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Full text of "Die ersten neun Bücher der dänischen Geschichte;"

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Saxo  Grammaticos 
Dänische  Geschichte  Buch  I— IX 
Uebersetzt  von  H.  Jantzen. 


I 


o 


8axo  Grammatiens 


Die  ersten  neun  Bücher  der 
dänischen  Geschichte 


Uebersetzt  und  erläutert 


von 


Hermann  Jantzen 

Dr.  phil. 


Praesens  opus  non  nugaceni  sermonis 
luculenciam,  sed  fidelero  vetustatis  noti- 
ciauil  pollicetur. 


Berlin 

Verlag  von  Emil  Felber 

1900 


*  '         0' 


All«  Üec'hte  vorbehAlt>ea. 


Druck  von  Emil  Falter,  2oiMa  und  Berlin. 


Inhalt. 


Seite 

Vorwort VII 

Einleitung XI 

Saxos  Vorrede 1 

Erstes  Buch  der  dänischen  Geschichte 16 

Zweites  Buch 58 

Drittes  Buch 190 

Viertes  Buch 155 

Fünftes  Buch 193 

Sechstes  Buch 275 

Siebentes  Buch 337 

Achtes  Buch 400 

Neuntes  Buch 467 

Sachverzeichnis 506 

NamenTcrzeichnis 517 

Berichtigungen  und  Zusätze 532 


Vorwort. 


Als  im  Jahre  1894  Eltons  Uebersetzung  der  ersten  neun 
Bücher  von  des  Saxo  Grammaticus  Dänischer  Geschichte  er- 
schienen war,  machte  die  deutsche  Kritik  mehrfach  darauf 
aufmerksam,  dass  auch  eine  deutsche  Uebertragung  dieses 
Schriftstellers  eine  zeitgemässe  und  wünschenswerte  Aufgabe 
wäre.  Diese  Thatsache  und  besonders  noch  die  persönliche 
Anregung  des  Herrn  Dr.  Jiriczek  veranlassten  mich  vor  etwas 
mehr  als  zwei  Jahren,  den  Entschluss  zu  meiner  Uebersetzung 
zu  fassen,  der  bald  durch  das  rasche  und  liebenswürdige  Ent- 
gegenkommen des  Herrn  Verlegers  zur  That  wurde.  Mancher- 
lei äussere  Umstände  haben  die  Vollendung  bis  jetzt  hin- 
gehalten. 

Mein  Grundsatz  bei  der  Arbeit  war,  nicht  bloss  sinn- 
gemäss, sondern  auch  wortgetreu  zu  übertragen,  soweit  dies 
bei  dem  eigenartigen,  zwar  anziehenden  aber  geschraubten 
und  vielfach  schwülstigen  Latein  Saxos  möglich  war,  ohne 
dem  deutschen  Ausdruck  Gewalt  anzuthun.  Selbstverständlich 
sind  die  dänischen  Uebersetzungen  sowie  die  englische  ständig 
benutzt  worden,  nur  die  neueste  dänische  von  Winkel  Hörn 
konnte  nicht  mehr  berücksichtigt  werden.  Die  Gedichte,  in 
meinem  Text  durch  Anführungszeichen  kenntlich  gemacht, 
sind  in  Prosa  wiedergegeben,  da  eine  Nachbildung  der  mannig- 
fachen Masse  schwierig  und  ohne  rechten  Wert  gewesen  wäre. 
Bei  den  Namen  hielt  ich  es  für  zweckmässig,  die  von  Saxo 
gebrauchten  Formen  —  aber  ohne  seine  Schwankungen,  über 
die  übrigens  das  Namenverzeichnis  Auskunft  giebt,  —  anzu- 


VIII  Vorwort. 

wenden;  nur  bei  ganz  bekannten  geographischen  Namen 
(Dania,  Jutia,  Saxonia  u.  s.  f.)  sind  statt  der  lateinischen 
Formen  die  üblichen  deutschen  gewählt,  und  meist  wurde  auch 
die  lateinische  Endung  -ia  durch  -ien  ersetzt. 

Da  nun  aber  mit  dem  blossen  Texte  eines  so  inhaltreichen 
und  dabei  zeitlich  und  gedanklich  uns  so  fern  und  fremd 
gegenöberstehenden  Schriftstellers  weiteren  Kreisen,  für  die 
das  Werk  bestimmt  ist.  nicht  hinreichend  gedient  sein  kann, 

—  wiewohl  eine  Uebersetzung  an  sich  schon  immer  ein 
Kommentar  genannt  werden  darf  —  so  wurden  laufende, 
erläuternde  Anmerkungen  beigegeben.  Sie  sind  möglichst 
knapp  gehalten  und  wollen  in  erster  Linie  das  unmittelbare 
Verständnis  des  Inhalts  fördern  und  erleichtern.  Ferner  wollen 
sie  die  Hauptergebnisse  der  beiden  trefflichen,  hochbedeuteamen 
dänischen  Arbeiten  Axel  Olriks  „Kjlderne  til  Sakses  Old- 
historie^^  (I,  1892;  II  1894,  Kopenhagen)  der  deutschen  Lese- 
welt vermitteln,  und  endlich  bezwecken  sie,  denen,  die  sich 
selbstständig  weiter  in  das  Studium  unseres  Autors  vertiefen 
möchten,  durch  Angabe  der  wichtigsten«  allgemein  und  leicht 
zugänglichen  Bücher  —  Zeitschriftenaufsätze  sind  nur  ausnahms- 
weise in  einigen  besonders  beachtenswerten  Fällen  angeführt 

—  ein  erster  Wegweiser  zu  sein.  Keineswegs  aber  beab- 
sichtigen sie,  die  überaus  reichen  Wissensschätze,  die  in  den 
Anmerkungen  zu  den  Ausgaben  des  Stephanius  und  MüUer- 
Velschows  niedergelegt  sind,  zu  ersetzen  oder  nur  entbehrlicher 
zu  machen.  Zu  streng  wissenschaftlichen  Studien  müssen 
ebenso  wie  der  Urtext  auch  jene  älteren  Kommentare  noch 
immer  herangezogen  werden.  —  Vielleicht  ist  das  beigegebene 
Sachverzeichnis  manchen  Benutzern  des  Buches  nicht  unwill- 
kommen. 

So  möge  denn  der  alte  Saxo,  befreit  von  den  zwängenden 
Fesseln  des  Lateinischen,  das  nach  Ausweis  der  Geschichte  von 
jeher  seiner  allgemeinen  Verbreitung  hinderlich  gewesen  ist, 
nach  sieben  Jahrhunderten  zum  ersten  Male  in  deutscher 
Sprache  hinausziehen.  Möge  er  auch  in  diesem  neuen  Gewände 
der  Beschäftigung  mit  der  germanischen  Vorzeit,  die  er  in 
allen  ihren  Eigenheiten,  guten  und  schlimmen,  so  anschaulich 


Vorwort.  IX 

ZU  schildern  weiss,  neue  Freunde  erwerben  und  mit  dazu 
beitragen,  die  Kenntnis  dieser  alten  Kultur,  dieser  gestalten- 
reichen Sagenwelt  in  immer  weitere  Schichten  unseres  Volkes 
zu  tragen. 

Zum  Schlüsse  aber  habe  ich  noch  die  angenehme  Pflicht 
zu  erfüllen,  auch  an  dieser  Stelle  meinen  aufrichtigsten  Dank 
den  beiden  Männern  auszusprechen,  die  mich  durch  Mitlesen 
einer  Korrektur  der  Noten  und  durch  manche  wertvolle  Be- 
merkung dazu  gütig  mit  Rat  und  That  bei  meiner  Arbeit 
unterstützt  haben:  Herrn  Professor  Dr.  Finnur  Jönsson  in 
Kopenhagen  und  Herrn  Privatdocenten  Dr.  Otto  Jiriczek  in 
Breslau,  der  überhaupt  das  Werk  von  Anfang  bis  zu  Ende 
mit  freundlichster  Anteilnahme  begleitet  hat. 

Breslau,  im  Dezember  1899. 

H.  J. 


Einleitung. 


A.   Saxos  Leben. 

Das  wenige  Sichere,  was  wir  von  dem  Leben  des  Saxo 
Grammaticus  überhaupt  wissen,  verdanken  wir  seinen  eigenen 
Angaben.  Er  entstammte  einem  königstreuen  Krieger- 
geschlechte,  denn  er  erzählt  in  der  Vorrede  zu  seinem  Werke 
(S.  6),  dass  sein  Vater  und  Grossvater  an  den  Feldzügen 
König  Waidemars  I.  von  Dänemark  (1157 — 82)  teilgenommen. 
Er  selbst  schreibt  sein  Werk  unter  der  Regierung  Waidemars  IL 
(1202 — 41)  und  berichtet,  dass  er  es  auf  Wunsch  des  Erz- 
bischofs von  Lund,  Absalon,  begonnen,  bei  dessen  Lebzeiten 
aber  nicht  mehr  vollendet  habe,  und  daher  bittet  er  Absalons 
Nachfolger,  Anders  Sunesön,  um  weitere  Förderung  und  Unter- 
stützung (Vorr.  S.  1  u.  2).  Ein  letztes  sicheres  Datum  ent- 
hält endlich  eine  Angabe  im  XL  Buche  (S.  385,  24  in  Holders 
Ausgabe),  wonach  der  Bischof  Esger  (Ascerus)  zu  „seiner 
Zeit"  (nostris  temporibus)  bestattet  wurde:  dieser  Bischof  aber 
starb,  wie  wir  aus  andern  Quellen  wissen,  am  18.  April  1158. 
Diese  Zeitbestimmung  ist  besonders  wichtig;  denn  aus  ihr 
wird  klar,  dass  Saxo  vor  1158  geboren  ist;  wenn  sein  Gross- 
vater noch  unter  Waldemar  I.  kämpfte,  so  wird  dieser  kaum 
viel  vor  der  Wende  des  11.  und  12.  Jahrhunderts  geboren 
sein;  für  Saxos  Vater  ergäbe  sich  daraus  etwa  der  Schluss 
des  ersten  Viertels,  für  Saxo  selbst  ungefähr  die  Mitte  des 
12.  Jahrhunderts  als  Geburtszeit.  Ein  genaueres  Datum  lässt 
sich  nicht  ermitteln. 


XII  EinieiUing. 

Einiges  Nähere  lässt  sich  noch  erschliessen.  Saxo  war 
sicher  ein  geborener  Däne;  das  ergiebt  sich,  auch  abgesehen 
von  seiner  oben  genannten  Bemerkung  über  seine  Voreltern, 
aus  dem  ganzen  Ton  und  Charakter  seines  Werkes,  das  durch- 
weg von  wärmster  Begeisterung  für  Dänemark  erfüllt  ist. 
Aus  seiner  besonderen  Vorliebe  für  Seeland  (z.  B.  S.  8  der 
Vorr.  und  mehrfach  im  XIV.  Buche)  darf  man  vielleicht  mit 
Sicherheit  entnehmen,  dass  er  ein  Seeländer  war;  als  solcher 
wird  er  übrigens,  allerdings  erst  zwei  Jahrhunderte  nach  seinem 
Tode,  auch  von  einem  Bearbeiter  seines  Werkes  (1431)  bezeichnet. 

Ueber  Saxos  Person,  Bildung,  Beruf  und  Stellung  sind 
wir  nur  auf  Vermutungen  angewiesen.  Eine  Nachricht  über 
sein  Aussehen  haben  wir  vielleicht  darin,  dass  er  von  einem 
ungenannten  Chronisten  einmal  als  Saxo  „cognomine  Longus^ 
(mit  dem  Beinamen  der  Lange)  bezeichnet  wird;  manche  wollten 
diesen  Ausdruck,  allerdings  wohl  sich#r  mit  unrecht,  dahin 
deuten,  dass  er  einer  Familie  Lang  oder  Lange  angehört  habe. 
Seine  Erziehung  muss  sorgfältig  und  gründlich  gelehrt  gewesen 
sein,  da  er  sich  in  seinem  Werke  als  einen  hoch  gebildeten 
Mann  erweist,  der  neben  dem  üblichen  theologischen  Wissen 
eine  recht  genaue  Kenntnis  des  klassischen  Altertums  wie 
der  Vorzeit  seines  eigenen  Vaterlandes  besitzt.  Schon  diese 
Gelehrsamkeit  macht  es  unzweifelhaft,  dass  er  ein  Kleriker 
war;  besass  doch  in  jener  Zeit  eben  niemand  anders  als  die 
Geistlichen  die  Fähigkeit,  schriftstellerisch  thätig  zu  sein. 
Welche  Würde  er  aber  inne  gehabt  hat,  wissen  wir  nicht. 
Denn  wenn  er  sich  auch  selber  im  Eingange  seiner  Vorrede 
als  „den  geringsten  aus  Absalons  Umgebung^  bezeichnet,  so 
dürfen  wir  dies  gewiss  nicht  wörtlich  nehmen,  sondern  haben 
nur  eine  Phrase  der  Bescheidenheit  darin  zu  sehen;  er  scheint 
vielmehr  sowohl  zu  Absalon  wie  zu  Anders  Sunesön  in  einem 
ziemlich  vertrauten  Verhältnis  gestanden  zu  haben,  und  so 
wird  er  wohl  auch  eines  der  höheren  geistlichen  Aerater  be- 
kleidet haben.  —  Der  Beiname  Graramaticus  wird  unserm 
Schriftsteller  erst  seit  1431  beigelegt;  er  bedeutet  „der  Ge- 
lehrte'^  und  findet  sich  auch  sonst  noch  im  Mittelalter  als 
ehrendes  Beiwort. 


Einleitung.  XIII 

Ein  paar  Versuche  unsem  Saxo  mit  andern  dieses  Namens 
(einem  Propst  zu  Roskilde,  einem  Schreiber  und  einem  Sub- 
diakonus  im  Laurentiuskloster  zu  Lund)  gleichzusetzen,  die 
sich  ungefähr  in  jener  Zeit  nachweisen  lassen,  übergehe  ich 
hier,  da  sie  so  gut  wie  gar  keinen  Anspruch  auf  Wahr- 
scheinlichkeit haben. 

Saxos  Todesjahr  kennen  wir  auch  nicht  ^). 

B.   Saxos  Werk  und  seine  Bedeutung. 

Saxos  Werk,  die  dänische  Geschichte,  biesteht  aus  sech- 
zehn Büchern  und  zerfällt  in  zwei  deutlich  von  einander 
geschiedene  Teile;  der  erste.  Buch  I — IX,  den  wir  hier  zum 
ersten  Male  im  Zusammenhange  in  deutscher  Uebersetzung 
vorlegen,  behandelt  die  Urgeschichte  der  Dänen  bis  zur  Herr- 
schaft Gorros  des  Alten  (936)  und  zeigt  im  wesentlichen  ein 
durchaus  sagenhaftes  Gepräge.  Der  zweite,  in  der  Hauptsache 
streng  historische  Teil  umfasst  die  Zeit  von  Harald  Blauzahn 
(936—986)  bis  Knud  VI.  Waldemarsön  (1182—1202).  Ein- 
geleitet ist  das  Ganze  durch  eine  Vorrede. 

Ueber  die  Entstehungsgeschichte  des  Werkes  können  wir 
wieder  bloss  Vermutungen  äussern.  Genau  wissen  wir  nur,  dass 
es  nach  1179  begonnen  wurde;  denn  erst  in  diesem  Jahre 
wurde  Absalon,  der  Saxo  die  Anregung  zu  seiner  Arbeit  gab, 
Erzbischof,  und  als  solcher  wird  er  von  unserm  Schriftsteller 
bezeichnet.  Man  nimmt  an,  dass  die  zweite,  historische  Hälfte 
zuerst  abgefasst  sei  und  zwar  innerhalb  derselben  wiederum 
zuerst  das  sehr  umfängliche  XIV.  Buch,  das  ganz  der  Ge- 
schichte Absalons  gewidmet  ist.  Gewissermassen  als  Einleitung 
zu  der  eigentlichen  Geschichte  habe  er  dann  erst  die  Dar- 
stellung der  sagenhaften  Urgeschichte  seines  Volkes  nach- 
träglich hinzugefügt.  Die  Vorrede  wurde  höchst  wahrscheinlich 
erst  nach  Abschluss  des  Ganzen  geschrieben.  In  ihr  finden 
wir  noch  einen  Datierungspunkt.  S.  6  erzählt  Saxo  von 
W^aldemar  IL,  „dass  er  die  Fluten  der  auf-  und  abwogenden 


')  Am  ausführlichsten  handelt  über  Saxos  Leben  Velschow  in  den 
Prolegomena  der  von  Müller  begonnenen  Ausgabe  [S.  hier  S.  XVII]  auf 
8. 1  ff.    Vgl.  auch  Eltons  Englische  Uebersetzung  S.  X  ff. 


XIV  Einleitung. 

Elbe  seinem  Reiche  einverleibt  habe^.  Dieser  allerdings 
etwas  phrasenhafte  Ausdruck  bezieht  sich  höchst  wahrschein- 
lich auf  einen  Zug  des  Königs  nach  Bremen  im  Jahre  1208, 
sodass  wir  wohl  annehmen  dürfen,  das  Werk  sei  nicht  allzu- 
lange nach  diesem  Zeitpunkte  vollendet  worden. 

Wenn  sich  Saxo  in  seiner  Vorrede  (S.  1)  rühmt,  der  erste 
zu  sein,  der  dänische  Geschichte  geschrieben  habe,  so  nimmt 
er  dies  Verdienst  mit  vollem  Rechte  für  sich  in  Anspruch. 
Abgesehen  von  ein  paar  dürftigen  mönchischen  Aufzeichnungen 
über  Klosterangelegenheiten  und  einigen  Königsverzeichnissen, 
gab  es  vor  ihm  nur  eine  kurze  und.  unvollständige  Darstellung 
des  fraglichen  Gebietes,  vonSwen  Aggesönum  1185  in  schlechtem 
Latein  geschrieben,  die  von  Saxos  ausführlicher  und  ab- 
gerundeter Behandlung  gänzlich  verschieden  ist  und  auch  in 
der  Angabe  der  Thatsachen  weit  hinter  ihm  zurückbleibt. 
Saxos  Stil,  der  von  Erasmus  von  Rotterdam  fast  über- 
schwenglich gelobt  wird,  ist  nach  dem  Muster  klassischer 
Schriftsteller  gebildet  und  zeichnet  sich  durch  eine  breite 
Fülle  und  wortreiche  Wohlredenheit  aus,  die  indessen 
nicht  gerade  selten  zu  Schwulst  und  Geschraubtheit  ausartet. 
Seine  Hauptvorbilder  waren  die  Historiker  Valerius  Maximus 
und  Justinus  sowie  Martianus  Capeila;  von  den  beiden  ersteren 
sind   uns  sogar  die  Handschriften  bekannt,   die   er  benutzte. 

Ueber  seine  Quellen  äussert  sich  Saxo  selbst  (im  Zusammen- 
hange Vorr.  S.  4  ff.,  gelegentlich  oft  im  Laufe  der  Erzählung). 
Für  den  historischen  Teil  kommen  vor  allem  Aufzeichnungen 
und  persönliche  Mitteilungen  Absalons  in  Betracht,  wodurch 
die  einschlägigen  Abschnitte  für  uns  zu  der  zuverlässigsten, 
eingehendsten  und  ergiebigsten  Quelle  für  die  Kenntnis  der 
politischen  Zeitgeschichte  werden.  Bei  der  Abfassung  der 
neun  ersten  Bücher  stützt  er  sich  dagegen  vornehmlich  auf 
Volksüberlieferung,  norwegisch-isländische  und  dänische,  wie 
sie  in  Sagen  und  Liedern  ihren  Ausdruck  fand.  In  den  weit- 
aus meisten  Fällen  mag  ihm  die  Kenntnis  davon  auf  mündlichem 
Wege,  nur  in  seltenen  durch  schriftliche  Aufzeichnung  vermittelt 
worden  sein.  Soweit  sich  eine  Scheidung  zwischen  dem  Sonder- 
eigentum der  genannten  Stämme  noch  feststellen  lässt,  sind 


Einleitung.  XV 

die  Ergebnisse  in  den  Anmerkungen  zum  Texte  mitgeteilt, 
fast  ausschliesslich  auf  Grund  von  Axel  Olriks  trefflichen 
Untersuchungen:  „Kilderne  til  Sakses  Oldhistorie.  I.  Forsog 
p&  en  tvedeling  af  Kilderne  til  Sakses  Oldhistorie*'  (Keben- 
havn  1892)  und  IL  „Sakses  Oldhistorie:  norrene  sagaer  og 
danske  sagn''  (1894),  welche  seit  den  Tagen  Müllers  und 
Velschows  zum  ersten  Male  wieder  gründlich  die  Saxoforschung 
aufnehmen.  Dadurch  dass  Saxo  andere,  in  der  Volkssprache 
überlieferte  Quellen  vielfach  ergänzt,  manches  sonst  auch  Be- 
kannte in  anderem  Lichte  darstellt,  für  mehrere,  sehr  wichtige 
Punkte  sogar  der  einzige  uns  bekannt  gebliebene  Berichterstatter 
ist,  ist  sein  Werk,  und  zwar  gerade  der  erste  Teil,  für  unsere 
Kenntnis  des  germanischen  Altertums  von  höchstem  und 
bleibendem  Werte.  Für  die  verschiedensten  Wissenszweige 
sind  seine  Angaben  unentbehrlich ;  am  ergiebigsten  ist  er  für 
Volks-  und  Heldensage,  für  Mythologie  und  besonders  für 
die  Geschichte  der  Götterauffassung,  für  Kulturgeschichte  und 
Volkskunde.  Aber  auch  auf  anderen  Gebieten  kann  er  nütz- 
liche Dienste  leisten,  so  für  die  Geschichte  der  Geographie, 
selbst  für  sprachliche  Fragen,  imd  nicht  zum  Wenigsten  für 
die  neuere  Litteraturgeschichte,  da  nicht  selten  Dichter  aus 
ihm  —  mittel-  oder  unmittelbar  —  ihre  Stoffe  entnommen  haben. 

C.    Ueberlieferung.    Handschriften.   Ausgaben. 

Uebersetzungen. 

Es  ist  merkwürdig,  dass  ein  Werk  von  so  hoher  Be- 
deutung wie  Saxos  „Dänische  Geschichte"  in  seiner  Zeit  so 
wenig  Beachtung  und  Verbreitung  fand,  als  es  thatsächlich 
der  Fall  ist.  Besonders  zahlreiche  Handschriften  scheint  es 
überhaupt  nicht  gegeben  zu  haben;  erhalten  sind  uns  nur  ein 
paar  ganz  dürftige  Reste.  Einer  von  diesen  allerdings,  um 
1200  geschrieben,  scheint  Saxos  Konzept  zu  sein  und  Ver- 
besserungen des  Textes  von  seiner  eigenen  Hand  zu  enthalten. 
Er  wurde  im  Jahre  1863  in  Angers  aufgefunden  und  befindet 
sich  jetzt  seit  1878  in  der  Königlichen  Bibliothek  zu  Kopen- 
hagen. (Eine  vollständige  Aufzählung  aller  Handschriften- 
bruchstücke   sowie    der  erhaltenen  Nachrichten    über  früher 


XVI  Einleitung. 

vorhandene  Codices  giebt  Holder  in  seiner  Ausgabe  S.  XI  ff.). 
Ein  Haupthindernis  für  die  allgemeine  Verbreitung  des  Werkes 
scheint  das  schwierige  Latein  darin  gewesen  zu  sein;  wenigstens 
haben  wir  aus  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  (vielleicht 
sogar  noch  14.)  ein  Zeugnis  dafür.  Im  Jahre  1431  wurde 
auf  Veranlassung  des  Bruders  Thomas  Gheysmer  für  das 
Kloster  zu  Odense  ein  Sammelband  fertig  gestellt,  der  Ab- 
schriften von  sieben  Kompendien  verschiedenen  Inhalts  und 
verschiedener  Verfasser  enthalten  sollte.  Der  uns  erhaltene 
Codex  ist  aber  nicht  vollständig,  sondern  überliefert  uns 
ausser  einem  Inhaltsverzeichnis  und  einigen  Fragmenten  nur 
das  erste  Buch.  Es  führt  den  Titel:  Compendium  Historiae 
Danicae  ab  initio  ad  Waldemarum  IV.  ^)  und  ist  ein  kürzender 
Auszug  aus  Saxo  nebst  einer  Fortsetzung.  Wer  der  Verfasser 
dieses  Kompendiums  ist,  wissen  wir  nicht.  Gheysmer  selbst 
ist  es  höchstwahrscheinlich  nicht,  vielmehr  spricht  manches 
für  Velschows  Annahme,  dass  es  ein  Zeitgenosse  Waidemars  IV. 
(1332—75)  gewesen  sei,  der  bei  Behandlung  des  Jahres  1342 
durch  den  Tod  an  der  Weiterarbeit  verhindert  wurde  ^).  Jeden- 
falls ist  aber  die  Art  und  Weise,  wie  der  Verfasser  die  Nützlich- 
keit und  Notwendigkeit  seiner  Arbeit  hervorhebt,  sehr  be- 
zeichnend; er  sagt:  „Weil  das  Werk  [Saxos]  an  mehreren 
Stellen  verworren  ist,  weil  vieles  nur  mehr  zur  Zierde  als 
zur  Feststellung  der  geschichtlichen  Wahrheit  gesagt  wird 
und  obendrein  wegen  sehr  vieler  Ausdrücke  (vocabula)  und 
verschiedener  Gedichte,  an  die  man  heutzutage  nicht  mehr 
gewohnt  ist,  sein  Stil  allzu  dunkel  (nimium  obscurus)  ist, 
deswegen  stellt  mein  kleines  Werk,  ein  Auszug  aus  jenem, 
die  bemerkenswerteren  der  dort  geschilderten  Ereignisse  mit 
klaren  Worten  (planis  verbis)  dar."  —  Von  dieser  Bearbeitung 
erschien  im  Jahre  1485,  wahrscheinlich  zu  Lübeck,  eine  nieder- 
deutsche Uebersetzung. 

Dass   uns  Saxos  Werk  überhaupt  erhalten  geblieben  ist, 
verdanken  wir  nur  der  ersten  gedruckten  Ausgabe,    welche 


*)  Gedruckt  in  den  Script ures  Renim  Danicarum  II,  287  f)'. 

*)  In  den  Prolegomena   zur  Ausgabe.     Hd.  II  S.  LX XXVII,  Anm.  2. 


Einleitung.  XVII 

im  Jahre  1514  zu  Paris  erschien.  Die  Geschichte  dieser  Aus- 
gabe und  ihres  Zustandekommens  ist  in  den  als  Einleitung  vor- 
gedruckten Briefen  geschildert  und  sehr  beachtenswert,  weil 
sie  uns  zeigt,  wie  schwer  schon  damals  ein  Exemplar  von 
Saxos  Geschichte  zu  erhalten  war.  Im  Mai  1512  ersuchte 
der  Bischof  von  Roskilde,  Lave  Urne,  den  Canonicus  Kristjern 
Pedersön  (Christiernus  Petri)  aus  Lund,  der  sich  gerade  seiner 
Studien  wegen  in  Paris  aufhielt,  eine  Ausgabe  des  Saxo  zu 
veranstalten.  Doch  der  Auftrag  war  leichter  gegeben  als 
ausgeführt.  Denn  obwohl  Kristjern  weder  Mühe  noch  Kosten 
scheute,  eine  Handschrift  aufzutreiben,  gelaug  es  ihm  nicht. 
Schliesslich  kehrte  er  in  seine  Heimat  zurück  und  durch- 
suchte selbst  eine  Menge  Bibliotheken,  lange  Zeit  wieder 
ohne  Erfolg.  Endlich  glückte  es  nach  vielen  Anstrengungen 
Birger,  dem  Erzbischof  von  Lund,  einen  Codex  ausfindig  zu 
machen,  und  König  Christian  II.  gab  die  Erlaubnis,  ihn  zum 
Abdruck  nach  Paris  mitzunehmen.  Durch  Jod ocus  Badius 
Ascensius  wurde  die  Drucklegung  besorgt,  und  diese  Aus- 
gabe (Paris,  1514)  ist  die  Grundlage  aller  folgenden  geworden. 
Blosse  Nachdrucke  sind  die  beiden  nächsten  Ausgaben, 
welche  1534  zu  Basel  und  157(5  zu  Frankfurt  am  Main  er- 
schienen. Einen  Fortschritt  bedeutet  erst  die  vortreffliche, 
sorgfältige  und  mit  einem  erstaunlichen  Aufwand  an  gelehrtem 
Fleisse  hergestellte  Ausgabe  des  Stephanus  Johannis 
Stephanius  zu  Sorö  1644.  Die  dazu  gehörigen  „Notae 
uberiores  in  Historiam  Danicam  Saxonis  Grammatici  una  cum 
prolegomenis  ad  easdem  notas"'  (Sorae  1()45)  füllen  einen  fast 
ebenso  starken  Folioband  wie  der  Text  und  enthüllen  die 
gediegenen,  reichen  Kenntnisse  des  Herausgebers  nicht  bloss 
auf  dem  Gebiete  des  klassischen  Altertums,  sondern  auch  auf 
dem  der  altskandinavischen  Kultur  und  Dichtung.  — Im  18.  Jahr- 
hundert lenkte  der  bekannte  Gegner  Lessings,  Adolf  Klotz, 
die  Aufmerksamkeit  auch  der  deutschen  Lese-  und  Gelehrten- 
welt auf  unsern  Autor,  indem  er  zu  Leipzig  1771  auf  Grund 
der  Ausgabe  des  Stephanius  einen  neuen,  mit  Lesarten  und 
ziemlieh  umfänglichen  „Prolegomena'*  versehenen  Textabdruck 
erscheinen  Hess. 

Saxo  Grammattcus.  ü 


XVIII  Einleitung. 

Die  beste  moderne  kommentierte  Ausgabe  ist  die,  welche 
der  seeländische  Bischof  Peter  Erasmus  Müller,  einer  der 
hervorragendsten  Gelehrten  Dänemarks,  begann  und  nach 
dessen  Tode  der  Professor  der  Geschichte  zu  Kopenhagen, 
Johan  Velschow,  fortsetzte.  Sie  erschien  Kopenhagen  1839 
und  1858.  Die  beiden  Teile  des  ersten  Bandes  enthalten  auf 
1033  Quartseiten  den  Text  und  die  auch  schon  sehr  reich- 
haltigen notae  breviores,  der  zweite  bietet  auf  387  Seiten 
die  gediegenen  und  noch  immer  unentbehrlichen  notae 
uberiores. 

Die  beste  kritische  Textausgabe  endlich  gab  uns 
Alfred  Holder,  „Saxonis  Grammatici  Gesta  Danorum.  Strass- 
burg  1886.'*  Sie  verzeichnet  gewissenhaft  alle  irgendwie  be- 
merkenswerten Lesarten  der  Ausgaben  und  Handschriften- 
bruchstücke (S.  LXI — LXXXVII),  giebt  eine  genaue  Be- 
schreibung aller  Fragmente,  Ausgaben  und  Uebersetzungen 
(S.  XI — XXV)  und  enthält  überdies  noch  eine  sorgfältige  und 
reichhaltige  Bibliographie  der  „Quellen,  Hilfsmittel  und  Er- 
läuterungsschriften** zu  Saxo  (S.  XXVI — LX). 

Bei  dem  Interesse,  welches  das  Werk  für  Dänemark  haben 
musste,  und  zugleich  wegen  der  schweren  Lesbarkeit  des 
lateinischen  Textes  ist  es  natürlich,  dass  man  ziemlich  früh 
an  eine  Uebersetzung  in  die  Landessprache  dachte.  Bis  vor 
wenigen  Jahren  gab  es  auch,  abgesehen  von  jener  nieder- 
deutschen Uebertragung  des  sogenannten  Gheysmerschen 
Kompendiums,  nur  dänische  Uebersetzungen  und  zwar 
folgende:  1.  Eine  von  dem  obengenannten  Kristjern 
Pedersön  unternommene,  die  aber  nie  gedruckt  wurde  und 
verloren  ist.  —  2.  Die  älteste  erhaltene  von  Anders  Söf- 
frinssön  Vedel  (lateinisch  genannt  Velleius)  vom  Jahre  1575 
(Kopenhagen).  Sie  ist  im  wesentlichen  sinngemäss  aber  nicht 
wortgetreu,  kürzt  mitunter  und  giebt  die  Verse  in  freier  Prosa- 
auflösung wieder.  Sie  wurde  1610,  1713  und  1851  neu  heraus- 
gegeben. 3.  Die  ebenfalls  freie,  aber  doch  etwas  genauere 
von  Seier  Schon s belle,  mit  Anmerkungen  und  einer 
metrischen  ümdichtung  der  Verse  von  L.  Thura,  Kopen- 
hagen   1752.    4.   Die    glatte,    schwungvolle    und    begeisterte, 


Einleitang.  XIX 

aber  oft  auch  derbe  und  recht  ungenaue  Uebertragung  von  Nik. 
Fred.  Sev.  Grundtvig,  in  der  auch  die  Verse  in  ganz 
freier,  ja  willkürlicher  Umformung  nachgebildet  sind.  Die 
erste  Ausgabe  erschien  unter  dem  Titel  „Danmarks  Kranike 
af  Saxo  Grammaticus  fordansket  ved...^  Kopenhagen  1818 — 22, 
die  vierte  ebenda  unter  dem  Titel  „Sakse  Runemesters  danske 
Kranike  fordansket  ved  .  .  ."  1886.  5.  Die  jüngste, 
von  Dr.  Winkel  Hörn  angefertigte,  wort-  und  sinn- 
getreue Uebersetzung,  die  zu  Christiania  und  Kopenhagen 
1898  erschien. 

Von  anderssprachigen  Uebersetzungen  gab  es  unseres 
Wissens  bisher  nur  eine  einzige,  zugleich  auch  die  erste 
möglichst  wörtliche,  eine  englische.  Sie  erschien  im  Jahre  1894 
in  den  Veröffentlichungen  der  Londoner  Folk-Lore  Society 
[Band  33],  veranstaltet  von  Oliver  Elton.  Sie  beschränkt 
sich  wie  die  vorliegende  deutsche  auf  die  ersten  neun  Bücher, 
giebt  nur  gelegentlich  einmal  einige  wenige  Anmerkungen, 
bietet  aber  eine  umfängliche  Einleitung,  deren  grössten  Teil 
der  von  Fred.  York  Powell  ausgearbeitete  Folk-lore 
Index  einnimmt.  [Vgl.  zu  dieser  Ausgabe  0.  Jiriczeks  An- 
zeige im  Anzeiger  für  deutsches  Altertum  Bd.  22  (1896) 
S.  343  flF.] 

Dankbar  sei  anerkannt,  dass  ich  aus  den  dänischen  Ueber- 
setzungen (ausser  der  W.  Horns,  von  deren  Vorhandensein  ich 
erst  erfuhr,  nachdem  ein  grosser  Teil  meines  Druckes  schon 
vollendet  war)  wie  aus  der  englischen  so  manche  Erleichterung 
und  Belehrung  bei  der  Ausführung  der  deutschen  Ueber- 
tragung geschöpft  habe. 


II* 


Des  Saxo  Grammatieus 
Dänische  Geschichte 


Saxos  Vorrede. 


Da  alle  andern  Nationen  immer  auf  ihre  ruhmvolle  Ge-  HoSär 
schichte  stolz  sind  und  an  der  Erinnerung  an  ihre  Vorzeit   i  ed. 

Mfiller 

ihre  Freude  haben,  wünschte  Absalon,  der  oberste  Bischof  und  vei- 
der  Dänen  ^),  dass  auch  unser  Vaterland,  für  dessen  Ehre 
ihn  immer  der  glühendste  Eifer  erfüllte,  nicht  diese  Art 
rühmlicher  Erinnerung  entbehre,  und  darum  übertrug  er  mir, 
dem  geringsten  aus  seiner  Umgebung  —  denn  alle  andern  2 
lehnten  diese  Arbeit  ab  —  die  Aufgabe,  die  Geschichte  Däne- 
marks in  einer  Chronik  zusammen  zu  fassen;  und  durch 
häufige  und  eindringliche  Ermahnungen  nötigte  er  mich  end- 
lich, trotz  meiner  geringen  Befähigung  an  ein  Werk  zu  gehen, 
das  meine  Kräfte  übersteigt.  Denn  wer  könnte  denn  über- 
haupt die  Geschichte  Dänemarks  schreiben?  War  es  doch 
erst  seit  kurzem  dem  Christentum  gewonnen,  und  es  stand 
noch  jüngst  der  Religion  wie  der  lateinischen  Sprache  gleich 
fremd  gegenüber*).  Sobald  aber  zugleich  mit  dem  heiligen 
Glauben  auch  die  Fähigkeit  lateinisch  zu  schreiben  eintrat, 
war  die  Trägheit  der  früheren  Unkenntnis  gleich,  und  die 
Faulheit  verschuldete  jetzt  ebensoviel  wie  vordem  die  Un- 
fähigkeit. So  kam  es,  dass  meine  Wenigkeit,  obwohl  sie  sich 
der  genannten  Last  nicht  gewachsen  fühlte,  doch  lieber  über 


')  Bischof  von  Roskilde  und  seit  1079  Erzbischof  von  Lund ;  er  war 
der  vertrauteste  Freund  und  Ratgeber  König  Waidemars  L,  des  Grossen, 
(1157 — 82)  und  starb  1201.  Ueber  ihn  und  seine  Thaten  handelt  Saxo 
im  XI V.  und  XV.  Buche  seiner  Geschichte. 

*)  Ansgarius  führte  zwar  schon  im  9.  Jahrhundert  das  Christentum 
io  Dänemark  ein :  doch  hielten  diese  Anfänge  nicht  lange  vor.  Erst  unter 
Knud  dem  Grossen  (1014 — 35)  drang  es  völlig  durch. 

Smzo  Grammaticut.  1 


2  Saxos  Vorrede. 

die  eigenen  Kräfte  hinaus  sich  anstrengen  als  seinem  Befehl 
Widerstand  entgegensetzen  wollte:  Damit  es  nicht  schiene, 
als  ob  die  Geschichte  unserem  Volkes  —  während  sich  unsere 
Nachbarn  an  der  Ueberlieferung  ihrer  Thaten  erfreuen  —  bei 
der  Länge  der  Zeit  in  Vergessenheit  verfallen  sei,  ohne  irgend 

3  welche  schriftlichen  Aufzeichnungen  zu  bewahren.  Daher  sah 
ich  mich  gezwungen,  auf  meine  ungeübten  Schultern  eine 
Bürde  zu  nehmen,  welche  von  allen  Geschichtsschreibern  ver- 
gangener Zeiten  noch  keiner  erprobt  hatte;  denn  ich  scheute 
mich,  jenen  Befehl  unausgeführt  zu  lassen,  und  gehorchte, 
obgleich  meine  Kühnheit  dabei  grösser  war,  als  die  Aussicht 
auf  Erfolg.  Die  Zuversicht,  die  mir  meine  schwache  Ver- 
anlagung versagte,  lieh  ich  mir  von  der  Grösse  dessen,  der 
mir  den  Auftrag  gab. 

Da  ihn  nun  das  Schicksal  vor  Vollendung  meines  Unter- 
nehmens hingerafft  hat,  möchte  ich  dich  am  liebsten,  Andreas^), 
auf  den  nach  allgemeinem  und  segensreichem  Beschlüsse  die 
Wahl  zum  Nachfolger  in  seinem  Ehrenamte  und  zum  Haupte 
der  Kirche  fiel,  bitten,  mir  Führer  und  Anreger  bei  meinem 
Werke  zu  sein,  damit  ich  die  neidische  Verkleinerungssucht, 
die  besonders  erhabene  Dinge  in  den  Staub  zu  ziehen  sucht, 

2  unter  dem  Schutze  eines  solchen  Beistandes  zu  nichte  mache. 
Denn  du,  so  überreich  an  AVissen  und  geziert  mit  einer  Fülle 
von  Ehrfurcht  gebietender  Gelehrsamkeit,  musst  gleich  wie 
ein  Heiligtum  voll  göttlicher  Schätze  geachtet  werden.  Du 
hast  Gallien,  Italien  und  Britannien  durchforscht^),  um  wissen- 
Kchaftlic:he  Kenntnisse  zu  erwerben,  um  eine  Menge  von  ihnen 
aufzusammeln,  du  hast  nach  langer  Wauderzeit  die  hoch  ehren- 
volle   Leitung')   einer  auswärtigen   Schule    übernommen,    du 

*)  Ausgezeichneter  Gelehrter  und  Staatsmann«  Absalons  Nachfolger 
(1201—28).  Vgl.  über  ihn:  P.  E.  Müller,  Vita  Andreae  Sunonia.  Pro- 
gramma.     Hafniae  1830  u.  d.  Einleitung  der  S.  3  A.  4  genannten  Ausgabe. 

*)  Auf  diplomatischen  Reben  im  Auftrage  des  Königs  Knad  VI. 
(1182-1201). 

')  Extemae  scholae  regimen;  Stephanius  denkt  dabei  an  das  Rek- 
torat der  Pariser  Universität.  Wahrscheinlicher  ist  die  Ansicht  P.  £. 
Müllers,  dass  Andreas  dort  nur  eine  Zeitlang  als  Doktor  der  Theologie 
Vorlesungen  gehalten  hat. 


Widmung  an  Andreas.  3 

warst  eine  solche  Stütze  für  sie,  dass  es  schien,  als  ob  du 
durch  deine  Lehrthätigkeit  ihr  eiiie  Ehre  erwiesest,  nicht  sie 
von  ihr  empfingst.  Dann  wurdest  du  wegen  deiner  ausge- 
zeichneten Verdienste  und  Fähigkeiten  zum  königlichen  Sekre- 
tär^) ernannt  und  hast  dieses  an  sich  recht  mittelmässige 
Amt  so  umsichtig  durch  deine  Thätigkeit  gehoben,  dass  es 
nach  deiner  Versetzung  in  deine  jetzige  Ehrenstellung  für 
Männer  in  den  höchsten  Würden  eine  erstrebenswerte  Gunst 
geworden  ist.  Daher  hat  auch  Schonen*)  laut  gejubelt,  wie 
man  weiss,  dass  es  sich  seinen  Bischof  lieber  aus  dem  Nachbar- 
landes) geholt  als  aus  seinen  eigenen  Bewohnern  erwählt 
hat.  Da  es  eine  so  lobenswerte  Wahl  getroffen,  verdiente  es 
auch  die  Freude  darüber.  Da  du  dich  so  glänzend  durch 
Geburt,  Bildung  und  Veranlagung  auszeichnest  und  das  Volk, 
dank  deiner  Gelehrsamkeit,  mit  schönstem  Erfolge  leitest, 
hast  du  dir  auch  die  innigste  Liebe  deiner  Herde  gewonnen 
und  die  Aufgaben  des  von  dir  übernommenen  Amtes  im  Ver- 
trauen auf  eine  ruhmreiche  Vollendung  bis  zum  höchsten 
Gipfel  der  Ehren  durchgeführt.  Und  damit  es  nicht  scheine, 
als  ob  du  dir  irdischen  Besitz  als  wirkliches  Eigentum  an- 
masstest,  hast  du  in  frommer  Freigebigkeit  dein  reiches  Erb- 
gut der  Kirche  testamentarisch  vermacht;  du  zogst  es  vor, 
Schätze,  deren  Besitz  mit  Sorgen  verbunden  ist,  mit  Ehren 
von  dir  zu  werfen,  statt  dich  von  der  Sucht  nach  ihnen  ver- 
führen oder  von  ihrer  Last  quälen  zu  lassen.  Dann  hast  du 
auch  ein  wunderbares  Werk  über  die  ehrwürdigen  Glaubens- 
sätze geschrieben^);  in  deinem  Eifer,  eigenen  Sorgen  den 
Dienst  der  Staatsreligion  vorzuziehen,  hast  du  auch  durch 
Unterweisung  und  segensreiche  Ratschläge  alle  zur  Zahlung 
der  schuldigen  Kirchenabgaben  gezwungen,  welche  sich  da- 
gegen sträubten,   und  die  alte  Verachtung  der  Kirchen  hast 


^)  D.  i.  Kanzler. 

*)  Dessen  Bischofssitz  Lund  ist,  war  früher  dänisch,  während  es 
jetzt  (seit  1658)  zu  Schweden  gehört. 

")  Aus  Seeland,  wo  Andreas  geboren  ist. 

*)  Das  Hexaemeron,  ein  Werk  scholastischer  Gelehrsamkeit  in  8000 
Hexametern,  hrsg.  v.  M.  Gertz,  Kopenhagen  1892. 

1* 


4  Saxos  Vorrede. 

6  da  durch  eine  fromme  und  reiche  Schenkiuig  wieder  gut  ge- 
macht. Ferner  hast  du  diejenigen,  die  einen  allzu  lockeren 
I^benswandel  führten  und  mehr  als  billig  dem  Hange  zur 
Unmässigkeit  nachgaben,  durch  beständige  heilsame  Ermah- 
nungen und  durch  das  glänzendste  Beispiel  eigener  Selbst- 
genügsamkeit von  schlaffer  Verweichlichung  wieder  zu  ehrbarer 
Gesinnung  zurückgerufen  und  hast  es  nur  unentschieden  ge- 
lassen, ob  du  mehr  durch  Thaten  oder  Worte  auf  sie  einge- 
wirkt hast  So  hast  du  das,  was  keinem  deiner  Vorgänger 
zu  erreichen  gelangen  ist,  durch  blosse  weise  Ermahnungen 
durchgesetzt. 

Ich  möchte  es  nun  nicht  unerwähnt  lassen,  dass  auch  die 
älteren  Dänen,  wenn  hervorragende  Werke  der  Tapferkeit 
S;  7  vollbracht  wurden,  eifersüchtig  auf  ihren  Ruhm  und  in  Nach- 
ahmung ^)  römischen  Brauches,  nicht  nur  die  Kunde  von  ihren 
Heldenthaten  in  auserlesenen  Formen,  gleichsam  als  Dicht- 
werk, aufzeichneten,  sondern  dass  sie  auch  die  Thaten  ihrer 
Vorfahren  in  Liedern  in  der  Landessprache  verbreiteten  und 
in  ihrer  einheimischen  Schrift*)  auf  Steinen  und  Felsblöcken 
einmeisselten  *).  An  diese  Spuren  hielt  ich  mich  wie  an  eine 
Art  von  Werken  des  Altertums;  ich  suchte  ihren  Inhalt  in 
getreuer  Uebersetzung  wiederzugeben  und  auch  die  Verse  in 
gebundener  Rede  zu  übertragen*).  Da  sich  meine  Chronik 
hierauf  stutzt,  möge  man  in  ihr  nicht  sowohl  eine  neuere 
Zusammenstellung  als  vielmehr  eine  Erneuerung  von  Alt- 
überliefertem sehen.  Denn  das  vorliegende  Werk  verspricht 
nirht  eine  oberflächliche  Unterhaltung,  sondern  treue  Kenntnis 


')  Saxos  Aiisfjriiek  Ui  schief;  es  handelt  sieh  nicht  um  Nachahmung 
«iondorn   um  At^hnlirhkeit. 

')  Das  h#-i>st  in  Runen. 

*)  Dan  ist  so  zu  vf'rstehcn,  da^js  die  Heldenthaten  nur  in  Liedern 
lK*Miiij/<-ri  wiird»*fi.  Die  kurzen  prosaischen  Runeninschrifton,  an  die  Saxo 
d«'fikt.  «'nt^inH'hen  that sächlich  nur  unsern  (Trabsteininschriften. 

•)  Saxo  hat  sich  jrrosse  31ähe  pejjehen,  die  Verse  der  nationalen 
Dicht  Uli  jf  in  mö^f  liehst  kunstvolle  lateinische  3Ietren  zu  übertragnen;  Hexa- 
met/*r,  Distichen,  horazische  und  andere  lyrische  3Iasse  wechseln  bunt 
mit  einander  ab. 


Saxus  Quellen.  5 

des  Altertums^).  Wie  viele  Geschichtsbücher  hätten  ferner 
wohl  Leute  von  solcher  Veranlagung  herausgegeben,  wenn 
sie  durch  Kenntnis  des  Lateinischen  ihre  Schreiblust  hätten 
befriedigen  können,  da  sie,  obwohl  ihnen  die  Beherrschung 
der  römischen  Sprache  abging,  von  solcher  Begierde  ergriffen 
waren,  das  Andenken  an  ihre  Heldenthaten  zu  überliefern, 
dass  sie  statt  Bücher  Steine  verwendeten  und  Felsenklippen 
als  Papier  benutzten?  Auch  die  Emsigkeit  der  Bewohner  von 
Thule^)  darf  nicht  mit  Stillschweigen  übergangen  werden. 
Da  diese  wegen  der  natürlichen  Unfruchtbarkeit  ihres  Landes 
keine  Möglichkeit  haben,  die  Ueppigkeit  zu  fördern,  dagegen 
beständig  die  Pflichten  der  Massigkeit  erfüllen  und  jeden 
Augenblick  des  Lebens  dazu  verwenden,  ihre  Kenntnisse  von 
den  Thaten  fremder  Völker  zu  vermehren,  so  gleichen  sie 
jenen  Mangel  durch  ihre  geistige  Thätigkeit  wieder  aus*). 
Denn  sie  betrachten  es  als  ein  Vergnügen,  die  Geschichte  8 
aller  Völker  zu  kennen  und  aufzuzeichnen,  indem  sie  es  für 
nicht  weniger  rühmlich  halten,  die  Tüchtigkeit  anderer  zu 
besprechen,  als  selbst  welche  zu  zeigen.  Deren  Schätze,  reich 
an  geschichtlichen  Denkmälern,  habe  ich  eifrig  zu  Rate  ge- 
zogen, und  einen  nicht  geringen  Teil  des  vorliegenden  Werkes 
habe  ich  durch  Wiedergabe  von  ihren  Berichten  zustande  ge- 
bracht. Ich  trug  aber  kein  Bedenken,  sie  als  Gewährsmänner 
zu  verwenden,  da  ich  wusste,  welche  Kenntnis  des  Altertums 
sie  besitzen.  Auch  die  Angaben  ^)  Absalons  benutzte  ich,  und 
mit  gelehrigem  Geiste  und  Griffel  liess  ich  es  mir  angelegen 
sein,  seine  eigenen  Thaten  wie  die  anderer,  von  denen  er 
erfahren,  mit  einzuschliessen;  denn  ein  Zeugnis  seiner  ehr- 
würdigen Berichte  betrachtete  ich  als  eine  Art  himmlischer 
Unterweisung. 


'*)  Diesen    Zweck    erfüllt    das    Werk    noch    heute    als    eine    unserer 
wichtigsten  Quellen. 

*)  Bei  Saxo  sind  unter  den  Tylenses  zweifellos  die  Isländer  zu  ver- 
stehen, die  sich  ja  einer  reichen  Litteratur  erfreuten. 

*)  Diese  Erklärung  ist  kaum  zutreffend. 

*)  Unter  diesen  asserta  sind  mündliche  Angaben  zu  verstehen. 


6  Saxos  Vorrede. 

Darum  bitte  ich  dich,  Woldemarus^),  unsem  gnaden- 
reichen Fürsten  und  Vater,  du  hellstes  Licht  unseres  Vater- 
landes, dessen  Stamm,  ruhmvoll  seit  den  ältesten  Zeiten,  ich 
beschreiben  will,  dem  zweifelnden  Fortschritt  meiner  Arbeit 
mit  Geneigtheit  zu  folgen.  Denn  gebeugt  unter  der  Last 
meines  Vorhabens  furchte  ich,  dass  ich  vielmehr  den  Zustand 
meiner  Unkenntnis  und  meine  geringe  Veranlagung  offenbare, 

9  als  deine  Abstammung,  so  wie  es  sein  sollte,  darstelle.  Denn, 
abgesehen  von  deinem  gewaltigen  väterlichen  Erbe,  hast  du 
durch  die  Unterwerfung  der  Nachbarstämme  eine  bemerkens- 
werte Vergrösserung  deiner  Herrschaft  herbeigeführt;  bei  der 
mühsamen  Vermehrung  deines  Reiches  hast  du  selbst  die  auf- 

4  und  ab  wogenden  Fluten  der  Elbe  ihm  einverleibt  und  hast 
da<lurch  zu  deinen  zahlreichen  Ruhmestiteln  ein  nicht  unbe- 
deutendes Stück  hinzugefügt.  Durch  die  Grösse  deiner  Thaten 
hast  du  selbst  den  ehrenvollen  Ruf  deiner  Vorfahren  über- 
troffen,  denn  nicht  einmal  die  Grenzen  des  römischen  Reiches 
hast  du  mit  deinen  Waifeu  verschont.  Da  du  als  der  tapferste 
und  mildeste  Fürst  zugleich  giltst,  hast  du  es  nur  unent- 
schieden gelassen,  ob  du  mehr  deine  Feinde  im  Kriege 
schreckst  oder  deine  Bürger  durch  Freundlichkeit  bezauberst. 
Dein  erhabener  Grossvater*)  ferner,  geweiht  durch  die  Herrlich- 
keit unserer  Staatsreligion,  der  durch  die  Wohlthat  eines  un- 
verdienten Todes  den  Ruhm  der  Unsterblichkeit  erreichte, 
überstrahlt  jetzt  im  Glänze  der  Heiligkeit  diejenigen,  welche 
er  sich  einst  durch  seine  Siege  gewann.  Aus  seinen  hoch- 
heiligen Wunden  floss  mehr  Tugend  als  Blut.  —  Im  übrigen 
habe  ich  nach  der  alten,  erblichen  Pflicht  des  Gehorsams  be- 
schlossen, für  dich  zu  kämpfen,  wenigstens  soweit  die  Kräfte 
meines  Geistes  reichen:  Denn  mein  Vater  und  Grossvater  haben 
ja  hekanntermassen  während  der  Feldzüge  deines  erlauchten 


M  Waldemar  II.  (1202—41),  der  Bruder  Knuds  VI.;  1203  legte  er 
sich  bei  seiner  Krönung  in  Lübeck  zuerst  den  Titel  „König  der  Dänen 
und  Wenden"  bei. 

*)  Knud  der  Heilige,  Laward,  Her/og  von  Schleswig  und  König 
der  Obotriten,  ermordet  1131.  Ueber  ihn  und  seine  Thaten  handelt  Saxo 
im  XIIL  Buche. 


Widmung  an  Waldemar.     Beschreibung  Dänemarks.  ^ 

Vaters  mit  treuester  Ergebenheit  unter  den  Mühen  des  Kriegs- 
lebens gedient.  Auf  deine  Leitung  und  Nachsicht  also  gestützt, 
habe  ich  mich  entschlossen,  um  dann  das  übrige  desto  klarer 
auszuführen,  den  Anfang  mit  der  Lage  und  Beschreibung 
unseres  Vaterlandes  zu  machen.  Denn  die  Einzelheiten  kann 
ich  dann  um  so  genauer  behandeln,  wenn  ich  in  der  Einleitung 
zu  meiner  Geschichte  die  Oertlichkeiten,  wo  sich  die  Hand- 
lungen abspielen,  bespreche  und  mit  der  Schilderung  ihrer 
Lage  meine  Darstellung  beginne. 

Die  äussersten  Grenzen  unseres  Landes  werden  nun  teils  lo 
durch  die  Berührung  mit  fremdem  Boden  gebildet,  teils  werden 
sie  Ton  den  Fluten  des  nahen  Meeres  umschlossen.  Das 
Innere  aber  umströmt  ringsum  der  Ozean,  der  mehrere  Inseln 
bildet,  indem  er  in  vielfach  gewundenen  Zwischenräumen  bald 
schmale,  gekrümmte  Sunde  schafft,  bald  in  weiten  Buchten 
sich  in  die  Breite  ergiesst.  So  kommt  es,  dass  Dänemark, 
rings  umspült  von  den  Fluten  des  Meeres,  nur  wenig  festes 
und  zusammenhängendes  Landgebiet  hat;  denn  das  Dazwischen- 
treten so  grosser  Wogenmassen  reisst  es  immer  auseinander,  je 
nach  den  verschiedenen  Windungen  und  Biegungen  des  Meeres. 
Jütland  nimmt  davon  wegen  seiner  Grösse  und  seiner  leiten- 
den Stellung  den  ersten  Platz  im  dänischen  Reiche  ein^); 
denn  es  ist  am  weitesten  vorgeschoben  und  nähert  sich  in- 
folge seiner  La^e  am  meisten  den  Grenzen  Deutschlands. 
Von  dessen  Bereich  ist  es  durch  einen  Grenzfluss,  die  Eid  er, 
getrennt;  im  Norden  reicht  es  unter  einem  beträchtlichen  Zu- 
nehmen in  der  Breite  bis  zum  Strande  des  norwegischen 
Meeres^).  In  Jütland  ist  der  sogenannte  Liimfjord  so  reich 
an  Fischen,  dass  er,  wie  es  scheint,  den  Eingeborenen  ebenso 

^)  Saxo  ist  hier  ganz  unklar  und  dunkel;  die  Stelle  heisst:  Ex  bis 
Juüa  granditatis  inchoamentique  ratione  Daniel  refrm  principium  tenet. 
Inchoamentum  kann  hier  örtliche  oder  zeitliche  Bedeutung  haben,  d.  h. 
die  geographische  Lage  oder  die  Zeit  der  Besiedelung  bezeichnen.  Die 
dänischen  üebersetzer  umschreiben  die  Stelle  oder  bringen  beide  Mög- 
lichkeiten zum  Ausdruck;  auch  der  englische  üebersetzer  Elton  deutet 
beides  an.  Unsere  Uebertragung  glaubte  einen  dem  Lateinischen  ähn- 
lichen unbestimmten  Ausdruck  wählen  zu  sollen. 

')  D.  i.  das  Skagerrak. 


8  Saxos  Vorrede. 

viel  Unterhalt  liefert,  wie  das  gesamte  Ackerland.  In  der 
Nähe  liegt  auch  Nordfriesland  ^),  welches  von  einem  Vor- 
gebirge Jütlands  abbiegt  und  mit  seinen  tiefliegenden  Feldern 
und  dem   abschüssigen  Boden  weit  zurückreicht,  aber  dank 

6  der  Ueberschwemmungen  durch  den  Ozean  die  grösste  Frucht- 
barkeit erzielt.  Ob  diese  gewaltigen  Ueberflutungen  den  Ein- 
wohnern mehr  Nutzen  oder  Gefahr  bringen,  bleibt  ungewiss. 
Denn  wenn  bei  grossen  Unwettern  die  Deiche,  durch  welche 
dort  die  Fluten  der  See  gewöhnlich  aufgehalten  werden,  durch- 
brochen sind,  so  pflegt  sich  eine  solch  mächtige  Wassermasse 
über  die  Felder  zu  ergiessen,  dass  sie  zuweilen  nicht  nur  das 
Erträgnis  der  Aecker,  sondern  auch  Menschen  nebst  ihren 
Wohnungen  begräbt.     Oestlich   von   Jütland    findet  man  die 

11  Insel  Fünen,  welche  ein  ziemlich  schmaler  Meeresarm  ^)  vom 
Festlande  trennt.  W^ie  westlich  von  ihr  Jütland,  so  liegt 
östlich  von  ihr  Seeland,  das  wegen  seiner  hervorragen- 
den Fruchtbarkeit  an  Lebensmitteln  zu  loben  ist.  Diese 
Insel  äbertrift't  an  Schönheit  alle  Provinzen  unseres  Lan- 
des, und  sie  gilt  als  die  Mitte  von  Dänemark,  da  sie  von 
der  äussersten  Grenzlinie  fiberall  durch  gleiche  Zwischenräume 
geschieden  ist.  Von  Seelands  Ostseite  scheidet  ein  dazwischen 
liegender  Meeresarm*)  den  westlichen  Teil  von  Schonen*); 
dieses  Meer  pflegt  jedes  Jahr  den  Fischern  eine  sehr  aus- 
giebige Beute  in  die  Netze  zu  liefern.  Denn  der  ganze  Arm 
ist  mit  einer  solchen  Menge  von  Fischen  gefüllt,  dass  zu- 
weilen selbst  angestrengtes  Rudern  die  dort  hingeratenen 
Schifl*e  kaum  vorwärts  bringen  und  dass  man  die  Beute  ohne 
jedes  künstliche  Hilfsmittel  einfach  mit  den  Händen  fangen 
kann.     Ferner  schliessen  sich  Halland  und  Blekinge,  von 

')  Fresia  minor;  es  umfasst  ausser  den  nordfriesischen  Inseln  die 
Westküste  von  Schleswig  von  der  Eider  bis  Tondern.  Die  Küsten- 
gestaltung war  damals  anders  als  jetzt,  da  seitdem  wiederholt,  besonders 
im  Jahre  1634,  durch  Springfluten  gewaltige  Landmassen  vom  Meere 
verschlungen  wurden.  Eine  nähere  Beschreibimg  g^ebt  übrigens  Saxo 
noch  B.  XIV,  S.  464  (ed.  Holder). 

*)  Der  Kleine  Belt. 

•)  Der  Sund. 

♦)  Vgl.  S.  3  Anm.  2. 


Beschreibung  von  Dänemark.  -9 

Schonen  al8  Grundstock  wie  zwei  Aeste  aus  einem  gemein- 
samen Baumstamme  herTorspringend,  nach  langen  Biegungen 
und  verschiedenen  Einbuchtungen  an  Götland  und  Norwegen 
an.  In  Blekinge  ist  nun  ein  Fels  zu  sehen,  der  von  den  Be-  12 
Suchern  betreten  werden  kann  und  mit  wunderbaren  Schrift- 
zögen bedeckt  ist  Vom  Südstrande  ^)  fuhrt  nämlich  in  die 
Einöden  von  Verundien*)  ein  steiniger  Pfad,  den  zwei 
durch  einen  schmalen  Raum  getrennte  Linien  in  weiter  Länge 
einfassen.  Der  Raum  dazwischen  ist  geebnet  und  zeigt  überall 
eingegrabene  Zeichen,  die  zum  Lesen  bestimmt  sind.  Trotz 
der  unebenen  Bodenbeschaffenheit  —  denn  der  Weg  geht  bald 
über  Bergesgipfel,  bald  durch  tiefe  Thaleinschnitte  —  kann 
man  doch  in  ununterbrochener  Folge  die  Reibe  der  Buch- 
staben beobachten.  König  Woldemarus,  der  glückliche  Sohn  des 
heiligen  Kanutus,  wünschte  nun  voller  Verwunderung  die  Be- 
deutung dieser  Schriftzüge  kennen  zu  lernen  und  sandte  Leute 
ab,  welche  den  Felsen  besuchen,  die  Reihe  der  offen  liegen- 
den Zeichen  sorgfältig  verfolgen  und  dann  mit  Zuhilfenahme 
von  gleichgestalteten  Runenzeichen  aufschreiben  sollten.  Diese 
Männer  konnten  aber  deswegen  keine  Deutung  aus  ihnen  her- 
auslesen, weil  die  gemeisselten  Vertiefungen  teils  durch  Schmutz 
ausgefüllt,  teils  durch  die  Fusstritte  der  Wanderer  vernichtet 
waren  und  so  die  Abnutzung  des  Weges  die  ganze  lange  Reihe  6;  18 
unlesbar  gemacht  hatte  ^).  Daraus  kann  man  ersehen,  dass 
selbst  in  festen  Felsen  eingeritzte  Schriftzüge  sich  durch  be- 
ständige Feuchtigkeit  verwischen  oder  durch  den  zusammen- 
strömenden Schmutz  oder  durch  beständige  nasse  Niederschlage 
ineinander  verlaufen. 


*)  D.  i.  der  Ostsee. 

*)  Heute  Värnsland,  das  Gebiet  um  die  Stadt  Vexiö  in  Smaaland 
n  Südflchweden. 

•)  Vgl.  hierzu  B.  VLI,  S.  247,  18  (Holder);  dieser  sogenannte  Kuuamo 
hat  bis  in  unser  Jahrhundert  wirklich  als  ein  Runendenkmal  gegolten.  Die 
neuere  Forschung  hat  es  aber  als  zweifellos  erwiesen,  dass  die  scheinbaren 
Schriftzeichen  nicht  von  3Ienschenhand  herrüJiren  sondern  Gebilde  der 
Xatur  sind. 


10  Saxos  Vorrede. 

Da  nun  Schweden  und  Norwegen  der  Sprache^)  wie 
der  Lage  nach  zu  unserem  Lande  gehören,  will  ich  auch  deren 
Gliederung  und  Klima,  wie  bei  Dänemark,  beschreiben.  Diese 
Provinzen  liegen  unter  dem  Nordpol  nach  dem  Bootes  und 
Arktos  zu^)  und  berühren  in  ihren  äussersten  Ausläufer  den 
Parallelkreis  der  kalten  Zone.  Jenseits  von  ihnen  hat  die 
ungewöhnlich  grimme  Kälte  für  menschliche  Wohnungen  keinen 
liaum  mehr  gelassen.  Von  diesen  beiden  Provinzen  hat  Nor- 
wegen  durch  die  Ungunst  der  Natur  eine  hässliche,  steinige 
Bodenbeschaffenheit  erhalten.  Unfruchtbar  wegen  der  vielen 
Felsen  und  allenthalben  mit  Klippen  übersät,  bietet  es  mit 
diesen  Trümmern  einen  traurigen  und  zerklüfteten  Anblick. 
Im  nördlichsten  Teile  verbirgt  sich  nicht  einmal  bei  Nacht 
das  Tagesgestirn,  sodass  die  dauernde  Gegenwart  der  Sonne, 
die  wechselnde  Aufeinanderfolge  der  Tageszeiten  verschmähend, 
Tag  und  Nacht  in  gleicher  Weise  mit  ihrem  Lichte  dient. 

W^estlich  hiervon  liegt  eine  Insel,  welche  die  Eis  in  sei  *) 
U  genannt  wird,  ein  Land,  recht  ungastlich  *)  für  die  Bewohner, 
aber  zu  rühmen  wegen  einiger  merkwürdiger  Thatsachen,  die 
fast  das  Mass  der  Glaubwürdigkeit  überschreiten.  Es  giebt 
dort  eine  Quelle^),  welche  durch  ihr  rauchendes  Wasser  die 
natürliche  Beschaffenheit  jedes  beliebigen  Dinges  zerstört. 
Denn  was  immer  von  dem  Dunste  jenes  Rauches  berührt  wird, 
verwandelt  sich  in  harten  Stein.  Ob  diese  Erscheinung  mehr 
wunderbar  oder  geföhrlich  ist,  bleibt  zweifelhaft,  da  dem 
flüssigen,  geschmeidigen  Wasser  eine  solche  Starrheit  inne 
wohnt,  dass  alles,  was  ihm  nahe  kommt  und  von  dem  rau- 


*)  Die  skandinavischen  Mundarten  älinclten  sich  in  ihren  älteren 
Entwickelungsstufen  viel  mehr  als  jetzt;  noch  am  Ende  der  Wikinjjerzeit 
wird  von  oiner  einheitlichen  „Dänischen  Sprache**  {gesprochen.  Genaueres 
über  die  Geschichte  der  nordischen  Sprachen  siehe  bei  Xoreen  in  Pauls 
Grundriss  \  I,  518  flF. 

*)  Diese  Bestimmungren  bezeichnen  nur  allj^emein  die  nördliche  Lage. 

•)  Island.     Vgl.  über  diese  Insel:  Poestion,  Island.    Wien  1H85. 

*)  Das  ist  wohl  der  richtige  Sinn  von  Saxos  dunklem  und  unge- 
wöhnlichem Ausdruck:  obsolete  habitattonis  tellus. 

•)  Die  isländischen  heissen  Quellen  haben  infolge  Aussonderung  von 
Kieselsinter  dieselbe  Wirkung  wie  die  Ix'kaniiten  Karlsbader  Sprudel. 


Besehreibung  v.  Norwegen  u.  Island.  H 

chenden  Dampfe  überströmt  wird,  in  plötzlichem  Wandel  zu 
Stein  wird,  indem  nur  die  äussere  Form  erhalten  bleibt.  Man 
erzählt  dort  auch  noch  von  anderen  Quellen  ^),  welche  zeit- 
weise von  einer  Menge  anschwellenden  Wassers  gefüllt  sind  und 
in  ihren  vollen  Becken  aufschäumend  zahlreiche  Strahlen  in 
die  Höhe  schleudern;  zu  anderen  Zeiten  aber  hört  das 
^Sprudeln  auf,  man  kann  sie  kaum  mehr  auf  dem  Grunde  er- 
blicken und  sie  verschwinden  in  die  tiefsten  Spalten  unter 
der  Erde.  So  kommt  es,  dass  sie  beim  Springen  alles,  was 
in  der  Nähe  ist,  mit  ihrem  glänzenden  Schaume  bespritzen, 
wenn  sie  leer  sind,  aber  auch  nicht  vom  schärfsten  Auge 
wahrgenommen  werden.  Ebenso  liegt  auf  dieser  Insel  ein 
Berg,  der  infolge  seiner  fortwährenden  Feuerfluten  wie  ein  15 
sternbesäter  Fels  aussieht;  denn  aus  seinem  ewig  flammenden 
Gipfel  wirft  er  ununterbrochen  Gluten  aus^).  Diese  Er- 
scheinung ist  ebenso  wunderbar  wie  die  vorigen;  denn  ein 
Land,  das  in  der  äussersten  Kältezone  liegt,  ist  so  ergiebig  7 
an  siedender  Hitze,  dass  es  mit  einer  verborgenen  Nahrung 
ein  ewiges  Feuer  unterhält  und  durch  seine  Glut  einen  un- 
unterbrochenen Brand  zustande  bringt.  Zu  gewissen,  genau 
bestimmten  Zeiten  treibt  auch  eine  unendliche  Masse  Eis  an 
diese  Insel  heran ').  Sobald  dieses  bei  der  Ankunft  auf  die 
rauhen  Klippen  zu  stossen  beginnt,  hört  man,  gleich  als  ob 
die  Felsen  ihm  entgegenbrullten,  donnernde  Stimmen  vom 
hohen  Meer  und  verschiedenartigen  Lärm  infolge  von  unge- 
wöhnlichen Ausrufen.  Daher  glaubte  man,  dass  die  Seelen 
derer,  die  wegen  verbrecherischen  Lebenswandels  hingerichtet  16 
wurden,  dort  in  der  bitteren  Kälte  für  ihre  Vergehen  büssten. 
Wenn  man  nun  ein  Stückchen  von  dieser  Masse  abhaut  und 
es  noch  so  fest  mit  Knoten  und  Schlingen  anbindet,  so  sprengt 
es  doch,  sobald  das  oben  beschriebene  Eis   sich  vom   Lande 


*)  Der  grosse  und  kleine  Geysir,  der  Strokkr  und  noch  über  40 
kleinere  heisse  Sprudelquellen  nordwestlich  vom  Hekla. 

*)  Obwohl  der  Vulkan  Hekla  nicht  beständig  Ausbrüche  hat,  ist  er 
doch  gewiss  gemeint;  die  Schilderung  ist  eben  übertrieben. 

•)  Treibeis  aus  dem  nördlichen  Eismeer  von  (]^rönland  her,  das  aber 
nicht  periodisch  kommt. 


12  Saxos  Vorrede. 

losreisst,  alle  Fesseln  und  Bande  ^).  Man  staunt  voll  Ver- 
wunderung, wenn  solch  ein  Stück  trotz  seiner  Befestigung 
durch  unentwirrbare  Knoten  und  vielfach  hindernde  Ver- 
schlingungen dem  Aufbruch  der  Masse,  von  der  es  ein  Teil 
war,  so  folgt,  dass  es  durch  die  unvermeidliche  Notwendigkeit 
seiner  Flucht  auch  die  sorgsamste  Aufsicht  fruchtlos  macht. 
Es  giebt  dann  dort  noch  zwischen  den  Bergesjochen  und 
Felsenspitzen  eine  andere  Art  Eis,  welche  sich  in  beständigem 
Wechsel  in  einer  Art  fortwährender  Veränderung  so  bewegen 
soll,  dass  das  oberste  in  die  Tiefe  sinkt,  dann  wieder  das 
unterste  oben  heraufkommt^).  Als  Bestätigung  für  die  Rich- 
tigkeit dieser  Behauptung  führt  man  an,  dass  einige  Leute, 
17  welche  über  das  ebene  Eisfeld  dahineilten,  in  die  ihnen  ent- 
gegenstehenden Schlünde  tief  in  den  gähnenden  Abgrund  hin- 
eingestürzt und  bald  nachher  tot  aufgefunden  worden  seien, 
ohne  dass  die  geringste  Eisspalte  zu  sehen  war.  Daher  pflegen 
manche  Leute  zu  glauben,  dass  diese  Eisurne  ^)  die,  welche 
sie  verschlungen  hat,  später  bei  der  Umstürzung  wieder  her- 
ausgiebt.  Der  Sage  nach  soll  dort  auch  eine  Quelle  mit  tod- 
bringendem Wasser  sprudeln;  denn  jeder,  der  davon  kostet, 
stürzt  wie  vergiftet  nieder*).  Es  giebt  auch  noch  andere 
Quellen,  deren  schäumendes  Wasser  einen  eigentümlichen 
Hiergeschmack    haben    solP).      Femer    finden    sieh    da  noch 


^)  Eine  Fabel,  die  sich  wohl  aus  dem  oft  ganz  plötzlichen  Kommen 
und  Wepfpehen  des  Treibeises  erklärt. 

*)  Dieser  fabelhaft  ausgeschmückte  Bericht  beruht  im  Grunde  doch 
auf  Wahrheit;  ähnliche  Vorstellungen  herrschen  übrigens  bei  manchen 
Alpenvölkern,  da  das  Gletschereis  ähnliche  Erscheinungen  aufweist.  Da 
nämlich  die  Gletscher  von  innen  heraus  wachsen  und  an  der  Oberfläche 
allmählich  abtauen,  so  kommen  Gegenstände,  die  in  ihre  Spalten  ver- 
sunken waren,  oft  nach  Jahren  wieder  oben  zum  Vorschein. 

')  Auch  dies  ist  ein  seltsamer  und  nicht  recht  verständlicher  Aus- 
druck Saxos  (fundc  glacialis  urna). 

*)  Das  scheint  eine  blosse  Fabel  zu  sein. 

*)  Dies  sind  die  sogenannten  Olkeldur  =  Bierquellen,  mit  starkem 
Kohleiisäuregehalte.  Vgl.  K.  Weinhold,  Altnordisches  Leben,  Berlin 
1850,  S.  31>3. 


Beschreibung  v.  Island  u.  Norwegen.  13 

Feuer,  welche  zwar  Flachsgewebe  ^)  nicht  zerstören  können, 
wohl  aber  flüssiges  Wasser  verzehren.  Dann  ist  noch  ein 
Fels  da,  welcher  ohne  äussere  Veranlassung  infolge  eigener, 
ihm  natürlicher  Bewegung   über  die  Bergabhänge  hinfliegt^). 

Um  nun  noch  etwas  näher  auf  die  Beschreibung  Nor- 
wegens einzugehen,  möge  man  wissen,  dass  es  im  Qsten  an 
Schweden  und  Götland  grenzt  und  an  beiden  Seiten  von  dem 
benachbarten  Ozean  völlig  eingeschlossen  ist.  Im  Norden  18 
liegt  ein  Gebiet  von  unbekannter  Bezeichnung  und  Beschaffen- 
heit, menschlicher  Kultur  bar,  aber  reich  an  Völkern  von  un- 
geheuerlicher Seltsamkeit*);  von  den  gegenüberliegenden 
Teilen  Norwegens  trennt  es  ein  gewaltiger  Meeresarm.  Da 
die  Schiffahrt  auf  diesem  sehr  unsicher  ist,  erfreuten  sich  nur  8 
wenige,  die  sich  dahin  wagten,  einer  glücklichen  Rückkehr. 

Uebrigens  berührt  der  obere  Arm  des  Ozeans  *),  der  Däne- 
mark durchschneidet  und  an  ihm  vorbeifliesst,  die  Sudküste 
von  Götland  mit  einer  ziemlich  grossen  Bucht.  Der  untere 
Zweig*)  aber,  der  an  der  Nordküste  von  Götland  und  Nor- 
wegen vorbeiströmt,  wendet  sich  unter  einer  sehr  beträcht- 
lichen Erweiterung  nach  Osten  und  wird  durch  eine  gekrümmte 
Küste  begrenzt.  Dieses  Ende  des  Meeres  nannten  unsere 
alten  Ureinwohner  Gandvicus.  Zwischen  diesem  und  dem 
südlichen  Meere  liegt  ein  kleines  Gebiet  Festland*),  welches 
das  von  beiden  Seiten  heranspülende  Meer  vor  sich  hat.  Wenn 
also  nicht  die  Natur   diesen  Raum  als  Grenze  den  fast  zu- 


')  Statt  Flachsgewebe  (linum)  ist  vielleicht  lignum  (Holz)  zu  lesen, 
da  von  solchen  Flammen  auch  »onst  berichtet  wird;  manche  Erklärer 
denken  hierbei  an  eine  Art  Naphtaquellen. 

*)  Vielleicht  Lavaschutt  oder  LaWnen. 

*)  Man  kann  schwanken,  ob  Saxo  hierbei  Grönland  oder  das  sagen- 
hafte Riesenland,  Jötunheim,  im  Sinne  gehabt  hat. 

*)  D.a8  ist  die  Ostsee  und  der  Bottuische  Meerbusen. 

^)  Atlantischer  Ozean  und  nördliches  Eismeer  bis  zum  Weissen 
Meere,  das  isländisch  Gandwik  heisst. 

*)  Infolge  der  mangelhaften  geographischen  Kenntnisse  des  Mittel- 
alters eine  falsche  Anschauung,  da  die  kürzeste  Enifernung  zwischen 
Bottnischem  Meerbusen  und  Weissem  Meere  rund  .50  deutsche  Meilen 
beträgt. 


14  Saxos  Vorrede. 

sammenströmenden  Fluten  entgegengesetzt  hätte,  wären  die 
Meeresarme  ineinander  übergegangen  und  hätten  Schweden 
und  Norwegen  zu  einer  Insel  gemacht.  Die  östlichen  Gebiete 
dieser   Länder  bewohnen   die  Skrikfinnen  ^).     Dieses  Volk 

19  kennt  ganz  seltsame  Gefährte^),  erklimmt  in  seiner  Jagdlust 
unzugängliche  Bergesgipfel  und  erreicht  die  Stellen,  die  ihm 
gefallen,  vermittels  eines  schlüpfrigen  Kreisweges;  denn  kein 
Fels  ragt  so  hoch,  dass  sie  nicht  durch  einen  schlauen  Rund- 
gang auf  seine  Spitze  gelangten.  Wenn  sie  nämlich  die  Tiefe 
der  Thäler  verlassen  haben,  so  gleiten  sie  zuerst  um  den  Fuss 
der  Berge  in  gewundenen  Kreislinien  herum  und  legen  ihren 
Weg  so  unter  beständigem  Abweichen  nach  oben  zurück,  bis 
sie  auf  dem  vielfach  gekrümmten  Pfade  ihr  Ziel,  die  Spitze, 
erreicht  haben.  Bei  den  Nachbarvölkern  pflegen  sie  als  Ware 
gewisse  Tierfelle  zu  verwenden. 

Im  Westen  blickt  also  Schweden  nach  Dänemark  und 
Norwegen;  im  Süden  und  einem  grossen  Teile  des  Ostens 
wird  es  von  dem  benachbarten  Ozean  bespült.  Oestlich  von 
Schweden  findet  sich  noch  ein  zahlreiches  Gemenge  verschiede- 
ner Barbarenvölker  *). 

Dass  Dänemark  einst  von  Riesen  bewohnt  und  bebaut 
worden  ist,  bezeugen    die  gewaltig  grossen  Felsen,  die  sich 

20  an  den  Grabstätten  und  Höhleo  der  Alten  befinden.  Wenn 
jemand  zweifelt,  dass  dies  durch  -übernatürliche  Kraft  ge- 
schehen, so  möge  er  nur  die  Höhe  einiger  Berge  betrachten 
und  sagen,  wenn  er  es  imstande  ist,  wer  denn  auf  ihre  Gipfel 
solche  gewaltige  Steinmassen  gebracht  haben  mag.  Denn 
jeder  Beobachter  dieses  Wunders  wird  es  für  undenkbar 
halten,   dass  einfache  Menschenarbeit  oder  nur  gewöhnliche 


*)  Sie  gehören  zur  finnisch  -  lappischen  Rasse;  der  erste  Bestandteil 
des  Wortes,  Skrik,  ist  wohl  nur  Schreibfehler  für  Skrith-  (vgl.  sonstiges 
lat.  Scrithofinni,  isl.  Finor  skriOr).  Dieses  Sknth(o)  gehört  zu  dän.  skride, 
deutsch  schreiten.  Die  älteste  Nachricht  von  ihnen  verdanken  wir  Tacitua, 
Genn.  46.  Weiteres  über  sie  siehe  bei  Müllenhoff,  Deutsche  Altertums- 
kunde, Bd.  II,  S.  40ff.;  vgl.  auch  8axo  IX  309  (Holder). 

•)  Schneeschuhe. 

•)  Russische  Völkerstärame. 


Die  Finnen.     Schweden.     Dänemark.  15 

Menscheokraft  solche  Lasten,  die  schon  in  der  Ebene  gar 
nicht  oder  nur  sehr  schwer  fortzubewegen  wären,  auf  die 
Höhe  solcher  Bergspitzen  geschafft  habe.  Ob  aber  nach  dem 
Verlauf  der  Sintflut  Riesen  die  Vollbringer  derartiger  Dinge 
gewesen  sind  oder  Menschen,  die  vor  allem  andern  mit  Kör- 
perkraft begabt  waren,  darüber  i$t  uns  zu  wenig  überliefert. 
Die  Leute  aber,  welche,  wie  wir  oben  erwähnten,  noch  heute 
jene  schroffe  und  unzugängliche  Einöde  bewohnen,  sind  nach 
der  Versicherung  unserer  Landsleute  infolge  ihrer  veränder- 
lichen Körperbeschaffenheit  mit  der  wunderbaren  und  uner- 
hörten Fertigkeit  ausgestattet,  sich  zu  nähern  oder  zu  ent- 
fernen und  abwechselnd  zu  erscheinen  und  zu  verschwinden  ^). 
Der  Zugang  zu  dieser  Einöde  aber  ist  durch  entsetzliche  Ge- 
fahren versperrt,  und  nur  selten  war  denen,  die  sie  besuchten, 
eine  glückliche  Rückkehr  beschieden.  Jetzt  aber  will  ich  mich 
zu  meinem  Stoffe  wenden. 


*)  Vgl.  hierzu  Buch  I  S.  29  flF. 


10;  21  Erstes  Buch. 


Dan^)  und  AngiiP),  von  denen  sich,  der  Ursprung  der 
Dänen  herleitet,  Söhne  des  Humblus'),  waren  oicht  nur  die 
Begründer  unseres  Volkes^  sondern  auch  seine  ersten  Lenker. 
Dudo^)  allerdings,  der  Verfasser  der  aquitanischen  Geschichte, 
behauptet,  dass  die  Dänen  von  den  Danaern  stammten  und 
nach  ihnen  benannt  seien  ^).  Diese  beiden  gewannen  zwar 
nach  Wunsch  und  Willen  ihres  Heimatlandes  die  Herrschaft 
über  das  Reich  und  erhielten  wegen  ihrer  hervorragenden 
Verdienste  und  Heldenthaten  unter  dem  Beifall  ihrer  Lands- 
leute die  oberste  Leitung*).  Doch  sie  herrschten  olme  den 
Königstitel;  denn  dessen  Gebrauch  war  in  damaliger  Zeit  bei 
uns  weder  üblich  noch  angesehen. 


^)  Dan  als  Stammvater  der  dänischen  Könige  ist  nur  iu  dänischer, 
nicht  in  isländischer  Ueberliefenmg  bekannt;  dass  das  Dänenreich  nach 
ihm  benannt  wurde,  berichtet  auch  die  Ynglingasaga,  Kap.  17.  (Hrageg. 
in  der  Heimskringla  des  Snorri  Sturluson  von  Finnur  Jonsson:  Kopen- 
hagen, 1893  ff.  Vgl.  A.()lrik,Kilderne  tu  SaksesOldhistorie  1,112;  H,  139fr. 

')  Die  Stammeszusammengehörigkeit  der  Angelsachsen  und  Dänen 
wird  auch  von  angelsächsischen  Schriftstellern  betont..  Beide  Stammes- 
heroen verdanken  sicher  erst  späterer  Sage,  die  eben  Erklärung  des 
Volksnamens  bezweckte,  ihren  Ursprung. 

')  Ist  sonst  nicht  bekannt. 

*)  Dudo,  Dekan  von  St.  Qucntin,  vollendete  etwa  1002  sein  Werk: 
^Uistoria  Normannorum  scu  De  moribus  et  actis  primonim  Xormanniae 
ducum  libri  III.*^  (Hrsg.  in  Mignes  Patrologia  latina  CXLI  p.  609  ff.) 
I'nsere  Stelle  S.  H21  C. 

*)  Trojanischer  Abkunft  rühmten  sich  (abgesehen  von  den  Römern) 
auch  die  Britten  und  Franken.  Vgl.  über  die  Trqjasage  V.  Rydberg, 
l^ndersökningar  i  Germ.  Mythol.  I,  24  ff. 

•)  Die  Einigung  des  Dänen  reiches  ist  der  Kern  der  Dansage.  Vgl. 
Olrik  U,  139, 


Dan  u.  Angnl;  Humblus  u.  Lotherus.  17 

Von  diesen  Hess  Angul,  von  welchem  der  Ueberlieferung  32 
nach    die  Anfänge  des  anglischen  Volkes   herrühren,    das 
Gebiet,  welches  er  beherrschte,  nach  seinem  Namen  benennen, 
um    durch   dieses  leicht  errichtete   Denkmal  sein  Andenken 
zu  verewigen.    Denn  seine  Nachfolger  bemächtigten  sich  später 
Britanniens  und  vertauschten  den  ursprünglichen  Namen  der 
Infiel  mit  einer  neuen  Bezeichnung,  mit  der  nach  ihrem  Vater- 
lande.     Dieser  That  wurde  von  den  Alten  hohe  Bedeutung 
beigemessen.     Zeuge   dafür  ist  Beda^),   ein  hervorragender 
Mitarbeiter  an  den  göttlichen  Werken,  der,   in  England  ge- 
boren, es  sich  augelegen  sein  Hess,  in  die  hochheiligen  Schätze 
seiner  Bücher  auch  die  vaterländische  Geschichte  mit  aufzu- 
nehmen; denn  er  hielt  es  in  gleicherweise  für  Glaubenssache, 
die  Thaten  seines  Vaterlandes  in  seinen  Schriften  zu  verherr- 
lichen, wie  die  Geschichte  der  Kirche  aufzuzeichnen. 

Von  Dan  ging  nun,  wie  das  Altertum  überliefert,  die 
Ahnenreihe  unserer  Könige,  wie  Kanäle  von  einem  Urquell, 
in  glänzender  Aufeinanderfolge  aus.  Er  hatte  zwei  Söhne, 
Humblus  und  Lotherus,  von  Grytha.  einer  Frau,  die  bei 
den  Teutonen  in  höchstem  Ansehen  stand. 

Wenn  die  Alten  einen  König  wählen  wollten,  so  pflegten 
sie  sich  auf  Felsstücke,  die  im  Boden  steckten,  zu  stellen 
und  80  ihre  Stimmen  abzugeben,  um  durch  die  Festigkeit  der 
Steine  unter  ihnen  die  Dauer  ihrer  That  anzudeuten*).  Auf  u 
diese  Weise  wurde  Humblus  nach  dem  Tode  seines  Vaters 
durch  eine  neue  Wohlthat  seines  Vaterlandes  zum  Könige 
gewählt;  doch  später  wurde  er  durch  die  Ungunst  des  Schick- 
sals wieder  aus  einem  Könige  ein  gemeiner  Mann.  Er  wurde 
nämlich  im  Kriege  von  Lotherus  gefangen  und  musste  sein 

^)  fieda  mit  dem  Beinamen  Venerabilis  ist  geboren  672,  gestorben 
als  Presbyter  im  Kloster  J  arrow  (Northumberland)  735.  Sein  Hauptwerk 
ist  die  fiistoria  ecclesiastica  gentis  Anglorum  (hrsg.  von  A.  Holder,  Frei- 
burg 1882),  wo  unsere  Stelle  Buch  I,  15  ff.  steht.  Im  Folgenden  sind 
seine  theologischen  Werke,  Predigten,  Homilien,  Kommentare  u.  s.  w. 
gemeint;  über  ihn  vgl.  Ebert,  Allg.  Gesch.  d.  Litt.  d.  Mittelalters  im  Abend- 
lande  I,  595  ff. 

*)  Dieser  Brauch,  von  dem  sonst  nichts  erwähnt  wird,  scheint 
ebenso  wie  seine  Deutung  eine  Erfindung  Saxos  zu  sein. 

Saxo  Grammaticus«  2 


18  Erstes  Buch. 

Leben  durch  Niederlegung  der  Herrschaft  erkaufen*);  denn 
nur  diese  einzige  Möglichkeit  zur  Rettung  wurde  ihm  in  seiner 
Gefangenschaft  gewährt.  So  sah  er  sich  durch  die  Gewalt- 
that  seines  Bruders  gezwungen,  der  Regierung  zu  entsagen, 
und  lieferte  der  Welt  einen  Beweis  dafür,  dass  an  Höfen  zwar 
mehr  Glanz,  aber  weniger  Sicherheit  herrscht  als  in  Hütten. 
23  Uebrigens  ertrug  er  die  Unbill  so  ergeben,  dass  man  glauben 
konnte,  er  freue  sich  über  den  Verlust  seiner  Ehre  wie  über 
eine  Wohlthat;  er  mochte  wohl  wie  ein  Weiser  die  Beschaifen- 
heit  der  königlichen  Würde  betrachten.  Lotherus  aber  zeigte 
sich  als  König  ebenso  unerträglich  wie  als  Kriegsmann,  so 
dass  es  geradezu  schien,  als  ob  er  mit  Frechheiten  und  Ver- 
brechen seine  Herrschaft  beginnen  wolle.  Denn  er  hielt  es 
für  richtig,  gerade  den  Vornehmsten  Leben  oder  Vermögen 
zu  nehmen  und  das  Vaterland  gutgesinnter  Bürger  zu  be- 
rauben; betrachtete  er  doch  alle  ihm  Ebenbürtigen  als  Neben- 
buhler in  der  Herrschaft.  Er  blieb  aber  nicht  lange  straflos 
für  seine  Frevel;  bei  einem  Aufruhr  in  seinem  Lande  wurde 
er  getötet.  So  raubte  ihm  dieses  nun  das  Leben,  wie  es  ihm 
einst  die  Herrschaft  gespendet  hatte. 

Sein  Sohn  Scioldus^)  erbte  die  natürliche  Veranlagung, 
nicht  aber  seinen  Charakter  von  ihm,  und  durch  äusserste 
Vorsicht  in  seinen  zarteren  Jahren  gelang  es  ihm  auf  seinem 
Lebenspfade,  an  allen  Spuren  vorbeizukommen,  die  ihn  auf 
denselben  Irrweg  wie  seinen  Vater  hätten  führen  können. 
Wie  er  sich  nun  klüglich  von  den  Lastern  seines  Vaters  fern- 
hielt, so  artete  er  glücklieh  den  Tugenden  seines  Grossvaters 


*)  Der  Kampf  zwischen  Rumblus  und  Lotherus  ist  wohl  eine 
schw^ache  Erinnening  an  den  grossen  historischen  Kampf  zwischen  Hunnen 
und  Goten,  von  dem  auch  die  Herv'ararsaga  berichtet.  Vj»:l.  Olrik  II, 
141  und  Heinzel  i.  d.  Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad.  CXIV,  2,  460. 

*)  Scioldus,  altnrd.  SkjÖldr,  d.  i.  „Schild,  Schätzer,  Hüter"  iat  nach 
isländischer  Ueborlioferung  der  Sohn  Odins,  der  erste  dänische  König; 
als  seine  Gemahlin  gilt  die  Asin  Gefjon.  Auch  das  Beowulfslied  (hrsg. 
von  M.  Hcine-Socin  •,  Paderborn  1898)  kennt  ihn  als  Scyld,  den  Sohn 
Scofs.  Nach  ihm  heissen  die  Dänenkönige  Skiöldunge.  Vgl.  hierüber 
Skjoldungasaga,  hrsg.  v.  A.  Olrik  in  Aarb.  f.  nor.  oldkyndigh.  2.  rsekke  9 
(1894);  die  Edda,  übers,  v.  H.  Gering.  S.  375  A.  5;  Olrik  II,  141. 


Humblus  u.  Lotherus;  Scioldus.  19 

nach;  denn  er  hatte  einen  zwar  weiter  zurückliegenden,  aber 
um  80  vorzüglicheren  Anteil  an  dem  erblichen  Familien- 
Charakter  erhalten.  Schon  in  seiner  Jugend  zeichnete  er  sich 
unter  den  Jägern  seines  Vaters  durch  die  Ueberwältigung 
eines  gewaltigen  Tieres  aus,  und  der  wunderbare  Ausgang 
der  Sache  deutete  bereits  die  Art  seiner  künftigen  Helden- 
baftigkeit  an.  Denn  als  er  einst  von  seinen  Lehrmeistern, 
die  ihn  mit  grösster  Sorgfalt  erzogen  ^),  die  Erlaubnis  erhielt, 
einer  Jagd  zuzusehen,  begegnete  ihm  ein  Bär  von  ungewöhn- 
licher Grösse ;  da  er  nun  waffenlos  war,  fesselte  er  ihn  mit 
dem  Gürtel,  den  er  gewöhnlich  trug,  und  Hess  ihn  dann  von 
seinen  Begleitern  töten.  Er  soll  aber  auch  um  dieselbe  Zeit 
mehrere  Kämpen  von  erprobter  Tapferkeit  Mann  für  Mann  24 
besiegt  haben,  von  denen  Attalus  und  Scatus^)  besonders 
berühmt  waren.  Im  Alter  von  fünfzehn  Jahren  zeigte  er  bei 
einem  ganz  nngewöhnlichen  körperlichen  Wachstum  die  voll- 
kommenste Ausbildung  menschlicher  Stärke,  und  so  glänzend 
waren  die  Proben,  die  er  von  seiner  Veranlagung  ablegte, 
dass  nach  ihm  die  übrigen  Dänenkönige  Scioldunge  genannt 
wurden.  [Zugleich  spornte  er  auch  alle,  welche  ein  verworfenes 
und  verweichlichtes  Leben  führten  und  ihre  Selbstzucht  durch 
Ueppigkeit  erschütterten,  eifrig  an,  in  reger  Thätigkeit  sich 
Tüchtigkeit  anzueignen.] 

Mit  der  Reife  des  Geistes  eilte  nun  Scioldus  noch  der  12 
Ausbildung  seiner  Kräfte  voraus,  und  er  focht  Kämpfe  aus, 
bei  denen  er  wegen  seines  zarten  Alters  kaum  hätte  Zuschauer 
sein  können.  In  dieser  Frühreife  seiner  Jahre  und  seiner 
Tüchtigkeit  freite  er  um  Alwilda,  die  Tochter  des  Sachsen- 
königs, wegen  ihrer  ausserordentlichen  Schönheit;  um  ihret- 
willen forderte  er  Scatus,  den  Statthalter  von  Allemannien, 
einen  Mitbewerber  um  dasselbe  Mädchen,  heraus  und  kämpfte 


^)  Es  ist  fast  Regel  im  alten  Skandinavien,  besonders  in  vornehmen 
Häusern,  die  Kinder  zur  Erziehung  andern  zu  übergeben.  Vgl.  Wein- 
hold, Altn.  Leb.  S.  285  ff.  und  K&lund  in  Pauls  Grundr.  «  UI,  416.  Siehe 
auch  unten  S.  28  und  84. 

^  Diese  Eigennamen  sind  ursprünglich  Appellativa:  atall  =  schlimm, 
böse;  skati  =  ein  freigebiger  Mann,  dann  Krieger,  Held. 

2* 


■20  Grates  Buch. 

mit  ihm  angesichts  des  Heeres  der  Teutonen  und  D&nen.  Er 
tötete  ihn  und  zwang  das  ganze  alieroannische  Volk,  das  ja 
zugleich  mit  dem  Falle  seines  Führers  besiegt  war,  zur  Tribut- 
zahlimg.  Er  zeichnete  sich  aber  nicht  bloss  durch  Waifen- 
thaten,  sondern  auch  durch  liebevolle  Sorge  um  sein  Land 
aus.  Denn  schlechte  Gesetze  schaffte  er  ab,  gute  fährt«  er 
ein,  und  was  nur  immer  die  Hebung  der  Lage  seines  Vater- 
landes betraf,  das  leistete  er  mit  höchster  Umsicht.  Er  ge- 
wann aber  auch  die  Herrschaft,  die  sein  Vater  wegen  seiner 
Schlechtigkeit  eingebOsst  hatte,  durch  seine  Tüchtigkeit  wieder. 
Er  gab  zuerst  das  Gesetz  über  die  bedingte  Aufhebung  der 
<  Sklavenfreilassung ').  Als  ein  Sklave,  dem  er  seihst  die  Frei- 
heit geschenkt  hatte,  einen  heimtückischen  Mordanschlag  auf 
ihn  machte,  vollzog  er  eine  solche  schwere  Strafe,  als  sei  es 
billig,  dass  das  Verbrechen  eines  einzigen  Freigelassenen  eine 
Bestrafung  aller  herbeiführe.  Die  Schulden  aller  bezahlte  er 
aus  seinem  eignen  Schatze,  und  er  wetteiferte  gewissermassen 
mit  andern  Königen  an  Heldenmut,  Güte  und  Freigebigkeit. 
Kranke  pflegte  er  mit  Linderungismitteln  zu  versehen  und 
allen  schwer  Leidenden  gar  gütig  Arzeneien  zu  verabreichen'), 
um  zu  bezeugen,  dass  er  nicht  die  Fürsorge  für  sich,  sondern 
für  das  Vatertand  übernommen  habe.  Seinen  vornehmen 
Kriegern  gewährte  er  nicht  nur  Sold  und  Kost,  sondern  auch 
die  dem  Feinde  abgenommene  Beute;  denn  er  pflegte  zu 
sagen,  das  Geld  müsse  den  Soldaten,  der  Ruhm  ihrem  Führer 
gehören»). 


')  Primus  reaciiidoii durum  manumisBioDum  legem  edidit.  Dies? 
ni'hwierif;?  Stelle  ist  von  den  däniachen  Uebersetzeru  wie  aueh  von  Elton 
nicht  riehlig  wiedenfcgeben ;  der  Sinn  ist  nach  der  Anmerkiing  in  Hütler- 
VelsehowB  Ausgabe  (L  24,  5)  zweifelloB  der,  „daaa  Skiold  den  Freien 
erlaubte.  Freigelassene  im  Falle  einoa  Vereehens  wieder  zu  Sklaven  au 
maehen". 

-«   )  "Kor  HeUküiide  und  -kuuit  vgl.  Weinhold  S.  384  ff. 

'I  S.jiot  Bericht  über  Skiold  enthalt  kaum  etwas,  was  für  gute,  alte 
L'cti<-rlu'ri'rijtii[  spräche;  seine  Heldcnthaten  sind  sehr  aUgemeioen  ChA- 
^riktnn,  9.111  Kampf  gegen  die  Deutschen  und  seine  gesetsgeberitchc 
1  entschieden  den  Einfluss  Jüngerer  l'eberlieferuDg  an. 


Scioldus.     Gram.  2 1 

Das  Mädchen,  dem  zu  Liebe  er  gestritten  hatte,  erhielt  26 
er,  nachdem  er  sich  von  seinem  hitzigsten  Nebenbuhler  be- 
freit, als  Preis  für  seinen  Kampf  und  vermählte  sich  mit  ihr. 
Bald  darauf  bekam  er  von  ihr  einen  Sohn,  Namens  Gram^). 
Dessen  wunderbare  Veranlagung  erinnerte  so  sehr  an  die 
Tugenden  seines  Vaters,  dass  man  glauben  konnte,  sie  ver- 
laofe  genau  in  denselben  Bahnen.  Schon  in  der  Jugend  er- 
reichte er,  mit  den  herrlichsten  körperlichen  und  geistigen 
Gaben  ausgestattet,  den  höchsten  Gipfel  des  Ruhmes,  und 
die  Nachwelt  zollte  seiner  Grösse  solche  Achtung,  dass  in 
den  ältesten  Liedern  der  Dänen  mit  seinem  Namen  geradezu 
die  Königswürde  bezeichnet  wird.  Alles,  was  zur  Festigung 
und  Stählung  der  Kräfte  diente,  betrieb  er  mit  regstem  Eifer. 
Von  Fechtmeistern  lernte  er  die  Anwendung  von  Angrifts- 
und  Abwehrstossen,  und  er  übte  sieh  emsig  in  dieser  Kunst. 
Er  nahm  sich  die  Tochter  seines  Erziehers  Roarus,  seine 
gleichaltrige  Milchschwester,  zur  Gemahlin,  um  so  am  besten 
den  Dank  für  seine  Erziehung  abzustatten;  später  aber  gab 
er  sie  einem  gewissen  Bessus,  dessen  thatkräftiger  Hilfe  er  18 
sich  oft  erfreut  hatte,  zur  Belohnung  als  Frau  *).  Auf  diesen 
Genossen  bei  seinen  Kriegsthaten  vertraute  er  so  sehr,  dass 
es  unentschieden  bleibt,  ob  er  sich  mehr  Ruhm  durch  seine 
eigene  Tapferkeit  oder  durch  die  des  Bessus  erworben  hat. 

Gram  erfuhr  zufällig,  dass  Gro,  die  Tochter  des  Schweden- 
königs Sigtrugus,  mit  einem  Riesen  verlobt  sei;  voll  zornigen 
Eifers  über  eine  Verbindung  so  unwürdig  ^)  königlichen  Blutes, 
begann  er  einen  Krieg  mit  den  Schweden,  um  nach  dem 
Beispiel   von   Herkules'*)  Tapferkeit  den   Kampf  gegen  Un- 

^)  Altnrd.  gramr  heisst  Fürst,  Herr.  Die  Gramsage  ist  norwegischen 
Ursprungs  und  hängt  sachlich  mit  der  Haddings-  und  Frodcsage  zusammen. 
Vgl.  Olrik  n,  9  ff.  und  bes.  S.  12. 

*)  Scheidung  der  Ehe  war  sehr  leicht  herbeizuführen  und  sehr 
häufig;  vgl.  Kalund  im  Grundr.  III,  422. 

*)  Standesgleichheit  (Ebenbürtigkeit)  ist  die  Grundlage  der  Ehe; 
siehe  Kätund  a.  a.  O.  S.  418,  Weinhold  S.  243.  Die  Riesen  aber  gelten 
als  verabscheuungswürdige  Wesen. 

*)  Saxo  scheint  die  Gramsage  der  von  Herkules  absichtlich  etwas 
anzugleichen,  wie  mehrere  Züge  zeigen. 


22  Erstes  Buch. 

geheuer  aufzunehmen.  Als  er  Götland  betrat,  legte  er,  um 
die  ihm  Begegnenden  zu  verscheuchen,  Bocksfelle  an  und  zog 
80  einher,  auch  noch  mit  verschiedenen  Tierfellen  bekleidet 
und  mit  einer  furchtbaren  Waffe  in' der  Rechten,  so  dass  er 

27  nach  seinem  Aufzuge  vfie  ein  Riese  aussah.  Da  begegnete 
er  Gro  selbst,  die  mit  nur  wenigen  Dienerinnen  gerade  zu 
einem  Waldsee  ritt,  um  zu  baden.  In  der  Meinung,  auf  ihren 
Bräutigam  gestossen  zu  sein  und  zugleich  nach  Frauenart 
äusserst  erschrocken  über  die  so  seltsame  Gewandung,  Hess 
sie  die  Zügel  los  und  begann,  am  ganzen  Leibe  heftig  zitternd, 
mit  einem  heimischen  Liede^)  folgendermassen: 

„Ich  sehe,  dass  ein  dem  Könige  verhasster  Riese  ge- 
kommen ist  und  bei  seinem  Ein  herschreiten  die  Wege  bis  zur 
Mitte  beschattet.  Oder  meine  Augen  täuschen  mich;  denn 
oft  schon  geschah  es,  dass  kühne  Männer  sich  unter  einem 
Tierfell  verbargen'*  ^). 

Darauf  begann  Bessus  so:  ^Jungfrau,  die  du  auf  dem 
Rücken  des  Rosses  sitzest,  sprich  zur  Erwiderung  die  Worte 
der  Antwort,  sage,  wie  dein  Name  ist,  welchem  Geschlechte 
du  entsprossen". 

Da  sprach  Gro:  „Gro  ist  mein  Name,  mein  Vater  ist 
König,  von  ruhmvollem  Blute,  strahlend  in  Waffen.  Doch 
verkünde  auch  du  uns,  wer  du  bist  oder  wo  du  herstammst*^. 

14  Ihr  antwortete  Bessus:  „Bessus  bin  ich,  tapfer  in  Waffen, 

grimmig  den  Feinden,  den  Völkern  ein  Schrecken,  oft  färbe 
ich  die  Rechte  mit  dem  Blute  andrer". 

Dann  sagte  Gro:  „Wer,  frage  ich,  ordnet  eure  Heerschar? 
Unter  wessen  Führung  tragt  ihr  die  Feldzeichen?  Welcher 
Fürst  lenkt  eure  Schlachten?  Unter  wessen  Leitung  wird 
zum  Kriege  gerüstet?" 

Darauf  antwortete  Bessus  so:  „Gram  lenkt  unsre  Scharen, 
im  Kriege  glücklich;  weder  Furcht  noch  Gewalt  vermag  ihn 

28  zu  beugen;  weder  loderndes  P'euer,  noch  das  grimme  Schwert, 


^)  Saxo  hat  also  die  Sage  in  poetischer  Fassung  vorgelegen. 
•)  Ein  altes  Sprichwort 


Oram  und  Gro.  2S 

noch  des  Meeres  Flut  erschreckte  ihn  jemals.     Unter  seiner 
Führung  erheben  wir,  Jungfrau,  die  goldenen  Feldzeichen.^ 

Gro  wiederum  sprach:  „Weicht  zurück  von  hier  und 
wendet  eure  Schritte,  dass  Sigtrug  nicht  mit  dem  eigenen 
Heere  euch  alle  bewältigt,  an  den  grausamen  Pfahl  euch 
heftet,  erwürgt  von  dem  Strick  um  den  Hals,  und  eure  Körper  16 
in  die  steife  Schlinge  steckt  und  finster  blickend  eure  Leichen 
dem  gierigen  Raben  zum  Frasse  hinstösst.^ 

Bessus  sagte  dagegen:  „Gram  wird  ihn  zuvor  zu  den 
Geistern  senden  und  der  Unterwelt  weihen,  ehe  er  nach  dem 
Schicksal  die  Augen  schliesst,  und  in  den  schaurigen  Tartarus  ^) 
wird  er  kopfüber  ihn  stürzen.  Wir  fürchten  kein  Lager  der 
Schweden.  Weshalb  drohst  du  uns,  Jungfrau,  mit  traurigem 
Tode?" 

Gro  erwiderte  ihm:  „Ich  will  nun  von  hinnen,  die  wohl- 
bekannte Halle  meines  Vaters  aufsuchen,  damit  ich  nicht 
verwegen  die  Scharen  des  nahenden  Bruders^)  erblicke.  Euch 
aber,  die  ihr  zurückbleibt,  möge  das  schlimmste  Schicksal 
erwarten!" 

Bessus  entgegnete  ihr:  „Zurück  eile  fröhlich  zum  Vater, 
o  Tochter;    doch  er  erflehe   für  uns   nicht  schleunigen  Tod, 
noch   möge   dir   Groll   die  Brust    erfüllen;    oft  ist  ja  zuerst  1^ 
gegen  Werber    das   Mädchen    hartnäckig    und   spröde,    giebt  29 
später  doch  nach"  ^). 

Darnach  konnte  Gram  das  Schweigen  nicht  länger  aus- 
halten, und  indem  er  seine  Stimme  zu  schrecklichen  und 
und  ungeheuerlichen  Lauten  erhob  und  durch  einen  recht 
rauhen  Tonfall  verstellte,  redet  er  die  Jungfrau  mit  folgen- 
den Worten  an: 

„Nicht  fürchte  die  Jungfrau  den  Bruder  des  raschen 
Riesen,  noch  erbleiche  sie,  dass  ich  bei  ihr  bin.    Von  Grip  *) 

*)  Leider  setzt  Saxo  immer  für  die  Begriffe  der  nordischen  Mytho- 
logie die  entsprechenden  Bezeichnungen  der  griechisch-römischen  ein. 

•)  Wessen  Bruder  oder  wer  überhaupt  gemeint  ist,  ist  nicht  zu  er- 
sehen.  (Vielleicht  der  unten  genannte  Bruder  des  Riesen,  ihres  Verlobten?) 

•)  Sprichwörtlich. 

*)  Auch  diese  Persönlichkeit  bleibt  unklar;  vielleicht  ist  Grip  der 
Name  des  Bräutigams  selbst. 


24  Erstes  Buch. 

bin  ich  ja  geschickt,  und  nie  begehre  ich  Bett  und  Um- 
armung der  Mädchen  ausser  mit  ihrer  Einwilligung. 

Gro  erwiderte  ihm:  „Welche  Unsinnige  möchte  wohl 
der  Riesen  Buhle  sein  wollen?  Oder  welches  Mädchen  ver- 
möchte eine  £he  zu  wünschen,  der  Ungeheuer  entspriessen 
würden?  Welche  könnte  die  Gattin  von  Unholden  sein  mit 
dem  Bewusstsein,  dass  sie  Ungetüme  gebären  würde?  Welche 
80  wünschte  wobl  ihr  Lager  mit  einem  wilden  Riesen  zu  teilen? 
W^elche  möchte  Dornen  mit  ihren  Fingern  hegen,  welche 
schmutzigem  Schlamme  reine  Küsse  geben?  Welche  möchte 
struppige  Gliedmassen  zu  ihren  zarten  gesellen,  die  ihnen 
nicht  gleichen  ?  Wenn  die  Natur  widerstrebt,  wird  kein  volles 
Liebesglück  genossen..  Die  nach  Frauenbrauch  geübte  Liebe 
passt  nicht  für  Ungetüme.^ 

Gram  sprach  dagegen:  „Gar  oft  habe  ich  mit  siegreicher 
Faust  die  Nacken  mächtiger  Könige  gebeugt  und  ihren  üppigen 
Stolz  mit  stärkerer  Hand  bewältigt.  —  Nimm  hier  das  schim- 
mernde Gold^);  möge  um  dieses  Geschenkes  willen  unser 
Bund  dauernd  bleiben  und  die  Treue  in  unserer  Ehre  fest 
bestehen.^ 

17  Mit  diesen  Worten  warf  er  die  Verkleidung  ab,  und  ent- 

hüllte die  natürliche  Schönheit  seines  Antlitzes;  er  erfüllte  das 
Mädchen  durch  seinen  blossen  Anblick  beinahe  ebenso  sehr 
mit  Lust,  als  er  ihr  vorher  durch  seine  Verstellung  Schrecken 
eingeflösst  hatte.  Durch  die  strahlende  Anmut  seiner  Ge- 
stalt veranlasste  er  sie  auch  zum  Beilager  und  verfehlte  nicht, 
sie  mit  Liebesgaben  auszustatten.  Dann  zog  er  weiter  und 
erfuhr  von  den  ihm  Begegnenden,  dass  die  Strasse  durch 
zwei  Räuber  unsicher  gemacht  werde.  Als  diese  allzu  gierig 
über  ihn  herfielen,  um  ihn  zu  berauben,  tötete  er  sie  mit 
einem  einzigen  Streich.  Um  aber  nicht  den  Anschein  zu  er- 
wecken, als  habe  er  dem  feindlichen  Lande  irgend  eine  Wohl- 
that  erwiesen,  befestigte  er  darnach  Pfähle  an  den  Leichen 


*)  Das  ist  der  Brautkauf  (altn.  roundr),  das  Geschenk,  das  ursprünfif- 
lieh  der  Vater  der  Braut,  hier  sie  selbst  erhalt.  Vgl.  K&lund  a.  a.  O. 
8.  419,  Weinhold  S.  240. 


Gram.  95 

der  Ersehlagenen  und  stellte  diese  so  auf,  als  ob  sie  aufrecht 
auf  ihren  Füssen  stünden^).  Im  Tode  sollten  sie  noch  zum 
Scheine  diejenigen  bedrohen,  die  sie  im  Leben  wirklieh  ge-  31 
schädigt  hatten ;  auch  nach  Erfüllung  ihres  Schicksals  sollten 
sie  noch  furchtbar  sein  und  die  Strasse  jetzt  durch  ihre  Er- 
scheinung ebenso  unsicher  machen,  wie  vorher  durch  ihr  Thun. 
Daher  ist  es  sicher,  dass  er  durch  die  Erlegung  der  Räuber 
nur  zu  seinem,  nicht  zu  Schwedens  Vorteil  hat  handeln  wollen, 
und  er  zeigte  deutlich  durch  diese  so  hervorragende  That, 
welch  grosser  Hass  gegen  dieses  Land  ihn  erfüllte.  Als  er 
von  Wahrsagern  erfuhr,  dass  Sigtrug  nur  durch  Gold  über- 
wunden werden  könne,  befestigte  er  sogleich  eine  goldene 
Kugel  an  seiner  hölzernen  Keule;  damit  griff  er  den  König 
im  Kampfe  an  und  erreichte  auch  das  Ziel  seines  Wunsches. 
Diese  That  hat  Bessus  in  einem  recht  eingehenden  Lob- 
gedichte folgen  de  rmassen  besungen: 

y,Gram,  der  gewaltige  Träger  der  glückbringenden  Keule, 
unkundig  des  Eisens,  Hess  Hiebe  sausen  auf  das  ihm  ent- 
gegengehaltene Schwert  und  wehrte  mit  seinem  Baumstamm 
die  Waffen  des  mächtigen  ab. 

Dem  Schicksal  folgend  und  dem  Sinn  der  Unsterblichen 
vernichtete  er  den  Ruhm  der  machtlosen  Schweden,  indem 
er  ihren  König  dem  Tode  weihte  und  mit  dem  starren  Golde 
zerschmetterte. 

Denn  wohl  bedachte  er  die  Fechterkünste  und  führte  die 
goldrot  glänzende  Keule  in  der  Faust;  siegreich  streckte  er 
den  Fürsten  mit  der  schimmernden  Waffe  zu  Boden. 

Ihn,  dem  das  Schicksal  den  Tod  durch  Eisen  wehrte, 
bezwang  er  klüglich  durch  des  Goldes  Härte;  ohne  Schwert 
focht  er  mit  einem  besseren  Metall  seine  Kämpfe  aus. 

Dieses  Wertstück,  dem  der  Verfertiger  Lob  und  den  Gipfel  18;  32 
des  Ruhmes  verschafft,  wird  dereinst  noch  berühmter  werden, 
weithin  bekannt  durch  eine  bessere  Kunde." 

Nachdem  Gram  den  Schwedenkönig  Sigtrug  getötet, 
wünschte  er  sich  den  Besitz  des  durch  die  Waffen  erworbenen 

0  Eine  ähnliche  List  siehe  Buch  IV,  S.  105  und  ebenda,  S.  120 
(Holder). 


26  Erstes  Buch. 

Reiches  zu  sichern;  da  er  nun  Suarinas,  den  Statthalter 
von  Götland,  im  Verdacht  hatte,  dass  er  nach  der  Herrschaft 
trachte,  forderte  er  ihn  zum  Zweikampf  heraus  und  erschlug 
ihn;  auch  die  sieben  ehelichen  und  die  neun  von  einem  Kebs- 
weibe ^)  geborenen  Brüder  desselben,  die  für  den  Tod  ihres 
Bruders  Rache  nehmen  wollten^  erlegte  er  trotz  des  ungleichen 
Kampfes. 

Grams  schon  hoch  betagter  Vater  gewährte  ihm  nun 
wegen  seiner  hervorragenden  Thaten  Anteil  an  der  Regierung; 
denn  er  hielt  es  für  nützlicher  und  auch  für  viel  bequemer, 
die  Oberleitung  des  Reiches  mit  seinem  Sohne  zu  teilen,  als 
sie  in  einem  so  vorgerückten  Lebensalter  ohne  Genossen  zu 
führen. 

Ringus,  der  Sprössling  eines  edlen  Geschlechtes  in  See- 
land, meinte  nun  aber,  der  eine  von  den  beiden  Herrschern 
sei  für  diese  Ehre  noch  zu  unreif,  während  der  andere  mit 
dem  Masse  seiner  Kräfte  schon  auf  dem  Rückgange  sei,  und 
darum  schützte  er  das  unsichere  Alter  beider  vor,  um  in 
seiner  Sucht  nach  Umwälzungen  einen  ziemlich  grossen  Teil 
der  Dänen  aufzuwiegeln.  Er  behauptete  nämlich,  diesen 
mache  sein  noch  kindliches,  jenen  sein  schon  kindisches 
Alter  zur  Ausübung  der  königlichen  Macht  ungeeignet.  Im 
Kampfe  aber  wurde  er  von  diesen  besiegt  und  lieferte  der 
Welt  ein  Beispiel  dafür,  dass  man  keinen  Abschnitt  der 
Lebenszeit  mit  der  Tüchtigkeit  für  unvereinbar  halten  darf. 
33  König    Gram    vollbrachte    auch    noch    mehrere    andere 

Heldenthaten.  Er  hatte  dem  Finnenkönige  Sumblus  den 
Krieg  erklärt,  legte  aber  beim  Anblick  seiner  Tocher  Signe 
sofort  die  Waffen  nieder,  ward  aus  einem  Feind  ein  Freier, 
versprach  seine  Gattin  zu  Verstössen  und  schloss  mit  ihr  den 
Verlobungsvertrag  *).     Während  er  noch  mit  einem  norwegi- 

*)  Das  Halten  von  Kebsweiborn  ist.  im  skandinavischen  Altertum 
ziemlich  allgemein  verbreitet  und  gesetzlich  erlaubt.  Vgl.  Weinhold 
S.  248,  437. 

•)  Ein  solcher  ist  allgemein  üblich  (festar);  vor  einer  Versammlung 
beiderseitiger  Freunde  und  Verwandter  wurde  die  Höhe  der  Kaufsumme 
festgesetzt,  der  Ring>^echsel  vollzogen  und  der  Verlobungskuss  gegeben. 
Vgl.  Weinhold,  S.  243:  Kalund  a.  a.  O.  S.  418. 


Gram.  27 

sehen  Kriege,  den  er  gegen  den  König  Swibdageriis  ^) 
wegen  der  Schändung  seiner  Schwester  und  Tochter  unter- 
nommen hatte,  beschäftigt  war,  hörte  er  von  einem  Boten, 
dass  Sumblus  treuloser  Weise  Signe  dem  Könige  der  Sachsen, 
Heinrich*),  zur  Ehe  versprochen  habe.  Da  er  die  Jung- 
frau mehr  liebte  als  seine  Soldaten,  verliess  er  sein  Heer  und 
eilte  in  aller  Stille  nach  Finnland,  wo  er  gerade  zum  Beginn 
der  Hochzeitsfeierlichkeiten  zarecht  kam.  Da  legte  er  ganz 
schlechte  Kleider  an  und  liess  sich  an  einem  gering  ge- 
schätzten Platze  nieder.  Auf  die  Frage,  was  er  denn  bringe, 
sagte  er,  er  verstehe  die  Heilkunst.  Zuletzt,  als  sich  alle  schon 
trunken  gezecht  hatten,  fasste  er  das  Mädchen  ins  Auge  und 
pries  inmitten  der  Freuden  des  rauschenden  Gelages  unter 
den  schwersten  Verwünschungen  gegen  den  Wankelmut  der 
Weiber  laut  den  hohen  Ruhm  seiner  eigenen  Heldenthaten ; 
die  Grösse  seines  Zorns  offenbarte  er  durch  ein  Lied  folgen- 
der Art: 

„Allein  habe  ich  gegen  acht  zugleich  die  Todespfeile  19 
geschleudert  und  neun  mit  geschwungenem  Schwerte  erwürgt, 
als  ich  Suarinus  tötete^),  der  seine  Würde  missbrauchte  und 
einen  Namen  sich  anmasste,  der  ihm  nicht  zukam.  Oft  habe 
ich  seither  meine  vom  Morden  blutige,  von  Gemetzel  triefende 
Klinge  mit  fremdem  Blute  gefärbt,  und  nie  erbebte  ich  beim 
Klirren  der  Schwerter  oder  beim  Glanz  der  Helme.  Jetzt  nun  ;i4 
verschmäht  mich  schändlich  Signe,  Sumblus' gefühllose  Tochter, 
anderer  Wünsche  erfüllt  sie  und  verwünscht  das  alte  Bündnis. 
Ohne  Unterschied  giebt  sie  ihrer  Liebe  Raum  und  Ulsst  das 
Wirken  weiblichen  Wankelmuts  erkennen.  Denn  sie  verlockt 
und  bestrickt  und  entehrt  edle  Männer;  betrügt  sie  doch 
mit  Vorliebe   vor  anderen  Hochstehende.     Keinem  bleibt  sie 


^)  Denselben  Namen  Swipdagr,  d.  h.  der  rasche  Tagr,  trä^  auch 
der  mythische  Held  eines  £ddaliedes,  mit  dem  aber  der  hier  genannt« 
König  in  keinem  Zusammenhange  steht.     Vgl.  Oerings  Edda,  S.  127. 

*)  An  eine  bestimmte  historische  Person  kann  hier  nicht  gedacht 
werden. 

*)  Siehe  oben  S.  26. 


28  Erstes  Buch. 

treu,    immer    schwankt    sie,    zweifelhafte    und    zweideutige 
Regungen  erzeugend.'^ 

Bei  diesen  Worten  springt  er  von  seinem  Platze  auf, 
erschlägt  Heinrich  an  seinem  Tische  trotz  dessen  Heilig- 
keit^) in  den  Armen  seiner  Freunde,  entreisst  seine  Braut 
der  Schar  ihrer  Brautjungfern,  metzelt  einen  grossen  Teil  der 
Gäste  nieder  und  schleppt  sie  ihn  sein  Schiff.  So  wurde 
das  Hochzeitsgelage  in  ein  Leichenmahl  verwandelt,  und  die 
Finnen  konnten  lernen,  dass  man  die  Hände  yon  fremden 
Liebesangelegenheiten  fern  halten  soll. 

Nach  diesen  Thaten  wurde  Gram  bei  dem  Versuch  die 
Schmach  seiner  geschändeten  Schwester  und  die  verletzte 
Ehre  seiner  Tochter  zu  rächen,  von  König  Swibdagerus 
von  Norwegen  getötet.  Diese  Schlacht  war  wegen  der  An- 
wesenheit sächsischer  Truppen  bemerkenswert;  doch  hatte 
diese  zur  Unterstützung  des  Swibdagerus  nicht  sowohl  Zu- 
neigung zu  diesem,  als  vielmehr  der  Wunsch  nach  Rache  für 
Heinrichs  Tod  veranlasst. 

Gram  hatte  zwei  Söhne,  Guthormus  und  Hadingus, 
den  einen  von  Gro,  den  andern  von  Signe.  Da  nun  Swib- 
dagerus Dänemark  besetzt  hielt,  wurden  diese  von  ihrem 
Erzieher  Brache^)  zu  Schiff  nach  Schweden  gebracht  und 
den  Riesen  Vagnhofthus  und  Haphlius^)  zur  Erziehung 
und  Beschützung  übergeben. 

Da  ich  deren  Thätigkeit  kurz  berühren  muss,  möchte  ich 
nicht  gern  in  den  Verdacht  geraten,  als  ob  ich  mir  Dinge, 
welche  der  öffentlichen  Meinung  widersprechen  oder  das  Mass 
der  Glaubwürdigkeit  überschreiten,  auf  eigene  Faust  zurecht 
mache;  daher  ist  es  wohl  der  Mühe  wert,  zu  erfahren,  dass 


^)  Der   Tisch    ist    heilig   infolge    des    Gastrechts;    über   dieses   vgl. 
Weinhold  S.  441  ff. 

*)  Gehört  wohl  zu  altnrd.  bragr,  schwache  Form  bragi,  d.  1.  der  Best^, 
Ausgezeichnetste. 

')  Diese  Xamen   finden   sich   nur   noch  in   dem   Riesenverzeichnisse 
der  Suorra-£dda  als  Vagnhof  Oi  und  HafliOi  (Skaldskapann.  Kap.  75). 


Gram,     lieber  die  Zauberer.  29 

vor  Zeiten  drei  Arten  yon  Zauberern   durch  geheime  Künste 
unerhörte  Wunderthaten  ausgeführt  haben  ^). 

Die  ersten  yon  ihnen  waren  Männer  von  ungeheuerlicher  ^:'> 
Erscheinung,  welche  das  Altertum  Riesen  nannte;    sie  über- 
trafen das  Mass  menschlicher  Grösse   weit  durch  ihren  ge- 
waltigen Körperbau. 

Die  zweiten  nach  ihnen  besassen  zuerst  die  Fähigkeit  ^0 
wahrzusagen  und  yerfügten  über  die  pythonisehe  Kunst  ^). 
Wenn  sie  auch  den  vorigen  an  Körpergrösse  nachstanden, 
übertrafen  sie  sie  doch  an  lebhafter  geistiger  Veranlagung. 
Zwischen  ihnen  und  den  Riesen  wurden  fortwährend  Kämpfe 
um  die  oberste  Gewalt  ausgefochten,  bis  die  Zauberer  sieg- 
reich das  Riesengeschlecht  unterjochten  und  sich  nicht  nur  . 
das  Recht  der  Herrschaft,  sondern  auch  den  Ruf  der  Göttlich- 
keit aneigneten.  Beide  Geschlechter  aber  zeichneten  sich 
durch  höchste  Geschicklichkeit  darin  aus,  die  Augen  zu 
täuschen,  die  eigene  Gestalt  und  die  anderer  durch  ver- 
schiedene Einscheinungsarten  zu  verändern  und  das  wahre 
Aussehen  der  Dioge  durch  irreführende  Formen  zu  verhüllen. 

Die  Leute  der  dritten  Art  aber,  welche  aus  der  wechsel- 
seitigen Vereinigung  der  beiden  vorigen  entsprossen,  ent- 
sprachen weder  in  der  Körpergrösse  noch  durch  die  Aus- 
übung von  Künsten  der  Natur  ihrer  Erzeuger;  dennoch  fiel 
auch  ihnen  bei  der  durch  Zauber  hervorgerufenen  Verblendung 
der  Sinne  der  Ruf  der  Göttlichkeit  zu. 

Es  ist  ja  auch  gar  nicht  zu  verwundern,  dass  die  barbarische 
Welt,   durch  die  merkwürdigen  Wunderthaten  derselben  ver- 


')  Saxos  Bericht  über  die  Riesen  entspricht  keineswegs  der  wahren 
germanischen  Auffassung;  er  ist  gelehrt  und  soll  hauptsächlich  dazu 
dienen,  den  altheidnischen  Götter-  und  Dämonenglauben  als  thöricht  un<l 
fialsch  darzusteUen.  Die  Riesen  sind  als  Naturdämonen  aufzufassen.  Am 
besten  handelt  über  sie  Weinhold  i.  d.  Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad.  d. 
Wisaensck  XXVI  (1S58),  S.  233  ff.  Vgl.  ferner  noch  Mogk  im  Grundr.  * 
III,  S.  300  ff.,  306  ff.  E.  H.  Meyer,  Deutsche  Mythologie  S.  141  ff., 
Golther,  Handb.  d.  germ.  Myth.  S.  159  ff. 

*)  Pythius  ist  in  der  griechischen  Mythologie  ein  Beiname  des  weis- 
•agenden  Apollo;  der  Ausdruck  wiederholt  also  nur  das  schon  vorher 
Gesagte. 


