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DIE ERFINDUNG
DER
Drahtseilbahnen.
G. DIETERICH
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DIEERFINDUNG
DER DRAHTSEILBAHNEN
EINE STUDIE
AUS DER ENTWICKLUNGSOESCHICHTE
DES INOENIEURWESENS
VON
DIREKTOR Q. DIETERICH
W
VERLAG
HERMANN ZIEGER :: LEIPZIG
1908
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J .1 .
Geleitwort.
Vergraben ist in ewiger Nacht
Der Erfinder grosser Name zu oft.
Was ihr Geist grtibelnd entdeckt, nutzen wir;
Aber belohnt Ehre sie auch?
(Klopstock.)
Unsere schnellebige Zeit lernt leicht, sie vergiBt aber noch
leichter. In unserem nervosen Zeitalter ist der Sinn fur das Histo-
rische ohnehin nicht sehr stark entwickelt, der wilde Kampf urns
Dasein, der nie ruhende geschaftliche Wettbewerb, der sich jeder
Erfindung, jeder neuen Erscheinung bemachtigt, ist der Moloch, der
jede Erinnerung verschlingt, dessen Priester dem Vorwarts-
strebenden nur so lange ein Recht lassen, als er den geschaftlichen
Vorteilen des lieben Nachsten nicht gefahrlich wird, die ihn dann
aber erbarmungslos in dem feurigen Rachen verschwinden lassen.
Und ist heute der „Erfinder" gar noch Qeschaftsmann
Oder Fabrikant, so wird die Klopstock'sche Frage: „Aber belohnt
Ehre sie auch?" um so berechtigter, je groBer der geschaftliche Er-
folg einer Erfindung ist , denn dann hatte er entweder die
Erfindung einem anderen „entlehnt", oder er hatte nur einfach
„Qluck".
Sehr oft verkennen wir den Begriff der Erfindung. So lange die
Technik, die QroBindustrie, noch nicht die vorherrschende Stellung
in unserem Kulturleben einnahm, wie seit 100 Jahren, so lange die
Wissenschaft nur einzig und allein Selbstzweck war und der Tech-
nik noch nicht ihre Ergebnisse zu einem gesellschaftlichen Zwecke
abzuliefern hatte, war der Begriff der Entdeckung von dem der Er-
findung nicht Oder nur schwer zu trennen. Fast jede Erfindung aus
der Zeit vor der Eihfiihrung der Dampfmaschine fuBte auf einer
neuen Entdeckung. Heute ist die Erfindung aber nicht mehr allein
die gewoUte oder zufallige Auffindung einer konkreten Tatsache, die
Stellung und grundlegende Losung einer Aufgabe, sondern sie geht
iiber die Aufnahme einer bisher unbekannten Tatsache in die
menschliche Erkenntnis hinaus, sie ist die Losung eines technischen
Problems unter Festlegung bestimmter Regeln, unter denen diese
1*
2h}V^d
-: 4 -'-^
Losung in alien denkbaren ahnlichen, aber nicht gleichen Fallen
gewerblich verwertbar wiederholt werden kann. Die einmalige
Losung einer Aufgabe, die die Technik gestellt hat — mag die Auf-
gabe noch so schwierig, die Losung noch so geistreich sein, — ist
keine Erfindung, wenn diese Losung nicht dazu geeignet ist Qe-
meingut der Technik zu werden, ebenso wenig wie auch eine unvoll-
standige Losung, nur die Andeutung eines Weges, auf dem die
Losung moglich ist, ohne daB dieser Weg auch zum Qehen bereitet
wiirde. ^yurde sonst Watt der Erfinder der Dampfmaschine,
Stephenson der Erfinder der Lokomotive genannt werden konnen,
Edison der der Qluhlampe, da doch lange vor diesen Erfindern
Dampfmaschinen, Lokomotiven, Qliihlampen vorhanden waren?
Oder gab es in der Neuzeit keinen Erfinder eines Qeschiitzes
Oder einer Maschinenkanone, da doch das Berliner Zeughaus allein
etwa ein Dutzend Maschinengeschiitze aufweist, die Jahrhunderte
alt sind? —
Dies als Qeleitwort fiir eine Betrachtung aus der
Erfindungsgeschichte der Drahtseilbahnen.
Einleitung.
Die Entstehung der Luftbahnen oder Seilbahnen muB uns in
ihren Anfangen ein ebenso naturgemaBer und selbstverstandlicher
Vorgang erscheinen, wie etwa die Erfindung des Hammers, den
der Urmensch sich in ganz naturnotwendiger Weise aus dem Stein,
den er zu primitiven Arbeiten in die Hand nahm, entwickelte, wie
die Entstehung der ersten Briicke aus einem tiber eine schmale
Schlucht, iiber einen natiirlichen Qraben gelegten Baumstamm.
Die Natur selbst, namentlich in den Tropen, bietet ja Wege durch
die Luft, die ganz von selbst entstanden sind, in reichlicher Menge
dar: eine Liane, eine groBe Schlingpflanze, spannt sich von Baum
zu Baum, das die Urwalder bewohnende Tier benutzt diesen natiir-
lichen Weg in seinem Instinkt von selbst. Qewisse Tierarten, wie
der Affe, das Faultier, das wahrend seiner ganzen Lebenszeit den
festen Boden nicht freiwillig beriihrt, zeigen, indem sie an ihren
Extremitaten hdngend, diesen Weg passieren, dem Menschen ganz
von selbst die Art der Verwendung eines solchen, indem sie ihn
mit unter der Bahn hangendem Korper, also im stabilen Qleich-
gewicht, passieren. Noch heute finden wir in den wenig der Kultur
erschlossenen Qegenden des inneren Afrika, ebenso wie in Hinter-
indien, auf Java, dem Innern von Sumatra an Tausenden und Aber-
tausenden von Platzen naturliche hangende Briicken, die aus nichts
mehr bestehen, wie aus einigen zusammengedrehten, an einem Ufer
eines Flusses wurzelnden Schlinggewachsen, die iiber diesen hinaus-
gespannt, auf der anderen Seite an einem Baume befestigt sind,
und die als Hangebriicke, als ein durch naturliche Seile gebildeter
Weg angesprochen werden miissen.
Die ersten Luftbahnen muBten aus dem ganz natiirlichen Be-
streben entstehen, bei dem Austausch der korperlichen Qiiter von
der Qestaltung des Bodens, der mit seinen Erhohungen und Ver-
tiefungen, seiner Unebenheit, der Bewegung 'groBer Massen erheb-
lichen Widerstand entgegensetzt, unabhangig zu werden, die
Massenbewegungen in die Luft zu verlegen, wo sie in grader Linie
beliebige Entfernungen durcheilen konnen. Da aber die Luft eben-
— 6 —
sowenig Balken hat, wie das Wasser, dessen Tragfahigkeit
schwimmenden Korpern gegeniiber man langst erkannt, das als
Verkehrsmittel man langst benutzen gelernt hatte, muBte man nach
einer geeigneten Unterstutzung suchen, an der die Lasten schwe-
bend bewegt werden konnten, und diese bot ganz naturgemaB auf
kurze Strecken der Balken, die Briicke, auf groBe Entfernungen
das Sell.
Das Sell darf als eines der altesten mechanischen Elemente an-
gesehen werden. Man muB schon in den allerfruhesten Zeiten der
Menschheit erkannt haben, daB sich durch das Zusammenwinden
einzelner biegsamer und elastischer Faden, mochten es aus Tier-
hauten geschnittene Riemen, oder Pflanzenfasern sein, zugfeste
Seile herstellen lassen, deren Festigkeit diejenige der etwa nur
parallel nebeneinandergelegten in ihrer Summe ubersteigt, da nur
durch das Verwinden oder Verflechten der Faden eine annahernd
gleiche Beanspruchung aller Fasern zu erzielen war. Aber nicht
allein die Seile aus Fasern organischen Ursprunges sind als solche
alten Maschinenelemente zu betrachten, neueren Forschungen und
Entdeckungen ist es gelungen, nachzuweisen, daB Drahtseile mit
groBer Bestimmtheit schon zu Beginn unserer Zeitrechnung
existiert haben, der Fund eines aus Bronzedrahten hergestellten
Seiles in den Ruinen von Pompeji beweist dies, ebenso wie zweifel-
los den Egyptern schon weit vor dieser Zeit Drahtseile bekannt
gewesen sein mussen.
Die Kenntnis der Drahtseile hatte natiirlich die vorherige Kennt-
nis der Drahte vorausgesetzt, aus Metallen hergestellter Fasern,
die als Ersatz des Materials der Faserseile hatten dienen konnen,
und diese Herstellung von Drahten laBt sich zuruckverfolgen bis
in die friihesten Zeiten geschichtlicher Aufzeichnung iiberhaupt.
Erwahnenswert mag sein, daB z. B. Qolddrahte schon in der Bibel
genannt werden als Material fur die Stickereien der Priester-
gewande des Aaron. Das Kensington-Museum besitzt Drahtiiber-
reste aus den Ruinen von Niniveh etwa 800 v. C. Homer und
Plinius lassen in ihren Schriften mehrfach deutliche Hinweise auf
das Bekanntsein mit Drahten oder diinnen Faden aus Metall er-
kennen. Allerdings sind die damaligen Drahte nicht in unserem
heutigen Sinne durch Ziehen angefertigt (mit Ausnahme vielleicht
der Qolddrahte) sondern nur ausgehammert, ebenso wie die Kennt-
nis speziell eiserner Drahte im Altertum unbekannt gewesen sein
diirfte. Lediglich von Gold-, Silber- und Bronzedrahten lassen sich
im Altertum entweder Oberreste oder Mitteilungen nachweisen,
wenn es auch nicht ganz unmoglich ware, daB dadurch, daB Eisen
durch Rost der voUstandigen Zerstorung ausgesetzt ist, etwaige
Oberbleibsel eiserner Drahte ganz verschwunden sein konnten.
Das Drahtziehen selbst ist eine Erfindung des Mittelalters und
— 7 —
offenbar eine deutsche Erfindung, deren Ursprung wahrscheinlich
nach dem Lennegebiet zu verlegen ist. Jedenfalls war die Her-
stellung eiserner Drahte im Lennegebiet im 14. Jahrhundert be-
kannt. Wir finden in Chroniken von Augsburg und Niirnberg, die
aus dem Jahre 1351 bzw. 1360 herruhren, den Ausdruck „Draht-
zieher" in Verbindung mit dieser Industrie. Kurz nach dem er-
wahnten Zeitraum errichtete ein gewisser Rudolf in Niirnberg dann
eine Drahtzieherei unter Verwendung einer sogenannten Ziehplatte,
die hochstwahrscheinlich schon eine Verbesserung der Kunst des
Drahtziehens von Hand darstellte und die Drahtzieherei auf eine
gewisse Stufe von Vollkommenheit brachte. Wenigstens deuten die
Schriften von Conrad Celdes, etwa urns Jahr 1490, darauf hin.
Qegen das Jahr 1500 soil ein gewisser Richard Archal die Draht-
zieherei in Frankreich eingefiihrt haben, 1565 findet man in England
Maschinen zur Herstellung gezogener Eisendrahte, die offenbar
durch einen Sachsen C. Schultz dort eingefiihrt worden waren, der
gemeinsam mit einem gewissen Calleb Bel in QroB-Qreenfield-
Valley eine durch Wasserkraft betriebene Drahtzieherei errichtete,
deren Oberreste noch heute vorhanden sind. Die ersten Anfange
der Qriindung einer der groBten Drahtfabriken der Welt, der Firma
Felten & Quilleaume, fallen in das Jahr 1750, in dem von Felten
eine Drahtzieherei auf fiir damalige Verhaltnisse schon groB-'
industrieller Qrundlage in der Nahe von Koln errichtet wurde.*)
Die ersten Drahtseile, die sich nachweisen lassen, selbst das vor
einigen Jahren in den Ruinen von Pompeji aufgefundene, schlieBen
sich in ihrer Konstruktion unmittelbar an die Faserseile an, d. h. sie
besitzen Kreuzschlag. Es kann angenommen werden, daB man ohne
eigentliche Kenntnisse des Verhaltens der Drahte in einem Sell ein-
fach das organische Fasermaterial durch Metallfasern ersetzte.
Es ist mehr wie wahrscheinlich, daB sich solche Drahtseile (auch
aus Eisendrahten), durch das ganze Mittelalter hindurchziehen, ohne
daB sie jedoch eine umfassende Anwendung gefunden hatten. Viel-
fache Notizen aus dem Harzer Bergbau, namentlich Calvoer 1763,
ebenso Mathesius 1504 — 1566 erwahnen neben ledernen Seilen auch
Eisenseile, die Professor Hoppe in Clausthal allerdings als lang-
gliederige Ketten angesehen haben will. Unter den wissenschaft-
lichen und technischen Aufzeichnungen des Leonardo da Vinci
1452 — 1519 findet sich jedoch ein unmittelbarer Hinweis auf das
Drahtseil in der Beschreibung eines Paternosterwerkes mit Tret-
rad, wozu sich der Text befindet: „Das Seil fiir obiges Instrument
muB von Drahten aus gegliihtem Eisen oder Kupfer sein, andern-
falls ist es von geringer Dauer, und die genannten mussen so dick
*) J. Bucknall Smith. Wire, its Manufacture and Use. London and
New-York 1891.
— 8 —
sein wie Bogenschnur usw."*) In alien diesen Fallen diirfte es sich
jedoch wohl kaum um eine wirkliche Erfindung eines Drahtseiles
in dem heutigen Sinne gehandelt haben. Es waren, wie dies auch
schon hier unter der Beleuchtung der Erfindung von Seilbahnen
mehrfach erw^hnt wird, hochstwahrscheinlich nur Einzelver-
wendungen, die sich aus den augenblicklichen Bediirfnissen ergaben.
Unzweifelhaft nachgewiesen ist aus dem Beginn der 20er Jahre
des 19. Jahrhunderts, 1821—22, daB bei Qenf eine Seilbriicke aus
Drahtseilen gebaut worden ist, deren einzelne Tragseile aus einer
Anzahl paralleler oder nur sehr schwach gegeneinander verdrehter
Drahte bestand, die durch eine auBere Hulle von diinneren Drahten
zusammengehalten wurden.
Als der wirkliche Erfinder des heute bekannten Drahtseil-
systems, als der Erfinder der Litzenseile mit parallelem Schlag,
die sich also grundlegend von den alten Faserseilen unterscheiden,
ist der bekannte Oberbergrat Albert in Clausthal, 1787—1846 a^zu-
sehen. Ihm gebiihrt zweifellos das Verdienst, mit seinen in Pa-
rallelschlag (oder nach ihm genannten „Albert"-Schlag) herge-
stellten Seilen der gesamten Fordertechnik iiberhaupt erst eine
Qrundlage gegeben zu haben, auf der sie sich zu ihrer heutigen Hohe
entwickeln konnte. Die ersten von ihm hergestellten Seile fallen
in das Jahr 1834.**) Schon etwa in das Jahr 1837 fallt die fabrik-
maBige Aufnahme der Drahtseilherstellung durch die Firma Felten
& Quilleaume in Koln, kurz darnach aber auch die Einfuhrung dieser
Fabrikation in England. Eine gewisse Unsicherheit in bezug auf
Albert konnte lediglich da erblickt werden, daB ein gewisser
J. Wilson in Derby in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts
darauf offentlich Anspruch gemacht hat, schon 1832 Litzenseile fiir
die Haydock Collieries in Lancashire angefertigt zu haben.
Aus der nachweislich 1822 in Qenf zum ersten Male ange-
wandten, von den Englandern „Selvagee" genannten Konstruktion,
die 1835 ebenfalls zum Bau der Freiburger Hangebriicke in einer
Spannweite von beinahe 250 m Anwendung fand, und die noch bis
in die neueste Zeit hinein, namentlich bei dem Bau der New-Yorker
und Brooklyner Briicken angewandt wurden, diirften sich die heute
fiir den Drahtseilbahnbau als Laufbahn so wichtig gewordenen Spi-
ralseile entwickelt haben, deren letzte Verbesserung zu ver-
schlossenen Seilen etwa 1884 von Latch & Bachlor in die Offent-
lichkeit gebracht wurde.
*) Beck, Beitr^lge zur Geschichte des Maschinenbaues.
**) O.Hoppe. Beitrage zur Geschichte der Erf indungen. Essen, Ruhr, 1907
— 9
Schwebende Seilbahnen vor Anwendung des
Drahtseiles.
Mit dem Seile sind zwei Moglichkeiten gegeben, einen Luft-
transport einzurichten, einmal die, das Seil als teste Schiene, als
sehr schmale Fahrbahn, gewissermaBen als linienformige StraBe in
die Luft zu verlegen und uber dieselbe hinweg, wie auf jeder an-
deren StraBe auch, bewegte Wagen laufen, Lasten sich bewegen
zu lasseti, oder aber, als zweite Losung: man zog ein bewegliches
Seil zwischen den zu verbindenden Punkten bin und her und be-
nutzte dieses bewegte Seil als Lasttrager, bei dem die Last relativ
zum Seil ruhig steht.
Fiir beide Qrundformen, heute als Einseil- und Zweiseilsystem
bekannt, liegen Beispiele aus den altesten Zeiten vor und zwar Bei-
spiele, die teilweise eine sehr bemerkenswerte Durcharbeitung der
Einzelheiten aufweisen, wenn sie auch niemals mehr darstellen, als
eine auf einen bestimmten Fall zugeschnittene konstruktive Losung.
Hiernach kann aber von einer auf Erkenntnis des Prinzips be-
ruhenden Erfindung in der neuen Technik uberhaupt nicht mehr ge-
sprochen werden. Jede Weiterarbeit auf diesem Qebiete muBte
sich vielmehr auf eine geeignete, technisch wiederholbare und ge-
werblich verwertbare Ausfiihrungsform beschranken, auf die Er-
findung eines den Fortschritten der neuzeitlichen Technik ent-
sprechenden, allgemein brauchbaren und in sich abgeschlossenen
konstruktiven Systems.
Aber gerade diese Aufgabe stellt in ihrer Qesamtheit so auBer-
ordentlich hohe Anspriiche, daB ihre Losung in ihrer Bedeutung fiir
die Technik weit iiber das hinausgeht, was die Erkenntnis der
Qrundformen bedeutete. Bei letzterer handelt es sich nur mehr
Oder weniger um die mit kiinstlichen Mitteln hervorzubringende
Nachahmung hier und da gegebener naturlicher Vorbilder. Zur
Schaffung eines ganzen konstruktiven Systems aber konnten diese
Qrundformen lediglich als gegebene Unterlagen benutzt werden, zu
ihnen muBte aus dem groBen Qebiete der iibrigen technischen Ele-
mente zuerst das herausgesucht werden, was dazu dienen konnte,
sie zur Verwendung unter allgemeinen Verhaltnissen zu benutzen,
und diese Erganzung hatte stattzufinden, einmal unter umfang-
reicher Schaffung neuer mechanischer Elemente und Formen, ein
anderes Mai unter stetiger Berucksichtigung des neben dem tech-
nischen Fortschritt zu erzielenden wirtschaftlichen Erfolges des so
neu geschaffenen Systems.
Die historischen Quellen und die Literatur, aus denen eine Qe-
schichte der Entwickelung des Luftseilbahnbaues zu schopfen hat.
— 10 —
sind sehr sparlicher Natur, namentlich laBt es sich fast nirgends
nachweisen, daB etwa eine im oder vor dem Mittelalter gebaute
Seilbahn einer bestimmten Art einer anderen als Vorbild gedient
hatte, daB die Ausfiihrung der Idee eines zu damaliger Zeit uber
den Durchschnitt hinausragenden Baumeisters insofern frucht-
bringend gewesen ware, als sie andere zur Nachahmung angereizt
hatte. Man gewinnt bei der Betrachtung fast aller alteren Bahnen
den Eindruck, als habe jeder Erbauer derselben die Idee erst ganz
neu gefaBt. Diejenigen Nachweise uber schwebende Seilbahnen
aus friiheren Jahrhunderten, die in technischen oder wissenschaft-
lichen Werken zu finden sind, lassen den Mangel einer Weiterent-
wicklung, trotz der zeitlichen Folge, in der sie festgestellt werden
konnen, sehr bemerken. So findet man Literaturstellen, in denen
altere Bahnen mit verhaltnismaBig weit entwickelter Einzel-Kon-
struktion beschrieben und dargestellt sind, aus friiheren Zeiten, als
spatere von auBerst primitiven und unbeholfenen Bauarten. Die
friiheste in der wissenschaftlichen bzw. technischen Literatur des
Abendlandes festgestellte Beschreibung einer Seilbahn stammt aus
dem Beginn des 15. Jahrhunderts. Es ist aber nicht anzunehmen,
daB zu Beginn des 15. Jahrhunderts die ersten Seilbahnen iiber-
haupt erst gebaut worden sind. Wir kennen aus alten chinesischen
und japanischen Darstellungen, teilweise auch aus den Ergebnissen
einer vergleichenden Sprachforschung, ferner aus heute noch be-
stehenden Resten alter Aniagen, namentlich in Hinterindien,
Schwebebahnen, deren Anlage weit vor das 15. Jahrhundert zu
legen ist.
Auffallig ist, daB in den vielen Veroffentlichungen der alten
Romer oder Qriechen sich so wenig finden laBt, das auf die Ver-
wendung des hier besprochenen Transportmittels verweisen konnte.
Es ist dies um so auffalliger, als gerade bei den Romern die oftmals
sehr eilige ErschlieBung der von ihnen in ihren vielen Kriegen er-
oberten fremden Qebirgsteile in Mittel- und Siideuropa, die zum
groBten Telle gebirgiger Natur sind, die Anlage solcher Verbin-
dungswege an schwierigen Punkten geradezu gefordert hatte;
wissen wir doch ganz bestimmt, daB den Romern sogar schon die
Drahtseile bekannt waren, daB bei ihnen die Verwendung von
Faserseilen, namentlich zu auBerst verwickelten Hebevorrichtungen,
eine sehr vollkommene Ausbildung erlangt hatte, und daB nach-
weislich Seiltanzer den Romern nicht ganz unbekannte Artisten
waren. — Wie nahe lag da die Ableitung
Auch bei den Qriechen, die sich einer doch sehr hoch ent-
wickelten Bautechnik erfreuten, laBt das Fehlen solcher Spuren
Wunder nehmen, was vielleicht weniger der Fall zu sein braucht
bei den alten Egyptern. War bei diesen auch die Verwendung von
Faserseilen, und vermutlich auch, da ihnen die Herstellung von ge-
— 11 —
hammerten Drahten bekannt war, moglicherweise sogar schon die
Verwendung von Drahtseilen oder Drahtseil-ahnlichen Maschinen-
elementen bekannt, so hot sich ihnen in ihrem gebirgslosen Lande
fast gar keine Qelegenheit zur Anlage von schwebenden Transport-
einrichtungen. Fast scheint es, als sei das Transportmittel der
schwebenden Bahnen den Volkern des Mittelmeerbeckens im Alter-
tum tatsachiich unbekannt geblieben. Es laBt sich dies urn so eher
vermuten, da eines deraitestenSchriftwerkederKulturwelt, dieBibel,
die oft, wenn auch manchmal nurinschwerauffindbarenHinweisen (z.
B.Drahtherstellung) auf die Verwendung weit fortgeschrittener tech-
nischer Einrichtungen schlieBen laBt, nirgends auch nur eine einzige
Stelle enthalt, die nach der Richtung gedeutet werden konnte, als
sei eine solche Einrichtung in dem groBen Zeitraum, den sie uber-
spannt, bekannt gewesen.
/ Als bestimmt anzunehmen ist es aber, daB den Volkern des
Ostens, den Chinesen und namentlich den Japanern, deren Land
mit seinen vielen gebirgigen Erhebungen, mit seinen tiefen Zer-
kliiftungen einen sehr geeigneten Boden fur die Entwickelung dieses
Transportsystems bot, geradezu zu seiner Ausbildung aufforderte,
die Seilschwebebahnen wohl schon seit mindestens 1000-2000 J ahr en
bekannt waren, Fig. 1. Bei der Zahigkeit, mit der namentlich die
hinterindischen Volkerschaften an xiem Hergebrachten festhalten,
mit der sie ihre Kleidung, ihre Literatur, ihre Qebrauchsgerate un-
verandert durch Jahrtausende bewahrt haben, bieten sie uns eine
wertvolle Fundgrube fur viele Erfindungen und technische Kon-
struktionen, die oftmals bei uns erst ein Alter von wenigen Jahr-
zehnten haben, die dort tief versteckt in den unzuganglichen Qe-
birgen, durch die Selbstverstandlichkeit, mit der sie von diesen
Volkern benutzt wurden, kaum als des Beschreibens wert ange-
sehen, seit vielen Jahrhunderten vorhanden sind.
Mit dem Worte „Shula" auch „Chinka" bezeichnen die Qebirgs-
bewohner des Himalaya ein starkes iiber einen Strom gespanntes
Seil. In demselben lauft ein Holzblock, der zum Sitzen der Passa-
giere dient und der uber den Strom hin- und hergezogen werden
kann. Eine solche Shula befindet sich angeblich jetzt noch im Be-
trieb bei Rampur uber dem Setledsch, wie die Anzahl dieser
Brucken iiberhaupt in den indischen Qebirgslandern eine ziemlich
groBe ist.*)
Ferner wird heute noch von den Eingeborenen in der Provinz
Kaschmir in Indien etwa 60 englische Meilen westlich von der Re-
sidenz des Maharadschas der Jhelun-River uberschritten, mit einer
Seilbahn, wie sie beistehendes Bild zeigt. Zur Zeit der Schnee-
schmelze stiirzen machtige Wassermengen von dem Tal des Jhelun
*) Merkel. Die Ingenieurtechnik im Altertum.
— 12 —
herunter und stromen mit groBter Qeschwindigkeit, in dem Che-
naub-River sich vereinigend, in den Punjab und gelangen von da
nach dem Indus. Diese reiBenden Wasser werden von einem etwa
1 Zoll starken Seil aus zusammengedrehter Rohhaut uberspannt.
Fig. 2. Ein aus einem gabelformig gewachsenem Holz hergestelltes
Joch hangt iiber diesem Seil und tragi zwei Seilschlingen, die als
Fig. 1.
Alte japanische SeilbrQcke (nach einem japanischen Original, Buch der
Erfindungen, Leipzig 1872).
Sitz fiir den Eingeborenen dienen, der diese Seilbahn passieren
will. Ferner ist an dem Joch ein Zugseil befestigt, ein dunneres
Hanfseil, das in besonderen Ringen unterhalb des Tragseiies an
diesem aufgehangt ist und mittelst dessen das vorerwahnte Joch
hin- und hergezogen wird. In der Abbildung ist neben dieser Bahn
ein zweites aus Hanf geflochtenes dickes Seil erkennbar, das eine
13
Stelle lange Zeit in Qebrauch gewesene sehr einfache
arstellt. Die eigentiiche Laufbahn dieser Brticke besteht
a dtinneren Seil, das ebenfalls an diesem dicken Seii an-
f 1
Fig. 2. Alte Seilbahn in Kaschtnir.
gehangt und durch eine Anzahi von Verbindungen mit ietzterem
in einer bestimmten Entfernung von diesem gehalten ist, sodaB man
sich, seitwarts mit den FiiBen auf dem diinnen Seil ausschreitend,
an dem dicken festhaiten muBte, um diese Briicke zu passieren.*)
*) Aus „Technische Rundschau", Berlin, 24. IV. 07.
— 12 —
herunter und stromen mit groBter Qeschwindigkeit, in dem Che-
naub-River sich vereinigend, in den Punjab und gelangen von da
nach dem Indus. Diese reiBenden Wasser werden von einem etwa
1 Zoll starken Seil aus zusammengedrehter Rohhaut uberspannt.
Fig. 2. Ein aus einem gabelformig gewachsenem Holz hergestelltes
Joch hangt iiber diesem Seil und tragi zwei Seilschlingen, die als
Fig. 1. Alte japanische Seilbrucke (nach einem japanischen Original, Buch der
Erfindungen, Leipzig 1872).
Sitz fiir den Eingeborenen dienen, der diese Seilbahn passieren
will. Ferner ist an dem Joch ein Zugseil befestigt, ein diinneres
Hanfseil, das in besonderen Ringen unterhalb des Tragseiles an
diesem aufgehangt ist und mittelst dessen das vorerwahnte Joch
hin- und hergezogen wird. In der Abbildung ist neben dieser Bahn
ein zweites aus Hanf geflochtenes dickes Seil erkennbar, das eine
— 13 —
an dieser Stelle lange Zeit in Qebrauch gewesene sehr einfache
Brticke darstellt. Die eigentliche Laufbahn dieser Briicke besteht
aus einem diinneren Seil, das ebenfalls an diesem dicken Seil an-
Fig. 2. Alte Seilbahn in Kaschtnir.
gehangt und durch eine Anzahl von Verbindungen mit ietzterem
in einer bestimmten Entfernung von diesem gehalten ist, sodaB man
sich, seitwarts mit den FuBen auf dem dunnen Seil ausschreitend,
an dem dicken festhalten muBte, um diese Brticke zu passieren.*)
*) Aus „Technische Rundschau", Berlin, 24. IV. 07.
— 14 —
Eine andere sehr alte japanische Zeichnung, Fig. 3, enthalt eine
sehr bemerkenswerte Angabe uber eine Luftseilbahn, die schon mit
Doppeltragseil und offenbar hin- und hergehendem Zugseil ausge-
riistet ist. Sie zeigt die Verbindung zweier Felsplatten, von denen
die eine wesentlich hoher liegt, wie die andere, und zwischen denen
eine Schlucht schroff in die Tiefe zum Meere hinunterfallt.*)
Zwischen zwei Boci^en sind die nach riickwarts verankerten Trag-
seile ausgespannt, auf deren jedem sich ein, wie sich aus dem
Bilde deutlich erkennen laBt, zum Personentransport dienender
Fig. 3. Zweiseilbahn mit hin- und hergehendem Betrieb, nach einer alten japanischen Zeichnung.
Laufwagen bewegt. Dieser nach Art einer Qondel geflochtene
Wagen hangt in Dreiecksgehangen, die sich mit Hilfe von zwei
Rollen auf das Tragseil auflegen. Eigentiimlich ist die Art der Be-
forderung. An jedem dieser Korbe befinden sich zwei Zugseile, die
mit ihren Enden nicht iiber Rollen oder irgend eine Antriebsvor-
richtung gezogen sind, sondern die lediglich von den die das Hin-
und Herbewegen besorgenden Arbeitern gezogen bzw. nachgeiassen
werden, eine in Anbetracht der starken Steigung offenbar sehr
schwierige und gefahrliche Arbeit. Es scheint jedoch, als sei die
Zeichnung in dieser Hinsicht nicht ganz zuverlassig, da sich in ihr
*) Die Allgemeine Polytechnische Zeitung No. 12. 1878. Berlin.
— 15 —
ferner noch erkennen laBt, daB an jedem Wagen sich nach der
einen Seite hin das Zugseil spaltet bzw. als doppeltes Seil erscheint.
Hiernach ist anzunehmen, daB das Zugseil auf eine flaschenzug-
formige Einrichtung herauskommt, mit dereh Hilfe es moglich ist,
die auBerordentiich groBe Steigung beim Aufwartsbefordern des
einen Korbes ieichter zu iiberwinden und die kolossale Beschleu-
nigung, die der abwartsfahrende Korb von selbst bekommt, abzu-
bremsen.
Die erste Quelle aus der Literatur des Mittelalters befindet sich
in der k. k. Hofbibliothek zu Wien (Handschriften-Katalog, Cod.
Nr. 3069) und ist ein sogenanntes Feuerwerksbuch, also eines jener
kostbaren Handschriften, in denen die Artilleristen des Mittelalters,
die Zeugmeister, neben ihren Kenntnissen in der Kunst der „Akeley"
und in der Bereitung des Pulvers auch ihre anderen technischen
Kenntnisse niedergelegt haben, Handschriften, welche namentlich
ftir die Qeschichte des Ingenieurwesens von ganz besonderem
Werte sind. Die Handschrift Cod. 3069 ruhrt von Johann Hartlieb
und aus dem Jahre 1411, also ganz aus dem Anfange des 15. Jahr-
hunderts her, und ist eine der altesten der bekannten derartigen
Handschriften iiberhaupt, da sie chronologisch 1. der von Munchen
(Universitats-Bibliothek, Cod. germ. Nr. 600, geschrieben zwischen
1350 — 80); 2. der von Wien aus der Ambraser Sartimlung (Piken,
Kriegsriistung, Sturmzeug und Feuerwerksbuch, Ende des 14. Jahr-
hunderts); dann 3. der von Qottinger (Universitats-Bibliothek, Ka-
talogs-Nr. Cod. 63, „Keyser's Waffenbuch" vom Jahre 1405) und
endlich 4. der Handschrift aus der Mtinchener Universitats-Biblio-
thek (Cod. 600) folgt, welche letztere von Abraham v. Memmingen
herruhrt. Dieses Feuerwerksbuch wurde nach Einigen 1410, nach
Anderen 1414 oder 1417 fur Herzog Friedrich von Tyrol (t 1439)
geschrieben, und ist nach den Forschungen im Niirnberger ger-
manischen Museum das Original fiir alle spateren Feuerwerks-
Handschriften und fruhesten derartigen Druckwerke: so z. B. fur
die Nurnberger Handschrift (germanisches Museum) aus dem
15. Jahrhundert; fur die Ambraser Handschrift Cod. 52 zu Wien,
welche das Wappen des Brandenburgers tragt, also zwischen 1415
und 1440 fallt; fiir das Freiburger Schiitzenbuch vom Jahre 1424;
fiir den Mtinchener Codex 4092, das Feuerwerksbuch Conrad's v.
