebung  hatte  zunächst  in  Art.  54 
der  Allgemeinen  Ordnung  vom  21.  Juni  1713,  die  Verbesse- 
rung des  Justizwesens  betr.,2)  den  Referenten  die  Pflicht 
auferlegt,  ihren  Re-  und  Korrelationen  rationes  dubitandi  et 
decidendi  beizufügen  und  dann  den  darauf 'gefassten  Kollegial- 
beschluss  den  Parteien  zu  publiziren.  Damit  war  aber  nur 
eine  Niederlegung  der  Gründe  des  Referenten  in  die  Akten, 
nicht  die  Mittheilung  der  Gründe  an  die  Parteien  eingeführt. 
Hierzu  verpflichtete  den  Richter  in  weitem  Umfange  die  All- 
gemeine Gerichtsordnung  von  1 783.3)  Die  einschlagenden 
Gesetze  des  neunzehnten  Jahrhunderts  machten  diese  Pflicht 
zu  einer  allgemeinen.  Aber  nur  „Entscheidungs44- Gründe 
wurden  verlangt;  damit  hörten  die  Zweifels- Gründe  in  den 
Urtheilen  auf4) 


T)  Siehe  oben  S.  514. 

2)  Mylius  c.  c.  m.  II,   1   Sp.  545. 

3)  I.   13  S  36;  I-  «4  §  67J  vgl-  auch  I.   15  §  **• 

*)  Vgl.  Preuss.  Gesetzsammlung  von  1825  S.  961,  von  1833  S.  42.  304; 


§  38.     Herstellung  der  Sprüche.  521 

V 

4.  Sprüche  „im  Namen4*  des  Gerichts. 

Kann  man  nach  dem  Gesagten  das  Auftreten  von  Ent- 
scheidungsgründen in  den  Urtheilen  als  eine  Eigenthümlich- 
keit  des  beginnenden  siebzehnten  Jahrhunderts  betrachten,  so 
gilt  dasselbe  von  einer  weiteren  Eigenthümlichkeit  der  Ur- 
theilsgestaltung. 

Im  Jahre  1601  (ÜB.  2  324)  geschieht  es,  soweit  unsere 
Akten  erkennen  lassen,  zum  ersten  Male  —  und  zwar  von 
Seiten  des  Hamburger  Obergerichts  (d.  h.  von  Bürgermeister 
und  Rath)  —  dass  in  Brandenburg  der  Antrag  gestellt  wird, 
„im  Namen44  des  anfragenden  Gerichtes  „ein  rechtmässig 
Urtheil  zu  fassen4*.  Damit  war  nicht  etwa  gemeint,-wdass  der 
Schöppenstuhl  seinem  Spruche  den  Eingang  geben  solle, 
die  Brandenburger  Schoppen  gäben  ihre  Belehrung  „im 
Namen  von  Bürgermeister  und  Rath  zu  Hamburg" ,  wie  heut- 
zutage die  Urtheile  Preussischer  Gerichte  in  ihrem  Eingange 
sagen,  dass  sie  „im  Namen  des  Königs44  erkennen.  Vielmehr 
sollte  der  Schöppenstuhl  so  sprechen,  als  wäre  er  das 
Hamburger  Gericht,  er  sollte  unter  dessen  Namen,  nicht  als 
dessen  Beauftragter  sprechen.  So  verstand  auch  der  Schöppen- 
stuhl den  Antrag  Hamburgs;  denn  der  erbetene  Spruch  er- 
folgte laut  des  vom  altstädter  Schöppenschreiber  Düring 
herrührenden  Entwurfs  dahin: 

„Auf  eingewandte  appellation erkennen  wir  bürger- 
meistere und  raht  der  Stadt  Hamburg  nach  gehabten  raht  der 
rechtsgelehrten  vor  recht  (folgt  die  Entscheidung  mit  Gründen). 

Dass  dies  urtheil  den  rechten  und  uns  zugeschickten^  akten 
gemäss,  solches  bezeugen  wir  verordnete  schöppen  des'chur- 
fürstlichen  schöppenstuhls  beider  Städte  Brandenburg 
mit  unserm  aufgedruckten  secret.a 

Die  Fakultät  zu  Rostock  braucht  dieselbe  Form  bereits 
1588,    ebenso  Richter  und  Schöppen  zu  Stettin  1593,  wenn 

von  1839  S.  137;  von  1849  S.  18;  von  1852  S.  215;  von  1867  S.  994.  An- 
dere Staaten  verfuhren  ähnlich,  z.  B.  Kurhessen  laut  VO.  v.  19.  Nov.  1816. 
Auch  die  Reichscivilprozessordnung  §  284  verlangt  „Entscheidungsgründe" 
(womit  im  Anschlüsse  an  die  Ausdrucksweise  der  bisherigen  Gesetzgebung 
nur  der  Gegensatz  zu  Zweifelsgründen  hervorgehoben,  keineswegs  etwa 
gesagt  sein  soll,  die  Gründe  hätten  sich  auf  eine  Motivirung  der  endlichen 
Entscheidung  zu  beschränken  und  von  Motivirung  der  Nothwendigkeit  eines 
eingeleiteten  Beweis  Verfahrens  abzusehen). 


5'22  6-  Buch.    Verfahren. 

sie  auf  Anfrage  ihres  Herzogs  Belehrung  ertheilen.1)  Der 
Magdeburger  Oberhof  beginnt  gleich  dem  Brandenburger  im 
Anfange  des  siebzehnten  Jahrhunderts  seine  Urtheile  auf  den 
Namen  der  anfragenden  Gerichte  zu  formiren.2)  Dabei  ist  zu 
beachten,  dass  zu  dieser  Neugestaltung  der  Oberhofssprüche 
immer  ein  ausdrückliches  Ersuchen  in  der  Missive  erforder- 
lich ist,  —  ein  Beweis,  dass  die  Fassung  des  Urtheils  auf  den 
Namen  des  anfragenden  Gerichts  im  Interesse  dieses  Gerichtes 
oder  seines  Herrn,  nicht  etwa  im  Interesse  der  rechtsbelehren- 
den Spruchbehörde  lag. 

Der  Grund  einer  solchen  Aenderung  der  bisher  üblichen 
Spruch  form  lag  äusserlich  in  der  Bequemlichkeit  der  an- 
fragenden Gerichte8):  erhielten  sie  altem  Brauche  gemäss 
nur  eine  Belehrung,  wie  zu  sprechen  sei,  so  erwuchs  ihnen 
die  Aufgabe,  ein  Urtheil  abzufassen,  das  der  Belehrung  sich 

l)  Acta  des  StA.  Stettin,  enthaltend  Rechtssprüche  des  Schoppen- 
Stuhls  zu  Stettin  fol.  215.  331.  Laut  derselben  Akten  fol.  211  wendet  da- 
mals die  Leipziger  Fakultät  die  Form  an:  „Wir  Untenbenannte  erkennen" 
etc.  «Dass  dies  Urtheil  den  Akten  und  Rechten  gemäss,  bekennen  wir 
Ordinarius  etc.  zu  Leipzig'4. 

a)  Friese  und  Liesegang,  Mgdb.  Schöffensprüche  Bd.  1  S.  303.  305. 
306  bringen  Sprüche  von  1611.  1612.  1613,  die  nach  Zerbst  gegangen  sind 
und  nicht  im  Namen  des  Zerbster  Gerichts  formulirt  sind.  In  Alemanns 
palaestra  consultationum  juris  I.  Magdeb.  1613.  1621  finden  sich  Sprüche  von 
1567   (S.  910)   bis  1613  (S.  697);   unter  ihnen  Sprüche  von  1606  (S.  36.  37), 

1610  (S.  831)  ebenfalls  noch  in  der  alten  Form,  S.  802  wird  aber  eine  Ent- 
scheidung des  Erzb.  von  Magdeb.  „ad  informationem  scabinorum  Magde- 
burgensium  i6oq  emissa"  erwähnt,  und  S.  945.  947.  953  werden  Sprüche  aus 

161 1  und  1612  mitgetheilt  mit  der  Formel:  „Auf  eingenommene  inquisttion 
etc.  sprechen  wir  bürgermeister,  rathmanne  und  innungsmeister 
der  Altenstadt  Magd,  vor  recht  etc.  Das  dieses  urtheil  den  .... 
akten  und  beschriebenen  rechten  gemäss,  bekennen  wif schöppen  zu 
Mag  Hb. u  Hier  spricht  also  der  Oberhof  Namens  des  altst  Rathes,  der 
die  Strafgerichtsbarkeit  in  der  Altstadt  ausübte.  —  Einen  anscheinend  1603 
(jedenfalls  nicht  später)  im  Namen  des  Administrators  von  Magdeburg  ge- 
fällten Spruch  des  Hofgerichts  und  der  Juristenfakultät  su  Wittenberg  s. 
ÜB.  9341.  Daselbst  S.  340  findet  sich  ein  Spruch  der  Frankfurter  Fakultät 
aus  dem  J.  1602,  in  deren  eigenem  Namen  und  zugleich  mit  der  Bestätigungs- 
klausel der  Universität. 

*)  Vgl.  auch  Stintzing  in  Sybels  histor.  Ztschr.  15,  420.  Muther,  Ztschr. 
f.  RGesch.  4,  428  und  Jahrb.  f.  GesellschR.  8.  Böhlau  in  d.  Ztsch.  f.  RGesch. 
9,  12.  14.     St5Izel,  gel.  Rieht.   1,  209. 


§  38.     Herstellung  der  Sprüche.  523 

anschloss;  wurde  aber  vom  Oberhof  die  Belehrung  alsbald 
in  die  Form  des  vom  anfragenden  Gericht  zu  fällenden  Ur- 
theils  gegossen,  so  hatte  das  anfragende  Gericht  einfach  den 
Oberhofsspruch  als  seinen  Spruch  zu  verkünden;  wenn  sich 
dabei  das  Gericht  der  Form  bediente,  dass  es  seinen  Aus- 
spruch als  den  der  Gerichtsobrigkeit  hinstellte,  so  formulirte 
auch  der  Oberhof  seine  Sentenz  auf  den  Namen  der  Gerichts- 
obrigkeit. Aber  die  Aenderung  hatte  auch  einen  wichtigen 
innerlichen  Grund:  sie  entsprang  einestheils  dem  Gedanken, 
dass  der  Oberhof  materiell  doch  die  Funktion  eines  erkennen- 
den Gerichts  habe,  anderntheils  stand  sie  in  gewissem  Zu- 
sammenhange mit  dem  immer  mehr  zur  Herrschaft  gelangen- 
den Gedanken,  dass  sich  im  Landesherrn  oder  Gerichtsherrn 
die  gerichtliche  Gewalt  konzentrire,  und  dass  der  Inhaber 
der  Gerichtshoheit  auch  nach  aussen  hin  als  das  Organ  er- 
scheinen müsse,  von  dem  persönlich  oder  durch  den  Mund 
seiner  Gerichte  unter  Zurückdrängung  fremden  Einflusses 
die  Rechtsprechung  ausgehe.  Die  nothwendige  Folge  war, 
dass  die  rechtsbelehrenden  Organe  allmählich  in  den  Hinter- 
grund traten:  bisher  wurde  den  Parteien  eröffnet,  dass  und 
wie  der  Oberhof  gesprochen  habe,  von  jetzt  an  ging  man 
dazu  über,  ihnen  zu  eröffnen,  dass  und  wie  der  Inhaber  der 
Gerichtsgewalt  gesprochen  habe;  dem  wurde  nur  die  höchst 
unbestimmte  Klausel  beigefügt:  „nach  gehabtem  Rath  der 
Rechtsverständigen".  Wer  die  Rechtsverständigen  waren, 
verschwieg  das  Urtheil;  nur  durch  die  unter  das  Urtheil  ge- 
setzte Bemerkung,  dass  die  Schoppen  beider  Städte  Branden- 
burg, oder  wer  sonst  die  Rechtsbelehrung  ertheilt  hatte,  das 
Urtheil  als  den  Akten  und  den  Rechten  gemäss  bestätigten, 
wurde  den  Parteien  kund,  welche  Rechtsverständigen  mit- 
gewirkt hatten.  Oberhofsspruch  und  Gerichtsurtheil  flössen 
dadurch  in  Eines  zusammen,  was  man  auch  so  ausdrücken 
kann:  die  Oberhöfe  fällten  (statt  der  ordentlichen  Gerichte) 
Urtheile,  sie  belehrten  nicht  bloss,  wie  Andere  Urtheile 
fällen  sollten.  So  entwickelt  sich  die  Sitte,  immer  häufiger 
darum  zu  bitten,  dass  die  Schöppenstühle  „Urtheile"  oder 
„Sentenzen4*  sprechen  sollen.  Keineswegs  beschreiten  aber 
solche  Schöppenstuhlsurtheile  die  Rechtskraft,  sondern 


524  6.  Buch.    Verfahren. 

sie  werden  erst  dadurch  zu  „Urtheilen"  im  eigentlichen  Sinne 
des  Wortes,    d.  h.  sie  werden  erst  dadurch  rechtskraftfahig 
und  vollstreckbar,    dass  sie  das  Gericht,    auf  dessen  Namen 
sie  gestellt  sind,  den  Parteien  als  seine  Urtheile  verkündet. 
Immerhin  hatte  die  Neuerung    der    auf  den  Namen  des   an- 
fragenden   Gerichts    gestellten    Belehrungsurtheile    für    die 
Schöppenstühle    die  Bedeutung,    dass    sie   zu   der  Annahme 
veranlasst  wurden,    sie  sprächen  als  Gericht,   ja  als  Gericht 
oberer  Instanz  Recht.     Nur    so   lässt  es  sich  erklären,    dass 
innerhalb  des  Brandenburger  Schöppenkollegs  1725  (83  709) 
sogar  einmal  der  Antrag  eines  Mitglieds  auftauchte,   wegen 
prozessualischer  Verstösse  dem  Gericht,  das  eine  Diebstahls- 
untersuchung mangelhaft  geleitet,  auf  sein  Ersuchen  um  Er- 
theilung  eines  Rechtsspruches  die  Urtheilsgebühr  aufzuerlegen, 
als  hätte  der  Schöppenstuhl  eine  Disziplinargewalt  über  das 
erstinstanzliche  Gericht;  der  Antrag  fand  aber  nicht  die  Mehr- 
heit der  Stimmen.     Nur  eine  Konsequenz   dieser  Auffassung 
war  es  ferner,  dass  dasselbe  Mitglied  1 746  (97  411)  rügte,  wenn 
in  Sprüchen,  die  nicht  im  Namen  der  Gerichte,  sondern  im 
Namen  des  Schöppenstuhls  ergingen,  unterlassen  wurde,  vor 
dem    Worte  „erkennen14  in   der   Schlussformel    die    Klausel 
einzufügen:    „darüber   unser  rechtlich   Gutachten  verlangt 
worden1*.     Jenes  Mitglied  hielt  demnach  in  der  That  alle  im 
Namen  der  Gerichte  ergehenden  Brandenburger  Sprüche  für 
Urtheile,    alle   im  Namen    des  Schöppenstuhls  ergehenden 
Sprüche  aber  für  Gutachten  und  wollte  dies  in  der  Spruch- 
formel ausgedrückt  wissen. 

In  damaliger  Zeit  ist  es  überhaupt  nichts  Ungewöhn- 
liches, „Gutachten"  und  „responsa"  statt  einer  „Belehrung41 
oder  eines  „Urtheils"  zu  erbitten  und  zu  ertheilen,  nament- 
lich wenn  die  Anfragen  von  Privaten  ausserhalb  eines 
Prozesses  gestellt  werden.  So  bittet  1725  (83  555  ff.)  ein 
Erbinteressent  um  ein  „Gutachten",  worauf  ihm  die  Branden- 
burger eröffnen,  was  sie  in  der  Sache  „erachten  und  halten"; 
dem  Anfragenden  entsteht  darauf  ein  weiterer  Zweifel;  er 
bittet  deshalb  erneut  um  ein  Gutachten,  „aber  nicht  etwa 
durch  den  Herrn  Direktor  allein,  sondern  durch  das  Kollegium41; 
die  Brandenburger    „konfirmiren"    darauf   das   frühere  Gut- 


§  38.     Herstellung  der  Sprüche.  525 

achten.  Als  sie  1726  (84  72)  auf  eine  Privatanfrage  „ihr 
rechtliches  Bedenken  oder  ihr  responsum"  ertheilen,  werden 
die  gestellten  Fragen  dem  Anfragenden  mit  der  Beglaubi- 
gung mitgetheilt,  dass  „Senior  und  Assessores  auf  diese 
Fragen  das  beigehende  responsum  abgefasst".  Auch  der 
Wolfenbüttler  Kammerfiskal,  der  1734  (87  616)  in  einem 
beim  Hofgericht  Wolfenbüttel  schwebenden  Rechtsstreit 
gegen  den  dänischen  Reichsgrafen  von  Dehn  drei  Fragen 
stellt,  erhält  „ein  Gutachten41  der  Brandenburger. 

Als  in  einem  Falle  des  Jahres  1732  (86  573 — 585)  Bürger- 
meister und  Rathmannen  zu  Spandau  den  Parteien  nach  ge- 
schlossenen Akten  rathen,  „von  einem  benachbarten  Skabinat 
ein  Gutachten  einzuholen",  bitten  die  Parteien  um  ein 
solches;  die  Brandenburger  „halten  davor,  dass  den  Akten 
nach  der  Beklagte  zu  verurtheilen  sei".  Dem  fügt  ein  Bei- 
schreiben hinzu :  .,wir  haben  zwar  zu  sententioniren  wegen 
der  Königlichen  Verordnung1)  billig  angestanden,  indess  haben 
wir  unser  Gutachten  diesfalls  mitzutheilen  nicht  ermangeln 
sollen".  Auf  die  Bitte  desselben  Gerichts  um  ein  „Gut- 
achten" vor  gefälltem  erstinstanzlichen  Spruche  tragen  aber 
1 734  (87  608)  die  Brandenburger  kein  Bedenken,  die  Spruch- 
formel der  früheren  Zeiten  anzuwenden  und  „für  Recht  zu 
erkennen",  dass  die  Erbschaft,  um  die  es  sich  handelte,  dem 
Beklagten  gehöre.  Solche  Umgehung  des  Verbots  von  1723 
mag  die  Aufhebung  des  Verbots  im  Jahre  17362)  mit  ver- 
anlasst haben.  Das  Edikt  von  1723  hatte  aber  immerhin 
die  Wirkung  hinterlassen,  dass  die  erstinstanzlichen  Kollegial- 
gerichte und  die  zweitinstanzlichen  Gerichte  an  der  Akten- 
versendung besonderen  Gefallen  fanden,  indem  sie  aus 
dem  Verbot,  Einzelrichter  sollten  vor  dem  Spruche  erster 
Instanz  nicht  nach  auswärts  verschicken,  herauslasen,  dass 
in  andern  Fällen,  namentlich  nach  ergangenem  erstinstanz- 
lichen Spruche,  wenn  der  Prozess  in  zweiter  Instanz  schwebe, 
die  Aktenversendung  den  Intentionen  des  Königs  nicht 
widerspreche. 

Es    ereignete  sich  in  Folge  dieser  wechselnden  Gesetz- 

*)  Siebe  oben  S.  312. 
2)  Siehe  oben  S.  314. 


526  6-  Buch.    Verfahren. 

• 

gebung,    dass    die   nämliche  Sache  mehrmals  nach  Branden* 
bürg  zum  Spruche  gelangte,  was  die  Prozessualisten  für  un- 
erlaubt erklärten. !)      Die  Regierung   zu  Kleve  sandte  1 739 
(90  970)  Akten  ein,  worin  die  Brandenburger  früher  bereits 
in  erster  Instanz  gesprochen  hatten ;  auf  diesen  Umstand  von 
Brandenburg  aus  hingewiesen,  zog  die  Regierung  ihre  Anfrage 
zurück.     Für   statthaft  hielt  man  es  aber  (1740:  91  550)    in 
Brandenburg,  erst  auf  ein  vor  dem  Landeshauptmann  in  Kottbus 
verhandeltes  Beweisverfahren  und  dann,  nachdem  auf  Appella- 
tion  gegen   den   Brandenburger  Spruch   die    Regierung    zu 
Küstrin  erkannt  hatte,    auf  die  gegen    den  Spruch  der  Re- 
gierung eingelegte  Appellation  in  der  nämlichen  Sache  noch- 
mals  zu   erkennen.      Ein    möglichst   sonderbares    Verfahren 
schlug  1740  (91  408)  ein  Brandenburger  Superintendent  ein; 
er  fragte  beim  Schöppensenior  Giesecke  im  Interesse  eines 
Erbprätendenten   an,   „ob  derselbe  wohl   ein   günstiges  Re- 
sponsum  erwarten  dürfe,  wenn  es  zur  Anfrage  käme";  darauf 
liess  der  Senior  durch  den  Schoppen  Plümicke  ein  Votum 
erstatten  und  fragte,  da  es  ungünstig  ausgefallen  war,  bei  den 
Kollegen  an,    ob  sie  beiträten;    geschehe  dies,    so  werde  er 
den  casum  zurückgeben.     „Gutachten44  und  „Urthefl44  fliessen 
deshalb,  wie  in  alter  Zeit  „Bedenken44  und  „Urtheil44,  in  ein- 
ander über:2)  Das  1751  (99  245)  von  einem  Justitiar  in  einer 
vor   ihm   verhandelten  Untersuchungssache  begehrte  „Gut- 

J)  Brunnemann,  proc.  civ.  c.  24  §  20.  Zigler,  introd.  ad  proc.  c.  13 
§§  7.  8.  Hermann,  Einl.  zu  den  ger.  Proz.  Hb.  1  S.  1  c.  17  §  19.  Vgl. 
Brandb.  Akten  von  1745  (96  678). 

2)  Form  eines  Responsum  (1742): 

„ Wohledler  .  .  .  Herr  und  Freund!  Als  derselbe  uns  die  i.  S.  .  .  . 
ergangene  Acta  nebst  zwoen  Fragen  zugesandt  und  unser  rechtliches  Be- 
denken darüber  verlangt,  demnach  erkennen  zum  Kgl.  Pr.  Schöppenstuhl 
b.  St.  wir  verordnete  Senior  und  Assessores  vor  Recht,  wie  folgt: 

Hat    die   Witwe    ...    so    entstehen    dahero    nachstehende    Fragen: 

1  •    •    •     •«        2«     •    «    • 

Die  1.  Frage  betr.  .  .  . 

Die  2.  Frage  anlangend,  .  .  . 
so  sind  wir  aus  diesen  und  anderen  in  den  Akten  und  Rechten  gegründeten 
Ursachen    die  Fragen    zu  affirrairen  und  geschehener  massen  zu  respon- 
diren  bewogen  worden. 

Dass  dies  Responsum  pp." 


§  38»     Herstellung  der  Sprüche.  527 

achten"  findet  in  der  Form  seine  Erledigung,  dass  die 
Brandenburger  „für  Recht  erkennen",  die  Denunciaten  seien 
mit  dreitägigem  Gefangniss  zu  bestrafen,  und  dass  sie  „diesem 
Urtheil"  die  übliche  Bestätigungsklausel  zufügen. 

Eine  strenge  Scheidung  zwischen  Gutachten,  die  der 
Schöppenstuhl  in  eigenem  Namen,  und  Urtheilen,  die  er  im 
Namen  des  anfragenden  Gerichtes  sprach,  hatte  sich  dem- 
nach nicht  durchführen  lassen.  Aber  der  seit  dem  sieb- 
zehnten Jahrhundert  sich  einbürgernde  Gebrauch,  im  Namen 
des  anfragenden  Gerichts  zu  sprechen,  hatte  doch  für  die 
weitere  Geschichte  der  Schöppenstühle  seine  grosse  Be- 
deutung als  die  erste  Etappe  auf  dem  Wege,  die  Schöppen- 
stühle zur  Seite  zu  schieben  in  der  Erkenntniss,  dass  die 
Rechtsprechung  ausschliesslich  Sache  der  zuständigen  Ge- 
richte sein  müsse. 

Viel  Widerstand  setzten  die  Spruchbehörden  den  An- 
trägen, auf  den  Namen  der  Gerichte  zu  sprechen,  nicht  ent- 
gegen. Doch  findet  sich  immerhin  eine  Spur,  dass  man 
versuchte,  der  Neuerung  den  Eingang  zu  verwehren.  Ob- 
wohl, wie  wir  sahen,  1601  dem  Hamburger  Ersuchen  in 
Brandenburg  bedenkenlos  vom  Schöppenschreiber  Düring 
Folge  geleistet  wurde,  nahm  1605  (5l  ll%)  Bluhm,  der  da- 
mals seit  20  Jahren  mit  den  Formalien  des  Schöppenstuhls 
vertraut  war,  an  der  Bitte  des  Niedergerichts  Demmin,  „ein 
rechtmässig  Urtheil  in  dessen  Namen  zu  verfassen4*,  Anstoss 
und  wollte  nach  alter  Weise  konzipiren:  „Sprechen  wir 
Schoppen  beider  Städte  Brandenburg  vor  Recht**,  aber 
Düring  verbesserte  dies  dahin  —  sicher  auf  Beschluss  des 
Kollegs  — ,  dass  „verordnete  Stadtrichter  und  Assessoren 
des  Niedergerichts  zu  Demmin  aufgehabten  Rath  sprechen  pp.** 

Dem  Beispiele  der  auswärtigen  Konsulenten  folgten 
bald  die  märkischen.  Richter  und  Schoppen  des  Stadt- 
gerichts zu  Perleberg  bitten  1607  (ÜB.  2  404),  1608  (55  181) 
und  16 13  (61  479)  „unter  ihrem  und  des  Prignitzschen  Land- 
richters Namen  zu  erkennen**.  Der  Brandenburger  Spruch 
lautet  demgemäss.  Ebenso  heisst  es  in  einer  Küstriner  Sache 
1608  (56  24)  im  Brandenburger  Spruchkonzept:  „Sprechen 
wir  verordnete  Kanzler  und  Räthe  der  churf.  brandb.  Regierung 


528  6-  Buch-    Verfahren. 

zu  Küstrin  pp.w,  oder  in  einer  Sache  des  Quartalsgerichts 
Stendal  von  1609  (56504):  „Sprechen  wir  verordnete  kf. 
Brandenburgische  Quartalsgerichtsräthe  zu  Stendal  auf  ge- 
habten Rath  der  Rechts  verständigen  .  .  ,ul) 

Da  dies  letztere  Konzept  Bluhm  zum  Verfasser  hat,  der 
damals  altstädter  Senior  war,  so  beweist  es,  dass  er  sich  seit 
1605  der  Neuerung  gefügt  hatte.  Fragt  1615  (64  257)  der 
Herzog  von  Mecklenburg  an,  so  beginnt  der  Spruch:  „Von 
Gottes  Gn.  Wir  Adolf  Friedrich,  Herzog  pp.  sprechen  nach 
gehabtem  Rath  der  Rechtsverständigen a  und  schliesst  mit  der 
Bestätigungsklausel.  Richter  und  Schoppen  zu  Altenstettin 
heben  in  ihrer  Anfrage  16 19  (67  253)  mit  grossen  Buchstaben 
hervor,  dass  sie  um  einen  Spruch  „in  ihrem  Namen"  bitten. 
Aehnliche  Sprüche  ergehen  1620  (67  602)  im  Namen  von 
Richtvogt,  Bürgermeister  und  Rath  zu  Gollnow,  1633  (75 
176)  im  Namen  des  Herzogs  Bogislav  von  Pommern,  1647 
(77  443)  und  1652  (78  486)  im  Namen  der  von  der  Königin 
von  Schweden  verordneten  Hofgerichtsverwalter  zu  Stettin, 
1666  im  Namen  der  chrfl.  Brand,  zur  neumärkischen  Re- 
gierung verordneten  Kanzler  und  Räthe  zu  Küstrin.  Auch 
die  Stadt  Brandenburg  selbst  stellt  1707  (82  359)  durch 
Bürgermeister  und  Rath  der  Altstadt  die  Bitte,  „in  ihrem 
Namen41  ein  Liquidationsurtheil  abzufassen,  und  dem  willfahrt 
der  Schöppenstuhl,  während  in  einer  1731  (86  357)  von 
„Richter  und  Assessores  zu  Brandenburg"  (d.  h.  vom  Stadt- 
gericht Brandenburg)  eingesandten  Sache  der  Schöppenstuhl 
in  eigenem  Namen  erkennt,  da  ein  Antrag  fehlt,  im  Namen 
des  Stadtgerichts  zu  sprechen.  Sogar  auf  den  persönlichen 
Namen  eines  einzelnen  Beamten,  wie  des  anhaltischen  „Hof- 
raths  Beerbalken  nomine  fisci"  (1707:  82  370)  oder  des 
„Hauptmanns  v.  d.  Groben"  in  Kottbus  (1715:  81  19)  wird 
der  Oberhofsspruch  gestellt.  Namens  des  „Amts  Grüningen u 
(bei  Halberstadt)  und  Namens  des  „Gerichts  Altena"  sprechen 
1735  (88  5Ö.  57)  die  Brandenburger,  ebenso  1738  (89  730) 
Namens  des  „freiherrlichen  Schenckschen  Amts  Leimbach*% 
aber  sie  sprechen  auch  auf  ein  fast  gleichzeitiges  Ersuchen 

l)    Aehnlich    ein    Urtheil  Namens   Richter  und  Schoppen  des  Stadtg-» 
zu  Frankfurt  a/O.  161 9  (66  643)  und  1622  (70  251). 


§  38.     Herstellung  der  Sprüche.  529 

desselben  Amtes  (89  751)  oder  des  freiherrl.  Bodenhausen- 
schen  Justitiars  zu  Wulfingerode  (Reg.Bez.  Erfurt)  in  eigenem 
Namen  als  „Senior  und  Assessores  des  Königlichen  Schöppen- 
stuhls"  (89  624),  wozu  eine  den  Akten  einverleibte  Be- 
merkung den  Schlüssel  liefert,  die  dahin  geht:  „Die  verord- 
neten Senior  und  Assessores  sprechen  in  eigenem  Namen 
nur  noch  bei  den  adligen  Gerichten44  —  ein  Satz,  der  deut- 
lich darauf  hinweist,  wie  sehr  man  sich  des  Zusammenhangs 
der  zu  gebrauchenden  Urtheilsform  mit  der  Landes-  und 
Gerichtshoheit  bewusst  war.1)  Der  Junker  als  Gerichtsherr 
stand  schon  längst  nicht  mehr  dem  Landesherrn  als  Gerichts- 
herrn gleich;  die  Gerichtsgewalt  des  Landesherrn  als  Aus- 
fluss  der  Landeshoheit  stand  über  der  Gerichtsgewalt  des 
Junkers ;  deshalb  Hess  sich  der  Schöppenstuhl  bei  der  Formi- 
rung  seiner  Urtheile  nicht  von  den  adligen,  sondern  nur  von 
den  landesherrlichen  Gerichten  verdrängen.  Ein  Schritt 
weiter  war  es  dann,  die  von  landesherrlichen  höheren  Ge- 
richten erbetenen  Oberhofsurtheile  nicht  auf  den  Namen 
dieser  Gerichte,  sondern  auf  den  Namen  des  Landesherrn 
selbst  zu  stellen;  waren  doch  diese  höheren  Gerichte  nur  die 
Vertreter  des  Landesherrn,  der  ja  einst  persönlich  an  der 
Spitze  seiner  allmählich  zu  „Gerichten"  konsolidirten  Räthe 
Recht  gesprochen  hatte.  Darum  werden  von  1722  ab  (81 
356;  83  67)  die  von  der  Regierung  in  Kleve  oder  von  dem 
Berliner  Kriegs-,  Hof-  und  Kriminalgericht  (1731:  86  328) 
erbetenen  Brandenburger  Urtheile  im  Namen  des  seinem 
vollen  Titel  nach  aufgeführten  Königs  gefasst,2)  und  als  sich 
im  Jahre  1724  (81  527;  83  62)  der  Schöppenstuhl  einmal 
beigehen  liess,  auf  Ersuchen  der  Klever  Regierung  in  eigenem 
Namen  zu  sprechen,  erging  an  ihn  auf  königlichen  Spezial- 
befehl  folgendes  geharnischte  Geheimrathsreskript: 

.  .  .  „Es  ist  diejenige  Sentenz,    welche  Ihr  in  Sachen  Overhoffs 
und  Caspar  Rupen   abgefasset,    und  wovon  Abschrift  hierbei  lieget, 

l)  In  eigenem  Namen  „reformiren"  1688  (79  58a)  die  Brandenburger 
ein  an  die  ftirstl.  Quedlinb.  Stiftsregierung  gelangtes  Unheil  der  Quedlinb. 
Stiftskanzlei.  Ein  1734  (87  653)  auf  Antrag  des  Stadtgerichts  Meurs  als 
Appellationsinstanz  ergangenes  Brandenburger  Urtheil  lautet  unpersönlich : 
„In  App.Sachen  .  .  .  wird  ...  für  Recht  erkannt". 

a)  Vgl.  auch  1744  (95  294). 
S t öl zel,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    L  34 


530  6.  Buch-    Verfahren. 

bey  Unserem  Tribunal  produclret  worden,  und  befrembdet  Uns  nicht 
wenig,  dass  Ihr  Euch  unterstanden,  selbige  in  Eurem  Nahmen  abru- 
fassen,  da  Euch  doch  nicht  unbekandt  seyn  können  oder  sollen,  dass 
die  Provincial-Collegia  in  Unserem  höchsten  Nahmen  die  Sentenzen 
publiciren,  und  die  Collegia  Juridica  zur  Verhütung  aller  Confusion 
und  Prostitution  sie  auch  dergestalt  einrichten  müssen. 

Ihr  habt  Euch  darnach  auch  künftig  zu  achten,  und  dergleichen 
Fehler,  die  Euch  auch  verkleinerlich  sind  und  schlechte  Opinion 
von  Euch  erwecken  können,  zu  vermeiden,  hingegen  aber  mehrere 
accuratesse  zu  bezeigen.     Seynd  Euch  mit  Gnaden  gewogen." 

Wenn  das  Gericht  selbst  in  eigenem  Namen  sprach,  so 
hatte  der  Schöppenstuhl  keinen  Anlass,  im  Namen  des  Königs 
zu  sprechen ;  ja,  die  Kriegs-  und  Domänenkammer  zu  Halber- 
stadt änderte  sogar  einmal  einen  Brandenburger  Spruch,  der 
auf  des  Königs  Titel  gestellt  war,  dahin  um,  dass  sie  den  Titel 
der  Kammer  an  die  Stelle  setzte;  deshalb  widersprach  1747 
(98  26)  der  Schöppensenior  Giesecke  seinem  Kollegen  Oel- 
schläger,  der  bei  anderer  Gelegenheit  auf  die  Anfrage  der 
Halberstädter  Kammer  im  Namen  des  Königs  erkennen 
wollte. 

Der  König  sah  1701  darin,  dass  er  und  nicht  das  Gericht 
Recht  sprach,  mehr  als  eine  blosse  Form;1)  dieselbe  ist, 
wenn  auch  in  verblasster  Gestalt,  Anlass  dazu  gewesen,  dass 
bis  auf  den  heutigen  Tag  die  preussischen  Gerichte  „im 
Namen  des  Königs"  ihre  Urtheile  fällen. 

Die  letzten  Urtheile,  die  1806  und  1807  (oben  S.  446)  der 
Brandenburger  Schöppenstuhl  fällte  —  und  zwar  auf  An- 
frage des  Stadtgerichts  zu  Köthen  —  ergingen^  im  Namen 
des  Schöppenstuhls. 