HO  £rst«B  Buch. 

leitet,  in  die  AusQbung  einer  falschen  Religion  verfiel,  haben 
ja  doch  manche  ähnlich  heschaffeue  sterbliche  Wesen,  denen 
man  göttliche  Ehren  erwies,  selbst  die  Klugheit  der  l^atiner 
zu  verfahren  gewusst.  Das  wollte  ich  nur  deshalb  berührt 
haben,  dass  nicht  der  Sinn  des  Lesers  ungläubig  zurück- 
schreckt, weun  ich  Zaubereien  und  Wnnderthaten  be- 
schreibe. Nun  ich  dieses  voraus  geschickt  habe,  will  ich  zu 
meiner  Aufgabe  zurückkehren. 

Nach  Grams  Tode  hatte  Swibdagerus  seine  Macht 
durch  die  Herrschaft  über  Dänemark  und  Schweden  vermehrt; 
auf  die  wiederholten  Bitten  seiner  Gemahlin  berief  er  deren 
36  Bruder,  Guthormus,  aus  der  Verbannung  zurflck  und  stellte 
.  ihn  an  die  Spitze  von  Dänemark,  nachdem  er  ihm  das  Ver- 
sprechen, Tribut  zu  zahlen,  abgenommen  hatte.  Hadingus 
dagegen  zog  die  Rache  für  seinen  Vater  der  Gnade  seine» 
Feindes  vor'), 

Schon  in  seinen  ersten  Jugendjahren  erreichte  dieser 
durch  seine  glücklichen  Naturanlagen  die  höchste  Vollkommen- 
heit des  Mannesalters.  Auf  den  Genuss  des  Vergnügens  ver- 
zichtete er  und  war  nur  immer  eifrigst  auf  WafTenübungen 
bedacht,  dessen  eingedenk,  dass  er,  der  Sohn  eines  kriegerischen 
Vaters,  sein  ganzes  leiben  mit  ruhmvollen  Kriegsthat«n  aus- 
fQllen  müsse.  Harthgrepa  ^),  Vagnhoftbus' Tochter,  versuchte 
nun  seinen  harten  Sinn  durch  Lockungen  mit  ihrer  Liebe  zu 
erweichen  und  versicherte  ihn  eifrig  und  beständig,  er  müsse 
seine  erste  eheliche  Pflicht  in  der  Vermählung  mit  ibr  er- 
füllen, die  seiner  Kindheit  die  fürsorglichste  Pflege  gewidmet, 

')  Die  hier  bef^nnende  Haddiogsiftge  Ut  pioe  d«r  auaführUchslen  und 
ti'liij listen  bei  Saxo.  Aus  inneren  Gründen  enpebt  sich,  daas  sie  nor- 
M  i'i{isrh-i>lündischen,  nicht  dänischen  Ursprungs  ist.  Mao  kann  folg^ende 
lii'idon  Haupizüge  in  ihr  unterscheiden:  1.  Der  Widerstreit  twiichen 
Ki"B«D  und  Äsen,  der  mit  dem  Siege  und  der  Verherrlichung  der  letzteren 
•'i"ligt:  3.  J)aa  Wikingertum  des  Helden.  —  Shxo  ist  die  einzige  Quelle, 
IUI'  sie  uns  überliefert;  ähnlichen  Inhalt  haben  noch  die  jüngeren  Zusätze 
Eur  Orvar  -  Oddssaga.  (Hrsg.  von  Ilner,  grosse  Ausg.  Leiden  1888; 
ktetne  Ausg.  Halle  1893.)  Zu  vcrgl.  ist  UhUnd,  Schnften  z.  Gesch.  d. 
Dichtung  u.  Sage  VII,  1»8  ff.  u.  bes.  ülrik  H,  1  ff. 

*)  Auch  diese  wird  in  der  S.  28  Ä.  8  genannten  Stelle  enriUint. 


Hadingiis  und  Harthgrepa.  31 

die  ihm  die  erste  Klapper  ^)  gereicht  habe.  Sie  begnügte  sich 
aber  nicht  mit  einer  Ermahnung  in  einfachen  Worten,  sondern 
begann  auch  mit  einem  Liede  folgender  Art: 

„ Warum  fliesst  dein  Leben  so  öde  dahin?  Weshalb  ver- 
schwendest du  ehelos  deine  Jahre,  den  Waffen  folgend,  nach  21 
Mord  dürstend?  Keine  Schönheit  erregt  dein  Begehren.  Von 
massloser  Kampfeswut  lässt  du  dich  hinreissen,  zur  Liebe  ^) 
bist  du  am  wenigsten  geneigt.  Triefend  von  Mord  und  Blut 
schätzest  du  den  Krieg  höher  als  das  Ehebett  und  erholst 
dich  nicht  an  sinnlichen  Reizen.  Keine  Müsse  giebt  es  für 
dich,  den  grimmen;  Zeitvertreib  ist  dir  fern,  nur  deiner  Wild- 
heit lebst  du.  Nicht  ist  deine  Hand  frei  von  Ruchlosigkeit, 
wenn  du  den  Dienst  der  Liebe  ^)  verabscheust.  Möge  deine 
bassenswerte  Kälte  verschwinden  und  jene  liebevolle  Wärme 
erscheinen;  schliesse  mit  mir  den  Bund  der  Liebe,  die  ich 
dir  in  deiner  Kindheit  zuerst  die  Milch  meiner  Brust  gereicht, 
die  ich  dir  Hilfe  leistete  und  Mutterpflicht  übernehmend  deinen 
Bedürfnissen  diente.^ 

Als  er  darauf  vorschützte,  ihre  Körpergrösse  sei  unge-  37 
eignet  für  menschliche  Umarmungen,  da  ja  ihre  natürliche 
Beschaffenheit  zweifellos  ihrem  riesischen  Ursprünge  ent- 
spreche, sagte  sie :  Lass  dich  den  Anblick  meiner  ungewöhn- 
lichen Grösse  nicht  anfechten;  denn  ich  kann  in  willkürlicher 
Veränderung  Gestalt  und  Wesen  meines  Körpers  umformen, 
sodass  ich  bald  dünn  bald  dick,  bald  schlank  bald  aufgebläht, 
bald  zusammengeschrumpft  bald  ausgedehnt  bin.  Bald  reicht 
meine  Länge  bis  zum  Himmel,  bald  verwandle  ich  mich,  mich 
verkleinernd,  in  einen  Menschen.  —  Als  er  immer  noch  zögerte 
und  Bedenken  trug,  ihren  Worten  Glauben  zu  schenken,  fügte 
sie  noch  folgendes  Lied  hinzu: 

„Fürchte  nicht,  Jüngling,  die  Gemeinschaft  unseres  Bettes. 
Ich  verändere  meine  Körpergestalt  in  mehrfacher  Weise  und 


')  üeber  Kinderspiele  und  -Spielzeug  vgl.  Weinhold  S.  290. 

*)  Im  Lateinischen  steht  hier  Venus,  der  die  nordischen  Göttinnen 
Prigg  und  Freyja  entsprechen;  über  diese  vgl.  Mogk  im  Gnmdr. •  11 1, 
a69— 73;  E.  H.  Meyer  S.  267  ff.;  Golther  S.  429—46. 


l 


32  Erste«  Buch. 

pflege  meinen  Sehnen  eiu  doppeltes  Gesetz  vorzuschreiben. 
Deun  ich  nehme  in  verschiedener  tiestaltuog  wechselnde  FormeD 
an,  die  ich  nach  eigener  WillkQr  verändere.  Jetzt  kommt 
mein  Nacken  den  Sternen  gleich  und  ragt  bis  in  die  Nahe 
des  erhabenen  Donnerers;  dann  wieder  sinkt  er  gebeugt  zu 
meoschlicher  Lebensform  herunter  und  neigt  das  soeben  dL-m 
Pol  benachbarte  Haupt  zur  Erde.  So  verwandele  ich  mich 
leicht  in  verschiedene  Gestalten  und  lasse  mich  in  mehrfachen 
Formen  erblicken.  Denn  im  Wechsel  zieht  bald  straffe  Starr- 
heit die  Glieder  zusammen,  bald  entfaltet  sich  die  Anmut 
meines    schlanken   Körpers  und  beßihigt  ihn,    die    höchsten 

22  Wolken  zu  berühren.  Jetzt  lasse  ich  mich  von  der  Kürze  ein- 
engen, jetzt  dehne  ich  mich  aus  mit  gelockerten  Knieen,  und 
gefügig  wie  von  Wachs  habe  ich  mich  zu  neuen  Erscheinungen 
umgestaltet.    Mich  braucht  niemand  zu  bewundern,  der  Proteus 

86  kennt.  Meine  Gestalt,  unsicher  in  ihrem  Aeusseren  und  mein 
zwiefaches  Erscheinungsvermßgen  presst  jetzt  die  eben  aus- 
gedehnten Glieder  zusammen,  jetzt  weitet  es  die  eben  ein- 
geengten aus,  jetzt  schwellt  es  die  Gliedmassen  an,  jetzt 
schnQrt  es  sie  zu  kleinstem  Umfange  zusammen.  Den  einge- 
pressteo  Körperteilen  gewinne  ich  Ausdehnung,  die  entfalteten 
lasse  ich  zusammenschrumpfen,  in  doppelte  Erscheinungsform 
mein  Aeusseres  teilend  und  begabt  mit  zwei  Gestalten.  In 
der  grösseren  schrecke  ich  die  Kühnen,  in  der  kleineren  be- 
gehre ich  nach  den  Umarmungen  der  Menschen." 

Durch  diese  Versicherungen  setzte  sie  das  Beilager  mit 
Hadingus  durch,  und  sie  entbrannte  so  sehr  von  Liebe  zu 
dem  Jüngling,  dass  sie,  als  sie  seine  Lust,  sein  Vaterland 
wilder  aufzusuchen,  bemerkte,  kein  Bedenken  trug,  ihm  <n 
>l;iimeskleidung  zu  folgen,  und  dass  sie  es  als  ein  Vergnügen 
hi'trachtete,  seine  Mühsale  und  Gefahren  mit  ihm  zu  teilen. 
Iii  seiner  Begleitung  kam  sie  nun  nach  Antritt  dieser  Reise 
/liffillig  in  ein  Haus,  für  dessen  verstorbenen  Besitzer  eben 
unter  Trauerfeierlichkeiten  das  Begräbnis  zugerüstet  wurde, 
ünschte  sie  nun  mit  Hilfe  von  Zauberei  den  Sinn  der 
HimmHscIien  zu  erforschen,  schnitt  ein  furchtbares  Runenlied 
Holzstäbchen,  Hess  dasselbe  durch  Hadingus  dem  Toten 


HadiDgus  u.  Hartligrepa.     Totenbeschwörung.  33 

unter  die  Zunge  legen  und  zwang  diesen  dadurch  zu  sprechen 
und  folgendes  Lied,  ein  Graus  für  das  Ohr,  zu  verkünden^). 

Es  folgt  das  Zauberlied: 

„Wer  mich  aus  der  Unterwelt  emporgelockt  hat,  soll  als 
Verfluchter  umkommen  und  dem  Tartarus*)  Suhue  leisten  fär 
die  Beschwörung  des  Geistes. 

Wer  immer  mich  aus  dem  unterirdischen  Heim  herauf-  89 
gerufen  hat,  mich,  den  Toten,  der  schon  sein  Geschick  erfüllt 
hat,  und  mich  wieder  zur  irdischen  Luft  empor  zwang,  der 
soll  den  traurigen  Schatten  unten  am  fahlen  Styx*)  mit  dem 
eigenen  Tode  Busse  leisten.  Siehe,  wider  Willen  und  Vorsatz 
bin  ich  gezwungen,  nur  zu  Unerwünschtes  zu  verkünden. 
Denn  wenn  ihr  den  Fuss  aus  diesem  Hause  setzt,  werdet  ihr 
in  das  Dickicht  eines  Waldes  gelangen,  um  den  Unholden 
ringsum  als  Beute  zu  dienen.  Sie,  die  unser  Geschick  aus 
dem  Chaos  zurücklenkte  und  uns  ermöglichte,  noch  einmal 
dieses  Licht  zu  schauen,  die  durch  wunderbare  Beschwörung 
die  hervorgelockten  Geister  in  des  Körpers  Fessel  bannte,  sie 
wird  dann  bitter  beweinen,  was  sie  unbesonnen  begann. 

Wer  mich  aus  der  Unterwelt  emporgelockt  hat,  soll  als  28 
Verfluchter  umkommen  und   dem  Tartarus  Sühne  leisten  für 
die  Beschwörung  des  Geistes. 

Denn  wenn  das  schwarze  Verderbendes  ungeheuererzeugen- 
den Wirbelsturms  in  heftigem  Angrifl^  die  Eingeweide  im  In- 
nern durchwühlt  hat,  wenn  eine  Hand  mit  grausiger  Klaue 
die  Lebenden  fortgefegt  hat,  die  Glieder  abreissend  und  die 
entführten  Körper  zerfleischend,  dann  wird,  Hadingus,  dein 
Leben  noch  andauern;  das  Reich  der  Unterwelt  wird  deinen 
<ieist  nicht  entführen,  noch  wird  deine  Seele  schwermütig  zu 

')  Die  Nekromantie  ist  bei  wohl  allen  Völkern  der  Erde  verbreitet; 
«inige  Beispiele  für  ihre  Ausübung  in  Skandinavien  enthalten  die  Edda- 
Ueder  Baldrs  Träume  4  (Gering  S.  1(>),  Hars  Sprüche  156  (G.  S.  108), 
Oroas  Zaubergesang  1  (G.  S.  127),  Ynglingasaga  Kap.  4:  7,  Herwarars. 
Kap.  6.  —  Ein  Zauberlied  in  nordischer  Sprache  bewahrt  uns  die  Bosa- 
«aga  (hrsg.  von  Jiriczek,  Strassburg  1893)  S.  16  ff.,  deutsch  bei  Golther 
8.  653.  Ueber  Zauber  und  Zauberei  vgl.  Mogk  in  Grundr.  UI,  404  ff. 
Orimm,  Deutsche  Mythologie  \  Kap.  34,  35,  38. 

»)  Vgl.  Anm.  1  8.  23. 

Saso  Grammaiicnt.  3 


34  Erstes  Biu-h. 

den  Wassern  des  Styx  wandeln.  Das  Weib  aber,  welches  es 
den  elenden  Schatten  ermöglichte,  hierher  zurückzukehren, 
wird,  der  Last  ihres  Verbrechens*)  erliegend,  unsere  Asche  ver- 
söhnen, sie,  die  selbst  Asche  sein  wird. 

AVer  mich  aus  der  Unterwelt  emporgelockt  hat,  soll  als 
Verfluchter  umkommen  und  dem  Tartarus  Sühne  leisten  für 
die  Beschwörung  des  Geistes." 

Als  sie  nun  in  dem  vorgenannten  Walde  in  einer  Reisig- 
hütte die  Nacht  zubrachten,  erschien  ihnen  eine  Hand  von 
4u  ungewöhnlicher  Grösse,  welche  ihre  Wohnstätte  innen  durch- 
irrte. Hadingus,  erschreckt  durch  dieses  Wunder,  flehte 
seine  Pflegemutter  um  Hilfe  an.  Da  blähte  Harthgrepa 
ihre  Glieder  auf,  dehnte  sich  zu  grossem  Umfange  aus,  packte 
die  Hand  ganz  fest  und  hielt  sie  ihrem  Pflegling  zum  Abhauen 
hin.  Aus  der  greulichen  Wunde  aber  floss  mehr  Eiter  als 
Blut  hervor.  Für  diese  That  musste  sie  jedoch  gleich  darauf 
büssen;  denn  sie  wurde  von  ihren  Geschlechtsgenossen')  zer- 
rissen. Weder  ihre  natürliche  Beschaffenheit,  noch  ihre  Kör- 
pergrösse  halfen  ihr  davor,  die  drohenden  Klauen  ihrer  Feinde 
kennen  zu  lernen. 

Nach  dem  Verluste  seiner  Pflegemutter  begegnete  Ha- 
dingus zufällig  einem  einäugigen  Greise^),  der  ihn  in  seiner 
Einsamkeit  bedauerte  und  durch  einen  feierlichen  Rechtsver- 
trag mit  einem  Wikinger,  Namens  Liserus,  verband.  Denn 
wenn  die  Alten  ein  Bündnis  schliessen  wollten,  so  pflegten 
sie  gegenseitig  ihre  Fussspuren  mit  ihrem  Blute  überströmen 
zu  lassen,  um  durch  die  Vermischung  des  Blutes  beider  den 
Freundschaftsbund    zu    befestigen*).     Auf   diese  Weise    ver- 


^)  Das  Beschwören  der  Toten  wird  oft  als  ein  Frevel  betrachtet, 
und  hänfig  nimmt  auch  die  Sache  ein  schlimmes  Ende  fiir  den  Beschwörer. 

*)  D.  h.  von  Riesen. 

*)  Dieser  einäugige  Greis  ist  Odin,  als  den  ihn  Saxo  aber  gar  nicht 
erkennt;  über  ihn  siehe  Anra.  3  8.  37. 

*)  Ein  Beispiel  für  den  Gebrauch  der  Blutbrüderschaft  (fostbnyOra- 
lag).  Die  hier  geschilderte  Feierlichkeit  wurde  gewöhnlich  unter  einem 
Rasenstreifen,  der  noch  mit  der  Erde  zusammenhing  und  von  Speeren 
gestützt  w^urde,  vollzogen  und  dann  mit  heiligen  Eiden  bekräftigt  Weitere 
Beispiele    für   diese   Sitte   siehe   in  Gerings  Anmerkung   zum  ^Bnichstack 


Harthgrepas  Tod.     Hadingus  u.  Othinus.  35 

einigten  sich  Liserus  uod  Hadiogus  durch  das  Band  engster 
Gemeinschaft  und  erklärten  dann  Lokerus,  dem  Beherrscher 
der  Kurländer,  den  Krieg.  Sie  wurden  jedoch  besiegt,  und 
jener  vorgenannte  Greis  sorgte  dafür,  dass  Hadingus  nach 
seiner  Wohnung  reiten  konnte.  Dort  erquickte  er  ihn  durch 
die  Kraft  eines  gar  lieblichen  Trankes  und  verhiess  ihm,  dass 
er  sich  einer  noch  rüstigeren  Körperstärke  erfreuen  werde. 
Diese  prophetische  Verheissung  bekräftigte  er  durch  ein  Lied 
folgender  Art: 

^Wenn  du  von  hier  hinweg  eilst,  wird  der  Feind  kommen 
und  dich  in  der  Meinung,  du  seist  ein  Flüchtling,  angreifen, 
um  dich  in  Fesseln  zu  halten  und  dem  Rachen  wilder  Tiere 
zum  Zerfleischen  und  zum  Frasse  vorzuwerfen.  Du  aber  er-  24 
fülle  die  Ohren  deiner  Wächter  mit  mancherlei  Erzählungen. 
Und  wenn  nach  Beendigung  des  Mahles  tiefer  Schlaf  sie  um- 
fängt, dann  sprenge  die  dir  angelegten  Bande  und  die  grau- 
sigen Fesseln.  Dann  entferne  dich,  und  nach  kurzem  Verweilen 
stürze  dich  mit  allen  Kräften  auf  den  reissenden  Löwen,  der  41 
die  Körper  der  Gefangenen  zu  zerfleischen  pflegt.  Versuche 
dich  mit  starkem  Arme  an  seinen  trotzigen  Schultern,  und 
mit  blossem  Schwerte  triff  seines  Herzens  Fibern.  Dann  setze 
sogleich  den  Mund  an  und  fange  das  dampfende  Blut  auf  und 
mit  gierigen  Zähnen  zermalme  ein  Mahl  von  seinem  Körper. 
Dann  wird  neue  Kraft  in  deine  Glieder  kommen,  ungeahnte 
Stärke  wird  deine  Muskeln  schwellen  und  eine  Fülle  rüstigen 
Lebensmutes  wird  die  nervichten  Glieder  durchdringen  ^).  Ich 
selbst  will   deinen  Wünschen  den  Weg  bahnen,  die  Wächter 


eines  Sijriirdliedes"  18  (S.  221,  4);  vgl.  ferner  Kälund  i.  Grundr.  IIT,  417. 
Weiohold  8.  287,  Olrik  I,  8.  59  ff.  —  Die  Namen  Liserus  und  Lokerus 
sind  9onst  nicht  bekannt. 

*)  Löwenfleisch  und  -blut  wird  sonst  in  der  nordischen  Sage  nicht 
als  Stärkemittel  erwähnt;  wohl  aber  verleiht  der  Genuss  des  Herzens 
anderer  gewaltiger  Tiere  Weisheit  oder  Körperkraft.  Sigurd  versteht 
nach  dem  Verspeisen  von  Fafnirs  Herz  die  Sprache  der  Vögel  (das  Lied 
von  Fafnir,  Prosa  nach  Str.  31  =  Gerings  Edda  S.  207);  ein  Wolfsherz 
macht  Ingjald  zum  tapfersten  Krieger  (Ynglingas.  Kap.  38);  vgl.  auch 
Saxo  B.  II,  S.  91. 

3* 


36  Erstes  Buch. 

in  tiefen  Schlaf  versenken  und  sie  die  lange  Nacht  hindurch 
schnarchen  lassen.^ 

Mit  diesen  Worten  setzte  er  den  Jüngling  auf  sein  Pferd  ^) 
und  brachte  ihn  an  die  vorige  Stelle  zurück.  Da  warf  Ha- 
ding  US  wegen  seiner  grossen  Verwunderung  über  diesen 
Vorgang  einen  raschen  Blick  durch  die  Risse  des  Mantels, 
unter  dem  er  sich  ängstlich  barg,  und  bemerkte,  dass  sich 
das  Meer  unter  den  Hufen  des  Rosses  weit  ausbreite;  doch 
es  wurde  ihm  verboten,  weiter  diesen  unerlaubten  Anblick 
festzuhalten,  und  so  wandte  er  seine  Augen  voller  Staunen 
von  der  schaudererregenden  Betrachtung  ihres  Weges  ab. 

Gleich  darauf  wurde  er  von  Lokerus  gefangen  und  er- 
probte aufs  sicherste  durch  eigene  Erfahrung,  dass  sich 
die  ganze  Prophezeiung  an  ihm  erfüllte.  Sodann  bekriegte 
er  den  König  Handvanus  von  Hellespontus^),  der  sich 
nicht  in  offener  Feldschlacht,  sondern  in  seiner  Hauptstadt 
Duna^),  durch  uneinnehmbare  Umschanzungen,  Mauern  und 
Wälle  gedeckt,  verteidigte.  Da  deren  Höhe  eine  Erstürmung 
unmöglich  machte,  Hess  er  Vögel  verschiedener  Art,  die  an 
ihre  Nester  in  jenem  Orte  gewöhnt  waren,  durch  Vogelsteller 
fangen  und  an  ihren  Flügeln  angezündete  Schwämme  *)  be- 
festigen; sowie  nun  die  Vögel  ihre  heimischen  Nester  wieder 
aufsuchten,  setzten  sie  die  Stadt  in  Brand  ^).  Als  nun  die 
42  Städter  zusammenströmten,  um  diesen  zu  löschen,  Hessen  sie 


*)  Odins  Ross  ist  der  achtfdssige  graue  Hengst  äleipoir,  der  von 
Loki  geboren  ist.  Vgl.  Snorra  Edda,  Gylfag.  Kap.  42  (Gering  S.  331) 
und  (reringä  Anmerk.  zu  „Baldra  Träumen*'  Str.  2  (S.  16,  1). 

*)  Unter  Hellespontus  versteht  Saxo  die  Länder  um  den  Rigascheu 
und  Finnischen  Meerbusen;  der  Grund  zu  dieser  sonderbaren  Vorstellung 
ist  wohl  darin  zu  suchen,  dass  die  Dänen  im  Mittelalter  annahmen,  et 
bestehe  eine  Seeverbindung  zwischen  dem  baltischen  und  ägäischen  Meere 
(durch  Scythien  oder  Russland  hindurch). 

*)  Das  ist  heute  Dünaburg  a.  d.  Düna,  dessen  Namen  Saxo  wohl 
eigenmächtig  in  die  alte  Sage  hineingebracht  hat. 

*)  Lat.  fungi;  man  hat  wohl  an  Angehörige  der  Pilzgattuug  Poly- 
porus  zu  denken,  aus  deren  korkigen  oder  holzigen  Hüten  Zunder  (Feuer- 
schwamm) bereitet  wird, 

•)  Dieselbe  List  wendet  B.  IV,  S.  119  (ed.  Holder)  König  Fridlewua  an. 


Kriegszüge  des  Hadingus.     Othinus.  37 

die  Thore  ohne  Verteidiger.  Da  machte  Hadingus  einen  An- 
griff und  nahm  Handvanus  gefangen;  er  gestattete  ihm  aber 
sich  durch  Aufwiegen  seines  Körpers  mit  Gold  loszukaufen  ^), 
und  obgleich  er  seinen  Feind  töten  konnte,  wollte  er  ihm  doch 
lieber  das  Leben  schenken.  So  sehr  beschränkte  die  Milde 
bei  ihm  die  Grausamkeit. 

Als  er  dann  noch  eine  starke  Heeresmacht  der  Ostländer 
im  Kampfe  niedergeworfen  hatte,  kehrte  er  nach  Schweden 
zurück.  Swibdagerus  trat  ihm  bei  Gudlandia*)  mit  einer 
gewaltigen  Flotte  entgegen,  aber  er  griff  ihn  an  und  besiegte  25 
ihn.  So  gelangte  er  nicht  nur  durch  Beute,  die  er  Fremden 
abgewann,  sondern  auch  die  glückliche  Ausübung  seiner  Rache 
für  Vater  und  Bruder  zu  glänzendem  Ruhme,  und  er  ver- 
tauschte die  Verbannung  mit  der  Herrschaft,  er,  der  sein 
Heimatland  erst  wieder  aufsuchen  durfte,  als  er  König  wurde. 

Zu  dieser  Zeit  wurde  ein  gewisser  Othinus^)  in  ganz 
Europa,  allerdings  mit  Unrecht,  göttlich  verehrt;  in  üpsala 
aber  pflegte  er  sich  am  häufigsten  aufzuhalten,  und  diesen 
Ort  würdigte  er,  sei  es  wegen  der  Einfalt  der  Bewohner  oder 
wegen  der  Anmut  der  Gegend,  einer  ganz  besonderen  Vorliebe  in 
seinen  Besuchen.  Die  Könige  des  Nordens  wollten  nun  seine 
Göttlichkeit  mit  besonders  hingebendem  Eifer  ehren  und  Hessen 
ein  Bild  von  ihm  in  Gestalt  einer  goldenen  Statue  herstellen; 
diese  Bildsäule  sandten  sie  als  Zeichen  ihrer  Verehrung  unter  den 


*)  Das  Aufwiegen  mit  Gold  ist  ursprünglich  eine  der  ältesten  Formen 
des  Wergeides,  d.  i.  des  Sühngeldes  für  einen  Mord;  vgl.  Amira  im 
(irundr.  UI,  199. 

*)  Das  ist  die  schwedische  Insel  Gottland. 

*)  Die  folgende  Darstellung  ist  recht  bezeichnend  für  Saxos  Aut- 
fassung von  den  alten  Heidengöttern,  die  für  ihn  nichts  als  menschliche 
Betrüger  sind;  zugleich  verfolgt  er  wohl  auch  die  Absicht,  sie  durch 
seine  spöttisch  -  lächerliche  Schilderung  noch  um  den  letzten  Rest  von 
Ansehen  zu  bringen,  das  sie  etwa  beim  Volke  noch  haben.  Die  ursprüng- 
lichen V^^orstellungen  sind  trotzdem  noch  deutlich  zu  erkennen.  —  Ueber 
Odin,  den  ursprünglichen  Sturmgott,  dann  den  mächtigsten  der  Äsen, 
dessen  Hauptkultusstätte  in  der  That  Upsala  war,  vgl.  Mogk  in  Grundr.  Hl, 
828  ff.:  E.  H.  Meyer  S.  229  ff.;  Golther  S.  283  ff.;  Uhland,  Schriften  zur 
Dichtung  und  Sage  VI,  129  ff.;  für  seine  Stellung  bei  Saxo  Olrik  I,  30  ff. 


3K  Erstes  Buch. 

höchsten  religiösea  Erfurchtebezeugungeii  nach  BizaDtium ') 
und  Bclimückten  sogar  ihre  Arme  mit  Spangen  von  schwerster 
Geldmasse.  Othinus  freute  sich  natürlich  über  dieses  sein  hohes 
Ansehen  und  belohnte  eifrig  die  Anhänglichkeit  der  Absender. 
Seine  Gemahlin  Frigga*)  aber  liess,  um  schöner  geschmückt 
einhergeben  zu  können.  Schmiede  herbei  holen  und  das  Gold 
von  der  Statue  herabreissen.  Die,<e  Leute  tötete  Othinus,  in- 
dem er  sie  aufhängte;  die  Bildsäule  aber  stellte  er  auf  einen 
Sockel  und  verlieh  ihr  durch  seine  wunderbare  Kunstfertig- 
keit die  Gabe,  bei  menschlicher  Berührung  zu  ertönen*). 
Aber  Frigga  zog  nichts  destoweuiger  den  Glanz  ihrer  Ge- 
I  wandung  den  göttlichen  Ehren  ihres  Gemahls  vor;  sie  gah 
sich  einem  ihrer  Diener  preis  und  zerstörte  auch  auf  dessen 
Veranlassung  das  Standbild,  um  das  Gold,  welches  doch  dem 
Aberglauben  der  Gesamtheit  geweiht  war,  als  Mittel  für  ihre 
eigene  Leppigkeit  zu  verwenden.  Sie  betrachtete  es  als  eine 
Kleinigkeit,  ihre  Ehre  wegzuwerfen,  wenn  sie  nur  desto 
schneller  ihre  Habgier  b-'friedijit,',  dieses  Weib,  unwrmlig  der 
Ehe  mit  einer  Gottheit.  Was  brauche  ich  aber  hier  noch 
weiter  hinzuzufügen,  als  dass  eine  solche  Gottheit  solch  einer 
Gattin  würdig  war?  Von  so  grossem  Irrtum  wurden  einst 
die  Gemüter  der  Menschen  bethört,  Othinus  empfand  uun. 
gereizt  durch  das  doppelte  Vergehen  seiner  Gattin,  ebenso 
grossen  Schmerz  über  die  Schändung  seines  Bildes  wie  über  die 
seines  Ehebettes.  Daher  entschloss  er  sich  aus  Verdruss  über 
die  zwiefache  Schmach  und  erfüllt  von  einem  vornehmen  Ehr- 


')  Dk'äfr  Xttine  (heul  Konalanliiuipel)  tri 
Btrclifu,  die  Mythologie  in'ipHchst  historisch  zu 
de«  im  Osten  godarhten  D'ittorhoims.  .^9f;ard.  < 

')  üelier  FrigR  vrI.  Annl.  2  8.  31 :  sie  ^ 
«L„lii  lind  ehelichen  L'iitn'ue  bezlchligl :  vgl.  ( 
Ml»  ■|'lir>-m   Str.  3   (S.   IH.  «).    ferner    liOkis    V 

l)ii'4i'  tiiiiende  Statue  erinnert  itn  die  Sago  vi>u  dein  sprechenden 

des  gelöteten  weisun   Kieaeii  Mlmlr.  mil  dem  sich  Odiu  iih  uoter- 

redii      VrI.  Mngk   i.  (Jrundr.   HI.  305  6:    E.   H.  Meyer   8.  1«2:    Holther 

S.  IMil  tl. 


t  bei  Saxo 
erklären,  z 

r  BoKci 

m  Be- 

hnung 

ir.1   a 
erings 
ortslr 

rh    sunsl 
Anmerk 

Str.  28. 

der  Hab. 
zum  Lied 
31.    32  ff. 

Othiiius.     Frigga.     31ithotyn.  39 

gefühl  zu  freiwilliger  Verbannung  und  glaubte  dadurch  den 
Schmutz  des  ihm  angetbanen  Schimpfes  austilgen  zu  können. 
Seinen  Weggang  benutzte  ein  gewisser  Mithotyn^),  der 
wegen  seiner  Zaubereien  berühmt  war,  gleich  als  wäre  er 
durch  himmlische  Gnade  unterstützt,  als  Gelegenheit  sich  selbst 
als  Gott  auszugeben;  er  trübte  den  Barbaren  die  Sinne  durch 
die  Finsterniss  neuer  Irrtumer  und  verleitete  sie  durch  den 
Ruf  von  seinen  Zaubereien,  seinem  Namen  göttliche  Ehren  zu 
erweisen.  Er  behauptete,  der  Zorn  der  Götter  oder  die  Ver- 
letzung ihrer  Majestät  könue  nicht  durch  gemeinsame,  un- 
gesonderte Opfer  gesühnt  werden;  daher  verbot  er,  geüieiu-  26 
schaftliche  Gebete  für  diesen  Zweck  zu  sprechen,  und  be- 
stimmte für  jeden  der  Himmlischen  besondere  Trankopfer. 
Bei  der  Rückkehr  des  Othinus  aber  Hess  er  alle  seine  Zauber- 
mittel im  Stich  und  floh,  um  sich  zu  verbergen,  nach  Finn- 
land, wo  er  bei  einem  Angriff  durch  die  Einwohner  erschlagen 
wurde.  Selbst  nach  seinem  Tode  kamen  noch  Schandthaten 
von  ihm  zum  Vorschein;  denn  wer  sich  seinem  Grabe  näherte, 
wurde  von  einem  plötzlichen  Tode  hingerafft.  Ja,  er  ver- 
breitete nach  der  l'lrfüUung  seines  Schicksals  noch  so  grosses 
Verderben,  dass  es  scheinen  konnte,  als  habe  er  noch  gräss- 
iichere  Erinnerungszeichen  au  seinen  Tod  als  an  sein  Leben 
hinterla.ssen,  gleich  als  wolle  er  von  den  Schuldigen  die  Strafe 
für  seine  Ermordung  einfordern.  Durch  dieses  Unheil  beun- 
ruhigt gruben  die  Bewohner  seine  Leiche  aus  dem  Grabhügel 
aus,  schlugen  ihr  das  Haupt  ab  und  durchbohrten  ihre  Brust 
mit  einem  spitzen  Pfahle;   das  schaft'te  dem  Volke  Abhilfe'^). 


*)  Die  dage  von  Mitodin  findet  sich  nur  hier;  der  Name  ist  nicht 
als  Mit-Odin  (Genosse  Odins)  zu  erklären,  sondern  wohl  als  Verstümmelung 
aus  isl.  mjptuör  (ags.  mcotod  =  Herrscher)  mit  dem  angehängten  Artikel 
-inn.  Die  Sage  scheint  sich  aus  der  jahreszeitenmythischen  Auffassung 
Odins  zu  erklären:  vgl.  Golther  Ö.  307  ff.,  E.  H.  Meyer  8.  249  und  den 
ähnlichen  Mythus  von  Ullr,  Saxo  B.  III  S.  129  und  Anm.  3. 

*)  Der  Glaube,  dass  die  Seelen  Verstorbener  wiederkehren  und  als 
Gespenster  dann  meist  verderblich  wirken,  ist  ganz  allgemein;  Ent- 
hauptung und  Pfählung  der  Leiche  ist  dann  das  sicherste  Mittel,  dies  zu 
verhüten.  Vgl.  auch  Saxo  B.  V,  S.  163  (Aswitns).  Siehe  darüber  Mogk 
i.  Grundr.  III,  2«4  ff. :   E.  H.  Mever  S.  65.  70. 


40  Erstes  Buch. 

44  Bald  nachher  erlangte  Othiniis  durch  den  Tod  seiner 
Gemahlin  den  Glauben  an  seine  frühere  Herrlichkeit  wieder 
und  kehrte,  gleich  als  ob  hierdurch  der  Schandfleck  auf  seiner 
göttlichen  Ehre  getilgt  sei,  aus  der  Verbannung  zurück.  Alle 
diejenigen,  welche  während  seiner  Abwesenheit  Ansprüche  auf 
himmlische  Ehren  erhoben  hatten,  zwang  er,  dieselben  als 
unberechtigt  aufzugeben,  und  die  Zauberergesellschaften,  welche 
sich  gebildet  hatten,  zerstreute  er  bei  seinem  Erscheinen  wie 
eine  finstere  Wolke  durch  den  Glanz  seiner  Majestät.  Er 
veranlasste  sie  aber  durch  seinen  Befehl,  nicht  nur  ihre  Gött- 
lichkeit aufzugeben  sondern  auch  das  Vaterland  zu  verlassen ; 
denn  er  meinte,  mit  Recht  müssten  diejenigen  auch  von  der 
heimischen  Erde  verjagt  werden,  die  sich  so  nichtsnutzig  in 
den  Himmel  eingedrängt  hatten. 

Unterdessen  Hess  sich  Asmundus,  der  Sohn  des  Swib- 
dagerus,  um  seinen  Vater  zu  rächen,  mit  Hadingus  in  eine 
Schlacht  ein.  Sobald  er  erfuhr,  dass  sein  Sohn  Heinrich» 
den  er  mehr  wie  sein  Leben  liebte,  im  heldenmütigsten  Kampfe 
gefallen  sei,  sang  er  voll  Sehnsucht  nach  dem  Tode  und  voll 
Hass  gegen  das  Lebenslicht  ein  Lied  folgenden  Wortlauts: 

„Welcher  Held  möchte  wohl  wagen  unsere  Waffen  zu 
nehmen?  Nichts  nutzt  der  strahlende  Helm  dem  Wankenden^), 
und  zwecklos  deckt  die  Brünne  den  schon  Geschlagenen*). 
Erfreuen  wir  uns  der  Waffen  nach  dem  Tode  des  Sohnes! 
Die  innige  Liebe  zu  ihm  zwingt  mich  zu  sterben,  damit  ich 
nicht  mein  teures  Kind  überlebe.  Mit  beiden  Händen  den 
Stahl  zu  fassen  erfreut  uns;  jetzt  wollen  wir  uns  im  Kampfe 
tummeln,  ohne  Schild,  mit  blosser  Brust,  mit  funkelnder  Klinge. 

45  Leuchten  soll  der  Ruhm  von  unserer  Wildheit;  kühn  wollen 
wir  die  Schar  der  Feinde  zermalmen.  Nicht  braucht  uns  erst 
ein  langes  Streiten  zu  erbittern,  noch  soll  unser  Ungestüm, 
durch  die  Flucht  gebrochen,  nachlassen." 

Mit  diesen  Worten  legte  er  beide  Hände  an  den  Schwert- 

«7  griff,  schwang,  ohne  auf  die  Gefahr  zu  achten,  den  Schild  auf 

den  Rücken  und  weihte  mehrere   dem  Tod.     Daher  rief  Ha- 


*)  Damit  meint  er  sich  selbst. 


Othinus.     Hadingus  u.  Asmundns.  41 

dingus  die  ihn  schützenden  göttlichen  Mächte  um  Hilfe  an, 
und  plötzlich  erschien  Yagnhofthus  als  Vorkämpfer  auf  seiner 
Seite.  Als  Asmundus  dessen  krummes  Schwert  erblickte, 
brach  er  klagend  in  folgendes  Lied  aus: 

„Was  kämpfst  du*)  mit  krummem  Schwerte?  Mein 
kurzes  Schwert  wird  dir  dein  Schicksal  bereiten,  und  der 
Wurfspeer,  von  mir  geschleudert,  wird  dir  den  Tod  bringen. 
Du  vertraust  darauf,  den  Feind,  den  du  mit  der  Faust  über- 
winden solltest,  durch  Zauberlieder  zu  zerfleischen,  du  ver- 
lädst dich  mehr  auf  Worte  als  auf  Kraft  und  verlegst  deine 
Stärke  in  deine  grosse  Zaubermacht !  Weshalb  stösst  du  mich 
denn  so  zurück  mit  dem  Schildbuckel,  unter  Drohungen  mit 
deinem  kühnen  Speer,  während  du  doch  mit  elenden  Ver- 
'  brechen  überhäuft  und  mit  Schandflecken  besudelt  bist?  So 
hat  dich  das  Mal  der  Schande  gebrandmarkt,  als  ein  von 
I^astern  stinkendes  Grossmaul.'* 

Als  er  dies  ausrief,  durchbohrte  ihn  Hadingus  mit  seinem  46 
Wurfspiess*).  Aber  Asmundus  hatte  noch  einen  Trost  im 
Tode;  denn  noch  mit  dem  letzten  schwachen  Reste  seiner 
Lebenskraft  verwundete  er  seinen  Mörder  am  Fusse  und  strafte 
ihn  so  mit  ewiger  Lahmheit;  durch  diesen  kleinen  Augenblick 
der  Rache  machte  er  ihm  seine  Niederlage  für  immer  denk- 
würdig. So  ward  dem  einen  die  Verstümmelung  eines  Gliedes, 
dem  andern  das  Ende  des  Lebens  zu  teil.  Des  Asmundus 
Leiche  Hess  Hadingus  mit  feierlichem  Gepränge  bestatten  und 
in  Upsala  unter  königlichen  Ehren  beisetzen.  Seine  Ge- 
mahlin Gunnilda  gab  sich  selbst  mit  dem  Schwerte  den  Tod, 
um  ihn  nicht  zu  überleben,  und  zog  es  vor,  ihrem  Manne  in 
den  Tod  zu  folgen,  anstatt  ihn  durch  ihr  Weiterleben  zu  ver- 
lassen*). Als  ihre  Freunde  ihren  Körper  bestatteten,  legten 
sie  ihn  neben  die  Asche  ihres  Gemahls;   denn  sie  hielten  sie 


*)  Diese  Trotz-  und  Herausforderung^srede  gilt,  wie  das  Folgende 
erweist,  nicht  dem  Vagnhoftus  sondern  Hadding. 

')  Ijat. :  hasta  amentata,  d.  h.  ein  Wurfspiess,  an  dem  ein  Riemen 
befestigt  ist;  isl.  snoeris-spjot. 

•)  Vgl.  die  ähnliche  Geschichte  der  Swanhwita,  der  (remahlin  des 
Regnerus,  die  aus  Liebe  zum  Gatten  stirbt  (Buch  II,  S.  83). 


42  Eratea  Buch. 

des  Grabes  dessen  für  würdig,  den  sie  mehr  ala  das  Leben 
geliebt  hatte.  So  ruht  nun  Giinnilda  an  der  Seite  ihres  Gatten 
und  teilt  mit  mehr  Khren  jetzt  sein  Grab  als  früher  sein  Bett. 
Darnach  verheerte  der  siegreiche  Hadiogns  Schweden; 
der  Sohn  AsmiiDdiie'  aber,  Namens  Uffo,  getraute  sich  nicht 
sich  auf  einen  Kampf  einzulassen,  sondern  setzte  sein  Heer 
nach  Dänemark  über.  Denn  er  hielt  es  für  vorteilhafter  in 
das  Land  der  Feinde  einzufallen  als  das  eigene  zu  beschützen 
und  meinte,  es  sei  eine  zweckmässige  Art  Unbilden  abzu- 
wehren, wenn  er  das,  was  er  vom  Feinde  erlitten,  ihm  wieder 
zufügte.  So  sahen  sich  die  Dänen  gezwungen  zur  Verteidigung 
ihrer  Heimat  zurückzukehren,  und  da  sie  das  Wohl  ihres 
Vaterlandes  der  Herrschaft  über  fremden  Besitz  vorzogen, 
konnte  lilTo  den  heimischen  Boden  wieder  aufsuchen,  der  nun 
von  den  Waffen  der  Feinde  befreit  war. 

t  Als  nun  Hadingus    aus    dem   Schwedenkriege  zurück- 

kehrte, bemerkte  er.  dasa  seine  Schatzkammt-r,  in  welcher  er 
die  aus  den  Feldzügen  als  Beute  heimgebrachten  Schätze  /u 
verwahren  pllegte,  bestohlen  worden  sei.  Den  Aufseher  darüber, 
Glumerus,  liess  er  auf  der  Stelle  hängen  und  machte  dann 
nach  einem  listig  ersunnenen  Plane  bekannt,  dass  der  \»n 
den  Schuldigen,  welcher  die  Rückgabe  des  Gestohlenen  ver- 
anlasse, die  Khrenstelle,  die  Glumerus  inne  gehabt,  erhalten 
solle.  Durch  dieses  Versprechen  wurde  einer  der  Schuldigen 
von  grösserem  Eifer  erfüllt,  diese  Gnade  zu  empfangen,  als 
«ein  Verbrechen  zu  verheimlichen  und  besorgte  die  Rückgabe 
des  Geldes  an  den  König.  Die  andern  Mitschuldigen  nun 
glaubten,  er  sei  der  engsten  Freundschaft  mit  dem  König  ge- 
würdigt, hrachten  in  der  Meinung,  diese  Ehre  sei  ebenso  ehr- 
lich gemeint  wie  einträglich,  ebenfalls  in  der  Hoffnung  auf 
tileiche  Belohnung,  das  Geld  zurück,  und  offenbarten  so  ihre 
Schuld.  Auf  ihr  Geständnis  hin  wurden  sie  zuerst  mit  Kbren 
iiiid  Wohlthateii  empfangen,  nachher  aber  mit  dem  Tode  be- 

■  -Iraft  —  ein  Verfahren,  das  eine  recht  eindringliche  Warnung 
viir  der  Leichtgläubigkeit  enthält.  Meiner  Ansicht  nach  haben 
dii'se  Leute  nach  Verdienst  am  Galgen  für  den  Bruch  des 
Scliweigens  gebüsst:   denn  die  Thorheit  ihrer  Zunge  stürzte  sie 


Hadingiis  u.  Glumerus.     Schwedenkrieg.  43 

ins    Verderben,    während    ihnen    heilsame    Verschwiegenheit 
völlige  Sicherheit  gewährt  hätte. 

Darnach  verbrachte  Hadingus  den  Winter  mit  den 
eifrigsten  Vorbereitungen  zur  Erneuerung  des  Krieges.  So- 
bald die  FruhlingRsonne  das  Eis  geschmolzen,  eilte  er  wieder 
nach  Schweden  und  verbrachte  dort  fünf  Jahre  im  Felde.  Als 
nun  aber  die  Lebensmittel  im  Laufe  dieser  langandauernden 
Unternehmung  ausgingen,  hatten  seine  Soldaten  heftig  unter 
der  Abzehrung  zu  leiden  und  begannen  bereits  ihren  Hunger 
mit  Schwämmen  des  Waldes  zu  stillen.  Endlich,  beim  äussersten 
Mangel  am  Notwendigsten,  verzehrten  sie  auch  die  Pferde  ^), 
und  zuletzt  begnügten  sie  sich  gar  mit  Hundeleichen.  Ja,  man 
hielt  es  selbst  nicht  mehr  für  ein  Verbrechen,  Menschenfleisch 
zu  essen.  Als  so  die  Dänen  an  den  äussersten  Rand  der  Ver- 
zweiflung getrieben  waren,  ertönte  in  früher  Nachtzeit,  ohne 
das«  man  den  Sprecher  sehen  konnte,  folgendes  Lied  im  Lager: 

„Cnter  schlimmem  Vorzeichen  habt  ihr  das  Vaterland 
verlassen,  die  ihr  gedachtet  dieses  Land  mit  Krieg  zu  ver- 
folgen. Welch  eitler  Wahn  verblendete  euern  Sinn?  Welch 
blindes  Zutrauen  ergriflF  eure  Gemüter,  dass  ihr  vermeintet, 
dieser  Boden  könne  erobert  werden?  Die  schwedische  Macht 
ist  ni<*ht  so  schwach,  im  Kriege  mit  Fremden  nachzugeben  oder 
zu  erbeben.  Aber  euer  gesamtes  Heer  wird  zu  Grunde  gehen, 
wenn  es  den  AngriflF  auf  das  uusrige  beginnt.  Denn  wenn 
die  Flucht  die  ungestüme  Kraft  gebrochen  hat  und  wankend 
ein  Teil  im  Kampfe  niedersinkt,  dann  wird  den  Siegern  im 
Streite  unumschränkte  Macht  zum  Morden  der  Flüchtlinge 
gegeben;  grössere  Freiheit  im  Gebrauche  des  Schwertes  wird  2» 
gewährt,  wenn  das  Schicksal  den  Gegnern  zur  jähen  Flucht 
treibt,  keiner  erhebt  wohl  die  WaflFen,  den  die  Furcht  fort- 
reisst." 

Am    folgenden    Tage    erfüllte    sich    diese    Prophezeiung  48 
durch  eine  verlustreiche  Niederlage  der  Dänen.    In  der  näch- 


*)  Pferdefleisch  wurde  sonst  fast  nur  bei  feierlichen  Opfermählern 
gegessen:  vgl.  Kälund  i.  Grundr.  III,  448;  Wcinhold  S.  145  (über  Hunde 
ebenda  S.  58). 


^ 


44  Erstes  Buch. 

sten  Nacht  aber  bekam  die  schwedische  Mannschaft,  auch 
ohne  dass  man  wusste  von  wem,    folgendes  Lied   zu   hören: 

„Weshalb  fordert  mich  Uffo  so  heraus  in  schwerem  Auf- 
ruhr, er,  der  doch  die  härteste  Strafe  dafür  erdulden  soll? 
Denn  er  wird  durchbohrt  werden,  ein  Ziel  vieler  Lanzen^ 
und  leblos  wird  er  zusammenstürzen,  für  die  Kühnheit  seines 
Unterfangens  büssend.  Nicht  wird  das  Verbrechen  seiner 
Scheelsucht  ungerächt  bleiben.  Und  nach  meiner  Weissagung 
werden,  sobald  er  den  Kampf  beginnt  und  Hand  dabei  an- 
legt, die  Geschosse  in  seine  Glieder  eindringen  und  von  allen 
Seiten  seinen  Leib  bestürmen;  kein  Verband  wird  die  rohen 
OeiTnungen  seiner  Wunden  bedecken  und  kein  Heilmittel 
wird  die  weiten  Ränder  seiner  Narben  zusammenziehen/ 

Als  in  derselben  Nacht  die  Heere  zusammenstiessen., 
teilten  zwei  Greise  von  übermenschlich  hässlicher  Gestalt  mit 
kahlen  Häuptern,  welche  beim  Funkeln  der  Sterne  —  ein 
trauriger  Anblick  —  ihre  Glatzköpfe  zur  Schau  trugen,  in- 
folge ihrer  entgegengesetzten  Neigungen  und  Bestrebungen 
ihre  gewaltigen  Kräfte  ^).  Denn  der  eine  begünstigte  die 
Partei  der  Dänen,  der  andere  erwies  sich  als  Freund  der 
Schweden.  Hadingus  wurde  besiegt  und  floh  nach  Helsin- 
gien^);  als  er  sich  dort,  ausgeglüht  von  der  Sonnenhitze,  im 
kühlen  Meereswasser  badete,  überwältigte  er  ein  Untier  von 
unbekannter  Art,  dem  er  mit  zahlreichen  Streichen  zu  Leibe 
ging,  tötete  es  und  Hess  es  in  sein  Lager  schaffen^).  Als  er 
sich  dort  laut  seiner  That  freute,  trat  ihm  eine  Frau  ent- 
gegen und  redete  ihn  folgendermassen  an*): 


')  Wahrscheinlich  beruht  diese  Vorstellunjf  auch  auf  mytholoffischer 
Grundlage;  man  kann  vielleicht  an  einen  Kampf  zweier  Stammesgötter 
oder  -Dämonen  denken. 

*)  Helsingland,  schwedische  Provinz  am  ßottnischen  Meerbusen. 

•)  Die  Tötung  dieses  Ungetüms,  unter  dem  sich  ein  riesisches  Wesen 
birgt,  bedeutet  Haddings  Bruch  mit  den  Riesen,  von  denen  er  fortan  ge- 
ächtet ist.  —  Ein  göttliches  Wesen  konnte  jenes  Tier  nicht  sein,  da  es 
dann  nicht  von  Menschenhand  hätte  gefällt  werden  können;  diese  aU- 
gemein  germanische  Anschauung   ist  ßaxo  allerdings  nicht  mehr  bekannt. 

*)  Der  tolgendo  Fluch,  zu  dem  Stephanius  eine  ziemlich  ähnliche 
Sti>lle  aus  Ovid,  Ibis  105  ff.,  als  Parallele  anführt,  kann  zwar  durch  dieses 


i 


Schwedenkrieg  d.  Hadingus  u.  seine  Folgen.  45 

„Ob  du  mit  dem  Fasse  die  Erde  berührst  öder  die  Segel  49 
auf  dem  Meere  ausspannst,  wirst  du  docb  die  Feindschaft  der 
Götter  erfahren,  und  auf  der  ganzen  Welt  wirst  du  die  Ele- 
mente als  Gegner  deiner  Vorsätze  sehen;  auf  dem  Lande  30 
wirst  du  Sturzen,  auf  dem  Meere  hin  und  her  geschleudert 
werden,  Wirbelstürme  werden  dich  bei  deinen  Zügen  beständig 
begleiten,  und  nie  wird  der  starre  Frost  deine  Segel  verlassen. 
Kein  Dach  wird  dich  schützen,  wenn  du  es  aufsuchst,  sondern 
vom  Sturmwind  getroffen  wird  es  niedersinken.  Deine  Herde 
wird  fallen  vor  grimmer  Kälte.  Alles  wird  durch  deine  An- 
wesenheit befleckt  werden  und  über  dein  Los  Schmerz  empfin- 
den. Wie  den  verderblichen  Aussatz  wird  man  dich  fliehen, 
und  keine  schlimmere  Pest  wird  es  geben  als  dich.  So 
schwere  Strafe  messen  dir  die  Himmelsmäcbte  zu.  Denn 
einen  von  den  Himmlischen,  der  in  fremdem  Körper  sieh 
barg,  haben  deine  verruchten  Hände  getötet:  So  stehst  du  da 
als  Mörder  der  segenspendenden  Gottheit.  Aber  wenn  das 
Meer  dich  aufnimmt,  wirst  du  die  entfesselte  Wut  der  Be- 
wohner von  Acolus'  Gewahrsam  empfinden.  Zephyrus,  der 
ßoreas  und  Auster  werden  dich  niederwerfen,  und  um  die 
Wette  werden  sie  ihr  vereintes  Stürmen  loslassen,  bis  du  den 
Groll  der  Götter  durch  inniges  Gebet  erweicht  und  die  ver- 
<liente  Strafe  zur  Sühne  erlitten  hast^)." 

Als  nun  Hadingus  zurückkehrte,  erfuhr  er  alles  das 
genau  in  demselben  Verlaufe,  und  schon  durch  seine  blosse 
Ankunft  brachte  er  die  ruhigsten  Stätten  in  Aufruhr.  War 
er  zur  See,  so  erhob  sich  gewaltiger  Nebel,  und  furchtbares 
Unwetter  zerstörte  seine  Flotte.  Suchte  er  als  Schiffbrüchiger 
gastliches  Obdach  zu  erreichen,  so  empfing  ihn  ein  plötzlicher 
Einsturz  des  Hauses.  Es  gab  auch  keine  Abhilfe  gegen  dieses 
Unheil,  als  bis  er  imstande  war,  durch  Opfer  sein  Verbrechen 
zu  sühnen  und  mit  den  Himmlischen  sich  wieder  zu  ver- 
söhnen. So  brachte  er  denn,  um  das  göttliche  Walten  zu  50 
besänftigen,  dem  Gotte  Frö  ein  Opfer  von  schwarzen  Rindern 

(jedicht  beeinflusst  sein;   wahrscheinlicher  aber   ist  die  Uebertragung  aus 
einem  altnord.  Original;  vgl.  die  Busluboen  i.  d.  Bosasaga  (s.  S.  33  A.  1). 
*)  Dieser  letzte  Satz  erinnert  sehr  an  Vergil,  Aen.  I,  52  ff. 


46  Erstes  Buch. 

dar.  Diese  Sitte  des  Suhnopfers,  welches  alljährlich  festlich 
wiederholt  wird,  hinterliess  er  der  Nachwelt  zur  Nachahmung. 
Die  Schweden  nennen  das  Fröblod^). 

Hadingus  hörte  zufällig,  dass  Regnilda,  die  Tochter 
des  Haquinus,  des  Königs  der  Nitherer^),  mit  einem  Riesen 
verlobt  war.  Tief  entrüstet  über  eine  so  schmachvolle  Lage 
der  Dinge,  verhinderte  er  in  seinem  äussersten  Abscheu  gegen 
die  beabsichtigte  Verbindung  durch  ein  edles  Wagestück  die 
Hochzeit.  Er  eilte  nämlich  nach  Norwegen  und  tötete  den 
so  abscheulichen  Liebhaber  der  Jungfrau  im  Kampfe.  Denn 
er  zog  Heldenthaten  so  sehr  der  Müsse  vor,  dass  er,  obwohl 
er  in  königlichen  Genüssen  hätte  schwelgen  können,  es  doch 
für  weit  erfreulicher  als  jedes  Vergnügen  hielt,  nicht  nur 
eigene  Unbilden,  sondern  auch  die  anderer  abzuwehren.  Da 
nun  der  Wohlthäter  des  Mädchens  zahlreiche  Wunden  davon- 
getragen hatte,  gewährte  es  ihm,  ohne  ihn  jedoch  zu  kennen, 
Pflege  und  Heilung.  Damit  aber  nicht  die  Länge  der  Zeit 
ihr  die  Erinnerung  an  ihn  entreisse,  legte  sie  einen  Ring  in 
eine  Wunde  in  seinem  Bein  und  hinterliess  dadurch  an  ihm 
ein  Kennzeichen.  Einige  Zeit  nachher  erhielt  sie  von  ihrem 
Vater  die  Erlaubnis,  sich  selbst  einen  Gatten  zu  wählen,  und 
als  die  junge  Mannschaft  beim  Mahle  versammelt  war, 
musterte  sie  dieselbe  gar  sorgsam  durch  Betasten,  denn  sie 
81  suchte  nach  dem  einst  niedergelegten  Zeichen.  Sie  ver- 
51   schmähte  alle,  Hadingus  aber  erkannte  sie  an  dem  verborgenen 


*)  I).  h.  Opfer  fdr  Frö.  Diese  Namensform  ist  sonst  iii  der  nc»r- 
dischen  Ueberliefcruiig  nicht  bekannt;  sie  steht  bei  Saxb  tür  Freyr.  den 
Himmels-,  Sonnen-  und  Lichtgott.  Ueber  ihn  vgl.  Mogk  i.  (Trundr,  III. 
318  ff.;  K.  H.  Meyer  S.  222  ff.;  Golther  S.  218  ff.  —  Tebrigens  handelt  es 
sich  wahrscheinlich  bei  diesem  ersten  Fröblot  nicht ,  wie  es  hier  klingt, 
um  ein  Siihnopter,  sondern  um  einen  Bund  Haddings  mit  den  Äsen,  mit 
deren  Hilfe  er  fortan  die  feindlichen  Riesen  bekämpft.   Vgl.  Olrik  II.  6  ff. 

')  Das  Volk  der  Nitheri  ist  nach  Müller  unbekannt.  Holder  erklärt 
Nitheri  mit  .,yid-Elven  in  Norwegen",  Elton  wirft  die  Frage  auf,  ob  an 
die  mythischen  Njaren  zu  denken  sei,  die  im  Eddaliede  von  Wölund 
Str.  7  ff.  vorkommen  (Gering  S.  143). 


Hadingus  u.  Regnilda.     Besuch  d.  Unterwelt.  47 

Ringe,  umarmte  ihn  und  gab  sieb  dem  zur  Gattin,  der  einst 
verhindert  hatte,  dass  der  Riese  sie  zur  Ehe  gewann. 

Als  Hadingus  bei  ihr  verweilte,  geschah  ein  ganz 
wunderbares  Ereignis.  Denn  während  er  speiste,  sah  man 
eine  Frau,  welche  Schierling:  trug,  in  der  Nähe  der  Kohlen- 
pfanne ihr  Haupt  aus  dem  Boden  erheben;  sie  hielt  den 
Schoss  ihres  Gewandes  hin  und  schien  zu  fragen,  in  welcher 
Gegend  der  Welt  wohl  so  frisches  Grün  zur  Winterszeit  ge- 
wachsen sei.  Da  der  König  begehrte,  dieselbe  kennen  zu 
lernen,  hüllte  sie  ihn  in  ihren  Mantel  und  versehwand,  indem 
sie  ihn  mit  sich  unter  die  Erde  hinabführte.  Ich  glaube, 
dies  geschah  so  auf  Bestimmung  der  unterirdischen  Götter, 
damit  er  schon  bei  Lebzeiten  einmal  an  den  Ort  gebracht 
werde,  den  er  im  Tode  aufsuchen  sollte.  Zuerst  nun  kamen 
sie  durch  eine  feuchtfinstere  Nebelwolke,  schritten  dann  auf 
einem  vom  beständigen  (lehen  schon  abgenutzten  Pfade  ein- 
her, und  erblickten  einige  prächtig  gekleidete  und  in  Purpur 
gehüllte  vornehme  Männer.  Dort  gingen  sie  vorüber  und 
gelangten  dann  auf  sonnige  Gefilde,  wo  die  von  der  Frau 
gebrachten  Kräuter  wuchsen.  Bei  weiterem  Vordringen 
stiessen  sie  auf  einen  schnell  dahingleitenden  Fluss  mit  trübem 
Wasser,  der  in  seiner  reissenden  Strömung  Waffen  verschie- 
dener Art  mit  sich  trieb  und  zugleich  durch  eine  Brücke 
überschreitbar  gemacht  war.  Sie  gingen  hinüber  und  sahen, 
wie  zwei  Heere  gewaltig  miteinander  kämpften.  Als  Hadingus 
die  Frau  über  ihre  Bedentung  befragte,  sagte  sie:  Das  sind 
diejenigen,  welche,  vom  Schwert  in  den  Tod  getrieben,  die 
Art  ihres  Unterganges  beständig  im  Bilde  bezeugen  und 
durch  dieses  Schauspiel  hier  die  Thaten  ihres  früheren  Lebens 
erneuern.  Ihrem  weiteren  Vorwärtskommen  stellte  sich  dann 
eine  schwer  zugängliche  und  schwer  übersteigbare  Mauer  ent- 
gegen. Vergebens  versuchte  die  Frau  hinüberzuspringen,  und 
da  es  ihr  auch  nichts  half,  dass  sie  ihre  Körpergrösse  durch 
Zusammenschrumpfen  verminderte,  so  riss  sie  einem  Hahne, 
den  sie  zufällig  mit  heruntergebracht  hatte,  den  Kopf  ab  und 
warf  ihn   über   die  Mauer.     Alsbald    aber    wurde    der  Vogel 


4g  Entea  Buch. 

wieder  lebendig  und  bezeugte  durch  lautes  Krähen,  dass  er 
in  Wahrheit  seioeu  Lebensodem  wieder  erlangt  babe^). 

Nun  kehrte  Hadingus  wieder  um  und  schickte  sich  an 
mit  seiner  Gemabliu  sein  Vaterland  wieder  aufzusitchen:  hier- 
bei vereitelte  er  durch  seine  schnelle  Fahrt  einen  hinterlistigen 
53  Ueberfall  von  Seeräubern,  die  ihm  auflauerten.  Denn  obwubt 
sie  von  fast  denselben  Winden  begünstigt  wurden,  konnten 
sie  ihn,  als  er  die  Wogen  durchfurchte,  trotz  der  gleichen 
Anzahl  von  Segelu  nicht  einholen. 

Unterdessen  machte  Uffo,  der  eine  wunderbar  schöne 
Tochter  hatte,  bekannt,  dass  derjenige,  der  Hadiogus  ums 
lieben  bringe,  sie  bekommen  würde.  Dadurch  Uess  sich  ein 
gewisser  Thuningus  gar  sehr  verlocken;  er  sammelte  eine 
Schar  Biarmier*)  und  bemühte  sich,  den  verbeissenen  Preis 
SS  zu  gewinnen.  Als  Hadingus,  um  den  Kampf  mit  diesem  auf- 
zunehmen, mit  seiner  Flotte  an  Norwegen  vorüberfuhr,  be- 
merkte er  an  der  Küste  einen  alten  Mann,  der  durch  emsiges 
Winken  mit  seinem  Mantel  zur  Landung  aufforderte ').    Trotz 

*)  Nach  dieaem  Ueauch  Haddinga  in  der  Unterwelt  hciaat  daa  Toten- 
reich auch  in  poeliachcr  Umachreibung  „Haddinga-Land"  (2.  Lied  von 
Oudnin,  Gering«  Edda  S.  24i3,  Str.  28).  Von  den  Bkalden  wird  es  unter 
dem  Xameu  Walhall  verherrlicht.  Der  Fluaa  Tührt  in  den  Edda- 
liedern verschiedene  Namen:  SliO  (die  Furch lerlichc),  Ueir^-imul  (die 
von  ypeeren  Wimmclndi'),  tijifll  (die  Lärmende):  vgl.  Gering»  Edda,  Re- 
gister. Die  Hauer  lieiasl  Val-  oder  Helgrind.  Ueber  Walhall  vgl.  daa 
Lied  von  Orimnir  (Gering  8.  68  ff.:  femer  Mogk  i.  Orundr.  III,  3e0ff.; 
E.  H.  Meyer,  bea.  S.  189  ff.  (Siehe  auch  Rcfjister).  Uolther  8.  289  ff., 
ms  ff.  —  titxot  Voralellung  ist  nicht  ganz  lilar.  Zu  den  altheidnischen 
acheinen  sich  antik-klaa^iache  (vgl.  bea.  \'ergiL  Aen.  VI,  305—15,  295, 
I.  100)  und  vielleicht  ancli  chriallichc  zu  gesellen.  Denn  hinter  Jenem 
Reiche  des  Todea.  in  welches  die  wegen  ihrea  O  est  allen  Wechsels  wohl  als 
Kieain  anfzu fassende  Frau  fuhrt,  befindet  aicb  ein  Reich  ewigen  Lebens, 
daa  weder  ain  noch  der  Heide  Haddlng  betreten  kann;  es  ist  wohl  aber 
wahrvclii'iiilicher  an  den  altnurd.  l'dainsakr  ^=  Uuslerblichkcitaacker  zu 
dwikcn.  I'.ber  diesen  a.  d.  Anm.  z.  B.  IV.  105  (H'.ldcr).  -  Vgl.  noch 
Malltfolioir,  Üeutsi-he  Altertumakde.  V.  ll.'i. 

*t  I).  h.  die  I'ermicr  oder  Pennländer,  ein  finniacher  Voiksatamm 
im  hculiijon  niaaischen  rinuverncnient  Perm:  auch  sie  sind  ein  aagenhafivs 
^      Volk,  dns  im  Rufe  gnisaer  Zauberkünate  steht,  wie  die  andern  Pinnen. 

*|  DiT  Oreia  Ist  wieder  (Min,  der  gemeinhin  als  der  Erfinder  der 
ilfÖmiii;cn  Schlachtordnung  gilt. 


Hadingus'  Kampf  gegen  die  Biarmier.     Othiiuis.  49 

des  Widerspruches  seiner  Gefährten,  die  meinten,  das  sei  nur 
eine  Verzögerung  ihrer  Reise,  nahm  er  ihn  an  Bord  und  fand 
in  ihm  einen  Lehrmeister  für  die  Aufstellung  des  Heeres. 
Denn  bei  der  Ordnung  der  Heerhaufen  pflegte  dieser  sehr 
sorgsam  darauf  zu  achten,  dass  die  erste  Reihe  aus  zwei  Mann 
bestehe,  die  zweite  aus  vieren,  dass  die  dritte  bis  auf  acht  an- 
wachse und  immer  so  fort  jede  folgende  die  vorhergehende 
um  das  Doppelte  überträfe^).  Zugleich  wies  er  auch  den 
Scharen  der  Schleuderer  ihre  Plätze  am  hintersten  Ende  der 
Schlachtreihe  an  und  vereinigte  mit  diesen  die  Glieder  der 
Bogenschützen.  Als  er  so  die  Scharen  keilförmig  aufgestellt 
hatte,  nahm  er  selbst  hinter  den  Kriegern  seinen  Stand  und 
zog  aus  dem  Sacke,  welchen  er  um  den  Hals  trug,  eine  Wurf- 
maschine hervor.  Sie  erschien  zuerst  zwar  klein,  bald  aber 
nahm  der  Bogen  bedeutend  an  Grösse  zu,  und  er  legte  zehn 
Pfeile  auf  die  Sehne.  Diese  wurden  mit  recht  kräftigem 
Schwünge  zugleich  auf  die  Feinde  geschnellt  und  schlugen  58 
dort  ebensoviele  Wunden^).  Da  vertauschten  die  Biarmier 
die  Waffen  mit  Zaubermitteln,  überzogen  den  Himmel  mit 
<iewölk  und  trübten  das  heitere  Wetter  durch  düstere  Regen- 
güsse. Der  Alte  hingegen  verjagte  diese  Regenmasse  durch 
eine  Sturmwolke,  die  er  entgegenschob,  und  bezwang  den 
feuchten  Niederschlag  durch  das  Gegengewicht  des  Nebel- 
gewölks. Beim  Scheiden  verkündete  der  Greis  dem  siegreichen 
Hadingus,  dass  er  nicht  durch  Feindesgewalt  sondern  durch 
freiwilligen  Tod  sterben  werde,  und  er  verbot  ihm  noch, 
ruhmreichen  Kriegszügen  unbedeutende  und  fernen  nahe  vor- 
zuziehen '). 


')  Die  Reihen  wachsen  also  in  geometrischer  Proportion ;  die  Nord- 
länder nennen  diese  Ordnung;  Swinfylking,  v^I.  das  Lied  v.  Regin  (Gering 
8.  201,  Str.  23  u.  Anm.  2).  (tanz  Aehnliches  berichtet  Saxo  noch  einmal 
<B.  VII,  8.  248  Holder)  von  König  Harald  Kampfzahn. 

*)  Aehnliches  berichtet  auch  die  Jornsvikingasaga. 

*)  Diesen  Rat  Odins  hat  Hadding  schon  lange,  ehe  er  ihn  noch  be- 
kommen, befolgt;  vielleicht  ist  dies  ein  Zeichen,  dass  Saxos  Bericht  diu 
niiatsachen  nicht  in  der  ursprünglichen  Reihenfolge  bringt. 

Saxo  Grammaticus.  *• 


50  Erstes  Buch. 

Nach  seinem  Abschied  wurde  Hadingus  von  Uffo  unter 
dem  Vorwand  einer  Unterredung  nach  Upsala  eingeladen. 
Dabei  verlor  er  aber  seine  Gefährten  durch  einen  Hinterhalt 
und  entkam  selbst  nur  unter  dem  schutzenden  Dunkel  der 
Nacht.  Denn  als  die  Dänen  das  Haus,  in  welchem  sie  sich 
vorgeblich  zum  Gastmahl  hatten  versammeln  müssen,  wieder 
verlassen  wollten,  war  einer  zur  Stelle,  der  jedem,  welcher 
den  Kopf  zur  Thur  hinaussteckte,  denselben  mit  dem  Schwerte 
abhieb.  Hadingus  vergalt  die  Schmach  dieser  Unthat  durch 
einen  Kriegszug  und  tötete  Uffo.  Dann  aber  legte  er  seinen 
Hass  ab,  übergab  seine  Leiche  einem  Mausoleum  von  aus- 
gezeichneter Arbeit  und  bekannte  die  Grösse  seines  Feindes 
durch  die  künstlerische  Pracht  seines  Grabmals  *j.  So  achtete 
er  den,  welchen  er  bei  Lebzeiten  mit  feindlichem  Grimme 
zu  verfolgen  pflegte,  nach  seinem  Tode  durch  diese  Ehren- 
erweisung. Und  um  sich  die  Neigung  des  besiegten  Volkes 
zu  gewinnen,  betraute  er  Uffos  Bruder  Hundingus  mit  der 
Regierung  desselben,  damit  es  den  Anschein  habe,  als  ob  die 
Herrschaft  niclit  sowohl  auf  Fremde  übergegangen,  als  viel- 
mehr der  Familie  des  Asmundus  erhalten  geblieben  sei. 

Als  er  so  seinen  Nebenbuhler  beseitigt  hatte,  verbrachte 
er  mehrere  Jahre  in  völliger  Zurückgezogenheit  vom  Waflfen- 
88  handwerk  und  ohne  störende  Zwischenfälle.  Endlich  aber 
schützte  er  die  lauge  Beschäftigung  mit  dem  Landbau  und 
die  allzugrosse  Zurückhaltung  von  kriegerischen  Thaten  zur 
See  vor,  und  da  er  denn  doch  den  Krieg  für  angenehmer 
hielt  als  den  Frieden,  begann  er  sich  selbst  in  folgendem 
Liede  der  Trägheit  zu  zeihen^): 

')  Dieser  Bericht  ist  übertrieben;  die  (Trabhügel  sind  meist  ganz 
einfach  aus  Erde,  unten  und  mitunter  auf  der  Spitze  mit  Steinen  aus- 
geschmückt, die  manchmal  Inschriften  tragen.  Vgl.  Weinhold  8.  485. 
K&lnnd  i.  (inindr.  III,  S.  427,  411;  für  Einzelheiten  Sophus  3Inller,  Nord. 
Altert uroskde.,  übers,  v.  Jiriczek  (Strassburg  1897  98)  passim. 

*)  Das  folgende  Lied  ist  die  Uebersetzung  oder  Bearbeitung  eines 
uns  in  der  Snorraedda  zum  Teil  erhaltenen  (»edichtes.  eines  Gespräches 
zwischen  XjörÖr  und  SkaOi  (Gylfaginning,  Kap.  21  =  Gering  8.  818). 
Id  seinem  Bestreben  nach  Rhetorik  und  Fülle  hat  Saxo  den  einfachen 
Gedanken    weiter    ausgesponnen    und    auch    den    für    Skandinavien    nicht 


Hadingus  u.  Uffo.     Ruhezeit.  51 

„Was  verweile  ich  in  düsteren  Verstecken,  verborgen  in 
zerklüfteten  Hügeln,  und  folge  nicht  mehr  nach  alter  Sitte  54 
dem  Meere?  Aus  den  Augen  vertreibt  mir  den  Schlaf  der 
heulende  Lärm  der  Wolfsrudel,  der  bis  zum  Himmel  dringende 
Klageruf  unnützer  Tiere  und  der  unerträgliche  Grimm  der 
Löwen.  Traurig  sind  Berge  und  Einöden  für  Herzen,  die  sich 
einst  wildere  Thaten  getrauten.  Starre  Felsen  und  unzugäng- 
liche Stätten  sind  dem  Sinne  dessen  zuwider,  der  das  Meer 
liebt.  Denn  eine  bessere  Beschäftigung  ist  es,  die  Fluten  mit 
dem  Ruder  zu  erproben,  über  erbeutete  Waren  zu  jubeln, 
fremdem  Gelde  für  den  eigenen  Beutel  nachzugehen,  auf  der 
See  erworbene  Schätze  zu  betrachten,  als  auf  holperigem  55 
Boden,  in  den  Windungen  der  W^älder  und  auf  unfruchtbaren 
Bergländern  zu  wohnen." 

Seine  Gemahlin  aber  liebte  das  Landleben  und  verab- 
scheute den  Morgenruf  der  Seevögel;  welches  Vergnügen  für 
sie  in  dem  Besuche  waldiger  Stätten  lag,  enthüllte  sie  in 
folgenden  Versen: 

„Der  hellrufende  Vogel  ängstigt  mich,  wenn  ich  am 
Strande  weile,  und  sein  Schrei  stört  mich  auf,  wenn  ich 
schlaflos  bin.  Dann  wieder  verscheucht  das  donnernde 
Brausen  des  brandenden  Schwalls  die  süsse  Ruhe  von  meinem 
Auge,  wenn  ich  schlafe;  der  geschwätzige  Taucher  lässt  mich 
bei  Nacht  nicht  schlummern,  indem  er  seine  lästige  Stimme 
meinem  zarten  Ohre  aufdrängt,  und  verstattet  mir  keine  Er- 
holung, wenn  ich  mich  niederlegen  will;  denn  er  klagt  in 
den  traurigen  Lauten  seiner  unheilvollen  Stimme.  Für  sicherer 
und  angenehmer  halte  ich  die  Freude  an  den  Wäldern.  Wann 
wird  einem  denn  mehr  der  Genuss  der  Ruhe  bei  Tag  und 
bei  Nacht  gestört,  als  wenn  man  schwankend  auf  den  Fluten 
der  See  umhertreibt?" 

Zu  ebenderselben  Zeit  gelangte  ein  gewisser  Tosto,  aus  34 
einem  unbedeutenden  Oertchen  Jütlands  gebürtig,  durch  seine 
Wildheit  zur  Berühmtheit.     Mit  allerlei  Schandthaten  plagte 


paasenden  Löwen    hereingebracht.    —    Der    Schluss    ist    bezeichnend    für 
Haddings  echte  Wikingergesinnung. 


52  Erstes  Buch. 

er  das  Volk  und  verbreitete  die  Kunde  von  seiner  Grausam- 
keit weithin.  Ja  der  Ruf  von  seiner  Bosheit  ward  so  allge- 
mein, dass  man  ihn  mit  dem  Beinamen  des  „Schändlichen^  ^) 
brandmarkte.  Er  hielt  sich  aber  auch  nicht  von  Beleidigungen 
Fremder  fern,  und  nach  schandbarer  Verheerung  seines  Vater- 
landes suchte  er  auch  Sachsen  heim.  Der  Fürst  dieses  Landes, 
Sifridus^),  dessen  Gefährten  im  Kampfe  sehr  gelitten  hatten, 
bat  um  Frieden,  und  Tosto  sicherte  ihm  die  Erfüllung  dieser 
Bitte  zu,  wofern  er  ihm  seine  Bundesgenossenschaft  in  einem 
Feldzuge  gegen  Hadingus  versprechen  wollte.  Als  er  wider- 
strebte und  die  Erfüllung  dieser  Bedingung  scheute,  zwang 
ihn  Tosto  durch  heftige  Drohungen  zu  dem  verlangten  Ver- 
sprechen. Denn  es  kommt  ja  vor,  dass  man  durch  Drohungen 
erreicht,  was  in  Gute  nicht  gelingt.  In  einem  Gefechte  zu 
56  Lande  wurde  Hadingus  von  ihm  besiegt.  Als  er  aber  bei 
seiner  Flucht  auf  die  Flotte  des  Siegers  stiess,  bohrte  er  die 
Seiten  der  Schiflfe  an  und  machte  sie  so  seeuntüchtig ') ;  dann 
bestieg  er  einen  Nachen  und  steuerte  ins  hohe  Meer  hinaus. 
Tosto  meinte,  er  sei  erschlagen,  obgleich  er  lange  unter  den 
untereinander  geworfenen  Leichen  der  Gefallenen  herumsuchte, 
ohne  ihn  finden  zu  können,  und  kehrte  zu  seiner  Flotte  zurück. 
Hier  sah  er  alsbald  in  der  Ferne  mitten  auf  den  Meereswogen 
das  kleine  Boot  treiben.  Er  zog  einige  Schiffe  zusammen 
und  beschloss,  es  zu  verfolgen;  doch  durch  den  drohenden 
Schiffbruch  wurde  er  zur  Umkehr  gezwungen  und  konnte  nur 
mit  Mühe  das  Ufer  wiedergewinnen.  Darauf  aber  nahm  er 
schnell  seetüchtige  Schiffe  und  vollendete  seine  begonnene 
Fahrt.  Als  Hadingus  sah,  dass  man  ihn  fest  habe,  fragte 
er  seinen  Begleiter,  oh  er  schwimmen  könne,  und  als  dieser 
verneinte,  stürzte  er,  am  Entkommen  verzweifelnd,  absichtlich 
das  Boot  um  und  hielt  sich  in  der  inneren  Höhlung  fest; 
dadurch  erweckte  er  bei  seinen  Verfolgern  den  Glauben,  als 


')  Lat.:  Facinorosus;  sonst  ist  er  nicht  bekannt. 

^  Bei  diesem  Siep^ed  kann  man  wohl  kaum  an  eine  bestimmt«, 
sonst  irgendwie  bekannte  Persönliclikeit  denken:  der  Xame  scheint  wUI- 
kürlich  gewählt. 

•)  Dieselbe  Kriegslist  finden  wir  im  11.,  V.  und  XUI.  Buche  wieder. 


Kämpfe  des  Hadingus  gegen  Sifridus  u.  Tosto.  53 

ob  er  tot  sei.  Als  sich  dann  aber  Tosto  unbesorgt  und  allzu 
habgierig  auf  den  noch  vorhandenen  Rest  der  Beute  warf, 
grilT  ihn  Hadingus  unvermutet  an,  schlug  sein  Heer,  zwang 
ihn,  die  Beute  im  Stiche  zu  lassen  und  rächte  sich  so  für 
seine  eigene  Flucht  durch  die  der  Feinde. 

Auch  in  Tosto  blieb  aber  das  Rachegelüste  nicht  aus. 
Denn  da  er  wegen  der  Grösse  des  erlittenen  Schlages  keine 
Möglichkeit  mehr  hatte,  neue  Streitkräfte  in  seinem  Vater- 
lande zu  gewinnen,  begab  er  sich  als  sein  eigener  Gesandter 
nach  Britannien.  Auf  dieser  Reise  forderte  er  seine  Ge- 
fährten aus  Mutwillen  zum  Würfelspielen^)  auf,  und- sobald 
sich  ein  Streit  über  das  Fallen  der  Würfel  erhob,  lehrte  er 
sie,  denselben  durch  ein  unheilvolles  Morden  zu  schlichten. 
So  säte  er  durch  den  harmlosen  Zeitvertreib  Zwietracht  in 
das  ganze  Schiff,  der  Scherz  verwandelte  sich  in  Ernst  und 
erzeugte  einen  blutigen  Kampf.  Und  um  selbst  einigen  Vor- 
teil von  dem  Unglück  der  andern  zu  haben,  bemächtigte  er 
sich  des  Geldes  der  Getöteten  und  gewann  damit  einen  ge- 
wissen Collo^)  für  sich,  der  damals  wegen  seiner  Seeräuberei  57 
berühmt  war.  In  dessen  Begleitung  kehrte  er  bald  darauf 
in  die  Heimat  zurück,  wurde  von  Hadingus,  der  es  vorzog,  35 
sein  eigenes  Geschick  anstatt  das  seiner  Soldaten  aufs  Spiel 
zu  setzen,  zum  Zweikampf  herausgefordert  und  erschlagen. 
Es  wollten  nämlich  tapfere  Feldherren  vom  alten  Schlage 
nicht  unter  Preisgabe  der  Gesamtheit  das  herbeiführen,  was 
durch   das   Schicksal   weniger  entschieden   werden  konnte'). 

Nach  diesen  Thaten  erschien  Hadingus  das  Schattenbild 
seiner  verstorbenen  Gemahlin*)  und  sang  folgendes: 

„Ein  Ungetüm  ist  dir  geboren,  welches  die  Wut  wilder 
Tiere  bezähmen  und  mit  grimmigem  Rachen  die  raschen  Wölfe 
zermalmen  wird." 


»)  Ueber  das  Würfelspiel  vpl.  Weinhold  S.  468-9. 

*)  Die  Namen  CoUo  oder  CoUerus  (Kollr)  finden  sich  öfter;  siehe 
auch  Buch  UI  S.  137,  und  VIII,  259  (Holder). 

')  Beispiele  hierfür  sind  häufig,  auch  bei  Saxo. 

*)  Träume  spielen  bei  den  Skandina\nern  eine  grosse  Holle;  vgl. 
Henzen,  Ueber  die  Träume  in  der  altnordischen  Sagalitteratur,  Lpzg.  1890. 


54  Erstes  Buch. 

Aber  bald  nachher  fügte  sie  noch  etwas  hinzu: 
„Hüte  dich;  ein  dir  verderblicher  Vogel  ist  von  dir  aus- 
gegangen, nach  seiner  Bosheit  ein  wilder  Uhu,  nach  seiner 
Stimme  ein  sangreicher  Schwan." 

Als  der  König  am  Morgen  den  Schlaf  abgeschüttelt  hatte, 
legte  er  die  Erscheinung  einem  Traumdeuter  vor.  Dieser 
erklärte  den  Wolf  als  einen  Sohn,  der  recht  grausam  sein 
werde,  und  unter  dem  Schwane  verstand  er  eine  Tochter;  er 
prophezeite,  jener  werde  den  Feinden  verderblich,  diese  gegen 
ihren  Vater  heimtückisch  sein.  Der  Erfolg  entsprach  dieser 
Weissagung;  denn  Hadingus*  Tochter  Ulwilda^)  war  mit 
einem  Privatmanne,  (iuthormus,  verheiratet,  und,  mochte 
sie  nun  von  Entrüstung  über  diese  Verbindung  oder  von 
Ruhmsucht  getrieben  werden,  sie  wiegelte  ohne  Rücksicht  auf 
kindliche  Liebe  ihren  Manu  zur  Ermordung  ihres  Vaters  auf; 
ja  sie  erklärte,  sie  wolle  lieber  als  Königin  denn  als  Königs- 
tochter angesehen  sein.  Die  Art  und  Weise  ihrer  Aufreizung 
habe  ich  mit  ungefähr  denselben  Worten  wiederzugeben  be- 
schlossen, die  sie  dabei  gebraucht  hatte;  es  waren  etwa 
folgende*): 
58  Ach  ich   elende,    deren   Adel   durch  eine   unebenbürtige 

Eheverbindung  verdunkelt  wird!  Ich  unglückliche,  an  deren 
Stammbaum  bäuerliche  Niedrigkeit  gefesselt  wird!  Ich  un- 
seliger Fürstenspross,  dem  ein  Plebejer  nach  dem  Recht  des 
Ehebettes  gleich  wird!  Ich  beklagenswerte  Königstochter^ 
deren  Ehre  ihr  feiger  Vater  gemeinen  und  verächtlichen  Um- 
armungen preisgegeben  hat!  Ich  bejammernswertes  Kind 
meiner  Mutter,  dessen  Glück  die  Gemeinschaft  dieses  Bettes 
vernichtet,  dessen  Reinheit  bäurischer  Schmutz  besudelt, 
dessen  Würde  gemeine  Unwürdigkeit  niederbeugt,  dessen 
Adel  der  Stand  des  Gatten  befleckt!  Wenn  dir  nur  ein 
bisschen  Kraft  inne  wohnt,   wenn  nur  ein  wenig  Tüchtigkeit 


')  Dieser  Name,  nhtjeU*itot  von  iilfr  =  Wolf,  ktMinzeichnet  sie  schon. 

*)  Dio  fol^onde  Ro<io  ist  nicht  in  Versform:  die  üppige  und 
schwülstige  Uhotorik  kommt  wohl  sicher  auf  Saxos  Rechnung,  der  solche 
Oelegenheiten  gern  benutzt,  nni  seine  Kunst  im  Lateinschreiben  zu  zeigen. 
Rin  altes  liied  kann  natürlich  trotzdem  zu  (irunde  liegen. 


Ulwildas  Empörung.  55 

dein  Herz  beseelt,  wenn  du  dich  als  würdiger  Eidam  des 
Königs  erweisen  willst,  so  entreisse  deinem  Schwiegervater 
den  Herrscherstab,  erwirb  dir  Adel  durch  deine  Tapferkeit, 
mache  den  Mangel  an  edler  Geburt  durch  deine  Thatkraft 
gut,  gleiche  den  Schaden  des  Blutes  durch  Mut  aus.  Preisens- 
werter  ist  Ehre,  wenn  sie  durch  Kühnheit,  als  wenn  sie  durch 
Erbschaft  erworben  ist.  Besser  erklimmt  man  den  höchsten 
Gipfel  durch  eigene  Tüchtigkeit  als  durch  Nachfolge.  Rühm- 
licher gewinnt  das  Verdienst  Ehren  als  die  Natur.  Und  dann 
bedenke!  Es  ist  keine  Sünde,  das  Greisenalter  zu  stürzen,  86 
welches  unter  seiner  eigenen  Last  schon  dem  Untergange 
zuneigt.  Deinem  Schwiegervater  wird  die  Herrschaft  so  langer 
Jahre  genügen.  Die  Macht  dieses  Greises  möge  dir  zufallen; 
denn,  wenn  du  darum  kommst,  wird  sie  auf  einen  andern 
übergehen.  Was  dem  Alter  noch  bleibt,  ist  nahe  dem  Fall  ^). 
Jener  mag  genug  geherrscht  haben,  dir  soll  es  endlich  auch 
einmal  zukommen  zu  gebieten.  Lieber  ist  es  mir  ferner, 
wenn  mein  Mann,  als  wenn  mein  Vater  herrscht.  Lieber 
will  ich  als  Königin  denn  als  Königstochter  gelten.  Besser 
ist  es,  den  Fürsten  vertraulich  zu  umarmen,  als  ihn  ausser- 
lieh  zu  verehren,  ruhmvoller,  den  König  zu  heiraten,  als  ihm 
nur  zu  Willen  zu  sein.  Du  müsstest  für  dich  selbst  das 
Scepter  lieber  haben  wollen,  als  für  deinen  Schwiegervater. 
Denn  nach  Naturtrieb  ist  sich  jeder  selbst  der  Nächste. 
Gelegenheit  wird  sich  leicht  zu  dem  Beginnen  bieten,  wenn 
nur  der  Wille  zur  That  gekommen  ist.  Nichts  giebt  es,  was 
dem  Talent  nicht  gelänge.  Ein  Gelage  ist  abzuhalten,  ein 
Festmahl  zu  rüsten,  Vorbereitungen  sind  zu  treffen,  mein 
Vater  ist  einzuladen.  Erheuchelte  Liebe  wird  dem  Verrate 
den  Weg  ebnen.  Mit  dem  Namen  der  Verwandtschaft  werden 
am  besten  solche  Anschläge  gedeckt.  Ausserdem  wird  die 
Trunkenheit  dem  Morde  glatte  Bahn  eröffnen.  Wenn  der 
König,  mit  der  Ordnung  seines  Haares  beschäftigt,  seine 
Aufmerksamkeit  den  Erzählungen  zuwendet  und  mit  der 
Hand  den  Bart  streicht,  wenn  er  die  Wirrnis  seines  Haupt-  59 


*)  Sprichwörtlich:  Ein  wankender  Baum  wird  bald  fallen. 


56  Krslcs  Buch. 

haars  mit  dem  Haarpfeil  oder  mit  dem  Kamme ')  nchliebtet, 
danu  soll  er  fühlen,  wie  sich  das  Eisen  in  seine  Eingeweide 
bohrt.  Wenn  man  etwas  zu  thun  hat,  achtet  man  gewöhnlich 
nicht  sehr  anf  Vorsicht.  Deine  Rechte  soll  die  Rächerin  so 
vieler  Verbrechen  werden.  Wohlgefällig  ist  es,  die  Hand  zur 
Sühne  gegen  Feiende*)  auszustrecken. 

Da  t'lwilda  so  drängte,  gab  Cutliormus  ihren  Ein- 
flüsterungen nach  und  versprach  seine  Unterstützung  bei  dem 
Anschlage,  tnterdeasen  aber  ward  Hadingus  durch  einen 
Traum  gemahnt,  sich  vor  der  Arglist  seines  Schwiegersohnes 
zu  hüten.  Er  begab  sich  zu  dem  Mahle,  welches  seine  Tochter 
liebeheuchelnd  für  ihn  veranstaltet  hatte,  stellte  aber  eine 
Schar  BewalTneter  in  der  Nähe  auf,  um  sich  im  Falle  des 
Bedarfs  ihrer  Hilfe  gegen  den  t'eberfall  zu  bedienen.  Als  er 
ass,  hielt  der  Trabant,  welcher  für  die  Ausübung  der  Schaud- 
that  gewonnen  war,  das  Eisen  unter  seinem  Kleide  verborgen 
und  wartete  schweigend  den  rechten  Augenblick  zu  dem  Ver- 
brechen ab.  Der  König  bemerkte  ihn  und  gab  seinen  in  der 
Nühe  aufgestellten  Soldaten  mit  dem  Hom  das  Zeichen.  Sie 
brachten  alsbald  Hilfe,  und  so  fiel  das  hinterlistige  Unter- 
nehmen auf  seinen  Anstifter  zurück. 

Unterdessen  hatte  der  Schwedenkönig  Hundingus  fälsch- 
lich die  Nachricht  vom  Tode  des  Hadingus  erhalten  und 
wollte  mm  denselben  mit  einer  Leichenfeier*)  begehen.  Er 
^ersammelte  seine  Edlen,  füllte  ein  Geßss  von  au.-iserordent- 
lieber  Grösse  mit  Gerstensaft  und  Hess  es  zu  aller  Freude 
mitten  unter  den  Gästen  aufstellen;  und  damit  keine  Feier- 
lichkeit unterbliebe,  übernahm  er  selbst  die  Rolle  des  Dieners 
fO  und  zögerte  nicht,  das  Schenkenamt  auszuüben.  Als  er  nun 
in    Erfüllung     dieser    Pflicht     die    Königshalle     durchschritt. 


1 


')  Ueber  soli-he  Schmuck-  und  Toi IPttcniiL-gcn stände  vgl,  )[üller- 
.liiiczek.  Xord.  Allertumskdp.  -p«88im. 

'1  Nach  dpm  LaloinUi-lien  (niiseroruiii)  köiiuto  auch  dai  Xeutrum 
(Kk't;)),  Schlechti);ki'i()  ift^m^i"'  ^^in. 

•)  Ein  Hchr  wi^aviitUchor  Bestandteil  dt-rsfllieii  ist  nach  «llKemein 
t,-i  iiTianUchem  Itraiifh  der  Leiche  lisch  maus.  altnnrU,  erfiöl  (=  Erbbier); 
vel.  ft'einhold  S.  ,'iOO. 


Ulwilda.     Tod  des  Hundingus  u.  Hading^us.  57 

strauchelte  er,  stürzte  in  das  Gefäss  und  gab,  in  der  Flüssig- 
keit eingeschlossen,  seinen  Geist  auf^),  als  Sühne  vielleicht  87 
für  den  Orkus,  den  er  so  für  die  falsche  Ausübung  der  Leichen- 
feier versöhnte,  vielleicht  auch  für  Hadingus,  dessen  Tod  er 
irrtümlich  angenommen  hatte.  Als  Hadingus  dies  erfuhr, 
wollte  er  ihm,  der  ihn  geehrt,  gleichartigen  Dank  erweisen, 
und  da  er  es  nicht  über  sich  gewann,  den  Toten  noch  zu  über- 
leben, erhängte  er  sich  angesichts  des  ganzen  Volkes*). 

Ende  des  ersten  Buches. 


^)  Die  gleiche  Todesart  berichtet  die  YngUngasaga,  Kap.  14,  von 
dem  Schwedenkönig  Fjölnir.  als  er  einst  Frode  von "  Seeland  besuchte. 
Da  dieser  Bericht  älter  ist,  hat  wohl  einfach  Saxo  oder  sein  (lewährs- 
mann  die  Geschichte  auf  seinen  Helden  übertragen. 

•)  Von  Selbstmord  hören  wir  öfter;  (vgl.  die  weiteren  Angaben  bei 
Jiriczek,  Deutsche  Heldensagen  [Strassburg  1898]  I,  65  ff.).  Das  Erhängen 
ist  keine  schimpfliche  Todesart;  denn  sie  ist  Odin  am  meisten  genehm. 
Die  Opfer  fiir  ihn,  Menschen  oder  Tiere,  sowie  Verbrecher,  die  gegen 
ihn  gefrevelt,  werden  so  getötet.  Odin  heisst  ja  selbst  hangaguO;  vgl. 
E.  H.  Meyer   S.  200,  233. 


88;  61  Zweites  Buch. 


Hadingus'  Nachfolger  war  sein  Sohn  Frotho.  dessen 
Schicksale  wechselvoll  und  merkwürdig  waren  *).  Als  er  die 
KnabeDJalire  zurückgelegt  hatte,  zeigte  er  die  Vollendung  aller 
Tugenden  eines  jungen  Kriegers  *).  Um  diese  nicht  der  Träg- 
heit zum  Opfer  fallen  zu  lassen,  hielt  er  sich  von  Vergnüg- 
ungen fern  und  wandte  seine  Aufmerksamkeit  emsig  denWaffen- 
übnngen  zu.  Als  der  Schatz  seines  Vaters  durch  kriegerische 
Unternehmungen  erschöpft  war  und  er  keine  Möglichkeit  mehr 
hatte,  Sold  zu  zahlen,  um  eiü  Heer  zu  unterhalten,  sann  er 
eifrig  nach  Hilfsmitteln  für  die  nötigsten  Bedürfnisse  und 
wurde  dabei  von  einem  Stammesgenossen,  der  ihm  begegnete, 
durch  folgendes  Lied  aufgemuntert: 

„Eis  liegt  eine  Fnsel  nicht  fern  von  hier,  in  sanften  Ab- 
hängen sich  erhebend;  Erz  deckt  sie  mit  ihren  Hügeln,  und 
kostbare  Beute  birgt  sie.  Einen  herrlichen  Schatz  hütet  hier 
der  Besitzer  des  Berges,  eine  Schlange,  in  Windungen  gewickelt 
und  in  zahlreiche  Ringe  verschlungen;  mit  dem  Schwänze 
schlägt  sie  wellige  Bogen  und  beschreibt  vielfache  Spiralen, 
Gift  speit  sie.  Wenn  du  sie  besiegen  willst,  so  überziehe 
62  deinen  Schild,  den  du  verwenden  musst,  mit  Stierfellen,  schütze 


*)  Die  Frodesajfp  hän^t  zeitlich  und  innerlich  mit  der  Uaddin^^ssage 
zusammen,  sie  ist  wi*»  jene  eine  Wikinjjersage  und  ebenfalls  norv'ejfi sehen 
Ursprunges.  Saxos  Darstelhinp  ist  aber  niciit  rein;  einijje  Zü^e  sind  einer 
andern,  dänischen  Frodesajje  entnommen,  deren  Held  Frode  der  Friedsame 
ist  (behandelt  im  V.  Buche),  und  unseres  Frode  Tod  erinnert  sehr  an  den 
eines  dritten  Frode,  des  Kühnen  (B.  VT).  Für  das  Einzelne  v^\.  die  An- 
merkunjren;  siehe  auch  Olrik  IT,  {♦ff. 

*)  Frodes  Jugend  gleicht  der  Si'in«'s  Vaters  IJadding.     S.  S.  30. 


Frotho  I.     Jugend  u.  Drachenkampf.  59 

deinen  Leib  mit  Rinderhäuten,  und  sorge,  dass  deine  Glieder 
sich  nicht  nackt  dem  bitteren  Gifte  aussetzen.  Ihr  Geifer 
verbrennt  alles,  vas  sie  anspeit.  Mag  immer  die  dreigezackte 
Zunge  zuckend  im  geöffneten  Maule  hin  und  herspringen,  mag 
nie  mit  dem  schrecklichen  Rachen  schreckliche  Wunden  an- 
drohen, denke  daran  unerschrockenen  Sinn  und  Mut  zu  be- 
wahren. Lass  dich  nicht  anfechten  die  Spitze  ihres  scharfen 
Zahnes,  nicht  ihre  Wildheit  noch  das  Gift,  das  rasch  ihrem 
Schlünde  entströmt.  Wenn  auch  die  Stärke  ihrer  Schuppen 
Geschosse  nicht  achtet,  so  wisse  doch,  dass  unten  am  Bauch 
eine  Stelle  ist,  an  der  du  das  Eisen  einbohren  kannst.  Dahin 
ziele  mit  dem  Schwerte,  und  du  wirst  die  Schlange  mitten 
durchstossen.  Dann  gehe  furchtlos  auf  den  Berg,  setze  die 
Hacke  an,  grabe  und  durchsuche  die  Höhlungen.  Alsdann 
fülle  sogleich  deine  Beutel  mit  dem  Erz  und  führe  dein  Schiff 
wohl  beladen  ans  Ufer  zurück." 

Frotho  schenkte  dem  Liede  Glauben  und  setzte  ganz  89 
allein  nach  der  Insel  über,  um  das  Ungetüm  genau  so  ohne 
Begleiter  zu  bestehen,  wie  man  auch  Helden  anzugreifen 
pflegte  ^).  Die  Schlange  hatte  gerade  Wasser  getrunken  und 
wollte  ihre  Höhle  wiederaufsuchen*);  da  wurde  sie  von  Frotho 
mit  dem  Schwerte  angegriffen,  aber  die  Härte  ihrer  greulichen  63 
Haut  verachtete  die  Streiche.  Auch  die  Speere,  die  er  gegen 
sie  schleuderte,  spotteten  der  Anstrengung  des  Schützen  und 
hatten  nicht  den  Erfolg  sie  zu  verwunden.  Während  nun  die 
AViderstandsfähigkeit  ihres  Rückens  nicht  nachgab,  musste  jene 
Stelle  am  Bauche,  die  nur  allzu  genau  bezeichnet  war,  dem 
Schwerte  Einlass  gewähren.  Als  sie  sich  noch  durch  einen 
Biss  rächen  wollte,  bohrte  sie  die  scharfen  Spitzen  ihrer  Zähne 
nur  in  den  Schild;  unter  vielfachem  Züngeln  hauchte  sie  Gift 
und  Leben  zugleich  aus. 

*)  Bezieht  sich  auf  den  Gebrauch  bei  Einzelkämpfen  oder  Holm- 
((ängen ,  die  ganz  gewöhnlich  waren ,  von  manchen  Kämpen  oder  Ber- 
serkern sogar  gewerbsmässig  aiisgefochten  wurden.  Vgl.  bes.  Weinhold, 
S.  297,  Olrik  I,  56  ff.  Bei  Saxo  u.  a.  auch  III,  S.  85,  86,  und  IV,  112 
und  115  (Holder). 

*)  Vgl.  das  Lied  von  Fafnir,  prosaische  Einleitung.  (Gerings  Edda 
S.  202). 


60  Zweites  Buch. 

Das  gefundene  Geld  machte  den  König  reich,  und  damit 
versehen  landete  er  mit  seiner  Flotte  an  der  Küste  der  Kur- 
land er  ^).  Deren  König  Domo  soll  nun  aus  Furcht  vor  dem 
gefährlichen  Kriege  an  seine  Soldaten  eine  Rede  folgenden 
Inhalts  gehalten  haben^):  Edle!  Wir  wollen  dem  fremden  Feinde, 
der  mit  den  Waffen  und  Hilfsmitteln  fast  des  ganzen  Abend- 
landes ausgerüstet  ist,  durch  heilsamen  Verzicht  auf  eine  Feld- 
schlacht, durch  die  Macht  des  Hungers  die  Spitze  bieten.  Das 
ist  ein  innerliches  Uebel.  Sehr  schwer  wird  es  ihm  sein, 
gegen  diese  Gefahr  im  eigenen  Heere  anzukämpfen.  Leicht 
leistet  man  Hungernden  Widerstand.  Wir  werden  den  Gegner 
besser  mit  Hunger  als  mit  W^affen  angreifen,  und  kein  schärferes 
Geschoss  als  den  Mangel  gegen  den  Feind  kehren.  Die  kraft- 
verzehrende Pest  wird  durch  den  Mangel  an  Nahrung  genährt. 
Mangel  an  Unterhalt  untergräbt  die  Macht  der  Waffen.  Dieser 
möge,  während  wir  uns  ausruhen,  seine  Geschosse  schleudern, 
er  möge  Rechte  und  Pflichten  des  Kampfes  übernehmen.  Ohne 
64  Blutverlust  können  wir  ihnen  ihr  Blut  abzapfen.  Den  Feind 
in  aller  Ruhe  überwinden  ist  das  Richtige.  Wer  würde  denn 
lieber  unter  eigenem  Schaden  kämpfen  als  in  Sicherheit? 
Wer  möchte  sich  wohl  bemühen  eine  Strafe  abzuwarten,  wenn 
er  ungestraft  streiten  kann?  Glücklicherer  Erfolg  wird  die 
Waffen  begleiten,  wenn  der  Hunger  als  Vorbote  den  Krieg 
einleitet.  Unter  seiner  Führung  wollen  wir  die  erste  Gelegen- 
heit zum  Kampfe  benutzen.  Unser  Lager  soll  frei  von  jeder 
Unruhe  bleiben,  er  möge  statt  unser  die  Entscheidung  herbei- 
führen. Erst  wenn  jener  besiegt  zurückweicht,  ist  unsere  Müsse 
zu  unterbrechen.  Leicht  wird  vcm  frischen  Kräften  der  Er- 
mattete überwältigt.  Die  abgezehrte  Rechte  wird  nur  noch 
mit  Mühe  zu  den  Waffen  greifen.  Wen  zuvor  die  Anstren- 
gung erschöpft  hat,  der  wird  nur  langsam  die  Hand  ans  Schwert 
legen.  Schnell  ist  der  Sieg  entschieden,  wo  der  von  Ent- 
behrung Angegriffene    mit  einem   starken  Gegner  ficht.     So 


*)  Auch  Haddings   erster  Zug  jjalt  diesein  Volke.     (S.  35). 
')  Keden  (hier  u.  ö..   namentlieh   noch  S.  73  ff.)    benutzt  Saxo   gern 
zu  dem  in  Anm.  2  S.  54  angedeuteten  Zwecke. 


Frothos  Kampf  gegen  die  Kurländer  u.  Rutenen.  Q\ 

werden  >vir,   ohne   selbst  Schaden  zu  nehmen,   den  anderen 
Schaden  verursachen  können. 

Nach  dieser  Rede  plünderte  er  alles,  was  nach  seiner 
Ansicht  schwer  zu  schützen  war,  und  er  kam  in  der  Ver- 
heerung seines  Vaterlandes  der  Wut  des  Feindes  so  sehr  zu- 
vor, dass  er  keinen  Platz  unversehrt  Hess,  der  den  Nach-  40 
ruckenden  hätte  als  Stütze  dienen  können.  Den  grössten 
Teil  seiner  Truppen  barg  er  dann  in  einer  Festung  von  un- 
bezweifelter  Stärke  und  Hess  sicli  vom  Feinde  belagern.  Da 
Frotho  die  Hoffnung  aufgab,  diese  Festung  zu  erobern,  Hess 
er  innerhalb  seines  Lagers  mehrere  Gräben  von  ungewöhn- 
licher Tiefe  ziehen,  die  Erde  in  Körben  heimlich  hinwegtragen 
und  in  aller  Stille  in  den  Fluss  werfen,  der  unweit  der  Mauern  «5 
floss.  Dieses  listige  Werk  machte  er  dadurch,  dass  er  die 
Gräben  mit  dichtem  Rasen  belegen  Hess,  unbemerkbar;  denn 
er  wollte  den  unvorsichtigen  Feind  durch  einen  Absturz  ver- 
nichten, und  er  rechnete  darauf,  dass  durch  das  Nachgeben 
der  trügerischen  Schollen  die  überraschten  Gegner  verschüttet 
werden  würden.  Darnacli  begann  er  in  erheuchelter  Flucht 
ein  wenig  das  Lager  verlassen.  Da  fielen  die  Städter  über 
dasselbe  her,  verloren  überall  den  Halt  unter  den  Füssen 
und  stürzten  in  die  Gruben,  wo  sie  Frotho  durch  einen  Hagel 
von  Speeren  niedermetzeln  Hess. 

Von  hier  zog  dann  Frotho  weiter  und  überfiel  Tran  no, 
den  Fürsten  der  Rutenen^).  Als  er  im  Begriff  war  die 
Stärke  vod  dessen  Seemacht  auszukundschaften,  Hess  er  eine 
Menge  hölzerner  Pflöcke  machen  und  ein  Boot  damit  beladen. 
Mit  diesem  näherte  er  sich  bei  Nacht  heimlich  der  feindlichen 
Flotte  und  bohrte  die  Schiffe  ganz  unten  an^).  Damit  nun 
nicht  ein  plötzliches  Eindringen  der  Wogen  herbeigeführt 
werde,  verstopfte  er  diese  Üeffnungen  mit  den  schon  vorher 
zurechtgemachten  Holznägeln  und  machte  so  den  Schaden  des 
Bohrers  durch  die  Pflöcke  wieder  gut.  Aber  sobald  nach 
seiner  Meinung  die  Zahl  der  Löcher  zur  Versenkung  der  Flotte 

*)  =   Russen. 

')  Vgl.  dieselbe  List  Haddings  S.  52. 


Q2  Zweites  Buch. 

ausreichte,  Hess  er  die  Hemmungen  herausziehen  und  gewährte 
dem  Wasser  freien  Zutritt,  während  er  sich  beeilte  mit  seiner 
Flotte  die  feindliche  zu  umstellen.  So  wurden  die  Rutenen 
von  ein«r  doppelten  Gefahr  bedroht  und  wussten  nicht,  ob 
sie  zuerst  gegen  lUe  Waffen  oder  die  Wellen  ankämpfen  sollten. 
Während  sie  sich  bemfthen,  ihre  Fahrzeuge  gegen  den  Feind 
zu  verteidigen,  gehen  sie  durch  Schiffbruch  zu  Grunde.  Die 
Gefahr,  die  ihnen  von  innen  drohte,  war  noch  schlimmer  als 
die  von  aussen.  Während  sie  nach  aussen  das  Schwert  zucken, 
müssen  sie  innen  der  Flut  weichen.  Zwei  Fahrnisse  stürmen 
zugleich  auf  die  unglücklichen  ein.  Es  war  ungewiss,  ob  sie 
schneller  im  Schwimmen  oder  im  Kämpfen  Rettung  suchen 
sollten.  Den  heissesten  Entscheidungskampf  unterbricht  eine 
neue  Tücke  des  Schicksals.  Zwei  Todesarten  treten  zu  gleicher 
Zeit  auf,  zwei  Wege  zum  Verderben  vereinigen  ihr  gemein- 
sames Dräun.  Es  war  zweifelhaft,  ob  Schwert  oder  Wogen 
ihnen  härter  zusetzten.    Wer  die  Klinge  gebrauchen  will,  den 

66  rafft  schweigend  die  eindringende  Flut  hin.  wer  dagegen  den 
Wellen  widerstehen  will,  den  würgt  das  feindliche  Schwert. 
Die  Fluten  wurden  von  den  Blutströmen  rot  gefärbt. 

Nach  diesem  Siege  über  die  Rutenen  kehrte  Frotho  in 
sein  Vaterland  zurück.  Dann  schickte  er  Gesandte  nach  Russ- 
land mit  dem  Auftrage,  den  Tribut  einzutreiben;  aber  diese 
wurden  durch  die  Treulosigkeit  der  Bevölkerung  grausam  er- 
mordet. Auf  die  Kunde  hiervon  eilte  er  infolge  der  doppelten  ^) 
Beleidigung  hin  und  bedrängte  die  Stadt  Rotala^)  gar  hart 
durch  eine  Belagerung.     Damit   nun  nicht  der  zwischen   ihm 

41  und  der  Stadt  fliessende  Strom  die  Einnahme  allzulange  ver- 
zögerte, teilte  er  die  ganze  Wassermasse  durch  verschiedene 
neue  Ableitungen  und  verwandelte  so  ein  Flussbett  von  un- 
bekannter Tiefe  in  gangbare  Furten.  Er  liess  nicht  eher  ab, 
als  bis  der  allzureissende  Strudel  durch  die  Spaltung  ge- 
schwächt in  langsamerer  Strömung  seine  Wellen  dahingleiten 
liess  und  in  schwächlichen  Windungen,  durch  manche  Untiefe 

*)  I).  i.  die  Verweigerung  des  Tributs  und  die  Ermordung  der  Ge- 
sandten. 

*)  Ist  jetzt  Rwtel  in  Estland. 


Frothos  Kämpfe  geg^en  die  Rutenen  u.  Handvanus.  63 

eingeschränkt,  kraftlos  dahinfloss.  So  bezwang  er  den  Strom, 
und  dann  warf  er  die  Stadt,  die  ihres  natürlichen  Schutzes 
beraubt  war.  durch  einen  Einfall  mit  seinen  Soldaten  ohne 
Widerstaad  nieder.  Nach  dieser  That  führte  er  sein  Heer 
gegen  die  Stadt  Paltiska^).  Da  er  glaubte,  dass  diese  mit 
Gewalt  nicht  einnehmbar  sei,  vertauschte  er  den  offenen  Kampf 
mit  der  List.  Er  begab  sich  nämlich  unter  dem  Mitwissen 
nur  weniger  an  einen  ganz  versteckten,  unbekannten  Schlupf- 
winkel und  befahl,  um  die  Angst  beim  Feinde  zu  vermindern, 
die  Kunde  zu  verbreiten,  als  sei  er  gestorben  ^).  Zur  grösseren 
Wahrscheinlichkeit  wurde  noch  eine  Leichenfeier  veranstaltet 
und  ein  Grabhügel  errichtet.  Auch  begleiteten  die  Soldaten 
den  vorgegebenen  Tod  ihres  Führers  mit  trügerisch  erheuchelter 
Trauer.  Auf  dieses  Gerücht  hin  betrieb  der  König  der  Stadt, 
Vespasius,  als  hätte  er  den  Sieg  schon  in  Händen,  die  Ver- 
teidigung so  nachlässig  und  unzureichend,  dass  die  Feinde  67 
Gelegenheit  erhielten  einzubrechen  und  ihn  dabei  töteten, 
während  er  sich  mit  Spielen  die  Zeit  vertrieb. 

Nach  der  Einnahme  dieser  Stadt  machte  sich  Frotho 
Hoffnung  auf  die  Herrschaft  im  Orient^)  und  rückte  vor  die 
Festung  des  Handvanus*).  Dieser  Hess  nun,  gewitzigt  da- 
durch, wie  Hadingus  einst  seine  Stadt  verbrannt  hatte,  alle 
Häuser  von  den  dort  nistenden  Vögeln  säubern,  um  nicht  der 
Gefahr  eines  ähnlichen  Streiches  ausgesetzt  zu  werden.  Aber 
Frotho  fehlte  es  doch  nicht  an  einer  neuen  List.  Denn  er 
tauschte  seine  Gewandung  mit  der  von  Mägden,  spielte  sich 
als    ein    kampfkundiges  Mädchen  *)  auf,    legte    die   Männer- 

*)  Ist  jetzt  Polozk  (lat.  Plescowia)  an  der  Düiia  (Westrussland). 

*)  Die  List,  dass  sich  der  Heerführer  als  tot  ausgeben  lässt,  wird 
öfter  erwähnt;  so  von  den  Normannen  bei  Dudo  (vgl.  Anm.  4  S.  16). 
Auch  die  Sage  von  Harald  harOraÖe  (f  106Ö)  berichtet  Aehnliches  im 
10.  Kap.  Man  kann  übrigens  auch  an  Haddings  Verfahren  erinnern  (I, 
S.  52/3);  vgl.  auch  S.  79  oben). 

■)  Bei  Saxo  allgemeiner  Ausdruck  für  die  Gegenden  östlich  vom 
Baltischen  Meere  (Finnland  und  Hussland). 

*)  Siehe  oben  S.  36. 

*)  Von  kämpfenden  Frauen,  Schildmädchen,  wird  bei  den  Nord- 
ländern  öfter  berichtet.     Wenn   auch   thatsächlich   zuweilen   menschliche 


g4  Zweites  Buch. 

kleiduug  ab,  ahmte  Frauentracht  nach  und  begab  sich  als 
Ueberläufer  in  die  Stadt.  Als  er  hier  alles  recht  genau  aus- 
gekundschaftet hatte,  gebot  er  durch  einen  hinausgeschickten 
Gefolgsmann  seinem  Heere,  am  folgenden  Tage  vor  die  Mauern 
zu  rücken  und  versprach  filr  das  Oeffnen  der  Thore  zu  sorgen. 
So  wurden  die  Wachen  hintergangen  und  die  Stadt  wurde, 
noch  im  Schlafe  begraben^),  geplündert.  Mit  ihrem  Unter- 
gange musste  sie  für  ihre  Sorglosigkeit  bilssen,  und  die  eigene 
Unachtsamkeit  war  für  sie  ein  grösseres  Unglück  als  die 
Tapferkeit  der  Feinde.  Denn  nichts  stellt  sich  im  Kriege  als 
verderblicher  heraus,  als  wenn  man  in  aller  Ruhe,  ohne  jede 
Besorgnis  alles  gehen  lässt,  wie  es  will,  und  in  allzu  an- 
massender  Zuversicht  erschlafft.  Als  Handwanus  sah,  dass 
die  Sache  seines  Vaterlandes  unwiderruflich  verloren  sei,  lud 
er  die  königlichen  Schätze  auf  Schiffe  und  versenkte  sie  in 
die  Tiefe  des  Meeres,  um  lieher  die  Wogen  als  die  Feinde  zu 
bereichern.  Doch  wäre  es  wohl  vorteilhafter  gewesen,  die 
Gunst  der  Gegner  durch  reichliche  (ieldopfer  zu  erwerben, 
als  den  Vorteil,  den  Schätze  bringen  können,  neidisch  dem 
Gehrauch  der  Menschheit  zu  entziehen.  Als  darauf  Frotho 
durch  Gesandte  seine  Tochter  zur  Ehe  verlangte,  antwortete 
jener,  er  möge  sich  hüten,  verfuhrt  durch  sein  bisheriges 
Gluck,  über  den  Erfolg  seines  Sieges  übermütig  zu  werden; 
er  solle  vielmehr  daran  denken,  die  Besiegten  zu  schonen 
uud  in  ihrem  jetzigen  Elend  noch  ihre  frühere  glänzende 
42  Stellung  ehren;  er  solle  lernen,  in  dem  Schicksal  der  Unglück- 
lichen ihr  vergangenes  Glück  zu  achten.  Er  solle  auch  be- 
denken, dass  er  dem,  mit  dem  er  sich  verschwägern  wolle, 
nicht  die  Herrschaft  entreisse  und  die,  welche  er  durch  seine 


Frauen  mit  in  den  Kampf  zogen,  so  haben  wir  doch  in  vielen  jene  über- 
irdi.sehen  Dienerinnen  Odins,  Walküren,  zu  sehen.  Bei  Saxo  ist  häufig 
von  ihnen  die  Rede;  z.  B.  noch  lU,  87:  V,  162:  bes.  VII,  230,  232,  249  ff. : 
VIII,  2r>8ff.:  IX,  303  ff.  (Holder).  Vgl.  noch  (iolther  i.  d.  Abhdlgn.  d. 
Münchener  Akad.  I.  Kl.  Bd.  18,  2  S.  406:  Haudb.  S.  323;  E.  H.  Meyer 
8.  177;  Mogk  im  Grundr.  S.  269  ff.;  341:  Olrik  1,  52  ff. 

M  Erinnert  an  Vergil,  Aen.  11,265:  Invadunt  urbem  somno  vinoque 
sepultam. 


Frothos  Sieg  über  Haodwanus.     Swanhwita.  65 

Vermählung  mit  ihr  auszuzeichnen  wünsche,  mit  der  Schmach  68 
einer  niedrigen  Lebensstellung  beflecke ;  denn  dann  würde  er 
die  Würde  des  Ehebundes  durch  seine  Begehrlichkeit  zu 
Schanden  machen^).  Durch  den  Adel  der  Gesinnung,  der  in 
dieser  Antwort  lag,  gewann  er  seinen  Besieger  zum  Schwieger- 
sohn und  erhielt  er  sich  die  Freiheit  seines  Reiches. 

Währenddessen  hatte  Thorilda,  die  Gemahlin  des 
Schwedenkönigs  Hundingus  *'^),  ihre  beiden  Stiefsöhne  Reg- 
nerus  und  Thoraldus,  welche  sie  grenzenlos  hasste^), 
endlich  als  Hüter  über  die  königlichen  Herden  gesetzt,  um 
sie  in  die  verschiedenartigsten  Gefahren  zu  stürzen.  Swan- 
hwita*) aber,  Hadingus'  Tochter,  eilte,  begleitet  von  ihren 
Schwestern,  nach  Schweden,  um  mit  weiblichem  Scharfsinne 
<lie  Vernichtung  so  herrlich  veranlagter  Kinder  zu  verhindern. 
Als  sie  nun  die  vorgenannten  Jünglinge  während  ihrer  nächt- 
lichen Bewachung  der  Herden  von  Gespenstern  verschiedenster 
Art  belästigt  sah,  verbot  sie  ihren  Schwestern,  welche  von 
den  Pferden  absteigen  wollten,  dies  durch  folgendes  Lied: 

„ungeheuer*)  sehe  ich  ja  in  raschen  Sprüngen  auf  die 
nächtlichen  Felder  sich  stürzen.  Dämonen  kämpfen,  und  in 
gefährlichem  Streite  ficht  die  ruchlose  Schar  mitten  auf  den 


»)  Vgl.  S.  21  Anm.  3. 

*)  Ueber  HuDding  siehe  I,  S.  50  und  56. 

')  Die  böse  Stiefmutter  ist  in  Sage  und  Märchen  herkömmlich. 

*)  Swanhwita  „die  Schwanen  weisse^  erweist  sich  als  Walküre;  ihre 
Aufgabe  ist  es,  die  schlummernde  Heldenkrafb  des  jungen  ^lannes  zu 
wecken.  —  Olrik  nennt  mit  Kecht  diese  reizende  und  hochpoetische  £pisode 
TOn  der  Liebe  Regners  und  Swanhwitas  ein  Seitenstück  zu  dem  £ddaliede 
von  Helgi,  dem  Sohne  fljorwards  (II.  Gering  S.  151).  Der  Zusammen- 
hang mit  der  Frodesage  ist  aber  so  schw^ach,  dass  man  nicht  sicher  sein 
kann,  ob  sie  organisch  dazu  gehört  oder  willkürlich  vom  Berichterstatter 
hier  eingefügt  ist.     Vgl.  noch  Uhland,  Schriften  VII,  S.  201  ff. 

')  Ungeheuer  und  Gespenster  sind  Gestalten  des  Volksaberglaubcns, 
der  niederen  Mythologie ;  leider  hat  Saxo  auch  hier  die  Namen  der  antik- 
klassischen Mythologie  eingesetzt,  sodass  uns  die  genaue  Kenntnis  der 
Wesen,  die  gemeint  sind,  entgeht.  Er  lehnt  sich  hier  ganz  eng  an 
Martianus  Capeila)  Satirae,  II,  40  und  41  an.  Reiche  Ucbersichten  über 
die  niedere  Mythologie  der  Germanen  geben  3Iogk  im  Grundr.  lU,  263-  312; 
E.  H.  Meyer  S.  61—161;  Golther  S.  72-191. 

Saxo  Granmaticui.  5 


()B  Zweites  Buch. 

Wegen.  Gespenster  von  grausigem  Anblick  stürmen  daher 
und  lassen  für  keinen  Menschen  diese  Gefilde  zugänglich. 
Horden,  die  in  rasendem  Laufe  durch  das  Leere  hinjagen, 
gebieten  uns,  mit  weiterem  Vordringen  einzuhalten.  Sie 
mahnen  uns,  die  Zügel  zu  wenden  und  uns  von  den  ihnen 
geweihten  Feldern  zu  entfernen,  sie  hindern  uns,  uns  in  das 
jenseitige  Gebiet  zu  wagen.  Der  grimme  Chor  der  Lemuren  ^) 
naht,  jäh  jagt  er  durch  die  Lüfte  und  lässt  wüsten 
Lärm  zu  den  Sternen   dröhnen.     Faune  kommen  mit  Satyrn 

♦>:*  herbei,  und  die  Schar  der  Pane  streitet,  mit  Geistern  vereint, 
mit  wildem  Antlitz.  Zu  den  Silvanen  *)  gesellen  sich  Aquili  *), 
und  schädliche  Larven^)  bemühen  sich,  mit  Lamien^)  den 
Pfad  zu  teilen.  Faune  wiegen  sich  im  Sprunge,  und  zu  ihnen 
drängen  sich  Larven,  zu  denen  sich  wieder  Fantua*),  ver- 
eint mit  Simien'),  gesellt.  Der  Weg,  den  der  Fussgänger  zu 
betreten  hätte,  wimmelt  von  Schrecknissen;  sicherer  ist  es, 
auf  dem  Rücken  des  hohen  Rosses  sitzen  zu  bleiben.^ 

Darauf  gab  Regnerus  an,  er  sei  ein  Sklave  des  Königs, 
und  als  (Jrund  für  eine  so  weite  Entfernung  von  Hause  führte 

43  er  an,  er  sei  zum  Hirtendienst  auf  das  Land  verwiesen  worden, 
habe  aber  die  ihm  anvertraute  Herde  verloren.  Da  er  daran 
verzweifle,  sie  wiederzufinden,  habe  er  lieber  auf  die  Rück- 
kehr verzichten  als  sich  einer  harten  Strafe  aussetzen  wollen. 
Um  auch  die  Lage  seines  Bruders  nicht  zu  verschweigen, 
fügte  er  seinen  Worten  noch  folgendes  Gedicht  hinzu: 

„Halte  uns  für  Menschen,  nicht  für  Gespenster,  glaube 

uns,  dass  wir  Sklaven  sind,  die  hier  weilen,  um  die  Herden 

über    die   Felder  zur  Weide  zu   treiben.     Aber  während  wir 

70  uns  mit  heiteren  Spielen  die  Zeit  vertrieben,  entwich  uns  zu- 


*)  Die  Seelen  Verstorbener,  die  als  böse  Geister,  (Gespenster,  spuken. 
*)  Faune,  Satyrn.  Pane,  Silvane    sind  niedere  Feld-  und  Waldgott- 
hoiten. 

*)  Aquili  =  Schwar/e  Oeister. 

*)  Lar\en  ist  nur  eine  andere  Bezeichnung^  für  Lemuren. 

*)  Weibliche  böse  Geister,  Unholden,  H<»xen. 

•)  Name  einer  den  Frauen  wahrsagenden  Hexe. 

')  Sinii  wörtlich  -^  Plattnasen. 


Swanhwita  und  Regnerus.  67 

fällig  die  schweifende  Herde  in  weit  entlegene  Triften.  Da 
die  lange  gehegte  Hoffnung,  sie  wiederzufinden,  fehlschlug, 
befiel  Besorgnis  uns  Unglückliche  in  unserem  Schuldbewusst- 
sein.  Und  da  nirgends  sichere  Spuren  der  Rinderherde  zu 
sehen  waren,  erfüllte  traurige  Angst  unsere  schuldbeladenen 
Gemüter.  Das  ist  der  Grund,  weswegen  wir  aus  Furcht  vor 
der  Verletzung  durch  die  strafende  Rute  es  für  unerfreulich 
hielten,  in  unser  eigenes  Heim  zurückzukehren.  Wir  meinten, 
es  sei  sicherer,  uns  vom  trauten  Herde  fem  zu  halten,  als 
von  grausamer  Hand  schwere  Strafe  zu  erleiden.  So  möchten 
wir  gern  die  Strafe  aufschieben,  und  ängstlich  die  Rückkehr 
meidend  tragen  wir  nur  noch  Sorge,  hier  in  diesem  Versteck 
unserem  Herrn  zu  entgehen.  Durch  dieses  Mittel  entziehen 
wir  uns  der  Rache  für  die  Vernachlässigung  der  Herde,  und 
nur  auf  diesem  Wege  ist  unser  Entkommen  gesichert." 

Jetzt  musterte  nun  Swanhwita  seine  edlen  Gesichts- 
züge in  gar  eifriger  Betrachtung,  und  mit  rückhaltsloser  Be- 
wunderung sagte  sie:  Das  glänzende  Blitzen  deiner  Augen 
verrät  dich  als  Abkömmling  von  Königen  und  nicht  von 
Sklaven.  Deine  Gestalt  verkündet  deine  Abkunft  ^),  und  aus 
dem  Funkeln  deiner  Augensterne  leuchtet  die  Vorzüglichkeit 
deiner  Natur.  Die  Schärfe  deines  Blickes  deutet  die  Vor- 
nehmheit deines  Geschlechts  an,  und  du,  den  die  Schönheit, 
die  sicherste  Verkünderin  des  Adels,  empfiehlt,  kannst  nicht 
in  niederer  Stellung  geboren  sein.  Das  äussere  Feuer  deines 
Auges  spiegelt  den  glänzenden  Geist  in  deinem  Innern  wider. 
Dein  Aussehen  giebt  ein  getreues  Abbild  deines  Hauses,  und 
an  der  lichten  Schönheit  deines  Antlitzes  erkennt  man  die 
hohe  Stellung  deiner  Vorfahren.  Denn  eine  so  freundliche 
und  edle  Gestalt  konnte  nie  von  einem  unedlen  Erzeuger 
hervorgebracht  werden.  Der  Adel  deines  Blutes  überströmt 
deine  Stirne  mit  verwandtem  Adel,  und  im  Spiegel  deines 
Angesichtes    erstrahlt    dein    natürlicher    Stand.      Keineswegs 


')  Ueber  diese  im  Norden  allgemein  verbreitete  Ansicht  vgl.  die  aus- 
führlichen Erörterungen  im  Liede  von  Rig  (Gerings  Edda  S.  110  ff,)  bes. 
Str.  7,  21.  ai,  und  die  fast  gleichlautende  Stelle  bei  S.  VIL  227  (H). 