Schongau vom Jahre 1432; fur den Codex Nr. 3062 vom Jahre 1447
in der Wiener k.k. Hofbibliothek; fur den Codex im Nurnberger
germanischen Museum vom Jahre 1450; fur den bertihmten Codex
2952 der Wiener Hofbibliothek vom Jahre 1457; dann fur die zwei
alten Prunkwerke, von denen sich das eine von „Hansen Knappen,
anno 1511" im Stadtarchiv zu Augsburg und das andere, die „Ptich-
senmaisterey durch Joachim Brechtel, anno 1591" im Nurnberger
germanischen Museum befindet.
— 16 —
In dem Wiener Codex 3069 vom Jahre 1411 findet sich nun eine
regelrechte „Seilbahn" abgebildet. Fig. 4. Ztir linken Hand der
Zeichnung ist eine Burg dargestellt, die auf einem Felsen steht; in
der Mitte des Biides ist ein tiefes Tal, der Burggraben skizziert,
und zur Rechten steht ein Mann vor einem Haspel, um dessen
Wellrad ein Seil ohne Ende geschlungen ist, das sich in einem Zu-
gange zur Burg (wo die Spannweile steht) verliert; auf dem Seile
hangen nun die TransportgefaBe (Korbe), welche durch den be-
zeichneten Mechanismus iiber die Schlucht bewegt werden.*)
Schon diese altesten nachweisbaren literarischen Darstellungen
iassen in den Konstruktionsgrundzugen eine Ausbildung erkennen,
die, wenn auch nur sehr skizzenhaft gezeichnet, doch vielen spater
auftretenden gegeniiber eine weit vorgeschrittene genannt werden
muB, da urtzweifelhaft auf eine Verbindung von endlosem Seil mit
einem mechanischen Antrieb, mit einem Haspel hingewiesen wird.
In dieser Kombination liegt aber schon ein fiir damalige Zeit groBes
erfinderisches Moment, das noch gegen das Jahr 1870 hin von der
englischen Patentbehorde als genugend zur Patentierung angesehen
wurde.
Nur wenig spater, um das Jahr 1430 bis 1440 erscheint eine neue
Notiz iiber eine Seilbahn oder vieimehr eine seilbahnahnliche Trans-
porteinrichtung.**) In der Miinchener Koniglichen Bibliothek be-
findet sich eine Handschrift von der Zeit der Hussitenkriege, zwei
Hefte, ein deutsches und ein italienisches, die zusammen in einem
Band vereinigt sind, und dessen zweites wenigstens ziemiich sicher
von Marianus Jacobus (genannt Taccola) von Siena stammt. Diese
Hefte enthalten eine groBe Anzahl von technischen Einrichtungen,
die sich im wesentlichen auf die in den damaligen Hussitenkriegen
angewandten artilleristischen Einrichtungen beziehen, wenn auch
eine Menge Einrichtungen mit beschrieben sind, die mechanische
Hilfsmittei aiigemeiner Natur darstellen. Ein Hinweis an anderer
Steile des Buches laBt vernehmen, daB die folgende beschriebene
Bahn etwa 1438 von dem Verfasser gesehen worden ist.
Blatt 23, Heft II, dieser Handschrift zeigt, wie man eine Bom-
barde oder eine andere Last durch Zugtiere iiber einen FluB oder
eine Schlucht schaffen kann, welche die Zugtiere nicht tiberschreiten
konnen. Zwischen einem Baume auf dem linken und einem ein-
geschlagenen Pflocke auf dem rechten FluBufer ist ein Seil ge-
spannt, an das die Bombarde vermittelst eines Ringes gehangt ist.
An den Baum ist eine Flasche mit einer Roile gebunden, uber welche
ein Zugseil geht, dessen eines Ende an dem Ringe, der die Bom-
♦) Rziha, Wochenschrift des 5sterr. Ing.- u. Archt. -Vereins. 1877.
Nr. 51. Wien.
**) Beck, Beitrage zur Geschichte des Maschinenbaues. Berlin 1899.
i
Fig. 4. Luftbahn mit endlosem Sell. Aus einer alten Handschrift des Johann Hartlieb, etwa um
1411, Wiener Hofbibliotliek.
— 17 —
barde tr^gt, befestigt ist, wahrend an dem anderen Ende, welches
ebenfalls iiber den FluB hiniibergefiihrt ist, die Zugtiere angespannt
sind. Qehen diese landeinwarts, so Ziehen sie die Bombarde iiber
den FluB, indem der Ring, an welchem sie hangt, iiber das ge-
spannte Seil hingleitet. Fig. 5. Hier findet sich zum ersten Male
auch schon die Spaltung der Seilbahnen in zwei von einander ver-
schiedene Systeme nachgewiesen, denn wahrend die alte Wiener
Handschrift eine Einseilbahn darstellt, bei der das Zugseil immer
endlos sein muB, selbst wenn der Betrieb ein hin- und hergehender
wiirde, zeigt diese Veroffentlichung des Mariannus Jacobus die
Darstellung einer Seilbahn mit von dem Tragseil getrenntem Zug-
seil. Die Konstruktion mag sich notwendigerweise aus der QroBe
des zu befordernden Transportgewichtes ergeben haben, da sich ein
bewegtes Seil nur bis zu einem bestimmten Grade senkrecht zu
Fig. 5. SeilbahnShnliche Lastenbrflcke, festes Tragseil und bewegtes, nicht
endloses Zugseil, etwa 1438.
seiner Spannungsrichtung belasten laBt, iiber den hinauszugehen
der Durchhang und damit die Moglichkeit der Bewegung verbietet.
Hier, wo es sich um den Transport eines schweren Qeschiitzrohres
handelte, verbot sich die Aufhangung an einem endlosen Seil von
selbst, wenn nicht die zugehorigen Hilfskonstruktionen, Um-
fiihrungsrollen usw., eine entsprechende, fiir damalige Zeiten be-
deutende QroBe, das Seil aber eine enorme Spannung hatten er-
halten sollen. Einfacher war es deshalb schon, die beiden\Arbeiten
des Tragens und des Bewegens zu trennen, jeder ein besonderes
Element zuzuweisen und damit eine Zweiseilbahn zu schaffen.
Aus der Zeit der spanischen Conquista, etwa gegen das Jahr
1563 stammt eine vor 10 Jahren noch vorhanden gewesene, hand-
betrieberie Seilbahn hoch oben in den siidamerikanischen Cor-
dilleren im Innern Columbiens, die aller Annahme nach noch heute
vorhanden sein diirfte. Die Bahn diirfte vielen von den Reisenden
bekannt sein, die, aus den Llanos von Venezuela und Columbien
kommend und den Wasserlauf des Rio Meta benutzend, von Osten
— 18 —
her Bogota, die Hauptstadt des Landes, zu erreichen suchen. Die
LandstraBe zieht auf einem weiten Umwege um die Schlucht herum,
sodaB die die Lasten tragenden Maultiere oder Esei dieser StraBe
folgen, wahrend die Reisenden zur Abkiirzung des Weges gewohn-
iich vor der Schlucht absteigen und den weit kiirzeren iuftigen Weg
Uber die Seilbahn wShien.
Die Eroberung dieser Lande voilendete 1536 unter Karl V. Qon-
zoia Jimenez de Quesada, der sie nach seiner Heimat Neu-Qranada
benannte. Qleichzeitig drang auch ein Beamter des Augsburgischen
Bankhauses Welser, Nicolaus Federmann, bis Bogota vor, zur
Fig. 6. Seilbahn fOr Personenbeforderung, vermutlich um 1536—40 zwischen Santanda und
Merida (Kolumbia -Venezuela) angelegt. (Skizze nach mandlichen Mitteilungen.)
naheren Erforschung der von Karl V. dem Bankhause verpfandeten
neuentdeckten Landesteiie. Da diese bis dahin vollstandig unbe-
kannten Lander groBe naturliche Reichtiimer aufwiesen — man
glaubte in ihnen sogar lange Zeit das sagenhafte Dorado gefunden
zu haben — , war es die erste Sorge ihrer neuen europaischen Be-
sitzer, sie mit Verkehrswegen zu besorgen. Namentlich die als
erste Missionare und gleichzeitig auch als wirtschaftliche Koloni-
satoren in das Land gekommenen spanischen Ordensgeistlichen,
Dominikaner und Franziskaner lieBen sich die Ausbildung des Ver-
kehrs sehr angelegen sein, und auf sie diirfte auch die erwahnte
Seilbahn zuruckzufUhren sein. Die Bahn bestand aus einem sehr
— 19 —
starken Tau, Fig. 6, das zwischen zwei Pfahlgeriisten, ursprunglich
vielleicht nur zwischen zwei Baumen, ausgespannt war und auf dem
ein Korb zur Aufnahme der die Schiucht passierenden Personen in
einer Rolie hangt. Mit Hilfe eines zweiten Seiles, das unterhalb
des Tragseiies ausgespannt ist, ermoglicht es die in dem Korb
stehende Person, sich selbst voranzuziehen.*)
Seit nun bald 350 Jahren geht der Verkehr in dieser primitiven
Weise iiber diese Seilbahn von statten, die somit eines der altesten
Zeichen europaischer Kultur in Siidamerika bildet.
Im Jahre 1597 erschien ein Werk von Buonaiuto Lorini, einem
etwa 1545 geborenen Edelmanne aus Florenz, der sich aus diesem
Fig. 7. Buonaiuto Lorini. Schragaufzug mit Seilbetrieb (ca. 1580 — 90) als Konstruktionsgrundlage
far Seilbahn.
Werke „DeIle Fortificationi" als durchaus praktischer Ingenieur
erweist. Aus der Einleitung zu diesem Werke erfahren wir, daB er
vornehmiich bei den Befestigungswerken von Zara und dem Castell
von Brescia tatig war und zwar im Dienste der Signoria von
Venedig, fiir die er diese Arbeiten etwa 16 Jahre lang ieitete. Die
von ihm beschriebenen, teiiweise artilleristischen oder wasserbau-
technischen, zum groBen Teile aber auch maschinentechnischen Ar-
beiten sind von auBerordentlich groBem Interesse, zeigen sie doch,
wie z. B. in den Hinterladegeschutzen, Konstruktionen, die heute
noch in ihren Qrundziigen unverandert angewandt werden. Ebenso
kann er als der wirkliche erste Konstrukteur eines Selbstgreifers
♦) Diese Beschreibung ist einer Mitteilung des Kaufmanns G. Reichel
in Leipzig entnommen, der in der dortigen Gegend Mitte der 90 er Jahre
wohnte.
2*
— 20 —
angesehen werden. Er beschreibt namlich eine Baggermaschine
zum Ausbaggern der Kanale von Venedig, die einen sehr scharf-
sinnig konstruierten Qreifer mit Seilbetrieb enthalt. Unter diesen
Arbeiten sind diejenigen von groBem Interesse, die sich mit den
Transporteinrichtungen befassen. So erwahnt er in Kapitel VII
seines Werkes eine transportable Eimerkunst zum Ausschopfen von
Baugruben, die nichts anderes darstellt, wie unsere heutigen Becher-
elevatoren in schon ziemlich weit fortgeschrittener Ausbiidung.
Diese Elevatoren befinden sich wiederholt in Kapitel VIII seines
Werkes, in dem er zeigt, wie man vermittelst einer Kette ohne
Ende, welche iiber eine horizontal Welle gehangt ist und
durch diese bewegt wird, auch Erde rasch und bequem fordern
kann, indem man sie in Korben an den aufsteigenden Teil der Kette
hangt und die Korbe oben durch andere Arbeiter abnehmen und
dann an den abwartsgehenden Teil der Kette hangen laBt. Kapitel
X zeigt und beschreibt dann den in Figur 7 abgebildeten Apparat
zum Transportieren von Erde bei der Umwallung von Festungen.*)
Die gefiillten Erdkarren werden auf einer stark ansteigenden
Holzbahn vermittelst eines Haspels mit Spillen- und Tretrad auf
den Wall gezogen, dort abgenommen und entleert und alsdann
auf der geneigten Holzbahn wieder hinabgelassen. Die Zu-
fiihrungsbahn unten im Qraben hat Fall nach der Rampe, die
Abfuhrungsbahn oben auf dem Walle nach der Entleerungs-
stelle hin, sodaB die gefiillten Karren auf beiden bergab laufen.
Dieser Apparat bietet besonders dadurch Interesse, daB die Balken
der ansteigenden Bahn mit einer Spur versehen sind, durch welche
die Karrenrader gefiihrt werden, eine erste Andeutung eines Bahn-
geleises.
Am Schlusse dieses Kapitels sagt Lorini: „Man kann mit Erde
beladene Karren auch noch in anderer Weise fortbewegen, wenn es
sich darum handelt, die Erde aus dem Qraben zu schaffen, oder
sie aus der Contrescarpe zu nehmen und iiber den Qraben zu
schaffen, namlich auf zwei an starken Stutzpfahlen befestigten und
durch Handgobel und FlaschenzUge gespannten Seilen, oder sonst
etwas, das zur UnterstUtzung geeignet und leicht transportabel ist.
Alsdann miissen jedoch die Rader der genannten Karren etwas
breiter sein, als gewohnlich von weichem Holze und ausgehohlt, wie
die RoUen eines Flaschenzuges. Diese Rinne muB durch starke
Bretter hergestellt werden, die man auf jeder Seite anpaBt, und die
Kanten miissen innen so abgeschragt werden, daB der Kanal nach
auBen viel weiter ist, als auf dem Qrunde, d. h. als die Breite des
Rades. Und um mit diesem Apparat zu arbeiten, muB man wissen,
daB der Karren immer auf den beiden Seilen stehend be- und ent-
Beck, BeitrMge zur Geschichte des Maschinenbaues.
— 21 —
laden werden muB. Obgleich hieraus hervorgeht, daB das Herbei-
bringen der Erde, um die Karren zu fiillen, und das Verbringen der-
selben an ihren Bestimmungsort, nachdem der Karren entleert ist,
al$ zwei gesonderte Arbeiten behandelt werden mussen, so ist diese
Arbeitsweise doch von groBem Vorteile, well man bei der Her-
richtung des Apparates nichts zu tun hat, als die Seile zu spannen,
und die Verteidigungswerke der Festung dabei nicht verletzt
werden. Wenn die Karren oben umgestiirzt werden, mussen sie
etwas iiber dem Waiie stehen und umkippen, ohne riickwarts fahren
zu konnen, bevor sie entleert sind; unten aber mussen sie so tief
stehen, daB sie mit Schubkarren oder anderen Instrumenten bequem
gefullt werden konnen, und zwar geschieht dies vermittelst eines
Fig. 8. Rekonstruktion der Seilbahn des Buonaiuto Lorini, ca. 1580 — 90.
Steges. Das Qanze muB, wie gesagt, transportabel sein und leicht
von einem Ort zum anderen bewegt werden konnen."
Beck glaubt in seinen Beitragen zur Qeschichte des Maschinen-
baues annehmen zu mussen, daB dies die alteste Nachricht von einer
Seilbahn sei. Aus den fruher angefiihrten Daten laBt sich ent-
nehmen, daB Beck hierin irrt. Interessant ist bei Lorini jedoch die
Entwicklung dieser Schwebebahn, und zwar einer solchen, die schon
ziemlich hohe Anspriiche an die Technik stellt, indem auf leichtes
Verlegen derselben Rucksicht genommen werden muB. Um un-
gefahr einen Begriff von der Konstruktion dieser originellen Ein-
richtung zu geben, ist in Fig. 8 der Versuch einer Rekonstruktion
nach dem Texte gemacht worden. Es handelt sich demnach hierbei
um eine Art von schragem Seilaufzug, wie sie bis heute noch hSufig
ausgefuhrt werden, und die spatere Konstrukteure, z. B. von
Diicker, noch haufig irrtiimlicherweise Seilbahnen genannt haben.
— 22 —
Nur besteht diesen gegeniiber der Unterschied, daB man hier nicht
auf das so auBerordentlich einfache Hilfsmittel der Aufhangung der
Last unter dem Seil gekommen war, sondern die Wagen iiber bzw.
zwischen die Seile hangte, was natiirlich ganz bedeutende Schwie-
rigkeiten verursachen muBte. Man kann annehmen, daB sich die
Konstruktion der Details, namentlich der Wagen und des Haspels
eng anschloB an die Konstruktion der vorbeschriebenen schiefen
Ebene mit festen Schienen, Fig. 7, also auch hier wieder trotz der
scharfsinnigen Losung einer ziemlich schwierigen technischen Auf-
gabe nicht ein Ableiten aus alteren Konstruktionen charakte-
ristischer Art, in diesem Faile schwebender Bahneinrichtungen mit
Fig. 9. Faustus Verantius. Zweiseilbahn mit festem Tragseil und endlosem Zugseil (etwa 1610).
untenhangender Last, sondern eine Losung fiir einen Einzeifali mit
Umbiidung einer bodenstandigen Qleisebahn zu einer solchen mit
hangendem Qleise. Allerdings kann auch hier wieder nur von einer
Zweiseilbahn gesprochen werden, insofern, als das tragende Ele-
ment und das bewegende Element von einander getrennt sind. —
Um dieselbe Zeit, wie das Lorini'sche Werk, erschienen die
ersten Veroffentlichungen des Faustus Verantius, eines Neffen des
Antonius Verantius, von dem Michaud in seiner Biographic Univer-
selle sagt: „Er war Erzbischoff von Gran, Primat und Vizekonig
von Ungarn, beruhmt durch die diplomatischen Missionen, die er
an den ersten Hofen Europas ausfiihrte, stammte aus vornehmer
Familie, war geboren am 20. Mai 1504 zu Sebenico und starb am
15. Juni 1573." Der Neffe dieses Antonius Verantius, Faustus, war
— 23 —
selbst Qeistlicher, Bischof in partibus des heutigen ungarischen
Komitats Csanad. Unter seinen Werken, deren erstes 1595 in Ve-
nedig erschien, findet sich ein in funf Sprachen abgefaBtes, offenbar
1617 gedrucktes Werk, betitelt „Machinae Novae etc." mit zahi-
reichen Figurentafeln, in dem nicht nur Maschinen, sondern auch
Briicken, Kirchen und andere merkwiirdige Konstruktionen, die er
auf seinen Reisen zu beobachten Qelegenheit hatte, aufgefuhrt sind.
In diesem Werke befindet sich eine Seilbahn, Fig. 9, von auBerst
interessanter Konstruktion, von der der Verfasser sagt:*)
„An ein dickes Seil soil ein Trog oder Korb mit umlaufenden
RoUen gehangt, und daneben ein diinnes Seil gespannt werden,
welches, wenn es angezogen wird, diejenigen, welche sich in dem
Korbe befindet, ohne alle Qefahr hinuberbringen wird."
Zunachst ist zu bemerken, daB es sich hier um eine schon ziem-
lich weit fortgeschrittene Zweiseilbahn mit endlosem Zugseil, aller-
dings fiir hin- und hergehenden Betrieb handelt. Betrachtet man
die Einzelheiten naher, so fallen einige technisch sehr glucklich ent-
wickelte Konstruktionen an denselben auf. Vor alien Dingen greift
das Zugseil nicht, wie bei den fruher beschriebenen indischen und
japanischen Seilbahnen, an der pendelnd aufgehangten Wagenlast
an, sondern an den RoUen bzw. dem Laufwerk, wobei zu beachten
ist, daB hier schon zwei Aufhangerollen fiir den Wagenkasten ver-
wendet sind. Durch das Angreifen des Zugseiles an dem Laufwerk
wird aber das Schiefziehen der Wagenaufhangung bei Oberwindung
der notwendigerweise auftretenden Steigungen vermieden. Ferner
fallt die Art der Tragseilffiihrung auf. Wenn auch die Enden des
Tragseiles nicht sichtbar sind, so muB doch darauf aufmerksam
gemacht werden, daB dieses auf den beiden Stiitzen oben und unten
uber Rollen gefiihrt ist, was darauf schlieBen laBt, daB es, wenn
auch nur geringe, Bewegungen auszufiihren hat. Sollte hiermit
eine Andeutung auf eine selbsttatige Anspannung des Seiles, die
doch nicht gut anders, wie durch Qewichtsbelastung ausgefiihrt
werden konnte, gegeben sein? Sollte diese Annahme jedoch
verfehlt sein, so wiirde wohl die andere zutreffen, daB zum Aujs-
gleich etwaiger Langendifferenzen oder zur Regulierung des Durch-
hanges an den Enden Winden oder Flaschenziige zum Nachspannen
angebracht worden sind.
Nach der geringen technisch-historischen Ausbeute der vor-
beschriebenen Seilbahnen mutet es erfreulich an, aus einer, einige
Jiahrzehnte, spateren Zeit einmal eine vollstandige Abbildung einer
wirklich zu groBeren Massentransporten dienenden Schwebeseil-
bahn zu sehen. Sie ist enthalten in einer Chronik der Stadt Danzig
aus dem Jahre 1644. Diese Danziger Chronik enthalt zwar auBer
*) Beck, Beitriige zur Geschichte des Maschinenbaues.
— 24 —
dem Bilde dieser Anlage keine ausfiihrliche technische Erlauterung,
wohl aber auf dem Bilde selbst eine Legende mit Buchstaben-Ver-
zeichnis in lateinischer und deutscher Sprache, aus der sich die
Einzelheiten mit ziemlicher Deutlichkeit entnehmen lassen. Fig. 10.
Namentlich ist sehr gut zu erkennen, daB diese als Einseilbahn mit
endlosem Zugseii und an dem Seil unlosbar befestigten unten-
hangenden Korben ausgefUhrte Anlage fUr das beladene Seiltrumm
nicht weniger wie 7 StUtzen vorsieht, wahrend das Leerseiltrumm
t:
T^byW CtVifio dnLrifi,'
P^^^^>^;<;i2-_ flo.t
Jier Biiffiaffi
I K^J., y-J^.:
*lXtp in Alt Xnjrf pu Ar^tn J^tjil:
P fii" h^ .4.1 J[,t>ili.>r .
*i# 4,*^
'Die Xrguite ^hn uni ^a 0tfi
Fig. 10. Seilbahn zum Abtragen des Bischoffsberges bei Dantzig. Erbaut 1644 von Adam Wybe.
nur auf einer einzigen Mittelstiitze aufruht Als Erbauer dieser
Seilbahn wird der hollandische Architekt Adam Wybe, gebiirtig
aus Harlingen in Holland, genannt.
Nach der dichten Wagenfolge, die diese Bahn aufweist, muB sie
eine ziemlich erhebliche Leistung besessen haben, doch scheint auch
sie in ihrer Ausfuhrung sehr vereinzelt geblieben zu sein, von einer
Nachahmung oder Wiederholung derselben an anderer Stelle ist
nichts bekannt. Es ergiebt sich dies sehr einleuchtend aus dem
— 25 —
bekannten technischen Qeschichtswerke des 18. Jahrhunderts, dem
Theatrum machinarum hydrotechnicarum von Jacob Leupold,
Leipzig, erste Auflage 1714, neu aufgelegt 1774, das als wahre
Fundgrube fiir die Technik des 17. Jahrhunderts angesehen wer-
den muB.
Dieser Schriftsteller wurde (nach C. Q. Jocker, Qelehrten-
Lexikon 1750) am 25. Juli 1674 zu Planitz bei Zwickau in Sachsen
geboren, lernte anfanglich das Drechslerhandwerk und studierte
spater kiimmerlich zu Jena und Wittenberg Mathematik, ging als
Lehrer nach Leipzig, arbeitete Modelle, wurde zum Mitgliede der
Florenzer Akademie „dei' Onore letterario" und spater 1725 zum
preuBischen Bergrate wegen seiner hervorragenden Kenntnisse und
praktischen Leistungen auf dem Qebiete des Bergmaschinenwesens
ernannt. Leupold, welcher 1727 starb, ist fiir die Qeschichte der
Ingenieur-Wissenschaften ein Autor, dessen Wert in der Qegenwart
ganz besonders zu schatzen ist, denn er gibt uns durch seine in
sieben Banden gesammelten Abhandlungen und Zeichnungen aus
dem Qebiete Mathematik, Qeometrie, Statik, Mechanik, Hydraulik
und des Briickenbaues, bei dem er sich allerdings meist auf Schramm
stiitzt, ganz genaue Kenntnis von dem Zustande schon hoher Ent-
wicklung der Ingenieur-Wissenschaften lange vor der Zeit der
Dampfmaschine. Fur historische Forschungen im Rahmen unseres
Faches ist Leupold eine der edelsten Fundgruben; sie enthalt unter
Anderem auch schon das Abbohren eines weiten Brunnenschachtes
(zu Amsterdam), welches Verfahren bis jetzt irrtiimlich als zuerst
1844 durch Combes angeregt und durch Kind und Choudron aus-
geftihrt betrachtet wurde.*)
Bringt der genannte Schriftsteller auch wohl noch Hinweise auf
Seilbahn-ahnliche Konstruktionen anderer Art, so findet sich doch
in diesem seinen umfassenden Werke keinerlei Anspielung darauf,
daB speziell die Danziger Bahn irgend welche Nachfolger gefunden
hatte, weshalb er ihre Nachahmung in richtiger Erkenntnis des
wirtschaftlichen Wertes dieses Transportsystems auch warm emp-
fiehlt. — Doch er blieb der Prediger in der Wiiste. —
Waren noch spatere Anlagen zu seiner Kenntnis gekommen, so
wurde er es auch sonst kaum fiir notwendig gehalten haben, gerade
diese Danziger Anlage in der Ausfuhrlichkeit zu beschreiben, wie er
es tut, noch weniger aber wiirde, wenn diese Anlage zur Durch-
bildung eines Systems gefiihrt hatte, es fiir ihn notwendig geworden
sein, sich ihre Einzelheiten wieder zu rekonstruieren. Jedenfalls ist
seine Arbeit uber diese Seilbahn eine der interessantesten, die aus
♦) Franz Rziha Zur Geschichte der Seilbahnen. Wochenschrift des
Oesterr. Ing.- und Arch.-Vereins, Wien 1877.
— 26 —
der alten Zeit der Transport-Industrie existiert, weshalb sie hier
im vollen Umfange zum Abdruck gebracht werden mag.
„Die Dantziger Maschine, vermittelst welcher der sogenannte
Bischoffsberg um ein QroBes abgetragen, und die Erde in freier
Lufft, erstlich den Berg hinab, ferner iiber einen FluB, uber ein
Stiick Anger und Land, denn iiber den breiten Stadt-Qraben, und
endlich auf den Wall hinauf geschaffet worden.
Es ist von dieser Maschine ein apartes groBes Kupffer vor-
handen, so aber sehr rar ist, auf welcbem der Berg und die gantze
Gegend nebst der Maschine perspektivisch entworffen, weil aber
die Distanz sehr groB, ist alles sehr klein und unkanntlich worden,
ob schon sonsten der RiB sehr sauber und nett von dem beruhmten
Fig. 11. Leupold, 1724, die Dantziger Maschine.
Hondio gestochen. Ich habe solche Zeichnung nirgend finden
konnen, wie sehr ich mich auch bemiihet, bis endlich selbige bei
E. E. Hochw. Raths Ober-Voigt allhier in Leipzig, Herrn Senkeisen,
erhalten habe ; wie er denn sonsten noch einen schonen Vorrath von
dergleichen Sachen und Curosiotaten besitzet. Die gantze Maschine
habe nicht gezeichnet, weil solche allzu klein gefallen ware, sondern
nur etwas das ich dieser gleich halte, wie denn auch die Rader und
alles womit das Werk getrieben worden, verdecket ist (Fig. 11).
Weil nun auf dem Kupfer ziemlich deutlich zu sehen, daB das Seil
Oder Canal viel auf Waltzen oder Kolben auflieget, und also un-
moglich, daB die Eymer mit ihrem Seil daruber gehen konnen, so
hat es mir viel Spekulierens gemachet, wie solches zugienge, bis
ich etliche Maschinen und Modelle verfertiget, welche sehr wohl
angehen. Ich habe aber hernach erfahren, daB die Eymer nicht von
— 27 —
sich selbst, sondern durch darzu bestellte Personen, iiber die Rollen
sind gehoben worden, und wenn ich dieses von Anfang gewuBt
hatte, wiirde mir keine MUhe gegeben und es vor inpracticabel ge-
halten haben. Ich will erstlich die Maschine, hernach die Waltzen
Oder Rollen nach meiner Invention beschreiben. A sey der Berg,
auf welchen ein Horizontal-Rad B, so auf der Stirn tief einge-
schnitten, daB ein starckes Anker-Tau darinnen liegen kan, dieses
>-Ji
i
Fig. 12. Leupold, 1724, Einzelheiten, AufhSngung der Eimer, RollenfOhrungen zu Dantziger Maschine.
Rad muB in einem wohlgezimmerten Qeriiste eingefasset sein (so
hier nicht bemerket ist), am Rad ist ein Arm oder Deichsel C, daran
zwey Oder mehrere Pferde konnen gespannet werden. D E, F Q,
H I sind Saulen, auf welchen oben die Rollen sind, darauf das Tau
ohne Ende laufft. K ist das andere Rad, da das Tau herumgehet,
L das Tau, und zwar die Seite, da es mit denen vollen Eymern
herunter gehet, M aber die Seite, da die letigen hinauf gehen, N die
kleinen Eymer mit ihren Schniiren oder kleinen Seilen, oben in A
— 28 —
werden die vollen Kiibel angehangen, und unten in K ausgeschiittet.
P sind die Scheiben oder Rollen iiber welche ein Mann die Eymer
hiniiber leiten muB.
DaB aber die Eymer selbst hiniiber gehen, ist meine Invention
diese, Fig. 11. Es wird oben an dem Balken oder Saule A ein Quer-
Holtz gemachet BC, an dieses ein langer eiserner glatter Stab an
beiden Enden in B und C feste gemacht, und machet solcher einen
Bogen, daB er etwas hoher und auch weiter absteht, als die
Scheibe, wie das Ringlein a bei der III. Figur zeiget, iiber welches
das Seil lieget, und den eisernen Stab in Profil vorstellet, also wenn
das Seil an den Stab kommet, es auf dem Stabe fortrutschet bis es
iiber die Waltze hinweg ist. (Fig. 12.)
Weil aber das Seil sich dadurch abarbeiten wiirde, bin ich auf
die andere Invention, daB die Eymer durch die Waltze hindurch
gehen, gef alien, Figura IV stellet solche in Profil vor; A ist das
groBe Tau; daran die Eymer hangen, B das kleine Seil mit den
Eymern, C D zwey Saulen, so unten in der Erde feste, oben aber
mit einem Eisen E und zwei Poltzen a, b zusammengehangen sind,
F Q sind zwei halbe Rollen oder Scheiben, davon jede ein Stiick
der Hohlung hat, darinnen das Tau A lieget, in der Mitte aber von-
einander stehet, well nun das Tau A sehr starck, kan es es nicht,
hingegen das Seil der Eymer B well es diinne durchweg gehen.
H sind zwey starke Poltzen, damit jede halbe Scheibe feste, und
vorne mit einem Kopff C C versehen ist. Weil aber das Tau die
Scheiben auseinander presset, und groBe Friction verursachen
wiirde, so ist hinter jede eine Horizontal-Scheibe F und Q geleget,
an welchen die groBen F und Q anliegen, und zugleich mit Ihnen
umgedrehet werden, deswegen auch das Holtz bei K hinweg ge-
nommen ist.
Fig. V zeiget solches von oben herab eben mit diesen Buch-
staben, nur daB zum CberfluB zwey Eisen P Q angemachet sind,
welche das Seil, daran die Eymer hangen, allezeit, recht in die
Mitte fiihren. Fig. VI zeiget eben dieses mit den Buchstaben
perspectivisch.
Es ist dieses eine sehr niitzliche Maschine, und kan, wo Verstand
gebrauchet wird, bey vielen Qelegenheiten sehr groBe Dienste thun,
absonderlich da man nun auch die Leute erspahren kan, die sonsten
die Eymer iiberheben miissen. Der Inventor ist ein Hollander von
Harlem, Adam Wyce*) gewesen."