5.  Spruchreinschriften. 

In  die  Sammlung  von  Spruchkonzepten  eines  Schoppen* 
Stuhls  gehören  an  sich  keine  Spruchreinschriften  oder^deren 
Abschriften.  Sehr  natürliche  Umstände  bringen  es  aber 
mit  sich,  dass  in  solchen  Akten  sich  auch  eine  Reihe  von 
.Spruchreinschriften,  wie  von  Abschriften  solcher 
Reinschriften  findet.  Die  einen  sind  gleich  den  andern  des- 
halb von  Werth,  weil  sie  das  volle  Bild  der  nach  aussen  ge- 

l)  Stölzel,  Rechtsverwaltung  2,  9  ff.;  Schulung  f.  d.  civ.  Praxis  (4. 
Aufl.)  1,  294. 


§  38-     Herstellung  der  Sprüche.'  531 

gangenen  Thätigkeit  des  Schöppenstuhls  geben.  Ausser  in 
den  Schöppenstuhlsakten  haben  sich  noch  verschiedene  Rein- 
schriften in  Akten  einzelner  Archive  gefunden,  in  die  sie  von 
den  Stellen  aus  gelangten,  für  welche  die  Reinschriften  des 
Brandenburger  Schöppenstuhls  bestimmt  waren.1)  Weitere 
Reinschriften  bergen  sicher  noch  andere  Archive;  einer 
umfassenderen  Nachforschung  danach  bedarf  es  für  unsere 
Zwecke  nicht.  Einzelne  Brandenburger  Sprüche  liegen  auch 
im  Abdruck  aus  Reinschriften  vor. 

Soweit  in  den  Schöppenstuhlsakten  Reinschriften  vor- 
liegen, reichen  sie  nicht  weiter  zurück  als  bis  zum  Jahre  1554- 
Da  um  diese  Zeit  sogar  bei  so  angesehenen  Schöppenstühlen, 
wie  bei  dem  Magdeburger,  der  Uebergang  vom  Pergament 
zum  Papier  stattfand,2)  so  ist  es  erklärlich,  dass  pergamentene 
Reinschriften  von  Brandenburger  Sprüchen  fehlen;  die  be- 
nutzten sind  sämmtlich  papierne. 

Zwei  Umständen  ist  es  zu  danken,  dass  Spruch  r  ei  n- 
Schriften  Theile  der  Brandenburger  Akten  geworden  sind: 
diese  Reinschriften  sind  entweder  solche,  die  der  Schöppen- 
stuhl  nicht  zur  Absendung  gelangen  Hess,  sei  es,  weil  nach- 
träglich eine  Aenderung  beschlossen  wurde,  sei  es,  weil  die 
Abholung  und  namentlich  die  Gebührenzahlung  unterblieb, 
oder  es  sind  solche,  die  nach  dem  Abgange  von  den  Inter- 
essenten wieder  eingereicht  sind,  theils  als  Beweisstücke,  theils 
zu  Zwecken  einer  Korrektur. 

Anders  steht  es  mit  den  Abschriften  oder  Ab- 
drücken von  Spruchreinschriften.  Dahin  gehören  als  die 
ältesten  die  oben  (S.  276.  285)  bereits  besprochenen  beiden 
Abdrücke  Riedels  von  1455  und  1521.  Ihnen  reihen  sich  als 
die  ältesten  in  den  Schöppenstuhlsakten  vorhandenen  Spruch- 
abschriften die  eines  Spruches  von  1540  (ÜB.  1  190)  und  eines 
in  derselben  Angelegenheit  ergangenen  Spruches  von  1542 
{IIB.  1  191)  an. 

Den   Abschriften  von  Spruchreinschriften    gegenüber 

1)  Siehe  oben  Seite  34. 

2)  Friese  und  Liesegang,  Magdb.  Schaffensprüche  Bd.  1  S.  253.  254. 
255  erwähnen  Sprüche  auf  Pergament  um  1550  und  1554;  S.  260.  266  Sprüche 
auf  Papier  1563,  1565,  1566. 

34* 


532  6-  Buch.    Verfahren. 

sind  die  Spruchreinschriften  von  Werth,  weil  sie  den 
Spruch  ohne  jede  Abkürzung  wiedergeben,  weil  sie  ein  Da- 
tum tragen,1)  ferner  weil  sie  die  Hand  des  Schöppenschreibers 
erkennen  lassen,  von  dem  sie  herrühren,  und  weil  sie  mannich- 
fach  noch  besiegelt  sind,  also  über  die  Art  der  Besiegehmg 
Auskunft  geben.  Bei  einzelnen  ist  das  Siegel'  abgefallen, 
andere  sind  vor  der  Besiegelung  vom  Schoppenstuhl  aus 
irgend  welchem  Grunde  zurückbehalten,  tragen  also  deshalb 
kein  Siegel. 

Die  älteste  Spruchreinschrift,  die  sich  in  den  Branden- 
burger Schöppenstuhlsakten  findet,  datirt  vom  Donnerstag 
nach  Viti  1554  und  rührt  von  dem  neustädter  Schöppenschreiber 
Karpzow  her.  In  einem  für  den  Hauptmann  Matthias  von 
Saldern  gefällten  Spruche,  der  auf  die  Folterung  einer  wegen 
Zauberei  Angeklagten  erkannte,  war  der  Angeklagten  ein  un- 
richtiger Vorname  gegeben;  der  altstädter  Schöppenschreiber 
ändert  auf  Antrag  des  Schreibers  des  Hauptmanns  in  der 
zurückgereichten  Reinschrift  den  Namen  um;  danach  ergeht 
eine  neue  Ausfertigung  unter  Zurückbehaltung  der  korrigirten 
(5  278.  386). 2)  Die  Zweitälteste  Spruchreinschrift,  die  das 
Datum  Donnerstag  nach  Dionysii  1554  trägt  (5  234),  ist  von 
Roters  Hand  und  enthält  am  Rande  einen  in  den  Text  ge- 
hörigen Zusatz  Roters ;  dieser  Korrektur  halben  musste  eine 
zweite  Reinschrift  gefertigt  werden;  die  erste  Reinschrift  mit 
der  Korrektur  ging  als  Konzept  zu  den  Akten.  Eine  von 
der  Partei  wegen  fehlerhafter  Sachdarstellung  zurückgereichte 
Spruchreinschrift  liegt  aus  dem  Jahre  1591  (34  116)  vor.  Es 
war  auf  eine  vom  altstädter  Schöppenschreiber  Bluhm  für 
den  Wittenberger  Kämmerer  Bluhm,  wohl  einen  Verwandten, 
verfasste  Missive  ein  vom  neustädter  Schöppenschreiber 
Floring  entworfener  und  mit  dem  neustädter  Schöppenstuhls- 
siegel  ausgefertigter  Spruch  ergangen,  der  irrig  als  Streit- 

])  Die  Magdeburger  (s.  Friese  und  Liesegang:,  Magdb.  Schöffensprüche 
Bd.  1)  und  die  Leipziger  Reinschriften  tragen  kein  Datum  (vgl.  Leipziger 
Konzeptbücher  Bd.  2  fol.  182  H,  wo  sich  eine  —  korrigirte  und  deshalb 
zurückbehaltene  —  Reinschrift  befindet). 

*)  Ebenso  1599  (45  424)  altstädter  Reinschrift,  die  zurückgereicht  und 
vom  Schoppen  Lampertus  mit  einer  Korrektur  versehen  ist,  damit  sie  danach 
anderweit  ausgefertigt  werde. 


§  38.     Herstellung  der  Sprüche.  533 

gegenständ  den  Nachlass  des  D.  B.  bezeichnete,  während  der 
Nachlass  des  Vaters  des  D.  B.  in  Frage  stand.  Bluhm, 
dem  offensichtlich  die  Ausfertigung  für  seinen  Mandanten  zu- 
ging, verbesserte  sie  mit  seiner  Hand  und  reichte  sie  zu 
anderweitiger  Reinschrift  wieder  ein;  so  wurde  ebenfalls  die 
verbesserte  Ausfertigung  das  Konzept  der  neuen  Ausfertigung. 

Ein  ähnlicher  Irrthum  begegnete  den  Schoppen,  als  sie 
1583  (23  160.  168)  auf  eine  Anfrage  aus  Gardelegen  einen 
Halbbruder  für  den  Alleinerben  erklärten  und  dadurch  eine 
erneute  Anfrage  hervorriefen,  die  darauf  hinwies,  es  sei 
nicht  nach  dem  Erbrechte  eines  Halbbruders,  sondern  nach 
dem  der  Kinder  eines  verstorbenen  Halbbruders  gefragt; 
der  irrige  Spruch  wurde  dabei  nicht  zurückgereicht.  Der 
Fehler  war  durch  ein  Konzept  des  altstädter  Schöppen- 
schreibers  Garz  veranlasst.  Der  damalige  Subsenior  Roter 
bemerkte  dazu,  dass  „dann  geirrt  worden;  wie  jetzt  der  casus 
figurirt  worden,  seien  alle  Betheiligten  Erben  in  capita".  Ob- 
wohl Roter  die  Beifügung  des  früheren  Spruchs  vermisste, 
forderte  er  ihn  nicht  wieder  ein,  begnügte  sich  vielmehr  her- 
vorzuheben, „es  wäre  gut,  dass  man  hierbei  hätte,  was  nächst 
(=  vor  Kurzem)  gesprochen  sei**.  Man  Hess  also  der  Partei 
den  irrigen  Spruch  und  händigte  ihr  daneben  einen  zweiten 
richtigen  aus. 

Ebenso  wurde  in  einem  Erbstreite  des  Jahres  1599  (43 
562)  aus  Potsdam  verfahren,  in  welchem  der  Spruch  eine 
Entscheidung  traf,  als  handle  es  sich  um  eine  Differenz 
zwischen  zwei  halbbürtigen  Geschwistern,  während  ein  voll- 
und  ein  halbbürtiges  Geschwister  in  Frage  stand;  auch  hier 
blieb  das  unzutreffende  Urtheil  in  der  Hand  des  Anfragen- 
den, dessen  Angaben  der  Pfarrer  mit  dem  Bemerken  be- 
stätigte, „der  Schreiber  habe  das  Urtheil  unrecht  begriffen". 
Dem  entsprechend  wurde  ein  zweites  Urtheil  ausgefertigt, 
das  den  richtigen  Thatbestand  enthielt. 

Es  kam  auch  vor,  dass  Konsulenten,  die  in  Brandenburg 
persönlich  einen  Spruch  entgegennahmen  und  ihn  dort  lasen, 
alsbald  sich  schriftlich  an  den  Schöppenstuhl  wendeten,  um 
durch  neuvorgebrachte  Thatsachen  einen  ihnen  günstigeren 
Spruch  zu  erlangen.    So  schrieben  161 5  (64  394)  Konsulenten 


534:  6-  Buch-    Verfahren. 

aus  Brandenburg  an  den  Schöppenstuhl,  sie  hätten  gestrigen 
Tages  der  Herren  gesprochenes  Urtheil  empfangen,  dasselbe« 
„weil   sie   noch   allhier  zur  Stelle  sein,   gebrochen  und  ver- 
lesen44; danach  solle  die  von  ihnen  angefochtene  Ehestiftung 
gültig  'sein.    Unter  Anführung   mehrerer  Umstände    ändern 
sie  ihren  Bericht  und  bitten,  die  Ehestiftung  für  ungültig  zu 
erklären.    Die  Brandenburger  sprechen,  dass  es  beim  früheren 
Urtheile  verbleibe;   dem  fügen  sie  hinzu:    „Dafern  ihr  damit 
nicht    ersättigt   und   die    ehestiftung    umzustossen    euch    ge- 
trauet,   so   seid   ihr    solches    rechtlicherweise  zu  thun  .... 
schuldig".     Hier  war  also  der  Spruch  nur  in  den  Augen  der 
Partei,  nicht  in  denen  des  Schöppenstuhls  ein  Missgriff. 

Zuweilen  fiel  der  unleugbar  vorgekommene  Fehler  einer 
Spruchausfertigung  nicht  dem  Schöppenschreiber,  sondern 
den  abstimmenden  Schoppen  zur  Last.  Als  1601  (48  233  ff.) 
die  Neustadt  Brandenburg  in  einer  von  ihrem  Schöppen- 
schreiber Floring  verfassten  Missive  sich  ein  Belehrungsurtheil 

in  einer  Diebstahlssache  erbeten  und  der  Schöppenschreiber 
der  zuerst  votirenden  Altstadt  (Kuhns)  den  Spruch  entworfen 

hatte,  kam  dieser  unbeanstandet  aus  der  Neustadt  zurück 
und  wurde  so  in  der  Altstadt  unter  deren  Siegel  ausgefertigt, 
sagte  aber  den  Neustädtern  nunmehr  so  wenig  zu,  dass  ihr 
Schöppenschreiber  Floring  einen  erheblichen  Zusatz  im  That- 
bestand  machen  und  den  korrigirten  Spruch  wieder  in  die 
Altstadt  Zwecks  anderweitiger  Ausfertigung  gelangen  lassen 
musste.  Diese  ihm  unnütz  verursachte  Mehrarbeit  rügte 
Kuhns  mit  folgender  Bemerkung  in  den  bei  der  Altstadt  ver- 
bleibenden Akten:  „Das  urthel  hat  müssen  also  corrigirt 
werden,  weil  die  Neustädtischen  mit  arbeit  sich  verschonet 
und  das  papier  gesparet,  daher  es  dem  concipienten  (das 
war  Kuhns)  ohne  andre  nachrichtung  zu  erraten  und  voll- 
kommlich  ins  urtel  zu  bringen  unmöglich  gewesen". 

Auch  wenn  es  sich  nur  um  geringe  Aenderungen 
einer  Ausfertigung  (z.  B.  um  den  Zusatz  nur  zweier  Worte 
am  Rande)  handelte,  Hess  man  eine  neue  Ausfertigung 
bewirken;  Sprüche  mit  Korrekturen  sollten  nicht  an  die 
Parteien  gehen.  Darum  behält  1599  (45  406.  410)  der  alt- 
städter Schreiber  Kuhns  die  nach  des  neustädter  Schreibers 


§  38.     Herstellung  der  Sprüche.  535 

Floring  Konzept  von  einem  Unterschreiber  gefertigte,  noch 
unbesiegelte  Reinschrift  bei  den  altstädtischen  Akten  zurück, 
nachdem  er  zwei  Worte  zugefügt  hat. 

Ausfertigungen,  deren  Abholung  die  Partei  unterlassen 
hat,  liegen  (ohne  Besiegelung)  vor  von  1555  (5  443.  444), 
1557  (6  139.  348),  1566  (10  20 1),  1567  (10  201).  In  dem  Falle 
von  1555  wurde  die  auf  Antrag  einer  Partei  in  Wittstock 
hergestellte,  aber  zurückgebliebene  Ausfertigung  benutzt, 
um  als  Konzept  für  den  Entwurf  eines  Spruchs  zu  dienen, 
den  später  in  derselben  Sache  die  Schoppen  zu  Wittstock 
beantragt  hatten;  man  änderte  nur  die  Adresse  und  den 
Eingang. 

Regelmässig  wird  der  einzelne  Spruch  auf  einem  Bogen 
von  der  Form  des  heutigen  Aktenpapiers  ausgefertigt.  Noch 
im  sechzehnten  Jahrhundert  erreicht  er  selten  die  dritte 
Seite  (wie  z.  B.  1599:  45  424),  oft  überschreitet  er  nicht  die 
erste  Seite;  1601  (48  233)  kommt  aber  schon  ein  Spruch 
vor,  der  7  Seiten  umfasst.1) 

Einem  Konsulenten,  der  um  Angabe  der  Namen  der 
Schoppen  bittet,  von  denen  der  ihm  zugegangene  Spruch 
ausgegangen  ist,  erwidert  1583  (23  123)  Roter:  „Bei  uns  ist 
nicht  gebräuchlich,  denen,  so  sich  allhier  belehren  lassen, 
aller  scheppen  namen  zuzuschreiben".  Auch  hat  es  „allerlei 
Bedenken",  eine  Belehrung  auf  Antrag  doppelt  „unter  dem 
Siegel  fertigen  zu  lassen";  die  Bedenken  werden  aber  nicht 
näher  angegeben.  Sendet  eine  Partei,  der  das  in  Branden- 
burg 1558  gesprochene  Urtheil  abhanden  gekommen  ist,  die 
Akten  nochmals  mit  der  Bitte  ein,  „die  Akten  zu  übersehen 
und  ein  anderes  dem  vorigen  gleiches  Urtheil  zu  sprechen", 
so  wird  1567  (11  440;  6  69)  darauf  nur  in  der  Form  einge- 
gangen, dass  eine  Neuausfertigung  des  älteren  Urtheils  erfolgt.2) 

')  Ueber  die  Unterschrift,  die  der  Schöppenstuhl  seinen  Sprüchen  gab, 
siehe  oben  S.  73  ff. 

2)  Von  den  Parteien  vorgelegte  Spruchabschriften  finden  sich  bei- 
spielsweise 1585  (27  153),  1586  (27  46.  61.  73.  92.  154),  1587  (27  278.  384. 
456),  1588  (30  46.  239.  456.  541).  Allen  diesen  Reinschriften  nach  sprechen 
die  Schoppen  „zur  Belehrung  des  Rechten"  mit  einziger  Ausnahme  des 
Spruchs  von  1588  (30  456);  hier  wird  auf  gerichtliche  Anfrage  „für  Recht1* 


536  6-  Buck-    Verfahren. 

Die  Anfertigung  der  Spruchreinschrift  war  von  Anfang 
an  Sache  des  Schöppenschreibers;  sie  war  ursprünglich  so- 
gar dessen  Hauptthätigkeit;  denn  Niemand  anders  als  er  be- 
sass  die  nöthige  Ausbildung,  das,  was  die  Schoppen  ge- 
sprochen hatten,  in  der  richtigen  Form  zu  Pergament  oder 
zu  Papier  zu  bringen.  Von  dem  heutigen  Gedanken,  dass 
die  Herstellung  von  Urtheilsreinschriften  eine  subalterne 
Thätigkeit  sei,  muss  man  sich  gänzlich  losmachen,  wenn  man 
die  Thätigkeit  des  Schöppenschreibers  nach  Gebühr  schätzen 
will.  Das  tritt  noch  deutlicher  hervor,  wenn  man  berück- 
sichtigt, dass  die  früheste  schriftliche  Niederlegung  von 
Schöppensprüchen  keine  „Reinschriften",  sondern  die  alleini- 
gen „Urschriften"  waren;  denn  ihnen  gingen  keine  Entwürfe 
voraus,  sondern  das,  was  der  Schreiber  verfertigte,  war  der 
von  ihm  abgefasste  Spruch,  der  alsbald  —  ohne  jede  Kor- 
rektur —  in  eine  Form  gegossen  wurde,  in  der  er  den  Inter- 
essenten ausgehändigt  werden  konnte.  Aus  dieser  Ent- 
stehungsgeschichte der  Spruchausfertigungen  erklärt  es  sich, 
dass  in  den  Brandenburger  Schöppenstuhlsakten  noch  beim 
Beginne  des  achtzehnten  Jahrhunderts  Spruchreinschriften 
auftauchen,  die  von  der  eignen  Hand  des  Schöppenschreibers 
herrühren,  i) 

§  39. 
Siegelung. 

Den  Abschluss  des  Verfahrens  vor  dem  Schöppenstuhl 
bildete  die  Siegelung  der  Spruchreinschrift  und  deren  Aus- 
händigung an  den  Konsulenten. 

Während  der  ganzen  Zeit  seines  Bestehens  kannte  der 
Schöppenstuhl  nur  besiegelte,  niemals  unterschriebene  Rein- 
schriften. Er  schloss  sich  damit  der  schon  in  der  fränkischen 
Zeit  am  Königshofe  feststehenden  Sitte  an,  dass  auf  münd- 
gesprochen. Ebenso  wird  „für  Recht"  auf  gerichtliche  Anfrage  gesprochen 
1609  (58  555),  1614  (63  678).  Gleichzeitig  mit  dem  Spruch  von  1609  ergeht 
auf  gerichtliche  Anfrage  ein  von  demselben  Verfasser  herrührender  Spruch 
„zur  Belehrung"  (58  556).    Vergl.  oben  S.  503. 

l)  Von  Steltzner,  der  bis  1707  Schöppenschreiber  war.  Eine  von  ihm 
unterm  21.  Juli  1697  gefertigte,  wegen  einer  nachträglichen  Aenderung  der 
Anrede  nicht  abgegangene  Spruchreinschrift  siehe  79  737. 


§  39-     Siegelung.  537 

liehe  Relation   die  Gerichtsurkunden    vom   Gerichtsschreiber 
--vollzogen    und    dann   untersiegelt,    nicht  aber  unterschrieben 
wurden,    während    die  Königsurkunden    vom  Könige    unter- 
zeichnet  und   vom  Kanzler,    der   sie    beglaubigte,    besiegelt 

wurden. l) 

Üer;  Kanzler  war  der  frühste  Schreibkundige;  der  König 
schrieb  nicht,  sondern  machte  seine  Handzeichen;  darin 
folgten  ihm  die  Landesherren.  Zwar  werden  Joachim  II.  von 
Brandenburg  und  seine  Schwester  Herzogin  Elisabeth  von 
Münd%o2)  bereits  für  die  Jahre  1545  bis  1550  als  solche  Hohen- 
zollern  nachgewiesen,  die  zuerst  „mit  eigner  Faust"  wichtige 
Aktenstücke  niederschreiben.  Aber  Kurfürst  Johann  Georg 
von  Brandenburg  (1571  bis  1598)  unterzeichnet  noch  in  den 
1590  er  Jahren  mit  einem  wagerechten  Strich,  den  einige 
senkrechte  Striche  durchschneiden;3)  sein  Schwiegersohn,  Her- 
zog Johannes  Friedrich  von  Pommern,  unterzeichnet  zur 
nämlichen  Zeit  seinen  vollen  Namen  mit  schöner  regelrechter 
Schrift.4)  Auch  bei  Privaten  verbreitet  sich  die  Schreib- 
kunst in  den  letzten  Dezennien  des  sechzehnten  Jahrhunderts; 
die  ersjen  Unterschriften  aus  der  Familie  von  Bismarck 
datiren  von  15695);  die  Gebrüder  von  Stutternheim  zu  Golssen 
beiSorau  bekunden  1577  (ÜB.  1  688;  4  164),  dass  ihre  Eltern 
weder  schreiben,  noch  lesen  konnten. 

Das  Siegel  bedeutet  früher  in  allen  Kreisen  das- 
selbe, was  heute  die  Unterschrift  bedeutet,  und  wer  im  Be- 
sitze des  Siegelstempels  oder  Petschafts  eines  Dritten  sich 
befindet,  gut  als  ermächtigt,  Namens  dieses  Dritten  zu  sie- 
geln, d.  h.  zu  unterzeichnen,  also  beispielsweise  zu  quittiren 
und  auch  für  ihn  Geld  zu  empfangen.  Deshalb  überbringt 
(1557:  6  35)  der  Famulus  eines  in  Frankfurt  studirenden 
Junkers  dem  Boten,  der  dem  Junker  Geld  aushändigen  soll, 

l)  Schröder,  Deutsche  Rechtsgesch.,  2.  Aufl.  S»  252. 

aj  Tschackerr,  Herzogin  Elisabeth  von  Münden  1899.  Forschungen 
zur  Brandenb.  und  Preuss.  Geschichte  14,  330. 

*)  Ebenso  als  Markgraf  1565  (ÜB.  1  465). 

4)  Akten  des  Stettiner  StA.  betr.  den  Prozess  gegen  die  v.  Dobbersitz. 

')  Valentin  v.  Bismarck,  Stammbuch  des  altmärk.  Geschlechts  v.  B. 
Berlin  1900.  In  den  Schöppenstuhlsakten  findet  sich  die  erste  eigenhändige 
Unterschrift  eines  von  Bismarck  1656  (ÜB.  3  207). 


538  6-  Buch.    Verfahren. 

den  „Petschaftring"  des  Junkers  und  bestellt,  es  möge  ihm, 
dem  Famulus,  das  Geld  gegeben  werden,  der  Junker  könne 
nicht  selbst  kommen,  da  er  Besuch  von  anderen  juogea  Edel- 
leuten  erhalten  habe.  Der  Bote  soll  also  als  Vertreter  des 
Junkers  mit  dessen  Petschaft  die  Quittung  besiegeln,  oder  er 
soll  zu  seiner  Legitimation,  das  Geld  abzuheben,  wenigstens 
das  Petschaft  vorzeigen. 

Auch  wer  schreibkundig  ist,  glaubt  sich  noch  im  sieb- 
zehnten Jahrhundert  entschuldigen  zu  müssen,  wenn  er  unter- 
schreibt, statt  zu  siegeln.  Ein  Bürger  aus  Bernau  setzt  1615 
(64  432)  unter  ein  von  ihm  ausgestelltes  Zeugniss  die  Bemer- 
kung: „In  ermangelung  meines  siegeis  habe  ich  .  .  .  dies 
zeugniss  subskribirt  und  unterschrieben".1)  Wie  im  Siegel 
des  Ritters  dessen  Wappen,  kehrt  im  Siegel  des  Bürgers 
dessen  Hausmarke  wieder;  so  findet  sich  an  dem  Epitaph, 
das  1584  Simon  Roter  für  sich  anfertigen  lässt,  sein  Siegel 
mit  der  Hausmarke,2)  und  mehr  als  eines  der  vielen  Hunderte 
von  Siegeln,  die  in  den  Brandenburger  Schöppenstuhlsakteo 
erhalten'  sind,  zeigen  Hausmarken. 

Ehemals  das  alleinige  Beweismittel  der  Echtheit  einer 
Urkunde,  verliert  allmählich  das  Siegel  diese  Bedeutung: 
bei  Prüfung  eines  vom  Schosser  der  Stiftsdekanei  Quedlinburg 
gesiegelten  Pachtvertrags  von  1698  erwägen  zwar  1701  (8037) 
die  Brandenburger,  dass  nach  Baldus,  wie  nach  verschiedenen 
Dezisionensammlungen  das  sigillum  seu  imago  substantiae 
hominis  cum  eo,  quod  naturae  negotii  convenit,  habeatur  pro 
personali  praesentia;  weil  aber  nach  Bartolus  die  solennitas 
judi Cialis  .  .  .  subscriptionem  et  sigilli  appositionem  ad  con- 
fectionem  contractus  requirit,  auch  nach  der  rota  Romana 
dies  so  entscheidend  sei,  ut  nee  litteris  episcopi  solo  sigülo 

»)  Aehnlich  1587  (28  143):  Hans  Holstein  in  Fürstenberg  settt  unter 
eine  Missive :  „In  abw.esen  meines  siegeis  mit  eigner  hand  underschrieben*. 
Ebenso  1607  (ÜB.  2  403):  J."  Grävenitz  zu  Schilde  quittirt  und  „unterschreibt 
in  man  gel  eines  siegeis  mit  eigner  band",  zwei  andere  Grävenitz  .haben 
diese  quittung  mit  eignen  handen  unterschrieben*4.  Das  fehlende  Petschaft 
wird  161 1  (59  150)  dadurch  ersetzt,  dass  dem  auf  das  aufgedrückte  Wachs 
gelegten  Papierkragen  die  Anfangsbuchstaben  des  Namens  des  Siegelnd» 
aufgeschrieben  oder  dass  kleine  Messerstiche  in  das  Siegel  gemacht  werden. 

*)  Siehe  oben  S.  99. 


§  39-     Siegelung.  539 

suo  sigillatis  credatur,  so  verlangen  sie  den  Nachweis,  dass 
der  Schosser  Fug  und  Macht  gehabt  habe,  Namens  der  ab- 
wesenden Dekanissin  Kontrakte  zu  schliessen.  Der  Besitz  des 
Petschafts,  der  im  Anfang  des  siebzehnten  Jahrhunderts  noch 
als  Bevollmächtigung  zur  Siegelung  galt,  hatte  am  Ende  des 
Jahrhunderts  seine  Kraft  eingebüsst. l) 

Für  öffentliche  Akte  bewahrt  und  führt  ursprünglich 
eine  hochangesehene  Persönlichkeit  das  Siegel.  Darum  muss 
sich  das  Gerichtssiegel  in  den  Händen  des  Gerichtsvorsitzenden 
befinden.  Da  der  Brandenburger  Schöppenstuhl  Jahrhunderte 
lang  zwei  gleichberechtigte  Vorsitzende  in  seinen  Senioren 
hatte,  so  waren  diese  die  geborenen  Siegelbewahrer.2)  Sie 
waren  es  auch,  die  persönlich  siegelten.  Die  Ausfertigung  des 
Spruches  erreichte  dadurch  ihren  Vollzug,  dass  der  Senior 
das  vom  Schöppenschreiber  ins  Reine  geschriebene  (d.  h.  in- 
grossirte)  Unheil  siegelte;  er,  nicht  etwa  der  Schöppen- 
schreiber, bewahrte  und  führte  das  Siegel;  deshalb  schreibt 
1646  (77  352)  der  neustädter  Senior  Moritz  den  nach  Berlin 
verreisten  Kollegen,  denen  er  eine  Sache  nachschickt,  sie 
möchten  sich  darüber  vergleichen,  die  Sentenz  schreiben 
lassen  und  solche  ihm  zuschicken;  dann  wolle  er  sie  sie- 
geln. Darum  sagte  noch  der  Bericht  von  1717,3)  den  der 
Schöppenstuhl  an  den  König  erstattete,  dass  der  Senior  die 
vom  Sekretär  mundirten  Sprüche  siegelt.4) 

')  Eine  Untersiegelung  der  Vollmachten  erklärt  1745  (96  414)  der 
Schöppenstuhl  in  einer  Halberstädter  Sache  unter  Berufung  auf  Ludovici 
(ad  tit.  ff.  de  procur.  §10)  als  nach  Sachsenrecht  erforderlich. 

a)  In  Wilsnack  verwahrt  1621  (68  475)  der  Rathskämmerer  das  Siegel; 
weil  er  damals  mit  einer  der  Prozessparteien  verwandt,  lassen  Bürgermeister 
und  Rath  ihre  Missive  „derowegen  sonst  zumachen*4 ;  sie  bedienen  sich  also 
statt  des — verdächtig  gewordenen  —  Rathssiegels  eines  anderen  Verschlusses. 

3)  StA.  R.  21  No.  9C- 

4)  Ein  altstädtisches  Konzept  von  1613  (61  317)  schliesst  mit  dem  Zu- 
satz: »vidit  et  sigillavit  B.  Grelle*4  (Senior  der  Altstadt).  Unter  einem 
Spruch  von  1710  (8a  403)  ist  vom  Schreiber  desselben  bemerkt:  „H.  Syn- 
dikus Heinss  hat  es  in  Abwesenheit  des  H.  BM.  Katschens  gesiegelt". 
Ebenso  1720  (82  661).  Der  Senior  Cläpius  erbietet  sich  17 12  (85  417),  zu 
seinem  Kollegen  „morgen  früh  gegen  8  Uhr  mit  den  übrigen  Akten  und 
Siegel  zu  kommen  und  Alles  zusammen  seinem  Gutbefinden  nach  auszu- 
fertigen**. 


540  6-  Buch.    Verfahren. 

Die  eigentümliche  Zusammensetzung  des  Schöppenstuhls 
und  sein  eigenthümliches  Verfahren  musste  einen  sichtbaren 
Einfluss  auf  die  Siegelführung  äussern. 

Deshalb   lassen    sich    auch    umgekehrt   aus    der    Siegel- 
führung Beweise  für  die  Art  der  Einrichtung  des  Schöppen- 
stuhls   entnehmen,    und    es    bedarf    der    eingehenden     und 
genauen    Ermittelung    der    mit    der   Brandenburger    Siegel- 
führung zusammenhängenden  Fragen.     Damit  ist  nicht   bloss 
eine  Untersuchung  gemeint,  wer   die  Siegel  führte,  sondern 
besonders  auch    die  Frage,  welche  Siegel   geführt    wurden. 
In    den  Siegeln    kommt    die  Geschichte    des  Schöppenstuhls 
zur  Anschauung,  wenn  man  den  Wandel  ins  Auge  fasst,   den 
die  Siegel  im  Laufe  der  Zeit  erfahren  haben. 

Ausweislich  der  heute  noch  vorhandenen  Siegelabdrücke 
sind  fünf  verschiedene  Brandenburger  Schöppensiegelstempel 
vorhanden  gewesen;  die  zu  dreien  jener  fünf  Siegelabdrücke 
gehörigen  Siegelstempel   haben    sich  erhalten.     Sie  gehören 
unverkennbar   verschiedenen    Zeiten    an.      Es    ist   aber    un- 
erlässlich,  aus  der  äusseren  Beschaffenheit  der  Siegelstempel, 
aus  den  Siegelbildern,   wie  aus  den  Umschriften  sowohl  der 
Siegelstempel,  als  auch  der  Siegelabdrücke  genau  festzustellen, 
welcher    Gebrauch    von    den    verschiedenen    Siegelstempeln 
gemacht    wurde,     und    wie    sie    zeitlich    einander    ablösten. 
Stimmen    die    hier    sich    ergebenden  Resultate  zu  dem,  was 
über    die    Entwickelung   des    Schöppenstuhls  gesagt  ist,   so 
liegt  darin  ein  erhebliches  Bestätigungsmoment. 

Die  Feststellung,  wie  es  sich  mit  den  Siegeln  verhielt, 
hat  ihre  Schwierigkeiten.  Wenn  es  richtig  ist,  dass  dem 
Schöppenstuhl  beider  Städte  in  ältester  Zeit,  ehe  es  zwei 
Städte  Brandenburg  gab,  ein  Schöppenstuhl  der  Stadt  Bran- 
denburg voranging,  so  muss  es  auch  für  diesen  Schöppen- 
stuhl ein  Siegel  gegeben  haben,  das  eine  andere  Firma  trägt 
als  die  des  Schöppenstuhls  beider  Städte  Brandenburg. 
Die  Siegelfirma  kann  aber  für  die  dem  Schöppenstuhl  beider 
Städte  vorangegangene  Zeit  keine  einheitliche  gewesen  sein; 
denn  diese  Zeit  zerfällt  in  zwei  wesentlich  verschiedene 
Perioden :  in  die  Periode,  in  welcher  es  nur  einen  Schöppen- 
stuhl „der  Stadt  Brandenburg"  (d.  h.  der  späteren  Alt- 


§  39-     Siegelung.  541 

Stadt  Brandenburg)  gab,  und  in  die  Periode,  in  welcher  so- 
wohl  vom  Schöppenstuhl   der  Altstadt    als  von   dem   der 
Neustadt  Belehrung  geholt  wurde.     Das  führt  zu  einer  ältesten 
Siegelung  unter  der  Firma:    „Sigillum   scabinorum  Branden- 
burgensiumu  und  zu  einer  späteren  Siegelung  theils  unter  der 
Firma:     „Sigillum    scabinorum     antiquae     (oder    veteris) 
civitatis  Brandenburgensis",  theils  unter  der  Firma:  „Sigillum 
scabinorum    novae  civitatis  Brandenburgensis".     Möglicher- 
weise könnte  auch  die  Altstadt  in  Rückerinnerung,  dass  sie 
früher  die  einzige  Stadt  Brandenburg  war,  die  ursprüngliche 
Siegelung   mit   dem  sigillum  scabinorum  Brandenburgensium 
für  ihre  Rechtsbelehrungen  noch  beibehalten  haben,  nachdem 
ein   als  Oberhof  thätiger  Schöppenstuhl   der  Neustadt   ins 
Leben  getreten  war;    nannten  sich  doch  auch  die  Schoppen 
der  Altstadt  Magdeburg  fortdauernd  „Schoppen  zu  Magde- 
burg*1. 