5* 


6g  Zweites  Buch. 

konnte  also  ein  unbedeutender  Künstler  ein  so  hervorragendes 
Werk  schaffen.  Darum  sucht  jetzt  in  schnellster  Flucht  viele 
Seitenwege  auf,  vermeidet  die  Begegnung  mit  den  Ungeheuern, 
damit  ihr  nicht  euren  herrlichen  Leib  den  schmutzigsten 
Horden  als  Beute  zum  Frass  darbietet. 

71  Regnerus  aber  ward  von  tiefster  Schamröte  wegen  seines 

hässlichen  Aufzuges    Übergossen   und    sah    darin  das  einzige 

^  Mittel,  seine  vornehme  Abstammung  zu  verbergen.  Daher 
erwiderte  er,  dass  der  Sklavenstand  nicht  immer  von  Mann- 
heit  entblösst  gefunden  werde;  denn  oft  werde  eine  starke 
Hand  von  schmutziger  Kleidung  bedeckt^)  und  eine  kräftige 
Faust  zuweilen  unter  hässlichem  Gewände  verborgen^).  So 
werde  denn  das  Versehen  der  Natur  durch  Tüchtigkeit  aus- 
geglichen, und  der  Nachteil  in  der  Geburt  durch  den  Adel 
der  Gesinnung  gut  gemacht.  Er  selbst  fürchte  nicht  die  Ge- 
walt irgend  welcher  gespenstischen  Macht,  mit  Ausnahme  des 
Gottes  Thor'),  dessen  Stärke  nichts  Menschliches  oder  Gött- 
liches in  würdigem  Vergleich  zur  Seite  gestellt  werden  könne. 
Eine  Männerbrust  dürfe  sich  daher  auch  nicht  vor  den  Larven 
fürchten,  die  nur  wegen  ihrer  geisterhaften  Leichenfarbe 
schrecklich  seien,  deren  Erscheinung,  durch  unwahre  Blässe 
gekennzeichnet,  sich  nur  eine  kurzwährende  Körperlichkeit 
von  der  flüchtigen  Luft  zu  leihen  pflege  ^).  Swanhwita  täusche 
sich  also,  wenn  sie  feste  Männerstärke  nach  Frauenart  zu 
verweichlichen  und  eine  Kraft,  die  keine  Ueberwältigung  kenne, 
durch  weibische  Angst  zu  erschüttern  versuche. 

Swanhwita  bewunderte  die  Entschlossenheit  des  Jüng- 
lings, entfernte  den  Dunst  der  sie  umschattenden  Wolke  und 


»)  Sprichwörtlich, 

*)  Daas  Thor  hier  den  Gespenstern  gleichgestellt  wird,  ist  Saxos 
Schuld.  Der  Sinn  der  Stelle  ist :  R.  fürchtet  weder  Menschen  noch  Ge- 
spenster, noch  Götter,  ausser  Thor,  den  Hauptgott  der  Norweger.  Ueber 
diesen  vgl.  Mogk  im  (Jrundr.  III,  353  ff.,  E.  K.  Äloyer  S.  202  ff.,  Golther 
S.  242  ff. 

*)  Der  (rlaube  an  die  Harmlosigkeit  und  Unschädlichkeit  der  Ge- 
spenster entspricht  nicht  sonstiger  Auffassung  und  roberliefening.  Vgl. 
die  Anm.  5.  S.  65  genannte  Litteratur. 


Swanhwita  und  Regnerus.  69 

zerstreute  das  vor  ihrem  Angesicht  lagernde  Dunkel  durch 
lichte  Klarheit.  Darauf  verhiess  sie  ihm  ein  Schwert,  für  die 
verschiedensten  Kämpfe  geeignet,  und  enthüllte  ihm  den 
wunderbaren  Anblick  ihrer  jungfräulichen  Schönheit  und  den 
ungeahnten  Glanz  ihrer  Glieder.  Dann  verlobte  sie  sich  mit  72 
dem  schnell  entflammten  Jüngling,  reichte  ihm  das  Schwert 
dar  und  begann  folgendermassen: 

„Mit  diesem  Schwerte,  o  König,  mit  dem  du  die  Un- 
getüme abschlachten  kannst,  empfange  die  erste  Gabe  deiner 
Braut.  Erweise  dich  in  rechter  Art  als  seiner  würdig.  Als 
Nebenbuhlerin  dieser  Klinge  soll  deine  Hand  sich  bemühen, 
der  Waffe  Ehre  zu  machen.  Des  Eisens  Kraft  stärke  eine 
schwache  Stelle  im  Herzen,  und  der  Mut  lerne  die  Faust  be- 
gleiten. Der  Träger  gleiche  der  Bürde,  und  damit  die  Thaten 
der  Güte  des  Schwertes  entsprechen,  mögest  du  gleichen 
Wert  auf  beides  legen.  Was  nützt  der  Speer,  wenn  schwäch- 
lich das  Herz  erbebt  und  zitternd  die  Hand  das  Geschoss 
fallen  lässt?  Schwert  und  Mut  sollen  zusammen  gehen,  mit 
beiden  rüste  dich !  Mit  gleichem  Werte  soll  die  Rechte  ihren 
Schwertgriff  umfassen^).  Das  giebt  rühmliche  Kämpfe,  well 
sie  vereinigt  mehr  Macht  zu  entfalten  pflegen,  getrennt  aber 
weniger.  Wenn  es  dir  also  Freude  macht,  durch  Kriegsruhm 
bekannt  zu  werden,  so  begleite  mit  Wagemut,  was  du  selbst 
in  der  Hand  führst." 

Als  sie  so  noch  manches  in  Liedesform  geäussert  hatte, 
entliess  sie  ihre  Begleiterinnen  und  brachte  die  Nacht  im 
Kampfe  gegen  die  schamlosen  Scharen  der  Gespenster  zu^). 
Bei  Tagesanbruch  sah  sie  dann  verschiedene  Larvengestalten 
und  seltsame  Forraengebilde  allenthalben  auf  den  Feldern  45 
umherliegen.  Unter  diesen  war  auch  Thorildens  von  zahl- 
reichen Wunden  bedeckter  Körper  zu  sehen.  Diese  schichtete 
sie   alle  auf  einen  Stoss  zusammen  und  verbrannte  sie   auf 


*)  D.  h.  das  Schwert  und  die  Hand,  die  es  führt,  sollen  gleich 
tüchtig  sein. 

')  Natürlicher  und  folgerichtiger  ist  es,  anzunehmen,  dass  Regner 
den  Kampf  gegen  die  Gespenster  geführt  hat;  denn  dazu  hat  er  ja  aus- 
drücklich das  Schwert  von  Swanhwita  bekommen. 


70  Zweites  Buch. 

einem  mächtigen  Scheiterhaufen,  damit  nicht  der  greuliche 
Geruch  der  unflätigen  Leichen  in  verpestender  Ausdünstung 
sich  verbreite  und  nicht  durch  verderbliche  Ansteckung  die 
näher  Kommenden  schädige.  Darnach  gewann  sie  für  Regnerus 
die  Herrschaft  über  Schweden  und  sich  selbst  die  eheliche 
Verbindung  mit  Regnerus.  Obgleich  es  nämlich  dieser  nicht 
für  ehrenvoll  hielt,  seine  Laufbahn  gleich  mit  einer  Hochzeit 
zu  beginnen,  so  löste  er  doch  mit  Rücksicht  auf  seine  glück- 
liche Errettung  dankbar  sein  Versprechen  ein. 

Unterdessen  führte  ein  gewisser  Ubbo,  der  schon  früher 
Frothos  Schwester  Ulwilda^)  geheiratet  hatte,  als  Stellver- 
73  treter  die  Herrschaft  über  Dänemark,  und  jetzt  riss  er  sie  im 
Vertrauen  auf  die  hohe  Abkunft  seiner  Gemahlin  ganz  an  sich. 
Daher  sah  sich  Frotho  gezwungen,  seinen  Krieg  im  Osten  ab- 
zubrechen, und  er  hatte  zuerst  in  Schweden  mit  seiner 
Schwester  Swanhwita  einen  schweren  Kampf  zu  bestehen. 
Hier  wurde  er  besiegt,  und  er  bestieg  nun  bei  Nacht  ein  Boot 
und  suchte,  auf  verborgenen  Umwegen  segelnd,  eine  Möglich- 
keit, die  feindliche  Flotte  anzubohren.  Als  er  hierbei  von 
seiner  Schwester  ertappt  und  gefragt  wurde,  weshalb  er  denn 
in  stiller  Fahrt  so  mannigfache  Umwege  aufsuche,  schnitt  er 
ihr  Forschen  durch  eine  gleiche  Frage  ab.  Denn  auch 
Swanhwita  hatte  zu  derselben  Nachtzeit  eine  einsame  Fahrt 
unternommen,  um  in  aller  Stille  auf  verschlungenen  Wegen 
allerlei  Zugangs-  und  Rückzugslinien  nach  beiden  Seiten  hin 
zu  erforschen.  So  erinnerte  sie  denn  ihren  Bruder  an  die 
Freiheit,  die  er  ihr  einst  gewährt  hatte,  und  begann  ihn  zu 
bitten,  er  möge  ihr  gestatten,  den  gewählten  Gatten  zu  be- 
halten, da  er  ihr  ja  selbst  bei  seinem  Aufbruche  zum 
Kriege  gegen  die  Rutenen  die  Erlaubnis  zu  einer  Heirat 
nach  eigenem  Wunsche  gegeben  habe,  er  möge  nun  auch 
nachträglich  bestätigen,  was  er  selbst  eingeräumt  habe. 
Auf  diese  s<»  gerechte  Bitte  hin  schbiss  Frotho  mit  Regnerus 
Frieden   und  verzieh    seiner  Schwester  auf  ihr  Ansuchen  die 

')  r»»ber  sie  siehe  oben  1,    8.  54  -56;    wie    dort    R:<*jfeii    den  Vater, 
\%\  aio  Uwr  ^e^eo  den   Bruder  unbotmässig. 


Frothos  Kampf  gegen  Ubbo  u.  Swanhwita.  71 

Beleidigung,  die  er  infolge  ihrer  Leichtfertigkeit  offenbar  er- 
litten hatte.  £r  erhielt  auch  von  ihnen  eine  ebenso  grosse 
Schar,  als  er  durch  ihre  Schuld  verloren  hatte,  zum  Geschenk 
und  freute  sich,  einen  so  schweren  Schlag  durch  eine  so 
glänzende  Gabe  wieder  gut  gemacht  zu  sehen. 

Nun  zog  er  nach  Dänemark,  nahm  Ubbo  gefangen,  Hess 
ihn  vor  sich  führen  und  verzieh  ihm,  da  er  dem  übel  ver- 
dienten Manne  lieber  Nachsicht  als  Strafe  zu  teil  werden 
lassen  wollte;  er  hatte  sich  ja  auch  offenbar  mehr  auf  An- 
trieb seiner  Gemahlin  als  aus  eigener  Begierde  die  Herrschaft 
angemasst  und  er  hatte  das  Unrecht  nicht  angeregt,  sondern 
war  vielmehr  dazu  verführt  worden,  Ulwilda  aber  nahm  er  ihm 
und  zwang  sie,  seinen  Freund  Skottus  zu  heiraten,  denselben,  der 
auch  der  Begründer  des  schottischen  Namens  war  ^);  denn  den 
Wechsel  in  der  Ehe  betrachtete  er  eben  als  Strafe  ^).  Bei 
ihrem  Weggange  aber  geleitete  er  sie  im  königlichen  Wagen 
und  vergalt  so  ihre  Schandthat  mit  Güte.  Denn  er  hatte  mehr 
ihre  Eigenschaft  als  seine  Schwester  als  ihre  Gesinnung  im  4e 
Auge  und  legte  mehr  Gewicht  auf  seine  eigene  Ehre  als  auf 
ihre  Schändlichkeit.  Aber  trotz  der  Milde  ihres  Bruders  Hess 
sie  nichts  von  ihrem  gewohnten,  hartnäckigen  Hasse  nach, 
sondern  quälte  ihren  neuen  Mann  fortwährend  mit  dem  Rate, 
er  solle  Frotho  erschlagen  und  sich  der  Herrschaft  über  die 
Dänen  bemächtigen.  Denn  nur  widerstrebend  pflegt  das  Herz 
auf  etwas  zu  verzichten,  was  es  einmal  mit  starker  Liebe  um- 
fasst  hat'),  und  ein  ständig  geplantes  Verbrechen  wird  selbst 
im  Laufe  von  Jahren  nicht  aufgegeben.  Artet  doch  spätere  74 
Neigung  immer  der  ursprünglichen  Gesinnung  nach'),  und 
die  Spuren  von  Lastern  versehwinden  nicht  schnell,  die  schon 
das  zarteste  Alter  dem  Charakter  aufgeprägt  hat.  Da  nun 
Ulwilda  bei  ihrem  Gemahl  taube  Ohren  fand,  lenkte  sie  ihre 
Ränke  von  ihrem  Bruder  ab  auf  ihren  Mann,  und  mietete  für 
Geld   Leute,    welche    ihm  im  Schlafe  den  Hals  absehneiden 

*)  Skottus  ist   der  mythische   fjoo>s   i.-Twyvftoc  der  Schotten,   wie  es 
Dan  und  Angul  für  die  Danen  und  Angeln  sind.     Vgl.  B.  I,  S.  16  u.  17. 
•)  Vgl.  8.  21,  Anm.  2. 
•)  Sprichwörtlich. 


72  Zweites  Buch. 

sollten.  Scottus  aber  wurde  durch  eine  Dienerin  hiervon  be- 
nachrichtigt und  in  der  Nacht,  in  der  seinem  Vernehmen  nach 
das  Mordwerk  an  ihm  vollzogen  werden  sollte,  legte  er  sieb 
im  Panzer  zu  Bett.  Auf  Ulwildas  Frage,  weshalb  er  seine 
gewöhnliche  Art  zu  ruhen  ändere  und  das  Eisenkleid  anlege^ 
antwortete  er,  es  sei  dies  eine  augenblickliche  Laune  von  ihm. 
Als  man  nun  glaubte,  er  liege  im  tiefen  Schlafe,  drangen  die 
Mordknechte  ein;  er  aber  sprang  aus  dem  Bette  und  schlug 
sie  nieder.  So  kam  es,  dass  er  Ulwilda  davon  abbrachte, 
ihrem  Bruder  weitere  Nachstellungen  zu  bereiten  und  dass 
er  anderen  einen  Beweis  dafür  gab,  dass  man  sich  stets  vor 
der  Treulosigkeit  der  Frauen  hüten  müsse. 

Währenddessen  fiel  Frotho  der  Plan  ein,  Friesland*) 
in  einem  Kriege  anzugreifen,  um  mit  dem  Ruhm,  den  er  sieb 
durch  die  Besiegung  des  Ostens  erworben,  auch  die  Augen 
des  Westens  zu  blenden.  Als  er  in  See  stach,  hatte  er  zu- 
erst einen  Zusammenstoss  mit  einem  friesisclien  Seeräuber, 
Vittho.  Bei  diesem  befahl  er  seinen  Genossen,  den  ersten 
Angriff  geduldig,  nur  mit  entgegen  gehaltenen  Schilden  auf- 
zunehmen, und  er^erbot  ihnen  eher  von  ihren  eigenen  Ge- 
schossen Gebrauch  zu  machen,  als  bis  sie  bemerkten,  dass  der 
Hagel  der  feindlichen  Speere  gänzlich  erschöpft  sei^).  Diese 
wurden  um  so  lebhafter  von  den  Friesen  geschleudert,  je  ge- 
lassener sie  von  den  Dänen  aufgefangen  wurden;  denn  Vittho 
meinte,  die  Geduld  Frothos  rühre  von  seinem  Wunsche  nach 
Frieden  her.  Ein  gewaltiges  Trompetengeschmetter*)  erhob 
sich  und  unheimlich  sausend  flogen  die  Speere.  Als  die  Un- 
vorsichtigen aber  keine  einzige  Lanze  mehr  übrig  hatten, 
wurden  sie  von  den  Geschossen  der  Dänen  überschüttet  und 
besiegt.  Auf  der  Flucht  erreichten  sie  das  Gestade,  wurden 
aber  in  den  schmalen  Windungen  der  Gräben  niedergehauen. 


*)  Siehe  Vorrede  S.  8  u.  Anm.  1. 

»)  Dieselbe  Libt  Buch  UI.  S.  113. 

')  Schon  aus  der  Bronzezeit  sind  uns  gewaltige  Blasinstrumente,  so- 
genannte Lure  (altn.  lüOrar)  erhalten.  Vgl.  Fleischer  in  Grundr.  III,  567 
und  S.  Älüller-Jiriczek,  Nord.  Altertumskde.  I,  431 — 33,  wo  auch  eine 
Abbildung  zu  finden  ist. 


Skottus.     Züge  D.  Friesland,  Germanien,  Britannien.  73 

Dann  fuhr  Frotho  mit  seiner  Flotte  ein  Stück  den  Rhein  hin- 
auf und  legte  Hand  an  die  äussersten  Grenzen  von  Germanien. 
Als  er  wieder  in  den  Ozean  zurückkehrte,  griff  er  die  friesische 
Flotte,  welche  durch  einen  Strudel  auf  den  Grund  geraten  war, 
an  und  krönte  ihren  Schiffbruch  mit  blutigem  Gemetzel.  Und 
noch  nicht  damit  zufrieden,  eine  solch  grosse  feindliche  Streit- 
macht aufgerieben  zu  haben,  zog  er  auch  gegen  Britannien. 
Er  besiegte  dessen  König  und  griff  dann  Melbricus,  den  75 
Statthalter  von  Schottland,  an.  Gerade  als  er  im  Begrifie 
war  mit  ihm  zu  kämpfen,  erfuhr  er  durch  einen  Kundschafter, 
dass  auch  der  König  von  Britannien  im  Anzüge  sei;  und  da 
er  sich  nicht  zugleich  nach  vorn  und  im  Rücken  verteidigen 
konnte,  berief  er  eine  Versammlung  seiner  Soldaten  und  ge-  47 
bot,  dass  alle  Wagen  im  Stich  gelassen,  das  Heergerät  weg- 
geworfen und  das  Gold,  welches  sie  mit  sich  führten,  allent- 
halben auf  die  Felder  verstreut  werden  sollte.  Er  versicherte, 
in  dieser  Verzettelung  ihrer  Hilfsmittel  bestände  ihr  einziges 
Hilfsmittel,  und  es  bleibe  ihnen  in  ihrer  Einschliessung  keine 
andere  Zuflucht  übrig,  als  den  Feind  von  den  Waffen  zur  Hab- 
sucht zu  verlocken.  Es  sei  ihre  Pflicht,  willig  die  bei  fremden 
Völkern  gewonnene  Beute  in  der  äussersten  Not  zu  opfern; 
es  werde  nämlich  so  kommen,  dass  sie  der  Feind,  nachdem 
er  sie  aufgesammelt,  ebenso  eifrig  wegwerfen  werde,  wie  er 
sie  beim  Finden  aufgerafft  habe,  da  sie  für  ihn  vielmehr  eine 
Last  als  ein  Gewinn  sein  werde. 

Da  nahm  Thorkillus,  der  sich  vor  den  übrigen  durch 
Geiz  auszeichnete,  aber  auch  alle  anderen  an  Beredsamkeit 
übertraf,  den  Helm  ab,  stützte  sich  anf  seinen  Schild  und 
sprach^):  Die  Härte  deines  Gebotes,  König,  erregt  die  meisten, 
welche  das  wertschätzen,  was  sie  mit  ihrem  Blute  erwarben. 
Ungern  giebt  man  preis,  was  unter  der  grössten  Gefahr  er- 
rungen ist.  Unwillig  lässt  man  im  Stiebe,  was  man  um  den 
Preis  des  Lebens  erkauft  hat.  Es  verrät  ja  den  äussersten 
Wahnsinn,  wenn  man  das,  was  man  mit  Mannesmut  und 
starker   Faust  erworben,   weibisch   aufgiebt  und  dem  Feinde 


')  Siehe  8.  60,  Anm.  2  u.  8.  54,  Anm.  2. 


74  Zweites  Buch. 

unerhoffte  Schätze  darbietet.  Was  giebt  es  denn  Schmählicheres, 
als  durch  Verzicht  auf  die  Beute,  welche  wir  schon  mit  uns 
führen,  dem  Schicksal  des  Krieges  zuvorzukommen  und  einen 
sicheren  und  augenblicklich  vorhandenen  Vorteil  aus  Furcht 
vor  einem  noch  zweifelhaften  Unglück  zu  opfern?  Noch  haben 
wir  die  Schotten  nicht  gesehen  und  wir  wollen  das  Gefilde 
mit  Gold  bestreuen?  Für  was  für  Leute  wird  man  uns  nur 
im  Treffen  halten,  wenn  uns  schon  beim  Ausmarsche  zum 
Kampfe  die  blosse  Kunde  von  einem  Kampfe  entnervt?  Oder 
werden  wir  etwa  nicht  den  Feinden  lächerlich  sein,  wenn  wir, 
die  wir  ihnen  furchtbar  waren,  unseren  Ruhm  mit  Verächt- 
lichkeit vertauschen  ?  Der  Britannier  wird  sich  wundern,  dass 
er  von  denen  besiegt  wurde,  die,  wie  er  sieht,  sich  schon  von 
der  blossen  Angst  besiegen  lassen.  Werden  wir  uns  von  Furcht 
vor  denen  beschleichen  lassen,  denen  wir  selbst  zuerst  Furcht 
eingejagt  haben?  Sollen  wir  die  Abwesenheit  derer  fürchten, 
deren  Anwesenheit  wir  verachteten?  Wann  werden  wir  uns 
denn  mit  Tapferkeit  die  Schätze  wiedererkaufen,  die  wir  aus 

76  Angst  aufgeben?  Das  Gold,  für  welches  wir  gekämpft,  sollen 
wir  im  Stiche  lassen,  um  einen  Kampf  zu  vermeiden?  Die, 
welche  wir  der  Armut  hätten  preisgeben  müssen,  sollen  wir 
mit  Reichtümern  überschütten?  Tapfer  haben  wir  unsere 
Beute  erworben,  feige  sollten  wir  sie  von  uns  werfen?  Was 
könnten  wir  wohl  Schimpflicheres  begehen,  als  denen  Gold 
darzubieten,  denen  wir  mit  dem  Eisen  zusetzen  müssten? 
Furcht  soll  uns  niemals  das  rauben,  was  unsere  Tüchtigkeit 
uns  einbrachte.  Was  wir  im  Kampfe  gewannen,  dürfen  wir 
nur  im  Kampfe  verlieren.  Für  denselben  Preis,  um  den  die 
Beute  erkauft  wurde,  mag  sie  verkauft  werden.  Mit  Eisen 
Süll  ihr  Wert  abgewogen  werden.  Besser  ist  es,  eines  rühm- 
lichen Todes  zu  sterben,  als  sich  durch  Gier  nach  dem  Leben 
verächtlich  zu  machen.  Vom  Leben  trennen  wir  uns  in  einem 
kurzen  Augenblick;  die  Schande  folgt  uns  auch  in  den  Tod 
nach.  Ferner,  wenn  wir  unser  Geld  preisgeben,  wird  uns  der 
Feind  um  so  hitziger  verfolgen,  je  mehr  wir  seiner  Meinung 
nach  von  der  Furcht  gejagt  werden.     Ausserdem  aber  kann 

48  uns    keine    der   beiden   möglichen   Entscheidungen   das   Gold 


ELede  d.  Thorkillus  u.  d.  Britannierkönigs.  75 

hassenswert  machen.  Siegen  wir,  so  werden  wir  uns  des 
Schatzes,  den  wir  haben,  freuen ;  werden  wir  besiegt,  so  hinter- 
lassen wir  ihn  als  Preis  für  unser  Begräbnis.  —  So  sprach 
der  Alte. 

Aber  die  Soldaten  achteten  mehr  auf  den  Rat  des 
Königs  als  auf  den  ihres  Genossen  und  gaben  der  ersten  Auf- 
forderung den  Vorzug  vor  der  späteren.  Um  die  Wette 
brachten  sie,  was  jeder  an  Schätzen  besass,  aus  dem  Ge- 
wahrsam hervor.  Auch  die  mit  allerlei  Gerät  beladenen 
Pferde  entledigten  sie  ihrer  Bürde.  So  leerten  sie  also  ihre 
Taschen  und  gürteten  sich  um  so  bequemer  mit  den  Waffen. 
Sobald  sie  etwas  weiter  marschiert  waren,  rückten  die  Britannier 
nach  und  stürzten  sich  auf  die  offen  vor  ihnen  daliegende  Beute. 
Als  sie  der  König  allzu  habgierig  mit  dem  Einraffen  des  Goldes 
beschäftigt  sah,  befahl  er,  sie  sollten  sich  in  acht  nehmen, 
dass  sie  nicht  ihre  Hände,  die  doch  zum  Kampfe  bestimmt 
seien,  durch  die  Last  der  Schätze  ermüdeten;  sie  müssten 
doch  wissen,  dass  ein  Sieg  erst  errungen  werden  müsse,  ehe 
man  ihn  sich  zuschreiben  könne.  Darum  sollten  sie  das  Gold 
lassen  und  die  Besitzer  des  Goldes  verfolgen;  sie  sollten  nicht 
den  Glanz  des  Erzes,  sondern  des  Sieges  bewundern,,  sie  sollten 
daran  denken,  dass  eine  Siegestrophäe  mehr  gelte  als  Gewinn. 
Tüchtigkeit  sei  besser  als  Metall,  wenn  man  beider  Wesen 
nach  Gebühr  abwäge;  denn  dieses  verschaffe  nur  äusseren 
Schmuck,  jene  aber  verleihe  inneren  und  äusseren  Wert. 
Darum  sollten  sie  die  Augen  von  der  Betrachtung  des  Goldes 
abwenden  und  ihren  Sinn  statt  auf  die  Habsucht  eifrig  auf 
den  Kampf  richten.  Ausserdem  sollten  sie  wissen,  dass  die 
Feinde  ihre  Beute  absichtlich  weggeworfen  und  ihnen  das 
Gold  als  Hinterhalt,  nicht  zu  ihrem  Nutzen  da  hingestreut 
hätten.  Aber  auch  der  unschuldige  Glanz  des  Silbers  sei 
trügerisch  imd  enthalte  irgend  eine  verborgene  Falle.  Es  sei 
ja  auch  nicht  leicht  glaublich,  dass  der  Mann  geflohen  sei, 
welcher  kurz  zuvor  das  tapfere  Britanniervolk  in  die  Flucht 
geschlagen  habe.  Uebrigens  gäbe  es  nichts  Unwürdigeres  als  77 
Schätze.  Denn  diese  nähmen  ihre  Besitzer  gefangen,»  während 
man  glaubt,  sie  bereicherten  ihn.    Die  Dänen  seien  sicherlich 


76  Zweites  Buch. 

der  Ansieht  gewesen,  dass  die  mit  einer  blutigen  Niederlage 
bestraft  werden  müssten,  denen  sie  scheinbar  ihre  Schätze 
selbst  darbaten.  Wenn  sie  daher  das  verstreute  Gut  auf- 
rafften, so  würden  sie  (die  Britannier)  allem  Anschein  nach 
nur  dem  Feinde  einen  Vorteil  damit  in  die  Hand  geben. 
Wenn  sie  sich  nämlich  durch  den  Glanz  des  vor  ihnen  hin- 
gelegten Goldes  bestechen  Hessen,  so  würden  sie  nicht  nur 
dieses  wieder  verlieren,  sondern  auch  ihr  eigenes  Gut,  wenn 
sie  überhaupt  noch  etwas  übrig  hätten.  Was  nütze  denn  das 
Sammeln,  wenn  man  sogleich  gezwungen  werde,  das  Ge- 
sammelte wieder  herzugeben?  Wenn  sie  aber  darauf  ver- 
zichteten, sich  vor  dem  Golde  niederzuwerfen,  würden  sie 
zweifellos  den  Feind  niederwerfen.  Sie  müssten  sich  daher 
vielmehr  in  stolzer  Kampfestüchtigkeit  als  in  niedrer  Hab- 
sucht zeigen;  ihr  Sinn  dürfe  nicht  zur  Habgier  herabsinken, 
sondern  müsse  erhaben  nach  dem  Ruhme  trachten.  Mit  den 
Waffen,  nicht  mit  Gold  müssten  sie  fechten. 

Als  der  König  endete,  sprach  ein  britannischer  Ritter, 
indem  er  allen  sein  mit  Gold  gefülltes  Gewand  zeigte:  Zwei 
Gefühle  vereinigen  sich,  König,  in  deiner  Rede;  das  eine  ist 
ein  Zeugnis  deiner  Furcht,  das  andere  deines  Uebelwollens. 
Denn  du  willst  uns  hindern,  des  Feindes  wegen  diese  Schätze 
49  auszunutzen  und  hältst  es  für  besser,  wenn  wir  dir  als  arme 
denn  als  begüterte  Männer  dienen.  Was  ist  schmählicher 
al^  dieser  Wunsch,  was  thörichter  als  deine  Ermahnung? 
Unsere  eigenen  Reichtümer  erkennen  wir  hier,  und  mit  dieser 
Erkenntnis  sollten  wir  zögern  sie  aufzuheben?  Was  wir  mit 
den  Waffen  wieder  zu  erwerben  trachteten,  was  wir  mit 
unserem  Blute  wieder  zu  gewinnen  eilten,  das  sollten  wir 
ausschlagen,  wenn  es  uns  freiwillig  zurückerstattet  wird? 
Sollen  wir  zaudern,  unser  rechtmässiges  Eigentum  in  Anspruch 
zu  nehmen?  Wer  ist  denn  furchtsamer,  wer  das  Erworbene 
hinwirft,  oder  wer  sich  scheut,  das  Hingeworfene  aufzuheben? 
Siehe,  was  die  Not  uns  nahm,  giebt  uns  der  Zufall  wieder. 
Das  ist  ja  hier  nicht  Beute  vom  Feinde,  sondern  unsere 
eigene.  Der  Däne  brachte  uns  ja  nicht  dieses  britannische 
(lold,  sondern  er  hat  es  uns  fortgeschleppt.     Sollten  wir  vor 


Rede  eines  britannischen  Ritters.  77 

dem,  was  wir  gezwungen  und  wider  Willen  preisgaben,  zurück- 
schrecken, wenn  es  uns  umsonst  zurückkehrt?  Sünde  wäre 
es,  solch  eine  Gunst  des  Glückes  unwürdig  aufzunehmen. 
Was  wäre  denn  unsinniger,  als  Schätze  zu  verachten,  die 
offen  vor  uns  darliegen  und  nach  verschlossenen  und  ver- 
botenen zu  streben?  Was  unmittelbar  vor  unsern  Augen  sich  be- 
findet, sollen  wir  schnöde  verschmähen  und  das  zu  erhaschen 
suchen,  was  uns  entflieht?  Was  unmittelbar  vor  uns  liegt,  dessen 
sollten  wir  uns  enthalten  und  dagegen  Fernem  und  Fremdem  nach- 
jagen? Wann  werden  wir  denn  fremdes  Gut  erbeuten,  wenn 
wir  unser  Eigentum  verschmähen  ?  Nie  möchte  ich  so  sehr  den  78 
Zorn  der  Götter  erfahren,  dass  ich  gezwungen  wäre,  mein 
Gewand,  das  mit  dem  Golde  meines  Vaters  und  Grossvaters 
gefällt  ist,  dieser  so  rechtmässigen  Last  zu  entledigen.  Ich 
kenne  die  Schwelgerei  der  Dänen;  nie  hätten  sie  die  vollen 
W^einfässer  im  Stiche  gelassen,  wenn  nicht  die  Furcht  sie  zur 
Flucht  getrieben  hätte.  Leichter  hätten  sie  das  Leben  ge- 
lassen als  den  W^ein*).  Hierin  haben  wir  eine  gemeinsame 
Leidenschaft,  in  dieser  Beziehung  gleichen  wir  ihnen.  Sei  es 
auch,  dass  sie  doch  eher  die  Flucht  erheuchelt  hätten;  so 
werden  sie  doch  eher  auf  die  Schotten  stossen,  als  sie 
zurückkehren  können.  Nie  soll  dieses  Gold  den  Schweinen 
oder  wilden  Tieren  vorgeworfen,  auf  der  Erde  besudelt  werden, 
da  es  doch  besser  dem  Vorteile  der  Menschen  dienen  kann. 
Ausserdem  übertragen  wir,  wenn  wir  die  Beute  des  Heeres,  von 
dem  wir  besiegt  wurden,  rauben,  damit  das  Glück  des  Siegers 
auf  uns  selbst.  Welches  sicherere  Vorzeichen  für  den  Sieg 
könnte  man  denn  erhalten,  als  die  Beute  vor  der  Schlacht 
einzuheimsen,  als  das  vom  Feinde  verlassene  Lager  vor  dem 
Kampfe  einzunehmen?  Besser  ist  es,  durch  die  Furcht  zu 
siegen,  als  mit  dem  Schwerte. 

Kaum  hatte  der  Ritter  geschlossen,  siehe,  da  wühlten  auch 
schon  aller  Hände,  nach  Beute  haschend,  allenthalben  in  dem 
glänzenden  Erze.  Da  hätte  man  den  Geist  gemeiner  Hab- 
sucht bewundern,  da  ein  Beispiel  massloser  Gier  beobachten 


»)  Vgl.  die  ähnliche  Schilderung  B.  V,  168  (Holder). 


78  Zweites  Buch. 

können.  Da  konnte  man  sehen,  wie  sie  mit  dem  Golde  zu- 
gleich das  Gras  an  sich  rissen,  wie  innerer  Zwist  entstand, 
wie  Mitbürger,  ohne  an  den  Feind  zu  denken,  mit  dem 
Schwerte  sich  gegenseitig  bekämpften,  wie  man  die  Rechte 
der  Verwandtschaft,  die  Achtung  vor  dem  Gemeinsinn  ver- 
nachlässigte, wie  alle  nur  an  die  Habsucht,  niemand  an  die 
Freundschaft  dachte. 

Unterdessen  hatte  Frotho  den  Bergwald  ^),  der  Schott- 
land und  Britannien  scheidet,  in  einem  Eilmarsch  durchmessen 
und    befahl  nun    seinen  Soldaten,    die   Waffen  zu    ergreifen. 

50  Als  die  Schotten  seine  Schlachtreihe  erblickten  und  wahr- 
nahmen, dass  die  Dänen  mit  einer  viel  vorzuglicheren  Aus- 
rüstung verseben  waren,  während  sie  selbst  nur  leichte  Speere 
zur  Verfügung  hatten,  kamen  sie  einer  Schlacht  durch  die 
Flucht  zuvor.  Frotho  verfolgte  sie  aus  Besorgnis  vor  einem 
Ueberfalle  der  Britannier  nur  wenig;  doch  er  vereinigte  sich 
dabei  mit  Ulwildas  Gemahl  Skottus,  der  ihm  mit  einem 
gewaltigen  Heere  entgegen  kam;  denn  der  Wunsch,  den  Dänen 
Hilfe  zu  bringen,  hatte  ihn  aus  den  entlegensten  Grenz- 
gebieten Schottlands  herbeigeführt.  Auf  seinen  Rat  unter- 
liess  er  die  Verfolgung  der  Schotten,  kehrte  nach  Britannien 
zurück  und  eroberte  die  Beute,  die  er  listig  von  sich  ge- 
worfen hatte,  rasch  wieder.  So  gleichmütig  er  diese  Schätze 
geopfert  hatte,  so  leicht  gewann  er  sie  zurück.    Die  Britannier 

79  aber  bereuten  es,  sich  so  schwer  belastet  zu  haben  und  büssten 
mit  ihrem  Blute  für  ihre  Habgier;  es  verdross  sie,  dass  sie 
so  unersättlich  der  Habsucht  ihren  Arm  geliehen  hatten,  und 
sie  schämten  sich,  dass  sie  nicht  dem  Rate  des  Königs,  sondern 
vielmehr  ihrer  eigenen  Begehrlichkeit  gefolgt  waren. 

Darauf  zog  er  vor  die  berühmteste  Stadt  der  Insel, 
Lundonia^).  Da  die  Festigkeit  ihrer  Mauern  eine  Er- 
oberung unmöglich  machte,  nahm  er  zur  List  seine  Zuflucht, 


^)  Das  Cheviotgebirge,  das  bei  den  alten  Schriftstellern  gewöhnlich 
saltus  C^aledonius  heisst. 

*)  D.  i.  London  (sonst  meist  Londinum),  schon  zur  Römerzeit  aU 
Hüuptort  der  Britannier  bekannt. 


Frothos  I.  letzte  Siege  und  Thaten.  79 

indem  er  die  Nachricht  verbreiten  lies,  er  sei  gestorben*). 
Als  nun  Dalemannus,  der  Statthalter  von  I^undonia,  die 
fälsche  Kunde  von  seinem  Hingange  vernahm,  genehmigte 
er  die  Unterwerfung  der  Dänen  und  bot  ihnen  einen  Fürsten  aus 
der  Zahl  der  Eingebornen  an.  Damit  sie  diesen  aus  einer 
grossen  Schaar  wählen  könnten,  erlaubte  er  ihnen  in  die 
Stadt  hereinzukommen.  Während  sie  nun  scheinbar  der  Wahl 
ihre  Aufmerksamkeit  widmeten,  lockten  sie  ihn  bei  Nacht  iu 
einen  Hinterhalt  und  erschlugen  ihn. 

Nach  diesen  Thaten  kehrte  der  König  in  sein  Vaterland 
zurück^),  hier  empfing  ihn  ein  gewisser  Scato  mit  einem 
Gelage,  um  seine  kriegerischen  Anstrengungen  mit  dem  Genuss 
eines  Vergnügens  zu  würzen.  Während  Frotho  bei  diesem 
nach  Königssitte  auf  einem  goldgesticktem  Kissen  ruhte, 
forderte  ihn  ein  gewisser  Hundingus  zum  Zweikampfe 
heraus;  und  obwohl  Frotho  seinen  Sinn  den  Freuden  des 
Mahles  zugewandt  hatte,  empfand  er  doch  mehr  Lust  über 
den  bevorstehenden  Kampf,  als  über  das  augenblickliche 
Gelage,  und  er  beschloss  das  Mahl  mit  dem  Zweikampf,  den 
Zweikampf  mit  seinem  Siege.  Hierbei  erhielt  er  eine  ziemlich 
gefährliche  Wunde.  Als  er  aber  bald  darauf  durch  eine 
Trotzrede  des  Kämpen  Haquinus  gereizt  wurde,  übte  er 
durch  den  Tod  des  Herausforderers  Rache  für  die  Störung 
seiner  Ruhe.  Zwei  von  seinen  Kammerdienern,  die  offen- 
kundig eines  Verrates  überführt  waren,  schnürte  er  an  ge- 
waltige Felsen  und  stürzte  sie  ins  Meer,  indem  er  die  Schwere 
ihres  geplanten  Verbrechens  durch  die  Befestigung  der  schweren 
Last  an  ihrem  Körper  bestrafte.  Manche  berichten  auch,  das 
ihm  Ulwilda  damals  ein  undurchdringliches  Eisenkleid  ge- 
schenkt habe ;  wenn  er  dies  anlegte,  so  konnte  ihn  die  Spitze 
keiner  Waffe  verletzen.     Auch  ist  nicht  zu   übersehen,    dass 


*)  Vgl.  dieselbe  List  Frodes  oben  S.  63. 

*)  Dieser  letzte  Bericht  von  Frodes  Schicksalen  und  Thaten  ist  un- 
ziisanunenhäDgend  und  nicht  recht  klar.  Die  Namen  Skato  und  Hundingus, 
die  I,  19  und  II,  81  als  deutsche  Helden  genannt  werden,  weisen  viel- 
leicht auf  Frede  den  Kühnen  hin,  der  beim  Sachsenherzog  Swerting  seinen 
Tod  fand.     (Saxo  VI.) 


80  Zweites  Buch. 

Frotho  seine  Speisen  mit  fein  zerstosseneu  Goldsplittern  zu 
bestreuen  pflegte,  ein  Verfahren,  welches  er  gegen  die  ge- 
wöhnlichen Vergiftungsversuche  anwendete  ^),  Als  er  den 
80  König  Regnerus  von  Schweden,  der  fälschlich  des  Verrates 
51  bezichtigt  wurde,  in  einem  Kriegszuge  angriff,  starb  er,  nicht 
durch  ein  Geschoss  verletzt,  sondern  erstickt  durch  die  Schwere 
seiner  Rüstung  und  durch  die  Hitze  seines  eigenen  Körpers^). 
£r  hinterliess    drei   Söhne,    Haldauus,    Roe    und    Scatus. 

Diese  waren  an  Tüchtigkeit  gleich,  und  dieselbe  Begierde 
nach  der  Königswürde  beseelte  sie  alle.  Jeder  strebte  nach 
der  Herrschaft;  keiner  nahm  auf  den  Bruder  Rücksicht.  Denn 
wen  allzu  grosse  Eigenliebe  beherrscht,  den  verlässt  die  Liebe 
zu  andern,  und  niemand  kann  zugleich  seinem  eigenen  Ehr- 
geiz dienen  und  für  andere  Freundschaft  empGnden.  Hal- 
danus ^),  der  älteste  von  ihnen,  befleckte  sich  durch  ein 
Verbrechen:  er  tötete  seine  Brüder  Roe  und  Scatus  und 
gewann  sich  durch  diesen  Brudermord  die  Herrschaft;  und 
um  ja  keine  Probe  seiner  Grausamkeit  zu  unterlassen,  ergriflT 
er  alle  Anhänger  derselben,  hielt  sie  erst  in  Fesseln  ge- 
fangen und  Hess  sie  dann  hängen.  Das  Merkwürdigste  an 
seinem  ganzen  Schicksale  war,  dass  er  sein  Leben  erst  in 
hohem  Alter,  und  nicht  durch  das  Schwert,  endete,  obwohl  er 
doch  jeden  Augenblick  seiner  Zeit  zur  Befriedigung  seiner 
grausamen  Lüste  verwendet  hatte. 


M  Das  ist  der  unverstandene  Rest  einer  alten  Sage,  die  uns  erzahlt, 
warum  von  den  Skalden  das  Gold  ., Prodis  Mehb^  genannt  wird;  ihr  Held 
ist  Frode  der  Friedsame.  Erhalten  ist  sie  uns  in  der  Snorraedda  (bei 
Gering  ö.  375  ff.);  vgl.  dazu  Uhland,  Schriften  VII,  99  ff.  Sazos  ratio- 
nalistische Erklärung,  dass  sich  Frode  durch  das  Gold  gegen  Vergiftungs- 
versuche schützen  wollte,  stimmt  zu  der  mittelalterlichen  Anschauung,  die 
ihm  thatsächlich  solche  Wirkung  zuschrieb. 

*)  Auch  diese  Todesart  durch  Hitze  erinnert  an  Frode  den  Kühnen, 
der  von  8werting  verbrannt  wurde. 

*)  Die  Haidan-,  Ro-  und  Helgesage  hat  Saxo  aus  dänischen  Quellen 
geschöpft,  in  denen  sich  die  von  ihm  berichteten  Züge  alle  wiederfinden, 
während  die  norwegisch-isländischen  Berichte,  die  auch  diese  Helden 
kennen,  in  wesentlichen  Punkten  abweichen.  Vgl.  Olrik  U,  142  ff.  und 
über  Haidan  noch  Müllers  Ausgabe  des  Saxo  II  (Not.  über.)  S.  84. 


Frothos  I.  Tod.     Haldanus.     Roe.     Helgo.  81 

Er  hatte  zwei  Söhne,  Roe  und  Helgo:  Von  Roe  soll 
Roskildia^)  gegründet  worden  sein,  welches  später  Sueno, 
berühmt  unter  dem  Beinamen  der  Gabelbart  ^),  an  Einwohner- 
zahl vermehrt  und  an  Umfang  erweitert  haben  soll.  Roe 
war  von  kurzem,  schmächtigem  Körperbau,  Helgo  dagegen 
hatte  ein  stattlicheres  Aussehen.  Dieser  teilte  sich  mit  seinem  . 
Bruder  in  die  Herrschaft  und  erhielt  durch  das  Los  den 
Besitz  zur  See*);  darauf  griff  er  den  Slavenkönig  Scalen s 
an  und  besiegte  ihn.  Als  er  Slavien  zur  Provinz  gemacht 
hatte,  kreuzte  er  auf  verschiedenen  Seewegen  in  planlosen 
Fahrten.  Mochte  er  auch  ein  ziemlich  wildes  Temperament 
haben,  so  kam  doch  seine  Ueppigkeit  seiner  Grausamkeit 
gleich.  Denn  er  war  so  sehr  zu  Liebesfreuden  geneigt,  dass 
man  geteilter  Meinung  sein  könnte,  ob  ihn  mehr  Herrschsucht 
oder  Liebesleidenschaft  entflammte.  Auf  der  Insel  Thorö*) 
vergewaltigte  er  eine  Jungfrau,  Thora,  und  bekam  von  ihr 
eiue  Tochter,  der  er  später  den  Namen  ürsa  gab. 
Hundingus,  den  Sohn  des  Sachsenkönigs  Syriens,  besiegte 
er  in  einem  Treffen  bei  der  Stadt  Stadium*);  er  forderte 
ihn  zum  Zweikampfe  heraus,  griff  ihn  an  und  tötete  ihn. 
Daher  wurde  er  Hundingstöter  genannt*)  und  genoss  so 
die  Ehre  seines  Sieges  in  diesem  Beinamen.  Jütland  entriss  81 
er  den  Sachsen  und  übertrug  Rechtsprechung  und  Verwaltung 


*)  D.  h.  Ro's  Quelle ;  jetzt  Koskilde  auf  Seeland.  -  -  Roe  heisst  bei 
den  Isländern  Hroar,  im  Beowulfliede  HröOgar. 

*)  Swen  Gabelbart,  historischer  König  von  Dänemark  und  England 
(986—1014);  über  ihn  handelt  Saxo  X. 

')  D.  h.  er  war  ein  Seekönig:  das  ist  ein  Titel,  den  besonders  aus- 
gezeichnete Wikinger  trugen.     Vgl.  Yngliugasaga  K.  34. 

*)  D.  h.  Thoras  Insel. 

*)  Ob  dieses  Stadium  der  im  Eddaliede  von  Helgi  dem  Hundings- 
töter (I)  Str.  8  und  57  (Gering  S.  162,  170)  Hringstad  genannte  Ort  ist, 
d.  h.  das  jetzige  Ringsted  auf  Seeland,  ist  zweifelhaft.  —  Manche  denken 
dabei  an  Hallingsted  in  Schleswig.  Ausgeschlossen  erscheint  der  Gedanke 
an  die  Stadt  Stade  in  Hannover. 

*)  Mit  dem  genannten  Eddaliede  hat  unsere  Geschichte  nur  die 
Kamen  gemein. 

Saxo  Grammalicut.  6 


K-j  Zweires  Bach. 

den  Fürsten  Heske.  Ey  r  und  Ler  ').  In  Sachsen  bestimmte 
er,  däüs  die  Ermordung  eines  Freien  und  Freigelassenen  durch 
die  gleiche  ^trafsumme  gesühnt  werden  snllte^);  er  wollt« 
dadurch  gewissermassen  klar  feststellen,  dass  auf  allen  (Je- 
«chlechtern  der  Teutonen  die  gleiche  Knechtschaft  laste,  dass 
aller  Freiheit  vernichtet  und  von  der  gleichen  Schmach  be- 
fleckt sei. 

Als  er  bei  einem  Raubzuge  wieder  nach  der  Insel  Thorö 
zurückkehrte,  ersann  Thora,  die  den  Kummer  über  den  Ver- 
lust ihrer  jungfräulichen  Ehre  noch  nicht  vergessen  hatte,  in 

5S  Form  einer  schimpflichen  Kist  eine  ruchlose  Rache  für  ihre 
Schändung.  Sie  schickte  nämlich  ihre  jetzt  mannbare  Tochter 
zum  Strande  und  richtete  es  so  ein,  dass  der  eigene  Vater 
sie  durch  seine  Umarmung  entehrte.  Mag  dessen  Körper 
nun  auch  der  Versuchung  der  lockenden  Lust  erlegen  sein, 
so  darf  man  doch  nicht  glauben,  dass  sein  Herz  jeglicben 
Schamgefühls  baar  gewesen  ist;  denn  seine  Unkenntnis  ist  ja 
zum  Glück  die  giltigste  Entschuldigung  für  seinen  Irrtum. 
Wehe  über  die  unsinnige  Mutter,  welche  ihrer  Tochter  Ehre 
aufopferte,  um  ihre  eigene  zu  rächen,  die  sich  nicht  um  ihres 
eigenen  Hlutes  Keuschheit  kümmerte,  wenn  sie  nur  auf  den 
Mann,  durch  den  sie  zuvor  ihre  Juugfrauscbaft  verloren  hatte, 
den  Vorwurf  der  Blut-schande  wälzen  konnte.  Wehe  über 
den  wilden  Sinn  des  Weibe»,  die  gleichsam  eine  zweite 
Sirhändiing  ihrer  selbst  herbeiführte,  um  ihren  Verführer  zu 
strafen,  während  sie  doch  off'enbar  durch  solches  Verbrechen 

»■2  ihre  eigene  Schmach  nur  vergrösserte,  anstatt  sie  zu  tilgen. 
Denn  durch  die  That,  durch  welche  sie  ihre  Rache  zu  er- 
reichen vermeinte,  häufte  sie  nur  neue  Schuld  auf  sich:  und 
wiihrend  a'n'  einen  Schaden  gut  zu  machen  wünschte,  fügte 
sie  noch  eine  Sünde  hinzu,  indem  sie  wie  eine  Stiefmutter 
wi  ihrem  Kinde  handelte,  dem  sie  die  Schande  nicht  ersparte, 

I  lli'iki-  mliT  Ksie  ist  ein  >n(ipl»ächäi«"ber  Nami';  narli  dpr  Sachscii- 
o  Hi'nifi^t'.  Sohn.  Kyr  imü  Lcr  sind  die  .\'am<-n  der  hehW-n 
ir  tincl   Hli'r,  dcrt^n   Kodeiilung  schon  zu  Sbxi>s  ZpIi^ii  ver- 

Sii-M  hUl<.ris.h. 


Helgo  u.  Thora.     Hothbrodus.  83 

um  ihre  eigene  Schmach  zu  stihneu.  Zweifellos  muss  sie 
einen  von  Schamlosigkeit  strotzenden  Sinn  besessen  haben, 
da  sie  sich  so  sehr  von  jedem  Ehrgefühl  lossagen  konnte, 
dass  sie  nicht  errötete,  einen  Trost  für  die  ihr  zugefügte 
Unbill  in  der  Schande  ihrer  Tochter  zu  suchen.  Es  war  ein 
schweres,  aber  doch  durch  eins  sühnbares  Verbrechen:  dadurch 
nämlich,  dass  ein  glücklicher  Spross  die  Schuld  dieses  Beilagers 
tilgte,  und  dass  dessen  Frucht  noch  viel  lieblicher  war,  als  die 
Geschichte  ihres  Ursprungs  traurig.  Denn  Ursas  Sohn,  Rolwo, 
glich  die  Schmach  seiner  Geburt  aus  durch  herrliche,  wackere 
Thaten,  deren  strahlenden  Glanz  die  Geschichte  aller  Zeiten 
mit  rühmlich- preisender  Kunde  feiert.  Es  geschieht  ja  zu- 
weilen, dass  Trauer  mit  Freude  endet,  und  dass  schmachvoll 
Begonnenes  zu  einem  glänzenden  Absrhluss  gelangt.  So  lief 
der  schandenvolle  Irrtum  des  Vaters  immerhin  glücklich  ab, 
denn  die  so  wunderbare  Lichtgestalt  des  Sohnes  sühnte  ihn 
später  ^). 

Inzwischen  starb  Reguerus  in  Schweden,  und  auch  seine 
Gemahlin  Swanhwita  verschied  bald  darauf  an  einer  Krank- 
heit, die  sie  sich  infolge  ihrer  Trauer  zuzog;  im  Tode  folgte 
sie  ihrem  Gatten  nach,  von  dem  sie  sich  auch  im  Leben  nicht 
hatte  trennen  lassen^).  Denn  es  kommt  ja  vor,  dass  manche 
infolge  einer  ganz  aussergewöhnlichen  Liebe  die,  welchen  sie 
dieselbe  bei  Lebzeiten  weihten,  auch  beim  Scheiden  aus  dem 
Leben  zu  begleiten  wünschen.  Ihnen  folgte  ihr  Sohn  Hoth- 
brodus^), der  in  dem  Wunsche,  seine  Herrschaft  zu  erweitern, 
den  Orient  mit  Krieg  überzog  und  nach  einer  gewaltigen 
Niederlage  dieser  Völker  zwei  Söhne,  Atislus  und  Hotherus, 
erzeugte.     Diesen   gab  er  einen  gewissen  Gewarus,   den   er 


*)  Diese  Geschichte  wird  auch  von  der  Hrolfssa^a,  Kap.  8,  9,  13. 
und  von  der  Ynglingasaga,  Kap.  32,  33.  erzählt:  doch  ist  dort  von  Yrsas 
Schuld  keine  Rede.  Vgl.  Müllers  Ausg.  II,  88 :  Gerings  Edda  S.  380,  2  ^ 
Olrik  n,  S.  142,  145  ff. ;  Weinhold  8.  244. 

*)  Vgl.  oben  I,  S.  41. 

*)  Aehnliches  berichtet  die  Ynglingasaga,  Kap.  31,  von  Ottar;  er  ist 
dort  zwar  der  Vater  des  Adils,  aber  nicht  der  Sohn  Kegners,  sondern 
des  Egil. 

6* 


34  Zweites  Buch. 

durch  hervorrageDde  Wohlthaten  an  sich  gefesselt  hatte,  zum 
Erzieher  ^).  Nicht  zufrieden  mit  seinem  Siege  über  den  Orient, 
griff  er  auch  Dänemark  an,  forderte  dessen  König  Roe  zu 
drei  Schlachten  heraus  und  tötete  ihn.  Auf  die  Nachricht 
hiervon  sehloss  Helgo  seinen  Sohn  Rolwo  in  die  Burg  von 
Lethra^)  ein,  um  für  das  Wohl  dieses  seines  Erben  gesorgt 

611  zu  haben,  wie  sich  auch  immer  sein  eigenes  Schicksal  ge- 
stalten mochte,  um  sein  Vaterland  von  der  Fremdherrschaft 
zu  befreien,  sandte  er  darauf  seine  Trabanten  in  die  Städte 
und  Hess  die  Befehlshaber,  die  Hothbrodus  hereingeschickt 
hatte,  umbringen.  Auch  diesen  selbst  vernichtete  er  mit  allen 
seinen  Truppen  in  einer  Seeschlacht.  So  vergalt  er  nicht  nur 
die  Gewaltthat  an  seinem  Bruder,  sondern  auch  an  seinem 
Vaterlande  durch  vollgiltige  Rache  mit  Waffengewalt.  Dadurch 
kam  es  auch,  dass  ihm,  der  erst  vor  kurzem  wegen  der  Be- 
siegung des  Hundingus  einen  Beinamen  erhalten  hatte,  nun 
auch  die  Niederlage  des  Hothbrodus  eine  Zubenennung  ein- 

88  trug.  Ausserdem  bestrafte  er  die  Schweden,  gleich  als  ol> 
sie  in  den  Schlachten  noch  zu  wenig  gelitten  hätten,  durch 
eine  ganz  demütigende  Verordnung.  Er  bestimmte  nämlich 
durch  ein  Gesetz,  dass  keine  Beleidigung,  die  einem  von  ihnen 
zugefügt  würde,  nach  der  Form  der  gesetzlichen  Anordnungen 
gesühnt  werden  sollte').  Nach  diesen  Thaten  kehrte  er  aus 
Scham  über  seine  frühere  Schande  voll  Hass  gegen  Vaterland 
und  Heim  nach  dem  Orient  zurück  und  starb  dort.  Manche 
meinen,  er  habe  sich  aus  Kummer  darüber,  dass  man  ihm 
einst  seine  Schande  vorwarf,  freiwillig  den  Tod  gegeben,  in- 
dem er  sich  in  sein  gezücktes  Schwert  stürzte*). 


*)  Vgl.  I,  S.  19  und  Aiim.  1 ;  S.  28. 

•)  Lethra  ist  das  jetzige  Dorf  Lejre  bei  Ledreborg,  westlich  von 
Roskilde,  ungefähr  in  der  3Iitte  von  Seeland.  Diese  Burg  wird  als  der 
älteste  Königssitz  der  dänischen  Herrscher  genannt:  Hrolf  wird  unten  ali 
Gründer  der  um  die  ßur^  sich  bildenden  Stadt  bezeichnet,  Stephanius 
giebt  in  seiner  Ausgabe  (Not.  über.  p.  75)  eine  Abbildung  davon,  die  er 
sich  aus  den  Beschreibungen  und  noch  vorhandenen  Resten  zurecht- 
gemacht hat. 

»)  Vgl.  oben  S.  82  und  Anm.  2. 

*)  Helgis  Tod  auf  einem  Kriegszuge  berichten  norwegische  Quellen, 


Helgos  Ende.     Rolwo.     Atislus  u.  Ursa.  g5 

Ihm  folgte  sein  Sohn  Rolwo^),  ein  Mann,  verehrungs- 
würdig wegen  seiner  körperliehen  wie  geistigen  Gaben,  der 
die  Grösse  seiner  Gestalt  durch  ein  gleiches  Mass  Tüchtigkeit 
empfahl.  Da  zu  dieser  Zeit  Schweden  der  Herrschaft  der 
Dänen  unterworfen  war,  suchte  Atislus*),  der  Sohn  des 
llothbrodus,  gar  schlau  nach  einem  Mittel,  sein  Vaterland  zu 
befreien,  und  er  setzte  es  durch,  sich  mit  Rolwos  Mutter 
Ursa  ehelich  zu  verbinden.  Denn  durch  diese  neue,  enge 
Verwandtschaft  wollte  er  bei  seinem  Stiefsohne  seinen  For- 
cierungen um  Erlass  des  Tributes  stärkeren  Nachdruck  ver- 
leihen; und  das  Glück  war  seinen  Wünschen  nicht  ungünstig. 
Kr  hasste  von  Jugend  auf  die  Freigebigkeit  und  war  so  sehr 
auf  das  Geld  versessen,  dass  er  den  Ruf  der  Milde  für  eine 
Schande  hielt.  Als  ihn  Ursa  von  so  schmutzigem  Geize  be- 
sessen sah,  wollte  sie  ihn  gern  wieder  los  werden,  und  da 
sie  meinte,  mit  List  verfahren  zu  müssen,  verbarg  sie  ihren 
trügerischen  Plan  mit  wunderbarer  Geschicklichkeit.  Sie  er- 
heuchelte nämlich  Lieblosigkeit  gegen  ihren  Sohn,  ermunterte 
ihren  Gatten,  die  Freiheit  wieder  zu  gewinnen,  stachelte  ihn 
eifrig  zum  Aufruhr  an  und  veranlasste  ihn,  ihren  Sohn  unter 
Verheissung  grosser  Geschenke  nach  Schweden  einzuladen. 
Denn  sie  hoffte  so  am  besten  das  Ziel  ihrer  Wünsche  zu  er- 
reichen, wenn  sie,  sobald  ihr  Sohn  das  Gold  des  Stiefvaters 

von  seinem  Selbstmord  (durch  Erhängen)  erzählt  noch  eine  dänische,  die 
Ryaarlutger. 

*)  Von  Hrolf  berichtet  uns  ausser  Saxo  noch  die  ausführliche,  aber 
so,  wie  sie  uns  vorliegt,  bereits  stark  überarbeitete  und  interpolierte 
Hrolfssaga  kraka,  hrsg.  von  Rafn  in  den  Fornaldar  Sögur  Nordrlanda  I, 
1  ff.  (Kjebenhavn,  1829).  Heinere  Darstellungen  liegen  noch  vor  in  der 
Skjoldungasaga  in  ArngHmr  Jönssons  Auszug,  Kap.  12  (ed.  A.  Olrik, 
s.  Anmerk.  2,  S.  18),  in  der  Ynglingasaga,  Kap.  33,  34,  41,  und  in  der  Snorra- 
edda  (bei  Gering  8.  380  ff.),  alles  norwegisch-isländische  Quellen.  Einige  ver- 
streute Berichte  werden  noch  in  Müllers  Saxo  II,  90  angefahrt.  Obwohl  sich  in 
diesen  Quellen  alle  Züge,  die  Saxo  bringt,  im  wesentlichen  wiederfinden,  ist 
dessen  Darstellung  doch  vielfach  so  abweichend,  dass  man  zu  der  An- 
nahme genötigt  ist,  er  habe  aus  andern,  dänischen,  uns  unbekannten 
Quellen  geschöpft,  wie  er  übrigens  selbst  unten  S.  106  angiebt.  Vgl.  noch 
Ohik  U,  146  ff.;  Uhland,  Schriften  VII,  138  ff. 

^  In  den  andern  Quellen  heisst  er  Adils. 


^6  Zweites  Buch. 

erhalten  hätte,  mit  diesem  fliehen,  den  Schatz  des  Königs 
mitnehmen  und  so  den  Mann  nicht  nur  um  sein  Weib,  sondern 
auch   um  sein  Geld   betrügen   könnte.     Sie   glaubte   nämlich 

84  seine  Habsucht  nicht  besser  als  durch  die  Entführung  seiner 
Schätze  bestrafen  zu  können.  Diese  scharfsinnige  List,  die 
in  der  überlegensten  Schlauheit  ihren  Ursprung  hatte,  konnte 
schon  aus  dem  Grunde  nicht  leicht  durchschaut  werden,  weil 
sie  ihr  Streben  nach  einem  Wechsel  ihrer  Ehe  unter  dem 
Scheine,  als  begehre  sie  die  Freiheit,  zu  verbergen  wusste. 
0  über  den  blinden  Sinn  des  Mannes,  der  da  glaubte,  die 
Mutter  sei  von  Hass  gegen  ihres  Sohnes  Leben  entflammt, 
und  nicht  erkannte,    dass  sie  an  seinem  eigenen  Verderben 

64  arbeitete!  0  über  den  bethörten  Verstand  des  Gatten,  der  das 
beharrliche  Streben  seiner  Frau  nicht  bemerkte,  wie  sie  unter 
dem  Scheine,  als  hasse  sie  ihren  Sohn,  nur  nach  einer  Mög- 
lichkeit suchte,  ihre  Ehe  zu  lösen!  Während  man  doch 
Frauenherzen  überhaupt  kein  Vertrauen  schenken  sollte,  baute 
er  um  so  thörichter  auf  sein  Weib,  je  leichter  er  glaubte,  dass 
sie  ihm  treu,  gegen  ihren  Sohn  aber  falsch  sei.  Rolwo  Hess 
sich  nun  durch  die  Grösse  der  Versprechungen  bewegen^); 
als  er  aber  das  [laus  des  Atislus  betrat,  wurde  er  von  seiner 
Mutter  wegen  seiner  langen  Abwesenheit,  und  weil  sie  ja 
überhaupt  nicht  zusammen  lebten,  nicht  gleich  erkannt.  Da 
bat  er  sie  im  Scherze  um  eine  Gabe  zur  Stillung  seines 
Hungers.  Als  sie  ihm  sagte,  er  solle  sich  vom  König  ein 
Frühstück  erbitten,  wies  er  auf  einen  zeiTissenen  Teil  seines 
Gewandes  und  verlangte  ihre  Hilfe,  um  es  zusammenzunähen. 
Als  er  auch  jetzt  seiner  Mutter  Ohren  verschlossen  fand,  sagte 
er,  es  sei  doch  schwer,  eine  wahre  und  feste  Freundschaft 
zu  finden,  wenn  die  Mutter  ihrem  Sohne  ein  Mahl,  die 
Schwester  dem  Bruder  ihren  Dienst  beim  Nähen  versage.  So 
strafte   er  seine  Mutter  für  ihren  Irrtum   und  beschämte  sie 


')  Dir  andern  (^tu  11(m»  woichcn  wesentlich  von  diesem  etwas  phan* 
tastisolien  Bericht  ab.  Nach  der  Hrulfssn^ra  zieht  Hi*olf  nach  Schweden, 
um  das  Erhe  seines  Vaters  Heljji  einzuf(>rdern,  der  im  Kampfe  gegen 
Adils  gefallen  war.  ((lerings  Etlda  381,  5.)  Den  etwas  verwickelteren 
Hericht  der  Kdda  siehe  bei  (iering  S.  38 1  und  82. 


Rolwo  bei  ürsa  und  Atislus.  ^7 

sehr  für  die  Verweigerung  jener  Freundlichkeit^).  Als  ihu 
Atislus  beim  Mahle  ganz  nahe  bei  seiner  Mutter  sitzen  sah, 
tadelte  er  beide  wegen  ihrer  Leichtfertigkeit  und  sagte,  es 
sei  dies  eine  unanständige  Annäherung  zwischen  Bruder  und 
Schwester.  Rolwo  antwortete  ihm,  es  sei  nur  ehrenvoll,  wenn 
ein  Sohn  seine  Mutter  liebevoll  umarme,  und  verteidigte  seine 
angegriffene  Sittenreinheit  mit  den  engsten  Banden  der  Natur. 
Als  die  Tischgenossen  die  Frage  aufwarfen,  welche  Art  der 
Tapferkeit  er  den  übrigen  vorziehe,  nannte  er  die  Ausdauer. 
Auch  Atislus  wurde  nun  gefragt,  welcher  Tugend  das  höchste 
Streben  seiner  Wunsche  gelte,  und  erklärte,  es  sei  die  Frei- 
gebigkeit^). Es  wurden  nun  Proben  hier  der  tapferen  Aus- 
dauer, dort  der  Milde  gefordert,  und  Rolwo  sollte  zuerst  den 
Beweis  für  seine  Tüchtigkeit  liefern.  Er  stellte  sich  nun  ans  85 
Feuer  ^)  und  deckte  mit  seinem  Schilde  den  Teil  seines  Körpers, 
der  am  meisten  gefährdet  war,  um  wenigstens  eine  Seite  zu 
schützen.  Der  übrige  Teil  aber  war  völlig  ungeschützt,  und 
er  hielt  da  nur  durch  seine  geduldige  Ausdauer  Stand.  Es 
war  sehr  geschickt  von  dem  Manne,  den  Schild  zu  Hilfe  zu 
nehmen,  um  die  Hitze  etwas  zu  dämpfen;  denn  so  schirmte 
er  mit  demselben  Mittel  seinen  den  Flammen  ausgesetzten 
Körper,  dessen  er  sich  sonst  gegen  die  von  allen  Seiten 
herbeizischenden  Geschosse  bedient  hatte.  Die  Hitze  war 
jedoch  schärfer  als  die  Pfeile,  und  wenn  sie  auch  dem  durch 


^)  Die  £rkennungsszcne  und  die  Strafrede  fehlen  in  den  andern 
Berichten.  Müller  bezeichnet  die  erstere  als  zweifellos  verdächtig,  wie 
ich  glaube,  ohne  Recht;  es  kann  ihr  sehr  wohl  ein  altes  Gedicht  zu 
Grunde  liegen;  mit  den  strafenden  Worten  Hrolfs  vgl.  die  Hamlets III,  S.  147. 

*)  Ueber  diese  sehr  beliebte  Sitte  der  Wettgespräche  vgl.  Weinhold 
8. 463  ff.  Jantzen,  Gesch.  d.  deutschen  Streitgedichts  (Breslau  1896), 
8.  26  fi.,  67  ff.  —  Für  das  klassische  Altertum  denke  man  an  Platona 
Symposion  (vgl.  auch  Hugs  Einleitung  dazu  in  seiner  Ausgabe  desselben; 
Leipzig). 

')  Man  muss  wohl  annehmen,  dass  er  zwischen  zwei  Bränden  stand ; 
dann  ist  seine  Lage  ähnlich  der  Odins  im  Liede  von  Grimnir  (Gerings 
Edda  S.  68).  Den  sehr  abweichenden  Bericht  der  Edda  siehe  bei  Gering 
8.  382  und  83;  diesem  ähnelt  der  in  der  Hrolfssaga.  Zu  vgl.  ist  noch 
die  Erzählung  in  der  Halfssaga,  Kap.  8.     (Fornaldar  Sögur  II,  34  ff.) 


88  Zweites  Buch. 

den  Schild  gedeckten  Teile  nichts  anhaben  konnte,  so  grifiT 
sie  doch  die  schutzfreie  Seite  an.  Da  sah  ihn  nun  eine 
Dienerin,  die  zufällig  nahe  beim  Herde  stand,  wie  seine 
Rippen  von  der  unerträglichen  Glut  geröstet  wurden,  zog  den 
Spund  aus  einem  Fasse,  löschte  die  Flamme  durch  das  aus- 
strömende Nass  und  unterdrückte  so  die  heftigsten  Qualen 
des  Feuers  durch  das  rechtzeitige  Eingreifen  mit  dieser  Flüssig- 
keit. Rolwo  wurde  nun  für  das  Bestehen  der  Geduldsprobe 
belobt,  und  dann  verlangte  man  die  Gaben  des  Atislus. 
U  Man  berichtet,  dass  dieser  seinen  Stiefsohn  mit  Schätzen 
überhäufte  und  zuletzt  noch,  um  seine  Geschenke  damit  zu 
krönen,  eine  Halskette  von  gewaltiger  Schwere  aufgewendet 
habe  i). 

Ursa  wartete  nun  die  Gelegenheit  zur  Ausführung  ihres 
Anschlages  ab,  schaffte  am  dritten  Tage  des  Festes,  ohne 
dass  ihr  Gatte  etwas  derartiges  vermutete,  das  Geld  des 
Königs  auf  Wageo,  schlich  sich  heimlich  aus  dem  Hause  hin- 
aus und  machte  sich  in  der  halbdunklen  Nacht  zusammen 
mit  ihrem  Sohne  auf  und  davon.  Aus  Furcht  aber  vor  einer 
Verfolgung  ihres  Mannes  verzweifelte  sie  an  dem  weiteren 
Gelingen  der  Flucht,  beunruhigte  ihre  Begleiter  mit  dem 
Befehl,  das  Geld  fortzuwerfen  und  sagte,  man  müsse  entweder 
auf  das  Leben  oder  auf  die  Schätze  verzichten  ^).  Der  einzige 
Weg  zur  Rettung  bestehe  in  der  Aufopferung  des  Goldes, 
und  nur  durch  den  Schaden  am  Vermögen  könne  man  Nutzen 
von  der  Flucht  haben.  Man  müsse  darum  dem  Beispiele 
folgen,  welches  Frotho  bekanntlich  bei  den  Britanniern  ge- 
geben habe^).     Sie  fügte  noch  hinzu,   e.s  koste  ja  nicht  viel. 


')  Nach  der  Hrolfssaga  zündet  Adils  bei  Nacht  daa  Haus  an,  sodass 
sich  die  Helden  nur  retten  können,   indem   sie   die  Wände  durchbrechen. 

*)  Nach  der  Edda  und  Hrolfssaga  vollzieht  sich  alles  an  einem 
Tage.  Der  Schatz,  der  entfuhrt  wird,  besteht  aus  Goldringen,  welche 
Yrsa  in  ein  Trinkhorn  thut.  Die  List,  den  Feind  durch  das  verstreute 
(vold  aufzuhalten,  findet  dort  Hrolf  selbst.  Statt  der  Halskette  (torquis) 
ist  ein  kostbarer  King,  Namens  Swiagris,  genannt.  Siehe  Uhland,  Sehr. 
VII,  149:  (ierings  Edda  8.  383. 

»)  Siehe  oben  S.  73  ff. 


Rolwos  u.  Ureas  Flucht  u.  Verfolgung.  89 

wenn  man  den  Schweden  ihr  Eigentum  zum  Wiederholen  hin-  86 
lege,  wofern  ihnen  selbst  nur  ein  Vorteil  für  die  Flucht,  jenen 
ein  Nachteil  für  die  Verfolgung  daraus  erwachse,  und  es  sehe 
ja  nur  so  aus,  als  ob  man  bloss  fremdes  Gut  zurückerstatte, 
nicht  eigenes  aufopfere.  Und  ohne  Verzug  wurden  die  Befehle 
der  Königin  vollzogen,  um  die  Flucht  zu  beschleunigen.  Das 
Gold  wurde  aus  den  Säcken  geschüttet,  die  Schätze  den  Feinden 
zum  Raube  gelassen.  Manche  behaupten  allerdings,  Ursa  habe 
das  Geld  behalten  und  nur  vergoldetes  Erz^)  auf  den  Weg 
ihrer  Flucht  gestreut.  Und  man  könnte  ja  wohl  glauben, 
dass  eine  Frau,  die  so  gewaltige  Thaten  ins  Werk  setzte,  auch 
das  zum  Wegwerfen  bestimmte  Metall  mit  eitlem  Glänze 
übermalt  habe,  damit  es  durch  trügerischen  Goldschimmer 
den  Schein  erwecke,  als  sei  es  wirklich  wertvoll  und  echt. 
AVie  Atislus  bemerkte,  dass  auch  die  Kette,  welche  er  Rolwo 
geschenkt  hatte,  unter  anderen  goldenen  Kostbarkeiten  zui*ück- 
gelassen  war,  betrachtete  er  gar  andächtig  dieses  liebste  Pfand 
seiner  Habsucht  und  scheute  sich  nicht,  um  seine  Beute  wieder 
zu  bekommen,  am  Boden  knieend  seine  Würde  vor  seiner 
Gier  zu  erniedrigen.  Als  Rolwo  sah,  dass  er  sich  tief  bückte, 
um  sein  Geld  aufzuheben,  lachte  er  über  ihn,  dass  er  vor 
seinen  eigenen  Gaben  niederkniee  und  so  gierig  das  wieder 
zusammenlese,  was  er  nur  aus  schlauer  Berechnung  verschenkt 
hatte*).  Die  Schweden  waren  mit  ihrer  Beute  zufrieden, 
Rolwo  eilte  zu  den  Schiffen,  setzte  kräftig  die  Ruder  ein  und 
konnte  ruhig  die  Flucht  ergreifen.  Man  berichtet  aber,  dass 
Rolwo,  welche  Leistung  auch  von  ihm  verlangt  wurde,  mit 
schneller  Freigebigkeit  auf  die  erste  Bitte  hin  zu  geben  pflegte 
und  niemals  die  Gewährung  des  Ansuchens  auf  eine  zweite 
Mahnung  des  Bittenden  verschoben  habe.  Denn  er  wollte 
lieber  einer  Wiederholung  der  Bitte  durch  die  Schnelligkeit 


>)  D.  i.  Kupfer. 

*)  Nach  der  Edda  und  Hrolfssaga  lauteten  seine  Worte  dabei :  Nun 
beugte  ich  wie  ein  Schwein  den,  der  unter  den  Schweden  der  Höchste 
ist.  --  Die  Hrolfssaga  berichtet  ausserdem,  dass  Hrolf  dem  Adils,  als  er 
sich  nach  dem  Ringe  bückte,  den  ganzen  Hintern  abhieb,  was  als  be- 
sonders schmähliche  Verwundung  galt  (vgl.  VI,  191 ;  VU,  232;  247  Holder). 


90  Zweites  Buch. 

des  Gebens  zuvorkommen,  als  die  Wohlthat  durch  Langsam- 
keit verkümmern.  Diese  Thatsache  gewann  ihm  sehr  zahl- 
reichen Besuch  von  Kämpen.  Denn  Tüchtigkeit  wird  meisten- 
teils durch  Belohnungen  gefördert  oder  durch  Lobsprüche 
angespornt  ^). 

Zu   derselben   Zeit  wollte   sich    ein   gewisser  Agner us. 

5G  Sohn  des  Ingellus,  mit  Rolwos  Schwester  Ruta  verhei- 
raten und  feierte  die  Hochzeit  mit  einem  grossen  Feste*). 
Hierbei  trieben  die  Kämpen  allerhand  ausgelassene  Scherze 
und  warfen  von  allen  Seiten  abgenagte  Knochen  nach  einem 
gewissen  Hialto^);  dabei  geschah  es,  dass  dessen  Nachbar, 
Namens  Biarco  *),  durch  die  Ungeschicklichkeit  eines  Schützen 
einen  heftigen  Wurf  an  den  Kopf  bekam.  Durch  den  Schmerz 
ebenso  wie  durch  die  Schmach  gereizt,  schleuderte  er  den 
Knochen  dem  Absender  zurück  und  wandte  ihm  dabei  die 
Stirne  an  die  Stelle  des  Hinterhaupts ,  dieses  dagegen  be- 
förderte er  an  die  Stelle  der  Stirne,  sodass  er  also  den  ver- 
kehrten Sinn  des  Mannes  durch  das  Umdrehen  seines  (iesichti* 

87  bestrafte*).  Dieser  Umstand  schränkte  nun  die  schmähliche 
Ausgelassenheit  der  Scherze  ein  und  bewog  auch  die  Kämpen, 
die  Königshalle  zu  verlassen.  Aufgebracht  über  diese  Schande 
bei  seinem  Gelage,  beschloss  nun  der  Bräutigam  mit  Biarco 
zu  fechten,  um  in  Form  eines  Zweikampfes  für  die  Störung 
der  Festesfreude  Rache  zu  nehmen.  Beim  Beginn  desselben 
aber  wurde  ziemlich  lange  darüber  gestritten,  wer  von  beiden 


*)  Der  Beweis  für  diese  Bchaiiptun^^en  fol^t  unten  S.  92. 

*)  Das  Festj^elajje  ist  ein  Hauptbestandteil  bei  der  germanischen 
Hochzeitsfeier.     Vgl.  Weinhold  8.  246;  Kalund  i.  Grundr.  III,  419  u.  20. 

')  Um  Hialto  hat  die  Hrolfssaga  einen  eigenen  Hagenkranz  gesponnen 
(Kap.  33-37);  vgl.  auch  Thland.  Sehr.  VII,  141  ff.  —  Die  Sitte,  mit  ab- 
gonagten  Knochen  nach  unangesehenen  Leuten  zu  werfen  (hnütu-kast)  ist 
öfter  bezeugt,  bei  Saxo  noch  V,  125;  VI,  203  (Holder).  Noch  unter 
Knud  d.  Gr.  wurde  ein  (»esetz  darüber  gegeben  (Script,  rer.  Dan.  III,  148). 

*)  Auch  Hjarke,  der  in  der  Hrolfssaga  Bödwar  und  nur  mit  Zu- 
namen Hjarke  heisst,  hat  ilort  (33—36)  seine  eigene  Geschichte.  Sein 
Vater  Björn  war  tagsüber  von  seiner  Stiefmutter  in  einen  Bären  ver- 
wandelt und  hatte  nur  nachts  menschliche  (iestalt;  vgl.  Uhland  a.  a.  O. 

*)  In  der  Hn»lfssaga  ist  der  betreffende  gleich  tot. 


Ag^nerus,  Hialto  u.  Biarco.  91 

das  Recht  zum  ersten  Schlage  haben  sollte.  In  alter  Zeit 
kam  es  nämlich  beim  Bestehen  von  Zweikämpfen  nicht  auf 
eine  beträchtliche  Zahl  der  wechselseitigen  Streiche  an,  sondern 
die  Aufeinanderfolge  der  Schläge  war  durch  Pausen  genau 
getrennt,  und  man  focht  den  Kampf  in  wenigen  aber  furcht- 
baren Hieben  aus,  sodass  der  Ruhm  vielmehr  in  der  Grösse 
der  Wunden  als  in  ihrer  Zahl  bestand^).  Agnerus  erhielt 
wegen  seiner  vornehmen  Geburt  den  Vorzug,  und  er  soll 
seinen  Streich  mit  solcher  Gewalt  gefuhrt  haben,  dass  er  zu- 
erst den  oberen  Teil  des  Helmes  zerspaltete,  die  oberste  Kopf- 
haut verwundete  und  sein  Schwert,  das  mitten  in  den  Helm- 
löchern eingeklemmt  war,  loslassen  musste.  Biarco  hatte 
nun  den  Gegenstreich  zu  führen  und  setzte,  um  sein  Schwert 
wuchtiger  zu  schwingen,  den  Fuss  auf  einen  Baumstamm. 
Mit  seinem  Stahl  von  vorzüglicher  Schärfe  hieb  er  Agnerus' 
Leib  mitten  durch.  Manche  behaupten,  Agnerus  habe,  um 
seinen  Schmerz  aufs  Beste  zu  verbergen,  mit  einem  Lächeln 
um  den  Mund  seinen  Geist  aufgegeben.  Die  Kämpen  wünschten 
nun  sehr  eifrig  Rache  für  ihn  zu  nehmen,  wurden  aber  von 
Biarco  mit  der  gleichen  Todesart  dafür  bestraft.  Dieser  ver- 
wendete nämlich  ein  Schwert  von  vorzüglicher  Schärfe  und 
ungewöhnlicher  Länge,  welches  er  Löwi  nannte^).  Während 
er  sich  noch  über  solche  Heldenthaten  freute,  bot  ihm  ein 
wildes  Waldtier  Gelegenheit  zu  einem  neuen  Siege.  Er  stiess 
nämlich  in  einem  Dickicht  auf  einen  Bär  von  ungewöhnlicher 
Grösse  und  erlegte  ihn  mit  dem  Jagdspiess.  Sodann  hiess 
er  seinen  Begleiter  Hialto  den  Mund  an  die  Wunde  legen  und 
das  herausströmende  Blut  des  Tieres  trinken,  damit  er  stärker 
werde.  Es  herrschte  nämlich  der  Glaube,  dass  durch  solch 
einen  Trank  ein  Zuwachs  an  Körperkräften  eintrete  ^).  Durch 
diese  wackeren  Thaten  gewann  er  sich  die  Freundschaft  der 
angesehensten  Edlen   und  ward   auch   beim  Könige  sehr   be-  sh 


>)  lieber  diesen  Brauch  vgl.  Weiohold  S.  300. 

*)  V^orzüglichen  Schwert^ro  wurden  sehr  oft  Namen  beigelegt ;  Saxo 
kennt  noch  folgende:  Snyrtyr  und  Höthingus  U,  64;  Hwytingiis  und  Lyu- 
singüs  VIL  243;  Lc^gthi  VII,  254  (Holder). 

')  Ueber  diesen  (tlauben  vgl.  S.  35  und  Anm.  l. 


92  Zweites  Buch. 

liebt.  Er  bekam  dessen  Schwester  Ruta  zur  Frau  und  er- 
hielt so  die  Braut  des  von  ihm  Besiegten  als  Siegespreis.  An 
Atislus,  der  Rolwo  gereizt  hatte,  nahm  er  Rache  mit  Waffen- 
57  gewalt,  besiegte  und  tötete  ihn  im  Kampfe  ^).  Darauf  gab 
Rolwo  einem  hochbegabten  Jüngling,  Namens  Hiarthwarus, 
seine  zweite  Schwester  Sculda  zur  Frau  und  setzte  ihn 
gegen  Erlegung  eines  jährlichen  Tributes  zum  Statthalter 
von  Schweden  ein,  um  so  den  Verlust  der  Freiheit  durch 
die  Gunst  der  Verschwägerung  mit  ihm  zu  mildem. 

An  dieser  Stelle  sei  nun  eine  heitere  Geschichte  meinem 
Werke  eingefügt.  Ein  junger  Mann  Namens  Wiggo')  hatte 
die  Körpergrösse  Rolwos  einer  gar  eingehenden  Musterung 
unterworfen  und  ward  von  gewaltiger  Bewunderung  über  sie 
ergriffen.  Dann  begann  er  im  Scherze  zu  fragen,  wer  denn 
dieser  Krage  sei,  den  die  verschwenderische  Natur  mit  einer 
so  hohen  Gestalt  beschenkt  hätte,  —  indem  er  so  über  Rolwos 
ungewöhnliche  Grösse  einen  geistreichen  Witz  machte.  Auf 
Dänisch  heisst  nämlich  Krage  ein  Baumstamm,  dessen  Spitze 
man  mit  Hilfe  der  halbabgeschnittenen  Aeste  ersteigen  kann, 
derart,  dass  der  Fuss  auf  die  abgehauenen  Stümpfe,  wie  auf 
eine  Leiter  gestützt,  allmählich  hinaufgelangt  und  das  Ziel  der 
erstrebten  Höhe  erreicht^).  Dies  rasch  hingeworfene  Wort 
griff  Rolwo  als  einen  rühmlichen  Beinamen  für  sich  auf  und 
belohnte  den  witzigen  Ausspruch  durch  Beschenkung  mit  einer 
kostbaren  Armspange*).  Wiggo  hielt  nun  den  damit  ge- 
schmückten rechten  Arm  in  die  Höhe,  während  er  den  linken, 
gleich  als  ob  er  sich  schäme,  hinter  dem  Rücken  verbarg, 
und  rief  laut,  er,  den  das  Geschick  bisher  dauernd  in  Armut 


*)  Vgl.  damit  den  widersprechenden  Bericht  III,  120. 

*)  Altnord.  Vöggr  =  Wiegenkind. 

*)  Etwas  abweichend  sind  die  Berichte  der  Edda  (Gering  381)  und 
der  Hrolfssaga  42  (Fhland  VII,  147).  Saxos  Erklärung  und  Ableitung 
des  Beinamens  von  krage,  isl.  kräki  {=r.  dünne  Stange,  Leiter)  ist  wohl 
richtig;  die  Edda  a.  a.  O.  scheint  ihn  allerdings  als  Knirps  zu  ver- 
stehen. Die  Ableitung  von  kraka  =  Krähe  ist  unmöglich,  da  dieses 
Wort  Femininum  ist, 

•)  Richtiger,  wie  es  auch  die  andern  Berichte  lehren,  ist  das  Ge- 
schenk als  Xamengabe  (nafniestr)  aufzufassen ;  vgl.  Weinhold  S.  262  3. 


Rolwo  u.  Wiggo.     Sculda  u.  Hiarthwarus.  93 

gefesselt  hätte,  freue  sich  über  die  kleine  Gabe.  Auf  die 
Frage,  warum  er  sich  so  benehme,  sagte  er,  die  ungesehmüekte 
Hand,  die  sich  nicht  des  Vorteils  einer  Zierde  erfreue,  werde 
beim  Anblick  der  andern  von  ehrbarer  Schamröte  übergössen  ^). 
Durch  diese  schlaue  Rede  gewann  er  sich  noch  ein  Geschenk, 
welches  dem  ersten  ebenbürtig  war.  Denn  Rolwo  sorgte  da-  89 
für,  dass  er  die  versteckte  Hand  nach  dem  Beispiel  der  andern 
auch  öffentlich  zeigen  konnte.  Wiggo  Hess  es  nun  auch  nicht 
daran  fehlen,  diese  Gnade  zu  vergelten.  Denn  er  versprach 
in  einem  sehr  strengen  Gelübde,  wenn  Rolwo  durch  das 
Schwert  fallen  sollte,  an  seinem  Mörder  Rache  zu  nehmen. 
Es  darf  auch  nicht  übergangen  werden,  dass  früher  die  Vor- 
nehmen, wenn  sie  an  den  Hof  kamen,  die  Erstlinge  ihres 
Dienstes  durch  das  Geloben  irgend  einer  Grossthat  ihren  Fürsten 
zu  weihen  pflegten,  um  so  tüchtig  ihre  Laufbahn  zu  beginnen  ^). 
Unterdessen  richtete  Sculda ')  aus  Scham  über  die  Tribut- 
zahlung ihren  Sinn  auf  grausame  Ränke.  Sie  warf  ihrem 
Gatten  seine  schmähliche  Lage  vor  und  ermahnte  ihn  dringend, 
das  Joch  der  Knechtschaft  abzuwerfen;  sie  verführte  ihn  da- 
zu, Rolwo  einen  Hinterhalt  zu  legen  und  verstrickte  ihn  in 
die  wildesten  Aufruhrpläne,  indem  sie  feierlich  erklärte,  ein 
jeder  schulde  der  Freiheit  mehr  Rücksicht  als  der  Verwandt- 
schaft. So  Hess  sie  denn  durch  Hiarthwarus  an  Stelle  des  58 
Tributs,  sorgfältig  verhüllt,  grosse  Mengen  von  Waffen  aller 
Art  nach  Dänemark  schaffen,  die  das  Mittel  gewähren  sollten, 
den  König  bei  Nacht  zu  töten.  Die  Schiffe  wurden  nun  mit 
der  Last  der  falschen  Abgabe  beladen  und  man  gelangte  nach 
Lethra^),  das  von  Rolwo  erbaut  und  mit  den  hervorragendsten 
Schätzen  des  Reiches  geschmückt,  die  übrigen  Städte  der  be- 
nachbarten Provinzen  durch  sein  Ansehen  als  (iründuug  und 
Sitz  des  Königs  übertraf.  Der  König  feierte  die  Ankunft  des 
Hiarthwarus  durch   ein   prunkendes  Gelage  und  hatte  schon 

*)  Dieser  zweite  Witz  fehlt  in  den  andern  Quellen;  vgl.  Saxo  VIII, 
296  (H). 

•)  Ueber  ähnliche  Gebräuche  vgl.  Weinhold  S.  462. 

•)  Nach  der  Hrolfssaga  ir»  ist  sie  eine  Tochter  Helgis  und  einer 
Eibin  (alfkona);   daher  ist  sie  sehr  listig  und  zauberkundig   (Kap.  47 '48). 

♦)  Vgl.  Anro.  2,  8.  84. 


^ 


94  ZweiUä  Buch. 

gewaltig  dem  Trünke  zugesprouhea.  «äbreiiü  (He  Gäste  wider 
ihre  Gewohnheit  vor  unmässiger  Zfclilust  zurücksc-hreekteii. 
Als  die  übrigen  Id  tiefem  Schlafe  lagen,  begannen  die  Schweden, 
denen  das  Bewusstsein  ihres  verlirecherischen  Vorhabens  den 
gewöhnlichen  Uenuss  der  Ruhe  ra»ble.  in  aller  Stille  ihre 
Lagerstätten  zu  verlassen.  Der  geschlossene  Faek  Waffen 
wurde  alsbald  geöffnet .  und  jeder  rüstete  sich  schweigend  mit 
den  seinigen.  Dann  eilten  «ie  nach  der  Kunigshalle,  erbracheu 
die  Schlafgemächer  und  bohrten  ihre  Schwerter  in  die  Leiber 
der  SchlummerDden.  Mehrere  erwachten:  aber  da  sie  ebenso 
sehr  der  Schrecken  des  plötzlichen  Gemetzels  wie  die 
Schlaftrunkenheit  betäubte,  leisteten  sie  nur  mit  zweifelndem 
Bemriben  der  Gefahr  Widerstand,  zumal  sie  auch  die  Nacht 
irre  führte  und  sie  nicht  sicher  erkennen  liess.  ob  ihnen  Ge- 
tM>  nossen  »der  Feinde  entgegen  traten.  Hialto,  der  unter  den 
Kdlen  des  Königs  durch  seine  erprobte  Tüchtigkeit  besonders 
hervomigte.  war  im  Schweigen  derselben  Nacht  zuföllig  aufs 
Land  hinausgegangen  und  hatte  sich  den  Umarmungeu  einer 
Hure  hingegeben.  Als  er  nun  staunenden  Ohres  den  in  der 
Feme  sich  erhebenden  Kampflärm  wahrnahm,  da  zog  er  die 
Tapferkeit  der  Wollust  vor,  und  beeilte  sich,  lieber  die  unheil- 
vollen Gefahren  des  Mars  aufzusuchen,  statt  den  schmeicheln- 
den Lockungen  der  Venus  nachzugeben.  Wie  grosse  Liebe 
zu  seinem  Könige  muss  wohl  diesen  Krieger  beseelt  haben, 
dass  er  es  für  besser  hielt,  sein  Leben  offener  Gefahr  ent- 
gegen zu  werfen,  statt  es  für  die  Wollust  aufzusparen,  ob- 
wohl er  d<ich  mit  angeblicher  Unkenntnis  sich  völlig  wegen 
seines  Fernbleibens  hätte  entschuldigen  können.  Als  er  weg- 
gehen wollte,  fnigle  ihn  die  Buhlerin,  einen  Mann  in  welchem 
Alter  sie  heiraten  sollte,  wenn  sie  ihn  verlöre.  Hialto  geb.it 
ihr,  gleich  als  wollte  er  ihr  etwas  im  Geheimen  mitteilen, 
näher  zu  kommen,  und  schnitt  ihr  dann,  entrüstet  darüber, 
d.i-^  .-ie  sich  bei  ihm  selber  nach  einem  Nachfolger  seiner 
1.1. 1..-  erkundigte,  die  N:ise  ab')  und  entstellte  sie  so;  er  be- 
Mnftr  ihr*  schamlose  Frage  durch  diese  schmähliche  Wunde 


l  >V-h  ilor  Hmlfssat.'«  bi'issl  fr  ihr  die  Xaa 


üeberfoU  Rolwos;  Hialto.  95 

und  glaubte  die  Lüsternheit  ihres  Sinnes  durch  die  Schändung 
ihres  Gesichts  etwas  einschränken  zu  müssen.  Darnach  sagte 
er  ihr,  er  lasse  ihre  freie  Wahl  in  der  fraglichen  Angelegenheit. 
Alsdann  eilte  er  schnell  nach  der  Stadt,  stürzte  sich  in  die 
dichtesten  Knäuel  und  mähte  die  feindliehen  Scharen  nieder,  in- 
dem  er  nach  beiden  Seiten  hin  Wunden  austeilte.  Als  er  an 
dem  Lager  des  noch  schlafenden  Biarco  vorbeikam,  hiess 
er  ihn  aufwachen  und  redete  ihn  mit  folgendem  Liede  an^): 

„Schnell  erwache  jeder,  der  nach  seinen  Verdiensten  ein  59 
Freund  des  Königs  zu  sein  sich  rühmt  oder  in  einfacher  Treue 
als  solchen  sich  bekennt.  Die  £dlen  mögen  den  Schlaf  ab-  oi 
schütteln,  fern  sei  schmachvoller  Schlummer!  Erwachend  ent- 
zünde sich  der  Mut;  jeden  wird  seine  Rechte  zum  Ruhme 
führen  oder  dem  Vorwurf  der  Trägheit  preisgeben..  Diese 
Nacht  wird  das  Ende  sein,  oder  die  Rache  für  unser  Unglück  *). 
Nicht  fordre  ich  euch  jetzt  auf,  mit  Mädchen  Spiel  zu  treiben, 
noch  zarte  Wangen  zu  streicheln,  oder  den  Bräuten  süsse 
Küsse  zu  geben,  nicht  weiche  Brüste  zu  kosen,  nicht  klaren 
AVein  zu  trinken,  nicht  zarte  Schenkel  zu  berühren,  nicht  das 
Auge  auf  schneeige  Arme  zu  heften.  Zum  bitteren  Kampfe 
des  Mars  vielmehr  rufe  ich  euch  auf.  Krieg  ist  von  nöten, 
nicht  leichtfertiges  Liebesgetändel.  Kraftlose  Schwäche  hat 
hier  nichts  zu  thun.  Streit  fordert  die  Sache.  Wer  Freund-  12 
Schaft  mit  dem  Könige  hält,  ergreife  die  Waffen.  Den  Mut 
abzuschätzen  ist  kriegerischer  Ruhm  das  beste  Mittel.  Darum 
wohne  keine  Furcht  den  Männern,  keine  Leichtfertigkeit  den 
Tapferen  inne,  und  die  Lust  verlasse  den  Sinn,  um  den  Waffen 
zu   weichen.     Schon  harrt  der  Ruhm   als   Preis;  jeder  kann 


*)  Von  dem  altnordischea  Gedicht,  welches  Saxo  im  Folgenden  be- 
nutzt hat,  sind  uns  einige  Strophen  erhalten  in  der  Heimskringla  (Saga 
Olafs  Konungs  ens  Helga)  und  in  der  Edda  Snoms;  zusammen  gedruckt 
in  den  Fornaldar  Sog.  Norörl.  I,  110);  es  sind  die  sogenannten  „Alten 
ßjarkamäl''.  Eine  Uebersetzung  giebt  Uhland,  Sehr.  VII,  165  u.  66.  Die 
erste  Strophe  lautet  nach  Uhland:  »Der  Tag  ist  erstanden,  —  Des  Hahns 
Gefieder  rauscht.  —  Zeit  ist,  die  Männer  —  Zur  Arbeit  zu  wecken. 
Wachet  und  wachet,  —  Ilir  trauten  Freunde,  —  All  ihr  gewaltigen  — 
Feinde  Adils'I- 

■)  Hier  beginnt  die  zweite  Strophe  der  ßjarkamal. 


hier  Ober  seineo  guten  Ruf  entscheiden,  jeder  durch  seine 
eigene  Rechte  glänzen.  Nichts  Ueppiges  sei  hier,  alles  bemßhe 
sich  voll  Ernst,  die  augenblickliche  Niederlage  abzuwenden. 
Keiner,  der  auf  Ruhm  und  Preis  Anspruch  macht,  darf  in 
feiger  Furcht  erschlaffen,  sondern  muss  Tapferen  entgegen 
gehen  und  darf  nicht  vor  dem  kalten  Stahl  erbleichen." 

VoE  dieser  Stimme  ermuntert,  redete  Biarco  seinen 
Kammerdiener  Scaicus*),  um  ihn  schneller  zu  ermuntern, 
auf  folgende  Weise  an: 

„Auf  Knabe,  und  fache  das  Feuer  an  mit  emsigen  Blasen; 
schaffe  Holz  auf  den  Herd  und  entferne  die  feine  Asche. 
Schlage  Funken  auf  der  Feuerstätte,  entfache  die  unten  ver- 
borgenen Reste  der  Glut;  locke  die  versteckte  Flamme  hervor. 
Zwinge  den  matten  Herd  Licht  hervorzubringen,  entzflnde 
mit  brennendem  Stabe  die  Kohlen  zu  rötlicher  Glut.  Gut 
wird  es  sein,  wenn  mau  die  Finger  an  der  nahen  Flamme 
auSHtrecken  kann;  denn  wer  fQr  seinen  Freund  sorgt,  muss 
warme  HAnde  haben  und  die  schädliche,  bleiche  Kfilte  grfind- 
lich  vertreiben ')." 
98  Darauf)  sprach  wieder  Hialto: 

„Süss  ist  es,  die  von  unserem  Herrn  empfangenen  Gaben 
vergelten  zu  können*),  die  Schwerter  zu  ergreifen  und  den 
<;  94  Stahl  dem  Ruhme  zu  weihen.  Siehe,  jeden  treibt  seine  Tüch- 
tigkeit an,  dem  wohlverdienten  Könige  geziemend  zu  folgen 
lind  den  Fürsten  mit  wfirdigem  Ernste  zu  schützen.  Die 
teutonischen  Schwerter,  die  Helme,  die  glänzenden  Arm- 
spangen, die  bis  zum  Knöchel  reichenden  Beinschienen,  die 
einst  Rolwo  den  Seinigen  spendete,  mögen  euren  dankbaren 
Sinn  zum  Kampfe  anspornen.  Die  Sachlage  erfordert  es  und 
billig  ist  es,  dass  wir  uns  im  Kriegsgetümmel  verdienen,  was 


')  Allnord.  skälkr,  hciist  Knecht. 

=)  V^t.  hierzu  die  .Sprüche  Hars",  Str.  3  (Oeringa  Edda  H.  87). 

')  D.  h.  nach  einiger  Zeit,  nicht  unmittelbar;   vgl.  S,  98  unten. 

')  Dieser  Satz  umschreibt  Str.  3—5  der  Bjarksmäl ;  Saio  vermeidet 
hii-r  wiihl  absichtlich  eine  genauere  Wiedergabe,  wegen  der  in  dieten 
Slmphen  enthaltenen  vielen  Kenningar  (d,  h.  poetischen,  mythologitchen 
l'Mni'hreibiingen)  fiir  Uold. 


Hialtos  Aufforderung  zum  Kampfe.  97 

wir  bereits  in  tiefster  Friedensruhe  erhalten  haben,  und  nicht 
immer  dürfen  wir  freudige  Zeitläufte  traurigen  vorziehen,  oder .. 
günstigen  Ereignissen  vor  unangenehmen  Beifall  spenden. 
Mit  stätem  Sinne  wollen  wir  Edlen  jedes  Los  ergreifen,  und 
nicht  soll  das  Schicksal  unseren  Charakter  regieren.  Denn 
es  ziemt  sich,  in  gleicher  Weise  Freuden  und  Leid  zu  er- 
tragen und  mit  derselben  Misne  Trauerjahre  zu  verleben,  mit  • 
der  wir  die  angenehmen  verbracht  haben.  Alles,  was  wir 
beim  Zechen  mit  trunkenen  Lippen  versprachen,  wollen  wir 
mit  tapferen  Herzen  erfüllen,  und  wir  wollen  die  Gelübde 
leisten,  die  wir  beim  höchsten  Jupiter  und  den  mächtigen 
Himmlischen  beschworen  haben.  Der  erste  der  Dänen  ist 
mein  Herr;  jeder  Wackere  stehe  ihm  bei.  Fort,  fort  mit 
euch,  feige  Flüchtlinge!  Ein  tapferer  und  standhafter  Mann 
thut  not,  nicht  einer,  der  zweifelnd  den  Rücken  wendet  und 
die  grause  Kriegsrüstung  fürchtet.  Oft  besteht  die  grösste 
Kraft  des  Feldherrn  in  seinem  Heere;  denn  um  so  sicherer 
wird  der  Fürst  in  die  Schlachtreihe  treten,  eine  je  bessere  95l 
Schar  von  Edlen  ihn  umdrängt.  Mit  kriegerischer  Faust  er- 
greife der  Gefolgsmann  die  Waffen,  lege  die  Rechte  an  den 
Schwertgriff,  fasse  fest  den  Schild;  auf  den  Feind  stürze  er 
sich  und  erbleiche  vor  keinen  Streichen.  Niemand  biete  sich 
von  hinten  dem  Feinde  zum  Schlage,  keiner  empfange  das 
Schwert  mit  dem  Rücken;  kampfesmutig  soll  immer  die  Brust 
den  Wunden  offen  stehen.  Den  ersten  Kampf  fechten  die 
Adler  Stirn  gegen  Stirn  aus,  und  mit  raschem  Schnabel  be- 
drängen sie  sich  von  vorn^).  Gleichet  diesem  Vogel  und 
fürchtet  keinen  Streich  vorn  auf  die  Brust.  Siehe,  da  stürzt 
der  Feind  mit  mehr  Selbstvertrauen,  als  billig  ist,  an  den 
Gliedern  durch  Stahl,  am  Haupte  durch  den  vergoldeten  Helm 
geschützt,  mitten  in  die  Reihen,  als  ob  ihm  der  Sieg  schon 
sicher  sei,  ohne  die  Flucht  zu  besorgen,  durch  kein  Wagnis 
zu  überwinden.  Die  Zuversicht  der  Schweden  verachtet  — 
wehe  mir  elendem  —  die  Dänen,  siehe,  wie  die  trutzig  blicken- 
den   Götländer,    furchtbar  anzusehen,  mit  wallenden  Helm- 


')  Sprichwörtlich. 
Saso  Grammaticuff. 


98  Zweifca  Buch. 

büBchen  und  klirrenden  Lanzen  vorstürmen,  l'm  mit  unserem 
«I  Blute  ein  Gemetzel  anzurichten,  zücken  sie  die  Schwerter 
und  die  frisch  geschliffenen  Streitäxte.  Was  soll  ich  dich, 
Hiarthwarus,  nennen,  dem  Sculda  den  schädlichen  Rat 
eingab,  den  sie  veranlasste,  so  grosse  Schuld  auf  sich  zu  laden? 
Was  soll  ich  von  dir  singen,  Unsagbarer,  du  Quell  unserer 
•  Gefahr,  du  Verräter  des  herrlichen  Königs,  den  die  wilde  Gier 
nach  der  Herrschaft  trieb,  dies  Verbrechen  zu  versuchen  und, 
als  die  Furien  ihn  peinigten,  immer  die  Schuld  der  Gattin 
vorzuschützen?  Welcher  Irrtum,  der  dich  zum  Verderber  der 
Dänen  und  deines  Herrn  machte,  reizte  dich  zu  solcher  Unthat? 
Woher  kam  dir  die  Ruchlosigkeit,  die  mit  so  trugvoller  V^or- 
m  bereitung  gerüstet  ist?  Doch  was  zögere  ich?  Wir  haben  schon 
unser  letztes  Mahl  verzehrt.  Der  König  stirbt  und  das  äusserste 
Geschick  ergreift  die  elende  Stadt.  Der  letzte  Tag  ist  für 
uns  angebrochen,  wenn  nicht  etwa  ein  solcher  Weichling  hier 
ist,  der  sich  scheute,  sich  den  Streichen  darzubieten,  oder  ein 
unleher  Feigling,  der  es  nicht  wagte,  seines  Herrn  Rächer  zu 
soin,  sondern  jedes  würdige  Ehrgefühl  aus  seinem  Herzen  ver- 
bannt hätte.  Auch  du,  Ruta,  »telie  auf  und  erhebe  dein 
suhneeweisses  Antlitz,  verlasse  dein  Versteck  und  komme  in 
den  Kampf;  das  Blutbad,  welches  angerichtet  wird,  ruft  dich 
heraus,  ^chon  erbebt  die  Halle  vom  Kampfe  und  von  dem 
grausen  Streite  krachen  die  Pforten.  Das  Eisen  zerreisst  die 
Panzer,  die  geschmeidigen  Maschen  werden  durchbrochen,  die 
Eingeweide  geben  nach  den  zahlreichen  Geschossen.  Schon 
haben  gewaltige  Beile  den  Schild  des  Königs  kleingehauen; 
schon  erklingen  die  langen  Schwerter,  die  Streitaxt  kracht, 
auf  die  Menschenschultern  geschmettert,  sie  zerspaltet  die 
Brust.  Was  ängstigt  sich  das  Herz?  Warum  wird  das  mOdr 
Schwert  stumpf?  Das  Thor  ist  eothlösst  von  den  unsrigen. 
ttnd  erfüllt  von  dem  feindlichen  Getümmel." 

Als  Hialto  schon  ein  ziemliches  Gemetzel  angerichtet 
lind  den  Kampf  recht  blutig  gestaltet  hatte,  traf  er  zum 
dritten  Male  auf  Biarcos  Zelt,  und  da  er  glaubte,  dieser  sei 
Ulis  Furcht  so  begierig  nach  Ruhe,  griff  er  ihn  mit  folgendem 
Vi.rwurf  für  seine  Feigheit  an: 


Hialtos  Aufforderung  zum  Kampfe.  99 

^Nun,  weshalb  bist  du  denn  nicht  da,  Biarco?    Fesselt 
dich  der  tiefe  Schlaf?  Was  zögerst  du,  ich  bitte  dich!  Komm 
heraus,   oder  du  wirst  vom   Feuer  überrascht.     £rwähle  das  97 
bessere  Teil !  Los,  kommt  zu  mir !  Bären  mag  man  immerhin 
durch  Feuer  abschrecken;  überschütten  wir  die  Gemächer  mit 
Flammen,  Brand  möge  zuerst  die  Pfosten  ergreifen !  Das  Bett 
empfange  ein  brennendes  Scheit,  und  das  eingestürzte  Dach 
sei  Stoff  für  die   Flammen,    es   biete   dem   Feuer  Nahrung. 
Recht  ist  es,  an  die  verfluchten  Thore  Feuer  zu  legen.     Wir  62 
aber,  die   wir  den  König  mit  besserer  Treue   ehren,  wollen 
uns  zu  standhaften  Schlachtenkeilen  vereinigen  und  in  sicheren 
Reihen  die  Schlachtordnung  abmessend  dorthin  gehen,  wo  es 
uns  der  König  vorschrieb:   Er,  der  Röricus,  des  habsüchtigen 
Bökus  Sohn  erlegte,  und  ihn,  den  aller  Tugend  baren,  dem 
Tode  weihte.     Jener  war  zwar  reich  an  Schätzen,   aber  arm 
in  der  Kunst  des  Geniessens;  er  war  weniger  angesehen  wegen 
seiner  Rechtschalfenheit,  als  wegen  seines  Geldes.    Gold  hielt 
er  für  wertvoller  als  Krieg,  alles  setzte  er  dem  Gewinne  nach, 
ruhmlos  scharrte  er  Erzhaufen   zusammen   und  verschmähte 
es,  edle  Freunde  zu  haben.     Als  er  von   Rolwos  Flotte  an- 
gegriffen ward,  befahl  er  seinen  Dienern,  Gold  aus  den  Truhen 
zu  holen,  es  hinabzutragen  und  vor  den  Thoren  der  Stadt  hin- 
zustreuen; er  rüstete  sich  vielmehr  zu  Geschenken  als  zum 
Streite,  weil  er,  ohne  Soldaten,  glaubte,  den  Feind  mit  einer 
Gabe,  nicht  mit  den  Waffen  angreifen  zu  müssen,  gleich  als 
ob  er  mit  Schätzen   allein  Krieg  führen  und  nur  mit  Hilfe 
von  Gütern,  nicht  von  Menschen  den  Kampf  ausfechten  könnte. 
Darum  öffnete  er  die  schweren  Truhen  und  die  reichen  Schlösser 
und  brachte  zierliche  Armspangen  und  schwerbeladene  Kästen 
hervor,  die  nur  zu  seinem  Verderben  dienen  sollten.     Reich 
an  Gütern,  arm  an  Kriegern   überliess  er  die  Schätze   dem 
Feinde  zum  Raube,   die  er  heimischen  Freunden  darzubieten  08 
versäumt  hatte.     Er,   der  sich  einst  scheute,  freiwillig  einen 
kleinen    Ring    zu    verschenken,    verschwendete    jetzt    wider 
Willen  die  Masse  seiner  Schätze,  ein  Plünderer  des  alten  Vor- 
rats.    Klüglich  aber  verachtete  diesen  und  die  dargebotenen 
Geschenke  der  König  und  nahm  ihm  Gut  und  Leben  zugleich. 


100  Zweit«!  Buch. 

Nichts  nützte  dem  Feinde  der  trage  Reichtum,  den  er  seit 
langer  Zeit  gierig  aufgehäuft  hatte,  lieber  ihn  fiel  der  recht- 
schalTene  Rolwo  her,  Dahm  die  gewaltigen  Schätze  des  Er- 
schlagenen und  verteilte  unter  würdige  Freunde,  was  dessen 
habsQchtige  Hand  in  so  langer  Zeit  zusammengescharrt  hatte  '). 
Als  er  in  das  reiche,  aber  schwache  Lager  einbrach,  bot  er 
seinen  Genossen  ohne  Blutvergiessea  eine  herrliche  Beute. 
Nichts  war  ihm  zu  schön,  um  es  nicht  zu  verteilen,  nichts  zu 
lieb,  um  es  nicht  seinen  Freunden  zu  geben.  Schätze  waren 
ihm  wie  Asche,  und  er  bemass  seine  Jahre  nach  dem  Ruhme, 
nicht  nach  Reichtümern.  Daher  ist  es  klar,  dass  ein  König, 
der  schon  einen  rühmlichen  Tod  erlitten  '),  auch  herrliche  Tage 
verlebt  hat,  und  dass  glänzende  Zeiten  in  seinem  Geschick 
seine  vergangenenen  Jahre  männlich  geschmückt  haben.  Denn 
von  Tüchtigkeit  beseelt,  Obertraf  er  bei  Lebzeiten  alles,  da  er 
eine  seines  herrlichen  Körpers  würdige  Kraft  erhalten  hatte. 

t$  So  schnell  war  er  zum  Kriege,  wie  der  erregte  Strom  zum 
Heere  hinabrinnt,  und  so  eilig  hatte  er  es,  das  Gefecht  zu 
beginnen,  wie  der  Hirsch  mit  gespaltenem  Hufe  seinen  raschen 

99  Lauf  zu  vollenden.  Siehe  in  den  Lachen  von  Menschenbint 
die  ausgeschlagenen  Zähne  der  Erschlagenen,  wie  sie  der 
reissende  Strom  fortspQlt,  und  wie  sie  an  dem  rauhen  Sande 
geschliffen  werden.  Obwohl  mit  Schlamm  bespritzt,  glänzen 
sie  doch;  der  Blutstrom  führt  zerschmetterte  Gebeine  mit  sich 
imil  lliusst  über  verstümmelte  Glieder.  Feucht  wird  alles 
vriM  Dilnenblut,  weithin  verbreitet  sich  die  grausige  Ueber- 
Ni^hwonimung,  und  der  den  dampfend-schäumenden  Adern  ent- 
xjininKt^iie  FInss  wälzt  sich  über  verstreute  Leichen.  Rastlos 
stürmt  Iliarthwarus,  der  Liebhaber  der  Schlacht,  auf  die  Dänen 
»in    lind    fordert    mit   geßllter    Lanze  zum  Kampfe    heraus. 

i|  IXri«    Ursrhicht«    vod    der   Niederlage    Rörilu    wird   allein    von 

S,  •)   llriilf  wird  hiiT  «(hon  als  tot  vorausgesetzt,   währead   er  auf  der 

lifc'h»ti'ii  Si'iti"  ii'wh  IpIjI.  Dioae  Verse  stehen  also  entweder  Dicht  an 
IhfiT  rlililltii'H  Sti'lli-,  oder,  was  wahrach  ein  lieber  ist,  Saio  hat  «wei  Oe- 
illi'ht'  v'-r  slrh  K''I>"1''  ""•*  ^^"^  unvorsichtige  oder  unöberl^(te  Be- 
.Hit»Miiir  l<.-l<W  «'ine  Uarslellung  \-erwirrt. 


Hialtos  AufforderuDg  zum  Kampfe.  101 

Dennoch  sehe  ich  hier  unter  den  Gefahren  und  Wechself ftllei) 
des  Krieges  Frothos  Enkel  ^)  fröhlich  lachen,  der  einst  die 
firivallischen ')  Wälde^  mit  Gold  besät  hatte.  Auch  uns  soll 
der  ehrenvolle  Schein  der  Fröhlichkeit  erheben,  wenn  wir  im 
Tode  dem  Schicksale  unseres  edlen  Vaters^)  folgen.  Damm 
seien  wir  freudig  in  unseren  Worten  und  kräftig  in  unserem 
Wagen;  denn  es  ziemt  sich,  unter  kühnen  Reden  die  Furcht 
zu  verachten  und  unter  denkwürdigen  Thaten  den  Tod  heran- 
zulocken. Die  Angst  verlasse  Antlitz  und  Herz;  bekennen 
wir  mit  beiden  unser  furchtloses  Bestreben,  dass  kein  Merk- 
mal verrate,  es  sei  irgendwo  ein  Anzeichen  zweifelnder  Furcht  loo 
vorhanden.  Mit  gezücktem  Schwerte  werde  der  Wert  unserer 
Verdienste  abgewogen.  Preis  folgt  den  Toten  nach,  Ruhm 
wird  unsere  mürbe  Asche  überleben  und  nimmer  wird  der 
Vergessenheit  verfallen,  was  vollkommene  Tüchtigkeit  ihrer 
Zeit  vollbrachte.  Warum  handelt  man  bei  verschlossenen 
Thüren?  Warum  versperrt  der  mit  dem  Schlosse  verbundene 
Riegel  die  Pforten?  Zum  dritten  Male  ruft  dich  ja  schon, 
Biarco,  meine  Stimme  und  fordert  dich  auf,  das  verschlossene 
Haus  zu  verlassen*)^. 

Dagegen  erwiderte  Biarco: 

„Weshalb  rufst  du  mich,  Rolwos  Schwager,  weshalb  mit 
so  lauter  Stimme,  kriegerischer  Hialto?  Wer  Grosses  aus- 
spricht und  mit  hochtönenden  Worten  andere  zu  den  Waffen 
ruft,  ist  gehalten  selbst  etwas  zu  wagen  und  sein  Thun  seinen 


')  GeDauer  Urenkel;  gemeint  ist  natürlich  Hrolf. 

*)  D.  h.  in  der  Fyrisebene  gelegen.  Der  Ausdruck  bezieht  sich  auf 
die  oben  S.  89  erzählte  Geschichte;  denn  diese  spielt  in  der  Nilhe  von 
Upsala,  welches  an  dem  Flüsschen  Fyrisa  liegt. 

■)  D.  h.  wieder  Hrolf. 

*)  Nach  Saxos  Darstellung  versteht  man  gar  nicht,  weshalb  eigentlich 
der  starke  Bjarke  nicht  kämpft  und  so  trag  ist;  die  Hroifsaaga  50—51 
(=  Uhland  YII,  153)  klärt  die  Sache  auf.  Damach  kämpft,  während 
Bjarke  tief  schläft,  ein  riesiger  Bär  erfolgreich  gegen  die  Scharen  Skuldas ; 
als  er  selbst  ins  Gefecht  kommt,  verschwindet  dieser.  Der  Bär  war  also 
Bjarke  selbst,  und  dieser  ist  demnach,  wie  auch  schon  seine  Abkunft  an- 
deutet, ein  mythisches  Wesen  mit  der  Fähigkeit,  verschiedene  Gestalten 
anzunehmen.     Vgl.  Mogk  i.  Grundr.  UI,  262;  Uhland,  Sehr.  VII,  168. 


102  Zweites  Buch. 

Worten  anzupassen,  damit  die  Thaten  der  Rede  entspreched. 
Doch  bore  auf,  solange  ich  mich  waffne  imd  mit  dem  schreck- 
lichen Kriegsgewande  rüste.  Schon  gürte  ich  das  Schwert 
4M  an  die  Seite,  schon  bin  ich  am  Körper  geschützt  von  Panzer 
und  Sturmhaube,  während  der  Helm  die  Schläfe  schirmt  und 
die  Brust  hinter  dem  harten  Stahle  sich  birgt.  Niemand 
schreckt  mehr  davor  zurück  wie  ich,  im  geschlossenen  Ge- 
mache sich  verbrennen  zu  lassen  und  mit  seinem  Hause  einen 
Scheiterhaufen  abzugeben.  Mag  mich  immer  nur  eine  Insel 
geboren  haben,    mag    ich  nur  ein  unbedeutendes  Fleckchen 

101  Erde  als  Heim  haben,  ich  muss  doch  dem  Könige  die  zwölf 
Stämme  vergelten,  die  er  mir  zu  Ehren  mir  geschenkt  hat '). 
Merkt  auf,  ihr  Helden!  Niemand  schirme  den  dem  Tode  ge- 
weihten Leib  mit  dem  Harnisch:  nur  den  schlechtesten  Krieger 
Schütze  der  Ringpanzer;  auf  den  Rücken  gehören  die  Schilde, 

loa  mit  offener  Brust  wollen  wir  kämpfen;  die  Arme  bedecket 
ganz  mit  Oold.  Eure  Rechten  mögen  Spangen  erhalten,  da- 
mit sie  um  .so  stärkere  Streiche  austeilen  und  bittere  Wunden 
Sf^hlagen  können.  Keiner  weiche  zurück!  Um  die  Wette  be- 
mühe sich  jeder  unter  die  feindlichen  Schwerter  und  die 
drohenden  Lanzen  zu  kommen,  damit  wir  den  teueren  Herrn 
rächen.  Glücklich  über  alles  ist  der,  der  Rache  für  solche 
Unthat  nehmen  und  mit  gerechtem  Stahl  die  Schmach  dieses 
Hinterhalts  sühnen  kann.     Siehe,  ich  glaube  doch  sieber  den 

108  wilden  Hirsch  mit  dem  teutonischen  Schwerte  Namens  Snyrtir 
durchbohrt   zu  haben'),    durch    das    ich    den    Beinamen  des 

■)  Für  uns  dunkle  Verat'.  da  uns  BJBrkea  Hpiniftl  iikht  hekannl  Ul : 
vkI,  jedoch  die  fabelhafle  Krzähluag  in  der  Hrulfssaga  24 — 37.  -  )lir 
den  nwölf  Stämmen  aiod  wahrscheinlich  Landgüter  gemeint :   vgl.   HrulCs- 

*1  Aiii'h  diese  Stelle  paast  nicht  ganz  in  den  Zusammenhanc.  d«  sie 
t'i>riiii^s''i/,l.  dass  Bjarke  schon  eine  /eiilang  erkämpft  hal.  L'nler  dem 
Hinoh  lii  es  lietcl  «^i»  Wortspiel  vor  -  Hiartbwanis  zu  verstehen. 
ilonii  ili'i  •••■üo  Beslanüleil  noines  Namen»  heisal  im  .\ltnnrd.  Him-h. 
11(1,  Srliu.ri  hiess  oben  S.  91  Ijüwi,  Snyrtir  (snertirl  ist  alier  im  Alt- 
ii.,i'il.  IM"  li  Appellativum,  nicht  bloss  Eigenname,  was  Saio  jedoch  nich» 
iiH'lir  \< 'Kiiiiid.  Zur  Sache  vgl.  Hnilfssaga  51.  wn  Itjarke  lagt:  „Hier 
wieder  auf  und   streiten    wider  uns;   schwer  ist's  gege«i 


ßiarcos  Kampflied.  1()3 

Kampflustigen^)  erhielt,  sobald  ich  damit  Ingellus'  Sohn 
Ägner US  erschlagen  hatte  und  den  Siegespreis  heimbrachte ^). 
Er  zerbrach  das  auf  mein  Haupt  geschmetterte  Schwert  Hö- 
thingus,  welches  beim  Hiebe  zersprang,  und  er  hätte  mir 
schwerere  Wunden  versetzt,  hätte  die  Schärfe  seines  Stahles 
bessere  Kraft  besessen.  Ich  hieb  ihm  dagegen  die  linke 
Hand,  einen  Teil  der  rechten  Seite  und  den  rechten  Fuss  ab, 
und  durch  seine  Glieder  hingleitend  drang  der  schneidende 
Stahl  mitten  zwischen  seine  Rippen.  Beim  Herkules!  Nie 
erschien  mir  einer  tapferer  als  jener.  Denn  halbtot  schon 
richtete  er  sich  noch  auf  und  erwartete,  auf  den  Ellenbogen 
gestützt,  lächelnd  den  Tod  und  verachtete  das  Verderben  mit 
Gelächter,  und  freudig  zog  er  nach  den  elysischen  Gefilden. 
Gross  ist  der  Heldenmut  des  Mannes,  der  es  verstand,  unter 
einem  Lächeln  seine  Todesstunde  zu  verbergen  und  den 
äussersten  Schmerz  des  Leibes  und  der  Seele  mit  heiterer 
Miene  zu  unterdrucken.  Jetzt  eben  auch  habe  ich  mit  dem- 
selben Schwert  die  Lebensfasern  eines  Sprossen  aus  edlem 
Geschlechte  durchschnitten  und  den  Stahl  tief  in  seine  Brust 
getaucht.  Eines  Königs  Sohn  war  er,  ausgezeichnet  durch 
das  Blut  seines  Grossvaters,  herrlich  nach  seiner  Veranlagung 
und  blühender  noch  in  den  zarten  Jahren  der  Jugend  ').  Ni(^ht  65 
konnte  ihm  das  geflochtene  Metall  etwas  nützen,  nicht  das  104 
Schwert,  nicht  der  rundliche  Schildbuckel.  So  lebhaft  war 
die  Kraft  meiner  Klinge,  dass  sie  sich  durch  kein  Hindernis 
aufhalten  Hess.  Wo  sind  denn  die  Anführer  der  Götländer 
und  die  Scharen  des  Hiarthwarus?  Mögen  sie  nur  kommen 
und  ihre  Kraft  mit  ihrem  Blute  bezahlen.  Wer  wirft  denu^ 
wer  schleudert  denn  die  Geschosse  wenn  nicht  Königssprossen? 

Tote  zu  kämpfen  .  .  .     Dem  König  Hjörward   hieb   ich   Hand   und  Fuss         ^ 
weg,  ein  zweiter  Hieb  spaltete  seinen  Kücken,  und  er  atmete  nicht  mehr; 
aber  jetzt  streitet  er  so  rüstig  als  zuvor."    (Uhland  VII,  154.) 

')  D.  i.  Bödwar;  in  der  Hrolt'ssaga  erscheint  diese  Form  als  Haupt - 
name,  während  Bjarki,  abgeleitet  von  björk  =  Birke  (weil  er  eine  Schwert- 
scheide aus  Birkenholz  trug),  als  Beiname  aufgefasst  ist. 

*)  Für  diesen  wie  für  den  vorigen  Bericht  (S.  90,  91)  über  die  Be- 
siegung Agners  hat  wohl  Saxo  ein  und  dasselbe  poetische  Vorbild  benutzt. 

*)  Wieder  ist  Hiarthwarus  gemeint. 


104  Zweites  Bach. 

Von  Edelgeborenen  erhebt  sich  der  Kampf,  die  vomehmsteii 
Geschlechter  vollenden  den  Streit.  Dean  nicht  handelt  e» 
sich  bei  einer  Sache,  die  nur  Fürsten  Gefahr  bringt,  um  Wag- 
nisse  für  das  ge^vöhnliche  Volk.  Berühmte  Edle  sterben. 
Siehe,  erhabener  Rolwo,  deine  Vornehmen  fielen,  dein  treuer 
Stamm  schwindet.  Kein  niederes  oder  unbedeutendes  Ge* 
schlecht,  nicht  den  Tod  gewöhnlichen  Volkes,  nicht  gemeine 
Seelen  verlangt  Pluto,  sondern  das  Geschick  der  Mächtigen 
entscheidet   er,  und  mit  berühmten  Gestalten  erfüllt  er  den 

105  Phlegethon.  Nicht  erinnere  ich  mich  eines  Kampfes,  in  dem 
man  schneller  gewesen  wäre,  die  Schwerter  zu  kreuzen  und 
Hieb  gegen  Hieb  auszutauschen.  Wenn  ich  einen  austeile^ 
erhalte  ich  drei;  so  bezahlen  die  Götländer  die  empfangenen 
Wunden,  so  rächt  die  stärkere  Rechte  des  Feindes  die  er- 
littene Strafe  mit  Wucherzins.  Und  doch  habe  ich,  obwohl 
ich  allein  fechte,  gar  viele  dem  Tode  und  Verderben  über- 
antwortet, sodass  gleichwie  ein  Hügel  ein  Damm  aus  ver- 
stümmelten Gliedern  hoch  emporwuchs  und  die  gehäuften 
Leichen  das  Aussehen  eines  Berges  erhielten  ^).  Aber  was 
thut  denn  der,  der  mich  eben  hervorkommen  hiess,  der  sich 
prahlend  lobt  und  andere  mit  stolzen  Worten  unter  bitteren 
Vorwürfen  schilt,  gleich  als  ob  er  in  seinem  Leibe  allein  die 
Lebenskraft  von  zwölf  Männern  vereinigte*)?" 

Darauf  erwiderte  Hialto: 

„Obgleich  ich  nur  schwache  Unterstützung  geniesse,  bin 
ich  nicht  weit  fern.  Auch  hier,  wo  wir  stehen,  ist  Hilfe  von 
nöten,  und  nirgends  ist  Kraft  oder  eine  auserlesene  Schar 
kampfschneller  Männer  mehr  erforderlich.  Schon  haben  die 
harten  Schneiden   und   die  Speere  meinen  Schild  zerspalten, 

106  und  der  gefrässige  Stahl  hat  die  im  Kampfe  Stück  für  Stück 
abgetrennten  Splitter  verzehrt.  Das  beweist  und  bezeugt  sich  ja 
selbst  am  besten.    Denn  das  Gehör  ist  ja  schwächer  als  das  Ge- 


')  Vgl.  hier  und  zum  Folgenden  den  ganz  ähnlichen  Bericht  der 
Hrolfssaga  51. 