Leupold war iibrigens einer von den wenigen, die den Versuch
gemacht haben, in der Technik auf Qrund alterer Qelegenheits-
schopfungen neuere Systemerfindungen zu schaffen. Es geht dies
hervor aus einer weiteren Veroffentlichung in dem „Theatrum
♦) Offenbar verdruckt, „Wybe", „Harlingen"
— 29 —
machinarum", die eine Seilbahn-ahnliche Einribhtung beschreibt,
welche gleichzeitig als Schragaufzug benutzt wird. Diese Ver-
Offentlichung in dem
Kapitel VII, Tafel XXVI,
Seite 62 des obenge-
nannten Buches kann
als eine der ersten Hin-
weise auf Kabelhoch-
bahnen mit Hubein-
richtungen und speziell
mit Einseillaufkatze an-
gesehen werden, wenn
man aus der allerdings
primitiven Darstellung
und namentlich aus der
hier vorliegenden An-
wendung einer solchen
Einrichtung fiir h^us-
liche Zwecke den tech-
nisch wertvollen Kern
herausschalt. Leupold
beschreibt diese Ein-
richtung wie folgt:
(Fig. 13;)
„Eine besondere Ma-
schine des vorigen Au-
toris, das Wasser aus
einem Brunnen und als-
dann wieder in schreger
Linie zu Ziehen.
Obschon diese Ma-
schine nicht hierher ge-
hOret, dennoch weil sie
eben dieses Autoris, und
der Raum dazu sich
schicket, sol sie hier
Tabula XXVI Figura 11
Platz finden.
Es sei ein Brunnen
ein ziemlich Stiick von
einem Hause, und man
wolte doch im dritten
GeschoB oben bei F den
Eymer mit Wasser aus solchem Brunnen dahin ziehen, so wird erst-
lich ein Seil A B und B feste gemacht, an welche ein Holtz D E mit Zwey
Fig. 13. Kabelbahn (etwa 1720) mit Einseillaufkatze.
— 30 —
Scheiben, wie die Figur weiset, gemachet wird, durch die andere
Oeffnung gehet ein Seil an dem der Kiibel ist, wenn solcher mit
dem Holtz D zu A kommet, so bleibet as alda liegen, und der Eymer
kommet perpendicular iiber die Mitte des Brunnen bis zum Wasser,
wird bei F am Seil F F so iiber der Scheibe Q gehet, gezogen, gehet
das Holtz mit Kiibel hinan, und solcher Bei Q F so nahe an die
Wand, daB die Person im Fenster solchen mit der Hand er-
langen kann.
Man konnte dies auch einrichten wie Bei Tab. XXIX. Figura V.
gezeiget worden, nemlich, daB die Person unten bei dem Brunnen
den Eymer hinauf Ziehen konnte, und sich solcher oben durch einen
Haken selbst erledigte."*)
Es war im Jahre 1724, als Leupold diese Beschreibung an-
fertigte, und nun folgt eine lange, lange Zeit, in der auch nicht eine
Spur weder literarischer Aufzeichnung, noch etwaiger Oberreste,
auf die Weiterbildung, selbst nur auf die nochmalige Anwendung
des von jenem scharfsinnigen Ingenieur in seinem Werte erkannten
Transportmittels verweist. Die Dampfmaschine, die Qasbeleuch-
tung, sie wurden erfunden, die Stiirme der Revolution, der napo-
leonischen Kriege brausten iiber Europa hin, letztere Industrie und
Technik, wie in England, selbst gegen den Willen des Machtigen
befruchtend, eine voUstandige geistige Wiedergeburt des alten
Europa erlolgt — aber unter den tausenden und tausenden von
Ideen, die zu den groBen Erfindungen der Neuzeit fiihrten, fand sich
keine, die auch nur einmal wahrend annahernd 130 Jahren auf die
Anwendung des fiir die moderne Technik so auBerordentlich wich-
tigen Transportmittels der Seilbahnen hingewiesen hatte. Die
Drahtseile in einer fiir allgemeine Zwecke verwendbaren Form
wurden erfunden, selbst der Erfinder dieser, Albert, dem der Berg-
bau so viel zu verdanken hat, der so viele Anregungen zu Forder-
konstruktionen gegeben hat, die geradezu als Qrundlage der heu-
tigen gelten miissen, kam nicht auf die Idee der Seilbahn. Die
mittlerweile eingefuhrte Dampfeisenbahn stellte die hochsten An-
forderungen an die schopferische Kunst der Ingenieure — vielfach
muBte sie Halt machen vor tiefen Schluchten, vor schroff an-
steigenden Qebirgen ; ungeheure Viadukte muBten erbaut werden — ,
aber lange Zeit kam keiner der Ingenieure auf den Qedanken, ein
Drahtseil iiber eine Schlucht zu spannen und auf diesem Seile
Lasten schwebend zu bewegen.
Um das Jahr 1834 finden wir bei den Festungsbauten von Posen
durch den damaligen Artilleriehauptmann von Prittwitz wieder den
*) Theatrium Machinarum Hydraulicarum oder Schauplatz der Wasser-
kunste. Erster Teil. Von Jacob Leupold, Mathematico et Mechanico,
Kdnigl. PreuB. Kommercienrat.
Kap. VII von Eymer-Kttnsten, Tab. XXVI. Seite 62.
— 31 —
Versuch einer schwebenden Bahneinrichtung, einer Hangebahnein-
richtung fiir Pferdebetrieb, die zuerst naher beschrieben ist in der
kleinen Schrift: „Die schwebende Eisenbahn und Projekt zu einer
allgemeinen Eisenbahn durch den preuBischen Staat", und die
weiter ausfuhrlich beschrieben ist in „Verhandiungen des Vereins
zur Beforderung des QewerbefleiBes in PreuBen 1837". Die Bahn
bestand aus einer auf Stiitzen hochgelegten Schiene, die ihrerseits
aus einer hochkant gestellten Bohle gebildet wurde, auf deren Ober-
flache sich eine Eisenauflage hinzog. Die Wagen hingen an einem
sattelartigen Bock als zwei symetrische Kasten rechts und links
neben den Qeriisten, liefen auf einem ziemlich groBen, mit eisernem
Kehlrand versehenen Rad, das in dem sattelformigen Qeriist ein-
gebaut war und wurden, zu kurzen Ziigen vereinigt, mittelst einer
Zugleine von Pferden, die seitlich von den Stiitzpfosten gingen, ge-
zogen (Fig. 14). Um das seitliche Anschlagen der Wagenkasten an
die Stiitzpfosten zu vermeiden, waren diese unter sich etwa in der
Hohe des unteren Teiles der Wagenkasten mit einer durchlaufenden
eisenbeschlagenen Bohle verbunden, gegen welche sich Fuhrungs-
rollen legten. Da die Bahn fast ausschlieBlich zum Ziegeltransport
diente, sind auch die Wagenkasten dementsprechend mit aufklapp-
baren Seitenwanden versehen gewesen. Die ganze Lange der Bahn
betrug 1450 m, die Tragkraft eines Wagens stellte sich auf
ca. 500 kg, die Kosten eines Wagens nach den Angaben von
Prittwitz zu damaliger Zeit auf 45 Taler, wahrend die Kosten der
ganzen Bahn fiir die deutsche Meile, also 7500 m Lange, 25 000
Reichstaler betragen sollte. Diese Bahnanlage war in Betrieb bis
zum Jahre 1856. Aus den Mitteilungen des Erbauers geht hervor,
daB sich die gesamten Transportkosten auf dieser Bahn fiir den
Zentner und die deutsche Meile zu 1,4 Pfennig preuBisch gestellt
haben sollten.
Die ganze Einrichtung kann kaum in den Rahmen der Draht-
seilbahnen eingereiht werden, sie ist nur insofern bemerkenswert,
als sie fast die einzige Einrichtung einer schwebenden Bahnanlage
ist, die in der groBen geschichtlichen Liicke vom Jahre 1724 bis
1860 sich vorfindet.
Es ist in der Tat schwer verstandlich, daB, nachdem ein so in
seinen Einzelheiten durchgearbeitetes Vorbild vorhanden war, nach
der Konstruktion dieser Bahn Niemand auf den Qedanken kam, die
Schiene, die hie'r aus Holz bestand, aus einem straff gespannten
Drahtseil herzustellen. Auch diese Bahn blieb somit, da sie weder
Nachahmer noch Verbesserer fand, eine Einzellosung ohne allge-
meine Anwendbarkeit. Erst einer viel spateren Zeit war es vbr-
behalten, diese Art der sattelformig angeordneten Eisenbahn zu
weiterer Ausbildung, wenn auch heute noch nicht zu allgemeiner
Anwendung, zu bringen, die Losung der technischen Aufgabe, die
32 —
>
3
— 33 —
zur Drahtseilbahn in allgemein-anwendbarer Form zu fuhren be-
rufen war, soUte noch iiber ein weiteres Menschenalter auf sich
warten lassen.
Ab und zu findet man, namentlich in Qebirgsgegenden, erste
Versuche zur Konstruktion von Seilschwebetransporten ; doch
konnen diese kaum als Bahnen angesehen werden, da sie vielfach
noch nicht einmal die Vollkommenheit erreichen, wie sie z. B. die
von Lorini oder Faustus Verantius erwahnten Anlagen besitzen.
Wir finden ab und zu in den siidiichen Alpen derartige Versuche,
so u. a. in Kanton Tessin. So soil z. B. in Riva San Vitale im Jahre
1849 ein Hanfseil von 40 mm Starke und 1050 m Lange zum Ab-
transport von Holzlasten mittelst flaschenzugahnlicher Ein-
richtungen, die an dem Seile liefen und unter Benutzung des Qe-
wichtes der abwartslaufenden Last arbeiteten, benutzt worden sein.
Auf diesem Seile soUen etwa TOOODoppelzentner Brennholz, die aus
dem oberhalb liegenden Walde von Qhinella stammten, trans-
portiert worden sein.*) Ebenso soil in den Sopraceneri (Arbedo
etc.) zu jener Zeit die Verwendung von Hanfseilen zum Transport
von Waren, Brennholz und Heu zur Anwendung gekommen sein.
(Im Volksmunde wurden diese Einrichtungen allgemein „Bordioni"
genannt.) Diese vorstehende Angabe uber die Lange scheint je-
doch einigermaBen zweifelhaft, da ein freihangendes Hanfseil von
iiber 1000 m Lange schon durch sein Eigengewicht eine solch riesige
Spannung im Verhaltnis zu seiner Bruchfertigkeit erhalten wiirde,
daB es zum Transport von Lasten wohl kaum noch zu verwenden
gewesen ware. Sollte es unter nur geringer Spannung ausgehangt
worden sein, so wird jedenfalls der groBe Durchhang seine Ver-
wendung als Bahn zum Lastentransport ausgeschlossen haben.
Die Erfindung der Drahtseile und deren allgemeine Einfuhrung
in die Fordertechnik, zunachst des Bergbaues, hatte eine wesent-
liche Vervollkommnung der Drahtherstellung schon nach ganz
kurzer Zeit zur Folge, die ihrerseits wieder zu einer groBen Ver-
billigung namentlich der Eisen- und Stahldrahte fiihrte. Hierzu
kam noch die Einfuhrung des Telegrafen, der mit seinem riesen-
groBen Bedarf an Eisendrahten befruchtend auf die Drahtindustrie
einwirkte, sodaB sehr bald Drahte, namentlich starkerer Ab-
messung, von mehreren Millimeter Durchmesser, auch da bekannt
und gebra.ucht wurden, wo man friiher iiberhaupt an die Ver-
wendung von Draht nicht dachte. In vielen Fallen wurden die
gegeniiber den Drahtseilen erheblich billigeren Drahte an Stelle
*) Nach einer Mitteilung des Kantons-OberfSrsters H. Frankenhauser
im 30 Annuario d. Society degli Ingegneri ed Architetti nel Cantone Ticino
Lucarno 1902.
3
— 34 —
ersterer aiigewandt, so daB z. B. die nachweislich ersten Luftbahnen
mit eiserner Fahrbahn eigentliche Drahtbahnen waren.
Die ersten wirklichen Drahtseiltransporte des 19. Jahrhunderts
diirften in Beigien etwa im Jahre 1853 gebaut worden sein. Von
Diicker berichtet,*) daB er im Jahre 1853 auf der Steinkohlengrube
Esperence bei Seraing in Beigien einen Kohientransport gefunden
habe, bei dem von einem hoher liegenden Schachte abwarts nach
der Talsohie die Kohle in an einem Drahtseil hangenden Korben ge-
fordert wurde. Eine Zeichnung dieser Anlage lieB sich leider nicht
beschaffen. Da jedoch in dem erwahnten Berichte nur von einem
Drahtseil die Rede ist, muB hin- und hergehender Betrieb bestanden
haben, sodaB zu vermuten ist, daB die leeren Korbe immer in
groBeren Partien, vielleicht mit einer Schleppieine wieder zuriick-
gezogen worden sind. Ober die Dauer des Betriebes, etwaige Be-
triebsausfuhrungen usw., waren Angaben nicht zu eriangen.
In der Schweiz, namentlich im Berner Oberland und im Kanton
Qraubiinden, wurde wohl schon zu Mitten des 19. Jahrhunderts
von armen Wildheuern fiber unzugangliche Fluhwande und tiefe
Abgrunde hinweg an einem aufgespannten Seile das Putter, dessen
ihre Schafe oder Ziegen den Winter iiber bediirfen, ins Tal zur arm-
lichen Hiitte geschafft, manchmal sogar die halsbrecherische Fahrt
mit der schnellgleitenden Rolle iiber die Tiefe personlich unter-
nommen.
Im Jahre 1857 kaufte ein Bauer, Johann Baptist Pradi in Lewico,
einer Qemeinde im Trientiner Kreise, einen auf einer steilen Fels-
wand, 840 m iiber dem Meere gelegenen Buchenwald, zu dessen
Ausbringung, die durch Handschlitten zu teuer geworden ware, er
sich eine der ersten Drahtriesen ausdachte.**) Fast zu gleicher Zeit
baute sich aber auch ein Kalkbrenner, der in Etschthal zu der neuen
Eisenbahn von Bozen nach Verona Kalk brannte, eine ganz ahnliche
Drahtriese, die er iiber eine schroffe Felswand von der Hohe des
Berges bis zu seinem am FuBe desselben gelegenen Ofen gespannt
hatte, um diesem den Holzbedarf aus dem Walde direkt zuzufiihren.
Die Konstruktion dieser beiden Drahtriesen war selbstverstandlich
sehr primitiv; sie bestand einfach darin, daB auf dem Berge in
einiger Entfernung vom Rande des Abhanges ein Draht entweder
an einem Baumstamme oder an einem eingerammten Klotz be-
festigt, dann iiber einen Bock gezogen und in ahnlicher Weise, da,
wo die Abgabe der abzuriesenden Holzer stattfinden soUte, wieder
befestigt wurde. Zum Abriesen der Holzer dienten holzerne Haken,
an deren einem Ende die Lasten angebunden waren.
*) Notizblatt des Deutschen Vereins fUr Fabrikation von Ziegeln, Ton-
waren etc. No. 1. 1871.
**) Fankhausen. Die Drahtseilriesen. Bern. 1873.
— 35 —
Nach einem Aufsatz in Uhlands Praktischem Maschinen-Kon-
strukteur*) vom Jahre 1869 erhebt ein Forstmann Adolf Hohenstein
den Anspruch darauf, als der Erfinder der Seilriesen zu gelten,
denen er den merkwiirdigen Namen „Waldtelegrafen" beigelegt
hatte. In der Einleitung zu diesem Aufsatze erkennt er wohl an,
daB die erste Idee zu diesen Waldtelegrafen 1857 von einem ge-
wissen Pradi ausgegangen sei.
Es ist dies derseibe Pradi, den Fankhauser in seinen „Drahtseii-
riesen" nennt. Hohenstein baute im Jahre 1859 in der Qemeinde
Fai, Bezirk Mezzo Lombardo, von dem Berge Taucior in das Tal
Fig. 15. Drahtseilriesen, erbaut von Hohenstein 1859 in fai, Bez. Mezzo Lombardo.
hinunter eine Drahtseilriese, von der er seibst bemerkt, daB er da-
mals von Drahtseilen noch nichts wuBte und sich deshalb mit Eisen-
draht begniigen muBte. Dieser Waldtelegraf (Fig. 15) soil 1230
Wienerklafter Lange und einen Eisendraht von l^ Zoll Dicke als
Laufbahn besessen haben und auf ihm sollen von 3 Arbeitern in
66 Tagen 40 000 Faschinen von 3 FuB Lange und 5 Zoll Dicke ab-
geriest worden sein, deren Transport sich auf 287 Gulden gestellt
hatte. Den Transport auf dem Landwege berechnet Hohenstein
mit etwa 560 Gulden.
In der Fortsetzung seines Aufsatzes iiber diesen Waldtelegrafen
gibt Hohenstein an, er hatte schon im Jahre 1855 die ersten der-
*) Der praktische Maschinenkonstrukteur. W. H. Uhland. 1869, S. 169 u. f.
3*
— 36 —
selben in Tirol aufgestellt. Es scheint dies jedoch ledigiich ein
Druckfehler zu sein, 1859 diirfte wohl die richtige Zahl darstelien.
Etwas unklar ist noch die Mitteilung in demseiben Aufsatze, daB
im Jahre 1858 im Tale Qrigno auf einem Waldtelegrafen von 900
Klafter Lange 270 Osterreichische-Klafter Buchenscheite abgeriest
worden seien, wozu in 13 Tagen taglich 6 Arbeiter verwendet
wurden. Wer der Erbauer dieser Seilriese in Qrigno war, laBt sich
hiernach nicht mehr feststellen. Jedenfalls war es weder Pradi
noch Hohenstein.
Die Unvollkommenheiten, welche jene ersten Anlagen natur-
gemaB besitzen muBten, waren einerseits die Unmoglichkeit einer
genugenden Spannung des Drahtes und das oftere ZerreiBen des-
selben, andererseits aber der Umstand, daB bei dieser Art der Be-
wegung der Last auf der Fahrbahn die geringste Unebenheit oder
ein WindstoB die zu transportierenden Holzer in die Schluchten
schleuderte. Ferner kam noch hinzu, daB die zum AbrieBen be-
nutzten Haken nicht wieder an den Ausgangspunkt zuruckkamen,
sodaB immer neue Haken verwendet werden muBten. Die erste
Vervollkommnung, die schon kurz nach der Anwendung dieser
ersten Seilriesen an ihnen angebracht wurde, bestand zunachst
darin, daB statt des einen Drahtes, der die Laufbahn bildete, ein
aus mehreren Drahten zusammengeflochtenes Drahtseil verwendet
wurde, das mit einem Ende an einer Welle befestigt und durch
Drehen und Feststellen derselben mit Hebeln gespannt wurde. Es
bot dieses Seil einerseits den Vorteil groBerer Dauerhaftigkeit, an-
dererseits lieBen sich aber auch dann sofort groBe Einzellasten auf
ihm transportieren.
Hatte der zuerst erwahnte belgische Seilaufzug bei Seraing eine
Wiederholung an anderer Stelle auf Qrund der mit ihm gemachten
Erfahrungen anscheinend nicht gefunden, so ergaben sich aus den
Schweizer und Tiroler Drahtriesen aber sehr bald Konstruktionen,
die zu einer Ausbildung nach der Richtung hin, in der sich die
spateren Drahtseilbahnen entwickelten, aber unabhangig, von
diesen, fuhrten. Es entstand schon bald nach der soeben beschrie-
benen Drahtbahn eine weitere desselben Systems in der Nahe von
Luzern.
Zur Ausbeutung des bis dahin wegen der Unmoglichkeit des
Holztransportes nutzlos gebliebenen Biirgenbergwaldes der Stadt
Luzern hatte die Forstverwaltung im Jahre 1861 nach einem erst-
maligen nicht erfolgreichen Versuche mit einem 6 mm dicken
Drahte spater ein Drahtseil von 12 mm Durchmesser, bestehend
aus 28 Drahten von je 1,5 mm Diameter auf 750 m Lange und einem
Qewichte von 285 kg, anfertigen, dasselbe auf groBen Umwegen
und mit anstrengendem Transport auf die obere, 494 m senkrecht
iiber der untenliegenden Station bringen und auf eine Welle von
— 37 -
24 cm Durchmesser, die ihre Anhaltspunkte am FuBe zweier Baume
hatte, anbringen lassen. Das Oberbringeti des anderen Endes zur
unteren Station war, nach der von Forstverwalter Schwytzer in
Luzern gemachten Beschreibung, eine iebengefahrliche Operation,
welche aber durch die Unerschrockenheit und Besonnenheit des
Bannwarten glUckiich in der Weise geiost wurde, daB das Seii
durch einen Fohrenstamm hindurchgezogen und hinter demselben
wieder auf eine dort festgemachte Welle aufgerollt wurde. Es
diirfte auch diese Seilriese auf die Anregung von Hohenstein zu-
riickzufuhren sein.
Zum Anhangen der zu riesenden Holzer wurden holzerne
Haken und eiserne Rillenrader, deren Rille dem Durchmesser des
Drahtseiles entsprach, angewendet. Mit letzteren erzielte man
wohl eine weit groBere Schnelligkeit, als mit den Haken, indes
bewog die Riicksicht auf Sparsamkeit die Anwendung letzterer,
weil eine RoUe allein Frs. 2.50 kostete. Die mittlere Qeschwindig-
keit auf der 700 m langen Bahn betrug fiir Faschinen von 10 — 12 kg
Qewicht bei Anwendung von Holzhaken in einer Sekunde 20,5 m,
bei Anwendung der Rolle in einer Sekunde 24,7 m.
Mittelst dieser Vorrichtung wurden taglich 300 — 400 Biindel
Holz vom Berge an den See hinuntergeliefert, auf eine Entfernung,
fiir welche ein geiibter FuBganger wenigstens 1^2 Stunde braucht.
Zur Erleichterung des Verkehrs zwischen den Arbeitern der beiden
Stationen, sei es zur Rticksendung der Haken, sei es zur Befrie-
digung anderer Bediirfnisse, wurde ein Sack oder Korb an einer
tiber eine Welle gezogenen Leine, welche mit Zwischenhaken dem
Drahtseil moglichst nahe gehalten wurde, in 30 — 35 Minuten hin-
und herbefordert.
Aus dieser Beschreibung ergibt sich, daB diese bei Luzern ge-
legene Seilriesenanlage somit schon einen weiteren Schritt zu einer
Ausbildung als Bahnanlage getan hatte, insofern, als hier schon die
zum Riickbefordern der Laufwerke dienenden Leinen Anwendung
gefunden haben.
Das Jahr 1861 ist fur die Entwicklung des Drahtseilbahnbaues
iiberhaupt ein sehr bedeutungsvolles geworden, denn in dieses Jahr
fallen die ersten Versuche des damaligen Koniglichen preuBischen
Bergassessors von Diicker. Ober die Entstehung seiner ersten
Seileisenbahnen, die sich von dem Seilriesen kaum unterscheiden,
gibt der Qenannte selbst in einer Veroffentlichung aus dem Jahre
1871 folgendes an:*) (Diese und einige folgende AusfUhrungen
mogen hier wortlich Platz finden, da sie so am besten die Qe-
danken und Absichten des Konstrukteurs wiedergeben.)
„ . . . im Jahre 1861, war der Unterzeichnete durch den An-
*) Notizblatt des deutschen Vereins fOr Ziegelfabrikation. 1871.
- 38 —
blick der groBen Umstande, welche der Transport von Kohlen
und Erzen iiber die Weser in der Porta Westphalica machte,
dahin gefiihrt worden, eine Seilbahn zu ersinnen, welche an beliebig
vielen Punkten unterstiitzt, mithin beliebig weit gefiihrt werden
konnte.
Im Park zu Bad Oynhausen spannte ich 500 FuB weit einen
Eisendraht von % Zoll Durchmesser auf und untersttitzte denselben
alle 200 FuB. Ein eiserner Wagen von kaum 25 Pfund Qewicht be-
wegte sich mit ungemeiner Leichtigkeit daran, und zahlreiche Per-
sonen trauten sich dem schwebenden Fuhrwerke an.
Die Direktion des Eisenwerkes an obiger Stelle forderte das
Qutachten des Eisenbahn-Ingenieurs Polko ein, und derselbe sprach
sich dahin aus, daB solche Drahtseilbahn ein sehr geeignetes Mittel
zur Verbindung des Bahnhofes iiber die Weser mit dem Werke sei.
Concession wurde bei der Regierung in Minden nachgesucht, allein
Proteste der FluBfahre-Interessenten traten hinderlich entgegen.
Im selbigen Jahre spannte ich bei Bochum ein l-z611iges Draht-
seil 400 FuB weit auf und untersttitzte dasselbe in der Mitte. Ein
Wagen mit 10 Centner Last fuhr an dem Seile entlang, allein bei
sehr mangelhafter Endbefestigung sah der erste Versuch etwas hin-
fallig aus, und da ich verhindert wurde, denselben fortzusetzen, so
wendeten sich die Bergwerksinteressenten von der Sache ab und
fuhren fort, Oberbriickungen und Bahnen zu bauen, die Hundert-
tausende kosteten und jahrelangen Bau beanspruchten, wo Seil-
bahnen fur wenige Tausende in wenigen Tagen hergestellt werden
konnten.
Alle Bemuhungen, Interessenten zur Ausfuhrung von Seileisen-
bahnen auf ihre Qefahr zu finden, waren vergebens.
Ich bot das System in verschiedenen Landern an, unter An-
derem auch in England 1862 der Direktion des Sydenhampalastes."
Diese Veroffentlichung ist etwas sehr oberflachlich gehalten,
weshalb auf die dort beschriebenen Konstruktionen etwas naher
eingegangen werden mag. Zunachst ist zu bemerken, daB von
Ducker in der Einleitung zu dem erwahnten Aufsatze in dem Notiz-
blatt des Deutschen Vereins fur Fabrikation von Ziegeln usw. selbst
angibt, daB er im Jahre 1853 die vorerwahnte Bahn bei Searaing in
Belgien gesehen habe. Aus der Einleitung zu dem erwShnten Auf-
satz geht aber ferner hervor, daB ihm die von den Indiern und
Japanesen gebauten Taubahnen auch nicht unbekannt waren, so-
daB bestimmt anzunehmen ist, daB die Kenntnisse dieser primitiven
Anlagen in ihm den Qedanken zur weiteren Ausbildung derselben
erzeugt haben mogen.
Die Versuchsbahn bei Bochum kann als Drahtseilbahn wohl
kaum angesprochen werden. Das einzige, was sie mit dem Draht-
seil uberhaupt in Beruhrung bringt, ist die Verwendung eines Seiles
— 39 —
als Laufbahn, doch scheint es, als seien auf dieser, tiber die be-
glaubigte Skizzen nicht vorhanden sind, die Wagen von Hand be-
wegt worden. Ebenso handelte es sich bei ihr nur um ein einziges
Qeleise, das natiirlich nur fiir bin- und hergehenden Betrieb ver-
wendet werden konnte, sodaB hier von einer Hangebahn mit Hand-
betrieb gesprochen werden muB.
Die hauptsSchlichste Neuerung, die von Dticker hier gegenuber
den friiher bekannt gewordenen Einrichtungen einftihrte, bestand
vornehmlich in der Unterstiitzung der Fahrbahn zwischen den End-
punkten. Wahrend man seither noch nicht dazu gekommen war,
die zwischen zwei Punkten schwebend ausgespannten Fahrbahnen
anders, als wie an ihren Endpunkten zu unterstiitzen, fand von
Ducker ein Mittel, durch Konstruktion seiner Hangewagen, deren
Lastaufnahmebiigel einseitig von den Laufrollen und somit von der
Fahrbahn angeordnet war, letztere selbst nach der dem Biigel ab-
gewandten Seite zu unterstiitzen, und dies blieb auch die einzige
Art der Verbesserung, die er zunachst, wenigstens bis zu Beginn
der 70er Jahre zur Ausfuhrung brachte. Die Anordnung des Be-
triebes, das Fortbewegen der Wagen, die Ausspannung der Fahr-
bahn selbst blieben zunachst noch auf einem SuBerst primitiven
Standpunkt stehen. Die Versuchsbahn in Oynhausen, die aus einem
Rundeisen von 13 mm Starke bestand, besaB nur einen Wagen, der
vom Boden aus mit der Hand bewegt wurde. Die Fahrbahn war an
beiden Seiten fest verankert, sodaB von einem selbsttatigen Langen-
ausgleich bei wechselnder Temperatur oder wechselnder Belastung
natiirlich keine Rede sein konnte. Die Art der Fortbewegung der
einzelnen Lasten gibt von Ducker folgendermaBen an:
„Falls eine derartige Bahn sehr groBe Lange hat, so kann man
fiiglich rasche Zugtiere anspannen, aucTi wiirden Menschen durch
Draisine-Vorrichtung iiberraschende Resultate liefern konnen.
Selbst leichte Lokomotiven kann man anhangen, deren Drehung
durch Riemen und Scheiben den Radern der Wagen auf dem Seil
mitgeteilt wiirde."
Letztere AuBerung von Diickers ist hier durchaus unklar, aus
einer friiheren Veroffentlichung ist zu entnehmen, daB er glaubte,
leichte Lokomotiven an die Fahrbahn anhangen zu konnen, was
nach dem damaligen Stande der Motorentechnik doch uberhaupt
als ausgeschlossen gelten muBte. Oder wollte er Lokomotiven auf
dem Boden fahren lassen und die Seilbahnziige damit bewegen?
Jedenfalls geht deutlich aus diesen AuBerungen hervor, daB sich
von Ducker mit der Bewegung von Lasten zunachst nicht glaubte
vom Boden trennen zu konnen. Er versuchte lediglich ein von den
Unebenheiten des Bodens unabhangiges Geleise zu schaffen, nicht
aber ein hiervon iiberhaupt ganz unabhangiges Transportmittel.
Der Vorschlag, den von Diicker im Jahre 1862 der Regierung
— 40 —
machte, bestand aber in der Anordnung eines einzelnen Seiles mit
Qefalle, das iiber die Weser hinausgespannt werden soUte, und
dessen entleerte Wagen wieder mit einer Schleppleine zurtickzu-
holen waren.
Die V. Diicker'sche Idee ruhte nun bis zu Ende der 60er Jahre.
Trotz des glticklichen Anfanges, den ihr Schopfer mit ihr gemacht
hatte, blieb er unfrei in bezug auf die konstruktiven Einzelzeiten
bei der Weiterbildung seines Systems, und es war deshalb nur
natiirlich, daB ihm Erfolge mit demselben versagt blieben.
Aber die Idee selbst ruhte nicht. — Allerorten wurden Versuche
zur Einfiihrung von Luftschwebebahnen gemacht, vielfach mit
groBem Qltick. Eine interessante Mitteilung iiber Versuche mit
einer Drahtseilbahn-ahnlichen Einrichtung im Jahre 1867 macht
Fankhauser in seiner Broschure „Die Drahtseilbahnriese" :
„Unmittelbar in der Nahe von Liestal erhebt sich eine steile
Berghalde, welche, soweit das Erdreich nutzbar gemacht werden
konnte, Reben tragt und oben mit Qemeindewald bestockt ist,
dessen Exploitation in Folge seiner Lage ganz bedeutende Trans-
portkosten verursachte.
Dieser Umstand veranlaBte im Jahre 1867 den dortigen Forst-
verwalter Strubin, den Holztransport an Draht zu versuchen und
wurde der Anfang mit einem 210 m langen Draht Nr. 21 unter.einem
Neigungswinkel von 45 ® gemacht Das Resultat dieses ersten Ver-
suches entsprach den erwarteten Erfolgen nicht, denn die 10 — 15 kg
schweren Wedelen, welche man riesen wollte, fielen, noch ehe sie
30 m zuriickgelegt hatten, immer vom Drahte herab, weil der Bund
durchgeschnitten war, andere, an starke holzerne Haken befestigte,
blieben am Drahte hangen, weil sich der Draht zu sehr ins Holz
einschnitt, und leichtere Qebunde von nur 5 kg Qewicht muBten
desgleichen abgeloBt werden, weil sie nicht gleiten wollten. Dar-
aufhin wurden eiserne Haken in Form eines S angewendet; diese
waren allerdings besser; aber auch sie schnitten sich so stark ein,
daB sie hochstens zwei Mai gebraucht werden konnten.