Es  scheint  fast,  dass  die  Altstadt  Brandenburg  diesem 
Beispiele  folgte;  denn  von  einem  sigillum  scabinorum  an- 
tiquae civitatis  Brandenburgensis  findet  sich  keine  Spur, 
wohl  aber  von  einem  „sigillum  scabinorum  Branden- 
burgensium", wie  von  einem  „secretum  scabinorum  nove 
civitat  Brand.441) 

Der  älteste  nachweisbare  Siegelstempel,  dessen  sich 
Brandenburger  Schoppen  bedienten,  ist  jedenfalls  derjenige, 
der  die  letzterwähnte  Umschrift  trug.  Ein  einziger  Abdruck 
davon  ist  vorhanden.2)  Die  Umschrift,  die  gegensätzlich 
zu  allen  anderen  Brandenburger  Schöppensiegeln  deutsche 
Minuskeln  zeigt,  weist  auf  das  Alter  des  Siegels  hin;  der 
Stempel  ist  nicht  mehr  vorhanden.  Die  Herkunft  des  Siegel- 
abdrucks ist  unbekannt ;  man  weiss  also  nicht,  ob  dasselbe  bei 
einem   neustädtischen  Oberhofsspruche  oder  bei  einem  neu- 

*)  Ein  noch  vorhandener  Siegelstempel  mit  der  Inschrift:  „Sig.  ju- 
dicis  veteris  civitatis  Brand."  bleibt  hier  ausser  Betracht,  weil  er  mit 
dem  Schöppenstuhl  nichts  zu  thun  hat;  er  mag  etwa  aus  der  Mitte  des 
siebzehnten  Jahrhunderts  stammen  und  dem  seit  jener  Zeit  ohne  Schoppen 
judicirenden  altstädter  Richter  angehört  haben. 

s)  In  einer  Siegelsammlung  des  Berliner  Staatsarchivs.  Eine  Abbil- 
dung des  Siegels  s.  auf  der  am  Schlüsse  dieses  Bandes  befindlichen  Tafel 
in  deren  Mitte. 


542  6'  Buch.    Verfahren. 

städtischen  Gerichtsspruche  verwendet  ist.  Das  Siegelfeld 
zeigt  in  der  Mitte  den  im  Thore  eines  Thurmes  aufrecht- 
stehenden Markgrafen,  in  der  Rechten  das  Schwert,  in  der 
Linken  die  Fahne  mit  dem  Brandenburger  Adler,  über 
seinem  Haupte  ein  Fallgitter  und  darüber  die  Mauerkrone 
des  Thurmes,  zur  Seite  des  Thores  zwei  angehängte 
Thürmchen. 

Liesse  sich  die  Zeit  der  Entstehung  des  Stempels  dieses 
Siegels   bis   in    das  vierzehnte  Jahrhundert  hinaufrücken,  so 
läge   nahe,   es  mit  der  Privilegirung  der  Neustadt  im  Jahre 
13153)  in  Verbindung  zu  bringen.     Nach  dem  Urtheil  Siegel- 
kundiger  soll    der    Stempel    von   solchem   Alter    nicht  sein, 
wohl  aber  aus  dem  fünfzehnten  Jahrhundert  stammen  können. 
Dann  wird  seine  Entstehung  in  die  erste  Hohenzollernzeit  zu 
setzen    sein;    der    dargestellte    Fürst   wäre    möglicherweise 
Friedrich  I.  oder  II.  als  Sieger  über  die  unbotmässigen  Städte. 

Ob  sich  alsbald  nach  der  um  diese  Zeit  erfolgten  Ver- 
einigung der  beiden  Brandenburger  Schöppenstühle  der  neu- 
geschaffene Schöppenstuhl  beider  Städte  eines  einheitlichen 
Siegels  bediente,  oder  ob  es  jeder  der  beiden  Städte  über- 
lassen blieb,  ihr  bisheriges  Siegel  für  die  von  ihr  besiegelten 
Oberhofssprüche  weiter  zu  führen,  hat  sich  nicht  feststellen 
lassen,  weil  besiegelte  Spruchreinschriften  erst  aus  der  zwei- 
ten Hälfte  des  sechzehnten  Jahrhunderts  vorliegen.  Die  Ab- 
drücke der  einzigen  zwei  vorhandenen  Sprüche  älterer  Zeit, 
nämlich  von  1455  und  152 1,  ergeben,  wenn  der  Abdruck 
Riedels  überhaupt  genau  ist,  dass  die  „Schoppen  beider 
Städte"  am  Schlüsse  des  Spruches  von  1455  bezeugen:  „des 
tu  mehrerer  bekantnisse  hebben  wy  unse  ingesegel  .  .  .  laten 
drucken  an  dessen  unsen  open  brif".  Am  Schlüsse  des 
Spruches  von  1521  ist  aber  statt  „unse  ingesegel"  gesagt 
„unsere  ingesegelt".  Die  Worte  „unse  ingesegel"  und 
„unsere  ingesegelt"  können  sprachlich  sowohl  den  Singular  als 
den  Plural  bedeuten;  sie  gestatten  demnach  keinen  sichern 
Schluss  über  die  Art  der  Siegelung  in  den  Jahren  1455  und 
152 1.  Ein  vom  altstädter  Schöppenschreiber  abgefasstes 
Schreiben  der  „Schoppen  beider  Städte"  an  den  Kurfürsten 

8)  Siehe  oben  Seite  358  ff. 


§  39-     Siegelung.  543 

vom  Jahre  15391)  lässt  noch  deutlich  erkennen,  dass  es  nur 
mit  einem  Siegel  besiegelt  und  wie  gross  das  abgefallene 
Siegel  war;  in  der  Grösse  stimmt  dies  Siegel  weder  mit  dem 
eben  besprochenen  ältesten  Siegel,  noch  mit  einem  der  vor- 
handenen spätem  Siegel  überein.  Folglich  muss  1539 "der 
altstädter  Senior  ein  nicht  mehr  vorhandenes  Siegel  Namens 
der  Schoppen  beider  Städte  gefuhrt  haben,  das  kein  anderes 
Siegel  gewesen  sein  kann,  als  entweder  ein  sigillum  scabi- 
norum  antiquae  civitatis  Brandenburg  oder  ein  sigillum 
scabinorum  Branden burgensium. 

Da  gegenwärtig  noch  drei  Siegelstempel  vorhanden  sind, 
awei  ältere  silberne,  deren  Entstehungszeit  nach  der  tech- 
nischen Herstellung  frühestens  in  das  sechzehnte  Jahrhundert 
zu  setzen  ist,2)  und  ein  neuerer  eiserner,  der  lediglich  eine 
Wiederholung  des  einen  silbernen  Stempels  ist,3)  so  ergiebt 
sich,  dass  diese  Stempel  aus  der  Zeit  nach  1539  stammen.4) 

Der  eine  silberne  Stempel,  der  in  der  Tafel  am  Schlüsse 
mit  A  bezeichnet  ist,  hat  die  Inschrift:  „S.  scabinorum  Bran- 
-denburgensium",  der  zweite  —  mit  B  signirte  —  hat  die 
Inschrift:  „S.  scabinorum  ambarum  civitatum  Brandenburg.". 
Neben  diesen  beiden  silbernen  Stempeln  und  dem  eisernen 
Stempel,  der  eine  Nachbildung  des  Siegels  B  ist,  hat  es 
einen  sicher  in  der  zweiten  Hälfte  des  sechzehnten  Jahr- 
hunderts benutzten,  verloren  gegangenen  Stempel  mit  der 
Inschrift:  „S.  scabinoru.  ambaru.  civitatu.  Brandenburg."  ge- 
geben, der  mit  C  bezeichnet  ist.  Er  war  bei  einer  Reinschrift 
des  Jahres  1567  (12  371)  in  Gebrauch  und  findet  sich  auch 
noch  bei  späteren  bis  zum  Jahre  16 19  reichenden,  in  den 
Schöppenstuhlsakten  enthaltenen  Reinschriften,5)  ausserdem 
aber  bei  zwei  Reinschriften,  die  das  Berliner  Staatsarchiv  aus 

')  StR.  21  No.  9c. 

2)  Gefällige  Auskunft  des  Kgl.  MQnzkabinets  in  Berlin,  das  die  Siegel 
geprüft  hat.     Die  Stempel  verwahrt  das  Amtsgericht  Brandenburg. 
8)  Im  Brandb.  Rathhaus  verwahrt. 

4)  Siehe  hierzu  und  zu  dem  Folgenden  die  Tafel  am  Schlüsse  des 
Bandes. 

5)  Siegelabdrücke  des  Stempels  C  finden  sich  noch  1590  (35  381), 
1591  (36  30»  l6oß  (56  606),  1609  (58  555),  1612  (59  488),  1614  (63678), 
1619  (67  261). 


544  6«  Buch.    Verfahren. 

den  Jahren  1561  und  1563  aufbewahrt. ])  Das  Charakteristische 
an  diesem  Stempel  ist,  dass  die  drei  Worte  „scabinorum  am- 
barum  civitatum"  durch  Weglassung  des  jedesmaligen  Schluss- 
buchstabens abgekürzt  sind.     Der  eiserne  Stempel  (D)  war 
bestimmt,  in  eine  erst  der  neueren  Zeit  angehörige  Siegelpresse 
eingefügt  zu  werden,  ist  deshalb  ohne  Griff  und  von  härterem 
Metall    als    die   zum  Handgebrauch  bestimmt  gewesenen  sil- 
bernen Siegel.     Die  zwei  noch  vorhandenen  silbernen  Siegel 
sind  mit  hohen  hölzernen  Handgriffen  versehen.     Der  ältere, 
schönere    und    kunstreichere  dieser  Handgriffe  befindet  sich 
am  Stempel  B  und  gehört,  wenn  er  nicht  eine  blosse  Nach- 
ahmung  ist,    seiner   Entstehungszeit   nach    dem  sechzehnten 
Jahrhundert   an.      Der    rohere   Handgriff   des   Stempels  A 
scheint  aus  dem  siebzehnten  Jahrhundert  zu  stammen.2)    Bei 
allen  vier  Stempeln  hatte  die  Siegelfläche   etwa  die  Grösse 
eines  Thalers. 

Die  Bedeutung  dieser  verschiedenen  Siegelstempel,  ihren 
verschiedenen  Inschriften  und  ihrer  verschiedenen  Einrichtung 
wird  erst  klar,  wenn  man  vergleichungshalber  noch  die  Stadt- 
siegel heranzieht. 

Das  grosse  Stadtsiegel,  das  einst  die  Altstadt  Branden- 
burg führte,  seit  17 15  aber  die  zur  Einheit  gewordene  Stadt 
Brandenburg  verwandte,  entstand  nach  seiner  Umschrift:  „Si- 
gillum  Brandenburgensis  civitatis4*,  ehe  es  eine  Neu- 
stadt Brandenburg  gab.3)  Ihm  entspricht  die  Inschrift 
des  Siegelstempels  A  des  Schöppenstuhls  („Sigillum  scabi- 
norum Brandenburgensiumu):  dies  Siegel  kannte  nur  scabini 
Brandenburgenses,  noch  nicht  aber  altstädtische  und  neu- 
städtische  Schoppen.  Eine  Reminiszenz  an  dieses  älteste 
Siegel  ist  auch  die  Inschrift  eines  kleinen  „Sigillum  scabi- 
norum Brandenburgensiumu,  dessen  sich  noch  1725  (83590) 
und  1745  (95  399)  der  Schöppenstuhl  bei  minder  wichtigen 
Angelegenheiten    bediente.4)     Diese    Inschrift   des    kleinen 


*)  R.  49  N.  StA. 

2)  Gef.  Auskunft  des  Direktors   des  Berliner  Kunstgewerbemuseums 
Herrn  Geh.R.  Lessing. 

*)  So  auch  Sello,  Siegel  der  Alt-  und  Neustadt  Br.   Brandenburg  i*8& 
4)  Die  Reg.  zu  Halberst.  beschwert  sich  1731  (86  345),    dass  ihr  die 


§  39-     Siegelung.  545 

Siegels,  wie  die  Inschrift  des  Siegels  A  führt  also  in  die  Zeit 
zurück,  in  welcher  noch  —  wie  im  Jahre  1376 l)  —  die 
„Schoppen  zu  Brandenburg",  nicht  die  „Schoppen  beider 
Städte  Brandenburg"  Rechtsbelehrung  ertheilten. 

Anders  steht  es  mit  dem  Siegel  felde  des  Stempels  A. 
Das  alte  Stadtsiegel  giebt  eine  Art  Bild  der  Stadt  Branden- 
burg, d.  h.  einen  in  der  Mitte  stehenden  Hauptthurm  mit 
einem  Thor  und  einige  Nebenbauten,  die  sechs  kleinere 
Thürme  und  neben  ihnen  Arkaden  vorzustellen  scheinen.2) 
Im  Siegelfeld  des  Schöppenstuhls  sehen  wir  das  Wappen- 
schild des  Brandenburger  Adlers,  darüber  einen  Thorbogen 
mit  Fallgitter  und  darüber,  bis  zum  oberen  Siegelrand  sich 
erhebend,  die  Figur  eines  Kurfürsten  mit  Kurhut  und  Mantel 
und  mit  den  Attributen  seiner  Würde,  der  Fahne  in  der 
Rechten,  dem  Szepter  in  der  Linken;  zu  den  Seiten  des  Thor- 
bogens  stehen  zwei  Thürme.  Der  Arbeit  nach  gehört  der 
silberne  Stempel  B  etwa  der  zweiten  Hälfte  des  sechzehnten 
Jahrhunderts  an;  der  Stempel  A  ist  gröbere  Arbeit  und 
scheint  aus  dem  Beginn  des  siebzehnten  Jahrhunderts  zu 
stammen.  Aus  der  Zwischenzeit  zwischen  der  Entstehung 
des  alten  Stadtsiegels  und  des  Schöppenstuhlsiegels  B  stammt 
das  „sigillum  burgensium  nove  civitatis  in  Brandenburgh"  3) 


Akten  mit  einem  Privatsiegel  verschlossen  zurückgeschickt  seien;  Steltzner 
erwidert,  es  sei  das  kleinere  SchÖppensiegel  gewesen.  Aehnlich  1740 
(9147):  Die  Regierung  zu  Halberstadt  zeigt  1740  an,  dass  Akten  zwar  in 
Wachstuch  gepackt  und  mit  einem  losgegangenen  Privatsiegel  versehen, 
inwendig  mit  grau  Papier  sehr  schlecht  verwahrt,  auch  nicht  einmal  mit 
dem  Siegel  des  Schöppenstuhls  versehen  eingegangen  seien;  es  wird  gefragt, 
da  die  Parteien  die  Publikation  beanstandet  hätten,  ob  die  Akten  ordnungs- 
massig  abgesandt. 

Die  Br.  antworten,  dass  die  Akten  inwendig  auf  dem  grauen  Papier 
mit  dem  grossen  Skabinatssiegel  und  aussen  auf  dem  Wachstuch  mit  des 
Scabinats  kleinem  Siegel  mit  Lack  verwahrt  gewesen.  So  grosse  Packete 
könnten  nicht  beim  Emballiren  unter  die  Presse  gebracht  werden,  der 
Pedell  könne  sie  nur  mit  des  Skabinats  grossem  Handsiegel  siegeln,  das 
sich  dann  so  gut  nicht  ausdrücke  und  durch  das  viele  Fahren  und  Umpacken 
der  Packete  leide,  wie  auch  die  Akten  in  Br.  manchmal,  nam.  bei  schlechtem 
Wetter,  von  Siegeln,  Bindfaden   und  Papier  ziemlich   entblösst  ankämen. 

1)  Siehe  oben  Seite  269. 

2)  Dullo,  Kommunalgeschichte  von  Br.  Tafel  I.  8)  Dullo  Tafel  N. 
Stölxel,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  35 


546  6.  Buch.    Verfahren. 

und  das  „secretum  scabinorum  nove  civitatis  Brand. ul)  Das 
Siegelfeld  dieser  letzteren  beiden  Siegel  und  des  kleinen 
oben  genannten,  welche  sich  alle  drei  als  „sigillum  scabinorum 
Brandenburgensium"  bezeichnen  und  damit  auf  eine  sehr  frühe 
Zeit  (auf  die  Zeit  vor  Gründung  der  Neustadt)  zurückver- 
weisen, zeigt  zwar  den  Hauptthurm  des  Stadtsiegels,  fcaber 
nur  zwei  Nebenthürme  und  im  grossen  Thor  des  Hauptthurros 
den  Markgrafen,  in  der  Rechten  das  Schwert,  die  Linke  auf 
den  Schild  mit  dem  Brandenburger  Adler  gestützt. 

Das  Stadtsiegel  begnügt  sich  also  mit  Darstellung  der 
Stadt;  in  ihm  fehlt  das  Bild  des  Landesherrn;  die  landes- 
herrliche Gewalt  hatte  noch  keine  Stelle  im  Rahmen  der 
Stadtfreiheit.  Vom  vierzehnten  Jahrhundert  an  hat  dagegen 
der  Landesherr  —  einer  Sitte  nach,  die  in  anderen  JStadt- 
oder  Gerichtssiegeln,  z.  B.  in  Würzburg,  Nürnberg,  Frank- 
furt a.  M.,2)  auch  vorkommt  —  seinen  Platz  mitten  unter  dem 
Stadtthor,  ebenso  beim  Rathssiegel,  wie  beim  neustadter 
Schöppensiegel. 

Dem  „Schöppenstuhl  beider  Städte  Brandenburg1*,  und 
zwar  seiner  Neubelebung  durch  die  Joachimica,  verdankt  das 
Siegelfeld  des  Stempels  A  seine  Entstehung.  Darin  ist  der 
früher  unter  dem  Thore  stehende  Markgraf  zu  dem  ^das  ganze 
Bild  beherrschenden,  hoch  über  das  Thor  emporragenden 
Kurfürsten  geworden.  Das  Thor,  über  dem  der  Kurfürst 
thront,  ist  zu  einem  Thorbogen  mit  einem  Fallgitter,  und  das 
Bild  der  Stadt  ist  zum  Bilde  je  eines  Thurmes  zur  Seite  des 
Kurfürsten  zusammengeschmolzen.  Das  hinzugetretene  Fall- 
gitter scheint  dasjenige  Fallgitter  versinnbildlichen  zu  sollen, 
durch  das  man  von  der  Mitte  der  langen  Brücke  zu  dem 
im  Wasser  stehenden  Schöppenhaüs  gelangte.3)  Unter  dem 
Fallgitter  hin  fliesst  also  die  Havel,  und  wenn  zu  ihrer  Seite 
je  ein  Thurm  steht,  so  vertritt  wohl  der  eine  Thurm  die  am 
linken  Havelufer  gelegene  Neustadt,  der  andere  die  am  rechten 
Ufer  gelegene  Altstadt.  Das  Siegelb ild  stellt  demnach,  ent- 
sprechend   der  Zeit    der  Anfertigung  dieses  Siegelstempels, 

1)  Sello  a.  a.  O    S.  6  Anm.  i. 

2)  Seyler,  Gesch.  der  Siegel.     Leipz.  1894  S.  34a  314. 
8)  Siehe  oben  Seite  49. 


§  39-     Siegelung.  547 

den  kurfürstlichen  im  Schöppenhaus  tagenden  Schop- 
pens tuhl  beider  Städte  Brandenburg  dar.1)  Als  Rechts- 
nachfolger der  alten  Schoppen  zu  Brandenburg  wählten  die 
Schoppen  aber,  zurückgreifend  in  die  früheste  Zeit  ihres 
Oberhofs,  die  alte  Siegel  Umschrift  der  „scabinorum  Branden- 
burgensium".  Deshalb  wird  noch  1635  gerade  derjenige  der 
vorhandenen  Siegelstempel,  der  diese  älteste  Schöppenstuhls- 
firma  trägt  (der  Stempel  A),  auf  dem  Schöp penhause  auf- 
bewahrt gewesen  sein;  dieser  alte  Ort  der  Siegelung  war 
für  ihn  die  gegebene  Stelle.  Keineswegs  ist  aber  der  Siegel- 
stempel A  der  früheste  von  den  drei  im  Gebrauch  gewesenen 
älteren  Stempeln  der  Schoppen  beider  Städte,  er  ist  viel- 
mehr umgekehrt  der  späteste.  Nur  eine  der  in  den  Schöp- 
penstuhlsakten  befindlichen  Spruchreinschriften  weist  ein 
Siegel  auf,  bei  welchem  dieser  Stempel  A  gebraucht  ist;  sie 
gehört  dem  Jahre  1635  (76  121)  an  und  rührt  vom  Schöp- 
penschreiber  Moritz  her.  Ausserdem  findet  sich  das  Siegel 
auf  drei  von  Moritz'  Hand  gefertigten  Spruchreinschriften  des 
Tangermünder  Stadtarchivs  aus  dem  Jahre  1 633,2)  ferner 
ebendort  in  einer  von  Kanzleihand  gefertigten  Spruchrein- 
schrift des  Jahres  i6$i3)  und  endlich  auf  einem  im  Berliner 
Staatsarchiv4)  befindlichen  Immediatbericht  des  Schöppen- 
stuhls  aus  dem  Jahre  17 19.  Der  Stempel  A  muss  hiernach 
zwischen  1619  und  1633  den  abhandengekommenen  Stempel 
C  ersetzt  haben.  Das  führt  in  die  Zeit  des  dreissigjährigen 
Kriegs,  als  der  Neustädter  Moritz  vermuthlich  einziger  Schöp- 
penschreiber  war.  Der  Stempel  A  wurde  während  des 
Krieges  gefertigt  und  war  für  den  Gebrauch  im  Schöppen- 
haus wie  gleichzeitig  im  altstädter  Rathhaus  bestimmt  als  Er- 
satz eines  verlorenen  früheren  Stempels.  Darum  der  grössere, 
aber  schärfere,  weil  neuere  Schnitt  des  Stempels  A,  dessen 

')  Nachdem  das  Erzstift  Magdeburg  an  Brandenburg  gefallen  war 
(1648),  erhielt  der  Schöppenstuhl  zu  Halle  ein  Siegel,  in  welchem  das 
brand.  Szepter  mit  dem  Kurhut  dargestellt  war;  der  Kurhut  verwandelte 
sich  im  18.  Jahrh.  in  den  Adler  mit  der  Umschrift:  „Kgl.  Preussischer 
Schöppenstuhl  zu  H." 

2)  In  Inquisitionsakten  gegen  Ilse  Möring. 

3)  In  Inquisitionsakten  gegen  Hans  Hannemann. 

4)  R.  21  No.  9  c. 

35* 


548  6-  Buch.    Verfahren. 

eben  erwähnter  einziger  in  den  Schöppenstuhlsakten  befind- 
licher Abdruck   von  1635  das  bestausgeprägte    aller  in  den 
Akten  befindlichen  Schöppenstuhlssiegel  ist,  darum  der  jüngere 
und  weniger  kunstvolle  Holzgriff  am  Stempel  A  als  am  Stempel 
B,    darum    die  durch    das    starke    Aufdrücken    verursachte 
Wölbung    der    Platte    an    dem    älteren    häufig   gebrauchten 
Stempel  B   im  Gegensatz  zur   tadellosen  Platte  des  seltener 
gebrauchten  Stempels  A.     Der  Stempel  B  dagegen  ist  einer 
der  beiden  nach  1539   für    die  beiden  Städte   angefertigten 
silbernen  Stempel;  das  Gegenstück  dazu  existirt  nicht  mehr. 
Anlass,  neue  Stempel  zu  wünschen,  konnte  der  Wiederaufbau 
des  Schöppenhauses  im  Jahre  1552  und  die  durch  das  Wirken 
der  gerade  damals  in  ihr  Amt  eingetretenen  romanistisch  ge- 
bildeten Schöppenschreiber  Roter  und  Karpzow  inaugurirte 
Blüthezeit    des  Schöppenstuhls  sein.     Dazu  stimmt,   dass  die 
Verwendung  des  um  1630  abhanden  gekommenen  Stempels 
C  im  Jahre  1561    und  die  Verwendung  des  Stempels  B  im 
Jahre  1563  zuerst  zu  Tage  tritt,  auch  stimmt  dazu  die  Arbeit 
am  Holzgriff  des  vorhandenen  Stempels  B  und  die  Arbeit  an 
seiner  Silberplatte.     Der  auf  dieser  Platte  dargestellte  Kur- 
fürst ist  dann  Joachim  IL;  die  später  entstandenen  Stempel  A 
und    D,    sowie   der   ebenfalls   später   entstandene    verlorene 
Stempel  C  wählten  dasselbe  Siegelbild. 

Dem  entspricht  es,  wenn  der  Senior  Giesecke  1734  in 
seinem  Immediatberichte  jedem  der  beiden  Schöppenkollegien 
von  Alters  her  ein  silbernes  Siegel  zuschreibt,  deren  eines  in 
der  Altstadt,  das  zweite  in  der  Neustadt  zur  Verwahrung  stehe.1) 

Der  Grund,  aus  welchem  dem  um  1630  gefertigten 
Stempel  A  die  vor  Bildung  des  Schöppenstuhls  beider 
Städte  gebräuchlich  gewesene  Inschrift  des  einheitlichen 
Schöppenstuhls  der  Brandenburger  Schoppen  gegeben  wurde, 
lag  wahrscheinlich  in  der  damals  bestehenden  Absicht,  den 
Verheerungen,    die    der    Krieg    angerichtet   hatte   und  etwa 


l)  Giesecke  selbst  verwahrte  einen  der  Stempel;  der  Stempel  wurde  1759 
nach  Gieseckes  Tode  aus  seinem  Hause  abgeholt,  AA.  Schöppenbnch 
fol.  it.  —  Die  von  beiden  Städten  im  J.  1734  besessenen  Siegfei  sind  die 
an  das  Amtsgericht  Brandenburg  übergegangenen. 


§  39-     Siegelung.  549 

noch  weiter  anrichtete,  dadurch  Rechnung  zu  tragen,  dass 
man  an  die  Stelle  des  Kollegs  von  10  Schoppen  (5  aus  jeder 
Stadt)  ein  kleineres,  wieder  einheitliches  Kolleg  von  im 
Ganzen  5  Schoppen  treten  lassen  wollte.  Als  man  gleichwohl 
nach  dem  Friedensschlüsse  das  Doppelkolleg  beibehielt,  aber 
auf.  drei  Mitglieder  von  jeder  Stadt  beschränkte,  entsprach 
die  Verwendung  zweier  Siegelstempel  der  Zweitheiligkeit  des 
Kollegs. 

Da  diese  Stempel  immerhin  in  Kleinigkeiten  von  ein- 
ander abwichen,  so  hatte  das  die  sehr  praktische  Folge, 
dass  jeder  mit  der  inneren  Einrichtung  des  Schöppenstuhls 
Vertraute  aus  dem  Siegel  der  Spruchausfertigung  alsbald  er- 
sehen konnte,  ob  die  Ausfertigung  auf  dem  altstädter  Rath- 
hause  oder  dem  neustädter  Rathhause  entstanden  war.  Dies 
war  namentlich  für  den  Schöppenstuhl  selbst  von  Bedeutung, 
wenn  er  veranlasst  wurde,  nach  der  Entstehung  der  in  Bezug 
genommenen  Ausfertigung  einer  früheren  Entscheidung  oder 
nach  dem  Verbleib  der  Vorakten  einer  solchen  zu  forschen. 

Die  um  1665  sich  vollziehende  Vereinigung  der  Schoppen 
beider  Städte  unter  einem  Senior1)  führte  dahin,  dass 
dieser  Senior  während  seines  Seniorats  ausschliesslich  mit  dem 
Schöppenstuhlsiegel  derjenigen  Stadt  siegelte,  der  er  ange- 
hörte; das  Schöppenstuhlsiegel  der  anderen  Stadt  blieb  so 
lange  ausser  Gebrauch,  bis  wieder  ein  Schöppe  dieser  Stadt 
Senior  wurde.2) 

Sehen  wir  nach  1734  das  Schöppenstuhlsiegel  in  den 
Händen  des  Seniors,  dann  aber  die  Siegelpresse  in  Thätig- 
keit,  die  1740  in  Brandenburg  der  Pedell,  1750  in  Halle  der 
Aktuar  handhabt,3)  so  mag  das  damit  zusammenhängen,  dass 
die  allmählich  zur  Regel  gewordene  Unterschrift  der  Urtheils- 
konzepte  dem  Akte  der  Siegelung  einen  grossen  Theil  seiner 
Bedeutung  genommen  hatte:  der  Spruch  war  durch  die 
Konzeptunterschrift  bereits  vor  der  Siegelung  festgestellt. 

J)  Siehe  oben  S.  78.  318. 

*)  Ausfertigungen  der  Altstädter  Kriele  und  Steltzner    (1672:  79  541; 
1697:  79  763;  1698:  79  810)    sind    deshalb  mit  dem  neustädter  Siegel  ver- 
sehen;   denn    der    Neustädter  Peter  Muller   bekleidete  1672    und    der  Neu- 
städter Dr.  M.  Muller  bekleidete  1697.  1698  das  Senoriat. 
8)       Dreyhaupt,  Saalkreis  Bd.  2  S.  450. 


550  <>•  Buch.    Verfahren. 

Was   schliesslich   die   Art   der  Anbringung    der    Siegel 
betrifft,    so   hat    auch    sie    eine   mit    der    Entwicklung    des 
Schöppenstuhlwesens    zusammenhängende    Geschichte.      So- 
lange der  Belehrungsspruch  in  Form  eines  „offenen"  Briefes 
ertheilt  wurde,  wie  im  Jahre  1455,  hing  man  das  Siegel  ent- 
weder an  die  offene  Urkunde  oder  drückte  es  unter  deren 
letzte  Zeile,    es    diente    also   lediglich    zur  Beurkundung  der 
Echtheit.     Bei  den  Spruchausfertigungen  von  1561   und   1563» 
wahrscheinlich  aber  auch  bei  solchen,  die  um  ein  Jahrhundert 
oder  wenigstens   um  Jahrzehnte  früher  entstanden,    war  da- 
gegen das  Siegel  ausserdem  dazu  bestimmt,  den  Spruch  zu 
verschliessen,  indem  es  einen  durch  den  zusammengefalteten 
Bogen  gezogenen  Papierstreifen  mit   der  Urkunde   verband. 
Wenn    anfragende    Schoppen    sich    das    Urtheil    in    eigener 
Person  holten,  konnte  die  Form  des  offenen  Briefes  gewählt 
werden.     Dem  Boten   gegenüber    aber    musste    der    Spruch 
geheim  gehalten  werden.     Als  es  üblich  wurde,  die  Sprüche 
im  Namen  des    anfragenden    Gerichts    auszufertigen,    wurde 
ein  zweiter  Siegelabdruck  neben  den  Vermerk  gesetzt,  der 
bekundete,    dass    der  Spruch  derjenige  des  Schöppenstuhls 
sei.      Man  kehrte    also    damit  zur  ältesten  Form  der  Siege- 
lung   —    der   Siegelung    unterhalb    der  Urkunde   an    ihrem 
Schlüsse  —  zurück. 

Das  Material  zum  Siegeln  war,  wie  in  Halle,2)  rothes 
Wachs ;  solches  führten  Kaiser  und  Könige  oder  Fürsten  und 
Herren,  denen  es  von  jenen  verliehen  worden.  So  empfing 
z.  B.  Stendal  151 3  als  Zeichen  besonderer  kurfürstlicher 
Gnade,  weil  es  die  Biersteuer  weiter  verwilligt  hatte,  „auf 
ewige  Zeiten  das  Recht,  seine  Urkunden  und  Missiven  mit 
rothem  Wachs  zu  siegeln."3)  Brandenburg  muss  ein  gleiches 
Privileg  erhalten  haben.  Denn  nicht  nur  die  Schöppen- 
sprüche,  sondern  auch  andere  Schriftstücke  wichtigeren  In- 
halts, namentlich  die  Berichte  an  den  Landesherrn  besiegelte 
man  mit  rothem  Wachs.  Hier  wich  jedoch  im  Laufe  des 
18.  Jahrhunderts  das  Siegel  den  Unterschriften  der  Mitglieder. 

')  Riedel  X,  290. 

2)  Dreyhaupt,  Saalkreis  Bd.  2  S.  451. 

s)  Götze,  Gesch.  der  Stadt  Stendal  S.  246. 


§  39-     Siegelung.  551 

Zur  Beglaubigung  minder  erheblicher  Mittheilungen,  wie  z.  B. 
der  Bescheinigungen  über  den  Empfang  der*  Akten  oder 
der  Gebühren,  besass  der  Schöppenstuhl  ausserdem  das 
oben  erwähnte  kleinere  Siegel.  Der  Stempel  dazu  ist  ver- 
loren. Anscheinend  stammte  das  Siegel  erst  aus  späterer 
Zeit,  vielleicht  erst  aus  dem  achtzehnten  Jahrhundert.  Ein 
kleineres  Siegel  der  Neustadt  (in  Wachs)  findet  sich  schon 

1657  (79  134)  und  1697  (79  795)- 

Das  Siegelbild,  welches  auf  allen  fünf  Siegeln  mit  un- 
erheblichen Unterschieden  wiederkehrt,  war  zum  Wahrzeichen, 
zum  Wappenbild  des  Schöppenstuhls  geworden.  Deshalb 
wurde  auch  im  Jahre  1568  das  Schöppenhaus  mit  einem 
Fenster  geschmückt,  das  in  Glasmalerei  das  Siegelbild  wieder- 
gab. Darunter  setzte  der  Maler  die  Worte:  „Scheppen 
Beeder  stet  Bran.  1568."1)  Nach  dem  Zusammenbruch  des 
Hauses  wurde  die  Scheibe  gerettet.  Ein  „uhraltes  Monument 
und  richtige  Uhrkunde  vom  Alterthum  des  Schöppenstuhls" 
nannte  sie  damals  Steltzner,  als  er  sie  dem  Senior  zur 
Aufbewahrung  überreichte;  er  hatte  den  Sturm  des  Jahres 
1700  miterlebt2)  und  als  damaliger  secretarius  scabinatus 
wahrscheinlich  die  Scheibe  an  sich  genommen. 

Die  Thatsache  aber,  dass  man  sie  in  jenem  Jahre  am 
damals  noch  neuen  Schöppenhause  anbrachte,  steht  ebenso, 
wie  der  Bau  dieses  Hauses  und  die  Einführung  eines  sigillum 
scabinorum  ambarum  civitatum  mit  der  Neugestaltung  in 
Zusammenhang,  die  unter  Joachim  II.  der  Schöppenstuhl  erfuhr. 
Lange    Zeit    hatte    es    schon    einen    Schöppenstuhl    beider 


l)  Beiträge  zu  der  juristischen  Litteratur  in  den  Preussischen  Staaten, 
erste  Sammlung,  Berlin  1775  S.  181,  Anm.  2,  citirt  bei  Heydemann,  Die 
Elemente  der  Joachimischen  Konstitution,  Berlin  1841,  S.  407.  Der  Ver- 
fasser des  Aufsatzes  in  den  Beiträgen  von  1775  beschreibt  die  Fenster- 
scheibe anscheinend  aus  eigener  Anschauung.  Vermuthlich  war  sie  das 
Geschenk  eines  Schoppen.  Grupp  im  Jahresbericht  des  Brand,  histor. 
Vereins  von  1899  S.  65  zieht  aus  den  Notizen  bei  Hymmen  und  Heydemann 
den  nicht  zutreffenden  Schluss,  als  habe  der  Schöppenstuhl  ein  Siegel  mit 
der  Umschrift :  „Scheppen  Beeder  stet.  Bran.*  besessen.  Als  Wappen  ist 
das  Siegelbild  übrigens  auch  auf  einem  Bilde  Brandenburgs  von  1740 
wiedergegeben. 