*)  Die  Stärke  von  zwölf  Männern  vereinigen  viele  Sagenhelden  in 
sich,  z.  B.  Siegfried,  Ortnit  und  viele  Märchengestalten. 


Biarcos  u.  Hialtos  Kampflieder.  105 

sieht,  und  das  Auge  ist  treuer  als  das  Ohr^).  Von  dem  zer- 
hauenen Schilde  sind  nur  noch  die  Halteriemen  übrig,  von 
der  Kreisfläche  bleibt  mir  nur  noch  der  zerhackte  Buckel. 
Doch  wohlan  nun,  Biarco!  Du  bist  ja  stark,  und  obwohl  du  66 
mehr  als  billig  gezögert  hast,  kannst  du  durch  deine  Tapfer- 
keit den  Schaden  der  Versäumnis  wieder  gut  machen.^ 

Biarco  aber  sprach: 

yjHörst  du  noch  nicht  auf,  mich  zu  schelteo  und  mit  Vor- 
würfen zu  überhäufen?  Gar  vieles  pflegt  Aufenthalt  zu  ver- 
ursachen. Der  Grund  meines  Zögerns  war  das  mir  begegnende 
Schwert,  welches  der  schwedische  Feind  mit  kräftigem  Schwünge 
gegen  meine  Brust  stiess.  Nicht  schonend  führte  die  Klinge 
der,  der  den  Grifl^  handhabte.  Denn  er  schwang  es  gegen 
mich,  der  ich  doch  gewaffnet  war,  wie  es  sonst  bei  nackten 
oder  umgerüstetem  Leibe  dör  Fäll  ist.  So  durchschnitt  es 
den  Schutz  des  harten  Eisens  wie  flüssiges  Wasser,  und  nicht 
konnte  mir  die  Last  des  Panzers  irgendwelche  Hilfe  gewähren. 
Aber  wo  mag  nur  jetzt  der  sein,  den  man  gemeinhin  Othinus 
heisst,  der  kampfgewaltige,  der  sich  immer  mit  einem  Auge 
begnügt?  Sage  mir  es,  Ruta,  ich  bitte,  wenn  du  ihn  irgendwo 
erblickst.^ 

Darauf  antwortete  Ruta: 

„Bringe  dein  Auge  näher  und  blicke  durch  meine  in  die 
Seiten  gestemmten  Arme,  um  vorher  deinen  Blick  durch  das 
Siegeszeichen  zu  weihen,  wenn  du  sicher  die  Gegenwart  des 
Mars  erkennen  willst*).** 

Dann  sprach  Biarco:  107 


')  Sprichwörtlich. 

*)  Eine  schwierige  und  viel  umstrittene  Stelle;  unsere  Uebersetzung 
wählt  die  Erklärung,  welche  mit  Müller  und  Elton  als  die  beste  und 
wahrscheinlichste  Ton  den  achten  des  Stephanius  erscheint.  Es  handelt 
sich  um  einen  Zaubervorgang  (seiOr),  der  von  der  seiOkona  (Zauberin) 
Ruta  vorgenommen  wird,  um  Bjarke  das  Anschauen  Odins  zu  ermög- 
lichen, der  ihrem  Gatten  den  Sieg  bringt;  bei  dem  Siegeszeichen  hat  man 
an  Thors  Hammer  gedacht.  —  lieber  solche  Zauberei  siehe  Mogk  im 
Grundr.  III,  405  und  Uhland,  Sehr.  VI,  392. 


106  Zweites  Buch. 

„Wenn  ich  den  schrecklichen  Gemahl  Friggas^)  erblicken 
kann,  wird  er  keineswegs  unversehrt  Lethra  verlassen,  mag 
er  auch  von  weissem  Schilde  gedeckt  sein  und  ein  hohes  Ross 
lenken.  Erlaubt  ist  es  im  Kriege,  den  Kriegsgott  niederzu- 
strecken. Vor  des  Königs  Augen  soll  ein  rühmlicher  Unter- 
gang die  Fallenden  erwarten.  Solange  das  Leben  noch  dauert, 
wollen  wir  uns  bemuhen,  ehrenvoll  sterben  zu  können  und 
mit  unserer  Hand  uns  ein  ruhmvolles  Ende  zu  verdienen. 
108  Ueberwältigt  zu  Raupten  meines  erschlagenen  Fürsten  will 
ich  sterben,  und  du  sollst  zu  seinen  Füssen  im  Tode  zu- 
sammensinken, damit  jeder,  der  die  Leichenhaufen  mustert, 
sehe,  wie  wir  unserm  Herrn  das  empfangene  Gold  vergalten. 
Wir  werden  eine  Beute  der  Raben  sein,  ein  Frass  für  die 
räuberischen  Adler,  und  die  gierigen  Vögel  werden  sich  an 
dem  Mahle  von  unserem  Körper  gütlich  thun.  So  müssen 
furchtlose  Edle  im  Kampfe  fallen  und  ihrem  erlauchten  Fürsten 
im  Tode  nachfolgen." 
07  Diese  Reihe  von  Aufmunterungen  habe  ich  hauptsächlich 

deswegen  in  metrischer  Form  wiedergeben  w^ollen,  weil  der 
Inhalt  dieser  Verse  iu  einem  dänischen  Liede  kurz  zu- 
sammengefasst  ist  und  von  manchen  Kennern  des  Altertums 
aus  dem  Gedächtnis  vorgetragen  wird. 

Während  die  Götlknder  den  Sieg  errangen,  geschah  es, 
dass  das  ganze  Heer  Rolwos  fieP)  und  mit  Ausnahme  Wiggos 
niemand  von  der  so  zahlreichen  Sehar  übrig  blieb.  Denn 
die  glänzenden  Verdienste  des  Königs  wurden  ihm  in  dieser 
Schlacht  von  seinen  Kriegern  so  reichlich  vergolten,  dass  sein 
Fall  in  allen  den  Wunsch,  den  Tod  zu  suchen,  erzeugte,  und 
dass  man  es  für  erfreulicher  hielt,  mit  ihm  im  Tode  ver- 
bunden zu  sein,  als  weiter  zu  leben  ^). 

*)  I).  t.  eben  Odin :  vgl.  dazu  die  heftigen  Drohungen  Bjarkes  gegen 
ihn  in  der  Hrolfssaga  51  und  die  Bjarkamal,  letzte  Strophe  (Uhland 
VII,  ltU5). 

•)  Den  Si'hluss  Her  Geschichte  berichtet  Saxo  ganz  allein:  nach  der 
Hn^lfssaga    fallen  beide  Parteien    bis   auf  Skulda  und  einige  Bösewichter. 

')  Das  ist  die  I*Hiclit  jedes  germanischen  CTcfolgsmannes,  deren  Ver- 
nachlUssigung  schwerste  Schmach  einbringt:  vgl.  Tacitus,  (lermania  14 
und  u.  tt.  IWowulf  L>S^O  If. 


Ende  d.  Kampfes.     Tod  d.  Hiarthwarus.  107 

I  Fröhlich  befahl  nun  Hiarthwarus,  ein  Mahl  solle  der 
Schlacht  folgen,  und  er  Hess  Tische  zum  Frühstück  aufstellen, 
um  den  Sieg  durch  ein  Gelage  zu  feiern.  Von  diesem  etwas 
voll  sagte  er,  er  wundere  sich  sehr  darüber,  dass  sich  niemand 
in  der  ganzen,  grossen  Schar  Rolwos  gefunden  hätte,  der  durch 
Flucht  oder  Ergebung  für  seine  Rettung  gesorgt  habe.  Dar- 
aus sei  klar  zu  erkennen,  mit  welchem  treuen  Eifer  sie  die 
Liebe  zu  ihrem  Könige  gepflegt  hätten,  den  sie  nicht  hätten 
überleben  wollen.  Er  sprach  auch  von  seinem  Missgeschick, 
welches  ihm  nicht  erlaube,  dass  ihm  der  Dienst  auch  nur 
eines  einzigen  von  diesen  erhalten  sei,  und  bezeugte,  dass  er 
die  Gefolgschaft  solcher  Männer  sehr  gern  haben  würde.  Als 
man  ihm  nun  Wiggo  brachte,  freute  er  sich  wie  über  ein 
Geschenk  und  fragte  ihn,  ob  er  ihm  dienen  wolle.  Als  dieser 
bejahte,  bot  er  ihm  ein  blosses  Schwert  dar.  Jener  aber 
wies  die  Spitze  zurück  und  verlangte  den  Griff,  indem  er  an-  109 
gab,  dies  sei  Rolwx)S  Sitte  gewesen,  wenn  er  den  Kriegern 
das  Schwert  darreichte.  Und  in  der  That  pflegten  in  alter 
Zeit  diejenigen,  welche  sich  der  Gefolgschaft  des  Königs 
widmeten,  den  Schwertgriff  zu  berühren  und  so  ihren  Dienst 
zu  versprechen^).  In  dieser  Weise  fasste  nun  Wiggo  den 
Griff  und  durchbohrte  mit  der  Spitze  Hiarthwarus;  so  er- 
füllte er  die  Rache,  deren  Vollzug  er  Rolwo  gelobt  hatte  ^). 
Darnach  bot  er  sich  frohlockend  und  ganz  willig  den  auf  ihn 
hereinstürmenden  Kriegern  des  Hiarthwarus  dar,  indem  er 
laut  rief,  er  empfinde  mehr  Freude  über  den  Tod  des  Tyrannen, 
als  Schmerz  über  seinen  eigenen.  So  ward  das  (ielage  in  ein 
Leichenfest  verwandelt  ^),  und  dem  Jubel  des  Sieges  folgte 
die  Trauer  des  Begräbnisses.  Welch  ruhmreicher  und  ewig 
denkwürdiger  Mann,  der  mutig  sein  Gelübde  erfüllte,  der  sich 
freiwillig  den  Tod  erkor,  der  durch  seine  That  die  Tisclie  des 
Tyrannen  mit  Blut  befleckte!    Denn  der  lebendige  Mut  seines 


*)  Von  demselben  Brauche  erzählt  Snorri  in  der  Heimskringla 
(Sage  von  Harald  Schönhaar  [Härfagri]  Kap.  41).  Vgl.  noch  J.  Grimm, 
Deutsche  Rechtsaltertümer  S.  896. 

»)  Oben  S.  93. 

•)  Vgl.  die  ähnliche  Wendung  im  Ausdruck  B.  I,  S.  2ft. 


108  Zweites  Buch. 

Herzens  fürchtete  ja  nicht  die  Hände  der  Schergen,  da  er 
zuvor  die  Stätten,  an  die  Rolwo  gewöhnt  war,  von  seiner 
Hand  mit  dem  Blute  von  dessen  Mörder  bespritzt  sah.  So 
endete  ebenderselbe  Tag  des  Hiarthwarus  Herrschaft,  der  sie 
ihm  gewonnen  hatte.  Denn  betrügerisch  erworbene  Güter 
zergehen  auf  dieselbe  Weise,  wie  sie  erstrebt  werden,  und 
keine  Frucht  hält  lange  vor,  die  durch  Verbrechen  und  Un- 
68  treue  erzeugt  ist^).  So  kam  es,  dass  die  Schweden,  soeben 
noch  die  Bezwinger  Dänemarks,  sogar  unfähig  wurden  sich 
selber  zu  retten.  Sie  wurden  nämlich  alsbald  von  den  See- 
ländem  vernichtet  und  leisteten  so  den  beleidigten  Manen 
Rolwos  gerechte  Sühne.  So  schwer  rächt  fast  immer  die 
Strenge  des  Schicksals,  was  unter  Tücke  und  Falschheit  voll- 
bracht wird. 

Ende  des  zweiten  Buches. 


')  Sprichwörtlich;    auch    deutsch:    Wie    gewonnen,    so    zerronnen. 
Untreue  schlägt  den  eigenen  Herrn. 


Drittes  Buch.  e»;iio 


Hotheras^),  der  Bruder  des  Athislus  und  zugleich 
Pflegesobn  des  Königs  Gewarus,  den  ich  schon  früher  er- 
wähnte, erhielt  nach  Hiarthwarus  die  Herrschaft  über  beide 
Reiche.  Seine  Zeit  wird  sich  am  geeignetsten  darstellen  lassen, 
wenn  ich  von  Beginn  seines  Lebens  anfange.  Denn  die  Er- 
eignisse in  seinen  letzten  Jahren  lassen  sich  schöner  und  voll- 
ständiger berichten,  wenn  man  die  ersten  nicht  zur  Vergessen- 
heit verurteilt.  Nachdem  Helgo  Hothbrodus  erschlagen 
hatte,  verbrachte  dessen  Sohn  Hotherus  den  Anfang  seiner 
Jugend  unter  der  Vormundschaft  des  Königs  Gewarus.  Als 
Jüngling  übertraf  er  alle  seine  Milchbrüder  und  Altersgenossen 
an  aussergewöhnlicher  Körperkraft.  Auch  war  er  mit  gar 
manchen  geistigen  Fähigkeiten  begabt.  Denn  er  zeichnete 
sich  durch  Kunstfertigkeit  im  Schwimmen,  Bogenschiessen  und 
Faustkärapfen  ^)  aus  und  ebenso  auch  durch  Gelenkigkeit,  so  111 

')  Nach  Saxos  wie  gewöhnlich  ratioDalistisch  gehaltener  Darstellung 
18t  Hotheras  ein  Mensch,  ein  starker,  streitbarer  Held,  Balderus  ein  Halb- 
gott. Nach  der  eddischen  Ueberlieferung  sind  beide  Äsen  und  Brüder 
(Hödr  und  Baldr).  Von  ihrer  Eifersucht  und  dem  Streit  um  Nanna 
schweigt  die  Edda.  (Hauptbericht  Gylfaginning  49  =  Gering  348  ff.)  Der 
ganzen  Erzählung  liegt  wohl  zweifellos  ein  Jahreszeitenmythus  zu  Grunde, 
wenngleich  auch  hierüber  die  Ansichten  noch  nicht  völUg  geklärt  sind. 
Vgl.  Mogk  in  Grundr.  III,  323  ff. ;  E.  H.  Meyer  S.  259  ff.  (und  Register) : 
Golther  S.  366 ff.;  S.  Bugge,  Stud.  über  d.  Entstehung  d.  nord.  Götter- 
u.  Heldensagen  (München  1889)  S.  34  fi. ;  Detter  i.  d.  Beiträgen  z.  Gesch. 
d.  deutsch.  8pr.  u.  Litt  18,  82;  19,  495  ff.  und  bes.  Olrik  11,  13  ff.  — 
Saxos  Bericht  trägt  zwar  vorwiegend  norwegisch-isländischen  Charakter, 
doch  scheinen  ihm  auch  dänische  Quellen  vorgelegen  zu  haben. 

*)  Ueber  diese  im  germanischen  Altertum  eifrigst  gepflegten  Uebungeii 
^gl.  Weinhold  S.  311,  301,  303  ff. 


110  Drittes  Buch. 

sehr  man  sie  nur  in  diesem  Alter  erreichen  kann;  denn  er 
war  eben  so  sehr  auf  die  Uebung,  wie  auf  seine  Kräfte  selbst 
bedacht.  Seinen  noch  unreifen  Jahren  eilte  er  mit  seinen 
reichen  Geistesgaben  weit  voraus.  Niemand  war  geschickter 
auf  der  Harfe  oder  Leier;  ausserdem  verstand  er  sich  auch 
auf  Laute,  Hackebrett  und  jede  Art  Saitenspiel  ^).  Durch  die 
verschiedenen  Arten  seiner  Weisen  wusste  er  die  menschlichen 
Leidenscliaften  zu  jeder  Erregung  hinzureissen.  Mit  Freude, 
Trauer,  Mitleid  oder  Hass  verstand  er  sie  zu  erfüllen.  So 
pflegte  er  den  Gemütern  Lust  oder  Schauder  fürs  Ohr  zu 
bieten.  Durch  diese  mannigfachen  Talente  des  Jünglings  ward 
Nanna*),  Gewarus'  Tochter,   sehr  angezogen  und  begann 

112  seine  Umarmung  zu  erstreben  ^).  Es  kommt  nämlich  vor,  dass 
sieh  Jungfrauen  für  den  Mut  eines  Jünglings  erwärmen  und 
dass  Tüchtigkeit  ihren  Beifall  findet,  auch  wenn  das  Aeussere 
weniger  gefällt.  Die  Liebe  kennt  ja  gar  viele  Wege.  Den 
einen  eröffnet  Anmut,  den  andern  Geistesgaben,  manchen  die 
Pflege  der  Künste  den  Zugang  zum  Genuss;  manchen  bietet 

70  Freundlichkeit  die  Gelegenheit  zur  Liebesfreude,  viele  macht 
Schönheit  der  Gestalt  willkommen.  Heldenhafte  Männer 
pflegen  den  Mädchen  keine  leichteren  Wunden  als  schöne  -zu 
schlagen. 

Es  geschah  aber,  dass  des  Othinus  Sohn  Balderus 
von  dem  Anblick  Nannas,  als  sie  badete,  entflammt  und  von 
unendlicher  Liebe  ergrifl^en  wurde  *).  Es  entzündete  ihn  der 
Glanz  ihres  herrlichen  Leibes,  und  seinen  Sinn  verzehrte  ihre 
strahlende   Schönheit;  denn  Anmut  ist  der  stärkste  Reiz  für 


*)  Sbxo  bedient  sieh  hier  einer  ganzen  Reihe  griechisch-lateinischer 
Bezeichnungen :  die  entsprechenden  germanischen  dafür  aufzufinden,  dürfte 
schwer  sein.  Die  gewöhnlichsten  Musikinstrumente  waren  Harfen  und 
Lure.     Siehe  B.  II,  S.  72,  Anm.  3. 

')  Nanna  ist  auch  in  der  £dda  Baldrs  Gemahlin;  Uhland  deutet  sie 
als  die  Blumenwelt. 

')  Dass  die  Frau  um  den  Mann  wirbt,  finden  wir  ziemlich  häufig; 
vgl.  oben  S.  30  Hartgrepa  und  Hadding;  ferner  das  zweite  Lied  von  Helgi 
dem  Hundingstöter  Str.  13  (Gering  S.  17.5). 

*)  Aehulich  wird  Freyr  beim  Anblick  der  schönen  Riesentochter 
OerÖr  von  Liebe  ei-griffen ;  siehe  das  Lied  von  Skimir  (Gerings  £dda  S.  52). 


Hotherus,  Nanna  u.  Halderus.  Hl 

die  Leidenschaft.  Daher  beschloss  er,  Ho  th e rus ,  von  welchem 
er  die  meisten  Einsprüche  gegen  seine  Wünsche  befürchtete, 
mit  dem  Schwerte  beiseite  zu  schaffen,  damit  seine  Liebe,  die 
keinen  Aufschub  vertrug,  durch  kein  Hindernis  vom  leiden- 
schaftlichen Genüsse  ferngehalten  werde. 

Zu  derselben  Zeit  verirrte  sich  Hotherus  zufällig  bei 
der  Jagd  im  Nebel  und  stiess  auf  eine  Behausung  von  Wald- 
jungfrauen.  Von  diesen  mit  seinem  eigenen  Namen  be- 
grüsst,  fragte  er  sie,  wer  sie  denn  seien.  Jene  bekannten, 
dass  unter  ihrer  Führung  und  Leitung  hauptsächlich  das  Ge- 
schick der  Kriege  entschieden  würde  ^);  denn  oft  wohnten  sie, 
für  niemanden  sichtbar,  heimlich  den  Treffen  bei  und  ge-  na 
währten  durch  ihre  Unterstützung  ihren  Freunden  die  ge- 
wünschten Erfolge.  Sie  erklärten,  sie  könnten  nach  Belieben 
Glück  verleihen  und  Unglück  verhängen;  dann  fügten  sie 
hinzu,  wie  Balderus  für  seine  Milchschwester  Nanna,  die 
er  beim  Baden  erblickt  habe,  erglüht  sei.  Sie  warnten  ihn 
aber,  diesen,  wenn  er  auch  den  tötlichsten  Hass  verdiene, 
mit  Waffengewalt  anzugreifen;  denn  sie  versicherten,  er  sei 
ein  Halbgott,  im  Geheimen  von  den  Himmlischen  erzeugt. 
Nach  dieser  Nachricht  verschwand  das  Gemach  und  Hotherus 
sah  sich  plötzlich  schutzlos  unter  freiem  Himmel,  ohne  jede 
Spur  von  Beschattung,  mitten  auf  freiem  Eelde.  Vor  allem 
aber  wunderte  er  sicli  über  das  jähe  Fintschwinden  der  Mäd- 
chen, über  die  veränderte  Lage  der  Oertlichkeit  und  die 
trügerische  F>scheinung  des  Gebäudes.  Er  wusste  nämlich 
nicht,  dass  alles,  was  sich  um  ihn  herum  zugetragen  hatte, 
nur  ein  Wahngebilde  und  leerer  Trug  zauberischer  Künste 
gewesen  war. 

Nach  seiner  Heimkehr  erzählte  er  Gewarus  die  Ge- 
schichte der  Trugerscheinung,  die  seiner  Verirrung  gefolgt 
war,  und  bat  ihn  sofort  um  seine  Tochter.  Gewarus  ant- 
wortete, er  würde  ihn  sehr  gern  begünstigen,  wenn  er  nicht 
Balderus'  Zorn  für  eine  Zurückweisung  fürchtete ;  denn  jener, 
erklärte  er,  habe  ihm  schon  vorher  die  gleiche  Bitte  vorgc- 


*)  Es  sind  also  Walküren;  vgl.  B.  U,  S.  6B,  Anm.  5. 


112  Drittes  Buch. 

tragen.  Er  bemerkte  auch,  dass  die  geweihte  Festigkeit  von 
Balderus*  Körper  nicht  einmal  fflr  Eisen  empfindlich  sei  ^). 
Doch,  fQgte  er  hinzu,  er  kenne  ein  Schwert,  in  engstem  Ge- 
wahrsam verschlossen,   durch  welches  ihm  der  Tod  bereitet 

114  werden  könne  ^).  Dieses  sei  im  Besitze  des  Mim  in  gus,  eines 
Waldsatym').  Demselben  gehöre  auch  eine  Armspange  mit 
einer  wunderbaren,  geheimen  Kraft;  denn  sie  pftege  die  Schätze 
ihres  Besitzers  zu  vermehren^).    Im  übrigen  sei  der  Zugang 

71  zu  diesen  Stätten  unwegsam,  durch  Hindernisse  versperrt, 
und  könne  nicht  leicht  fär  Sterbliche  oifen  stehen.  Der  grösste 
Teil  des  Weges  stehe  überdies  das  ganze  Jahr  hindurch  unter 
der  Herrschaft  einer  ganz  ungewöhnlichen  Kälte.  Er  forderte 
ihn  daher  auf,  Renntiere  an  einen  Wagen  zu  schirren  und  mit 
Hilfe  von  ihrer  Schnelligkeit  die  von  grimmer  Kälte  starren- 
den Bergesjoche  zu  überwinden.  Wenn  er  an  sein  Ziel  ge- 
kommen sei,  solle  er  sein  Zelt  so  von  der  Sonne  abgewandt 
aufschlagen,  dass  es  den  Schatten  der  Höhle,  die  Mimingus 
bewohne,  auffange,  ohne  dass  es  aber  seinen  eigenen  Schatten 
auf  jene  würfe  ^),  damit  nicht  der  Eintritt  der  ungewohnten 

115  Dunkelheit  den  Satyrn  vom  Herauskommen  abhalte.  So  werde 
er  sich  leicht  des  Schwertes  und  Armringes  bemächtigen 
können,  von  denen  der  eine  Schatzglück,  der  andere  Kriegs- 
glück im  Gefolge  habe.    Beide  aber  hätten  für  den  Besitzer 


*)  Man  denke  an  den  Bericht  der  Edda  (Gering  S.  343),  wonach  alle 
Dinge  auf  Erden  Frigg  den  Eid  geschworen  haben,  Baldr  nicht  zu  verletzen. 

')  Dieses  Schwert  wird  als  Symbol  der  Sonne  aufgefasat ;  sobald  es 
in  die  Hand  des  Gegners  gelangt,  bringt  es  dem  rechtmässigen  Eigen- 
tümer den  Tod.  (Vgl.  Mogk  im  Gnmdr.  III,  326).  Es  spielt  bei  Saxo 
dieselbe  Rolle,  wie  der  MLstelzweig  in  der  Edda  (Gering  S.  344),  der 
Mistilteinn,  ein  Name,  der  übrigens  auch  Schwertern  beigelegt  ist.  Der 
Sinn  der  Mythe  ist,  dass  die  Macht  des  Licht-,  Tages-  und  Sonnengottes 
aufhört,  wenn  die  Sonne  untergeht   oder  (im  Winter)  ihre  Kraft  verliert. 

*)  Ist  wohl  ein  Zwerg. 

*)  Dieser  Armring  heisst  in  der  Edda  Draupnir,  d.  h.  der  Tropfer; 
von  ihm  tropfen  jede  neunte  Nacht  acht  ebenso  schwere  Ringe  (Lied  von 
Skimir  Str.  21  =  Gering  S.  55  und  Gylfaginning  Kap.  49).  Er  ist  ein 
Symbol  sommerlicher  Fruchtbarkeit,  vielleicht  der  Sonne  selbst. 

*)  Dieses  Kunststück  ist  nur  im  Winter  im  äussersten  Norden  möglich, 
wenn  sich  die  Sonne  kaum  über  den  Horizont  erhebt. 


Uoifaerus  u.  Gewarus,  Miningus,  Oelderus.  113 

einen  ungeheuren  Wert.  Soweit  Gewarus.  Hotherus  führte 
nun  ungesäumt  aus,  was  er  von  ihm  gehört  hatte,  richtete 
sein  Zelt  in  der  vorgenannten  Art  auf  und  widmete  seine 
Nächte  sorglicher  Beobachtung,  die  Tage  aber  der  Jagd. 
Beide  Tageszeiten  brachte  er  wachsam  und  schlaflos  zu,  in- 
dem er  sich  derart  in  Tag  und  Nacht  einrichtete,  dass  er  sich 
bei  Nacht  dem  Nachdenken  über  die  Sachlage  hingab,  den 
Tag  aber  zur  Beschaffung  seiner  Nahrung  bestimmte.  Als  er 
nun  eines  Nachts  ermfidet  und  von  seinen  Sorgen  abgespannt 
war,  sah  er,  wie  der  Schatten  des  Satyrn  auf  sein  Zelt  fiel. 
Er  schleuderte  die  Lanze  nach  ihm,  warf  ihn  dadurch  zu 
Boden,  und  da  jeuer  nicht  schnell  genug  fliehen  ivonnte,  fing 
und  fesselte  er  ihn.  Dann  drohte  er  ihm  unter  den  grausam- 
sten Worten  das  Schlimmste  au  und  verlangte  Schwert  und 
Armring  von  ihm.  Ungesäumt  gab  der  Satyr  das  Lösegeld 
für  seine  Rettung,  welches  von  ihm  gefordert  wurde.  So  sehr 
geht  allen  das  Leben  über  Guter,  denn  für  die  Sterblichen 
giebt  es  nichts  Teureres  als  den  Lebensodem.  Hotherus  kehrte, 
froh  über  den  Erwerb  seiner  Schätze,  in  sein  Vaterland  zurück, 
glücklich  über  die  wenigen,  aber  ausgezeichneten  Beutestücke. 
Als  Gel  der  US,  der  König  von  Sachsen,  erfuhr,  dass  Ho- 
therus sich  derselben  bemächtigt  habe,  stachelte  er  seine  Krieger 
durch  häufige  Ermahnungen  an,  solch  eine  hervorragende 
Beute  zu  rauben.  Die  Mannen  gehorchten  dem  Könige  und 
rüsteten  eilends  eine  Flotte.  Gewarus  hatte  dies  aber  vor- 
ausgesehen —  denn  er  war  sehr  erfahren  im  Prophezeien 
und  in  der  Kunst  der  Wahrsager  gebildet  —  und  berief 
Hotherus  zu  sich;  er  hiess  ihn  während  des  Kampfes  die  Speere 
des  Gelderus  geduldig  aufzufangen  und  die  seinigen  nicht  eher 
znrückzuscbleudern,  als  bis  er  merke,  dem  Feinde  fehle  es  an 
Geschossen^);  übrigens  solle  er  auch  sichelförmige  Haken- 
stangen verwenden,  mit  denen  man  die  Schiffe  beschädigen 
und  den  Soldaten  Helm  und  Schild  herabreissen  könne. 
Hotherus  befolgte  den  Rat  und  hatte  einen  glücklichen  Er- 
folg damit.     Denn  beim  ersten  Angriff  de,s  Gelderus  lies« 


*)  Vgl.  oben  II,  S.  72. 
Saxo  Grammaiicus.  8 


114  Drittes  Buch. 

er  die  Seinigen  halten  und  sieh  mit  den  Schilden  decken  ^\ 
im  indem  er  versicherte,  dass  der  Sieg  in  dieser  Schlacht  durch 
Geduld  zu  gewinnen  sei.  Der  Feind  aber,  der  sich  nirgends 
72  am  Schiessen  gehindert  sah  und  in  höchster  Kampfeslust  seine 
Geschosse  verschwendete,  begann  um  so  eifriger  seine  Speere 
und  Lanzen  zu  schleudern,  je  gelassener  sich  dem  Augen- 
schein nach  Hotherus  beim  Auffangen  derselben  benahm.  Teils 
blieben  sie  in  den  Schilden,  teils  in  den  Schüfen  stecken,  und 
nur  wenige  verursachten  eine  Wunde.  Die  meisten  wurden 
oifenbar  erfolglos  und  ohne  Schaden  anzurichten  geworfen. 
Denn  die  Soldaten  des  Hotherus  führten  den  Befehl  ihres 
Königs  aus  und  fingen  die  Masse  der  Geschosse  mit  dem  Wall 
der  dicht  aneinander  gedrängten  Schilde  auf,  um  sie  daran 
abprallen  zu  lassen;  und  die  Zahl  derjenigen,  welche  nur 
leicht  die  Schildbuckel  trafen  und  dann  ins  Wasser  fielen, 
war  nicht  gering.  Als  nun  Gelderus  seinen  ganzen  Vorrat  ver- 
schossen hatte  und  sah,  wie  sie  von  den  Feinden  aufge- 
griffen und  nur  um  so  hitziger  auf  ihn  selbst  zuritckgeschleudert 
wurden,  liess  er  einen  purpurfarbenen  Schild  an  der  Spitze 
seines  Mastes  aufziehen  (das  war  ein  Zeichen  des  Friedens^)) 
und  sorgte  durch  Uebergabe  für  seine  Kettung.  Hotherus 
empfing  ihn  mit  freundlichster  Miene  und  den  gütigsten  Worten 
und  besiegte  ihn  ebenso  sehr  durch  seine  Liebenswürdigkeit 
wie  durch  seine  List. 

Zu  eben  dieser  Zeit  liess  Helgo,  der  König  von  Ha- 
logien^),  in  zahlreichen  (iesandtschaften  um  die  Tochter 
Cusos,  des  Fürsten  der  Finnen  und  Biarmier,  Namens  Thora* 
für  sich  werben.  So  erkennt  man  immer  eigene  Schwäche 
an   dem   Bedürfnis  nach  Hilfe   anderer.      Denn  während  die 


*)  Die  Skandinavier  nennen  das  eine  Schildburg  (skjaldboi*g)  bilden; 
Snxo  Hafft  nach  antikem  Sprachgebrauch  testudine  clypeorum  conserta. 

')  Auf  die  Farbe  mochte  e«  wohl  ursprünglich  nicht  ankommen. 
Nach  dem  ersten  Liede  von  Helgi  dem  Hundingstöter  Str.  34  (Gering 
S.  1H6)  bezeichnet  aber  das  Hissen  eines  roten  Schildes  gerade  feindliche 
Absichten,  während  nach  einer  andern  Quelle  ein  weisser  Schild  den 
Frieden  andeuten  soll.  Olrik  II,  26  denkt  hier  au  einen  verschiedenen 
tfcbrauch  der  Farbe  bei  Dänen  und   Isländern. 

')  D.  i.  Helgoland  in  Norwegen. 


Hotherus   u,  Gelderus;   Cuso.  115 

jungen  Leute  jener  Zeit  bei  Heiratswerbungen  immer  selbst 
das  Wort  zu  führen  pflegten,  litt  dieser  au  einem  so  grossen 
l>prachfehler,  dass  er  nicht  nur  vor  Fremden,  sondern  auch  vor 
seiner  Umgebung  sich  hören  zu  lassen  errötete.  So  sehr 
sucht  das  Unglück  alle  Mitwisser  zu  vermeiden.  Denn  solche 
natürlichen  Fehler  sind  um  so  lästiger,  je  offenkundiger  sie 
sind.  Cuso  wies  seine  Werbung  zurück  und  antwortete,  der 
Mann  verdiene  kein  Weib,  der  allzu  wenig  auf  seinen  eigenen 
Wert  vertraue  und  sich  die  Dienste  anderer  leihweise  erbitten 
müsse,  um  eins  zu  bekommen.  Auf  diese  Nachricht  hin  be- 
schwor Helgo  den  Hotherus,  dessen  gewandte  -  Beredsam- 
keit er  kannte,  seine  Wünsche  zu  begünstigen  und  verhiess 
eifrig  allen  seinen  Befehlen  Folge  zu  leisten.  Jeuer  Hess  sich  117 
durch  die  emsigen  Bitten  des  Jünglings  bewegen  und  fuhr 
mit  einer  bewaffneten  Flotte  nach  Norwegen,  um  mit  Gewalt 
zu  erreichen,  was  durch  gute  Worte  nicht  möglich  war.  Als 
er  mit  seiner  süssesten  Beredsamkeit  für  Helgo  verhandelt 
hatte,  antwortete  Cuso,  die  Neigung  seiner  Tochter  müsse  be- 
fragt werden,  damit  es  nicht  scheine,  als  ob  durch  väterliche 
Strenge  etwas  im  Voraus  gegen  ihren  Willen  entschieden 
werde  *).  Er  Hess  sie  rufen,  fragte  sie.  ob  sie  au  dem  Freier 
Gefallen  finde,  und  als  sie  bejahte,  versprach  er  Helgo  die 
Hochzeit.  So  öffnete  also  Hotherus  durch  den  Zauber  seiner 
abgerundeten  uud  gewandten  Redekunst  Cusos  Ohren,  dass 
sie  die  Bitte  erhörten,  der  sie  vorher  verschlossen  waren. 

Während  dies  in  Halogien  geschah,  betrat  Balderus 
gewaffnet  das  Gebiet  des  Gewarus,  um  Nanna  zu  ver- 
langen. Als  er  von  diesem  aufgefordert  wurde,  Nauuas  eigene  7S 
Gesinnung  zu  erforschen,  ging  er  das  Mädchen  mit  den  aus- 
gesuchtesten und  lockendsten  Worten  an.  Da  er  aber  seinen 
Wünschen  keinen  günstigen  Boden  schaffen  konnte,  drang  er 
in  sie,  um  die  Ursache  der  Zurückweisung  zu  erfahren.  Sie 
erwiderte,  ein  Gott  könne  sich  nicht  mit  einer  Sterblichen 
ehelich  verbinden,  weil  der  ungeheuere  Unterschied  in  ihrer 
Natur  ein  Band  der  Vereinigung  zerschneide.    Aber  auch  die 


^)  Eine  im  germanischen  Altertum  nur  selten  geübte  Kücksicht. 

8" 


116  Drittes  Buch. 

Himmlischen  pflegten  zuweilen  solche  Verbindungen  zu  trennen 
und  plötzlich  die  Fesseln  zu  sprengen,  welche  Unebenburtige 
geknüpft  hatten.  Zwischen  Ungleichartigen  gäbe  es  ja  keino 
dauernde  Gemeinschaft,  da  bei  den  Erhabenen  das  Schicksal 
der  Niedrigen  immer  wertlos  werde.  Ausserdem  sei  das  Reich 
des  Ueberflusses  und  das  der  Dürftigkeit  völlig  von  einander 
getrennt,  und  zwischen  glänzender  Macht  und  trüber  Armut 
bestünde  keine  festen  Rechte  der  Gemeinsamkeit.  Zuletzt 
endlich  dürfe  sich  Himmlisches  mit  Irdischem  nie  vereinigen; 
denn  beides  habe  die  Natur  in  ihrer  Zwiespältigkeit  durch 
eine  so  tiefe  Kluft  in  ihrem  Ursprünge  schon  getrennt,  da  ja 
von  der  erhabenen  göttlichen  Majestät  die  menschliche  Sterb- 
lichkeit unendlich  weit  entfernt  sei.  Mit  dieser  spitzfindigen 
Antwort  schlug  sie  Balderus'  Bitten  ab  und  ersann  klüglich 
Vorwände,  um  diese  Heirat  von  sich  zu  weisen  ^). 

Als  Hotherus  dies  von  Gewarus  hörte,  erörterte  er  die 
Sache  mit  Helgo  eingehend  unter  heftigen  Klagen  über 
Balderus'  Unverschämtheit.  Beide  waren  ungewiss,  was  zu 
thun  sei,  und  erwogen  ihre  Ansichten  über  verschiedene  Plane. 
Denn  freundschaftliche  Unterredung  vermindert  bei  Wider- 
wärtigkeiten wenigstens  die  Bitterkeit,  wenn  sie  auch  die 
(lefahr  nicht  beseitigt.  Abgesehen  von  anderen  Absichten 
118  überwog  doch  schliesslich  das  Bestreben  nach  einer  Helden- 
that,  und  man  lieferte  dem  Balderus  eine  Seeschlacht.  Man 
hätte  meinen  können,  es  sei  ein  Kampf  zwischen  Menschen 
und  Göttern,  denn  für  Balderus  fochten  üthinus  und  Thor 
und  die  heiligen  Scharen  der  Götter.  Da  hätte  man  einen 
Streit  erblicken  können,  in  dem  göttliche  und  menschliche 
Kräfte  unterschiedslos  sich  mischten.  Hotherus  aber,  mit 
einem  eisentrotzenden  Gewände  umgürtet,  brach  in  die  dich- 
testen Scharen  der  Götter  ein  und  wütete,  wie  es  nur  ein 
Sterblicher  gegen  Himmlische  vermag.  Aber  auch  Thor  zer- 
schmetterte, mit  ungewöhnlicher  Kraft  seine  Keule*)schwingend, 

*)  Vgl.  die  ähnliche  Lage  der  Dinge  I,  S.  <il,  und  Anm.  3,  8.  21. 

')  Diese  Keule  (clava)  vertritt  hier  Thor»  Hammer  (Mjölnir),  von 
dessen  Eigenschaften  uns  die  Kdda  (Skaldskaparm.  3)  =  Gering  S.  3H(> 
erzählt. 


Werbung  d.  Balderus;   sein  Kampf  ni.  Hotherus.  UJ 

alle  ihm  entgegen  stehenden  Schilde,  indem  er  ebenso  sehr 
die  Feinde  zum  Angriff  auf  ihn  selbst,  wie  seine  Genossen 
um  Beistand  anrief.  Keine  Art  von  Rüstung  gab  es,  die 
nicht  seinem  Anstürmen  gewichen  wäre.  Niemand  konnte 
ihm,  wenn  er  stritt,  ohne  Lebensgefahr  entgegentreten.  Was 
i  r  mit  einem  Streiche  traf,  stürzte  zusammen.  Kein  Schild, 
kein  Helm  hielt  einen  Hieb  von  ihm  aus.  Keinem  half  Kör- 
pergrösse  oder  Kraft.  Daher  wäre  der  Sieg  den  Himmlischen 
zugefallen,  wenn  nicht  Hotherus,  als  schon  seine  Reihen  wichen, 
schnell  herbeigeeilt  wäre,  den  Stiel  der  Keule  abgehauen  und 
sie  so  unbrauchbar  gemacht  hätte.  Nach  Verlust  dieser  Waffe 
orgriffen  die  Unsterblichen  plötzlich  die  Flucht.  Es  wäre  nun 
ganz  unwahrscheinlich,  dass  Götter  von  Menschen  besiegt 
worden  seien,  wenn  es  nicht  das  Altertum  ausdrücklich  be- 
stätigte. Götter  aber  nennen  wir  diese  Wesen  nur  dem  Aber- 
glauben nach,  nicht  nach  ihrer  Natur.  Denn  nicht  nach  ihrer  74 
wirklichen  Beschaffenheit,  sondern  nur  nach  der  Volksmeinung 
geben  wir  ihnen  die  Bezeichnung  Gottheit. 

Die  eilends  ergriffene  Flucht  rettete  übrigens  den  Bai-  119 
derus.  Die  Sieger  aber,  welche  seine  Schiffe  mit  den  Schwer- 
tern zerhackten  oder  in  den  Grund  bohrten,  begnügten  sich 
nicht  damit,  die  Götter  überwunden  zu  haben,  sondern  sie 
verfolgten  noch  die  Reste  der  Flotte  mit  ihrer  Wut,  um  an 
ihrer  Vernichtung  die  unheilvolle  Kriegsleidenschaft  zu  stillen. 
So  sehr  steigert  oft  noch  der  Erfolg  die  Masslosigkeit.  Als 
Zeugniss  für  den  Kampf  erinnert  noch  ein  Hafen  durch  seinen 
Namen  an  Balders  Flucht^).  Auch  Gelderus,  der  König 
von  Sachsen,  war  in  eben  diesem  Kriege  gefallen.  Hotherus 
Hess  ihn,  auf  den  Leichen  seiner  Ruderer  ruhend,  auf  einen 
aus  Schiften  erbauten  Scheiterhaufen  legen  und  bestattete  ihn 
so    unter   einer    sehr   schönen    Leichenfeier^).      Seine  Asche 


*)  Es  lässt  sich  nicht  ausmachen,  ^-elcher  Platz  das  heute  sein  mag; 
jedenfaUs  ist  er  in  Norwegen,  nicht  in  Dänemark  zu  suchen.  Vgl.  die 
ausführlichen  Bemerkungen  bei  Olrik  II,  15—17. 

•)  Die  Sitte,  gefallene  Helden  in  oder  auf  ihrem  Schiffe  zu  ver- 
brennen, wird  oft  erwähnt;  häufig  wurde  auch  der  Leichnam  auf  da.s 
Schiff  gelegt,   dieses  angezündet  und  dem  Meere   übergeben.     Vgl.  z.  B. 


118  Drittes  Buch. 

Übergab  er  als  Re»te  einer  Königsleiche  nicht  nur  einem 
prächtigen  Grabhügel,  sondern  erwies  ihr  auch  die  achtungs- 
vollsten Ehrenbezeugungen.  Damach  kehrte  er,  damit  nicht 
weitere  Ungelegenheiten  seine  Hoffnung  auf  seine  Vermählung 
hinhielten,  zu  Gewarus  zurück  und  erfreute  sich  der  längst 
ersehnten  Umarmung  Nannas.  Darauf  beschenkte  er  Helgo 
und  Thora  aufs  freigebigste  und  führte  dann  seine  junge 
Frau  nach  Schweden;  dort  wurde  er  bei  allen  wegen  seines 
Sieges  ebenso  geehrt,  wie  Balderus  durch  seine  Flucht  lächer- 
lich geworden  war. 

Zu  eben  derselben  Zeit  waren  die  Grossen  der  Schweden 
nach  Dänemark  gekommen,  um  den  Tribut  zu  zahlen:  Ho- 
therus  aber,  dem  wegen  der  hervorragenden  Verdienste 
seines  Vaters  königliche  Ehren  erwiesen  wurden,  musste 
den  trügerischen  Wankelmut  des  Glückes  erfahren.  Er  wurde 
nämlich  von  Balderus,  den  er  kurz  zuvor  besiegt  hatte,  im 
120  Kampfe  überstunden,  musste  zu  Gewarus  fliehen  und  verlor 
80  nach  Antritt  seiner  Herrschaft  den  Sieg,  den  er  als  Privat- 
mann davongetragen  hatte.  Der  siegreiche  Balderus  aber  er- 
öffnete, um  sein  von  Durst  gequältes  Heer  durch  die  Wohl- 
that  eines  rechtzeitigen  Trunkes  zu  laben,  neue  Quellen  im 
Boden,  indem  er  die  Erde  tief  spaltete.  Das  aus  denselben 
hervorsprudelnde  Wasser  fingen  die  dürstenden  Scharen  überall 
mit  offenem  Munde  auf.  Die  Spuren  dieser  durch  ihren  Namen 
verewigten  Quellen  sollen  noch  nicht  ganz  verschwunden  sein  ^), 
wenngleich  das  ursprüngliche  frische  Strömen  aufgehört  hat. 
Er  litt  auch  in  den  Nächten  bestämlig  an  Spukerscheinungen  ^) 
von  Larven,  die  Nannas  Gestalt  annahmen,  und  seine  Gesund- 
heit wurde   dadurch   so  sehr  geschwächt,  dass  er  nicht  ein- 

Gylfajfinn.  49  ((Gering  S.  aU).  d.  prrönland.  Lied  von  Atli  Str.  100  ((Gering 
H.  285),  (leriog  S.  184,  A.  2.,  Beowulf  v.  27  ff.  —  Näheres  siehe  bei  Wein- 
hold. Altnord.  Leb.  8.  483  ff.,  Müller-Jiriczek,  Nord.  Altertumsk.  II,  258  ff. 
(und  über  .,Die  heidnische  Totenbestattung  in  Deutschland"  Weinhold  in 
d.  Sit/gsber.  der  Wiener  Akad.  Thil-Hist.  Kl.  Bd.  29  S.  117  ff..  Bd.  30 
S.   171  ff.). 

M  Das  heutige  Dorf  Baldersbrönd  etwas  östlich  von  Roskilde  auf 
Seeland  bezeichnet  diese  Stelle. 

*)  Vgl.  hierzu  das  Eddalted  „Baldrs  Träume"  ((rering  S.  15). 


Weitere  Schicksale  Oes  Hotherus  u.  Balderus.  119 

mal  mehr  zu  Fuss  gehen  konnte.  Daher  begann  er  die  (ie- 
wohnheit  anzunehmen,  die  Wege  auf  zwei-  oder  vierrädrigen 
Wagen  zurückzulegen.  So  mächtig  war  die  Liebe,  welche 
sein  Herz  erfüllte,  dass  sie  ihn  fast  bis  zur  äussersten  Kraft- 
losigkeit herunterbrachte.  Er  meinte  nämlich,  sein  Sieg  habe 
nichts  für  ihn  zu  bedeuten,  da  er  Nanna  nicht  durch  ihn 
gewonnen  habe.  Auch  nahm  Frö  als  Statthalter  der  Götter^) 
seinen  Sitz  nicht  weit  von  Upsala,  wo  er  die  alte  Sitte  des 
Opfems,  die  bei  so  vielen  Völkern  und  so  lange  Jahre  hin-  75 
durch  geheiligt  war,  mit  einer  traurigen  und  verbrecherischen 
Opferungsart  vertauschte.  Er  begann  nämlich  Menschenopfer  121 
zu  schlachten  und  brachte  den  Himmlischen  grauenvolle 
Spenden  dar*). 

Unterdessen')  erfuhr  Hotherus,  dass  Dänemark  ohne 
Fürsten  sei  und  dass  Hiarthwarus  schnell  für  Rolwos  Er- 
mordung gebüsst  habe,  und  er  pflegte  zu  sagen,  ein  Zufall 
habe  ihm  verschaift,  was  er  kaum  hätte  erhoffen  können.  Denn 
einmal  sei  Rolwo.  dem  er  das  Leben  hätte  rauben  müssen, 
weil  er  sich  wohl  erinnere,  dass  von  dessen  Vater  der  seinige 
ersehlagen  worden  sei,  von  einem  andern  getötet  worden; 
und  ferner  habe  sich  ihm  durch  einen  unverhofften  Glücksfall 
die  Möglichkeit  eröffnet,  sich  Dänemarks  zu  bemächtigen. 
Denn  die  Herrschaft  darüber  komme  ihm  rechtmässig  durch 
seine  Grosseltern  zu,  wenn  man  richtig  den  Stammbaum  seiner 
Vorfahren  verfolge  *).  Darauf  besetzte  er  mit  einer  sehr  zahl- 
reichen Flotte  Isora,  den  Hafen  von  Seeland*),  um  die  Gunst 
des  ihm  sich  bietenden  Glückes  auszunutzen.  Dort  eilte  ihm 
das  Dänenvolk  entgegen   und  rief  ihn  zum  Könige  aus,  und 

')  Ueber  Frö  siehe  Anm.  1  zu  S.  46;  dass  er  hier  satrapa  deonim 
geuannt  wird,  ist  auf  Saxos  unklare  VorsteUung  von  der  faeidnischou 
3[ythologie  zurückzuführen;  gemeint  ist  Freyr  selbst. 

')  Menschenopfer  sind  aus  dem  germanischen  Altertum  oft  bezeugt. 
Vgl.  Mogk  im  Orundr.  III,  388  und  89. 

*)  Hier  nimmt  Saxo  den  eigentlichen  Faden  wieder  auf;  das  bisher 
in  diesem  Buche  £rzählte  ist  ein  Zurückgreifen  in  die  Vergangenheit. 

*)  Durch  seine  (rrossmutter  Swanhwita,  die  Gemahlin  des  Schwcdoji- 
königs  Regnerus,  die  Tochter  des  Hadingus;  siehe  oben  II,  8.  70. 

*)  D.  i.  der  IseQord  im  Norden  der  Insel. 


120  Drittes  Buch. 

bald  nachher,  als  er  den  Tod  seines  Bruders  Atislus  ver- 
nommen, dem  er  die  Statthalterschaft  von  Schweden  anver- 
traut hatte,  vereinigte  er  die  schwedische  Herrschaft  mit  der 
dänischen.  Uebrigens  hatte  den  Atislus  ein  recht  schimpf- 
liches Ende  hingerafft.  Während  er  nämlich  die  Leichenfeier 
für  Rolwo  in  höchster  Ausgelassenheit  durch  ein  Gelage  be- 
ging, trank  er  allzu  gierig  und  musste  mit  einem  plötzlichen 
Tode  für  seine  schmähliche  Unmässigkeit  bussen  ^).  Während 
er  also  den  Tod  eines  andern  mit  gar  zu  schrankenloser  Freude 
feierte,  brachte  er  es  mit  Gewalt  dahin,  dass  auch  der  seinige 
eintrat. 

Auch  Bai  der  US  kam  mit  einer  Flotte  nach  Seeland; 
und  da  er  sich  Waffenruhmes  und  einer  majestätischen  Er- 
scheinung erfreute,  erlangte  er  unter  schnellster  Einwilligung 
der  Dänen  alles,  was  er  in  betreff  der  Königsherrschaft  for- 
derte, während  Hotherus  in  Schweden  weilte.  In  solch  zwie- 
spältigen Urteilen  schwankte  die  Ansicht  unserer  Vorfahren. 
Hotherus  kehrte  aus  Schweden  zurück  und  überzog  ihn  mit 
122  einem  schweren  Kriege.  Der  hitzigste  Kampf  um  die  letzte 
Entscheidung  war  zwischen  diesen  beiden  Herrschbegierigen 
entbrannt.  Hotherus'  Flucht  machte  ihm  ein  Ende.  Dieser 
zog  sich  nach  Jutland  zurück  und  Hess  ein  Dorf,  in  dem  er 
sich  aufzuhalten  pflegte,  nach  seinem  Namen  benennen  ^). 
Dort  verbrachte  er  den  Winter  und  kehrte  dann  einsam  und 
ohne  Gefolge  nach  Schweden  zurück.  Daselbst  berief  er  seine 
Grossen  und  erklärte  ihnen  seinen  Ueberdruss  an  lAoht  und 
Leben  wegen  der  unglücklichen  Ereignisse,  mit  denen  ihn 
der  zweimal  siegreiche  Balderus  gekränkt  habe.  Dann  grüsste 
er  alle  zum  Abschied,  begab  sich  auf  unwegsamen  Pfaden  in 
unzugängliche  Gegenden  und  durchzog  Waldungen  ohne  jede 
Spur   menschlicher   Pflege.     Es    kommt  ja   vor,    dass   Leute, 


*)  Diese  Nachricht  steht  im  Widerspruch  zu  II,  S.  92 ;  nach  der  Ynglinjja- 
sA^iA  stürzt  er  noch  zu  Hrulfis  Lebzeiten  vom  Pferde  und  zerschmettert 
»ich  den  Schädel. 

')  Saxo  denkt  dabei  wohl  an  Honens  iu  Jütland,  lat.  Hothersnesia ; 
wahrscheinlicher  ist  aber  dieser  Name  aus  Hrossnaes  (Pferdelandzun^^e) 
entstanden. 


Niederlage  des  Hotherus.  121 

wetclie  ein  UDheilbaror  &eelen»chmerz  quält,  dunkle  und  fern 
liegende  Schlupfwinkel   aufsuchen,   gleichsam   als   Heilmittel, 
um  die  Traurigkeit  zu  vertreiben,  und  als  ob  sie  die  Grösse 
ihrer    Leiden    nicht    in    menschlicher    Gesellschaft    ertragen 
könnten.      So    ist    Einsamkeit    meistens    die    Freundin    des  76 
Kummers.    Denn  Unordnung  und  Unsauberkeit  erfreut  haupt- 
sächlich die,  welche  von  einem  seelischen  Leiden  erschüttert 
worden    sind.      Früher    hatte    Hotherus    immer    seinem    rat-  | 
heischenden  Volke  von  der  Spitze  eines   hohen  Berges  seine 
Entscheidungen    mitgeteilt.     Wenn    man   jetzt    kam,    murrte   ; 
man  über  die  Trägheit  des   Königs,    der  sich   verbarg,    und 
während   seiner  Abwesenheit  wurde    er  von    allen   mit    den 
heftigsten  Klagen  überschüttet. 

Während  Hotherus  die  abgelegensten  und  entferntesten 
(legendeu  durchstreifte,  durchschritt  er  auch  einen  von  Men- 
schen unbetretenen  Wald  und  fand  zufällig  eine  von  unbe- 
kannten Jungfrauen  bewohnte  Höhle.  Das  waren  sicherlich 
dieselben,  welche  ihn  einst  mit  dem  unverletzbaren  Gewände 
beschenkt  hatten  ^).  Von  diesen  befragt,  weshalb  er  an 
solche  Stätten  komme,  erzählte  er  den  unglücklichen  Aus- 
gang seiner  Kriege.  Er  verwünschte  auch  ihre  Treulosigkeit, 
begann  das  Schicksal  seiner  unglücklichen  Thaten  und  die 
traurigen  Ereignisse  zu  beweinen  und  beklagte  sich,  dass  es 
ihm  ganz  anders  gegangen  sei,  als  er  von  ihnen  versprochen 
erhalten  habe.  Aber  die  Mädchen  sagten,  er  habe,  wenn- 
gleich er  auch  selten  Sieger  gewesen  sei,  doch  den  Feinden 
eine  gleiche  Schlappe  bereitet,  und  er  habe  eine  ebenso 
grosse  Niederlage  beigebracht,  wie  er  eine  erlitten.  Uebrigens 
werde  ihm  die  Gunst  des  Sieges  hold  sein,  wenn  er  sich 
einer  Speise  von  ungewöhnlicher  Süssigkeit,  die  sich  ßalderus 
zur  Stärkung  seiner  Kräfte  erfunden  habe,  bemächtigen  könnte. 
Denn  nichts  w^rde  ihm  mehr  Schwierigkeiten  bereiten,  wo- 
fern er  nur  jene  Kost,  die  zur  Vermehrung  der  Stärke  be- 
stimmt sei,  in  seine  Gewalt  bringe. 

M  Vjfl.  S.  111;  jenes  Gewand  ist  zwar  S.  IIH  erwähnt,  doch  nicht  als 
OescheDk  der  Walküren.  Diese  Ungenauij^keit  ist  wieder  ein  Beweis,  dass 
Saxo  verschiedene  QueUen  benutzt  hat. 


122  Drittes  Buch. 

Aus  ihren  Worten  gewann  Hotherus  in  seinem  Herzen 
das  feste  Zutrauen  zu  einem  Kriegszuge  gegen  Balderiis,  ob- 
gleich  es  für  irdische    Kräfte   schwierig    erscheinen    musste, 

123  Götter  bewaffnet  anzugreifen.  Auch  von  den  seinigen  be- 
haupteten manche,  dass  er  den  Krieg  gegen  die  Himmlischen 
nicht  zu  seinem  Heile  ausfechten  werde.  Aber  das  schranken- 
lose Feuer  seines  Mutes  hatte  ihm  alle  Achtung  vor  der 
göttlichen  Majestät  genommen.  Bei  Helden  erschüttert  näm- 
lich nur  selten  die  Vernunft  einen  plötzlichen  Entschluss, 
und  nicht  immer  unterliegt  die  Unbesonnenheit  der  Einsicht. 
Vielleicht  hatte  aber  Hotherus  auch  daran  gedacht,  dass  selbst 
den  hervorragendsten  Männern  ihre  Macht  unsicher  werden, 
und  dass  eine  kleine  Erdscholle  gewaltige  Wagen  zu  Falle 
bringen  kann. 

Auf  der  andern  Seite  berief  Balderus  die  Dänen  unter 
die  WaflFen  und  begegnete  Hotherus  im  Kampfe.  Auf  beiden 
Seiten  wurde  ein  gewaltiges  Blutbad  angerichtet,  und  das 
Gemetzel  war  bei  beiden  Parteien  ungefähr  gleich,  als  die 
Nacht  den  Streit  beendigte.  Um  die  dritte  Nachtwache  etwa 
schlich  sich  Hotherus  heimlich,  von  niemandem  bemerkt, 
hinaus,  um  die  Stellung  des  Feindes  zu  erkunden.  Denn  die 
Sorge  um  die  bevorstehende  Entscheidung  hatte  ihm  den 
Schlaf  verscheucht.  So  steht  ja  meistens  eine  grosse  Er- 
regung des  Geistes  der  Ruhe  des  Körpers  entgegen,  und  die 

77  Unruhe  des  einen  gestattet  nicht  die  Ruhe  des  andern.  Als 
er  nun  in  das  feindliche  Lager  kam,  bemerkte  er,  dass  die 
drei  Mädchen,  welche  immer  Balderus*  heimliches  Mahl 
brachten,  dasselbe  verlassen  hatten.  Er  folgte  ihnen  eilig 
(denn  die  Spuren  im  Tau.  verrieten  ihren  Weg)  und  trat 
endlich  rasch  in  ihr  gewohntes  Gemach  ein.  Auf  ihre  Frage, 
wer  er  sei,  antwortete  er,  er  sei  ein  Lautenspieler.  Und  ein 
Versuch  stimmte  wohl  zu  seiner  Angabe  *).  Denn  als  man 
ihm  eine  Laute  brachte,  stimmte  er  sie,  berührte  dann  mit 
dem  Griffel  die  Saiten  und  Hess  in  gewandtestem  Spiel  eine 
für  das  Ohr  höchst  angenehme  Weise  erklingen.     Sie  hatten 


»)   Vjfl.  oben  S.  110. 


Neuer  Kampf  u.  Tod  des  Balderus.  123 

übrigens  drei  Schlangen,  mit  deren  Geifer  sie  das  stärkende 
Mahl  für  Balderus  zu  mischen  pflegten,  und  schon  rann  aus 
dem  offenen  Rachen  der  Schlangen  viel  Gischt  auf  die  Speise. 
Einige  von  den  Mädchen  hätten  nun  auch  Hotherus  aus 
Freundlichkeit  Anteil  an  dem  Mahle  gewährt,  wenn  es  nicht 
die  älteste  von  den  dreien  verboten  hätte,  indem  sie  ausrief, 
Balderus  werde  betrogen,  wenn  sie  seinen  Feind  durch  Ver- 
mehrung seiner  Kräfte  stärkten.  Jener  sagte  nun,  er  sei 
nicht  Hotherus  selbst,  sondern  nur  ein  Gefolgsmann  von  ihm. 
Da  schenkten  ihm  denn  ebendieselben  Mädchen  in  ihrer  124 
liebenswürdigen  Güte  einen  prächtig  glänzenden,  siegverleihen- 
den Gürtel  ^). 

Als  er  nun  umkehrte  und  denselben  Pfad,  auf  dem  er 
gekommen  war,  zurückging,  begegnete  er  Balderus,  stach 
ihn  in  die  Seite  und  streckte  ihn  halbtot  zu  Boden.  Als 
dies  den  Soldaten  bekannt  wurde,  erhob  sich  im  ganzen  Lager 
des  Hotherus  ein  lautes  Jubelgeschrei,  während  die  Dänen 
an  Balderus'  Geschick  durch  öffentliche  Trauer  Anteil  nahmen. 
Wie  dieser  merkte,  dass  ihm  unzweifelhaft  der  Tod  bevor- 
stehe, erneuerte  er,  gereizt  durch  den  Schmerz  seiner  Wunde, 
am  nächsten  Tage  den  Kampf.  Als  dieser  heftig  wogte,  Hess 
er  sich  in  einer  Sänfte  in  die  Schlachtreihen  tragen,  damit 
es  nicht  schiene,  als  ob  er  im  Zelte  eines  unrühmlichen 
Tode«  sterbe.  Er  verkündete,  dass  ihm  in  der  letzten  Nacht 
Proserpina*)  im  Schlafe  erschienen  sei,  und  dass  ihm  am 
folgenden  Tage  ihre  Umarmung  zu  teil  werden  würde.  Die  125 
Prophezeiung  des  Traumes  war  auch  nicht  grundlos.  Denn 
nach  Verlauf  von  drei  Tagen  erlag  Balderus  den  allzugrossen 
Qualen  seiner  W^mde.  Das  Heer  Hess  seine  Leiche  mit 
königlichem  Prunke  bestatten  und  in  einem  Grabhügel  bergen. 

^)  Auch  diese  Mädchen  sind  Walküren.  Die  Erzählung  ist  hier  ganz 
verworren:  Bekommt  er  nichts  von  der  Speise,  so  ist  sein  Bemühen  ver- 
gebens oder  die  Weissagung  der  vorigen  Seite  nichtig;  erhält  er  etwas 
davon,  wie  das  sogenannte  Gheysmersche  Kompendium  aus  Saxo  erzählt, 
so  ist  es  unerklärlich,  dass  dieselben  höheren  Mächte  die  beiden  Feinde 
beschützen.     Vgl.  Olrik  II,  19,  Anm.  1. 

•)  D.  i.  germanisch  die  Todesgöttin  Hei.  V^gl.  Mogk  im  Grundr.  III, 
375,  E.  H.  Meyer  S.  172,  Golther  S.  471. 


124  Drittes  Buch. 

Diesen  Hügel  untersueliten  nun  einige  Männer  unserer 
Zeit  (der  vornehmste  von  ihnen  war  Haraldus)  nächtlich 
in  der  Hoffnung  Geld  zu  finden^);  denn  die  Erinnerung  an 
die  alte  Begräbnisstätte  war  noch  lebendig;  sie  mussten  aber 
ihr  Unternehmen  in  plötzlichem  Schrecken  aufgeben.  Der 
Berg  selbst  nämlich  schien  sich  zu  spalten  und  aus  seiner 
Spitze  ein  gewaltiger  Wasserstrom  mit  mächtigem  Brausen 
hervorzustürzen,  dessen  reissender  Schwall  in  schnellster 
Strömung  aber  die  darunter  liegenden  Gefilde  sich  ergoss 
und   alles,    was  ihm   im   Wege   stand,    fortriss.     Bei  seinem 

78  Andringen  warfen  die  Gräber  bestürzt  ihre  Hacken  weg  und 
und  ergriffen  die  Flucht  nach  verschiedenen  Richtungen,  da 
sie  glaubten,  von  dem  Wirbel  der  brausenden  Flut  verschlungen 
zu  werden,  wenn  sie  länger  ihr  Beginnen  auszufahren  sich 
bemühten.      So    flössten   die   Schutzgötter  jenes   Platzes   den 

12«  Männern  eine  plötzliche  Furcht  ein,  lenkten  ihren  Sinn  von 
der  Habgier  ab,  wandten  ihn  auf  die  Sorge  für  ihre  Rettung 
und  lehrten  sie  ihre  habsüchtigen  Vorsätze  aufzugeben  und 
tiuf  ihr  lieben  bedacht  zu  sein.  Die  Erscheinung  dieses 
Strudels  aber  war  sicherlich  nur  ein  Schattenbild,  nichts 
Wahres;  sie  ward  nicht  aus  den  innersten  Eingeweiden  der 
Erde  erzeugt,  sondern  durch  irgend  einen  zauberischen  Vor- 
gang hervorgebracht,  da  ja  die  Natur  in  dürren  Gegenden 
keine  lebendigen  Quellen  entspringen  lässt  Alle  späteren 
liessen  die  Hügel  unberührt,  da  ihnen  das  Gerücht  von  jenem 
Durchbruch  überkommen  war.  Daher  weiss  man  eben  gar 
nicht,  ob  er  irgend  welche  Schätze  enthält,  denn  nach  Hanildus 
hat  niemand  aus  Furcht  vor  der  Gefahr  sein  schattiges  Dunkel 
zu  untersuchen  sich  angemasst. 

Othinus  aber  befragte,  obgleich  er  für  den  ersten  der 
Götter  galt,  doch  die  Wahrsager  und  Priester  und  alle  übrigen, 
die  seiner  Kenntnis  nach  etwas  in  der  Kunst  des  Weissageus 
leisteten,  über  die  Ausführung  der  Rache  für  seinen  Sohn; 
denn  die  unvollkommene  Gottheit  bedarf  meistens  der  mensch- 


M  Dit'sor  Harald  mag  ebenso  wie  der  Baldrshügel  Saxos  Zeitgenossen 
gi'nau  hrknnnt  gewesen  sein,  da  er  sonst  wohl  irgend  eine  nähere  Angabe 
gemacht  hätte.     Wir  wissen  über  die  Sache  nichts  Sicheres  mehr. 


(rrab  des  Balderus.     Othiiius  und  Rinda.  125 

liehen  Hilfe.  Der  Finne  Rostiophus^)  verkündete  ihm,  er 
müsse  mit  Rinda^),  der  Tochter  des  Königs  der  Rutenen, 
einen  andern  Sohn  erzeugen,  der  die  Strafe  für  die  Krmordung 
seines  Bruders  vollziehen  sollte.  Denn  die  Götter  hätten  die 
Rache  für  den  Tod  ihres  Angehörigen,  dessen  Bruder,  der 
noch  geboren  werden  sollte,  zur  Pflicht  bestimmt.  Auf  diese 
Kunde  hin  beschattete  Othinus  sein  Antlitz  mit  seinem  Hute, 
um  sich  nicht  durch  sein  Aussehen  zu  verraten*),  und  ging 
zu  dem  vorgenannten  Könige,  um  bei  ihm  in  Kriegsdienste 
zu  treten.  Von  diesem  zum  Befehlshaber  der  Reiterei  er- 
nannt, erhielt  er  ein  Heer  und  trug  den  schönsten  Sieg  über 
die  Feinde  davon.  Für  diese  glückliche  Sclilacht  erhob  ihn 
der  König  zu  seinem  ersten  Freunde  und  zeichnete  ihn  nicht 
weniger  durch  Geschenke  als  durch  Ehrenbezeugungen  aus. 
Kurze  Zeit  darauf  schlug  er  ganz  allein  die  Reihen  der  Feinde  127 
in  die  Flucht  und  kehrte  zugleich  als  Sieger  und  Bote  seines 
wunderbaren  Sieges  heim.  Alle  verwunderten  sich,  dass  die 
Kraft  eines  einzelnen  ein  solches  Gemetzel  unter  so  vielen 
habe  anrichten  können.  Im  Vertrauen  auf  diese  Verdienste 
machte  er  den  König  im  Geheimen  zum  Mitwisser  seiner 
Liebe.  Durch  dessen  freundliche  Begünstigung  ermutigt,  bat 
«r  das  Mädchen  um  einen  Kuss,  bekam  aber  eine  Ohrfeige. 
Indessen  weder  diese  schmähliche  Beleidigung  noch  der  Schmerz 
über  das  Unrecht  konnte  ihn  von  seinem  Vorsatze  abbringen. 

Um  das,  was  er  so  eifrig  bggonnen,  nicht  mit  Schimpf 
und  Schande  aufzugeben,  legte  er  nun  im  folgenden  Jahre 
fremde  Kleider  an  und  suchte  wieder  näheren  Umgang  mit 
dem  Könige.  Er  hätte  auch  wirklich  nicht  von  Leuten,  die 
ihm  begegneten,  erkannt  werden  können;  denn  er  entstellte 
fieine  wahren  Gesichtszüge  durch  einen  schmutzigen  Anstrich, 
und  frisch  aufgelegte  Schwärze  veränderte  sein  früheres  Aus-  79 


*)  Nrd.  Hrosapjofr  d.  h.  Kossdieb,  vjfl.  das  Lied  von  Hyudla  Str.  38  -- 
Oerings  Edda  S.  124. 

•)  Rind  wird  in  der  Gylfaginning  zu  den  Asinnen  gerechnet  (Kap.  8<i 
=  Gering  S.  328);  vgl.  auch  Baldrs  Träume  Str.  11  (=  (Tering  8.  17 
und  Anm.  3). 

*)  D.  h.  durch  seine  Einäugigkeit. 


12t)  Drittes  Buch. 

sehen  gänzlich.  Er  gab  an  Rosterus^)  zu  heissen  und  im 
Schmiedehandwerk  geschickt  zu  sein.  Er  hatte  auch  sehr 
verschieden  geformte  Sachen  mit  den  herrlichsten  Yerzierungea 
in  Erz  ausgeführt  und  legte  eine  so  empfehlende  Probe  seiner 
Kunstfertigkeit  ab,  dass  er  vom  König  eine  grosse  Menge 
Gold  erhielt  mit  dem  Auftrage,  Zierrate  für  die  Frauen  daraus 
zu  schmieden.  So  verfertige  er  denn  mehrere  Stücke  für 
Frauenschmuck  und  zuletzt  ein  Armband,  vor  den  andern 
besonders  kunstreich  geglättet,  sowie  mehrere  Ringe«  die  er 
mit  gleicher  Sorgfalt  arbeitete,  und  bot  dies  dem  Mädchen 
an.  Aber  ihre  Abneigung  Hess  sich  durch  kein  Verdienst 
abwenden.  Denn  als  er  Rinda  den  Kuss  geben  wollte,  gab 
sie  ihm  einen  Faustschlag.  Ungern  nimmt  man  ja  Geschenke 
an,  welche  ein  Verhasster  uns  darbietet.  Viel  angenehmer 
sind  die,  welche  Freunde  uns  reichen;  so  sehr  hängt  manch- 
mal der  Wert  einer  Gabe  von  dem  Geber  ab.  Das  kluge 
Mädchen  zweifelte  nämlich  nicht,  dass  der  listige  Greis 
mit  seiner  scheinbaren  Freigebigkeit  nur  einen  Weg  zur 
Stillung  seiner  Lüste  suche.  Uebrigeus  war  ihr  Wille  starr  und 
unbeugsam;  denn  sie  erkannte,  dass  durch  seine  Huldigung 
eine  List  ausgeführt  werden  sollte,  und  dass  seinem  Eifer  zu 
schenken  ein  verbrecherischer  Wunsch  zu  Grunde  liege.  Ihr 
Vater  begann*  sie  heftig  zu  schelten,  dass  sie  sich  gegen  die 
Hochzeit  weigere;  jene  aber,  die  die  Ehe  mit  einem  (ireise 
128  verabscheute,  sagte,  für  ein  Mädchen  in  so  zarten  Jahren 
wäre  eine  Heirat  verfrüht,  und  so  nahm  sie  ihr  jugendliches 
Alter  als  schützenden  Vorwand,  um  die  Vermählung  von  sich 
abzuweisen. 

Othinus  aber  wusste,  dass  nichts  für  die  Wünsche 
Liebender  wirksamer  sei  als  kräftige  Ausdauer,  und  kam 
trotz  seiner  Betrübnis  über  die  doppelte  Zurückweisung  zum 
dritten  Mal  zum  Könige,  nachdem  er  sein  früheres  Aussehen 
verwischt  hatte,  und  rühmte  sich  der  vollkommensten  (le- 
schicklicheit  in  kriegerischen  Fertigkeiten  '*).  Zu  dieser  Mühe 
hatte  ihn    nicht  nur    seine    l^eidenschaft,    sondern    auch    der 

*)  (tehört  zu  dem  Substantivuro  rosta  =  Getümmei. 

*)  Divaer  Zug  ist  vielleicht  nur  eiue  Wiederholung  der  ersten  List. 


Othinus   und   Rindu.  127 

Wunsch,  seine  Schmach  zu  tilgen,  veranlasst.  Den  Zauber- 
kundigen war  einst  die  günstige  Fähigkeit  zu  teil  geworden, 
unter  wechselnden  Formen  verschiedene  Gestalten  anzu- 
nehmen ^).  Denn  ausser  ihrem  naturlieben  Körperaussehen 
verstanden  sie  es  auch,  den  Zustand  jedes  beliebigen  Alters 
sich  trügerisch  anzueignen.  Um  nun  also  eine  erfreuliche 
Schaustellung  seiner  Künste  zu  geben,  pflegte  der  Greis  gar 
ausgelassen  unter  den  gewandtesten  Kriegern  einherzureiten. 
Aber  auch  durch  diese  Art  Dienstleistung  konnte  der  starre 
Sinn  des  Mädchens  nicht  gebrochen  werden.  Denn  kaum 
jemals  versöhnt  sich  das  Herz  aufrichtig  mit  einem,  gegen 
den  es  einmal  einen  heftigen  Hass  empfunden  hat.  Als  er 
sie  beim  Abschied  wieder  küssen  wollte,  wurde  er  so  von 
ihr  zurückgestossen,  dass  er  wankte  und  mit  dem  Kinn  die 
Erde  berührte.  Dafür  aber  berührte  er  sie  sogleich  mit  einem 
Rindenstücke,  auf  welchem  Zaubersprüche  standen,  und  machte 
sie  dadurch  einer  Wahnsinnigen  gleich  ^) ;  so  bescheidene  Rache 
übte  er  für  die  so  oft  erlittenen  Unbilden. 

Auch  jetzt  gab  er  es  noch  nicht  auf,  seinen  Vorsatz  aus-  80 
zuführen,  (denn  das  Vertrauen  auf  seine  göttliche  Majestät 
hatte  ihm  Hoffnung  eingeflösst);  er  legte  Mädchenkleidung 
au,  und  zum  vierten  Male  suchte  der  unermüdliche  Wanderer 
den  König  auf.  Von  diesem  aufgenommen,  zeigte  er  sich 
nicht  nur  diensteifrig,  sondern  sogar  zudringlich.  Da  er  sich 
völlig  wie  ein  Weib  trug,  ward  er  auch  von  den  meisten  für 
eine  Frau  gehalten.  Uebrigens  bezeichnete  er  sich  mit  dem 
Namen  Weclia  und  als  seine  Kunst  die  Heilkunst,  eine  An- 
gabe, die  er  auch  durch  baldigste  Dienstleistungen  bestätigte. 
Endlich  ward  er  unter  die  Leibdienerschaft  der  Königin  auf- 
genommen und  spielte  die  Rolle  eines  Kammermädchens  der 
Jungfrau.  Er  pflegte  ihr  auch  immer  in  den  Abendstunden  129 
den  Schmutz  von  den  Füssen  abzuwaschen.  Wenn  er  ihr 
mit  dem  Wasser  die  Füsse  benetzte,  konnte  er  auch  ihre 
Waden  und  den  oberen  Teil  der  Schenkel  berühren.  Da  nun 
aber  das  Geschick  in  wechselndem  Gange  einherschreitet,  so  ge- 

M  Vgl.  I,  8.  29. 

')  D.  h.  er  machte  sie  wirklich  wahnsiniii};. 


1-2S  Drittes  Buch. 

wahrte  ihm  ein  Zufall  leicht  das,  was  durch  List  nicht  zu 
erreichen  war.  Es  geschah  nämlich,  dass  das  Mädchen  von 
einem  körperlichen  Leiden  befallen  wurde  und  sich  nach 
einem  Mittel  gegen  ihre  Krankheit  umsah  M:  dabei  i»rlangte 
sie  Erhaltung  ihrer  Gesundheit  von  den  Händen,  welche  sie 
vorher  verwünscht  hatte,  und  rief  den  als  Retter  herbei,  den 
sie  immer  verabscheut  hatte.  Dieser  erforschte  ganz  genau 
alle  Anzeichen  des  Schmerzes  und  verordnete  dann,  damit 
der  Krankheit  möglichst  bald  begegnet  werde,  den  fiebraurh 
eines  Heiltrankes.  Die  Mischung  sollte  übrigens  so  ausser- 
ordentlich scharf  sein,  dass  das  Mädchen  die  Kur  nicht  aus- 
halten könne,  wenn  sie  sich  nicht  fesseln  lasse.  Denn 
der  Krankheitsstoff  müsse  aus  den  innersten  Eiugeweiden 
herausgetrieben  werden.  Als  dies  der  Vater  hörte,  zögerte 
er  nicht,  seine  Tochter  zu  binden,  und  gebot  ihr,  sich  aufs 
Bett  zu  legen  und  alles,  was  der  Arzt  vornehmen  werde, 
geduldig  zu  ertragen.  Den  König  täuschte  nämlich  der 
Anblick  der  Frauenkleidung,  die  der  Alte  angelegt  hatte, 
um  seine  zähen  Absichten  zu  verhüllen.  Dieser  Umstand 
bot  also  unter  dem  Scheine  einer  Heilkur  die  Möglich- 
keit zu  einer  Schändung.  Denn  der  Arzt  benutzte  die 
Gelegenheit  zum  Liebesgenuss,  vernachlässigte  seine  Pflicht 
als  Heilender  und  schritt  erst  zu  dem  Werke,  seine  Lüste 
zu  befriedigen,  ehe  er  das  Fieber  vertrieb;  so  benutzte 
er  die  Krankheit  des  Mädchens,  deren  Feindschaft  er,  so 
lange  sie  gesund  war,  hatte  erfahren  müssen.  Es  wird 
aber  nicht  müssig  sein,  noch  eine  andere  Ansicht  über  diese 
Sache  vorzubringen.  Denn  manche  berichten  Folgendes*): 
Als  der  König  bemerkte,  dass  der  liebeskranke  Arzt  trotz 
seiner   geistigen  und  körperlichen  Anstrengungen  nichts  er- 


')  Auch  hier  ist  die  Erzählung  unklar;  Saxo  hat  ganz  vergessen,  was 
er  eben  sagte,  dass  Odin  selbst  die  Jungfrau  wahnsinnig  gemacht  hat. 
Der  richtige  Zusammenhang  ist  wohl  der,  dass  erst  jetzt  der  Gott,  nicht 
schon  bei  seiner  vorigen  Abweisung,  Kinda  krank  macht,  um  sodann  seine 
Heilkunst  ausüben  zu  können.     Vgl.  Olrik  II,  32. 

*)  Hier  haben  wir  einen  klaren  Beweis,  dass  Saxo  mehrere  (Quellen 
vor  sich  hatte;  daher  el>en  jene  mehrfachen  Unklarheiten. 


Othinus  u.  Rinda.     Othinus'  Verbannung.  129 

reicht  habe,  habe  er  ihm  erlaubt,  heimlich  das  Lager  seiner 
Tochter  zu  teilen,  damit  er  ihn  nicht  um  den  schuldigen 
Lohn  für  seine  Verdienste  bringe.  Soweit  vergisst  sich 
manchmal  die  Lieblosigkeit  eines  Vaters  gegen  sein  Kind, 
wenn  eine  heftige  Leidenschaft  die  natürliche  Milde  über- 
windet. Seinem  Vergehen  aber  folgte  bald  die  schmachvolle 
Sühne,  als  seine  Tochter  einen  Sohn  gebar  ^). 

Die  Götter  aber,  deren  Hauptsitz,  wie  es  hiess,  in  Bi- 
zantium^)  war,  erkannten,  dass  Othinus  sich  verschiedene  91 
Male  etwas  an  seiner  Majestät  vergeben  und  seine  göttliche 
Ehre  befleckt  habe;  daher  beschlossen  sie,  ihn  aus  ihrer  Ge-  lao 
meinschaft  auszuschliessen  und  sorgten  dafür,  dass  er  nicht 
nur  aus  seiner  leitenden  Stellung  verjagt  wurde,  sondern 
auch  jeder  Ehre  und  jeden  Dienstes  daheim  verlustig  ging. 
Denn  sie  hielten  es  für  besser,  dass  die  Macht  ihres  schänd- 
liehen  Oberhauptes  untergraben,  als  dass  die  Würde  der 
öffentlichen  Religion  entweiht  würde,  damit  sie  nicht  etwa 
noch  selbst  in  das  Verbrechen  eines  andern  hineingezogen 
und  unschuldig  für  das  Vergehen  des  Schuldigen  bestraft 
würden.  Sie  sahen  nämlicli,  dass  die,  welche  sie  dazu  ver- 
führt hätten,  ihnen  göttliche  Ehren  zu  erweisen,  jetzt,  nach- 
dem die  Verhöhnung  des  Hauptgottes  offenkundig  geworden 
war,  den  Gehorsam  mit  Verachtung,  die  Ehrfurcht  mit  Schande 
vertauschten,  dass  man  die  Opfer  für  Tempelschändung  hielt, 
uiid  die  fest  eingesetzten  heiligen  Bräuche  als  kindische 
Possen  betrachtete.  Der  Tod  stand  ihnen  vor  Augen,  die 
Furcht  vor  der  Seele,  und  man  hätte  meinen  können,  die 
Schuld  des  einen  falle  auf  das  Haupt  aller  zurück.  Damit 
nicht  die  ölTentliche  Religion  seinetwegen  abgeschafft  würde, 
bestraften  sie  ihn  selbst  mit  der  Verbannung  und  überwiesen 
einem     gewissen      Ollerus^)     die     Abzeichen     nicht     nur 

')  Vielleicht  liegt  dieser  G-eschicbte  von  Odin  und  Riuda  ein  Lieht- 
od«r  JahrMzeiieDmythaa  zu  Grunde,  wonach  dann  Rinda  die  harte,  noch 
'winterliche  Erde  bezeichnete,  die  sich  erst  spät  dem  Einfluss  der  sommer- 
lichen Warme  hingiebt. 

*)  Vgl.  B.  T,  S.  38  und  Anm.  1. 

•)  Der  Mythus  von  Ollerus  (nrd.  Ullr)  ähnelt  sehr  dem  von  Mit  od  in 

Sftzo  Graimnaticas.  " 


130  Drittes  Buch. 

der  Herrschaft,  sondern  auch  der  Gottheit,  als  wenn  es  ein 
und  dasselbe  wäre,  Götter  wie  Könige  zu  wählen.  Mögen 
sie  ihn  auch  nur  zur  Stellvertretung  als  Priester  auserkoren 
haben,  so  überliessen  sie  ihm  doch  unverkürzt  alle  Ehren, 
damit  er  nicht  als  Verwalter  der  Dienstpflicht  eines  andern, 
sondern  als  gesetzlicher  Nachfolger  in  dieser  Wurde  betrachtet 
werde.  Und  damit  gar  nichts  an  seinem  Ansehen  fehle,  legten 
sie  ihm  auoh  den  Namen  Othinus  bei,  um  durch  die  Be- 
liebtheit dieses  Namens  die  Gehässigkeit  der  Neuerung  abzu- 
schwächen. Als  dieser  ungefähr  zehn  Jahre  den  Vorsitz  im 
Rate  der  Götter  geführt  hatte,  erbarmten  sich  endlich  die 
Himmlischen  über  die  Verbannung  des  Othinus,  und  er  durfte 
wieder,  da  er  nunmehr  eine  genügend  schwere  Strafe  abge- 
büsst  zu  haben  schien,  den  schmachvollen  Zustand  seiner 
Erniedrigung  mit  dem  seines  früheren  Glanzes  vertauschen. 
Die  dazwischen  liegende  Zeit  hatte  ja  nun  schon  den  Makel 
der  vormaligen  84'hande  verwischt.  Einige  aber  traten  doch 
mit  der  Behauptung  auf,  er  verdiene  nicht  die  Erlaubais, 
seine  Würde  wieder  zu  erlangen,  da  er  durch  Schauspiel- 
künste und  Uebernahme  von  Weiberarbeit  dem  göttlichen 
Namen  den  schmählichsten  Schandfleck  beigebracht  habe. 
Manche  bemerken  auch,  dass  er  sich  für  Geld  seine  ver- 
lorene Majestät  wieder  erkauft  habe,  indem  er  einige  der 
(lötter  durch  Schmeicheleien,  andere  durch  Belohnungen  er- 
weichte, und  dass  er  sich  für  den  Preis  einer  gewaltigen  Summe 
den  Zutritt  zu  den  Ehren,  die  er  schon  früher  innegehabt, 
wieder  verschaft'te.  Wenn  man  aber  fragt,  für  wie  viel  er 
das  erkauft  habe,  so  wende  man  sich  an  diejenigen,  die 
lai  wissen,  wie  viel  eine  (Gottheit  kostet.  Ich  gestehe,  dass  sie 
für  mich  nur  wenig  Wert  hat.  So  wurde  nun  Ollerus  von 
Othinus  aus  Hizantium  vertrieben  und  ging  nach  Schweden, 
wo  er  bei  seinem  Bemühen,  hier  wie  in  einer  neuen  Welt  ein 
neues  Denkmal  seines  Ruhmes  zu  begründen,  von  den  Dänen 
getötet   wurde.     Es  geht  die  Sage,  dass  er  in  der  Zauberei 

(I,  S.  88  9):  beide  (fottheitcn  bezeichnen  einen  Krsatz  oder  eine  Ergänzung 
Odins  während  des  Winters.  Vgl.  über  UUr  Mogk  im  Grundr.  KL  W9, 
K.  H.  Mever  S.  258,  (Jolthor  S.  390. 


Othinus   u.   OUerus.     Bous.  131 

SO  erfahren  var,  dass  er  bei  der  Ueberfabrt  Qber  Meere  sich 
eines  Knochens,  den  er  mit  schrecklichen  Zauberformeln  be-  82 
zeichnet  hatte,  als  Fahrzeug  bediente,  und  dass  er  mit  diesem 
ebenso    gut,    wie  in    einem  Ruderboote  die    hindernden  Ge- 
wässer vor  ihm  überschritten  habe^). 

Seit  aber  Othinus  die  Abzeichen  seiner  Göttlichkeit 
wiedergewonnen,  strahlte  er  in  allen  Teilen  der  Erde  in 
solchem  Glänze,  dass  ihn  alle  Völker  wie  das  auf  die  Welt 
zurückgekehrte  Licht  begrüssten,  und  dass  es  keinen  Ort  auf 
dem  Erdenrund  gab,  der  nicht  seinem  mächtigen  Walten  ge- 
horcht hätte.  Als  er  nun  merkte,  dass  sein  Sohn  Bous^), 
den  er  von  Rinda  bekommen  hatte,  von  Eifer  für  Kriegs- 
thaten  erfüllt  sei,  rief  er  ihn  zu  sich  und  hiess  ihn  der  Er- 
mordung seines  Bruders  gedenken;  er  solle  lieber  erst  au 
Bälde rus'  Mörder  Rache  nehmen,  ehe  er  Unschuldige  mit 
seinen  Waffen  bedränge.  Denn  ein  Kampf  sei  immer  am 
besten  angebracht  und  am  zuträglichsten,  wenn  das  Bedürfnis 
nach  einer  gerechten  Rache  eine  wohlgefällige  Gelegenheit 
zum  Kriege  biete. 

Unterdessen  kam  die  Nachricht,  dass  Gewarus  durch 
die  Heimtücke  seines  Statthalters  Gunno  getötet  worden  sei. 
Um  nun  seine  Ermordung  mit  den  schärfsten  Mitteln  zu  rächen, 
fing  Hotherus  Gunno,  warf  ihn  auf  einen  flammenden  Scheiter- 
haufen und  verbrannte  ihn.  Denn  dieser  hatte  selbst  vorher 
den  Gewarus  hinterlistig  überrascht  und  bei  Nacht  lebendig 
verbrannt*).     In  dieser  Weise  schaffte  er  den  Manen  seines 


')  Saxo  scheint  hier  zweierlei  zu  vermengen.  Ullr  gilt  als  vorzüg- 
lieber  Schneeschtihläufer,  und  so  ist  bei  dem  Knochen  wohl  an  die  ursprüng- 
lich daraus  gefertigten  Schlitt-  oder  Schneeschuhe  zu  denken ;  eine  andere 
Sage  berichtet  dagegen,  dass  einst  der  Gott  auf  seinem  Schilde  übers 
Meer  gefahren  sei;  daher  nennen  die  Skalden  den  Schild  ,Ullrs  Schi£fS 

')  Nach  isländischer  Ueberlieferung  heisst  der  Sohn  Odins  und  Kinds 
nicht  so,  sondern  Wäli;  vgl.  der  Seherin  Weissagung  Str.  33  (=  Gerings 
Edda  S.  9  und  Anm.  2)  und  Baldrs  Träume  Str.  11  (Genug  S.  17). 

*)  Dieses  grausame  Verfahren  war  ziemlich  allgemein  üblich;  vgl. 
den  Untergang Hrolfs,  Ende  des  IL  B. ;  Hamlets  Rache  am  Schluss  des  TTT.  B. ; 
den  Fall  Frodes  des  Kühnen  i.  VL,  die  Bache  des  Jarmericus  i.  YUI.  Buche. 

9* 


132  Drittes  Buch. 

Erziehers  Sühüe  und  übertrug  dann  seinen  Söhnen  Herletus 
und  Geritns  die  Herrschaft  über  Norwegen. 

Darnach  berief  er  die  Grossen  zu  einer  Versammlung 
und  verkündete,  daiss  er  in  dem  Kriege,  den  er  gegen  Bous 
führen  müsste,  fallen  werde;  und  zwar  sei  ihm  dies  nicht 
aus  zweifelhaften  Vermutungen,  sondern  aas  wahren  Prophe- 
zeiungen von  Sehern  bekannt.  Sodann  bat  er,  seinem  Sohne 
Koricus^)  die  Herrschaft  zu  übertragen,  damit  nicht  dieses 
Recht  durch  Stimmen  schlechter  Bürger  auf  fremde  und  un- 
bekaunte  Familien  überginge;  er  versicherte  auch,  er  würde 
über  die  Nachfolge  seines  Sohnes  mehr  Freude  empfinden  als 
Kummer  über  seinen  bevorstehenden  Tod.    Diese  Bitte  wurde 

182  ihm  schnell  erfüllt;  dann  traf  er  mit  Bous  im  Kampfe  zu- 
sammen und  fiel.  Aber  auch  für  Bous  war  der  Sieg  keine 
Freude.  Denn  er  verliess  so  schwer  verwundet  die  Schlacht, 
dass  ar  auf  einen  Schild  gelegt  und  von  abwechselnd  tragenden 
Soldaten  nach  Hause  geschafft  werden  musste,  wo  er  am 
folgenden  Tage  den  Schmerzen  seiner  Wunden  erlag.  Seine 
Leiche  setzte  das  nitenische  Heer  unter  grossem  Gepränge 
bei  und  errichtete  ihm  einen  mächtigen  Grabhügel  mit  seinem 
Namen,  damit  nicht  das  Andenken  an  einen  so  hervorragenden 
Jüngling  allzuschnell  dem  Gedächtnis  der  Nachwelt  ent- 
schwinde*). 

Die  Kurländer  und  Schweden  beschlossen  nun,  gleich  aln 
ob  sie  durch  des  Hotherus  Tod  von  der  Tributpflichtigkeit 
befreit  wären,  Dänemark  bewaffnet  anzugreifen,  dessen  Ober- 
herrschaft sie  sonst  durch  jährliehe  Zölle  und  Abgaben  an- 

88  zuerkennen  pflegten.  Dieser  Umstand  flösste  auch  den  Slaven 
Mut  zum  Abfall  ein  und  machte  noch  mehrere  andere  Völker- 
schaften  aus    ünterthanen  zu   Feinden').     Um   diese  Gefahr 


*)  Diese  Reihenfolge  stimmt  mit  anderen  dänischen  Königs verzeioh* 
ntMen  üherein. 

-'j '  ■*)«Man  hat  vergeblich  versucht,  die  Lage  dieses  Hügels  genauer  rti 
bestimmet^. 

^uf  'jiJl^iMl^r  Slaven-  oder  Wendenkrieg  des  Rörik  macht  einen  ziemlich 
nM>4eiM<i)'  ijklMidruck.  Wahrscheinlich  hat  hier  Saxo  Ereignisse  seiner 
eig9ti«Al  3<it  /auf  jenen   alten   Fürsten  übertragen :    vgl.  die  ganz  ähnlich 


Tod  des  Hotherus.     Roricus;  sein  Slavenkrieg.  133 

abzuwehren,  berief  Rbricus  sein  Vaterland  unter  die  Waffen, 
erinnerte  an  die  Thaten  der  Ahnen  und  spornte  durch  ein- 
dringliche Ermahnung  an,  sich  tüchtig  zu  enteisen.  Die 
Barbaren  aber  erkannten,  dass  ein  Leiter  nötig  sei,  und  hatten, 
um  den  Krieg  nicht  ohne  Feldherrn  zu  fuhren,  sich  einen 
König  erwählt;  sodann  entfalteten  sie  alle  ihre  übrigen  Streit^ 
kräfte,  verbargen  aber  zwei  Abteilungen  Bewaffneter  an  einer 
etwas  versteckten  Stelle.  Roricus  Hess  sich  jedoch  durch  den 
Hinterhalt  nicht  täuschen.  Als  er  seine  Flotte  in  einem  engen 
Schlünde  mit  seichter  Strömung  festsitzen  sah,  Hess  er  sie 
von  den  Sandbänken,  auf  die  sie  aufgelaufen  war,  herabziehen 
und  aufs  hohe  Meer  fahren,  damit  sie  nicht  in  die  sumpfigen 
Untiefen  geriete  und  von  den  Feinden  von  verschiedenen 
Seiten  angegriffen  werde.  Ausserdem  Hess  er  seine  Genossen 
bei  Tage  Schlupfwinkel  aufsuchen,  von  denen  aus  sie  unver- 
sehens die  Augreifer  ihrer  Schiffe  überfallen  könnten;  er  sagte 
schon  von  vornherein,  dass  vielleicht  die  Folgen  von  des 
Feindes  List  dessen  eigenes  Haupt  treffen  würden.  Die  Bar- 
baren aber,  die  an  dem  Hinterhalt  beteiligt  waren,  ahnten 
nichts  von  der  Umsieht  der  Dänen,  machten  unbesonnen  einen 
Angriff  und  wurden  alle  erschlagen.  Die  übrige  Schar  der 
Slaven,  welche  nichts  von  der  Niederlage  der  Gefährten 
wusste,  war  voller  Verwunderung  und  in  zweifelnder  Unge- 
wissheit  über  des  Roricus  langes  Zögern.  Als  sie  eine  Zeit 
lang  unter  Bekümmernis  und  schwankenden  Erwägungen  auf 
ihn  gewartet  hatten,  beschlossen  sie,  als  das  Hinziehen  von 
Tag  zu  Tag  lästiger  wurde,  ihn  mit  der  Flotte  anzugreifen. 
Es  war  nun  unter  ihnen  ein  Mann,  ausgezeichnet  durch 
seinen  Körperbau,  von  Beruf  ein  Magier.  Als  dieser  die 
Scharen  der  Dänen  erblickte,  rief  er  aus,  es  sei  doch  möglich, 
durch  einen  Einzelkampf  einem  allgemeinen  Gemetzel  vorzu-  133 
beugen,  damit  durch  die  Aufopferung  einiger  weniger  die 
Gefahr  der  Gesamtheit  losgekauft  werde.  Ich  nun  will  mich, 
fuhr  er  fort,  dieser  Art  des  Kampfes  nicht  entziehen,  wenn 


gehalteneQ  geschichtlichen  Schilderungen   aus  der  Zeit  Waidemars  I.   im 
Buch  XIV,  511,  580,  589  ff.  (Holder). 


134  Drittes  Buch. 

jemand  auf  eurer  Seite  den  Wagemut  fühlt,  mit  mir  um  die 
Entseheidung  zu  streiten.  Vor  allem  aber  verlange  ich,  dass 
ihr  auf  die  von  mir  vorgeschlagenen  Bedingungen  eingeht, 
deren  Inhalt  ich  folgendermassen  zusammenfasse:  Wenn  ich 
siege,  yfird  uns  Freiheit  von  Abgaben  gewährt;  wenn  ich 
besiegt  werde,  wird  euch  von  uns  der  bisherige  Tribut  gezahlt. 
Denn  heut  will  ich  entweder  als  Sieger  mein  Vaterland  von 
dem  Joche  der  Knechtschaft  befreien,  oder  als  Besiegter  es 
ihm  auferlegen.  Für  jeden  Fall  nehmt  mich  als  Bürgen  und 
Unterpfand.  —  Auf  diese  Rede  hin  fragte  einer  von  den 
Dänen,  dessen  Mut  grösser  war  als  seine  Körperkräfte,  den 
Roricus,  welche  Belohnung  der  bekomme,  der  den  Heraus- 
forderer im  Kampfe  bestünde.  Roricus  hesass  nun  sechs 
Armspangen,  die  so  mit  ihren  Windungen  verschlungen  waren, 
dass  sie  nicht  von  einander  getrennt  werden  konnten,  da  die 
Reihe  der  Verbindungspunkte  unlöslich  mit  einander  zu- 
sammenhing; diese  versprach  er  dem,  der  den  Kampf  wagen 
84  würde,  als  Belohnung.  Der  Jüngling  aber,  nicht  ganz  seiner 
Sache  sicher,  sprach  ^):  Wenn  ich  die  That  glücklich  vollbringe, 
Roricus,  so  möge  deine  Grossmut  den  Lohn  für  den  Sieg 
abschätzen,  und  du  magst  als  Schiedsrichter  den  Siegespreis 
abmessen;  wenn  mir  aber  mein  Vorhaben  wider  meinen 
Wunsch  ausföllt,  welchen  Lohn  schuldest  du  da  dem  Besiegten, 
den  grauser  Tod  oder  schwere  Schande  umfängt?  Das  pflegen 
ja  die  Begleiter  der  Schwachheit,  das  die  Belohnungen  der 
Ueberwundenen  zu  sein.  Denn  was  harrt  ihrer  denn  als  die 
äusserste  Schmach?  Was  für  ein  Lohn  ist  dem  zu  zahlen, 
was  für  ein  Dank  dem  abzustatten,  dem  der  Preis  der  Tapfer- 
keit fehlt?  Wer  hat  je  einen  Machtlosen  im  Kampfe  mit 
Epheu  bekränzt,  wer  ihn  mit  Siegeszeichen  geschmückt?  Der 
Tüchtigkeit,  nicht  der  Feigheit  erteilt  man  die  Palme.  Das 
Unglück  hat  keinen  Ruhm.  Denn  jener  folgt  ein  ehrenvoller 
Triumph,  dieser  ein  übles  Ende  oder  ein  schmachvolles  Leben. 
Ich  aber,  der  ich  noch  im  Zweifel  bin,  für  wen  sich  das  Glück 
des  Kampfes  entscheidet,  masse  mir  nicht  an,  keck  den  Preis 


')  Vgl.  8.  60  Anm.  2. 


8ie$^  der  Slaveo  in  einem  Zweikampfe.  135 

ZU  begehren,  weil  ich  nicht  weiss,  ob  er  mir  mit  Recht  ge- 
hören wird.  Darf  doch  keiner,  dem  der  Sieg  noch  ungewiss  ^ 
ist,  ein  gewisses  Siegeszeichen  annehmen.  Ich  unterlasse  es, 
da  ich  des  Siegerkranzes  noch  nicht  sicher  bin,  hartnäckig 
das  Verdienst  dieser  Trophäe  für  mich  in  Anspruch  zu  nehmen. 
Ich  weise  den  Gewinn  ab,  der  mir  ebenso  gut  der  Preis  für 
meinen  Tod  wie  für  mein  Leben  sein  kann.  Thöricht  ist  es, 
die  Hand  nach  einer  unreifen  Frucht  auszustrecken  und  sie 
pflücken  zu  wollen,  noch  ehe  man  genau  weiss,  ob  sie  einem 
bestimmt  ist.  Diese  Hand  wird  mir  den  Siegespreis  einbringen  134 
oder  den  Tod.  —  Nach  diesen  Worten  schlug  er  den  Barbaren 
mit  dem  Schwerte,  aber  das  Glück  war  ihm  weniger  zu  Willen 
als  sein  Mut.  Denn  als  jener  den  Angriff  erwiderte,  starb 
er  unter  der  Wucht  des  ersten  Hiebes.  Das  gab  nun  für  die 
Dänen  ein  trauriges  Schauspiel;  die  Slaven  aber  beschenkten 
ihren  siegreichen  Genossen  unter  gewaltigem  Prunk  und 
empfingen  ihn  mit  prächtigen  Siegestänzen  ^).  Derselbe 
Krieger  aber  kam  am  nächsten  Tage,  aufgeblasen  über  den 
Erfolg  seines  jüngsten  Sieges  oder  auch  in  der  Absicht,  einen 
zweiten  zu  erringen,  ganz  nahe  an  das  Lager  der  Feinde  und 
begann  sie  wiederum  mit  den  Worten  seiner  früheren  Heraus- 
forderung zu  reizen.  Denn  er  bildete  sich  ein,  er  habe  nun 
den  tapfersten  von  allen  Dänen  niedergestreckt,  und  glaubte, 
niemand  habe  mehr  Mut,  noch  einmal  von  ihm  eine  Heraus- 
forderung zum  Zweikampfe  anzunehmen.  Er  vertraute  näm- 
lich darauf,  dass  er  durch  die  Besiegung  dieses  einen  Kämpfers 
die  Kraft  des  ganzen  Heeres  erschüttert  habe,  und  meinte, 
er  habe  keine  Schwierigkeiten  mehr  mit  denen,  auf  die  seine 
späteren  Versuche  zielten.  Nichts  nährt  ja  Anmassung  mehr 
als  Erfolg,  und  das  wirksamste  Reizmittel  für  den  Hochmut 
ist  ja  Glück. 

Es  kränkte  natürlich  Roricus,  dass  die  Unverschämtheit 
eines  einzigen  Mannes  das  Ansehen  seines  Staates  ins  Wanken 
brachte,  und  dass  die  einst  Unterworfenen  den  siegberühmten 
Dänen  nicht  nur  frech,   sondern  sogar  mit  Verachtung   be- 

*)  Dieselben  Freudenbezeugungen  werden  von  den  Dänen  berichtet 
B.  IV,  117  und  VI,  188  (Holder). 


136  Drittes  Buch. 

gegneten;  ausserdem  aber  auch,  dass  $ich  unter  der  grossen 
M  Zahl  seiner  Krieger  kein  so  heldenmütiger  und  starker  Mann 
finden  Hess,  der  Lust  verspürte,  sein  Leben  fürs  Vaterland 
aufs  Spiel  zu  setzen.  Ubbos  Hochherzigkeit  machte  zuerst 
der  Schmach  dieses  schändlichen  Zögems  der  Dänen  ein  Ende. 
Dieser  zeichnete  sich  durch  seine  Körperkraft  aus  und  war 
auch  in  Zauberkünsten  gewandt  Auch  er  fragte  absichtlich 
nach  dem  Lohn  für  den  Kampf,  und  der  König  verhiess  ihm 
wieder  die  Armspangen.  Darauf  sprach  jener:  Wie  kann  ich 
deinem  Versprechen  Glauben  schenken,  wenn  du  das  Unter- 
pfand selbst  in  den  Händen  hast  und  die  Gabe  nicht  der 
Obhut  eines  andern  übergiebst?  Es  sollte  jemand  da  sein, 
dem  du  das  Pfand  anvertraust,  damit  du  kein  Recht  mehr 
hast,  das  Versprechen  zurückzunehmen.  Denn  die  unwiderruf- 
liche Sicherheit  des  Preises  entflammt  den  Mut  der  Kämpfer.  — 
Dass  er  dies  in  der  That  nur  zum  Scherz  gesagt  hatte,  war 
sicher,  da  ihm  seine  Mannhaftigkeit  allein  die  Waffen  zur 
Abwehr  der  Schmach  seines  Vaterlandes  in  die  Hand  gegeben 
hatte.  Roricus  aber  meinte,  er  sei  von  Gier  nach  dem  Golde 
ergriffen  und  wollte  nicht  den  Schein  erwecken,  als  ob  er, 
königlicher  Sitte  entgegen,  sein  Geschenk  zurücknehmen  oder 
sein  Versprechen  widerrufen  wolle.  Daher  beabsichtigte  er, 
auf  dem  Schiffe  stehend,  wie  er  war,  das  Armband  dem  Be- 
werber hinzuwerfen  und  schleuderte  es  mit  gewaltigem 
Schwünge.  Aber  der  weite  Zwischenraum  machte  seine  Ab- 
sicht zu  nichte.  Denn  das  Armband  fiel,  da  es  zu  langsam 
und  nicht  kräftig  genug  flog,  vor  dem  bestimmten  Ziel  nieder 
und  ward  von  den  Fluten  verschlungen.  Daher  erwuchs 
Roricus  der  Beiname  Slyngebond*).  Dieser  Umstand  aber 
186  gab  einen  trefflichen  Beweis  für  Ubbos  Wackerkeit.  Denn 
der  Verlust  des  versunkenen  Preises  brachte  ihn  von  seinem 
kühnen  Entschlüsse  nicht  ab,  damit  es  nicht  scheine,  als  ob 
er  seine  Tapferkeit  von  der  Befriedigung  seiner  Habgier  ab- 
hängig gemacht  habe.  Daher  verlangte  er  eifrig  nach  dem 
Kampfe  und  zeigte,  dass  er.weit  mehr  von  Ehrgeiz  als  Er- 


*)  D.  h.  Rin^üchlcudcrcr  (altord.  Blöng\'aiibaugi). 


Ubbos  Kampf.    Horwendillus.  137 

werbssucht  beseelt,  die  Tapferkeit  der  Geldgier  vorziehe;  er 
wollte  beweisen,  dass  seine  Zuversicht  nicht  in  der  Hoffiiung 
auf  den  Kampf  preis,  sondern  in  seiner  Hochherzigkeit  be- 
gründet sei.  Und  ohne  Verzug  wird  der  Kampfplatz  abge- 
steckt^), der  Umkreis  füllt  sich  mit  Kriegern,  die  Kämpfer 
stürzen  auf  einander  los,  ein  Getöse  erhebt  sich,  die  Schar 
der  Zuschauer  lärmt,  uneinig  über  das  Ziel  ihrer  Wünsche. 
Die  Kämpen  erhitzen  sich  mehr  und  mehr  in  ihrer  Wut,  und 
während  sie  unter  den  gegenseitig  beigebrachten  W^unden 
niedersinken,  wird  ihnen  mit  dem  Ende  des  Kampfes  zugleich 
das  ihres  Lebens  bestimmt;  das  Schicksal,  glaube  ich,  sorgte 
dafür,  dass  keiner  von  ihnen  über  den  Tod  des  andern  Freude 
haben  oder  Ruhm  dadurch  ernten  konnte.  Dieser  Umstand 
versöhnte  die  Abtrünnigen  wieder  mit  Roricus  und  gewann 
ihm  auch  den  Tribut  wieder. 

Zu  derselben  Zeit  wurden  Horwendillus*)  und  Fengo, 
deren  Vater  Gerwendillus  Statthalter  in  Jütland  gewesen, 
an  dessen  Stelle  von  Roricus  zur  Verwaltung  dieses  Landes 
ausersehen.  Horwendillus  aber  hatte  sich  nach  dreijähriger 
Herrschaft  aus  höchstem  Ehrgeiz  dem  Wikingerleben  gewidmet, 
als  C  0  1 1  e  r  u  s  ^) ,  der  König  von  Norwegen ,  voll  Eifersucht  186 
über  die  Grösse  seiner  Macht  und  seines  Ruhmes  zu  der  An- 
sicht kam,  dass  es  für  ihn  ehrenvoll  sein  würde,  wenn  er  den  86 
soweit  reichenden  Ruhmesglanz  des  Wikings  durch  die  Ueber- 
legenheit  seiner  Waffen  verdunkeln  könnte.  Er  suchte  seine 
Flotte  auf  und  begegnete  ihr  auch  nach  verschiedenen  Kreuzungs- 
fahrten auf  dem  Meere.    Es  lag  eine  Insel  mitten  in  der  See, 


')  Vgl.  hierzu  die  S.  59  in  Adoi.  1  angegebene  Litteralur. 

*)  Dieser  Käme  entspricht  dem  eddischen  Aurwandili,  einem  Kiesen, 
(Gering  S.  360/61)  und  dem  hochdeutschen  Grendel.  Dieser  scheint  ur- 
Bprünglich  der  Held  einer  Schiffer-  und  Heimkehrsage  zu  sein,  die  zugleich 
auf  naturmythischem  Untergrunde  ruht.  Orendel  wäre  dann  eine  sommer- 
liche Gottheit,  die  während  des  Winters  in  die  Gewalt  der  Reifncsen 
gerät  und  bei  Beginn  der  guten  Jahreszeit  ihnen  wieder  entrinnt  und 
heimkehrt.  Vgl.  über  die  Sage  Symons  im  Grundr.  *  111,  S.  731  —  Der 
Name  Fengo  begegnet  sonst  nicht. 

*)  Ueber  Collerus  siehe  Anm.  2  8.  53.  Eben  diesen  Namen  und  seine 
Deutung  (als  ,kalt^?)  führt  man  u.  a.  für  die  naturmythische  Deutung  der 
Sage  an. 


13s  Drittes  Buch. 

welche  die  beideu  Wikinger  besetzten,  nachdem  sie  ihre  Schiflfe, 
jeder  an  einer  Seite,  verankert  hatten.  Das  freundliche  Aus- 
sehen des  Strandes  lockte  die  Fürsten  ^) ;  die  äussere  Anmut 
der  Gegend  lud  sie  ein,  auch  das  frQhlingssehöne  Innere  der 
Haine  anzusehen,  die  Höhen  zu  überschreiten  und  das  geheimnis- 
vtille  Dickicht  der  Wälder  zu  durchstreifen.  Das  Vordringen 
dort  führte  zu  einer  zufälligen  Begegnung  zwischen  Horwen- 
dillus  und  €ollerus  ohne  Zeugen.  Da  bemühte  sich  Horwen- 
dillus  zuerst,  von  dem  Könige  zu  erkunden,  welche  Art  von 
Entscheidungskampf  ihm  beliebe,  und  er  versicherte  zugleich, 
das  sei  der  beste,  der  mit  Hilfe  der  wenigsten  Männer  aus- 
gefochten  würde.  Ein  Zweikampf  würde  also,  um  den  Preis 
der  Tapferkeit  zu  erhalten,  wirksamer  sein  als  jede  andere 
Art  Streit,  weil  ein  solcher  nur  auf  eigener  Tüchtigkeit  beruhe 
und  die  Beihilfe  fremder  Hände  ausschliesse  *).  Collerus 
bewunderte  diese  mutige  Gesinnung  des  Jünglings  und  sagte: 
Da  du  mir  die  Wahl  der  Kampfesart  überlässt,  möchte  ich 
am  liebsten  die  anwenden,  welche  ohne  äusseren  Lärm  nur 
die  Thätigkeit  von  uns  beiden  erfordert.  Sicherlich  gilt  diese 
auch  als  die  kühnste  und  führt  am  schnellsten  zum  Siege. 
In  diesem  Punkte  ist  unsere  Auffassung  gleich  und  wir 
stimmen  von  selbst  in  unseren  Ansichten  überein.  Da  nun 
aber  der  Ausgang  zweifelhaft  ist,  so  müssen  wir  auch  gegen- 
seitig der  Menschlichkeit  Rechnung  tragen  und  dürfen  nicht 
so  sehr  unseren  Leidenschaften  die  Zügel  schiessen  lassen,  dass 
auch  die  letzten  Pflichten  vernachlässigt  würden.  Hass  erfüllt 
unsere  Gemüter;  doch  auch  Milde  möge  walten,  die  nun  ein- 
mal zu  passender  Zeit  der  Härte  folgen  muss.  Denn  wenn 
uns  auch  die  Verschiedenheit  unserer  Gesinnung  scheidet,  so 
137  vereinen  uns  doch  die  Rechte  der  Natur.  Ihr  gemeinsames 
Band  knüpft  uns  aneinander,  wie  grosser  Hass  uns  auch 
trennt.     Für    uns  gelte  also  dies  Gebot   der   Menschenliebe, 


M  Diese  Schilderunfi^  von  Natur  und  Stimmungr  verrät  »ich  als  jüngere 
Zuthat.  da  dergleichen  in  alten,  rein  skandinavischen  Quollen  nirgends 
begegnet,     (Müller  I,  l  S.  136,  2  und  Olrik  II,  l.'>7.) 

*)  Das  ist  also  ein  Holmgang  im  eigentlichsten  Sinne;  siehe  oben 
S.  59  Anm.  1. 


Horwendillus  und  CoUerus.  139 

dass  der  Sieger  dem  Besiegten  eine  Leichenfeier  veranstalte. 
Darin  bestehen  ja  anerkanntermassen  die  letzten  Pflichten  der 
Menschlichkeit,  denen  sich  kein  frommer  Mann  entzieht.  Beide 
Heere  sollen  diese  Pflicht  einträchtig  erfüllen  und  die  Feind- 
schaft ruhen  lassen.  Es  schwinde  nach  dem  Tode  die  Feind- 
seligkeit, und  die  Eifersucht  ruhe  im  Grabe.  Ferne  sei  von 
uns  eine  solche  Grausamkeit,  dass  einer  noch  des  andern 
Asche  verfolge,  wenngleich  uns  im  Leben  Hass  erfüllte.  Rühm- 
lich wird  es  für  den  Sieger  sein,  wenn  er  dem  Besiegten  eine 
prächtige  Leichenfeier  gewährt.  Denn  wer  an  dem  gefallenen 
Feinde  die  schuldigen  Pflichten  erfüllt,  der  erwirbt  sich  die 
Gunst  der  Mitwelt,  und  es  gewinnt  sich  durch  seine  Güte 
die  Lebenden  jeder,  der  an  einem  Toten  eifrig  seine  Mensch- 
lichkeit bethätigt.  Es  giebt  aber  noch  ein  anderes,  nicht 
weniger  beklagenswertes  Unglück,  welches  uns,  auch  wenn 
wir  am  Leben  bleiben,  zustossen  kann,  der  Verlust  eines 
Körperteils.  Dabei  müssen  wir  uns,  glaube  ich,  ebenso  eifrig 
Hilfe  leisten  wie  im  allerschlimmsten  Falle.  Denn  oft  erleidet 
man  im  Kampfe,  wenn  man  mit  dem  Leben  davon  kommt, 
eine  Verstümmelung  der  Glieder;  und  dieses  Los  pflegt  man  S7 
für  trauriger  als  jedes  andere  Geschick  zu  halten,  weil  ja  der 
Tod  die  Erinnerung  an  alles  tilgt,  der  Ueberlebende  aber  die 
Verkrüppelung  des  eigenen  Körpers  nicht  unbeachtet  lassen 
kann.  Auch  solch  einem  Uebel  müssen  wir  mit  einer  Hilfe- 
leistung begegnen.  Darum  wollen  wir  beschliessen,  dass  die 
Verstümmelung  des  einen  von  dem  andern  mit  zehn  Tsilenten 
Goldes  vergolten  werde  ^).  Denn  wenn  es  menschlich  ist,  mit 
dem  Unglück  anderer  Mitgefühl  zu  haben,  um  wieviel  mehr 
dürfen  wir  uns  da  nicht  über  unser  eigenes  erbarmen?  Jeder 
gehorcht  der  Natur;  wer  sie  verachtet,  ist  sein  eigener  Mörder. 


^)  Saxo  setzt  seinem  Brauche  gemäss  auch  das  antike  Talent  statt 
der  heimischen  Mark  oder  des  Pfundes  ein  (vgl.  Weinhold  S.  118  über 
Geld).  —  Die  menschonfrenndliche  Abmachung  ist  wohl  übrigens  nur  ein 
Hissverständniss  eines  alten  Brauches,  wonach  der  am  schwersten  Ver- 
wundete sein  Leben  durch  eine  bestimmte  Summe  von  dem  andern  zu 
lösen  hat  (holmlausn).     8.  Wein  hold  a.  a.  0.  S.  300. 


140  Drittes  Buch. 

Diese  BedinguDgen  beschworen  sie  gegenseitig  und  be> 
gaanen  dann  den  Kampf.  Denn  weder  das  Ungewöhnliche 
bei  ihrer  beiderseitigen  Begegnung  noch  die  Anmut  des  lenz- 
grunen  Platzes  berücksichtigten  sie,  dass  sie  sich  etwa  weniger 
scharf  mit  den  Schwertern  zugesetzt  hätten.  Horwendillus 
war  in  allzugrosser  Kampfeshitze  mehr  darauf  bedacht,  den 
Feind  anzugreifen  als  sich  selbst  zu  schützen,  beachtete  seinen 
Schild  gar  nicht  und  hatte  mit  beiden  Händen  sein  Schwert 
gefasst.  Dieser  Kühnheit  fehlte  auch  nicht  der  Erfolg.  Denn 
er  beraubte  auch  Celle rus  seines  Schildes,  der  unter  seinen 
dichten  Hieben  schwand,  schlug  ihm  zuletzt  einen  Fuss  ab 
138  und  streckte  ihn  leblos  zu  Boden.  Um  seine  Verabredung 
nicht  zu  brechen,  bestattete  er  ihn  mit  königlichem  Gepränge 
in  einem  Hügel  von  hervorragender  Form  und  ehrte  ihn  durch 
eine  glänzend  zugerüstete  Leichenfeier.  Dann  verfolgte  er 
seine  Schwester,  Namens  Sela,  die  mit  dem  Wikingerleben 
vertraut  und  im  Kriegsdienst  erfahren  war  ^),  und  erschlug  sie. 

Drei  Jahre  verbrachte  er  unter  den  tapfersten  Kriegs- 
thaten  und  bestimmte  die  wertvollsten  Trophäen  und  die  aus- 
erlesenste Beute  für  Roricus,  um  sich  einen  noch  höheren 
Grad  seiner  Freundschaft  zu  erwerben.  Infolge  ihres  ver- 
trauten Verhältnisses  erhielt  er  dessen  Tochter  Gerutha^ 
zur  Ehe  und  bekam  von  ihr  einen  Sohn,  Amlethus*). 

»)  Vgl.  Anm.  5  auf  S.  63. 

*)  D.  i.  Gertrud  (isl.  (Teir|>rüdr). 

*)  Die  Horwendilhissage  bildete  die  Einleitung  zu  der  jetzt  folgenden 
Hamletsage.  Saxos  Darstellung  ist  die  einzige  alte,  die  sie  uns  erhalten 
hat,  aus  ihr  hat  Shakespeare,  wenn  auch  nur  mittelbar,  den  Stoff  zu 
seiner  Tragödie  entnommen.  Sonst  kennen  wir  nur  noch  zwei  junge 
isländische  Bearbeitungen  aus  dem  17.  Jahrhundert,  die  eine  eine  lieber* 
Setzung  aus  Saxo,  die  andere  (in  mehreren  Handschriften)  eine  freie 
Nachdichtung  über  denselben  Grundtext.  Der  Name  des  Helden  ist 
übrigens  in  den  skandina^dschen  Sprachen  ein  Appellativum  (neuisl.  amIoOi, 
norw.  amlo,  altschwed.  amblodhe)  mit  der  Bedeutung  Narr,  Geck,  Dumm- 
kopf. —  Eine  ausführliche  Inhaltsangabe  jener  jungen  isländischen 
Nachdichtung  giebt  Jiriczek  in  den  Germanistischen  Abhandlungen 
(hrsg.  V.  Vogt)  Heft  XIL  S.  59  ff.  (Breslau  1896).  Eine  Ausgabe  des  isl. 
Textes  der  einen  Handschrift  zugleich  mit  einer  englischen  Uebersetzung 
bietet  Israel  GoUancz'  „Hamlet  in  Iceland"*,  London  1898;  voran  geht  dieser 


Sieg  des  Horwendillus.     Fengo.  141 

Aus  Neid  über  ein  solches  Glück  beschloss  nun  Fengo 
gegen  seinen  Bruder  Ränke  zu  schmieden.  So  wenig  ist 
also  die  Tüchtigkeit  sogar  vor  Verwandten  sicher.  Sobald 
ihm  daher  eine  Gelegenheit  zum  Brudermorde  gegeben  war, 
stillte  er  die  wilde  Gier  seines  Herzens  mit  blutiger  Hand. 
Dann  bemächtigte  er  sich  auch  der  Gattiu  seines  hinge- 
schlachteten Bruders  und  fügte  so  noch  die  Blutschande  zum 
Brudermorde.  Dena  wer  sich  einmal  zu  einem  Verbrechen 
herbeigelassen  hat,  der  verfällt  bald  gar  rasch  auf  ein  anderes; 
denn  eins  ist  immer  die  Triebfeder  zum  anderuw  Zugleich 
wttsste  er  aber  seine  grausig«  That  mit  so  kecker  Schlauheit 
zu  verschleiern,  dass  er  sich  eine  Entschuldigung  seines  Ver- 
brechens zurecht  legte,  indem  er  Wohlwollen  erheuchelte,  und 
seinen  Brudermord  durch  die  Bezeichnung  als  Liebespflicht 
zu  beschönigen  suchte.  Denn  er  behauptete,  dass  Gerutha, 
obwohl  sie  so  weicbmütig  war,  dass  nie  niemandem  auch  nur 
die  leiseste  Kränkung  zufügte,  doch  den  grimmigsten  Hass 
von  ihrem  Gatten  erfahren  habe;  nur  um  sie  zu  retten,  habe 
er  seinen  Bruder  getötet  weil  ja  augenscheinlich  die  sanfteste 
der  Frauen,  ein  Weib  ohne  Galle,  Unverdientermassen  unter 
dem  Grolle  ihres  Mannes  zu  leiden  hatte.  Diese  Ausrede 
verfehlte  auch  nicht  ihre  Wirkung.  Denn  bei  Fürsten,  bei  88 
denen  ja  mitunter  Possenreissern  Gnade  und  Verleumdern 
£hre  erwiesen  wird,  fehlt  es  auch  der  Lüge  nicht  an  Glauben. 
Fengo  aber  trug  kein  Bedenken  mit  seinen  von  Bruderblut 
besudelten  Händen  die  schmachvolle  Umarmung  zu  vollziehen, 
und  so  lud  er  mit  gleicher  Ruchlosigkeit  die  Schuld  einer 
doppelten  Nichtswürdigkeit  auf  sich. 

Als  Amlethus  das  sah,  stellte  er  sich  blödsinnig,  um 
sich  nicht  durch  zu  kluges  Benehmen  beim  Oheim  verdächtiii; 
zu  machen;  er  erheuchelte  das  äusserste  Gemütsleiden  und 
verbarg  durch  diese  Art  Schlauheit  nicht  bloss  seine  Ab- 
sichten, sondern  schützte  auch  sein  Leben.  Täglich  verweilte 
er,  von  Unsauberkeit  starrend,  im  Hause  seiner  Mutter,  warf 

Ausgabe  eine  ausführliche  Abhandlung  über  die  Sage.  Ucber  diese  vgl. 
ferner  £lton'8  „Note  on  Saxo's  Hamlet"  in  seiner  Uebersetzung  Saxos  S.  398. 
I>etter  i.  d.  Zeitschr.  f.  deutsch.  Altert  36,    1  ff .  und.A.  Olrik  II,    158»*. 


142  Dritte«  Buch. 

sieb  ZU  Boden  und  beschmierte  sieb  abscheulieh  mit  Kot  und 
Schmutz.  Die  entstellte  Farbe  seines  Aeusseren,  sein  mit 
Unflat  besudeltes  Gesicht  verrieten  den  Wahnsinn  in  seinen 
139  lächerlichen  Thorheiten.  Was  er  sprach,  stimmte  zu  dieser 
Verrücktheit,  was  er  that,  Hess  die  tiefste  Stumpfheit  er- 
kennen. Wozu  noch  mehr?  Man  hielt  ihn  einfach  nicht  für 
einen  Menschen  sondern  für  die  lächerliche  Missgeburt  einer 
verrückten  f^aune  des  Schicksals.  Häufig  sass  er  am  Herde, 
wühlte  mit  den  Händen  in  der  Asche,  schnitzte  hölzerne 
Pflöcke  und  härtete  sie  im  Feuer.  An  den  Enden  brachte 
er  dann  eine  Art  Widerhaken  an,  um  sie  für  die  Befestigung 
um  so  haltbarer  zu  machen.  Auf  die  Frage,  was  er  treibe, 
antwortete  er  immer,  er  verfertige  scharfe  Pfeile  zur  Rache 
seines  Vaters.  Diese  Erwiderung  erregte  kein  geringes  Ge- 
lächter; denn  alle  verachteten  die  Vergeblichkeit  seines 
lächerlichen  Beginnens,  obgleich  die  Sache  ihn  später  in 
seinem  Vorhaben  wirklich  unterstützt  hat.  Diese  Kunst- 
fertigkeit erweckte  bei  den  Zuschauern  von  etwas  tieferem 
Verständnis  den  ersten  Verdacht  gegen  ihn,  als  sei  er  ein 
Schlaukopf.  Denn  gerade  die  Geschicklichkeit  in  der  kleinen 
Kunst  verriet  das  Talent  des  Arbeiters.  Es  war  ja  doch  nicht 
glaublich,  dass  der  gestörten  Verstandes  sei,  dessen  Hände 
einer  so  kunstvollen  Leistung  fähig  waren.  Zuletzt  pflegte 
er  immer  mit  peinlichster  Sorgfalt  den  Haufen  seiner  feuer- 
gehärteten Pflöcke  aufzuheben.  Daher  versicherten  manche, 
er  habe  einen  sehr  klaren  Verstand  und  verberge  nur  seiue 
Klugheit  unter  dem  Schleier  der  Einfältigkeit,  sie  meinten, 
er  verstecke  nur  die  tiefen  Absichten  seiner  Schlauheit  unter 
dieser  Verstellung,  und  man  könne  seine  Verschlagenheit 
nicht  besser  entlarven,  als  wenn  man  ihm  irgendwo  an  einem 
abgelegenen  Orte  eine  Frau  von  hervorragender  Schönheit  in 
den  Weg  führe,  die  seinen  Sinn  zu  Liebesgelüsten  anreizen 
sollte.  Denn  der  natürliche  Trieb  zur  Liebe  sei  so  stark, 
dass  man  ihn  nicht  künstlich  unterdrücken  könne.  Seine 
Erregung  werde  zu  heftig  sein,  als  dass  er  sie  durch  List 
beherrschen  könnte,  und  wenn  er  seinen  Stumpfsinn  nur  er- 
heuchele, werde  er  diese  Gelegenheit  benutzen  und  auf  der 


Amlethus  in  der  Heimat.  143 

Stelle  dem  Triebe  der  Wollust  gehorchen.  Daher  erhielten 
einige  Leute  den  Auftrag,  diese  Art  Probe  anzustellen  und 
den  Jüngling  zu  Pferde  in  einen  abgelegenen  Teil  des  Waldes  89 
W  führen.  Unter  diesen  befand  sich  zuföllig  ein  Milchbruder  uo 
des  Amlethus,  in  dessen  Herzen  die  Rücksicht  auf  ihre  ge- 
meinsame Erziehung  noch  nicht  erloschen  war  ^).  Dieser 
schätzte  nun  die  Erinnerung  an  ihr  früheres  Zusammenleben 
höher  als  den  jetzigen  Auftrag,  und  er  gesellte  sich  mit  den 
abgeordneten  Begleitern  zu  Amlethus,  aber  mehr  in  der  Ab- 
sicht, ihn  zu  warnen  als  ihn  in  den  Hinterhalt  zu  locken; 
denn  er  zweifelte  nicht,  dass  jeneni  das  Schlimmste  bevor- 
stände, wenn  er  nur  ein  kleines  Zeichen  gesunden  Verstandes 
gäbe,  und  am  sichersten,  wenn  er  offenkundig  das  Werk  der 
Liebe  vollzöge.  Das  war  auch  Amlethus  ganz  klar.  Denn 
auf  die  Aufforderung  sein  Pferd  zu  besteigen,  setzte  er  sich 
absichtlich  so,  dass  er  seinen  Rücken  dem  Halse  desselben 
zuwandte  und  mit  dem  Gesichte  nach  dem  Schwänze  zu  sah. 
Diesem  begann  er  auch  die  Zügel  anzulegen,  gerade  als 
wollte  er  damit  den  Gang  des  ausgreifenden  Rosses  lenken. 
Durch  diese  schlau  ersonnene  List  machte  er  seines  Oheims 
Heimtücke  wirkungslos  und  seinen  Anschlag  zu  nichte.  Es 
war  aber  auch  wirklich  ein  recht  lächerliches  Schauspiel, 
wenn  so  das  Pferd  ohne  Zügel  hintrabte,  während  der  Reiter 
den  Schwanz  in  der  Hand  hielt. 