Es war somit keine Aussicht vorhanden, den Draht mit Vorteil
zu verwenden, doch wurde noch ein letzter Versuch mit eisernen
Rollchen von 3 cm Durchmesser und 2 cm Dicke gemacht, welche
voUkommen entsprachen ; allein nach einigem Qebrauch hielt der
Draht nicht mehr und brach immer neben den Lotstellen, oft im
Tag 2 — 3 Mai ab. Der Draht wurde deshalb beseitigt, und es kam
an dessen Steile ein Drahtseil, achtfach gewunden, von 1 cm Durch-
messer, 300 m Lange, 45 kg Qewicht und einer Tragkraf t von 400 kg
fiir 46 Frs.; mit diesen und den Rollchen wurde mit Erfolg gear-
beitet. Von Flicken und Lothen des Drahtseiles war keine Rede
mehr, die Rollchen wurden taglich tiichtig eingeolt und waren die
Reparaturen ganz unbedeutend. Da 50 Rollchen vorhanden waren,
— 41 —
so wurde jeweilen der letzten Last eine Schnur angebunden, die
sich von einem Holzhaspel abwickelte und an dieser wurden dann
Frg. Iti. SeilriESE linksial, labj, nscb
iiotaensteitii Befe^iigung dt% Tragseils.
Pig. 17. Endanspannung des Tragseils der Seilriese Liniestal.
V V
Fig. 18. Tragrollen der Seilriese Liniestal.
die Rollchen innert 2 Minuten wieder heraufgezogen. Sobald das
Holz um das Drahtseil herum auf 50 Schritt Distanz weggeraumt
— 42 —
war, wurde dasselbe anderwSrts wieder neu aufgespannt, was in
10—15 Minuten geschah."
Es war also hier im Qegensatz zu der fruher schon bekannt ge-
wordenen v.Diicker'schen Bauart wiedere in Sell mit einer einzelnen
Spannweite von 300 m Langegemachtworden. Diese letztere Anlage
beschreibt iibrigens Hohenstein, der hier als ihr Konstrukteur nach-
gewiesen ist, ausfiihrlich im Uhland, 1869, dem die beigefiigten Skiz-
zen (Fig. 16 — 18) entnommen sind. Der kleine Schritt weiter
gegentiber den friiher bekannt gewordenen Schweizer Riesen be-
stand darin, daB Eichen-Nutzholzstamme von 150 — 170 kg Qewicht
an zwei RoUen befordert wurden, was dazu ermunterte, auch
Scheitholz in groBeren Massen hinabzulassen. Der Bericht hieriiber
sagt aber, dieses Spiel sei zu gefShrlich gewesen und nach der
ersten Probe unterblieben. Es fehlte eben hier an einer Regulierung
der Qeschwindigkeit bzw. an einer Leitung der Last durch ein
standig mit ihr verbundenes Zugseil. Diese Regelung sollte, unab-
hangig von v. Diicker und unabhangig von den Schweizer Ver-
suchen, sehr bald gefunden werden.
Wesentlich war iibrigens, daB uns zum ersten Male in kon-
struktiver Form hier die Anspannung des Tragseiles mit Hilfe einer
Reguliereinrichtung entgegentritt, wenn auch von einem selbst-
tatigen Spannungsausgleich noch nicht die Rede sein kann.
Schon beziiglich dieser ersten Versuche zur Herstellung von
Drahtriesen haben sich nun merkwiirdigerweise in die Literatur
sehr friihzeitig Fehler eingeschlichen, die sich bis auf den heutigen
Tag durch gegenseitige Obernahme der einzelnen Schriftsteller von
einander erhalten haben und zu einem groBen Telle das Bild, das
man sich von der wirklichen Erfindung der Drahtseilbahn zu
machen hat, vollstandig verwischt haben.
Nicht allein an dieser, sondern in noch hoherem MaBe an
anderen Stellen und bei spateren Qelegenheiten ISBt sich eine
fehlerhafte Auffassung dariiber, wem die Autorschaft der einzelnen
Entwicklungsphasen zuzuschreiben ist, verfolgen.
Es hatte dies eben haufig seinen Qrund in der nur sehr geringen
und ungenauen Literatur, die oft den einen Ingenieur iiber die Ab-
sichten und Ausfiihrungen des anderen im unklaren lieB.
So gibt z. B. Ladislav Vojacek im Handbuch der Speziellen
Eisenbahntechnik von Heusinger von Waldegg, Leipzig 1878 an,
daB die Urheber dieses zum Holztransport dienenden Drahtriesen-
systems in seiner damaligen Entwicklung, also 1878, die Forster
„Frankenhausen" und „Strtibin" seien. Es steht jedoch einwandfrei
fest, daB die ersten Konstrukteure von Seilriesen Pradi und Hohen-
stein sind, wahrend „Fankhauser" lediglich diese Versuche in
seinem Buche „Der Drahtriese", Bern, Verlag von Jent und Reinert,
beschreibt, und wahrend Striibin, der damalige Qemeindeforster
— 43 —
von Liestal der Auftraggeber fiir die Hohenstein'sche Drahtbahn
war. Das von der Qemeinde Liestal hieruber ausgestellte Zeugnis
lautete wortlich:
„Auf Verlangen des Herrn A. Hohenstein, Forstmanns aus
Bayern, bezeugen die Unterzeichneten, daB der von ihm in seinem
Werke betitelt „der Wald" empfohlene Waldtelegraph hier in Lies-
tal durch die Forstverwaltung in Anwendung gebracht worden ist,
und daB derselbe in etwas geanderter Weise uns erhebliche Dienste,
Kosten- und Zeitersparnisse gewShrt hat."
Liestal, den 20. Oktober 1867.
Namens des Qemeinderathes :
der President: C. Holinger, J. Striibin, Forster."
Es ware zu verwundern gewesen, wenn das damals in den ersten
Anlaufen groBer gewerblicher Entwicklung stehende Nordamerika,
das mit seinen hohcn Qebirgen und breiten WasserlSufen fiir die
Anwendung von Seilbahnen so viel Vorbedingungen bietet, sich
dieses Transportmittels nicht schon in seinen ersten Anfangen be-
dient hatte, und so finden wir denn auch schon im Jahre 1868 dort
eine Seilbahn, die als ein weiterer Schritt zur Vervollkommnung
des Systems selbst bezeichnet werden muB.
Die „Deutsche Bauzeitung des Jahres 1871" berichtet nach dem
„Engineering" folgendes :
„Drahtseil-Bahn in Amerika. Seit dem 1. September 1868 ist im
Qebiete Colorado, in Clear Creek County, eine von Mr. Q. W.
Cypher zu Cambertsville fiir die Brown Silver Mining Company
erbaute Drahtseilbahn mit gutem Erfolg in Betrieb. Dieselbe be-
steht aus 2 Hauptseilen von iVs Zoll (28 mm) Durchmesser, welche
am oberen Ende in 7 FuB (2,13 m) Abstand von einander im Fels
verankert, dann iiber einen 15 FuB (4,57 m) hohen Turm hinweg
in stark geneigter Lage in das Tal hinab gefuhrt sind, wobei sie in je
250-370 FuB (76-112 m) Abstand an solchen Stellen, die verhaltnis-
maBig sicher vor Lavinen sind, auf Stiitzen ruhen. Diese Sttitzen
tragen guBeiserne Sattel, auf welchen die Drahtseile in solcher
Weise aufliegen, daB die Rollen oder Rader der kleinen Forder-
wagen, welche auf den Seilen laufen, beim Passiren nicht behindert
werden. Am unteren Ende der Bahn sind beide Hauptseile mit
Keilen befestigt an starken Bolzen von 3 FuB (0,91 m) Lange, welche
mit 2 FuB (0,61 m) langen Keillochern versehen sind, damit man
durch Nachtreiben der Keile die Spannung der Drahtseile gehorig
regulieren kann. DieSeile sind dort an einem eisernen Quertrager, der
auf einem 30 FuB (9,14 m) hohen Turm ruht, verankert und dieser
Turm ist durch 2 Spannseile, welche nach einem groBen mit Steinen
gefiillten Holzgeriist abwarts fiihren, vor Umsturz gesichert. Die
— 44 —
Forderwagen hangen an Rollen, welche auf den Drahtseilen laufen,
und zwar hangt jeder Wagen an nur je einem Seil, so daB die Bahn
als eine zweigeleisige zu betrachten ist. Die Wagenkasten sind
ganz aus Eisenblech hergestellt und hangen an je 2 Rollen von
13 Zoll (0,33 m) Durchmesser, deren Abstand von Mitte zu Mitte
9 FuB (2,74 m) betragt/ Die Hangeeisen, woran die Wagenkasten
hangen, sind von ungleicher Lange, so daB der Boden des Wagen-
kastens bei der Bewegung auf der geneigten Bahn stets annahernd
horizontal bleibt. Zur Versteifung der Konstruktion sind zwischen
den Hangeisen Kreuze aus schmiedeeisernen Qasrohren angebracht.
Auf jedem Hauptseil lauft ein Wagen, und zwar sind beide Wagen
durch ein Vs Zoll (16 mm) dickes Zugseil, welches iiber eine Seil-
rolle von 7 FuB (2,13 m) Durchmesser am obern Ende der Bahn
gefiihrt ist, mit einander verbunden, so daB der hinabgehende be-
ladene Wagen stets durch sein Uebergewicht den hinaufgehenden
leeren Wagen hinaufzieht. Jene Seilrolle liegt horizontal in dem
oberen Turm, das Zugseil ist vor derselben gekreuzt, natiirlich mit
Hiilfe einiger Leitrollen. Die Seilrolle steht mit einer Handbremse
in Verbindung, um die Qeschwindigkeit der Bewegung zu maBigen.
Jeder Wagen faBt 15 bis 20 Ztr. Erze. Wenn der beladene Wagen
den FuB der geneigten Ebene erreicht hat, so laBt man durch
Oeffnen des beweglichen Wagenbodens die Erze herausstiirzen.
Um die Wagen vor Schwankungen zu sichern, sind beide Wagen
auch noch durch ein sogenanntes Schwanzseil von ^/g Zoll (9 mm)
Durchmeser mit einander verbunden. Dieses Schwanzseil ist an
den unteren Enden der beiden Wagenkasten befestigt und tiber
eine Seilrolle gefiihrt, welche mit ihren Lagern in einem Qleit-
rahmen im unteren Turm, sodaB sich dieselbe etwas auf- oder ab-
warts verschieben kann, auf gehSngt ist. Zur Unterstiitzung des
Zugseiles und des Schwanzseiles sind bei jedem Stiitzpfeiler langs
der Bahn Rollen angebracht."
Wir finden hier zum ersten Male die Beschreibung einer voll-
standigen Drahtseilbahn und gleichzeitig aber auch zum ersten
Male den charakteristischen Namen derselben „Drahtseilbahn".
Was bei dieser amerikanischen Bahnanlage auffallt, ist die Tat-
sache, daB bei ihr nachweislich zum ersten Male ein Doppelgeleise
angewandt worden ist. Herr v. Diicker hat zweifellos den Qe-
danken der Verwendung von Doppelgeleisen schon friiher gehabt,
aber sein langes Schweigen (vom Jahre 61 bis zum Jahre 69 ist
kaum eine Zeile iiber seine Konstruktion veroffentlicht worden) hat
diesen Qedanken nicht in die weitere Oeffentlichkeit kommen
lassen, sodaB anzunehmen ist, daB Cypher aus eigenen Ideen heraus
zur Konstruktion dieser Anordnung gekommen ist. Nicht iibersehen
darf aber werden, daB es sich doch wieder nur um einen hin- und
hergehenden Seilaufzug handelt, mit dem ein kontinuierlicher Be-
— 45 —
trieb nicht durchzufuhren war, und daB die Ausbildung des Zug-
seiles zusammen mit dem hier so genannten Schwanzseil nur den-
selben Zweck verfolgte, wie die Anbringung des Unterseiles bei der
Schachtforderung, namlich den, Belastungen und Schwankungen
auszugleichen, daB ferner die Wagen an Hangeeisen von ungleicher
Lange, urn sie horizontal zu stellen, aufgehangt sind, und daB na-
mentlich fiir den Langenausgleich des Tragseiles die Einrichtung
mit den nachtreibbaren Keilen doch noch auBerst primitiver und
unkonstruktiver Art war. Bemerkenswerterweise findet sich aber
hier einmal ein Hinweis auf die einseitigen Auflagerschuhe fUr das
Tragseil, zum andern ein solcher auf die Tragrollen fiir das Zugseil
bzw. Schwanzseil. Ob der amerikanische Konstrukteur beziiglich
dieser Teile die v. Ducker'schen Ideen gekannt hat, oder seine Aus-
fiihrungen aus eigenen Ideen schopfte, ist nicht festzustellen.
Der groBte Teil der aus dem Altertum und Mittelalter bekannt
gewordenen Seilbahn-Shnlichen Einrichtungen bestand aus Zwei-
seilbahnen, mit Ausnahme der zu einem ziemlich hohen Grade der
VoUkommenheit gebrachten Danziger Bahn. Die Drahtriesen selbst
mit ihren festen Fahrgeleisen sind, soweit es sich um das mogliche
Rtickbefordern der auf ihnen verwendeten Laufwerke handelt, ja
auch als Zweiseilbahnen zu betrachten, und ebenso bewegen sich
die Vorschlage von Prittwitz, v. Ducker und Cypher auf diesem
Qebiete.
Oberraschenderweise tritt uns aber nun im Juli des Jahres 1868
eine Seilbahnbauart entgegen, die anscheinend die Ausbildung der
Drahtseilbahn in andere Bahnen lenken sollte, die Hodgson'sche
Drahtseilbahn. Sie baute auf dem Danziger Einseilsystem auf,
nahm offenbar dieses zum Muster und* trat sofort nach dem ersten
Versuch im Jahre 1868 als sehr weit durchgearbeitete und zu einem
System zusammengeschlossene Erfindung vor die Offentlichkeit.
Die Zeitschrift „Der Berggeist" No. 49, 14. Jahrgang vom 18. Juni
1869 bringt die erste deutsche Veroffentlichung hieruber, die fiir die
Geschichte des Transportwesens von so groBem Interesse ist, daB
auch sie unverkiirzt hier wiedergegeben werden moge:
„Drahtseilbahnen nach Hodgson. Das Drahtseil-Transport-
system bezweckt einem langgehegten Bedtirfnis nach Zweiglinien,
nach ZufUhrungsadern zu den groBen VerkehrsstraBen abzuhelfen.
Seine entsprechendste Anwendung wird es stets finden, wo es sich
handelt, ein Verkehrsmittel herzustellen, um die Produkte eines
Landes, nach Eisenbahnlinien, Fltissen oder der Seektiste hinzu-
schaffen, und Zweig-Eisenbahnen, Pferdebahnen usw. teils wegen
ihrer Kostspieligkeit, teils wegen ortlicher Hindernisse, sei es durch
Fliisse oder Schluchten u. dgl. uns im Stiche lassen. In finanzieller
Hinsicht wurde besonders in's Auge gefaBt und auch gliicklich er-
zielt, daB die Drahtseilbahnen an Anlage- und Betriebskosten sich
— 46 —
nicht nur billiger stellen wie Zweig-Eisenbahnen oder Pferdebahnen
auch der schmalsten Spuren, sondern sogar billiger, wie ein mittel-
maBig guter Weg.
Drahtseile waren bereits friiher auf kleine Strecken in An-
wendung gebracht, und zwar nicht allein in Indien und Australien,
sondern auch in einigen europaischen Bergwerks-Districten, wo
man durch Oberspannung eines Flusses oder einer Schlucht ver-
mittelst eines einfachen Drahtseiles Mineralien hintiberschaffte. Je-
doch dabei blieb es ; eine weitere Anwendung und Ausdehnung des
Seiltransportsystems scheiterte an verschiedenen Schwierigkeiten,
unter denen insbesondere zu nennen sind:
1. der Obergang der am Seile hangenden Last iiber die Unter*
stiitzungspunkte;
^4jaMJCaMX&a3liAA. moMx ,rto<laaot^
Fig. 19. Drahtseilbahnen nach Hodgson, aus Berggeist, 1869, Nr. 49.
2. die Ausgleichung der stets wechselnden Kraft, was das bald
Auf-, bald Abwartssteigen der Last mit sich bringt und prak-
tisch groBe Schwierigkeiten fiir die Triebmaschine darbietet;
3. die Verteilung der Last iiber die ganze Linie. In dem neuen
System von Hodgson werden samtliche Schwierigkeiten tiber-
wunden. Die Last hangt vermittelst eines besonders ge-
bogenen Eisens mit ihrem Schwerpunkte senkrecht unter dem
Seile, wahrend das Stiick, welches auf dem Seile aufliegt und
an welches das gebogene Eisen befestigt ist, wegen seiner
Form leicht iiber die Unterstiitzungspunkte hinweggeht (siehe
Fig. 1 u. 2).
Eine QleichmaBigkeit in dem Krafterfordernis wird dadurch er-
zielt, daB nicht mehr ein einzelnes, sondern eine Menge, in gewissen
— 47 —
Zwischenraumen sich nachfolgender QefaBe den aufsteigenden
gegenuber ein Qleichgewicht in der erforderlichen Triebkraft her-
stellen, sodaB solche durch ein richtiges Nacheinanderfolgenlassen
der QefaBe sogar ganz reguliert werden kann.
Das System umfaBt zwei verschiedene Ausf uhrungsmethoden :
die erste, wo ein Paar durch Bocke unterstutzte Leitseile an-
gewandt werden, die als Schienen dienen, und wo die aufeinander-
folgenden QefaBe von einem endlosen Triebseile fortbewegt werden,
wie No. 1;
die zweite, wo ein einfaches endloses Seil gleichzeitig als Leit-
und Triebseil dient, es bewegt sich dann an den Unterstutzungs-
punkten uber RoUen (s. No. 2).
Nachdem im Herbst vorigen Jahres der erste Versuch auf einer
V2 engl. Meiie langen Linie mit Erfolg gemacht,*) wurden die prak-
tischen Details sofort ausgearbeitet und ein Kontrakt eingegangen
zur Aniage einer Linie von 3 engl. Meilen Lange in der Nahe von
Leicester (England). Solche wurde Anfang dieses Jahres voUendet
und dient dazu, die Steine aus den Qranitbriichen der Herren Ellis
& Everard in Markfield nach der Midland Railway, Station Bardon
Hill, zu schaffen.
Diese Linie besteht aus einem endlosen Drahtseile von l^/s ZoU
Umfang, unterstiitzt durch eine Reihe ISzolliger Rollen, welche auf
feststehenden Bocken ruhen. Die Bocke sind meist 150 FuB engl.
von einander entfernt, jedoch wo notig, wird die Spannung eine
groBere und steigt in einem Falle sogar auf nahe 600 FuB engl.
Das Seil geht an einem Ende um eine sogenannte Fowler'sche Seil-
trommel (Fowler's clip drum) herum, welche vermittelst einer
Lokomobile getrieben wird und so dem Seile eine Qeschwindigkeit
von 4 — 6 engl. Meilen pro Stunde gibt. (Fig. 20.)
Die QefaBe werden am Landungsplatze auf das Seil und an der
Eisenbahnstation von dem Seile geleitet, vermittelst Weichschienen.
Jedes QefaB hat namlich ein Paar schmale Rollen (r), welche auf
die Schienen fassen. — Die leeren QefaBe werden auf der anderen
Seite wieder auf das Seil aufgeschoben und kehren nach den Stein-
briichen zuriick.
Jedes dieser QefaBe (Fig. 22) halt 1 Zentner Steine und betragt
die Beforderung 200 QefaBe oder 10 Tons (200 Zentner) per Stunde
auf die 3 engl. Meilen Entfernung. Die Verhaltnisse einer solchen
Drahtseillinie konnen selbstverstandlich den verschiedenartigsten
Anforderungen angepaBt werden, der Transport mag variiren
zwischen 10 Tons und 1000 Tons per Tag in Einzellasten von je
1 — 10 Zentner Schwere. Zur Fortbewegung der QefaBe von 1 bis
*) Erster Versuch 1867 in Richmond. Er bestand in einer ca. 800 m
langen Seilbahn mit Pferdebetrieb.
- 48 —
5 Zentner Schwere erweist sich der Betrieb mit einfachem Draht-
seil als vollig geniigend. Fur die schwereren Lasten von 5 bis
10 Zentner ware zweckmaBig die andere Methode mit Leit- und
Triebseil anzuwenden. — Beide Linien erfreuen sich in gleicher
Weise des Vorteiles, iiber Landstrecken von der sonderbarsten Be-
schaffenheit Qiiter mit Leichtigkeit hinwegzufiihren. Die tech-
nischen Schwierigkeiten sind nicht groBer als diejenigen, welche
der Anlage einer oberirdischen Telegraphenlinie entgegenstehen :
Briicken, Damme, sogar alle Mauerarbeiten sind uberfliissig.
Kurven (Fig. 21) oder Winkel, welche bei Obergangen in Seiten-
thaler entstehen, bieten kein Hindernis dar, auch konnen notigen-
falls Zweiglinien in eine Haupt-Drahtseilbahn eingefiihrt werden.
Der Preis fiir Aufstellung einer solchen Drahtseilbahn hangt
sehr ab von der QroBe der Einzellasten sowohl, wie von dem
Qesamtquantum, welches man zu fordern wtinscht, dagegen weniger
von der Beschaffenheit des Bodens, den man zu iiberschreiten hat.
Wie wir vernehmen, hat die bekannte Firma Felten & Quilleaume
in Koln die Initiative ergriffen, um Hodgson's Drahtseil-Transport-
system in die diesseitigen Bergwerksreviere einzufiihren. Besagte
Firma steht dieserhalb bereits in Unterhandlung mit mehreren
groBeren inlandischen Bergwerks-Qesellschaften und ware es zu
wiinschen, daB recht bald ein praktischer Vorgang geschaffen
wtirde, dem ohne Zweifel viele andere Zechen und auch hutten-
mSnnische Etablissements folgen wiirden."
Mit dieser Veroffentlichung war aber das Zeichen zum Beginne
des Prioritatsstreites um die Erfindung der Drahtseilbahnen ge-
geben, eines Prioritatsstreites, der sich fast bis auf die heutige Zeit
fortgesetzt hat. Kurz nach dieser Veroffentlichung erschien eine
Erwiderung des Herrn v. Diicker in No. 59 des „Berggeist". Dlese
Erwiderung enthalt gleichzeitig einen ganz interessanten Kosten-
anschlag, sowie auch eine ausfuhrliche Beschreibung der bis dahin
von V. Diicker nur sehr oberflachlich skizzierten Seileisenbahnen,
gleichzeitig enthalt sie aber einige grundlegende Irrtiimer, die sich
noch durch die ganze Literatur der 70er Jahre iiber Drahtseilbahnen
hindurchziehen und in der Folgezeit viel Verwirrung angerichtet
haben. Auch diese Erwiderung moge im Wortlaut hier Aufnahme
finden :
„Die Seileisenbahn. (Mit Abbildungen auf Tafel IV, Fig. 9 — 17.)
Aus No. 49 des „Berggeist" zu Koln und aus einigen anderen
Zeitungen habe ich kiirzlich ersehen, daB es dem englischen
Ingenieur Herrn Hodgson gelungen ist, die Brauchbarkeit der Seil-
eisenbahn darzutun, indem er zu Leicester in England eine solche
Bahn von 3 engLMeilen Lange gebaut hat und dieselbe mit Erfolg
fiir den Transport von Steinen anwendet auch angeblich bereits in
— 49 -
mehreren anderen Landern ahnliche Anlagen einleitet. Hierdurch
ermutigt, bringe ich mein System einer solchen Bahn in Erinnerung,
welche ich im Jahre 1861 erfunden und zu Bad Oynhausen, sowie
zu Bochum in Westfalen versuchsweise ausgefuhrt und seitdem an
den verschiedensten Stellen in Deutschland, England, in der
Schweiz usw. unter Vorlegung von Zeichnungen und Beschreibungen
in Vorschlag gebracht habe.
Meine Seileisenbahn (Fig. 25) stimmt, abgesehen von den
nebensachlichen Konstruktionen und Kraftanwendungen, genau
iiberein, mit der von Hogdson eingefiihrten. Dieselbe besteht im
Wesentlichen aus einem straff aufgespannten Drahtseil oder Eisen-
draht von 2 — 5 cm Starke, welches oder welcher in Abstanden
^
Fig. 25. Drahtseilbahnen nach v. DGrcker, Erlauterungs-
skizzen zur VerSffcntlichung im Berggeist, 1869, Nr. 54.
von 50 — 100 m derart seitlich unterstiitzt ist, daB einseitige Roll-
wagen dariiber hinweg resp. an den Untersttitzungen entlang
fahren konnen.
Die Skizze Fig. 9 gibt eine Qeneralansicht einer in flacher Qegend
fiber Qraben und kleine Fliisse hergestellten Seileisenbahn, deren
Einrichtung fiir 2 Qeleise aus dem Querschnitt Fig. 10 ersicht-
lich wird.
Ein Qeleise besteht aus einem Eisendraht aa von 3 cm Starke,
welcher in Holzgeriisten auf der cannelirten Spitze eiserner Haken
bb getragen wird und welcher an einer Seite durch eine starke Erd-
winde mit der Kraft von 20 — ^30 000 kg Qewicht angespannt ist.
Auf dem Drahte laufen auBerst leichte, zierliche Seilwagen
(Fig. 9 cc und Fig. 11 — 14). Die cannelirten Rader derselben laufen
4
— 50 —
auf dem Drahte und sind durch ihre Achse mit einer Eisen-Kon-
struktion seitlich in der Weise verbunden, daB der Schwerpunkt
des Ganzen unten liegt und daB die Fahrt uber die Stiitzpunkte
hinweg unbehindert von Statten geht. Die zu bewegenden Lasten
dd hangen unter den Seilwagen; deren Qewicht kann 10-20 Zentner
betragen, doch ist es moglichst zu verteilen. Es k5nnen mehrere
Seilwagen zu einem Zuge vereinigt werden, doch ist es erforderlich,
dieselben durch zwischengehangte Stangen in gewissen Ent-
fernungen von einander zu halten. Die Bewegung geschieht im vor-
liegenden Falle (Fig. 9) durch ein Zugseil ohne Ende von etwa
15 mm Starke, welches auf beiden Seiten um Trommeln gelegt ist,
deren eine durch eine Maschine gedreht wird, wenn nicht etwa bei
einer Neigung der Bahn die gefullten Lastwagen die leeren hinauf
Ziehen konnen. Es laBt sich auch jede andere bewegende Kraft an-
wenden ; Zugtiere konnen auf dem Boden gehen und die Seilwagen
Ziehen; selbst eine sehr leicht konstruierte Lokomotive kann unter
einem solchen Wagen hangend mit den Radern desselben in Ver-
bindung gebracht werden.
Eine Seileisenbahn der vorbeschriebenen Art laBt sich in wenigen
Wochen meilenweit herstellen. Die Kosten derselben pro Kilo-
meter werden sich in Norddeutschland ungefahr stellen, wie folgt:
2 Eisendrahte von 0,031 Meter Starke, 250 Ztr. zu 3% Thlr. = 875 Thlr.
2 Eisendrahtseile von 0,016 Meter Starke, 16 Ztr. zu 9 Thlr. = 144 „
20 Qerflste mit eisemen Haken k 10 Thlr =200 „
1 Erdwinde, 2 Trommeln, 10 RoUen ==500 „
10 Seilwagen k 10 Thlr = 100 „
Aufstellung . . = 100 „
zusammen 1919 Thlr.
Der Qrunderwerb einer Flache von 2— S^/^ m Breite ist nattirlich
besonders zu berechnen und wo nicht die Neigung der Bahn zur Be-
wegung ausreicht, da ist die Beschaffung eines Motors mit in Be-
tracht zu Ziehen.
Auf einer solchen Bahn laBt sich die Forderung einer groBen
Steinkohlengrube (10—15 000 Zentner pro Tag) meilenweit mit ge-
ringeren Transportkosten, wie auf irgend einer anderen Batin,
befordern.
AuBer dieser gewohnlichen Ausfiihrung, welche fur Bergwerke,
Steinbruche, Ziegeleien, Torfstiche, Abfuhren sumpfiger Wiesen usw.
sehr haufig niitzliche Anwendung finden kann, sind auch noch
maiiche anderweitige Zwecke durch ahnliche Konstruktion zu er-
reichen. In Verbindung mit einem Kettenbriickensystem und bei
Anwendung zweier Eisendrahte, resp. Rundeisen von 4 — 5 cm
— 51 —
Starke, wie dies die Figuren 15 und 16 zeigen (Fig. 26), lassen sich
auBerst billige Trajecte iiber groBe Fliisse fiir groBe Eisenbahn-
wagen aufspannen. Die Ersteigung der steilsten Berge und Fels-
wande laBt sich, wie Figur 17 andeutet, durch eine Seilbahn aus
einem, oder zwei sehr soliden Drahtseilen und unter Anwendung
eines geeigneten Motors bei f zu gleicher Leichtigkeit und Regel-
maBigkeit bringen, wie solche in den Steinkohlenschachten von
500 — 800 m Tiefe stattfindet, aus welchen jetzt taglich Tausende
von Menschen heraufgewunden werden.
In einem zierlichen QIascoupe g konnen 6—8 Menschen binnen
Fig. 26. Drahtseilbahnprojekte nach v. DQrcker. Skizzen aus Berggeist, 1869, Nr. 59.
5 Minuten auf den Rigi befordert werden und wenn schon heute
Fiirsten und Prinzen zuweilen in Bergwerken ihr Leben der sicheren
Kraft guter Drahtseile anvertrauen, so wird auch das groBe Publi-
kum nach wenigen Vorgangen die Scheu vor einem luftigen, aber
mit lOfacher Sicherheit konstruierten Apparate verlieren.
Im allgemeinen kann ich iiber die Seileisenbahn noch das
Folgende bemerken:
1. Das Neue derselben besteht nur in der Vbermndung der
Stutzpunkte und in der dadurch gegebenen Moglichkeit, beliebige
Langen zu uberspannen.
2. An Billigkeit und Leichtigkeit der Hersteiiung iibertrifft die
— 52 —
Seilbahn wegen der Vermeidung aller Planierungsarbeiten jede
andere Bahn bei Weitem.
3. Die tote Last der Wagen und QefaBe laBt sich auf 15—20 Pet.
der zu bewegenden Masse reduzieren, wahrend dieselbe bei anderen
Bahnen 50—100 Pet. betragt.
4. Die hinderliehe Reibung wird auf das mogliehe Minimum
gebraeht.
5. Die Qesehwindigkeit der Bewegung kann bis auBerordent-
lieher QroBe gesteigert werden.
6. Die Sehwierigkeiten regelmaBigen Betriebes, welehe bei
kleinen, unvollkommenen Versuehen stets hervortreten, lassen sieh
bei soliden Ausfiihrungen mit etwas Umsieht und Geduld bald iiber-
winden und die Anstrengung wird durch iiberrasehende Resultate
belohnt werden.
Mein Wunseh besteht darin, daB nunmehr, naehdem engliseher
Unternehmungsgeist die praktisehe Ausfiihrbarkeit erwiesen hat,
aueh meine Landsleute von diesem Eisenbahnsystem Qebraueh
machen moehten. Bei geeigneten Mitteilungen tiber betreffende
Ortsverhaltnisse und Zweeke werde ieh gerne bereit sein, beziig-
liehe Vorarbeiten zu unterstiitzen."
Neurode in Niedersehlesien, 5. Juli 1869.
Baron F. F. von Diicker, Konigl. PreuB. Bergassessor.
Hodgson sagt in den Veroffentliehungen seines Systems im
„Berggeist", das System umfasse zwei versehiedene Ausfiihrungs-
methoden, die erste, wo ein Paar dureh Boeke unterstiitzte Leitseile
angewandt werden, die als Sehiene dienen, und wo die aufeinander-
folgenden QefaBe von einem endlosen Triebseil fortbewegt werden,
die zweite aber, wo ein endloses Seil gleichzeitig als Leit- und
Triebseil dient usw. Er besehreibt aber dann nur eine Ausfiihrung
seines zweiten Systems, hat iiberhaupt, wie aueh die Folgezeit be-
wiesen hat, von Anfang wohl weniger die Absieht gehabt, dem
System mit festen Tragseilen, dem Zweiseilbahnsystem, zu einer
weiteren Ausbildung zu verhelfen.
Er war eben iiberzeugt davon, daB die Einseilbahn mit endlosem
bewegten Tragseil die Bahn der Zukunft sei, im Qegensatz zu
v. Diicker, der nie auf den Qedanken gekommen war, den Hodgson
tatsachlieh zur Ausfiihrung gebraeht hat. Hodgson hatte sieh mit
seiner Ansicht geirrt — nieht der Einseilbahn, der Zweiseilbahn
wandte sieh die Industrie zu, nur seine engeren Landsleute bevor-
zugten die ersten Jahrzehnte hindureh das naeh Hodgson aueh ge-
nannte englisehe System. Wenige Fabriken in Frankreich wandten
es aueh an, es blieb aber immer im Verhaltnis zur Zweiseilbahn, die
^ I C 6 . EUw.u<i
Fig. 27/2a Skizzen zur Patentschrift du
fiodgson'schen Drahtseilbahnen, 1868.