*)  Vgl.  oben  S.  131.  132.  62. 


■ 

\ 


552  6.  Buch.    Verfahren. 

Städte  gegeben;    dass    er   sich    eines  Siegels  mit    der    Hin- 
weisung   auf  die   scabini  ambarum  civitatum  bediente,    war 
eine    Neuerung   der    zweiten    Hälfte    des   sechzehnten    Jahr- 
hunderts ;  vorher  hatte  das  Siegel,  das  der  Senior  der  Einzel- 
stadt Namens  dieser  führte,  oder  es  hatte  das  Siegel  der 
längst  verschwundenen  uralten  scabini  Brandenburgenses  ge- 
wissermassen    leihweise    dazu    dienen  müssen,   den  Sprüchen 
der  Schoppen  beider  Städte  ihren  äusserlichen  Abschluss  zu 
geben;    erst   von  jener    Zeit    an    beurkundete   der   für   den 
Schöppenstuhl    siegelnde    Senior    der    Einzelstadt,    dass    er 
Namens    beider    Städte    handle,    und    erst    damit    wurde 
im  wahrsten    Sinne    des  Wortes   der    Schöppenstuhl    beider 
Städte  „besiegelt";    er  fing  an,  in  dem  Bewustsein  zu  leben, 
dass  eine  neue   Zeit  für  ihn  begonnen  habe. 

Der  Entwicklungsgang  der  Besiegelung  dient  hiernach 
zur  wesentlichen  Bestätigung  dessen,  was  sich  über  die  ge- 
schichtliche Entwicklung  des  Schöppenstuhls  selbst  ergeben 
hat:  die  Entstehung  des  Siegels  der  neustädter  Schoppen 
hängt  mit  der  Bildung  des  Schöppenstuhls  beider  Städte  im 
fünfzehnten  Jahrhundert,  die  Entstehung  der  Siegel  B  und  C 
hängt  mit  der  Blüthezeit  dieses  Schöppenstuhls  um  1550,  die 
Entstehung  des  Siegels  A  hängt  mit  dem  Verschwinden  des 
Stempels  zum  Siegel  C  während  des  dreissigjährigen  Krieges 
und  die  Entstehung  des  Siegels  D  hängt  mit  der  Nachblüthe- 
zeit  des  Schöppenstuhls  von  1723  bis  1746  zusammen. 

§40. 
Gebühren  und  Gehalt 

Den  Eingang  der  Anfragen  musste  nach  feststehendem 
Brauche  des  Brandenburger  Schöppenstuhls  die  Zahlung  des 
„Schöppengeldes"  begleiten :  so  praktisch  war  der  Schöppen- 
stuhl, dass  er  keinen  Spruch  that,  bevor  sich  nicht  das 
Schöppengeld  in  seinen  Händen  befand.  Unter  diesen  Händen 
sind  die  des  Seniors  zu  verstehen;  er  nahm  das  Geld  für 
jede  einzelne  Sache  ein  und  vertheilte  es,  sobald  der  Spruch 
getällt  war,  an  Schoppen,  Schreiber  und  Boten  nach  den 
Jedem  von  ihnen  gebührenden  Sätzen. 

Den  Betrag  des  Schöppengelds  und  seinen  Vertheilungs- 


§  4°-     Gebühren  und  Gehalt.  553 

modus  im  fünfzehnten  Jahrhundert  haben  wir  bereits  oben 
(S.  267)  kennen  gelernt,  als  es  sich  darum  handelte,  die  Zahl 
der  beim  Schöppenstuhl  thätigen  Schoppen  festzustellen. 
Eines  der  ältesten  Blätter  unserer  Schöppenstuhlsakten  ent- 
hält zugleich  einen  interessanten  Hinweis  aus  dem  Jahre 
1443  (ÜB.  1  13),1)  der  ergiebt,  dass  das  Schöppengeld  ur- 
sprünglich in  Beziehung  zum  „Wergeid"  gestanden  hat. 
Denn  Bürgermeister  und  Rath  zu  Nauen  schreiben  den 
Brandenburgern,  die  der  Rechtsbelehrung  bedürftigen  Schop- 
pen des  Dorfes  Bornewitz  hätten  des  beklagten  Frankfurter 
Bürgers  „Wergeid"  genommen,  dass  sie  darum  ein  branden- 
burgisch Recht  holten.2) 

Wenn  beide  Parteien  Belehrung  erbitten,  so  theilen  sie 
sich  in  die  Vorlage  des  Schöppengeldes.  Darum  redet  der 
Hauptmann  von  Ruppin  1531  (1  283)  davon,  dass  er  bisher 
nicht  habe  erkunden  können,  welche  Partei,  „wenn  die 
Parteien  zu- beiden  Theilen  einlegen",  das  Seine  nach 
erfolgtem  Spruche  wieder  nimmt,  und  in  Osterburg  (bei 
Stendal)  händigt  1539  (2  670.  704.  715)  jede  Partei  dem 
jüngsten  Schoppen  die  Hälfte  des  Urtheilsgeldes  für  die 
Brandenburger  ein.3) 

Als  den  Betrag  des  Schöppengeldes  haben  wir  für  die 
1440er  Jahre  3  Schilling  Groschen  (d.  h.  36  Groschen) 
kennen  gelernt,  die  so  einfach  und  sinnreich  vertheilt  wurden, 
dass  jeder  der  10  Schoppen  3,  jeder  der  2  Schöppen- 
schreiber  2  und  jeder  der  2  Knechte  oder  „Diener",  die  die 
Akten  herumtragen,4)  1  Groschen  erhielt,  indem  je  18 
Groschen  auf  jede  Stadt  entfielen.  Da  nach  einer  kurf.  VO. 
von  145 15)  die  Schoppen,  wenn  sie  auserhalb  des  gehegten 

')  Es  ist  in  der  betr.  Urkunde  wohl  richtiger  Wergeid  als  Wetgeld 
zu  lesen. 

*)  Vgl.  oben  Seite  274. 

3)  In   Havelberg  „erlegt14    1557  (6  326)  „jedes  Part  das  Urteilsgeld*. 

4)  Das  wird  bezüglich  der  Diener  noch  1703  durch  einen  Beschluss 
des  Schöppenstuhls  wiederholt  ausgesprochen.  Schöppenbuch  AA.  foL  31 
(„die  Urtheil  mögen  cum  oder  sine  rationibus  dubitandi  et  decidendi  ab- 
gefasst  werden"). 

6)  Riedel  I  9,  172;  StA.  Dec.  March.  II  R.  94  II  K.  2  fol.  90,  91 :  „Wäre 
es  sache,   dass  jemand  der  scheppen  behövede,  ausserhalb  des  gehegeten 


554  6.  Buch.    Verfahren. 

Dings  Ordel  zu  sprechen  haben  (also  die  zu  Gericht  sitzen- 
den Schoppen  der  Einzelstadt),    „10  Schilling    Pfennige 
Brandenburgischer  Münze"    erhalten,   und   da   1528  Richtern 
und  Schoppen  zu  Berlin  und  Cöln1)    auf  ihre  „demütig-liche 
Bitte"  wegen  ihrer  vielen  Mühe  und  Arbeit  von  jedem  End- 
urtheil  und  Beiurtheil  4  Groschen  Gebühr  bewilligt  wird» 
so   ist    der  Betrag   von  3  Schilling  Groschen    (d.  h.  von  36 
Groschen)    für  die  Urtheile   der  im  Schöppenstuhl  vereinten 
Schoppen  beider  Städte  Brandenburg  ein  recht  hoher.     Da- 
zu kam,  dass  diese  Schoppen  1489  den  für  alle  Zukunft  fest- 
gehaltenen Beschluss  fassten,  dass  das  zu  zahlende  Schoppen- 
geld    sich    vervielfältige,    wenn  eine  Mehrzahl  von  Personen 
einen  Spruch  beantrage;2)    in   solchen  Fällen    verlangen  die 
Schoppen    „2U,    „3"   oder   mehr  „Schöppengeld".3)      Hierin 
findet  sich  zugleich  ein  Beleg  für  die  eigene  Machtbefugniss 
der  Schoppen,    an  Schöppengeld    zu    verlangen,    was   ihnen 
angemessen  erschien.      In   zahlreichen  Fällen   ist  hiervon  bis 
zur  Aufhebung  des  Schöppenstuhls  Gebrauch  gemacht;    er 
galt    für    berechtigt,    seine  Arbeit   selbst  zu  taxiren,    immer 
freilich    unter  Zugrundelegung    der    ursprünglichen  Einheits- 
taxe.    Einen  Missbrauch  hat  er  mit  dieser  Berechtigung  nicht 
getrieben.    Ihre  Kehrseite  ist  die  mannichfach  uns  begegnende 
Bitte    der    anfragenden  Partei   oder    des    für  die  Partei   an- 
fragenden Gerichts,  das  Schöppengeld  zu  ermässigen.4)    Die 

dings  ordel  zu  sprechen,  der  soll  geben  den  scheppen   10  Schilling  pfennige 
brandenb.  münze".     Siehe  auch  ÜB.  4  3. 

')  Zimmermann,  Mark.  Städteverf.  Bd.  3  S.  231. 

2)  StA.  No.  3a  Brandb.  Schoppen,  Rechtsbelehrung.  Rep.  16  III  b  3  f. 
pag.  188:  »1489  sind  die  schöppen  eins  worden,  wenn  einer,  zwei,  drei  oder 
mehr  die  schöppen  setzen  und  eine  sache  fordern,  soll  jeder  das  schepen- 
geld  geben".     ÜB.  4  3. 

3)  Auf  Anfrage  des  Raths  zu  Prenzlau  über  die  zu  zahlende  Gebühr 
erwidern  153 1  (1  296)  die  Brandenburger:  „Wer  von  uns  urtheil  und 
recht  fordert,  gibt  36  gr.  schöppengeld,  bei  übersandten  langweiligen 
gerichtshändeln  nimmt  man  davon  2  oder  3  schöppengeld-.  Vom  Haupt- 
mann zu  Ruppin  werden  153 1  (1  283)  „noch   zwei  Scheppengeld"  verlangt. 

4)  z.  B.  1560  (8  282):  „Hätte  3  Urtelgelde  sollen  geben,  seindt  aber 
mit  2  zufrieden4';  1578  (19  463)  Bitte  der  Berliner  Konsist.  Räthe  „mit 
einem  geringen  Urtheil  geld  zufrieden  zu  sein,  weil  die  Parth  arm".  Unter 
ein  Spruchkonzept    von    1546  (3  465)    setzt    der  Konzipient:    ,3  Scheppen- 


§  4°«     Gebühren  und  Gehalt.  555 

Mitsendung  des  Schöppengeldes  ist  so  wichtig,  dass  sie  regel- 
mässig schon  in  den  ältesten  Missiven  unserer  Akten  be- 
sonders betont  wird.  Bürgermeister  und  Rath  zu  Frankfurt 
a/O.  bitten  1432  (1  2),  ihren  Schoppen  „um  ihr  Geld"  Bran- 
denburgisch Recht  mitzutheilen,  und  1508  (1  34)  bemerken 
die  Schoppen  zu  Frankfurt,  ihr  Bote  werde  die  Gebühr 
„nach  eurer  Weisheit  Unterrichtung  gütlich  ausrichten".  Bürger- 
meister und  Rathmannen,  Richter  und  Schoppen  zu  Stendal 
„schicken"  (1528:  1  58)  „hierbei  26  märkische  Groschen" 
und  bitten,  „so  Euch  mehr  gebühren  möchte,  das  zu  erkennen 
zu  geben",  oder  sie  bemerken  (1529:  1  81),  gegen  den 
Rechtspruch  werde  ihr  Diener  die  gewöhnliche  Gebühr  ent- 
richten. Bürgermeister  und  Rath  zu  Neuruppin  schicken 
(1529:  1  92)  Akten  „mit  36  Gr.  für  das  Urtheil".  Die 
Schoppen  zu  Frankfurt  senden  1529  (1  94)  als  Gebühr  3 
Schilling  Groschen  und  fügen  hinzu,  damit  möchten  sich  die 
Brandenburger  Schoppen  diesmal  „sättigen  lassen",  zumal  sie 
für  das  frühere,  in  derselben  Sache  erbetene  Urtheil  sich 
zur  Beschwerniss  der  Parteien  das  Doppelte  hätten  zahlen 
lassen.  Auch  der  Hauptmann  im  Lande  Ruppin  übersendet 
1531  (1  283)  „36  Gr.,  so  sich,  wie  ich  berichtet,  zu  euer 
Gebühr  betreffen  soll;"  wenn  mehr  gebühre,  solle  es  nach- 
gesandt werden. 

Ein  Anlass,  die  Gebühr  zu  erhöhen,  war  aber  nicht 
bloss  die  vermehrte  Zahl  der  Anfragenden,  sondern  auch  die 
vermehrte  Zahl  der  von  einem  Anfragenden  gestellten 
Fragen  und  der  Umfang  der  Sache.  Andere  Oberhöfe  be- 
folgten ähnliche  Grundsätze;  denn  1547  bescheidet  der  Ober- 
hof Breslau   den  Rath   zu  Olmütz,    dass  die  „Urtelgebühren 

geldt".  „Da  die  Part  arm,  auf  deren  Kosten  allein  die  Akten  verschickt'S 
befiehlt  der  Kurfürst  1581  (21  540)  den  Brandenburgern,  mit  den  fiber- 
schickten 5  Thalern  zufrieden  zu  sein.  Das  Berl.  Konsist.  bittet  1607  (54 
6)  mit  9  Thlr.  statt  12  Thlr.  pro  studio  zufrieden  zu  sein;  die  Parteien 
hätten  zu  dem  ganzen  Urtelgeld  noch  nicht  gelangen  können.  Der  Notar 
M.  Plawe  zu  Seehausen  schreibt  1615:  „Wollen  die  herren  als  meine  lieben 
landsleute  mir  diesen  rechtsspruch  gratis  ertheilen,  dasselbe  steht  bei 
ihnen  und  ich  wollte  ihnen  dieser  orter  herwieder  desto  mehr  klienten 
und  fragen  zuweisen"  (64  553).  Antwort  fehlt.  Also  auch  hier  bereits 
do-utdes-Politik! 


556  6.  Buch.    Verfahren. 

von  jeglichem  Artikel,  darauf  die  Scheppen  sprechen*, 
einen  Goldgulden  betragen.1) 

War  das  eingesandte  Schöppengeld  ungenügend,  so 
wurde  einfach  der  Spruch  ausgesetzt:  der  oben  (S.  455)  er- 
wähnte Osterburger  Bote  bringt  1539  die  Nachricht  zurück, 
die  Brandenburger  wollten  für  ein  Schöppengeld  das  Urtheil 
nicht  fällen,  weil  die  Sache  „zu  langweilig  seiu.  Einem  an- 
dern Boten  wird  1553  (5  38)  eröffnet,  nachdem  er  ein  Schöp- 
pengeld entrichtet,  er  solle  noch  2  fl.  8  gr.  nachbringen ;  das 
Urtheil  sei  deshalb  zurückbehalten,  bis  sie  erlegt  würden.2) 
Oder  der  Bote  wird  mit  den  Akten  ohne  Spruch  zurück- 
geschickt; dabei  wird  ihm  ein  Schreiben  der  „Schoppen  beider 
Städte  Brandenburg"  des  Inhalts  mitgegeben:  „Der  bott  zeigt 
an,  das  ime  die  gebur  vor  das  urteyl  vnd  schepffengelt  nicht 
mitgeben.      Darumb    ist    hierauff  nicht  gesprochen*1    (1566: 

10  550- 

Ueber  ein  solches  Verfahren  beschwert  sich  1557  (6  16) 

der  Rath  zu  Pritzwalk,  indem  er  bittet,  ihn  zu  verständigen, 
wann  in  Brandenburg  mehr  als  ein  Urtelsgeld  erhoben  würde.3) 
Auf  eine  Missive  aus  Neubrandenburg  bringt  1562  (ÜB.  1  394) 
der  Bote  die  Antwort  zurück,  da  fünf  Urtheile  zu  sprechen, 
und  der  Schöppenstuhl  für  jedes  Urtheil  2  Thaler  nehmen 
wolle,  wären,  da  der  Bote  nur  4  Thlr.  entrichtet,  noch  6  Thlr. 
rückständig,  weshalb  auch  ein  Theil  der  Akten  zurück- 
behalten und  nichts  darauf  geurtheilt  sei.  Die  Neubranden- 
burger meinen,  es  hätte  sich  nur  um  zwei  Urtheile  gehandelt, 
für  deren  jedes  36  Groschen,  wie  von  Alters  gewöhnlich, 
genügt  hätten.  Weil  die  Münze  im  Kurfürstenthum  etwas 
gesteigert  sei,  wäre  man  auch  zufrieden  gewesen,  für  jedes 
Urtheil  statt  der  36  Gr.  1  Thlr.  zu  zahlen ;  dass  aber  der  Thaler 
gezweiföchtigt  werden  solle,  dafür  wüssten  sie  keinen  Grund, 
es  beschwere  auch  die  Parteien  zu  sehr;  sie  bäten,  es  bei 
einem  Thaler  bleiben  zu  lassen,  damit  die  Stadt  nicht  ihres 
„vom  ersten  Anfang  und  Erbauung  antt  ertheilten  Privilegs  ver- 

*)  Prasek,  Ztschr.  f.  d.  Gesch.  Schlesiens  Bd.  33  S.  323. 
*)  '557  (6  180):  „Dies  urtheil  ist  gesprochen;  solls  bekommen,  wenn 
einer  geld  bringt.*4 

*)  Die  Antwort  fehlt. 


§  40-     Gebühren  und  Gehalt.  557 

lustig  gehe;  ein  weiterer  Thaler  werde  wohl  genügen.1)  Zur 
nämlichen  Zeit  (1557:  6  118)  beschwert  sich  Joachim  v.  Al- 
vensleben,  dessen  Bote  zurückgesandt  war,  weil  er  nur 
1  Urtelgeld  statt  2  überbrachte,  er  hätte  sich  nicht  versehen, 
dass  ihm  die  Brandenburger  „so  wenig  Glauben"  (=  Kredit) 
gäben;  wenn  sie  soviel  Gulden  als  Groschen  verlangten, 
würden  sie  von  ihm  gesandt  worden  sein.  Ebenso  be- 
schwert sich  1561  (8  292)  der  Richter  Faustin  Gibelle  zu 
Schivelbein,  dass  die  Brandenburger  es  ungerechtfertigter 
Weise  auf  seine  Anfrage  abgelehnt  hätten,  ihm  ein  Belehrungs- 
urtheil  zu  sprechen,  weil  nicht  für  jede  der  anfragenden 
Parteien  ein  Urtheilgeld  mitgesandt  sei;  von  der  Neuerung, 
dass  das  Urtheilgeld  erhöht  und  jede  Person  eins  zahlen 
müsse,  habe  er  und  seine  zugeordneten  Beisitzer  nichts 
gewusst,  man  hätte  ihnen  auf  guten  Glauben  das  Urtheil- 
geld bis  zur  nächsten  Botschaft  borgen  können.  Oefter 
kommt  es  auch  vor,  dass  ein  Schöppenschreiber  oder  ein 
Schöppe  die  Zahlung  eines  Fehlbetrags  für  seine  Person 
übernimmt,  damit  die  Akten  nicht  unerledigt  zurückgeschickt 
werden  müssen;  so  heisst  es  1560  (8  53) :  „Von  drei  schuldigen 
urtelsgeldern  ist  nur  eins  gefallen,  und  will  Simon  Karpzow 
zwei  verschaffen".2)  Auf  Mittheilung  eines  Urtheils  vor 
Zahlung  der  Gebühr  Hess  man  sich  nur  selten  ein.3)  Als 
ein  Berliner  sich  1572  (13  262)  bereit  erklärt,  das  Urtelsgeld, 

l)  Die  Antwort  fehlt. 

*)  Aehnlich  1589  (31  356):  „Hiervon  seindt  2  taler  entrichtet,  einen 
hat  briefszeiger  bey  sich  gehabt,  den  andern  b.  Andreas  Diterich  verlegt*4 
(=  vorgelegt). 

*)  Zettel  (von  Roter  1584:  25  114):  „Briefeszeiger  hätte  sollen  zum 
wenigsten  3  thlr.  pro  studio  erlegen,  damit  sich  aber  die  partei  nicht  zu 
beschweren,  hat  man  den  taler  von  ihnen  eingenommen  und  bleibt  den 
herren  schöppen  noch  1  thlr  in  restu.  Desgl.  1587  (28  168):  „Soll  die 
gebühr  nachgeben". 

Auf  eine  Missive  aus  Frankfurt  von  1633  schreibt  Tiefenbach  unter 
sein  Konzept  (15292):  „Es  können  2  thlr.  gefordert  werden,  wie  viel 
besser,  das  geld  vorhanden  und  keiner  in  praejudiciun  collegii  solchen 
borg  zusagte,  den  es  vergessen  wird,  und  solche  verhoffete  belohnung  ver- 
drossene arbeit  giebt** 

Zieritz:  „Ein  ander  mal  lasse  man  den  boten  wieder  hinlaufen  und 
geld  holen.** 


558  6.  Buch.    Verfahren. 

wenn  man  ihm  dessen  Höhe  angegeben  habe,  den  (zum  Land- 
tag deputirten)  Herren  in  Berlin  demnächst  bei  ihrer  Her- 
kunft zahlen  zu  wollen,  verspricht  ihm  Karpzow  das  Urtheü 
nach  Berlin  mitzubringen.  Der  Anfragende  wünscht  aber 
das  Urtheil  beeilt  und  schreibt  deshalb  nach  Brandenburg. 
Ein  „Scheppenschreiber"  unterzeichneter  „Zettel**  erwidert, 
das  Urtheil  solle  Conceptionis  Mariae  mit  nach  Berlin  gebracht 
oder  gegen  Erlegung  der  Gebühr  dem  Boten  jeder  Zeit  ver- 
reicht werden. 

Ueber  erfolgte  Berichtigung  des  Urtelgeldes  macht  zu- 
weilen der  Schöppenschreiber  eine  Notiz  unter  die  Missive 
oder  unter  den  auf  sie  gefassten  Beschluss.  Dadurch  ent- 
stehen manche  auf  den  ersten  Blick  räthselhafte  Bemerkungen 
in  den  Akten,  wie  „dictum,  quod  non;  datum  i  thaler44 1)  oder 
„dictum,  quod  sie;  datum  i  thaler u  (1566:  10  320.  218)  oder 
„datum  2  thal.  pro  studio  sententie"  (1569:  1184). 2) 

Wenn  bei  der  Anfrage  Mehrere  betheiligt  sind,  aber  nur 
ein  Schöppengeld  eingesandt  ist,  hilft  man  sich  auch  damit, 
dass  man  das  Urtheil  auf  den  einen  Betheiligten  beschrankt. 
Das  bedeutet  in  einem  Falle,  in  welchem  Vater  und  Sohn 
eines  Vergehens  bezichtigt  sind,  die  Notiz;  „In  mangelungk 
der  gebür  ist  auf  den  vater  nicht  gesprochen  worden1* 
(1566:  10  371),  oder:  „noch  ein  urtelgeld"  oder  „auf  diemagd 
allein  zu  schreiben41  (1556:  5  560),  oder  noch  kürzer  die 
Notiz:  „In  Mangel"  (1556:  5  446),  auch  wohl  einfach  „Man- 
gelungk" (5  361).  3) 

Bereits  die  letzteren  Beispiele  ergeben  das  Verschwinden 
der  Schillinge  und  den  Uebergang  zur  Gulden-  oder  Thaler- 
rechnung. Bei  den  „36  märkischen-  Groschen"  verbleibt  es 
zwar  noch  1556  (5  460).  Aber  schon  1553  (5  38)  soll  ein 
Bote,  der  ein  Schöppengeld  oder,  wie  es  1556  (5  406)  heisst, 
„ein  Scheppen"  verreicht,  „noch  2  fl.  8  gr.  nachbringen**,  weil 


l)  Soll  bedeuten:  Der  Spruch  ist  verneinend  ausgefallen;  1  Thlr. 
Schöppengeld  ist  bezahlt. 

a)  Vgl.  auch  1566  (10  457);  1579  (20  533):  „Den  hern  schoppen  hat 
zeiger  3  tal.  pro  studio  erlegt.     Schoppenschreiber." 

*)  Analog  1560  (8  5.  45),  1566  (10  156),  1567  (11  370),  1569  (ia  212), 
1572  (12608). 


§  4°-     Gebuhren  und  Gehalt.  559 

es    sich   um    vier   Interessenten   handelt.     Statt    „4V2   Orts- 
gulden"1)   werden    den  Schoppen   zu  Prenzlau    1553    (5  26) 
„9  Ortsguldenu  abgefordert,  so  dass  auch  hier  die  Bitte  um 
Bericht  gestellt  wird,  wie  man  sich  künftig  verhalten  solle. 2) 
Der  Befehlshaber  des  Klosters  Jerichow  sendet  1554  (5  273) 
„einen  Gulden**  für  die  in  einer  Diebstahlssache  erbetene  Be- 
lehrung;   der  Schöppenschreiber  bemerkt  dazu:    „6  gr.  der 
böte   zugelegt,   solutum   ein   scheppengeldt**.     Folglich  war 
1  fl.  6  gr.  =  36  gr.3)     Im  Jahre  1556  (5  414 b)  taucht  dann 
zuerst  die  Thalerrechnung  auf,  indem  in  die  Akten  bemerkt 
wird,    ein   Anfragender   schulde    noch    „y2  Thaler u.     Diese 
Rechnung   führt  dahin,    dass  für  die  Folgezeit  ein  Thaler 
{statt  der  3  Schilling  Groschen  oder  36  Groschen)  die  Grund- 
gebühr  für  ein  Brandenburger  Urtheil  wird,4)    was  im  Ver- 
hältniss  zu  der  in  Leipzig  üblichen  Gebühr  ein  hoher  Betrag,5) 
zu  anderwärts  eingeholten  Belehrungsurtheilen  aber  ein  massi- 
ger Betrag  gewesen  zu  sein  scheint;    denn  für  ein  1582  (23 
121)  von  den  Berliner  Gerichten  verkündetes  freisprechendes 
Urtheil  der  Fakultät  zu  Rostock  hat  der  Angeklagte  neben 
dem  Botenlohn  26  Thlr.  und  8  Thlr.  den  Gerichten  zu  zahlen. 
Ob  ein  „Endurtheil"  oder  ob  ein  „schlecht  Urtheil14  (d.  h.  ein 
Beiurtheil)  gefallt  wird,    ist  (1583:    23  540)  in  Brandenburg 
für  die  Höhe  der  Gebühr  gleichgültig.    Zur  Erhöhung  tragen 
aber    namentlich    übersandte  Beilagen   bei.     Denn,    als   sich 
1587  (29  26)  über  das  lange  Ausbleiben  und  die  angesetzten 
Gebühren  ein  Havelberger  beschwert,  erwidern  die  Branden- 
burger: 

.Welchen    tag    dies  urtel  gesprochen,    wird   den  pari  das  datum 
berichten  und  solchs  seinem  träume  nach  wegen  andrer  Sachen  und 


*)  In  ganz  zweckmässiger  Schreibweise  bezeichnet  an  dieser  Akten- 
stelle die  Zahl  5  mit  einem  das  Halbiren  andeutenden  Querstrich  durch  ihren 
obern  Thei^1^*     Eine  ähnliche  Schreibweise  findet  sich  bei  andern  Zahlen. 

2)  Auch  hier  fehlt  die  Antwort. 

3)  Vgl.  auch  1554  (5  156.  277):    65  gr.  und  7  gr.  thut  2  Uitheilgeld. 
*)  Z.  B.  1566  (10  266.  319).     Von  6  mgdb.  Schilling  haben  (1566:  10 

386)  „die  Herrn  Scheppen  1  Thlr.  behalten,  das  Uebrige  dem  Boten  wieder 
zugestellt";  1566  (10553):  »Der  Bote  hat  4  Thlr.  erlegt  und  5  Tage  hier 
gelegen11. 

*)  Siehe  oben  Seite  251. 


560  6-  Buch.    Verfahren. 

dieser  beiladen  Weitläufigkeit  zu  viel  nicht  geschehen  mögen. 
Ob  auch  die  h.  scheppen  schuldig,  solch  convolut  von  20  blater. 
vor  1  thlr.  zu  evolviren  und  darauf  zu  sprechen,  können  sie  wol 
leiden  an  gebührlichen  örtern  sich  berichts  zu  erholen,  und  ob  umb 
geforderte  und  bezahlte  2  thlr.  ihnen  mühe  genugsam  gemacht  sey. 
Sonsten  bitten  sie  sich  mit  unnüzzen  parten  zu  verschonen.**') 

Und  als  ein  Anfragender  3  Thlr.  zahlt,  bemerkt  Roter 
auf  einer  Missive  1587  (29  26):  „Soll  wegen  der  vielen  bes- 
agen noch  2  geben".2) 

Klagen  über  ungerechtfertigt  hohen  Gebührenansatz  sind 
übrigens  nichts  Seltenes.  Auch  davor  schrecken  die  Anfra- 
genden nicht  zurück,  dem  Schöppenschreiber  unterzuschieben, 
er  verlange  von  der  geforderten  Gebühr  etwas  für  sich,  wo- 
gegen sich  der  Senior  mehrfach  mit  Entschiedenheit  erklärt. 'j 

Noch  schärfer  wird  (anscheinend  1588  oder  1589:  31  556) 
eine  Beschwerde,  dass  zuviel  an  Urtelsgeld  verlangt  werde, 
zurückgewiesen,  indem  Roter  an  ungenannte  Konsulenten 
schreibt: 

Euch,  gutte  freunde,  als  ihr  yn  euren  schreiben  vermeldet,  das 
yhr  an  seinen  ort  stellen  wollet,  obs  yn  die  lenge  also  sein  solle, 
das  wir  uf  acta  wie  vor  alters  umb  ein  urtelgeldt  nicht  sprechen 
wollen  etc.,  seindt  wir  euch  des,  das  es  vor  alters  also  gehalten, 
keynsweges  gestendigk,  wirt  auch  von  euch,  das  es  geschehen,  nicht 
können  dargethan  werden,    dan  es  acta  sein  möchten,    die  so  langk 


l)  Im  ursprünglichen  gestrichenen  Entwurf  stand,  dass  an  anderem 
Orte  man  wohl  4  oder  5  Thlr.  zahlen  müsse. 

a)  Vgl.  auch  1591  (35  39),  wo  Bluhm  bemerkt:  „weil  a  part  und  ein 
zeugniss"  (d.  h.  ein  Zeugenverhörsprotokoll  als  Anlage),  „gebührt  noch  ein 
thaler". 

*)  So  klagt  1587  (29  29)  der  Erbsess  Grotian  v.  Kerberg,  dass  man 
ihm  4  Thlr.  statt  der  mitgesandten  2  abfordere,  und  er  sendet  noch  1  Thlr.« 
»ob  vielleicht  der  scheppenschreiber  pro  studio  dran  etwas  behalten  wollte-. 
Bluhm  schreibt  darunter:  „Ob  in  beiden  missiven  2,  4  oder  6  fragen  ver- 
steckt und  in  einander  verwickelt,  welches  sonst  der  brauch  nicht  ist,  sein 
die  h.  scheppen  in  Vorlesung  und  versprechen  wohl  inne  worden,  auch 
die  belehrunge  unterschiedlich  ausweisen,  darum  sich  consulent  hierin  und 
das  von  beiden  urteln  4  thlr.  gefordert,  nicht  zu  beschweren  hat  So  be- 
darf auch  der  scheppenschreiber  dessen  v.  Kerbergs  geldt  zur  ungebühr 
gar  nichts,  hat  es  auch  vor  seine  person  nicht  begehret,  wie  ihm  auf  blossen 
argwöhn  wider  recht  zugemessen  wird,  sondern  sein  die  h.  scheppen  für 
dass  sie  durch  ihn  zu  ihrer  gebühr  fordern  lassen,  jeder  zeit  zur  antwort 
zu  geben  erbötig.     Vgl.  auch  1587  (27  192). 


§  4°«     Gebühren  und  Gehalt.  561 

wheren,  das  unsere  vorfarn  und  wir  unter  sechs,  sieben,  acht  oder 
mher  urtelgeldter  daruf  nicht  gesprochen  und  auch  nicht  sprechen 
wolten.  Und  weigert  uns  unser  gnedigster  herr,  der  churf.  etc.  selbst 
nach  gelegenheit  der  hendel  unsere  gebhür  nicht.  Darumb  wir  uns 
auch  hierinne  von  euch,  die  ihr  viel  weniger  und  des  keyne  macht 
habt,  gar  nicht  gedenken,  ziel  oder  mas  euers  gefallens,  als  wheren 
wir  euer  gemietete  knechte,  setzen  zu  lassen,  hetten  auch  gehoffet, 
gemeyne  Vernunft,  witz  und  synne  solten  euch  ohne  unser  erynnern 
geben,    das    man  an   langen    acten    mher   verdiente,    den    an  eyner 

gemeynen  kurzen  fragen Weil  yhr  aber  solchs  nicht  fassen 

oder  begreifen  könnet,  müssen  wirs  auch  an  seinen  ort  stellen. 
....  Wen  wir  an  andern  orten  etwas  versprechen  lassen,  werden 
wir  woll  ynne,  obs  umb  ein  urtelgeldt  oder  so  geringlich,  wie  yrs 
haben  wollet,  geschieht,  und  müssen  die  botten  auch  woll  bisweilen 
über  14  tage  darnach  liegen.  Und  da  uns  dan  die  herschaft  selbst, 
und  die  ym  ganzen  lande  whonen,  unsere  gebhur  nicht  weigern,  ge- 
denken wir  euch  denselben  auch  nicht  nachzulassen,  yhr  wheret  dan 
des  sonderlich  privilegiret  und  befreihet,  das  wir  euch  vergeblich  zu 
arbeiten  sollen  schuldigk  sein.     Datum  ut  in  literis. 

Ein  kleines  Mittel,  das  Urtheilsgeld  zu  erhöhen,  war,  den 
bisherigen  ganzen  Betrag  desselben  den  Schoppen  zu  über- 
lassen und  für  die  Schöppenschreiber  eine  Sondergebühr  an- 
zusetzen. Schon  im  Jahre  1600  (46  388)  wird  Schreibegebühr 
neben  der  Schöppengebühr  erwähnt. 

Ist  statt  2  Urtelsgeld  nur  1  eingesandt,  so  lässt  Bluhm 
1606  (52  71)  „wenigstens  zum  Scheine"  einen  Zettel  einlegen, 
der  das  zweite  Urtelsgeld  fordert,  „dass  man  die  leute  nicht 
darzu  gewehne". 