Als  Amlethus  weiter  ritt  und  ihm  ein  Wolf  im  Gebüsche 
begegnete,  sagten  seine  Begleiter,  es  sei  ihnen  ein  junges 
Pferd  entgegen  gesprungen:  darauf  erwiderte  er,  in  Fengos 
Gestüt  beenden  sich  nur  zu  wenige  von  dieser  Art.  So 
sprach  er  in  ebenso  feiner  wie  witziger  Form  eine  Ver- 
wünschung über  seines  Oheims  Reichtümer  aus  ^).  Als  jene  ui 
äusserten,  er  habe  eine  kluge  Antwort  gegeben,  versicherte 
er,  das  habe  er  absichtlich  gesagt,  damit  es  in  keiner  Weise 


^)  Das  Verhä]tnis  zwischen  Ziehgeschwisiern  war  gewöhnlich  sehr 
innig;  vgl.  noch  Anm.  1  auf  S.  19. 

*)  Scheinbar  wünscht  er  dem  Oheim  Zuwachs  an  Füllen,  in  der  That 
natürlich  Unglück  durch  die  Wölfe,  die  in  sein  Gestüt  einbrechen  sollen. 
Vgl.  dagegen  Olrik  U,  162. 


144  Drittes  Buch. 

scheine,  als  ob  er  ein  Lugner  sei.  Da  er  nämlich  als  Feind 
der  Falschheit  zu  gelten  wünschte,  vermischte  er  List  und 
OiFenherzigkeit  so,  dass  es  seinen  Worten  nicht  an  Wahrheit 
fehlte,  dass  aber  auch  der  Sinn  seines  Witzes  nicht  dur<*h 
oiFene  Angabe  der  Wahrheit  verraten  wurde  ^). 

Als  er  am  Strande  entlang  ritt  und  seine  Begleiter  ein 
Ruder  von  einem  gestrandeten  Schüfe  fanden,  sagten  sie  ihm, 
sie  hätten  ein  ungewöhnlich  grosses  Messer  entdeckt.  Damit, 
erwiderte  er,  könne  man  einen  recht  gros.sen  Schinken  schnei- 
den, und  er  meinte  damit  das  Meer,  zu  dessen  Unerraesslich- 
keit  die  Grösse  des  Ruders  wohl  passte.  Als  sie  nun  auch 
an  den  Sanddünen  vorbeikamen,  hiessen  sie  ihn  das  MehK 
womit  sie  natürlich  den  Sand  meinten,  ansehen;  er  versetzte, 
es  sei  von  den  weisslichen  Meeresstürmen  gemahlen^.  Als 
seine  Gefährten  diese  Antwort  lobten,  versicherte  er  selber, 
es  sei  eine  sehr  kluge  Aeusserung  von  ihm.  Nun  verliessen 
ihn  diese  absichtlich,  damit  er  um  so  grösseren  Mut  bekäme, 
seine  Lust  zu  befriedigen;  er  begegnete  auch  dem  Mädchen, 
welches  ihm  sein  Oheim  entgegen  geschickt  hatte,  an  einem 
düsteren  Orte,  als  wenn  sie  ihm  der  Zufall  in  den  Weg  ge- 
führt hätte,  und  er  hätte  sie  vergewaltigt,  wenn  ihm  nicht 
sein  Milchbruder  durch  einen  stummen  Rat  eine  Andeutung 
von  dem  Anschlage  übermittelt  hätte.    Während  dieser  näm- 

90  lieh  überlegte,  auf  welche  Weise  er  am  geeignetsten  die  Pflicht 
eines  heimlichen  Warners  erfüllen  und  der  verderblichen  Lüstern- 
heit des  Jünglings  £inhalt  thun  könnte,  fand  er  auf  dem  Boden 
einen  Strohhalm  und  befestigte  diesen  an  den  Hinterleib  einer 
Bremse,  die    eben  vorbeiflog.    Dann  jagte  er  sie  gerade  nach 

142  der  Richtung,  wo,  wie  er  wusste,  Amlethus  sich  befand;  durch 
dieses  Verfahren    erwies    er   dem    Unvorsichtigen    eine    sehr 

')  1).  h.  der  Witz  besteht  immer  darin,  du.ss  er  die  Wahrheit  saf^t, 
ohne  dass  sie  aber  ein  Unbefangener  als  solche  erkennen  kann. 

*)  Im  nord.  ist  dieser  Witz  noch  näher  liegend,  da  sich  die  beiden 
Wörter  mjwl  (Mehl)  und  melr  (Sand)  ziemlich  ähneln.  Hieran  knüpft 
sich  übrigens  eine  Kenning  des  Skalden  Sniplyörn  (im  10.  Jahrhundert), 
der  das  Meer  AmloÖa  kvem,  Hamlets  3fühle,  nennt.  Dieser  Ausdnick 
beweist,  dass  schon  damals  die  Hamletsage  ganz  allgemein  bekannt  ge- 
wesen sein  muss. 


Versuchung  des  Amlethus.  X45 

grosse  Wohlthat,  denn  das  Zeichen  wurde  ebenso  schlau  ge- 
deutet, wie  es  erdacht  war^).  Als  nämlich  Amlethus  die 
Bremse  sah  und  den  Strohhalm,  den  sie  am  Hinterleibe  be- 
festigt trug,  genauer  ins  Auge  fasste,  verstand  er,  dass  dies 
eine  stumme  Warnung  sei.  sich  vor  einem  Hinterhalte  zu 
hüten.  Aus  Bedenken  vor  einem  Anschlage  nahm  er  daher 
das  Mädchen  in  seine  Arme  und  schleppte  sie  weit  fort  zu 
einem  unzugänglichen  Sumpfe,  um  in  grösserer  Sicherheit 
seinen  Wunsch  zu  erfüllen.  Dort  vollzog  er  auch  das  Beilager, 
und  dann  beschwor  er  sie  inständigst,  sie  möge  niemandem 
die  Sache  verraten.  Das  Schweigen  wurde  ebenso  eifrig  er- 
beten als  versprochen;  denn  da  beide  dieselben  Führer  in 
ihrer  Jugend  gehabt  hatten,  verband  die  frühere  Gemeinschaft 
ihrer  Erziehung  das  Mädchen  in  der  innigsten  Vertrautheit 
mit  Amlethus^). 

Als  er  nun  nach  Hause  zurückkehrte  und  ihn  alle  höhnisch 
fragten,  ob  er  der  Liebe  seinen  Tribut  gezollt,  gestand  er,  dass 
er  ein  Mädchen  vergewaltigt  habe.  Auf  die  weitere  Frage, 
wo  er  denn  das  gethan  habe  und  was  er  für  ein  Lager  ge- 
habt, erwiderte  er,  er  habe  auf  dem  Huf  eines  Lasttieres,  auf 
einem  Hahnenkamm  und  auf  dem  Tafelwerk  eines  Daches  ge- 
ruht. Denn  als  er  auf  diese  Probe  auszog,  hatte  er,  um  nicht 
lügen  zu  müssen,  Teile  von  all  diesen  Dingen  zu  sich  ge- 
steckt^). Diese  Antwort  wurde  mit  Gelächter  von  den  Um- 
stehenden aufgenommen,  obgleich  doch  durch  den  Scherz  der 
Wahrheit  kein  Abbruch  geschah.  Als  nun  auch  das  Mädchen 
über  diese  Angelegenheit  befragt  wurde,  versicherte  sie,  er 
habe    nichts    dergleichen    gethan.     Man   glaubte    dieser  ver- 

^)  Die  etwas  merkwürdig  und  unwahrscheinlich  klingende  List  soll 
wohl  nur  ganz  allgemein  Hamlet  darauf  aufmerksam  machen,  dass 
Menschen  in  der  Nähe  sind. 

*)  Siehe  Anm.  1  8.  143. 

')  Diese  Deutung  verrät,  dass  Saxo  selbst  die  Geschichte  nicht  mehr 
verstand;  Olrik  U,  160  macht  darauf  aufmerksam,  dass  unter  dem  Dache 
Moos  zu  verstehen  sei,  unter  dem  jumenti  unguium  eine  Pflanze  aus  der 
Gattung  tussiJago  (Huflattich),  die  dänisch  hestehov  (=  Pferdehuf)  heisst, 
und  unter  dem  Hahnenkamm  ebenfalls  eine  Pflanze  (dänisch:  hanekam, 
lat.:  Rhinantus  crista  galli). 

Saxo  Grammaticus.  10 


146  Drittes  Buch. 

neinenden  Antwort  und  zwar  um  so  bereitwilliger,  je  weniger 
dem  Augenschein  nach  auch  die  Trabanten  etwas  von  der 
Sache  wussten.  Darauf  aber  wollte  der,  der  als  Warnungs- 
zeichen  die  Bremse  gekennzeichnet  hatte,  zeigen,  dass  Arolethus 
seiner  Verschmitztheit  seine  Rettung  zu  danken  habe,  und 
sagte,  er  habe  sich  jüngst  ganz  einzig  für  ihn  bemüht.  Die 
Antwort  des  Jünglings  war  nicht  ungeschickt.  Um  nämlich 
nicht  den  Glauben  zu  erwecken,  als  verachte  er  das  Ver- 
dienst des  Warners,  erwiderte  er,  er  habe  eine  Art  Stroh- 
träger plötzlich  an  sich  vorüberfliegen  sehen,  der  am  Hinter- 
teil seines  Körpers  einen  Halm  befestigt  trug.  Dieser  Aus- 
spruch erfreute  durch  seine  Klugheit  eben  so  sehr  den 
Beschützer  des  Amlethus,  wie  er  bei  den  andern  Gelächter 
erregte. 
148  So  waren  alle  geschlagen  und  niemand  konnte  das  ver- 

borgene Schloss  vor  des  Jünglings  Klugheit  öifnen,  als  einer 
von  Fengos  Freunden,  der  reicher  mit  Einbildung  als  mit 
91  Erfindungsgabe  gesegnet  war,  versicherte,  man  könne  unmög- 
lich seine  undurchdringliche  Srhlauheit  mit  einer  gewöhnlichen 
List  ans  Licht  bringen.  Denn  seine  Widerstandsfähigkeit  sei 
zu  gross,  als  dass  man  ihr  mit  leichten  Mitteln  zu  Leibe 
gehen  könnte.  Man  dürfe  also  nicht  seinen  vielfältigen  Kniifeo 
mit  einer  ganz  einfachen  Probe  auf  den  Grund  zu  kommen 
suchen.  Er  habe  dagegen  mit  seinem  tieferen  Verständnis 
ein  feineres  und  vernünftigeres  Mittel  gefunden,  das  leicht 
ausführbar  und  für  die  Ergründung  der  fraglichen  Sache  am 
wirksamsten  sein  werde.  Fengo  solle  sich  nämlich  unter  dem 
Vorwande  eines  dringenden  Geschäfts  freiwillig  entfernen,  und 
Amlethus  müsse  man  allein  mit  seiner  Mutter  im  Schlaf- 
gemache einschliessen;  vorher  aber  sei  ein  Mann  zu  besorgen, 
der,  ohne  dass  die  beiden  etwas  davon  wüssten,  in  einem  Ver- 
steck des  Zimmers  untergebracht,  den  Inhalt  ihrer  Unter- 
redung recht  aufmerksam  belauschen  sollte.  Denn  wenn  der 
Sohn  nur  ein  bisschen  Verstand  besitze,  so  werde  er  kein 
Bedenken  tragen,  sich  vor  den  Ohren  der  Mutter  auszusprechen, 
und  sich  nicht  scheuen,  der  Treue  seiner  Ernährerin  zu  trauen. 
Zugleich  erbot  er  sich  auch  sehr  eifrig  zur  Uebernahme  des 


Amlethus  und  seine  Mutter.  147 

Laascherpostens,  um.  nicht  bloss  als  Erfinder,  sondern  auch 
als  Vollend'^r  dieses  Anschlages  zu  erscheinen^).  Erfreut  gab 
Fengo  seine  Einwilligung  und  entfernte  sich,  indem  er  sich 
stellte,  als  habe  er  eine  weite  Reise  vor.  Der  aber,  der  den 
Rat  gegeben  hatte,  begab  sich  heimlich  in  das  Zimmer,  in 
dem  Amlethus  mit  seiner  Mutter  eingeschlossen  wurde  und 
versteckte  sich  unter  dem  Bettstroh  ^).  Amlethus  aber  fehlte 
es  nicht  an  einer  Gegenmassregel  gegen  den  Anschlag.  Aus 
Besorgnis  nämlich,  dass  er  von  irgend  welchen  verborgenen 
Ohren  gehört  werden  könnte,  nahm  er  zuerst  zur  Ausübung 
seiner  gewöhnlichen  Thorheiten  seine  Zuflucht;  er  erhob  seine 
Stimme  wie  ein  krähender  Hahn  und  focht  mit  den  Armen 
hin  und  her,  als  ob  er  mit  den  Flügeln  schlage.  Dann  sprang 
er  auf  das  Stroh  und  begann  fortwährend  auf  und  ab  zu 
springen,  um  zu  erproben,  ob  darunter  irgend  etwas  ver- 
borgen wäre.  Als  er  die  Masse  unter  seinen  Füssen  spürte, 
stach  er  mit  dem  Schwerte  an  die  Stelle,  durchbohrte  den 
Darunterliegenden,  holte  ihn  aus  seinem  V^ersteck  hervor  und 
tötete  ihn  vollends.  Dann  hackte  er  seinen  Körper  in  Stucke, 
kochte  sie  in  siedendem  Wasser,  warf  sie  durch  die  offene 
Mündung  einer  Kloake  den  Schweinen  zum  Frasse  vor  und 
streute  so  die  elenden  Glieder  in  eklen  Kot.  Nachdem  er 
in  dieser  Weise  den  Hinterhalt  vereitelt,  kehrte  er  in  das  Ge- 
mach zurück.  Als  nun  seine  Mutter  mit  lautem  Gejammer  144 
den  Wahnsinn  ihres  Sohnes  bitterlich  zu  beklagen  begann, 
sagte  er:  Wie,  du  verworfenstes  unter  den  Weibern,  unter 
diesem  heuchlerischen  Gewinsel  willst  du  das  schwerste  Ver- 
brechen verbergen?  Bist  du  nicht  lästern  wie  eine  Hure,  hast 
du  nicht  diese  sündhafte  und  verfluchte  Ehe  geschlossen? 
Drückst  du  nicht  den  Mörder  deines  Gatten  an  deine  Brust 
voller  Unzucht?  Kosest  du  nicht  mit  dem,  der  den  Vater 
deines  Kindes  erschlagen,  in  schamloser,  verführerischer  Zärt- 
lichkeit? So  paaren  sich  ja  nur  die  Stuten  mit  dem  Besieger 
ihrer  Männchen;  das  ist  ja  tierische  Eigenart,  immerfort  zu 


*)  D,  i.  Polonius  bei  Shakespeare. 

*)  Ueber  Einrichtung  der  Betten  siehe  Weinhold  S.  233. 

10' 


148  Drittes  Buch. 

anderen  geschlechtlichen  Vereinigungen  zu  eilen.  Nach  solchem 
92  Vorbild  ist  dir  sicherlich  die  Erinnerung  an  deinen  ersten 
Gatten  entschwunden.  Ich  aber  habe  nicht  ohne  Zweck  das 
Aussehen  eines  Verrückten  angenommen,  denn  unzweifelhaft 
würde  der,  der  seinen  Bruder  erschlagen  hat,  mit  gleicher 
Grausamkeit  auch  gegen  seine  andern  Verwandten  wüton. 
Daher  ist  es  besser,  sich  mit  dem  Wesen  der  Dummheit  als 
der  Umsicht  zu  umgeben  und  sich  Schutz  und  Sicherheit  in 
scheinbarem  Blödsinn  zu  suchen.  In  meinem  Herzen  glüht 
jedoch  der  Eifer,  meinen  Vater  zu  rächen,  und  ich  spähe  nur 
nach  einer  geeigneten  Gelegenheit  und  warte  eine  günstige 
Zeit  ab.  Eines  schickt  sich  nicht  für  alle.  Gegen  eine  finstere 
und  grausame  Gesinnung  muss  man  mit  gründlichen  geistigen 
Anstrengungen  vorgehen.  Für  dich  aber  dürfte  es  überflüssig 
sein,  meinen  Unverstand  zu  bejammern,  da  du  mit  mehr  Recht 
deine  eigene  Schande  beklagen  müsstest.  Denn  man  muss 
nicht  die  Fehler  eines  andern,  sondern  seines  eigenen  Herzeus 
beweinen.  Im  übrigen  denke  daran,  dass  du  schweigst.  — 
Mit  dieser  Strafrede  zerriss  er  zwar  das  Herz  seiner  Mutter, 
aber  er  veranlasste  sie  dadurch,  wieder  den  Pfad  der  Tugend 
zu  betreten  und  lehrte  sie,  ihre  frühere  Liebe  den  augen- 
blicklichen Lockungen  vorzuziehen. 

Als  Fengo  zurückkehrte,  konnte  er  den  Urheber  des 
Spionieranschlages  nirgends  finden  und  Hess  ihn  lange  und 
eifrig  suchen,  ohne  dass  aber  jemand  anzugeben  vermochte, 
ihn  irgendwo  bemerkt  zu  haben.  Auch  Amlethus  wurde  zum 
Scherz  gefragt,  ob  er  nicht  eine  Spur  von  ihm  gesehen  habe, 
und  er  antwortete,  jener  sei  in  die  Kloake  hinabgestiegen, 
auf  den  (irund  gesunken  und  zuletzt,  mit  einer  ganz  dicken 
Kotkruste  bedeckt,  von  den  Schweinen,  die  dahin  kamen, 
gefressen  worden«  Obgleich  diese  Antwort  das  Bekenntnis 
der  Wahrheit  enthielt,  diente  sie  den  Hörern  doch  nur  zum 
Gespött,  weil  sie  dem  Aeusseren  nach  unsinnig  erschien. 

Fengo  wollte  nun  seinen  Stiefsohn,  den  er  im  Verdacht 

zweifelloser  Tücke  hatte,  beseitigen,  wagte  es  aber  nicht,  da 

er  dadurch   sowohl  bei  dessen  Grossvater  Roricus  wie   bei 

1.5  seiner  eigenen  Gemahlin  anzustossen  fürchtete,  und  be.schloss 


Amlethus  u.  seine  Mutter.     Seine  Sendung  nach  Britannien.      149 

daher,  ihn  mit  Hilfe  des  Königs  von  Britannien  töten  zu 
lassen,  um  so  Unschuld  heucheln  zu  können,  wenn  ein  anderer 
für  ihn  die  That  vollbringe.  In  dem  Bestreben  also,  seine 
eigene  Grausamkeit  zu  verdecken,  wollte  er  lieber  einen 
Freund  brandmarken,  als  sich  selbst  die  Schande  aufladen. 
Beim  Abschied  nun  forderte  Amlethus  seine  Mutter  im  Ge- 
heimen auf,  die  Halle  mit  geknüpften  Geweben  zu  behängen 
und  nach  einem  Jahre  zum  Scheine  eine  Totenfeier  für  ihn 
zu  veranstalten;  gerade  zu  dieser  Zeit  versprach  er  zurück- 
zukehren. Mit  ihm  reisten  zwei  Trabanten  Fengos*),  welche 
ein  in  Holz  geritztes  Schreiben  mit  sich  führten  (denn  das 
war  damals  die  gewöhnliche  Art  Briefe);  darin  wurde  der 
König  der  Britannier  um  die  Ermordung  des  zu  ihm  gesandten 
Jünglings  ersucht.  Während  jene  nun  der  Ruhe  pflegten, 
durchsuchte  Amlethus  ihre  Taschen  und  fand  den  Brief.  Als 
er  den  Auftrag,  der  darin  stand,  gelesen,  schabte  er  ihn  sorg- 
fältig weg,  setzte  neue  Schriftzüge  an  seine  Stelle  und  wandte 
so  sein  eigenes  Verderben,  indem  er  den  Inhalt  des  Auftrages  98 
änderte,  auf  seine  Begleiter.  Und  nicht  zufrieden  damit,  sein 
Todesurteil  getilgt  und  die  Gefahr  auf  andere  übertragen  zu 
haben,  fügte  er  noch  zu  dem  gefälschten  Namenszuge  Fengos 
eine  Bitte  des  Inhalts,  dass  der  König  von  Britannien  dem 
hochverständigen  jungen  Manne,  den  er  zu  ihm  schicke,  seine 
Tochter  zur  Ehe  gewähre. 

Gleich  nach  der  Ankunft  in  Britannien  begaben  sich  die 
Gesandten  zum  Könige  und  überbrachten  ihm  in  dem  Brief, 
den  sie  für  das  Mittel  zum  Verderben  eines  andern  hielten, 
ihr  eigenes  Todesurteil.  Der  König  iiess  sich  aber  nichts 
merken  und  hiess  sie  mit  gastlicher  Freundlichkeit  will- 
kommen. Da  aber  verschmähte  Amlethus  die  ganze  Pracht 
des  königlichen  Mahles,  als  ob  es  ein  ganz  gewöhnliches  Essen 
sei;  er  wandte  sich  mit  sonderbarer  Enthaltsamkeit  von  dem 
reichen  üeberfluss  des  Gelages  ab  und  mochte  ebensowenig 
das  Getränk  wie  die  Speisen.  Alle  verwunderten  sich,  dass 
ein  Jüngling  von  fremdem  Stamme  die  feinsten  Leckerbissen 


*)  D.  8.  Hosenkranz  und  Güldenstem  bei  Shakespeare. 


150  Dnttes  Buch. 

des  königlichen  Tisches  und  die  üppigen  Speisen  wie  Bauern- 
kost  von  sich  wies.  Nach  Aufhebung  der  Tafel  entliess  der 
König  seine  Freunde  zur  Ruhe  und  Hess  durch  einen  Mann, 
den  er  in  ihr  Gemach  schickte,  heimlich  die  nächtlichen  Ge- 
spräche seiner  Gastfreunde  belauschen.  Auf  die  Frage  seiner 
U6  Genossen,  weshalb  er  sich  denn  von  dem  gestrigen  Mahle, 
als  wäre  es  giftig,  fern  gehalten,  erwiderte  Amlethus,  das  Brot 
sei  mit  Blut  bespritzt  gewesen,  der  Trank  habe  nach  Eisen 
geschmeckt,  die  Fleischgerichte  hätten  nach  Menschenleichen 
gerochen  und  seien  durch  das  Anziehen  von  Grabesdunst  ver- 
dorben gewesen.  Er  fügte  auch  noch  hinzu,  dass  der  König 
Sklavenaugen  habe,  und  dass  die  Königin  drei  Mägdegewohn- 
heiten zur  Schau  trage;  so  belegte  er  nicht  bloss  das  Mahl, 
sondern  auch  seine  Veranstalter  mit  schmachvollen  Schimpf- 
reden. Seine  Genossen  warfen  ihm  nun  gleich  seine  frühere 
Geistesschwäche  vor  und  begannen  ihn  mit  verschiedenen 
Spottreden  wegen  seiner  Unverschämtheit  zu  verhöhnen,  dass 
er  das  Ehrenwerte  lästere  und  das  Gute  schmähe,  dass  er 
einen  ausgezeichneten  König  und  eine  in  ihrem  Benehmen 
hochgebildete  Frau  mit  gar  zu  ehrenrührigem  Gerede  angriffe 
und  diejenigen,  welche  Lob  verdienten,  mit  äusserst  schmäh- 
lichen Vorwürfen  getroffen  habe. 

Als  der  König  dies  von  seinem  Trabanten  hörte,  rief  er 
aus,  der  Sprecher  solcher  Reden  müsse  entweder  übermensch- 
lich weise  oder  verrückt  sein,  da  er  in  so  wenigen  Worten 
eine  so  gründliche  und  tiefsinnige  Einsicht  zusammenfasse. 
Darauf  Hess  er  den  Schaffner  holen  und  fragte  ihü,  woher  er 
das  Brot  besorgt  habe.  Als  dieser  versicherte,  es  sei  von 
dem  Hausbäcker  gebacken,  forschte  er  bei  diesem  nach,  wo 
das  Getreide,  welches  das  Mehl  geliefert,  gewachsen  sei,  und 
ob  irgend  ein  Anzeichen  verriete,  dass  dort  Menschen  er- 
schlagen worden  seien.  Dieser  erwiderte,  es  befinde  sich  in 
geringer  Entfernung  ein  mit  alten  Totengebeinen  dicht  besätes 
94  Feld,  welches  noch  deutlich  die  Spuren  zeige,  dass  dort  früher 
einmal  ein  Blutbad  stattgefunden  habe;  er  habe  diesen  Platz, 
da  er  fruchtbarer  sei  als  andere,  in  der  Hoffnung  auf  einen 
reichen    Ertrag    mit    der    Frühlingssaat    besät.     Daher    habe 


Amlethus  in  Britannien.  ]51 

vielleicht  voii  jenem  Blute  das  Brot  einen  hässlichen  Ge- 
schmack bekommen.  Als  der  König  dies  hörte,  vermutete 
er,  dass  Amlethus  überhaupt  die  Wahrheit  gesprochen  habe, 
und  liess  es  sich  angelegen  sein,  zu  erfahren,  woher  das 
Schweinefleisch  gekommen  sei.  Jener  eröffnete,  seine  Schweine, 
die  aus  Nachlässigkeit  ihrem  Gewahrsam  entronnen  seien, 
hätten  von  der  verwesenden  Leiche  eines  Räubers  gefressen, 
und  daher  habe  wohl  auch  ihr  Fleisch  einen  etwas  fäulnis- 
ähnlichen Geschmack  angenommen.  Als  der  König  auch  in 
diesem  Punkte  die  Wahrheit  von  Amlethus'  Aeusserung  er- 
kannte^  forschte  er  nach,  mit  was  für  Wasser  er  denn  den  147 
Trank  gemischt  habe.  Wie  er  vernahm,  er  sei  aus  Mehl  und 
Wasser  bereitet,  liess  er  sich  den  Ort  der  Quelle  zeigen,  in 
die  Tiefe  graben  und  fand  dort  mehrere  von  Rost  zerfressene 
Schwerter,  von  denen  das  Wasser  augenscheinlich  den  leidigen 
Beigeschmack  bekommen  hatte.  Andere  berichten,  Amlethus 
habe  den  Trank  deswegen  getadelt,  weil  er  beim  Trinken 
einige  Bienen  fand,  die  sich  am  Leibe  eines  Toten  genährt 
hatten,  und  die  Verdorbenheit,  die  schon  früher  den  Honig 
ergriffen  hatte,  herausgeschmeckt  habe.  So  sah  er  nun  die 
Ursachen  des  getadelten  Geschmackes  einwandsfrei  erwiesen, 
und  da  er  vermutete,  der  ebenfalls  von  Amlethus  erhobene 
schmähliche  Vorwurf  gegen  seine  Augen  beziehe  sich  auf 
einen  Flecken  seiner  Abkunft,  suchte  er  heimlich  seine  Mutter 
auf  und  fragte  sie,  wer  sein  Vater  sei.  Als  sie  sagte,  sie 
habe  niemanden  als  den  König  zu  sich  gelassen,  drohte  er 
ihr,  er  werde  durch  die  Folter  die  Sache  erfahren,  und  ver- 
nahm nun,  dass  er  der  Sohn  eines  Knechtes  sei;  durch  die 
Erpressung  dieses  Geständnisses  löste  er  also  die  Zweifel 
über  seinen  geschmähten  Ursprung.  Er  war  aber  ebenso  er- 
freut über  die  Klugheit  des  Jünglings,  wie  beschämt  über 
seine  eigene  Lage,  und  fragte  ihn,  warum  er  die  Königin 
durch  den  Vorwurf  sklavischen  Benehmens  beleidigt  habe. 
Allein,  während  er  sich  noch  darüber  ärgerte,  dass  die  An- 
mut seiner  Gemahlin  in  dem  nächtlichen  Gespräch  eines 
Fremden  angegriffen  wurde,  erfuhr  er.  dass  sie  die  Tochter 
einer  Magd  sei.    Amlethus  sagte  nämlich,  er  habe  drei  tadelns- 


152  Drittes  Buch. 

werte  Sklavengewohnheiten  an  ihr  bemerkt,  erstens,  dass  sie 
wie  eine  Magd  ihr  Haupt  mit  dem  Mantel  verhülle  ^),  zweitens, 
dass  sie  ihr  Kleid  beim  Gehen  schürze^),  drittens,  dass  sie 
die  Speisereste,  die  zwischen  den  Zähnen  hängen  blieben, 
mit  einem  Zahnstocher  entferne  und  das  Herausgestocherte 
verzehre.  Auch  erwähnte  er,  dass  ihre  Mutter  durch  Gefangen- 
schaft in  Sklaverei  geraten  sei,  damit  sie  nicht  bloss  ihrem 
Benehmen,  sondern  auch  ihrer  Abkunft  nach  als  Sklavin 
erschiene. 

148  Der  König  verehrte  seinen  Scharfsinn  wie  eine  Art  gött- 

licher Gabe  und  gab  ihm  seine  Tochter  zur  Ehe ;  jedes  Wort 
von    ihm    betrachtete    er    wie    ein    Zeugnis    des    Himmels. 

95  Uebrigens  liess  er  seine  Begleiter,  um  den  Auftrag  seines 
Freundes  zu  erfüllen,  am  folgenden  Tage  aufhängen.  Amlethus 
nahm  diese  Gefälligkeit  mit  scheinbarem  Unwillen  als  ein 
Unrecht  auf  und  erhielt  vom  Könige  unter  der  Bezeichnung 
eines  Sühnegeldes  Gold,  welches  er  nachher  heimlich  im  Feuer 
schmelzen  und  in  ausgehöhlte  Stöcke  giessen  liess. 

Als  er  bei  dem  König  ein  Jahr  verweilt,  erbat  er  sich 
die  Erlaubnis  zur  Abreise  und  kehrte  in  sein  Vaterland  zurück, 
ohne  aber  etwas  von  dem  ganzen  Prunk  seiner  königlichen 
Schätze  mit  sich  zu  nehmen  ausser  den  mit  Gold  gefüllten 
Stöcken.  Sowie  er  in  Jütland  landete,  vertauschte  er  seinen 
augenblicklichen  Zustand  wieder  mit  seinem  früheren  Wesen, 
und  sein  bisheriges  geziemendes  Benehmen  veränderte  er  ab- 
sichtlich unter  dem  Scheine  eines  lächerlichen  Auftretens. 
Als  er  mit  Schmutz  bedeckt  in  das  Speisezimmer  eintrat,  wo 
man  eben  die  Leichenfeier  für  ihn  beging,  überraschte  er 
alle  aufs  heftigste,  weil  ein  Gerücht  fälschlich  seinen  Tod 
verbreitet  hatte.  Schliesslich  aber  wich  die  Bestürzung  dem 
Gelächter,  da  sich  die  Zechgenossen  im  Scherze  gegenseitig 
neckten,  dass  der  lebend  unter  ihnen  weile,  den  sie 
eben  wie  einen  Verstorbenen  durch  einen  Leichenschmaus 
ehren  wollten.     Als  man  ihn  nach  seinen  Begleitern  fragte, 

*)  DcDD  die  Mägde  durften  nicht  die  Kopfbedeckung  der  Yornehmen 
froien  Frauen  tragen. 

*)  Wie  es  die  3Iägde  thun,  um  es  bei  der  Arbeit  bequemer  su  haben. 


Rückkehr  u.  Kache  des  Amlethus.  153 

wies  er  auf  seine  Stöcke,  die  er  trug  und  sagte:  Das  ist  der 
eine  und  das  der  andere.  —  Ob  er  dies  mehr  im  Ernst  oder 
im  Scherze  gesprochen,  weiss  man  nicht.     Denn  wenngleich 
dieses  Wort  von  den   meisten  für  unsinnig   gehalten  wurde, 
wich   es  doch  nicht  von  der  Wahrheit  ab,  da  es  ja  auf  den 
l^reis    hindeutete,    den    er    für    die    Getöteten   als  Wergeid 
empfangen.    Darauf  gesellte  er  sich,  um  die  Zechergesellschaft 
noch  mehr  zu  erheitern,   zu   den  Schenken   und  waltete  gar 
eifrig  seines  Amtes  beim  Eingiessen.    Und  damit  nicht  seine 
lässige  Kleidung  seine   Schritte  hemmte,  gürtete  er  sich  ein 
Schwert  an  die  Seite;  dieses  zückte  er  mehrmals  absichtlich, 
wobei  er  sich  oben    an  der  Spitze    die   Finger  verwundete. 
Da  sorgten  nun  die  Nächststehenden  dafür,  dass  ein  eiserner 
Nagel  durch  Schwert  und  Scheide  geschlagen  werde,    um  das 
Gelingen   seines   Anschlages  noch  mehr  zu  sichern,   eilte  er 
mit   den   Humpen    zu   den  Edlen,  nötigte   sie  immerfort  zu 
trinken  und  füllte  alle  so  sehr  mit  Wein,  dass  ihre  Füsse  in 
der  Trunkenheit  den  Dienst  versagten  und  sie   sich   in   der 
Köuigshalle   der  Ruhe   hingaben,  indem  sie  denselben  Platz, 
wo  sie  gezecht,  zum  Schlafen  benutzten.    Als  er  nun  merkte, 
dass  sie  in  dem  für  seinen  Plan  geeigneten  Zustande  waren, 
glaubte   er,  die  günstige  Gelegenheit  zur  Ausführung  seines 
Vorsatzes    sei    da;     so    holte    er    denn    seine    längst    vor- 
bereiteten Holzpflöcke  aus  seinem  Gewände,  betrat  die  Halle, 
wo    die  Edlen    durch   einander   auf  dem   Boden   im   Schlafe 
liegend  an   den   Folgen  ihres  Rausches  litten,   und  Hess  den  149 
von  seiner  Mutter  gefertigten  Vorhang,  der  auch  die  inneren 
Wände  der  Halle  bedeckte,  herabfallen,  nachdem  er  die  Halte- 
bänder durchschnitten.    Er  warf  ihn  über  die  Schnarchenden, 
und  verschlang  mit  Hilfe  seiner  Hakenpflöcke  alles  in  einem 
so  künstlichen  Knotengewirr,  dass  keiner  der  Darunterliegenden 
einen  Erfolg    mit  seinen  Aufstehversuchen   erringen  konnte,  96 
wenn  er  sich  auch  noch  so  kräftig  abmühte.    Darauf  legte  er 
Feuer  an  das  Gemach,  welches  bei  dem  raschen  Umsichgreifen 
der  Flammen  den  Brand  weithin  verbreitete,  das  ganze  Haus 
erfüllte,   die   Königshalle   einäscherte   und   alle   entweder  im 
tiefen  Schlafe  oder  bei  dem  vergeblichen  Versuche,  sich  zu 


154  Drittes   Biirh. 

erheben,  verbranote.  Darauf  begab  er  eich  in  das  ^lilaf- 
geniach  Fengos,  der  schon  vorher  von  seinen  Oefährten  dort- 
hin gebracht  worden  war,  nahm  dessen  Schwert,  welches  am 
Bette  hing  und  befestigte  dafSr  B«in  eigenes  dort.  Dann 
weckte  er  seinen  Oheim  und  berichtete  ihm,  dass  seine  Edlen 
verbrannten.  Amlethus  sei  da,  gerüstet  mit  seinen  alten  Haken, 
die  ihm  gute  Dienste  leisteten,  und  begohre  nunmehr  die 
schuldige  Rache  für  seines  Vaters  Tod  zu  üben.  Bei  diesen 
Worten  sprang  Fengo  vom  Bette  auf,  und  während  er,  seines 
eigenen  Schwertes  verlustig,  sich  vergeblich  bemQhte,  das 
fremde  zu  zücken,  wurde  er  erschlagen.  —  Welch  ein  Held, 
ewigen  Ruhmes  würdig,  der  listig  mit  dem  Scheine  der  Thor- 
heit  sich  waffnete  und  eine  fibermenschliche  Weisheit  wunder- 
bar unter  einer  erheuchelten  Unföhigkeit  verbarg,  der  nicht 
allein  die  Erhaltung  seines  eigenen  Lebens  seiner  üst  ver- 
dankte, sondern  auch  mit  ihrer  Hilfe  eine  Möglichkeit  fand, 
seinen  Vater  zu  rächen!  Da  er  so  schlau  sich  selber  schützte 
und  so  köhnlich  die  Ermordung  seines  Erzeugers  sühnte, 
bleibt  es  nngewiss,  ob  man  mehr  seinen  Heldenmut  oder  seine 
Weisheit  preisen  soll  ^). 

Ende  des  dritten  Buches. 


•)  Der  Eweite  Teil  (Schluss)  der  Hsmictaage  folgt  im  IV.   Buche. 


h 


viertes  Buch.  97,150 


Nach  der  Ermordung  seines  Stiefvaters  scheute  sich 
Amlethus,  seine  That  dem  ungewissen  Urteile  seiner  Lands- 
leute anheimzugeben  und  glaubte  sich  so  lange  verstecken 
zu  müssen,  bis  er  wusste,  nach  welcher  Seite  sich  die  Meinung 
der  groben  Volksmasse  neige.  Als  die  Nachbarschaft,  die  in 
der  Nacht  das  Feuer  gesehen  hatte,  am  Morgen  die  Ursache 
dieses  Brandes  kennen  zu  lernen  wünschte,  bemerkte  sie, 
dass  die  Königshalle  in  Asche  gesunken  sei;  da  durch- 
wühlten sie  die  noch  rauchenden  Trümmer,  ohne  jedoch 
etwas  ausser  den  verunstalteten  Resten  der  verbrannten 
Leichen  zu  finden.  Die  gefrässige  Flamme  hatte  aber  alles 
in  dem  Masse  verzehrt,  dass  nicht  einmal  ein  Anzeichen 
übrig  geblieben  war,  aus  dem  man  die  Veranlassung  zu 
einem  solchen  Unglück  hätte  entnehmen  können.  Fengos 
Leiche  kam  ebenfalls,  von  einem  Schwerte  durchbohrt,  unter 
den  blutigen  Trümmern  zum  Vorschein.  Manche  erfüllte 
oflfene  Entrüstung,  andere  Trauer,  einige  heimliche  Freude. 
Die  einen  beklagten  den  Tod  des  Fürsten,  andere  wünschten 
sich  Glück,  dass  die  Tyrannei  des  Brudermörders  vorüber 
sei.  So  wurde  das  Ereignis  von  des  Königs  Ermordung  mit 
geteilten  Gefühlen  von  den  Zuschauern  aufgenommen. 

Aus  dieser  Ruhe  des  Volkes  gewann  Amlethus  die 
Zuversicht,  sein  Versteck  zu  verlassen.  Er  berief  diejenigen, 
welchen,  wie  er  wusste,  noch  eine  genauere  Erinnerung  an 
seinen  Vater  innewohnte,  zusammen  und  ging  in  die  Ver- 
sammlung, in  der  er  folgende  Rede  hielt ^):  Edle!  Der  Anblick 


»)  Vgl.  n,  S.  73,  Anm.  1. 


156  Viertea  Buch. 

dieses  Unglücks  hier  vor  euch  kann  euch  nicht  rQhren,  wenn 
euch  der  beklagenswerte  Tod  des  Horwendillus  *)  rührt. 
Nicht  kann  er  euch  rühren,  sage  ich,  wenn  ihr  noch  die 
Treue  für  den  König,  die  Liebe  zum  Vater  bewahrt.  Seht 
hier  den  Tod  des  Brudermörders,  nicht  des  Königs.  Trauriger 
fürwahr  war  jener  Anblick,  als  ihr  selbst  unsern  König  von 
dem  nichtswürdigsten  Brudermörder,  um  nicht  Bruder  zu 
sagen,  klaglich  umgebracht  saht.  Ihr  selbst  habt  die  ver- 
stümmelten Glieder  des  Horwendillus,  ihr  selbst  habt  seineu 

151  TOD  vielen  Wunden  zerrisseneD  Leib  mit  mitleidsvollen  Augen 
betrachtet.  Wer  möchte  zweifeln,  dass  dieser  blutige  Heokers- 
knecht  ibm  nur  das  Leben  genommen  hat,  um  auch  unser 
Vaterland  der  Freiheit  zu  berauben?  Ein  und  dieselbe  Hand 
hat   ihm    den   Tod.    euch    die    Knechtschaft    gebracht.     Wer 

9H  wäre  demnach  so  unsinnig,  Fengos  Grausamkeit  der  Milde 
des  Horwendillus  vorzuziehen?  Denkt  daran,  wie  wohl- 
wollend Horwendillus  euch  begünstigte,  wie  gerecht  er  euch 
regierte,  wie  menschlich  er  euch  geliebt  hat.  Denkt  daran, 
wie  euch  der  mildeste  König,  der  gerechteste  Vater  ge- 
nommen ward,  wie  ein  Tyrann  an  seine  Stelle,  ein  Bruder- 
mörder an  seinen  Platz  kam,  wie  euch  euer  Recht  entrissen, 
wie  alles  entweiht,  wie  das  Vaterland  mit  Schandthateu  be- 
sudelt wurde,  wie  man  eurem  Nacken  das  Joch  auferlegte, 
euere  freie  Unabhängigkeit  euch  nahm.  Jetzt  bat  dies  alles 
ein  Ende,  denn  ihr  seht,  wie  der  Urheber  davon  seinen  Ver- 
brechen erlegen  ist,  wie  der  Brudermörder  die  Strafe  für 
seine  Frevelthaten  empfangen  hat.  Welcher  nur  halbwegs 
einsichtige  Zuschauer  könnte  diese  Wohlthat  fOr  ein  Ver- 
brechen halten?  Welcher  Verständige  möchte  darüber  trauern, 
dass  die  Unthat  auf  den  Anstifter  selbst  zurückfiel?  Wer 
könnte  den  Tod  des  blutigsten  Henkers  beweinen  oder  den 
u'Techten  Untergang  des  grausamsten  Tyrannen  beklagen? 
liier  steht  der  Vollzieher  dieser  That,  hier  seht  ihr  ihn.  Ja, 
iili  beki'nne  es,  ich  habe  Rache  geübt  für  meinen  Vater  und 
mein    Vaterland.     Ich    habe    das   Werk    vollbracht,    welches 


I 


')  Siehe  III.  S,  141  oben. 


Rede  des  Amlethus.  157 

ebensogut  für  eure  Hände  bestimmt  gewesen  wäre.  Was 
euch  und  mir  gemeinschaftlich  zukam,  habe  ich  allein  voll- 
fuhrt. Seht,  keinen  Genossen  habe  ich  bei  dieser  so  herr- 
lichen That  gehabt,  kein  Gefährte  hat  mir  seine  Beihilfe 
geliehen.  Zwar  weiss  ich  sehr  wohl,  dass  ihr  mir  eure  Hand 
bei  dem  Werke  geboten  hättet,  wenn  ich  euch  darum  ge- 
beten hätte,  euch,  die  ihr  unzweifelhaft  dem  Könige  die 
Treue,  dem  Fürsten  euer  Wohlwollen  bewahrt  habt.  Allein 
ich  beschloss  ohne  eure  Unterstützung  die  Ruchlosen  zu 
strafen.  Denn  ich  glaubte  nicht  fremden  Schultern  diese 
Last  auferlegen  zu  dürfen,  da  ich  meine  eigenen  für  aus- 
reichend hielt,  sie  zu  tragen.  Die  anderen  habe  ich  nun  zu 
Asche  gemacht,  Fengos  Rumpf  allein  habe  ich  euern  Händen 
zur  Verbrennung  überlassen,  damit  ihr  an  ihm  wenigstens  152 
euer  gerechtes  Rachegelüste  sättigen  könnt.  Eilet  eifrig 
herbei,  türmt  den  Scheiterhaufen  auf,  verbrennt  den  gott- 
losen Körper,  röstet  die  nichtswürdigen  Glieder,  zerstreut 
die  ruchlose  Asche,  lasst  den  grausamen  Staub  verwehen. 
Keine  Urne,  kein  Grabhügel  soll  die  verfluchten  Reste  seiner 
Gebeine  umschliessen.  Keine  Spur  soll  von  dem  Mörder 
übrig  bleiben,  keinen  Platz  soll  es  in  unserem  Vaterlande 
für  seine  schmachbesudelten  Glieder  geben,  keine  Stätte  sich 
an  ihnen  anstecken,  nicht  das  Meer,  nicht  die  Erde  soll 
durch  die  Aufnahme  des  verfluchten  Leichnams  entweiht 
werden.  Das  übrige  habe  ich  schon  geleistet,  euch  ist  nur 
noch  diese  einzige  Liebespflicht  geblieben.  Solch  eine  Leichen- 
feier muss  der  Tyrann  erhalten,  mit  solchem  Prunk  muss 
das  Begräbnis  des  Brudermörders  begangen  werden.  Aber 
selbst  die  Asche  dessen,  der  seinem  Vaterlande  die  Freiheit 
geraubt  hat,  darf  nicht  im  Vaterlande  geborgen  werden. 
Jedoch  was  soll  ich  euch  denn  weiter  von  meinem  Kummer 
erzählen,  meine  Leiden  durchgehen,  mein  Elend  offenbaren? 
Ihr  selbst  kennt  ja  das  alles  vollkommener  als  ich.  Ich  war 
von  meinem  Stiefvater  zum  Tode  bestimmt,  von  meiner 
Matter  verachtet,  von  meinen  Freunden  bespieen,  kläglich 
verbrachte  ich  meine  Jahre,  meine  Tage  verlebte  ich  im  99 
Jammer,  Zeit  meines  Lebens  war  ich  unsicher  und  gehetzt 


V 


von  Angst  and  Gefabren.  Mein  ganzes  bisheriges  lieben 
äberhanpt  habe  ich  onter  der  höchsten  Ungunst  der  Ver- 
hältniese elendiglich  zugebracht.  Oft  bejammertet  ihr  mich 
anter  euch  in  stillen  Klagen  als  einen  Unsinnigen;  es  fehle 
der  Kacher  des  Vaters,  der  den  Brudermord  sühne.  Das 
gab  mir  ein  heimliches  Zeichen  fQr  eure  Anhänglichkeit, 
da  ja  in  euem  Herzen  augenscheinlich  die  Erinneruag  an 
den  Königsmord  noch  nicht  erstorben  war.  Wer  hätte  denn 
auch  eine  so  rauhe  Brust  haben,  so  felseohart  sein  könneo, 
dass  ihn  das  Mitgefühl  mit  meinen  Leiden  nicht  erweicht, 
das  Erbarroeo  mit  meinem  Kummer  nicht  gerührt  hätte? 
Erbannt  euch  eures  Schützlings,  lasst  euch  durch  mein  Un- 
glück bewegen,  ihr,  deren  Hände  an  der  Ermordnog  des 
Horwendillus  keinen  Anteil  haben.  Erbarmt  euch  auch 
meiner  unglücklichen  Mutter,  und  freut  euch,  dass  endlich 
ir>3  einmal  die  Schmach  eurer  Königin  getilgt  ist,  die  den  Bruder 
und  Mörder  ihres  Gatten  umarmte  und  genötigt  war,  als 
schwache  Frau  die  doppelt  schwere  Schande  zu  tragen.  Also 
nur  um  meinen  Eifer  nach  Rache  zu  verbeißen,  um  meine 
Absichten  zu  verschleiern,  habe  ich  scheinbar,  nicht  in  Wahr- 
heit, da)<  Wefiea  der  Stumpfheit  angenommen ;  unter  dem 
Scheine  dt'S  Blödsinns  habe  ich  mir  eine  Hülle  für  meine 
Weisheit  gewoben,  und  vor  meinen  Augen  liegt  es  nun  offen 
da,  ob  sie  wirksam  war,  ob  sie  ihren  Endzweck  erreicht  bat. 
Ich  bin  zufrieden  euch  als  Schiedsrichter  über  eine  so 
wichtige  Angelegenheit  zu  haben.  Tretet  nur  selbst  den 
Staub  des  Brudermörders  unter  eure  Füsse,  missebrt  dessen 
Asche,  der  die  Gattin  seines  erschlagenen  Bruders  schändete, 
sie  schmählich  vergewaltigte,  der  seinen  Herrn  verletzte  und 
die  königliche  Majestät  verräterisch  angriff,  der  euch  die 
biltcrste  Gewaltherrschaft  auflud  und  euch  die  Freiheit 
j^tntrte.  der  den  Brudermord  mit  Blutschande  krönte.  Mich, 
il-n  Vollzieher  so  gerechter  Vergeltung,  den  eifrigen  Voil- 
sirecker  einer  so  wohlgefälligen  Rache,  nehmt  nun  auf  mit 
iilbr  Gesinnung,  erweist  mir  die  schuldige  Ehre,  erquickt 
[iiii:h  durch  freundlichen  Anblick.  Ich  habe  die  Sehmach 
Aen  Vaterlandes   abgewaschen,    die   Schande    meiner  Mutter 


I 


Hede  des  Amlethus  und  ihr  Erfolg.  I59 

getilgt,  die  Gewaltherrschaft  gestürzt,  den  Brudermörder  er- 
schlagen, die  ränkevolle  Hand  meines  Oheims  durch  meine 
Ränke  unschädlich  gemacht.  Lebte  er  noch,  so  würden  seine 
Schandthaten  von  Tag  zu  Tag  zunehmen.  Mich  schmerzte 
das  ungerechte  Leiden  meines  Vaters  und  meines  Vater- 
landes. Ich  habe  den  Menschen  da  vernichtet,  der  streng 
und  härter,  als  es  Männer  ertragen  durften,  über  euch 
herrschte.  Erkennet  diese  Wohlthat  an,  ehrt  meinen  Ver- 
stand, gebt  mir  die  Herrschaft,  wenn  ich  sie  verdient  habe. 
Ihr  habt  in  mir  den  Spender  eines  so  wertvollen  Geschenkes, 
den  Erben  der  väterlichen  Macht,  nicht  einen  Entarteten, 
nicht  einen  Brudermörder,  sondern  den  gesetzmässigen  Nach- 
folger in  der  Königswürde  und  einen  frommen  Rächer  der 
Schuld  des  Brudermordes.  Mir  verdankt  ihr  die  Wohlthat, 
dass  ihr  die  Freiheit  wiedergewonnen  habt,  dass  die  Herr- 
schaft dessen,  der  euch  quälte,  gebrochen,  das  Joch  des 
Unterdrückers  von  euch  genommen,  dass  die  Gewalt  des 
Brudermörders  erschüttert,  das  Scepter  der  Tyrannei  zer-  100 
treten  ist.  Ich  habe  euch  von  der  Knechtschaft  befreit,  euch 
die  Freiheit  geschenkt,  eure  Ehre  wiedergegeben,  euern  Ruhm 
wieder  hergestellt,  den  Tyrannen  beseitigt,  über  den  Henker 
triumphiert.  Bei  euch  steht  nun  die  Belohnung;  ihr  kennt  154 
mein  Verdienst,  von  eurer  RechtschaflFenheit  verlange  ich 
meinen  Lohn. 

Mit  dieser  Rede  hatte  der  Jüngling  aller  Herzen  bewegt 
und  manche  zu  Mitleid,  andere  sogar  zu  Thränen  gerührt. 
Sobald  sich  aber  der  Schmerz  beruhigte,  ward  er  unter 
eifriger  allgemeiner  Zustimmung  zum  König  ^)  gewählt;  denn 
von  allen  wurden  in  seine  Umsicht  die  höchsten  Hoffnungen 
gesetzt,  da  er  den  Plan  zu  einer  so  hervorragenden  That  mit 
unergründlicher  Schlauheit  entworfen  und  mit  unglaublicher 
List  ausgeführt  hatte.  Manchen  hätte  man  da  voller  Ver- 
wunderung darüber  sehen  können,  wie  er  so  lange  Zeit  hin- 
durch eine  so  feine  Berechnung  verbergen  konnte. 


*)  D.  h.  nicht  zum  König  von  Dänemark  —  denn  das  war  Röricus 
—  sondern  zum  Fürsten  oder  Statthalter  (praefectus)  von  Jätland,  als 
Nachfolger  des  Horwendillus ;  vgl.  III,  8.  187  und  unten  S.  105  (Holder). 


1()0  Viertes  Buch. 

Nach  diesen  Thaten  in  Dänemark  rüstete  er  drei  Schiffe 
gar  prunkvoll  aus  und  kehrte  nach  Britannien  zurück,  um 
seinen  Schwiegervater  und  seine  Gemahlin  zu  besuchen  ^). 
Zu  seinem  Gefolge  hatte  er  die  waifentüchtigste  junge  Mann- 
schaft bestimmt,  die  mit  auserlesener  Pracht  ausgestattet 
war.  Denn  wie  er  früher  alles  nur  in  einem  ganz  verächt- 
lichen Zustande  gehabt  hatte,  so  wollte  er  jetzt  in  jeder  Be- 
ziehung nur  die  glänzendste  Ausrüstung  benutzen,  und  was 
er  dereinst  der  Armut  gezollt,  jetzt  durch  üppigen  Aufwand 
ersetzen.  So  liess  er  auch  auf  seinem  Schilde,  den  er  sich 
hatte  machen  lassen,  die  ganze  Reihe  seiner  Thaten  von  den 
ersten  Anfängen  seiner  Jugend  an  in  prächtig  gemalten 
Bildern  darstellen').  Diese  Waffe  trug  er  gleichsam  als 
Zeugnis  für  seine  Heldenthaten,  und  er  gewann  auch  dadurch 
einen  Zuwachs  an  seinem  Ruhme.  Da  konnte  man  des 
Horwendillus  Ermordung  sehen,  Fengos  Brudermord  und 
Blutschande,  den  nichtswürdigen  Oheim,  den  lächerlichen 
Neffen,  die  Holzpflöcke  mit  den  Haken,  den  Verdacht  des 
Stiefvaters,  die  Verstellung  des  Stiefsohnes,  die  verschiedenen 
Arten  seiner  Versuchung,  das  ihm  tückisch  zugeführte  Mäd- 
chen, den  Wolf  mit  dem  offenen  Rachen,  die  Auffindung  des 
Ruders,  den  Sand,  an  dem  sie  vorbeikamen,  das  Betreten 
des  Waldes,  die  Bremse  mit  dem  Strohhalm,  die  Warnung 
des  Jünglings  durch  das  Zeichen,  seine  heimliche  Vereinigung 
mit  der  Jungfrau,  nachdem  er  seine  Begleiter  hinters  Licht 
155  geführt.  Auch  die  Königshalle  konnte  man  abgebildet  finden, 
die  Zusammenkunft  der  Königin  mit  ihrem  Sohne,  die  Er- 
mordung  des  Horchers,  dann,  wie  dieser  nach  seinem  Tode 


»)  Siehe  III,  S.  152. 

*)  Die  folgende  Beschreibung  des  Schildes  ist  zweifellos  stark  über- 
trieben —  vielleicht  in  Anlehnung  an  Vergils  Beschreibung  vom  Schilde 
des  Aeneas;  bemalte  oder  mit  Bildern  und  Figuren  geschmückte  Schilde 
werden  zwar  auch  sonst  erwähnt,  aber  die  Ausführung  war  dann  sicher 
einfacher.  Vgl.  z.  B.  Das  erste  Lied  von  Helgi  Str.  34  (=  Gerings  Edda 
S.  166),  und  dazu  Saxo  III,  114;  Das  zweite  Lied  von  Gudrun  Str.  14 
=  (^»ering  S.  244;  Das  Lied  von  Atli  Str.  7,  14  =  Gering  S.  257  9;  GyU 
fag.  2  -=  (Gering  S.  298.  Vgl.  auch  Müller -Jiriczek,  Nord.  Altertumsk. 
Register.  —  Für  die  geschilderten  Ereignisse  siehe  Saxo  III,  S.  141  ff. 


Amlethus^  Rückkehr  nach  Britannien;  sein  Schild.  Igl 

gekocht  und  nachher  in  die  Kloake  den  Schweinen  vor- 
geworfen wurde,  wie  seine  schmutzbedeckten  Glieder  endlich 
diesen  Tieren  zum  Prasse  dienten.  Ferner  konnte  man  sehen, 
wie  Amlethus  das  Geheimnis  seiner  schlafenden  Begleiter 
entdeckte,  die  Schriftzeichen  auskratzte  und  neue  Schriftzfige 
an  ihre  Stelle  setzte,  wie  er  das  Mahl  stehen  lässt  und  den 
Trank  verachtet,  wie  er  den  Gesichtsausdruck  des  Königs 
schmäht  und  der  Königin  unziemliches  Benehmen  vorwirft. 
Auch  das  Hängen  der  Gesandten  konnte  man  erblicken,  die 
Hochzeit  des  Jfinglings,  seine  Rückkehr  zur  See  nach  Däne-  lOl 
mark,  die  Feier  seines  Leichenschmauses,  ferner,  wie  er  auf 
die  Frage  nach  seinen  Begleitern  auf  die  Stöcke  weist,  wie 
er  das  Schenkenamt  ausübt,  absichtlich  das  Schwert  zieht 
und  sich  in  die  Finger  sticht,  wie  sein  Schwert  vernagelt 
wird,  wie  die  Ausgelassenheit  beim  Gelage  wächst,  die  Tänze 
immer  wilder  werden,  wie  er  den  Vorhang  über  die  Schlafen- 
den wirft,  ihn  mit  den  gekrümmten  Hakenpflöcken  befestigt 
und  noch  enger  über  den  Schlummernden  zusammenzieht, 
wie  er  Feuer  an  das  Haus  legt,  die  Zecher  verbrennt,  wie 
die  von  den  Flammen  verzehrte  Königshalle  niedersinkt,  wie 
er  Fengos  Schlaf  gemach  aufsucht,  sein  Schwert  nimmt,  das 
unbrauchbare  an  dessen  Stelle  hängt,  wie  der  König  von  der 
Hand  seines  Stiefsohnes  mit  der  Schärfe  seines  eigenen 
Schwertes  erschlagen  wird.  Dies  alles  hatte  ein  Künstler  mit 
der  sorgfältigsten  Geschicklichkeit  ganz  genau  aufgezeichnet, 
indem  er  mit  seinen  Bildern  die  Thatsachen  selbst  nachahmte 
und  durch  die  figürliche  Darstellung  die  Ereignisse  wiedergab. 
Aber  auch  die  Begleiter  des  Amlethus  benutzten  alle,  um 
sich  um  so  glänzender  zu  zeigen,  nur  vergoldete  Schilde. 

Der  König  von  Britannien  nahm  sie  sehr  gütig  auf  und 
bewirtete  sie  kostbar  mit  königlicher  Pracht.  Als  er  beim 
Mahle  eifrig  fragte,  ob  Fengo  noch  lebe  und  sich  ungetrübten 
Glückes  erfreue,  erfuhr  er  von  seinem  Schwiegersohn,  dass 
der,  nach  dessen  Wohlsein  er  vergebens  forsche,  ermordet 
worden  sei.  Unter  vielen  Fragen  wollte  er  nun  seinen  Mörder 
erkunden  und  bekam  zu  hören,  dass  der  Bote  von  Fengos 
Tod  auch  dessen  Vollzieher  sei.    Bei  dieser  Nachricht  befiel  ihn 

Saxo  GramnMticot.  Ij 


162  t^'iertes  Buch. 

im  Stilleü  ein  heftiger  Schreck,  denn  er  erkannte,  dass  er 
die  einst  dem  Fengo  versprochene  Rache  vollziehen  müsse. 
Kr  selbst  und  Fengo  hatten  sich  nämlich  einst  in  einem  gegen- 
seitigen Vertrage  verpflichtet,  einer  des  andern  Rächer  zu 
werden  ^).  So  zog  den  König  die  Liebe  zu  seiner  Tochter 
und  die  Zuneigung  zu  seinem  Eidam  nach  der  einen  Seite, 
nach  der  anderen  aber  die  Freundespflicht,  die  Heiligkeit  des 
Eides  und  die  Achtung  vor  der  gegenseitigen  Abmachung, 
deren  Bruch  ein  Frevel  gewesen  wäre.    Endlich  überwog  die 

156  beschworene  Treue  unter  Verachtung  der  verwamltschaftlichen 
Bande,  und  zur  Rache  entschlossen,  zog  er  die  Erfüllung  der 
religiösen  Pflicht  der  Rücksicht  auf  seine  Angehörigen  vor. 
Aber  da  es  auch  als  Verbrechen  galt,  die  Heiligkeit  der 
Gastfreundschaft  zu  verletzen^),  wünschte  er  die  Vollziehung 
der  Rache  durch  die  Hand  eines  andern  ausführen  zu  lassen, 
um  durch  die  Verschleierung  seiner  Unthat  den  Schein  der 
Unschuld  für  sich  zu  haben.  So  verbarg  er  denn  seine  böse 
Absicht  unter  einem  Auftrage  und  verhüllte  sein  Bemühen, 
ihn  zu  verderben,  unter  scheinbarer  Bezeugung  seines  Wohl- 
wollens. Da  vor  kurzem  seine  Gattin  einer  Krankheit  erlegen 
war,  bat  er  Amlethus,  eine  Botschaft  zur  Abschliessung  einer 
neuen  Ehe  zu  übernehmen,  indem  er  sagte,  er  sei  von  seiner 
einzig  dastehenden  Umsicht  aufs  .höchste  entzückt.  Er  fügte 
hinzu,  in  Schottland  herrsche  eine  Frau,  welche  er  innig  zur 
Gemahlin  begehre.  Er  wusste  nämlich,  dass  diese  nicht  nur 
aus  Keuschheit  ehelos  war,  sondern  dass  sie  auch  in  trotziger 

102  Anmassung  ihre  Freier  immer  hasste  und  für  ihre  Liebhaber 
die  härtesten  Strafen  bestimmte,  sodass  es  von  den  vielen 
nicht  einen  einzigen  gab,  der  nicht  für  seine  Werbung  mit 
seinem  Kopfe  gebüsst  hätte  ^). 


*)  Vgl.  das  ähnliche  Verhältnis  II.  S.  JK-J. 

')  Vgl.  L  28,  Anm.  1. 

')  Man  kann  hier  an  ähnliehe  Frauengestalten  der  Sage  und  der 
^läri'hen  denken,  die  sich  ebenfalls  gegen  Werbungen  ablehnend  verhalten, 
z.  B.  lirünhild  und  bei  Saxo  Ahvilda  VII.  228  ff.  und  Lathgeutha  IX,  301 
(Holder).     Vgl.  auch  Olrik  II.  177. 


Des  Königs  Racheplan;  Amlethus'  Werbefahrt.  163 

Amlethus  machte  sich  nun  auf,  obgleich  ihm  eine  so 
gefahrliche  Botschaft  übertragen  wurde,  ohne  sicli  gegen  die 
Übernahme  des  ihm  zugefallenen  Amtes  zu  weigern;  denn  er 
verliess  sich  teils  auf  seine  eigenen  Diener,  teils  auf  die 
Sklaven  des  Königs.  Als  er  nach  seinem  Eindringen  in 
Sehottland  dem  Palast  der  Königin  nicht  mehr  ferne  war, 
begab  er  sich  auf  eine  dicht  am  Wege  belegene  Wiese,  um 
seinen  Pferden  Rast  zu  gönnen.  Durch  den  Anblick  dieses 
Platzes  erfreut,  pflegte  er  auch  selber  der  Ruhe  —  denn  das 
angenehme  Murmeln  eines  Baches  weckte  die  Lust  zum 
Schlafe  —  und  betraute  einige  seiner  Leute  mit  der  Bewachung 
des  Rastortes  ^).  Auf  die  Kunde  hiervon  sandte  die  Königin 
zehn  Jünglinge  aus,  um  die  Ankunft  und  die  Ausrüstung  der 
Fremdlinge  zu  erforschen.  Einer  von  diesen,  der  recht  keck 
veranlagt  war,  umging  die  Wächter,  schlich  sich  ganz  dreist 
heran  und  nahm  den  Schild  des  Amlethus,  den  dieser  zum 
Schlafen  unter  den  Kopf  geschoben  hatte,  so  sacht  weg,  dass 
er  nicht  einmal  die  Ruhe  des  darauf  liegenden  störte  und 
überhaupt  auch  keinen  aus  der  ganzen  Schar  aufweckte;  denn 
er  wollte  seiner  Herrin  nicht  bloss  eine  Botschaft  sondern 
auch  einen  thatsächlichen  Beweis  bringen.  Auch  den  Brief, 
der  Amlethus  anvertraut  war,  stahl  er  mit  derselben  Geschick- 
lichkeit aus  der  Tasche,  in  der  er  verwahrt  lag.  Als  diese 
Sachen  der  Königin  gebracht  wurden,  betrachtete  sie  gar  neu- 
gierig den  Schild,  ersah  aus  den  beigefügten  Inschriften  die  157 
Bedeutung  des  ganzen  Bildwerkes  und  erkannte,  dass  der 
kommen  würde,  der  im  Vertrauen  auf  seine  gründliche  List 
und  Klugheit  an  seinem  Oheim  die  Rache  für  die  Ermordung 
seines  Vaters  vollzogen  hatte.  Auch  den  Brief,  welcher  die 
Bitte  um  ihre  Hand  enthielt,  las  sie  und  vertilgte  alle  Buch- 
staben, weil  sie  vor  der  Ehe  mit  einem  Greise  Abscheu 
empfand,  wohl  aber  die  Umarmung  eines  Jünglings  begehrte. 
Sie  schrieb  dafür  aber  selbst  einen  Auftrag  hinein,  gleich  als 
werde  er  ihr  vom  Könige  von  Britannien  übersandt,  in  dem 


M  Wir  haben  hier  eine  ähnliche  anmutige  Xatiirschilderung  wie  oben 
m,  138;   vgl.  noch  Olrik  IL  181  unten. 

11* 


164  Viertes  Buch 

es  hiess,  der  Ueberbringer  verlange  sie  zur  Ehe ;  dann  unter- 
zeichnete sie  dies  mit  des  Königs  Titel  und  Namen.  Ja  sie 
sorgte  sogar  noch  dafür,  dass  auch  die  Thaten,  welche  sie 
von  Amlethus'  Schilde  kannte,  in  dem  Schreiben  erwähnt 
wurden,  sodass  man  den  Schild  als  ein  Zeugnis  für  den  Brief, 
und  den  Brief  als  eine  Erklärung  des  Schildes  betrachten 
konnte.  Darauf  befahl  sie  denen,  deren  Findigkeit  sie  sich 
vorher  bedient  hatte,  den  Schild  zurückzubringen  und  den 
Brief  wieder  an  seinen  Ort  zu  legen,  sodass  sie  also  dieselbe 
List  gegen  Amlethus  anwendete,  mit  der  jener,  wie  sie  er- 
sehen hatte,  seinen  Gefährten  jenen  schlimmen  Streich  ge- 
spielt hatte. 

Unterdessen  merkte  Amlethus,  dass  ihm  sein  Schild  unter 
dem  Kopfe  weggestohlen  war;  aber  er  schloss  absichtlich 
ganz  schlau  wieder  die  Augen  und  stellte  sich  schlafend,  weil 
er  im  scheinbaren  Schlummer  das  wiedererlangen  wollte,  was 
er  im  wirklichen  verloren  hatte.  Er  glaubte  nämlich,  der 
108  Dieb  werde  um  so  eifriger  auf  eine  zweite  Gelegenheit  lauern, 
ihn  zu  hintergehen,  je  besser  es  ihm  bei  der  ersten  geglückt 
war.  Und  seine  Berechnung  täuschte  ihn  auch  nicht.  Denn 
als  der  Kundschafter  heimlich  heranschlich  und  Schild  und 
Brief  wieder  an  ihren  früheren  Platz  legen  wollte,  sprang  er 
auf,  ergriff  ihn  und  legte  den  Gefangenen  zur  Strafe  in 
Fesseln.  Dann  weckte  er  seine  Begleiter  und  begab  sich  in 
den  Palast  der  Königin.  Er  begrüsste  sie  im  Namen  seines 
Schwiegervaters  und  überreichte  ihr  den  Brief,  der  mit  dessen 
Siegel  verschlossen  war.  Als  Hermuthruda  (so  hiess  die 
Königin)  diesen  in  Empfang  genommen  und  gelesen  hatte, 
pries  sie  Amlethus*  Umsicht  und  Thatkraft  mit  den  lebend- 
sten Worten  und  sagte,  Fengo  habe  eine  gerechte  Strafe  er- 
litten. Amlethus  selbst  aber  habe  eine  That,  die  über  mensch- 
liche Schätzung  erhaben  sei,  mit  einem  ganz  unbegreiflich  findigen 
Scharfsinn  ins  Werk  gesetzt;  denn  er  habe  ja  nicht  nur  mit 
unerforschlicher  List  Rache  für  die  Ermordung  seines  Vaters 
und  für  die  Schändung  seiner  Mutter  ersonnen,  sondern  er 
58  habe  auch  die  Herrschaft  dessen,  von  dem  er  so  viele  Nach- 
stellungen  erfahren,    durch    seine    offenkundigen,    wackeren 


Aralethus  und  Hermuthruda.  165 

Thaten  in  Besitz  genommen.  Deshalb  müsse  sie  sich  wundern, 
wie  ein  so  treiFlich  beanlagter  Mann  nur  bei  seiner  Ver- 
heiratung einen  Fehltritt  begehen  konnte;  denn  während  er 
durch  seinen  Ruhm  fast  über  menschliche  Grösse  hinausrage, 
habe  er  sich  doch  offenbar  zu  einer  unedlen  und  unwürdigen 
Verbindung  herabgelassen.  Seine  Gemahlin  stamme  ja  von 
Sklaveneltern,  wenn  auch  ein  Glücksfall  dieselben  mit  könig- 
lichen Ehren  geschmückt  habe  ^).  Bei  der  Wahl  einer  Gattin 
müsse  ein  kluger  Mann  nicht  den  Glanz  körperlicher  Schön- 
heit sondern  den  des  Geschlechtes  berücksichtigen.  Wenn  er 
also  nach  Recht  und  Sitte  eine  Vermählung  wünsche,  so 
müsse  er  auf  den  Stammbaum  achten  und  sich  nicht  durch 
das  Äussere  bestechen  lassen;  denn  dies  sei  nur  ein  Reizmittel 
für  die  Sinnlichkeit  und  habe  als  eine  unechte  Zierde  schon 
den  Ruhm  vieler  geschädigt.  Es  gäbe  aber  eine,  die  er  als 
eine  an  Adel  Ebenbürtige  für  sich  gewinnen  könnte.  Sie 
selbst  fürwahr  würde  seiner  Umarmung  würdig  sein,  da  sie 
weder  arm  an  Vermögen  noch  von  niedriger  Geburt  sei  und 
er  sie  weder  an  königlichen  Schätzen  noch  durch  den  Ruhm 
seines  Stammbaumes  überstrahle.  Sie  sei  ja  selbst  eine 
Königin,  und  wenn  ihr  Geschlecht  dem  nicht  entgegenstünde, 
könnte  man  sie  als  König  betrachten;  jedenfalls  werde  der, 
den  sie  ihres  Bettes  würdige  —  und  das  sei  noch  wahrer 
gesprochen  —  selbst  König,  und  mit  ihrer  Hand  gewähre  sie 
zugleich  ein  Königreich;  so  entspräche  der  Vermählung  mit 
ihr  ein  Scepter,  und  ihr  Scepter  der  Vermählung.  Es  sei 
übrigens  keine  kleine  Gunst,  wenn  sie  selbst  ihm  ihre  Um- 
armung anbiete,  sie,  die  bei  anderen  immer  die  Zurück- 
weisung mit  dem  Schwerte  ausführe.  —  So  ermahnte  sie  ihn, 
er  möge  seine  Bemühungen  zu  gefallen  auf  sie  richten,  seine 
hochzeitlichen  Wünsche  auf  sie  lenken  und  er  solle  lernen, 
den  Adel  der  Schönheit  vorzuziehen.  Mit  diesen  Worten  eilte 
sie  auf  ihn  zu  und  umarmte  ihn  innig. 

Entzückt  über  die  zärtliche  Rede  der  Jungfrau  erwiderte 
Amlethus  gern  ihre  Küsse,  schloss  sie  eng  in  seine  Arme 


^)  Vgl.  I,  21  Anm.  3  und  ausserdem  III,  150  und  152. 


166  Viertes  Buch. 

und  versicherte,  ihr  Wunsch  sei.  auch  der  seinige.  Darauf 
104  wurde  ein  Gelage  veranstaltet,  die  Freunde  wurden  einge- 
laden, die  Edlen  versammelt,  die  Hochzeit  volIzos;en  ^). 
Darnach  kehrte  er  mit  seiner  jungen,  Frau  nach  Britannien 
zurück,  hless  aher  einen  starken  Trupp  Schotten  ihm  auf  dem 
Fusse  folgen,  um  sich  ihrer  Hilfe  gegen  verschiedene  Nach- 
stellungen zu  bedienen,  die  man  ihm  etwa  in  den  Weg  legen 
könnte.  Auf  dem  Rückwege  kam  ihm  nun  die  Tochter  des 
Königs  von  Britannien  entgegen,  die  er  geheiratet  hatte. 
Obgleich  sie  sich  darüber  beklagte,  dass  sie  durch  die  An- 
nahme des  Kebsweibes  beleidigt  sei,  sagte  sie  doch,  es  sei 
unwürdig,  den  Hass  wegen  seines  Ehebruches  hoher  zu  stellen 
als  die  Gattentreue;  sie  werde  sich  nie  so  weit  von  ihrem 
Manne  abwenden,  dass  sie  es  über  sich  gewönne,  mit  Still- 
schweigen zu  bedecken,  was  man,  wie  sie  wisse,  heimtückisch 
gegen  ihn  im  Schilde  führe.  Sie  habe  ja  als  Unterpfand  ihrer 
Ehe  ihren  Sohn,  und  schon  die  Rücksicht  auf  ihn  müsse  der 
Mutter  die  eheliche  Liebe  nahe  legen.  Dieser  selbst,  sagte 
sie,  wird  die  Nebenbuhlerin  seiner  Mutter  hassen,  ich  will 
159  sie  lieben.  Meine  (Hut  für  dich  wird  kein  Unglück  ersticken, 
kein  Hass  tilgen.  Ja  ich  will  dir  sogar  die  unheilvollen  Pläne 
gegen  dich  enthüllen  und  alle  Ränke,  die  ich  entdeckt  habe, 
offenbaren.  Darum  bedenke,  dass  du  dich  vor  deinem 
Schwiegervater  hüten  musst;  denn  du  hast  ja  den  Erfolg 
deiner  Gesandtschaft  für  dich  selbst  eingeheimst  und  in  frecher 
Anmassung  ihre  ganze  Frucht  für  dich  in  Anspruch  genommen, 
während  du  die  Wünsche  deines  Auftraggebers  verhöhnt 
hast.  —  Mit  diesen  Worten  bewies  sie,  dass  sie  mehr  Liebe 
zum  (Jatten  als  zum  Vater  besass. 

Während  sie  dies  sagte,  kam  der  König  von  Britannien, 
umarmte  seinen  Eidam  innig,  aber  ohne  Liebe,  und  lud  ihn 
zu   einem  Gelage   ein,   um   seinen   geplanten  Anschlag  unter 


M  Doppolto  Ehen  fintlcu  sich  niaiichinaU  wenn  auch  nicht  oft  im 
jjr*Tiuanischt'n  Altertum:  vjfl.  Wcinhold  S.  240,  Kalund  i.  (rrdr.  III,  Ati'Ji 
ührr  das  Sa«ronmotiv  v^l.  Olrik  IT,  174  ff.  u.  bes.  Gaston  Paris,  La  lejfende 
du  man  aux  deux  femmoi  in  den  «rompt<»s  rendus  de  l'Academie  des 
insoript.  et  belles-lettres-   188H,  571—86.      (Ser.  IV,   Bd.   l.i.) 


Amlethus'  zweite  Heirat ;  sein  Kampf  m.  d.  König  v.  BritannieD.     X()7 

dem  Scheine  der  Freigebigkeit  zu  verbergen.  Amlethus 
erkannte  zwar  den  Trug,  zeigte  aber  seine  Besorgnis  nicht, 
sondern  nahm  sich  zweihundert  Reiter  zur  Begleitung,  zog 
ein  Panzerhemd  unter  sein  Gewand  und  folgte  der  Einladung, 
da  6r  lieber  unter  eigener  Lebensgefahr  der  Heuchelei  des 
Königs  nachgeben  als  schmachvoll  sich  weigern  wollte.  So- 
sehr glaubte  er  in  «allen  Fällen  die  Ehre  währen  zu  müssen. 
Als  er  nun  ganz  nahe  heranritt,  schleuderte  der  König  gerade 
unter  dem  Schutzdache  des  doppelflügeligen  Thores  seinen 
Speer  nach  ihm,  und  et*  hätte  ihn  durchbohrt,  wenn  nicht 
•die  Härte  des  Panzerhemdes  den  Stahl  hätte  abprallen  lassen. 
Amlethus  erhielt  nur  eine  leichte  Wunde  und  begab  sich  zu 
der  Stelle,  wo  er  die  Schar  d^r  Schotten  hatte  warten  heissen. 
Sodann  sandte  er  den  gefangenen  Kundschafter  seiner  neuen 
Gemahlin  an  den  König;  und  dieser  bezeugte,  dass  er  den 
für  seine  Herrin  bestimmten  Brief  heimlich  aus  der  Tasche 
entwendet  habe;  so  schob  er  die  Schuld  auf  Hermut hruda, 
«befreite  ihn  selbst  aber  durch  diese  vollgültige  Entschuldigung 
von  dem  Vorwurf  des  Verrats.  Der  König  zögerte  nicht,  den 
eiligst  fliehenden  Amlethus  zu  verfolgen,  und  e^  beraubte  ihn 
des  grössten  Teils  seiner  Truppen,  sodass  Amlethus  am 
folgenden  Tage,  als  er  zu  seiner  Rettung  einen  Verteidigungs- 
kampf beginnen  wollte,  gänzlich  an  seiner  Fähigkeit  zum 
Widerstände  verzweifelte.  Doch  um  wenigstens  scheinbar  die 
.Zahl  seiner  Truppen  zu  vermehren,  stützte  er  die  Leichen  105 
seiner  Gefährten  zum  Teil  auf  untergelegte  Pfähle,  zum  Teil 
lehnte  er  sie  an  Steine  in  der  Nähe  an,  andere  wieder  setzte 
<  er  wie  lebend  aufs  Pferd,  ohne  ihnen  irgend  einen  Teil  ihrer 
.Rüstung  abzunehmen,  und  stellte  sie  reihenweise  in  voll- 
ständiger, keilförmiger  Schlachtordnung  auf,  gleich  als  ob  sie 
wirklich  kämpfen  würden  ^).  Der  Flügel,  der  aus  den  Toten 
bestand,  war  nicht  weniger  stark  als  die  Schar  der  Lebenden. 
Es  bot  fürwahr  ein  schreckliches  Bild,  wie  die  Toten  zum 
Kampfe  herangezogen  und  die  Verstorbenen  zum  Fechten  ge-  l«o 
zwungen   wurden.     Diese    List  war  für  ihren  Erfinder   nicht 


•      ')  Vgl.  hierzu  I,  24?)  und  IV,  191. 


168  Viertes  Buch. 

umsonst;  denn  gerade  die  Gestalten  der  Toten  boten  den 
Anblick  einer  gewaltigen  Schar  dar,  als  die  Strahlen  der 
Sonne  über  sie  hinglitten.  Denn  jene  nichtigen  Scheinbilder 
der  Gefallenen  füllten  die  frühere  Zahl  der  Soldaten  so  gut 
aus,  dass  man  glauben  musste,  ihre  Menge  habe  durch  das 
gestrige  Gemetzel  gar  keine  Einbusse  erlitten.  Durch  diese 
Erscheinung  erschreckt,  ergriffen  die  Britannier  noch  vor  der 
Schlacht  die  Flucht,  besiegt  von  Toten,  welche  sie,  als  sie 
noch  lebten,  selbst  überwunden  hatten.  Ob  man  bei  diesem 
Siege  mehr  des  Amlethus  Schlauheit  oder  sein  Glück  preisen 
soll,  weiss  ich  nicht.  Während  nun  der  König  allzulangsam 
die  Flucht  ergriff,  wurde  er  von  den  heranstürmenden  Dänen 
erschlagen.  Amlethus  machte  als  Sieger  eine  gewaltige  Beute, 
bemächtigte  sich  des  britannischen  Raubes  und  kehrte  dann 
mit  seinen  Frauen  in  sein  Vaterland  zurück. 

Unterdessen  war  Roricus  gestorben  und  Vigletus^) 
hatte  die  Herrschaft  übernommen.  Dieser  hatte  Amlethus* 
Mutter  mit  Unverschämtheiten  jeder  Art  belästigt  und  sie 
um  ihre  königlichen  Schätze  gebracht.  Denn  er  beklagte 
sich  darüber,  dass  ihr  Sohn  ohne  Rücksicht  auf  den  König 
in  Lethra,  dem  es  doch  zukomme,  Würden  und  Rechte  zu 
verleihen  und  aufzuheben,  sich  die  Königswürde  in  Jütland 
angemasst  habe.  Diesen  Sachverhalt  nahm  Amlethus  so 
gelassen  auf,  dass  es  schien,  als  wolle  er  die  Bosheit  mit 
Wohlwollen  belohnen;  denn  er  beschenkte  Yigletus  mit  den 
schönsten  Beutestücken  seines  Sieges.  Später  aber  benutzte 
er  die  Gelegenheit,  Rache  zu  üben,  griff  ihn  an,  besiegte  ihn 
im  Kampfe,  und  ward  so  aus  einem  heimlichen  Feind  ein 
offener.  Fiallerus'),  den  Statthalter  von  Schonen,  schickte 
er  in  die  Verbannung,  und  dieser  soll  sich  an  einen  Ort 
Namens  Undensakre^)  zurückgezogen  haben,  der  unserer  Be- 

')  Der  Name  Vigletua  begegnet  nur  in  der  Hamletgeschichte  hier 
und  in  einigen  andern  dänischen  und  angelsächsischen  Quellen,  nicht  aber 
bei  den  Isländern. 

')  Ein  im  skandinavischen  Altertum  häufig  begegnender  Name. 

')  Holder  erklärt  diesen  Namen,  wohl  mit  Unrecht,  auf  Grund  einer 
Konjektur  des   dänischen   Gelehrten  N.  M.  Pedersen  als   y,Under8&ker  in 


Amlethus'  Sieg;  Heimkehr  und  Tod  im  Kampt  mit  Vigletus.     \QQ 

völkerung  unbekannt  ist.  Als  Amlethus  darnach  von 
Vigletus,  der  sich  durch  Streitkräfte  aus  Schonen  und  See- 
land verstärkt  hatte,  durch  Gesandte  zum  Kriege  heraus- 
gefordert wurde,  erkannte  er  in  seiner  wunderbaren  Einsicht, 
dass  er  zwischen  zwei  £ntschliessungen  zu  wählen  habe,  von 
denen  ihm  die  eine  Schmach,  die  andere  Gefahr  bringe.  Er 
wusste  nämlich,  dass  ihm,  wenn  er  die  Herausforderung  an- 
nehme, Gefahr  für  sein  Leben  erwüchse,  wenn  er  vor  ihr 
zurückschrecke,  dass  ihm  Schande  als  Krieger  drohe.  Doch 
da  er  immer  nur  auf  wackere  Thaten  bedacht  war,  überwog 
in  seinem  Herzen  der  Wunsch,  seine  Ehre  zu  bewahren,  und 
die  allzu  lebhafte  Ruhmbegier  stumpfte  die  Furcht  vor  einer 
Niederlage  ab,  damit  nicht  der  strahlende  Glanz  seiner  Ehre 
durch  ängstliche  Flucht  vor  dem  Schicksal  getrübt  werde.  161 
Wusste  er  doch«  dass  zwischen  einem  schmachvollen  Leben 
und  einem  rühmlichen  Tode  ein  fast  ebenso  grosser  Unter-  106 
schied  bestehe,  wie  man  ihn  zwischen  Ehre  und  Schande 
macht.  Er  war  aber  von  solcher  Liebe  zu  Hermuthruda 
erfüllt,  dass  er  weit  grössere  Besorgnis  über  ihre  zukünftige 
Witwenschaft  empfand  als  über  seinen  nahen  Tod.  und  dass 
er  sich  eifrig  umsah,  wie  er  ihr  noch  vor  Beginn  des  Krieges 
eine  zweite  Ehe  sichern  könne.  Hermuthruda  allerdings 
bewies  eine  männliche  Zuversicht  und  gelobte,  sie  wolle  ihn 
auch  im  Kampfe  nicht  verlassen,  ja  sie  sagte,  die  Frau  müsse 
verflucht  sein,  die  davor  zurückschrecke,  sich  im  Tode  zu 
ihrem  Gemahl  zu  gesellen.  Aber  dieses  unerhörte  Ver- 
sprechen hielt  sie  nur  allzu  wenig.  Denn  als  Amlethus  von 
Vigletus  im  Kampfe  erschlagen  wurde,  begab  sie  sich  frei- 
willig in  die  Gefangenschaft  und  in  die  Arme  des  Siegers. 


Norra  Jemtland.*^  Die  erste  Ausgabe  des  Saxo  hat  die  Form  Undensalcre, 
die  bei  Saxo  wohl  sicher  an  Stelle  des  anrd.  LMäinsakr  oder  vielmehr 
(nach  Olrik  U,  159)  iür  das  gleichbedeutende  *  Undornsakrar  eingetreten  ist 
Dieser  „Unsterblichkeitsacker**  wird  öfter  erwähnt,  aber  nur  in  ziemlich 
jungen  Quellen ;  er  gehört  in  dasselbe  Vorstellungsgebiet  wie  die  viel  ver- 
herrlichte Walhall.  Vgl.  die  I,  48  Anm.  1  angegebene  Litteratur  und 
dazu  DQch  Heinzel  in  d.  Sitzgsber.  d.  Wiener  Akad.  der  Wissensch.  Phil.- 
Hist.  Kl.  Bd.  109,  S.  700;  E.  H.  Meyer  S.  127. 


i 


170  Viertes  Buch. 

So  bricht  der  Wandel  des  Glücke»  jedes  Frauengelübde,  und 
die  Veränderlichkeit  der  Zeiten  löst  es.  Zufällige  Ereignisse 
bringen  die  Treue  der  Weiberherzeu,  die  nur  auf  unsicherem 
Untergrunde  ruht,  ins  Wanken.  So  schnell  sie  zum  Versprechen 
bereit  sind,  so  trag  sind  sie  bei  der  Ausführung;  von  mancher 
sinnlichen  Lockung  lassen  sie  sich  verführen;  immer  allzu- 
eifrig, Neues  zu  gewinnen,  vergessen  sie  das  Alte,  und  jach 
zerbrechen  sie  es  in  atemloser  Begehrlichkeit.  —  Das  war 
•Amlethus'  Ende.  Wenn  er  vom  Glücke  die  gleiche  Gunst 
wie  von  der  Natur  erfahren  hätte,  wäre  er  mit  seinem  Ruhme 
den  Himmlischen  gleichgekommen,  hätte  er  durch  seine 
Heldenthaten  die  Arbeiten  des  Herkules  übertroflFen.  Es  giebt 
ein  Gefilde  in  Jütland,  berühmt  durch  sein  Grab  und  seinen 
Namen  ^).  Vigletus  verbrachte  in  Ruhe  die  lange  Zeit 
seiner  Herrschaft,  bis  ihn  eine  Krankheit  hinraffte. 

Ihm  folgte  sein  Sohn  Wermundus^).  Dieser  verlebte 
in  glückseliger  Ruhe  seine  behaglich  und  gleichmässig  ver- 
streichende Zeit  und  genoss  eine  lange  und  sichere  Dauer 
des  Friedens  in  seinem  Reiche,  ohne  dass  seine  Sicherheit 
irgendwie  gestört  wurde.  In  seinen  jungen  Jahren  hatte  er 
keineii  Sprossen,  als  älterer  Mann  aber  bekam  er  durch  eine 
späte  Gunst  des  Glückes  einen  Sohn,  üff  o,  während  ihm  soviele 
schon  verstrichene  Jahre  keinen  Erben  gewährt  hatten.  Dieser 
162  Uffo  übertraf  alle  seine  Altersgenossen  an  Körpergrösse, 
wurde  aber  in  seiner  Kindheit  für  so  stumpfsinnig  und  albern 
gehalten,  dass  er  für  häusliche  wie  staatliche  Gemeinschaft  gänz- 


*)  D.  i.  jetzt  das  Dorf  Aminelhede  südlich  vom  RandersQord  an  der 
Ostküste  des  nördlichen  Jütland.     (Olrik  II,  159  u.  Anm.  2). 

')  Die  Wermund-  und  Utfesa^e,  welche  jetzt  folfj^t,  ist  ebenfalls 
dänischen  Ursprungs  und  gehört  infoltje  der  trefflichen  Ausf^estaltuuf; 
vieler  Einzolzüge  auch  mit  zu  den  besten  Darstellungen  bei  Saxo.  In 
äusserlichem  Zusammenhange  damit  steht  die  zunächst  erzählte  (Teschichte 
von  Frowinus  und  soii>en  S<>hnen,  sowie  die  Episode  von  Folco.  —  Rin 
Vermundr  vitri  (=  der  Weise)  wird  auch  in  isländischen  Quellen  erwähnt, 
w^ährend  Iffo  bin  dieiiMi  unbekannt  i?K.  Beide  kommen  dagegen  öfter 
in  andern  däjusohen  sowie  in  angelsächsischen  Quellen  (der  letztere 
dort  als  Off'a;  s.  z.  B.  Boowulf,  Xamenver/eichnis)  vor.  Vgl.  Müllers 
Ausgabe  II,  1.-U-40,  Uhland  Sehr.  VII,  213ff-.  und  bes.  Olrik  II,  ISÄff. 


Vigletus;    Wermundus  und  Uffo.     Athislus.  171 

lieh  unbrauchbar  schien.  Denn  von  seinen  ersten  Jahren  an  Hess 
er  sich  nicht  zu  Spiel  oder  Scherz  herbei;  er  war  so  aller 
menschlichen  Freuden  bar,  dass  er  seine  Lippen  in  beständigem 
Schweigen  geschlossen  hielt  und  seinen  strengen  Zügen  sogar 
die  Mühe  des  Lachens  ersparte.  So  voll  aber  seine  früheste 
Jugendzeit  von  dem  Rufe  seiner  Dummheit  war,  später  ver- 
wandelte er  diese  Verächtlichkeit  in  Berühmtheit,  und  so  sehr 
er  zuerst  ein  Muster  der  Trägheit  war,  so  sehr  wurde  er  später 
ein  Vorbild  für  Klugheit  und  Heldenmut  ^).  Sein  Vater  ver-  107 
jschaflfte  ihm  In  Anbetracht  seiner  Stumpfheit  die  Tochter  des 
Frowinus^),  des  Statthalters  von  Schleswig,  zur  Frau,  um 
durch  die  Verschwägerung  mit.  einem  so  hervorragenden 
Manne  eine  Stütze  für  das  Reich  z.u  erhalten.  Frowinus 
hatte  zwei  Söhne,  Keto  und  Wigo,  Jünglinge  von  glänzen- 
der Veranlagung,  deren  Fähigkeiten  ebenso  wie  die  des  Fro- 
wiuus  nach  des  Wermundus  Berechnung  künftig  seinem  Sohne 
zu  gute  kommen  sollten. 

Zu  dieser  Zeit  herrschte  in  Schweden  Athislus^),  ein 
durch  seinen  Ruhm  und  seine  Thatkraft  weit  bekannter  Mann. 
Als  dieser  seine  Nachbarn  in  grossem  Umkreise  im  Kampfe 
unterworfen  hatte,  wollte  er  den  durch  seine  Helden thaten 
errungenen  Ruhmesglanz  nicht  in  müssiger  Ruhe  vergehen 
lassen,  sondern  er  brachte  mehrere. neue  Arten  ritterlicher 
Uebungen  durch  seine  eifrigen  Bemühungen  und  seine  Thätig- 
keit  auf.  Unter  anderem  hatte  er  die  Gewohnheit,  täglich, 
mit  einer  herrlichen  Rüstung  gewappnet,  einen  einsamen 
Ausflug  zu  machen,  einmal  weil  es  naoh  seiner  Ueberzeugung 
im  Kriegswesen  nichts  Besseres  gab  als  häufige  Uebung  in 
den  Waffen,  andrerseits  auch,  um  durch  das  Bekanntmachen 


*)  Von  solchen  Naturen  wird  öfter  berichtet.  Die  Betreffenden 
heissen  in  den  Sagas  kolbitar  =  Kohlenbeisser,  weil  sie  gewöhnlich  faul  am 
Herdfeuer  lagen  (Kalund  i.  (rrdr.  III,  417).  Auch  Boowulf  gehörte  zu 
ihnen  (v.  2184.  2188). 

')  Auch  dieser  Nanie  findet  sich  in  angelsächsischen  Berichten  als 
Freäwine. 

*)  Dieser  Athislus  ist  tiach  Saxos  Darstellung  von  dem  II,  83,  85  ff. 
erwähnten  Atislus  gan2  verschieden. 


172  Viertes  Buch. 

dieses  Eifers  seinen  Ruhm  noch  zu  erhöhen.  Es  beherrschte 
ihn  ebenso  viel  Selbstvertrauen  vie  Ehrgeiz.  Er  glaubte 
nämlich,  keine  Macht  der  Erde  sei  so  gross,  dass  er  fürchten 
müsste,  durch  ihren  Widerstand  seine  Kaltblütigkeit  erschüttert 
zu  sehen.  Er  setzte  nun  seine  bewaffnete  Macht  nach  Däne- 
mark über  und  forderte  Frovinus  in  Schleswig  zum  Kampfe 
heraus.  Als  sich  nach  einem  gewaltigen  Blutbade  auf  beiden 
Seiten  die  Truppen  zerstreuten,  geschah  es,  dass  die  Heer- 

168  führer  selbst  mit  dem  Schwert  an  einander  gerieten,  um  ihre 
Sache  in  einem  Zweikampf  zum  Austrag  zu  bringen  und 
ausser  im  allgemeinen  Kriegsglück  noch  in  einem  persönlichen 
Gefechte  um  die  Entscheidung  zu  ringen.  Denn  beider  Be- 
streben verfolgte  den  Zweck,  ihre  Tüchtigkeit  ohne  die  Bei- 
hilfe ihrer  Parteigenossen,  nur  durch  eigenes  Erproben  ihrer 
Kräfte  zu  erweisen.  Dabei  ergab  es  sich,  dass  Athislus,  als 
die  Hiebe  auf  beiden  Seiten  niederhagelten,  die  Oberhand 
gewann,  den  Frowinus  niederstreckte  und  zu  diesem 
persönlichen  Siege  noch  einen  allgemeinen  hinzufügte,  indem 
er  die  allenthalben  zerstreuten  Scharen  der  Dänen  vollends 
in  die  Flucht  schlug.  Dann  kehrte  et  nach  Schweden  zurück 
und  Hess  nicht  nur  seinen  Sieg  über  Frowinus  unter  den 
Schilderungen  seiner  Heldenthaten  mit  aufzeichnen,  sondern 
er  pflegte  auch  allzu  wortreich  damit  zu  prahlen  und 
schmälerte  so  den  Ruhm  seiner  That  durch  die  Zügellosigkeit 
seiner  Zunge.  Manchmal  ist  es  nämlich  ehrenvoller,  seine 
Vorzüge  in  geziemendem  Schweigen  zu  verhüllen,  als  sie 
unter  prahlenden  Reden  bekannt  zu  geben. 

Wermundus  erzog  die  Söhne  des  Frowinus  ent- 
sprechend der  hohen  Würde  ihres  Vaters,  eine  Wohlthat, 
welche  die  Kinder  des  fürs  Vaterland  gefallenen  Freundes 
billigerweise  verdienten.  Dieser  Umstand  aber  gab  Athislus 
einen  Vorwand,  Dänemark  wieder  mit  Krieg  zu  überziehen. 
Im  Vertrauen  auf  seine  vorige  siegreiche  Schlacht  kam  er 
denn  wieder,  brachte  aber  nicht  etwa  bloss  wenige  schwache 

108  Truppen  mit,  sondern  die  gesamte  Blüte  der  schwedischen 
Streitmacht,  gleich  als  wollte  er  die  Oberherrschaft  über  ganz 
Dänemark   an  sich   reissen.     Dies   Hess  Keto   durch  seinen 


Sieg  des  Athislus  und  seine  Folgen.     Folco.  173 

ersten  Offizier  Namens  Folco  dem  Wer m und us  melden,  der 
sich  damals  gerade  auf  seinem  Landgute  Jalunga^)  aufhielt. 
Dieser  fand  den  König  mit  seinen  Freunden  beim  Mahle, 
richtete  seinen  Auftrag  aus  und  fügte  hinzu,  jetzt  sei  die 
längst  ersehnte  Möglichkeit  zum  Kriege  da;  er  versicherte 
auch,  er  stehe  gern  auf  Wermundus'  Seite,  da  sich  ja  eine 
Gelegenheit  zu  einem  schnellen  Siege  biete  und  eine  reife 
Ruhmesemte  nur  von  seiner  Willensentscheidung  abhängig 
sei.  Es  sei  ja  eine  grosse  und  unvermutete,  schon  lange 
sehnsüchtig  von  ihm  erstrebte  Gunst  des  Glückes,  welche 
ihm  das  augenblickliche,  günstige  Geschick  zu  teil  werden 
lasse.  Denn  Athislus  sei  mit  zahllosen  schwedischen  Truppen 
gekommen,  gleich  als  wenn  er  in  seinem  Hochmut  den  Sieg 
schon  zweifellos  sicher  hätte.  Da  der  Feind  im  Kampfe  den  164 
Tod  unzweifelhaft  der  Flucht  vorziehen  werde,  so  sei  durch 
diesen  Kriegsfall  eine  günstige  Gelegenheit  zur  Rache  für  die 
letzte  Schlappe  gegeben. 

Wermundus  bezeugte,  dass  er  seinen  Auftrag  rühmlich 
und  mutig  ausgeführt  habe  und  forderte  ihn  auf,  sich  ein 
wenig  beim  Mahle  zu  stärken '),  weil  Reisen  bei  nüchternem 
Magen  beschwerlich  sei.  Der  aber  sagte,  er  habe  durchaus 
keine  Zeit,  Speise  zu  sich  zu  nehmen  und  bat  nur  um  einen 
Trunk,  seinen  Durst  zu  löschen.  Man  bot  ihm  diesen,  und 
Wermundus  hiess  ihn  auch  den  Becher  behalten  (er  war 
nämlich  von  Gold)  mit  dem  Bemerken,  es  sei  für  reisemüde 
und  erhitzte  Leute  bequemer,  das  Wasser  mit  einem  Gefäss 
als  mit  den  Händen  zu  schöpfen,  und  es  sei  besser,  zum 
Trinken  einen  Becher  als  die  Hände  zu  Hilfe  zu  nehmen. 
Da  er  seine  wertvolle  Gabe  mit  so  freundlichen  Worten  be- 
gleitete, war  der  Jüngling  über  beides  hoch  erfreut  und 
gelobte,  er  werde  eher  ebenso  viel  von  seinem  eigenen 
Blute  trinken,  wie  er  soeben  als  Labung  empfangen,  als 
angesichts  des  Königs  dem  Feinde  den  Rücken  kehren. 
Wermundus  ehrte  ein  so  mutvolles  Versprechen  als  Gegen- 


*)  D.  i.  nach  Holder  Jellinge,  jetzt  jütisches  Dorf  im  Amte  Vejle. 
«)  Vgrl.  Hani  Sprüche  Str.  8.  4  (=  Gerings  Edda.  S.  87). 


174  Vif^rte-s  Buch. 

enJie  und  empfand  über  die  Erweisung  seiner  Liebenswürdig- 
keit noch  mehr  Freude,  als  der  Kries:er  durch  die  Annahme 
derj^lben.  Es  stellte  sich  aber  heraus,  dass  er  ebenso  mutig 
focht,  wie  er  gesprochen  hatte. 

Denn  als  der  Krieg  beironnen.  traf  es  sich,  dass  bei  den 
verschiedenen  Vorstössen  der  blassen  auch  Foled  und  Athis- 
lus  einander  begegneten  und  ziemlich  lange  zusammen 
kämpften.  Endlich  aber  ergriff  das  Heer  der  Schweden,  dem 
Schicksale  seines  Führers  folgend,  die  Flucht,  und  auch 
Athislus  eilte  verwundet  aus  der  Schlacht  zu  den  Schiffen. 
Als  nun  Folco  von  Wunden  und  Anstrengung  ermattet,  von 
Hitze,  Mühsal  und  Durst  ge(|uält  aufhörte,  die  fliehenden 
1*»5  Fe'inde  zu  verfolgen,  fing  er,  um  sich  zu  erfrischen,  im  Helme 
10»  sein  eigenes  Blut  auf  und  führte  es  an  den  Mund,  um  zu 
trinken.  Durch  diese  Tbat  vergalt  er  den  Empfang  des 
Bechers  dem  Könige  aufs  glänzendste.  Da  dies  Wermundus 
fi:«'rade  sah.  lobte  er  ihn  für  die  Erfüllung  seines  Versprechens 
höchlich.  Folco  aber  erwiderte  ihm,  rühmliche  Gelübde 
müsse  man  immer  zu  dem  schuldigen  Ende  führen.  Durch 
diesen  Ausspruch  gab  er  seiner  That  eine  ebenso  gute 
Empfehluujr.  wie  Wermundus  es  gethan  hatte. 

Als  nun  die  Sieger,  wie  es  nach  dem  Kampfe  immer 
geschieht,  die  Waffen  abgelegt  hatten  und  sich  ausruhten, 
unterhielten  sie  sich  mit  einander  über  verschiedenes  und 
Keto,  der  Statthalter  von  Schleswig,  meinte,  er  wundere 
sich  darüber,  wie  Athislus  trotz  der  vielen  Hindernisse 
noch  Gelegenheit  zum  Entkommen  gefunden  habe;  er  habe 
ja  als  der  erste  vor  allen  andern  gefochten  und  sei  auf  der 
Flucht  als  letzter  gegangen;  auch  habe  es  ja  keinen  andern 
Mann  unter  den  Feinden  gegeben,  nach  dessen  Tode  die 
Dänen  ebenso  eifrig  getrachtet  hatten.  Darauf  entgegnete 
Wermundus,  er  müsse  wissen,  dass  man  in  jedem  Heere 
vier  verschiedene  Arten  von  Kämpfern  zu  unterscheiden  habe. 
Zu  der  ersten  gehörten  die  Krieger,  welche  ihren  Helden- 
mut durch  Masshalten  zügeln,  die  (Jegner  zwar  eifrig  nieder- 
hauen, aber  sich  schämen,  Flüchtlinge  hart  zu  bedrängen. 
Das    seien    diejenigen,    denen  eine  lange  Erprobtheit  in  den 


Flucht  des  Athislus.     Wermundus  erklärt  sie.  175 

Waffen  schon  ein  ganz  sicheres  Zeugnis  für  ihre  Tüchtigkeit 
ausgestellt  habe-,  die  ihren  Ruhm  nicht  in  die  Verfolgung  der 
Besiegten,  sondern  in  die  üeberwältigung  der  noch  zu  Be- 
siegenden setzten.  Die  zweite  Art  der  Kämpfer  bildeten  die, 
welche  im  Vertrauen  auf  ihre  Kraft  und  ihren  Mut,  aber 
ohne  jede  Spur  von  Erbarmen,  gegen  den  Rücken  wie  gegen 
die  Brust  der  Feinde  mit  derselben  blutigen  Grausamkeit 
wüteten.  Das  seien  solche,  welches  von  jugendlicher  Hitze 
fortgerissen,  sich  bemühten,  die  ersten  Versuche  in  ihren 
kriegerischen  Thaten  durch  einen  guten  Anfang  zu  zieren; 
Jugendfeuer  und  Ehrgeiz  entflamme  sie  zu  gleicher  Zeit 
und  treibe  sie  mit  derselben  eifrigen  Unbesonnenheit  zum 
Rechten  wie  zum  Unrechten.  Die  dritte  Klasse  seien  die- 
jenigen^ welche  zwischen  Furcht  und  Scham  schwankten, 
welche  die  Angst  vom  Vordringen  zurückhielte,  während  der 
Widerstand  des  Ehrgefühls  ihnen  das  Zurückweichen  ver- 
biete. Sie  seien  zwar  von  hoher  Geburt,  aber  doch  nur 
durch  einen  äusserlichen  Adel  ausgezeichnet,  sie  verstärkten 
das  Heer  nur  durch  ihre  Zahl,  nicht  durch  ihre  Kraft,  sie  166 
träfen  den  Feind  nur  mit  ihrem  Schatten,  nicht  mit  den 
Waffen  und  würden  in  den  Scharen  der  Kämpfer  nur  durch 
das  Erscheinen  ihres  Körpers  mitgezählt;  es  seien  Gebieter 
über  grosse  Besitztümer,  ragten  mehr  durch  ihre  Abkunft 
als  durch  ihren  Mut  hervor,  und  die  Begier,  zu  leben, 
veranlasst  durch  die  Herrschaft  über  ihr  Vermögen,  sporne 
sie  an,  mehr  dem  Triebe  der  Feigheit,  als  dem  adliger  Ge- 
sinnung zu  folgen.  Endlich  gäbe  es  noch  andere,  welche 
nur  scheinbar,  nicht  in  Wirklichkeit  einen  Krieg  mitmachten, 
die  sich  in  die  letzten  Reihen  der  Gefährten  drängten  und 
zuerst  zur  Flucht,  zuletzt  zum  Treffen  bereit  seien.  Ein 
sicheres  Zeichen  der  Angst  verrate  den  Zustand  ihrer 
Schwäche,  denn  immer  suchten  sie  Ausflüchte  und  folgten  110 
nur  mit  zögernd-ängstlichem  Vordringen  im  Rücken  der 
Kämpfenden.  Diesen  Gründen  müsse  also  wohl  der. König 
seine  Rettung  verdanken,  da  er  auf  der  Flucht  von  den 
Kriegern  der  ersten  Klasse  nicht  heftig  verfolgt  wurde;  denn 
deren    Aufgabe    sei    es    nicht,    die    Besiegten    aufzuhalten. 


176  Viertes  Buch. 

sondern  den  Sieg  zu  behaupten,  und  demgemäss  verdichteten 
sie  immer  ihre  Reihen,  damit  der  frisch  errungene  Triumph 
auf  Grund  eines  ausreichenden  Rückhaltes  möglichst  einen 
vollkommenen  Erfolg  sichere.  Die  Krieger  der  zweiten  Art 
aber  hätten  Athislus  nicht  aus  Mangel  an  Mut,  sondern 
aus  Mangel  an  einer  günstigen  Gelegenheit  unversehrt  ge- 
lassen ;  denn  diesen  habe  es  nicht  an  der  Keckheit,  sondern 
an  der  Möglichkeit,  ihn  anzugreifen,  gefehlt.  Die  Männer 
der  dritten  Klasse  ferner,  welche  schon  die  Zeit  des  Kampfes 
selbst  in  einem  gewissen  ängstlichen  Hin-  und  Herschwanken 
zubringen,  seien  auch  nach  dem  Erfolge  ihrer  befreundeten 
Partei  im  Wege,  und  wenn  sie  auch  die  Gelege)ftieit  gehabt 
hätten,  den  König  zu  verwunden,  so  habe  es  ihnen  an  Kühn- 
heit, ihn  anzugreifen,  gebrochen.  —  Damit  löste  Wermundus 
die  staunende  Verwunderung  Ketos,  und  er  betonte,  er  habe 
in  seiner  Auseinandersetzung  die  wahren  Gründe  für  die 
Rettung  des  Königs  angegeben. 

Darnach  kehrte  Athislus  flüchtig  nach  Schweden 
zurück,  wo  er  sich  noch  unverschämter  der  Ueberwältigung 
des  Frowinus  rühmte;  er  prahlte  mit  der  Erinnerung 
an  diese  That,  indem  er  unaufhörlich  in  wortreichen 
Erzählungen  von  seinem  Ruhme  berichtete,  nicht  weil 
er  die  Schmach  der  erlittenen  Schlappe  gleichmütig  hin- 
nahm, sondern  um  den  Schmerz  über  seine  neuliche 
Niederlage  durch  das  erhebende  Gedenken  an  seinen  früheren 
Sieg  zu  besänftigen.  Entrüstet  darüber,  wie  natürlich, 
beschworen  nun  Keto  und  Wigo  ein  Gelübde,  ihren  Vater 
zu  rächen.  Da  sie  dies  durch  einen  Krieg  nicht  gut  aus- 
führen zu  können  glaubten,  zogen  sie,  mit  einer  leichten 
Rüstung  ausgestattet,  allein  nach  Schweden;  sie  betraten  den 
Hain,  wo  sich,  wie  sie  vom  Hörensagen  wussten,  der  König 
ohne  Begleiter  aufzuhalten  pflegte,  und  verbargen  ihre 
Wafl^en.  Dort  sprachen  sie  eine  Zeit  lang  mit  Athislus, 
indem  sie  sich  als  Flüchtlinge  ausgaben;  als  sie  von  ihm 
nach  ihrem  Vaterlande  befragt  wurden,  sagten  sie,  sie  seien 
Schleswiger  und  berichteten,  sie  hätten  eines  Mordes  wegen 
167  ihre   Heimat    verlassen.     Der  König    ahnte    natürlich    nicht. 


Athislus  und  die  Söhne  des  Frowinus.  177 

dass  sie  damit  ihr  Gelübde,  eine  solche  That  zu  volIbriugeD, 
meinteD,  sondern  vermutete  die  Schuld  einer  schon  voll- 
brachten. Durch  diese  Zweideutigkeit  wollten  sie  nämlich 
die  Neugier  des  Fragenden  hintergehen  und  ihm  durch  ihre 
bestimmte  Auskunft  ein  Schnippchen  schlagen,  und  trotz 
der  Wahrheit  ihrer  Antwort  bezweckten  sie  durch  den  kaum 
bemerkbaren  Doppelsinn  darin,  einen  falschen  Glauben  bei 
ihm  zu  erwecken.^)  Denn  bei  vornehmen  Männern  galt  in 
alter  Zeit  die  Lüge  als  höchst  schmachvoll.  Darauf  sagte 
Athislus,  er  möchte  gern  wissen,  wer  in  der  Meinung 
der  Dänen  als  Mörder  des  Frowinus  gelte.  Da  er- 
widerte Keto,  man  sei  im  Zweifel,  wem  man  den  Ruhm 
einer  solchen  That  zuerkennen  solle,  zumal  er  der  all- 
gemeinen Ueberzeuguug  nach  im  Kampfe  gefallen  sei.  m 
Athislus  entgegnete,  mit  Unrecht  schreibe  man  andern 
die  Tötung  des  Frowinus  zu,  da  nur  er  selbst  sie  im  persön- 
lichen Handgemenge  vollbracht  habe.  Dann  fragte  er,  ob 
denn  Frowinus  einen  Erben  habe.  Auf  Ketos  Angabe,  dass 
zwei  Söhne  desselben  lebten,  äusserte  er,  er  würde  sehr  gern 
etwas  über  ihr  Alter  und  ihren  Wuchs  hören.  Keto  berichtete, 
sie  seien  ihnen  beiden  an  Körpergestalt  fast  gleich,  in  dem- 
selben Alter,  an  Grösse  sehr  ähnlich.  Da  sprach  Athislus: 
Wenn  mannhafte  Gesinnung  sie  beseelte  wie  ihren  Vater, 
60  würde  für  mich  eine  schlimme  Zeit  kommen.  Auf  seine 
Frage,  ob  sie  öfter  an  den  Tod  ihres  Vaters  gedächten, 
sagte  Keto,  es  sei  überflüssig,  immerfort  das  durchzu- 
sprechen, was  doch  durch  kein  Mittel  geheilt  werden  könne, 
und  er  meinte,  es  nütze  nichts,  ein  Uebel,  das  sich  nicht 
gut  machen  lasse,  durch  beständige  Unannehmlichkeiten 
immer  zu  erneuern.  Mit  diesem  Ausspruch  lieferte  er  den 
Beweis,  dass  man  einer  Rachethat  nicht  Drohungen  voraus- 
schicken dürfe. 

Als  er  nun  des  Königs  Gewohnheit  sah,  täglich  zur 
Uebung  seiner  Kräfte  einen  einsamen  Spaziergang  zu  machen, 
nahm  er  seine  Waffen  und  eilte  ihm  mit  seinem  Bruder  ent- 


')  Vgl.  UI,  144  u.  Anm.  1. 
Saxo  Granunaticus.  12 


178  Viertes  Buch. 

gegen.  Sobald  Athislus  sie  bemerkte,  setzte  er  sich  in  Be- 
reitschaft, da  er  es  für  schimpflieh  hielt,  den  Drohenden 
auszuweichen.  Sie  sagten  darauf,  sie  wollten  Rache  für  den 
Tod  des  Frowinus  nehmen,  zumal  er  sich  ja  in  höchst 
prahlerischem     Dünkel     als     alleinigen     Vollbringer     seiner 

168  tirmordung  bekannt  habe.  Darauf  erwiderte  er,  sie  sollten 
sich  nur  in  Acht  nehmen,  dass  sie  nicht  etwa  in  dem 
Wunsche,  Rache  zu  vollziehen,  ihren  eigenen  Fall  erlebten; 
so  würden  sie  durch  vorzeitige  Ruhmbegierde  ihre  vortreff- 
liche \reranlagung  zunichte  machen.  Daher  sollten  sie  ihre 
Jugend  schonen,  schonen  auch  ihre  Zukunft,  und  sich  nicht 
blindlings  ins  Verderben  stürzen.  Sie  möchten  ihm  darum 
gestatten,  die  Schuld  an  ihres  Vaters  Tode  durch  ein  Wer- 
geid zu  sühnen,  und  sie  sollten  es  als  einen  hohen  Ruhm 
betrachten,  dass  sie  in  den  Ruf  kämen,  einen  solchen  Fürsten 
zu  einer  Geldbusse  gezwungen  und  ihm  sozusagen  einen  ge- 
waltigen Schrecken  eingejagt  zu  haben.  Diesen  Rat  gäbe 
er  ihnen  aber  nicht  aus  Furcht,  sondern  aus  Mitleid  mit  ihrer 
Jugend.  Ketü  jedoch  sagte  ihm,  er  vertrödele  umsonst  die 
Zeit  mit  diesem  Aufwand  an  Worten,  wenn  er  versuche, 
ihren  Wunsch  nach  so  gerechter  Rache  durch  das  Versprechen 
einer  (ieldsumme  ins  Wanken  zu  bringen.  Er  hiess  ihn  vor- 
treten und  im  Kinzelkampfe  mit  ihm  seine  Stärke  erproben. 
Denn  er  wolle  auf  den  Beistand  seines  Bruders  verzichten 
und  nur  seine  eigenen  Kräfte  gebrauchen,  damit  es  nicht 
den  Anschein  erwecke,  als  ob  ein  schimpflicher  Kampf  mit 
ungleichen  Kräften  begonnen  wurde.  Bei  den  Alten  galt  es 
nämlich  als  unbillii^,  ja  als  schmachvoll,  wenn  zwei  gegen  einen 

IIa  fo<*hten.^)  Auch  ein  in  solchem  [Kampfe  errungener  Sieg 
wurde  nicht  als  lobenswert  betrachtet,  sondern  schien  viel- 
mehr mit  Schande  als  mit  Ehre  verknüpft.  Denn  wenn  einer 
von  zweien  überwältigt  wurde,  so  sah  man  das  durchaus  als 
keine  Ileldenthat  an,  sondern  im  Gegenteil  als  höchst 
srhniarhvoll.      Athislus    aber    hatte    solche    Zuversicht   er- 

*)  (>l)^floich  diese  Sitte  recht  oft  betont  wird,  tiiuleu  sich  doch  auch 
»ehr  häuli^'e  Verletzungen  derselben;  bei  Saxo  z.  U.  V,  !♦>♦>:  VI,  1%:  VIL 
243;  251   (Holder). 


Kampf  des  Athislus  mit  Keto  und  Wigo.  179 

griffen,  dass  er  yie  aufforderte,  beide  zugleich  auf  ihn  los- 
zugehen, und  er  fügte  noch  hinzu,  er  werde  ihnen  schon 
Gelegenheit  zu  einem  ganz  ungefährlichen  Kampfe  geben, 
da  er  ihnen  ihre  Streitlust  nicht  ausreden  könne.  Keto  169 
verschmähte  aber  diese  Nachsicht  so  sehr,  dass  er  schwur, 
er  wolle  lieber  sterben,  als  von  ihr  Gebrauch  machen;  denn 
er  glaubte,  man  werde  ihm  diese  Bedingung,  die  er  ihm 
anbot,  zur  Schande  anrechnen.  Während  er  ihn  nun  gar 
hitzig  angriff,  wünschte  ihm  Athislus  nur  einen  ganz  be- 
scheidenen Widerstand  entgegenzusetzen,  und  indem  er  nur 
leicht  mit  dem  Schwerte  gegen  seinen  Schild  schlug,  war  er 
bei  seiner  Verteidigung  w^eit  mehr  auf  seine  eigene  Deckung 
als  darauf  bedacht,  jenem  zu  schaden.  Nach  einiger  Zeit 
forderte  er  ihn  auf,  seinen  Bruder  als  Gefährten  bei  seinem 
Unternehmen  zu  holen,  da  er  mit  seinen  Bemühungen  allein 
keinen  Erfolg  habe.  Als  jener  sich  weigerte,  sagte  er,  er 
werde  ihn  nicht  länger  schonen,  und  der  Drohung  folgte  die 
That,  indem  er  ihn  mit  allen  Kräften  angriff.  Von  dem 
Gegner  wurde  ihm  aber  mit  einem  so  kräftigen  Schwerthiebe 
geantwortet,  dass  der  Stahl  seinen  Helm  zerspaltete  und  noch 
sein  Haupt  berührte.  Durch  diese  Wunde  gereizt  (denn  es 
ergoss  sich  ein  starker  Blutstrom  aus  seinem  Scheitel)  hieb 
er  auf  Keto  mit  raschen,  wuchtigen  Schlägen  ein  und  zwang 
ihn  in  die  Kniee.  Diesen  Anblick  konnte  Wigo  nicht  er- 
tragen, er  folgte  mehr  seiner  brüderlichen  Neigung,  als  der 
allgemeinen  Sitte,  und  das  Ehrgefühl  musste  in  ihm  der 
Bruderliebe  weichen.  Er  griff  Athislus  an  und  wollte 
lieber  seinen  Bruder  in  der  Not  beschützen,  als  nur  dabei 
zusehen.  Durch  diese  That  gewann  er  sich  aber  mehr 
Schande  als  Ruhm,  da  er  bei  der  Unterstützung  seines  Bruders 
die  herkömmlichen  Gesetze  über  den  Zweikampf  gebrochen 
und  ihm  offenbar  mit  mehr  Nutzen  als  Ehre  Hilfe  gebracht 
hatte.  Denn  in  einer  Beziehung  unterlag  er  der  Versuchung 
der  Schande,  in  der  anderen  gab  er  dem  Triebe  der 
Bruderliebe  nach.  Sie  erkannten  denn  auch  selbst,  das.s  die 
Tötung  des  Athislus  mehr  übereilt  als  rühmlich  von  ihnen 
vollzogen  worden  sei.    Damit  ihre  That  aber  nicht  allgemein 


180  Viertes  Buch. 

unbekannt  bliebe,  schnitten  sie  seiner  Leiche  den  Kopf  ab, 
setzten  sie  auf  ein  Pferd,  schafften  sie  aus  dem  Haine  heraus 
und  übergaben  sie  den  Bewohnern  des  nächsten  Dorfes  mit 
der  Mitteilung,  des  Frowinus  Söhne  hätten  für  die  Ermor- 
dung ihres  Vaters  Rache  an  dem  Schwedenkönig  Athislus 
genommen.  Da  sie  sich  nun  eines  solchen  Sieges  rühmen 
konnten,  wurden  sie  von  Wermundus  mit  den  höchsten 
Ehren  empfangen,  und  er  sagte,  sie  hätten  ein  äusserst  nütz- 
liches Werk  vollbracht;  er  sehe  vielmehr  auf  den  Ruhm,  der 
in  der  Tötung  dieses  Nebenbuhlers  bestehe,  als  auf  die  Uu- 
ehrenhaftigkeit,  die  sie  dabei  begangen;  er  glaube  auch  nichts 
dass  die  Ermordung  eines  Tyrannen  irgend  etwas  Schmach- 

118  volles  enthalten  könne.  Bei  den  Fremden  aber  wurde  es 
sprichwörtlich,  dass  der  Fall  des  Königs  das  alte  Kampf- 
recht erschüttert  habe. 

170  Als  nun  Wermundus  infolge    von  Altersschwäche  das 

Augenlicht  verlor,  glaubte  der  König  von  Sachsen,  Däne- 
mark sei  ohne  Fürsten  und  er  forderte  ihn  durch  Gesandte 
auf,  er  möge  die  Herrschaft,  die  er  länger  festhalte,  als 
sein  Leben  ihm  gestatte,  ihm  überlassen,  damit  er  nicht 
durch  allzulange  Herrschbegier  sein  Land  des  Schutzes  der 
Gesetze  und  der  Waffen  beraube.  Denn  wie  könne  der  als 
König  gelten,  dem  das  Alter  den  Verstand  und  Blindheit  die 
Augen  mit  gleich  grausig  schwarzer  Nacht  umhüllt  habe? 
Wenn  er  sich  weigere,  aber  einen  Sohn  habe,  der  mit  dem 
seinigen  einen  Zweikampf  zu  bestehen  wage,  so  möge  er 
erlauben,  dass  der  Sieger  die  Herrschaft  erhalte.  Wenn  er 
aber  keinen  seiner  Vorschläge  billige,  so  solle  er  erfahren, 
dass  er  es  bei  ihm  mit  Waffengewalt  und  nicht  mit  leeren 
Drohungen  zu  thun  habe:  dann  werde  er  schon  wider  seinen 
Willen  gewähren,  was  er  freiwillig  zu  geben  verschmähe. 
Wermundus  antwortete  unter  tiefem  Seufzen,  es  berühre 
ihn  schmerzlich,  dass  man  ihm  gar  so  unverschämt  sein 
hohes  Alter  zum  Vorwurf  mache;  er  sei  doch  gewiss  nicht 
deshalb  zu  seinem  Unglück  so  alt  geworden,  weil  er  etwa  nur 
selten  kämpfend  in  allzu  grosser  Aengstlichkt^it  seine  Jugend 
verlebt    habe.     Ohne   jede  Berechtigung   halte   man  ihm  das 


Wermundus  und  die  Sachsen;  Ufifo.  181 

Gebrechen  seiner  Blindheit  vor;  denn  ein  so  hohes  Alter 
pflege  in  der  Regel  einen  derartigen  Verlust  im  Gefolge  zu 
haben,  und  ein  solches  Leiden  verdiene  sicherlich  vielmehr 
Mitleid  als  Hohn.  Mit  mehr  Recht  könne  den  König  von 
Sachsen  der  Tadel  der  Ungeduld  treffen;  besser  hätte  es  sich 
für  ihn  geschickt,  das  Ende  des  Greises  abzuwarten  als  sein 
Reich  für  sich  zu  fordern;  denn  es  sei  immer  vorzuziehen, 
einen  Toten  zu  beerben  als  einen  Lebendigen  zu  berauben. 
Damit  es  jedoch  nicht  den  Anschein  erwecke,  als  ob  er 
gleichsam  wie  im  Wahnsinn  die  Ansprüche  auf  seine  alte 
Unabhängigkeit  fremder  Tyrannei  überantworte,  so  werde  er 
in  eigener  Person  der  Herausforderung  Folge  leisten.  Die 
Gesandten  erwiderten  darauf,  sie  wüssten  schon,  dass  ihr 
König  sich  vor  der  Narrheit,  sich  mit  einem  Blinden  zu 
jsehlagen,  hüten  werde;  denn  ein  so  lächerlicher  Kampf 
würde  vielmehr  für  eine  Schmach  als  für  eine  Ehre  gelten. 
Viel  zweckmässiger  wäre  es  doch,  die  Angelegenheit  durch 
ihre  beiden  Abkömmlinge,  ihr  eigenes  Fleisch  und  Blut,  er- 
ledigen zu  lassen.  Als  die  Dänen  hierüber  noch  bestürzt 
und  wegen  ihrer  Verlegenheit  um  eine  rasche  Antwort  be- 
troffen waren,  heischte  Uffo,  der  gerade  mit  den  andern 
anwesend  war,  vom  Vater  die  Erlaubnis  zur  Antwort  und 
ward  plötzlich  aus  einem  fast  Stummen  ein  Redender.  Als 
nun  Wermundus  fragte,  wer  ihn  denn  um  solche  Erlaub- 
nis zum  Sprechen  bitte,  und  die  Diener  erwiderten,  Uffo 
thue  es,  da  sagte  er,  es  sei  genug,  wenn  Fremder  Schnödig- 
keit  sein  schmerzliches  Unglück  verhöhne;  er  brauche  nicht 
Boch  von  seinen  eigenen  Leuten  mit  gleicher  beleidigender 
Schamlosigkeit  gequält  zu  werden.  Da  aber  die  Trabanten 
hartnäckig  bei  ihrer  Versicherung  blieben,  es  sei  Uffo,  spracli 
er,  es  stehe  ihm  frei,  wer  er  auch  immer  sein  möge,  seine  m 
Gedanken  vorzutragen.  Da  sagte  Uffo:  Vergeblich  begehre 
jener  König  diesen  Thron,  der  auf  die  Pflichttreue  seines  114 
«igenen  Herrschers  wie  auch  auf  die  Waffen  und  die  Umsicht 
der  tapfersten  Edelleute  gestützt  sei.  Ausserdem  vergässo 
weder  der  Sohn  dem  Vater,  noch  der  Thronfolger  seinem  Throne 
gegenüber    seine  Pflicht,  und  sie  sollten  wissen,  dass  er  ent- 


1^2  Viertes  Buch. 

Kchlossea  sei«  nicht  nur  den  Sohn  ihres  Königs,  sondern  auch 
zugleich  jeden  heliebigen,  den  er  aus  den  Tapfersten  seines 
Volkes  mitbringe,  im  Kampfe  zu  bestehen.  —  Als  die  Gesandten 
dies  hörten,  lachten  sie,  weil  sie  glaubten,  das  sei  nur  ein  eitles 
Prahlen  mit  Worten;  dennoch  wurde  ohne  Säumen  der  Ort 
für  den  Kampf  festgesetzt  und  ein  bestimmter  Zeitpunkt  für 
ihn  verabredet.  Die  Anwesenden  aber  waren  von  solchem 
Staunen  Ober  die  ganz  unerwartete  Rede  und  Herausforderung 
Uffos  erfüllt,  dass  es  ungewiss  bleibt,  ob  sie  seinen  Worten 
oder  seiner  Zuversicht  mehr  Bewunderung  zollten. 