— 53 —
sich die ganze Welt erobert hat, ein weniger leistungsfahiges
System einer Drahtseilbahn.
Es darf jedoch auch nicht iibersehen werden, daB Hodgson in
seiner Patentschrift das Zweiseilbahnsystem ebenfalls vollstandig
beschreibt und behandelt, wenn auch nicht in der Ausfiihrlichkeit,
wie die Einseilbahn. Er gibt aber zum ersten Male im Qegensatz
zu von Diicker eine Bauart an, die auf der Zweiseilbahn iaufenden
Wagen unmittelbar mit dem Zugseil in Verbindung zu bringen, sie
also nur durch das Zugseil bewegen zu lassen, woriiber von Diicker
bis dahin noch keine Angaben gemacht hatte. Dagegen enthalt
seine Patentschrift noch keinerlei Hinweis auf den Ausgleich der
Langendifferenzen der Seile, keinen Hinweis auf das Anschlagen
und Abkuppein der Wagen an das Zugseil wahrend der Fahrt.
Auch iiber die Art der Beladung und Entladung seiner Wagen ISBt
sich aus seinen Zeichnungen und aus seinen Beschreibungen nichts
entnehmen. Er legte vielmehr sein Hauptaugenmerk darauf, die
Unterstutzungsstellen der Seile bequem durch die Wagen passieren
zu lassen. Es scheint iiberhaupt, als hatten die Erfinder damaliger
Zeit diese verhaltnismaBig nebensachliche und leicht losbare Kon-
struktion fast als Hauptpunkt der ganzen Erfindung angesehen,
wahrend doch in Wirklichkeit die einseitige Aufhangung des
Wagens und anderseitige Auflage des Seiles zu irgend welchen
Schwierigkeiten keinerlei Veranlassung gab, die Losung einer
solchen Aufgabe heutzutage lediglich als Ronstruktive MaBnahme,
die jedem Techniker gelaufig sein muB, angesehen werden wiirde.
Die Hauptbedeutung der Hodgson'schen Erfindung liegt darin,
daB er zum ersten Male auch ftir die Zweiseilbahn mit festem Trag-
seil einen kontinuierlichen Betrieb sich derart dachte, daB die be-
ladenen Wagen auf dem Volltragseil nach der einen Richtung, die
leeren Wagen auf dem parallel zu ihm gespannten Leertragseil nach
der anderen Richtung zu laufen hatten, und daB beide Wagen-
gruppen von einem endlosen besonderen Zugseil, nicht in Ztigen mit
einander vereinigt, sondern als Einzelwagen in bestimmten Ab-
standen von einander bewegt wiirden. Den wichtigsten Teil der
konstruktiven Ausbildung der Zweiseilbahnen, die Stationen, iiber-
geht er aber mit Stillschweigen.
Ebenso gibt Hodgson interessanterweise fur beide Systeme auch
schon eine selbstandige Kurvenumfahrung andeutungsweise an.
Zum naheren Verstandnis der Ideen Hodgsons moge seine eigene
Erklarung der Patentzeichnung aus der Patentschrift hier Platz
finden :
„The two systems will be more fully understood on reference
to the accompanying Drawings, in which Figures 1, 2 and 3 shew
the first system in elevation section and plan; Figures 4 and 5 show
a carriage or vessel for carrying loads to be employed in this system.
— 54 —
Figures 6, 7 and 8 represent the second system in elevation,
section and plan ; Figures 9 and 10 show the boxes or vessels to be
employed in connection with it.
Figures 11, 12 and 13, show methods of forming the attachment
to the running or propelling rope in the first system. In Figures 14
and 15 are seen the attachments for the second system passing
inside the flanges of the pulleys, and in Figures 16 and 17 are seen
the method of passing outside the flanges and the methods of
tightly clutching the rope, as illustrated in Figures 18, 19, 20 and
21. The metal cover or cap is shewn in Figure 22, and the sus-
pended rail in Figures 23 and 2A, The method of passing round
curves in the first system is shewn in Figures 25 and 26, and that
on the second system in Figures 27 and 32. Figures 33 and 34 refer
to the methods of allowing the wheels of carriages to pass the
points where the standing ropes in the first system are secured to
the overhung brackets.
I do not confine myself to any special method of attaching the
running rope to the carriages or vessels in the first system, but
prefer to employ the arrangements shown in Figures 11, 12 and 13.
In the second system I employ, as already stated, two forms of
hook for attachment on to the rope, one to pass inside and the other
outside the flanges of the sheaves which carry the rope. These two
forms are shown in Figures 14 to 17, and Figures 18 to 21 illustrate
methods of clutching these hooks tightly on the rope in cases where
very steep incUnes are to be mounted and the loads would other-
wise slide back. Under certain circumstances in applying the first
method I cover or cap the rope with any metallic coating, as shewn
in Figure 22, or I suspend from the rope a rail for the wheels to run
on, as shewn in Figures 23 and 24. In employing either system it
is convenient to place the loads on the rope at such distances as
shall be approximately multiples of half the average distance
between the posts or points of support, so that throughout the
entire line one half of the carriages shall always be on the ascending
side of the catenaries over which they are travelling and the other
half on the descending side. For the purpose of thus regularly
distributing the load I employ any convenient automatic releasing
arrangement which shall after a given number of turns of the
driving drum permit the carriages in regular series to run on to the
rope. To focilitate passing round curves on the first or standing rope
system I arrange that the clutches for catching the propelling rope
or chain shall be below the body of the carriages, vessels, or
receptacles, and so constructed that they shall pass easily round a
roller, which must of necessity be placed at each point of curve for
the purpose of deflecting the said propelling rope. The general
design of this detail is shewn in Figures 25 and 26. In passing
— 55 —
round slight curves on the second or moving rope system I merely
incline the pulleys in the manner usual in the application of the
wire rope to haulage purposes, but where a considerable curve must
be made at one point, I employ the arrangement illustrated in
Figures 29 to 32 for this purpose, which arrangements is equally
applicable for enabling the boxes or vessels to pass round the ter-
minal sheaves of the line. In order to facilitate this method of
passing curves, and also to assist generally in moving the boxes or
vessels about, when not on the running rope, I provide them with
small wheels attached to the frame. In cases where wide sheets of
water are to be crossed in which it would be inconvenient to
construct piers I employ vessels, pontoons, rafts, or floats to carry
the posts required for either system. The posts or frame-work
employed in my system may also be made use of for carrying or
supporting ordinary telegraph wires, but I make no claim to
Inventions in this particular."
Vergleicht man hiermit nun die Erwiderung von Diickers, die
noch durch eine in No. 55 des „Berggeist" erschienene Erklarung
des damaligen Qewerbeschuldirektors Dr. Bardeleben unterstiitzt
wurde, und in der ausgefiihrt wurde, daB die im Jahre 1861 her-
gestellte v. Diicker'sche Versuchsbahn „im Princip" mit den unter
No. 1 beschriebenen System der Hodgson'schen Bahn iiberein-
stimmt, so kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, daB
V. Diicker die Oynhausener Ausfiihrung in ihrer Bedeutung als rein
konstruktive Losung doch sehr iiberschatzt. Es ist doch sicher, daB
die Oynhausener sowohl, wie auch die Bochumer Bahn keine kraft-
betriebenen Bahnen, sondern handbetriebene Hangebahnen waren,
daB aber die in der v. Ducker'schen Erklarung des „Berggeist"
vom 23. Juli 1869 angefuhrten Einzelkonstruktionen hatten Ver-
wendung finden konnen, daB sie aber auch doch weiter nichts ge-
blieben sind, wie Projekte, die bis dahin noch nicht ausgefiihrt
worden waren und die fiir die Zukunft auch, wenigstens nach den
Ideen v. Diickers nicht zur Ausfiihrung kommen soUten. Es mutet
eigentiimlich an, wenn man sich z. B. das FluBtrajekt betrachtet,
das, offenbar in vollstandiger Unkenntnis der bei solchen Anlagen
auftretenden Krafte skizziert, kaum anders angesehen werden kann,
als eine vom ingenieurtechnischen Standpunkte aus doch nur laien-
hafte Leistung. Die von v. Diicker in Fig. 17 (s. Fig. 26 des Textes)
erwahnte Qebirgsbahn ist ein bekannter Seilaufzug und hat mit
der Drahtseilbahn nur so viel zu tun, daB als Laufbahnen Draht-
seile verwendet werden, und daB das Tragseil an mehreren Punk-
ten unterstiitzt ist, wahrend die Hauptansicht der Bahn, Fig. 9
und 10 (siehe Figur 25 des Textes) mit dem auf dem Boden
liegenden Zugseil und der Vereinigung der Wagen zu Ziigen einen
praktisch einfach unausfiihrbaren Vorschlag darstellt, einen Vor-
— 56 —
schlag, der es erklarlich macht, daB diejenigen Personlichkeiten,
denen ihn v. Ducker in den 60er Jahren unterbreitet hat, ihn nicht
fiir ernst genommen haben. Dieser selbe Vorschlag mit dem Zug-
betrieb wiederholt sich — dem Notizblatt des Ziegelvereins, wo-
selbst (Fig. 29) die Bahn sogar ohne Zugseil, fiir Handbetrieb, dar-
gestellt ist. Auch die AuBerungen von Duckers iiber den Personen-
transport miissen mehr einem gewissen Optimismus, als einem
Vertrauen auf die Oberwindung der einem solchen entgegenstehen-
den konstruktiven Schwierigkeiten, die v. Diicker stets unter-
schatzt, zugewiesen werden.
In ganz kurzer Zeit hatte sich die Hodgson'sche Bahn mit be-
Fig. 29. Dacker'sche Seilbahn, ohne Zugseil, tlandbetrieb.
wegtem Tragkabel einen ziemlich erheblichen Anwendungskreis er-
obert. In England selbst, in Deutschland, in Bohmen, in der ScHweiz
kamen mehrfach Bahnen dieser englischen Bauart zur Ausfiihrung.
Die in Brigthon 1868 gebaute, sehr weit durchgearbeitete und kon-
struktiv bis in alle Einzelheiten erlauterte Bahnanlage findet sich
in dem von J. A. Kool und P. J. Siedenburg 1871 herausgegebenen
Buche, De Transportkabel, aus dessen Hauptzeichnung sich auch
gleichzeitig entnehmen laBt, daB Hodgson mittlerweile fiir einen
Ausgleich der verschiedenen Seillangen besorgt gewesen ist, indem
er einen Spannwagen einfiihrte. Aber auch hier ist es auBerordent-
lich merkwiirdig, daB dieser Spannwagen mit Hilfe eines Flaschen-
zuges von Hand reguliert werden muBte und keinerlei selbsttatige
etwaige Qewichtsbelastung aufweist. Ebenso ausfiihrlich be-
— 57 —
schrieben sind die Zwischenstationen und Kurvenumfiihrungen, wie
die Konstruktion der Stiitzen in den verschiedenen Hohen. Auch
die Wagen mit ihren drehbaren Aufhangungen sind von hochstem
Interesse, wenn diese Aufhangungen auch noch nicht derart sind,
daB ein selbsttatiges Kippen und Wiederaufrichten der Kasten nach
dem Entladen mit ihnen ermoglicht werden konnte. Die Qe-
schwindigkeit dieser Bahn in Brigthon soli zwischen 6 und 8 Kilo-
meter in der Stunde betragen haben, also schon annahernd 2 m
in der Sekunde.
Mit dieser Bahnausfuhrung in Brigthon, die die voile Brauch-
barkeit der Hodgson'schen Ideen erwies, war das System gleich-
zeitig zu einem gewissen AbschluB gelangt. Es hat sich bis heute
in grundlegender Beziehung noch in keiner Weise geandert, sondern
nur die Durchbildung der Einzelheiten hat zu Vervollkommnungen
gefiihrt, Vervollkommnungen, die sich dem Fortschreiten der Tech-
nik im allgemeinen naturgemaB anpassen muBten.
Jedenfalls gebiihrt Hodgson die groBe Anerkennung, daB er
durch sein zielbewuBtes Vorgehen einen erheblichen AnstoB zur
Weiterverfolgung des Schwebebahngedankens gegeben hat. Bald
nach der einen, bald nach der anderen Richtung finden wir solche
Schwebebahnversuche ausgefiihrt, und es ist ganz interessant, zu
beobachten, wie sich die einzelnen Erfinder und Konstrukteure bei
dem ihnen alien doch neuen Transportmittel iiber die verschiedenen
Schwierigkeiten hinwegzuhelfen suchten.
Den Systemen von Hodgson, Hohenstein und v. Dticker eigen-
tiimlich ist ja die Verwendung einer einzigen Fahrbahn fiir den
Wagen, an der die Last in stabilem Qleichgewicht pendelnd auf-
gehangt ist. Eine groBe Anzahl von Versuchen bewegte sich nun
in der Richtung, Doppelfahrbahnen, auf denen die Fuhrwerke, ahn-
lich wie Wagen von Standbahnen stehend laufen, die also das von
Lorini angegebene Prinzip verfolgen, zu verwenden. Ein Beispiel
hierfiir ist die MuUer'sche Seilbahn (Fig. 30), die etwa 1869 kon-
struiert und im Jahre 1870 in der Sigl'schen Lokomotivfabrik in
Wien Verwendung gefunden hat. Dieses, von dem Erfinder „Seil-
trajekt" genannte Transportsystem besteht aus zwei parallel
laufenden Seilen ohne Ende, die an den Endpunkten iiber groBe
Rollen laufen und in verschiedenen Entfernungen durch kleinere
RoUen getragen und gefiihrt werden. Jedes endlose Seil liegt in
einer vertikalen Ebene, sodaB die beiden nebeneinander herlaufenden
Seile in ihren oberen Trums ein sich nach der einen Seite be-
wegendes Qeleisepaar in ihren unteren ein sich nach der anderen
Seite bewegendes Qeleisepaar darstellen. Die Lasten wurden von ge-
wohnlichen vierraderigen Eisenbahnwagen aufgenommen, die sich
mittelst besonderer seitlicher Qreifer auf die Seile auflegten. Die
Anordnung der Oberfiihrung der auf dem festen Boden auf Qeleisen
— 58 —
fahrenden Wagen nach der Seilbahn ist eine auBerordentlich ein-
fache. Die Standbahngeleise laufen zwischen die Endumfiihrungen
der bewegten Tragseile, sodaB die Wagen von selbst beim Weiter-
schieben von den Qeleisen auf die Seile iibergehen bzw. umgekehrt,
beim Verlassen der Seile sich von selbst auf die Schienen mit Hilfe
von Anlauframpen aufsetzen (Fig. 31). Die beigefugte Zeich-
nung ergiebt ziemlich genau * die Art der von Miiller beab-
sichtigten Einzelausfiihrungen. Bemerkenswert ist das, was der
Fig. 30. MuUcr Sciltrajekt zwischen der Sigl'schcn Lokomotivfabrik Wien und WShring, 1870.
Erfinder iiber die Einzelheiten seiner Ausfiihrung selbst angibt. So
soUen, wie er meint, Wagen von fast beliebigem Qewicht gefordert
werden konnen, was nattirlich sehr stark anzuzweifeln ist, schon mit
Riicksicht auf die Ausfiihrung der Seile. Ebenso will er sein Trajekt
mit 2 — 2y2 m Qeschwindigkeit in der Sekunde laufen lassen und die
Stiitzen in durchschnittlichen Entfernungen von 100 m aufstellen.
Merkwiirdigerweise kommt aber auch MuUer immer noch nicht auf
die selbsttatige Anspannung der Seile etwa durch Qewichts-
belastung, sondern er bildet eine Spannvorrichtung mit Hilfe von
Zugspindeln aus, wodurch nattirlich eine gleichmaBige Anspannung
Fig. 31. fiermann Mailers Seil-Trajekt. Gesamtansicht aus
Mner Brosclifire der Sigl'schen Lokomotivfabrik Wien, 1872.
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1871
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— 59 —
und damit auch ein gleichmaBiges Laufen der beiden Seiie aus-
geschiossen wird.
Wie wenig iibrigens sonst ernsthaf t zu nehmende Konstrukteure
sich iiber die einzelnen Vorgange bei Drahtseiibahnen klar wurden,
geht aus der Buch*schen Privilegiums-Anmeidung aus dem Jahre
1870 hervor, die sich auf eineangeblicheVerbesserungHodgson'scher
Drahtseiibahnen bezog. Buch wili die FordergefaBe ebenfalls statt
an ein Seil, an zwei bewegte Tragseiie hangen, die ziemlich dicht
nebeneinander iiegend, parallel zu einander gefuhrt sind, in gieicher
Richtung laufen. Er begriindete seinen Vorschlag damit, daB bei
gewohniichen Hodgson*schen Seilbahnen die Lasten zu sehr
schwanken, und daB sie bei seinem System vie! ruhiger hangen
sollten. Abgesehen von der auBerordentlichen Komplikation, die
durch Fuhrung und Lagerung und ebenso durch Antrieb der beiden
Seile in das System hineingefuhrt wird, ubersah der Erflnder voil-
standig, daB in Wirklichkeit ein etwa auftretendes heftiges
Schwanken der an einem Seil aufgehangten, also doch in stabilem
Qleichgewicht befindiichen Lasten ledigiich auf Ausfiihrungsfehler
zuriickzuftihren ist, und daB es namentlich bei langen Strecken un-
moglich ist, die beiden Seile stets mit derart gieicher Spannung und
gieicher Qeschwindigkeit zu fiihren, daB nicht durch die Ver-
schiedenheit zwischen beiden ein noch viel heftigeres Schwanken
und ein fast mit Sicherheit zu erwartendes Entgleisen der Wagen
eintritt.
Zur gleichen Qruppe der mehrseitigen Bahnen ist auch zu
rechnen g. B. die in der Nahe des Rheinfalls bei Schaffhausen wahr-
scheinlich im Jahre 1867 — 69 erbaute Bahn, die in der Literatur viel-
fach als Oberschreitung des Rheinfalls genannt wurde. Die frag-
liche Drahtseilbahn iiberspannte zwar nicht den Rheinfall, sondern
sie vermittelte nur den Verkehr des Dienstpersonals zwischen dem
alten linksrheinischen schwer zuganglichen Moser'schen Turbinen-
hause und dem rechten Schaffhausener Ufer, zu einer Zeit, als die
bekannte Moser'sche Seiltransmission noch im Betrieb war. Diese
etwa 100 m lange Seilbahn wurde Ende der 70er Jahre durch den
heute noch benutzten eisernen FuBsteg ersetzt. Wer der Erbauer
der Bahn war, ob Rieter in ToB oder Escher-WyB, konnte nicht
mehr ermittelt werden, ebensowenig wie Zeichnungen hieriiber noch
vorhanden zu sein scheinen.*) Der fiir hochstens 2 Mann berechnete,
auBerst primitive eiserne Fahrkasten, etwa von der Form bei-
geschlossener Skizze (Fig. 32), wurde durch 2 auf den beidseitigen
Uferpfeilern montierte Handkurbelgetriebe mittelst umlaufendem
Zugseil zwischen 4 Trag- resp. Hangseilen aus Stahldraht hin und
*) Nach persGnlichen Mitteilungen von Ing. Siegfried Abt in Winterthur
und H. Magis in Schaffhausen.
— 60 —
her gezogen, langsam genug, haufig, besonders im Winter, mit einer
unfreiwilligen Ruhepause iiber der Rheinmitte.
Die aus der Hodgson'schen System-Erfindiing entspringenden
weiteren Erfindungen, die nun in sehr rascher Folge einsetzten,
konnten an der Qesamtheit des Systems natiirlich nichts mehr
andern, sie bezogen sich mehr auf Vervolikommnung der Einzel-
heiten, auf eine bessere Durchbiidung der einzelnen konstruktiven
Teiie und ihre Anpassung an die im Betrieb gemachten Erf ahrungen.
So schlug Hallidie schon 1871 in Scientific Press (S. Francisco, 18.
2. 1871) ein dem Hodgson'schen Shnliches System vor, das statt
der losbaren, fest mit dem Seil verbundene Wagenkasten oder
Arme zur Aufnahme von Lasten besitzt.*) Das von Hodgson in
Fig. 32. Schematische Darstellung des Seiltrajekts bei Schaffhausen mit
4 Tragscilen und endlosem Zugseile (von 1867—1869),
Bardon Hill zum ersten Male im Betrieb vorgefiihrte Seilbahn-
system der Einseilbahnen muB demnach, trotzdem schon in der
alten Danziger Anlage ein Vorganger von ihm da war, doch ais eine
vollkommene Erfindung angesehen werden, und zwar als eine Er-
findung in unserem heutigen Sinne. Es ist also nur gerechtfertigt,
wenn noch bis heute jedes Einseilbahnsystem, das auf den von
Hodgson angegebenen Qrundsatzen beruht, unabhangig davon, ob
in seinen Einzelheiten Weiterbildungen und Verbesserungen statt-
gefunden haben, die an seiner Qrundiage und an seinem Wesen aber
nichts andern konnten, als Hodgson'sches System bezeichnet wird.
Die Einfiihrung dieses Hodgson'schen Einseilbahnsystems in die
Technik gab aber das Zeichen zum Beginn einer regen Erfinder-
tatigkeit auch auf dem Qebiete des Zweiseilsystems. Man hatte
*) Scient. Press. S. Francisco. 18. 2. 91.
— 61 —
durch die englischen Erfolge wohl erkannt, welcher technische und
wirtschaftliche Wert dem Lufttransport innewohnt, mochte
sich auch wohl sofort davon iiberzeugt haben, daB die eigentiiche
Zukunft der schwebenden Lastbewegung nicht darin zu suchen ist,
daB die Lasten auf einer beweglichen Schiene gefordert werden.
sondern daB sie nur darin bestehen konntCj feste Wege durch die
Luft zu schaffen, an denen sie mit Hilfe besonderer Bewegungs-
einrichtungen entlang laufen konnten.
Die in Tirol und in der Schweiz gegebenen Anregun-
gen, die aus den ersten, vorher beschriebenen Seilriesen zu ent-
nehmen waren, fiihrten dort bald zu einer selbstandigen Weiter-
entwicklung dieses Systems. Nachdem Hohenstein mit seinen
primitiven Seilriesen so bedeutende technische Erfolge erzielt hat,
wenn ihm auch die entsprechenden finanziellen Erfolge versagt
blieben, griff ein Industrieller im Kanton Bern, Ch. Konig in Beiten-
wyl, den Hohenstein'schen Qedanken auf und verbesserte ihn
wesentiich durch Hinzufugung einiger neuer Erfindungen. Im lahre
1869 wurde am Trubbach bei Trubschachen von Konig eine Seilriese
von 950 m Lange bei einem Drahtseildurchmesesr von 25 mm er-
richtet, bei der die von Hohenstein angegebene Spannvorrichtung
mit Hilfe einer horizontalen Walze und Sperrad ebenfalls zur An-
wendung kam.
Die anscheinende Unmoglichkeit des Transportes ganzer Stamme
von 1000 und mehr kg Qewicht*) hatte namlich bis dahin ihren
Qrund in der richtigen Voraussetzung, daB ohne Regulierung der
Schnelligkeit, bei der Wucht, mit welcher eine solche Masse zu Tal
fahren wurde, entweder dieselbe iiber die Bahn hinausschleudert
Oder aber, unten angekommen, sich selbst und alles im Wege
Stehende zerschmettern wiirde. Um nun den Gang des Qleitens
in die Tiefe zu regulieren, brachte Herr Konig bei der oberen
Station eine senkrechte, zwischen Stiitzen sich drehende Walze an.
Uber diese lauft ein leichtes Drahtseil, dessen eines Ende an dem
zu transportierenden Qegenstand befestigt ist, wahrend am anderen
Ende durch die tiberschussige Kraft des hinabgleitenden Holzes die
leeren Rollen wieder heraufbefordert werden. Da jedoch dies nicht
am gleichen Seile geschehen konnte, an dem die Last hinunter-
gelassen wurde, so spannte man ein zweites Drahtseil, welches aber
der geringen Last wegen, welche dasselbe zu tragen hatte, be-
deutend dunner und daher auch wohlfeiler sein konnte. An der
oben erwahnten Walze (Friktions walze), um welche die sogenannte
Luftschnur geschlungen war, wurden iiberdies zwei Windfliigel an-
gebracht, die durch ihre Schwere anfanglich vertikal stehen, sich
aber bei der Drehung offnen und durch den vergroBerten Luft-
"') Abdruck des Wortlautes aus Fankhauser, Drahtseilriesen. Bern 1873.
— 62 —
widerstand eine langsamere Drehung der Walze und ein lang-
sameres Qleiten der Luftschnur erzielen. Durch einen Hebei konnte
ferner die Walze voUstandig gebremst und auf diese Weise die Last
jeden Augenblick angehalten werden. Die zweite Verbesserung,
weiche hier zur Anwendung kam, bestand darin, daB die eigene
Schwere des Drahtseiles, da, wo es zweckmaBig erschien, durch
eine angebrachte Unterstiitzung getragen wurde. Zu dem Behuf
wurde an der betreffenden Stelle mittelst dreier Baumstamme eine
Pyramide gebildet, die an einem horizontaien Querbalken eine frei-
stehende, solid befestigte Rolle trug, auf weiche das Seil geiegt
wurde. Auf diese Weise ailein war es mogiich, das Drahtseil, das
bei seinem bedeutenden eigenen Qewichte sich bei groBen Spann-
Fig* 33. Holztransportgehange der KSnigschen Seilriesen, 1869.
weiten kaum selbst zu tragen vermag, auf beiiebig iange Distanzen
und seibst zum Transport schwerer Nutz- und Bauhoizer an-
zuwenden.
Was den Transport seibst betrifft, so geniigt selbstverstandiich
fur Starke Stamme eine einzelne Rolle nicht mehr. Es wurden deren
zwei angewendet, weiche durch ein bewegliches Querstiick ver-
bunden waren, damit sie sich nur in gerader Richtung am Seil fort-
bewegen konnten und seitliche Schwankungen dabei vermieden
wurden. Mittelst Ketten wurden die zu transportierenden Holz-
stucke an derartigen Wagen befestigt (Fig. 33).
Ungefahr zu gleicher Zeit wurde laut einem Aufsatze im Mai-
Heft 1870 der Zeitschrift „Revue des eaux et forets" auf ahnliche
Weise ein Drahtseil zum Transport von Brenn- und Bauholz in
— 63 —
Savoy en benutzt, ohne daB jedoch der dortige Unternehmer von
den Drahtseiiriesen des Herrn Konig, noch dieser von jenem,
Kenntnis hatte.
Laut obigem Berichte befinden sich in der Nahe von St. Jean de
Coire, Savoyen, die Waldungen von Beauvoir, welche groBtenteils
aus Buchenniederwald, an manchen Orten mit WeiBtannen ge-
mischt, bestehen, und deren Exploitation der schwierigen Holz-
abfuhr wegen groBe Kosten verursachte. Um das Holz hinunter
nach dem an der StraBe von Chambery nach Lyon gelegenen Ab-
lageplatz Roche-Corbiere zu schaffen, muBte dasselbe entweder
getragen oder durch die Rinnsaie hinuntergesttirzt werden. Die
Anlage eines Weges wtirde zu groBe Kosten verursacht haben.
Man fiei deshalb auf die Idee, eine Drahtseiiriese zu erstellen. Die
Einrichtung ist im Qrunde genommen ziemlich dieselbe, wie bei den
schon betrachteten derartigen Anstalten ; iangs eines starken mehr-
mals unterstutzten Drahtseiles wird das zu transportierende Holz
hinuntergelassen und dessen Qang durch eine mit Bremsvorrichtung
versehene Rolle, uber die es lauft, reguliert. Einige Modifikationen
jedoch, die hier vorkommen, machen, daB ein Auszug aus jenem
oben erwahnten Bericht nicht ohne Interesse sein wird.
Die eigentliche Bahn, auf welcher die Rollen sich bewegen, be-
steht aus zwei, auf 3 m Abstand parallel laufenden Drahtseilen von
je 1200 m Lange, die unter einem Winkel von 27 — ^34 ® geneigt sind.
Es dient jeweilen das eine zum Hinunterfahren des Holzes und das
andere zum Herauffahren des leeren Wagens. Die Kabel haben
eine Dicke von 21 mm und bestehen aus 6 Btindeln von je sieben
2,7 mm starken Drahten. Die Kabel sind an ihren oberen Enden an
zwei einfachen Wellbaumen befestigt und werden an ihren unteren
Enden durch andere Walzen gespannt. Damit dieselben jedoch
nicht am Boden aufliegen, sind dreibeinige Bocke zur Unterstiitzung
aufgestellt, die einen Querbalken von 3 m Lange tragen, an dessen
beiden Enden die Kabeltrager befestigt sind. Dieselben bestanden
anfangs einfach in kupfernen Rinnen von 21 mm Breite und 10 mm
Lange, wurden jedoch spater durch kleine Rollen ersetzt. Derartige
Stiitzen (Fig. 34) sind alle 70—^0 m angebracht. Am FuBe derselben
befinden sich uberdies zu beiden Seiten drehbare, horizontale,
holzerne Wellen, iiber welche das Laufseil, das an dem beladenen,
hinunterfahrenden und dem leeren heraufkommenden Wagen be-
festigt ist, gleitet. Zur Regulierung des Ganges ist diese Lauf schnur
um eine, bei der oberen Station befindliche Hemmvorrichtung ge-
legt. Dieselbe besteht aus einem vertikalen, 2,30 m langen Well-
baum (Fig. 35), der sich um seine Achse drehen kann, sonst aber
durch Balken solid befestigt ist. An diesem sind nun iibereinander
zwei horizontale Rader von 3 m Durchmesser angebracht; um das
eine ist das Hemmseil gelegt, wahrend das andere mittelst einer
— 64 —
Hemmvorrichtung, ahnlich wie man sie bei Eisenbahnwagen sieht,
gebremst und dadurch die Schnelligkeit der hinunterfahrenden Last
reguliert werden kann.
Die Wagen sind ahnlich konstruiert, wie diejenigen, die Konig
benutzt; die Rader sind jedoch von Bronze, und zur Verbindung
der beiden Rollen werden statt eines Holzsttickes Ketten und Hanf-
seile benutzt.
Die zu transportierende Last muB, um das Hemmseil und den
leeren Wagen hinaufzubefordern, wenigstens ein Qewicht von
600 kg haben, wShrend sie dagegen auch nicht 1000 kg ubersteigen
darf. Die geeignetste Ladung ist 700 — 800 kg, und es konnen durch
Fig. 34. StOtzen der Drahtseilriesen St. Jean de Coire, 1869—1870.
dieselbe leicht mit dem leeren Wagen Mundvorrate fur die Arbeiter,
Material zu Reparaturen usw. bis zu 80 oder 100 kg Qewicht hinauf-
gezogen werden.
An der Beschreibung dieser beiden Anlagen interessiert ganz
besonders folgendes:
Es kann als ziemlich bestimmt angenommen werden, daB weder
Konig, noch der Erbauer der Anlage in St. Jean de Coire von den
V. Diicker'schen Ideen und ihren bis dahin doch nur sehr sparlichen
Veroffentlichungen Kenntnis hatten, wohl aber waren ihnen die
Hohenstein*schen Ausfuhrungen bekannt. Beide Erbauer gingen in
der Weiterbildung der Hohenstein'schen Drahtriesen selbstandig
vor und kamen eigentlich ganz selbstverstandlich zu einer An-
ordnung doppelter Laufbahnen, bei denen Hin- und Riicktransport
— 65 —
getrennt ist. Sie kamen aber auch ebenso beide auf eine Regulierung
der Qeschwindigkeit, der Eine, Konig, durch Anwendung einer
selbsttatigen Bremse in Form eines Windfiugels, der Andere ver-
wandte eine Backenbremse. Beide erkannten ferner den Wert der
mittleren Auflagerung des Tragseiles bzw. der Tragseile und ver-
wandten fast in gieicher Weise Stiitzen, die eine gleitende Auf-
nahme des Tragseiles ermoglichten, indem sie das Tragseil an den
Stiitzenkopfen auf Rolien oder in offene Rinnen auflegten. Zu
diesem Zwecke war es natiirlich notwendig, daB die Last einseitig
aufgehangt wurde, wie sich dies ja auch aus den Stiitzen ergibt,
und ebenso kamen beide Konstrukteure dazu, die Last, in diesem
Falle die abzuriesenden Baumstamme, nicht mehr an den Rolien,
fig. 35. Bremseinrichtung ffir das Zugseil der Drahtseilriesen
St. Jean de Coire, 1869—1870.
sondern an zwei entweder durch Ketten oder eine starre Stange
verbundene Rollengehange anzuhangen. Es sind dies gegenuber
den V. Dticker'schen Vorschlagen aus dem Jahre 1861 und seinen
letzten Veroffentlichungen aus dem Jahre 1869, die um dieselbe Zeit
erfolgten, in denen die hier erwahnten Riesen in Betrieb genommen
wurden, so wesentliche Fortschritte, daB sie geradezu als grund-
legend bezeichnet werden miissen. Man darf nicht iibersehen, daB
V. Ducker seine Tragseile bis dahin nicht beweglich, sondern fest
auflagerte, daB er also eines der wesentlichsten Momente, die bei
dem Betrieb der Zweiseilbahnen auftreten, namlich die Langs-
bewegung der Tragseile, vollstandig iibersehen hat. Spater half
er sich damit, daB er die Seile an lange S-formige Haken hing, die
ein gewisses Pendeln des Seiles zulieBen, er verlor aber hierdurch
die starre Lagerung des Seiles in der Querrichtung.