Die  Vervielfältigung  des  Urtelsgeldes  wird  besonders 
merkbar  in  Konkurssachen;  hier  steigt  die  Gebühr  z.  B.  schon 
1614  (63  769)  auf  17  Rthlr.,  1736  (88  599.  608)  und  1739  (90 
596)  auf  20  Rthlr.  für  ein  französisch  abgefasstes  Distributions- 
urtheil,  1739  (90  596)  auf  20  Rthlr.  für  ein  30  Bl.  füllendes 
Distributionsurtheil,  1745  (96432)  auf  25  Rthlr.  pro  studio, 
2  Rthlr.  18  gr.  ad  reliqua.  Ein  Responsum  in  einer  wichtigen 
Erbschaftsangelegenheit  kostet  1761  (101  261)  12  Rthlr. 

In  peinlichen  Sachen  fixirt  der  Landtagsabschied  von  161 1 
das  Urtelsgeld  sowohl  für  den  Schöppenstuhl  in  Brandenburg 
als  für  die  Frankfurter  Fakultät  auf  „nicht  mehr,  als  1  Rthlr. 
für  eine  schlechte  Frage".1)  Gleichwohl  sendet  der  Stadtrichter 

i)  Mylius  C.  C.  M.  VI  Abth.  1  Nr.  71  S.  210. 
Stölxel,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  36 


562  6.  Buch.    Verfahren. 

zu  Lenzen  in  einer  Kindesmordsache  1638  (76  516)  1  Dukaten. 
Es   scheint   überhaupt,    dass    die  Kriegszeit  eine  Steigerung 
der  Gebühr  herbeigeführt  hat;    es  werden   2,  auch  3  Rthlr. 
gezahlt;  in  die  Akten  wird  1649  (78  180)  vom  Senior  Chueden 
bemerkt:  „1  Thlr.  dabit;  will  er  2  geben,  nehme  man  sie  an44. 
Der  Hauptmann  von  Lindow  übersendet  1651  (78  247)  „1  Thlr. 
6  gr.  Urtelsgebühr  und  6  gr.  Schreibgebühr4*.1)    Demnach  ist 
zu  dieser  Zeit  jedenfalls  bereits  aus  der  Schreibgebühr  von  4  gr. 
eine  solche  von  6  gr.  geworden,  die  der  Urtheilsgebühr  von 
36  gr.  oder  1  Rthlr.  hinzutritt.    Das  Hofgericht  Stettin  schliesst 
zwei  übersendeten  Sachen  20  Rthlr.  bei    (1651:  78  271).    In 
einer  Militärstrafsache,  in  der  es  sich  um  eine  von  zwei  Ange- 
schuldigten begangene  Nothzucht  handelt,  soll  167 1  (79437I 
4  Rthlr.  6  gr.  Urtelsgebühr  gefordert  werden;   die  Leipziger 
hätten    10  Rthlr.  6  gr.    erhalten.      In    einer    Quedlinburger 
Strafsache   beanspruchen    1690  (79  618)    die  Brandenburger 
8  Rthlr.  Gebühr,  in   einer  Halberstadter  „intrikaten"  Sache, 
in  der  beide  Parteien  um  Urtheil  gebeten  haben,    1698  (79 
828)  4  Rthlr.  12  sgr.,    da    die  Sportein  von   beiden  Theilen 
gegeben  werden.    Seit  die  beiden  Schöppenschreiber  (c.  1650) 
zu  einem   zusammengeschmolzen  waren,2)  fielen  naturgemäss 
diesem  6  gr.  als  Schreibgebühr  zu,  und  zwar  nach  einem  Be- 
schluss  des  Schöppenstuhls  von  17033)  für  jede  Sache,  mochte 
sie  cum  oder  sine  rationibus  abgefasst  sein.    Die  Diener  hatten 
durch  das  Anschwellen  der  Urtheile  keine  Mehrarbeit;  des- 
halb beschloss  man  damals,    ihre  Gebühr  nicht  zu  erhöhen. 
Zugleich   wurde   verordnet,    dass   von  jeder  Urtheilsgebühr 
4  gr.  Siegelgebühr  vorweg  abgezogen  werden  sollten.    Dea 
Bezugsberechtigten  nennt  der  Beschluss  nicht;  jedenfalls  war 
es  der  Senior.    Solange  es  zwei  Senioren  gab,4)  ist  von  einer 
Siegelgebühr  noch  keine  Rede;    es  hätte  sich  auch  schlecht 
einrichten  lassen,  eine  solche  Gebühr  zwischen  beide  Senioren 
zu  theilen,    weil  die  Thätigkeit  des  Siegeins  nach  der  be- 

J)  Von  6  gr.  „Schreibgebuhr'4,   die   eingesendet   sind,    ist    auch  166* 
(79  164)  die  Rede. 

')  Siehe  oben  S.  129  ff. 

*)  Schöppenbuch  AA.  fol.  31. 

*)  Siehe  oben  S.  77. 


§  4°-     Gebühren  und  Gehalt.  563 

stehenden  Einrichtung  nicht  so  theilbar  war,  dass  der  einfc 
Senior  sie  bei  einer  gleichen  Zahl  von  Urtheilen  geübt  hätte, 
wie  der  andere.1) 

Die  Kosten  für  ein  einfaches  Urtheil  werden  1706  (80 
189)  berechnet  auf  2  Rthlr.  t8  gr.,  die  sich  zusammensetzen 
aus  2  Rthlr.  pro  sententia,  4  gr.  pro  sigiHo,  6  gr.  für  den 
Sekretär,  2  gr.  für  den  Diener,  3  gr.  Stempelpapier  zur  Sen- 
tenz, 3  gr.  desgl.  „um  die  Urtheilsfrage  zu  schlagen44,  oder 
{80  182)  zusammen  auf  3  Rthlr.  4  gr.  für  das  Urtheil  cum 
rationibus,  6  gr.  für  Stempel,  oder  (1710:  81  138)  für  ein  Ur- 
theil mit  Gründen,  betr.  die  Gültigkeit  eines  Testamentes, 
auf  3  Rthlr.  3  gr. 

Machen  die  Urtheile  „viel  Mühe44,  so  dass  es  „eigentlich 
zwei  Urtheile"  sind,  so  halten  sich  1726  (84  220)  die  Schoppen 
für  berechtigt,  8  Rthlr.  3  gr.  zu  fordern,  1 730  (86  40)  6  Rthlr. 
21  gr.,  1732  (86  439)  sogar  8  oder  9  Rthlr.,  „weil  ein  Haufen 
Arbeit  dabei  gewesen44.  Nach  Köthen  schreiben*  1727  (85  77) 
die  Brandenburger,  sie  wollten  sich  diesmal  mit  4  Rthlr.  be- 
gnügen, weil  der  Bote  nicht  mehr  bei  sich  habe.  Als  1739 
(90  3)  Plümicke  in  einer  Sache,  in  der  er  Referent  ist, 
4  Rthlr.  21  gr.  ansetzt,  aber  bemerkt,  weil  die  in  10  Bänden 
bestehenden  Akten  sehr  mühsam  durchzulesen,  könne  wohl 
noch  1  Rthlr.  gefordert  werden,  ist  Oelschläger  dagegen, 
weil  es  unnöthig  gewesen  sei,  sämmtliche  Akten  zu  lesen.  In 
einem  anderen  Falle  aus  derselben  Zeit  (90  995)  will  er  noch 
1  Rthlr.  ansetzen,  da  „die  Herren  Hallenses  auch  nichts  ge- 
schenkt, sondern  9  Rthlr.  angesetzt,  und  die  Akten  mühsam 
und  intricat".  Für  ein  43  Blätter  füllendes  responsum  über 
17  Fragen  liquidirt  Schütte  1751  (99  323)  mit  Zustimmung 
der  Kollegen  22  Rthlr.  Für  das  Urtheil  in  einer  Ehebruchs- 
sache, das  ausdrücklich  „ohne  Gründe4*  erbeten  ist,  werden 
1788  (106  148)  3  Rthlr.  Gebühr  berechnet. 

Auch  der  Kurfürst  hat  Schöppengeld  zu  zahlen.  Er  be- 
gehrt 1558  (7  225)  Rechtsbelehrung  „um  unsere  Belohnung" 
und  sendet  1574  (1698)  2  Thaler  mit  der  Missive  ein,  1614 
(63  474)  4  Thaler.  Den  Boten  des  Markgrafen  Johann  Georg 
schicken  1566  die  Brandenburger  unverrichteter  Sache  zurück, 

*)  Siehe  oben  S.  474,  539. 

36* 


5(J4  6.  Buch.    Verfahren. 

weil  das  Urtheilgeld   nicht   alsbald   gezahlt  ist,  bis  es  nach 
einem    recht    ungnädigen    Reskripte    des    Markgrafen     zu 
einer  Uebereinkunft  kommt,  dass    das  Urtheilgeld,    das  er  zu 
zahlen  habe,  vierteljährlich  oder  jährlich  verzeichnet  werden 
solle,    und   dass  dann  auf  das  eingereichte  Verzeichniss  der 
Markgraf  die  Gebühr  „förderlichst  zustellen  zu  lassen   bereit 
seiM  (ÜB.  l  465).      Die  Brandenburger  berufen  sich  darauf, 
dass  von    des   Markgrafen  Vorfahren    das   Urtheilgeld    dem 
Schöppenstuhl,  „der  auch  darüber  nichts  einzukommen4*  (=  der 
kein  anderes  Einkommen)  habe,  „zugeordnet"  sei.     Auch  der 
Markgraf  von  Küstrin  muss  sich  1561  (8457)  gefallen  lassen, 
dass  die  Rechtsbelehrung  bezüglich  eines  von  mehreren  An- 
geschuldigten „in  Mangel   der   Gebühr"    unterbleibt.     Doch 
wird  den   herrschaftlichen  Beamten    mehr   als  Anderen    die 
nachträgliche  Zahlung  eines  Fehlbetrages  gestattet;  so  sichert 
1572  (12  601)  der  Berliner  Hoffiskal  dem  Bürgermeister  Karpzow 
zu,  fehlende  8  Thlr.  auf  künftigem  Landtag  zu  erlegen ;  der 
kurfürstliche  Richter  zu  Fürsten walde  wird  1577  (18  61)  aufge- 
fordert,  mangelnde  4  Thlr.  aufs  Nächste  mitzuschicken,  der 
Hauptmann  auf  dem  Hause  Lüchow  soll  den  im  Jahre   1586 
schuldig  gebliebenen  Thaler  1587  (28  43)  überschicken;    der 
Kästner   zu  Tangermünde  soll   1586  (27  81)  den  wegen  der 
Beilagen  der  Gezeugnisse  noch  gebührenden  Thaler,  „für  den 
Bürgermeister  Roter  gutgesagt",  bei  erster  Botschaft  anher  zu 
schicken  wissen.    Wegen  einer  vom  Kurfürsten  1595  (39  234» 
eingesandten  Strafsache   verlangen  mit  Rücksicht  auf  deren 
Weitläufigkeit   die  Brandenburger  noch  2  Thlr.,    der  Haus- 
vogt  beruft   sich   aber    auf  einen  Bericht  des  Rentmeisters, 
nach  welchem  von  einer  Frage  und  einer  Person,  das  Kon- 
volut  möge  noch  so  dick  sein,  1  Thlr.  zu  zahlen  sei;  die 
Brandenburger   behalten    sich   ihren    Gegenbericht    für   den 
nächsten  Landtag  vor. 

Das  Schöppengeld  vereinnahmt  vom  Boten  der  älteste 
Schöppe  bei  Empfang  der  Akten, *)  oder  er  stellt  bei  Ueber- 

i)  1574  (16  83)  Schreiben  an  die  Herren  zu  Putlitz,  dass  «der  älteste 
Schöppe"  vom  Boten  nicht  mehr  als  3  Thlr.  erhalten  habe;  1598  (44404) 
eingelegter  Zettel :  „BM.  Storbecke  (neust.  Subsenior)  hat  von  dieser  Sache 
das  Scheppengeld    empfangen".     War    der  Bote  der  jüngste  Schöppe  des 


§  4°-     Gebühren   und  Gehalt.  565 

Sendung  des  Votums  seiner  Stadt  dem  Senior  der  Schwester- 
stadt anheim,  das  Geld  dem  Boten  abzufordern  (1598:  43 
121).  Wird  es  nicht  alsbald  vertheilt,  so  kommt  es  in  das 
vom  Stadtschreiber  verwahrte  Rathsdepositorium. l) 

Die  Verrechnung  der  Gebühr  vollzieht  sich  sehr  einfach, 
-wenn  bei  Erledigung  der  betreffenden  Sache  10  Schoppen, 
2  Schreiber   und  2  Diener  zugegen  waren.     Dann  fielen  30 
Groschen    den    Schoppen,    d.    h.  jedem   der    Schoppen   3, 
4  Groschen  den  Schreibern  und  2  den  Dienern  zu.     Von  den 
Schoppen  war  unbedingt  jeder  der  anwesenden  gleichbetheiligt 
beim  Spruche,  von  den  Schreibern  möglicherweise  nur  einer, 
wenn  dieser  eine  sowohl  das  Spruchkonzept  als  die  Spruch- 
reinschrift schrieb.     Das  gehorte  zu  den  Seltenheiten ;  der  Ge- 
schäftsgang war  darauf  zugeschnitten,  dass,  wenn  der  Schreiber 
der  einen  Stadt  den  Spruch  entworfen  hatte,    der  Schreiber 
der  anderen  Stadt  ihn  „ingrossirte".    Dadurch  wurde  bewirkt, 
dass  bei  jeder  Sache  jeder  Schreiber  in  Thätigkeit  trat,  wie 
dies   bei  jedem  Schoppen  der  Fall  war,    und  dass  zugleich 
derjenige  Schreiber,    der   ingrossirte,    seinen    Kollegen,    den 
konzipirenden  Schreiber,  kontrolirte.    So  rechtfertigte  es  sich, 
die  für  den  Spruch  gezahlten  4  Gr.  Schreibgebühr  unter  beide 
Schreiber   analog  zu  theilen,    wie  die  30  Gr.  Spruchgebühr 
halb  den  Schoppen  der  einen,  halb  denen  der  anderen  Stadt 
zufielen.    Es  scheint  sich  aber  doch  als  Regel  gebildet  zu  haben, 
dass  der  konzipirende  Schreiber,    nachdem  sein  Konzept  bei 
der  anderen  Stadt  Billigung  gefunden  hatte,  selbst  die  Rein- 
schrift besorgte,  so  dass  das  Konzept  Theil  der  Akten  seiner 
Stadt  wurde.    Denn  nur  so  erklärt  es  sich,  wenn  in  unseren 
Schöppenstuhlsakten,  die  ja  nur  altstädtische  Schöppenstuhls- 
akten  sind,2)  die  alt  städtischen  Konzepte  vor  den  neustädti- 
schen der  Art  überwiegen,  dass  zuweilen  im  einzelnen  Bande 
kaum  ein  neustädtisches  Konzept  zu  finden  ist.     Konzipirte 


anfragenden  Gerichtes   (oben  S.  455),  so   wanderte  das  Schöppengeld  also 
vom  jüngsten    Schoppen    erster  Instanz  zum  ältesten  Schoppen  der  Ober-. 
hofs-Instanz. 

!)  I594  (38  4°7)    schreibt    Roter:    „1  thlr.  urtelgeld   hat    Hs  Albrecht 
(Schreiber  der  Neustadt)  an  sich." 

f)  Siehe  oben  Seite  16. 


566  6.  Buch.    Verfahren. 

und   ingrossirte  derselbe  Schreiber,   ohne  dass  sein  Kollege 
auf  dem  Schöppenhause  mitanwesend  war,  so  gebührte  ihm 
auch  die  volle  Schreibgebühr;  er  allein    war  auf  ihren  Be- 
zug berechtigt.     Den  Beleg  dafür  liefern  die  von  Roter  1554 
mehrfach  (5  156.  210.  273.  277)  unter  das  Spruchkonzept  ge- 
setzten Worte:    „Ego  solusu.      Deshalb   vereinnahmt    Roter 
auch  1553  (5  38)  4  Gr.  Schreibgebühr  in  einem  Falle,  in  welchem 
sein  Spruchentwurf  unausgefertigt  ihm  sammt  2  Gr.,    deren 
sich  sein  Kollege  der  Neustadt  Carpzow  „verziehen"  hat,  aus 
der  Neustadt  wieder  zugeht,  damit  in  der  Altstadt  die  Aus- 
fertigung  geschehe.      Ebenso  verhält    es  sich,    als  159«   der 
neustädter  Schöppenschreiber  Floring  als  solcher  abtritt,  weil 
er  Schöppe  wird;  in  Folge  desseg  geben  die  Neustädter  1592 
(35  *9)  m  einer  Sache  das  ihnen  zugesandte  Schreibegeld  an 
die  Altstadt  für  den  dortigen  Schöppenschreiber  Bluhm,  weil 
ihm   nunmehr  an  Florings  Stelle  auch  die  Ausfertigung  des 
Spruches  zufällt.1) 

Die  Vertheilung  der  für  die  Schoppen  bestimmten  Ge- 
bühr musste  Schwierigkeiten  bereiten,  wenn  bei  einer  Sache 
weniger  Schoppen  mitwirkten  als  die  Vollzahl.  Da  die 
Vereinigung  der  beiderstädtischen  Schoppen  den  Zweck 
verfolgte,  die  für  Rechtsbelehrungen  eingehenden  Gelder 
der  Neustadt  und  der  Altstadt  zu  gleichem  Antheil  zufallen  zu 
lassen,  so  konnte  nicht  davon  die  Rede  sein,  die  Urtheils- 
gebühr  nach  der  Zahl  der  beim  Urtheil  Mitwirkenden  zu  ver- 
theilen,  sondern  zunächst  wurde  sie  halb  der  einen,  halb  der 
anderen  Stadt  zugewiesen,  und  die  Schoppen  jeder  Stadt 
theilten  dann  ihre  Hälfte  unter  sich. 2)  Den  Beleg  liefert  eine 
Bemerkung  Bluhms  (1592:  35  19),  nach  welcher  die  Parteien 
zu  einem  bereits  gezahlten  und  den  Neustädtern  zuge- 
th eilten  1  Thaler  noch  1  Thaler  bei  Abforderung  dieses 
Konzepts  schicken  und  dieser  „uns"  (d.  h.  den  Altstadtern) 

*)  Ueber  der  bezüglichen  Bemerkung  Bluhms  steht  ausgewischt,  aber 
immerhin  noch  lesbar:  „dedit  1  thlr.,  hiervon  schreibgeld  Johann  Floring". 
Diese  Bemerkung  ist  getilgt,  weil  Fl.  die  ihm  zugedachte  Schreibarbeit 
nicht  mehr  ausführte. 

')  Die  Halbirung  der  GesammtgebQhr  —  nach  Abzug  von  Siegeige- 
bohr,  Schreibergeld  und  Dienergeld  —  zwischen  beiden  Städten  erkennt 
auch  der  oben  S.  502  erwähnte  Beschluss  von  1703  an. 


§  4°-     Gebühren  und  Gehalt.  567 

„allein"  bleiben  soll.1)  Auch  wenn  das  Urtheilgeld  nicht 
sofort  voll  entrichtet  wurde,  fand  eine  alsbaldige  Verthei- 
lung  des  gezahlten  Betrags  statt.2)  Die  Vereinnahmung  des 
Urtheilsgeldes  ist  Sache  des  Seniors;  deshalb  schreibt  1606 
(53  436)  der  Senior  Lampert:  „Hiervon  seint  4  thlr.  urtels- 
gebühr  gezahlt,  welche  montags  post  visitationis"  (also  in 
der  Sitzung)  „unter  den  herren  Schoppen  getheilt  worden", 
und  es  schreibt  1613  (62  35)  der  Senior  Floring:  „Ich  habe 
nichts  weiter  als  10  sgr.  empfangen;  soll  noch  ein  thaler 
sein".  Eine  Buchführung  über  die  Gebühreneinnahme 
war  bei  diesem  einfachen  Verfahren  überflüssig;  darum 
konnte  1634  (75  530)  der  Senior  Chueden  Konsulenten,  die 
zu  wissen  wünschten,  wieviel  ihr  ohne  Quittung3)  zurück- 
gekehrter Bote  gezahlt  habe,  nur  erwidern:  „Was  es  vor 
geld  gewesen  und  wie  viel,  ist  eigentlich  nicht  behalten 
und  verzeichnet;  wird  über  2  thlr.  nicht  gewesen  sein". 
Indess  kommen  doch  Spuren  vor,  dass  eine  Anzahl  der 
von  mehreren  Sachen  vereinnahmten  Gebühren  auf  der 
Rückseite  von  Spruchkonzepten  zusammengestellt  werden, 
so  durch  den  Schöppenschreiber  Boldicke  1590  (32  240) 
6  Beträge  und  1592  (37  4)  14  Beträge  mit  Angabe  der  Kon- 
sulenten. Es  hat  dies  den  Zweck,  die  Gesammtsumme 
zur  Vertheilung  zu  bringen.  Dem  entspricht  es  auch,  dass 
1726  (84  3  ff.)  über  eine  solche  Distribution  bemerkt  wird, 
die  Gebühren  vom  3.  September  betrügen  22  Thlr.,  die  vom 

T)  Vgl.  auch  1598  (43  50):  Der  Senior  der  Altst.  übersendet  den  Neust. 
1  Thlr.,  nämlich  12  sgr.  von  dem  Urtheil  und  12  sgr  dann  «von  dieser 
Frage*4,  ebenso  (43  198)  in  einer  anderen  Sache  „die  Hälfte  der  Urtelgebühr 
mit  1V2  Thlr.",  und  (44  198)  „1  Thlr.  zur  halben  Urtelgebühr-. 

')  l5&7  (3&  293)  notirt  der  Schöppenschreiber  Bluhm:  es  hätten  3  Thlr. 
gegeben  werden  sollen,  der  Bote  habe  aber  nur  einen  Goldgulden  gehabt; 
das  Urtheil  sei  nicht  abgefordert  und  der  Gulden  den  .Herren  Schoppen 
überantwortet  und  aufgetheilt  worden  (später  wird  der  Rest  bezahlt). 
Ebenso  1589  (31  256):  „3  Thlr.,  darauf  ist  ein  goldgulden  entrichtet  und 
getheilt u.  Der  Schöppenschreiber  Bardeleben  bemerkt  1576  (16  618),  dass 
das  Geld  für  Anfertigung  eines  gewissen  Urtheils  „noch  ungetheilt  vor- 
handen u. 

3)  Die  Quittung  des  „Kgl.  Preuss.  Schöppenstuhls14  fÖr  einen  Bern- 
burger Boten  über  die  bei  Ueberbringung  von  5  Sachen  gezahlten  Einzel- 
beträge, lautet  auf  eine  Summe  von  28  Thlr.  6  gr. 


568  6-  Buch.    Verfahren. 

5.  Mai  bis  23.  September  69  Thlr.,  „thut  zum  5.  Thcxl 
13  Thlr.ul)  oder  zur  nämlichen  Zeit  (845):  „an  Urtheils- 
gebühr  empfangen  ...  8  Thlr.  10  gr.,  bekommt  der  Herr 
Rath  tertiam". 

Hieraus  ergiebt  sich,  dass  nach  Vereinigung  der  beiden 
Städte  die  Gebühr  gleichmässig  nach  Köpfen  vertheilt  wurde. 
Der  Grundsatz,  dass  ein  Schöppe,  der  bei  einer  Sache  nicht 
mitgewirkt  hatte,  kein  Anrecht  auf  Theilnahme  an  den  Ge- 
bühren  hatte,    war   ein    zweckmässiger  Ansporn   für  jeden 
Schoppen,  seine  Stimme  in  der  einzelnen  Sache,  sei  es  münd- 
lich in  der  Sitzung  oder  schriftlich  beim  Zirkuliren  abzugeben. 
Zu  weiteren    energischen  Maassregeln,    gegen  Säumige   vor- 
zugehen,  wie  es  sich  z.  B.  beim  Ingelheimer  Oberhof  (oben 
Seite  243)   gezeigt   hat,   war   in  Brandenburg  kein   Anlass; 
nur  einmal  —  nämlich  im  Jahre  1578  (oben  S.  140)  —  sind 
Klagen    über   die   Säumigkeit    eines    dem    Kaufmannsstand 
angehörigen  Schoppen  laut  geworden. 

Solange  es  zwei  gesonderte  Schöppenkollegien  für  Alt- 
und  Neustadt  gab  und  je  die  Hälfte  der  Gebühren  der 
einzelnen  Stadt  zufiel,  wurde  innerhalb  dieser  Stadt  jede 
Hälfte  nach  dem  nämlichen  Prinzip  getheilt,  welches  wir  eben 
kennen  lernten,  also  nach  den  Köpfen  der  am  Spruche  theil- 
nehmenden  Schoppen.2) 

Diese  ganze  Art  der  Berechnung  und  der  Vertheilung 
des  Schöppengeldes  hatte  zur  Folge,  dass  der  einzelne 
Schöppe  nicht  etwa  an  der  Vermehrung,  sondern  an  der 
Verminderung  der  Schöppenzahl  interessirt  war,  wenn  er 
seinen  pekuniären  Vortheil  ins  Auge  fasste.  Daraus  mag  es 
sich  erklären,  dass  die  Schoppen  bei  eintretenden  Vakanzen 
oft  Jahre  lang  die  Wahl  neuer  Schoppen  anstehen  Hessen, 
und  dass  sie  mehrfach  der  Erhöhung  der  Schöppenzahl 
widersprachen. :)) 

Geschah  es,  dass  ein  Schöppe  der  Theilnahme  sich  ent- 


1)  Aehnlich  1727  (85  70.  74),  1728  (85  69.  71),  1729  (86  118):  „Vom 
16.  Dez.  1728  bis  ti.  April  1729  sind  bei  hies.  Sch.Stuhl  an  Urthel  eingeholt 
(folgen  9  Nummern  mit  4,  8,  6  oder  5  Thlr.  Gebuhr),  fach  49  Thlr." 

2)  So  Statut  im  Schöppenbuch  von  c  1430,  siehe  ÜB.  1  10. 
s)  Siehe  oben  S.  144  ff.,  163  ff.,  172,  173  ff. 


§  4°-     Gebühren  und  Gehalt.  569 

halten  musste,  weil  er  kraft  seines  Amtes  als  Rathsherr  ab- 
wesend war,  so  ersetzte  ihm  die  Stadt  das  entgangene 
Schöppengeld. l)  Das  ergeben  die  städtischen  Rechnungs- 
bücher für  die  Jahre  1571,  1647  und  1648,  worin  eine  Be- 
stätigung der  Regel  der  alten  Statuten  des  fünfzehnten  Jahr- 
hunderts liegt,  dass  den  nichtmitthätigen  Schoppen  vom 
Schöppengeld  an  sich  nichts  gebührt,  zugleich  aber  die  Be- 
stätigung, dass  dem  in  Geschäften  abwesenden  Schoppen 
1  Schilling  nicht  vom  Schöppengeld,  sondern  aus  der  Stadt- 
kasse zukommt. 

Vertrat  ein  Schöppe  den  Schöppenschreiber  bei  Ent- 
werfung des  Spruches,  so  war  es  nur  folgerichtig,  wenn  die 
Schreibgebühr  dem  Schoppen  zufiel.  Wenn  daher  1620  (67 
697)  der  neustädter  Senior  (frühere  Schöppenschreiber) 
Floring  in  einer  Abschosssache,  in  der  mehrere  Fragen  ge- 
stellt sind,  schreibt:  „Es  sein  mir  2  sgr  gesandt  und  wirt  nicht 
aufgezeichnet,  was  gegeben  oder  wir  bekommen.  Pleibe  dero- 
wegen  dem  alten  gebrauch  nach  bei  der  ersten  frage,"2)  so 
sind  mit  den  2  Sgr.  die  der  Neustadt  zufliessenden  Schreib- 
gebühren gemeint,  die  für  Floring  als  Vertreter  des  Schöppen- 
schreibers  fallig  geworden  waren  durch  den  von  ihm  zur  ersten 
Frage  entworfenen  Spruch ;  zu  den  anderen  Fragen  unterliess 
er  den  Spruchentwurf,  weil  ihm  dafür  die  Gebühr  von  der  Alt- 
stadt nicht  mitgesandt  war,  und  weil  auch  in  den  Akten  ein 
Vermerk  fehlte,  wieviel  der  Bote  an  Schöppengeld  gezahlt 
habe,  oder  welcher  Betrag  den  Neustädtern  zufallen  solle. 


Neben  ihren  Gebühren  bezogen  die  Neustädter  Schoppen 
laut  der  Stadtrechnung  von  1647  einen  jährlichen  „Schöppen- 
zins"  von  12  Thlr.  1  gr.  10  ^;3)  der  Zins  stammt  von  1000 
Thlr.  Kapital  her,4)  die  einst  diese  Schoppen  ihrer  Stadt  ge- 

1)  RA.  Rechnungsbuch  des  altst.  Stadtschreibers  Bardeleben  und 
Manuale  Luciae  1647  bis  dahin  1648,  Cod.  Neustadt  14,  wonach  vielfach  die 
Schoppen  Bardeleben  und  Schwarz  wegen  Abwesenheit  in  des  Raths  Ge- 
schäften „versäumtes  Schöppengeld14  ersetzt  erhielten,  s.  oben  S.  268. 

*)  Analog  Schreiben  desselben  Floring  1620  (67  586). 

*)  RA.  Manuale  Luciae  1647,  Cod.  N.  14. 

4)  Cod.  G.  104  S.  117.  RA.  „37  thlr.  1  gr.,  so  der  schöppenstuhl  jähr- 
lich haben  rauss,    oder  es  muss  die  kämmerei    ein  kapital    von  1000  thlr., 


570  6-  Buch.    Verfahren. 

liehen  hatten.    Durch    ein   ebenfalls  1000  Thlr.   betragende 
Legat  des  Seniors  Peter  Müller,    der  Neustädter    war,  ver- 
mehrte sich  dieser  Betrag  um  jährlich  15  Thlr.,    so    dass  die 
neustädtische  Rechnung  von  1694/5  unter    den    ausbezahlten 
gemeinen     Zinsen    des    Raths    „27  Thlr.  1  gr.    den     hiesigen 
Herren  scabinis"  aufführen  konnte.  *)    Derselbe  Posten   geht 
in  die  Kämmereirechnung  der  Gesammtstadt  bis    zum  Jahre 
1721  2)  über.     Er  stellt  den  Anfang  einer  festen  Einnahme  der 
Schoppen  dar. 

Mit  der  Neuordnung  des  Justizwesens  in  Preussen  wäh- 
rend der  Jahre  17 13  bis  17 18  musste  das  Streben  der  Schop- 
pen erwachen,  gleich  den  landesherrlichen  Dienern  der  Justiz 
ständige  Bezüge   ausgeworfen   zu   erhalten  und  jenen  oben- 
erwähnten   geringen    Posten    erhöht    zu    sehen.        Deshalb 
beantragten   die  Berichte  des  Schöppenstuhls  von    1714  und 
17 17  beim  Könige  die  Verwilligung  eines  Gehaltes.3)      Der 
König  erwiderte,    das  Generalkommissariat  werde  für  Sala- 
rirung  aus  der  Rathskämmerei  Sorge  tragen.     Damit  lehnte 
der  König  eine  Gehaltszahlung  aus  landesherrlichen  Mitteln 
ab;  er  verwies  den  Schöppenstuhl  an  die  Stadt.    Das  Resultat 
war    eine   Salarirung   mit    100  Thlr.    für  den  Schöppenstuhl 
(nicht  etwa  für  den  einzelnen  Schoppen)  seit  1718,  und  zwar 
aus    städtischen    Mitteln.4)      Dem    trat     1723     ausser    dem 
Sterbequartal  noch  ein  halbjährliches  Gnadengehalt  —  zuerst 
nach  Katschs  Tode  —  hinzu.5)    Als  sich  1731  der  Schöppen- 
stuhl, da  Lange,    Heins  und  Knackrügge  gestorben    und  im 
Magistrate   keine  geeigneten  Ersatzmänner  zu  finden  waren, 
um    Beschaffung   solcher    an    den    König    wandte,6)    wurde 

so  zu    diesem    behufe    an    ihr  in    vorigen  Zeiten    gezahlt    worden,  zurück- 
geben44. 

1)  Einen  Streit  zwischen  der  Stadt  und  den  neust  Schoppen  Dr.  Krämer 
und  D.  Mich.  Müller  verweist  1680  (R.  21  No.  oc  StA.)  der  Kurfürst  vor 
das  Kammergericht.     Die  Schoppen  scheinen  gesiegt  zu  haben. 

2)  Cod.  G.  21  RA. 

8)  R.  21  n  9C  StA.,  vgl.  auch  oben  S.  221. 

*)  Schöppenbuch  AA.  fol.  33 v.  Rechnung  von  1722  Cod.  G.  28  RA.: 
„auf  Kgl.  Special- VO.  denen  Herren  Scabinis  auf  die  ihnen  jahrlich 
accordirte  100  Thlr.  .  .  .u 

5)  Schöppenbuch  AA.  fol.  33V.  6)  StA.  Rep.  21   No.  9c. 


§  4°-     Gebühren  und  Gehalt.  571 

in  dem  Berichte  hervorgehoben,  ioo  Thlr.  seien  zu  wenig; 
Geld  und  Ehre,  die  die  Welt  beherrschen,  könnte  der 
Schöppenstuhl  seinen  Mitgliedern  nicht  mittheilen;  die 
rationes  seien  mühsam;  man  brauche  eine  gute  Bibliothek; 
es  möchten  noch  ioo  Thlr.  zur  gleichen  Vertheilung  unter 
die  vier  Membra  zugelegt  werden.  Darauf  wurden  die 
ioo  Thlr.  noch  um  200  vermehrt,  wovon  100  die  Branden- 
burger Kämmerei,  100  die  Städtekasse  zahlten  und  dann 
von  den  300  die  beiden  ältesten  Assessoren  je  60,  die 
andern  vier  je  45  Thlr.  zum  Traktament  haben  sollten. 
Allmählich  wurden  diese  300  Thlr.  nebst  den  früheren 
27  Thlr.  1  gr.  verrechnet  als  290  Thlr.  ad  salaria  und 
37  Thlr.  1  gr.  zur  Bibliothek;1)  dies  beruhte  auf  einem  Kgl. 
Reskript  vom  29.  Juni  1734,2)  das  von  den  327  Thlr.  1  gr. 
an  Steltzner  50  Thlr.,  an  Giesecke  und  Oelschläger  je  60  Thlr., 
an  Plümike  40  Thlr.,  ferner  an  jedes  der  zwei  zu  bestellen- 
den Membra  40  Thlr.  und  die  übrigen  37  Thlr.  zur  Bibliothek 
überwies.3) 

Nach  Plümickes  Tod  im  Jahre  1756  genehmigte  der 
Grosskanzler  Jariges,  dass  der  frei  gewordene  Gehalt  auf  die 
jüngsten  Mitglieder  vertheilt  werde,  weil  sich  ein  Ersatz  nicht 
finde;4)  dem  hielt  das  Stadtdirektorium  entgegen,  es  sei 
besser,  die  erledigte  Stelle  wieder  zu  besetzen,  was  aber 
noch  schwerer  sein  werde,  nachdem  das  Gehalt  vertheilt  sei. 
Es  verblieb  indess  bei  der  Streichung  der  sechsten  Skabinats- 
s teile;  damit  leitete  sich  die  weitere  Einschränkung  der 
Schöppenzahl  und  die  dadurch  bewirkte,  allerdings  sehr 
unbedeutende  Steigerung  des  Gehalts  jedes  einzelnen 
Schoppen  ein. 