Als  die  Gesandten  fort  waren,  lobte  Wermundus  den 
Antwortgeber,  weil  er  die  Zuversicht  in  seine  Mannhaftigkeit 
nicht  nur  in  der  Herausforderung  eines,  sondern  sogar  zweier 
Kämpfer  gezeigt  habe,  und  sagte,  er  wolle  lieber  ihm,  wer 
er  auch  sei,  die  Herrschaft  abtreten,  als  dem  übermütigen 
Feinde.  Da  aber  alle  behaupteten,  es  sei  sein  Sohn,  der  den 
Dünkel  der  Gesandten  in  erhabenem  Selbstvertrauen  ver- 
achtet habe,  hiess  er  ihn  naher  herankommen,  um  sich  mit 
den  Händen  zu  überzeugen,  da  es  mit  den  Augen  nicht  an- 
ging. Darauf  befühlte  er  gar  aufmerksam  seinen  Körper, 
und  erkannte  an  der  Grösse  seiner  Glieder,  wie  an  seinen 
(Gesichtszügen  seinen  Sohn.  Nun  begann  er  den  Ver- 
si<'herungeu  (ilauben  zu  schenken  und  ihn  zu  fragen,  warum 
er  denn  den  süssen  Gebrauch  der  Sprache  mit  so  sorg- 
fältigem Kifer  in  seiner  Verstellung  verborgen  habe,  und  wie 
er  es  über  sich  gewonnen  habe,  ohne  Stimme  und  jeden 
mündlichen  Verkehr  einen  so  langen  Zeitraum  zuzubringen. 
Dadurch  habe  er  ja  zu  dem  Glauben  veranlasst,  seine  Zunge 
versage  gänzlich  ihren  Dienst,  und  er  sei  mit  dem  Gebrechen 
angeborener  Stummheit  behaftet.  Kr  antwortete,  er  sei  bis 
jetzt  mit  der  Verteidigung  seines  Vaters  zufrieden  gewesen 
und  habe  ja  seine  Stimme  nicht  eher  nötig  gehabt,  als  bis 
er  bemerkte,  wie  die  Weisheit  in  seiner  Heimat  gar  hart  von 
der  Geschwätzigkeit  der  Fremden  bedrängt  wurde.  Auf 
weiteres  Fragen,  warum  er  denn  lieber  zwei  statt  einen  Gegner 
herausgefordert  habe,  erwiderte  er,  er  habe  sich  deshalb 
diese  Art  des  Kampfes  gewünscht,  damit  die  Ueberwältigung 


UflFo.  183 

des  Königs  Athislus,  die,  weil  von  zweien  vollbracht,  deu 
Dänen  Schande  mache,  durch  die  Heldenthat  eines  einzigen 
Mannes  ausgeglichen  werde  und  ein  neues  Probestück  von 
Mannhaftigkeit  die  Erinnerung  an  die  frühere  Schmach  tilge.  172 
So,  sagte  er,  müsse  die  Schuld  der  alten  Unehre  durch  neuen 
Ruhm  ersetzt  werden.  Wermundus  bezeugte,  dass  er  alles 
richtig  beurteilt  habe,  und  hiess  ihn  nun  den  Gebrauch  der 
Waffen  erlernen,  weil  er  allzu  wenig  au  diese  gewohnt  war. 
Als  man  sie  brachte,  sprengte  Uffo  mit  seiner  gewaltigen 
Brust  die  engen  Glieder  der  Panzer,  und  man  konnte  keinen 
finden,  der  für  ihn  weit  genug  gewesen  wäre.  Er  war  näm- 
lich zu  gross,  als  dass  er  fremde  Waffen  hätte  brauchen  115 
können.  Als  er  zuletzt  auch  die  Brünne  seines  A^aters  zer- 
sprengte, da  sie  ihn  zu  sehr  einschnürte,  liess  sie  Wer- 
mundus an  der  linken  Seite  aufschneiden  und  mit  einer 
Spange  zusammenhalten;  denn  er  legte  keinen  grossen  Wert 
darauf,  dass  der  Teil,  der  vom  Schilde  gedeckt  sei,  dem 
Stahl  offen  stünde.  Er  forderte  ihn  auch  auf,  sich  mit 
grösster  Sorgfalt  ein  Schwert  auszusuchen,  welches  er  mit 
Sicherheit  verwenden  könne.  Es  wurden  mehrere  gebracht, 
aber  U  ff  o  fasste  mit  der  Hand  den  Griff  und  zerbrach  jedes  ein- 
zelne beim  blossen  Schwingen,  und  kein  einziges  von  ihnen  war 
so  fest,  dass  er  es  nicht  bei  der  ersten  Schwungbewegung  in 
mehrere  Stücke  zerschmettert  hätte.  ^)  Der  König  aber  be- 
sass  ein  Schwert  von  ungewöhnlicher  Schärfe,  Namens  Skrep*), 
welches  jedes  beliebige  Hindernis  mit  einem  einzigen  Hiebe  mitten 
durchdrang  und  es  zerspaltete;  und  es  gab  nichts  so  hartes, 
was  die  einmal  angesetzte  Schneide  hätte  aufhalten  können. 
Um  aber  die  Benutzung  desselben  der  Nachwelt  zu  entziehen, 
hatte  es  der  König,  da  er  Fremden  den  Gebrauch  desselben 
höchlichst  missgönnte,  tief  vergraben,  und  da  er  seinem 
Sohne  keine  Fortschritte  zutraute,  wollte  er  es  auch  anderen 
verweigern!     Auf   die    Frage    nun,    ob  er  nicht  ein  Schwert 


*)  Solche  Schwertprobe  ist  ein  in  der  Dichtung  der  verschiedensten 
Völker  oft  begegnendes  Motiv;  ausser  den  bei  Olrik  II,  189  angeführten 
Belegen  vgl.   auch  Beowulf  v.  2683  iT. 

')  Vgl.  IL   91  Anm.  2,   wo   dieses    Beispiel    noch  hinzuzufügen    ist. 


184  Viertes  Buch. 

habe,  welches  der  Stärke  seines  Sohnes  würdig  sei,  antwortete 
er,  er  besitze  eins,  und  wenn  man  die  Stätte,  wo  er  es  einst 
der  Erde  übergeben,  wiedererkennen  und  es  auffinden  könne, 
so  werde  es  schon  für  seine  Körperkräfte  passen.  Darauf 
Hess  er  sich  auf  ein  Feld  führen,  befragte  seine 
Begleiter  über  alles,  und  als  er  durch  die  Erkennung  ge- 
wisser Zeichen  die  Stelle  der  Vergrabung  aufgefunden  hatte, 
holte  er  das  Schwert  aus  der  Höhlung  und  reichte  es  seinem 
Sohne.  Als  Uffo  sah,  dass  es  infolge  seines  allzu  hohen 
Alters  schon  zerbrechlich  und  von  Rost  zerfressen  war,  fragte 
er  misstrauisch,  ob  er  auch  dieses  Schwert  wie  die  vorigen 
erproben  dürfe;  denn  er  meinte,  er  müsse  erst  seine  Be- 
schaffenheit ausprobieren,  ehe  es  zum  Kampfe  komme. 
Wermundus  erwiderte,  wenn  auch  dieses  Schwert  beim 
blossen  Schwingen  zerspringe,  so  sei  keines  mehr  übrig, 
welches  dem  Verhältnis  seiner  Kräfte  entspräche;  daher 
müsste  er  auf  den  Versuch  verzichten,  dessen  Ausgang  un- 
gewiss sei. 

Der  Verabredung  gemäss  suchte  man  nun  den  Kampf- 
los platz  auf.  Diesen  umströmen  die  Gewässer  der  Eider  der 
Art,  dass  sie  jeden  andern  Zugang  als  zu  Schiff  verhindern.^) 
Uffo  eilte  ohne  Begleiter  dorthin,  dem  Sohne  des  Sachsen- 
königs aber  folgte  ein  Fechter  vofi  gewaltigen  Kräften, 
während  zahlreiche  Scharen  von  beiden  Parteien  voll  Eifer 
zuzusehen,  die  gekrümmten  Ufer  anfüllten.  Während  sich 
nun  aller  Augen  diesem  Schauspiele  zuwandten,  stellte  sich 
Wermundus  an  das  äusserste  Ende  einer  Brücke,  um  in 
den  Fluten  zu  sterben,  wenn  sein  Sohn  besiegt  werden  sollte. 
Er  wollte  nämlich  lieber  seinem  eigenen  Fleisch  und  Blut 
IW  ins  Verderben  folgen,  als  schmerzerfüllten  Herzens  den 
Untergang  seines  Vaterlandes  miterleben.  Uffo  aber,  von  dem 
doppelten  Angriff  der  Krieger  bedrängt,  traute  seinem 
Stliwerto  ni<'ht  recht   und  fing  ihre  Streiche  mit  dem  Schild- 


*)  B.  XII,  S.  402,  22  (Holder)  erwaliut  Saxo,  nn  (iiesein  Orte  habe 
Bero  (cnl(*r  Bjrirn  Swensstm)  (»ine  Biir^  orlmut :  ilu  diese  nun  als  die  spätere 
Stadt  Retishorjf  naehi^ewiesen  ist.  so  hiitte  sieh  der  Kampf  in  dor  (iortigen 
.,.\ltstadt",  d.  i.  die  „arx."  ab^^cspielt. 


Uffos  Kampf.  185 

buckel  auf;  dena  er  beschloss,  geduldig  festzustellen,  vor 
welchem  von  beiden  er  sich  am  sorgfältigsten  in  Acht  zu  nehmen 
habe,  um  diesem  wenigstens  mit  einem  einzigen  Streiche 
seines  Stahles  beizukommen.  Wermundus  glaubte,  er  be- 
weise nur  aus  Schwäche  solche  Duldsamkeit  im  Hinnehmen 
der  Hiebe,  und  drängte  sich  in  seiner  Todessehnsucht  all- 
mählich immer  mehr  nach  dem  westlichen  £nde  der  Brücke, 
um  in  der  Tiefe  den  Tod  zu  suchen,  sobald  es  um  seinen 
Sohn  geschehen  wäre.  Aber  das  Glück  schützte  diesen 
Greis,  der  von  solch  glühender  Liebe  zu  seinem  Kinde  er- 
füllt war.  Denn  Uffo  reizte  den  Königssohn,  ihn  eifrig  zu 
bekämpfen,  und  hiess  ihn  den  Glanz  seiner  Abkunft  durch 
eine  offenkundige  Heldenthat  erweisen,  damit  es  nicht 
scheine,  als  ob  ihn  sein  Begleiter,  ein  gemeiner  Mann,  an 
Tapferkeit  übertreffe.  Dann  ärgerte  er  den  Fechter,  um 
auch  seinen  Mut  kennen  zu  lernen,  er  solle  sich  nicht  gar 
zu  furchtsam  hinter  dem  Rücken  seines  Herrn  halten,  sondern 
<lurch  wackere  Kampfesthaten  das  von  dem  Königssohne  in 
ihn  gesetzte  Vertrauen  rechtfertigen,  nach  dessen  Auswahl 
er  allein  zu  seinem  Begleiter  in  dem  Kampfe  erlesen  worden 
sei.  Als  dieser  nun  aus  Ehrgefühl  Folge  leistete  und  näher 
herankam,  hieb  ihn  Uffo  mit  dem  ersten  Streiche  seines 
Sehwertes  mitten  durch.  Bei  diesem  Tone  erholte  sich 
Wermundus  wieder,  sagte,  er  habe  seines  Sohnes  Schwert 
gehört  und  fragte,  welchen  Körperteil  denn  der  Hieb  ge- 
troffen. Als  ihm  die  Diener  berichteten,  er  habe  nicht  bloss 
einen  Körperteil,  sondern  den  ganzen  Mann  zerhauen,  da 
zog  er  sich  von  der  Tiefe  zurück  und  stellte  sich  wieder 
mehr  auf  die  Brücke,  nun  ebenso  begierig  nach  dem  Leben, 
wie  er  sich  vorher  nach  dem  Tode  gesehnt  hatte.  Uffo 
aber  wünschte  den  noch  übrigen  Feind  gleich  wie  den  ersten 
abzuthun  und  stachelte  mit  gar  heftigen  Worten  den  Königs- 
sohn an,  er  möge  doch  zur  Sühne  für  den  für  ihn  gefallenen 
Trabanten  wenigstens  Rache  für  ihn  nehmen.  Durch  seine 
Reizung  zwang  er  ihn,  näher  zu  kommen,  und  ersah  sich  174 
dabei  ganz  sorgsam  eine  Stelle,  wo  er  ihm  einen  Hieb  bei- 
bringen   könnte.     Da    er   aber    fürchtete,    die    dünne  Klinge 


186  Viertes  Buch. 

würde  seinen  Kräften  nicht  standhalten,  so  drehte  er  sie 
nach  der  andern  Seite  um  und  zerschnitt  mit  einem  durch- 
gehenden Hiebe  seinen  Körper.  Wie  Wermundus  dies 
hörte,  sagte  er,  zum  zweiten  Male  habe  das  Klingen  seines 
Schwertes  Skrep  sein  Ohr  berührt.  Als  nun  die  Augen- 
zeugen versicherten,  sein  Sohn  habe  beide  Feinde  erschlagen, 
brach  er  im  üebermasse  der  Freude  in  Thräuen  aus.  So 
netzte  nun  diese  Freude  die  Wangen,  welche  der  Schmerz 
nicht  hatte  feucht  machen  können.  Während  nun  die  Sach- 
sen voll  Trauer  über  ihre  Schmach  in  höchster  Erbitterung 
und  Beschämung  das  Begräbnis  ihrer  Kämpfer  veranstalteten, 
117  empfingen  die  Dänen  Uffo  mit  freudigen  Siegestänzen.  ^)  — 
Da  nun  hörte  die  üble  Nachrede  wegen  des  Todes  Athislus' 
auf,  und  sie  verschwand  zugleich  mit  den  Vorwürfen  der 
Sachsen  ^). 

So  übernahm  Uffo  nach  seinem  Vater  auch  die  auf 
Dänemark  übergegangene  Herrschaft  über  die  Sachsen  und 
er,  dem  man  nicht  einmal  die  ordnungsmässige  Verwaltung 
eines  einzigen  Reiches  zugetraut  hatte,  wurde  nun  der  Leiter 
von  zweien.  Mehrere  nannten  ihn  Olawus,  und  wegen 
seiner  Mässigung  erhielt  er  den  Beinamen  des  Milden.*) 
Eine  gründliche  Kenntnis  seiner  späteren  Thaten  entgeht  uns 
wegen  des  hohen  Altertums.  Doch  darf  man  wohl  an- 
175  nehmen,  dass  er  ehrenvoll  auf  der  Bahn  fortgeschritten  ist. 
die  er  so  rühmlich  begonnen.  Ich  muss  mich  mit  dieser 
kurzen  Erwähnung  seiner  Thaten  begnügen,  weil  der  Mangel  an 
schriftlichen  Aufzeichnungen  den  Ruhmesglanz  der  grossen 
Männer  unseres  Volkes  dem  Preise  der  Nachwelt  entzogen 
hat.  Wenn  doch  das  Schicksal  unser  Vaterland  schon  vor 
Zeiten    mit    der    lateinischen  Sprache   beschenkt  hätte,  dann 


')  Vj(l.  III.  135  Anm.  1. 

•)  Der  letzte  Teil  unserer  JSage  ist  die  Quelle  fiir  Uhlands  BalUde 
,,I)er  blinde  Könij?*\ 

*)  Bei  dieser  ßemerkunf?  muss  sich  Saxo  auf  eine  isländische  Quelle 
stützen;  denn  dort  wird  als  Sohn  jenes  oben  penannten  Vermundr  vitri  ein 
Oläfr  litilUti  (d.  i.  der  Milde  =  maosuetus  bei  Saxo)  genannt,  der  wiederum 
der  Vater  des  Dan  mikillüti  (d.  i.  der  Uebennütißfe)  ist. 


Uffo  als  König.     Dan  II.     Hugletus.     Frotho  U.  187 

würden    uns    unzählige   Bücher    über    die    Heldenthaten    der 
Dänen  zur  Verfügung  stehen. 

Dem  üffo  folgte  sein  Sohn  Dan.  Dieser  führte  Kriege 
gegen  fremde  Völker  und  vergrösserte  seine  Herrschaft 
durch  zahlreiche  Siege.  Aber  er  trübte  den  gewonnenen 
Ruhmesglanz  durch  einen  verabscheuungswürdigen,  nichts- 
nutzigen Uebermut.  Er  schlug  so  sehr  aus  der  Art  seines 
hochberühmten  Vaters,  dass  er  andere  Leute,  von  dünkel- 
haftem Hochmut  aufgeblasen,  verachtete,  während  jener  sie 
an  Bescheidenheit  übertroffen  hatte.  Auch  verschleuderte  er 
schändlich  die  väterlichen  Güter  und  was  er  selbst  etwa  aus 
der  Beute  fremder  Völker  gewonnen  hatte,  und  die  Mittel, 
welche  dem  königlichen  Ansehen  hätten  dienen  müssen,  ver- 
schwendete er  auf  kostspieligen  Aufw^and.  So  sehr  unter- 
scheiden sich  manchmal  die  Kinder,  Missgeburten  gleich,  von 
ihren  Eltern^). 

Nach  ihm  herrschte  Hugletus,  der  in  einem  Seekriege 
die  schwedischen  Gewalthaber  Hömothus  und  Högrimus 
besiegt  haben  solP). 

Diesem  folgte  Frotho,  mit  Beinamen  der  Kühne^),  176 
der  die  Berechtigung  dieser  Bezeichnung  durch  geistige  und 
körperliche  Rührigkeit  rechtfertigte.  Denn  nachdem  er  zehn 
norwegische  Fürsten  im  Kampfe  getötet,  begab  er  sich  auf 
die  Insel,  welche  später  ihren  Namen  von  ihm  erhielt*),  um 
zuletzt  den  König  selbst  anzugreifen.  Das  war  Frogerus, 
ausgezeichnet    durch    einen  doppelten  Ruf;  denn  ebenso  be- 


»)  Vgl  hierzu  noch  Oh-ik  II,  140. 

')  In  diesem  kurzen  Bericht  sieht  Olrik  (II,  lOO'l)  eine  letzte  schwache 
Erinnerung  an  den  Kampf  zwischen  «Juten  und  Schweden,  von  dem  auch 
das  Beowulfjlied  erzählt,  wo  Hygelac  als  Geatenkönig  erscheint:  dem 
Hömothus  (nrd.  Eymodr)  entspricht  dort  auch  ein  schwedischer  Königs- 
sohn Eänmund.     8.  Beow.     Namenverzeichnis. 

•)  Lat.  Vegetus,  anrd.  hinn  frsekni.  Diese  Sage  ist  ihrem  Charakter 
nach  norwegischen  Ursprungs;   vgl.  Olrik  II,  46. 

*)  Die  Lage  dieser  Frothoinsel  (Frodeö)  lässt  sich  nicht  sicher  fest- 
stellen; nach  Olrik  a.  a.  O.  liegt  es  am  nächsten,  an  die  Froöerne  an  der 
Mündung  des  Drontheimer  Fjordes  zu  denken.  (Müllers  Angabe  L  17B 
Anro.  3  beruht  auf  einem  Missverständnis). 


18,v^  Viertes  Buch. 

rühmt  durch  seine  Waffenthaten,  wie  durch  seine  Schätze, 
hatte  er  die  königliche  Macht  auch  noch  mit  seinem  Fechter- 
ruhm geziert,  und  er  war  ebenso  reich  an  Siegen  in  Wett- 
kämpfen,  wie  an  Ehren,  die  seiner  Wurde  zukamen.  Er 
war,  wie  einige  berichten,  ein  Sohn  des  Othinus  und 
hatte  von  den  Unsterblichen  auf  die  Bitte  um  eine  Gnade 
anstatt  eines  Geschenkes  die  Bestimmung  erhalten,  dass  er 
von  keinem  andern  zu  besiegen  sei,  als  von  einem,  der  im 
Augenblick  des  Kampfes  den  unter  seineu  Füssen  liegenden  Staub 

118  mit  der  Hand  aufraffen  könnte.  ^)  Da  F  r  o  t  h  o  wusste,  dass  jener 
von  den  Unsterblichen  mit  solcher  Stärke  begabt  sei,  forderte 
er  ihn  zum  Zweikampf  heraus,  in  der  Absicht,  die  Güte  der 
Götter  durch  eine  List  zu  Schanden  zu  machen.  Zuerst  aber 
verlangte  er,  indem  er  Unerfahrenheit  im  Kampfe  vorschützte, 
von  ihm  selbst  eine  Belehrung;  denn  er  wisse,  dass  er  in- 
folge seiner  Uebung  und  Erfahrung  darin  ein  Meister  sei.  Jener 
freute  sich,  dass  sein  Feind  sich  nicht  nur  seiner  Kunst 
unterlegen  bekenne,  sondern  sogar  eine  Bitte  an  ihn  richte, 
und  sagte  ihm,  es  sei  weise  gehandelt,  wenn  er  seinen 
jugendlichen  Sinn  der  Erfahrung  eines  Alten  unterwerfe ; 
sein   Gesicht  ohne  Narben    und    seine   Stirn,  die  noch   keine 

177  Spur  von  Waffen  trüge,  zeugten  ja  dafür,  wie  wenig  Kennt- 
nis er  noch  in  diesem  Fache  habe.  Sodann  zeichnete  er 
zwei  einander  gegenüberliegende  Quadrate  mit  Seiten  von 
je  einer  Elle  Länge  auf  den  Boden,  um  mit  der  Verwendung 
der  Plätze  den  Anfang  in  seiner  Unterweisung  zu  machen.*) 
Als  er  sie  fertiggestellt,  begab  sich  jeder  auf  den  ihm  zu- 
gewiesenen Standpunkt.  Darnach  bat  F  rot  ho  den  Fro- 
gerus,  die  Waffen  und  Stellung  mit  ihm  zu  tauschen,  und 
das  wurde  ihm  auch  ohne  weiteres  gewährt.  Frogerus 
reizte  nämlich  der  (Jlanz  von  seine.s  Feindes  Ausrüstung; 
denn  Frotho    trug    ein  Schwert    mit  goldenem  Griff*,    einen 


*)  DiPse  EigtMi.si'liaflcn  (l<'i  Froirerus  eriiuieni  an  Baldr,  den  eben- 
falls iinverwun(ll>an'n  Sohn  Odins:  v^l.  Olrik  I,  32.  31an  denke  übrigens 
auch  an  die  iihnlirhe  bedinjfte  Uuverlotzlichkeit  des  Sijftnijf  I,  S.  25. 

*)  Vjfl.  zu  dieser  pouauen  Beschreibunjy  des  Bejfinnes  eines  Holm- 
(fan^s  lll.  137   und  II,  59  Anm.   1. 


Frotho  U.  und  Frogerus.     Dan  111.     Fridlewus.  189 

Panzer,  der  ebenso  hell  strahlte,  und  auch  einen  Helm,  der 
in  derselben  Weise  mit  reichem  Goldschmuck  versehen  war. 
Frotho  raflFte  nun  etwas  Staub  von  dem  Platze  auf,  den 
Frogerus  verlassen  hatte,  und  glaubte  damit  ein  Unterpfand 
für  den  Sieg  gewonnen  zu  haben.  £r  hatte  sich  auch  nicht 
in  seiner  Hoffnung  getäuscht,  denn  er  erschlug  alsbald 
Frogerus  und  erlangte  durch  eine  so  geringfügige  List 
den  Ruf  der  höchsten  Tapferkeit.  Er  vollbrachte  also  durch 
Schlauheit,  was  früher  der  Kraft  keines  Mannes  gelungen  war. 

Nach  diesem  trat  Dan^)  die  Herrschaft  an.  Als  er  elf 
Jahre  alt  war,  wurde  er  von  einer  unverschämten  Gesandt- 
Schaft  belästigt,  die  Krieg  mit  den  Sachsen  oder  Tribut 
verlangte.  Seine  Ehre  aber  zog  den  Kampf  der  Zahlung  vor, 
und  sie  drängte  ihn  lieber  zu  einem  ruhmvollen  Tode  als 
zu  einem  Leben  in  Feiglieit.  Daher  erwählte  er  die  Ent- 
scheidung des  Kampfes,  und  das  Kriegsvolk  der  Dänen  er- 
füllte die  Elbe  mit  einer  solchen  Masse  von  Fahrzeugen, 
dass  diese  gleicth  wie  eine  vollständige  Brücke  leicht  den 
Uebergang  ermöglichten,  indem  man  die  Schiffsdecke  dicht 
aneinander  legte.  So  kam  es,  dass  der  Sachsenkönig  zur 
Annahme  derselben  Bedingungen,  die  er  von  den  Dänen  ver- 
langt hatte,  gezwungen  wurde. 

Nach   Dan  kam  Fridlewus^),  mit  dem  Beinamen  der  na 
Schnelle^),  zur  Regierung.     Unter  seiner  Herschaft  schloss 
Hwyrwillus,  der  Fürst  von  Holandia*),  mit  den  Dänen  ein 
Bündnis    und    fiel    in    Norwegen    ein.      Dessen    Berühmtheit 
wuchs  gewaltig,  als   er  die   Jungfrau  Rusila*),  welche  sich 


*)  Wie  und  ob  überhaupt  dieser  dritte  Dan  Saxos  sich  von  seinem 
Vorgänger  unterscheidet,  ist  bei  der  mangelhaften  Ueberlieterung  nicht 
klar  auszumachen;  vgl.  Olrik  II,  191  und  140. 

*)  Auch  diese  Wikingersaj/e  ist  non*'egisch  -  isländischen  Ursprungs; 
nach  Olrik  II,  48  ist  sie  vielleicht  durch  den  Isländer  Arnoldus,  den  Saxo 
XIV,  594,  33  (Holder)  nennt,  in  Dänemark  bekannt  geworden.  Eben- 
derselbe hätte  dann  auch  die  Verlegung  der  Ereignisse  nach  Südseelaud 
vorgenommen. 

•)  Lat.  C'eler,  anrd.  hinn  hvati. 

♦)  I).  i.  nach  Holder  die  Insel  Oeland  im  Lijmfjord. 


190  Viertes  Buch. 

durch  ein  kriegerisches  Gelübde  dem  Kampfe  geweiht  hatte, 
mit  den  Waffen  bezwang  und  Mannesruhm  bei  einem  weib- 
lichen Feinde  erntete.  Aber  er  veranlasste  auch  ihre  fünf 
Gefährten,  Broddo,  Bildus,  Bugo,  Fanningus  und 
119  Guuholmus,  die  Söhne  des  Fyn,  wegen  der  rühmlichen 
179  Thaten,  die  sie  vollführt,  zu  einem  Bündnis  mit  ihm.  Im 
Vertrauen  auf  die  Gemeinschaft  mit  ihnen  löste  er  den  Ver- 
trag, den  er  mit  den  Dänen  geschlossini,  mit  dem  Schwerte. 
Sein  Einfall  war  um  so  verderblicher,  je  heimtückischer  er 
war;  denn  die  Dänen  hätten  nie  geglaubt,  dass  sich  so  plötz- 
licli  ein  Freund  in  einen  Feind  verwandeln  könnte.  Aber 
docli  pflegt  manchmal  so  leicht  der  Uebergang  von  Liebe  zu 
Hass  von  statten  zu  gehen.  Ich  möchte  fast  glauben,  dass 
die  Sitten  unserer  Zeit  unter  der  Führung  jenes  Mannes 
ihren  Anfang  genommen  haben,  da  wir  ja  auch  Lügen  und 
Trügen  nicht  als  Schande  und  Laster  betrachten.  Frid- 
lewus  bot  ihm,  als  er  im  Süden  von  Seeland  eingefallen 
war,  in  einem  Hafen,  der  später  nacli  seinem  Namen  be- 
nannt wurde,^)  ein  Treffen  an.  Die  Mannschaft  stritt  hier 
aus  Ruhmbegierde  mit  solcher  Tapferkeit,  dass  nur  sehr 
wenige  der  Gefahr  durch  die  Flucht  entgingen  und  beide 
Heere  fast  vollständig  aufgerieben  wurden;  der  Sieg  neigte 
sich  auf  keine  Seite,  da  er  beiden  gleich  schwere  Wunden 
schlug.  So  sehr  überwog  bei  allen  die  Sucht  nach  Ruhm 
die  nach  dem  Leben.  Die  Ueberlebeuden  von  des  Hwyr- 
willus  Heer  befestigten  nun,  um  ihr  Bündnis  zu  bewahren, 
bei  Nacht  ihre  norh  übrigen  Schiffe  aneinander.  In  derselben 
Nat^ht  aber  zerhieben  Bildus  und  Broddo  die  Taue, 
welche  die  Fahrzeuge  verbanden,  und  entfernten  in  aller 
Stille  ihre  Si*hilfe  von  der  Zahl  der  andern.  So  verliessen 
sie  ihre  Brüder,  indem  sie  ihrer  Angst  nachgaben  und  ge- 
hon^hten  mehr  dem  Triebe  der  Furcht  als  dem  der  Ver- 
wandtschaftsliebe.    Als    bei    Tat^esanbruch    Fridlewus    be- 


')  Zu  S.  IHJI:  Dcrselho  Xiimo,  obonfaUs  für  kriogrcrischc  Jungfrauen, 

bojrojriu.t  noch  Vn,  249  und  VIIL  2«7  tf.  (Holder):  v^l.   H.  S.  ß3  Anm.  5. 

•)  Ü.  li.    nach  des  HwyrwiUus   Xanion:   jetzt   heisst  er  Hurrildshavn 

und  li»'^t  zwischen  (rlem*  und  Seeland  (Olrik). 


Fridlewus.  191 

merkte,  dass  nach  dem  grossen  Gemetzel  unter  ihren  Genossen 
nur  noch  Hwyrwillus,  Gunholmus,  Bugo  und 
Fanningus  übrig  geblieben  waren,  beschloss  er,  allein  mit 
allen  diesen  zu  streiten,  damit  nicht  die  zersprengten  Reste 
der  Truppen  gezwungen  würden,  sich  von  neuem  in  die  Ge- 
fahr zu  stürzen.  Ausser  seinem  angeborenen  Mute  gab  ihm 
auch  ein  hiebfestes  Panzerhemd  *)  Zutrauen.  Dieses  trug  er 
in  allgemeinen  Schlachten  und  in  Zweikämpfen  als  Schutz- 
mittel für  sein  Leben.  Er  führte  auch  seine  Sache  ebenso 
glücklich  wie  mutig  zu  Ende;  denn  der  Ausgang  des 
Kampfes  war  günstig.  Als  er  Hwyrwillus,  Bugo  und 
Fanningus  erschlagen  hatte,  tötete  er  auch  Gunholmus 
der  immer  das  Schwert  seines  Feindes  durch  Zaubersprüche 
stumpf  zu  macheu  pflegte,  durch  einige  Hiebe  mit  dem 
Griife.  Aber  da  er  zu  ungestüm  mit  der  Hand  die  Klinge 
fasste,  zerschnitt  er  sich  die  Sehnen  und  behielt  dann  dauernd  180 
seine  Finger  nach  der  Innenseite  der  Hand  gekrümmt.  Als 
er  einst  Duflinum^),  eine  Stadt  in  Irland,  belagerte,  und 
merkte,  dass  die  Stärke  der  Mauern  die  Möglichkeit  der 
Einnahme  aussichtslos  machte,  ahmte  er  jene  scharfsinnige 
List  des  Hadingus  nach  und  Hess  Schwalben  angezündete 
Schwämme  an  den  Flügeln  befestigen.^)  AVie  diese  in  ihre 
Nester  zurückflogen,  setzten  sie  plötzlich  die  Häuser  in 
Flammen.  Die  Städter  strömten  herbei,  um  diese  zu  löschen  120 
und  richteten  ihre  Aufmerksamkeit  vielmehr  darauf,  das 
Feuer  zu  ersticken,  als  vor  dem  Feinde  auf  der  Hut  zu  sein; 
während  dessen  bemächtigte  sich  Fridlewus  Duflinums. 
Später  verlor  er  in  einem  Kriege  in  Britannien  seine 
Krieger,  und  da  ihm  der  Rückzug  zum  Strande  sehr  schwer 
schien,  richtete  er  die  Leichen  der  Erschlagenen  empor  und 
stellte    sie    in  Schlachtreihe  auf*);  dadurch  erweckte  er  den 


*)  Solche  gefeite  Panzerhemden  wurden  schon  bei  Frotho  I,  B.  II, 
S.  79   und  bei  Hothenis  III,  116  erwähnt. 

»)  D.  i.  Dublin. 

■)  S.  I,  Ö.  36,  die  Eroberung  von   Duna. 

*)  Dieselbe  List  hatte  schon  Hamlet  verwendet.  S.  oben  S.  167  8  H« 
und  vgl.  auch  I,  24  5. 


192  Viertes  Buch. 

Anschein,  als  ob  er  noch  ebenso  stark  wäre,  und  man  musste 
glauben,  er  habe  trotz  des  schweren  Schlages  keinen  Verlust 
erlitten.  So  benahm  er  dem  Feinde  nicht  nur  die  Zuversicht, 
sich  in  eine  Schlacht  einzulassen,  sondern  veranlasste  ihn 
auch,  die  Flucht  zu  ergreifen, 

Ende  des  vierten  Buches. 


Fünftes  Buch.^)  m-,  isi 


Nach  dem  Tode  des  Fridlewus  wurde  sein  Sohn  Frotho^) 
im  Alter  von  sieben  Jahren  einstimmig  von  den  Dänen  zum 
König  gewählt.  In  einer  Volksversammlung  beschloss  man 
auch,  die  Unmündigkeit  des  Königs  Vormündern  anzuver- 
trauen, damit  nicht  infolge  der  Jugend  des  Fürsten  die  Ober- 
gewalt ins  AVanken  käme.  Alle  zollten  nämlich  dem  An- 
denken und  dem  Namen  des  Fridlewus  soviel  Ehrfurcht, 
dass  man  seinem  noch  so  zarten  Sprössting  die  Herrschaft 
übertrug.  Es  wurde  nun  eine  Wahl  abgehalten  und  die 
Brüder  Westmarus  und  Colo  zu  dem  Amte,  den  König  zu 
erziehen,  bestimmt.  Auch  Isulfus,  Aggo  und  noch  acht 
anderen  vornehmen  Männern  wurde  nicht  nur  die  Vormund- 
schaft über  den  König  anvertraut,  sondern  auch  die  Befugnis 


*)  Das  ganze  V.  Buch  ist  der  Geschichte  Prodes  III.,  des  Fried- 
samen, gewidmet.  Aber  die  Erzählung  ist  nicht  einheitlich.  Frodes  Ke- 
gierungszeit  giebt  nur  den  zusammenhaltenden  Kahmen  ab,  er  selbst  ist 
nur  selten  der  thätige  Held  der  Erzählungen.  Diese  selbst  entstammen 
verschiedenen  Quellen,  und  es  mischen  sich  isländische,  norwegische  und 
dänische  Sagenzüge  in  Saxos  Bericht.  Man  kann  folgende  Hauptabschnitte 
in  dem  Buche  unterscheiden:  1.  Einleitung,  Frodes  Jugend;  die  Zustände 
an  seinem  Hofe.  2.  Die  Sage  von  Erich  dem  Beredsamen.  3.  Frodes 
Eroberungszüge.  4.  Seine  Gesetze.  5.  Sein  Tod.  In  den  3.  und  4.  Teil 
sind  noch  drei  besondere  Episoden  eingeschoben:  a)  Ericus  und  Alricus; 
b)  der  Holmgang  auf  Samse;  c)  Hithinus  und  Höginus.  —  Das  Nähere 
wird  bei  den  einzelnen  Teilen  besprochen  werden,  lieber  das  Ganze  vgl. 
Uhland  Sehr.  VII,  99  ff.  und  Olrik  II,  §§  6—9;  28—30. 

*)  Der  erste  Teil  der  Sage  (Einleitung  u.  s.  w.)  ist  norwegischen 
Ursprungs. 

Saxo  Grammatictts.  13 


194  Fünftes  Bach. 

erteilt,  unter  ihm  die  Herrschaft  zu  führen.  Kraft  und  Ver- 
stand besassen  sie  in  reichem  Masse,  da  sie  mit  hervor- 
ragenden körperlichen  wie  geistigen  Gaben  ausgestattet  waren. 
So  schützte  eine  stellvertretende  Regierung  den  Staat  der 
Dänen,  bis  der  König  erwachsen  wäre. 

Colos  Gattin  war  Götwara,  welche  durch  ihre  bei- 
spiellose Redegewandtheit  und  Unverschämtheit  selbst  die 
zungenfertigsten  und  geschwätzigsten  Männer  stumm  zu 
machen  pflegte.  Denn  im  Streiten  war  sie  gründlichst  er- 
fahren und  in  jeder  Art  Wortgefecht  bewandert.  Sie  kämpfte 
mit  dem  Munde  nicht  nur  im  Vertrauen  auf  ihre  Fragekunst, 

182  sondern  auch  auf  ihre  gehamischten  Antworten.  Niemand 
konnte  mit  dieser  unkriegerischen  Frau  den  Kampf  auf- 
nehmen, die  mit  ihrer  Zunge  Pfeile  schleuderte.  Manchen 
schlug  sie  durch  die  Zügellosigkeit  ihres  Redeschwalls,  andere 
würgte  sie  gleichsam  ab,  indem  sie  sie  in  die  Stricke  ihrer 
Ränke  und  in  die  Netze  ihrer  Silbenstecherei  verwickelte. 
So  gewandt  war  diese  Frau.  Uebrigens  verstand  sie  es  auch 
trefflich,  Abmachungen  zu  schliessen  oder  zu  lösen,  und  ihre 

122  Fähigkeit  für  beides  lag  in  der  Schärfe  ihrer  Zunge.  Denn 
sie  zeichnete  sich  darin  aus,  Bündnisse  zu  sprengen  oder  an- 
zuknüpfen. So  war  ihre  Doppelzüngigkeit  das  Mittel  zu 
jedem  beliebigen  Zwecke. 

Westmarus  hatte  zwölf  Söhne,  von  denen  drei  den- 
selben Namen  Grep  führten.  Sie  waren  zu  gleicher  Zeit 
empfangen  und  geboren  worden,  und  der  gemeinschaftliche 
Name  bezeichnete  schon  die  Gleichzeitigkeit  ihrer  Geburt. 
Diese  besassen  eine  ausgezeichnete  Geschicklichkeit  im  Ring- 
kampfe und  im  Fechten.  Frotho  hatte  auch  den  Oberbefehl 
zur  See  dem  Hoddo  übertragen,   der  mit  dem  Könige  ganz 

1^3  nahe  verwandt  war.  Colo  erfreute  sich  eines  Nachwuchses 
von  drei  Sühnen.  Zu  dieser  Zeit  führte  ein  Sohn  von  Frothos 
Bruder  zum  Schutze  des  Vaterlandes  den  Oberbefehl  zur  See.M 
(lunwara  war  des  Königs  Schwester  und  führte  wegen  ihrer 

')  Di»' IVxtülM'rru't^Tnii^'  ist  hit»r  nicht  in  Onlnunp.  Der  vorher  ge- 
nannt«» UimUIo  nnil  liiT  jvt/t  jft»nunnt«.'  Nefto  Frothos  nuisson  ein  und  die- 
solbo  IV'i><>n  s«Mfi,  ilii  sonst   Suxns  An^alM»  sinnlos  wän\ 


Frotho  III.     Götwara;   die  Söhne  des  Westmarus.  195 

ausgezeichneten  Schönheit  den  Beinamen  die  Glänzende.  ^) 
Die  Söhne  des  Westmarus  und  Colo,  unverheiratet  und 
leidenschaftlichen  Charakters,  verwandelten  ihr  Selbstvertrauen 
in  Unverschämtheit,  befleckten  sich  durch  allerlei  Schandthaten 
und  gaben  sich  einem  schamlosen  und  unwürdigen  Treiben 
hin.  Sie  benahmen  sich  so  frech  und  zügellos,  dass  sie  die 
Frauen  und  Töchter  der  anderen  schändeten  und  den  Anschein 
erweckten,  als  hätten  sie  die  Schamhaftigkeit  gänzlich  ver- 
bannt und  in  die  Freudenhäuser  verwiesen.  Sie  schändeten 
das  Lager  der  Ehefrauen  und  hielten  sich  auch  nicht  von 
den  Betten  der  Jungfrauen  fern.  Keiner  gewährte  die  Ehe 
Sicherheit,  und  wohl  kein  einziger  Ort  im  Lande  war  von 
den  Spuren  ihrer  Schamlosigkeit  verschont.  Die  Ehemänner 
wurden  von  Furcht,  die  Frauen  mit  Vergewaltigung  gequält. 
Man  wich  der  Gewalt.  Die  Achtung  vor  zarten  Banden  hörte 
auf,  Notzucht  wurde  ganz  gewöhnlich.  Venus  ward  gemein 
gemacht,  die  Rücksicht  vor  der  Ehje  verschwand.  Reissend 
griff*  die  Völlerei  um  sich.  Der  Grund  war  der  Friede;  denn 
die  Menschen,  welche  ohne  Thätigkeit  sind,  neigen  zu  Lastern 
und  verkommen  in  der  Ruhe.  Endlich  wagte  Grep,  der 
älteste  von  denen,  die  sich  in  diesen  Namen  teilten,  um  den 
Lauf  seiner  irrenden  Leidenschaften  an  einem  bestimmten 
Punkte  festzuhalten,  einen  Hafen  für  seine  umherschweifende 
Liebe  in  seiner  Neigung  für  die  Schwester  des  Königs  zu 
suchen.  Aber  ohne  Erfolg.  Denn  wenn  er  auch  einmal  seine 
uustäte  und  schwankende  Wollust  durch  Zügel  der  Ehrbarkeit 
in  Schranken  halten  musste,  so  war  es  doch  unverschämt, 
dass  ein  gemeiner  Mann  um  eine  Königstochter  warb.  Jene 
fürchtete  aber  auch  die  Schamlosigkeit  ihres  Freiers  und  begab  i84 
sich,  um  vor  Unbilden  sicher  zu  sein,  in  ein  fest  umwalltes 
Gemach.^)  Dreissig  Sklaven  wurden  auserseheu,  beständig 
auf  Posten  zu  sein  und  die  Sicherheit  ihrer  Person  zu  hüten. 


')  Lat.  Speciosa,  anrd.  hin  fagra  oder  vaena. 

')  Besondere  Jung^rauengeniächer  (isl.  bür  oder  skemma;  vgl.  Kulund 
i.  (Irdr.  III,  435)  werden  öfter  erwähnt;  bei  Saxo  vgl.  noch  bes.  IX,  301 
(Holder).  —  Man  denke  auch  an  die  von  der  Waberlohe  umgebene  Burg 
Brunhildens. 

13* 


196  Fünftes  Buch, 

Da  es  nun  Frothos  Gefährten  bei  der  Instandhaltung 
ihrer  Kleider  sehr  an  weiblicher  Hilfe  fehlte  und  sie  nie- 
manden hatten,   der  ihnen  neue  nähen   oder  die  zerrissenen 

128  ausbessern  konnte,  so  ermahnten  sie  den  König  eifrig,  Hoch- 
zeit zu  machen.  Jener  suchte  sich  zuerst  mit  seiner  Jagend 
zu  entschuldigen,  gab  aber  endlich  doch  ihren  dringenderen 
Bitten  nach.  Als  er  nun  seine  Berater  eifrig  nach  einer  für 
ihn  geeigneten  Frau  fragte,  pries  man  ihm  besonders  die 
Tochter  des  Hunnenkönigs.  Da  weigerte  sich  aberFrotho, 
und  als  man  beharrlich  nach  dem  Grunde  forschte,  sagte  er, 
er  habe  von  seinem  Vater  gelernt,  dass  sich  Könige  nicht 
aus  der  Feme  eine  Lebensgefährtin  holen,  sondern  den  Gegen- 
stand ihrer  Liebe  nur  in  der  Nachbarschaft  suchen  sollten. 
Als  dies  Götwara  hörte,  merkte  sie,  dass  sich  der  König 
nur  schlau  seinen  Freunden  widersetzen  wollte.  Um  nun 
seine  schwankenden  Absichten  zu  festigen  und  das  Zutrauen 
seines  ungewissen  Sinnes  aufzurichten,  sagte  sie:  Junge  Leute 
müssen  heiraten,  die  alten  erwartet  das  Grab.  Der  Gang  der 
Jugend  strebt  vorwärts  mit  Gunst  und  Glück,  das  hilflose 
Alter  neigt  sich  zum  Scheiterhaufen.  Hoffnung  begleitet  die 
Jugend,  hoffnungslos  beugt  sich  dem  Verfall  das  Alter.  E« 
steigt  das  Schicksal  der  Jugendfrischen,  und  nie  sollen  diese 

185  etwas  unvollendet  lassen,  was  sie  begonnen.  —  Infolge  dieser 
verehrungswürdigen  Rede  bat  man  sie,  das  Amt  der  Werbung 
zu  übernehmen,  aber  sie  schützte  als  Weigerungsgrund  ihr 
hohes  Alter  vor  und  versicherte,  sie  könne  wegen  ihres 
schwächlichen  Gesundheitszustandes  nicht  die  Trägerin  einer 
so  erhabenen  Botschaft  sein.  Der  König  merkte,  dass  ein 
AVertstück  von  nöteu  war  und  brachte  eine  goldene  Halskette, 
die  er  als  Lohn  für  die  Gesandtschaft  versprach.  Diese  Kette 
bestand  nämlich  aus  aneinander  gereihten  Zieraten  in  er- 
habener Arbeit  und  Königsbildnissen  dazwischen,  welche  an 
einem  Faden  auf  der  Innenseite  bald  zusammen-,  bald  aus- 
einandergezogen werden  konnten,  ein  Schmuckstück,  mehr 
zum  Prunk    als    zum  Gebrauch    angefertigt.  ^)     Frotho    Hess 


^)   Die  Beschreibung   scheint   nicht  ganz  übertrieben  zu  sein;   schon 


Brautfahrt  zum  Hunnenkönige.  197 

auch  Westmarus  und  Colo  mit  ihren  Söhnen  an  dieser 
Gesandtschaftsaufgabe  teilnehmen,  weil  er  hoffte,  dass  ihre 
List  die  Schmach  einer  Zurückweisung  verhindern  werde. 

Diese  brachen  zusammen  mit  Götwara  auf  und  wurden 
erst  mit  einem  dreitägigen  Mahle  vom  Könige  der  Hunnen 
bewirtet,  ehe  sie  den  Zweck  ihrer  Gesandtschaft  vorbringen 
konnten.  Denn  es  war  von  Alters  her  Brauch,  so  Gastfreunde 
zu  empfangen.  Als  die  drei  Tage  des  Gelages  verstrichen 
waren,  trat  die  Königstochter  selbst  vor,  um  mit  einer  liebens- 
würdigen Ansprache  die  Gesandten  zu  begrüssen,  und  ihre 
anmutige  Erscheinung  steigerte  nicht  wenig  die  Festesfreude 
der  Gäste.  Als  die  Becher  immer  häufiger  gefüllt  wurden, 
enthüllte  ihr  Westmarus  in  einer  ziemlich  scherzhaften  Rede 
den  Inhalt  ihres  Auftrages,  um  den  Sinn  des  Mädchens  so 
durch  eine  Art  freundlicher  Unterhaltung  zu  erforschen,  denn 
um  sich  keine  Abweisung  zu  holen,  zog  er  alle  seine  Reden 
ins  Scherzhafte,  und  er  erfüllte  den  Zweck  der  Botschaft,  ' 
indem  er  es  damit  versuchte,  kurzweilige  Gespräche  unter 
dem  Beifalle  der  Zechgenossen  zu  führen.  Sie  aber  sagte, 
sie  verschmähe  Frotho  als  einen  Mann  ohne  Namen  und 
Ruhm.  Denn  in  alten  Zeiten  wurde  keiner  der  Hand  einer  tu 
erlauchten  Frau  würdig  erachtet,  der  sich  nicht  durch  den 
Glanz  hervorragender  Thaten  eine  gewaltige  Berühmtheit  er- 
worben hatte.  Der  schlimmste  Fehler  an  einem  Freier  war 
Thatenlosigkeit,  und  nichts  wurde  herber  an  einem  Bewerber 
getadelt  als  Mangel  an  Bekanntheit.  Der  Besitz  des  Ruhmes  i86 
vermochte  für  sich  allein  Reichtümer  an  allen  andern  Dingen 
aufzuwiegen.  Denn  die  Mädchen  bewunderten  nicht  sowohl 
die  äussere  Schönheit  ihrer  Freier,  als  vielmehr  deren  Helden- 
thaten.  Die  Gesandten  verzichteten  nun  voller  Verzweiflung 
auf  ihren  Wunsch  und  überliessen  einen  weiteren  Versuch 
Götwaras  Klugheit.  Diese  suchte  nun  der  Jungfrau  nicht 
bloss  mit  Worten,  sondern  auch  mit  Liebestränken  beizu- 
komraen*)  und   begann  ihr  zu  versichern,  dass  Frotho  seioe 

aus  alter  Zeit  sind  uns  aus  Crräberfunden  recht  kunstvolle  Schmuckstücke 
erhalten.     Vgl.  MüUer-Jiriczek,  Nrd.  Altertkde.  passim. 

*)  Ueber  Liebestränke,    die    überall  vorkommen,   vgl.   bes.  Grimm, 
Mythologie  ♦  II,  8.  922. 


198  Fünftes  Buch. 

^  linke  Hand  ebenso  geschickt  wie  die  rechte  gebrauche*)  und 
dass  er  eine  ganz  hervorragende  Fertigkeit  im  Schwimmen 
und  Fechten*)  besitze.  Durch  einen  Trank  verwandelte  sie 
auch  wirklich  die  Sprudigkeit  des  Mädchens  in  Begierde  und 
setzte  Liebe  und  Leidenschaft  an  die  Stelle  der  verschwinden- 
den Abneigung.  Darauf  forderte  sie  Westmarus  und  Colo 
mit  ihren  Söhnen  auf,  den  König  eifrigst  anzugehen  und  aufs 
neue  ihren  Auftrag  vorzubringen;  wenn  sie  schliesslich  doch 
Schwierigkeiten  fänden,  sollten  sie  einer  Abweisung  durch 
eine  Herausforderung  zum  Kampfe  zuvorkommen.  ^) 

Westmarus  betrat  nun  mit  seinen  Bewaffneten  die 
Königshalle  und  sagte:  Entweder  musst  du  nun  unsere  Bitte 
erfüllen  oder  uns,  die  Bittenden,  im  Kampfe  angreifen.  Wir 
haben  es  erkoren,  lieber  ehrenvoll  zu  sterben  als  unverrichteter 
Sache  heimzukehren,  damit  wir  nicht  wegen  unseres  Miss- 
erfolges verachtet  werden  und,  weil  wir  unser  Ziel  nicht  erreicht 
haben,  statt  des  erhofften  Ruhmes  das  Gegenteil  davontragen. 
Wenn  du  uns  die  Tochter  weigerst,  so  erlaube  den  Kampf.  Eins 
von  beiden  musst  du  gewähren.  AVir  wollen  sterben  oder  uns  er- 
hört sehen.  Etwas  wollen  wir  bei  dir  erreichen,  wenn  nicht 
Freude,  dann  Trauer.  Frotho  wird  lieber  unsernTod  als  eine  Ab- 
weisung vernehmen.  —  Ohne  weiter  zu  sprechen,  drohte  er  dem 
Könige  das  S(;hwert  an  die  Kehle  zu  setzen.  Dieser  sagte 
zwar  daiü^egen,  es  zieme  sich  nicht  für  die  königliche  Würde, 
dass  der  an  Ehren  höher  Stehende  sich  zu  einem  solchen 
Kampfe  herablasse,  und  Leute  ungleichen  Ranges  dürften 
nicht  auf  einnn  Streit  eingehen,  in  dem  sie  als  gleich  da- 
stünden. AVestmarus  aber  Hess  nichts  in  seiner  Heraus- 
forderung nach,  und  der  König  erlaubte  ihm  zuletzt,  den  Sinn 
der  Jungfrau  selbst  zu  erforschen,  da  ja  auch  die  Alten  ihren 
Töchtern  beim  Schliessen  der  Ehe  freie  AVahl  gelassen  hätten.*) 
Der  König  schwankte  nämlich  in  ängstlichem  Zagen  zwischen 


^)  Diose  Fertij^'keit  wurde  sehr  hoch  ^«»schätzt;  chnge  Beispiele  dafür 
aus  der  skuiidinavisehen  Litteratur  brin^rt  Müller  in  seiner  Ausgabe  II,  145. 
♦)  Vj,rl.  III,   109  Anm.  2. 

■')  Eini'  ähnliche  (tewaltmassrepel  siehe  bei  Saxo  VII,  254  (Holder). 
*)  Vjfl.  IIL  115  Anm.  1   u.   Kfilund  i.  (Jrdr.  III,  418  u.  420. 


Endlicher  Erfolg  der  Werbung.  199 

der  Furcht  vor  dem  Kampf«  und  seinem  Ehrgefühl.    So  war  187 
nun  West  mar  US  auf  die  Herzensneiguhg  des  Mädchens  an- 
gewiesen, und  da  er  wusste,  dass  jede  Frau  ebenso  wechselnd 
in  ihren  Ansichten,  wie  schwankend  in  ihren  Entschlüssen  ist, 
begann  er  um  so  zuversichtlicher  an  die  Sache  heranzutreten, 
jemehr  Unbeständigkeit  den  Wünschen   der  Mädchen   seiner 
Ueberzeugung  nach  innewohnte.     Ihre  mädchenhafte  Einfach-  126 
heit  —  denn   sie   war  ja  ihrer   eigenen  Entscheidung  über- 
lassen —  und    ihre   Freiheit  als  AVeib,    welcher   mau   durch 
ausgesuchte  Liebenswürdigkeiten  vschmeicheln  musste,  mehrten 
sein  Vertrauen  bei  der  Aufgabe  und  gaben  seinem  Bemühen 
Hoffnung;  denn  so  war  sie  ja  ebenso  geeignet  zur  Verlockung 
wie  geneigt  zum  Nachgeben.     Der  Vater  folgte  nun  den  Ge- 
sandten, um  die  Gesinnung  seiner  Tochter  so  um  so  sicherer 
kennen  zu  lernen.    Jene  war  ja  aber  schon  vorher  durch  die 
Wirksamkeit  des  geheimen  Trankes  von  Liebe  zu  ihrem  Freier 
erfüllt  und  sagte,  sie  erhoffe  noch  mehr  von  Frothos  Gaben, 
als  ihr  sein  jetziger  Ruf  verkünde;  denn  er  leite  ja  seine  Ab- 
stammung   von    einem    erlauchten  Vater  her  und  die  Natur 
pflege  immer  ihrer  ursprünglichen  Anlage  zu  folgen.     Daher 
habe  ihr  der  «Tüngling  in  Anbetracht  nicht  seines  augenblick- 
lichen,   sondern    seines   zukünftigen    Ruhmes    gefallen.     Der 
Vater  verwunderte  sich  über  diese  Rede,  aber   da  er  seine 
dem   Mädchen    gegebene   Zusage   nicht   mehr   zurücknehmen 
konnte,  versprach  er  sie  Frotho  zur  Ehe.     Dann  besorgte  er 
eine  reiche  Ausstattung  und  beeilte  sich,  mit  ihr  unter  präch- 
tigem Aufwände  in  Begleitung  der  Gesandten  nach  Dänemark 
zu  gehen;  denn  er  wusste,  dass  niemand  besser  als  der  Vater 
seine  Tochter  zur  Hochzeit  führen  könnte.     Frotho  empfing 
seine    Braut    aufs   freudigste,    erwies   der  Würde    seines    zu- 
künftigen Schwiegervaters  die  höchste  Ehre  und  entliess  ihn  igs 
nach  Vollzug  der  Hochzeit  unter  reichen  Geschenken  an  Gold 
und  Silber. 

Im  Besitz  der  Ha  nun  da  nun  (so  hiess  die  hunnische 
Königstochter)  verlebte  Frotho  drei  Jahre  im  blühendsten 
Frieden.  Seine  Genossen  aber  wurden  infolge  dieser  Ruhe 
gar   übermütig,    und    sie    gaben    der  durch    die  Müsse  ent- 


200  Fünftes  Buch. 

stehenden  Ausgelassenheit  in  den  verruchtesten  Verbrechen 
Ausdruck.  Denn  manche  Leute  zogen  sie  an  Stricken  in  die 
Höhe  und  quälten  sie,  indem  sie  ihren  Körper  wie  einen 
leicht  beweglichen  Ball  in  Peudelbewegung  setzten.  Anderen 
breiteten  sie  Bockshäute  unter  die  Füsse,  zogen  dann  an 
einer  verborgenen  Schnur  und  brachten  sie  so  bei  ihren  un- 
sicheren Schritten  auf  dem  schlüpfrigen  Felle  zu  Falle.  Andere 
entkleideten  sie  und  zerfleischten  sie  mit  zahlreichen  Peitschen- 
hieben. Dann  hängten  sie  w-elche  mit  Schlingen  an  Pflöcken 
auf  und  erdrosselten  sie  zum  Vergnügen.  Manchen  versengten 
sie  mit  Fackeln  Haupt-  und  Barthaar.  Andere  stellten  sie 
über  Feuer  und  verbrannten  ihnen  Schamhaare  und  Geschlechts- 
teile. Nur  diejenigen  Mädchen  durften  heiraten,  deren  Keusch- 
heit ihnen  schon  vorher  zum  Opfer  gefallen  war.  Fremde 
Ankömmlinge  warfen  sie  mit  Knochen.  ^)  Andere  zwangen 
sie  zur  Unmässigkeit  und  Hessen  sie  so  lange  trinken,  bis  sie 
platzten.  Niemand  durfte  seine  Tochter  verheiraten,  ohne 
vorher  ihre  Erlaubnis  und  Einwilligung  erkauft  zu  haben. 
Kein  Mann  durfte  eine  Ehe  eingehen,  wenn  er  nicht  vorher 
ihre  Zustimmung  erfeilscht  hatte.  Ausserdem  verübten  sie 
Thaten  der  zügellosesten  Leidenschaft  nicht  nur  an  Jung- 
frauen, sondern  auch  allenthalben  an  vielen  verheirateten 
Frauen.  So  stachelte  eine  doppelte  Raserei  diese  Mischung 
von  Wut  und  Ausgelassenheit.  Fremden  und  Gästen  wurde 
statt  freundlicher  Aufnahme  Schmähung  geboten.  Soviel 
Spott  und  Qual  wurde  von  diesen  rucksic^htslosen  Lüstlingen 
ausfindig  gemacht,  so  sehr  wurde  die  Frechheit  unter  dem 
Knabenkönige  durch  die  Freiheit  dazu  genährt.  Denn  nichts 
fördert  den  Hang  zum  Sündigen  so  sehr  als  die  Verzögerung 
der  Rache  und  Strafe  dafür.  Diese  schrankenlose  Scham- 
losigkeit seiner  Krieger  hatte  aber  den  König  nicht  nur  bei 
den  Fremden,  sondern  auch  in  seinem  eigenen  I^ande  ver- 
189  hasst  gemacht.  Denn  die  Dänen  ertrugen  nur  mit  Schmerz 
diese  grausame  und  hochmütige  Herrschaft.  Grep  aber  be- 
gnügte sich  nicht  mit  gewöhnlichen  Liebschaften,  sondern  er 


M  Vjrl.  II,  <H)  Anra.  8. 


Kuchloses  Treiben  am  Hofe.     Grep.  201 

ging  SO  weit  in  seiner  Unverschämtheit,  dass  er  sogar  mit  der 
Königin  wollüstigen  Umgang  pflegte  und  ebenso  treulos  gegen 
den  König  wie  gewaltthätig  gegen  die  anderen  wurde.  All- 
mählich wuchs  dann  sein  schlimmer  Ruf,  lautlosen  Schrittes 
schlich  der  Verdacht  seines  Frevels  weiter  und  ward  eher 
dem  Volke  als  dem  König  kund.  Da  nun  Grep  gegen  alle, 
die  nur  die  geringste  Andeutung  über  die  Sache  machten, 
streng  vorzugehen  pflegte,  so  hatte  er  eine  Anklage  gegen 
ihn  sehr  gefahrvoll  gemacht.  Doch  die  Kunde  von  seinem 
Verbrechen  wurde  zuerst  nur  flüsternd  verbreitet,  später  von 
deutlicheren  Gerüchten  aufgenommen.  Denn  für  Mitwissende 
ist  es  schwer,  das  Verbrechen  eines  anderen  zu  verbergen. 
Gunwara  hatte  manchen  Freier.  Grep  versuchte  daher,  sich 
durch  heimliche  Rnnke  für  seine  Zurückweisung  zu  rächen, 
und  verlangte  das  Recht,  die  Freier  abzuschätzen,  indem  er 
versicherte,  das  Mädchen  dürfe  nur  eine  ganz  vorzügliche 
Partie  machen.  Er  verheimlichte  aber  seinen  Zorn,  damit  es 
nicht  den  Anschein  erwecke,  als  habe  er  aus  Hass  gegen  die 
Jungfrau  nacli  diesem  Amte  getrachtet.  Auf  diese  Bitte  ge- 
stattete ihm  auch  der  König,  die  Verdienste  der  Jünglinge 
abzuwägen.  So  versammelte  er  denn  zunächst  alle  Freier 
Gunwaras  unter  dem  Verwände  eines  Gastmahls,  hieb  ihnen 
dann  die  Köpfe  ab  und  umgab  damit  das  Gemach,  in  dem 
die  Jungfrau  wohnte  —  ein  grausames  Schauspiel  für  die 
andern.  Das  that  jedoch  seiner  Beliebtheit  bei  Frotho  keinen 
Abbruch,  dass  er  etwa  deswegen  weniger  seine  Vertrauens- 
stellung behauptet  hätte.  Er  setzte  nämlich  noch  fest,  dass 
die  Erlaubnis,  den  König  zu  besuchen,  für  Geld  eingeholt 
werden  müsse,  und  er  verkündete,  dass  keiner  eine  Unter- 
redung mit  ihm  haben  werde,  der  nicht  vorher  Geschenke 
bringe.  Denn  er  sagte,  Zutritt  zu  einem  so  grossen  Fürsten 
sei  nicht  nach  altem,  gewöhnlichem  Brauche  zu  erlangen, 
sondern  nur  nach  ehrgeizigen  Bemühungen.  Auf  diese  Weise 
wollte  er  durch  vorgeschützte  Anhänglichkeit  an  den  König 
seine  schmähliche  Grausamkeit  beschönigen.  Das  so  gereizte 
Volk  nährte  die  Klage  über  seine  Unterdrückung  nur  in 
stillen  Seufzern.     Niemand  hatte  den  Mut,  öfl^entlich  Anklage 


202  Fünftes  Buch. 

Über   diese  Zeit   des  Elends  zu  ^^rheben,   niemaud  wollte   es 
wagen,  offen  Beschwerde  über  die  hereingebrochene  Schmach 

190  vorzubringen.  Innerlicher  Schmerz  wühlte  in  den  Herzen 
aller  und  zwar  um  so  heftiger,  je  verborgener  er  war. 

Als  dies  Götarus,  der  König  von  Norwegen,  vernahm, 

127  berief  er  eine  Versammlung  seiner  Krieger  und  berichtete, 
dass  die  Dänen  gegen  ihren  eigenen  König  Widerwillen  hegten 
und  im  Falle  der  Gelegenheit  dazu  sich  einen  anderen 
wünschten.  ^)  Er  habe  sich  entschlossen,  sein  Heer  dorthin 
zu  führen,  denn  leicht  könne  Dänemark  besetzt  werden,  wenn 
man  es  mit  Waffengewalt  angreife.  Prot  hos  Herrschaft 
über  sein  Land  sei  ja  ebenso  habgierig  wie  grausam.  Da 
erhob  sich  Ericus  und  suchte  ihn  durch  Gegengründe  davon 
abzubringen,  indem  er  sagte  :^)  Wir  erinnern  uns,  da^üs  die- 
jenigen, welche  nach  den  Gütern  Fremder  streben,  gar  oft 
ihrer  eigenen  beraubt  werden*.  Häufig  hat  schon  beides  ver- 
loren, wer  nach  zweierlei  verlangte*.  Das  muss  ein  sehr 
starker  Raubvogel  sein,  der  den  Klauen  eines  andern  eine 
Beute  zu  entreissen  begehrt*.  Die  inneren  Zwistigkeiten  des 
Landes  ermutigen  dich  umsonst;  denn  die  Ankunft  der  Feinde 
beseitigt  sie  meistens.  Wenn  auch  jetzt  die  Dänen  scheinbar 
geteilter  Meinung  sind,  so  werden  sie  doch  sogleich  einmütig 
den  Feind  empfangen.  Die  Wölfe  bringen  die  Schweine  zur 
Eintracht,  wenn  sie  sich  auch  eben  noch  heftig  stritten*.  Jeder 
zieht  einen  einheimischen  Fürsten  einem  fremden  vor.  Jede 
Provinz  dient  treuer  einem  eingeborenen  Könige  als  einem 
Neuankömmling.  Frotho  wird  dich  ja  nicht  zu  Hause  er- 
warten, sondern  im  Felde  deiner  Ankunft  entgegen  treten. 
Adler  kratzen  einander  mit  den  Fängen*,  Vögel  kämpfen  Stirn 


*)  Hier  beg^innt  die  n orwepi  sc h  c  Erichssage,  deren  Grundgedanke 
die  Erweckiing  des  jungen,  schlatfen  Königs  zur  That kraft  ist:  eng  damit 
verbunden  ist  die  Liebesgeschichte.     Vgl.  Olrik  II,  S.  48 ff. 

*)  Fast  alle  Reden  Erichs  setzen  sich  beinahe  völlig  aus  Sprich- 
wörtern oder  sprichwörtlichen  Redensarten  zusammen.  In  Müllers  Aus- 
gabe ist  der  Versuch  gemacht,  die  skandinavischen  Entsprechungen  (alte 
«»der  neue)  dazu  festzustellen;  da  deutsche  nur  verhältnismässig  selten 
sind,  begnügen  wir  uns,  die  betreffenden  Sätze  durch  ein  Sternchen  (*) 
am  Schlüsse  zu  bezeichnen.      -  Ueber  Sprichwörter  vgl.  AVeinhold  S.  325. 


Des  Oötarus  Kriegsgelüste.     Ericus.  203 

gegen  Stirn*.  Du  weisst  selbst,  dass  der  Blick  eines  weisen  191 
Mannes  niemals  zur  Reue  Anlass  geben  darf*.  Reichlich  bist 
du  von  Vornehmen  umgeben.  Deine  Ruhe  möge  dir  bleiben. 
Durch  andere  kannst  du  genau  deine  Fähigkeit  zum  Krieg- 
führen feststellen.  Möge  erst  dein  Heer  das  Kriegsglück  er- 
proben. Sorge  du  nur  im  Frieden  für  deine  eigene  Sicherheit, 
und  schiebe  die  Gefahr  dieses  Unternehmens  einem  andern 
zu.  Es  ist  besser,  dass  ein  Diener  zu  Grunde  gehe  als  der 
Herr.  Wie  dem  Schmiede  die  Zange,  so  diene  dir  dein  Unter- 
gebener. Jener  verhütet  durch  das  eiserne  Gerät  ein  Ver- 
sengen seiner  Hand  und  verhindert,  dass  er  sich  die  Finger 
verbrennt*.  Lerne  auch  du  mit  Hilfe  der  deinigen  dich  schonen 
und  für  dein  Wohl  sorgen.  —  So  sprach  Ericus.  Bisher 
hatte  ihn  Götarus  für  einen  unbedeutenden  Mann  gehalten 
und  wunderte  sich  jetzt  höchlich,  dass  er  das  Gefuge  seiner 
Rede  mit  so  auserlesenen  und  wertvollen  Sprichwörtern  durch- 
webt hatte.  Daher  gab  er  ihm  auch  den  Namen  des  Bered- 
samen;^) denn  er  meinte,  seine  hervorragende  Begabung 
müsse  mit  einer  solchen  Bezeichnung  geehrt  werden.  Bis 
dahin  hatte  nämlich  des  Ericus  Bruder  Rollern s  den  Ruf 
des  Jünglings  durch  seinen  eigenen  glänzenden  Ruhm  gänzlich 
in  den  Schatten  gestellt.  Ericus  bat  nun,  der  gütigen 
Namengebung  auch  eine  Gabe  folgen  zu  lassen,  indem  er  er-  192 
klärte,  die  Verleihung  eines  Titels  müsse  durch  die  Hinzu- 
fügung eines  Geschenkes  empfohlen  werden^).  Der  König 
schenkte  ihm  also  ein  Schiff,  welches  die  Ruderer  Scröter*) 
nannten.  Ericus  und  Rolle rus  waren  aber  die  Söhne  eines 
Fechters  Regnerus,  Kinder  desselben  Vaters,  aber  von  ver- 
schiedenen Müttern  geboren.  Des  Rollerus  Mutter,  zugleich 
des  Ericus  Stiefmutter,  hiess  Craca. *) 

*)  Lat.  Disertus,  anrd.  hinn  malspaki;  in  dänischen  Quellen  ausser 
Saxo  ist  diese  Persönlichkeit  völlig'  unbekannt. 

«)  Als  nafnfestr.  S.  II,  S.  92  Anm.  4  und  Olrik  L  63. 

*)  Anrd.  Skrauti,  gehört  wohl  zum  Verbum  skreyta  =  schmücken. 
Dieses  Schiff  wird  übrigens  in  der  Sage  noch  zwei  andern  (isländischen) 
Helden  zugeschrieben,  Halfdan  Brönufostre  und  Sörli  dem  Starken.  — 
Ueber  Eigennamen  der  Schiffe  vgl.  Weinhold  S.  130  ff. 

*)  D.  h.  Krähe,  anrd.  kraka. 


204  Fünftes  Buch. 

Mit  Götarus'  Erlaubnis  erhielt  nun  ein  gewisser  Rafnus  ^) 
128  die  Aufgabe,  die  Dänen  in  einem  Raubzuge  zur  See  anzu- 
greifen. Ihm  trat  Oddo  entgegen,  der  damals  in  Dänemark 
die  höchste  Machtstelle  im  Seewesen  inne  hatte,  ^)  ein  Mann, 
so  zauberkundig,  dass  er  ohne  Schiff  über  das  Meer  hinstreifen 
konnte  und  oft  feindliche  Fahrzeuge  durch  Stürme  zerstörte, 
die  er  durch  eine  Beschwörung  erregte.  Um  sich  nicht  dazu 
herabzulassen,  mit  den  Seeräubern  seine  Kräfte  zu  messen, 
pflegte  er  die  Fluten  durch  einen  bösen  Zauber  aufzuwühlen 
und  so  einen  Schiffbruch  seiner  Gegner  herbeizuführen.  So 
feindselig  dieser  Mann  den  Kaufleuten  war,  so  mild  war  er 
zu  den  Landleuten;  denn  er  betrachtete  die  Waren  nicht  mit 
derselben  Achtung  wie  die  Pflugschar,  und  er  schätzte  die 
Ammtt  lättdlkjher  Arbeiten  höher  als  das  Bemühen  nach  einem 
schmutzigen  Gewinn.  Als  er  nun  den  Kampf  mit  den  Nor- 
wegern begann,  stumpfte  er  den  Blick  seiner  Feinde  so  durch 
die  Kraft  seiner  Zaubersprüche,  dass  sie  glaubten,  die  ge- 
zückten Schwerter  der  Dänen  würfen  aus  der  Ferne  Strahlen 
und  funkelten  wie  in  Flammen.  Uebrigens  waren  ihre  Aupen 
so  geblendet,  dass  sie  nicht  einmal  ein  aus  der  Scheide  ge- 
zogenes Schwert  wahrnehmen  konnten.  Ihr  Heer  wurde  also 
durch  den  Glanz  besiegt,  da  es  unfähig  war,  das  zauberische 
193  Flimmern  zu  ertragen.  So  wurde  Rafnus  mit  einem  grossen 
Teile  der  Seinigen  erschlagen,  und  nur  sechs  Schiffe  entkamen 
nach  Norwegen,  um  dem  Könige  den  Beweis  zu  bringen,  dass 
die  Dänen  doch  nicht  so  leicht  zu  vernichten  seien.  Diese 
berichteten  auch,  dass  Frotho  nur  gestützt  auf  die  Hilfe 
seiner  Kämpen,  aber  gegen  den  Willen  seines  Volkes  herrsche, 
da  sich  seine  Regierung  in  Tyrannei  verwandelt  habe. 

Da  nun  Roll  er  us  immer  Lust  hatte,  Fremdes  zu  er- 
kunden und  Unbekanntes  kennen  zu  lernen,  so  gelobte  er, 
um  dieses  Gerücht  zu  prüfen,  wolle  er  sich  die  persönliche 
Freundschaft  Frothos  gewinnen.  Ericus  aber  versicherte, 
wenn    er  sich  auch  durch  seine  Körperkraft  auszeichne,    so 


*)  I).  h.  Habe,  anrd.  hrafn. 

*)  S.  oben  S.  194,  wo  er  Hoddo  heisst. 


Niederlage  des  Kafnus.     Plan  des  RoUerus  und  Ericus.         205 

habe  er  doch  sehr  unbesonnen  dieses  Gelübde  ausgesprochen. 
Da  er  aber  zuletzt  sah,  dass  er  in  hartnäckigster  Ausdauer 
auf  seinem  Beschlüsse  beharrte,  so  verpflichtete  er  sich  durch 
Äblegung  eines  ähnlichen  Gelübdes.  Der  König  versprach 
ihnen  auch  diejenigen  Begleiter  zu  gewähren,  die  sie  sich 
erwählen  würden.  Die  Brüder  beschlossen  nun,  zuerst  ihren 
Vater  anzugehen  und  sich  Vorräte  und  Hilfsmittel  für  eine 
so  lange  Reise  zu  erbitten.  Väterlich  wurden  sie  von  ihm 
empfangen,  und  am  folgenden  Tage  führte  man  sie  in  einen 
Hain,  um  sich  das  Kleinvieh  anzusehen;  denn  der  Alte  war 
reich  an  Herden.  Es  wurden  ihnen  auch  die  Schätze  eröffnet, 
welche  seit  langem  Höhlen  in  der  Erde  unter  ihrem  Ver- 
schlusse geborgen  gehalten  hatten;  und  sie  erhielten  die  Er- 
laubnis, sich  davon  anzueignen,  was  ihnen  gefiel.  Diese  Gabe 
wurde  ebenso  gern  angeboten  wie  angenommen.  So  holten 
sie  denn  die  Schätze  aus  der  Erde  herauf  und  nahmen  mit, 
was  ihnen  behagte.  Die  Ruderer  ruhten  sich  indessen  aus 
oder  übten  sich  im  Werfen  von  schweren  Massen.  Andere 
stählten  ihren  Körper  durch  Springen,  manche  durch  Laufen;  129 
diese  erprobten  ihre  Kräfte  im  Schleudern  grosser  Steine, 
jene  wetteiferten  im  Bogenspannen  und  -schiessen.  So  sorgten 
sie  durch  die  verschiedensten  Uebungen  für  die  Stärkung 
ihrer  Kraft.  Manche  pflegten  auch  nach  einem  Trünke  der 
Ruhe  und  des  Schlafes.  Darauf  wurde  RoUerus  von  seinem 
Vater  geschickt,  um  nachzusehen,  was  zu  Hause  vorgegangen 
sei.  Als  er  nun  wahrnahm,  dass  die  Hütte  seiner  Mutter 
rauchte,  trat  er  an  die  Thür,  näherte  sein  Auge  ganz  heimlich 
einem  kleinen  Spalt  und  bemerkte  beim  Ueberblicken  des 
Gemaches,  wie  seine  Mutter  eine  gekochte  Speise  in  einem 
unförmigen  Gefässe  umrührte.  Ausserdem  sah  er  aber  drei 
Schlangen  an  einem  dünnen  Faden  darüber  aufgehängt,  aus 
deren  Mäulem  der  Geifer  herabfloss  und  tropfenweise  das 
Mahl  befeuchtete.  ^)  Zwei  von  den  Schlangen  waren  pech- 
schwarz,   die    dritte    schien   weissgeschuppt  und  hing   etwas 


^)  £a  handelt   sich   also   um   eine   ganz  ähnliche  Speise  wie  in  der 
Geschichte  des  Hödr  und  Baldr;  vgl.  III  S.  123. 


"^ 


'206  Fünftes  Buch. 

höher  als  die  audera.  Diese  trug  auch  die  Schliuge  am 
Schwänze,  wilhrend  jene  von  einem  um  den  Bauch  gesclitun- 

194  genen  Faden  gehalten  wurden.  Rullerus  hielt  dies  nun 
zwar  für  ein  sündhaftes  Treiben,  versehwieg  aber  das  Oeselieue, 
um  Dicht  iit  den  Verdacht  zu  kommen,  als  bezichtige  er  geine 
Mutter  der  Giftmischerei,  Denn  er  wusste  nicht,  dass  die 
Natur  dieser  Schlangen  gaoz  harmlos  war,  und  ahnte  auch 
nicht,  welch  grosse  Kraft  durch  diese  Speise  geweckt  werden 
könnte.  Dann  kamen  Regnerus  und  Ericuß  hinzu,  und  als 
sie  die  Hütte  rauchen  sahen,  traten  sie  ein  und  begaben  sich 
auf  den  Platz  zum  Esuen.  Als  sie  bei  Tische  sassen  und 
der  Sohn  und  Stiefsohn  zugleich  nach  Speise  verlangten,  trug 
ihnen  Craca  eine  kleine  Schflssel  eines  verschieden  gefärbten 
Gerichts  auf.  Ein  Teil  war  nämticb  schwarz,  aber  mit  gelben 
Flecken  dazwischen,  ein  Teil  schien  weisslich.  Denn  nach 
dem  verschiedenen  Aeusseren  der  Schlangen  hatte  auch  der 
Brei  eine  doppelte  Farbe  erhalten.  Als  nun  jeder  nur  einen 
Bisseil  gekostet  hatte,  schätzte  Ericus  das  Gericht  nicht  nach 
der  äusserlichen  Färbung,  sondern  nach  der  inneren  Kraft- 
wirkung und  drehte  schnell  die  Schüssel  um.  sodass  er  den 
schwarzen  Teil,  der  mit  wirksameren  Säften  zugerichtet  war, 
zu  sich  heran  zog,  während  er  den  weissen,  der  zuerst  vor 
ihm  gestaiiilen  hatte,  Kollerus  zuschob;  so  hatte  er  den 
grösseren  Vorteil  von  dem  Mahle.  Damit  nun  nicht  die 
Absicht  bei  der  Veränderung  bemerkt  würde,  sagte  er,  dass 
ganz  ebenso  bei  brandendem  Meere  der  Vordersteven  die 
Stelle  des  Hinterstevens  einzunehmen  pflege*.  Die  Schlauheit 
dieses  Mannes  war  doch  nicht  klein,  da  er  zur  Verhüllung 
seiner  Absicht  ein  Gleichnis  vom  Schiffe  ber/tinehmeu  wus.<te. 
Gestärkt  durch  dieses  glückbringende  Mahl  gelangte  nun 
F.rii-\is  durch  die  innere  Wirksamkeit  desselben  zur  höchsten 
Miilc  menschlicher  Weisheit.  Denn  die  Kraft  dieser  Speise 
er/i'Ugte  in  ihm  eine  ganz  unglaubliche  Fülle  von  Kenutnissfu, 
siidass  er  sogar  die  Stimmen  der  wilden  Tiere  und  des 
Iknlenviehes  zu  deuten  verstand.  Er  war  nicht  nur  aller 
unTi.irhlicheii    Angelegenheiten    kundig,    sondern    er    wusste 

^k-aucli    die    l.aute    der  Tiere    auf    die   sie    verursachenden   be- 


Die  Schlange nspeise.     Aufbruch.  207 

stimmten  Gefühle  zurückzuführen.  ^)  Ausserdem  verfügte  er  180 
über  eine  so  ausgebildete  und  kunstvolle  Redegabe,  dass  er 
alles,  was  er  immer  zu  erörtern  wünschte,  beständig  mit 
Anmut  und  witzigen  Sprichwörtern  schmückte.  Als  aber 
Craca  hinzukam  und  bemerkte,  dass  die  Schale  herumgedreht  195 
und  der  wirksamere  Teil  des  Breies  von  Ericus  verzehrt  war, 
da  ärgerte  sie  sich,  dass  das  ihrem  Sohne  bestimmte  Glück 
ihrem  Stiefsohn  zugefallen  war.  Seufzend  begann  sie  ihn 
nun  gleich  anzuflehen,  dass  er  niemals  seinem  Bruder  seine 
Hilfe  versage,  dessen  leibliche  Mutter  ihn  ja  mit  einer  solchen 
Fülle  unerhörten  Glückes  überhäuft  habe.  Denn  durch  den 
schlauen  Genuss  dieses  einen  Gerichts  habe  er  offenbar  nicht 
nur  die  Krone  der  Vernunft  und  Beredsamkeit  erreicht, 
sondern  auch  die  Gabe,  alle  Kämpfe  mit  Erfolg  zu  bestehen. 
Sie  fügte  noch  hinzu,  dass  Rollerus  ein  hohes  Mass  Ver- 
stand besitze  und  wohl  den  Verlust  des  ihm  bestimmten 
Mahles  nicht  weiter  vermissen  werde.  Sie  erinnerte  ihn 
auch,  dass  er  sich  im  Falle  zwingendster  Notwendigkeit  durch 
Nennung  ihres  Namens  schnell  Hilfe  erbitten  könne;  denn 
sie  versicherte,  sie  werde  teilweise  von  einer  göttlichen  Kraft 
unterstützt  und  verfüge  über  eine  ihr  innewohnende  Macht, 
die  der  der  Himmlischen  einigermassen  verwandt  sei.  Ericus 
aber  sagte,  die  Natur  treibe  ihn  schon  dazu,  seinem  Bruder 
beizustehen,  und  das  sei  ein  schlimmer  Vogel,  der  sein  eigenes 
Nest  beflecke*.  Craca  aber  kränkte  vielmehr  ihre  eigene 
Unvorsichtigkeit,  als  dass  ihr  das  Missgeschick  ihres  Sohnes 
nahe  ging;  denn  wenn  sich  ein  Ränkeschmied  in  seiner 
eigenen  Schlinge  fing,  so  war  das  in  alter  Zeit  ein  Grund 
zur  grössten  Scham. 

Darauf  begleitete  sie  selbst  in  Gesellschaft  ihres  Mannes 
die  Brüder,  die  abreisen  wollten,  ans  Meer.  Diese  bestiegen 
nur  ein  einziges  Schift',  nahmen  sich  aber  dann  noch  zwei 
andere  mit.  Schon  waren  sie  dem  dänischen  Strande  ganz 
nahe,    als    sie    beim    Kundschaften    bemerkten,    dass    sieben 

*)  £benso  versteht  Sigurd  (Siegfried)  die  Sprache  der  Vögel,  als  er 
des  Drachen  Fafnir  Herz  gegessen.  S.  das  Lied  von  Fafnir,  Prosa  nach 
Str.  31  =  Gerings  Edda  S.  207  u.  Anm.  3. 


208  Fünfte*  Buch. 

Schiffe  ganz  in  ihrer  Nähe  Tor  Anker  lagen.     Darauf  schickte 
Kricii8  zwei  von  seinen  Leuten,  die  dänisch  verstanden,  ohne 

IM  Kleider  dorthin;  sie  sollten  sich  zur  Einziehung  genauerer 
Kunde  zum  Scheine  bei  Oddo  beklagen,  dass  Ericus  die 
Ursache  ihrer  Nacktheit  sei,  ^)  und  dann  ihre  vorsichtig  er- 
worbenen Nachrichten  zurückmelden.  Sie  wurden  auch  bei 
Oddo  ganz  zutraulich  aufgenommen  und  spurten  mit  ge- 
spitzten Ohren  den  ganzen  Plan  des  Feldherrn  aus.  Er  hatte 
nämlich  beschlossen,  in  der  Morgendämmerung  die  Feinde 
unversehens  anzugreifen,  um  sie  noch  in  ihren  Nachtgewändern 
desto  schneller  niederzumetzeln;  denn  er  behauptete,  dass  zu 
dieser  Tageszeit  die  Menschen  am  verblüfftesten  und  schwer- 
fälligsten zu  sein  pflegten.  Er  Hess  auch  seine  Schiffe  mit 
Steinen,  die  zum  Werfen  geeignet  waren,  belasten  und  be- 
schleunigte so  die  Ursache  seines  Verderbens.  Denn  die 
Kundschafter  machten  sich  früh  in  der  Nacht  davon,  meldeten, 
dass  Oddo  alle  seine  Schiffe  mit  Wurfsteinen  gefüllt  habe 
und   berichteten  auch,   was   sie  sonst  gehört  hatten.     Sobald 

181  dies  Ericus  vernahm,  glaubte  er  in  Anbetracht  der  Kleinheit 
seiner  Flotte  die  Fluten  zum  Verderben  der  Feinde  in  An- 
spruch nehmen  und  sich  ihres  Beistandes  dabei  versichern 
zu  müssen.  Daher  bestieg  er  ein  Boot,  fuhr  unter  ganz 
leisem  Rudern  nahe  an  die  feindlichen  Schiffe  heran,  bohrte 
die  Planken  unmittelbar  an  der  Wasserfläche  heimlich  an') 
und  machte  sich  dann  auf  den  Rückweg,  wobei  das  Rudern 
kaum  einen  Laut  erregte.  Er  hatte  sich  so  in  Acht  genommen, 
dass  keine  einzige  Wache  seine  Ankunft  oder  Abfahrt  be- 
meikte.  Noch  während  er  unterwegs  war,  brachten  die  durch 
die  jjöcher  eindringenden  Wogen  allmählich  Oddos  Schiffe 
zum  Sinken,  und  wie  sich  das  Wasser  in  ihnen  immer  mehr 
ansammelte,  schienen  sie  in  der  Tiefe  zu  verschwinden.  Auch 
(las    Gewicht    der    Steine    inwendig    trug    nicht    wenig    zum 

197   l'nterijange  bei.     Schon  bespülten  die  Fluten  die  Ruderbänke, 

M    iMoM*   \as\    orinnort    an  .Sehnliches   aus  dem  Altertum,   i.  B.  die 
!*ist   »los  Z«»|\\nis  hei   KinnHhme  von   Babylon  (Herodot   111,  154  ff.). 

^  S.  liioHolho   l.ist   H»iiilintfs  B.   I.  r>2  und   Fn>thos  L   B.   II.  61. 


Des  Ericus  Seesieg  über  Oddo:   Rückzug.  209 

und  das  Meer  reichte  schon  bis  an  die  Sitze,  da  bemerkte 
Oddo,  dass  seine  Schifte  bereits  dem  Meeresspiegel  gleich 
ständen  und  gebot,  das  masslos  eindringende  Wasser  mit 
Krügen  auszuschöpfen.  Während  nun  so  die  Bemannung 
beschäftigt  war,  die  sinkenden  Teile  ihrer  Flotte  gegen  das 
Einströmen  der  Wogen  zn  schützen,  da  erschien  auch  der 
Feind  ganz  in  der  Nähe.  Wenn  sie  nun  zu  den  Waft'en 
grifl'en,  so  drohte  der  Strudel  immer  gefährlicher,  und  wenn 
sie  sich  zum  Kampfe  rüsten  wollten,  so  mussten  sie  dabei 
schwimmen.  Für  Ericus  stritten  also  die  Wellen,  nicht  seine 
Waften.  Es  focht  für  ihn  das  Meer,  dem  er  selbst  die 
Möglichkeit  und  die  Kraft  zum  Schaden  gewährt  hatte.  Ericus 
bestand  so,  von  den  Fluten  mehr  als  vom  Eisen  begünstigt, 
unter  wirksamer  Beihilfe  der  Gewässer,  scheinbar  ohne  persön- 
lich dabei  zu  sein,  diesen  Kampf  und  holte  sich  Unterstützung 
beim  Meere.  Sieg  krönte  seine  List.  Denn  die  von  den 
Wogen  überströmten  Schifte  waren  nicht  mehr  fähig,  ein 
Gefecht  aufzunehmen.  So  fiel  Oddo  mit  seinen  Genossen, 
die  Posten  wurden  gefangen  und  keiner  soll  entronnen  sein, 
die  Niederlage  zu  melden. 

Als  nun  Ericus  diesen  Handstreich  ausgeführt  hatte, 
beschleunigte  er  seineu  Rückzug  und  legte  an  der  Insel 
Lessö^)  an.  Da  man  «lort  nichts  fand,  um  den  Hunger  zu 
stillen,  entsandte  er  zwei  Schiffe  mit  der  Beute  nach  Hause, 
um  Vorräte  für  noch  ein  Jahr  zu  bringen.  Er  selbst  suchte 
auf  dem  einzig  ihm  gebliebenen  nach  Gelegenheit,  den  König 
aufzusuchen.  Als  sie  nun  Seeland  betraten,  zerstreuten 
sich  die  Schiffer  am  Gestade  und  begannen  das  Herdenvieh 
zu  erschlagen.  Jetzt  musste  man  nämlich  entweder  den 
Hunger  stillen  oder  aus  Mangel  zu  Grunde  gehen.  Als  sie 
die  Tiere  getötet,  zogen  sie  das  Fell  ab  und  warfen  die 
nackten  Leiber  aufs  Schift'.  Sobald  dies  nun  die  Besitzer  der 
Herde  bemerkten,  beeilten  sie  sich,  die  Räuber  mit  einer 
Flotte  zu  verfolgen.  Da  aber  Ericus  wahrnahm,  dass  die 
Eigentümer    des   Viehes    nach    ihm    fahndeten,    Hess    er    die 


*)  Jetzt  Läsö  im  nördlichen  Kattegat. 
S.1XO  Graramaticus.  14 


210  Fünftes  Buch. 

Leiber  der  getöteten  Rinder  an  bezeichnete  Stricke  binden 
und  sie  in  den  Finten  verbergen.  Als  nun  die  Seeländer 
herankamen,  gewährte  er  ihnen  die  Erlaubnis,  nachzusehen^ 
ob    etwas  von  dem  gesuchten  Fleische   bei  ihm   wäre,    und 

182  versicherte,  die  Räume  im  Schiffe  seien  doch  zu  eng,  um 
etwas  darin  zu  verstecken.  Jene  fanden  nirgends  etwas  von 
dem  Fleische,  wandten  ihren  Verdacht  auf  andere  Leute  und 
hielten  die  an  dem  Diebstahl  Schuldigen  für  unschuldig.  Da 
keine  Spuren  von  dem  Raube  vorhanden  waren,  meinten  sie, 

198  andere  hätten  ihnen  diesen  Schaden  zugefugt,  und  verziehen 
den  Thätem.  Als  sie  wegfuhren,  Hess  Ericus  das  Fleisch 
wieder  aus  dem  Wasser  heraus-  und  an  Bord  holen. 

Unterdessen  erfuhr  Frotho,  dass  Oddo  mit  den  Seinigen 
umgekommen  sei.  Denn  wenn  man  auch  den  Urheber  der 
That  nicht  kannte,  so  hatte  doch  ein  schnell  sich  verbreitendes 
Gerücht  die  Kunde  von  der  Niederlage  weitergetragen.  Einige 
behaupteten  sogar,  sie  hätten  drei  Segel  auf  das  Gestade  zu- 
treiben und  dann  wieder  nach  Norden  sich  entfernen  sehen. 
Da  lief  Ericus  in  einen  Hafen  ein,  in  dessen  Nähe  sich 
Frotho  aufhielt.  Sowie  er  aber  den  Fuss  aus  dem  Schiffe 
setzte,  strauchelte  er  unversehens  und  berührte  im  Sturze  mit 
seinem  Körper  die  Erde.  Er  sah  aber  in  diesem  Falle  ein 
gutes  Vorzeichen  *)  und  prophezeite  nach  dem  ungünstigen 
Anfange  einen  besseren  Verlauf  für  die  Zukunft.  Sobald 
Grep  seiner  Ankunft  gewiss  war,  eilte  er  schleunigst  ans 
Meer,  um  den  Mann,  der,  wie  er  hörte,  vor  allen  andern  durch 
Beredsamkeit  sich  auszeichnete,  mit  auserlesenen  und  scharfen 
Worten  anzugreifen  ^).    Denn  er  übertraf  alle  durch  den  leb- 


*)  Ein  skandinavisches  Sprichwort  heisst :  FaU  er  forar  heill ,  d.  i. 
Ein  Fall  bedeutet  Reiseglück.  Könijr  Harald  hardradi  soll  es  10H6  in 
der  Schlacht  bei  StanitV)r(l!)ridge  ausgesprochen  haben.  (Aehnliches  wird 
auch  von  (^aesar  bei  der  Landung  in  Afrika,  von  Wilhelm  d.  Eroberer 
beim  Betreten  Englands  u.  von  Olaf  d.  Heiligen  beim  Betreten  Norwegens 

berichtet.) 

*)  Eft  handelt  sich  also  um  einen  vorbedachten,  beabsichtigten  Wort- 
•ilreit  :  vgl.  die  in  II.  S.  87  Anni.  2  angegebene  Litteratur  und  besonder* 
noch  eins  Lie<l  von  Harbard  =  (icrings  Edda  S.  42.  — Das  Streitgespr&ch 
hat  Haxo  gewinn  in  poetischer  Form  vorgelogen. 


Ericus'  List;  sein  Wortstreit  mit  Grep.  211 

haften  Schwall  seiner  nicht  gerade  wohlgesetzten  aber  frechen 
Reden.  So  begann  er  auch  hier  den  Streit  mit  einer  Schmähung 
und  fiel  mit  folgenden  Worten  über  Ericus  her: 

Grep:  „Thor,  wer  bist  du?  Welch  eitles  Beginnen  hast 
du  vor?  Sage,  woher  und  wohin  geht  die  Reise?  Was  ist 
dein  Weg,  dein  Vorhaben?  Wer  ist  dein  V^ater,  woher  kommst 
du?  Denjenigen  wohnt  die  vorzüglichste  Kraft  inne,  die  nie  199 
ihren  Wohnsitz  verliessen;  stätig  ist  das  Heim  der  Könige^). 
Denn  nur  wenigen  ist  genehm,  was  der  schlechteste  Mann 
vollbringt,  und  selten  nur  pflegen  die  Thaten  eines  Verhassten 
zu  gefallen." 

Ericus:  „Regno^)  ist  mein  Vater,  meine  Kunst  ist  die 
Beredsamkeit,  immer  habe  ich  die  Tugend  geliebt.  Weise  zu 
sein  war  mein  einziger  Wunsch.  Verschiedene  Sitten  habe 
ich  durchmustert,  gar  manchen  Weg  bin  ich  über  die  Erde 
hingewandert.  Ein  thörichter  Sinn  weiss  nie  Maass  zu  halten,* 
schimpflich  und  zügellos  in  seinem  Begeliren.  Der  Gebrauch 
der  Segel  ist  besser  als  das  Führen  der  Ruder  ^).  Der  Wind  200 
peitscht  die  Wogen,  ein  gar  trauriger  Hauch  streicht  über 
das  Land.     Denn  die  Ruder  durchziehen  das  Meer,  die  Lüge  188 


*)  Das  ist   A-ielleicht  der  Sinn   der  schwierigen  und  dunklen  Verse: 

Precipuus  vigor  iis,  regumque  domesticus  est  lar, 
Qui  proprias  nunquam  deseruere  domos. 

Unsere  Uebersetzung  fasst  .lar'  übertragen  als  Heim  (ursprüngl.  =  Herd), 
fdomesticus'  prädikativ  in  der  Bedeutung  häuslich  (d.  i.  stätig).  Andere 
erklären  ,Lar^  als  Schutzgeist  =  nrd.  fylgja  oder  hamingja,  wonach  £lton 
übersetzt:  The  Luck  of  kings  is  their  houscluck.  —  Vedels  Uebersetzung 
achliesst  sich  der  ersten  Auffassung  an:  er  sagt  (S.  LXXXVIII):  „Lvcksalige 
oc  duclige  mend  ere  de  som  bliffve  hos  deres  egen  Lands  Herre  /  oc  icke 
forlade  deris  eget  Hus  oc  Hiem." 

*)  Nur  des  Versmasses  wegen  scheint  hier  diese  Form  für  die  frühere 
Rcgnerus  eingetreten  zu  sein. 

•)  Dieses  Wort  bezieht  sich  vielleicht  auf  einen  bedeutungsvollen 
Umschwung  in  der  Schiffahrt,  ^och  zu  Tacitus'  Zeiten  kannten  die 
Schweden  keine  Segclfahrzeuge ,  und  auch  den  Riesen  wird  in  der 
Sage  nur  die  Kenntnis  des  Ruderns  zugeschrieben.  Die  Erfindung  der 
Segel  bedeutet  also  einen  grossen  Fortschritt.     S.  Weinhold  S.  129. 

14* 


212  Fünftes  Buch. 

die  Erde ;  diese  kann  bekanntlich  durch  den  Mund,  jenes  aber 
durch  die  Faust  bezwungen  werden  ^).^ 

Grep:  „Wie  der  Hahn  von  Schmutz,  so  giltst  du  voll 
von  Zanksucht;  du  stinkst  hässlich  nach  Unrat  und  riechst 
nur  nach  Verbrechen.  Unnötig  ist's,  gegen  einen  Narren  seine 
Sache  weiterzuführen,  dessen  Stärke  nur  in  nichtssagender 
Zungenfertigkeit  besteht." 

Ericus:  ^Beim  Hercules,  wenn  ich  mich  nicht  täusche, 
201  so  pflegt  schmähliche  Rede  auf  den,  der  sie  vorbrachte,  zurück- 
zufallen.* Mit  gerechtem  Bemühen  pflegen  die  Götter  allzu 
thörichte  Worte  auf  den  Sprecher  zurückprallen  zu  lassen.* 
Sobald  man  einmal  die  erst  noch  undeutlichen  Ohren  eines 
Wolfes  deutlich  erkannt  hat,  da,  glaubt  man,  muss  auch  der 
Wolf  selbst  in  der  Nähe  sein.*  Keine  Treue  braucht  man, 
wie  es  heisst,  einem  treulosen  Manne  gegenüber  zu  halten,* 
den  das  Gerücht  des  Verrates  bezichtigt.'* 

Grep:  „Für  deine  unbesonnenen  Worte  wirst  du  gar 
bald  Strafe  leiden,  du  unverschämter  Bube,  du  unstäter  Uhu, 
du  Nachteule  im  Finstern.  Wa^j  du  jetzt  in  deinem  Wahn- 
sinn hervorbringst,  wirst  du  bedauern,  dass  du  es  gesprochen; 
juit  deinem  Leben  wirst  du  für  deine  schamlosen  Reden 
büssen.  Als  Leiche  wirst  du  mit  deinem  blutlosen  Körper 
die  Raben  letzen,  ein  Frass  für  die  wilden  Tiere,  eine  Beute 
der  gierigen  Raubvögel." 

Ericus:  „Verheissungeu  der  Feiglinge  und  beharrliches 
UebelwoUen  haben  sich  nie  in  den  würdigen  Grenzen  gehalten.* 
Wer  seinen  Herrn  täuscht,  wer  gemeine  Ränke  schmiedet, 
wird  ebenso  sich  selber  wie  seinen  Freunden  gefährlich  sein.* 
Wer  in  seinem  Hause  einen  Wolf  aufzieht,   der  ernährt  sich. 


*)  Diese  beiden  Sätze  sind  uueh  nicht  j^anz  klar.  Der  Sinn  des 
ersten  ist :  Die  Lüj/e  (oder  Verlennuluno^)  auf  dem  Lande  ist  ebenso  jfC- 
fiihrlieh  und  schädlich  wie  der  Sturm  auf  dem  Meere.  Der  zweite  (nach 
dem  Semikolon)  ist  kaum  ii)>ersetzl)ar:  er  heisst:  Istas  [terras]  ore  premi 
eonstat,  at  illa  [t'reta]  manu.  —  Er  vergleicht  die  3Iacht  der  Lüf^c  und 
des  Meeres.  Durch  die  Liig^e  (ore)  werden  Länder  unterjocht,  durch  an- 
pe>trenptes  Hudern  (manu)  kann  man  das  Meer  bezwingen.  Der  (tc- 
daiike  ist  nicht  logisch  durchi^eführt,  und  die  Schwierigkeit  ist  noch  durch 
deu  beabsichtigten  Do|>pelsinn  von  ,premere*  erhöht. 


Greps  Niederlage  im  Wortkampfe;   sein  Racheplan.  213 

wie  es  heisst,   einen  Räuber  für  sein  eigenes  Heim  und  sein 
Verderben".* 

Grep:  „Nicht  habe  ich  die  Königin,  wie  du  meinst,  ver- 
raten,   sondern,  ich   war  der   Schutzer  ihrer   zarten  Jugend. 
Dieser  Umstand  mehrte  mein  Vermögen,  ihre  Gnade  gewährte  mir  184 
zuerst  Geschenke  und  Macht,  Reichtum  und  Ansehen  im  Rate."   202 

Ericus:  „Siehe,  deine  schuldbewusste  Fürsorge  verrät 
dich  ^) ;  sicherer  ist  der  Freimut  des  Mannes,  dessen  Sinn  un- 
befleckt geblieben.*  Wer  sich  einen  Sklaven  zum  Freunde 
wählt,  wird  betrogen  ;*  gar  oft  pflegt  der  Diener  seinem  Herrn 
zu  schaden."* 

Da  sah  sich  nun  Grep  von  seiner  Fertigkeit  im  Antworten 
im  Stiche  gelassen,  gab  seinem  Rosse  die  Sporen  und  sprengte 
davon.  Zu  Hause  kaum  angelangt,  erfüllt  er  die  Königshalle 
mit  heftigem,  aufgeregtem  Geschrei,  wehklagt,  dass  er  im 
Wortgefechte  besiegt  sei,  und  ruft  das  ganze  Heer  unter  die 
Waffen,  gleich  als  wolle  er  sieh  mit  der  Faust  für  den  un- 
glücklichen Wortkampf  rächen.  Er  schwor,  er  wolle  der 
Feinde  Heer  den  Klauen  der  Adler  vorwerfen.  Der  König 
mahnte  ihn  indessen,  er  solle  seiner  Wut  Raum  zur  Ueber- 
legung  geben;  unbesonnene  Entschlüsse  brächten  meistens 
Schaden.*  Nichts  könne  man  zu  gleicher  Zeit  vorsichtig  und 
rasch  ausführen.*  Ueberstürzte  Pläne  seien  meistens  nach- 
teilig;* endlich  dürfe  man  auch  nicht  wenige  Leute  mit  einer 
Uebermacht  angreifen.  Uebrigens  sei  der  ein  kluger  Mann, 
der  seinem  aufgeregten  Geraüte  Zügel  anzulegen  verstünde 
und  einen  Wutanfall  bei  Zeiten  unterbräche.  So  nötigte  der 
König  den  jähen  Zorn  des  Jünglings  der  Einsicht  zu  weichen. 
Aber  er  vermochte  doch  nicht  die  Gereiztheit  seines  auf- 
geregten Sinnes  so  völlig  zur  Selbstbeherrschung  zu  bewegen,  203 
dass  nicht  dieser  Kämpe  im  Wortgefecht  aus  Beschämung 
über  den  allzu  unglücklichen  Ausgang  seines  Gezänkes  und 
bei  der  Unmöglichkeit  einer  Rache  mit  den  Wafl^en  doch 
wenigstens  verlangt  hätte,  zu  seiner  Genugthuung  von  seiner 
Zauberei  Gebrauch  machen  zu  dürfen. 


*)  Denn  Grep  bezog  den  allgemeinen,  sprichwörtlichen  Ausspruch  in 
Erichs  letzter  Kede  auf  sich  selbst  und  glaubte  sich  in  seinem  schlechten 
Gewissen  in  seiner  letzten  Strophe  verteidigen  zu  müssen. 


2U  Fünftes  Buch. 

Als  ihm  (lies  gestattet  wurde,  rüstete  er  sieh,  mit  einer 
auserlesenen  Schar  von  Zauberern  den  Strand  wieder  zu  ge- 
winnen. Zuerst  opferten  sie  den  Göttern  ein  Pferd,  schnitten 
ihm  dann  den  Kopf  ab,  steckten  ihn  auf  eine  Stange  und 
sperrten  ihm  durch  dazwischen  gespreizte  Stäbe  das  Maul 
auf,  in  der  Hoffnung,  sie  würden  gleich  die  ersten  Unter- 
nehmungen des  Ericus  durch  das  Grauen  vor  diesem  gräss- 
lichen  Schauspiel  vereiteln^).  Er  glaubte  nämlich,  der  un- 
gebildete Sinn  der  Barbaren  werde  vor  dem  schrecklichen 
Anblick  des  Pferdekopfes  zurückbeben.  Ericus  war  nun 
wirklich  schon  auf  dem  Wege  ihnen  entgegen.  Als  er  nun 
von  ferne  den  Schädel  sah,  erkannte  er  den  Sinn  dieser 
scheusslichen  Zurüstung,  befahl  seinen  Gefährten  zu  schweigen 
und  sich  sehr  in  acht  zu  nehmen,  dass  ja  keiner  unbesonnen 
ein  Wort  laut  werden  lasse,  damit  sie  nicht  durch  unvor- 
sichtiges Sprechen  der  Zauberei  günstigen  Boden  bereiteten: 
wenn  es  nötig  sei,  zu  reden,  so  werde  er,  fügte  er  hinzu«, 
für  alle  das  Wort  ergreifen.  Schon  trennte  die  beiden  Parteien 
nur  noch  der  Fluss,  welcher  zwischen  ihnen  floss,  als  die 
Zauberer,  um  Ericus  vom  Betreten  der  Brücke  abzuschrecken, 
185  die  Stange,  auf  der  sie  den  Pferdekopf  befestigt  hatten,  ganz 
nahe  an  dem  Strome  aufstellten.  Jener  beschritt  nichtsdesto- 
weniger unerschrocken  die  Brücke  und  sagte :  Auf  den  Träger 
falle  das  schlimme  Geschick,  das  er  trägt,  zurück;  uns  sei 
ein  besserer  Erfolg  beschieden I  üebel  ergehe  es  den  Zauberern; 
auf  ihren  Träger  stürze  die  Last  zu  seinem  Unheil;  uns  möge 
ein  besseres  \^ orzeichen  Glück  bringen!  —  Und  es  kam  wirk- 
lich nicht  anders  als  er  gewünscht.  Denn  sogleich  kam  der 
Kopf  ins  Wanken  und  der  stürzende  Pfahl  erschlug  den  Träger. 
So  verschwand  die  ganze  Zurüstung  der  Zauberer  wirkungs- 
los auf  das  Geheiss  einer  einzigen  Verwünschung^). 


*)  Das  ist  eino  sogenannte  Xeidstan^c  (nidstönj;),  wodurch  man  dem- 
jenijfen  alles  Schlimme  zuwenden  wollte,  den  der  Kopf  ansah.  Vgl. 
Weinhold  8.  2^*H,  E.  H.   >[eyer  Ö.   106. 

')  Ein  treffliches  Beispiel  fiir  die  Zauherkrafl  des  blossen  Wortes, 
di<»   oft   gn'jsser  ist   als    die   aller  möglichen  Hilfsmittel  und  Zurüstungen. 


Der  unwirksame  Zauber;  Ericus'  Empfang  bei  Hofe.  215 

Als  nun  Ericus  etwas  weiter  zog,  fiel  ihm  plötzlich  ein, 
dass  der  König  von  den  Ankömmlingen  Geschenke  erhalten 
müsste^).  So  hüllte  er  denn  ein  Stück  Eis,  das  er  gerade 
fand,  sorglich  in  sein  Gewand  und  bestimmte  es  als  Gabe 
für  den  König.  Sobald  man  nun  zur  Königshalle  gelangte, 
ging  er  selbst  zuerst  hinein  und  hiess  seinen  Bruder  ihm  auf 
dem  Fusse  folgen.  Schon  aber  hatten  die  Diener  des 
Königs,  um  ihn  gleich  bei  der  Ankunft  mit  einem  höhnischen 
Streiche  zu  empfangen,  eine  schlüpfrige  Decke  über  die 
Schwelle  gebreitet.  Als  Ericus  sie  betrat,  ergriffen  sie  schnell 
die  Schnur  und  zogen  daran;  und  sie  liätten  den  Eintreten- 
den zu  Falle  gebracht,  wenn  nicht  Rollerus,  dicht  hinter 
ihm,  seinen  wankenden  Bruder  in  seinen  Armen  aufgefangen 
hätte.  Ericus  rief  da,  halb  schon  gestürzt,  aus,  dessen  Rücken  204 
sei  ungeschützt,  der  keinen  Bruder  habe.*  Als  dann  Gun- 
wara  sagte,  der  König  hätte  solche  Streiche  nicht  erlauben 
dürfen,  zieh  er  den  Gesandten  der  Dummheit,  der  sich  nicht 
vor  Ränken  zu  hüten  wisse  ^).  So  nahm-  er  die  Sorglosigkeit 
des  Verspotteten  als  Entschuldigungsgrupd  für  den  Spott. 

In  der  Halle  brannte  ein  Feuer,  welches  zu  dem  Stande 
der  Jahreszeit  gar  wohl  passte;  denn  es  war  bereits  die 
Hälfte  vom  Winter  verstrichen.  Daran  sassen  in  unter- 
schiedeneu Gruppen  hier  der  König,  dort  seine  Kämpen.  Als 
sich  Ericus  diesen  näherte,  stiessen  sie  wie  heulende  Wölfe 
grässliche  Laute  aus.  Der  König  machte  diesem  Lärm  ein 
Ende  und  belehrte  sie,  dass  in  der  Menschenbrust  nicht  die 
Stimmen  wilder  Tiere  wohnen  dürften.  Ericus  fügte  noch 
hinzu,  es  sei  der  Brauch  der  Hunde,  dass  alle,  wenn  einer 
beginnt,  ihr  Gebell  erhöben,  denn  alle  verrieten  durch  ihr 
Benehmen  ihren  Ursprung,  und  jeder  bekenne  dadurch  seine 
Art.  Als  ihn  nun  aber  Colo,  der  Aufseher  über  die  dem 
Könige  gebrachten  Geschenke,  fragte,  ob  er  nicht  irgend  eine 
Gabe  mit  sich  führe,  da  holte  er  das  Eisstück,  das  er  in 
seinem   Gewände    verborgen   hatte,    hervor.     Während   er  es 


»)  S.  oben  S.  201. 

*)  Vgl.  dazu  die  Sprüche  Hars  Str.  1  =  Gerin jfs  Edda  S.  87. 


016  Fünftes  Buch. 

diesem  nun  über  das  Herdfeuer  hinreichte,  warf  er  es  absicht- 
lich in  die  Flammen,  doch  so,  dass  es  aussah,  als  ob  es  den 
Händen  des  Empfängers  entglitten  wäre.  Alle  Anwesenden 
sahen  deutlich  das  funkelnde  Stuck  und  es  schien  ihnen,  als 
ob  flüssiges  Metall  ins  Feuer  gefallen  wäre.  Ericus  be- 
hauptete, es  sei  durch  die  Ungeschicklichkeit  des  Empfängern 
heruntergeworfeu  worden,  und  fragte,  welche  Strafe  der  Ver- 

186  derber  des  Geschenkes  verdiene.  Der  König  ging  nun  die 
Königin  um  ihre  Ansicht  an.  Diese  riet,  er  solle  nicht  selbst 
die  von  ihm  erlassene  gesetzliche  Bestimmung  brechen,  nach 
der  die  Verlierer  der  ihm  überbrachten  Geschenke  mit  dem 
Tode  zu  bestrafen  wären.  Auch  die  übrigen  bestanden  darauf, 
die  durch  das  Gesetz  bestimmte  Strafe   dürfe  nicht  erlassen 

205  werden,  und  so  Hess  der  König  auf  die  Mahnung,  das  Todes- 
urteil als  notwendig  auszusprechen,  Colo  hängen. 

Darauf  begann  Frotho  Ericus  folgendermassen  anzu- 
reden: Du,  der  du  dich  so  überhebst  mit  prunkenden  Worten 
und  mit  prahlerisch  schön  klingenden  Reden,  sage,  woher  und 
weshalb  du  hierher  gekommen  bist^).  —  Ericus:  Von 
Rennesö^)  kam  ich  und  nahm  meinen  Sitz  auf  einem  Steine. — 
Frotho:  Wohin  du  dich  dann  begeben  hast,  frage  ich.  - 
Ericus:  Auf  einem  Balken  falirend  verliess  ich  den  Stein, 
und  öfter  noch  machte  ich  Halt  bei  einem  solchen.  —  Frotho: 
Ich  möchte  wissen,  wohin  du  dann  deinen  Lauf  gerichtet 
oder  wo  dich  der  Abend  umfing.  —  Ericus:  Von  dem  Felsen 
aufbrechend  kam  ich  zu  einem  Steiublock,  und  wiederum 
schlief  ich  auf  einem  Steine.  —  Frotho:  Da  gab  es  ja  dort 
eine  reichliche  Menge  Steine.  —  Ericus:  (Jrösser  noch  ist 
die  Menge   des  Sande.-«,   die   man   weit  und  breit  sieht').  — 


*)  Wiederum  ein  Streitgespräch,  das  zugleich  Weisheitsprobe  ist;  «. 
oben  Ö.  210  Aniii.  2.  Den  Sehlüssel  zur  Erklüruu^r  der  vielen  dunklen 
und  rätselhaften  Stellen  jjiebt  Erich  selbst  am  Schlüsse;  der  Anfang  be- 
zieht sich  aui  seine  Seefahrt  und  die  nächtliche  Rast  an  steinigem  Strand. 

*)  Lie^ft  in  der  3Iündnnjf  des  Stavanjjerfjords  an  der  Westküste  des 
südlichen  Norwegen. 

*)  Müller  fflaubt  hierin  eine  Anspielunp  auf  den  (legensatz  der  san- 
digen dänischen  und  steini^ron  norwegischen  Küste  sehen  zu  dürfen. 


Gespräch  zwischen  Ericus  und  Frotho.  217 

Frotho:  Was  dein  Geschäft  war,  oder  wohin  du  dich  von 
dort  wandtest,  berichte.  —  Ericus:  Von  dem  Felsen  auf- 
brechend, fand  ich,  wie  mein  Schiff  dahinsegelte,  einen  Del- 
phin^). —  Frotho:  Da  hast  du  etwas  Neues  gesagt,  obgleich 
beides  ja  im  Meere  häufig  ist;  aber  ich  möchte  gern  wissen, 
wie  dich  dein  Pfad  dann  weiter  führte.  —  Ericus:  Von  dem  206 
Delphin  kam  ich  zu  einem  Delphin.  —  Frotho:  Dort  giebt 
es  also  eine  grosse  Schar  Delphine.  —  Ericus:  Mehr  noch 
schwimmen  in  den  Wogen.  —  Frotho:  Ich  möchte  wessen, 
wohin  dich  deine  mühselige  Reise  von  den  Delphinen  ge- 
bracht hat.  —  Ericus:  Ich  traf  auf  einen  Baumstamm*).  — 
Frotho:  Wohin  begannst  du  dann  deinen  Weg  zu  lenken?  — 
Ericus:  Von  dem  Stamme  kam  ich  zu  einem  Baum.  — 
Frotho:  Das  war  also  ein  ergiebiger  Ort  für  Bäume,  da  du 
so  oft  die  Wohnungen  deiner  Wirte  mit  dem  Worte  Baum- 
stamm bezeichnest.  —  Ericus:  Mehr  noch  giebts  in  den 
Wäldern.  —  Frotho:  Sage,  wohin  dich  dann  deine  Spur 
führte.  -  Ericus:  Wiederholt  noch  bin  ich  zu  baumreichen 
Wäldern  gelangt.  Als  ich  aber  dort  ruhte,  beleckten  Wölfe, 
an  Menschenleichen  gesättigt,  die  äussersten  Spitzen  der  Speere. 
D«)rt  ward  eine  f^anze  von  der  Kraft  eines  Königs  geschleudert, 
Enkel  des  Fridlewus. ^)  —  Frotho:  In  ungewissen  Zweifeln 
stocke  ich  in  diesem  Streite,  da  du  meine  Einsicht  durch 
gar  dunkle  Rätsel  bethört  hast.  —  Ericus:  Ich  habe  mir  an 
dir  den  Lohn  für  den  Sieg  im  Wettkampf  verdient,  da  ich 
dir  unter  eioem  Schleier  manches  vorgebracht  habe,  was  du 
nicht  genügend  verstanden  hast.  Denn  mit  der  Bezeichnung  137 
Lanze  oben  meinte  ich,  dass  Oddo  von  meiner  Hand  er- 
schlagen wurde.  —  Als  ihm  auch  die  Königin  den  Preis  für 


*)  Nach  MüUer  sind  mit  den  Delphinen  Kriegsschiffe  gemeint  (anrd. 
drckar  =  Drachen),  mit  Bezug  auf  Erichs  Seesiego. 

*)  Bezieht  sich  nach  Müller  vielleicht  auf  die  damals  bewaldeten 
Küsten  Dänemarks. 

•)  Ibi  cuspis  a  robore  repis  excussa  est.  Fridlevi  nepos.  —  Auch 
ein  doppeldeutiger  Satz :  Fr.  nepos  kann  Vokativ  oder  Nominativ  sein^ 
Mit  cuspis,  die  Lanzenspitze  =  isl.  oddr  ist  sicher  Oddo.  der  Flotten- 
befehishaber  Frothos  gemeint. 


218  Fünftes  Buch. 

seiue  Beredsamkeit  uod  den  Lohn  für  seine  siegreiche  Rede- 
gewandtheit zuerkannte,  streifte  der  König  alsbald  einen  Ring 
vom  Arme,  gab  ihm  den  als  Belohnung  und  fügte  noch  hin- 
zu: Ich  möchte  gern  auch  von  dir  selbst  den  Wortkampf 
hören,  den  du  mit  Grep  gehabt  hast;  denn  er  schämte  sich 
nicht,  öffentlich  zu  bekennen,  dass  er  in  demselben  unterlegen 
war.  —  Da  sprach  Ericus:  Die  Kraft  des  Vorwurfs  ^),  welchen 
ich  ihm  über  seinen  liederlichen  Lebenswandel  machte,  brachte 
ihn  zum  Weichen:  denn  dadurch,  dass  er  sich  gegen  diesen 
nicht  verteidigen  konnte,  gestand  er,  dass  er  mit  deiner  Ge- 
mahlin die  Ehe  gebrochen.  —  Der  König  wandte  sich  nun  zu 
Hanunda  und  fragte,  wie  sie  diese  Beschuldigung  aufnehme. 
Diese  bekannte  aber  nicht  nur  durch  einen  Aufschrei  ihr  Ver- 
brechen, sondern  es  flammte  auch  in  ihrem  Antlitz  zum  Zeug- 
nis ihrer  Schuld  eine  glühende  Röte  auf,  und  so  bot  sie  das 
klarste  Geständnis  ihres  Vergehens.  Der  König  achtete  nicht 
207  nur  auf  ihre  Worte,  sondern  auch  auf  die  Zeichen  in  ihrem 
Gesicht,  schwankte  aber,  nach  welcher  gesetzlichen  Bestim- 
mung er  gegen  die  Schuldige  vorgehen  sollte,  und  überliess 
schliesslich  die  Festsetzung  der  verdienten  Strafe  ihrer  eigenen 
Entscheidung.  Da  sie  nun  bedachte,  wie  das  ihr  überlassene 
Urteil  doch  ihre  eigene  Sache  beträfe,  war  sie  ziemlich  lange  in  un- 
gewissen Zweifeln  über  ihren  Schiedsspruch.  Während  dessen 
sprang  Grep  auf,  um  Ericus  mit  einem  Speere  zu  durchbohren, 
und  stürmte  vor,  um  durch  den  Tod  des  Anklägers  sein  eigenes 
Leben  zu  erkaufen.  Rollerus  aber  stürzte  mit  gezücktem 
Schwerte  auf  ihn  los  und  vollzog  an  ihm  das  Urteil,  zu  dem  jener 
das  Beispiel  geben  wollte.  Da  sprach  Ericus:  Verwandtenhilfe 
ist  für  den  Hilflosen  das  Beste:*  und  Rollerus:  In  schwierigen 
Lagen  kann  man  die  gut  Gesinnten  trefflich  erkennen.*  Prot  ho 
sagte  darauf:  Ich  glaube,  es  wird  euch  gehen,  wie  man  im 
Sprichwort  zu  sagen  pflegt,  dass  einem,  der  schlägt,  nur  eine 
kurze  Freude  über  seinen  Schlag  zu  teil  wird,  und  dass  sich 


*)  Rnhur  oxprnl)ati  aduUerii  —  so  liest  Holder  nach  Stephanius 
und  Müller,  während  die  editio  princeps  riihor  hat  (=  die  Scham  über 
den  VonvurO. 


Ericus  und  Frotho,  Haounda,  Grep.  219 

die  Hand  nicht  lange  über  einen  Streich  zu  ergötzen  pflegt* 
Ericus  erwiderte:  Den  Mann  darf  man  nicht  verurteilen, 
dessen  That  die  Gerechtigkeit  selbst  entschuldigt.  Denn 
zwischen  meinem  und  Greps  Thun  ist  ein  solcher  Unterschied, 
wie  er  zwischen  dem  Akt  der  Selbstverteidigung  und  dem 
Angriff  auf  einen  andern  waltet. 

Da  sprangen  die  Bruder  Greps  wütend  auf  und  schwuren, 
sie  wollten  Rächer  gegen  die  ganze  Flotte  des  £ricus  führen 
oder  mit  ihm  selbst  und  noch  zehn  Kämpen  fechten.  Ericus 
sprach  zu  ihnen:  Kranke  Leute  müssen  kunstvoll  auf  ihren 
Weg  bedacht  sein.*  Wer  eine  stumpfe  Klinge  hat,  darf  nur 
weiche  und  zarte  Dinge  durchschneiden.*  Wer  ein  schartiges 
Messer  hat,  muss  Schritt  für  Schritt  bei  seinem  Schnitte  zu 
Werke  gehen.*  Da  nun  für  einen  Leidenden  der  Aufschub  des 
Uebels  das  Beste  ist  und  es  im  Unglück  nichts  Glücklicheres  208 
giebt  als  eine  Verzögerung  des  Verhängnisses,  so  bitte  ich 
um  drei  Tage,  um  mich  vorzubereiten,  wofern  ich  vom  Könige 
die  Haut  eines  frisch  geschlachteten  Rindes  bekommen  kann. 
Frotho  entgegnete  ihm:  Der  verdient  schon  ein  Leder,  der 
auf  einem  Leder  hinfiel,  und  warf  so  rückhaltslos  dem  Bitt-  188 
steller  seinen  Sturz  von  vorhin  vor.  Sobald  jener  das  Fell 
erhalten,  machte  er  Sohlen  daraus,  bestrich  sie  mit  Fichten- 
harz, vermischt  mit  Sand,  damit  man  fester  stehen  könne, 
und  passte  sie  sich  und  seinen  Gefährten  an.  Als  man  end- 
lich über  die  Wahl  des  Kampfplatzes  beriet,  sagte  Ericus, 
er  verstehe  nichts  vom  Kampfe  zu  Lande  und  vom  ganzen 
Kriegswesen,  und  verlangte  eine  Stelle  auf  dem  gefrorenen 
Meere.  Beide  Parteien  stimmten  dem  auch  zu.  Der  König 
gewährte  sodann  eine  Waffenruhe  für  die  Vorbereitungen  und 
hiess  die  Söhne  des  Westmarus  sich  entfernen,  denn  er  be- 
zeichnete es  als  unziemlich,  einen  Fremdling,  auch  wenn  er 
sich  schlecht  verdient  gemacht  habe,  aus  dem  gastlichen 
Hause  zu  verjagen.  Dann  wandte  er  sich  wieder  dazu,  die 
Art  der  Strafe  zu  erfahren,  über  deren  Verhängung  er  der 
Königin  selbst  die  Entscheidung  überlassen  hatte.  Als  sie 
nun  aber,  ohne  ein  Urteil  zu  fällen,  nur  um  Verzeihung  für 
ihren    Fehltritt   flehte,    fiel    Ericus    ein:    Vergehungen    von 


220  Fünftes  Buch. 

Frauen  müsse  man  öfter  verzeihen  und  man  dürfe  ihnen 
keine  Strafe  auferlegen,  wenn  möglicherweise  eine  Besserung 
noch  die  Schuld  sühnen  könne.  So  verzieh  nun  der  König 
Hanunda.  Wie  nun  die  Dämmerung  eintrat,  sprach  £ri- 
cus:  Wenn  bei  Götarus  die  Krieger  am  Mahle  teilnehmen, 
so  wird  nicht  nur  für  den  Speiseraum  gesorgt,  sondern  es 
werden  auch  unter  den  angewiesenen  Sitzen  ganz  bestimmte 
Plätze  unterschieden  ^),  Da  räumte  ihnen  der  König  die 
Stätte,  wo  seine  Kämpen  gesessen  hatten,  ein.  Dann  brachte 
ein  Sklave  das  Mahl.  Ericus  aber  kannte  die  königliche 
Milde  wohl,  welche  verbot,  die  Ueberreste  des  Frühstücks 
noch  weiter  zu  verwenden,  warf  das  Stück,  von  dem  er  nur 
ein  wenig  gekostet,  weg  und  nannte  die  ganze  Mahlzeit  nur 
209  einen  dürftigen  Speiserest.  Da  nun  die  Gerichte  immer  mehr 
abnahmen,  brachten  die  Diener  neue  zum  Ersatz  für  die  an- 
spruchsvollen Gäste  und  mussten  so  für  eine  kleine  Mahlzeit 
verwenden,  was  für  ein  grosses  Gelage  hätte  genügen  können. 
Der  König  sagte  nun:  Pflegen  denn  immer  Götarus  Krieger 
ein  nur  einmal  berührtes  Gericht  wie  einen  kläglichen  Rest 
wegzuwerfen  und  die  vorzüglichsten  Gänge  gleich  wie  die 
schlechtesten  Brocken  zu  verschmähen  ?  Darauf  erwiderte 
Ericus:  Keine  unziemliche  Neigung  herrscht  in  Götarus' 
Charakter,  und  keine  schlechte  Angewohnheit  hat  da  einen 
Platz.  Frotho  aber  sprach:  Also  stimmst  du  nicht  mit  den 
Sitten  deines  Herrn  überein  und  bist  überführt,  dass  du  dir 
nicht  alle  Weisheit  angeeignet  hast.  Denn  wer  dem  Beispiel 
der  Höheren  entgegen  handelt,  zeigt  sich  als  abtrünniger 
Ueberläufer.  Darauf  entgegnete  Ericus:  Ein  weiser  Mann 
muss  von  einem  weiseren  belehrt  werden ;  denn  durch  licrnen 
wächst  die  Kenntnis,  durch  Belehrung  vervollkommnet  sich 
die  Zucht*  Frotho  antwortete:  Welche  vorbildliche  Lehre 
wird  mir  denn  dein  Wortschwall  zur  Nachahmung  geben? 
Darauf  versetzte  Ericus:  Es  ist  sicherer  für  einen  König, 
wenn  ihn  eine  kleine  Anzahl  Getreuer  als  eine  grosse  Menge 
Ungetreuer  umgieht.  —  Frotho:   Also  empfindest  du  wohl 


*)  Die  Vornehmsten  und  Horühmtesten  sitzen  dem  Könif^e  am  nächsten 


Ericiis  beim  Mahle.  221 

eiue  grössere  Anhänglichkeit  an  uns  als  alle  andern?  — 
Ericas:  Niemand  fuhrt  ein  ungeborenes  Füllen  in  den  Stall 
oder  bindet  ein  unerzeugtes  an  die  Krippe;  du  hast  noch 
nicht  die  Erprobung  aller  erlebt.  Ausserdem  aber  pflegte  189 
bei  Götarus  ein  Mahl  immer  mit  Trinken  verbunden  zu 
sein;  denn  Trank  im  Verein  mit  Speise,  und  nachher  noch 
mehr,  erfreut  die  Tischgenossen.  —  Frotho:  Niemals  habe 
ich  einen  unverschämteren  Forderer  von  Speise  und  Trank 
gefunden.  —  Ericus:  Wenige  nur  schätzen  die  Armut  eines 
Schweigenden  oder  erwägen  die  Not  eines  Stummen.  —  Da- 
rauf erhielt  des  Königs  Schwester  den  Auftrag,  in  einer  grossen 
Schale  Getränk  herbeizubringen.  Ericus  ergriff  nun  zugleich 
mit  dem  dargebotenen  Becher  deren  Rechte  und  sagte:  Hat 
mir  dies,  bester  der  Könige,  deine  Freundlichkeit  zum  Ge- 
schenk bestimmt?  Versicherst  du  mir,  dass  mir  das,  was  ich 
hier  halte,  als  unwiderrufliche  Gabe  zufallen  wird?  Der  König 
bestätigte,  in  der  Meinung,  er  verlange  nur  den  Becher,  diis 
Geschenk.  Ericus  aber  zog  die  Jungfrau  zu  sich  heran,  als  210 
wäre  sie  ihm  zugleich  mit  dem  Becher  gegeben.  Als  dies 
der  König  sah,  sprach  er:  Den  Narren  verrät  sein  Thun;*  bei 
uns  war  es  immer  Brauch,  die  Freiheit  der  Mädchen  unver- 
letzt zu  erhalten.  Da  aber  stellte  sich  Ericus,  als  wolle  er 
der  Jungfrau  die  Hand,  die  ihm  ebenso  wie  der  Becher  über- 
antwortet sei,  mit  dem  Schwerte  abhauen  und  sagte:  Wenn 
ich  mehr  genommen  habe  als  du  gabst,  oder  wenn  ich  vor- 
eilig das  Ganze  festhalte,  so  möchte  ich  wenigstens  den  Teil 
besitzen.  Der  König  erkannte  nun  seineu  Irrtum  in  dem 
Versprechen  und  überliess  ihm  das  Mädchen;  denn  er  wollte 
nicht  seine  fehlerhafte  Unvorsichtigkeit  durch  eine  Leicht- 
fertigkeit gut  machen;  so  sollte  auch  die  Würde  seines  Ver- 
sprechens noch  gewichtiger  erscheinen.  Indessen  gilt  es  doch 
wohl  mehr  als  Zeichen  reifer  Ueberlegung  denn. als  Unbe- 
ständigkeit, wenn  man  eine  thörichte  Verabredung  rückgängig 
macht. 