Diese letzte Konstruktion der Aufhangung der Seile an pen-
delnden Eisen, die das Seil fest umfassen, laBt sich sehr gut ver-
5
— 66 —
folgen bei der sogenannten Drahtseilbahn auf der Schwarzen Hiitte
bei Osterode im Harz, die wohl die alteste noch existierende Aus-
fiihrung einer Schwebetransporteinrichtung mit festem Seil ist, und
die im Jahre 1870 von v. Diicker gebaut wurde. Nur ist an dieser
Ausfiihrung das eine bedauerlich, daB sie nicht, wie haufig ange-
nommen wird, eine wirkliche Drahtseilbahn darsteilt, sondern ledig-
lich eine Drahtriese in ihrer allereinfachsten Form. Die Deutsche
Bauzeitung vom 17. August 1871 bringt eine Veroffentlichung von
A. Lammerhirt hieriiber:
„Das Qipswerk Schwarzehiitte bei Osterode am Harz, der Firma
Btichting & Schimmler gehorig, bezieht seine rohen Qipssteine aus
in der Nahe liegenden Qipsklippen, welche von dem Werke durch
das Tai der Sohse getrennt sind. Die Fuhrwerke, welche zum
Transport des Rohmaterials dienten, hatten daher etwa 20 FuB
(6 m) hinab und nach Oberschreitung des Flusses 16 — 20 FuB
(5 — 6 m) hinauf zu steigen. Dabei wurden die Steine aus dem
hoher gelegenen Telle des Bruches bis zu einem Plateau hinab-
gestiirzt, welches dem Fahrwege nach etwa 14 — 1500 FuB (440 bis
476 m) vom Qipswerke entfernt liegt. — Fiir diesen Transport
wurde projektiert, einen sogenannten Hundslauf quer durch das
Tal zu bauen; in Stelle dessen aber wurde unter Aufsicht des Er-
finders, Freiherrn von Diicker, eine Drahtseilbahn in einfachster
Form hergestellt, welche den an sie gestellten Erwartungen nicht
nur entsl)richt, sondern sie noch iibertrifft.
Die Bahn beginnt in den Qipsklippen an einem Punkte, welcher
20 FuB hoher liegt, als das Terrain der „Schwarzehiitte" (Fig. 36) ;
da nun Riickfracht nicht vorhanden ist, so wurde diese Hohen-
differenz benutzt, um die Transportwagen vermoge ihres eigenen
Qewichtes an dem Seil entlang laufen zu lassen. Die Hohen der
Unterstiitzungen sind so bemessen, daB die Auflagerpunkte vertikal
in einer flachen, horizontal auslaufenden Kurve liegen; die erste
und letzte Unterstiitzung ist 6 FuB (2 m) hoch, in der Mitte er-
reichen sie etwa 40 FuB (12,50 m) Hohe. Ihre Entfernungen von
einander wurden durchaus dem Terrain angepaBt; wahrend die
Spannweite iiber dem SohsefluB 64^ FuB (20 m) miBt, reduzieren
sich diejenigen auf dem Plateau der Schwarzehiitte auf rund
30 FuB (9,50 m). Je nach dem Standort und der Hohe sind die
Unterstiitzungen als einfache Stander (Fig. 37), Doppelstander oder
DreifiiBe konstruiert, die im Sohsebett aufgestellten auBerdem
durch umgelegte Steinkegel gegen Unterspiilung und Beschadigung
beim Eisgang usw. geschiitzt.
Die Bahn selbst besteht aus 1 Zoll (2,6 cm) starkem Rundeisen,
welches mit Hilfe einer Feldschmiede zu der erforderlichen Lange
zusammengeschweiBt wurde. In den Qipsklippen ist nur eine ein-
aiPS-
klippeN.
fCHWAnZtHUTTC
Fig. 36. Langenprofil der Dfickerschen Sellriese bei Schwarzehfitte, 1870.
Fig. 37. Stfitzenanordnung mit Seilaufhangung der Seilriese Schwarzehfltte, 1870.
— 67 —
fache Erdbefestigung angebracht, wahrend am anderen Ende eine
Erdwinde aufgestellt ist, auf deren Trommel sich ein Stuck Draht-
seil, die Fortsetzung des Rundeisens, behufs der Spannung auf-
wickelt. Zwischen den beiden letzten Stiitzen hangt dann auBerdem
ein Qewicht in Form eines mit Steinen beschwerten Holzgestelies,
um die Spannung moglichst konstant zu erhalten und den etwaigen
Schwankungen etwas nachzugeben. Die direkte (horizontale) Ent-
fernung beider Endpunkte betragt 1425 FuB (447 m), wahrend der
von den Transportwagen von L nach A zuriickzulegende Weg
horizontal gemessen nur etwa 1200 FuB (377 m) ist.
Der Betrieb auf der Seilbahn ist nun folgender:
Drei Arbeiter sammeln das Material und beiaden damit die auf
5 Zentner Ladung eingerichteten Forderkasten ; jeder einzelne er-
halt einen leichten StoB und lauft dann mit der durch sein Qewicht
erzeugten, aber durch eine Bremsvorrichtung gemaBigten Qe-
schwindigkeit nach Schwarzhiitte hiniiber; an der Abladestelle A
ist diese bei gut regulierter Bremse so gering, daB ein einziger Ar-
beiter, der hier das Ausladen zu besorgen hat, den Forderwagen
mit der Hand anhait. An der entfernten Ausladestelle A wiirde bei
derselben Stellung der Bremse die Endgeschwindigkeit nahezu Null
sein. Vorlaufig sind nur drei Transportwagen in Qebrauch, der
letzte derselben erhalt das Ende einer Leine angehangt, die sich
durch den Zug des Wagens von einer im Qipsbruch aufgestellten
Windetrommel abwickelt. Nachdem alle 3 Wagen entleert sind,
werden sie aneinander gehangt und durch Aufwickelung der er-
wahnten Leine wieder nach dem Qipsbruch hiniibergezogen.
Der beladene Wagen legt den Weg an der Seilbahn in 70 bis
75 Sekunden zuriick, in einer Stunde werden alle 3 Wagen 8 bis
9mal hin- und hergeschickt. Da es fiir den augenblicklichen Bedarf
geniigt, so werden die Kasten nur mit 350 — 370 Pfund beiaden und
somit bei llstiindiger Arbeitszeit taglich 600 — 635 Zentner Qips
nach Schwarzehiitte befordert. Wie oben erwahnt, sind die An-
ordnungen auf 5 Zentner Ladung berechnet und die Transport-
wagen laufen mit diesem Qewichte ebenso sicher und anstandslos
hiniiber. 5 Zentner Ladung und llstiiodige Arbeitszeit wiirden aber
einen taglichen Transport von 1000 Zentner gewahren.
Die mehrfach erwahnte Bremse besteht aus einem Brettstiick,
welches, mit passenden Ausschnitten versehen, von oben zwischen
die Rader greift und in dieser Stellung durch einen langen
Schraubenbolzen an dem unteren Rahmen des Radgestelles be-
festigt ist.
Die Herstellungskosten der Seilbahn stellen sich in runden
Zahlen wie folgt:
— 68 —
Materialien zum Bau: Eisen, Molz, Fuhrlohn usw. . . 486 Taler
Honorar, Bauleitungskosten, Vorarbeiten usw. . . . 130 Taler
Arbeitslohne einschl. der Schmiedearbeit 222 Taler
Summa einschl. Beschaffung von 3 Forderwagen 838 Taler
Dies gibt, reduziert auf 377 m nutzbare L^nge, pro laufenden
Meter 2 Taler, 6 Silbergroschen, 8 Pfennig.
Die Aufstellung geschah iibrigens mit ungeiibten Leuten, auch
waren die Materialien in reichlichem MaBe beschafft, sodaB die
Bemerkung des Herrn Frhrn. von Diicker, eine zweite gleiche An-
lage fur rund 600 Taler herstellen zu wollen, wohl zutreffend er-
scheint. Das Eisenzeug fiir Anbringung eines zweiten Stranges
wiirde etwa 180 Taler kosten.
Zur Bedienung der Bahn sind, wie oben erwahnt, 4 Arbeiter
notig, welcher fruher ebenso beim Beladen und Entladen der Puhr-
werke beschaftigt waren. Das Fuhrlohn beim Transport durch
Pferde betrug bisher 2,43 Pfennige pro Zentner, ohne das Auf- und
Abladen, das bei der Seilbahn mit denselben Kosten (1% Pfennig
pro Zentner) stattfindet.
Rechnet man fiir Zinsen, Reparaturen und baldige Amortisation
jahrlich 20 7o des Anlagekapitals, so sind das bei 838 Talern wie
oben, 167,6 Taler p. a., oder bei 200 Arbeitstagen im Jahr 25V8 Silber-
groschen pro Tag. Werden nun taglich 600 Zentner befordert, so
kostet der Zentner ziemlich genau V^ Pfennig fiir Benutzung der
Bahn, ebenfalls ohne Auf- und Abladen. Die vorhin angegebene
Summe fur Fuhrlohn stellt sich daher zum Seilbahntransport wie
2,43 : 0,50 oder 4,86 : 1, also nahezu wie 5 : 1.
Bei Beurteilung dieses glanzenden Erfolges ist zu beriick-
sichtigen, daB die Leistungsfahigkeit der Bahn leicht gesteigert
werden kann durch Beschaffung einer groBeren Zahl von Trans-
portwagen, Anstellung mehrerer Arbeiter und Verlangerung der
Arbeitszeit (wenigstens in den Sommertagen), endlich auch durch
Anlage eines zweiten Stranges fiir die unbeladen zuriickkehrenden
Wagen. Der letztere konnte eine geringere Seilstarke erhalten und
auf dieselben Stutzen mit aufgelegt werden, was die Anlagekosten
selbstredend erheblich vermitidert. Die Bremsvorrichtung an den
Wagen wiirden wegfallen und durch eine Leine ohne Ende ersetzt,
welche den leeren Wagen auf dem zweiten Strang wieder hinauf-
zieht — alles Vorteile, welche in Schwarzehiitte vorlaufig nicht zur
Geltung kommen, well die jetzige Forderung von 600 Zentnern tag-
lich fiir den Bedarf genugt."
Da namentlich bei uns in Deutschland diese Osteroder Bahn
vielfach als der Ausgangspunkt fiir die gesamten neueren Zweiseil-
bahnen angesehen wird, so mag ein naheres Eingehen auf die Einzel-
— 69 —
heiten derseiben wohl hier von Wert sein. Es laBt sich nicht ver-
kennen, daB v. Diicker an dieser Bahn eine Reihe von Verbesse-
rungen angebracht hat, so namentlich findet sich hier die erste An-
deutung einer selbsttatigen Anspannung des Tragseiles und zwar
durch ein Spanngewicht, das zwischen die zwei letzten Stutzen ge-
hangt worden ist (Fig. 38.) AuBerdem erschien es dem Erbauer
aber notwendig, die Spannung noch mit Hilfe einer Erdwinde zu
regulieren, was auch ganz naturgemaB ist, da die bei der Lange von
447 m des aus einem Rundeisen bestehenden Qeleises aus Tem-
Fig. 38> Spannvorrichtung fOr das Tragseil der Seilriese Schwarzehfitte, 1870.
peraturanderung und Belastungsunterschieden folgende Langsaus-
dehnung von immerhin % m auszugieichen war. Da dieser Aus-
gieich aber durch eine senkrecht zur Seilrichtung und nicht in der
Seilrichtung selbst wirkende Spannvorrichtung erfolgen soiite,
muBte die Zunahme des Durchhanges an der Spannstelle wesentlich
groBer werden, wie dieses MaB, und da er hierdurch ein Vielfaches
der wirkiichen Langenanderung zu betragen hatte, eine praktische,
auf diese Art nicht mehr durchfiihrbare Ziffer erreichen, sodaB die
Winde am Ende nicht mehr entbehrt werden konnte. Im iibrigen ist
auf die Anwendung der Bremse fiir die abzubremsenden Wagen
— 70 —
hinzuweisen, aber immer wieder zu erwahnen, daB die Bahn fiir
kontinuierlichen Betrieb, da sie nur aus einer Laufbahn bestand,
nicht gebaut war, ebensowenig aber ein standig laufendes Zugseil,
das mit dem Wagen in dauernder Verbindung gebiieben ware, auf-
wies. Die Moglichkeiten, die fiir die weitere Ausbildung dieser Bahn
in dem Aufsatze der Deutschen Bauzeitung erwahnt sind, nament-
lich die Moglichkeit der Aniage eines zweiten Stranges mit ge-
ringerer Seilstarke fiir die leeren Wagen, der Ersatz der bin- und
hergehenden Leine durch eine Leine ohne Ende, sind jedenfalls eher
Fig. 39. Seilbahnwagen der v. Dfirkschen Seilriese auf
SchwarzehQtte, 1870, nach einer Photographie des in Besitz
der Bleichertschen Modellsammlung befindlichen Original-
wagens.
dem Verfasser des Aufsatzes, als dem Erbauer der Bahn zuzu-
schreiben. Die Bahn befindet sich iibrigens noch heute im Betrieb.
Der Betrieb geht derart vor sich, daB die Wagen einer nach dem
anderen unter Wirkung der Last frei auf dem Seii ablaufen gelassen
werden, und daB der ietzte Wagen die Leine mitnimmt, mit deren
Hilfe dann die samtlichen zusammengekoppelten Wagen zuriick-
gezogen werden. Einer der nach den von v. Diicker'schen Angaben
ausgefiihrten Seilbahnwagen (Fig. 39) ist durch einen modernen
Eisenwagen ersetzt worden.
— 71 —
Fast gleichzeitig mit der Bahn auf der Schwarzehutte finden wir
eine Mitteilung uber eine weitere von Diicker'sche Seilbahn in
Oynhausen auf der Tonwarenfabrik des Inspektor Rasch. Diese
Bahn war in ahnlicher Weise hergestellt, wie die Bahn im Harz, je-
doch fiihrte sie nur iiber ein ebenes Qelande. Da hier Schwierig-
keiten nicht vorlagen, so waren die Stiitzen in regelmaBigen Ab-
standen von 30 FuB = 9,5 m aufgestellt. Hinsichtlich ihrer Hohe
aber waren sie so angeordnet, daB die Bahn bei 400 FuB Lange
(125 m) ein Totalgefalle von 3 FuB bzw. 1 m besaB. Der Ton wurde in
ein Totalgefalle von 3 FuB bzw. 1 m besaB. Der Ton wurde in
Ladungen von etwa 7 Zentnern transportiert, und zwar soil dies so
leicht gegangen sein, daB ein Arbeiter den Forderwagen in 1% Mi-
nute die Bahn entlang schob, ihn ablud und zur Ladestelle zuriick-
brachte. Diese Angabe kann sich aber nur auf einen gelegentlichen
Versuch beziehen, wie folgende Erwagung ergibt: Der ganze Weg,
den ein Wagen bei Hin- und Riickfahrt zuruckzulegen hatte, war
2 X 125 = 250 m; 1% Minuten = 105 Sekunden, zum Abladen
wurden nur 15 Sekunden gebraucht, so blieben fiir den Wagen nur
90 Sekunden iibrig, die auf 250 m verteilt, eine Fahrgeschwindigkeit
von 250 : 90 = 2,77 m voraussetzen wiirden. Der die Bahn be-
dienende Mann miiBte also bei seiner Arbeit des Wagenschiebens
eine stiindliche Wagenleistung von 18 Kilometer entwickeln, was
ausgeschlossen ist.
Also auch hier, wo doch die Moglichkeit zur Ausftihrung einer
Seilbahn mit kontinuierlichem Betrieb durchaus gegeben war, na-
mentlich da es sich um einen Versuch handelte, kommt v. Dticker
nicht dazu, seine von ihm fruher schon gemachten Vorschlage in
die Praxis zu iibersetzen und eine horizontale Bahn mit endlosem
Zugseil einzurichten, sondern er legt trotz horizontaler Qelande-
gestaltung seine Bahn kiinstlich ins Qefalle, um die beladenen
Wagen selbsttatig herunterfahren zu lassen und um sie nachher
wieder mit der Hand nach dem Ausgangspunkte zuriickzuschieben.
Die Ausnutzung des Qegengewichtes der auf einem Qefalle
niedergehenden Last zum Betriebe von Seilbahnen findet sich um
die Jahre 1869-73 herum mehrfach. Von anderen Erfindern wurden
aber zu diesem Zwecke haufiger Zweiseilbahnen in Vorschlag ge-
bracht, die derart angeordnet waren, daB beide Strange, der hin-
gehende sowohl, wie der rtickkehrende in entgegengesetzt gerich-
tetem Qefalle lagen, sodaB die beladenen Wagen von selbst nach
der Beladestation zuriickliefen. AUerdings entstand hierdurch
zwischen dem Ankunftspunkte der leeren Wagen in der Belade-
station und dem Ablaufpunkte der vollen in derselben Station ein
betrachtlicher Hohenunterschied, der durch einen besonderen Auf-
zug tiberwunden werden muBte. Ein hierher gehoriger Vorschlag
— 72 —
ist die osterreichische Privilegiumsanmeldung von Provius aus dem
Jahre 1872, die dieses Prinzip verfolgt (Fig. 40).
Doppelseilbahnen mit hin- und hergehendem Betrieb finden wir,
wenn auch nicht in der Ausfiihrung, so doch in Patentanmeldungen
ebenfalls von Provius in einer osterreichischen Privilegiums-
anmeldung auch im Jahre 1872, die naturlich nur als doppelte Seil-
riesen anzusehen sind. Der auf einem Sell niedergehende Korb
mit der Last wird mit Hilfe eines an ihm befestigten fiber eine Rolle
in der Aufgabestation gefiihrten Zugseils dazu benutzt, den leeren
Korb zurtickzuziehen (Fig. 41).
Drahtseilriesen, wie sie ursprunglich fiir hin- und hergehenden
Betrieb mit 2 Seilen von Konig angegeben waren, und wie sie hier
in verschiedenartigen Ausfiihrungen von Provius und anderen vor-
geschlagen sind, kamen zu Beginn der 70er Jahre iiberhaupt mehr
zur Ausfiihrung. Sie haben sich als Bremsseilbahnen ganz gut ein-
gefiihrt und werden heute noch in umfassendem MaBe verwandt.
Eine sehr vervollkommnete Bremsseilbahn wurde gegen das Jahr
1873 in Aalesund in Norwegen von W. Th. Carrington zur Aus-
fiihrung gebracht (Fig. 42), der sich in der englischen Drahtseil-
bahn-Industrie auch in der Folge einen groBeren Namen erworben
hat. Diese im Engineering 1874 beschriebene Bahn besteht aus
2 Laufseilen, die eine freie Spannweite von 700 m uberschreiten und
an deren jedem kleine zweiraderige Hangewagen mit einem Inhalts-
gewicht an Eisenerz von etwa 500 kg hingen. Die beiden Forder-
kiibel waren durch ein Zugseil mit einander verbunden, das sich
oben in der Aufgabestation um 3 Seilscheiben schlang, von denen
mit Hilfe eines Handhebels gebremst wurde (Fig. 43). Die Neigung
der Bahn betrug annahernd 45 Qrad. Die Fahrgeschwindigkeit der
Wagen wurde mit etwa 10 m in der Sekunde eingehalten. Die
beiden Tragseile waren am unteren Ende durch Qewichtsbelastung
angespannt, am oberen Ende im Felsen verankert. Die Entfernung
der Zugseilendpunkte und damit auch der Forderkiibel von einander
konnte mit Riicksicht auf die genau einzuhaltenden Be- bzw. Ent-
ladepunkte durch eine horizontal verschiebbare Scheibe auf der
Beladestation reguliert werden.
SchlieBlich verbesserte Karras in Seelowitz die Provius'schen
Ideen Mitte Dezember des Jahres 1872, wenigstens durch ent-
sprechend ausgearbeitete Projekte dahin, daB er statt des hin- und
hergehenden Betriebes den kontinuierlichen Betrieb einzurichten
versuchte, wie dies aus dem osterreichischen Privilegium 22/834 er-
sichtlich ist. (Fig. 44.) Er verband die auf dem einen Tragseil
niedergehenden voUen Wagen in bestimmten Entfernungen fest mit
dem endlosen Zugseil, das die auf dem anderen Sell laufenden
leeren Wagen in die Hohe zog, und schlug vor, die Wagen durch
eine feste Umfiihrungsweiche in den Stationen von einem auf das
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i ji/ fg m.i^j^^iiyjsiji. ' ^
^ XXX-LI mLJii
Fig. 40. Seiibahn mil kontinuieriichem GefSilsbetrieb nach VorschlSgen von Provius, 1872.
Fig. 41. Seilriese mit bin- und hergebi
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^'
Fig. 42. Seilriese mit Pendelbetrieb. Anlage in Aalesund, Norwegen, 1872—1873, ausgefuhrt von Carrington.
®-
tlem Betriebe nach Provius, 1871—1872.
— 73
andere Sell iibergehen zu lassen. Details zu diesen einzelnen, nur
schematischen Vorschlagen gibt er nicht an, auBer einer Wagen-
Fig. 43. Details zur Seilriese Aalesund, nach Angaben von Carrington, 1872 — 1873.
konstruktion. Doch mittlerweile waren diese Ideen jedoch von
den Bleichert'schen iiberholt worden.
Den Unterschied zwischen den Vorschlagen von Provius und
— 74 —
Karras und den Ausfuhrungen von Carrington besteht im wesent-
lichen darin, daB erstere Laufwerke bzw. Wagen mit einer LaufroUe
anwenden wollten, die eine schlechte seitliche Fiihrung auf dem
Laufseil haben muBten, wahrend letzterer, nach dem Vorbild von
Konig, DoppelroUen anwendet.
Bemerkenswert gute Ideen in bezug auf die Ausbildung eines
Zweiseilbahnsystems entwickelte der Ingenieur Obach in Wien im
Jahre 1870. Die damals allerdings nicht zur Ausfiihrung gelangten
Entwiirfe zu Drahtseilbahnen mit standig laufendem Zugseil und
zwei festen aus Rundeisen gebildeten Schienen lassen sich leicht
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Fig. 44. Kontinuierlich arbeitende Bremsseilbahn
nach Angaben von Karras 1872. Projekt nach
Oesterr. Priv. Anmeldung.
verfolgen aus dem ostereichischen Privilegium vom 22. Januar
1871 (Fig. 45). flier begegnen wir zum ersten Male dem Qedanken,
ein endloses Zugseil standig unter den beiden parallelen aus Rund-
drahten gebildeten Qleisen laufen zu lassen und dieses Zugseil, je
nach Bedarf, mit den Wagenkasten, die an einem doppelraderigen
Laufwerk aufgehangt sind, in Verbindung zu bringen bzw. von ihnen
zu losen. Die Angaben, die der Erfinder Obach in seiner Privi-
legiumsanmeldung gemacht hat, sind allerdings nur sehr schema-
tischer Natur, wenn auch einzelne Details spater zu einer weit aus-
gebildeten Anwendung gefuhrt haben. Aber auch vielfach ein Ver-
kennen der Bewegungs- und Betriebsvorgange bei einer solchen
Seilbahn findet sich in den Zeichnungen ausgedruckt. Zunachst
— 75 —
ergibt sich aus der Privilegiumsbeschreibung, daB auch hier
wieder auf die so auBerordentlich wichtige Langenveranderung
der Laufbahn wahrend des Betriebes keine Riichsicht genommen
ist. Es wird lediglich gesagt, daB die Eisen- oder Stahldrahte fiir
die Laufbahn bei zu groBen Langenausdehnungen immer wieder
nachgespannt werden mussen, ein Mittel hierzu ist aber nicht an-
gegeben. Trotzdem finden wir hier aber eine freie Auflagerung der
Seile in nach oben offenen festen Tragschuhen nach Art der
Konig'schen Rinnen, eine Form, die sich iibrigens bis heute noch
erhalten hat und als die einzig richtige bezeichnet werden muB.
Ebenso enthielt diese Privilegiumsanmeldung die Qrundidee der
spater vielfach verwandten Excenterkupplungen, ebenso wie die-
Fig. 45. Drahtseilbahn nach Vorschl3gen von Obach. Wien 1870. Skizze aus einer Ssterr.
Privilegiumsanmeldung.
jenige der Ausbildung der Stationen. Technisch sehr zu bean-
standen ist jedoch die aus der Zeichnung sich ergebende Anordnung
der Wagenkasten und ihre Aufhangung. Wagen von einer der-
artigen Ausbildung wiirden wohl kaum lange auf dem Qeleise ge-
blieben sein. So weit fortgeschritten die Qedanken von Obach in
bezug auf die technische Durchbildung des Seilbahnsystems auch
im Jahre 1870 — 71 gewesen sein mogen, so wenig wertvoU waren
sie in Wirklichkeit, da sie in einem osterreichischen Privilegium,
das bekanntlich geheim gehalten wird, niedergelegt waren, und da
sie bis zu Mitte der 70er Jahre weder zu einer literarischen Ver-
offentlichung, noch zu einer weiter bekannt gewordenen Ausfuhrung
gefiihrt haben. Aus diesem Qrunde konnten die Obach'schen Ideen
— 76 —
auch nicht befruchtend auf die nun nach ganz kurzer Zeit mit Macht
einsetzende Drahtseilbahnindustrie einwirken.
Die erste wirklich groBere Anlage, die zweifelsohne auch als
Drahtseilbahn im strengsten. Sinne des Begriffes anzusehen ist,
wurde nach den Ideen und teilweise auch nach den Angaben von
V. Diicker Mitte des Jahres 1872 in der Nahe von Metz in Angriff
genommen. Die „Mitteilungen", herausgegeben vom Ingenieur-
Komitee, Heft 19, Berlin 1874, geben wertvolle Aufschliisse tiber
den Bau und den schlieBlich erfolgten Betrieb dieser Bahn; sie
mogen, da sie von groBer Bedeutung fiir die weitere Entwicklung
des Drahtseilbahnbaues sind, im Wortlaut hier Platz finden:
„Der Zweck, welcher durch die Anlage der von der Metz-Saar-
bruckener Eisenbahn nach dem Fort Queuleu fuhrenden Seiltrans-
portbahn erreicht werden soil, ist der : Bruchsteine und Mauersand
dorthin zu befordern. Erstere werden mit der Staatsbahn Aman-
villers-Montigny resp. Maizieres-Metz bezogen und muBten bisher
von dem Bahnhofe Metz 5 Kilometer weit per Achse nach dem
Fort geschafft werden: der Mauersand wurde in der Mosel ge-
baggert, sUdlich der Stadt Metz an Land gebracht oder in Sablon
auf besonders dazu angekauftem Terrain gegraben und ebenfalls
5 — 8 Kilometer per Achse transportiert, wahrend in der Nahe des
Forts Privat derselbe bei den Ausschachtungen unentgeltlich ge-
wonnen werden kann. Nach der Fertigstellung der Bahn Aman-
villers-Montigny und Montigny-Privat war zuerst ein Projekt ent-
worfen, die Bahn Metz-Saarbrucken entweder von Station Peltre
Oder von der Seillebrucke bei Magny ab durch einen festen Schie-
nenstrang mit dem Fort Queuleu zu verbinden, allein die groBen
Niveau-Unterschiede und infolgedessen die groBe Lange dieses Qe-
leises in sehr kostspieligem Terrain (Weinberge und Weizenboden)
zwangen zur Aufgabe dieses Projektes. Es wurde nunmehr die
Anlage einer Seiltransportbahn in gerader Linie von dem Punkte
der Bahn Metz-Saarbrticken projektiert, wo diese aus dem Ein-
schnitte bei la Horgne au Sablon in die Seille-Niederung eintritt,
well hier die Anlage eines Nebengeleises zum Absetzen der be-
ladenen Waggons am einfachsten und billigsten sich herausstellte
(Blatt 1). — Als Endpunkt wurde die groBe Mortelmaschine vor
dem Saillant resp. die Frontlinie der im Bastion I zu erbauenden
groBen Kaserne bestimmt, wo der Materialbedarf am groBten war.
Die Entfernung der beiden Endpunkte betragt 2148 m, welche an
Stelle des Transportes von resp. 5 und 8 Kilometer Entfernung auf
dem Landwege tritt; dazu kommt, daB die von den Fuhrwerken zu
benutzenden StraBen in einem so schlechten Zustande sich befanden,
daB der Transport auf denselben auBerordentlich erschwert war,
und die sonst regelmaBigen Ladungen der Wagen fiir ein Pferd,
zeitweilig deren zwei erforderten.
— 77 —
Das Langenprofil (Blatt 2) zeigt, daB von der Anfangsstation
(Schienenoberkante des Qeleises der Staatsbahn) + 178,77 bis zu
der Endstation (Qrabenrand vor der linken Face Bastion I)
+ 215,77 ein Hohenunterschied von 37 m zu iiberwinden und die
Terraingestaltung eine solche ist, daB es nur mit auBerordentlich
hohen Qeriisten oder tiefen Terraineinschnitten moglich sein wiirde,
eine Bahn mit kontinuierlicher Steigung anzulegen. Es wurde daher
vorgezogen, mit wechselndem Qefalle resp. Steigung dem in der
Situation (Fig. 46) dargestellten Terrain zu folgen, und war auBer
der allgemeinen Bestimmung der Hohe der Bahn der Art, daB die
Beackerung der Felder nicht gehindert werden durfte, noch der
Umstand maBgebend, daB die nach Magny-Nomeny fuhrende
Fig. 46. Lageplan der Drahtseilbahn Metz— Sablon, 1872—1873.
Chaussee (+ 170,13) hoch genug von dem nach unten durch-
schlagenden Zugseil und Wagenkasten (Unterkante 6 m iiber dem
Terrain passiert werden muBte, um den Verkehr auf derselben nicht
zu storen. Die Oberschreitung der Seille-Niederung bot an sich
keine anderen Schwierigkeiten, als daB eine Laufbriicke von 80 m
Lange erbaut werden muBte, um bei der mehrere Wochen an-
haltenden Oberschwemmung der Wiesen den Verkehr des Personals
zu ermoglichen, und daB fur solide Aufstellung der Qertiste in dem
weichen Lehmboden durch Steinpackung zu sorgen war. Durch
verschiedene Hohe der Qeriiste wurden die Ungleichheiten
des Terrains, soweit es moglich war, ausgeglichen, indessen er-
schienen groBere Hohen des Tragkabels uber dem Terrain als
7,60 m (Oberkante der Holme + 836 m, Stander + 8,66 m) nicht
— 78 —
zweckmaBig, da sonst die Qeriiste besonderer Vorkehrungen zu
ihrer Sicherheit bedurft batten. Die Linie der Tragkabel liegt am
Anfangspunkte der schwebenden Strecke auf + 180 am Endpunkte
auf + 220, 90, und ist dieselbe hier so hoch gelegt, um einesteils auf
der daranstoBenden festen Entladestrecke die beladenen Kasten
mit Qefalle bis an die Stelle zu fiihren, wo sie leer umkehren,
anderenteils durch das Anhaufen der abgestiirzten Steine nicht be-
hindert werden. Die feste Strecke zum Beladen der Wagen bei
Sablon langs des neben der Staatsbahn angelegten Qeleises ist auf
+ 181 gelegt; die leeren Wagen werden mit einer Steigung von
1 m hinauf- und mit dem namlichen Qefalle beladen dem anderen
Tragkabel wieder zugefuhrt. Die Steigung resp. das Qefalle der
schwebenden Strecke ist sehr wechselnd und betragt nach um-
stehender Tabelle bis zu Vio» unter Voraussetzung einer vollig
straff en Anspannung der Tragkabel; da diese aber auf eine Lange
von 2000 m vollig unmoglich ist und die Festigkeit der Tragkabel
auBerordentlich in Anspruch nehmen wtirde, so haben die beladenen
Kasten bei dem Passieren der Aufhangestellen schlieBlich auf kurze
Entfernungen eine Steigung von 1 : 6 zu iiberwinden. DaB dieses
mit Sicherheit geschehen konnte, ohne daB ein Losen des Ver-
schlusses und Riickwartslaufen der Lasten stattfand, ist erst nach
langeren Versuchen und Konstruktion eines schraubstockartigen
Verschlusses erreicht. Abgesehen von der festen Ladestrecke bei
Sablon, wo 0,4 Hektar fur die Anlage und den Betrieb temporar
okkupiert werden muBten, geniigte es auf der iibrigen Strecke,
einen Streifen von 3,50 m Breite zu okkupieren, was nach dem
franzosischen Qesetze ohne besonderen Schwierigkeiten ist, und
woftir jahrlich nach der Schatzung von Experten den Eigentiimern
resp. Pachtern der Verlust ersetzt wird.