Als  gegen  Ende  des  achtzehnten  Jahrhunderts  die  Zahl 
der  Schoppen  auf  drei  herabgesunken  war,  erhielten  die 
beiden  älteren  je  100,  der  jüngste  90  Thlr.  Gehalt. 5)     Damit 

])  Cod.  Ges.St.  No.  122.      Auslagen   Sektion  1  Tit.  Kap.  2  S.  86  StA. 
*)  R.  21  No.  9c.  StA. 

3)  Giesecke  hatte  dagegen  protestirt,  dass  Steltzner  als  Altstädter  am 
Schöppenzins  der  27  Thlr.  theilnehme. 

4)  R.  21  No.  9c.  StA. 

5)  z.  B.  Stadtrechnung  vom  1787,  1795.     RA. 


572  *.  Buch.    Verfahren. 

war  die  Vertheilung  des  Gehaltes  so  angebahnt,  dass  der  Aus- 
fall eines  Schoppen  die  Gehaltseinnahme  der  übrigen  Schoppen 
vermehrte.     Hierzu  fehlte  es  an  einer  inneren   Berechtigung, 
weil    der  Grund    des  Niedergangs   der  Schöppenzahl  regel- 
mässig in  der  Minderung  der  eingehenden  Sachen  lag.    Des- 
halb verlangte  der  Magistrat  und  setzte  es  durch,  dass  seit 
1787  in  den  Stadtrechnungen  nicht  mehr  als  ein  Posten  die 
Gesammtsumme  der  290  Thlr.,   sondern  jeder  der  unter  die 
einzelnen  Schoppen    vertheilten  Beträge  als   ein    besonderer 
Posten  aufgenommen  werde. x)   Die  Folge  war,  dass,  nachdem 
der  Justizbürgermeister  Uhde  1809  gestorben  und  sein  Gehalt 
von  90  Thlr.  bis  zum  1.  März  i8to  auf  seine  Witwe  als  Gnaden- 
gehalt übergegangen  war,  die  Stadt  jene  90  Thlr.  einzog,  weil 
ein  neuer  Schöppe  nicht  ernannt  wurde.  Ausserdem  zog  damals 
die  Stadt  weitere  100  Thlr.  ein  mit  der  Behauptung,    dieser 
Betrag   sei   von    der    Ziesekasse    —    es    war    die    Zeit  der 
napoleonischen    Okkupation    —    nicht   mehr    zu    erlangen.2) 
Die  der  Stadt  noch  zur  Last  bleibenden  weiteren   100  Thlr. 
wollte   ihr   der  Syndikus  Thiede   ebenfalls   abnehmen,   weil 
durch  die  Städteordnung   der  Stadt  neue  Lasten   aufgelegt 
seien;  er  veranlasste  deshalb  den  Magistrat,  im  Juli  1810  beim 
Ministerium  die  Aufhebung  des  Schöppenstuhls  zu  beantragen, 
der ,  jetzt  nur  noch  eine  Antiquität  und  ein  Beweis  der  unzweck- 
mässigen und  sonderbaren  Justizverfassung  früherer  Zeiten  sei, 
nicht  den  entferntesten  Nutzen  gewähre  und  statt  mit  6  jetzt 
mit  3  Mitgliedern  besetzt  sei,  die  keinen  andern  Federstrich 
thäten,    als  ihre  Quittung  schreiben;3)    der  Zeitgeist  heische 

*)  RA.  Cod.  Ges.  St.  Nr.  132  S.  88. 

8)  Akta  des  Magistrats  betr.  die  nachgesuchte  Aufhebung  des  Schöppen- 
stuhls Vol.  1  BI.  1   16 — 19. 

8)  Nach  Dullo,  Kommunalgeschichte  der  Stadt  Br.,  Brandenburg  1886, 
S.  15  ist  im  Kämmereietat  für  1810  notirt: 

Gehalt  des  Seniors  300  Mk. 

Gehalt  des  t.  Assessors  300  „ 
Gehalt  des  2.  Assessors  270  „ 
Bibliothekfonds  m     „ 

981  Mk. 
Davon  zahlte  die  Städtekasse  in  Berlin  durch  das  hiesige  Zieseamt  300  Mk., 
den  Rest  die  Kämmereikasse. 


§  4°-     Gebühren  und  Gehalt.  573 

Reformen;  es  seien  ja  bereits  so  manche  Institute  der  Vor- 
zeit, als  für  die  Gegenwart  nicht  mehr  passend,  durch  des 
Königs  Weisheit  und  väterliche  Fürsorge  abgeschafft  worden4*. 
Der  Justizminister  (Kircheisen)  fand  „keinen  ausreichenden 
Grund,  weshalb  die  Aufhebung  dieses  uralten  Instituts  noth- 
wendig  sei";  es  könnten  noch  Akten  von  auswärtigen  Ge- 
richten einkommen,  und  namentlich  seien  noch  in  neuerer 
Zeit  Akten  von  den  Gerichten  aus  den  Anhaltischen  Ländern 
an  den  Schöppenstuhl  gesandt  worden,  auch  könnten  Privat- 
personen sich  zu  ihrer  Belehrung  von  ihm  Responsa  geben 
lassen;  ganz  unnütz  sei  daher  dieses  Institut  ebensowenig  wie 
das  Institut  der  Spruchkollegien  auf  den  Universitäten.  Jeden- 
falls müssten  die  jetzigen  Mitglieder  noch  die  Hälfte  der 
ioo  Thlr.  als  Pension  erhalten.  Ein  Jahr  später  (August 
1811)  aber  forderte  der  Staatskanzler  Hardenberg  anlässlich 
einer  nochmaligen  Vorstellung  der  Stadt  Brandenburg  den 
Justizminister  auf,  den  Schöppenstuhl  zu  beseitigen  und  die 
jetzigen  Mitglieder  auf  verhält nissmässige  Pension  zu  setzen. 
Im  Anschlüsse  hieran  sah  sich  im  Dezember  181 1  der  Magistrat 
veranlasst,  die  Regierung  zu  bitten,  dafür  sich  zu  verwenden, 
dass  die  zweite  Assessorstelle  nicht  besetzt,  auch  die  Bibliothek 
des  Schöppenstuhls  der  zum  gemeinschaftlichen  Gebrauch 
für  die  öffentlichen  Behörden  der  Stadt  bestimmten  rath- 
häuslichen  Bibliothek  einverleibt  werde.  Die  Regierung  ant- 
wortete, der  Schöppenstuhl  sei  ja  bereits  aufgehoben. 
Der  Minister  erklärte  sich  schliesslich  damit  einverstanden, 
dass  die  Hälfte  der  bisherigen  Gehälter  der  Mitglieder  des 
Schöppenstuhls,  nämlich  je  50  Thlr.,  vom  1.  Dezember  18 13 
an  aus  der  Staatskasse  angewiesen  werde,  die  Stadt  die 
37  Thlr.  1  G.  weiter  zahle  und  dafür  die  Bibliothek  mit  der 
Rathsbibliothek  zum  Mitgebrauch  des  Stadtgerichts  vereinigt 
werde;  über  die  Vereinigung  sollten  Magistrat  und  Stadt- 
gericht verhandeln;  die  Verwendung  der  37  Thlr.  1  G.  solle 
dem  Stadtgericht  zum  Ankauf  juristischer  Bücher  überlassen 
bleiben. 

So  wurde  der  ärmliche  Gehalt,  den  die  Stadt  mit  jähr- 
lich 100  Thlr.  dem  Schöppenstuhl  leisten  sollte,  zum  äussern 
Anlass  seiner  Aufhebung.     Als  Zeit  derselben  scheint  nach 


574  6-  Buch.    Verfahren. 

dem  eben  Mitgetheilten  thatsächlich  das  Jahr  1811   gleiten  za 
müssen;  im  Jahre  1869  setzt  ein  Bericht  des  Kammerg-erichts 
die  Aufhebung  in  das  Jahr  181 2  und  ein  Bericht  des  Kreis- 
gerichts Brandenburg  gar  in  das  Jahr  1817,  weü  unterm  31.  März 
1817  die  Regierung  zu  Potsdam  in  ihrem  Amtsblatt   (S.  151t 
„zur  öffentlichen  Kenntniss  brachte,  dass  der  bisher    in  der 
Stadt   Brandenburg   bestandene  Schoppenstuhl    zufolge    der 
Bestimmung  des  Justizministers  vom  22.  März  c.  aufgehoben 
worden  sei."1)      Formell   erfolgte   demnach   die  Aufhebung 
erst  im  Jahre  181 7. 

Der  Schoppenstuhl  hatte  sich  so  überlebt,  dass  Niemand 
den  Zeitpunkt  seines  Endes  mit  Sicherheit  feststellen  konnte. 
Einst  der  Stolz  der  Stadt  war  er  ihr  eine  Last  geworden, 
seit  sie  für  ihn  eine  Aufwendung  zu  machen  hatte,  die  dem 
Stadtinteresse  in  keiner  Weise  nützte.  Das  gab  ihm  den 
Todesstoss;  sonst  wäre  sein  Hinsterben  vielleicht,  wie  das 
Hinsterben  des  Schöppenstuhls  zu  Halle  (oben  Seite  248), 
noch   einige  Jahrzehnte  hingezögert  worden. 

1)  Akten  des  Amtsgerichts  Br.  betr.  die  Schöppenstuhlsbibliothek. 


Schluss. 

Die  Bedeutung,  welche  nach  unserer  bisherigen  Gesammt- 
•darstellung   dem  Institut   der  Rechtsbelehrung  Jahrhunderte 
hindurch  zukam,  findet  ihre  Erklärung  im  Wesentlichen  darin, 
dass  den  in  erster  Reihe  zur  Rechtspflege  berufenen  Organen 
die  Stetigkeit  und  Festigkeit  fehlte,  ohne  die  wir  uns  heute 
-eine   ordnungsgemässe  Ausübung    der  Gerichtsbarkeit  nicht 
denken  können.    Die  Zersplitterung  der  alten  Landgerichte 
stärkte  den  Einfluss  der  Gerichtsherren,  an  deren  Spitze  sich 
die  Landesherren  und  deren  Beamte  als   ihre  Stellvertreter 
befanden;  der  letzteren  Rechtsprechung  trat  neben  die  Recht- 
sprechung  der    Gerichte;    den  Parteien   stand   es   frei,    den 
Gerichtsherren    oder   das  Gericht   oder   beide  in  ihrer  Ver- 
einigung anzurufen ;  der  Gerichtsherr  konnte,  wem  er  wollte, 
Auftrag    („Kommission44)    zur    Verhandlung    und    zur    Ent- 
scheidung des  Rechtsstreits  geben.1)     Auch   vor  der  städti- 
schen Gerichtsbarkeit  machte  das  Heranwachsen  der  gerichts- 
oder  landesherrlichen  Macht  nicht  Halt.     Was  hätte  hindern 
sollen,   dass   die  solchergestalt  zur  Rechtsprechung  herange- 
zogenen Organe  sich  ausserhalb  „Belehrung44  holten  und  im 
Gefühle  ihrer  eigenen  Unzulänglichkeit  auf  fremde  Schultern 
abluden,    was  ihre  Schultern    zu   tragen    nicht    vermochten? 
Thaten  doch  von  Alters  her  die  Gerichte  das  Nämliche,  wenn 
sie  den  Schöppenstuhl  derjenigen  Stadt,  mit  deren  Recht  sie 
bewidmet  waren,  um  Belehrung  angingen.    Nur  ein  geringer 
Schritt  weiter    war    es,    auch    zuzulassen,   dass    die    einzelne 

1)  Das  Ueberweiseo  der  Prozesse  an  „immediate  Königliche  Kommis- 
sionen" war  1745  (97  4)  etwas  so  Gewöhnliches,  dass  die  Missiven, 
mit  denen  die  Kommissare  sich  nach  Brandenburg  wenden  (es  waren  in 
dem  bezeichneten  Falle  zwei  Regierungsräthe  und  ein  Oberauditeur),  sich 
eines  für  solche  Kommissionen  allgemein  eingeführten  Siegels  bedienten 
(Adler  mit  Krone  und  Umschrift:  „Königlich  Preussisches  Kommissions- 
siegel"). 


576  Schluss. 

Partei,  ehe  sie  den  Prozessweg  betrat,  sich  bei  einer  Spruch- 
behörde Raths  erholte.    Dadurch   konnte    unter   Umständen 
der  gerichtliche  weitläufige    und   kostspielige  Austrag    eines 
Streites  ganz  erspart  werden,  zumal  wenn  beide  Parteien  um 
die  Rechtsbelehrung  nachsuchten  und  dadurch  bekundeten, 
dass   sie   sich   mit    dem  Resultate   der  Belehrung    zufrieden 
geben  wollten.    Zu  Zeiten  wird  das  in  der  Missive  ausdrück- 
lich gesagt,  z.  B.  1601  beim  Stettiner  Schöppenstuhl  in  einem 
Erbstreit:    „Ich  mit  meinen  konsorten  habe  mich  verglichen» 
den    fall  an   euch  (Richter  und  Schoppen  zu  Alten  Stettin) 
zu    transmittiren    und    was    daselbst    decidiret,     dem 
wirklich  nachzusetzen    compromittiret."     In    anderen 
Missiven   treten    wenigstens  Anklänge   an  diese  Auffassung 
deudich   hervor:    ein    Bürger   in   Königsberg  i.  N.    bemerkt 
1556  (5  445)   in  seiner  Anfrage,    die   einen   Intestaterbstreit 
betrifft,    er    habe    sich    bei    etlichen    Leuten    darüber    be- 
fragt, aber  keinen  zu  Recht  genügenden  Bericht  bekommen 
können;  um  sich  nun  nicht  auf  ungewissen  Wahn  oder  Grund 
ins  Recht  (d.  h.  ins   Gericht)    zu   begeben,    bitte  er  um  Be- 
lehrung.  Und  der  Landrichter  der  Altmark  zu  Tangermünde 
übersandte    1567  (11  458)  Akten,    darin    beide   Parteien   „zu 
Verhütung  mehrerer  Unkosten1'  gebeten  hatten,  eine  Belehrung 
zu  suchen.    Eine  solche  Verhütung  von  Unkosten  war  nament- 
lich für  Strafsachen  von  Bedeutung,  indem  einBelehrungsurtheil 
viel  rascher  zu  erlangen  war,  als  ein  Gerichtsurtheil  und  des- 
halb der  von  den  zahlpflichtigen  Gerichtsunterthanen    regel- 
mässig als  sehr  drückend  empfundene  Aufwand,  einen  An- 
geklagten gefangen  zu  halten  und  zu  verköstigen,  sich  min- 
derte, wenn  man  den  Oberhof  anging.     Der  Hauptmann  auf 
Potsdam  Abraham  von  Rochow  reicht  Freitag  nach  Andreae 
Apostoli  1560  (8  230)  Bekenntnisse  dreier  wegen  Diebstahls 
und  Zauberei  Gefangenen    ein,    die  er  hat  „mit  der  Schärfe 
verhören  lassen14;    auf  beigelegtem  Zettel  bittet  er,    „da  es 
an  dem  wäre,   das  ihr  als    morgen   solcher  Sachen   halben 
nicht  zusammenkommen  könntet41,  ihn  mit  der  Belehrung  nicht 
zu  „verschieben",  weil  die  drei  schon  lange  auf  seiner  Amts- 
verwandten  (d.  h.  Amtseinsassen)    Unkosten   gesessen.    Die 
Belehrung  lautet  darauf,    dass  der  eine  Gefangene  gehängt^ 


Schluss.  577 

der  zweite  (die  Zauberin)  verbrannt  und  der  dritte  mit  Ruthen- 
streichen des  Gerichts  verwiesen  werde.  Wie  rasch  sich 
diese  Sache  erledigt  hatte,  lässt  sich  nicht  feststellen,  da  das 
Spruchkonzept  undatirt  ist;  in  einem  Kindesmordsfalle  des 
Jahres  1633  (75  287)  ergeht  aber  der  Spruch,  dass  die  An- 
geschuldigte zu  ertränken  sei,  am  nämlichen  Tage,  an  welchem 
der  Gerichtsherr,  ein  Erbsess,  um  Belehrung  nachgesucht 
hat.  Den  ähnlichen  früher  mitgetheilten  Beispielen  kann  noch 
eines  aus  dem  Jahre  1567  (11  279)  zugefügt  werden:  eine 
Witwe  von  Buch,  die  mit  ihrem  Schwager  wegen  der  Vor- 
mundschaftsführung und  einem  ihm  angeblich  vermachten 
Geldbetrage  in  Streit  geräth,  und  den  Brandenburgern  dar- 
über sieben  Fragen  in  einem  Schreiben  vorlegt,  erhält  zwei 
Tage  darauf  aus  der  nächsten  Schöppenstuhlssitzung  sieben 
Urtheilsausfertigungen  (auf  jede  gestellte  Frage  eine  Sonder- 
ausfertigung). Sehr  förderlich  war  hierbei  die  Einrichtung, 
dass  man  in  Brandenburg  den  Schöppenschreiber  mit  Ab- 
fassung der  Missive  betrauen  konnte.  Eine  Partei,  die  am 
Tage  vor  der  Sitzung  des  Schöppenstuhls  sich  in  Branden- 
burg die  Anfrage  niederschreiben  Hess,  ermöglichte  es  sich 
dadurch  unter  Umständen,  schon  andern  Tags  ihre  Belehrung 
ausgehändigt  zu  erhalten.  Auch  wer  von  auswärts  her  seine 
Anfrage  sandte,  durfte  während  der  Blüthezeit  des  Schöppen- 
stuhls auf  eine  baldige  Antwort  hoffen.  Welche  wohlthätige 
Wirksamkeit  der  Schöppenstuhl  in  dieser  Beziehung  entfaltete, 
lässt  sich  kaum  schlagender  nachweisen,  als  an  der  Rechts- 
frage, die  1539  aus  der  Familie  von  Bismarck  nach  Branden- 
burg gelangte  (ÜB.  31).  Im  Sommer  1539  unmittelbar 
vor  der  Ernte  starb  die  Witwe  Pantaleons  von  Bismarck, 
dessen  Lehnsnachfolger  sein  Neffe  Jobst  von  Bismarck  ge- 
worden war;  einen  Theil  der  Güter  hatte  die  Witwe  als  Leib- 
gedinge besessen;  ihre  Schwester  als  Allodialerbin  bean- 
spruchte die  Ernte  des  Leibgedinges,  ebenso  beanspruchte 
sie  der  Lehnsfolger;  letzterer  wandte  sich  am  25.  Juni  nach 
Brandenburg  und  erhielt  vier  Tage  darauf  die  Belehrung, 
dass  er  im  Rechte  sei.  Damit  war  der  Streit  als  erledigt 
anzusehen;  denn  ein  solcher  für  einen  Thaler  erlangbarer 
Spruch   der   Schoppen    beider    Städte   Brandenburg    genoss 

Stölzel,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  37 


.")78  Schluss. 

damals  dasselbe  Ansehen  wie  heute  etwa  ein  Spruch  der 
vereinten  Zivilsenate  des  Reichsgerichts.  Das  legt  für  die 
Gegenwart  die  Erwägung  nahe,  wie  dankbar  man  es  aner- 
kennen würde,  wenn  die  Möglichkeit  bestände,  in  ähnlichen 
Fällen,  wie  in  dem  ebenerwähnten,  sich  an  autoritativer 
Stelle  —  wäre  es  auch  für  einen  sehr  viel  höheren  Kosten- 
aufwand und  nur  auf  Grund  eines  von  beiden  Parteien  ge- 
meinsam eingereichten  Sachberichtes  —  eine  entscheidende 
Belehrung  binnen  wenigen  Tagen  zu  holen,  statt  zu  einem 
über  Jahr  und  Tag  währenden,  recht  kostspieligen  Prozess 
genöthigt  zu  sein. 

So  hoch  man  diese  Lichtseite  des  Instituts  der  Rechts- 
belehrung anschlagen  mag,  wird  sie  doch  erheblich  durch 
die  eine  Schattenseite  verdunkelt,  dass  die  Strafjustiz  über 
alle  Massen  im  Argen  lag,  da  zweifellos  Strafurtheile  über- 
haupt, namentlich  aber  Todesurtheile  massenhaft  ohne  ge- 
nügende Vorprüfung  leichthin  gefallt  worden  sind;  es  wird 
dabei  mit  einer  Oberflächlichkeit  verfahren,  die  wir  heute 
Gewissenslosigkeit  nennen  würden,  und  die  den  Glauben  an 
die  Gerechtigkeit  der  Richtersprüche  tief  erschüttert  haben 
muss. 

Dazu  treten  noch  weitere  arge  Schattenseiten. 

Dass  eine  Spruchbehörde  in  ihren  Rechtsauffassungen 
wechselt,  und  dass  deshalb  jüngere  ihrer  Sprüche  mit  älteren 
in  Widerstreit  gerathen,  ist  unvermeidlich  und  kommt  auch 
gegenwärtig  vor,  ja  es  muss  vorkommen,  wenn  die  Rechts- 
entwickelung und  Rechtsfortbildung  nicht  unterbunden  wer- 
den soll.  Es  gereicht  darum  den  Brandenburgern  nicht  zum 
Vorwurf,  wenn  ihr  Präjudizienbuch1)  anmerkt,  was  i486 
und  was  umgekehrt  später  über  das  Intestaterbrecht  des 
Halbbruders  im  Verhältniss  zu  den  Grosseltern,  oder  was 
1503  und  was  umgekehrt  später  über  das  Intestaterbrecht 
der  Kinder  des  vollbürtigen  Bruders  und  denen  des  halb- 
bürtigen Bruders  erkannt  worden  sei.  Aber  es  hätte  nicht 
vorkommen  dürfen,  dass  in  der  nämlichen  Angelegenheit  zwei 
sich  widersprechende  Urtheile  des  Oberhofs  ergehen,  je  nach- 
dem von  Seiten  des  Klägers  oder  von  Seiten  des  Beklagten 

1)  Siehe  oben  Seite  24  ff.  ÜB.  4  41.  43. 


Schluss.  579 

Belehrung  erbeten  ist.  Die  dadurch  eröffnete  Möglichkeit 
einander  widerstreitender  Belehrungssprüche  in  derselben 
Sache  wäre  vom  Oberhof  zu  vermeiden  gewesen.  Es  fehlte 
indess  an  den  erforderlichen  Einrichtungen,  die  verhütet  hätten, 
dass  aus  jener  Möglichkeit  eine  Wirklichkeit  wurde.  Ein 
Beispiel,  dass  auf  die  vom  Kläger,  vom  Beklagten  und  vom 
Gericht  in  derselben  Sache  eingegangenen  drei  Fragen  drei 
verschiedene  Sprüche  ergingen,  haben  wir  oben  (S.  513) 
kennen  gelernt.  Die  Möglichkeit  der  Entstehung  solcher 
„Kontrarietäten"  war  im  Schosse  des  Schöppenstuhls  kein 
Geheimniss;  sie  wurden  dadurch  wesentlich  gefördert,  dass 
die  abgethanen  Akten  nicht  an  einheidicher  Stelle,  sondern 
zur  Hälfte  in  der  Altstadt,  zur  Hälfte  in  der  Neustadt  auf- 
bewahrt wurden,  ferner  dadurch,  dass  die  bei  Erledigung 
der  Sachen  betheiligten  Persönlichkeiten  nicht  immer  die- 
selben waren,  dass  vielmehr  Schoppen  wie  Schöppen- 
schreiber  bei  den  einzelnen  Sachen  wechselten,  und  dass 
man  die  Führung  eines  Repertoriums  nicht  kannte.  Man 
verliess  sich  auf  das  gute  Gedächtniss  des  einen  oder  andern 
Schöppenschreibers  oder  Schoppen;  dieses  musste  aber 
stets  da  versagen,  wo  zufällig  etwa  keiner  der  bei  einem 
früheren  Spruch  Betheiligten  bei  einem  späteren  konnexen 
Spruche  mitwirkte,  oder  wo  ein  Betheiligter  zwar  mitwirkte, 
aber  sich  des  früheren  Spruches  nicht  mehr  erinnerte. 
Einen  Einblick  in  diesen  wenig  befriedigenden  Zustand  giebt 
es,  wenn  1562  (9  109)  der  altstädter  Schöppenschreiber  Roter 
in  einer  Sache,  in  welcher  der  Schöppenstuhl  bereits  zwei- 
mal gesprochen  hatte,  unter  Beifügung  des  ersten  früheren 
Spruchs  dem  bisherigen  neustädter  Kollegen  Karpzow,  der 
inzwischen  neustädter  Schöppe  geworden  war,  darauf  hin- 
weisen muss,  dass  der  zweite  ohne  Karpzows  Betheiligung 
ergangene  Spruch  vom  neustädter  Schöppenschreiber  Joh. 
Mawe   verwahrt    werde.1)     Fehlt   es    an  einem  gleich  sorg- 


')  „Diese  frage  ist  nun  zum  drytten  mal  alhier  und  stets  aus  grossem 
bedenken  (wie  ihr  des  fragenden  teyls  gelegenheit  wisset)  daruf  gesprochen, 
als  nemlich  das  erste  mal,  wie  hiebey  sub  numero  1  zu  befinden.  Das 
ander  mal  seid  ihr  nicht  dabey  gewest  und  hat  dasselbe  Johannes 
bey  sich.     Bitte    ganz    freundtlich,    wollets    euch    zeigen   lassen,   und  weyl 

3/ 


580  Schluss. 

faltigen  Schöppenschreiber,   so  ist  den  Kontrarietäten  Thor 
und  Thür  geöffnet. 

Nachdem  Bürgermeister  und  Rath  zu  Treuenbrietzen 
1615  (ÜB.  2  539)  auf  eine  Anfrage  beschieden  sind,  dass  der 
Käufer  eines  Fleischscharrens,  den  er  für  100  fl.  gekauft  und 
theilweis  alsbald  bezahlt  hat,  obwohl  er  wusste,  dass  der 
Scharren  nie  über  40  fl.  verkauft  sei,  mit  seiner  Einrede 
der  Verletzung  über  die  Hälfte  nicht  durchdringe,  vielmehr 
den  Kauf  zu  halten  schuldig  sei,  ergeht  drei  Monate  später 
auf  Anfrage  des  Käufers  die  Belehrung:  da  der  Verkäufer 
sich  weigere,  den  Scharren  wiederzunehmen,  so  sei  der 
Käufer  die  Uebermass,  so  den  halben  Theil  des  rechten 
Werths  überreichet,  vom  Kaufgeld  zu  behalten  befugt. 

Beide   Spruchkonzepte   sind    von   demselben  Schöppen- 
schreiber (Weitzke)  konzipirt,  das  erste  auf  schriftliche  Voten 
der   Neustädter    Floring    und    Zieritz,    sowie    der  Altstadter 
Haveland,   Grell  und  Chueden,    das  zweite  mit  der  Schluss- 
bemerkung des  altstädter  Senior:  „vidit  Joh.  Gr"(ell).     Hier 
liegt   zunächst    eine  Unaufmerksamkeit  des  Schöppenschrei- 
bers,  dann  aber  auch  eine  solche  der  beiden  Senioren  vor: 
der    neustädter   Senior   Floring    durfte    den  zweiten  Spruch 
nicht  als  Beschluss  der  neustädter  Schoppen  in  die  Altstadt 
gelangen   lassen,    und  der  altstädter  Senior  Grell  durfte  ihn 
nicht  mit  seinem  Vidit  zurücksenden;   alle  drei  —  Weitzke, 
Floring  und  Grell  —  hatten  bei  dem  früheren  Spruche  mit- 
gewirkt und  mussten  sich  bei  der  Kürze  der  zwischenliegen- 
den Zeit  dessen  erinnern.1) 


demselben  noch  keine  folge  geschehen,  die  sache  dahin  bewegen,  das  keyne 
contrarietet  daraus  erfolge."  Ohne  dass  erhellt,  auf  welchem  Wege  dit 
Kontrarietät  vermieden  ist,  ergehen  1597  (41  565.  582)  zwei  sachlich  über- 
einstimmende Sprüche  auf  eine  in  derselben  Sache  gestellte  Doppelanfrage. 
Den  einen  Spruch  hat  der  neustädter,  den  anderen  der  altstadter  Schöppen- 
schreiber entworfen;  es  handelt  sich  um  die  Art,  wie  das  Sühnegeld  eines 
Entleibten  zu  vertheilen  sei;  danach  fragt  der  Pfarrer  des  Orts,  und  es 
fragt  auch  der  Vormund  des  Todtschlägers. 

l)  Allerdings  nennt  auffälligerweise  die  Anfrage  des  Käufers  den 
Verkäufer  mit  anderem  Namen  als  der  Rath.  Die  Zeit  des  zweiten 
Spruchs  erhellt  daraus,  dass  die  Anfrage  vom  18.  Juni  1615  datirt  (64  470). 
Diese   Anfrage    verschwieg,    welche    Einwendung    der    Verkäufer    machte. 


Schluss.  581 

Eine  noch  grössere  Unordnung  trat  in  einer  beim  Gericht 
Fürstenwalde  anhängigen  Erbstreitigkeit  zu  Tage,  in  der  im 
Mai  1621  dem"  Beklagten  durch  einen  Brandenburger  Spruch 
ein  Reinigungseid  aufgelegt  war,  dass  er  Nachlassgegenstände 
nicht  in  Besitz  genommen  habe;  im  Oktober  1621  bat  der 
Beklagte  um  weitern  Spruch,  nachdem  er  in  Fürstenwalde 
einen  Beweis  zur  Vermeidung  des  Reinigungseides  unter- 
nommen hatte  (69  5B9).  Es  kam  nunmehr  in  Brandenburg 
darauf  an  festzustellen,  wie  es  sich  mit  dem  früheren  Spruche 
verhalten  habe.  In  der  gemeinschaftlichen  Sitzung  beider 
Kollegien  einigte  man  sich  nicht;  die  Sache  zirkulirte  des« 
halb  nach  der  Sitzung  zu  schriftlicher  Abstimmung.  Sie  ge- 
langte zunächst  in  die  Neustadt.  Hier  stellte  der  Senior 
Floring  aus  den  Akten  fest,  dass  die  früheren  vota  „diversi- 
modo  ergangen  und  das  Urtheil  indebite  dirigiret,  indem  ad 
unius  votum  das  Urtheil  abgegangen  und  die  Herren  zu  ein- 
helliger Vergleichung  nicht  bescheiden,  weniger  ihnen  wieder 
zugegangen;"  er  wisse  nicht,  wie  es  gekommen,  dass  die 
Bürgermeister  Buchholtz  und  Schale  (also  zwei  neustädter 
Schoppen)  sich  nicht  resolviret.  Darin  lag  ein  starker  Vor- 
wurf gegen  den  altstädter  Senior  Haveland:  er  hatte  das 
Urtheil,  obwohl  die  abgegebenen  Vota  nicht  mit  einander 
übereinstimmten,  ungerechtfertigter  Weise  (indebite  1)  nach 
seinem  Sonder  votum  abgehen  lassen,  ohne  die  Neustädter 
noch  einmal  zu  hören.  Wegen  dieses  unzulässigen  Verfahrens 
hätte  die  verletzte  Partei  den  Spruch  anfechten  und  die 
Schuldigen  zur  Verantwortung  ziehen  können.  Die  Neu- 
städter Zieritz  und  Iden  lehnten  die  Verantwortung  ab,  Iden 
erinnerte  sich  keines  voti  in  dieser  Sache,  seine  subscriptio 
werde  auch  nicht  zu  finden  sein.     Der  altstädter  Senior  Have- 


—  Beispiele  des  Erinnerns  liegen  aus  dem  Jahre  1623  vor:  Der 
neustädter  Senior  Floring  votirt:  „Ich  weis  nicht  anders,  dan  das  diese 
sache  hie  gewesen  und  darüber  erkant.  Daher  die  herrn  wollen  die",'sache 
vfsuchen".  Und  Iden  votirt:  „Die  Sachen  seindt  vor  wenig  wochen  von 
des  consulenten  seinen  kegner  auch  anhero  geschicket  gewesen,  aber 
species  facti  war  etwas  anders  figurirt,  darum  das  vorige  urtheil  not- 
wendig aufgesuchet  werden  mus".  Es  findet  sich  auch  der  frühere  Spruch 
(vom  März  1623:  71532),  mit  dem  der  nunmehr  gefällte  (vom  Mai  1623: 
71  178)  übereinstimmt. 


682  Schluss. 

land  erinnerte  sich  der  Sache  nur  noch  dunkel,  schlug  aber 
vor,  den  zur  Vermeidung  des  Reinigungseides  angebotenen 
Zeugenbeweis  zu  erheben;  hierauf  einigte  man  sich  laut  des 
Spruchentwurfes. 

Das  direkte  Eingeständniss,  dass  „ihr  Urtheil  den  Akten 
nicht  gemäss  sei",  findet  sich  1626  (72  126)  in  schriftlichen 
Votis  der  Schoppen,  als  der  Landrichter  zu  Perleberg  auf 
eingezogene  Brandenburger  Belehrung  einen  Beklagten  ver- 
urtheilt  hatte,  versprochenes  Korn  oder  dessen  Werth  zu 
leisten,  vier  Monate  später  aber  der  Kläger  das  Urtheil  in 
Brandenburg  dahin  „deklariren"  liess,  dass  „das  Korn  der- 
gestalt als  zur  Zeit  des  geschlossenen  Kontrakts  nicht  gelie- 
fert werden  könne",  und  dass  deshalb  der  Beklagte  schuldig 
sei,  das  Uebermass  des  für  das  Korn  erlangten  Kaufpreises 
zu  erstatten.1) 

Weniger  Tadel  trifft  die  bei  verschiedenen  Sprüchen 
betheiligten  Persönlichkeiten  als  die  bestehende  Einrichtung, 
wenn  die  „ Kontrariet ät"  zweier  Sprüche  darin  ihren  Grund  hat, 
dass  jede  Partei  in  besonderer  Missive  den  Schöppenstuhl  an- 
gegangen hat,  und  dass  die  Missiven  in  ihrer  Darstellung  der 
Thatsachen  von  einander  abweichen.  Gehen  in  Folge  dessen 
die  Sprüche  auseinander,  so  kann  der  eine  wie  der  andere 
Spruch  sachlich  berechtigt  sein;  denn  jeder  hat  zu  seiner  Bedin- 
gung, dass  der  vorgetragene  Thatbestand  richtig  und  vollständig 
ist.  Das  dem  Spruche  nachfolgende  Gerichtsverfahren  hatte 
dann  festzustellen,  ob  die  vom  einen  oder  die  vom  anderen 
Spruch  unterstellten  Thatsachen  der  Wahrheit  gemäss  seien; 
je  nachdem  trat  der  eine  oder  der  andere  Spruch  in  Wirk- 
samkeit. Immerhin  musste  es  der  Partei  einen  eigenthüm- 
lichen  Eindruck  machen,  wenn  sie  zunächst  vom  Oberhof  be- 
lehrt wurde,  dass  sie  im  Rechte  sei,  bis  ihr  dann  aus  einer 
zweiten  vom  Gegner  erwirkten  Belehrung  das  Gegentheil 
klar  wurde. 

Dahin  gehörige  Beispiele  sind: 

Auf  Anfrage  des  Heine  Stölting  zu  Sandau  (im  Magde- 

])  Aus  Versehen  des  Schöppenschreibers  passirt  es  auch  einmal  (1598 : 
44  616),  dass  auf  zwei  Rechtsfragen  dasselbe  Urtheil  doppelt  ausgefertigt 
wird  und  das  eine  Urtheilskonzept  unausgefertigl  zurückbleibt. 