Darauf  entliess  ihn  der  König  zu  den  Schiffen,  nachdem 
er  ihm  das  Gelübde  der  Rückkehr  abgenommen,  wenn  die 
Zeit,   wo  der  Kampf  stattfinden  sollte,   da  wäre.     Da  betrat 


222  Fünftes  Buch. 

nun  Ericus  mit  den  Seinigen  das  hartgefrorene  Meer  und 
dank  seiner  festen  Sohlen  gelang  es  ihm,  den  auf  der  Glätte 
unsicher  sehwankenden  Feind  niederzustrecken.  F  r  o  t  h  o 
hatte  nämlich  bestimmt,  dass  niemand  den  Ausgleitenden  oder 
in  Gefahr  Befindlichen  Hilfe  bringen  durfte.  Dann  kehrte 
er  als  Sieger  an  den  Hof  zurück.  Gutwara  erklärte  nun 
voll  Trauer  über  den  unglücklichen  Hingang  ihrer  Kinder 
und  zugleich  in  dem  eifrigen  Wunsche  sie  zu  rächen,  sie  sei 
willens,  mit  Ericus  einen  Wortstreit  auszufechten ;  sie  wolle 
eine  schwere  Halskette,  jener  solle  sein  Leben  als  Preis  ein- 
setzen, sodass  er  entweder  beim  Siege  das  Gold  oder  im 
Falle  seiner  Niederlage  den  Tod  davontragen  sollte.  Ericu« 
ging  auf  diesen  Kampf  ein,  und  das  Pfand  wurde  bei  Gun- 
wara  niedergelegt.    Dann  begann  Götwara  zuerst,  wie  folgt  ^): 

Quaudo  tuam  limas  admissa  cote  bipennem, 

Nonne  terit  tremulas  mentula  quassa  nates? 
140; 211      Ericus  erwiderte  also: 

üt  cuivis  natura  pilos  in  corpore  sevit, 

Omnis  nempe  suo  barba  ferenda  loeo  est. 
Re[s]  Veneris  homines  artus  agitare  necesse  est; 

Motus  quippe  suos  nam  labor  omnis  habet. 
Cum  natis  excipitur  nate,  vel  cum  subdita  penem 

Vulva  capit,  quid  ad  haec  addere  mas  renuii'i 

Hierauf  nun  sah  sie  sich,  gleichsam  unfähig  zu  sprechen, 
gezwungen,  dem,  welchem  sie  den  Tod  zugedacht,  ihr  Gold 
zu  übergeben  und  dem  Mörder  ihrer  Söhne  statt  der  Strafe 
ein  prächtiges  Geschenk  zukommen  zu  lassen.  Denn  ihr 
Unglück  wurde  nur  gesteigert,  nicht  aber  ihr  böser  Wille 
erfüllt.  Zuerst  ward  sie  ja  kinderlos,  dann  wurde  ihr  mit 
den  heftigsten  W^orten  der  Mund  gestopft,  und  mit  ihrem 
Vermögen  zugleich  verlor  sie  auch  den  Ruf  der  Beredsamkeit. 
Sie  beglückte  den,  der  ihre  Söhne  erschlug,  und  dem  Urheber 
ihrer    Verwaistheit    gab    sie    selbst    eine    Belohnung    dafür; 


*)  Spurcum  hoc  et  honostis  indif^num  auribus  earmen  (Stephanius) ; 
et  uhevisk  op  lidorli^t  sp^r^smaal  ((trundtvijf);  anascrdom  ist  di*»  Text- 
überlief erunjj  panz  uiisiclKT  und  verderbt. 


Ericus'  Sieg  auf  dem  Eise,  im  Wortstreite  u.  Reifenkampfe.     223 

anstatt  die  Niederlage  ilirer  Söhue  zu  rächen,  erreichte  sie 
nichts  als  den  Vorwurf  der  Unwissenheit  und  eine  Verminde- 
rung ihres  Besitzes.  Als  dies  Westmarus  sab,  beschloss  er 
den  Mann,  der  im  Wortstreit  siegreich  gewesen,  mit  seiner 
Kraft  anzugreifen,  und  setzte  als  Preis  für  den  Sieger  das 
Leben  des  Besiegten,  sodass  offenbar  beider  Wohl  und  Wehe 
auf  dem  Spiele  stand.  Ericus  weigerte  sich  auch  nicht 
gegen  die  Annahme  dieser  Bedingung,  damit  man  ihn  nicht 
für  schlagfertiger  mit  der  Zunge  als  mit  der  Faust  halten 
könne.  Die  Art  des  Kampfes  war  aber  folgende:  Die  Streiten-  212 
den  mussten  sich  bemühen,  einen  Reif,  aus  Ruten  oder 
Stricken  geflochten,  mit  grosser  Anstrengung  der  Hände  und 
Füsse  einander  schnell  zu  entreissen,  und  der  Stärkere  er- 
hielt den  Preis;  denn  wer  von  den  Kämpfenden  ihn  dem 
andern  aus  der  Hand  gewunden  hatte,  dem  wurde  der  Sieg 
zugesprochen^).  In  dieser  Weise  stritt  nun  Ericus;  er  griff 
scharf  zu  und  entriss  den  Reif  den  Händen  des  Gegners. 
Als  Frotho  dies  sah,  sagte  er:  Ich  glaube  doch,  es  ist  eine 
schwere  Sache,  mit  solch  einem  Seil  gegen  einen  Stärkeren 
zu  kämpfen*.  Ericus  erwiderte:  Schwer  allerdings,  besonders 
wenn  einer  einen  Kropf  am  Halse  hat,  oder  wenn  ihm  ein 
Höcker  auf  dem  Rücken  sitzt.  Und  sogleich  setzte  er  seineu 
Fuss  vor  und  tötete  den  Alten,  indem  er  ihm  Hals  und 
Rückgrat  brach.  So  hatte  also  auch  Westmarus  keinen 
Erfolg  mit  seiner  Genugthuung;  denn  während  er  sich  als 
Rächer  aufzuspielen  sich  bemühte,  verfiel  er  demselben  Schicksal 
wie  die,  welche  er  rächen  wollte,  und  er  starb  ebenso  wie 
die,  deren  Tod  zu  sühnen  er  gewünscht  hatte. 

Frotho  beabsichtigte  nun,  Ericus  dadurch,  dass  er  einen 
Dolch  nach  ihm  schleuderte,  zu  durchbohren,  aber  Gunwara. 
die  ihres  Bruders  Plan  kannte  und  ihren  Verlobten  vor  der 
Gefahr  warnen  wollte,  sagte,  es  sei  niemand  weise,  der  sich 


*)  Dieses  Spiel  heisst  anrd.  skinnieikr  oder  reipdrättr:  es  wurde  dazu 
ein  einfaches  Seil  (meist  aus  Leder  =  skinn)  oder  wie  hier  ein  an  beiden 
Enden  zusamraen^ifeknüpftes  verwendet.  Es  lebt  noch  heute  in  unsern 
Turnspielen  als  „Strickziehen"  fort,  wobei  allerdings  nicht  zwei  einzelne 
Gegner,  sondern  zwei  Parteien  an  einem  längeren  Taue  ihre  Kräfte  messen. 


224  Fünftes  Buch. 

nicht  selbst  hüte.  Durch  diese  Worte  wurde  Ericus  auf- 
merksam gemacht,  sich  vor  einem  Trug  in  acht  zu  nehmen, 
und  nahm  sich  schlau  die  ihm  zugeraunte  Warnung  zu  Herzen. 

141  Denn  er  sprang  sogleich  auf,  rief,  der  Ruhm  des  Weisen 
werde  triumphieren,  die  Hinterlist  aber  sich  selbst  bestrafen, 
und  kennzeichnete  so  die  verräterische  Absicht  des  Köniii^s 
mit  ziemlich  bescheidenen  Worten.  Dieser  schleuderte  nun 
plötzlich  sein  Messer  nach  ihm,  konnte  ihn  aber  nicht  treffen, 
da  jener  sich  abwandte,  und  der  IStahl  ging  fehl  in  die 
gegenüberliegende  Wand.  Da  sprach  Ericus:  Geschenke 
muss  man  Freunden  darreichen,  nicht  hinwerfen;  annehmbarer 
hattest  du  die  Gabe  gemacht,  wenn  du  der  Klinge  eine 
Scheide  zur  Begleitung  gegeben  hättest.  —  Diese  nahm  nun 
der  König  sogleich  von  seinem  Gürtel  und  überreichte  sie 
ihm  auf  jene  Bitte.  Denn  er  sah  sich  gezwungen,  bei  solcher 
Selb.^tbeherrschung  seines  Feindes  seinen  eigenen  Hass  auf- 
zugeben. So  ward  er  durch  die  absichtliche  Verstellung  des 
andern  besänftigt  und  es  geschah,  dass  er  ihm  die  Waffe,  die 
er  in  so  böser  Absicht  geworfen,  in  der  besten  zum  Eigentum 
gab.  Ericus  nahm  also  auch  diese  Beleidigung  mit  verstellter 
Miene  auf  und  verwandelte  sie  in  eine  Liebenswürdigkeit, 
indem  er  die  zu  seinem  Tode  bestimmte  Waffe  als  ein  Prunk- 
geschenk annahm.  Was  nämlich  Frotho  in  der  Absicht  zu 
schaden  gethan,  das  verherrlichte  er,  indem  er  es  als  Frei- 
gebigkeit bezeichnete.      Darauf   nun  pflegte  man  der  Ruhe. 

213  In  der  Nacht  weckte  ihn  Gunwara  in  aller  Stille  und  sagte 
ihm,  sie  müssteu  fliehen;  denn  es  sei  am  besten  umzukehren, 
solange  der  Wagen  noch  unbeschädigt  sei*  und  alle  Verhältnisse 
noch  gut  stünden.  In  ihrer  Begleitung  begab  er  sich  nun 
an  den  Strand  und  fand  dort  gerade  die  Flotte  des  Königs 
ans  Land  gezogen.  Er  zerhieb  einen  Teil  der  Seitenplanken  ^) 
und  machte  sie  so  zur  Fahrt  untauglich;  dann  aber  bedeckte 
er  die  Oeffnuugen,  indem  er  einige  Latten  darauf  schlug, 
sodass  man  auf  den  ersten  Blick  das  Leck  nicht  entdecken 
konnte.     Dann   Hess  er  das  Schift',   in  dem  er  und  seine  Be- 


M  S.  olHMi  S.  2')«  Anm,  8. 


Ericus  und  Frotho.  225 

gleiter  sich  geborgen,  nur  ein  klein  wenig  vom  Strande  weg- 
treiben. Der  König  schickte  sich  sogleich  an,  ihn  in  den 
beschädigten  Schiffen  zu  verfolgen;  da  aber  das  Wasser  bald 
bis  an  die  Ruderbänke  reichte,  so  begann  er,  wenn  auch  sehr 
durch  die  Waffen  behindert,  ebenso  wie  die  andern  zu 
schwimmen  und  war  jetzt  viel  eifriger  darauf  bedacht,  sein 
eigenes  Leben  zu  retten  als  dem  eines  andern  nachzustellen. 
Der  Bug  sank  in  die  Tiefe  und  die  eindringenden  Wogen 
rissen  die  Ruderer  von  ihren  Sitzen.  Als  Rollerus  und 
Ericus  dies  sahen,  stürzten  sie  sich  ungeachtet  der  Gefahr 
ungesäumt  ins  Meer  und  fingen  im  Schwimmen  den  daher 
treibenden  König  auf.  Schon  dreimal  hatte  ihn  eine  Welle 
überrascht  und  unter  sich  begraben,  als  ihn  Ericus  am 
Haupthaar  fasste  und  aus  dem  Wasser  herauszog.  Die  übrige 
Schar  der  Schiffbrüchigen  versank  entweder  in  den  Fluten 
oder  rettete  sich  mit  Mühe  an  den  Strand.  Der  König 
wurde  seiner  nassen  Kleidung  entledigt  und  in  trockene  Ge- 
wänder gehüllt.  Eine  Menge  Wasser  entströmte  seinem 
Munde,  da  er  sich  heftig  übergeben  musste.  Seine  Stimme 
brach  sich  in  fortwährenden  Seufzern  und  schien  ihm  zu  ver- 
sagen. Endlich  kehrte  die  Wärme  zurück  und  erfüllte  seine 
von  Kälte  erstarrten  Glieder  mit  neuem  Leben.  Da  er  aber 
noch  nicht  im  Vollbesitz  seiner  Kräfte  war,  musste  er  noch 
sitzen  bleiben  und  konnte  sich  nicht  erheben.  Allmählich 
aber  stellte  sich  seine  ursprüngliche  Rüstigkeit  wieder  ein. 
Wie  man  ihn  endlich  fragte,  ob  er  um  Leben  und  Frieden  142 
bitte,  hielt  er  sich  die  Hand  vor  die  Augen  und  bemühte 
sich,  seinen  niedergeschlagenen  Blick  zu  erheben. 

Als    aber    allmählich    seine  Körperkräfte    zurückkehrten 
und    seine  Stimme  zuversichtlicher  wurde,   sagte    er^):    Bei  214 
diesem  Lebenslicht,  welches  ich  wider  meinen  Willen  anschaue, 
bei  der  Himmelsluft,  die  ich  nur  zu  ungern  einatme  und  in 
mich    aufnehme,    beschwöre    ich    euch    inständigst,    versucht 


»)   S.  I.  S.  60   Anm.  2.  —  Der  glatte    Fluss   der    beiden   folgenden 
Reden  steht  stilistisch  in  schroffstem  Cregensatze  zu  der  bisherigen  Sprung* 
haften  und  den  Volkston  nachahmenden  Darstellung  der  Geschichte  Erichs. 
Saxo  Gramm^.ticui.  15 


226  Fünftes  Buch. 

niclit  mich  zu  verleiten,  dass  ich  sie  noch  weiterhin  geniesse. 
Umsonst  habt  ihr  mich  gerettet,  da  ich  den  Tod  suche;  im 
Wasser  umzukommen  blieb  mir  versagt,  so  möchte  ich  wenig- 
stens durch  das  Schwert  sterben.  Von  niemand  überwunden, 
musste  ich  zuerst  deiner  Schlauheit  weichen,  Ericus,  und 
ich  bin  um  so  unglücklicher,  als  ich,  der  von  den  erlauch- 
testen Männern  unbesiegt  blieb,  einem  gemeinen  Manne  den 
Sieg  über  mich  verschaflFt  habe.  Das  ist  ein  gewaltiger  Reiz 
für  die  Ehre  eines  Königs.  Dieser  Grund  allein  genügt  für 
einen  Fürsten,  um  zu  sterben,  da  dieser  nichts  höher  als  den 
Ruhm  schätzen  darf.  Denn  wenn  ihm  der  fehlt,  so  fehlt  ihm 
wohl  alles.  Nichts  Herrlicheres  giebt  es  ja  für  einen  König 
als  seinen  Ruf.  Man  sprach  mir  das  höchste  Mass  von  Klug- 
heit und  Beredsamkeit  zu.  Aber  dieser  beiden  Vorzüge, 
durch  die  ich  mich  hervorzuthun  schien,  bin  ich  beraubt,  und 
ich  bin  um  so  bedauernswerter,  als  ich,  der  Besieger  von 
Königen,  offenbar  von  einem  Bauern  besiegt  bin.  Was 
schenkst  du  mir  das  Leben,  da  du  mir  den  Ruhm  genommen? 
Meine  Schwester,  mein  Reich,  meinen  Schatz,  mein  Hausgerät 
und,  was  am  meisten  bedeutet,  meine  Ehre  habe  ich  verloren, 
und  in  eben  den  Beziehungen,  in  denen  ich  so  unglücklich 
bin,  erkennt  man  in  dir  den  Glücklichen,  Weshalb  sollte  ich 
eine  solche  Schmach  überleben?  Welche  Freiheit  könnte  für 
mich  so  beglückend  sein,  dass  sie  die  Schande  der  Gefangen- 
schaft von  mir  nähme?  Was .  kann  mir  denn  die  Zukunft 
bringen?  Wird  sie  denn  etwas  anderes  thun  als  das  Elend 
meiner  Vergangenheit  auffrischen  und  einen  dauernden 
Schmerz  in  meinem  Herzen  erzeugen?  Was  wird  mir  denn 
die  Verlängerung  meines  Lebens  nützen,  die  mir  doch  immer 
nur  die  Erinnerung  an  meinen  Kummer  wachrufen  wird? 
Nichts  ist  angenehmer  für  die  Ellendeu  als  der  Tod;  glücklich 
ist  das  Ende,  wenn  es  auf  Wunsch  eintritt.  Es  zerstört  ja 
keine  süsse  Gegenwart,  sondern  hebt  allen  Ekel  auf.  Im 
(ilücke  verlanj^t  man  das  Leben,  im  Unglück  ein  besseres 
Geschick.  Keine  Hoffnung  auf  irgend  eine  Be.'^serung  ver- 
leitet mich  zu  dem  Wunsche,  leben  zu  bleiben.  Welcher  Zu- 
fall  könnte  denn  auch  den  Zustand  meines  völlig  zerstörten 


Frothos  Klagerede.  227 

Glückes  wieder  heben?  Schon  hätte  ich  dies  alles  vergessen, 
wenn  ihr  mich  nicht  aus  der  Todesgefahr  gerettet  hättet. 
Wurdest  du  mir  selbst  mein  Reich  zurückgeben,  meine 
Schwester  wieder  zuführen,  meinen  Schatz  zurückerstatten: 
meine  Ehre  kannst  du  nicht  wieder  herstellen.  Nichts,  was 
befleckt  ist,  kann  den  Glanz  eines  unversehrten  Gutes  haben. 
Ewig  wird  die  Kunde  davon  berichten,  dass  Frotho  gefangen 
war.  Wenn  ihr  übrigens  die  Unbilden  zusammenrechnet,  die 
ich  euch  zufügte,  so  habe  ich  den  Tod  von  eurer  Hand  ver- 
dient. Wenn  ihr  euch  an  eure  Schädigungen  erinnert,  so 
werdet  ihr  eure  Güte  bereuen.  Ihr  werdet  euch  schämen, 
eurem  Feinde  geholfen  zu  haben,  wenn  ihr  die  Grösse  seines 
Hasses  gegen  euch  erwägt.  Was  schont  ihr  den  Schuldigen? 
Warum  zieht  ihr  die  Hand  von  der  Kehle  eures  .Verfolgers  148 
zurück?  Es  ist  billig,  dass  mich  das  Geschick  treffe,  welches  215 
ich  euch  zugedacht  hatte.  Ich  gestehe  es,  wenn  mir  die  Ge- 
walt zugefallen  wäre,  die  ihr  jetzt  über  mich  habt,  so  wäre 
von  mir  keine  Milde  zu  hoffen.  Wenn  ich  also  euch  gegen- 
über auch  der  Ausführung  nach  unschuldig  bin,  so  gelte  ich 
doch  wenigstens  nach  meiner  Absicht  als  Schuldiger.  Lasst 
also,  ich  bitte,  die  Schuld  meines  bösen  Willens,  der  ja  zu- 
weilen statt  der  That  in  Betracht  gezogen  wird,  auf  mein 
Haupt  fallen.  Wenn  ihr  mir  ein  Schwert  zum  Sterben  ver- 
weigert, so  will  ich  schon  dafür  sorgen,  dass  ich  mir  mit 
eigener  Hand  den  Tod  geben  kann.  — 

Darauf  erwiderte  Ericus:  Mögen  dir  die  Götter  deine 
thörichten  Absichten  aus  dem  Sinne  schlagen;  mögen  sie  es 
thun,  sage  ich,  damit  du  nicht  deinem  ruhmreichen  Leben 
ein  schmähliches  Ende  zu  machen  begehrst.  Traun,  sie  selbst 
haben  es  verhindert,  dass  ein  Mann,  der  freundlich  gegen 
andere  ist,  an  sich  selbst  zum  Mörder  werde.  Versucht  wirst 
du  nur  vom  Schicksal,  das  erfahren  möchte,  mit  welcher  Ge- 
sinnung du  ein  Missgeschick  aufnimmst.  Eine  Prüfung  hat 
dir  das  Geschick  bereitet,  nicht  den  Fall.  Kein  Kummer  ist 
dir  zugestossen,  den  nicht  eine  bessere  Wendung  wieder  tilgen 
könnte.     Nur  eine  Warnung  ist  dir  zu  teil  geworden,   nicht 

aber  dein  Glück  verändert.    Niemand  benimmt  sich  bescheiden 

lü- 


228  Fünftes  Buch. 

im  Glück,  der  nicht  gelernt  hat,  Unglück  zu  ertragen.  Ausser- 
dem erkennt  man  den  Genuss  aller  Güter  dankbarer  an,  wenn 
man  einmal  Missgeschick  erfahren  hat.  Angenehmer  ist  das 
Vergnügen,  wenn  es  auf  ein  bitteres  Ereignis  folgt.  Du  willst 
dein  Leben  hinwerfen,  wenn  nur  einmal  die  Meerflut  dich 
überströmt  hat  und  du  dabei  nass  geworden  bist?  Wenn  du 
gleich  80  von  dem  bisschen  Wasser  gebrochen  bist,  wann  willst 
du  da  einmal  dem  Stahl  mit  kaltem  Blute  stand  halten?  Wer 
wird  dir  denn  nicht  den  Umstand,  dass  du  dich  in  voller 
Rüstung  durch  Schwimmen  gerettet  hast,  vielmehr  zum  Ruhme 
als  zur  Schande  anrechnen?  Wie  viele  würden  sich  nicht 
glücklich  preisen,  wenn  sie  nur  so  unglücklich  wären,  wie  du 
jetzt  bist!  Die  unumschränkte  Herrschaft  bleibt  dir,  dein 
Lebensmut  steht  in  der  Blüte,  du  bist  im  jugendkräftigsteu 
Alter,  du  kannst  noch  mehr  erhoffen,  als  du  schon  geleistet 
hast.  Niemals  möchte  ich  dir  solche  Leichtfertigkeit  an- 
wünschen,  dass  du  nicht  bloss  ein  rauhes  Geschick  fliehen^ 
sondern  auch  aus  Unfähigkeit,  es  zu  ertragen,  dein  Leben 
wegzuwerfen  begehrtest.  Weibischer  als  jeder  andere  ist  der, 
welcher  aus  Furcht  vor  Unglück  die  Zuversicht  zum  Leben 
verliert.  Kein  Weiser  pflegt  sich  widrigen  Geschicken  durch 
den  Tod  zu  entziehen.  Entrüstung  gegen  einen  andern  ist 
thöricht,  gegen  sich  selbst  unbesonnen.  Feige  ist  die  Wut, 
welche  den,  der  sie  selbst  hervorgerufen,  verdammt.  Wenn 
du  ausserdem  wegen  einer  leichten  Unbill  oder  Gemüts- 
erschütterung den  Tod  suchst,  wen  lässt  du  denn  da  als 
Rächer  zurück?  Wer  wäre  denn  so  unsinnig,  einen  zweifel- 
haften Schicksalsschlag  mit  seiner  eigenen  Aufopferung  rächen 
zu  wollen?  Wer  wäre  denn  überhaupt  so  glücklich  in  seinem 
Leben,  dass  ihn  nicht  auch  einmal  ein  ziemlich  trauriger  Zu- 
fall träfe?  Ohne  Erschütterung  hast  du  deine  Zeit  verbracht, 
im  Genüsse  eines  beständigen  Glückes,  und  jetzt,  da  du  nur 
eben  ein  wenig  auf  den  rauhen  Weg  des  Kummers  trittst, 
schickst  du  dich  an,  das  Leben  zu  verlassen,  um  dir  den 
Schmerz  zu  ersparen?  Wie  willst  du  denn  einmal  ein  hef- 
tigeres Grollen  des  Schicksals  ertragen,  wenn  du  es  bei  einem 
leichten  nicht  vermagst?     Unerfahren  ist  der  Mann,  der  nie- 


Des  EricuB  Trostrede.  229 

mals  den  Kelch  der  Trübsal  gekostet;  keinen  der  nicht  Hartes  144 
erlebt  hat,  geniesst  verständig  das  Angenehme.  Du,  der  du  216 
der  Gipfel  des  Heldenmutes  sein  müsstest,  du  >^'illst  das 
Muster  eines  erschlafften  Gemütes  bieten?  Du,  der  Sohn 
eines  Heldenvaters,  wolltest  ein  Schauspiel  äusserster  Schwäche 
geben?  Soweit  willst  du  dich  von  deinen  Vorfahren  ent- 
fernen, dass  du  weichlicher  als  ein  Weib  bist?  Noch  bist  du 
nicht  völlig  erwachsen,  und  schon  fasst  dich  Uebersättigung 
am  Leben?  Wer  bot  vormals  schon  solch  ein  BildV  Der 
Enkel  des  berühmtesten  Gross vaters,  der  Spross  eines  unbe- 
siegten Vaters  wird  nicht  stark  genug  sein,  einen  leichten, 
widrigen  Zug  zu  ertragen?  Deine  Anlagen  entsprechen  dem 
Zustand  von  deines  Ahnen  Tüchtigkeit.  Von  niemandem  bist 
du  überwunden,  deine  eigene  Unvorsichtigkeit  allein  hat  dir 
geschadet.  Von  uns  bist  du  aus  einer  Gefahr  gerettet,  nicht 
durch  sie  bezwungen  worden.  Willst  du  uns  unsere  Freund- 
schaft als  Beleidigung  auslegen  und  uns  mit  Hass  statt  mit 
Dank  lohnen?  Durch  unsere  Willigkeit  hättest  du  besänftigt, 
nicht  erregt  werden  müssen.  Mögen  dich  die  Götter  nie  so- 
weit in  der  Raserei  kommen  lassen,  dass  du  es  über  dich  ge- 
wönnest, deinen  Retter  als  Verräter  zu  betrachten.  Oder 
haben  wir  etwa  dadurch  bei  dir  etwas  verschuldet,  wodurch 
wir  deine  Wohlthäter  sind,  und  werden  wir  uns  etwa  durch 
unsere  Dienstwilligkeit  deinen  Groll  zuziehen?  Willst  du  den 
als  Feind  ansehen,  dem  du  zu  Lohne  für  deine  Rettung  ver- 
pflichtet bist?  Wir  haben  dich  ja  gar  nicht  als  freien  Mann 
gefangen  genommen,  sondern  dich  in  der  Not  mit  unserer 
Hilfe  unterstützt.  Siehe,  deine  Schätze,  deine  Reichtümer, 
deine  Geräte  gebe  ich  dir  zurück.  Wenn  du  glaubst,  deine 
Schwester  übereilt  mit  mir  verlobt  zu  haben,  so  möge  sie 
heiraten,  wen  du  ihr  bestimmt  hast;  denn  unberührt  ist  noch 
ihre  Ehre.  Uebrigens  will  ich  dir  auch  Kriegsdienste  leisten, 
wenn  du  es  annimmst.  Hüte  dich  nur,  dass  du  ohne 
Grund  im  Zorne  verhärtest.  Kein  Verlust  hat  dich  getroffen. 
Deine  Freiheit  hat  keine  Einbusse  erlitten.  Du  wirst  be- 
merken, dass  ich  dir  gehorche,  nicht  gebiete.  Welches  Urteil 
du  auch  immer  über  mein  Haupt  fällst,  ich  billige  es.    Ver- 


230  Fünftes  Buch. 

lasse  dich  darauf,  dass  du  hier  ebendasselbe  vermagst  wie  in 
deiner  Königshalle.  Du  hast  hier  dieselbe  Herrschermaeht 
wie  an  deinem  Hofe.  Beschliesse  auch  hier,  an  dieser  Stelle, 
über  uns,  was  dir  in  deiner  Halle  gefallen  hätte.  Wir  sind 
bereit  zu  gehorchen.  —  So  sprach  Ericus. 

Diese  Rede  stimmte  nun  den  König  gegen  sich  selbst 
wie  gegen  seinen  Feind  milde,  und  als  man  alles  freund- 
schaftlichst in  Ordnung  gebracht,  kehrte  man  an  den  Strand 
zurück.  Ericus  hiess  den  König  und  seine  Schiffer  Wagen 
besteigen.  Sobald  man  nach  der  Königshalle  kam,  Hess  dieser 
sogleich  eine  Versammlung  berufen,  Ericus  daran  teilnehmen, 
verlobte  ihm  feierlich  und  vertraejsmässig  ^)  seine  Schwester 
und  verlieh  ihm  eine  Hundertschaft.  2)    Er  fügte  noch  hinzu, 

217  die  Königin  sei  ihm  verleidet,  dagegen  habe  Götarus'  Tochter 
seinen  Gefallen  erweckt.  Es  sei  also  für  ihn  eiue  neue  Ge- 
saodtschaft  nötig,  und  diese  Aufgabe  könne  am  besten  von 
Ericus  erfüllt  werden,  für  den  ja  oflFenbar  kein  Vorhaben  zu 
schwierig  sei.  Ausserdem  wolle  er  Götwara  wegen  ihrer 
Mitschuld  an  dem  verheimlichten  Verbrechen  steinigen  lassen. 
Ihmunda   werde    er  zu  ihrem  Vater  zurückschicken,    damit 

145  er  nicht  einer  Feindin  seines  Lebens  den  Aufenthalt  in  Däne- 
mark gestatte.  Ericus  billigte  diesen  Ent^chluss,  versprach 
seine  Dienste  bei  den  Befehlen  des  Königs  und  bemerkte  nur, 
es  wäre  besser,  wenn  die  verstossene  Königin  Rollerus 
heirate,  von  dem  doch  kein  Majestätsverbrechen  zu  befürchten 
sei.  Frotho  ging  auf  diesen  Vorschlag,  gleichwie  auf  einen 
vom  Himmel  herab  verkündeten  Rat,  voll  Ehrfurcht  ein.  Die 
Königin  gehorchte  auch,  um  nicht  den  Anschein  zu  erwecken, 
als  werde  sie  mit  Gewalt  dazu  gezwungen,  in  weiblicher 
Wankelmütigkeit  und  versicherte,  von  Natur  aus  gäbe  es  gar 
keine  Notwendigkeit  traurig  zu  sein;  denn  jeder  Herzens- 
kummer pflege  nur  aus  der  Einbildung  hervorzugehen.  Ausser- 


»)  S.  I,  S.  2B  Anm.  2. 

')  Die  Abtoilunjf  in  Himdcrtschatten  ist  die  Grundlage  nieiit  bloss 
der  Heeres-,  sondern  auch  der  Landeseinteilung  bei  den  (Tcrmanen  (alturd. 
hcrad,  ahd.  hundari).     Vgl.  Amira  i.  (Jrdr.  III,  122. 


Versöhnung,  Hochzeiten,  Ericus'  Rückkehr.  231 

dem  dürfe  man  nicht  über  eine  Strafe  klagen,  die  einen  ver- 
dientermassen  träfe.  So  hielten  also  die  Brüder  eine  Doppel- 
hochzeit indem  der  eine  die  Schwester  des  Königs,  der  andere 
die  verstossene  Königin  heimführte. 

Darauf  segelten  sie  nun  mit  ihren  Frauen  nach  Norwegen 
zurück ;  denn  diese  konnte  weder  die  Länge  der  Reise  noch 
die  Furcht  vor  künftigen  Gefahren  von  der  Seite  ihrer  Männer 
reissen,  ja  sie  sagten  vielmehr,  sie  würden  so  fest  an  ihren 
Gatten  hangen,  wie  Federn  an  einem  rauhen  Stoffe.  Bald 
erfuhren  sie  nun,  dass  Regnerus  gestorben  sei  und  Craca 
sich  mit  einem  gewissen  Brac  verheiratet  habe.  Dann  er- 
innerten sie  sich  wieder  des  Schatzes  ihres  Vaters,  ^)  gruben 
ihn  aus  der  Erde  aus  und  nahmen  das  Gold  mit.  Götarus 
aber  hatte  das  ganze  Glück  des  Ericus,  da  das  Gerücht  dem 
Manne  selbst  vorauseilte,  schon  erfahren.  Als  er  nun  von 
seiner  wirklichen  Ankuuft  hörte,  fürchtete  er,  er  werde  bei 
seinem  gewaltigen  Selbstvertrauen  etwas  Schlimmes  gegen 
Norwegen  unternehmen,  und  bemühte  sich,  ihn  um  seine 
Gemahlin  zu  bringen  und  ihn  an  Stelle  der  geraubten  Gattin 
mit  seiner  eigenen  Tochter  zu  verbinden.  Denn  die  Königin 
war  vor  kurzem  gestorben,  und  er  strebte  nach  nichts  mehr 
als  nach  einer  Vermählung  mit  Frothos  Schwester.  Als 
Ericus  seine  Absichten  erfuhr,  versammelte  er  seine  Gefährten 
und  bemerkte  ihnen,  ihr  Glück  sei  noch  nicht  über  alle 
Klippen  hinweg.  Er  sehe  übrigens,  dass  ein  Bündel,  welches 
nicht  durch  ein  Band  zusammengehalten  werde,  leicht  aus-  218 
einanderfalle*;  ebenso  verschwinde  auch  das  ganze  Gewicht 
einer  Strafe,  wenn  es  nicht  durch  die  Kette  der  Schuld  be- 
festigt sei.  Das  hätten  sie  ja  vor  kurzem  bei  Frotho  erlebt; 
sie  hätten  ja  gesehen,  wie  die  Götter  in  den  schwierigsten 
Fällen  seine  Unschuld  geschützt  und  sie  alle  auch  weiterhin 
behütet  hätten;  man  müsse  im  Unglück  noch  auf  ähnlichen 
Beistand  hoffen.  Zuerst  müssten  sie  nun.  zum  Scheine  ein 
wenig  fliehen,  um  dann,  sobald  sie  von  Götarus  angegriffen 
würden,    um    so    gerechtere  Ursache   zum  Kriege   zu   haben; 


>)  S.  oben  S.  205. 


232  Fünftes  Buch. 

denn  nach  allgemeinem  Rechte  sei  es  erlaubt,  die  Hand  zum 
Schutze  des  eigenen  Lebens  zu  erheben.  Selten  habe  jemand, 
der  einen  Kampf  gegen  Unschuldige  begonnen,  ihn  mit  Gluck 
zu  Ende  führen  können.  Daher  müsse  der  Feind  zuerst  zum 
Angriffe  auf  sie  gereizt  werden,  damit  sich  für  sie  selbst  ein 
um  so  gerechterer  Grund  zum  Kampfe  gegen  ihn  ergäbe.  — 
Ohne   noch   mehr  zu  reden,    begab  er  sich  nun  nach  Hause, 

146  um  Brac  zu  besuchen.  Dann  wandte  er  sich  zu  Gunwara 
und  fragte  sie,  um  ihre  Treue  zu  erproben,  ob  sie  Götarus 
liebe;  er  fügte  auch  hinzu,  es  sei. unwürdig,  wenn  ein  Mädchen 
aus  königlichem  Stamme  das  Lager  eines  gemeinen  Mannes 
teile.  Sie  begann  ihn  aber  nun  flehentlich  bei  der  Macht 
der  Götter  zu  beschwören,  ob  es  sich  bei  ihm  mit  dieser 
Ansicht  um  volle  Wahrheit  oder  nur  um  Verstellung  handle. 
Da  er  versicherte,  er  spreche  im  Ernste,  rief  sie  aus:  Also 
schickst  du  dich  an,  mir  die  grösste  Schmach  zuzufügen,  da 
du  mich,  die  du  als  Jungfrau  geliebt,  nun  als  Witwe  ver- 
lassen willst.  Oft  verkündet  das  Gerede  der  Leute  Dinge, 
die  dem  wahren  Sachverhalt  widersprechen;  ich  habe  mich 
in  meiner  Ansicht  über  dich  getäuscht.  Ich  glaubte  einen 
beständigen  Mann  zu  heiraten,  und  nun  erfahre  ich,  dass  du 
unbeständiger  bist  als  die  Winde,  du,  von  dem  ich  eine 
zweifellose  Treue  erhoffte.  —  Bei  diesen  Worten  weinte  sie 
heftig.  Diese  Entrüstung  seiner  Gattin  war  aber  Ericus  sehr 
lieb,  denn  er  umarmte  sie  sogleich  und  sagte:  ich  wollte  ja 
nur  wissen,  wie  fest  deine  Treue  zu  mir  ist.  Der  Tod  allein 
hat  das  Recht,  uns  zu  scheiden.  Götarus  aber  ersieht  dich 
dennoch  zur  Entführung  aus  und  will  deine  Liebe  durch  eine 
Raubthat  gewinnen.  Wenn  ihm  das  gehangen  ist,  so  stelle 
dich,    als  ob  es  mit  deiner  Einwilligung  geschehen  sei,    ver- 

219  schiebe  aber  nichts  destoweniger  die  Vermählung,  bis  er  mir 
seine  Tochter  an  deiner  Statt  übergeben  hat.  Wenn  ich  sie 
habe,  wollen  wir,  ich  und  Götarus,  an  demselben  Tage  unsere 
Hochzeit  feiern.  Dann  sorge  dafür,  das  wir  uns  beim  Mahle 
in  getrennten  Gemächern  aufhalten,  die  aber  durch  eine 
Mittelwand  verbunden  sind,  damit  du  mich  nicht  etwa  un- 
mittelbar   vor  Augen    hast    und    durch    deine    sehnsüchtigen 


Ericus  und  Götorus.  233 

Blicke  den  König  betroffen  machst.  Das  yfivd  nämlich  ein 
höchst  wirksamer  Streich  werden,  um  die  Bemühungen  des 
Räubers  zu  vereiteln.  —  Darauf  Hess  er  Brac  mit  einer  aus- 
erlesenen Schar  der  gewandtesten  Leute  sich  unweit  der 
Königshalle  verbergen,  um  im  Falle  des  Bedürfnisses  auf  seine 
Hilfe  rechnen  zu  können. 

Sodann  berief  er  Rollerus  zu  sich  und  ergriff,  um  den 
König  hervorzulocken,  mit  seiner  Braut  und  seinen  Schätzen 
in  erheuchelter  Furcht  die  Flucht.  Als  er  sah,  wie  ihm 
Götarus'  Flotte  auf  den  Fersen  war,  sagte  er:  Siehe,  wie  der 
Bogen  der  Hinterlist  den  Pfeil  der  Tücke  schnellt,  —  und 
wandte  sogleich  unter  lautem  Geschrei  seiner  Matrosen  das 
Schiff  mit  dem  Steuerruder.  Als  ihn  Götarus  fast  erreicht 
hatte,  fragte  dieser,  wer  der  Steuermann  des  Schiffes  sei;  er 
vernahm,  es  sei  Ericus.  Da  rief  er  fragend  aus,  ob  er  der- 
selbe wäre,  der  durch  seine  wunderbare  Kunst  der  Worte 
die  Beredsamkeit  aller  übrigen  überträfe.  Als  Ericus  dies 
hörte,  SHgte  er,  er  habe  einst  von  ihm  selbst  den  Beinamen 
des  Redegewandten  erhalten,  und  fügte  hinzu,  er  habe  sich 
nicht  vergebens  die  Bedeutung,  die  in  dieser  Bezeichnung 
liege,  zu  eigen  gemacht.  Sodann  landeten  beide  Parteien 
am  nächsten  Strande,  wo  Götarus,  nachdem  er  des  Ericus 
Botschaft  angehört,  berichtete,  dass  er  Frothos  Schwester 
begehre.  Er  wolle  aber  gern  ihm,  dem  Gesandten,  seine 
Tochter  überlassen,  damit  es  ihn  um  so  weniger  gereue,  seine 
Gattin  an  einen  andern  abgetreten  zu  haben.  Es  wäre  also 
gar  nicht  unzweckmässig,  wenn  die  Frucht  der  Gesandtschaft  147 
dem  Ueberbringer  zufalle.  Ericus  gefalle  ihm  also  als 
Schwiegersohn,  wofern  er  nur  durch  Gunwara  in  ein  ver- 
wandtschaftliches Verhältnis  zu  Frotho  kommen  könne. 
Ericus  pries  die  Gute  des  Königs  hoch,  billigte  seine  Ansicht 
und  fügte  hinzu,  ihm  selbst  werde  nun  ohne  sein  Zuthun 
eine  grössere  Ehre  angeboten,  als  er  jemals  hätte  von  den 
unsterblichen  Göttern  erflehen  können.  Er,  der  König,  müsse 
aber  selbst  zuvor  Gunwaras  Sinn  und  Entscheidung  kennen 
lernen.  —  Jene  empfing  den  König,  der  sich  ihr  unter 
Schraeichelworten  nahte,  mit  verstellter  Gunst,  ging  scheinbar 


234  Fünftes  Buch. 

bereitwillig  auf  seine  Werbung  ein  und  beschwor  ihn  nur, 
dass  er  Ericus  gestatte,  vor  ihm  seine  Hochzeit  zu  feiern; 
denn  wenn  diese  zuerst  vollzogen  sei,  so  sei  dann  bessere 
Gelegenheit  für  die  des  Königs,  und  zwar  zumeist  aus  dem 
Grunde,  dass  sie  nicht  etwa,  im  Begriff,  sich  von  neuem  zu 
vermählen,  den  neuen  Heiratsvertrag  bei  der  Erinnerung  an 
den  alten  verschmähe.  Ausserdem  meinte  sie  auch,  es  sei 
nicht  gut,  wenn  zwei  derartige  Veranstaltungen  in  eine  einzige 
Feier  zusammengezogen  würden.  Der  König  lobte,  von  ihren 
Antworten  überzeugt,  höchlich  ihre  Forderungen.  In  häufigen 
Gesprächen  mit  Ericus  hörte  er  nun  die  vortrefflichsten 
Sprichwörter  und  Redensarten,  an  denen  sich  sein  Herz  er- 
220  frischen  und  erfreuen  konnte;  und  nicht  zufrieden  damit,  ihm 
seine  Tochter  zur  Ehe  gegeben  zu  haben,  überliess  er  ihm 
auch  die  Provinz  Litharfulki,  ^)  denn  er  meinte  zu  ihrer 
Verwandtschaft  noch  einen  Gnadenbeweis  fügen  zu  müssen. 
Craca  aber,  welche  Ericus  wegen  ihrer  Geschicklichkeit  in 
der  Zauberkunst  als  Reisebegleiterin  mitgenommen  hatte, 
schützte  ein  Augenleiden  vor  und  hatte  ihr  Gesicht  so  mit 
ihrem  Gewände  verhüllt,  dass  auch  nicht  ein  einziger  Teil 
ihres  Kopfes  hervorsah,  woran  man  sie  hätte  erkennen  können. 
Auf  die  Frage,  wer  sie  sei,  antwortete  sie,  sie  sei  Gunwaras 
Schwester;  sie  habe  dieselbe  Mutter,  aber  einen  anderen  Vater. 

Sobald  man  nun  zu  dem  Heim  des  Götarus  gelangte, 
wurde  das  Hochzeitsgelage  filr  Alwilda  —  so  hiess  nämlich 
seine  Tochter  —  gefeiert.  Ericus  und  der  König  lagerten 
in  verschiedenen  Gemächern,  deren  Decke  aber  in  der  Mitte 
auf  einer  gemeinsamen  Mauer  ruhte:  auch  waren  sie  an  den 
Wänden  vollständig  mit  Vorhängen  verkleidet.  Gunwara 
sass  neben  Götarus,  Ericus  befand  sich  zwischen  Craca 
und  Alwilda.  Reim  Scherzen  nun  zog  er  sacht  ein  Brett 
aus  der  Mittelwand  heraus  und  machte  eine  Oeffuung,  grade 


*)  D.  i.  heute  nach  Holder  die  (legend  von  Lier,  altnrd.  Hlidar, 
einem  Orte  in  der  Nähe  der  Stadt  Drammen,  welche  an  der  Mündung 
der  Dramsei V  in  den  Dranisfjord,  einen  westlichen  Arm  des  Christiania- 
fjordes,  liejft.     Müllers  Erklärung  ist  uurichtifr. 


Ericas  und  Götarus.  235 

gross  genug,  um  einen  Menschen  hindurch  zu  lassen;  so  er- 
öffnete er  ohne  Wissen  der  Gäste  einen  Weg,  der  den  Durch- 
gang gestattete.  Dann  begann  er  seine  Braut  beim  Mahle 
gar  eindringlich  zu  fragen,  ob  sie  lieber  ihn  oder  Frotho 
heiraten  möchte,  zumal  ja  doch,  wenn  man  die  Ehre  einer 
Verbindung  in  Anschlag  bringe,  ein  Königskind  nur  zur  Ehe 
mit  einem  Ebenbürtigen  bestimmt  sein  dürfe,  damit  nicht  die 
W^ürde  des  einen  Gatten  durch  die  Unwürdigkeit  des  andern 
vernichtet  würde.  Obgleich  sie  versicherte,  sie  werde  nie 
gegen  den  Willen  ihres  Vaters  heiraten,  verwandelte  er  doch 
ihren  Widerstand  iu  Willfährigkeit,  indem  er  ihr  verhiess,  sie 
werde  Königin  sein  und  alle  übrigen  an  Macht  übertreffen, 
und  er  gewann  sie  durch  die  Hoffnung  nicht  sowohl  auf 
Reichtümer  als  auf  Ruhm.  Es  heisst  auch,  Craca  habe  für  148 
die  Jungfrau  einen  Trank  gemischt,  ihn  ihr  gegeben  und  so 
ihre  Leidenschaft  auf  die  Triebe  zu  Frotho  gelenkt.  ^) 

Nun  begab  sich  Götarus  nach  dem  Essen  zum  Mahle 
desPüricus,  um  noch  die  Ausgelassenheit  der  hochzeitlichen 
Scherze  zu  vermehren.  Als  er  hinausging,  schlüpfte  Gun  wara, 
wie  es  ihr  vorher  geheissen  war,  dort,  wo  die  Entfernung  der 
Planke  den  Durchgang  gestattete,  durch  die  Wand  und  setzte 
sich  unmittelbar  neben  Ericus.  Als  Götarus  sie  auf  diesem 
Platze  sah,  begann  er  gar  angelegentlich  zu  fragen,  wie  und 
weshalb  sie  denn  dorthin  gekommen  sei.  Jene  behauptete,  221 
sie  sei  die  Schwester  Gunwaras,  und  der  König  lasse  sich 
nur  durch  die  Aehnlichkeit  ihrer  Gestalt  täuschen.  Als  dieser 
nun,  um  die  Sache  aufzuklären,  sofort  in  sein  Gemach  zurück- 
ging, kehrte  sie  ebenfalls  durch  das  Hinterthürchen ,  durch 
welches  sie  gekommen  war,  zurück  und  sass  da  angesichts 
aller  auf  ihrem  früheren  Platze.  Als  Götarus  sie  sah,  traute 
er  seineu  eigenen  Augen  nicht,  und  im  höchsten  Zweifel,  ob 
er  sie  richtig  erkannt,  lenkte  er  seine  Schritte  wieder  zu 
Ericus  zurück,  wo  er  Gunwara,  die  ebenfalls  auf  ihre  Art 
sich  wieder  eingestellt  hatte,  abermals  vor  Augen  hatte.  So 
oft  er  nun  auch  den  Aufenthalt   in   den  beiden    Gemächern 


»)  Vgl.  oben  S.  197  Anm.  1. 


236  Fünftes  Buch. 

wechselte,  so  oft  oegegnete  er  in  beiden  derjenigen,  die  er 
suchte.  Und  diese  Erscheinung,  die  nicht  nur  ganz  ähnlich, 
sondern  hier  und  dort  ganz  dieselbe  war,  quälte  den  Konig 
und  erfüllte  ihn  mit  gewaltigem  Staunen.  Denn  es  schien 
doch  schlechterdings  unmöglich  zu  sein,  dass  verschiedene 
Personen  ohne  jeden  wahrnehmbaren  Unterschied  ganz  die- 
selbe Gestalt  besässen.  ^)  Endlich  hob  er  das  Mahl  auf  und 
geleitete  Ericus  und  seine  Tochter  freundlich,  wie  es  die 
Hochzeitssitte  heischte,  bis  zu  ihrem  Schlafgemache.  Er  selbst 
kehrte  um,  um  anderswo  zu  ruhen. 

Ericus  aber  gestattete  Alwilda,  da  sie  für  Frotho 
bestimmt  war,  allein  zu  schlafen  nnd  umarmte  wie  früher, 
dem  Könige  zum  Hohne,  Gunwara.  Götarus  aber  brachte 
eine  schlaflose  Nacht  zu  und  überlegte  noch  staunend  und 
betroffen  die  Art,  wie  man  mit  ihm  sein  Spiel  trieb,  denn  es 
lag  offenbar  nicht  eine  Aehnlichkeit,  sondern  eine  völlige 
Gleichheit  der  Personen  vor.  Dabei  gelangte  er  denn  zu 
einer  so  unsicheren  und  zweifelhaften  Ansicht,  dass  er  schliess- 
lich doch  einem  Irrtume  zuschob,  was  er  in  der  That  schon 
entdeckt  hatte.  Endlich  fiel  es  ihm  ein,  dass  man  durch  die 
Wand  eine  Betrügerei  habe  ins  Werk  setzen  können.  Ob- 
gleich er  nun  befahl,  sie  eingehend  und  sorgfältigst  zu  unter- 
suchen, fand  er  doch  keine  Spur  eines  Durchgangs.  Denn 
das  ganze  Gebäude  erschien  völlig  unversehrt.  Ericus  hatte 
nämlich  beim  Beginn  der  Nacht,  damit  man  seiner  List  um 
so  weniger  auf  die  Spur  kommen  könne,  die  fjücke  in  der 
Mauer  wieder  ausgefüllt.  Darauf  schickte  er  nun  zwei  Männer 
in  aller  Stille  in  des  Ericus  Schlafgemach,  um  die  Sache  zu 
erkunden,  hiess  sie  sich  hinter  den  Vorhang  stellen  und  ganz 
genau  auf  alles  acht  geben.  Zugleich  hatten  sie  auch  den 
Befehl  erhalten,  Ericus  zu  töten,  wenn  sie  Gunwara  bei  ihm 
fänden.  Sie  betraten  heimlich  das  Zimmer,  verbargen  sich  in 
zwei  Winkeln,  die  durch  Vorhänge  versteckt  waren,  und  er- 


^)  Der  (Trundgedaiiko  dieser  (Tcschirhte  stiuinit  mit  einer  £rzählung 
in  dem  Volksbuche  von  den  Sieben  weisen  Meistern  überein ,  nach  der 
auch  Platen  sein  kleines  Drama  ..Der  Turm  mit  sieben  Pforten'*  ver- 
fasst  hat. 


Ericus'  glückliche  Flucht.  237 

blickten  Ericus  und  Gunwara  in  engster  Umarmung  auf  149 
gemeinsamem  Lager.  Da  sie  meinten,  sie  seien  erst  halb 
eingeschlummert,  warteten  sie  bis  zur  Zeit  des  tieferen 
Schlafes  und  wollten  sich  zurückhalten,  bis  schwerer  Schlummer 
ihnen  die  Gelegenheit  zur  Ausführung  ihrer  Unthat  böte.  Als  nun 
Ericus  ziemlich  laut  schnarchte,  merkten  sie,  dass  er  offenbar  fest 
eingeschlafen  war,  und  sprangen  alsbald  mit  gezückten  Schwer- 
tern vor,  um  ihn  zu  erschlagen.  Ericus  erwachte  bei  ihrem 
mörderischen  Herannahen,  und  als  er  ihre  Klingen  über  222 
seinem  Haupte  blitzen  sah,  sprach  er  den  Namen  seiner 
Stiefmutter  aus;  denn  sie  hatte  ihm  ja  einst  geheissen,  den- 
selben in  Gefahr  zu  nennen.  ^)  Er  erhielt  auch  dadurch 
schnelle  Hilfe  in  seiner  Not;  denn  sein  Schild,  der  hoch  oben 
an  einem  Deckbalken  hing,  fiel  von  selber  auf  ihn  herab  und 
bedeckte  so  gleichsam  absichtlich  seinen  unbeschützten  Körper, 
damit  er  nicht  von  den  Mördern  durchbohrt  werde.  Er  aber 
machte  sich  diesen  Glücksfall  wohl  zu  nutze,  ergriff  sein 
Schwert  und  hieb  dem  nächsten  Mörder  beide  Füsse  ab.  Den 
andern  durchstachGunwara  mit  nicht  geringerer  Geschwindig- 
keit mit  einer  Lanze  und  bewies  so  Mannesmut  im  Frauen- 
herzen. 

So  entging  Ericus  dem  Ueberfalle,  eilte  ans  Meer  und 
rüstete  sich  zur  nächtlichen  Abfahrt.  Rollerus  aber  gab 
denen,  welche  den  Auftrag  erhalten  hatten,  in  der  Nähe  zu 
wachen,  mit  dem  Hörn  das  Zeichen,  in  die  Königshalle  ein- 
zubrechen. Als  der  König  dies  hurte,  ergriff  er  in  der  Mei- 
nung, es  bedeute  die  Ankunft  von  Feinden,  jählings  zu  Schiffe 
die  Flucht.  Inzwischen  rafften  Brac  und  die,  welche  mit  ihm 
eingedrungen  waren,  die  Schätze  des  Königs  zusammen  und 
Hessen  sie  auf  des  Ericus  Schiffe  laden.  Etwa  die  Hälfte  der 
Nacht  ward  zum  Bergen  der  Beute  verwendet.  Als  der 
König  am  nächsten  Morgen  ihre  Flucht  bemerkte,  wollte  er 
die  Verfolgung  ins  Werk  setzen,  aber  einer  seiner  Freunde 
ermahnte  ihn,  ja  nicht  etwas  zu  schnell  zu  veranstalten  oder 
mit  Ueberstürzung  auszuführen.    Man  versuchte  auch,  ihn  zu 


»)  S.  oben  S.  207. 


238  Fünftes  Buch. 

Qberzeugen,  dass  eine  grössere  ZiirOstung  notwenrtig  sei  untl 
es  nutzlos  wäre,  mit  wenigen  Mannen  die  Fiachtlinge  nach 
Dänemark  zu  verfolgen.  Aber  trotziiera  konnte  des  Königs 
ungeduldiger  Sinn  den  erlittenen  Schaden  nicht  verwinden. 
Denn  nichts  hatte  ihn  mehr  gekränkt  als  der  Umstand,  dass 
der  gegen  den  andern  geplante  Anschlag  auf  die  Seinigen 
zurückgefallen  war.  Er  fuhr  also  wirklich  hinaus  und  ge- 
langte bis  in  einen  Hafen,  der  jetzt  Oemi')  heisst.  Dort 
erhob  sich  widriger  Wind,  die  Lebensmittel  gingen  aus,  und 
er  hielt  es  für  besser,  da  man  nun  doch  einmal  sterben 
musste,  durch  das  Schwert  als  durch  Hunger  zu  enden.  So 
legte  denn  die  Bemannung  Hand  an  sich  selbst,  und  sie  be- 
schleunigten ihr  (.leschick,  indem  sie  sieh  gegenseitig  töteten. 
Der  König  erreichte  mit  einigen  wenigen  ein  paar  abschür^sige 
Bergklippen  und  rettete  sich.  Hohe  Hügel  bezeichnen  die 
Stätte  des  Unglücks.  Unterdessen  vollendete  Ericus  glOcklich 
i^eine  Fahrt,  nnd  die  Hochzeit  Frothos  und  Alwildas  wurde 
vollzogen. 
150  Darnach  wurde  ein  Einfall  der  Slaven  gemeldet'}  und 

fiS8  Ericns  erhielt  den  Auftrag,  ihn  mit  acht  Schiffen  zurückzu- 
schlagen; denn  Fnitho  war  ja  bis  jetzt  noch  unerfahre^i  im 
Kriege.  Ericus  nun,  der  sich  nie  einer  manneswflrdigen  .Auf- 
gabe entzog,  übernahm  mit  freudigem  Danke  diese  PHirht 
und  Hess  sich  ihre  kühne  Ausführung  augelegen  sein.  Als 
er  erfuhr,  die  Feinde  besät<sen  sieben  Schilfe,  fuhr  er  nur  mit 
einem  einzigen  der  seinigen  heran;  den  Rest  befahl  er  mit 
hölzernen  Brustwehren  zu  verseben  und  mit  abgeschnittenen 
ßanmzweigen  zu  bestecken.  Dann  segelte  er  vorwärts,  um 
die  Stärke  der  feindlichen  Flotte  genauer  zu  erkunden,  begann 

')  Anril.  .iiimar  (Plural),  jetzt  BimB  (mundartlich  Kinie).  eine  Inspl- 
(jruppe  vor  diT  Htindinig  de»  Stnvan(rerfiordes. 

'i   Hivrmit   bejriii'it  die  KriüliliinR  von  Fmiles  En.lHTnnfrs/üpeii,  die 

„ jt   nirik   in   folni'iidc   sechs  (inippen  einifilen:    1.  Kampf  gfj-en  die 

Slnvii.    -.   Kunipfccp'n  die  Hunnen  und  piiiiße  andere  Stümine.   3.   Krlchl 
Kue   ifi-l!''"   die  .Si-hiveiien.     4.  Fniil.'S  Kampf  ßi-pcn  Xorwegen.     'i.  Arn- 
^        Ifrilll*  Kiimpf  y^fn  Finnland  und   Biarmi.'n.     II.  Fr.ides  Zuj!  gegn,  Eng- 
i.iKn<l  "l'll  Ulaiid.  —  Alles  die»  ist   isliindisehen  l'rs|irunK8. 


Ericus'  Seesieg  über  die  Slaven.  239 

aber,  als  ihn  die  Slaven  verfolgten,  eiligst  die  Flucht  zu  den 
Seinigen  zu  ergreifen.  Die  Feinde  jedoch,  ebenso  ahnungslos 
iu  Betreff  eines  Hinterhalts  wie  begierig  den  Fliehenden  ein- 
zuholen, durchschnitten,  ohne  zu  zögern,  mit  eifrigen  Ruder- 
schlägen die  Fluten.  Die  Schiffe  des  Ericus  konnte  man 
nämlich  auf  dem  Meere  nicht  erkennen,  da  sie  wie  ein  Laub- 
wald aussahen.  ^)  Als  sie  sich  nun  in  einen  ziemlich  engen 
Sund  hineinwagten,  sahen  sie  sich  plötzlich  von  der  Flotte 
des  Ericus  eingeschlossen.  Zuerst  glaubten  sie,  betroffen  von 
dem  ungewöhnlichen  Anblick,  es  schwimme  da  ein  Wald, 
bald  aber  merkten  sie,  welche  List  unter  den  Blättern  ver- 
borgen war.  Zu  spät  bereuten  sie  nun  ihre  Unvorsichtigkeit 
und  versuchten  auf  dem  Wege,  den  sie  so  sorglos  gekommen, 
wieder  zurückzukehren.  Während  sie  sich  aber  noch  be- 
mühten, ihre  Schiffe  zu  wenden,  sahen  sie  schon,  wie  die 
Feinde  in  dieselben  hineinsprangen.  Ericus  hatte  indessen 
sein  Schiff  auf  den  Strand  laufen  lassen  und  schmetterte  nun 
aus  der  Ferne  mit  einer  Schleuder  Steine  auf  die  Feinde. 
Die  meisten  der  Slaven  wurden  nun  erschlagen,  vierzig  wurden 
gefangen  und  hauchten  später  unter  dem  Druck  der  Fesseln 
und  des  Hungers  unter  verschiedenen  Peinigungen  und  Martern 
ihr  Leben  aus. 

Unterdessen  hatte  Frotho,  um  einen  Streifzug  nach 
Slavien  zu  unternehmen,  sowohl  von  den  Dänen  wie  von  den 
Nachbarstaaten  eine  gewaltige  Flotte  aufbringen  lassen.  Das 
kleinste  Schiff  derselben  konnte  zwölf  Seeleute  aufnehmen 
und  von  ebensoviel  Ruderern  bewegt  werden.  Ericus  for- 
derte nun  seine  Gefiihrten  auf,  ihn  geduldig  zu  erwarten,  und 
eilte  Frotho  entgegen,  um  ihm  die  Kunde  von  dem  schon  er- 
rungenen Siege  zu  bringen.  Als  er  unten^egs  zufällig  ein 
Räuberschiff  sah,  welches  an  einer  seichten,  untiefen  Stelle 
aufgerannt  war  und  dort  festsass,  rief  er  aus,  da  er  ja  immer 
zufällige    Ereignisse    mit    bedeutsamen  Worten    zu   begleiten 


*)  Zu  dieser  Geschichte  vgl.  die  im  (i runde  ähnliche  Sage  vom 
Birnamwalde  in  Shakespeares  Macbeth.  Sie  kehrt  übrigens  noch  einmal 
bei  Saxo  B.  VII  S.  23H  (Holder)  wieder,  s.  dort. 


240  Fünftes  Buch. 

pflegte:  Trübe  ist  das  Geschick  der  Unedlen  und  hässlich  das 
Schicksal  der  Niedrigen.*     Darauf  fuhr  er  mit  seinem  SchiflTe 

224  näher  heran  und  erschlug  die  Piraten,  welche  sich  bemühten, 
mit  Haken  ihr  eigenes  Fahrzeug  wieder  flott  zu  machen,  und 
allzu  eifrig  mit  dieser  Rettungsarbeit  beschäftigt  waren.  Als 
er  nach  dieser  That  zur  Flotte  des  Königs  zurückkehrte, 
wünschte  er  Frotho  mit  einem  Grusse  zu  erfreuen,  der  zu- 
gleich seinen  Sieg  meldete,  und  er  rief  ihm  Heil  zu  als  dem 
Begründer  des  blühendsten  Friedens.  ^)  Der  König  äusserte 
den  Wunsch,  dass  seine  Worte  in  Erfüllung  gehen  möchten, 
und   meinte,  der  Sinn  eines  weisen  Mannes  sei  prophetisch.* 

151  Ericus  erwiderte,  er  rede  die  Wahrheit  und  dieser  kleine  Sieg 
sei  ein  Vorzeichen  für  einen  grösseren ;  er  erklärte  auch,  dass 
man  häufig  die  Voraussage  grösserer  Dinge  aus  kleinen  ab- 
leiten könne.  Darauf  ermahnte  er  den  König,  seine  Scharen 
aufzulösen  und  hiess  die  jütische  Reiterei  auf  dem  i^andwege 
abziehen,  während  der  übrige  Teil  des  Heeres  den  kürzeren 
Weg  zur  See  einschlagen  sollte.  Es  hatte  aber  eine  solche 
Menge  von  Schiften  das  Meer  erfüllt,  dass  weder  die  Häfen 
zur  Aufnahme,  noch  die  Gestade  für  die  Schiftslager,  noch 
die  Kosten  für  die  Versorgung  mit  Nahrungsmitteln  aus- 
reichten. Das  Landheer  aber  soll  so  gross  gewesen  sein, 
dass  man  sich  erzählte,  es  habe,  um  den  Weg  abzukürzen. 
Berge  geebnet,  Sümpfe  gangbar  gemacht,  Seen  mit  Dämmen 
ausgefüllt  und  über  gewaltige  Moore  durch  Hineinwerfen  von 
Steinen  Pfade  geschafl'en. 

Inzwischen  Hess  Strunicus,  der  König  der  Slaven,  durch 
Gesandte  um  einen  Wafl^enstillstand  bitten,  aber  Frotho  ver- 
weigerte ihm  die  Zeit  zur  Vorbereitung;  denn  er  meinte,  der 
Feind  dürfe  sich  nicht  unter  dem  Schutze  einer  Wafl^enruhe 
rüsten.  Ausserdem  habe  er  bisher  sein  Leben  ohne  Kriegs- 
thaten  verbrac^ht  und  den  Beginn  derselben  dürfe  man  nicht 
in  zweifelnder  Erwartung  der  kommenden  Dinge  aufschieben; 
denn  jeder,    der  seinen  ersten  Kriegszug  glücklich  vollendet. 


*)   Hier  wird   zum    ersten  Male  Frotho   in    seiner  charakteristischen 
Eigenschaft   als    Fried ensfiirst    genannt   (anrd.   FriOt'rööi,   dän.  Fredegod). 


Frothos  Sieg  über  Strunicus;  Strafgericht.  241 

könne  auch  von  der  Zukunft  ein  ähnliches  Glück  erhoffen. 
Jeder  werde  es  doch  als  eine  Vorbedeutung  auffassen,  wie 
der  erste  Zusammenstoss  ausfalle ;  denn  grade  der  erste  Erfolg 
im  Kriege  pflege  ja  ein  Vorzeichen  für  die  späteren  zu  sein. 
Eric  US  lobte  die  Klugheit  dieser  Antwort  und  meinte,  man 
müsse  das  Spiel  draussen  so  fortsetzen,  wie  man  es  zu  Hause 
begonnen;  auch  seien  ja  die  Dänen  von  den  Slaven  heraus- 
gefordert worden.  Diesem  Ausspruche  folgte  eine  hitzige 
Schlacht,  in  welcher  Strunicus  mit  den  Tapfersten  seines 
Volkes  getötet  wurde.  Die  Unterwerfung  der  übrigen  wurde  225 
angenommen.  Darauf  berief  Frotho  die  Slaven  zusammen 
und  Hess  durch  einen  Herold  verkünden,  man  solle  alle  die- 
jenigen, welche  sich  an  Raub  oder  Diebstahl  gewöhnt  hätten, 
schleunigst  angeben;  er  werde  die  Leute  mit  solchem  Charakter 
mit  den  höchsten  Ehren  belohnen.  Er  gebot  auch,  dass  alle 
in  der  Ausübung  schlimmer  Künste  Erfahrenen  vortreten 
sollten,  um  eine  Belohnung  entgegen  zu  nehmen.  Dieses 
Versprechen  war  den  Slaven  sehr  angenehm.  Denn  in  der 
Hoffnung  auf  seine  Erfüllung  verfuhren  manche  mehr  hab- 
gierig als  überlegt  und  verrieten  sich  selbst,  noch  ehe  sie 
durch  die  Angabe  eines  andern  überführt  werden  konnten. 
Diese  grosse  Gier  nach  Erwerb  betrog  sie  so,  dass  sie  sogar 
die  Ehre  dem  Gewinn  nachsetzten  und  Verbrechen  für  Ruhm 
hielten.  Als  sie  sich  nun  selbst  freiwillig  gestellt,  rief  Frotho: 
Von  dieser  Pest  müsst  ihr  selbst,  Slaven,  euer  Vaterland 
befreien;  und  sogleich  Hess  er  sie  von  Henkern  fortführen 
und  durch  die  Hand  ihrer  eigenen  Mitbürger  an  die  höchsten 
Kreuze  ^)  schlagen.  Man  hätte  glauben  können,  dass  da  eine  152 
Mehrzahl  von  einer  Minderzahl  bestraft  wurde.  So  verweigerte 
der  schlaue  König  die  Verzeihung,  welche  er  den  besiegten 
Feinden  gewährt  hatte,  denen,  die  ihr  Verbrechen  bekannten, 
und  vernichtete  fast  den  ganzen  Bestand  des  Slavenvolkes. 
So  folgte  der  Begier  nach  einer  unverdienten  Belohnung  eine 
verdiente    Sühne,    und    die    Sucht    nach    unwürdigem   Lohne 


*)   D.  h.  Galgen.  —  Vgl.   die   ähnliche  Treulosigkeit  Haddings    bei 
der  Bestrafung  des  (ilumerus,  l,  42. 

Saxo  Grammaticus.  16 


242  Fünftes  Buch. 

wurde  mit  gerechter  Strafe  belegt.  leb  glaube  wohl,  dass 
diese  Leute  mit  Recht  dem  Henker  fiberantwortet  wurden; 
denn  während  sie  durch  standhaftes  Schweigen  ihr  Leben 
h&tten  retten  können,  stürzten  sie  sich  durch  ihr  Sprechen 
selbst  in  die  Gefahr. 

Der  König,  stolz  auf  den  Ruhm  seines  neuen  Sieges, 
beschloss  nun,  um  in  der  Gerechtigkeit  nicht  weniger  stark 
wie  in  der  Schlacht  zu  erscheinen,  sein  Heer  nach  neuen 
Grundsätzen  eiüzurichten,  von  denen  einige  der  jetzige  Brauch 
noch  festhält,  andere  aber  ein  neueres,  willkürliches  Recht 
abgeschafft  hat.  ^)  Er  verordnete  nämlich,  dass  jeder  Ab- 
teilungsf uhrer  ^)  bei  der  Verteilung  der  Beute  einen  grösseren 
Anteil  als  die  übrigen  Krieger  erhielte.  Alles  erbeutete  Gold 
220  aber  sollte  den  Führern,  vor  denen  in  der  Schlacht  immer 
die  Feldzeichen  einhergetragen  wurden,  ihrer  Würde  wegen 
zufallen.  Die  gemeinen  Soldaten  sollten  sich  mit  dem  Silber 
begnügen.  Die  Waffen  sollten  die  Fechter  bekommen,  die 
eroberten  Schiffe  aber  sollten  den  Bauern  zufallen;  denn 
gewissermassen  verdienten  sie  doch  diejenigen,  die  das  Recht 


*)  Hier  haben  wir  den  ersten  Bericht  von  Frodes  gesetzg^eberischer 
Thätigkeit :  der  zweite  folgt  unten  S.  249  fi,  der  dritte  S.  164.  (Holder)  Obwohl 
diese  Erzählungen  äusserlich  eng  mit  Frodes  Eroberungszügen  verbunden 
erscheinen,  sind  doch  Saxos  Quellen  dafür  nach  Olriks  Nachweisen 
nicht  isländisch-norwegisch,  sondern  dänisch.  Ueber  die  ziemlich  um- 
fängliche Litteratur  über  diese  Gesetze  unterrichtet  am  besten  Olrik  in 
seiner  ausiiihrlichen  Abhandlung  II,  8.  196—217,  wo  er  sich  auch  mit  der 
AutTassung  Steenstrups  in  „Xonhan nerne**  (Kopenhagen  1876  fr.)  aus- 
einandersetzt: auch  Müllers  Anmerkungen,  die  auf  den  Ausfahrungen  des 
diinischen  Rechtsgelehrten  Rosenvinge  beruhen,  sind  wichtig  (II,  149ff.). 
Auf  strenge  geschichtliche  Treue  können  Saxos  Angaben  keinen  Anspruch 
machen,  da  Frode  als  Stammesheros  allerlei  Vorzüge  und  segensreiche 
Hinrichtungen  zugeschrieben  werden,  auch  solche,  die  ihm  gar  nicht  zu- 
kommen kt'mneu.  Auch  die  gegensätzliche  Lebereinstimmuug  mit  den 
Sohandlhaten  üreps  scheint  massgebend  gewesen  zu  sein. 

*)  Primipilus  quisque  .  .  .  Ein  ziemlich  unbestimmter  Ausdruck  ^ 
Kitoti  üborM'tzt:  „Ettch  of  the  vanguard**.  bemerkt  aber,  es  könnte  auch 
h«'i'>s«'n  ..each  captain  of  a  di^•isit)n**;  (Trundtvig  sagt  „Banner-mester*. 
V»-<1h1  auch  iranz  allirrmein:  „Soni  nopen  befalniiig  haffuer*  (S.  Xi'IX), 
Vi*'   That^arhf»  jr«'h<'n  auf  altes  Volksrecht  zurück. 


Oesetze  Frothos.  243 

und  die  Pflicht  hatten,.  ScbifFe  zu  bauen  und  auszurüsten. 
Ausserdem  verordnete  er,  dass  sieh  keiner  herausnehmen 
sollte,  sein  Eigentum  hinter  Schloss  und  Riegel  zu  bewahren^); 
wem  dabei  etwas  verloren  ginge,  der  sollte  den  zwiefachen 
Wert  aus  des  Königs  Schatz  empfangen.  Wer  aber  sein  Gut 
in  Truhen  verschlossen  halte,  der  sollte  dem  Könige  zwei 
Pfund  schuldig  sein.  Er  setzte  auch  fest,  dass  jeder,  der  an 
einem  Diebe  Nachsicht  übe,  selbst  in  die  Strafe  für  Diebstahl 
verfalle').  Wer  ferner  in  der  Schlacht  zuerst  die  Flucht  er- 
griffe, sollte  vom  gemeinen  Rechte  ausgeschlossen  sein^).  227 
Sobald  er  dann  nach  Dänemark  zurückkehrte,  wollte  er  alles, 
was  durch  Greps  verderbliches  und  gewaltthätiges  Verfahren 
in  Verfall  geraten  war*),  durch  gute  Mittel  wieder  gut  machen; 
darum  gestattete  er  den  Frauen  eigene  Entscheidung,  wenn 
sie  heiraten  wollten,  damit  nie  mehr  ein  Zwang  bei  der  Ver- 
mählung einträte.^)  Femer  bestimmte  er  gesetzlich,  sie 
sollten  auch  demjenigen  in  die  Ehe  folgen,  deu  sie  ohne 
Einwilligung  des  Vaters  geheiratet  hätten.  Wenn  sich  aber 
eine  Freie  mit  einem  Sklaven  verbände,  so  sollte  sie  seine 
Stellung  teilen,  die  Wohlthat  der  Freiheit  verlieren  und  eben- 
falls in  den  Sklavenstand  treten*).  Den  Männern  legte  er 
die   Verpflichtung    auf,    das   Mädchen   zu    heiraten,    welches 


^)  Dieses  Gesetz  dürfte  ganz  der  Sage  angehören. 

*)  Auch  diese  Bestimmung  entspricht  nicht  den  thatsächlichen  Ueber- 
lieferungen  alter  (resetze. 

^)  Erst  im  15.  Jhrhdt.,  nicht  in  den  alten  Rechtsquellen  finden  wir 
eine  Bestätigung  hierfür. 

♦)  S.  oben  S.  195  ff.  200  ff. 

*)  Diese  Angaben  widersprechen  geradezu  sonstiger  Ueberlieferung; 
vgl.  Amira  i.  Grdr.  IH,  161.  Kalund  ebd.  418  ff. 

■)  Die  thatsächlichen  Verhältnisse  waren  im  skandina\'ischen  Alter- 
tum sehr  verschieden,  je  nach  Zeit  und  Ort.  Ursprünglich  war  nur  die 
Ehe  zwischen  Ebenbürtigen  erlaubt,  auf  eine  andere  stand  der  Tod. 
Später  wHirde  bei  einer  Ehe  zwischen  Freien  und  Unfreien  der  freie  Teil 
unfrei,  und  die  Kinder  folgten  der  ärgeren  Hand;  endlich  g^ng  die 
Milderung  soweit,  dass  umgekehrt  der  unfreie  Teil  frei  wurde  und  die 
Kinder  der  besseren  Hand  folgten.    Vgl.  Weinhold  243  ff.,  Grdr.  III^  129, 

141,  418. 

16* 


244  Fünftes  Buch. 

sie  zuerst  verführt  hätten  ^).  Ehebrecher  sollten  von  ihren 
rechtmässigen  Gattinnen  eines  gewissen  Körperteils  beraubt 
werden,  damit  die  Keuschheit  weniger  unter  solchen  Schand- 

228  thaten  litte  ^).  Er  bestimmte  auch,  dass,  wenn  ein  Däne  den 
andern  beraubte,  er  das  Doppelte  davon  ersetzen  und  ausser- 
dem wejgen  Friedensbruches  bestraft  werden  sollte*).  Wenn 
jemand  gestohlenes  Gut  in  das  Haus  eines  andern  brächte 
und  der  Wirt  hinter  ihm  die  Thür  seines  Hauses  verschlösse, 
so  verfiel  dieser  der  Strafe,  alle  seine  Güter  zu  verlieren, 
und  in  der  Volksversammlung  sollte  er  vor  aller  Augen  ge- 
peitscht werden,  weil  er  sich  offenbar  desselben  Verbrechens 
schuldig  gemacht  habe*).  Ferner,  jeder  Verbannte,  der  als 
Feind  in  sein  Väterland  einfiel  oder  als  Feind  gegen  seine 
Mitbürger  den  Schild  erhob,  sollte  mit  Verlust  von  Gut  und 

15S  Leben  dafür  büssen ').  Wer  aber  aus  Widerspenstigkeit  zögerte, 
einen  Befehl  des  Königs  auszuführen,  sollte  mit  Verbannung 
bestraft  werden*).     Es  wurde   nämlich  immer  ein  hölzerner 

229  Pfeil,  der  wie  ein  eiserner  aussah.  Mann  für  Mann  als  Bot- 
schaft zu  allen  Unterthanen  geschickt,  so  oft  plötzlich  ein  Krieg 
notwendig  w^urde').  Wer  aber  von  den  gemeinen  Leuten  in 
der  Schlacht  dem  Abteilungsführer  vorauseilte,  sollte  aus 
einem   Sklaven   ein   Freier,    aus    einem   Bauern    ein  Adliger 


^)  Nach  Müller  (Rosenvin^^)  sieht  dieses  Gesetz  sehr  nach  Christ* 
lichem  (romischen)  Rechte  aus. 

')  Auch  hierfür  fehlen  urkundliche  Belege;  allein  das  Gesetz  ent- 
spricht dem  alt||rermanischen  Rechtsgnindsatze,  dass  jeder  mit  dem  Gliedc 
büssen  muss,  mit  dem  er  frevelt. 

*)  Dafür  sind  ebenfalls  keine  Relege  vorhanden,  auf  Raub  stand  ge- 
wöhnlich eine  Strafe  von  drei  Mark. 

*)  Das  war  sicher  alter  Rechtsbrauch,  von  dem  wir  auch  durch 
andere  Zeugnisse  wissen. 

*)  Ebenfalls  durch  andere  Urkunden  belegt, 

*)  £s  handelt  sich  um  Säumigkeit  angesichts  des  Feindes;  über  die 
Strafe  der  Friedlosigkeit  (^=  Verbannung)  s.  Amira  im  Grdr.  III,  195. 

^)  Das  rnihersenden  des  Heerpfeiles  ist  altgermanische  Sitte,  die 
sich  Ina  ins  späte  ^[ittelalter  in  dem  Brauche,  ,,  Botenhölzer*  herum- 
xuschioken,  erhalten  hat.  Vgl.  W'einhold,  Beitr.  z.  d.  deutschen  Kriegs- 
iiltertümern  L  d.  Sitzungsber.  d,  Akad.  d.  AVisscnsch.  zu  Berlin  (1891) 
IMiil.-Hist.  Kl.  XXIX,  S.  515  ff. 


Gesetze  Frothos.  245 

werden;  war  er  aber  edel  geboren,  so  sollte  er  zum  Statt- 
halter ernannt  werden  *).  Solchen  Lohn  verdiente  sich  einst 
die  Kühnheit,  und  so  sehr  ziemte  nach  der  Meinung  der 
Alten  edle  Stellung  der  Tapferkeit.  Man  glaubte  nämlich 
nicht,  dass  der  vornehme  Stand  die  Quelle  der  Tüchtigkeit 
sei,  sondern  der  Preis  dafür.  Er  verbot  auch,  sich  nach 
Eidesleistuög  oder  Abgabe  von  Unterpfändern  in  einen  Wort- 
streit einzulafiisen^).  Wer  aber  einen  anderen  aufforderte,  230 
mit  ihm  zusammen  solch  ein  Unterpfand  niederzulegen,  sollte 
ihm  ein  halbes  Pfund  Gold  zahlen;  sonst  sollte  er  eine  schwere 
körperliche  Strafe  erleiden.  Der  König  hatte  nämlich  voraus- 
gesehen, dass  aus  diesem  Niederlegen  von  Pfändern  die  Ur- 
sachen zu  den  schlimmsten  Streitigkeiten  erwachsen  könnten. 
Er  bestimmte  dagegen,  dass  man  über  jeden  beliebigen  Streit 
mit  dem  Schwerte  entscheiden  solle,  denn  es  sei  rühmlicher, 
sich  mit  seinen  Kräften  als  mit  Worten  zu  bekämpfen^). 
Wenn  nun  der  eine  der  Fechtenden  den  Fuss  zurückziehe 
und  den  Umfang  des  vorher  gezogenen  Kreises  überschreite, 
so  solle  er  als  Besiegter  der  Streitsache  verlustig  gehen. 
Wenn  aber  in  irgend  einer  Angelegenheit  ein  Bauer  einen 
Kämpen  angreife,  so  sollte  er  gewappnet  ihm  gegenübertreten, 
jener  aber  nur  mit  einem  Knüttel  von  einer  Elle  Länge 
fechten.  Endlich  verfügte  er,  dass  die  Ermordung  eines  Dänen 
durch  einen  Ausländer  mit  dem  Tode  zweier  Fremder  zu 
sühnen  sei*). 


^)  Nach  Müller  ist  das  nur  eine  Erfindung  zur  Verherrlichung 
Frodes. 

^  Es  handelt  sich  um  Zweikämpfe,  die  meist  aus  Gewinnsucht, 
häufig  auch  aus  andern  Beweggründen  unternommen  worden;  vgl.  die 
Kämpfe  des  Westmarus  und  der  Götwara  gegen  Ericus  und  noch  B.  VIII, 
296/7  (Holder). 

')  Das  sind  die  eigentlichen  Duelle,  Holmgänge,  die  auf  fest  um- 
grenztem Platze  ausgefochten  wurden ;  Beispiele  dafür  waren  schon  mehr- 
fach da;  es  giebt  noch  zahlreiche  andere,  darunter  eins  für  einen  Kampf, 
bei  dem  der  eine  Gegner  mit  einem  Schwerte,  der  andere  mit  einem 
Knüttel  bewaffnet  ist. 

*)  Es  ist  Thatsache,  dasi  die  Blutrache  für  einen  Mann  mitunter 
an  mehreren  andern  vollzogen  wurde. 


246  Fünftes  Buch. 

Unterdessea  rüstete  Götarus,  um  Ericas  zu  bestrafen, 
ein  Heer  zum  Kampfe.  Frotho  andrerseits  fuhr  mit  einer 
grossen,  trefflich  ausgestatteten  Flotte  nach  Norwegen.  Als 
beide  auf  der  Insel  Rensö^)  landeten,  liess  Götarus,  er- 
schreckt durch  den  Ruhm  von  Frothos  Namen,  durch  Ge- 
sandte inständigst  um  Frieden  bitten.  Diesen  antwortete 
Ericus:  Verächtlich  ist  der  Räuber,  der  zuerst  um  Frieden 
fleht  oder  sich  anmasst,  mit  guten  Leuten  in  Gemeinschaft 
zu  treten.  Wer  etwas  besitzen  will,  muss  sich  auch  an- 
strengen; es  gilt  Schlag  gegen  Schlag  und  Hass  gegen  Hass. 
Als  Götarus,  der  von  weitem  aufmerksam  horchte,  dies 
hörte,  rief  er,  so  laut  er  konnte:   Jeder  ehrenhafte  Krieger 

281  erinnert  sich  einer  Wohlthat.  Ericus  erwiderte  ihm:  Deine 
Wohlthätigkeit  habe  ich  dir  durch  einen  Rat  vergolten.  — 
Damit  meinte  er,  dass  eine  gute  Warnung  besser  sei  als  jede 
Art  Geschenk.  Und  um  zu  beweisen,  dass  Götarus  für  den 
Empfang  seines  Rates  undankbar  war,  sagte  er:  Als  du  mir 
meine  Gattin  zugleich  mit  meinem  Leben  nehmen  wolltest, 
da  hast  du  mir  selbst  ein  gar  schlechtes  Beispiel  gegeben. 

154  Das  Schwert  allein  vermag  zwischen  uns  zu  entscheiden. 
Darnach  griff  Götarus  die  dänische  Flotte  an,  hatte  aber 
gar  wenig  Glück  und  wurde  getödtet.  Roller us  erhielt 
darauf  seine  Herrschaft,  die  sich  über  sieben  Provinzen  er- 
streckte, als  Gnadenbeweis.  Ericus  beschenkte  ihn  ebenfalls 
mit  einer  Provinz,  und  zwar  mit  der,  die  ihm  einst  von  Götarus 
übertragen  worden  war.  Damach  verbrachte  Frotho  drei 
Jahre  in  tiefem,  ungestörtem  Frieden. 

Inzwischen  hatte  der  König  der  Hunnen  die  Yerstossung 
seiner  Tochter  vernommen,  verband  sich  mit  Olimarus,  dem 
Könige  der  Orientalen*),  und  traf  zwei  Jahre  Vorberei- 
tungen zu  einem  Kriege  gegen  die  Dänen.  Frotho  berief 
nun  nicht  nur  die  Eingeborenen  sondern  auch  Norweger  und 
Slaven  zu  seinen  Heeren  ein').     Ericus  ward  von  ihm  aus- 


»)  S.  oben  8.  216,  Anm.  2. 
*)  8.  S.  63  Anm.  3. 

*)  Das  ist  der  zweite  Rriegszuj^  Frodes,  gej^en  die  Hunnen  und  ihre 
Verbündeten.      Die    Darstellung^    stimmt    zum    Teil    wörtlich    mit    dem 


Frothos  Sieg  über  Götarus;  Hunnenkrieg.  247 

gesandt,  die  feindlichen  Schären  zu  -  erkunden,  und  begegnete 
Olimarus  nicht  weit  von  Russland;  denn  dieser  hatte  den 
Oberbefehl  über  die  Flotte  erhalten,  jährend  der  Hunnen- 
könig die  Landtruppen  führte.  £r  redete  ihn  folgender- 
massen  an: 

„Was  bedeutet  denn,  ich  bitte,  diese  gewaltige  Kriegs- 
rüstung, oder  wohin  eilst  du,  flottenmächtiger  König  Olimarus?^ 

Olimarus  erwiderte:  „Den  Sohn  des  Fridlewus  beab- 
sichtigen wir  anzugreifen;  und  wer  bist  du,  der  du  mit  kühner 
Stimme  solches  fragst?^ 

Ericus  antwortete:  „Vergebens  erfüllt  dir  die  Hoffnung 
den  Sinn,  einen  Unbesiegten  zu  besiegen.  Frotho  kann  keiner 
überwinden." 

Dagegen  sprach  Olimarus:  „Was  auch  immer  geschieht, 
einmal  muss  es  zuerst  geschehen  und  unverhofft  kommt  oft*." 

Durch  diesen  Ausspruch  wies  er  darauf  hin,  dass  niemand  2  23 
allzu  grosses  Vertrauen  auf  das  Glück  setzen  solle.  Dann 
ritt  Ericus  weiter,  um  das  Heer  der  Hunnen  auszukund- 
schaften. Als  dieses  an  Ericus  und  Ericus  an  dem  Heere 
vorbeizog,  zeigte  es  ihm  seine  Vorhut  beim  Aufgange,  seine 
Nachhut  beim  Untergange  der  Stmne.  Daher  fragte  er  Leute, 
die  er  traf,  bei  wem  d«nn  die  Leitung  so  vieler  Tausende 
stünde.  Als  ihn  zufällig  Hun  (das  war  der  Hunnenkönig) 
erblidcte  und  bemerkte,  dass  er  die  Aufgabe  der  Auskund- 
schaftung übernommen  habe,  fragte  er,  wie  denn  der  Name  155 
des  Spähers  wäre.  Ericus  erwiderte,  man  könne  ihn  den 
nennen, .  der  überall  hinkomme  und  nirgends  gefunden  werde. 
Der  König  zog  nun  einen  Dolmetscher  herbei  und  forschte, 
was  denn  Frotho  treibe.  Ericus  versetzte:  Niemals  harrt 
Frotho  zu  Hause  auf  ein  feindliches  Heer  noch  erwartet  er 
den  Gegner  in  seinem  Palaste.  Denn  wer  dem  Glück  eines 
andern  nachstellt,  muss  auch  bei  Nacht  immer  wachsam  sein. 
Niemand  habe  noch  im  Schnarchen^  einen    Sieg  gewonnen*, 


poetischen  Bericht  voo  Anflrartyrs  Hunnenkampf  in  der  Hervararsoge 
überein.  S.  Olrik  U,  52;  ferner  vgl.  noch  B.  I,  S.  18  Anm.  i  und  Jor- 
danes,  De  origiae  actibusque  G^tarum  cap.  40  (Monum.  Qena.  Hlst. 
Auct.  Antiqu.  V,  1  S.  111). 


248  Fünftes  Buch. 

und  nie  babe  ein  Wolf  im  Schlafe  ein  Aas  gefunden*.  Da 
der  König  merkte,  dass  er  sich  so  auf  treflFliche  Sprichwörter 
233  verstehe,  sagte  er^  Das  ist  vielleicht  Ericus,  der,  wie  ich 
hurte,  fälschlich  meine  Tochter  eines  Verbrechens  geziehen 
hat.  —  Er  befahl  nun  auch  sogleich,  ihn  festzunehmen,  aber 
jener  sagte,  es  zieme  sich  nicht,  dass  einer  von  vielen  über- 
wältigt werde.  Durch  dieses  Wort  besänftigte  er  nicht  nur 
den  König,  sondern  bewog  ihn  auch,  ihm  zu  verzeihen. 
Sicherlich  aber  lag  der  Grund  für  seine  Straflosigkeit  mehr 
in  der  Schlauheit  als  in  der  Güte  des  Königs;  denn  dieser 
entliess  ihn  hauptsächlich  deswegen,  dass  er  Frotho  durch 
die  Meldung  von  der  Grösse  seines  Heeres  erschrecke.  Als 
Ericus  bei  seiner  Rückkehr  von  diesem  aufgefordert  wurde, 
das  Ergebnis  seiner  Kundschaft  mitzuteilen,  berichtete  er,  er 
habe  sechs  Könige,  jeden  mit  seiner  Flotte,  gesehen;  jede 
Flotte  bestehe  aus  5000  Schiffen,  und  jedes  Schiff  fasse 
3(K)  Ruderer.  Jedes  Tausend  der  gesamten  Zahl  bestehe  aber 
aus  vier  Flügeln;  er  wollte  jedoch  unter  jedem  Tausend  zwölf- 
hiindert  verstanden  wissen^),  denn  jeder  Flügel  bestand  aus 
dreihundert.  Als  nun  Frotho  zaudernd  überlegte,  was  er 
gegen  eine  solche  Zahl  unternehmen  sollte,  und  sich  gar  eifrig 
nach  Unterstützung  umsah,  sagte  Ericus:  Dem  Wackeren  hilft 
das  Glück*.  Ein  kühner  Hund  muss  den  Bären  angreifen; 
Jagdhunde  braucht  man  dazu,  nicht  kleine,  unkriegerische 
Vögel.  —  Damit  gab  er  Frotho  den  Rat,  eine  Flotte  zu 
sammeln.  Sobald  sie  ausgerüstet  war,  segelte  man  gegen  den 
Feind  und  unterwarf  im  Kampfe  die  Inseln,  welche  zwischen 
Dänemark  und  dem  Orient  liegen.  Dcinn  drang  man  weiter 
vor  und  traf  auf  einige  Fahrzeuge  der  ruteuischen  Flotte. 
Als  es  nun  Frotho  wegen  ihrer  geringen  Zahl  für  schmach- 
voll hielt,  sie  anzugreifen,  sagte  Ericus:  Auch  bei  einem 
Mageren  und  Dürftigen  müssen  wir  uns  Speise  holen*.    Wer 


*)  Das  sind  im  (tanzen  10  800000  3Iann,  wenn  man  nach  Saxos  An- 
^'abe  auf  Grund  des  alten  (urgfermanischen)  Duodozimalsystenis  unt«r  100 
(las   sogenannte  „(»rosshundert''  —  120,    unter    1000   demnach    1200  ver- 
steht.    Noch  heut  bezeichnet  hundra|)    im  Isländischen   ein  Orosshundert 
120.   —   Die  Zahl  ist  natürlich  übertrieben. 


Hunnenkrieg;  Grösse  des  Heeres;  zwei  Seesiege  Frothos.  249 

fällt,  wird  selten  fett*.  Wer  in  einen  grossen  Sack  geraten  234 
ist,  kann  nicht  mehr  beissen*.  —  Durch  diese  Lehre  nahm  er 
dem  Könige  seine  Bedenken,  einen  Angriff  zu  unternehmen, 
und  veranlasste  ihn  bald,  mit  seiner  Ueberzahl  die  kleine 
Schar  zu  überfallen,  indem  er  ihm  bedeutete,  der  Nutzen  sei 
dem  Ehrgefühl  vorzuziehen. 

Darauf  rückte  man  gegen  Olimarus  vor,  der  wegen  der 
Schwerfälligkeit  seiner  Massen  den  Feind  lieber  erwarten  als 
selbst  angreifen  wollte.  Denn  die  Schiffe  der  Rutenen  waren  156 
offenbar  in  Unordnung  und  wegen  ihrer  Grösse  wenig  zu 
Rudermanövern  geeignet.  Aber  auch  die  Ueberlegenheit  an 
Zahl  nützte  ihnen  nicht  einmal  etwas.  Denn  die  Menge  der 
Rutenen  war  zwar  ungewöhnlich  gross,  aber  sie  zeichnete 
sich  mehr  durch  ihre  Grösse  als  durch  ihre  Tü<;htigkeit  aUs 
und  überliess  so  der  kräftigeren  Minderheit  der  Dänen  den 
Sieg.  Als  Frotho  in  sein  Vaterland  zurüc(^kehren  wollte,  er- 
lebte er  ein  ganz  unerhörtes  Hindernis  auf  seiner  Fahrt. 
Denn  die  zahlreichen  Leichen  der  Erschlagenen  sowie  die 
Trümmer  der  Schilde  und  Lanzen  hatten  in  der.  wogenden 
Flut  den  ganzen  Meerbusen  bedeckt.  Daher  waren  die  Häfen 
nicht  nur  beengt  sondern  auch  verpestet!  Die  Schiffe  blieben 
mitten  in  den  Leichen  stecken  und  sassen  darin  fest;  man 
konnte  auch  die  verwesenden  und  herumschwimmenden 
Körper  nicht  mit  den  Rudern  entfernen  oder  mit  Haken  fort- 
stossen,  ohne  dass  sogleich,  wenn  der  eine  weg  war,  ein 
anderer  herantrieb  und  die  Flotte  belästigte.  Man  hätt^ 
glauben  können,  es  sei  ein  Kampf  gegen  Tote  ausgebrochen; 
es  war  ein  seltsames  Ringen  gegen  Leichen. 

Frotho  berief  daher  die  Völker,  die  er  besiegt  hatte, 
zusammen  und  bestimmte  durch  ein  Gesetz,  dass  jeder 
Familienvater,  der  in  diesem  Kampfe  gefallen  war,  mit  seinem 
Ross,  seiner  ganzen  Rüstung  und  allen  Auszeichnungen  in 
einem  Grabhügel  beigesetzt  würde.  Wenn  ein  Leichenträger  235 
einen  aus  ruchloser  Habgier  beraubte,  so  sollte  er  nicht  nur 
mit  seinem  Blute  dafür  büssen,  sondern  seine  Leiche  sollte 
auch  unbestattet  bleiben,  Grabhügel  und  Todtenopfer  ent- 
behren.    Denn  er  hielt  es  für  recht,  dass  der  Schänder  der 


250  Fünftes  Buch. 

Asche  eines  andern  kein  Leichenbegängnis  erhalte,  sondern 
an  seinem  eigenen  Körper  das  Schicksal  erleide,  das  er  einem 
andern  bereitet.  Die  Leiche  jedes  Abteilungsführers  oder 
Statthalters^)  sollte  auf  einem  in  dessen  eigenem  Schiffe  er- 
richteten Scheiterhaufen  verbrannt  werden  ^).  Die  Körper  der 
Steuerleute  sollten  immer  zu  je  zehn  auf  einem  Schiffe  den 
Flammen  übergeben  werden;  jeder  getötete  Herzog  oder 
König  aber  sollte  auf  sein  eigenes  Schiff  gelegt  und  da  ver- 
brannt werden.  Er  wollte  eine  so  gewissenhafte  Genauigkeit 
bei  der  Bestattung  der  Gefallenen  eingehalten  wissen,  um  zu 
verhindern,  dass  ein  unterschiedsloses  Massenbegr&bnis  ver- 
anstaltet werde.  Es  waren  schon  alle  Könige  der  Rutenen 
mit  Ausnahme  von  Olimarus  und  Dagus  im  Kampfe  ge- 
fallen. Er  gebot  den  Rutenen  auch,  ihre  Kriegführung  nach 
dem  Muster  der  Dänen  einzurichten,  und  keiner  sollte  eine 
Frau  ohne  vorherige  Zahlung  eines  Kaufpreises  heiraten; 
denn  er  meinte,  dass  solche  Kaufehen  dauerhafter  sein  würden, 
und  glaubte,  die  Treue  würde  in  einem  solchen  Ehebunde 
sicherer   gehalten    werden,    wenn   er  durch  einen  Kaufpreis 

ase  gefestigt  sei.  Wenn  ferner  einer  wagte,  eine  Jungfrau  zu 
vergewaltigen,  so  sollten  ihm  zur  Strafe  seine  Geschlechtsteile 
abgeschnitten  werden,  oder  andernfalls  sollte  er  die  Schmach 
der  Schändung  durch  tausend  Talente  büssen.  Er  entschied 
auch,  dass  jeder,  der  sich  dem  Kriegsdienst  widme  und  An- 
spruch   auf  den   Ruf    erprobter   Tüchtigkeit    erhebe,    einen 

lo7  einzelnen  Gegner  angreifen  müsse,  zweien  stand  halten  sollte, 
dreien  durch  eine  unbedeutende  Rückwärtsbewegung  aus- 
weichen dürfe;  vor  vieien  aber  könne  er,  ohne  zu  erröten, 
die  Flucht  ergreifen.  Femer  verordnete  er,  dass  eine  andere 
Gewohnheit  betreffs  der  Kriegslöhne  zu  beobachten  sei.  Jeder 
einheimische    und    ansässige    Soldat    sollte    im  Winter   drei 


*)  Es  ist  wohl  ein  und  dieselbe  Würde,  centurioois  uel  satrmpae 
corpus;  dem  satrapa  ist  sonst  auch  praefectus  gleichbedeutend.  Der  anrd. 
Ausdruck  dafür  ist  lendrmaOr. 

')  Ueber  die  Bestattungen  vgl.  die  III,  117,  Anm.  2  angegebene 
Litteratur,  so^ie  noch  den  Bericht  über  Harald  Eampfzahns  Tod  B.  VIII, 
264  (Holder). 


Gesetze  Frotkos;  Grosse  des  Heeres.  251 

Talente  bekommen,  ein  gemeiner  Mann  oder  ein  Söldner  zwei, 
ein  Freiwilliger,  der  schon  Kriegsdienste  geleistet,  nur  eins  ^). 
Durch  dieses  Gesetz  that  er  der  Tüchtigkeit  unrecht,  denn  237 
er  sehätzte  den  Stand  der  Soldaten,  nicht  ihren  Mut;  er 
konnte  hierin  offenbar  eines  Irrtums  geziehen  werden,  da  er 
ja  die  Familienverhältnisse  den  wirklichen  Verdiensten  vorzog. 
Darauf  befragte  der  König  Ericus,  ob  das  Heer  der  Hunnen 
den  Truppen  des  Olimarus  gleichkäme,  und  dieser  ant- 
wortete mit  folgendem  Liede: 

>Beim  Herkules,  ich  sah  eine  Menge,  unzählbar  fQr  jeden, 
eine  Menge,  die  weder  Erde  noch  Meer  fassen  konnte.  Zahl- 
reiche Feuer  erglänzten,  ein  ganzer  Wald  brannte.  Diese 
Flamme  war  das  Zeichen  für  eine  unzählige  Masse.  Unter 
den  Pferdehufen  ward  die  Erde  zermalmt  und  sank  ein,  die 
rasselnden  Wagen  lärmten  in  ununterbrochener,  rastloser 
Folge.  Es  ächzten  die  Räder,  die  Lenker  stürmten  gegen 
den  Wind  an,  sodass  man  meinen  konnte,  der  Wagen  Rollen 
gleiche  dem  Donner.  Kaum  trug  der  Boden,  zu  schwach  für 
solche  Last,  die  Horden  der  Bewaffneten,  die  ungeordnet 
vorwärts  drängten.  Die  Luft  schien  mir  zu  ertönen,  die  Erde 
zu  b6ben;  so  mächtig  war  die  Bew«gung^  in  dem  fremden 
Heere.  Denn  fünfzehn  Feldzeichen  sah  ich  auf  einmal  er- 
glänzen, jedes  von  diesen  enthielt  hundert  kleinere  Fähnlein, 
und  hinter  jedem  von  diesen  wieder  konnte  man  zwanzig 
Mann  erblicken.  Den  Fähnlein  war  aber  an  Zahl  gleich  die 
Zahl  der  Führer*).« 

Wie  nun  Frotho  fragte,  wie  er  einer  solchen  Masse 
entgegentreten  sollte,  belehrte  er  ihn,  er  müsse  umkehren 
und  warten,  bis  sich  die  Feinde  durch  ihre  eigene  Menge  und 
Ungeschlachtheit  aufgerieben   hätten.     Diesem  Winke  folgte 


*)  Für  alle  diese  Bestimmungen  fehlen  sonstige  Belege.  Notzucht 
wurde  nach  alten  Gesetzen  mit  zehn  Mark  Silber  bestraft.  —  Die  Ein- 
teilung der  Soldaten  ist  nicht  recht  klar;  die  Löhnungssätze  lassen  sich 
nicht  berechnen;  über  Geld  s.  TTI,  S.  139,  Anm.  1. 

*)  Wenn  man  das  Hundert  wieder  als  Grosshundert  fasst,  ergeben 
sich  im  Ganzen  36000  Mann,  eine  Angabe,  die  zwar  ebenfalls  übertrieben 
aber  doch  wenigstens  einigermassen  wahrscheinlich  ist. 


252  Fünites  Buch. 

er,  und  der  Rat  wurde  ebenso  eifrig  gebilligt  wie  er  gegeben 
worden  war.  Als  nun  die  Hunnen  durch  unwegs^^me  Ein- 
öden vordrangen,  fanden  sie  nirgends  Lebensmittel  und  be- 
gannen allenthalben  Mangel  zu  leiden.  Denn  es  war  da  eine 
unwirtliche  und  sumpfige  Gegend,  und  man  konnte  keine 
Abhilfe  gegen  den  Hunger  finden.  AI9  sie  endlich  alle  Zug- 
tiere gßtötet  und  verzehrt  hatten,  lösten  sie  sich  allmählich 
auf,    da   es  ihnen   ebenso   sehr  an  Fahrgelegenheit   wie   an 

238  Nahrungsmitteln  fehlte.  Uebrigen3  war  diese  Yerirrung  eine 
ebenso  grosse  Gefahr  wie  der  Hunger.  Sie  verschonten  kein 
Pf^rd,  keinen  Esel  und  scheuten  sich  sogar  nicht  vor  ver- 
wesendem Aase ;  ja  sie  verschmähten  nicht  einmal  die  Hunde  ^). 

158  Jeder  Frevel  war  ihnen  in.  der  Todesstunde  erlaubt.  Denn 
es  giebt  nichts  so  Schweres,  was  nicht  die  Not  zuletzt  geböte. 
Als  sie  schliesslich  durch  den  Hunger  ganz  erschöpft  waren, 
trat  ein  allgemeines  Sterben  ein.  Unaufhörlich  wurden 
Leichen  bestattet,  alle ,  fürchteten  den  .  Tod  und  keiner  er- 
barmte sich  der  Sterbenden.  Die  Angst  hatte  alle  Mensch- 
lichkeit verbannt.  Zuerst  Hessen  nur  die  Reiterabteilungen 
allmählich  den  König  im  Stich,  dann  löste  sich  Schar  für 
Schar  das  ganze  Heer  auf.  Es  verliess  ihn  auch  der  Seher 
Uggerus^),  ein  Mann  von  unbekanntem  Alter,  welches  weit 
über  das  menschliche  Ziel,  hinausreichte;  er  suchte  als  Ueber- 
läufer  Frotho  auf  und  berichtete  ihm  alles,  was  von  den 
Hunnen  geplant  wurde. 

Unterdessen  näherte  sich  Hithinus,  der  König  eines 
ziemlich  bedeutenden  norwegischen  Stammes,  mit  hundert- 
fünfzig Schiffen  der  Flotte  Frothos').     Von  diesen   wählte 


*)  Vgl.  die  ähnliche  Schilderung  I,  S.  43. 

*)  Anrdr.  Yggr  =  der  Schrecker  ist  ein  Beiname  Odins ;  doch  er- 
kennt dies  Saxo  nicht  mehr. 

')  Hiermit  beginnt  die  Erzählung  der  Hildesage,  deren  Darstellung 
sich  als  ein  Versuch  erweist,  dänisches  und  norwegisches  Sagengut  zu 
verquicken  (Olrik  II,  191  ff.,  bes.  S.  195  6).  Den  entsprechenden  Bericht 
der  Snorraedda  s.  bei  Gering  S.  384  5  mit  den  Anmerkungen.  Ueber  die 
Hilde-Gudrunsage  (vou  der  aber  nur  der  erste  Teil  im  Norden  bekannt 
ist)  s.  Symons  i.  (»rdr.*  III,  709  ff.  -  Hithinus  (anrd.  HeÖinn)  ist  mhd. 
Hettel. 


Aufreibung  des  Hunnenheeres;  Hithinus  und  Hög^nus.  253 

er  zwölf  aus  und  fuhr  noch  näher  heran,  indem  er  zum  Zeichen, 
dass  Bundesgenossen  herankämen,  einen  Schild  oben  am 
Mäste  aufhängte  ^).  So  brachte  er  dem  König  eine  beträchtliche 
Verstärkung  zu  seinen  Truppen  und  trat  in  ein  inniges 
Freundschaftsverhältnis  zu  ihm.  Später  verliebten  sich  inein- 
ander eben  dieser  Mann  und  Hilda,  die  Tochter  des  Jüten- 
fursten  Höginus^),  eine  weitberühmte  Jungfrau.  Noch  ohne 
dass  sie  sich  gesehen,  hatte  sie  die  Kunde  über  sie  für  ein- 
ander entflammt.  Sobald  sie  aber  Gelegenheit  fanden,  ein- 
ander anzuschauen,  konnte  keines  mehr  den  Blick  vom  andern 
abwenden;  so  heftige  Liebe  hielt  ihre  Augen  gefesselt. 

Inzwischen  hatte  Frotho  seine  Truppen  in  den  Ort- 
schaften verteilt  und  sorgte  umsichtig  für  die  Herbeischaffung 
der  für  den  Winter  notwendigen  Vorräte  und  Lebensmittel. 
Aber  trotzdem  war  er  nicht  im  stände,  das  Heer,  dessen  239 
Unterhalt  eine  grosse  Last  war,  völlig  zu  versehen;  so  trat 
denn  ein  Verderben  ein ,  beinahe  ebenso  gross  wie  jene 
Niederlage  der  Hunnen.  Da  schickte  er,  um  dem  Andrang 
von  Neuankömmlingen  zu  steuern,  eine  Flotte  unter  der 
Führung  des  Revillus  und  Mevillus*)  in  die  Elbe;  sie 
sollte  Sorge  tragen,  dass  niemand  mehr  übersetze.  Gegen 
Ende  des  Winters  beschlossen  Hithinus  und  Höginus  einen 
gemeinschaftlichen  Raubzug  zu  unternehmen;  denn  Höginus 
wusste  nicht,  dass  sein  Gefährte  seine  Tochter  liebe.  Dieser 
besass  aber  einen  stattlichen  Körperbau  und  ein  lebhaftes 
Gemüt.  Hithinus  hatte  zwar  auch  eine  gute  Gestalt,  war 
aber  etwas  klein.  Als  übrigens  Frotho  merkte,  dass  die 
Möglichkeit,  sein  Heer  zu  unterhalten,  von  Tag  zu  Tag 
schwieriger  wurde,  schickte  er  Rolle rus  nach  Norwegen, 
Olimarus   nach   Schweden,   und   König  Oenewus   wie  den 


^)  Vgl.  TTY,  S.  114,  Anm.  2;  aus  der  vorliegenden  Stelle  geht  übrigens 
klar  hervor,  dass  die  Farbe  des  Schildes  keine  Rolle  spielt. 

*)  Nrd.  HÖgni.  in  deutscher  Form  Hagen. 

')  Diese  (oder  wenigstens  ähnliche)  Namen  begegnen  nur  noch  in 
dem  Voi-zeichnisse  der  Seekönige  in  der  Snorraedda  als  Revill  und  Mettill 
(Skaldskaparm.  Kap.  75,  ed.  Arnamagn.  I,  S.  547,  548). 


254  Fünftes  Buch. 

Wikingerhäuptling  Glomerus  nach  den  Orcaden^),  um 
Proviant  herbeizuholen,  und  wies  jedem  seine  eigenen  Truppen 
zu.  Dreissig  Könige  folgten  Frotho,  die  ihm  in  Freundschaft 
und  Gehorsam  huldigten.     Als  nun  Hun  vernahm,   Frotho 

159  habe  seine  Streitkräfte  entlassen,  rüstete  er  ein  anderes, 
neues  Heer  aus.  Höginus  aber  verlobte  seine  Tochter  mit 
Hithinus,  und  beide  schwuren  sich  gegenseitig,  wenn  einer 
von  ihnen  durch  das  Schwert  falle,  so  sollte  ihn  der  andere 
rächen. 

Im  Herbste  kehrten  die  nach  Proviant  Ausgeschickten 
zurück  und  zwar  noch  reicher  an  Siegeszeichen  als  an  Lebens- 
mitteln. Rollerus  hatte  nämlich  die  Provinzen  Sunmoria 
und  Normoria^)  tributpflichtig  gemacht,  nachdem  er  ihren 
König  Arthorius^)  getötet.  Olimarus  hatte  Thorus  den 
Langen*),  den  König  der  Jamten^)  und  Helsingier,  sowie 
zwei  andere,  nicht  minder  mächtige  Fürsten  besiegt  und 
Estland,  Kurland,  Oelandien*)  sowie  die  Schweden  vor- 
gelagerten Inseln  unterworfen,  sodass  er  als  der  berühmteste 
Bezwinger  des  Barbarenlaudes  triumphierte.  So  brachte  er 
auch   700  Schiffe   zurück,   doppelt  soviel,   als  er  mitgeführt. 

240  Auch  Oenef  und  Glomerus,  Hithinus  und  Höginus  hatten 
Siege  auf  den  Orcaden  errungen.  Diese  kehrten  mit 
900  Schiffen  zurück.  Nunmehr  waren  aber  schon  von  weit 
und  breit  Lebensmittel  eingetroffen,  andre  hatten  mehr  noch 
durch  Raub  zusammengebracht  und  die  Vorräte  reichten  völlig 
aus,  die  Truppen  zu  unterhalten.  Uebrigens  waren  Frothos 
Herrschaft  noch  zwanzig  Reiche  zugefallen,  deren  Könige.» 
vereint  mit  den  oben  genannten  dreissig,  auf  Reiten  der  Dänen 
Kriegsdienste  leisteten.     Im  Vertrauen  auf  diese  Streitkräfte 


*)  D.  8.  die  Orkneys,   eine  Inselgruppe  im   Norden  von   Schottland. 
*)  D.  i.  jetzt  Söndmöre  und  Nordmöre  in  Norwegen. 
*)  Man  hat  wohl  richtiger    an   den   in  Norwegen  ziemlich  häufigen 
Namen  Arnthor  als  an  den  sagenhaften  Britenkönig  Arthur  zu  denken. 

*)  Eine  Persönlichkeit,  über  die  sich  nichts  Näheres  feststellen  lässt. 
*)  Die  Jamti  sind  die  Bewohner  der  schwedischen  Provinz  Jemtland; 
über  Helsingien  s.  I,  44.  Anm.  2. 

•)  Violleicht  derselbe  Platz    wie  Holandia,   B.  IV,  S.  169  (Anm.  4). 


HeeresverstärkuDg,  Ttägig^e  Schlacht,  Frothos  Sieg^.  255 

nun  wurde  eine  ScMacht  mit  den  Hunnen  begonnen.  Am 
ersten  Tage  derselben  wurde  ein  solches  Gemetzel  nnter  den 
Kämpfenden  angerichtet,  dass  die  drei  Hauptflüsse  von  Russ- 
land von  den  Leichen  Wie  von  einer  Brücke  überdeckt  und 
vollständig  überschreitbar  waren.  Ausserdem  konnte  man 
einen  so  weiten  Raum,  als  man  in  drei  Tagen  zu  Pferde  zu 
durchmessen  vermag,  von  Menschenleichen  angefüllt  sehen. 
So  umfangreich  waren  die  Spuren  des  Blutbades.  Als  sich 
die  Schlacht  sieben  Tage  hingezogen  hatte^  fiel  König  Hun; 
sobald  sein  Bruder,  der  denselben  Namen  trug^  sah,  wie  die 
Reihen  der  Hunnen  wankten,  zögerte  er  nicht,  sich  mit  seiner 
Schar  zu  ergeben.  In  diesem  Kriege  unterwarfen  sich 
170  Könige,  welche  entweder  aus  dem  Hunnenreiche  stammten 
oder  den  Hunnen  Kriegsdienste  leisteten,  König  Frotho.  Diese 
Zahl  hatte  Frotho  schon  vorher  bei  der  Angabe  der  Feld- 
zeichen fes%estellt,  als  er  auf  Frothos  Aufforderung  die 
Stärke  der  Hunnen  ausforschte.  Frotho  berief  nun  die 
Könige  zu  einer  Versammlung  und  legte  ihnen  die  Verpflich- 
tung auf,  alle  unter  einem  und  demselben  Rechte  zu  leben. 
Olimarus  belehnte  er  mit  Holmgardien^),  Oenef  mit 
Coenogardien^),  seinem  Gefangenen  Hun  wies  er  Sachsen 
zu,  Revillus  gab  er  die  Orcaden.  Die  Provinzen  der  Helsin- 
gier,  Jarnberer^)  und  Jamten  nebst  den  beiden  Lappien^)  241 
überliess  er  einem  gewissen  Dimarus  zur  Verwaltung. 
Dag  US  übertrug  er  die  Statthalterschaft  über  Estland. 
Jedem  von  ihnen  erlegte  er  noch  bestimmte  Bedingungen  zur 
Zahlung  eines  Tributes  auf  und  verband  so  mit  seinen  Gnaden- 
beweisen die  Verpflichtung  zum  Gehorsam.  So  erstreckte 
sich  nun  Frothos  Reich  im  Osten  bis  Russland,  während  es  loo 
im  Westen  vom  Rheine  begrenzt  wurde. 

Unterdessen  wurde  Hit  hin  us  durch  die  Lästerzungen 
einiger  Leute  bei  Höginus  beschuldigt,  als  habe  er  dessen 
Tochter  vor  der  Hochzeitsfeier  verführt  und  entehrt,  was  da- 


^)  Im  nördlichen  Russland ;  das  letztgenannte  heisst  bei  den  Isländern 
Kaenugard. 

^)  Jarnberaland  ist  Dalekarlien  in  Schweden. 

')  Lappland,  welches  sich  der  Erzähler  in  zwei  Hälften  zerteilt  denkt. 


256  Fünftes  Buch. 

mals  bei  allen  Völkern  für  einen  Ungeheuern  Frevel  galt. 
Höginu8  öifnete  nun  leichtgläubig  der  falschen  Nachricht 
sein  Ohr,  griff  Hithinus,  der  bei  den  Slaven  die  Abgaben 
für  den  König  eintrieb,  mit  seiner  Flotte  an,  wurde  aber  in 
dem  Gefecht  geschlagen  und  begab  sich  nach  Jütland.  So 
hatte  ein  innerer  Krieg  den  von  Frotho  gebotenen  Frieden 
gebrochen,  und  die  Eingeborenen  vergingen  sich  zuerst  gegen 
des  Königs  Gesetz.  Deshalb  Hess  sie  Frotho  sogleich  durch 
Abgesandte  beide  herbeiholen  und  forschte  sehr  eindringlich 
nach  dem  Grunde  ihrer  Feindschaft.  Als  er  ihn  erfuhr,  er- 
kannte er  nach  dem  Wortlaut  des  von  ihm  gegebenen  Gesetzes. 
Da  er  aber  sah,  dass  sie  auch  so  nicht  versöhnt  werden 
konnten,  weil  der  Vater  gar  zu  hartnäckig  seine  Tochter 
wiederforderte,  gebot  er  den  Streit  mit  dem  Schwerte  auszu- 
tragen. Denn  das  schien  das  einzige  Mittel,  ihren  Zwist  zu 
schlichten.  Gleich  im  Beginn  des  Kampfes  ward  Hithinus 
von  einem  gewaltigen  Schlage  niedergestreckt,  und  Blut  und 
Kräfte  verliessen  ihn  zugleich;  da  erfuhr  er  eine  unverhoffte 
Milde  von  seinem  Feinde.  Denn  obgleich  Höginus  die  beste 
Gelegenheit  hatte,  ihn  zu  töten,  zwang  er  dennoch  aus  Er- 
barmen mit  seiner  Schönheit  und  Jugend  seine  Wut  der 
Nachsicht  zu  weichen.  Daher  steckte  er  sein  Schwert  ein 
und  tötete  den  Jüngling,  der  in  den  letzten  Zügen  lag,  nicht. 
Denn  einst  galt  es  als  eine  Schmach,  einen  Unerwachsenen 
oder  Kampfunfähigen  des  Lebens  zu  berauben.  Sosehr  wahrte 
im  Altertum  die  Tapferkeit  der  Kämpen  alles,  was  die  Ehre 
betraf.  Hithinus  ward  nun  von  seinen  Gefährten  aufs 
Schiff  gebracht  und  durch  die  Gnade  seines  Feindes  gerettet. 
242  Sieben  Jahre  später  aber  begannen  sie  auf  der  Insel  H  ithinsö  ^) 
wieder  eine  Schlacht  und  erlagen  beide  ihren  Wunden,  die 
sie  sich  gegenseitig  beibrachten.  Höginus  wäre  also  glück- 
lich gewesen,  wenn  er  an  dem  einmal  besiegten  Hithinus 
lieber  Strenge  als  Gnade  geübt  hätte.  Man  berichtet  aber, 
Hilda  sei  von  solcher  Leidenschaft  zu  ihrem  Gatten  entflammt 


*)  D.  i.  jetzt  Hiddensee  an  der  Westküste  von  Rügten;  andere  nordische 
Berichte  verlegen  den  Kampf  auf  Haey,  eine  der  Orkneys,  deutsche  Ueber- 
licferung  nach  dem  Wülpensand  an  der  Scheldemündunf^. 


HöginuB  u.  Hithinus;  Krieg  zwischen  Alricus  u.  Gestiblindus.     257 

gewesen,  das»  von  ihr  die  Sage  ging,  sie  habe  bei  Nacht  die 
Geister  der  Gefallenen  durch  Zauberlieder  wieder  auferweckt, 
um  die  Schlacht  zu  erneuern^). 

Zu  derselben  Zeit  entbrannte  ein  blutiger  Krieg  zwischen 
Alri^us,  dem  Könige  der  Schweden,  und  dem  Könige  der 
Götl&nder,  Gestiblindus*)..  Dieser  war  der  Schwächere 
und  kam  als  Bittender  zu  Frotho,  um  sich  und  sein  Reich 
ihm  zu  übergeben,  wenn  er  Hilfe  erhielte.  Es  wurden  ihm 
alsbald  Skalk^)  aus  Schonen  und  Ericus  zur  Unterstützung 
beigegeben,  und  er  konnte  mit  einer  Verstärkung  seines 
Heeres  heimkehren.  Als  er  nun  beschloss,  mit  seinen  Truppen 
einen  Vorstoss  gegen  Alricus  zu  unternehmen,  meinte  loi 
Ericus,  er  müsste  zuerst  dessen  Sohn  Gunthionus,  den 
Statthalter  der  Wermen*)  und  Solonger*),  angreifen.  Denn 
der  vom  Unwetter  ermattete  Schiifer  müsse  am  nftchsten 
Strande  landen"";  ausserdem  grüne  nur  selten  ein  Stamm  ohne 
Wurzeln*.  So  wurde  denn  ein  Angriff  unternommen,  in  dem 
Gunthionus  fiel;  sein  Grabhügel  erinnert  noch  an  seinen 
Namen.  Als  Alricus  von  dem  Tode  seines  Sohnes  hörte, 
eilte  er,  ihn  zu  rächen.  Sobald  er  die  Feinde  erblickte,  liess 
er  Ericus  zu  einer  geheimen  Unterredung  herbeiholen,  er- 
innerte ihn  an  die  Bündnisse  ihrer  Väter  und  bat  ihn,  doch 


^)  Dieser  Schiusa  ist  hier  das  einzige  Mythische  in  der  Sage,  die 
Saxo  sonst  als  geschichtliche  Thatsache  berichtet;  unter  dem  Mythus  glaubt 
man  den  ewig  sich  erneuenden  Kampf  zwischen  Licht  und  Finst-ernis,  Tag 
und  Nacht,  zu  erkennen. 

*)  lieber  die  folgende  Geschichte,  eine  altschwedische  Königssage, 
den  Kampf  zwischen  Ericus  und  Alricus,  s.  Olrik  II,  53;  55 — 59.  Olrik 
w^eiss  auch  mit  grossem  Scharfsinn  einen  Zusammenhang  unserer  Er- 
zählung mit  einem  Berichte  der  Ynglingasaga  herzustellen,  während  von 
Hüller  noch  nur  eine  Uebereinstimmung  in  den  Namen  angenommen 
wurde.  —  Gestiblindus  erscheint  in  der  isländischen  (Hervarar-)  Sage  als 
Name  Odins  (Gestumblindi). 

')  Hier  eine  stumme  und  nicht  handelnde  Person,  die  wohl  nur  von 
dem  letzten  Bearbeiter  der  Sage  eingeführt  wurde,  um  einen,  wenn  auch 
nur  äusserlichen  Zusammenhang  mit  Dänemark  herzustellen. 

*)  Bewohner  der  Provinz  AVermland  am  Wenenisee  in  Schweden. 

')  Die  Bewohner  der  später  genannten  Solöer  (Sonneninseln),  einer 
Gegend  im  südöstlichen  Norwegen,  an  der  schwedischen  Grenze. 
Sazo  Grammatictti.  17 


258  Fünftes  ßuch. 

den  Dienst  des  Gestiblindus  zu  verlassen.  Da  sich  Ericus 
dem  standhaft  widersetzte,  verlangte  er  mit  Gestiblindus  zu 
kämpfen,  denn  er  hielt  einen  Zweikampf  für  besser  als  eine 
allgemeine  Schlacht.  Ericus  erwiderte,  dieser  sei  in  seinem 
243  Greisenalter  der  Waffen  entwöhnt,  und  führte  zugleich  mit 
seinen  hohen  Jahren  seinen  traurigen  Gesundheitszustand  als 
Entschuldigung  an,  erbot  sich  aber,  an  seiner  Stelle  zu 
kämpfen;  denn  er  hielt  es  für  schimpflich,  sich  einem  Zwei- 
kampf für  den  zu  entziehen,  zu  dessen  Unterstützung  im 
Kriege  er  doch  gekommen  war.  Ohne  Zögern  wurde  nun 
sogleich  gefochten.  Alricus  fiel  und  Ericus  wurde  aufs 
schwerste  verwundet.  Kaum  konnte  man  Heilmittel  für  ihn 
finden,  und  erst  spät  erlangte  er  seine  Kräfte  wieder.  Frotho 
hatte  aber  ein  falsches  Gerücht  die  Kunde  von  seinem  Tode 
gebracht,  und  das  erfüllte  das  Gemüt  des  Königs  mit  grossem 
Kummer.  Diese  Trauer  aber  zerstreute  Ericus  durch  eine 
glückliche  Rückkehr,  denn  er  verkündete  zugleich,  dass 
Schweden,  Wermland  [Helsingien]  und  die  Sonneninseln  durch 
ihn  zu  der  Herrschaft  Frothos  hinzugekommen  seien.  Frotho 
machte  ihn  sogleich  zum  König  über  die  von  ihm  unter- 
worfenen Völker  und  verlieh  ihm  noch  ausserdem  Helsingien 
mit  den  beiden  Lappien,  Finnland  und  Estland  gegen  einen 
jährlichen  Tribut.  Vor  ihm  hiess  keiner  der  schwedischen 
Könige  Ericus,  von  ihm  aber  ging  dieser  Name  auf  die 
spateren  über. 

Zu  derselben  Zeit  herrschte  in  Hetmarchien  ^)  Alf, 
der  einen  Sohn  Asmundus  hatte,  und  in  der  Provinz  Wik') 
Biomo,  dessen  Sohn  Aswitus  hiess.  Da  geschah  es  einst 
Asmundus,  während  er  bei  einer  wenig  ergiebigen  Jagd 
beschäftigt   war,    das  Wild    mit    Hunden  zu  hetzen  oder  in 


*)  D.  j.  Hedemarken  in  Norwegen.  —  Hier  bej?innt  die  Schilderung  von 
Frodes  Zug  gegen  Norwegen.  Damit  verwoben  ist  die  norwegische  Sage 
von  Asmiind  und  Aswit.  Andere  Fassungen  derselben  Geschichte  bieten 
noch  die  Sage  von  Harald  Häri'agri  Kap.  8,  die  Landnamabok  II,  6  und 
die  Sage  von  Kgill  und  Asmund  in  den  Fornaldar  sr»gur  NorÖrl.  III; 
3«5ff.   Vgl.Olrikll,  53;  Uhland  Schrift.  VII.  217ff.  Müllers  Ausgabe  II,  163. 

*)  D.  i.  der  südliche  Teil  von  (lötland. 