Die Bahn zerfallt in die Hauptstrecke (1923 m lang), auf welcher
die Bewegung vermittelst einer Dampfmaschine und eines Seiles
ohne Ende bewirkt wird, und die beiden festen Endstrecken, wo die
Kasten durch Menschenhande gefullt und entleert werden. Auf der
Ladestation Sablon werden die Kasten, auf dem festep Qeleise
neben den Eisenbahnschienen der Staatsbahn hangend, mit
Menschenhand gefullt, dann mit dem Zugseil in Verbindung ge-
bracht, dagegen leer wieder entnommen; auf der Entladestation
Oueuleu werden die vollen Kasten abgenommen, entleert und wieder
an das Zugseil herangeschoben. AuBerdem bedarf die Konstruktion
der Kasten und ihre Verbindung mit dem Zugseil einer Erlauterung.
Es sind hier im Abstande von 1 m zwei Tragkabel gestreckt, von
denen das eine, welches die vollen Kasten tragt, 30 mm, das zweite,
auf dem die leeren Kasten zurucklaufen, 25 mm stark ist. Beide
sind aus Drahten geflochten; ersteres wiegt pro laufenden Meter
3,20 kg letzteres 2,40 kg.
— 79 —
Die Kabel sind von 25 zu 25 m unterstiitzt (lurch Qeruste in Form
eines Qalgens Fig. 47 (Fig. 1 Blatt 3) von 2 m lichter Weite. Der
Holm ist mit eisernen Ringen einfach auf starke Schienennagel ge-
hangt, die in die Pfosten geschlagen wurden; an dem Holme sind
2 s-formige Haken angebracht, welche in einem offenen Lager die
Kabel tragen ; das Lager ist nach beiden Seiten abgerundet, um bei
der wechselnden Last dem Kabel eine gewisse Nachgiebigkeit ohne
Nachteil zu gestatten. Die LSnge der Trageeisen, zu denen das
Fig. 47. Stfitzen und SeilaufhSngung.
beste Material zu nehmen ist, da sie stark in Anspruch genommen
werden, ist eine solche, daB die Rader der Wagenkasten frei unter
dem oberen Telle des Hakens passieren konnen. Jedes zweite
Qertist ist auBerdem noch welter unten (2,14 m unter der Unter-
kante des Holmes) mit einem Querriegel versehen, welcher zwei
guBeiserne Rollen tragt; diese sollen verhindern, daB das Zugseil
— namentlich bei groBer Entfernung der angehangten Kasten —
nicht zu sehr durchschlagt und infolgedessen groBere Kraft der
Maschine in Anspruch nimmt. Anfangs angebrachte eichene Roll-
— 80 —
holzer erwiesen sich nicht als dauerhaft genug, und es hat sich
herausgestellt, daB die Befiirchtung, die eisernen RoUen konnten
das Zugseil zu sehr angreifen, nicht begriindet war. Die beiden
Tragkabel sind mit dem einen Ende bei Queuleu um ein fest ver-
pfahltes hoizernes Qerttst gelegt, das andere Ende desseiben ist
bei Sablon um je eine holzerne Welle von 0,60 m Durchmesser ge-
fiihrt (Fig. 48), welche mittelst durchgesteckter eiserner Federn
gedreht wird und das Anziehen der Kabel gestattet. Um dieselben
bei der allmahlich stattfindenden Dehnung und den Veranderungen
der Lange infolge der Temperatur-Unterschiede stets in gleich-
maBiger Spannung zu erhalten, ist nahe an dem Ende bei Sablon
ein Balanziergewicht von etwa 200 Zentnern aus Steinen darauf
gepackt.
Das Zugseil ist 15 mm stark und besteht aus 36 Drahten; das-
selbe soUte auf den beiden Endstationen um je eine horizontale
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. ^•* ^/ Rg. 48. Spannvorrichtung des Tragseils.
eiserne Seilscheibe von 2 m Durchmesser laufen und ist dieses auf
der Endstation Sablon auch der Fall. Auf der Station Queuleu ist
indessen unter diesem Rade eine zweite holzerne Triebscheibe von
nur 1 m Durchmesser angebracht; die Qeschwindigkeit der Be-
wegung ist dadurch allerdings etwas geringer geworden, aber die
Maschine arbeitet leichter, und die Abnutzung des Seiles ist eine
geringere. Fur beide Seilscheiben sind solide gemauerte Funda-
mente aufgefuhrt; die bei Sablon ruht auf einem beweglichen hol-
zer nen Schlitten Fig. 49 (Fig. 9 Blatt 5), und wird dem Seile mittelst
einer horizontalen Welle von 0,50 m Durchmesser eine solche An-
spannung gegeben, daB die Reibung auf der Triebscheibe bei
Queuleu hinreicht, um dasselbe in Bewegung zu setzen und darin
zu erhalten. Die Dampfmaschine, welche die Bewegung kontinuier-
lich bewirkt, hat 12 Pferdekrafte, ist auf einem Fahrgestell kon-
struiert und steht in einem kleinen Hauschen neben der Trieb-
scheibe. Die Transmission ist sehr einf ach : von der Riemenscheibe
A der Maschine (0,76 m Durchmesser) — Fig. 14 Blatt 6 — mittelst
— 81 —
Treibriemen auf die Riemenscheibe B von 0,95 m Durchmesser, auf
der namlichen horizontalen Achse (0,95 m Durchmesser) ist am
anderen Ende ein konisches Rad von 0,32m Durchmesser (16 Zahne),
welches in die holzernen Kamme des horizontal unter der Seil-
scheibe liegenden Kammrades eingreift (0,96 m Durchmesser,
41 Kamme). Die regelmaBige Qeschwindigkeit des Zugseiles ist
100 m in der Minute, so daB jeder voile oder leere Kasten fast
20 Minuten zum Zuriicklegen der Strecke braucht. Die Kasten sind
im Mittel 1 m lang, 0,50 m breit, 0,43 m hoch und fassen 0,22 cbm;
dieselben werden jedoch nicht ganz voll geladen, um unterwegs bei
Schwankungen nichts zu verlieren und um die Tragkabel nicht mit
mehr als 5 Zentner in Anspruch zu nehmen. Die Kasten (Fig. 2 u. 4,
Blatt 4) Fig. 50 sind zum Umkippen um eine unterliegende hori-
zontal Achse eingerichtet, und dient zum Auf rechthalten eine kleine
Fig. 49. Umffihrung und Anspannung des Zugseits.
Kette mit Vorstrecker an den beiden vertikalen Hangeeisen. Die
guBeisernen Rader, mittelst deren die Kasten auf den Tragballen
rollen, haben 0,37 m Durchmesser und eine Rinne von 0,043 m
Breite, 0,03 m Tiefe. Ober jedem Kasten ist ein holzerner Holm
angebracht, der einesteils die solide Verbindung der beiden RoU-
rader miteinander bewirkt, und verhindert, daB auf den Tragkabeln
selbst die Kasten mit ihren Radern aufeinander stoBen, andernteils
dazu dient, die VerschluBvorrichtung (Mitnehmer), aufzunehmen,
mittelst deren die Kasten fur jede Fahrt an dem Zugseil befestigt
werden. Die Konstruktion dieser Mitnehmer muB eine solche sein,
daB die Kasten binnen wenigen Sekunden beim Ankommen auf der
Station durch 1 Mann vom Zugseil getrennt und beim Abgehen
ebenso rasch und so fest mit demselben verbunden werden, daB sie
bei den zum Teil starken Steigungen resp. dem Qefalle der Trag-
kabel in keinem Falle sich ablosen; geschieht solches, so folgt ein
6
— 82 —
ZusammenstoB mehrerer Kasten, ein Entgleisen und Herabstiirzen
derselben und dadurch leicht ernste Beschadigungen und erheb-
liche Storungen in dem ganzen Betriebe. AuBerdem muB die Ver-
schiuBvorrichtung einfach und solide sein, damit Reparaturen ver-
mieden werden, welche die Kasten — abgesehen von den Kosten —
dem Betriebe entziehen. Diesen Anforderungen entspricht der
nach langeren Versuchen hier konstruierte schraubstockartige Ver-
schiuB (Fig. 50, Fig. 4). Damit derselbe das Zugseil nicht zu sehr
angreift, sind die Backen des Schraubstockes mit starkem Sphiieder
gefuttert, welches stark abgenutzt wird und ofters erneuert
werden muB.
Die festen Endstrecken vermitteln die Fiihrung der Wagen langs
Fig. 50. Wagen der Drahtseilbahn Metz — Sablon.
der Auf- und Abladestellen, sowie das Oberfiihren derselben von
einer Seite der Hauptstrecke zur anderen. Das Qeleise bestand
anfangs aus Rundeisen, wurde jedoch bald, da es sich zu sehr durch-
bog, durch Qrubenschienen ersetzt. Auf den schleifartig ge-
krummten Strecken erfolgt die Wendung der Wagen; auBerdem
wird dieselbe noch in der Mitte der Endstrecke beim Fort Queuleu
durch eine Drehscheibe, deren Konstruktion aus Fig. 7 Blatt 3 er-
sichtlich ist (Fig. 51) erreicht fur diejenigen Materialien, welche
auf der halben Entfernung der Endstrecken gebraucht werden
soUen. Auch kann innerhalb der schwebenden Strecke ein Entladen
der Materialien stattfinden, indem man durch Lockern des Wagen-
verschlusses das Zugseil durchgleiten laBt und so ein Feststehen des
Wagens bewirkt. Um ein doppeltes Schienengeleise und die schleif-
— 83 —
artig gekriimmten Strecken an der Beladestelle bei Sablon ent-
behrlich zu machen, und dadurch an Material, Zeit und Arbeit zu
sparen, ist neuerdings daselbst in der in den Skizzen auf Biatt 4
angedeuteten Weise ein kreuzweises Oberfiihren der Wagen von
der Hauptstrecke auf die Entladestrecke bewirkt worden. Zu
diesem Zwecke ist das Qeleise an der Kreuzungssteiie auf 24 cm
unterbrochen und erfolgt hier die Oberfuhrung der Wagen auf
einem aufzulegenden Stiick Eisenschiene, wodurch abwechselnd
nach beiden Seiten bin die Verbindung des Qeleises hergestellt
werden kann. Die direkte Verbindung der nunmehr eingeleisigen
Beladestrecke in sich wird durch eine 2,75 m lange Schiene, welche
sich mit den Enden in die Qeleise-Einschnitte bei a a (Skizze 2)
lose einlegt, bewirkt und dadurch ein Wagenwechsel von einer zur
anderen Seite der Hauptstrecke ermoglicht, wie dies durch die
Pfeilstriche in Skizze 2 angedeutet ist. Zum SchlieBen der Ein-
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Fig. 51. Drehscheibe im Zuge der AnschlufihSngebahn.
schnittoffnung bei a a dient das in Skizze 4 dargestellte Einlege-
stiick, welches mit seinen gabelformigen Enden den Schienensteg
umfaBt.
Erst in den Monaten Mai, Juni und Juli 1873 konnte wegen der
vielfachen vorher stattgefundenen Versuche usw. der Betrieb ein
normaler genannt und daher einer fiir die Beurteilung der Zweck-
maBigkeit der Anlage maBgebenden Kostenberechnung zu Qrunde
gelegt werden. In dieser Zeit wurden auf der Seilbahn befordert
6000 cbm.
An Arbeitslohn 4240 Taler
„ Reparatur- und Unterhaltungskosten 800 „
„ 10% vierteljahr. Zinsen von dem Anlagekapital (200 00 Taler) 500 ^
in Summa: 5540 Taler
verausgabt, welches den Preis von 27% Silbergroschen pro cbm
ergibt. Fiir den Transport auf der LandstraBe, von dem Bahnhofe
Metz nach dem Fort ist der Preis 1 Taler; dazu kommt noch der
— 84 —
Lohn der Ablader auf dem Bahnhofe selbst mit etwa 2 Silber-
groschen, und die Unterhaltungskosten einer langeren StraBen-
strecke, deren Abnutzung bei dem hier iiblichen einspannigen Fuhr-
werk — wo jedes genau dem vorhergehenden in langen Reihen foigt
— eine sehr bedeutende ist. In der letzten Zeit ist die ganze An-
lage einem Vorarbeiter mit etwa 30 Mann in Akkord iibergeben, und
erhalt derselbe fiir den Transport eines cbm Steine 15 Silber-
groschen 6 Pfennig, cbm Sand, 17 Siibergroschen 6 Pfennig, worin
das Abladen von den Eisenbahnwaggons bei Sablon und samtliche
Nebenkosten, Unterhaltung der Dampfmaschine usw. enthalten sind.
SchlieBlich sei noch erwahnt, daB sich bei Anlage einer zweiten
Seilbahn das Resultat giinstiger herausstellen wird, da die bei dieser
gewonnenen Erfahrungen von vornherein verwertet, und die Bau-
kosten geringer werden. Andererseits ist nicht zu leugnen, daB
die Abnutzung der Seiie — sowohl der Tragkabel als des Zugseiis
— eine sehr bedeutende ist; der Unterzeichnete schreibt dies vor-
zugsweise dem Wechsei von Qefalle und Steigung zu, und wiirde
bei ferneren derartigen Aniagen dahin zu streben sein, von einem
bis zum anderen Ende kontinuieriiches Qefalle zu erzielen.
Der Hauptvorteil dieser Bahn diirfte darin zu suchen sein, daB
keine Stockung in der Materialienanfuhr vorkam, was bei dem
sehr schlechten Zustande der hiesigen StraBen sonst beftirchtet
werden konnte; auch kann durch vielfache Versuche schlieBlich
eine zufriedenstellende Konstruktion ermittelt werden; rentieren
wird sich jedoch die Bahn erst, wenn sich Qelegenheit findet, sie bei
anderen langer dauernden Bauten wieder zur Anwendung zu
bringen. Anderen Fortifikationen ist diese Art Seilbahn nur zu
empfehlen, wenn im allgemeinen giinstigere Verhaltnisse als hier
obwalten, namentlich wenn die Lange der Bahn geringer wird und
das Terrain nicht abwechselnd ein Steigen und Fallen derselben
bedingt. Letztere beiden Umstande iiben namlich den Haupt-
einfluB auf die Dauer der teuren, sehr rasch verschleiBenden Draht-
seile. Der Ankauf der letzteren verursachte hier einen Kosten-
aufwand von 3800 Talern; einmal muBten sie bereits erneuert
werden, und nach Jahresfrist wird dieselbe Notwendigkeit voraus-
sichtlich wieder eintreten. Wo es moglich ist, feste Schienen statt
des Seiles zu benutzen, werden diese immer vorzuziehen sein, da
ihre Abnutzung eine sehr geringe ist und bei ihnen die Dampf-
maschine lange nicht die Kraft zu auBern hat, als bei einer Seilbahn,
wo durch die Durchbiegung des Seiles bei jeder Belastung stets
Steigungen zu iiberwinden sind, und die Konstruktion des Seiles
groBere Reibung verursacht als es glatte Schienen tun."
Der hier erwahnte amtliche Bericht enthalt nichts iiber die Per-
sonlichkeiten, die an dem Bau der Bahn und an ihrem Entwurf be-
teiligt waren. v. Diicker selbst gibt in einem Briefe aus dem Jahre
— 85 —
1882 an, die Bahn sei die bedeutendste seiner Ausfuhrungen ge-
wesen. Wenn es hiernach auch nicht zu bezweifeln ist, daB sein
Rat und seine Hilfe bei dem Bau der Bahn in Anspruch genommen
worden war, so ist es andererseits doch wieder zweifellos, daB eine
Reihe wesentlicher Verbesserungen nicht von ihm herriihren,
sondern vielmehr offensichtiich von den beteiligten behord-
lichen Technikern stammen. Es ist dies zu entnehmen aus der
SchluBbemerkung, daB erst durch vielf ache Versuche eine zufrieden-
steliende Konstruktion ermittelt werden konnte. Im allgemeinen
muB auch aus diesem amtlichen Bericht entnommen werden, daB
diese Bahn keinesfalls als Erfolg angesehen werden kann. Ein-
facher und giinstiger kann ein Qelande nicht gut gestaltet sein, wie
das hier voriiegende. Trotzdem wird behauptet, daB diese Art Seil-
bahnen nur zu empfehlen sei, wenn im allgemeinen giinstigere Ver-
haltnisse als hier obwalten, namentlich wenn die Lange der Bahn
geringer wiirde, und das Terrain nicht abwechselnd Steigen und
Fallen bedingt, da dieser Umstand den HaupteinfluB auf die Dauer
des teuren und rasch verschleiBenden Drahtseiles ausiibe. Diese
Kritik der amtlichen Stelle ist in der Konstruktion der Bahn selbst
begriindet. Man muB hiermit nur noch die sehr genau berechneten
Transportkosten vergleichen, um zu einer wirklichen Beurteilung
des Wertes dieser Drahtseilbahneinrichtung zu kommen. Nach
Aufstellung kosteten die 6000 cbm geforderter Sand auf der Seil-
bahn allein 5540 Taler oder pro cbm ca. 2,77 Mark. Nimmt man
den Kubikmeter Sand zu 1330 kg an, die Lange der Bahn mit ab-
gerundet 2 km, so wtirden sich die Kosten des Tonnenkilometers
auf annahernd 1 Mark stellen. Diese Kosten haben sich wohl im
Laufe der Zeit verringert, sie sind auf etwa 1,70 Mark pro cbm
einschlieBlich der Ladearbeiten, also auf rund 63 Pfennig fiir den
Tonnenkilometer heruntergegangen, doch sind in letzterer Ziffer
die Abschreibungskosten der Bahn und die Unterhaltung derselben
nicht enthalten — also alles in allem ein wirtschaftlicher MiBerfolg.
Dieser wirtschafftiche MiBerfolg war aber in der Konstruktion der
Anlage vollauf begriindet. Der wichtigste Teil einer Seilbahnanlage
in bezug auf Anlage- und Unterhaltungskosten ist die Laufbahn und
nachst dieser das Zugseil. Die geradezu verbluffend groBe Ab-
nutzung der Laufbahn, die hier aus einem (scheinbar Litzen-)
Drahtseil gebildet wurde, ergibt sich notwendigerweise aus deren
Anordnung. Bei einer Bahnlange von etwa 2 km betragt die durch
die Temperaturveranderung bedingte Langenanderung des Seiles
1,5 — 2 m. Hierzu kommt noch die durch die verschiedenartige Be-
lastung der Wagen bedingte Langenveranderung des Seiles infolge
groBerer oder geringerer Durchhange, so daB unter Umstanden mit
einer Langenanderung von iiber 2 m zu rechnen ist. Diese ganz be-
deutende Differenz soUte ausgeglichen werden durch die Stein-
— 86 —
packung auf dem Ende des Tragkabels, die aber eine Vertikal-
bewegung von hochstens 80 cm zulieB, wahrend alles iibrige durch
die Spannrollen ausgeglichen werden muBte. Es ist ja ganz klar,
daB hiernach von einer selbsttatigen Anspannung des Seiles und
namentlich von einer gleichmaBigen Anspannung desselben iiber-
haupt keine Rede sein konnte. Bei schon geringer Langenanderung
muBte die Steinpackung auf dem Boden zur Auflage kommen, in-
folgedessen wurde das Seil schlapp, wenn es nicht rasch genug mit
den Winden nachgespannt wurde, und das schiappe Seil wurde an
den in der Aufiageflache viel zu kurzen Hangeeisen, in die es noch
obendrein fest hineingeschlagen wurde, durch die kurze Biegung
nach ganz geringer Zeit zerknickt. War das Seil nach einer
starkeren Langung aber etwa neu angespannt worden, und es trat
kiihleres Wetter ein, so wurde seine Beiastung durch die Wagen zu
groB, es wurde iiberanstrengt und infolgedessen auch wieder zer-
stort. Sodann war von den Erbauern der Bahn ganz tibersehen
worden, daB sich doch beide Tragkabel nicht gleichmaBig bewegen,
da sie von dem Wagen nach entgegengesetzten Richtungen bef ahren
werden und deshalb sich auch nicht gleichmaBig dehnen. Trotzdem
wurde aber fiir beide Kabel ein gemeinsames Spanngewicht ange-
ordnet. Auch das Zugseil konnte nach der vorliegenden Anordnung
keinerlei Qewahr fiir Haltbarkeit und ordnungsgemaBen Betrieb
bieten, da es ebenfalls nur durch eine zwanglaufige Spannwinde in
der Endstation Sablon angezogen war, die so gut wie gar keinen
Ausgleich der bei dem Zugseil noch groBeren Langenanderungen
bot. In bezug auf die Wagen und Laufbahnen stellt diese Metzer
Konstruktion gegeniiber der Seilriese in Osterode gar keine Ver-
besserung dar. Die Wagenkasten sind wohl drehbar und selbst-
kippend angeordnet, doch ist das Laufwerk als solches eine denkbar
ungiinstige Konstruktion, die beiden weit auseinanderliegenden
Rader, die mit eisernen Qehangen ntit dem Wagenkasten und unter
sich durch einen holzernen Querriegel verbunden sind, stellen ein in
der Vertikalebene der Bahnrichtung liegendes starres System dar,
das unter alien Umstanden ungiinstig arbeiten muBte.
Zum ersten Male finden wir allerdings bei dieser Anlage eine
nahere Mitteilung iiber einen wahrend der Bewegung des Zugseiles
schlieB- und losbaren Mitnehmer, der die Verbindung zwischen
Zugseil und Wagen herstellt. Dieser Mitnehmer stellt die Urform
und erste Erfindung des spater von Obach weiter ausgebildeten
Schraubverschlusses dar. Er ist aber nicht als eine v. Diicker'sche
Erfindung anzusehen, da der amtliche Bericht ausdrucklich erwahnt,
daB er auf Qrund dortiger Versuche erst konstruiert worden. ist.
Bei diesem Mitnehmer ist nur das eine zu verwundern, daB damals
noch niemand auf den Qedanken gekommen ist, ihn irgendwie auto-
matisch zu betatigen, was doch sehr nahe gelegen hatte, denn das
— 87 —
Andrehen und Offnen der schraubstockartigen Klemme bei einer
Bahngeschwindigkeit von 1,66 m muB eine auBerordentlich unbe-
queme und gefahrliche Arbeit gewesen sein, wenn die Kupplung
sehr straff angezogen war oder werden sollte; war letzteres jedoch
nicht der Fall, so muBte schon bei verhaltnismaBig geringen Stei-
gungen ein Rutschen der Wagen auf der Bahn eintreten.
Auch der Antrieb des Zugseiles erweist sich als verfehlt, die
halbe Seilumschiingung der Antriebsscheibe konnte nicht geniigen,
einen Betrieb bei voUbesetzter Bahn mit Sicherheit aufrecht zu er-
halten, es muBte vielmehr ein Rutschen des Seiles auf der Scheibe
eintreten oder ein Oberlasten des Zugseils.
Fast in dieselbe Zeit, wie diese v. Diicker'sche Bahn in Metz,
fallen aber die Versuche und Erfindungen von Bleichert. Wahrend
V. Ducker sich vielfach in Fantasien verloren hatte, wie seine Er-
wagung iiber den Transport ganzer Eisenbahnwagen, groBer Per-
sonengefahrte usw. leicht erkennen lassen, und er hierbei die
Wichtigkeit der Einzelausbildung der zum Teil neu zu schaffenden
Maschinenelemente aus dem Auge verlor, wandte Bleichert sein
Hauptaugenmerk zunachst eben dieser Ausbildung der Einzelteiie
zu, die er dem Stand der Technik entsprechend auf die damals
iiberhaupt mogliche Hohe brachte, um sie dann zu einem voll-
standigen System zu vereinigen, das mit seinen Vorbildern weiter
nichts gemein hatte, als die grundlegende Verwendung auf Zug
beanspruchter Laufgeleise als Laufbahn fur hangende Wagen und
deren Bewegung mit Hilfe eines Zugorganes. Die Konstriiktion des
Bleichert'schen Drahtseilbahnsystems fallt in den Beginn der 70er
Jahre. Schon in den Jahren 1870 und 1871 arbeitete Bleichert ein
vollstandiges System einer verbesserten Drahtbahn durch, zu einer
Zeit, als er noch Ingenieur der Maschinenfabrik von Martin in
Bitterfeld war, und zwar an Hand von 2 Projekten fiir die Dampf-
ziegelei Brand in Qohlis und eine Ziegelei Oertel & Kornagel in
Mockern. Nachdem er im April des Jahres 1872 als technischer
Dirigent zu der Halle-Leipziger EisengieBerei und Maschinenfabrik
iibergetreten war, iibernahm er dort die Einfuhrung seines Systems,
aus dem als erstes Objekt die bekannte Bleichert'sche Seilbahn in
Teutschenthal bei Halle hervorging, die sich noch bis vor wenigen
Jahren in Betrieb erhalten hat.
Bleichert ging von Anfang an von dem Qedanken aus, Draht-
bahnen, wie er sie damals nannte, iiberall da zu verwenden, wo es
sich um die Forderung von kleineren Einzellasten handelte. Er er-
kannte von vornherein den grundsatzlichen Unterschied zwischen
der bodenstandigen Bahn, die in bezug auf die Einzellast unbegrenzt
ist, da ihr Qeleise auf einer starren Unterlage der ganzen LSnge
nach aufruht und selbst unveranderlich und starr ist, hochstens in
— 88 —
geringerem MaBe auf Biegung in Anspruch genommen werden
kann, und der Luftbahn, deren Qeleise aus einem nur auf Zug in
Anspruch zu nehmenden Maschinenelement, eben dem biegsamen
Sell Oder Draht besteht. Er rechnete mit den Eigenarten dieses
Elementes sofort, indem er zunachst einmal dafiir sorgte, die
Langenausdehnungen, die bei alien bisherigen Luftbahnen eine so
unheilvoUe Rolle gespielt batten, unschadlich zu machen. Er war
der erste, der darauf hinwies, daB das, das Qeleise bildende Trag-
seil tiberhaupt mit Ausnahme seines einen Endpunlctes keine starre
Befestigung in der Langsrichtung erhalten diirfe, ja daB unter Um-
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Fig. 52. Anspannung der Tragseile mittelst freihSngender Gewichte und KettenanschlQssen an
die Seile. Bleichert 1870-1871.
standen sogar diese fortfallen kann, wenn das horizontal liegende
Seil durch sein Eigengewicht in seiner Lage gehalten wird.
Infolgedessen legte er auch seine Laufbahnen, die er urspriing-
lich sowohl aus Drahtseilen, wie auch Rundeisen herstellte, derart
an, daB sie an einem Ende starr befestigt, an dem anderen Ende
durch ein unbegrenzt freispielendes senkrecht hangendes Qewicht
belastet (Fig. 52), lediglich durch ihr Eigengewicht auf den ver-
schiedenen Auflagerpunkten an den Stiitzen aufruhten, ohne daB
sie sich bei normaler Belastung der einzelnen Spannweiten durch
Wagen von den benachbarten Stiitzen abheben konnten, so daB das
Tragseil in seiner ganzen Lange frei beweglich arbeiten konnte.
— 89 —
Hierdurch war eine Beanspruchung des Seiles iiber die durch das
Spanngewicht festgelegte hinaus unmoglich, es konnte deshalb der
voile Seilqiierschnitt in bezug auf seine Bruchfestigkeit mit ent-
sprechendem Sicherheitsgrad an jeder Stelle der Bahn ausgeniitzt
werden.
Die ersten Ausfiihrungen zeigen deshalb auch schon die charak-
teristisch ganz flach ausgekehlten nach oben offenen guBeisernen
Auflagerschuhe der Seile an den Stiitzen oder leicht drehbare, flach
gekehlte RoUen, auf denen sich die Seile beliebig in ihrer Langs-
Fig. 53. Pfeiler und Auflagerschuh fOr die Tragseile. Bleichert 1870—1871.
richtung verschieben konnten (Fig. 53). Sodann wies Bleichert den
Weg dazu, Drahtseilbahnen von ganz beliebiger Lange herzustellen.
Wahrend noch die berufenen Kritiker der Metzer Seilbahn zu dem
SchluB kommen konnten, daB sich Seilbahnen nur fiir ganz be-
schrankte Zwecke eigneten, und schon die Entfernung von 2 Kilo-
metern der beiden Endpunkte voneinander fiir die Betriebssicherheit
unzutraglich sei, gab Bleichert zunachst die Unterbrechung der aus
Seilen bestehenden Fahrbahnen und die Verbindung der Unter-
brechungsstellen durch feste Schienen an. Hierdurch erreichte er
es, die verschiedenen Reibungsvorgange zwischen Sell und Auf-
lagerschuhen, die sich nach den ortlichen Verhaltnissen ganz ver-
— 90 —
schieden gestalten, auszugleichen, indem er in kiirzeren Ent-
fernungen, eben diesen ortlichen VerMltnissen entsprechend, seine
Spanngewichte fiir die Tragseiie anordnen konnte. Nachdem er so
durch Festlegung bestimmter Regeln und unter Angabe ganz be-
stimmter Formein, die sich sowohi auf den Seiidurchhang des Trag-
seiies, wie auf dessen Beanspruchung in seiner Langsrichtung durcli
die Spanngewichte bezogen, fiir die AUgemeinheit giiltige Normen
zur Herstellung fester Luftlaufbahnen angegeben hatte, die
Einzelheiten, namentlich die Ausbildung der Auflagerschuhe in ihren
verschiedenen Kombinationen derart durchgebildet hatte, daB diese
Konstruktionen heute noch als allgemein giiltig angewandt werden,
hatte er damit die Moglichkeit geschaffen, ohne Riicksicht auf
irgendwelche Terraingestaltung diese Laufbahnen anzuwenden, na-
mentlich aber die bei der Metzer Bahn noch so sehr geftirchteten
Qegensteigungen und Qefalle im Zuge einer Bahn ohne jede
Schwierigkeit zu iiberwinden. Es war hiermit erst eine voUkommene
Unabhangigkeit von irgend welcher Bodengestaltung erreicht
worden, indem er die Laufbahn von dem Boden im wahrsten Sinne
des Wortes losloste und mit ihr die Hindernisse, die das Terrain
natiirlicherweise bot, iiberwand.
Weiter verwies er auf den EinfluB, den die einzelne Forderlast,
die Qeschwindigkeit derseiben und der Abstand der Lasten von-
einander auf die Qestaltung der Stiitzeneinteilung ausiibte, ging
dann grundsatzlich von der Benutzung einzelner Qleise mit hin-
und hergehendem Betrieb ab, um ein fiir allemal ein endloses Zug-
seii unter 2 parallel liegenden Laufbahnen zu verwenden.
Samtliche Vorganger Bleicherts hatten das endlose Zugseil mit
zwanglaufigen Spannvorrichtungen versehen, im Falle eine solche
iiberhaupt vorhanden war. Die Folge hiervon war natiirlich, daB
entweder eine Oberanstrengung oder ein den Betrieb unmoglich
machendes Schlappwerden des Seiles eintrat. Bleichert kon-
struierte zunachst eine mit dem Antrieb verbundene kraftschliissige
Zugseilspannvorrichtung, wobei er einen Hauptwert darauf legte,
die QroBe des von dem Zugseil umschlungenen Bogens der Antrieb-
scheibe in ein bestimmtes Verhaltnis zur Zugseilspannung zu
bringen, da die sich fiir gewohnlich ergebende halbe Umschlingung
zur Erzeugung einer geniigenden Mitnehmerreibung nicht ausreicht.
Er machte deshalb zuerst den Vorschlag, das Zugseil iiber 2 parallel
liegende und gemeinsame Antriebsspannscheiben zu legen, von
denen jedes halb umschlungen wurde, und die zwischen sich eine
durch ein konstantes Qewicht belastete nach auBen gezogene Spann-
scheibe trugen (Fig. 54), um bei spateren Konstruktionen auf die
mehrfach umschlungene mehrrillige Antriebsscheibe zu kommen.
Hiermit erreichte er zunachst eine konstante Qeschwindigkeit des
— 91 —
Zugseiles bei den verschiedenen, im Betrieb einer Seilbahn unver-
meidlichen und unveranderlichen Belastungen.
Eine der wichtigsten Neuerungen, die dem Bleichert'schen
System erst den Charakter einer wirklichen Erfindung verlieh, be-
stand darin, daB er das Zugseil nicht, wie bei den bisher bekannt
gewordenen Systemen auf verschiedenen Unterstiitzungen inner-
halb der Drahtseilbahniinie laufen lieB, sondern daB es, wie sich aus
der Patentschrift ergibt, auf der ganzen Bahnlange durch die For-
derwagen selbst, die sich in gewissen regelmaBigen Zwischenraumen
folgen, getragen wird.