Schluss.  583 

burgischen),  dessen  Ehefrau  ihre  in  Havelberg  wohnhaften 
Eltern  beerbt  hat,  wird  1578  ausgesprochen, l)  dass  die  Ehe- 
frau als  nicht  zu  den  extraneis,  sondern  den  suis  heredibus 
gehörig,  Abschoss  von  der  Erbschaft  des  Ehemannes  dem 
Rathe  zu  Havelberg  nicht  zu  zahlen  habe;  wenige  Tage 
später  aber  erhält  in  der  nämlichen  Angelegenheit  der  Rath 
zu  Havelberg  die  Belehrung,  wenn  er,  wie  er  behaupte, 
mit  der  Stadt  Sandau  einen  Vergleich  geschlossen  habe,  und 
wenn  es  seit  lange  diesem  Vergleiche  entsprechend  üblich 
gewesen,  dass  Jeder,  der  aus  den  beiderseitigen  Gerichten 
ziehe  oder  Erbe  fordere,  den  dritten  Pfennig  davon  den 
Gerichten  folgen  lassen  müsse,  so  sei  es  bei  Stölting  ebenso 
zu  halten.  In  ähnlicher  Weise  wird  1587  einer  Witwe  in 
Fürstenwalde,  nachdem  des  verstorbenen  Mannes  Geschwister 
dessen  halben  Nachlass  nach  Kommothau  in  Böhmen  ge- 
holt haben,  auf  die  Behauptung  hin,  dass  in  Böhmen  ein 
Nachlass  an  Auswärtige  nicht  verabfolgt  werde,  in  Branden- 
burg eröffnet,  sie  könne  den  Nachlass  ihres  Mannes  von 
dessen  Geschwistern  zurückfordern;  ein  Jahr  später  aber 
sprechen  die  Brandenburger  auf  Anfrage  eines  der  Komino- 
thauer Erben,  der  sich  auf  ein  besonderes  Privileg  abschoss- 
freien  "Anfalls  auswärtiger  Erbschaften  an  die  Einwohner 
der  Stadt  Kommothau  von  1497  (ÜB.  1  40)  beruft,  die  aus- 
geantwortete Erbschaft  den  Kommothauer  Erben  zu. 

Als  ein  nützliches  Mittel,  auf  unrichtiger  Sachdarstellung 
basirende  Sprüche  zu  verhindern,  ergab  sich  gegenüber  den 
von  einer  Partei  eingereichten  Missiven,  dass  die  andere 
Partei  ebenfalls  eine  Missive  einreichte,  in  der  sie  die  that- 
sächliche*Lage  des  Falles  zu  ihren  Gunsten  darstellte,  einerlei, 
ob  sie  die  Darstellung  der  anderen  Partei  kannte  oder  nicht. 
So  folgte  mehrfach  dem  „Berichte44  der  an  erster  Stelle  an- 
fragenden Partei  ein  „ Gegenbericht u  der  anderen  Partei  als 
Grundlage  einer  zweiten  Anfrage  in  derselben  Angelegenheit 
(vgl.  S.  456).     Belege  für  dies  Verfahren  sind: 

Die  Magd  des  Burgermeisters  Georg  Matthis  zu  Berlin  hat  1556 
(5  545  ff.)  einen  Streit  mit  dessen  Ehefrau.  Es  soll  beiderseits  zu 
Thätlichkeiten  gekommen  sein.     Der  Burgermeister  lässt    die  Magd 

l)  ÜB.  4  1. 


584  Schluss. 

gefänglich  einziehen  und  drei  Wochen  sitzen.  Dann  bittet  er,  zi>- 
die  Verwandten  der  Magd  deren  Freilassung  gegen  Burgschaft  l«e- 
gehren,  um  Rechtsbelehrung.  Da  die  Verwandten  das  erfahren. 
aber  nicht  wissen,  was  der  Bürgermeister  berichtet  habe,  machen 
sie  einen  n Gegenbericht u  und  bitten  auch  um  Rechtsbelehrung.  Auf 
diesen  Gegenbericht  sprechen  die  Brandenburger  zu  Recht,  die 
Magd  sei  auf  Ermässigung  des  Richters  willkürlich  zu  strafen. 

Ein  Bruder   erlangt  um    1559  (7  244  ff.)  einen  Spruch    der   Bran- 
denburger,   dass    der    ältere   Bruder   Inventar    des    väterlichen  Ver- 
mögens auflegen   und  Theilung  vornehmen  soll.     Der  unterliegende 
Theil  erwirkt  in  Brandenburg,  dass  dem  Hauptmann  und  dem  Kästner 
aufgetragen  wird,  die  Sache  zu  verhören.    Es  kommt  zu  einem  Eide 
des  Beklagten,    dass  der  Kläger  abgefunden  sei;    auch  legt  der  Be- 
klagte darüber  Urkunden  vor  und  fragt  nun  mittels  „ Gegenberichts " 
in  Brandenburg  an,  ob  er  Inventar  aufzulegen  schuldig.    Der  Spruch 
lautet  dahin,  dass  der  Beklagte  nicht  mehr  vom  Kläger  in  Anspruch 
genommen  werden  könne. 

Der  belehnte  Schulze  des  Dorfs  Bantzendorf  (bei  Potsdam;  Benis 
Schulte  stirbt  1560  (8  288)  mit  Hinterlassung  zweier  Söhne  ersterjEhe, 
eines  vierzehnjährigen  Sohns  und  vier  unberadener  Töchter  zweiter 
Ehe.  Die  beiden  ältesten  Söhne  beanspruchen  Verwaltung  uod  Be- 
sitz des  Schulzengerichts  bis  zu  des  jüngsten  Sohnes  Mündigkeit. 
Ihnen  wird  auf  ihre  Anfrage  eine  die  Mutter  von  der  Verwaltung 
ausschliessende  Rechtsbelehrung  ertheilt.  Die  Mutter  thut  aber  ihren 
„Gegenbericht"  an  den  Hauptmann  des  Klosters  Lindow  mit  der 
Angabe,  dass  sie  ihren  Witwenstand  nicht  verrücken  wolle  und  des 
jüngsten  Sohnes  wie  der  Töchter  Vormund  sei.  Auf  des  Hauptmanns 
Anfrage  ergeht  dann  die  Belehrung:  Wenn  die  Witwe  in  ihrem 
Witwenstand  bleiben  wolle  und  neben  ihrem  minderjährigen  Sohne 
noch  vier  unmündige  Töchter  habe,  die  alle  aus  dem  Schulzengericht 
beraden  und  ausgesteuert  werden  müssen,  so  wird  sie  in  der  Ver- 
waltung des  Gerichts  als  Vormunden n  beiden  Stiefsöhnen  vorgehen 
bis  zu  ihres  leiblichen  Sohnes  mündigen  Jahren.1) 

Auf  des  Obristen  Isaak  Kracht  Schreiben  muss  1606  (53  140)  der 
Rath  zu  Wittstock  zu  des  Kf.  rjüngst  gethanen  Pfälzschen  Reisen" 
2  Pferde  und  Wagen  liefern.  Der  Kath  kauft  deshalb  ein  schwarzes 
Pferd  vom  Scharfrichter  für  34  Thlr.,  das  er  als  ein  gut  Pferd  zu 
gewähren  zusagt.  Es  wird  nach  Beskow  mit  dem  anderen  Pferde 
geschickt,  aber  gleich  im  Anfang  der  Reise  vom  Koller  befallen, 
wie  der  Kfl.  Sekretär  und  Küchenschreiber,  für  den  das  Pferd  be- 
stimmt war,  bezeugt.  Der  Obrist  verlangt  Rücknahme  des  Pferdes 
und  Rückzahlung.  Dazu  erklären  die  Brandenburger  auf  Anfrage 
des  Amtsschreibers  zu  Wittstock  den  Scharfrichter  für  schuldig,  ob- 

')  Zu  vergl.  auch  die  Zaubereisache  von  1590  im  Dorfe  Callies  ÜB.  a 
145  ff. 


Schluss.  5^5 

wohl   er   auf  seinen  „wilden  Bericht*    vorher  ein  ihm  günstiges  Ur- 
theil  erlangt  hat.1) 

Kam  solchergestalt  ein  Oberhof  unvermeidlich  in  die 
Lage,  bewusst  konträre  Spruche  thun  zu  müssen,  so  fehlte 
nicht  viel  zu  dem  Schritte,  dass  er  —  ähnlich  wie  der 
.Landesherr  zur  Zeit  der  Herrschaft  des  Supplikenunwesen$ 
—  den  eigenen  früheren  Spruch  aufhob,  weil  er  ihn  nach- 
träglich als  erschlichen  erkannte.  Auch  dieser  Schritt  wurde 
gethan. 

Nachdem  Bürgermeister  und  Rath  zu  Kyritz  auf  Belehruug  der 
Brandenburger  eine  Ehefrau  mit  ihrem  zweiten  Ehemanne  wegen 
Bigamie  gefänglich  eingezogen  haben,  stellt  1560  (8  224)  die  Tochter 
der  Ehefrau  vor,  ihre  Mutter  sei  vor  dem  Rathe  zu  Kyritz  und  vor 
dem  Kammergericht  geschieden;  der  Rath  habe  die  Theilung  ver- 
schwiegen und  nunmehr  der  Mutter,  die  nicht  lesen  könne,  im  Ge- 
fangniss  Fragstücke  unter  ihren  Kopf  gelegt;  daraufhin  solle  sie 
'  vielleicht  pro  coniesso  erklärt  werden.  Die  Tochter  bittet  um  Rechts- 
belehrung und  Freilassung  ihrer  Eltern  gegen  Bürgen.  Dem  ent- 
sprechen die  Brandenburger  und  erklären  den  bisher  geführten 
Prozess  für  unkräftig. 

Im  Jahr  1609  (ÜB.  2  440)  lässt  eine  Partei,  nachdem  ihr  Gegner 
„auf  seinen  unwahrhaftigen  Bericht"  ein  „Urtheil,  so  auf  seiner 
Seiten11,  in  Brandenburg  erlangt  hatte,  sich  die  Wahrheit  ihres 
ebenfalls  dorthin  gesandten  Berichts  vom  Amtmann  bescheinigen, 
um  ein  gegentheiliges  Urtheil  zu  erlangen.  Auf  einen  ähnlichen 
Gegenbericht  erklären  1613  (ÜB.  3  177)  die  Brandenburger  ein  auf 
Tortur  einer  Zauberin  ergangenes,  von  Valentin  von  Bismarck  er- 
wirktes Urtheil  für  unberechtigt. 

Es  ergiebt  sich  somit,  dass  die  Art  der  Berichterstattung 
in  der  Missive  einen  erheblichen  Einfluss  darauf  hatte,  wie 
der  Spruch  ausfiel;  das  gesammte  Rechtsbelehrungswesen 
krankte  daran,  dass  es  sich  auf  Prinzipien  aufbaute,  unter 
denen  der  Satz  keine  Stelle  hatte:  „Eines  Mannes  Rede  ist 
keine  Rede,  man  muss  die  Parte  hören  beede44. 

Wenn  solchergestalt  die  Darstellung,  welche  der  Sach- 
verhalt durch  den  Anfragenden  erhielt,  einen  Einfluss  auf  die 
Gestaltung  des  Spruches  hatte,  dann  lag  auch  der  Gedanke 
nicht  allzufern,  es  könne  dem  Anfragenden  vielleicht  auch 
eine  Andeutung  darüber  nützen,  welchen  Spruch  er  wünsche. 

Das  galt  namentlich  für  Strafsachen,   in    denen    das   zu- 

JJ  Statt  wilden  Bericht  stand  im  Konzept  erst  ^Unbericht". 


586  Schluss. 

ständige  Gericht  oft    weniger    der   Rechtsbelehrung    halben-, 
alsum  sich  vor  Schadensansprüchen  zu  schützen,  beim  Schoppen- 
stuhl    anfragte,    und    in    denen    ein  sich  vielfach  bemerkbar 
machendes    Geldinteresse    mitspielte,     den    Angeschuldigten 
möglichst  bald  bei  Seite  geschafft  oder  wenigstens  aus  dem 
Gerichtsbezirke  verwiesen  zu  sehen.     Charakteristisch  ist   in 
dieser  Beziehung  ein  Fall  des  Jahres   1560  (8  227).     Bürger- 
meister und  Rath    zu  Pritzwalk   hatten   einen  des  Ehebruchs 
Verdächtigen    setzen    lassen    und    hofften    auf  eine  Anfrage 
in  Brandenburg  belehrt  zu  werden,    dass  sie    mit    der  pein- 
lichen Frage  vorgehen  könnten,  was  zur  Folge  gehabt  hätte, 
dass  der  Gefolterte  auf  Grund  des  erpressten  Geständnisses 
mindestens    aus    der    Stadt    verwiesen    worden    wäre.      I~)ie 
Brandenburger     erkannten    indess    auf    Freilassung    gegen 
Kaution.     Dem  Spruche  fügten  sich  Bürgermeister  und  Rath, 
Hessen  aber   baldigst  den   Mann  wegen   erneuten  Verdachts 
des  Ehebruchs    wieder   verhaften    und    erbaten    unter   miss- 
billigenden   Bemerkungen    über    den    früheren    Spruch    von 
neuem  eine  Belehrung  in  Brandenburg.     Hier  wurde  nunmehr 
auf  Einleitung   einer  näheren  Untersuchung  (also   auch  dies- 
mal   nicht  auf  die  peinliche  Frage)    erkannt,    Roter   musste 
jedoch  dem  von  ihm  entworfenen  Beischreiben,  welches  dem 
Rath  zu  Pritzwalk  anbefahl,  künftig  den  Schöppenstuhl  „mit 
Subtilitäten  und  übermässiger  Klugheit  billig  zu  verschonen1*, 
auf   Beschluss    der  Schoppen    noch    den    Zusatz    beifügen: 
wenn    die    frühere    Belehrung    anders    ausgefallen    gewesen 
sei,    als    der    Rath    es    gewünscht,    wolle    man  dem    Rathe 
nicht  bergen,    dass  er    künftig   bei  der  Anfrage   eine   Notel 
übersenden  möge,   „wie  er   die  Belehrung  gerne  haben 
wolle";    gefiele    das    dem    Schöppenstuhle,    so    könne    die 
Belehrung     dem    Rathe    vielleicht     also    widerfahren.      Die 
Brandenburger    fanden    demnach    nichts    Anstössiges    darin, 
den  Konsulenten    zu    erkennen  zu  geben,    sie    möchten    sich 
äussern,  welcher  Spruch  ihnen  genehm  sei.     Dass  unter  Um- 
ständen eine  solche  Aeusserung  von  weittragender  Bedeutung 
war,    erhellt  aus  dem  oben   (S.  305)  angezogenen  Falle  des 
Jahres  1572.     Gleich  dem  Rath  zu  Pritzwalk  war  damals  der 
Rath  von  Brietzen  in  einer  Strafsache  unzufrieden,   dass  von 


Schluss.  587 

den  Brandenburgern  auf  Staupschläge  und  Freilassung  einer 
wegen  Abtreibung  Angeschuldigten  erkannt  sei.  Der  Rath 
wandte  sich  „mit  gleichem  Bericht,  jedoch  mit  etlichen  mehr 
im  Anfange  und  zu  Ende  angehangenen  Umständen u,  da  des 
Raths  „dringende  Noth  ein  Mehr"  (d.  h.  den  Feuertod  der 
Angeschuldigten)  „erfordere",  nach  Wittenberg  an  das  Hof- 
gericht um  weitere  Belehrung;  hier  wurde  umgehend  der 
Angeschuldigten  wegen  Zauberei  „das  Feuer  zuerkannt".1) 
Mit  Beifügung  dieses  Spruches  stellte  nunmehr  der  Brietzener 
Rath,  der  nur  auf  einen  Brandenburger  Spruch  hin  die  Todes- 
strafe vollziehen  konnte  in  Brandenburg  vor,  der  Schoppen 
Weisheit  möge  durch  derselben  hellen  klaren  Rechtspruch 
zu  erkennen  geben,  wie  die  Angeschuldigte  zu  strafen  sei. 
So  eilig  wurde  die  Sache  behandelt,  dass  diese  zweite  An- 
frage nach  Brandenburg  an  einem  Sonntag  und  zwar  un- 
mittelbar nach  Eingang  des  Wittenberger  Spruchs  abgefasst 
und  ihr  ein  von  demselben  Sonntag  datirter  Zettel  beigefügt 
wurde,  in  welchem  der  Rath  zu  Brietzen  die  Brandenburger 
bat,  „ihren  Scharfrichter  zu  verleihen  und  denselben  schirst 
Mittwochs  gegen  Abend  herüberkommen  zu  lassen",  wenn 
erkannt  werden  sollte,  dass  die  Angeschuldigte  am  Leben 
zu  strafen  sei.  Die  Bedingung  trat  ein;  man  verstand  in 
Brandenburg  den  Wink:  an  Stelle  der  früher  erkannten 
Staupschläge  wurde  nunmehr  der  Feuertod  beschlossen;  da- 
bei blieb  in  dem  —  vom  altstädter  Schöppenschreiber  Barde- 
leben entworfenen  —  Urtheil  das  frühere  Urtheil  gänzlich 
unerwähnt.  Das  Konzept  ist  undatirt;  da  von  einer  Vorbe- 
reitung desselben  zur  Sitzung  oder  von  einer  schriftlichen 
Abstimmung  nichts  ersichtlich  ist,  so  wird  es  in  der  Montags- 
sitzung des  14.  Juli  auf  Verlesung  der  Akten  gefasst,  und 
nachdem  innerhalb  sechs  Tagen  von  Brietzen  aus  sowohl  in 
Wittenberg,  wie  in  Brandenburg  ein  Todesurtheil  erlangt 
war,  auch  der  Wunsch  des  Rathes  zu  Brietzen  erfüllt  sein, 
alsbald  am  Mittwoch  den  Scharfrichter  zum  schleunigen  Voll- 

1)  Die  Missive,  die  ein  Bote  von  Brietzen  nach  dem  einige  Stunden 
entfernten  Wittenberg  brachte,  datirt  von  Mittwoch  den  9  Juli  1572, 
die  nach  Empfang  des  Wittenberger  Spruchs  weitere,  für  die  Branden- 
burger bestimmte  Missive  datirt  von  Sonntag  den   13.  Juli. 


588  Schluss. 

zuge  der  Hexenverbrennung  geliehen  zu  erhalten,  damit  nun 
baldmöglichst  die  Stadtverwaltung  von  ihrer  „dringenden 
Noth"  befreit  wurde. 

Ein    ähnliches  Verfahren    erhellt    aus    einer  Köpenicker 
Sache  des  Jahres  1 599  (45  448).   Als  Bürgermeister  und  Rath- 
mannen  zu  Köpenick  fanden,  dass  ihnen  das  gegen  einen  „ver- 
wegenen   bösen   Feind"  gegebene  Brandenburgische  Unheil 
„wenig  erspriesslich  sei,  sintemalen  sie  in  keiner  Ringmauer 
sässen"  und  deswegen  vor  dem  Beschuldigten  „weder  Tag  und 
Nacht  sicher   sein    möchten",    bitten  sie  in  nochmaliger  An- 
frage, die  aber  keine  neuen  Belastungsmomente  enthält,  den 
Schöppenstuhl  zu    erwägen,   „ob  der  Beschuldigte  nicht  des 
Todes  würdig  sei".    Die  Brandenburger  sprechen  demzufolge 
auf  die  mit  dem  Strange  zu  vollziehende  Todesstrafe,  rügen 
aber,  sie  könnten  „in  peinlichen  Sachen  auf  ,blinde  Berichte4 
keinem  das  Leben  aberkennen",  ein  unzweifelhaftes  Bekennt- 
niss  hätten  sie  aus  dem  mit  grossem  Unfleiss  begriffenen  Be- 
richte   bisher    nicht   finden    können;    deshalben  sei  die  Auf- 
zögerung  der  Exekution  den  Konsulenten  und  deren  eigenem 
Unfleiss,  aber  nicht  ihnen,  den  Brandenburgern  zuzuschreiben". 
Eine   gleiche    Rüge   zog   sich    1608  (56  177)    der    Amtmann 
des  Klosters  zum  heiligen  Geist  (bei  Salzwedel)  Ludolf  Senf  zu, 
als  er  die  Brandenburger  bat,  „die  greuliche  Missethat,  wegen 
deren  sie  in  einem  früheren  Urtheile  weitere  Vernehmungen 
angeordnet,  mit  besserem  Fleisse  als  zuvor  hin  zu  ponderirent 
Recht,  und  Gerechtigkeit  darauf  zu  judiziren    und  ein  recht- 
mässig Endurtheil    auszusprechen".     Statt    sein    Ziel  [zu    er- 
reichen, wurde  aber  diesmal  der  Konsulent  von  dem  in  seiner 
Ehre  gekränkten  Schöppenstuhl  abgewiesen;  denn  die  Branden- 
burger erwidern,  es  hätte  alsbald  zum  Endurtheil  geschritten 
werden  können,  wenn  bei  dieser  weitaussehenden,  Menschen- 
blut und  Leben   betreffenden  Sache   mit  besseren  und  mehr 
Fleiss  (bei  der  Untersuchung)  vorgegangen  wäre;  „wir  wollen 
hiermit"  —  so  heisst  es  am  Schlüsse  der  Erwiderung  —  „das, 
was  uns  von    euch  mit  gesparter  Wahrheit   vorgerückt,    auf 
euch  retorquirt  haben,  .  .  .  weil  auch  ihre  cf.  gn.  selbst  sich 
bisher  an  unsern  urtheilen  gnädigst  genügen  lassen;  wird  es 
mehr  geschehen,  werden  wir  solches  an  gebührenden  örtern 


Schluss.  58f> 

rechtlich  zu  eifern  unumgänglich  verursacht  werden"  (56  191). 
Als  aber  im  nämlichen  Jahre  eine  vom  Berliner  Hoffiskal 
nach  Brandenburg  gebrachte  Brandstiftungssache  (56  605)  den 
Schöppenstuhl  veranlasst  zu  fragen,  weshalb  ein  in  der  Sache 
ergangenes  Wittenberger  Urtheil  aus  den  Akten  entfernt  und 
dem  Angeschuldigten  nicht  gestattet  worden  sei,  seine  ge- 
rühmte Unschuld  zu  beweisen,  wird  der  Schöppenstuhl  durch 
den  Hoffiskal  alsbald  umgestimmt.  Der  Hoffiskal  antwortet» 
dem  Angeschuldigten  sei  seine  auf  700  Artikel  gestellte  De- 
fension  zur  Verbesserung  zurückgegeben,  und  sei  kein  Grund 
zu  finden,  sein  vor  wiederholter  Tortur  abgelegtes  Geständ- 
niss  ungewiss  zu  machen.  Das  veranlass?  den  Schöppenstuhl, 
nunmehr  weitere  Untersuchung  für  überflüssig  zu  halten  und, 
statt  sie  zu  verlangen,  auf  den  Feuertod  zu  erkennen. 

Es  kann  hiernach  nicht  bestritten  werden,  dass  der 
Schöppenstuhl  äusserer  Einwirkung  unter  Umständen  zugäng- 
lich war.  Dies  mag  für  ihn  mitbestimmend  gewesen  sein,  das 
Licht  der  Oeffentlichkeit  möglichst  von  seiner  Rechtsprechung 
fern  zu  halten,  wie  es  für  die  Parteien  mitbestimmend  war, 
in  vielen  Fällen  Zweifel  in  die  Unparteilichkeit  der  Belehrungs- 
urtheile  zu  setzen. 

Von  diesem  Standpunkt  aus  erklärt  es  sich  zunächst 
dass  Mittheilung  von  Abschriften  aus  den  Akten  des  Schöppen- 
stuhls  verweigert  wird,  so  1579  (21  93)  der  Partei  die  Ab- 
schrift ihrer  eigenen  Anfrage  und  der  darauf  erfolgten  Be- 
lehrung, so  1590  (33  100)  und  1609  (58444)  die  Abschrift 
der  gegnerischen  Anfrage  und  der  darauf  erfolgten  Belehrung, 
so  1561  (34521)  dem  Beamten,  der  um  Rechtsbelehrung  er- 
sucht hat,  die  Abschrift  der  Missive  des  Gegners  und  der 
von  ihm  eingereichten  Briefe,  so  1598  (44  520)  der  Partei  die 
Abschrift  der  vom  Rath  gegen  sie  eingereichten  Beschuldi- 
gung, so  1661  (79  159)  der  Partei  sogar  die  Abschrift  der 
ihr  verloren  gegangenen  Sprüche.1)  Dabei  wird  sich  ständig 
darauf  berufen,  solche  Mittheilungen  seien  beim  Schöppen- 
stuhl nicht  bräuchlich,    es  müsste  denn  der  Kurfürst  sie  be- 

*)  Dass  der  Rath  den  an  den  Hof  erstatteten  Bericht,  seine  Rechts- 
fragen und  die  erlangten  Urtheile  dem  Betheiligten  zu  seiner  Defension 
nicht  vorenthalten  darf,  ist  dagegen  1598  (44  452)  ausgesprochen. 


590  Schluss. 

sonders  befehlen.1)    Kraft  solchen  Befehls  erhält  1612  (59  2501 
eine  Partei  die  Abschrift  ihrer  Missive  und  der  rationes  deci- 
dendi, und  es  erhält  1620  (97  931)  der  Rath  zu  Templin  da* 
Original  der  gegnerischen  Missive  gegen  die  schriftliche  Ver- 
pflichtung der  Rücksendung  ausgehändigt.     Als  der  Erbsess 
von  Trottau  zu  Schkopau  (bei  Merseburg)  1595  (39  366)  un- 
geachtet   seiner  Bitte,   Brandenburger  Belehrungen    mit    der 
Namensunterschriften  der  Schoppen  zu  versehen,  gleichwohl 
solche  Belehrungen  ohne  Namensunterschriften    erhalten    hat 
und  die  Bitte  mit  dem  Bemerken  wiederholt,  „fast  alle  andern 
Orte  brauchten  solche  Unterschriften",  lehnen  das  die  Branden- 
burger ab,    weil  es  nie  bei  ihrem  Schöppenstuhl  brauchlich 
gewesen,    sie  auch  jetzt  erhebliches  Bedenken  hätten,     es  zu 
thun.     Was  im  Schöppenstuhl  vorgeht,   ist  sein  Geheimniss, 
es  ist  nicht  für  die  Oeffentlichkeit  bestimmt.    Darum  schwört 
der  Schöppe  —  zwar  nicht  in  frühster,  aber  doch  in  späterer 
Zeit2)  —  „die  Urthel  geheim  zu  halten   und    solche    gefahr- 
licher Weise  nicht  zu  entdecken",  oder  „die  Heimlichkeiten 
des  Schöppenstuhls  Niemandem  zu  eröffnen",  und  auch   der 
Schöppenschreiber  leistet  einen  ähnlichen  Eid  (oben  S.  286). 

Sodann  findet  aber  ein  unverkennbares  Misstrauen  gegen 
die  Spruchbehörden  darin  seinen  Ausdruck,  dass  sogar  in 
den  gesetzlichen  Erlassen,  welche  von  der  Rechtsbelehrung 
handeln,  regelmässig  betont  wird,  es  habe  die  Versendung 
der  Akten  an  „unverdächtige"  oder  „unparteiische"  Spruch- 
behörden oder  Rechtsverständige  zu  geschehen,  und  dass  jeder 
Partei  ein  sogenanntes  „Exceptionsrecht",  d.  h.  das  Recht  zu- 
stehe, in  gewissem  Umfange  Einspruch  wider  die  eine  oder 
andere  gegnerischerseits  vorgeschlagene  Spruchbehörde  zu 
erheben.  Auch  die  Vorschrift,  dass  bei  den  ex  officio  vor- 
genommenen Aktenversendungen  der  Ort,  wohin  die  Ver- 
sendung erfolgt,  bis  zur  Publikation  des  Spruches  geheim 
gehalten  werden  soll,3)  beruht  auf  der  Annahme,  dass,  wenn 

l)  Vergl.  auch  ÜB.  4  167. 

a)  Siehe  oben  Seite  329.  331. 

3)  So  soll  nach  dem  Soldiner  Vertrag  von  1552  in  der  Neu  mark  die 
Aktenversendung,  wenn  sich  die  Parten  nicht  einigen,  „beiden  Parten  uo- 
•bewusst'*  erfolgen  (s.  oben  Seite  372).     Nach  der  Magdeb.  Pr.O.  von    r688 


Schluss.  591 

der  Ort  der  Versendung  bekannt  sei,  die  Parteien  in  unstatt- 
hafter Weise  auf  die  Spruchbehörde  einzuwirken  in  der  Lage 
wären.  Sogar  ein  städtischer  Bürgermeister  (der  von  Schivel- 
bein)  wagt  es  1609  (58  94),  in  Bezug  auf  ein  ihm  nicht  zu- 
sagendes Urtheil  der  Brandenburger  zu  äussern,  er  kenne  für 
seine  Person  „einen  Theil  der  Gesellen  wohl",  sie  würden 
sich  „mit  Uebersendung  von  Perlenhutschnur  und  Perlen- 
hauben haben  stechen  lassen",  wogegen  dann  beim  Landvogt 
die  Schoppen  Beschwerde  führend  vorstellen:  „Unsre  Vor- 
fahren und  wir,  denen  beide  diese  Chur-  und  Hauptstädte 
Brandenburg  von  der  hohen  Landesobrigkeit  mit  dem 
Schöppenstuhle  hieselbst  vor  vielen  undenklichen  Jahren  an- 
her  gnädigst  versehen,  haben  einzig  und  allein  dahin  ge- 
trachtet, dass  jedem  Konsulenten  ohne  einige  Parteilichkeit 
auf    sein    Begehren  Rechtens  widerfahre". 

Zur  Bestätigung  dessen  darf  bezeugt  werden,  dass  sich 
in  den  Akten  nirgends  auch  nur  die  leiseste  Spur  des  Ver- 
suchs einer  Beeinflussung  der  Schoppen  durch  Anerbieten 
persönlicher  Vortheile  gefunden  hat,  und  dass  auch  ausser 
der  eben  mitgetheilten  verdächtigenden  Aeusserung  einer 
Partei  eine  ähnliche  Aeusserung  nur  noch  einmal  dem 
Konsistorium  gegenüber  vorkommt,1)  die  aber  sachlich  ebenso 
unbegründet  gewesen  sein  wird,  wie  gleiche  heute  noch 
vorkommende  Aeusserungen  über  unsere  Gerichte  unbe- 
gründet wären. 

Ein  Recht,  auf  Grund  gehegten  Verdachtes  der  Partei- 
lichkeit, „wider  gewisse  Kollegien  zu  dem  Ende  zu  protestiren, 
damit  solche  Akten  an  solche  Kollegien  nicht  gesandt  werden 
mögen",  —  das  preussische  Edikt  vom  17.  Februar  1723 2) 
redet  von  3  speziell  zu  benennenden  Fakultäten  oder  Schöppen- 
stühlen,  deren  Zahl  nicht  zu  übersteigen  sei  —  erkennen  die 

Kap.  41  ist  den  Boten  bei  Staupschlägen  verboten,  zu  entdecken,  wohin  er 
verschickt  gewesen.  Nach  einer  Bemerkung  des  Brandenburger  Schoppen 
Kriele  (1703:  80  152)  ist  es  „sehr  gefährlich",  die  herumzutragenden  Akten 
den  Boten  anzuvertrauen,  ehe  sie  besiegelt.  Wegen  eines  Defekts  in  der 
Verpackung  spricht  (1733:  80  191)  bei  Rückkunft  der  Akten  ein  Vertreter 
der  Partei  in  Kleve  den  —  sich  als  grundlos  erweisenden  —  Verdacht  aus, 
das  Packet  sei  vorher  erbrochen  worden. 

!)  Siehe  oben  Seite  395.  2)  Mylius  c.  c.  m.  Th.  II  Abth.  1  3.  730. 


592  Scbluss. 

Brandenburger  (1731:  86  253)  in  einer  Entscheidung  ausdrück- 
lich an;   sie  vermissen  aber,  dass  die  Partei  nicht  zu  rechter 
Zeit  im  Termin  der  Akten-Inrotulation  ihren  Protest  erhoben 
habe.      In    Halle    konnten    nach    einem    Bericht    der    Stadt 
vom    29.   Juni    1701    „seit    seculis    drei   Fakultäten     eximirt 
werden'4.1)    In  einer  vor  Richter  und  Aktuar  der  Dorotheen- 
stadt  zu  Berlin  verhandelten  Konkurssache    hat    eine   Partei 
(1691:   79  692)    „wider   die   Universität    Frankfurt    und    alle 
churf.  brandenburgischen  Schöppenstühle  protestirt*4;  da  gleich- 
wohl die  Akten  vom  Gericht  nach  Brandenburg  gesandt  sind, 
damit  dort  das  Prioritätsurtheil  abgefasst  werde,   wollen  die 
Schoppen  Didden  und  Kriele  die  Akten  unerledigt  zurück- 
gehen lassen,  fugen  sich  aber  der  Ansicht  des  Seniors  Müller, 
dass  sie  ein  Urtheil  sprechen  und  die  Verantwortung  für  die 
Uebersendung  der  Akten  dem  Gericht   überlassen  könnten. 
Es  wird   nach  alledem  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass 
das  Verfahren  des  Brandenburger  Schöppenstuhls   an  argen 
Misständen  krankte,    an  Missständen,  die  in  der  ganzen  Ein- 
richtung des  Rechtsbelehrungswesens  ihre  Wurzel  hatten  und 
von    der    allgemeinen    Rechtsauffassung    der  Zeit    gefordert 
wurden.      Die    Missstände   sind    also   nicht    etwa    besondere 
Eigenthümlichkeiten   des  Brandenburger  Schöppenstuhls  ge- 
wesen,   sie    werden    sich  bei   anderen  Schöppenstühlen,  wie 
auch   bei  den  Juristenfakultäten  in  gleicher  Weise  gefunden 
haben.     Hiervon  frommt  es,  Kenntniss  zu  nehmen,  wenn  man 
ständigen  Tadel  unserer  heutigen  Rechtspflege  aussprechen 
hört.     Der  Fortschritt  in  der  Entwickelung  unserer  Rechts- 
pflege   ist    im  letzten  Jahrhundert  gegensätzlich  zu  den  vor- 
hergehenden   Jahrhunderten    ein    gewaltiger.      Am    meisten 
gilt    das    von    der   Strafrechtspflege.      Bei   manchen    Einzel- 
heiten ist  das  bereits  angedeutet  worden;  es  muss  noch  klarer 
hervortreten,    wenn    unsere    folgende    Darstellung    auf    das 
Strafverfahren  und  die  Gestaltung  der  Anwendung  der  Straf- 
gesetze des  Näheren  eingeht.     Nur  lag  darin  ein  Vorzug  des 
Verfahrens  in  Strafsachen,  dass  hier  wenigstens  eine  einheit- 
liche Instanz  insofern  gesichert  war,  als  das  Urtheil  bei  wichtigen 
Sachen     in   Brandenburg     eingeholt    werden    musste     und 

*)  Akten  des  OLG.  Naumburg,  betr.  Einsendung  der  Akta  etc. 