Fig. 54. Zusammengesetztes Antriebs- und Spannvorgelege mit automatUcher Spannung des Zugseils.
Wahrend v. Diicker bei seinen samtlichen Ausfuhrungen und
Veroffentlichungen bis auf die Metzer Bahn noch den Qedanken
verfolgte, die Wagen entweder mit groBeren Einzellasten zu be-
laden oder sie zu Zugen zusammenzukuppeln — die Zeichnungen
und Beschreibungen aus „Qliickauf" und „Deutsche Bauzeitung"
lassen dies mit aller Deutlichkeit erkennen — , schlug Bleichert
schon vor der Ausftihrung der vorerwahnten Metzer Bahn, schon
bei der Bearbeitung seines Systems im Jahre 1870/71 eine konti-
nuierliche Wagenfoige vor, bei der sich die Wagen in gewissen
groBeren, deren Transportleistung der Bahn angepaBten Abstanden
— 92 —
ohne jede Unterbrechung folgen soUten. Er g'mg hier von der Er-
wagung aus, die Luftbahnen nicht etwa eine Konkurrenz der Stand-
bahnen, wohl aber eine Erganzung derseiben werden zu iassen, bei
der aber das den Standbahnen eigentiimliche Prinzip der Forderung
schwerer Lastziige fallen gelassen werden muBte, ohne daB die
spezifische Leistung verringert werden durfte. Konnte man groBe
Lastziige, die sich in langen Zeitraumen folgen, auf der Luftbahn
nicht befordern, so muBte man die groBen Massenlasten der Ziige in
kleine Einzellasten auflosen, die sich nicht intermittierend oder
periodisch, sondern kontinuierlich folgten, und damit wurde dem
neuen Seilbahnsystem erst sein wahrer Charakter aufgepragt. Es
ist zweifellos, daB zur Ausarbeitung dieses Systems die
Hodgson'schen Ideen, die ja in der Einseilbahn ein ahnliches Prinzip
verfolgten, in weitgehendem MaBe Verwendung gefunden haben;
ihre Obertragung auf das Zweiseilbahnsystem in der soeben er-
wahnten Form des Tragenlassens des Zugseiles auf der ganzen
Bahnlange von den Wagen ist jedoch eine zweifellose Neuerung
Bleicherts.
War somit Laufbahn und Bewegungselement in eine konstruktiv
allgemein gultige Form gebracht worden, so handelte es sich zu-
nachst noch darum, die LastaufnahmegefaBe, die Wagen, dem neuen
Zwecke anzupassen. Die bis dahin iibliche Form der Wagen, wie
sie von v. Diicker ausgefiihrt war, und wie sie Hodgson in seinem
Patent darstellte, konnte nattirlich den Anforderungen, die an eine
dauernd arbeitende Seilbahn zu stellen waren, nicht geniigen, hatten
sie, wie schon darauf hingewiesen wurde, doch den ferneren Zweck,
die Fuhrung bzw. Unterstiitzung fur das eigene Zugseil zu bilden.
Da aber auBerdem Bleichert sofort die Oberwindung groBerer
Steigungen und Qefalle im Zuge ein und derseiben Bahn ins Auge
faBte, muBten die Wagen derart konstruiert sein, daB sie auf ganz
steilen Bahnanlagen noch nutzbar blieben, und daB namentlich die
Kasten immer unabhangig von den LaufroUen in der Schwerpunkt-
ebene der Laufbahn frei pendeln konnten. Es muBte also das Qe-
stell Oder das Qehange, das den Kasten trug, voUstandig unab-
hangig von den LaufroUen der Wagen gemacht werden. Die
konstruktive Durchbildung, die Bleichert in seinem Forderwagen
gab, ist dieselbe, die noch heute Verwendung findet (Fig. 55). Sie
bestand darin, daB auf dem Tragseil ein kleiner Wagen lauft, der
aus zwei durch Traversen verbundenen Hohlradern besteht;
diese Traversen tragen in der Mitte zwischen beiden Radern einen
seitlich herausragenden Zapfen, an dem das Wagengehange, ein
nach unten offener Biigel, in der Laufrichtung der Wagen pendelnd
aufgehangt ist. In dem Bugel liegt der mit Stirnzapfen versehene
Wagenkasten, der senkrecht zur Laufrichtung kippbar angeordnet
- 93 —
ist, was dadurch geschieht, daB die Stirnzapfen in oder nahe der
Schwerpunktachse des beladenen Kastens angeordnet sind.
Da Bleichert bei der Konstruktion seiner Drahtseilbahn von An-
fang an mit sehr groBen Forderleistungen rechnete — er erwog
schon bei seinen Entwiirfen Tagesforderungen von 500 Tonnen und
noch mehr — , war es selbstverstandiich, daB der dauernden und
sicheren Verbindung der Wagen mit dem Zugseil sein nachstes
wichtigstes Augenmerk gelten muBte. Er war es, der auch zuerst
auf eine selbsttatig wirkende Verbindung zwischen Wagen und Zug-
btiyg ^~t^~t-^
-4-4 - f ^^^^^
Fig. 55. Seilbahnwagen nach Vorschlag Bleicherts, 1872—1873, mit Exzenterfriktionskupplung.
seii hinwies und mehrere Kuppiungsvorrichtungen nach konstruktiv
durchgearbeiteten Ideen zur Ausfiihrung brachte. Da bei den vor-
genommenen Leistungen von Anfang an mit einer regelmaBigen
Wagenfolge von herunter bis zu 30 Sekunden bei mindestens 1 m
Qeschwindigkeit zu rechnen war, kam es sehr wesentlich darauf
an, die beim plotzlichen Ankuppeln des bei der Beladung stili-
stehenden Wagens an das standig laufende Zugseil notwendiger-
weise entstehenden StoBe moglichst zu vermeiden. Es muBte also
eine Vorrichtung geschaffen werden, die, wenn irgend angangig,
wahrend des Laufens der Wagen absolut sicher geschlossen werden
— 94 —
konnte, derart, daB die Wagen mit der Hand angeschoben, unter
das Zugseil gefiihrt und mit diesem im seiben Moment ann^hernd
stoBfrei verbunden werden konnten. Diesem Qrundgedanken ent-
sprach die von Bleichert zuerst ausgefiihrte Exzenterfriktions-
kuppiung, bei der, nachdem der Wagen seitlich an das Zugseil
herangeschoben war, dieses sich auf eine mit dem Qehange ver-
bundene Tragrolle auflegte, auf der es sich, ohne irgend welche
schieifende Wirkung auszuuben, auch bei dem Stillstand der Wagen
in den Stationen als Leitrolle fortbewegen konnte. Zum Anklemmen
diente ein iiber der Leitrolle drehbar angeordnetes Exzenterstiick
mit Qegengewichtsbelastung, das nur einfach herumzuschlagen war,
und das infolge der Reibungsreaktion des Seiles sich fest gegen
dieses preBte, so daB letzteres zwischen Leitrolle und
Exzenter unverriickbar eingeklemmt war. Ohne Riicksicht
auf die jeweilige Zugrichtung sowohl beim Befahren von Stei-
gungen, wie von Qefallen muBte diese Verbindung eine voUkommen
sichere sein, je groBer der Zug des Seiles, namentlich bei Stei-
gungen oder Qefalle, um so starker die Klemmwirkung. Die Lo-
sung des Seiles vom Wagen erfolgt dann einfach dadurch, daB der
Exzenter mit einer hervorstehenden Nase an einen in der Station
fest angebrachten Anschlag stieB, der es aus dem Seil heraushob.
Hiermit war die Moglichkeit gegeben, die Wagen in beliebig kurzer
Folge in der Aufgabestation auf das Tragseil aufzugeben, und sie
auch wieder in der entsprechend kurzen Folge in der Ankunfts-
station von dem Seil abzunehmen.
Waren somit Laufbahn, Bewegungselement und Lasttransport-
einrichtung, mit anderen Worten die Tragseile, das Zugseil und die
Wagen in eine Form gebracht worden, die sie dem neuen Zweck
unter den verschiedensten Bedingungen dienstbar machten, so
muBte es sich zur Vervollstandigung der Idee des kontinuierlichen
Betriebes mittelst der in gleicher Entfernung voneinander sich
dauernd bewegenden Wagen darum handeln, die Uberfuhrung der
Fuhrwerke von einem Seil auf das andere in den Stationen oder
zwischen denselben zur Durchfiihrung zu bringen. Wohl hatte
Konig schon auf eine Konstruktion verwiesen, und eine solche auch
zur Ausfiihrung gebracht, bei der die Leerwagen auf einem Seil und
die beladenen Wagen auf dem anderen Seil zu befordern waren,
doch war es ihm nicht gelungen, eine Konstruktion zu finden, die
Wagen unmittelbar von der einen auf die andere Station uber-
zuleiten, sie muBten vielmehr umgehangt werden. Auch v. Diicker
hatte auf die Verwendung von zwei Seilen zur Erhohung der Trans-
portleistung hingewiesen, aber keinerlei ausfiihrbare Konstruktion
angegeben, wie die Wagen in ununterbrochener Reihenfolge von
einem Seil auf das andere iiberzufiihren waren. Zur Zeit, als
Bleichert seine ersten Vorschlage uber Drahtseilbahnen machte,
— 95 —
1870/71, war die Metzer Bahn, die eine derartige Einrichtung ent-
hieit, noch nicht in Angriff genommen, konnte ihm also auch nicht
bekannt sein, ebensowenig wie das Qeheimprivilegium von Obach,
das zwar, wie auch das von Karras, in ganz skizzenhafter Weise
auf die Oberfiihrung der Wagen von einem Seil auf das andere hin-
weist, eine Ausfuhrungsform dafiir jedoch nicht angibt. Auch hier
war wieder Bleichert auf seine eigene Arbeit zur Losung dieser
Aufgabe angewiesen, und er schiug folgende Ausfuhrungsform vor,
die ebenfails noch bis heute typisch fiir die ganze Drahtseilbahn-
industrie geblieben ist. Sie besteht in der Hauptsache aus einer
i^'
Fig. 56. Oberffihrung der Wagen von einem Seii auf das andere mit fliife einer an beliebiger
Stelle der Bahn einzubauenden Umfahrungsweiche. Bleichert 1871.
U-formig gebogenen Flacheisenschiene (Fig. 56), deren beiden
Enden zungenformig mit einer untereji Aushohlung ausgebildet sind.
Diese beiden Zungen legen sich auf die Tragseile auf, so daB die auf
dem einen Tragseil ankommenden Wagen auf die hier liegende
Zunge auflaufen miissen. Da jedoch die Schleife, die das Flacheisen
Oder die Hangeschiene, wie sie jetzt genannt wird, bildet, einen
groBeren Durchmesser he$itzt, wie die Entf ernung der beiden Trag-
seile voneinander, wird der Wagen seitlich nach auBen abgelenkt
und aus dem Bereich des Tragseiles herausgefuhrt, wahrend gleich-
zeitig das Zugseil durch Anordnung entsprechender Fuhrungsrollen
— 96 —
ebenfalls aus dem Bereich der Zugseilklemme, die sich mittlerweile
selbsttatig gelost hat, herausgeleitet wird. Hierdurch wird es nun
moglich, den auf der Hangeschiene stillstehenden Wagen mit der
Hand je nach Anordnung der Hangeschiene entweder unter den
beiden horizontal laufenden Tragseilen hindurch oder um deren
Enden herum nach dem anderen Tragseil hinuberzuschieben.
Bleichert gab diese Anordnung nicht allein fiir die Endstationen an,
sondern schlug sie auch als transportable Weiche derart vor, daB
sie an einem beliebigen Punkte der Bahn eingebaut werden kann,
um so auch Zwischenstationen zu schaffen.
Die Drahtseilbahnkonstrukteure vor Bleichert, mit Ausnahme
von Hodgson, waren stets von dem Qedanken ausgegangen, Seil-
bahnen nur in geraden Linien zu fiihren. Die Anlage einer Kurve im
Zuge einer kontinuierlich betriebenen Bahn war bis dahin iiberhaupt
noch nicht in Erwagung gezogen worden. Aber auch diese Mog-
lichkeit hatte Bleichert ins Auge gefaBt, ehe er mit seinen Vor-
schlagen an die Offentlichkeit trat, indem er seine selbsttatige
Kurvenumfiihrung konstruierte. AUerdings konnte dies dem da-
maligen Stande der Technik entsprechend noch keine Kurve mit
selbsttatiger Umfahrung der Wagen sein. Die Losung der Frage
der selbsttatigen Kurvenumfahrung lieB dann auch noch iiber
25 lahre auf sich warten. Die Ausfiihrung der Kurve schlug er so
vor (Fig. 57), daB die eigentliche Laufbahn fiir die Forderwagen in
der Kurve nicht durch das Laufseil, sondern durch eine besondere
Weichenschiene, eine Flacheisenschiene gebildet wurde, die mit
ausgekehlten Zungen in derselben Art wie die Stationsweichen-
schiene sich auf die Laufseile anlegte, jedoch so, daB sich diese un-
behindert unter ihr durchbewegen konnten. Das Zwischen-Ver-
bindungsstiick wurde dann durch entsprechend angeordnete Kon-
sole getragen, wahrend das bewegte Zugseil sich durch Leit- und
TragroUen in dem Winkel ftihrt. Die ankommenden Wagen sollten
sich vor der Kurve mit Hilfe eines der bekannten Anschlage ent-
kuppeln, um dann, von einem Arbeiter iiber die Laufschiene zu dem
anderen Ende gefiihrt, um dort wieder mit dem Zugseil gekuppelt zu
werden.
Abgesehen von diesen Neuschopfungen mehr allgemeiner Natur
muBten natiirlich auch noch kleinere Einzelheiten, sonst allgemein
gebrauchliche Maschinenelemente dem besonderen Zwecke ange-
paBt werden. Eine sehr brennende Frage, vielfach im wahrsten
Sinne des Wortes, war die Schmierung der Laufzapfen fiir die
Wagenrader, da diese eigentlich jeder Aufsicht und Wartung ent-
zogen, sich drauBen auf der freien Strecke befinden, ein Festbrennen
derselben daher von unheilvoUem EinfluB auf den Gang der ganzen
Bahn sein konnte. Fast zur selben Zeit, wie Bleichert seine Draht-
seilbahn, hatte Stauffer in Koln seine Schmiervorrichtungen mit
- 97 —
Druckschrauben erfunden, mit Hilfe deren er konsistentes Fett in
sonst unzugangliche Maschinenteile hineinzupressen imstande war.
Bleichert einigte sich sofort mit dem Erfinder zur gemeinsamen
Ausnutzung dieser Erfindung, und brachte sie schon sehr bald bei
seinen Drahtseiibahnen an, indem er zunachst die Naben der Lauf-
rader mit entsprechenden Aushohlungen versah, dann aber die
Laufzapfen selbst aushohlte und sie als Behaiter fiir das Schmier-
materiai ausbildete, eine Konstruktion, die heute noch, nach tiber
30 Jahren ganz allgemein iiblich geblieben ist.
fiK- fiT. Kwrvenbcfuhmng bei Zwebcllbahnen nach ^figab«n
Bkklicris, 1872-
Bei aliedem darf nicht iibersehen werden, daB diese groBe all-
gemeine Aufgabe noch eine andere Seite hatte, wie die der rein
technischen Losung in bezug auf die Konstruktionen, die nur dem
Zwecke des Betriebes zu dienen batten, es war das die Riicksicht
auf die fabrikmaBige Hersteilung. Bleichert war keinen Moment
zweifelhaft dariiber, daB ein wirklich verbessertes und sachgemaB
durchkonstruiertes System von Drahtseiibahnen sich ein sehr um-
fassendes Anwendungsgebiet erwerben musse, und daB infolge-
dessen die Riicksicht auf die Billigkeit der Hersteilung eine groBe
Rolle zu spielen habe.
Die bis dahin gebauten Bahnen waren immer noch nur hand-
7
— 98 --
werksmaBig zusammengebaute Einzelausfiihrungen ohne vorbild-
lichen Wert, die vielfach noch unter Zuhilfenahme primitiver Holz-
konstruktionen hergestellt waren. Zur fabrikmaBigen Herstellung
gehorte aber vor alien Dingen einmal die Formgebung fiir die allein
in Betracht kommenden Materialien, Eisen und Stahl, schon allein
mit Riicksicht auf die von den Vorgangern Blelcherts noch fast gar
nicht erkannten Beanspruchungen, denen die Einzelteile einer Seil-
bahn unterworfen sind. Die Formen, die Bleichert seinen Kon-
struktionen gab, sind seit dieser Zeit typisch fiir den ganzen Seil-
bahnbau geblieben.
Nachdem es nun durch Sammlung aller bis dahin gemachten Er-
fahrungen und durch die vorbeschriebene umfangreiche Erfinder-
tatigkeit gelungen war, die Drahtseiibahn, die hiernach zweifellos
in der so bearbeiteten Form die Bezeichnung des Bleichert'schen
Systems verdient, theoretisch und rechnerisch festzulegen, nach-
dem ferner bereits an Hand vorliegender Einzelaufgaben ent-
sprechende Projekte durchgearbeitet waren, wurde unverziiglich
der Bau der ersten Anlagen in Angriff genommen. Bleichert trat
im April 1872 von der Maschinenfabrik Martin in Bitterfeld (woselbst
er seinen spateren Sozius und Mitarbeiter Th. Otto hatte kennen
gelernt), zur damals neu gegriindeten Halle-Leipziger Maschinen-
bau-Aktien-Qesellschaft in Schkeuditz als technischer Dirigent liber,
da ihm in Bitterfeld keine Qelegenheit geboten war, die schon dort
fertig ausgearbeiteten Vorschlage zu seinem Drahtseilbahnsystem
auch zur Ausfiihrung zu bringen. Er konnte in Schkeuditz sofort
mit seinen fertig durchgearbeiteten Vorschlagen hervortreten, und
nach einigen Schwierigkeiten innerhalb der inneren Verwaltu«g ent-
schloB sich auch die Qesellschaft, den Bau einer Drahtseilbahn-
anlage in Teutschenthal bei Halle fiir die damalige Solarol- und
Paraffinfabrik in Angriff zu nehmen. Die Projekte zu dieser Seil-
bahn wurden auf Qrund der Aufnahme der ortlichen Verhaltnisse
noch im Jahre 1872, teilweise Anfang 1873 ausgearbeitet, wie sich
aus eineni Entwurf zu einem Kostenanschlag, der die Unterschrift
Bleicherts tragt, und der vom Mdrz 1873 datiert ist, ergibt. Die
Bahn wurde im Laufe des Jahres 1873 gebaut und war
zu Anfang des Jahres 1874 fertig, so daB sie im April
desselben Jahres schon in Betrieb gesetzt werden konnte. An dieser
Bahn, deren Laufbahn aus zusammengeschweiBten Rundeisen be-
stand, waren schon aile diejenigen Vervollkommnungen angebracht,
die Bleichert in seinen Vorentwiirfen vorgeschlagen hatte. Sie
stellten ein nach diesen Vorschlagen durchgearbeitetes zusammen-
gehoriges Qanzes dar; lediglich die Verbindung zwischen Zugseil
und Wagen war bei den ersten Versuchen noch nicht nach dem
System der selbsttatigen Exzenterfriktionskupplung durchgefiihrt.
Vielmehr wurde zunachst ein Knotenzugseil verwandt, das aus ein-
— 99 —
zelnen Stiicken mit dazwischengesetzten schmiedeeisernen Wulsten
bestand (Fig. 58). Dieses Seil legte sich in an das Wagengehange
angebaute eigentiimlich gestaltete Haken ein. Das Kuppeln bzw.
Entkuppeln erfolgte durch Heben und Senken des Seiles in den
Stationen. Hiermit war aber gleichzeitig die Qrundlage gegeben
fur die Ausbildung der spateren Muffenkupplungsapparate und der
Muffenzugseiie, die in den spateren Jahren eine weitere VervoU-
standigung der Bleichert'schen Erfindung bilden soliten. Erst nach
m
Fig. 58. Laufwerk, Knotenseil und Gehangeschenkel mit Einlagehaken der Teutschenthaler-Draht-
seilbahn. Bleichert 1872—1873.
den Versuchsfahrten wurde die Teutschenthaler Bahn (Fig. 59)
mit den Exzenterfriktionskupplungen versehen. Dieser erste Er-
folg ermutigte Bleichert, aus der dann in Liquidation tretenden
Halie-Leipziger-EisengieBerei und Maschinenfabrik auszuscheiden
und nunmehr den Ban von Drahtseilbahnen auf eigene Faust zu
unternehmen. Noch im Jahre 1873 veriieB er diese Qesellschaft,
um sich Anfang des Jahres 1874 gemeinsam mit seinem Mitarbeiter
Otto, der ihm schon ais Betriebsingenieur in Teutschenthal zur
Seite gestanden hatte, in Leipzig auf den Bau von Drahtseilbahnen
— 100 —
zu werfen. Die zunachst in Angriff genommene Bahn solite aus-
schlieBlich weiteren Versuchszwecken dienen, sie wurde fiir die
Ziegeiei Brandt in Qohlis bei Leipzig erbaut, und an ihr wurden
nicht allein die Erfahrungen, die bei der Teutschenthaler Aniage
gesammeit werden konnten, verwertet, sondern auch alle weiteren
Fig. 59. Gesamtansicht der Bleichert'schen Drahtseilbahn im Teutschenthal, 1873 (nach einem
Holzschnitte von 1874).
Vervollkommnungen, die dem ganzen System ihren Stempel auf-
driicken sollten, angebracht und erprobt, sie biideten somit den Aus-
gangspunkt fiir die ganze heute liber die gesamte Welt verbreitete
Drahtseilbahnindustrie iiberhaupt (Fig. 60).
Fig. 60. Verkletnerung der Originalzeichnung Bleicherts fiir die Drahtseilbahn der Brandt'schen
Ziegeiei in Gohlis, 1874.
Die Ideen dieses genialen Erfinders batten sich schon nach ihren
ersten Ausfiihrungen glanzend bewahrt und damit der Welt ein
neues Verkehrsmittel geschenkt.
Es moge nun hier die geschichtiiche Entwicklung der Drahtseil-
bahnen, soweit sie als System in Frage kommen, veriassen werden.
Die in einem weiteren Menschenalter gemachten Erfindungen und
_ 101 — •••'.-.•.-..• •:
Verbesserungen konnten an dem grundlegenden Wesen dieser
Systeme nichts mehr andern, sie muBten sich auf VervoUkommnung
der Einzelteile in praktischer Beziehung, vielfach auch noch mit
Riicksicht auf eine weiter ausgebildete Massenfabrikation be-
schranken. Sie muBten sich den anderen groBen Erfindungen an-
passen, die eine vollstandige Umwalzung in der Rohstoffherstellung
— es sei nur an die Schaffung der vielen neuen Stahl- und Eisen-
sorten in den ietzten 30 Jahren erinnert — , in die Welt der Technik •
einftihrten. Mit der VervoUkommnung der Baustoffe muBte nattir-
lich eine Erhohung der spezifischen Leistung der Draht-
seilbahn erreichbar sein, wie sie auch tatsachlich erreicht worden
ist, so daB heute die 1871 von Bleichert ins Auge gefaBten Tages-
leistungenvonSOOTonnen auf einer Bahnlinie sich um das Funffache
uberschreiten lassen, nichts aber hat sich an den grundlegenden
Ideen, die zur Schaffung der ersten Bieichert'schen Bahnen gefuhrt
haben, geandert. —
Nun noch ein Wort zu der Frage : Wer ist der Erfinder der heute
allgemein angewandten Drahtseilbahn? Nach der hier ge-
schilderten geschichtlichen Entwickelung dieses Verkehrsmittels
kann ein Erfinder im Sinne des ersten Schaffens und Erfassens der
Idee iiberhaupt wohl kaum genannt werden. Erfinder ist wohl jeder,
der aus dem Meere mechanischer Moglichkeiten diejenigen zum
ersten Male herausfindet, die fiir sich allein, oder miteinander ver-
bunden, einem neuen Zwecke, einer neuen Wirkung dienen konnen,
und damit sind auch alle, die an der Schaffung der ersten Seil-
bahnen beteiligt waren, vielleicht Erfinder zu nennen. Aber wie sich
nicfat allein die moderne Technik, sondern unser ganzes neuzeit-
liches Empfinden mehr und mehr spezialisiert, vielmehr, wie dies
in friiheren Zeiten der Fall war, Spezialbegriffe zu schaffen sucht,
so auch in bezug auf das Wort „Erfinder".
v. Diicker hat sich, schon vordem Bleichert mit seinen Konstruk-
tionen an die Offentlichkeit trat, bitter dariiber beschweren miissen,
daB ihm auf seine Drahtseilbahnen kein Patent erteilt worden ist,
trotzdem zu Anfang der 60er Jahre die Neuheitspriifung eine ganz
minimale war. Trotzdem hat Bleichert auf die Zusammenstellung
der Einzelheiten, die er zu seinem geschlossenen System vereinigen
konnte, im Jahre 1877 unter der Herrschaft des neuen Patent-
gesetzes ein deutsches Reichspatent erhalten, nachdem ihm vor der
Herrschaft des Reichspatentgesetzes schon die entsprechenden
Landespatente erteilt worden waren. Die berufenen Sachver-
standigen der damaligen Zeit, die beruflichen staatlichen Organe
haben demnach in dieser Zusammenfassung, in dieser System-
schaffung aus vielen Einzelheiten eine Erfindung in vollstem Um-
fange erblickt, so daB von ihnen hiernach Bleichert als der Erfinder,
nicht der Drahtseilbahn an sich, sondern wohl der eines besonderen
• '' • — 102 —
Systems, der in ihrer Zusammenfassung eine groBe Einheit bildenden
Ausfiihrungstormen zu gelten hat.
V. Diicker hat vielfach den Anspruch erhoben, er sei selbst der
Erfinder der spater nach Bleichert genannten Drahtseilbahn. Die
genaue Beschreibung der v. DUcker'schen Bahn und ihr Vergleich
mit der von Bleichert erbauten ergibt schlagenderweise den Irrtum,
der in dieser Ansicht liegt. Zu dieser Ansicht kam v. Diicker, dessen
Bestrebungen und dessen Verdienste um die Einfuhrung der Draht-
seilbahnen in die Technik darum nicht geschmalert werden sollen,
wohi vielfach aus mangelnder Kenntnis der Bleichert'schen Kon-
struktionen, denn noch zu Beginn der 80er Jahre schreibt v. Ducker
in einem Brief e vom 21. Januar 1882, als er um seine Meinung iiber
die Bleichert'schen Erfindungen angegangen worden war:
„Die Bahn zu Teutschenthal war nach Hodgson' schem System
mit bewegtem Tragseil ohne besonderes Zugseil angelegt, welches
System sehr unpraktisch ist. Herr Bleichert hat meines Wissens
nichts eigentumliches, als die Befestigung der Wagen an das Zug-
seil und mit Unrecht spricht man von Drahtseilbahnen seines
Systems, er baut dieselben genau nach meinem System ."
Dieser Irrtum, den hiermit v. Diicker auch noch schriftlich fest-
legt, diirfte wohl geniigen, seine Ansicht iiber die Bleichert'schen
Erfindungen verzeihlich erscheinen zu lassen.
Anders ist es jedoch mit der Fiktion, die haufig erscheint, der
eigentliche Erfinder oder wenigstens Miterfinder der Drahtseil-
bahnen Bleichert'schen Systems sei Otto. Richtig ist, dafi Bleichert
mit Otto zusammen die ersten Seilbahnen erbaute, auch etwa
2 Jahre mit ihm zusammen die Firma Bleichert & Otto in Leipzig
betrieb, nachher aber ausschied, um Seilbahnen selbst weiter zu
bauen. Bleichert erteilte ihm damals das Recht, lediglich fiir seine
eigene Person die auf den Namen Bleichert lautenden Patente zur
Erbauung von Drahtseilbahnen benutzen zu diirfen, und hieraus
wurde vielfach die Folgerung abgeleitet, namentlich da Otto nach
dem Austritt aus der Firma Bleichert & Otto die von ihm gebauten
Bahnen Otto'sche Drahtseilbahnen nannte, Otto sei an der Er-
findung sehr wesentlich beteiligt, oder sei wohl gar der Erfinder
selbst. An Stelle jeder weiteren Erorterung moge ein eigenhandiger
Brief Otto's vom 12. Dezember 1874 hier Platz finden, der eindriick-
licher wie jedes weitere Wort die Qeschichte der Bleichert'schen
Erfindung kennzeichnet. — :
„In Angelegenheit der Teutschenthaler Drahtbahn bestatige ich
hiermit folgendes:
Bevor die Halle-Leipziger EisengieBerei und Maschinenbau-
Aktiengesellschaft zu Schkeuditz existierte, arbeitete der Ingenieur
Herr Adolf Bleichert als Beamter der Maschinenf abrik von M, Martin
— 103 —
in Bitterield an dem System einer verbesserten Drahtbahn und
lagen auch schon zu jener Zeit Projekte vor:
1. Fiir den Dampfziegeleibesitzer Herrn Brandt in Qohlis,
2. Fiir die Herren Ortel & Kornagel, Dampfziegeleibesitzer in
Mockern.
Als Herr Bleichert im April 1872 von der H.-L. E.- & M.-A.-Q.
zu Schkeuditz als technischer Dirigent engagiert wurde, beab-
sichtigte derselbe das von ihm durchgearbeitete System einer ver-
besserten Drahtbahn als Spezialitat fiir die Fabrik einzufuhren.
Ani 1. August 1872 wurde als technischer Direktor der H.-L. E.-
und M.-A.-Q. zu Schkeuditz Herr Adolf Kremer eingeschoben und
dem Herrn Bleichert das Amt des Ober-Ingenieurs ubertragen.
Letzterer machte nun gelegentlich den Herrn Kremer mit dem
Drahtbahnsystem bekannt, wovon derselbe jedoch nichts wissen
wollte, da speziell ihm die Drahtbahnen noch vollstandig fremd
waren und er vorgab, andere Spezialitaten fiir die Fabrik in Aus-
sicht zu haben. Da diese Herrn Kremer's Ideen sich aber nicht
realisierten, so adoptierte er schlieBHch die seinerzeit von Herrn
Bleichert gemachten Vorschlage betreffs der Drahtbahnen und ein
Anfang sollte mit der Teutschenthaler Drahtbahn gemacht werden.
Herr Bleichert, welcher die Einleitung und die Vorafbeiten zu der
Bahnanlage fiir Teutschenthal besorgte, auf Qrund deren der Ab-
schluB selbst stattfand, UeB nun unter seiner Leitung und nach
seinen von ihm durchgearbeiteten Skizzen, die Zeichnungen zu
dieser Anlage ausfiihren, wobei der Herr Kremer vollstandig fern
geblieben ist. Ich hatte die Arbeiten als Betriebsingenieur und auch
spater den Bau der Bahn in Teutschenthal selbst zu leiten und habe
da bei gelegentlichen Besuchen des Herrn Kremer demselben
wiederholt uber verschiedene Anordnungen des Bahnsystems Aus-
kunft erteilen miissen.
Im Mai 1874 verlieB ich die Fabrik und war zu dieser Zeit die
Teutschenthaler Drahtbahn fertig und auch schon probiert. Wie ich
spater bei einer gelegentlichen Besichtigung der Bahn gesehen
habe, waren einige kleine praktische Veranderungen vorgenommen,
welche jedoch in keiner Weise das System beeintrachtigen. Ich bin
eventuell gem bereit, diese meine Aussagen an Eidesstatt zu be-
kraftigen.
Schkeuditz, den 12. Dezember 1874.
(gez.) Th, Otto, Zivil-Ingenieur.
Im ubrigen hat Otto selbst niemals behauptet, an den
Bleichert'schen Erfindungen selbstschopferisch tatig gewesen zu
sein, auch noch bei spateren Qelegenheiten, so z. B. gelegentlich
— 104 —
einiger Patentprozesse bei eidlichen Vernehmungen die Allein-
arbeit Bleichert's in dieser Beziehung willig anerkannt.
Die geschichtiiche Wahrheit, die heute, da noch viele Zeugen
jener Erfindung leben, einwandsfrei festgestellt werden kann, ver-
langt es aber, den Erfinder zu nennen, der es auch wirklich ist —
und das ist Bleichert!
Nicht Worte und Entwiirfe sind Erfindung — die Tat allein ist
es, die das Entdeckte, das Qefundene der Welt schenkt.
Und von dieser gilt das Ruckert'sche Wort:
„0b Du von mir dies hast, ob ich von Dir — wer weiB?" —
„Wer besser, nicht wer eh'r es machte, tragt den Preis!"
Hermann Honnicke, Kunstanstalt, Leipzig.
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38 /Oj
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UNIVERSITY OF CALrlFORNIA UBRARV