Schluss.  593 

die  Sprüche  anderer  Oberhöfe,  um  in  Vollzug  gesetzt  zu 
werden,  der  Sanktionirung  durch  einen  Brandenburger  Spruch 
bedurften.  Ein  gleicher  Satz  galt  nicht  für  Civilsachen;  hier 
konnte  sich  das  anfragende  Gericht  mit  dem  bei  einem  an- 
dern als  dem  Brandenburger  Schöppenstuhle  eingeholten 
Spruch  begnügen.  Daneben  hat  sich  auch  im  Uebrigen,  soweit 
das  Verfahren  in  Civilsachen  in  Betracht  gezogen  wird, 
nicht  viel  Rühmliches  gezeigt  und  wird  sich  des  Weiteren 
nicht  zeigen;  ja  gerade  die  prozessualische  Gestaltung,  in 
die  allmählich  das  Belehrungswesen  sich  auswuchs,  musste 
ihm  sein  Ende  bereiten.  Mehr  Lobenswerthes  bietet  die  Ent- 
wickelung  des  materiellen  (Zivilrechts,  soweit  sie  in  die 
Hand  der  Schöppenstuhle  gelegt  war.  Hier  kamen  sie  un- 
verkennbar einem  lebhaften  Bedürfniss  entgegen,  namentlich 
in  Territorien,  in  denen  nicht  ein  festgegliedertes,  mit  gelehrten 
Räthen.  besetztes  Gerichtskolleg  oder  eine  Juristenfakultät 
den  Schöppenstühlen  den  Lebensfaden  abschnitt.  Dies  wider- 
fuhr dem  Brandenburger  Schöppenstuhl,  wie  sich  gezeigt 
hat,  weder  durch  das  Kammergericht  zu  Berlin,  noch  durch 
die  Universität  zu  Frankfurt.  Im  Gegentheil  haben  wir  er- 
kannt, dass  theils  in  Folge  der  beschränkten  Zuständigkeit 
des  Kammergerichts  und  seiner  Instruktion,  möglichst  die 
Parteien  vergleichsweise  zu  verabschieden,  theils  in  Folge 
des  Niedergangs  der  Universität  Frankfurt  gegen  Ende  des 
sechzehnten  Jahrhunderts  der  Brandenburger  Schöppenstuhl, 
den  die  Joachimica  zu  neuem  Leben  erweckt  hatte,  nament- 
lich in  erb-  und  güterrechtlichen  Streitigkeiten  die  Zuflucht- 
stätte der  gesammten  Mark  und  ihrer  Umgebung  wurde. 
So  fiel  gerade  diesem  Schöppenstuhl  ein  besonders  starker 
Antheil  an  der  Umgestaltung  des  Civilrechts  zu,  wie  sie  sich 
von  der  Mitte  des  sechzehnten  Jahrhunderts  ab  in  der  Mark 
vollzog.  Aktenversendung  nach  Brandenburg,  das  war  der 
Nothbehelf  für  die  rechtsuchenden  Parteien  und  für  die  an 
sich  zur  Rechtsprechung  berufenen,  aber  dazu  nicht  genügend 
geschickten  zahlreichen  Gerichte  des  Landes.  Für  sie  Alle 
war  der  Schöppenstuhl  zu  Brandenburg  eine  Wohlthat.  Er 
hat  nach  bestem  Können  seines  Amtes  gewaltet.  Kräfte, 
die    für    ihre    Zeit    tüchtig,    gewissenhaft  und  arbeitsfreudig 

Stolze),  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  38 


594:  Schluss. 

waren,  standen  ihm  zur  Verfugung.  Nicht,  weil  er  sich  un- 
fähig zur  Losung  seiner  Aufgaben  erwiesen  hätte,  oder  weil 
er  genöthigt  gewesen  wäre,  dem  eindringenden  g-elehrten 
Rechte  zu  weichen,  ist  er  eines  langsamen  Todes  verblichen, 
sondern  weil  sich  mit  den  Grundsätzen  des  modernen  Staats- 
wesens auch  hier,  wie  bei  andern  Oberhöfen,  die  Einholung 
einer  aussergerichtlichen  Rechtsbelehrung,  welche  für  die 
allein  zur  Entscheidung  berufenen  Instanzgerichte  massgebend 
sein  sollte,  als  unvereinbar  erwies. 

Dass  im  Laufe  des  achtzehnten  Jahrhunderts,  als  die 
Auswüchse  das  Belehrungswesens  jedem  Unbefangenen  sicht- 
bar vor  Augen  lagen,  das  scharfe  Urtheil  Friedrichs  des  Grossen 
über  die  unter  Häufung  der  Aktentransmissionen  leidende 
Rechtspflege  —  abgesehen  von  dem  schwerlich  mit  genügen- 
dem Grunde  ausgesprochenen  Vorwurfe  der  Käuflichkeit 
der  Justiz  —  seine  volle  Berechtigung  hatte,  wird  durch 
einen  Einblick  in  die  Einzelheiten  der  Entwickelung-  des 
Brandenburger  Schöppenstuhls  bestätigt  worden  sein.  Aber 
auch  aus  überlebten  Einrichtungen  lassen  sich  hier  und 
da  nützliche  Lehren  für  die  Gegenwart  oder  für  die  Zu- 
kunft ziehen.  Nach  verschiedenen  Richtungen  hatte  die 
Rechtspflege  zur  Blüthezeit  der  Schöppenstühle  nicht  gering 
anzuschlagende  Vorzüge;  sie  ermöglichte  rasche  und  billige 
Entscheidungen  und  kam  aus  mit  einem  Minimum  von  Schreib- 
werk. Dass  nach  diesen  Richtungen  hin  bei  den  heutigen 
vielfach  ausserordentlich  verwickelter  gewordenen  Rechts- 
verhältnissen ein  Schöppenstuhl  schlechthin  uns  als  Muster 
dienen  könnte,  wird  kein  Verständiger  behaupten  wollen. 
Immerhin  kommen  viele  Prozesse  vor,  in  denen  sich  — 
ähnlich  wie  bei  dem  mehrgenannten  Falle,  der  sich  1539 
in  der  Familie  von  Bismarck  zutrug  (s.  S.  577)  —  der  Streit 
ausschliesslich  auf  eine  zu  entscheidende  Frage  beschränkt, 
und  deshalb  wäre  es  doch  der  Erwägung  werth,  ob  sich  nicht 
eine  autoritative  Instanz  schaffen  Hesse,  bei  der  die  Parteien 
auf  kurze  schriftliche  Darstellung  ihres  Streitpunktes  hin  rasch 
und  ohne  allzugrossen  Kostenaufwand  eine  ebenso  kurze  Ent- 
scheidung erhielten.  Ferner  Hesse  sich  angesichts  der  grossen 
Geschäftslast    sehr    vieler    unserer    Gerichte   die  Frage  auf- 


Schiuss.  595 

werfen,  mit  welchen  Mitteln  etwa  eine  erhebliche  Minderung 
des  Schreibwerkes  zu  erzielen   wäre.     Hier  stände  zunächst 
nichts    entgegen,    dass    die   oberen    Instanzen    in    Fällen,    in 
denen    ihrer    Ansicht    nach   die  untere  Instanz  eine  richtige 
Entscheidung  getroffen  und  sie  richtig  begründet  hat,  wieder 
dazu  übergingen,  die  vorinstanzliche  Entscheidung  einfach  aus 
deren  nicht   widerlegten  Gründen  zu  billigen  und  nach  dem 
klassischen  Vorbilde  der  Brandenburger  Schoppen  [des  Jahres 
1495  (oben  S.  281)  zu  sagen:  „dar  late  wy  dat  so  by  bliven 
na  unsen  bedunken",  statt  ausführlich  mit  andern  Wendungen 
dasselbe  nochmals  zu  sagen,    was  der  Vorderrichter  bereits 
gesagt  hat.     Menschenalter  hindurch  ist  noch  im  neunzehnten 
Jahrhundert  bei   hochangesehenen   Gerichten  die  Formel  der 
„nicht  widerlegten  vorinstanzlichen  Entscheidungsgründe"  an- 
gewendet worden,  ohne  dass  man  an  ihr  jemals  irgendwelchen 
Anstand   nahm,   und  ohne  dass  die  Gründlichkeit  der  Sach- 
prüfung jemals  dadurch  gelitten  hätte.     Ausserdem  käme  in 
Frage,    ob    sich    nicht    den  Parteien  in  Rückkehr  zu    einem 
alten  Brauche    wieder  gestatten   Hesse,    auf  Mittheilung   der 
für    sie    vielfach    gleichgültigen    Entscheidungsgründe    Ver- 
zicht zu  leisten  und  sich  mit  der  Urtheilsformel  zu  begnügen, 
was  dann  zugleich  eine  erspriessliche  Minderung  der  Kosten- 
last   zur    Folge   haben   müsste.     Offensichtlich  befindet  sich 
schon   seit  lange,    namentlich  aber  seit  der  Wiederbelebung 
des    mündlichen  Verfahrens,    die  das  Aktenwesen  des  acht- 
zehnten und  auch  noch  eines  grossen  Theiles  des  neunzehnten 
Jahrhunderts  beherrschende  Schreibseligkeit  in  rückläufiger 
Bewegung.     Indess  hat  noch  immer  das  Wort  des  Preussi- 
schen  Finanzministers  von  Motz  aus  den  1820er  Jahren  seine 
Berechtigung:  „es  wird  allenthalben,  namentlich  aber  bei  uns 
zu  viel  geschrieben". 

Dieser  rückläufigen  Bewegung  wird  Vorschub  zu  leisten 
sein,  wo  es  nur  immer  möglich  erscheint.  Auch  von  den 
Schöffenstühlen  zu  lernen,  was  annehmbar  ist,  braucht  die 
Gegenwart  kein  Bedenken  zu  tragen,  so  sehr  sie  dieselben  in 
dem  überholt  haben  mag,  was  einen  geordneten  und  gesicherten 
Rechtsgang,  sowie  eine  gewissenhafte  und  sachgemässe,  auf 
festen  Grundlagen  ruhende  Rechtsprechung  verbürgt. 

38* 


Tabelle 


Qber  das 


Personal  des  Brandenburger 
Schöppenstuhls, 


soweit  es  sich  hat  ermitteln  lassen. 


A.    Schöppenschreiber  des  Branden- 


i.  Schöppenschreiber 
der  Altstadt. 


1401  Petrus  Sartach,       J 
Schulmeister. 

1528 — 1535  LorenzDemker.  , 

1535 — 1548  Andreas     Acker-  ; 
mann.  i 

1551 — 1562  Mag.  Simon 
Roter. 

1563 — i566Gregorius  Bol- 
dicke. 

1 566—  1 568  Michael       Dober- 
gast. 

1569 — 1576  Siegmund  Bar- 
deleben. 

1576 — 1585  ZachariasGarz. 

1586 — 1592  Mag.Gregorius 
Bluhm. 

1592— 1601  Mag.     David 
Kuhns. 

1602 — 16 11  Michael  Düring. 

1612  — 1619  Mag.       Peter 
Weitzke. 

1620 — 1622  Christian    Bar- 
deleben. 


2.  Schöppenschreiber 
der  Neustadt 

1330  Everhardus,rector 

scolarium. 
1386.    1407  Johann  Golwitz. 
i486 —  1 508  Petrus  Teydener. 
1518 — 1522  Nicolaus  Plaue. 
1529 — 1539  [Bartholomäus 

Pletz,   presbyter]. 
1540 — 1548  Johann  Schleswig. 

x55° — i559SimonCarpzow. 

I559-~I5^5  Johann  Mawe. 

l&5— x573  Joachim       H  ei- 
natz. 


1577 — 1582  Mag.  Bartholo- 
mäus Boldicke. 

1588— 1591  Johannes  Flo- 
ring. 


1602— 161 2  Carl  Michael  Vos- 
bein. 

1615 — 1623  Johannes    Tor 
now. 


burger  Schöppenstuhls.1) 


i.   Schöppenschreiber 
der  Altstadt. 

1622 — 1631  Caspar  Düring. 

1 632 — 1637  [Friedrich    Blech- 
schmidt]. 

1638 — 1641  Johannes  Ortelius. 

1643 — x^4^  Ludovicus 
Saxonius. 


2.   Schöppenschreiber 
der  Neustadt. 

1624 — 163 1  [Johann  Karge]. 
1632  —1637  Mag.     Andreas 

Moritz. 
1638 — 1645  Bartholomäus 

Schwarz. 


3.   Secretarii  scabinatus. 

Conrad  Julius  Berchelmann. 

Joachim  Conrad  Heldt. 

Melchior  Knüttel. 

Johann  Melchior  Junius. 

Benedict  Conrad  Pfreundt. 

Johann  Wolfgang  Steltzner. 

Joachim  Friedrich  Kriele. 

Balthasar  Friedrich  Katsch. 

Gabriel  Gottfried  Müller. 

Johann  Gebhard  Martin  Tappenbeck. 


l)  Die   Namen    der  Schöppenschreiber,    welche    Schoppen  geworden 
sind,  sind  gesperrt  gedruckt;  vgl.  Liste  B. 


1663 

1671  — 

1677 

1680— 

1684 

1685- 

1691 

1691 — 

1692 

1692 — 

1707 

1707— 

1714 

1714- 

1734 

1734- 

1778 

1778- 

> 

• 

B.   Schoppen  des  Branden- 
I.  Bis  zur  Vereinigung  der 

i.   Schoppen  der  Altstadt. 


1530 — 1535  [Hans  Trebow,  Valentin  Schmidt]. 

1536 — 1549  [Hans    Trebow,      Valentin    Schmidt,      Lorenz 

Demker]. 
1550  [Valentin   Schmidt,     Lorenz   Demker,    Thomas 

Liep]. 
1551 — 1554  Valentin    Schmidt,     [Thomas    Liep,    Matthias 

Bardeleben,   Andreas  Schuller]. 
x555 — *557  Valentin  Schmidt,  Matthias  Bardeleben,  [Andreas 

Schüller]. 

1558  Valentin  Schmidt,  Matthias  Bardeleben,  [Andreas 
Schuller,  Antonius  Holstein]. 

1559  Valentin  Schmidt,  Matthias  Bardeleben,  [Andreas 
Schuller,  Antonius  Holstein],  Marcus  Mey  nicke. 

1560 — 1561  Valentin  Schmidt,  Matthias  Bardeleben,  [Andreas 

Schuller,  Antonius  Holstein]. 
1562 — 1564  Matthias  Bardeleben,   [Andreas  Schuller],  Mag. 

Simon  Roter. 
1565 — 1570  Matthias  Bardeleben,    [Andreas  Schuller],    Mag. 

Simon  Roter,  [Joachim  Damsdorf,  Gregorius 

Boldicke] 

1 571  — 1572  Matthias  Bardeleben,    [Andreas  Schuller],    Mag. 

Simon    Roter,    Joachim    Damsdorf,    [Friedrich 
Garz]. 


burger  Schöppenstuhls.1) 
beiden  Städte  Brandenburg. 

2.    Schoppen  der  Neustadt 

492  Claus  von  Gulen. 

494  Claus  von  Gulen,  Andreas  Grelle,  Claus  Olste. 
545  Clemens  Storbeck. 
1546 — 1549  Clemens    Storbeck,    Gregorius    Bester,    Au- 
gustin Krüger,  Hans  Nickel. 
550  [Gregorius  Bester,  Augustin  Kruger,  Hans  Nickel]. 


1551— 
*555- 
1558- 

1560— 
1564— 
1566- 

1567— 
l57°— 
"57«— 


554  Gregorius  Bester,  [Augustin  Krüger],  Hans  Nickel. 
557  Gregorius  Bester,  [Augustin  Krüger]. 

559  Gregorius    Bester,     Augustin    Krüger,     [Lucas 
Scholle], 

560  Augustin     Krüger,      [Lucas     Scholle],      Simon 
Carpzow. 

564  Augustin  Krüger,  [Lucas  Scholle],  Simon  Carp- 
zow, Matthias  Vielitz. 

566  Augustin  Krüger,  [Lucas  Scholle],  Simon  Carp- 
zow, [Franz  Welsow]. 

567  Augustin  Krüger,  Lucas  Scholle,  Simon  Carpzow, 
[Franz  Welsow],  Johann  Mawe. 

570  Lucas  Scholle,  Simon  Carpzow,  Franz  Welsow, 
Johann  Mawe. 

572  Lucas  Scholle,    Simon  Carpzow,   Franz  Welsow, 
Johann  Mawe,  Michael  Iden. 

573  Lucas  Scholle,   Simon  Carpzow,   Franz  Welsow, 
Michael  Iden. 


*)  Die  eckige  Klammer  bedeutet,  dass  sichere  urkundliche  Belege 
fehlen.  Die  Schoppen,  deren  Namen  gesperrt  gedruckt  sind,  sind  im  ersten 
Jahre  des  betreffenden  Zeitraums  neu  hinzugetreten. 


602  l.   Schoppen  der  Altstadt. 

1573 — 1576  [Matthias  Bardeleben,    Andreas  Schuller],    Mag. 

Simon      Roter,      [Friedrich     Garz],      Valentin 
Schwarz. 

1577 — 158 1  Andreas  Schuller,  Mag.  Simon  Roter,  [Friedrich 

Garz],    Valentin  Schwarz,    Siegmund   Barde- 
leben. 

1582 — 1584  Andreas  Schuller,    Mag.  Simon  Roter,    Valentin 

Schwarz,      Siegmund     Bardeleben,      [Andreas 
Dietrich]. 

1585 — 1586  Mag.  Simon  Roter,  Valentin  Schwarz,  Siegmund 

Bardeleben,     [Andreas     Dietrich],      Zacharias 
Garz. 

1586 — 1589  Mag.  Simon  Roter,  Valentin  Schwarz,  Siegmund 

Bardeleben,  [Andreas  Dietrich,  Mag.  Johannes 
Lampertus]. 

1589 — 1592  Mag.  Simon  Roter,    Valentin  Schwarz,    Andreas 

Dietrich,  [Mag.  Johannes  Lampertus], 

1592 — 1595  Mag.  Simon  Roter,    Valentin  Schwarz,    Andreas 

Dietrich,  Mag.  Johannes  Lampertus,  Mag.  Gre- 
gorius  Bluhm. 

1595 — 1598  Valentin    Schwarz,    Andreas   Dietrich,    Mag.  Jo- 
hannes Lampertus,  Mag.  Gregorius  Bluhm. 
1599  [Valentin  Schwarz,   Andreas  Dietrich],   Mag.  Jo- 
hannes Lampertus,    Mag.  Gregorius  Bluhm,    Jo- 
hannes Grell. 

1600 — 1601  [Andreas  Dietrich],    Mag.  Johannes   Lampertus, 

Mag.   Gregorius    Bluhm,    Johannes  Grell,    Mag. 
Caspar  Praetorius. 

1601 — 1605  Mag.  Johannes  Lampertus,  Mag.  Gregorius  Bluhm, 

Johannes  Grell,    Mag.  Caspar  Praetorius,    Mag. 
David  Kuhns. 

1606 — 1607  Mag.  Johannes  Lampertus,  Mag.  Gregorius  Bluhm, 

Johannes  Grell,  Mag.  Caspar  Praetorius. 

1607 — 1609  Mag.    Gregorius    Bluhm,    Andreas    Grell,    Mag. 

Caspar  Praetorius. 

1609 — 16 12  Mag.    Gregorius    Bluhm,    Johannes    Grell,    Mag. 

Caspar   Praetorius,    Mag.  Caspar  Haveland, 
Georg  Chueden. 


2.  Schoppen  der  Neustadt  60$ 

1573 — 1576  Lucas  Scholle,    Simon  Carpzow,  Franz  Welsowv 

Michael  Iden,  Joachim  Heinatz. 

1577 — 1581  Simon  Carpzow,   Michael  Iden,   Jacob  Poppe, 

[Thomas  Storbeck]. 


1582— 1589  Michael  Iden,   Jacob  Poppe,    Thomas  Storbeck, 

Mag.    Conrad    Zabel,    Mag.  Bartholomäus 

Boldicke. 
1590  Michael  Iden,    Thomas  Storbeck,    Mag.  Conrad 

Zabel,  Mag.  Bartholomäus  Boldicke. 
1591  — 1595  Michael  Iden,   Thomas  Storbeck,    Mag.  Conrad 

Zabel,  Mag.  Bartholomäus  Boldicke,    Johannes 

Floring. 
1596 — 1597  Michael  Iden,   Thomas    Storbeck,    Mag.  Conrad 

Zabel,  Johannes  Floring,  [Joachim  Buchholtz]. 


1 


1598 — 1601  Thomas  Storbeck,  Mag.  Conrad  Zabel,  Johannes 

Floring,    Joachim  Buchholtz,    Michael  Nickel. 

1602 — 1603  Thomas   Storbeck,    Johannes  .  Floring,    Joachim 

Buchholtz,  Michael  Nickel. 


1604 — f6i2  Thomas    Storbeck,    Johannes    Floring,     Michael 

Nickel,  Bernhard  Zieritz. 


604 


i.  Schoppen  der  Altstadt. 


1612 — 


1620 — 


1622 — 


1630— 
1638- 

1648— 
1650— 

1654— 
1656- 

1657— 
1663— 


1665- 


1677- 

1696 — 

1700— 
1703— 


1707— 


1711 
i7J3- 


620  Johannes  Grell,   Mag.  Caspar  Haveland,    Georg 

Chueden. 
622  Mag.  Caspar  Haveland,  Georg  Chueden,  Joachim 

Tieffenbach. 
630  Georg    Chueden,    Joachim    Tieffenbach,    Mag. 

Peter  Weitzke,  Christian  Bardeleben. 

638  Georg  Chueden,  Joachim  Tieffenbach,  Mag.  Peter 

Weitzke. 
648  Georg  Chueden,  Mag.  Peter  Weitzke. 

650  Georg  Chueden,  Ludovicus  Saxonius. 

653  Georg  Chueden,    Ludovicus   Saxonius,    Caspar 

Junius. 
655  Ludovicus  Saxonius,  Caspar  Junius. 
657  Ludovicus    Saxonius,    Caspar   Junius,    Dr.  jur. 

David  Cichorius. 
662  Ludovicus  Saxonius,    Dr.   jur.    David    Cichorius, 

Lic.  jur.  Guilelmus  Böckel. 
664  Ludovicus   Saxonius,    Dr.  jur.    David    Cichorius, 

Conrad  Julius  Berchelmann. 

677  Dr.  jur.  David  Cichorius,  Conrad  Julius  Berchel- 
mann, Friedrich  Kriele. 

695  Conrad    Julius    Berchelmann,    Friedrich   Kriele, 

Lic.  jur.  Bernhard  Didden. 
700  Friedrich    Kriele,     Lic.    jur.    Bernhard    Didden, 

Friedrich  Katsch. 
703  Friedrich  Kriele,  Friedrich  Katsch. 
706  Friedrich    Kriele,     Friedrich     Katsch,     Johann 

Christian  Hannemann. 
711  Friedrich  Katsch,   Johann   Christian  Hannemann, 

Johann  Wolfgang  Steltzner. 

713  Friedrich  Katsch,  Johann  Wolf  gang  Steltzner. 
715  Friedrich   Katsch,    Johann   Wolf  gang   Steltzner, 
Paul  Lange. 


2.  Schoppen  der  Neustadt.  605 

1612 — 161 7  Johannes  Floring,  Bernhard  Zieritz. 


1617 — 

1624— 

1630 — 
1633- 

1642 — 

1643- 
1645- 

1648— 
1651— 

1660— 

1661— 

1667 — 
1670 — 

1678— 
1680- 

1691  — 

1696 — 
1697— 

1706— 
1707— 


624  Johannes  Floring,  Bernhard  Zieritz,  Johann 
Buchholtz,    Johann  Iden,  Joachim  Schale. 

630  Bernhard  Zieritz,  Johann  Buchholtz,  Johann  Iden» 
Joachim  Schale,  [Johann  Tornow], 

632  Bernhard  Zieritz,  Joachim  Schale. 

642  Bernhard  Zieritz,  Joachim  Schale,  [Matthias 
Buchholtz]. 

643  Joachim  Schale,  [Matthias  Buchholtz],  Ma*2 
Andreas  Moritz. 

645  [Matthias  Buchholtz J,  Mag.  Andreas  Moritz. 

648  Matthias  Buchholtz,  Mag.  Andreas  Moritz,  Bar- 
tholomäus Schwarz. 

651  Mag.  Andreas  Moritz,  Bartholomäus  Schwarz. 

659  Mag.  Andreas  Moritz,  Bartholomeus  Schwarz,. 
Carolus  Nicolai,  Peter  Müller. 

661  Mag.  Andreas  Moritz,  Bartholomäus  Schwarz, 
Peter  Müller,  Dr.  jur.  Michael  Müller. 

667  Bartholomäus  Schwarz,  Peter  Müller,  Dr.  jur. 
Michael  Müller. 

670  Peter  Müller,  Dr.  jur.  Michael  Müller. 

678  Peter  Müller,  Dr.  jur.  Michael  Müller,  Dr.  jur. 
Johannes  Cramer. 

680  Dr.  jur.  Michael  Müller,  Dr.  jur.  Johannes  Cramer. 

691  Dr.  jur.  Michael  Müller,  Dr.  jur.  Johannes  Cramer» 
Benedict  Conrad  Pfreundt. 

696  Dr.  jur.  Michael  Müller,  Dr.  jur.  Johannes  Cramer. 

697  Dr.  jur.  Michael  Müller,  Ludwig  Claepius. 

706  Dr.  jur.  Michael  Müller,  Ludwig  Claepius,  Jo- 
achim Friedrich  Pfreundt. 

707  Ludwig    Claepius,    Joachim    Friedrich    Pfreundt. 
714  Ludwig    Claepius,    Joachim    Friedrich    Pfreundt» 

Martin  Heins. 


17 14 — 17 15  Joachim  Friedrich  Pfreundt,  Martin  Heins. 


«06 


IL  Scabini  seit  der  Vereinigung 

1715— 1717  Friedrich    Katsch,    Joachim    Friedrich    Pfreuxidt, 

Martin  Heins,   Johann  Wolfgang  Steltzner,    Paul 
Lange. 

171 8  Friedrich  Katsch,  Martin  Heins,  Johann  Wolfgang 
Steltzner,  Paul  Lange. 

17 19  Friedrich  Katsch,  Martin  Heins,  Johann  Wolfgang 
Steltzner,  Paul  Lange,  Joachim  Knackrügge. 

1720 — 1722  Friedrich  Katsch,  Martin  Heins,  Johann  Wolfgang 

Steltzner,     Paul    Lange,    Joachim    Knackrügge, 
Johann  August  Giesecke. 

1723—1724  Martin  Heins,   Johann  Wolfgang  Steltzner,    Paul 

Lange,    Joachim    Knackrügge,    Johann    August 
Giesecke,   Justus  Heinrich  Oelschläger. 

1724 — 1730  [Johann  Wolfgang  Steltzner],  Paul  Lange,  Joachim 

Knackrügge,    Johann    August   Giesecke,    Justus 
Heinrich  Oelschläger. 

l73° — x733  [Johann   Wolfgang    Steltzner],     Johann   August 

Giesecke,  Justus  Heinrich  Oelschläger. 

1734 — 1738  Johann  August  Giesecke,  Justus  Heinrich  Oel- 
schläger, Joachim  Ernst  Plümicke. 

1738 — 1740  Johann  August   Giesecke,   Justus  Heinrich  Oel-         J 

schläger,    Joachim    Ernst    Plümicke,    Joachim         ' 
Christoph  Steinfeld,   Wichmann  Gottlieb 
Schütte. 

1740 — 1747  Johann  August  Giesecke,  Justus  Heinrich  Oel- 
schläger, Joachim  Ernst  Plümicke,  Joachim 
Christoph  Steinfeld,  Wichmann  Gottlieb  Schütte, 
Christoph  Bernhard  Braun. 

1 747  —  1 756  Johann  August  Giesecke,  Joachim  Ernst  Plümicke, 

Joachim  Christoph  Steinfeld,  Wichmann  Gottlieb 
Schütte,  Christoph  Bernhard  Braun,  Georg 
Friedrich  Grust. 


607 


beider  Städte  Brandenburg. 

1 756  -  1 759  Johann    August    Giesecke,    Joachim    Christoph 

Steinfeld,  Wichmann  Gottlieb  Schütte,  Christoph 
Bernhard  Braun,  Georg  Friedrich  Grast. 

1 759—  1 768  Joachim  Christoph  Steinfeld,  Wichmann  Gottlieb 

Schütte,  Christoph  Bernhard  Braun,  Georg  Fried- 
rich Grust. 

1769 — 1776  Joachim  Christoph  Steinfeld,  Wichmann  Gottlieb 

Schütte,     Georg    Friedrich     Grust,     Emanuel 
Richter. 

1776 — 1778  Joachim    Christoph    Steinfeld,    Georg   Friedrich 

Grust,  Emanuel  Richter. 

1778 — 1779  Joachim    Christoph   Steinfeld,    Georg   Friedrich 

Grust,  Johann  Friedrich  Pauli. 

1780 — 1783  Joachim    Christoph    Steinfeld,    Georg   Friedrich 

Grust,    Carl  Wilhelm  Hugo,    Julius  Albert 
Rudolphi. 

1783  — 1784  Joachim    Christoph    Steinfeld,    Georg   Friedrich 

Grust,  Julius  Albert  Rudolphi,  Zierhold. 

1784 — 1796  Julius  Albert  Rudolphi,  Zierhold,  Fabricius. 

1797 — 1801  Julius    Albert    Rudolphi,    Zierhold,    Friedrich 

Ludwig  Uhde. 

1802— 1809  Zierhold,     Friedrich    Ludwig    Uhde,    Samuel 

Dietrich  Steinbeck. 

1809 — 181 7  Zierhold,  Samuel  Friedrich  Steinbeck. 


C    Senioren  der  Schoppen 


i.   Senioren 
der  Altstädtischen  Schoppen. 

1530 — 1549  [Hans  Trebow]. 
1 550—1 561  Valentin  Schmidt. 

1 56 1  —  1 576  Matthias  Barde- 
leben. 

1577 — 1584  Andreas  Schuller. 

1 584 —  1 595  Mag.  Simon  Roter. 

1595 — 1598  Valentin  Schwarz. 
1 599[Valentin  Schwarz] 

1600 — 1601  [Andreas  Diet- 
rich], 

1 60 1 — 1 607  Mag.  Johannes 
Lampertus. 

1 607 — 16 1 2  Mag.  Gregorius 
Bluhm. 

1612 — 1620  Johannes  Grell. 

1620 — 1622  Mag.  Caspar  Ha- 
veland. 


2.   Senioren 
der  Neustädtischen  Schoppen. 

1492 — 1494  Claus  von   Gulea. 
1546— 1559  [Augustin  Krüger 
oder       Gregorius 
Bester]. 
1559 — 1567  Augustin  Krüger. 
1567 — 1576  Lucas  Scholle. 
I  1576 — 1581  Simon  Carpzow. 
i   1581 — 1597  Michael  Iden. 

1597 — 161 2  Thomas  Storbeck. 


1622 — 1653  Georg  Chueden. 


1 654 —  1 664  Ludovicus    Saxo- 

nius. 
1665 — 1677  [Dr.    jur.     David 

CichoriusJ. 


161 2 — 1624  Johannes  Floring. 


1624 — 1642  Bernhard  Zieritz. 
|  1642 — 1643  Joachim  Schale. 
j   1645 — 1648  [Matthias      Buch- 

holtz    oder    Mag. 

Andreas    Moritz]. 
1645 — 1661  Mag.         Andreas 

Moritz. 
|   1 66 1  —  1 667  [Bartholomeus 
|  Schwarz]. 

!  1667— 1678  [Peter  Müller]. 


beider  Städte  Brandenburg. 

3.   Senioren  des  Skabinats  zu  Brandenburg. 

1664 — 1667  [Bartholomeus  Schwarz]. 

1667— 1678  [Peter  Müller]. 

1678 — 1706  Dr.  jur.  Michael  Müller. 

1706 — 1707  Friedrich  Kriele. 

1707 — 17 14  Ludwig  Claepius. 

1714— 1722  Friedrich  Katsch. 

1722 — 1724  Martin  Heins. 

1724— 1730  [Johann  Wolfgang  Steltzner   oder   Paul  Lange]. 

x73° — x733  [Johann  Wolfgang  Steltzner  oder  Johann  August 

Giesecke]. 
1733 — 1759  Johann  August  Giesecke. 
1759 — 1784  Joachim  Christoph  Steinfeld. 
1784 — 1801  Julius  Albert  Rudolphi. 
1801 — 18 17  Zierhold. 


Stölzel,  Entw.  d.  gelehrten  Rechtsprechung.    I.  39 


Nachträge  und  Berichtigungen. 

Zu  S.  ii.  Die  Bemerkung,  dass  schon  1497  sich  unter  den  Schöpper 
Magdeburgs  Doktoren  fanden,  ist  für  Magdeburg  nicht  sicher,  wo\ 
aber  für  Halle.    Vgl.  S.  246. 

Zu  S.  29.  Die  älteren  Sprüche  der  Brandenburger  Spruchsammlung  in  ÜB 
4  sind  von  1456.  i486.  1503  und  1515  (vgl.  S.  285),  nicht  von  1451. 
1474.   1515  und  1540. 

Zu  S.  39.  49.  61.  91.  98.  102.  127.  138.  143.  165.  185.  205.  214.  215  ist  in  de: 
betr.  Noten  statt  rTschirschu  zu  lesen  „Tschirch4*. 

Zu  S.  43.  Die  Resultate  der  Untersuchung  des  Walles  am  Riwendtsee  sin ! 
inmittels  in  den  „Nachrichten  über  deutsche  Alterthumsfunde*  Heft  2 
1901  S.  17  ff.  veröffentlicht.  Am  Schlüsse  seines  Berichts  weist  Herr 
Dr.  Götze  darauf  hin,  dass  auch  anderwärts,  z.  B.  in  Thüringen,  vor- 
geschichtliche umwallte  Plätze  in  historischer  Zeit  als  Gerich tsstätter 
benutzt  sind.    Uebrigens  ist  auf  S.  43  Z.  7  v.  o.  „ganze"  zu  streichen. 

S.  71  Z.  18  v.  o.  ist  statt  „Kurfürst"  zu  lesen  „Markgraf  Johann  Georg". 

S.  118  Z.  5  v.  u.  statt  WUB.  1  64"  ÜB.  1  56. 

Zu  S.  155.  156  vergl.  über  L.  Scholle  auch  ÜB.  4  100. 

Zu  S.  205  ff.  Noch  heute  hat  jedes  Franziskanerkloster  für  seine  weltlichen 
Geschäfte  einen  syndicus  apostolicus  als  Vertreter,  der  im  Kloster 
nicht  wohnen  darf  und  eine  besondere  Vertrauensstellung  einnimmt 
Ein  solcher  Syndikus  mag  Viti  gewesen  sein. 

S.  296  Z.  14  v.  u.  statt  „§  38"  §  40. 

S.  421   Z.  13  v.  o.  statt  „Erbsessenen"  Erbsessen. 

S.  427  Z.  1 1   v.  o.  statt  „Unterhanen"  Unterthanen. 


Wilhelm  Gronau's  Buchdruckerei,  SchÖneberr-  Berlin. 


Siegel  des  Brandenburger  SchÖppenstuhls. 


SIC.ILI.VM  SCABINOKVM  S  .  SCAUINOKVM   AMBARVM 

BRANDENBVRGENS1VM  CiVITATVM  BRAND  ENBVRG 


utem  Felde  seit  c.   1550 

;  gebraucht.  in  der  Neustadt  gebraucht. 


feccetum  fcnbinonim 
nuoc  cioitut  brant) 


1  der  Altstadt  gebraucht. 


1