Alricus  u.  Ericus;  Asmundiis  u.  Aswitus.  259 

Netzen  zu  fangen,  dass  ihn  plötzlich  ein  Nebel  überfiel  und 
er  sich  auf  einem  umwegsamen  Pfade  ziemlich  weit  von  seinen 
Jagdgefährten  entfernte.  Er  schweifte  endlich  über  öde 
Bergesjoche,  verlor  sein  Ross  und  seine  Kleider  und  musste 
sich  schliesslich  von  Schwämmen  und  Wurzeln  nähren.  Zu- 
letzt gelangte  er  auf  seinem  Wege  zufällig  zu  dem  Hause  des 
Königs  ßiorno.  Als  nun  er  und  der  Sohn  des  Königs  einige 
Zeit  miteinander  verlebt  hatten,  da  beschworen  sie  zur  Be- 
stätigung der  Pflege  ihrer  Freundschaft  mit  allen  Gelübden, 
dass  derjenige  von  ihnen,  welcher  länger  am  Leben  bliebe,  244 
mit  dem  Verstorbenen  sich  begraben  lassen  werde.  Denn  es  i^^ 
lag  eine  solche  Leidenschaft  in  ihrem  Freundschaftsbündnis, 
dass  keiner  von  beiden,  wenn  der  andre  vom  Schicksal  hin- 
gerafft wäre,  länger  das  Leben  gemessen  wollte^). 

Darnach  sammelte  Frotho  ein  Heer  aus  allen  ihm  unter- 
worfenen Völkern  und  segelte  mit  seiner  Flotte  nach  Nor- 
wegen, während  Ericus  mit  der  Leitung  des  Landheeres 
betraut  wurde ;  denn  nach  der  Art  menschlicher  Leidenschaft 
strebte  der  König,  jemehr  er  besass,  nach  immer  noch  mehr 
und  gab  nicht  zu,  dass  selbst  der  ödeste  und  unwirtlichste 
Teil  des  Erdkreises  von  einer  Beunruhigung  dieser  Art  ver- 
schont blieb.  So  sehr  pflegt  ein  Zuwachs  an  Macht  eine  Ver- 
grösserung  der  Habgier  zu  verursachen.  Die  Norweger  nun 
gaben  die  Hoffnung  auf  Verteidigung  auf,  verzweifelten  an 
ihrer  Fähigkeit  sich  zu  widersetzen  und  begannen  zum  grössten 
Teil  in  das  Gebiet  von  Halogien^)  zu  fliehen.  Auch  die 
Jungfrau  Stikla')  entfernte  sich,  um  ihre  Keuschheit  zu  be- 
wahren, aus  ihrem  Vaterlande  und  rüstete  sich  lieber  zum 
Kriege  als  zur  Hochzeit. 

Unterdessen  wurde  Aswitus  von  einer  Krankheit  hin- 
gerafft und   ward   mit   seinem  Hunde   und  Rosse*)   in   einer 


^)  Ein  Beispiel  besonders  inniger  Blutbrüderschaft:  s.  I,  S.  34  Anm.  4. 

»)  S.  ni,  S.  114  Anm.  3. 

')  Dasselbe  Kampfmädchen   begegnet   nochmals  VU,  2i9   (Holder), 
vgl.  auch  U,  63  Anm.  5. 

*)  Das  ist  gemeingermanisclie   Sitte;   auch  Falken   werden   als  Bei- 
gabe Toter  er^'ähnt.    Vgl.  auch  oben  S.  250  Anm.  2. 

17* 


260  Fünftes  Buch. 

Erdhöhle  begraben.  Asmundus  gewann  es  über  sich,  sieh 
wegen  ihres  Freundschaftseides  mit  ihm  bestatten  zu  lassen, 
und  es  wurde  ihm  Speise  und  Trank  mitgegeben,  womit  er 
sich  ernähren  sollte.  Ericus  hatte  nun  schon  mit  seinem 
Heer«  die  oberhalb  gelegenen  Gegenden  durchzogen  und  Icam 
nun  zufällig  zu  des  Aswitus  Grabmal.  Da  die  Schweden 
glaubten,  es  seien  Schätze  darin,  wühlten  sie  mit  Hacicen  den 
Hügel  auf.  So  sahen  sie  denn  nun,  wie  sich  eine  Höhle  von 
unerwarteter  Tiefe  vor  ihnen  öffnete.  Um  sie  zu  untersuchen, 
musste  sich  ein  Mann  einen  Strick  um  den  Leib  binden  und 
daran  herunterlassen.  Durch  das  Los  wurde  einer  von  den 
tapfersten  Jünglingen  dazu  bestimmt.  Als  nun  Asmundus 
sah,  wie  dieser  in  einem  Tragekorb,  der  an  einem  Seile  be- 
festigt war,  herunterbefördert  wurde,  warf  er  ihn  sogleich 
heraus  und  stieg  selbst  in  den  Korb.  Dann  gab  er  denen, 
die  oben  dastanden  und  das  Seil  hielten,  das  Zeichen,  ihn 
245  heraufzuziehen.  Diese  thaten  das  auch  in  der  Hoffnung,  eine 
grosse  Menge  Geld  darin  zu  finden.  Als  sie  aber  das  unbe- 
kannte Antlitz  des  empor  Beförderten  sahen,  erschraken  sie 
über  den  ungewohnten  Anblick,  meinten,  ein  Toter  sei  auf- 
erstanden, warfen  den  Strick  weg  und  flohen  nach  allen  Rich- 
tungen. Denn  Asmundus'  Gesicht  war  in  einem  schrecklichen 
Zustande  und  schien  ganz  wie  mit  Leichenmoder  bedeckt. 
Er  versuchte  die  Fliehenden  zurückzuhalten  und  begann  zu 
rufen,  sie  fürchteten  sich  ganz  ohne  Grund  vor  einem  Leben- 
den. Als  ihn  Ericus  sah,  wunderte  er  sich  am  meisten 
über  das  Aussehen  seines  blutigen  Gesichts.  Denn  auf  seinem 
Antlitz  vorn  schimmerte  Blut.  Aswitus  war  nämlich  bei 
Nacht  wieder  aufgelebt  und  hatte  ihm  in  hartem  Kampfe  das 
linke  Ohr  abgerissen^).  Daher  rührte  das  grässliche  Schau- 
spiel der  noch  frischen  und  blutigen  Narbe.  Von  den  Um- 
stehenden aufgefordert,  die  Veranlassung  seiner  Verwundung 
zu  berichten,  begann  er  folgendermassen  zu  reden: 


*)  Diese  Angabo  entspricht  der  im  Altertum  ganz  verbreiteten  An- 
Bchauung  von  dem  Wiedererwachen  Toter,  die  dann  als  schädigende  Ge- 
spenster umgehen;  s.  die  Litteraturangaben  II,  S.05  Anm.  5  u.  S.  t>8  Anm.  3. 


Asmundus.  261 

„Was  staunt  ihr,  dass  ihr  mich  ohne  Farbe  seht?  Jeder  les 
Lebendige  verliert  doch  sein  Aussehen  unter  den  Toten. 
Schlimm  für  den  Einsamen,  schwer  für  den  Einzelnen  ist  das 
Haus,  das  alle  Welt  aufnimmt^).  Elend  sind  die,  welche  das 
Elend  menschlicher  Unterstützung  beraubt  hat.  Die  Höhle 
und  die  träge  Nacht,  die  Finsternis  und  die  alte  Grotte  haben 
mir  für  Augen  und  Sinn  alle  Anmut  entrissen.  Der  schaurige 
Erdboden,  der  grausige  Grabhügel  und  die  schwere  Flut  von 
Unrat  haben  die  Schönheit  meines  jugendlichen  Antlitzes  ge- 
mindert, mein  Aussehen  geschändet  und  meine  gewöhnliche 
Kraft  geschwächt.  Ueberdies  habe  ich  noch  mit  einem  Toten 
gestritten  und  die  schwere  Last  und  unendliche  Gefahr  eines 
Ringkampfes  mit  ihm  auf  mich  genommen.  Mit  seinen  Klauen 
stürzte  sich  Aswit,  wieder  belebt,  auf  mich,  um  mich  zu  zer- 
fleischen, und  mit  höllischen  Kräften  begann  er  nach  seinem 
Begräbnis  den  schrecklichen  Krieg. 

Was   staunt   ihr,   dass   ihr   mich   ohne  Farbe   erblickt? 
Jeder  Lebendige  verliert  doch  sein  Aussehen  unter  den  Toten. 

Durch  irgend  ein  unerhörtes  Wagnis  einer  höllischen  246 
Gottheit  ward  Aswits  Geist  von  den  Unterirdischen  gesandt 
und  verzehrte  mit  grausamen  Zähnen  das  schnellfüssige  ^) 
Ross  und  bot  seinem  verruchten  Munde  den  Hund.  Und  nicht 
zufrieden  mit  dem  Frass  des  Pferdes  und  Hundes,  wandte  er 
sogleich  auf  mich  die  raschen  Klauen,  zerfleischte  mir  die 
Wange  und  entriss  mir  ein  Ohr;  daher  der  schauerliche  An- 
blick meines  Gesichts;  es  leuchtet  das  Blut  in  der  grausen 
Wunde.  Doch  nicht  ungestraft  handelte  das  Ungeheuer;  denn 
sogleich  hieb  ich  ihm  mit  dem  Schwerte  das  Haupt  ab  und 
durchbohrte  seinen  schuldigen  Leib  mit  einem  Pfahl  ^). 


^)  So  übersetze  ich  omnis  domus  orbis,  indem  ich  omnis  orbis  als 
gen.  obj.,  abhängig  von  domus  fasse  und  darunter  die  Unterwelt,  das 
Totenreich  verstehe.  Elton  übersetzt  nach  Müller,  „Every  dwelling  in  the 
World." 

*)  Hier  natürlich  nur  stehendes  (schmückendes)  dem  Lateinischen  ent- 
lehntes Beiwort,  (eigentl.  flügelfüssig  =  alipes) ;  dasselbe  findet  sich  übrigens 
auch  in  dem  LiedeVI,  215,2  (Holder). 

•)  Vgl.  I,  39  Anm.  2. 


'Ji'rJ  FuLsfies  Buch. 

Wai5  staunt  ihr.  dass  ihr  mich  ohne  Farbe  erblickt? 
Jeder  I^ebeudige  verliert  doch  sein  Aussehen  unter  den 
Toten  ^j-. 

Frotho  war  nun  sHion  mit  seiner  Flotte  in  das  Gebiet 
von  Halogien  gelaDg:t  und  hier  befahl  er.  um  eine  Vorstellung 
Ton  der  Menge  seiner  Scharen  zu  bekommen,  die  jeden  Be- 
griff von  Ma.ss  und  Zahl  zu  übertreffen  schien,  dass  seine 
Soldaten  einen  Hügel  aufschütteten,  indem  jeder  Mann  einen 
Stein  auf  einen  Haufen  werfen  sollte.  Dasselbe  Verfahren 
beoba^.'htete  auch  der  Feinde  um  sein  Heer  zu  zahlen,  und 
noch  sind  die  Hügel  zu  sehen  und  bieten  dem  Besucher  ein 
Zeugnis  für  die  Wahrheit*).     Hier  lieferte  Frotho  den  Nor- 

164  wegeru  eine  Schlacht  und  führte  einen  gar  blutigen  Tag 
herbei.  In  der  Xacht  waren  beide  Parteien  auf  den  Rückzug 
bedacht.  Als  die  Morgendämmerung  heranbrach«  hatte  Ericus 
diese  Gegend  schon  durcheilt  und  stiess  zum  Könige:  er  riet 
ihm  d^-n  Kampf  zu  erneuem.  In  diesem  Treffen  erlitten  nun 
die  Dänen  einen  so  grossen  Verlust,  dass  von  ihren 
'i(XH)  Srhiffeu  nur  170  übrig  geblieben  sein  sollen.  Die  Nor- 
weK»*r  aber  wurden  durch  das  masslose  Gemetzel  so  aufge- 
rieben, dass.  wie  das  Gerücht  geht,  nicht  einmal  für  den 
fünften  Teil  ihrer  Dörfer  Bewohner  übrig  blieben. 

2*7  Der  siegreiche  Frotho  wollte  nun  bei  allen  Völkern  den 

Frieden  wiederherstellen,  und  um  das  Vermögen  jedes  einzel- 
nen vor  diebisdien  Einfällen  zu  sichern  und  seinen  Reichen 
nach  dem  Kampfe  Ruhe  zu  vergönnen,  hängte  er  eine  Arm- 
spange an  einem  Felsen,  welcher  der  Frothosteiu  heisst, 
und  eine  zweite  in  der  Provinz  Wik  auf^);    darauf  hielt  er 

')  Dh'sc  Verse  bilden  <'inen  Kehrreim,  wie  er  sich  häutig  in  der 
nonliiX'hen   Pciesie  findrt :  vpl.  auch  das  Zauhorli^'d  I,  S.  33. 

*)  Derartijfe  Stciidiaufen  (aber  verschiedenen  Irsprun^s)  finden  sich 
auch  snnst  hiiufijr;  \^r\,  Saxn  Vllf,  2^'>  (Holder)  »nul  (über  (»räber)  Müller- 
.liric/ek,  \<»rd.  Altort uniskde.  I,  339. 

*)  Dii'Hor  altrrtiiinlirhe  Zug  ist  vielleicht  der  Kern  in  der  Teber- 
liefening  der  (»e.scUichte  vom  Frodefried»'n  (Olrik  II,  20 i),  an  den  sich 
alhniililirh  die  übrigen,  genaueren  Erlasse  über  die  Sicherung  des'Üigen- 
tums  angesetzt  halien.  Wo  der  Frodestein  liegt,  lüsst  sich  nicht  f^usmacheti; 
vielleicht  in  der  <»egend  von  Drontheim  (Olrik  II.  .'»3  Atmi.).    Tnten  S.  271 


Frothos  Sieg  Id  Norwegen;  Gesetze.  «263 

eine  Versammlung  der  Norweger  ab  und  sagte,  diese  Spangen 
sollten  eine  Probe  für  die  Rechtschaffenheit  liefern,  die  er 
verordnet  habe.  Zugleich  drohte  er,  wenn  sie  gestohlen 
würden,  werde  er  alle  Beamten  dieses  Bezirkes  bestrafen. 
So  wurde  also  zur  höchsten  Gefahr  der  Statthalter  das  Gold 
ohne  Bewachung  mitten  auf  Strassenkreuzungen  niedergelegt 
und  diente  als  ein  grosses  Reizmittel  für  die  Habsucht ;  denn 
die  günstige  Beute  musste  ja  geradezu  habgierige  Gemüter 
zum  Raube  verlocken.  Er  verordnete  auch^),  dass  Seefahrer 
überall,  wo  sie  Ruder  fänden,  dieselben  ohne  weiteres  ver- 
wenden dürften.  Wer  einen  Fluss  überschreiten  wollte,  sollte 
die  Freiheit  haben,  das  Pferd  zu  benutzen,  welches  er  zu- 
nächst der  Furt  vorfände.  Man  musste  aber  dann  absteigen, 
wenn  seine  Vorderfüsse  schon  den  Boden  berührten,  die 
Hinterbeine  aber  noch  das  Wasser  bespülte.  Denn  er  meinte, 
dass  solche  Gefälligkeit  zur  Bequemlichkeit  anderer  eher 
Freundlichkeit  als  Unbill  zu  nennen  sei.  Uebrigens  bestimmte 
er  auch,  dass  derjenige  der  Todesstrafe  verfalle,  der  sich  an- 
masse,  das  Pferd  nach  Ueberschreitung  des  Flusses  noch 
weiter  zu  benutzen.  Er  gebot  auch,  dass  niemand  Haus  oder 
Truhe  durch  Schlösser  sichere  oder  überhaupt  irgend  etwas 
unter  Schloss  und  Riegel  hielte,  indem  er  für  einen  Verlust 
'  dreifachen  Ersatz  versprach.  Ferner  machte  er  bekannt, 
man  dürfe  soviel  Speise  von  einem  Fremden  zur  Wegzehrung 
mitnehmen,  als  für  eine  Mahlzeit  ausreichte.  Wer  über  dieses 
Mass  hinausgehe,  solle  des  Diebstahls  schuldig  sein.  Diebe 
aber  sollten  mit  durchschnittenen  Sehnen  aufgehängt  werden  248 
und  ein  Wolf  neben  ihnen,  damit  die  Aehnlichkeit  der  Strafe 
die  Bosheit  des  Menschen  ebenso  gross  erscheinen  lasse  wie 
die  Raubgier   dieses  Tieres  ^).     Dieselbe    Strafe    sollte    auch 

wird  dieselbe  Geschichte  noch  einmal  erzählt  und  zwar  für  Jätland ;  ganz 
dieselbe  Sage  ging  übrigens  auch  von  König  Alfred  dem  Grossen  von 
England  (849—901). 

^)  Im  Anschluss  an  den  vorigen  Bericht  werden  teils  einige  neue 
Gesetze  mitgeteilt,  teils  oben  (S.  242  u.  249  ff.)  angegebene  wiederholt.  Die 
beiden  ersten  Bestimmungen  sind  wohl  altes  Rechtsgut. 

*)  Dieser  Brauch  ist  alt  und  geht  vielleicht  auf  Kultgebräuche 
zurück,  vgl.  Amira  i.  Grdr.  111,  197  u.  Saxo  VIU,  278  (Holder). 


264  Fünftes  Buch. 

gegen  die  zur  Anwendung  kommen,  welche  um  einen  Dieb- 
stahl wussten.  Hier  verlebte  er  nun  sieben  Jahre  in  glück- 
lichster Ruhe  und  bekam  einen  Sohn  Alvo  und  eine  Tochter 
Ofura. 

In  eben  diesen  Tagen  war  Arngrimus  ^),  ein  schwe- 
discher Fechter  zu  Frotbo  gekommen;  er  forderte  Skalk 
m  aus  Schonen,  weil  dieser  ihm  einst  ein  Schiff  geraubt,  zum 
Zweikampf  heraus  und  tötete  ihn.  Masslos  aufgeblasen 
über  diese  That,  begann  er  um  Frothos  Tochter  zu  werben. 
Da  er  aber  beim  Könige  verschlossene  Ohren  fand,  bat  er 
Eric  US,  der  Schweden  beherrschte,  um  Unterstützung.  Dieser 
ermahnte  ihn,  er  solle  sich  durch  irgend  eine  kühne  That 
Frothos  Gunst  gewinnen,  und  gegen  Egtherus,  den  König 
von  Biarmien,  sowie  gegen  Then^illus '),  den  König  von 
Finnimarchien,  kämpfen;  denn  während  alle  übrigen  Völker 
der  Herrschaft  der  Dänen  unterthan  waren,  waren  diese  die 
einzigen,  welche  sich  ihr  zu  entziehen  schienen.  Und  ohne 
Verzug  führte  er  sein  H^er  dorthin.  Die  Finnen*)  sind 
aber  ein  Volk  im  äussersten  Norden;  sie  sitzen  in  einem 
kaum  bewohnbaren  Teile  der  £rde  und  bebauen  ihn.  Sie 
verwenden  scharfe  Waffen,  und  kein  anderes  Volk  besitzt 
grössere  Geschicklichkeit  im  Speerwerfen.  Sie  schiessen  mit 
grossen,  breiten  Pfeilen.  Sie  treiben  eifrig  Zauberei  und 
sind  gewandt  in  der  Jagd.  Sie  haben  keine  bestimmten 
Wohnstätten  und  festen  Häuser,  sondern  wo  sie  Wild  finden, 
schlagen  sie  ihre  Sitze  auf.  Sie  fahren  auf  gekrümmten 
Brettern  ^)    und  durchziehen  so  ihre  schneebedeckten  Berge. 


')  Diese  Episode,  eine  Liebesgeschichte  mit  Heldenkämpfen  ver- 
bunden, bt  wohl  isländischer  Herkunft  und  wahrscheinlich  aus  der  Sage 
von  Halfdan  Bjargrami  (vgl.  unten  VII,  223  Holder)  entlehnt  und  hierher 
übernommen;  dort  findet  sich  auch  der  Name  Egtheus  wieder.  Amgrim 
winl  auch  erwähnt  im  Liede  von  Hyndla  Str.  28  (rr=  Gerings  Edda  S.  121 ), 
in  der  Hervarar-  und  Or^'aroddssaga. 

*)  Das  Wort  pengill  ist  im  anrd.  auch  Appellativum  in  der  Bedeutung 
Fürst,  Herrscher. 

')  üeber  die  Finnen  vgl.  Vorr.  S.  14  Anm.  1  und  dazu  noch  ß.  IX, 
309  (Holder). 

*)  Wieder  sind  Schneeschuhe  gemeint. 


Amgrimus  u.  die  Finnen.  265 

Diese  griff  Arngrimas  an,  um  sich  Ruhm  zu  erwerben  und  249 
überwältigte  sie.  Als  sie  sich  nach  unglücklichem  Kampfe 
auf  der  Flucht  zerstreuten,  warfen  sie  drei  Steinchen  hinter 
sich  und  bewirkten,  dass  diese  den  Feinden  als  ebenso  viele 
Berge  erschienen.  Arngrimus  Hess  sich  auch  durch  dieses 
Trugbild  täuschen  und  rief  sein  Heer  von  der  Verfolgung 
der  Feinde  zurück,  in  der  Meinung,  er  sei  durch  die  da- 
zwischen liegenden  gewaltigen  Bergmassen  gehemmt.  Als 
sie  am  folgenden  Tage  wieder  zusammenstiessen  und  die 
Finnen  besiegt  wurden,  warfen  diese  Schnee  auf  die  Erde 
und  gaben  ihm  das  Aussehen  eines  grossen  Stromes.  Durch 
diese  Vorspiegelung  wurden  die  Schweden  wieder  getäuscht 
und  hinters  Licht  geführt,  denn  es  schien  ihnen  ein  unge- 
wöhnlicher Wasserschwall  entgegen  zu  brausen.  Während 
also  der  Sieger  vor  dem  wesenlosen  Bilde  der  Wogen  zurück- 
schreckte, gelang  den  Finnen  die  Flucht.  Am  dritten  Tage 
erneuerten  sie  wiederum  den  Kampf,  aber  jetzt  hatten  sie 
kein  wirksames  Mittel  mehr,  zu  entkommen.  Als  sie  daher 
sahen,  wie  ihre  Reihen  wankten,  ergaben  sie  sich  der  Gnade 
des  Siegers.  Arngrimus  Hess  nun  die  Zahl  der  Finnen 
feststellen  und  legte  ihnen  einen  Tribut  in  der  Gestalt  auf, 
dass  immer* je  zehn  nach  Ablauf  von  drei  Jahren  eiuen 
Wagen  voll  Tierfelle  als  Abgabe  liefern  sollten.  Dann  for- 
derte er  Egtherus,  den  Fürsten  der  Biarmier,  zum  Zwei- 
kampf heraus,  besiegte  ihn  darin  und  stellte  die  Bedingung, 
dass  die  Biarmier  Mann  für  Mann  jeder  ein  Tierfell  abzu- 
geben hätten.  Darauf  kehrte  er  mit  dieser  Beute  und  diesen 
Trophäen  zu  Ericus  zurück.  Dieser  begleitete  ihn  nach 
Dänemark,  rühmte  den  jungen  Mann  höchlich  vor  Frotho 
und  sagte  ihm,  er  sei  wohl  einer  Königstochter  wert,  da  er 
ja  die  äussersten  Grenzen  der  Menschheit  seiner  Herrschaft 
zugefügt  hätte.  Frotho  zog  auch  seine  hervorragenden  Ver-  ^^^ 
dienste  in  Betracht  und  hielt  es  nicht  für  unangemessen,  den 
zu  seinem  Schwiegersohne  zu  machen,  der  sich  durch  solche 
Ruhmesthaten  aHgemeinen  und  weitverbreiteten  Ruhm  ge- 
schaffen. 

Arngrimus    bekam    von   Ofura   zwölf   Söhne,    deren  250 


266  Fünftes  Buch. 

Namen  ich,  wie  folgt,  aiifgeschriebeu  habe:  Brander,  Biarbi, 
Brodder,  Hiarrandi,  Tander,  Tirwingar,  zwei  Hadinge,  Hiorthwan 
Hiarthwar,  Rani,  Angantir  *).  Diese  verlegten  sich  von 
Jugend  an  auf  den  Seeraub,  und  sie  fuhren  einst  zufällig 
auf  einem  einzigen  Schiffe  nach  der  Insel  Sampso^),  auf 
der  sie  am  Strande  zwei  Schüfe  der  Wikinger  Hialmerus 
und  Arwaroddus^)  fanden.  Sie  griffen  sie  an  und  töteten 
die  Ruderer,  waren  aber  ungewiss,  ob  sie  auch  die  Führer 
erschlagen  hätten.  Daher  setzten  sie  die  Leichen  der  Ge- 
fallenen jede  an  ihren  Platz  und  merkten  dabei,  dass  die 
von  ihnen  gesuchten  fehlten.  Traurig  hierüber  sahen  sie  ein, 
dass  der  gewonnene  Sieg  keinen  Strohhalm  wert  sei,  und 
dass  sie  in  der  folgenden  Schlacht  in  weit  grössere  Lebens- 
gefahr geraten  würden.  Denn  dem  Hialmerus  und 
Arwaroddus  hatte  schon  vorher  ein  Unwetter  die  Steuer 
zerbrochen  und  die  Schiffe  beschädigt,  und  sie  waren  in  einen 
Wald  gegangen,  um  sieh  ein  neues  zurechtzuhaueu;  sie  spitzten 
einen  rohen  Baumstamm  zu  und  bearbeiteten  ihn  so  lanfi^e 
mit  den  Aexten,  bis  die  gewaltige  Masse  die  Gestalt  eines 
Ruders  annahm.  Das  nahmen  sie  nun  auf  die  Schulter  und 
trugen  es,  ohne  etwas  von  dem  Unglück  ihrer  Genossen  zu 
ahnen,  zum  Strande  hinab,  wurden  dort  von  Ofuras  Söhnen, 
welche  noch  von  dem  Blute  der  Erschlagenen  trieften,  ange- 
griffen und  gezwungen,  zu  zweien  den  £ntscheidungskampf 
gegen  die  Uebermacht  zu  wagen.  Dieser  Angriff  war  nicht 
billig,  denn  zwölf  Mann  kämpften  gegen  nur  zwei.  Uebrigens 
entsprach  der  Sieg  nicht  der  Zahl.  Es  wurden  nämlich  alle 
Söhne  Ofuras  erschlagen,  und  da  auch  Hialmerus  von  deren 
Hand  fiel,  blieb  der  Ruhm  des  Sieges  nur  Arwaroddus, 
den  allein  von  der  ganzen  Schar  seiner  Gefährten  das 
Schicksal  am   Leben  erhielt.     Dieser  warf  nämlich  den  noch 


^)  Vgl.  die  Aufzählung  im  Liede  von  Hyndla  Str.  22:  dort,  sowie 
in  der  Bervarar-  (Kap.  3)  u.  Onaroddssaga  (Kap.  14)  finden  sich  einige 
Abweichungen. 

')  I).  i.  Sanisö  zwischen  Seeland  und  Jütland;  über  den  Kampf  auf 
dieser  Insel  und  das  Verhältnis  der  übrigen  Quellen  zu  Saxo  s.  Olrik  II,  59  ff. 

_  « • 

•)  D.  i.  der  Held  der  <  )rvarüddssaga. 


Arngrimus'  Söhne  u.  Arwaroddus;  Frotho  in  Britannien.         267 

recht  unförmlichen  Stamm  zu  dem  Ruder  mit  einem  solch 
unglaublichen  Schwünge  und  so  grosser  Gewalt  auf  die 
Feinde,  dass  er  alle  zwölf  mit  diesem  einzigen  Wurfe  zer- 
malmte. Obwohl  nun  so  alle  kriegerischen  Unruhen  beendet 
waren,  verschwanden  dennoch  nicht  die  Räuberschären  vom 
Ozean. 

Dieser  Umstand  veranlasste  Frotho,  dessen  einziger 
Wunsch  in  der  Ausbreitung  des  Friedens  bestand,  am  meisten, 
den  Occident  mit  Waffengewalt  anzugreifen.  Er  berief 
Eric  US,  sammelte  aus  allen  ihm  unterworfenen  Reichen  eine 
Flotte  und  segelte  mit  einer  unzählbaren  Masse  von  Schifften 
nach  Britannien^).  Der  König  dieser  Insel  erkannte,  dass 
er  ihm  an  Streitkräften  nicht  gewachsen  sei,  (denn  das  Meer 
schien  durch  die  Fahrzeuge  abgesperrt  zu  sein)  besuchte 
Frotho  unter  dem  Scheine,  als  wolle  er  sich  ergeben  und 
begann  dabei  nicht  nur  seine  Grösse  und  Macht  zu  bewun-  167 
dem,  sondern  er  versprach  auch  den  Dänen,  den  Bezwingern 
der  Völker,  seine  und  seines  Lande's  Unterwerfung.  Ab- 
gaben, Tribut,  Zölle,  alles,  was  sie  nur  wünschten,  bot  er 
ihnen  an.  Zuletzt  lud  er  sie  noch  freundschaftlich  zu  sich 
ein.  Frotho  war  diese  Fügsamkeit  des  Britanniers  ange- 
nehm, obgleich  ein  so  schnelles  und  ohne  jeden  Zwang  ge- 
gebenes Versprechen,  eine  so  rasche  Ue hergäbe  des  Feindes 
vor  dem  Kampfe,  was  doch  nur  selten  einer  off'enen  und 
ehrlichen  Gesinnung  zu  entspringen  pflegt,  in  ihm  den  Ver- 
dacht einer  Hinterlist  nährte.  Die  Dänen  beschlich  auch 
Besorgnis  wegen  des  Gastmahles,  denn  sie  fürchteten,  man  252 
Svürde  sie  mit  Heimtücke  angreifen,  wenn  einmal  ihre  Nüch- 
ternheit in  die  Fallstricke  des  Weines  geraten  wäre.  Uebri- 
gens  schien  auch  die  Zahl  der  Eingeladenen  zu  klein,  als 
dass  man  unbesorgt  dem  Einladenden  hätte  folgen  können. 
Man  hielt  es  auch  für  unzweckraässig,  sein  Leben  der  noch 
unerprobten  Treue  der  Feinde  anzuvertrauen.  Da  man  nun 
lauter  solche  Bedenken  äusserte,  wandte  sich  der  König  von 


*)  Die  Geschichte  vom  Zuge  gegen  England   und  Irland  ist    wahr- 
scheinlich auch  isländischen  Ursprungs. 


268  Fünftes  Buch. 

neuem  an  Frotho  und  ersuchte  ihn,  mit  2400  Mann  zum 
Gelage  zu  kommen,  während  er  vorher  gewünscht  hatte,  er 
möge  nur  mit  1200  Edlen  an  dem  Feste  teilnehmen.  Frotho 
gab  zwar  seinen  Verdacht  noch  nicht  auf,  konnte  aber  im 
Vertrauen  auf  die  vergrösserte  Zahl  der  Geladenen  doch  mehr 
Zuversicht  fassen,  das  Gelage  zu  besuchen;  er  ordnete  aber 
zugleich  Leute  ab,  welche  die  Schlupfwinkel  der  Gegend 
durchsuchen  und  ihm  schleunigst  melden  sollten,  wenn  sie 
bei  ihrem  Forschen  irgend  einen  Hinterhalt  entdeckten.  Zu 
diesem  Zweck  drangen  sie  in  einen  Wald  ein,  und  als  sie 
da  eine  verschanzte  Reihe  von  Zelten  sahen,  welche  die 
Streitkräfte  der  Britannier  bargen,  hielten  sie  zweifelnd  ihre 
Schritte  an.  Sowie  sie  aber  den  Sachverhalt  genau  erkann- 
ten, beeilten  sie  sich  mit  der  Ruckkehr,  denn  die  Zelte 
waren  dunkel  und  mit  einer  Art  von  Decken  behängt,  damit 
sie  den  Nahenden  weniger  in  die  Augen  fielen.  Als  Frotho 
dies  erfuhr,  legte  er  seinerseits  eine  auserlesene  Schar  seiner 
Edlen  in  einen  Hinterhalt,  um  nicht  um  rechtzeitige  Hilfe 
verlegen  zu  sein,  wenn  man  sich  doch  zu  unbedacht  zu  dem 
Gelage  gewagt  haben  sollte.  Mit  diesen,  die  sich  in  ihrem 
Verstecke  verbargen,  verabredete  er  als  Zeichen,  wenn  Hilfe 
nötig  wäre,  einen  Homstoss.  Dann  begab  er  sich  mit  der 
bestimmten  Zahl  seines  Gefolges,  das  nur  leicht  bewaffnet 
war,  zu  dem  Mahle.  Es  war  eine  Halle  mit  dem  Aufwände 
königlicher  Pracht  geschmückt,  und  an  allen  Seiten  hingen 
purpurgefärbte  Teppiche,  auf  denen  man  Arbeiten  von 
wunderbarer  Kostbarkeit  wahrnehmen  konnte^).  Ein  pur- 
purner Vorhang  zierte  auch  die  aus  Holz  gezimmerten  Wände. 
Der  Fussboden  war  mit  so  strahlenden  Geweben  bedeckt, 
dass  man  sich  scheuen  mochte,  den  Fuss  darauf  zu  setzen. 
Oben  sah  man  zahlreiche  Fackeln  brennen  und  mit  Gel  ge- 
füllte Lampen  leuchten.  Aus  Räuchergefässen  entströmte 
ein  Wohlgeruch,  den  ein  lieblicher  Dunst  von  auserlesenem 
Duftwerk  noch  steigerte.  Den  ganzen  Mittelweg  fassten 
Tische    ein,    die    mit   reichen  Mählern  bedeckt  waren.     Die 

*)  Mit  der  Schilderung  dieser  prächtigen  Halle  vergleiche  man   die 
im  Beowulfsliede  von  der  Halle  Heorot. 


Frotho  in  Britannien;  das  Festmahl.  269 

Lagerstätten  waren  mit  golddurchwirkten  Kissen  geschmückt,  168 
die  Sitze  mit  Kopfpolstem  versehen.  Man  hätte  glauben 
können,  die  herrliche  Ausstattung  lächele  den  Eintretenden 
entgegen,  und  man  hätte  nichts  Beleidigendes  für  das  Auge,  253 
nichts  Unangenehmes  für  den  Geruch  entdecken  können. 
Mitten  in  dem  Gemach  stand  ein  Gefäss  zum  Füllen  der 
Becher,  welches  eine  masslose  Menge  Trankes  fasste,  sodass 
man  daraus  schöpfen  und  alle  Kehlen  bei  diesem  gewaltigen 
Gelage  daraus  sättigen  konnte.  Diener  in  Purpur  gekleidet 
trugen  goldene  Schöpfkrüge  und  walteten  in  geordneten 
Reihen  einherschreitend  anmutig  ihres  Schenkenamtes.  Auch 
fehlte  es  nicht  an  Auerochsenhörnern,  aus  denen  man  trin- 
ken konnte.  Die  Tafel  erglänzte  von  goldenen  Schalen  und 
war  mit  funkelnden  Bechern  beladen,  an  denen  meistens 
noch  strahlende  Edelsteine  befestigt  waren.  Eine  ungeheure 
Pracht  war  auf  alles  verwendet  worden.  Die  Tische  bogen 
sich  unter  den  Gerichten  und  Mischkrügen,  die  mit  verschie- 
denen Getränken  gefüllt  waren.  Es  gab  auch  nicht  bloss 
einfachen  Wein,  sondern  weithergeholte  Säfte  lieferten  einen 
Nektar  von  verschiedenem  Geschmack.  Die  Schüsseln  liessen 
die  schmackhaftesten  Gerichte  sehen ;  meisst  hatte  Jagdbeute 
sie  gefüllt,  obgleich  es  auch  nicht  an  Fleisch  von  Haustieren 
fehlte.  Die  Wirte  hielten  es  weniger  eifrig  mit  dem  Trinken 
als  die  Gäste.  Denn  die  letzteren  lockte  die  Sorglosigkeit 
zum  Rausche,  während  jenen  der  geplante  Ueberfall  die  Lust 
zum  Zechen  benommen  hatte.  Die  Dänen  nun  —  mein 
Vaterland  möge  mich  entschuldigen,  wenn  ich  dies  sage  — 
waren  gewohnt,  um  die  Wette  einen  Becher  nach  dem  an- 
dern zu  leeren  und  füllten  sich  mit  einer  gewaltigen  Masse 
Weines^).  Als  die  Britannier  sie  nun  ziemlich  bezecht  sahen, 
begannen  sie  sich  eiligst  heimlich  von  dem  Mahle  zu  ent- 
fernen, liessen  ihre  Gäste  drinnen  im  Gemach  und  bemühten 
sich  mit  allen  Kräften  die  Thüren  der  Königshalle  durch 
Vorschieben  von  Riegeln  und  durch  verschiedene  andere 
Hindernisse  zu  verrammeln.     Dann   legten  sie  Feuer  an  das 


>)  Zu  dieser  Trinklust  der  Dänen  vgl.  noch  11,  77;   93'4;   III,    153. 


270  Fünftes  Buch. 

Gebäude.  Die  Dänen  aber,  welche  innerhalb  des  Gemaches 
eingeschlossen  gehalten  wurden,  rüttelten  beim  Ausbruch  des 
Brandes  vergebens  an  den  Pforten;  da  sie  so  am  Ausgange 
verhindert  waren,  fielen  sie  sogleich  über  die  Wand  her  und 
suchten  so  eine  Möglichkeit  herauszukommen.  Als  die  Eng- 
länder sahen,  wie  diese  unter  den  kräftigen  Hieben  der  Dä- 
nen wankte,  stemmten  sie  sich  mit  allen  Kräften  dagegen 
und  suchten  durch  Lasten,  welche  sie  von  aussen  daran 
lehnten,  die  schwankende  Masse  zu  stützen,  damit  nicht  der 
Einsturz  der  Mauer  den  Eingeschlossenen  einen  Weg  eröffne. 
Endlich  aber  wich  diese  der  stärkeren  Hand  der  Dänen, 
deren  Anstrengungen    immer  gewaltiger  wurden,   je   grösser 

254  die  Gefahr  war,  und  gewährte  den  Bedrängten  einen  leichten 
Durchgang.  Da  liess  nun  Frotho  das  Zeichen  mit  dem 
Hörne  geben,  um  die  im  Hinterhalt  verborgene  Schar  herbei- 
zurufen. Diese  schleuderte  nun,  angespornt  durch  den  hellen 
Ton  des  Hornes,  die  Folgen  der  Tücke  auf  deren  Anstifter 
zurück  und  brachte  dem  Könige  der  Britannier  samt  seinen 
unzähligen  Truppen  die  schlimmste  Niederlage  bei.     Dadurch 

169  erwies  Ericus  Frotho  eine  doppelte  Wohlthat,  denn  er  rettete 
ihm  seine  Gefährten  und  vernichtete  seine  Feinde. 

Unterdessen  wuchs  der  Ruf  von  der  Tapferkeit  der 
Dänen  immer  mehr,  und  die  Hiberner  legten  voll  Schrecken, 
um  einen  Einfall  in  ihr  Gebiet  zu  ersparen,  Fusseisen  an 
den  Strand,  wodurch  eine  Landung  an  ihrem  Gestade  verhin- 
dert werden  sollte.  Die  Hiberner  gebrauchen  eine  leicht 
anzuschaffende  und  leicht  zu  verwendende  Art  von  Waffen. 
Mit  Scheermessem  stutzen  sie  ihr  Haar,  und  am  Hinterkopf 
rasieren  sie  es  ganz  ab,  damit  sie  nicht  auf  der  Flucht  da- 
ran festgehalten  werden^).  Uebrigens  richten  sie  immer  die 
Spitzen  ihrer  Speere  gegen  ihre  Bedränger  und  pflegen  ihren 
Verfolgern  absichtlich  die  Schneiden  ihrer  Schwerter  ent- 
gegenzuhalten. Meistens  werfen  sie  ihre  Lanzen  auf  den 
Rücken  und  verstehen  es  überhaupt    besser,   auf  der  Flucht 


')  Von   dieser  Sitte  der  keltischen  Bewohner  der  Insel   wird  auch 
sonst  berichtet. 


Frothos  Siege  über  d.  Britannier  u.  Hiberner;  Friede.  271 

als  im  Kampfe  zu  siegen.  So  kommt  es,  dass  gerade  dann 
die  Hauptgefahr  droht,  wenn  man  glaubt,  schon  den  Sieg . 
errungen  zu  haben.  Frotho  verfolgte  bei  solch  trügerischer 
Flucht  die  Feinde  mehr  mit  Ueberlegung  als  mit  £ifer  und 
erschlug  den  Fürsten  des  Volkes,  Kervillus^).  im  Kampfe. 
Dessen  Bruder  überlebte  ihn,  gab  aber  die  Hoffnung  auf 
Widerstand  auf  und  überantwortete  sein  Land  dem  Könige. 
Die  gemachte  Beute  verteilte  dieser  unter  seine  Soldaten;, 
um  zu  bezeugen,  wie  er,  aller  Habsucht  bar  und  jeder  Gier 
fremd,  allein  den  Gewinn  des  Ruhmes  erstrebe. 

So  kehrte  man  nun  nach  dem  Triumph  über  Britan- 
nien und  nach  der  Besiegung  der  Hiberner  nach  Dänemark 
zurück  und  enthielt  sich  dreissig  Jahre  lang  jeder  kriege^ 
rischen  Unternehmung^).  Zu  dieser  Zeit  wurde  der  Name 
der  Dänen  durch  den  Ruf  von  ihrer  ausserordentlichen 
Tapferkeit  in  fast  allen  Ländern  berühmt.  Frotho  wollte 
mm  den  Glanz  seiner  Herrschaft  durch  dauernde  Sicherung 
der  Zustände  noch  vergrössern  und  liefes  es  sich  zuerst  an- 
gelegen sein,  gegen  Diebstahl  und  Räuberei  als  gegen 
heimische  Uebel  und  innerliche  Verderbnis  seine  Strenge  zu  255 
richten;  davon  sollten  die  Völker  befreit  werden  und  ein 
um  so  ruhigeres  Leben  führen,  damit  nicht  böswillige  Hinder- 
nisse das  Eintreten  eines  allgemeinen  Friedens  störten.  Er 
sorgte  auch  dafür,  dass  bei  der  Ruhe  vor  Feinden  nicht  ein- 
heimische Uebelstände  das  Vaterland  aufrieben  oder  beim 
Frieden  nach  aussen  hin  im  Innern  Verworfenheit  um  sich 
grille.  Endlich  Hess  er  in  Jütland  als  dem  Hauptbezirk 
seines  Reiches  goldene  Armspangen  von  grossem  Gewicht  an 
den  Kreuzwegen  aufhängen,  um  durch  die  Preisstellung  einer 
so  wertvollen  Beute    eine  Probe    für   die    von  ihm  gebotene 


^)  Ein  echt  keltischer  Name,  welcher  der  einheimischen  wie  skandi- 
navischen Dichtung  wohl  bekannt  ist;  kelt.  heisst  er  Cearbhal,  isl.  Kjar\'alr. 

^  Das  ist  die  lange  Zeit  goldenen  Friedens,  deren  Vorstellung  mit 
Frothos  Namen  im  skandina^i8chen  Altertum  aufs  engste  verbunden  ist; 
selbst  weit  nach  Deutschland  hinein  ist  der  Ruf  davon  gedrungen,  wie 
das  Vorkommen  des  Fruote  von  Tenemarke  beim  Spervogel  (Minnesangs 
Frühling  S.  25,  19/20)  und  in  der  Kudrundichtung  zeigt. 


272  Fünftes  Buch. 

Ehrlichkeit  zu  geben  ^).  Obgleich  nun  diese  Lockung  gottlose 
Gemüter  reizte  und  üble  Geister  in  Versuchung  fahrte,  so 
überwog  doch  die  zweifellose  Furcht  vor  der  Gefahr.  Solches 
Ansehen  geuoss  also  Frotbos  Majestät,  dass  sogar  zum  Raube 
ausgesetztes  Gold  geschützt  war,  als  sei  es  hinter  den  festes- 
ten Schlössern    verwahrt.     Diese    unerhörte   Thatsache   ver- 

170  schaffte  ihrem  Ersinner  einen  gewaltigen  Ruhm.  Dieser  be- 
schloss  nun,  nachdem  er  weit  und  breit  Niederlagen  ange- 
richtet und  Siege  gewonnen  hatte,  dass  lieblicher  Friede  dem 
grausigen  Kriege  folgen  und  das  Ende  des  Mordens  der  Beginn 
des  Heiles  sein  sollte.  Er  wollte  aber  auch  deswegen  das 
Vermögen  aller  durch  ein  schützendes  Gesetz  gesichert  wis- 
sen, damit  nicht  die  in  der  Heimat  Räuber  fänden,  die  vor 
den  Grenzen  keine  Feinde  hätten. 

Zu  derselben  Zeit  gewann  es  der  Schöpfer  des  allge- 
meinen Heiles  unser  aller  über  sich,  auf  die  Welt  zu  kom- 
men, und  um  die  Menschheit  zu  erlösen,  Menschengestalt 
anzunehmen,  gerade  als  die  Erde,  nachdem  die  Kriegsbrände 
gelöscht,  der  heitersten  und  friedlichsten  Ruhe  genoss'). 
Man  glaubt,  dass  ein  so  allgemeiner,  überall  gleichmässig 
verbreiteter  Friede,  der  nirgends  auf  der  Welt  unterbrochen 
wurde,  nicht  sowohl  irdischer  Herrschaft  als  vielmehr  der 
Geburt  Gottes  diente,  und  dass  es  eine  himmlische  Gnaden- 
that  war,  dass  die  ungewöhnliche  Güte  dieser  Zeit  die 
Gegenwart  des  Schöpfers  der  Zeiten  bezeugte. 

256  Unterdessen  hegte  eine  alte,  in  der  Zauberei  erfahrene 

Frau  mehr  Zutrauen  zu  ihrer  Kunst  als  Furcht  vor  der 
Strenge  des  Königs  und  erregte  in  ihrem  Sohne  die  Begier, 
heimlich  einen  Raub  zu  begehen,  indem  sie  ihm  Straflosig- 
keit versprach,  da  Frotho  schon  dicht  an  der  Thür  des  Todes 
stehe  und  in  seinem  gebrechlichen  Leibe  nur  noch  die  letz- 
ten Reste  seines  schwachen  Greisenlebens  wohnten.  Als  er 
der  Aufforderung  seiner  Mutter   die  Grösse   der  Gefahr  ent- 


»)  Vgl  oben  S.  262/8  und  Anm.  3. 

*)  Diese  AufTassiing.  dass  Kur  Zeit  Frothos  (^hristus  geboren  sei, 
teilen  mit  8axo  die  isländischen  (Reellen,  während  die  dänischen,  soweit 
sie  älter  als  Saxo  sind,  davon  nichts  wissen  (Olrik  II,  55). 


FriedeDszeit;  Frothos  Ende.  273 

gegenstellte,  hiess  diese  ihn  bessere  Hoffnung  fassen  und 
sagte,  dass  entweder  eine  Seekuh  ein  Kalb  gebären  oder 
irgend  ein  anderer  Zufall  die  Strafe  abwenden  werde.  Mit 
solchen  Worten  benahm  sie  ihrem  Sohne  die  Angst  und 
zwang  ihn,  ihrem  Geheiss  zu  gehorchen.  Durch  diese  That 
aber  wurde  Frotho  wie  durch  eine  Schmach  gereizt,  begab 
sich  in  grösster  Eile  und  voll  Zorn  zu  dem  Hause  der  Alten, 
um  es  zu  zerstören,  und  sandte  Männer  voraus,  welche  sie 
mit  ihren  Kindern  gefangen  vor  ihn  führen  sollten.  Das 
aber  wusste  die  Frau  vorher,  und  sie  verhöhnte  ihre  Feinde, 
indem  sie  ihre  weibliche  Gestalt  in  die  einer  Stute  verwan- 
delte. Als  aber  Frotho  herankam,  nahm  sie  das  Aeussere 
einer  Seekuh^)  an  und  schien  am  Strande  umherschweifend 
zu  weiden;  ihre  Söhne  verwandelte  sie  ebenso  in  Kälber  von 
geringerer  Grösse.  Der  König,  von  Erstaunen  über  dieses 
Wunder  ergriffen,  befahl,  sie  zu  umzingeln  und  ihnen  den 
Weg  zu  den  Wogen  abzuschneiden.  Schliesslich  stieg  er 
selbst  von  dem  Wagen,  dessen  er  sich  wegen  seiner  Schwäche 
in  seinen  hohen  Jahren  bediente,  herab  und  setzte  sich  vol- 
ler Verwunderung  auf  die  Erde.  Die  Mutter  aber,  welche 
das  Aussehen  eines  grösseren  Tieres  angenommen  hatte, 
griff  den  König  mit  gesenkten  Hörnern  an  und  durchbohrte 
ihm  eine  Seite.  An  dieser  Wunde  starb  er  und  fand  dadurch 
einen  Tod,  der  so  wenig  seiner  Würde  entsprach^).  Die 
Soldaten  wollten  seinen  Hingang  auf  der  Stelle  rächen, 
schleuderten  ihre  Speere  und  durchbohrten  die  Ungetüme.  Als  171 
sie  getötet  waren,  bemerkte  man,  dass  es  menschliche  Körper 
mit  Tierköpfen  seien.  Dieser  Umstand  enthüllte  vor  allen 
Dingen  den  Zauber.     Das  war   der  Ausgang  Frothos,    des 


^)  Eine  Seekuh  ist  nach  dem  Bericht  eines  alten  skandinavischen 
Gewährsmannes  „ein  Fisch,  der  wie  eine  gewöhnliche  Kuh  aussieht,  nur 
dass  sie  Schuppen  hat.*^    Auch  isländ.  Volkssagen  schildern  sie  so. 

*)  Nach  isländischer  Ueberlieferung  (Amgrimr)  wird  Frode  auf  der 
Jagd  von  einem  Hirsch  getödtet.  Oirik  11,  218  macht  darauf  aufoierksam, 
dass  die  beiden  verschiedenen  Berichte  doch  das  gemeinsame  haben,  dass 
die  Seekuh  in  Dänemark  ebenso  wie  der  Hirsch  in  Island  nur  der  Dichtung 
bekannte  Tiere  sind. 

Saxo  GranuDAticui.  IB 


274  Fünftes  Buch. 

berühmtesten  Königs  der  ganzen  Welt.  Die  Vornehmen  aber 
Hessen  ihm  die  Eingeweide  herausnehmen,  seinen  Körper 
einsalzen  und  bewahrten  ihn  so  drei  Jahre  lang^).  Denn  sie 
fürchteten  den  Abfall  der  Provinzen,  wenn  des  Königs  Tod 
bekannt  würde,  und  sie  begehrten  gerade  deswegen  sein 
Hinscheiden  den  Auswärtigen  verborgen  zu  halten,  um  durch 
die  Vorgabe,  als  ob  er  noch  lebe,  die  schon  seit  lange  so 
erweiterten  Grenzen  des  Reiches  zu  schützen,  und  gestützt 
auf  das  frühere  Ansehen  ihres  Fürsten,  den  gewöhnlichen 
Tribut  von  seinen  Unterthanen  einzutreiben.  So  wurde  denn 
seine  Leiche  von  ihnen  herumgeführt,  sodass  sie  nicht  auf 
257  einer  Bahre,  sondern  auf  einem  königlichen  Wagen  zu  ruhen 
schien,  gerade  als  ob  das  Heer  einem  schwachen  Greise,  der 
nicht  mehr  über  seine  vollen  Kräfte  verfügte,  eine  solche 
Gunst  schuldig  sei.  Mit  solchem  Glänze  umgaben  seine 
Freunde  auch  noch  nach  dem  Tode  seine  Majestät.  Als  aber 
die  äusserste  Verwesung  die  verfallenden  Glieder  ergriff  und 
die  Auflösung  nicht  mehr  aufzuhalten  war,  da  bestatteten  sie 
seinen  Körper  an  der  Wera,  einer  Brücke  in  Seeland*), 
mit  königlichem  Prunke;  denn  sie  sagten,  Frotho  habe  selbst 
gewünscht^  nach  seinem  Tode  dort,  in  der  besten  Provinz 
seines  Reiches,  begraben  zu  werden. 

Ende  des  fünften  Buches. 


^)  Dasselbe  wird  in  der  Ynglingas.  Kap  11  von  dem  schwedischen 
Könige  Frö  (Freyr)  erzählt. 

*)  Noch  im  Jahre  1643  erzählt  der  dänische  Geschichtsschreiber 
Olaus  Wormius  von  einer  Brücke  Namens  Veerebro,  die  sich  zwischen 
Koskilde  und  Slangendorp  befinde;  in  deren  Nähe  gäbe  es  auch  einen 
teilweise  zusammengestürzten  Hügel,  der  Frodehöj  heisse  und  von 
mancherlei  Sagen  umwoben  sei. 


Sechstes  Buch.  172  •,  258 


Nach  dem  Tode  F  rot  hos  glaubten  irrtümlicher  Weise 
die  Dänen,  es  sei  auch  Fridlewus,  der  in  Russland  erzogen 
wurde,  gestorben;  da  so  die  Herrschaftswürde  scheinbar  aus 
Mangel  an  einem  Erben  verwaist  war  und  in  der  königlichen 
Familie  nicht  mehr  fortgeführt  werden  konnte,  so  hielten  sie 
den  für  der  Krone  am  würdigsten,  der  zum  Ruhme  Frothos 
an  seinem  frischen  Grabe  ein  Gedicht  zu  seiner  Ehre  nieder- 
legen und  so  die  Kunde  von  dem  abgeschiedenen  Könige  in 
einer  glänzenden  Form  der  Nachwelt  überliefern  würde.  Da 
wurde  nun  ein  gewisser  Hiarnus^),  ein  sehr  gewandter 
dänischer  Dichter,  durch  die  Grösse  des  Lohnes  veranlasst, 
den  Ruhm  des  Helden  in  einem  glänzenden  Spruche  zu  er- 
wähnen, und  er  verfasste  nach  seiner  Art  ein  Lied  in  seiner 
Muttersprache.  Den  Inhalt  dieser  vier  Verse  habe  ich  mit 
folgenden  Worten  wiedergegeben: 

„Die  Dänen  trugen  Frotho,  dem  sie  noch  ein  langes  Leben 
gewünscht  hätten,  lange  Zeit  nach  seinem  Tode  durch  ihre 
Gefilde.  Den  Leichnam  des  gewaltigen  Fürsten,  der  unter 
diesem  Rasen  bestattet  ist,  birgt  die  nackte  Erde  unter  dem 
leuchtenden  Aether." 

Für  dieses  Gedicht  beschenkten  die  Dänen  den  Ver- 
fasser mit  dem  Diadem.  So  ward  von  ihnen  eine  Grabschrift 
mit  einem  Königreiche  belohnt,  und  eine  gewichtige  Herr- 
schaft für  die  Zusammenfügung  weniger  Verse  hingegeben. 


^)  Die  HjarDesage   ist  dänischen  Ursprungs  und  schliesst  sich  eng 
an  den  Bericht  von  Frodes  Tod  im  vorigen   Buche  an;  s.  Olrik  U,   219. 

18* 


276  Sechstes  Buch. 

259  Solch  ein  reichliches  Entgeld  folgte  einer  so  geringen  Mühe. 
Der  hervorragende  Preis  für  das  kleine  Gedicht  übertraf 
selbst  den  Ruhm  von  Caesars  Freigebigkeit  Denn  der  gött- 
liche Julius  begnügte  sich  damit,  die  rühmenden  Verherr- 
licher seiner  Siege  auf  der  ganzen  Welt  mit  einer  Stadt  za 
beschenken  ^).  Hier  aber  verlieh  die  verschwenderische  Güte 
eines  Volkes  einem  Bauern   ein  Königreich.     Auch  Scipiu 

17t  Africanus  reichte  nicht  mit  der  Belohnung  für  die  Verewigung 
seiner  Thaten  an  die  Dänen  heran;  denn  dort  bestand  der 
Lohn  für  ein  mühsam  ausgearbeitetes  Dichtwerk  nur  in 
einfachem  Golde  ^),  hier  brachten  ein  paar  holprige  Verse 
dem  Verfasser  ein  Scepter  ein. 

Zu  derselben  Zeit  starb  Ericus,  der  die  Verwaltung 
Schwedens  inne  hatte,  an  einer  Krankheit.  Sein  Sohn 
Haldanus  übernahm  die  Regierung  an  seines  Vaters  Statt, 
hatte  aber  durch  zahlreiche  feindliche  Einfälle  von  zwölf 
Brüdern  aus  Norwegen  schwer  zu  leiden.  Da  er  nun  keine 
Mittel  fand,  diese  zu  überwältigen,  floh  er  in  der  Hoffnung 
Hilfe  zu  erlangen,  zu  Fridlewus,  der  damals  in  Russland 
weilte,  und  rief  seine  Unterstützung  an.  Mit  bittender  Mient^ 
nahte  er  ihm,  beklagte  sich  unter  Thränen,  er  sei  von  einem 
auswärtigen  Feinde  völlig  vernichtet  worden,  und  erhob  eine 
traurige  Beschwerde  über  seine  Unbilden.  Fridlewus  erhielt 
von  ihm  die  Nacliricht  vom  Tode  seines  Vaters,  gewährte 
ihm  auf  sein  Flehen  Hilfe  und  rückte  mit  Waffengewalt  nach 
Norwegen  'j.    Zu  dieser  Zeit  hatten  die  vorgenannten  Brüder, 


')  Hior  scheint  ein  Irrtum  Saxos  vorzuliegen;  nach  3Iüller  ist  nichts 
\()n  einer  solchen  (teschichte  bekannt;  vielleicht  hat  man  an  Cicero  pro 
Archia  cap.  10  zu  denken,  wo  erzählt  wird,  dass  Pompejus  den  (Teschichts- 
Schreiber  Theophanes  von  Mytilene  „civitate  donavit**.  Das  heisst  aber, 
„er  verlieh  ihm  das  römische  Bürgerrecht". 

')  Auch  hier  ktmnen  wir  keinen  Beleg  geben ;  man  weiss  nur,  dass 
Knnius  im  (Srabmal  der  Scipionen  eine  Bildsäule  errichtet  wurde;  Cicero, 
pro  Arch.  9.    Livius  XXX VIII.  56,  4. 

•)  Die  Sage  von  Fridlewus  hängt  nur  durch  den  Kampf  des  Helden 
g«'j;on  njurne  mit  Dänemark  zusammen,  alle  andern  Begebenheiten  spielen 
sich  in  Xorwegon  ab.  Dahor  ist  für  sie  auch  norwegischer  Ursprung  in 
Anspruch  zu  nehmen.    Vgl.  über   die  Sago  ühland  Sehr.  VII,  220  ff.  und 


Hiamus;  Haldanus  u.  friedlewos;  die  Aäuberburg.  277 

da  ihre  Spiessgesellen  von  ihnen  abfielen,  auf  einer  Insel  260 
mitten  in  einem  reissenden  Strome  einen  sehr  hohen  Wall 
aufgeworfen  und  eine  firdverschanzung  auf  der  Ebene  er- 
richtet. Im  Vertrauen  auf  diesen  Sehlupfwinkel  hatten  sie 
die  Nachbarschaft  durch  zahlreiche  Einfälle  unsicher  gemacht. 
Wenn  sie  nämlich  ihre  Insel  verliessen,  so  pflegten  sie  das 
Festland  auf  einer  Brücke  zu  erreichen;  diese  war  an  einer 
Pforte  der  Verschanzung  befestigt  und  derart  an  Leitstricken 
zu  handhaben,  dass  sie,  um  eine  bewegliche  ^ngel  drehbar, 
bald  den  Uebergang  über  den  Fluss  ermöglichte,  bald  durch 
einen  Zug  an  den  verborgenen  Seilen  von  oben  eingeholt, 
den  Eingang  schützte.  Es  waren  aber  mutige  Jünglinge, 
stark  in  ihrer  Jugend,  ausgezeichnet  durch  Körpergrösse,  be- 
rühmt durch  siegreiche  Riesenkämpfe,  bekannt  durch  ihre 
Siegeszeichen  von  manchen  Völkern,  reich  an  allerlei  Beute-- 
stücken.  Die  Namen  von  einigen  —  die  andern  sind  der 
Länge  der  Zeit  zum  Opfer  gefallen  —  habe  ich  mir  aufge- 
zeichnet: Gerbiorn,  Gunbiorn,  Armbiorn,  Stenbiorn,  Esbiorn, 
Thorbiorn,  Biorn.  Dieser  letztere  soll  ein  Ross  besessen 
haben,  welches  sich  durch  solche  Kraft  und  Schnelligkeit 
auszeichnete,  dass  es,  während  die  übrigen  den  Fluss  nicht 
durchschwimmen  konnten,  allein  ohne  zu  ermatten,  den  ent- 
gegenwallenden Strudel  überwand.  Denn  der  Schwall  dieses 
Gewässers  brauste  in  so  reissender  Strömung  dahin,  dass 
den  anderen  Tieren  beim  Schwimmen  die  Kräfte  ausgingen 
und  sie  meistens  umkamen.  Es  entspringt  nämlich  auf  den 
höchsten  Bergesgipfeln,  und  über  jähe  Felsen  herabrinnend 
stürzt  es  mit  donnerndem  Brausen  in  die  tiefen  Thäler.  Zwar 
wird  es  immerfort  durch  entgegenstehende  Felsen  zurückge- 
worfen, aber  es  bewährt  doch  immer  das  gleiche  Ungestüm. 
So  sind  in  der  ganzen  Länge  seines  Laufes  die  Wogen  be- 
ständig aufgewühlt,  und  überall  häuft  sich  weisser  Schaum. 
Sowie   es  aber  die  felsigen  Engen   verlassen  hat,   breitet  es  174 


Olrik  II,  62  ff.  —  Die  erste  von  des  Fridlewus  Thaten  ist  der  gleich 
folgende  Kampf  gegen  die  zwölf  Räuber.  Bei  der  Schilderung  ihres 
Schlupfwinkels  ist  übrigens  wieder  auf  die  Naturtreue  und  Anschaulichkeit 
zu  achten.    Vgl.  IV,  S.  163  Anm.  1. 


278  Sechstes  Buch. 

sich  weiter  aus,  indem  es  langsamer  fliesst,  und  bildet  aus 
einem  entgegenstehenden  Felsbloek  jene  Insel.  Auf  beiden 
Seiten  steigen  darauf  abschüssige  Wände  empor,  die  mit 
verschiedenen  Arten  von  Bäumen  bestanden  sind;  dadurch 
wird  verhindert,  dass  man  den  Strom  von  der  Ferne  aus 
sehen  kann.  Ausserdem  besass  Biorn  einen  Hund  von  un- 
gewöhnlicher Wildheit,  ein  Thier  von  entsetzlicher  Bissigkeit 
und  voll  Schrecken  für  das  Zusammenleben  mit  Menschen, 
welches  schon  öfter  allein  zwölf  Männer  überwältigt  hatte. 
Doch  da  diese  Dinge  mehr  als  Sagen  denn  als  Thatsachen 
überliefert  werden,  so  mag  der  Beurteiler  seine  Meinung 
darnach  abwägen.  Dieser  Hund  wurde  nun,  wie  ich  be- 
richtet bin,  einst  als  Lieblingstierchen  betrachtet  und  hütete 
-.die  Herden  des  Riesen  Offotus^)  auf  der  Weide. 
261  Die  Jünglinge  pflegten  nun  die  Nachbarschaft  mit  ihren 

Raubzügen  heimzusuchen  und  richteten  oft  grosse  Blutbäder 
an.  Den  Leuten  ihre  Häuser,  ihre  Herden  zu  vernichten, 
alles  zu  plündern,  gewaltige  Beute  zu  machen,  die  ihres  In- 
halts beraubten  Gebäude  zu  verbrennen,  Männer  und  Frauen 
unterschiedslos  hiuzumorden,  das  galt  bei  ihnen  als  anständige 
Beschäftigung.  Als  Fridlewus  sie  nun  bei  einem  ihrer 
unverschämten  Einfälle  überraschte,  trieb  er  sie  alle  flüchtig 
bis  zu  ihrer  Feste  und  bemächtigte  sich  jenes  wunderbar 
starken  Pferdes,  dessen  Reiter  in  seiner  kopflosen  Furcht,  um 
seine  Flucht  zu  beschleunigen,  es  diesseits  des  Flusses  zurück- 
gelassen und  nicht  mit  sich  über  die  Brücke  zu  nehmen  ge- 
wagt hatte.  Dann  verkündete  er  laut,  er  werde  demjenigen, 
der  einen  der  Brüder  töte,  die  Leiche  des  Erschlagenen  mit 
Gold  aufwiegen.  In  der  Hoffnung  hierauf,  aber  doch  weniger 
von  Habgier  als  Ehrgeiz  gelockt,  verabredeten  sich  einige 
Kämpfer  heimlich  mit  Fridlewus,  versprachen,  sie  würden 
sich  an  die  That  wagen,  und  gelobten  wenigstens  ihr  Leben 
zu  opfern,  wenn  sie  nicht  die  abgeschnittenen  Köpfe  der 
Rauber  zurückbrächten.     Fridlewus  lobte  ihren  Heldenmut 


*)  Dieser  Name  begef^net  auch  sonst  noch  in  der  skandinavischen 
Litteratur,  u.  a.  auch  als  6f6ti  in  dem  Riesenverzeichnisae  der  Edda 
(Skaldskaparm.  Kapitel  75  ed.  Arnamagn.    S.  555). 


Fridlewus  dringt  in  die  BÄuberburg  ein.  279 

und  ihr  Gelübde,  hiess  aber  die  Anwesenden  noch  warten 
und  eilte  mit  einem  einzigen  Begleiter  bei  Nacht  zum  Fluss. 
Um  nämlich  nicht  den  Anschein  zu  erregen,  als  ob  er  sich 
mehr  auf  die  Kräfte  anderer  als  auf  die  seinigen  verliesse, 
beschloss  er,  jener  Unterstützung  durch  seine  eigene  Tapfer- 
keit zuvorzukommen.  Darnach  tötete  er  seinen  Begleiter 
durch  ein  paar  Steinhiebe  und  warf  den  blutigen  Leichnam 
in  die  Wellen;  er  entkleidete  ihn  aber  vorher  noch  und  zog 
ihm  seine  eigenen  Gewänder  an,  während  er  selbst  dessen 
Kleider  anlegte,  sodass  beim  Anblick  der  Leiche  der  Glaube 
an  ein  Unglück  des  Königs  erweckt  werden  musste.  Er 
zapfte  auch  dem  Tiere,  das  jener  geritten,  absichtlich  Blut 
ab  und  bespritzte  es  damit,  um  auch  dadurch  in  dem  Lager 
die  Vermutung  hervorzurufen,  als  sei  er  plötzlich  gestorben. 
Darauf  gab  er  seinem  Ross  die^  Sporen,  trieb  es  mitten  in 
den  Strudel,  sprang  ab,  als  er  den  Fluss  durchschwömmen, 
und  versuchte  den  Wall,  der  vor  der  Feste  lag,  auf  einer 
Leiter  zu  erklimmen.  Sobald  er  oben  angelangt  war  und 
die  Zinnen  mit  der  Hand  erfassen  konnte,  schwang  er  sich 
leise  hinüber  und  schlich  sich  still  auf  den  Zehenspitzen, 
ohne  dass  die  Wächter  etwas  bemerkten,  in  das  Gebäude,  in 
welches  sich  die  Räuber  zum  Zechen  begeben  hatten.  Als  175;  262 
er  das  Gemach  erreicht,  machte  er  unter  dem  überragenden 
Vordache  des  Thores  Halt.  Die  Jünglinge  hatte  nun  die 
Sorglosigkeit,  die  von  der  Festigkeit  ihrer  Verschanzung  her- 
rührte, zu  einem  berauschenden  Zechgelage  verführt;  denn 
sie  meinten,  die  reissende  Strömung  des  Flusses  habe  ihre 
Zufluchtsstätte  ganz  unzugänglich  gemacht,  da  es  ja  unmög- 
lich schien,  hinüberzuschwimmen  oder  auf  Booten  überzu- 
setzen. Es  bot  ja  auch  keine  Stelle  des  Flusses  eine  Furt 
als  Gelegenheit  zum  Uebergange.  Da  sagte  Biomo  in  der 
überschwenglichen  Lustigkeit  des  Gelages,  er  habe  im  Traume 
ein  Tier  aus  den  Wogen  steigen  sehen,  welches  traurige 
Flammen  aus  dem  Rachen  hauchte  und  alles  auf  dem  Fest- 
lande in  Brand  setzte.  Daher  müssten  die  Verstecke  auf 
der  Insel  durchsucht  werden,  und  man  dürfe  nicht  so  sehr 
auf  die  Gunst  der  Oertlichheit  vertrauen,   dass  etwa  infolge 


280  Sechstes  Buch. 

allzu  grosser  sorgloser  Sicherheit  für  ihre  Unvorsichtigkeit  das 
schlimmste  Verderben  hereinbräche.  Nichts  sei  ja  durch  seine 
Lage  so  sicher,  dass  ohne  menschliche  Kunst  der  Schutz  der 
Natur  allein  ausreichend  sei.  Man  müsse  sich  übrigens  sorglichst 
hüten,  dass  nicht  etwa  ein  noch  schlimmeres  Unglück  die  An- 
deutung seines  Traumes  erfülle.  Daher  verliesgen  nun  alle  die 
Feste  und  durchspähten  eifrigst  die  Insel  in  ihrem  ganzen  Um- 
fange, und  als  sie  das  Pferd  fanden,  vermuteten  sie,  Fridle  wus 
sei  in  dem  Strome  ertrunken,  das  Ross  aber  sei,  nachdem  es 
seinen  Reiter  abgeworfen,  hinübergeschwommen;  sie  führten 
es  nun  freudig,  gleichsam  als  Boten  von  des  Königs  Tode, 
zum  Thore  hinein.  Biomo  aber,  noch  immer  erschreckt  von 
den  nächtlichen  Bildern,  riet  Wachen  auszustellen,  weil  sie 
doch  allem  Anschein  nach  noch  nicht  ganz  sicher  jeden  Ver- 
dacht einer  Gefahr  aufgeben  könnten.  Er  selbst  begab  sich 
darauf  in  sein  Gemach,  um  schlafen  zu  gehen,  und  verschloss 
die  Erscheinung  tief  in  seinem  Herzen.  Unterdessen  brach 
das  Pferd,  welches  Fridle  wus,  um  den  Glauben  an  seinen 
Untergang  zu  verbreiten,  nur  oberflächlich  an  der  Haut  ge- 
ritzt und  dann  mit  Blut  bespritzt  hatte,  ganz  befleckt  in  das 
I^ager  seiner  Soldaten  ein.  Diese  eilten  sogleich  an  den 
Fluss,  fanden  den  Leichnam  des  Sklaven,  welchen  die  brau- 
sende Strömung  in  seinen  prunkenden  Gewändern  ans  Ufer 
gespült  hatte,  und  hielten  ihn  für  den  des  Königs.  Am 
meisten  bestärkte  sie  in  ihrem  Irrtum  noch  das  angeschwollene 
Aussehen  des  zerquetschten  Körpers,  da  die  an  den  Steinen 
zerrissene  und  zerschlagene  Haut  sowie  die  totenblassen  Ge- 
263  Sichtszüge  ihn  völlig  unkenntlich  machten.  Erbittert  hierüber 
nahten  sich  die  Kämpfer,  welche  vor  kurzem  Fridlewus  ihre 
Hilfe  zur  Vernichtung  der  Räuber  zugesagt  hatten,  dem  ge- 
fahrdrohenden Strome,  um  nicht  den  Schein  zu  erwecken, 
als  ob  sie  durch  allzu  furchtsames  Zaudern  mit  der  Erfüllung 
ihres  Gelübdes  den  Ruhm  ihres  Versprechens  befleckten.  Die 
übrigen  folgten  ihrer  Zuversicht  und  eilten  in  der  gleichen 
Begierde  zum  Flusse,  um  das  Aeusserste  zu  erdulden,  wenn 
sie  ihren  König  nicht  rächen  könnten.  Als  Fridlewus  sie 
sah,  beeilte  er  sich,  die  Brücke  auf  das  feste  Land  herabzu- 


Einnahme  d.  Burg;  Fridlewus  u.  Hiarno.  281 

lassen,  nahm  seine  Kämpfer  auf  und  warf  beim  ersten  An- 
griff die  Wachen  nieder.  Dann  griff  er  sogleich  auch  die 
übrigen  an  und  erschlug  alle,  mit  Ausnahme  Biornos,  mit  17B 
dem  Schwerte.  Diesen  liess  er  sorgfältig  pflegen,  und  als  er 
von  seinen  Wunden  hergestellt  war,  bestimmte  er  ihn  nach 
Ableistung  eines  heiligen  Eides  zu  seinem  Gefährten;  denn 
er  hielt  es  für  besser,  sich  seiner  Beihilfe  zu  bedienen  als 
sich  seines  Todes  zu  rühmen,  und  er  sagte  auch,  es  sei  un- 
würdig, wenn  eine  Blume  solcher  Tapferkeit  in  ihrer  ersten 
Blüte  gepflückt  und  von  einem  allzufrühen  Tode  hingerafft 
würde  ^). 

Als  nun  die  Dänen  von  der  Ankunft  des  Fridlewus 
vernahmen,  dessen  Tod  ihnen  schon  lange  vorher  durch  eine 
falsche  Nachricht  gemeldet  worden  war,  sandten  sie  Boten 
aus,  welche  ihn  herbeirufen  sollten,  und  geboten  Hiarno 
seine  Herrschaft  niederzulegen,  da  er  sie  ja  offenbar  nur  vor- 
übergehend und  gewissermassen  zur  Stellvertretung  erhalten 
habe.  Dieser  gewann  es  aber  nicht  über  sich,  auf  eine 
solche  Ehre  zu  verzichten  und  wollte  lieber  sein  Leben  für 
den  Ruhm  aufs  Spiel  setzen  als  in  die  unbedeutende  Stellung 
eines  gemeinen  Mannes  zurück^^ukehren.  Um  daher  nicht 
gezwungen  zu  werden,  seiner  königlichen  Ehren  bar  wieder 
in  seinen  früheren  Stand  einzutreten,  beschloss  er  seinen 
jetzigen  mit  Waffengewalt  zu  schützen.  So  wurde  denn  das 
Land  uneinig  und  von  den  erschütternden  Bewegungen  des 
Zwistes  beunruhigt.  Denn  die  einen  standen  auf  Hiarnos 
Seite,  die  andern  pflichteten  wegen  der  ausgezeichneten  Ver- 
dienste Frothos  den  Ansprüchen  des  Fridlewus  bei,  und 
die  Ansichten  des  Volkes  blieben  völlig  zwiespältig,  da  die 
einen  die  augenblickliche  Lage  der  Dinge,  die  anderen  die 
Vergangenheit  in  Erwägung  zogen.  Endlich  überwog  jedoch 
die  Rücksicht  auf  die  Erinnerung  an  Frotho,  und  seine  Be- 
liebtheit gewann  Fridlewus  den  grösseren  Teil  der  Neigungen; 


^)  Dieser  letzte  bezeichnende  Zug  ist  nicht  selten,  dass  sich  nämlich 
der  Held  seine  besten  Crefährten  unter  seinen  ehemaligen  Feinden  erwählt, 
die  er  sich  durch  einen  Eid  (gemeint  ist  Blutsbrüderschaft)  verbündet. 
Vgl.  B.  VU,  S.  249  (Holder)  u.Anm.  dazu. 


282  Sechstes  Buch. 

denn  die  meisten,  die  etwas  tiefere  Einsicht  besassen,  meinten, 
dass  ein  Mensch  bäuerlichen  Standes  der  Herrschaft  zu  ent- 
setzen sei,  da  er  ja  wider  das  Recht  seiner  Abkunft  allein 
durch  die  Gunst  des  Schicksals  zu  einem  ungehofften  Gipfel 
des  Glückes  emporgestiegen  sei,  schon  damit  nicht  ein  un- 
rechtmässiger Inhaber  den  wirklichen  Erben  der  Königswürde 
benachteilige.  Fridlewus  aber  hiess  die  Gesandten  der 
Dänen  umkehren  mit  dem  Auftrage  an  Hiarno,  er  solle 
entweder  auf  die  Herrschaft  verzichten  oder  ihm  eine  Schlacht 
liefern.  Hiarno  meinte  nun,  die  Lust  zum  Leben  der  Ehre 
vorzuziehen  und  Rettung  unter  Aufopferung  des  Ruhmes  zu 
suchen  sei  trauriger  als  der  Tod,  wurde  aber,  während  er 
Fridlewus  im   Kampfe   begegnete,  geschlagen  und  musste 

264  nach  Jütland  fliehen.  Dort  sammelte  er  von  neuem  eine 
Schar  und  griff  seinen  Besieger  an;  seine  Genossen  wurden 
aber  wiederum  vom  Schwerte  hingerafft,  und  er  ergriff  ohne 
Begleiter  die  Flucht,  von  der  die  Insel  zeugt,  die  ihren 
Namen  von  ihm  erhielt  ^).  Als  er  nun  so  ein  schlimmeres 
Schicksal  erfuhr,  als  seinem  Sinne  entsprach,  richtete  er  seine 
Bemühungen,  da  er  sich  infolge  der  doppelten  Niederlage 
fast  aller  Hilfsmittel  entblösst  sah,  auf  Hinterlist,  schwärzte 
sein  Antlitz  und  begab  sich  zu  Fridlewus,  um  vertrauten 
Umgang  mit  ihm  zu  suchen  und  ihn  dabei  meuchlings  zu 
ermorden.  Er  fand  Aufnahme  bei  ihm  und  verbarg  eine 
Zeitlang  seinen  Plan,  da  er  zum  Scheine  Dienerobliegenheiten 
erfüllte.  Er  gab  sich  nämlich  als  Salzsieder^)  aus  und  ver- 
richtete   unter    den  Sklaven,    welche    recht  schmutzige  Auf- 

177  gaben  hatten,  die  niedrigsten  Dienste.  Auch  beim  Einnehmen 
der  Mahlzeiten  pflegte  er  sich  immer  auf  den  untersten  Platz 
niederzulassen;  ferner  badete  er  auch  nicht,  damit  er  sich 
nicht  durch  die  Spuren  seiner  zahlreichen  Wunden  ver- 
rate, wenn  er  sich  entkleide.  Um  aber  seinen  Verdacht 
los  zu  werden,  zwang  ihn  der  König  doch,  sich  zu  waschen, 


*)  D.  i.  Hjarnö  im  Horscnsfiord;  vgl.  III,  120  Anin.  2. 

')  Das  Salz  wurde  jfewonnen.  indem  man  Soewasser  über  brennendes 
Uoiz  (jfoss;  die  Salzsiedcr  oder  -brenner  (anrd.  saltmenn  oder  saltbrcnnu- 
karlar)  standen  nur  in  geringem  Ansehen.     S.  AVeinhold  S.  90. 


Hiarnos  Ende:  Fridlewus'  Werbung.  283 

und  wie  er  seinen  Feind  an  den  Narben  erkannte,  sagte  er: 
Wohlan,  du  nichtswürdiger  Räuber,  was  würdest  du  mit  mir 
machen,  wenn  du  mit  völliger  Gewissheit  erfahren  hättest, 
dass  ich  dich  töten  wollte?  Dabei  stutzte  Hiarno  und  ent- 
gegnete: Wenn  ich  dich  dabei  ertappt  hätte,  würde  ich  dich 
zum  Zweikampfe  fordern  und  dich  angreifen,  damit  du  so 
bessere  Gelegenheit  hättest,  dich  gegen  solchen  Vorwurf  zu 
rechtfertigen.  Fridlewus  forderte  ihn  auch  sogleich,  seiner  265 
Ansicht  folgend,  heraus,  tötete  ihn  und  liess  seinen  Leichnam 
in  einem  Hügel  begraben,  der  noch  seinen  Namen  nach  dem 
Erschlagenen  führt  ^). 

Später  ward  Fridlewus  von  den  Seinigen  aufgefordert 
sich  zu  verheiraten,  um  sein  Geschlecht  fortzupflanzen.  Allein 
er  wünschte  nach  dem  Beispiele  seines  Vater  sein  Leben 
ehelos  zuzubringen,  da  Frotho  die  Zuchtlosigkeit  seiner  Gattin 
schwere  Schmach  eingebracht  hatte.  Endlich  aber  liess  er 
sich  durch  die  dauernden  Bitten  aller  erweichen  und  durch 
Gesandte  uro  die  Tochter  des  norwegischen  Königs  Amundus 
für  sich  werben.  Einer  von  diesen,  Namens  Fr öco,  ertrank 
auf  der  Fahrt  und  verursachte  bei  seinem  Tode  eine  uner- 
hörte Wundererscheinung.  Denn  sobald  die  brausenden 
Wogen  über  ihm  zusammenschlugen,  entströmte  mitten  aus 
dem  Strudel  ein  Blutschwall  und  übergoss  die  ganze  Ober- 
fläche des  Meeres  mit  einer  seltsamen  Röte,  sodass  der  Ozean, 
der  vorher  im  Sturme  von  weissem  Schaume  überzogen  war, 
nun  plötzlich  in  purpurnem  Wellenschlag  eine  seiner  Natur 
ganz  entgegengesetzte  Färbung  anzunehmen  schien.  Amundus 
aber  weigerte  sich  unerbitterlich,  in  den  Wunsch  des  Königs 
einzuwilligen,  behandelte  die  Gesandten  ganz  unziemlich  und 
sagte,  F rothos  Tyrannei,  die  seit  lange  allzu  schwer  auf 
Norwegen  laste,  sei  die  Ursache  für  die  Zurückweisung  seines 
Antrages.  Frogertha  aber  (so  hiess  des  Amundus  Tochter) 
achtete  nicht  nur  auf  Fridlewus'  Geschlecht,  sondern  ver- 
ehrte   auch    den  Ruf   von   seinen  Thaten   und  tadelte   ihren 


*)  Hjarnehöj,  wahrscheinlich  in  Seeland;   es   soll   aber  auch   einen 
solchen  in  Jütland  geben. 


284  Sechstes  Buch. 

Vater,  dass  er  eineD  Schwiegersohn  verschmähe,  dessen  voll- 
endeter Adel  weder  einen  Mangel  in  seiner  Tapferkeit  noch 
einen  Flecken  an  seiner  Abstammung  habe.  Sie  fügte  auch 
hinzu,  dass  jenes  wunderbare  Aussehen  des  Meeres,  dessen 
Wogen  sich  plötzlich  in  Blut  verwandelt,  doch  nichts  anderes 
bedeute  als  die  Niederlage  Norwegens,  während  es  ein  ganz 
klares  Anzeichen  für  den  Sieg  der  Dänen  sei.  Als  nun 
Pridlewus  durch  eine  zweite  Gesandtschaft  um  sie  werben 
Hess,  da  liessAmundus  aus  Erbitterung  darüber,  dass  man 
etwas,  das  er  schon  einmal  abgeschlagen,  doch  noch  so  hart- 
näckig von  ihm  fordere,  die  Gesandten  toten  und  begegnete 
so  dem  Eifer  des  kecken  Werbers  allzu  grausam.  Sobald 
Fridlewus  die  Kunde  von  dieser  Beleidigung  vernahm,  be- 

178  rief  er  Haldanus  und  Biomo  zu  sich  und  segelte  nach  Norwegen; 

266  auch  Asmundus  führte  ihm,  ausgerüstet  mit  den  Schutz- 
mitteln seiner  Heimat,  seine  Flotte  entgegen.  In  dem  soge- 
nannten Fröcasund^)  trafen  sich  beide  Geschwader.  Als 
dort  Fridlewus,  um  zu  kundschaften,  bei  Nacht  das  Lager 
verliess,  vernahm  er  ganz  in  der  Nähe  einen  ungewöhnlichen 
Ton,  als  ob  die  Luft  duichschnitten  würde'),  und  als  er 
stehen  blieb  und  sich  umsah,  hörte  er,  wie  drei  Schwäne  von 
oben  her  folgendes  Lied  ertönen  Hessen: 

„Solange  Hythin  das  Meer  durchkreuzt  und  die  wilden 
Wogen   durchschneidet,   trinkt  der  Sklave  aus  Gold  und  ist 


*)  Man  denkt,  wohl  mit  Recht,  an  den  jetzigen  Frekeyjarsund  an 
der  Westküste  Non%'egens  etwas  nördlich  vom  Kap  Stad,  zwischen  der 
Insel  Frekey  (jetzt  Frekö  oder  Frök)  und  dem  Festlande  (Olrik  II,  68). 
Augenscheinlich  ist  die  Stelle,  wo  Fröco  ertrank,  dieselbe,  wo  nachher 
die  Schlacht  stattfand. 

*)  inusitatum  quendam  icti  aeris  sonum.  3Ian  kann  zweifeln,  ob 
acris  von  aer  (Luft)  oder  aes  (Erz)  herkommt;  beide  Ableitungen  ergeben 
einen  Sinn.  Ich  entscheide  mich  für  den  ersten  Fall,  weil  die  ed.  princ. 
hier  ausdrücklich  ae  druckt,  während  der  ae-hBut  sonst  immer  durch 
einfaches  e  wiedergegeben  ist.  Grundtvig  scheint  auch  so  gedacht  zu 
haben;  er  übersetzt:  En  swr  Lyd,  ligesom  af  noget,  der  susede  igjennem 
Lüften.  —  Elton  dagegen  sagt  nach  der  zweiten  Möglichkeit:  An  unusual 
kind  of  sound  as  of  brass  being  beaten.  —  Vedel  hatte  auch  „hand  herde 
it  bulder  vdi  luflften-  (S.  CXV). 


Fridlewus'  Zug  gegen  Norwegen;  Hythin.  285 

lüstern  nach  dem  Becher  voll  Milch;  des  Knechtes  Lage  ist 
die  beste,  da  ihm  ein  Königsspross  aufwartet;  denn  durch 
einen  blinden  Zufall  ist  ihr  Schicksal  vertauscht.^ 

Nach  diesem  Gesänge  der  Vögel  fiel  dann  sogleich  ein  Gürtel 
vom  Himmel  herab,  der  das  Lied  schriftlich  aufgezeichnet  ent- 
hielt. Ein  Riese  hatte  nämlich  in  Menschengestalt  den  Sohn 
des  Königs  von  Thialaraarchien^),  Namens  Hythin'^),  als  ge? 
dieser  nach  Kinderart  spielte,  entführt  und  benutzte  ihn  als 
Ruderer,  als  er  in  seinem  Schiffe  an  das  nächste  Ufer  setzte 
imd  an  Fridlewus,  der  damals  gerade  auf  Kundschaft  aus- 
gegangen war,  vorüberfuhr.  Der  König  wollte  nicht  leiden, 
dass  er  sich  der  Dienste  des  gefangenen  Jünglings  bediene, 
und  wünschte  dem  Räuber  seine  Beute  abzujagen.  Der 
Jüngling  aber  forderte  ihn  auf,  er  möchte  zuerst  eine  recht 
heftige  Scheltrede  erheben,  und  versicherte  ihm,  der  Kampf 
würde  leichter  sein,  wenn  er  den  Feind  nur  vorher  mit  bos- 
haften Worten  reize ^).  Darauf  begann  Fridlewus  folgender- 
massen : 

„Da  du  ein  Riese  und  ganz  unüberwindlich  bist,    drei 
Leiber*)  hast  und  mit  dem  Scheitel  beinahe  bis  zum  Himmel 


*)  Cremeint  ist  wohl  die  norwegische  Provinz  Telemarken,  die  sonst 
allerdings  bei  Saxo  (B.  VII,  VIII)  Telemarchia  hcisst. 

')  Ich  übersetze  die  bisher  sehr  verworrene  Stelle  nach  Olriks  scharf- 
sinniger Besserung  (11,  64).     Die   ed.  princ.   hat  folgenden  Text:  Kegis 

quippe  'Thialamarchiae  filium  pueriliter  obludentem  gigas  Hythin  nomine 

abduxerat.  Um  die  ächwierigkeiteu  zu  beseitigen,  die  sich  dabei  für  den 
Zusammenhang  ergeben,  wollte  Stephanius  filiam  für  filium  lesen.  Müller 
wollte  Hythin  nomine  vor  filium  setzen  und  es  auf  den  König  beziehen. 
Beide  Auswege  helfen  nicht  viel.  Olrik  scheint  das  Richtige  getroffen 
zu  haben,  indem  er  Hythin  nomine  einfach  vor  gigas  setzt  und  auf  filium 
bezieht. 

')  Den  Sfheltvorsen  wird  also  hier  eine  go^isse  schwächende  Kraft 
gegenüber  dem  Riesen  zugeschrieben.  Aehnliches  findet  sich  auch  noch 
in  zwei  andern  nordischen  Sagen ,  die  Olrik  11 ,  66  anfuhrt.  Derartige 
Scheltreden  vor  dem  Kampfe  sind  übrigens  ganz  gewöhnlich,  bei  homerischen 
Helden  wie  in  germanischen  Sagen  wie  bei  den  mittelalterlichen  Sänger- 
kriegen.   Vgl.  meine  Schrift  über  die  Streitgedichte  8.  27. 

*)  Ob  das  wörtlich  zu  nehmen  oder  nur  als  Bezeichnung  für  seine 
gewaltige  Grösse  anzusehen  ist,  bleibt  ungewiss. 


280  Sechstea  Bucb. 

reichst,  weshalb  hängt  da  dieses  lächerliche  Schwert  an 
deiner  Hüfte?  Warum  gQrtest  du  einen  zerbrochenea  Jagd- 
spiess  an  deine  lange  Seite?  Weshalb  schirmst  du  deine 
tapfere  Brust  mit  einer  schwachen  Klinge  und  verachtest  die 

2öB  Mächtigkeit  deines  Körperbaues,  vertrauend  auf  den  geringen 
Schutz  eines  kurzen  Dolches?  Bald,  bald  will  ich  köhnlich 
deinen  Angriff  abweisen ,  wenn  du  mit  deinem  stumpfen 
Stahl  zum  Kampfe  schreitest.  Da  du  selbst  nur  ein  furcht- 
sames Ungeheuer  bist,  eine  Masse,  bar  der  würdigen  Kraft, 
wirst  du  köpflings  davonstürzen  wie  ein  flüchtiger  Schatten; 
denn  zu  deinem  herrlich  prunkenden  Körper  hast  du  ein 
unkriegerisches,  von  Furcht  bebendes  Herz  erhalten  und  eine 

179  Gesinnung,  die  gar  nicht  zu  deinen  Gliedern  passt.  Daher 
wankt  das  Gefüge  deines  Leibes,  weil  das  glückliche  Aeussere 
hinkt  wegen  des  Mangels  an  Mut  und  deine  Natur  ungleich- 
massig  ist  in  ihren  Bestandteilen.  Daher  wird  dich  jeder 
Preis  und  Ruhm  verlassen,  und  du  wirst  nicht  als  Held 
unter  die  Zahl  der  Tapferen  gerechnet,  sondern  unter  den 
Scharen  der  Feigen  aufgeführt." 

Darauf  hieb  er  dem  Riesen  Hand  und  Fuss  ab,  befreite 
den  Gefangenen  und  jagte  jenen  in  die  Flucht.  Dann  suchte 
er  sogleich  das  Vorgebirge  auf;  wo  der  Riese  gehaust  hatte, 
holte  dessen  Gehl  aus  der  Höhle  und  nahm  es  mit.  Jubelnd 
über  diese  Beute  benutzte  er  die  Geschicklichkeit  des  be- 
freiten Jünglings  bei  der  Ueberfahrt  über  das  Meer  und  sang 
dabei  mit  heiterer  Stimme  folgendes  Lied: 

„Unser  blutüberströmtes  Schwert  und  die  bepurpurte 
Klinge  haben  wir  zum  Morde  des  raseben  Ungetüms  ver- 
wendet, während  dich,  Amundus,  der  du  Norwegens  Nieder- 
lage herbeiführst,  tiefe  Ruhe  umfängt.  Während  dich  mit 
deinem  wenig  erleuchteten  Sinuc  unkundige  Nacht  umgiebt. 
t;iit7üi'li\\;i]Ld  deine  Tüchtigkeit  und  hat  dich  betrogen.  Wir 
aber  übt'rwältigten  einen  Kiesen  und  beraubten  ihn  der  Glieder 
6  UDd  der  Schätze  und  drangen  ein  in  seine  unermesslich  weite 
lißhie,  Dort  entführten  wir  ihm  sein  räuberisch  zusammeo- 
geschurrleü;  Geld.  Schon  peitschen  wir  mit  den  Rudern  das 
■«geude    Meer    und    lenken    das   mit  Beute    gefüllte    Schiff 


i 


Fridlewus*  Sieg  über  d.  Riesen  u.  Amundus.  287 

freudig  zum  Ufer  zurück.  Wir  durchkreuzen  die  Fluten  in 
dem  meerdurchmessenden  Fahrzeug.  Eilig  lasst  uns  diese 
Wogen  durchfurchen,  dass  uns  nicht  das  Licht  begegne  und 
dem  Feinde  verrate.  Darum  lasst  uns  leicht  und  mit  Auf- 
wand aller  unserer  Kräfte  das  Meer  durchschneiden,  damit 
wir  noch  unser  Lager  und  die  Flotte  erreichen,  bevor  Titan  ^). 
sein  rosiges  Haupt  aus  den  Wellen  erhebt;  damit,  wenn  das 
Gerücht  unsere  That  verbreitet  und  Frogertha  hört  von 
der  Beute,  die  wir  im  edlen  Kampfe  errungen,  freundlichere 
Neigungen  für  unsere  Wünsche  in  ihrem  Herzen  rege  werden." 
Am  folgenden  Tage  fand  zwischen  Fridlewus  und 
Amundus  unter  Aufwand  von  grossen  Truppenmassen  ein 
blutiger  Zusammenstoss  statt,  der  sich  teils  zu  Lande,  teils 
zur  See  abspielte.  Denn  obwohl  sich  die  Schlachtreihen 
einerseits  auf  den  Ebenen  entfalteten,  griffen  sich  andrerseits 
auch  die  Flotten  an.  Als  sich  das  Treffen  höchst  blutig  ge- 
staltete und  Biornos  Reihen  wankten,  da  löste  dieser  zuletzt 
seinen  Bluthund  von  den  Ketten  und  hetzte  ihn  auf  den  Feind,  |gQ 
um  den  Sieg,  den  er  mit  dem  Schwerte  nicht  erkämpfen 
konnte,  durch  das  Wüten  des  Hundes  zu  erlangen.  Dieser 
Umstand  Verursachte  den  Gegnern  eine  schmähliche  Nieder- 
lage, da  die  Reihe  der  Tapfersten,  von  den  Bissen  angefallen, 
die  Flucht  ergriff.  Man  kann  kaum  sagen,  ob  ihre  Flucht 
mehr  traurig  oder  schimpflich  war.  Denn  das  Heer  der  Nor- 
weger war  recht  kläglich,  da  es  einem  Feinde  erlag,  der  sich 
von  einem  Tiere  Hilfe  lieh;  von  Fridlewus  andererseits 
war  es  keine  Heimtücke,  wenn  er  den  wankenden  Mut  seiner 
Krieger  durch  den  Schutz  des  Hundes  wieder  aufrichtete.  In 
diesem  Kampfe  fiel  Amundus.  Als  nun  sein  Diener  Ano, 
mit  dem  Beinamen  der  Pfeilschütz *),  Fridlewus  zum  Zwei- 
kampfe herausforderte,  trat  ihm  Biomo,  ein  Mann  von  270 
niedrigem  Stande  entgegen,  um  zu  verhindern,  dass  der  König 
mit  einem  gemeinen  Manne  fechte.  Als  nun  Biomo  den 
Bogen   spannte    und  den   Pfeil   auf  die  Sehne  legte,   schoss 

^)  Griechisch-römischer  Name   des  Sonnengottes;  vgl.  I.  23  Anm.  1. 
')  sagittarius;    derselbe  Held    erscheint   in    norwegisch -isländischer 
Sage  als  An  bogsveigir. 


288  Sechstes  Buch. 

plötzlich  A  n  0  und  zerschnitt  mit  seinem  Pfeil  das  eine  Ende 
der  Sehne;  bald  folgte  diesem  ein  zweites  Geschoss  und  blieb 
mitten  zwischen  den  Gliedern  seiner  Finger  haften.  Endlich 
kam  ein  drittes  und  traf  den  Pfeil,  der  auf  der  Sehne  lag. 
Ano,  der  die  grösste  Geschicklichkeit  im  Pfeilschiessen  aus 
der  Ferne  besass,  hatte  nämlich  absichtlich  nur  die  Waffe 
seines  Gegners  getroffen,  um  den  Kämpfer  durch  den  Beweis, 
271  dass  er  ihn  ebenso  gut  selbst  treffen  könnte,  von  seinem  Vor- 
haben abzubringen.  Biomo  Hess  aber  darum  nicht  im  ge- 
ringsten den  Mut  sinken,  verachtete  die  Lebensgefahr  und 
ging  so  ruhig  und  gefasst  in  den  Kampf,  dass  er  gar  nichts 
auf  An  OS  Geschicklichkeit  zu  geben  und  keine  Spur  in  seiner 
gewöhnlichen  Tapferkeit  nachzulassen  schien.  So  Hess  er  sich 
also  in  keiner  Weise  von  seinem  Vorsätze  abbringen  und 
wagte  sich  unerschrocken  in  den  Zweikampf.  Beide  gingen 
verwundet  daraus  hervor  und  bekämpften  einander  noch  ein 
zweites  Mal  bei  Agdarnes  ^)  in  eifersüchtiger  Ruhmbegierde. 
Nach  dem  Tode  des  Amundus  war  Fridlewus  von 
seinem  bittersten  Feinde  befreit  und  hatte  nun  eine  tiefe  und 
sichere  Ruhe  erlangt.  Da  er  jetzt  die  Wildheit  seines  Ge- 
mütes zwang,  der  Wollust  zu  weichen  und  er  von  heisseni 
Liebessehnen  erfüllt  wurde,  rüstete  er  eine  Flotte,  um  die 
Verbindung,  die  ihm  einst  versagt  worden  war,  zu  vollziehen. 
Endlich  machte  er  sich  auf  den  Weg.  Als  aber  seine  Flotte 
von  den  günstigen  Winden  verlassen  wurde,  brach  er,  um 
Lebensmittel  zu  suchen,  in  einige  Dörfer  ein;  er  ward  da 
von  einem  gewissen  Grubbo  gastlich  empfangen,  vermählte 
sich  schliesslich  mit  dessen  Tochter  und  erzeugte  einen  Sohn 
mit  ihr  Namens  01a wus.  Nach  einiger  Zeit  gewann  er  auch 
Frogertha,  wurde  aber  bei  der  gär  nicht  glücklichen 
Rückkehr  nach  der  Heimat  an  das  Gestade  einer  unbekannten 
Insel  verschlagen.  Durch  die  Mahnung  einer  mächtigen  Traum- 
erscheinung wurde  er  aufgefordert,  einen  in  der  Erde  ver- 
borgenen    Scliatz     auszugraben    und    dessen    Hüter,     einen 

*)  So  lu»vst  lioUlor  mich  J^lUller;  dann  wäre  das  jetzige  V^orgebirge 
Agdena's  in  Norwogon  goiuciiit,  dio  t»d.  princ.  hat  indessen  Addarnses, 
wovon  man  nicht«  weitor  \vt>ieis. 


Ano  u.  Biomo;  Fridlewus'  Heirat;  DracheDkampi.  289 

Drachen,  anzugreifen;  doch  sollte  er,  um  dem  Gift  desselben 
zu  entgehen,  sich  in  eine  Rindshaut  hüllen  und  seinen  mit 
Leder  bespannten  Schild  seinen  giftigen  Bissen  entgegen-  181 
halten^).  Um  nun  die  Erscheinung  zu  prüfen,  griff  er  die 
aus  den  Wogen  auftauchende  Schlange  an  und  schleuderte 
lange  vergeblich  Speere  auf  ihren  schuppigen  Rücken;  denn 
die  harte  Oberfläche  machte  den  Anprall  der  Geschosse  un- 
wirksam. Der  Drache  selbst  aber  ringelte  sich  wütend,  und 
wenn  er  mit  den  Windungen  seines  Schwanzes  gelegentlich 
Bäume  berührte,  so  entwurzelte  er  sie  dadurch  vollständig. 
Uebrigens  höhlte  er  durch  das  beständige  Hin-  und  Herwinden 
seines  Körpers  die  Erde  bis  auf  den  festen  Untergrund  aus 
und  bewirkte  auf  beiden  Seiten  steile  Abfälle,  sowie  man  ja 
an  manchen  Stellen  einander  gegenüberliegende  Hügel  sehen 
kann,  die  durch  ein  Thal  getrennt  sind.  Da  nun  Fridlewus 
merkte,  dass  das  Ungetüm  an  der  Oberseite  unverletztlich 
war,  griff  er  es  von  unten  mit  dem  Schwerte  an,  durchbohrte 
ihm  einen  Teil  der  Weichen  und  zapfte  so  dem  Zappelnden 
sein  Blut  ab.  Als  er  es  getötet.  Hess  er  den  Schatz  aus 
der  Höhle  herausholen  und  auf  sein  Schiff  schalt'en. 

Nach  Ablauf  eines  Jahres  gelang  es  ihm  auch  dank 
seiner  eifrigen  Bemühungen,  Biomo  und  Ano,  die  noch 
öfter  mit  einander  gefochten  hatten,  zu  versöhnen,  und  er 
veranlasste  sie,  ihren  Hass  in  Freundschaft  zu  verwandeln  ^) ; 
er  übergab  ihnen  auch  seinen  dreijährigen  Sohn  Olawus  zur 
Erziehung.  Sein  Kebsweib  Juritha,  eben  die  Mutter  des 
Olawus,  gab  er  Ano  zur  Gattin,  nachdem  er  diesen  in  seine 
Dienste  aufgenommen ;  denn  er  hoffte,  sie  würde  um  so  gleich- 
mütiger die  Verschmähung  ertragen,  wenn  sie  mit  einem  so 
berühmten  Helden  vermählt  würde  und  statt  der  Umarmung 
des  Königs  wenigstens   die  eines  wackeren  Mannes  erlangte. 

Bei  den  Alten  war  es  Sitte,  über  das  künftige  Schicksal 
der  Kinder  das  Orakel  der  Farcen  zu  befragen.  Nach  diesem 
Brauche  wollte  auch  Fridlewus  das  (beschick  seines  Sohnes 


*)  Vf(l.  die  ähnliche  Schilderung  II,  58  ÖO. 

*)  Wohl  wieder  in  Form  von  Blutbrüderschaft. 

Saxo  Granimaticus.  X9 


290  Sechstes  Buch. 

erfahren;  nach  feierlichem  Gottesdienst  begab  er  sich  als« 
mit  seiner  Bitte  in  den  Tempel  der  Götter  und  sah  dort  beim 
Einblick  in  das  Heiligtum  drei  Jnngfrauen  auf  el)ensi)  vielen 
Sesseln  sitzen  ').  Die  erste  von  diesen  verlieh  dem  Knaben 
in  wohlwollender  Gesinnung  reiche  S^chtinheit,  Gunst  und  Be- 
liebtheit bei  den  Menschen.  Die  zweite  gewährte  ihm  als 
Gnadengeschenk  die  Tugend  der  Freigebigkeit.  Die  dritte 
aber,  ein  Weib  von  recht  boshafter  Veranlagung  und  neidischem 
Charakter,  wollte  nichts  von  der  übereinstimmenden  GQte 
ihrer  Schwestern  wissen,  sondern  wünschte  vielmehr  ihren 
Gaben  entgegenzutreten,  und  darum  behaftete  sie  den  Charakter 
des  Knaben  mit  dem  Laster  des  Geizes.  So  verdarb  sie  die 
AVohlthaten  der  andern  durch  das  Gift  eines  schlimmen  Ge- 
schickes, und  es  geschah,  dass  nach  der  doppelten  Art  seiner 
Gaben  sein  mit  Freigebigkeit  verbundener  Geiz  ihm  »einen 
Beinamen  gab').  So  kam  es  auch,  dass  dieser  Flecken  auf 
seinem  Charakter  seine  ursprüngliirhe  Anmut  und  Liebens- 
würdigkeit beiuträchtigte. 

Als  Fridlewus  bei  seiner  Rückkehr  aus  Norwegen 
durch  Schweden  zog,  übernahm  er  aus  freien  Stücken  die 
Rolle  eines  Freiwerbers  und  gewann  für  den  noch  unver- 
mählten Ilalilanus  die  Tochter  des  Ilyt  hin  us,  die  er  einst 
vor  einem  Ungeheuer  errettet  hatte,  zur  Gattin').  Unter- 
dessen gebar  ihm  seine  Gemahlin  Frogertha  den  Frotho, 

')  I\-Wr  ilii-  drei  S.>lii.>kHa!s(rö(ti>iiieii  (liit.  l'ar.-i.c.  nnl.  m.rnir)  vrI. 
E-  H.  M.-VIT  S.  167  ff.  iii.  Ueirialer),  (ir.llher  M.  llU  ff.  Mogk  i.  (irdr.  111, 
am  ff.  Dil-  ülli-3li-  ist  I'rOr.  dit>  Naniuii  W'nlaiidi  und  .Skiild  sind  jüngeren 
i;MprunK.H.  Im  der  Diililiii.j.'  spielen  lii-  eine  sehr  wieliÜKO  K..llc.  VrI,  b.  ». 
()ylfa^.li-.(i,-riii>.s  Eddl■S.:^IO.ullddl...üilldi.■llelJ.■s^■hi.■llte  bfi  derdpbiirt 
Ili'lfiis  im  eraten  Linie  von  ihm  .Str.  ü  ff.  =  Ciering  8.  IH).  Dieselbe  Au- 
si-hiiiiunB,  lind  nami'iillich,  dius  die  liriUe  im  (iegensutz  zu  den  beiden 
."1,.,,  eine  sehlimnie  (Jube  verleih!,  findet  sieli  uiieh  in  vielen  SlÄrclien, 
II.   in  denrn  vnm    Dnr>iri>J»'hen1y|in3. 

')  Kr  heis4l  sc.nst  Ve^Ltnü.  niil.  Dli  hinn  Ihekni;  wciterfa  Ober  ihn 
.    iFd  VI!.  <i.  VIII.  Bui'he.  w..  seine  Ues.'hiehle  eini;ehender  behandelt  wird. 


isehende  Aufirelen    dicsoa 


Olawus.     Frotho  IV.  291 

der  von  seiner  ausgezeichneten  Freigebigkeit  seinen  Beinamen  182;  275 
erhielt.  Frotho  war  nun  wegen  der  Erinnerung  an  die 
glücklichen  Zeiten  unter  seinem  Grossvater,  dessen  Namen 
er  ja  trug,  von  der  Wiege,  von  den  ersten  Tagen  seiner 
Kindheit  an  hei  allen  so  beliebt,  dass  man  ihn  nicht  einmal 
auf  dem  Boden  gehen  öder  stehen  liöss,  sondern  ihn  fort- 
während ans  Herz  druckte  und  mit  Küssen  liebkoste.  So 
wurde  er  also  nicht  bloss  einem  einzigen  Erzieher  zugewiesen, 
sondern  er  war  eigentlich  der  Zögling  aller  ^).  Beim  Tode 
seines  Vaters  stand  er  erst  im  zwölften  Jahre,  aber  er  be- 
siegte doch  die  Sachsenhäuptlinge  Swertingus  und  Hanewus, 
die  sich  seiner  Herrschaft  entziehen  und  offenkundig  abfallen 
wollten,  im  Kampfe  und  erlegte  den  unterworfenen  Stämmen 
zum  Zeichen  der  Knechtschaft  als  Strafe  die  Zahlung  eines 
Schillings  für  den  Kopf  auf^).  Er  war  so  freigebig,  dass  er 
in  einer  ungewöhnlichen  Art  Edelniut  den  früheren  Lohn 
.seiner  Soldaten  verdoppelte.  Er  Hess  sich  auch  nicht  nach 
Tyrannenart  von  den  allgemeinen  Lockungen  der  Laster  ver- 
führen, sondern  er  bemühte  sich  eifrig,  alles,  was  er  als  das 
Ehrenvollste  erkannte,  zu  erreichen,  seine  Schätze  zur  all- 
gemeinen Verfugung  zu  stellen,  andere  an  Freigebigkeit  zu 
übertreffen,  es  allen  in  den  Pflichten  der  Menschlichkeit 
2uvorzuthun  und,  was  das  Schwierigste  ist,  den  Neid  durch 
seine  Tugend  zu  überwinden.  Dadurch  gewann  er  sich  binnen 
kurzem  bei  allen  solch  einen  Ruhm,  dass  er  schon  als  Jüngling 
durch  seinen  Ruf  nicht  nur  den  Ehren  seiner  Vorfahren  gleich- 
kam, sondern  selbst  die  Erinnerungen  an  die  ältesten  Könige 
noch  übertraf. 


Mädohens  zu  jfobon.  setzt  or  die  ^anzc  Fridlowssaj2[o  in  Parallele  zur  Sage 
von  Haltdan  Brünufostri,  wobei  zwar  sehr  schöne,  aber  doch  wohl  nicht 
ganz  sichere  Ergebnisse  erzielt  werden  (Olrik  II,  <)4;  68). 

^)  Hiermit  beginnt  ein  Abschnitt,  der  sowohl  bei  Saxo  wie  in  der 
isländischen  SkjiUdungensage  trotz  vielfacher  Verschiedenheiten  im  Einzelnen 
eine  Einheit  liildet.  Die  Fürsten,  von  denen  er  handelt,  sind  Frode, 
Fridlews  Sohn,  und  Ingjald;  die  Hauptperson  aber  ist  der  dänische 
Nationalhold  Starkadr.     Vgl.  Olr.  II,  219. 

')  Dieser  Zug  ist  den  dänischen  Sagen  eigentümlich:  vgl.  die  ganz 
Ähnliche  (reschichte  von  König  Dan  III.,  Buch  IV,  S.  189. 

19* 


292  Sechstes  Buch. 

Zu  derselben  Zeitrettete  sich  eingewisser  Starcatherus  % 
der  Sohn  des  Storwerkus,  allein  durch  seine  Stärke  oder 
sein  Glück  aus  einem  Schiffbruch,  bei  dem  seine  Gefährten 
umkamen,  und  wurde  von  Frotho  wegen  seiner  hervor- 
ragenden geistigen  und  körperlichen  Vorzüge  gastfreundlich 
aufgenommen.  Als  sie  eine  Zeit  lang  zusammen  gelebt  hatten, 
wurde  er  von  Tag  zu  Tag  aufmerksamer,  freundlicher  und 
ehrenvoller  behandelt  und  erhielt  schliesslich  ein  prächtiges 
Schiff  mit  dem  Auftrage,  als  Wiking  die  Meeresküsten  zu  be- 
wachen. Denn  wie  ihn  die  Natur  mit  einem  fast  übernatürlich 
stattlichen  Körper  begabt  hatte,  so  kam  er  dem  auch  durch 
die  Hochherzigkeit  seines  Sinnes  gleich,  sodass  ihm  wohl  kein 

274  Sterblicher  an  Tüchtigkeit  ebenbürtig  war.  Seine  Berühmtheit 
erstreckte  sich  soweit,  dass  heute  noch  das  ruhmreiche  An- 
denken an  seine  Thaten  und  seinen  Namen  fest  besteht.  Der 
Ruf  von  seinen  herrlichen  Leistungen  erstrahlte  nämlich  nicht 
nur  bei  den  Unsrigen,  sondern  er  hatte  sich  auch  in  allen 
Provinzen  der  Schweden  und  Sachsen  die  glänzendsten  Denk- 
mäler errichtet.  Die  Ueberlieferuug  versichert,  dass  er  aus 
der  Gegend  herstamme,  welche  Schweden  im  Osten  begrenzt, 
wo  jetzt  in  ihrem  weiten  Gebiet  das  zahlreiche  Volk  der 
Esten  und  andere  Stämme    hausen^).     Aber  eine  sagenhafte 

Igg  und  volksmässige  Ansicht  hat  über  seine  Geburt  etwas  ganz 
Unvernünftiges  und  von  der  Wahrheit  völlig  Abweichendes 
ersonnen.  Einige  berichten  nämlich,  er  stamme  von  den 
Riesen  ab  und  habe  seine  Abkunft  von  den  Ungeheuern  durch 
die    ungewöhnliche   Zahl    seiner   Hände    verraten,    und    man 


^)  Die  gesamte  Starkadsage  zerfällt  in  zwei  Hauptabschnitte :  1.  Star- 
kads  Jugend  (bis  zu  seiner  Begegnung  mit  dänischen  Fürsten),  2.  Die 
Zeit  im  Dienste  dänischer  Könige,  l'eber  das  (ianze  s.  Uhland  Sehr.  VII, 
234  ff.,  über  den  ersten  Teil  Olrik  II,  76  ff.  Dort  findet  sich  die  übrif^e 
wichtigste  Littcratur  über  die  Sage  verzeichnet ;  ferner  vgl.  die  amamagn.  Aus« 
gäbe  der  Snorra  Edda  III,  2H7  300  und  Müüenhoff,  deutsche  Altertumakde.  V, 
301  ff.  Die  (Jeschichten  des  ersten  Abschnitts  sind  norwegisch-bländischeD 
Ursprungs. 

*)  Trsprünglich  ist  dies  das  Riesenland,  Jötunheim.  Von  der  Ab» 
stammung  Starkuds  erzählt  auch  die  (Jautrekssaga  (Fornald.  Sog.  III,  15  k 
mit  der  Saxo  im  wcatvitüchen   übereinstimmt. 


L 


StarcatheruB ;  seine  Abkunft;  Heidengötter.  293 

erzählt,  der  Gott  Thor  habe  ihm  vier  von  diesen,  welche  die 
verschwenderische  Natur  ihm  fehlerhaft  gegeben,  nach  Ver- 
nichtung der  Sehnengefüge  abgenommen  und  von  seinem 
sonst  unversehrten  Körper  jene  wunderbaren  Fingermassen 
entfernt.  So  seien  nur  zwei  Hände  übrig  geblieben,  und  der 
vorher  riesenmässig  grosse  Körper,  der  wegen  der  Fülle  seiner 
Gliedmassen  ein  unförmiges  Aussehen  hatte,  sei  nunmehr, 
nach  einem  besseren  Muster  geformt,  auf  das  Mass  mensch- 
licher Grösse  beschränkt  worden. 

Vor  Alters  begannen  nämlich  gewisse,  in  der  Zauberei 
bewanderte  Leute,  Thor,  Othinus  und  einige  andere,  die 
sich  durch  ihre  wunderbare  Fertigkeit  in  Hexenküusten  aus- 
zeichneten, die  Gemüter  einfältiger  Menschen  zu  bethören  und 
sich  selbst  den  Glanz  der  Göttlichkeit  anzumassen  ^).  Sie 
lockten  Norwegen,  Schweden  und  Dänemark  im  Vertrauen 
auf  die  dortige  unbefangene  Leichtgläubigkeit  in  ihre  Netze, 
verführten  die  Bewohner,  ihnen  göttliche  Ehren  zu  erweisen 
und  befleckten  sie  ganz  besonders  mit  dem  Verderben  ihres 
Blendwerks.  Denn  die  Erfolge  ihrer  Betrügerei  nahmen  so  zu, 
dass  die  übrigen  Menschen  in  ihnen  eine  Art  göttliche  Macht 
verehrten,  sie  als  Götter  oder  Abkömmlinge  von  Göttern  be- 
trachteten, zu  diesen  P>findern  von  Zauberkünsten  feierliche 
Gebete  emporsandten  und  einem  gotteslästerlichen  Betrüger 
die  den  heiligen  Dingen  zukommende  Verehrung  erwiesen. 
Daher  kommt  es  auch,  dass  die  gesetzmässige  Reihe  der 
Wochentage  bei  uns  nach  den  Namen  dieser  Wesen  heisst,  275 
während  die  alten  Römer  bekanntlich  die  Bezeichnungen 
dafür  entweder  auch  von  den  Namen  ihrer  Götter  oder  von 
der  Zahl  der  sieben  Planeten  einzeln  hergenommen  haben. 
Gerade  aus  der  Benennung  der  Wochentage  aber  ist  doch 
klar  zu  entnehmeu,  dass  die  von  den  Unsrigen  einst  ver- 
ehrten Götter  nicht  dieselben  sind,  welche  die  alten  Römer 
Jupiter  und  Mercurius  nannten  oder  welchen  Griechenland  und 
Latium  abergläubischen  Dienst  erwies.  Denn  der  Tag,  welcher  bei 
uns  Tag  des  Thor  oder  Othinus  heisst,  wird  bei  jenen  Tag  des 


»)  Vgl.  I,  S.  37  Anm.  3. 


294  Sechstes  Buch. 

Jupiter  oder  Mercurius  genannt.  Wenn  wir  nun  die  Bedeutung 
der  oben  gegebenen  Erklärung  beibehalten,  dass  Thor  gleich 
Jupiter  und  Othinus  gleich  Mercurius  sei,  so  müsste,  wenn  die 
Ansicht  unserer  Vorfahren  bestehen  bleibt,  nach  welcher  Thor 
allgemein  als  Sohn  des  Othinus  gilt,  offenbar  Jupiter  der  Sohn 
des  Mercurius  sein.  Da  nun  die  Römer  in  ihrer  ganz  ent- 
gegengesetzten Anschauung  dabei  beharren,  dass  Mercurius 
der  Sohn  des  Jupiter  sei,  so  folgt  daraus,  dass,  wenn  diese 
ihre  Ansicht  zu  Recht  besteht,   wir  deutlich   Thor    als   einen 

184  andern  als  Jupiter  und  Othinus  als  verschieden  von  Mercurius 
erkennen.  Manche  behaupten,  die  von  unseren  Landsleuten 
einst  verehrten  Götter  hätten  mit  denen,  welche  man  in 
Griechenland  und  Latium  feierte,  nur  die  Bezeichnung  ge- 
meinsam, aber  jene  hätten,  da  sie  ilinen  an  Würde  fast  gleich 
waren,  von  diesen  den  Kultus  zugleich  mit  dem  Xamen 
entlehnt.  Diese  Auseinandersetzung  über  die  Gottheiten  des 
dänischen  Altertums  möge  nun  aber  genügen.  Ich  habe  sie 
deshalb  ein  wenig  allgemeinverständlich  gestaltet,  damit  meinen 
Lesern  klar  werde,  welchem  (iötzendienst  sich  unser  Vater- 
land in  heidnischem  Aberglauben  gewidmet  hat.  Jetzt  aber 
will  ich  nach  dieser  Abschweifung  zu  meiner  Aufgabe  zurück- 
kehren. 

27(5  Die  Alten  berichten,   der  oben   genannte  Starcatherus 

habe  die  Reihe  seiner  Thaten  —  um  die  Gunst  der  Götter 
zu  erlangen  —  mit  der  Erwürgung  des  norwegischen  Königs 
AVicarus  begonnen.  Der  Verlauf  der  Sache  ist  nach  dem 
Berichte  einiger  Gewährsmänner  folgender:  Othinus  wünschte 
einst  demWicarus  einen  schmählichen  Tod;  da  er  aber  den 
Mord  nicht  offenkundig  ausüben  wollte,  stattete  er  Starca- 
therus, der  sich  schon  vorher  durch  ungt-wöhnliche  Grösse 
auszeichnete,  nicht  nur  mit  kühnem  Mute,  sondern  auch  mit 
der  Fertigkeit,  Zauberlieder  zu  dichten,  aus,  damit  er  seine 
Hilfe  beim  Verderl)cn  des  Königs  um  so  wirksamer  fände. 
Denn  er  hoffte,  Starcatherus  würde  sich  in  dieser  Weise  für 
seine  Ehrungen  dankbar  erweisen.  Aus  demselben  Grunde 
beschenkte  er  ihn  auch  mit  einer  Lebensdauer  von  drei 
Menschenaltern,  damit  er  im  Laufe  derselben  eben.scniele  ver- 


Starcatherus  tötet  Wicarus.  295 

brecherisehe  Thaten  vollbringen  könnte.  Solch  eine  lange 
Lebenszeit  beschloss  er  ihm  für  jenes  Verbrechen  zu  verleihen. 
Starcatherus  begab  sich  alsbald  zu  Wicarus,  lebte  eine 
Zeit  lang  in  Gemeinschaft  mit  ihm  und  verbarg  unter  Dienst- 
eifer seine  Ränke.  Schliesslich  unternahm  er  mit  ihm  zu- 
sammen einen  Raubzug  zur  See,  Als  sie  nun  an  einer  Stelle 
lange  von  der  Ungunst  des  Wetters  verfolgt  wurden,  —  denn 
die  Winde  hinderten  dermassen  die  Weiterfahrt,  dass  sie  den 
grössten  Teil  des  Jahres  der  Ruhe  pflegen  mussten  —  be- 
schlovssen  sie  mit  Menschenblut  die  Götter  zu  versöhnen.  Sie 
warfen  nun  Lose  in  eine  Urne,  und  es  traf  sich,  dass  des 
Königs  Leben  als  Opfer  verlangt  wurde.  Da  machte  Starca- 
therus aus  AVeidenruten  eine  Schlinge  und  legte  sie  dem  277 
König  an,  als  sollte  er  nur  einen  kleinen  Augenblick  zum 
Scheine  die  Strafe  über  sich  ergehen  lassen.  Aber  die  Festig- 
keit des  Knotens  that  ihre  Pflicht  und  raubte  ihm,  als  er  da 
hing,  bald  den  letzten  Atemzug.  Als  er  noch  zappelte,  gab 
ihm  Starcatherus  mit  dem  Schwerte  vollends  den  Rest  und 
enthüllte  so  seine  Treulosigkeit,  wo  er  hätte  Hilfe  bringen 
sollen.  Eine  andere  Ansicht,  die  da  sagt,  die  weichen  Ruten 
seien  beim  Zusammenziehen  plötzlich  hart  geworden  und 
hätten  wie  eine  Drahtschlinge  gewirkt,  glaube  ich  nicht  erst 
berücksichtigen  zu  dürfen  ^).  Dann  nahm  er  das  SchiflF  des 
Wicarus  und  begab  sich  zu  einem  gewissen  Bemonus^), 
dem  tapfersten  aller  dänischen  Seeräuber,  um  selbst  ein 
Wikingerleben    zu    führen.      Denn    des    Bemonus    Gefährte,  is5 


*)  Andre  Quellen  berichten  dieselbe  Thatsaehe:  nur  heisst  es  da, 
Starkadr  sei  schon  vorher  von  Odin  begünstigft  und  mit  übermenschlicher 
Stärke  bejrabt  worden ;  zum  Danke  dafür  habe  Wikar  dem  (iotte  geopfert 
werden  müssen.  Ueber  den  Tod  dos  Königs  selbst  heisst  es  in  der 
Gautrekssaga,  er  sollte  zum  Scheine,  als  werde  er  Odin  geweiht,  mit  einem 
Kohrstcngel  berührt  werden;  bei  der  Berührung  aber  habe  sich  dieser 
in  einen  Speer  verwandelt  und  ihn  getötet.  S.  Uhland  VII,  245.  u.  Bugge, 
Stud.  340  ff. 

')  Nrd.  Beimuni;  dieser  und  die  andern  Namen  finden  sich  alle  in 
jüngeren  isländischen  Sagas  (1.3  14.  Jhdt.)  wieder.  Saxo  hat  wie  jene-sicher- 
lich  aus  einer  älteren  zusammenhängenden  Starkadsage  geschöi>ft. 


296  Sechstes  Buch. 

Namens  Frioca^),  hatten  sich  vor  kurzem  aus  Abneigung 
gegen  die  Mühen  dieses  Räuberlebens  von  seiner  Gesellschaft 
losgesagt,  nachdem  er  eine  Abfindungssumme  gezahlt.  Starca- 
therus  und  Bemonus  verwandten  nun  so  grosse  Sorgfalt  darauf, 
sich  stets  nüchtern  zu  erhalten,  dass  sie  sich  niemals  den 
Genuss  berauschender  Getränke  gestattet  haben  sollen,  damit 
nicht  die  vorzüglichste  Vorbedingung  zur  Tapferkeit,  die  Ent- 
haltsamkeit, durch  Völlerei  untergraben  würde.  Als  sie  nun 
weit  und  breit  die  Länder  niedergeworfen  hatten,  fielen  sie 
in  ihrer  Herrschsucht  auch  in  Russland  ein.  Die  Einwohner  aber 
verliessen  sich  nur  wenig  auf  ihre  Mauern  und  Waffen  und 
stellten  den  Feinden,  um  ihr  Eindringen  zu  verhindern, 
aussergewöhnlich  scharfe  Nägel  entgegen,  damit  sie  wenigstens 
das  Vordringen  derer  verzögerten,  deren  Angriff  sie  nicht 
zurückweisen  konnten,  und  damit  der  Boden  in  aller  Stille 
ihre  Fusssohlen  verwunde;  denn  man  scheute  sich,  ihnen  im 
offenen  Kampfe  Widerstand  zu  leisten.  Aber  auch  diese  Art 
Hindernis  half  nichts  zur  Abwehr  des  Feindes;  denn  den 
Dänen  fehlte  es  nicht  an  Schlauheit,  das  Werk  der  Rutenen 
zu  Schanden  zu  machen.  Sie  befestigten  nämlich  sogleich 
hölzerne  Schutzbretter  an  ihren  Füssen  und  schritten  so,  ohne 
ihre  Sohlen  zu  beschädigen,  über  die  darunter  liegenden 
Stacheln.  Diese  Fusseisen  bestanden  aber  aus  vier  Spitzen 
und  waren  so  eingerichtet,  dass  sie,  auf  welche  Seite  sie  auch 
der  Zufall  warf,  immer  gleich  auf  drei  Beinen  feststanden  V 
278  Dann  drangen  sie  in  unwegsame  Gebirge  und  dichte  Wälder 
ein  und  verjagten  den  Häuptling  der  Rutenen,  Floccus^), 
aus  seinem  Waldversteck,  in  welches  er  sich  verkrochen  hatte. 
Dort  bemächtigten  sie  sich  so  reicher  Beute,  dass  keiner  von 
ihnen,  ohne  mit  Gold  und  Silber  schwer  beladen  zu  sein, 
nach  der  Flotte  zurückkehrte. 

Nach    dem   Tode   des  Bemonus  wurde  Starcatherus   von 
Biarmischen  Fechtern  wegen  seiner  Mannhaftigkeit  eingeladen, 


*)  Wohl  zu  anrd.  fri-kr  -—  jji<'rijf. 

')  SpiittT    a'md    diosu  (icräte    unter    dcMU    Nuniei»   ^spanisrlu»  Heiter'* 
bekannt. 

•)  Kin  Flokki  (FltSki)  wird  uueh  s(»ust  als  FinnakonuiK/r  erwähnt. 


Starcatherus  in  fiussland,  Biannien,  Schweden,  Hibernien.       297 

und  als  er  bei  diesen  sehr  viele,  höchst  denkwürdige  Thaten  • 
vollbracht,  begab  er  sich  in  das  Gebiet  der  Schweden.  Dort 
feierte  er  mit  den  Söhnen  des  Frö  ^)  sieben  Jahre,  und  von 
diesen  aus  zog  er  endlich  zu  Haco,  dem  Tyrannen  von 
Dänemark*);  denn  während  seines  Aufenthaltes  in  Upsala 
zur  Zeit  der  Opfer  verabscheute  er  die  weibischen  Körper- 
bewegungen, das  Beklatschen  der  Schauspieler  auf  der  Buhne 
und  das  weichliche  Geklingel  der  Glocken.  Hieraus  ist  klar 
ersichtlich,  wieweit  sein  Gemüt  von  aller  Schlaffheit  entfernt  279 
war;  gewann  er  es  doch  nicht  einmal  über  sich,  bei  der- 
gleichen zuzusehen.  So  sehr  widerstand  seine  Mannhaftigkeit 
der  Ueppigkeit.  Daher  segelte  er  nun  mit  Haco  nach 
Hibernien,  damit  selbst  die  entferntesten  Reiche  nicht  von 
den  dänischen  Waffen  verschont  blieben.  Zu  dieser  Zeit  war 
Huglec^)  König  der  Insel.  Obgleich  dieser  nun  einen  reich- 
gefüllten Schatz  besass,  war  er  doch  so  sehr  dem  Geize  ver- 
fallen, dass  er  einst,  als  er  ein  Paar  Schuhe  verschenkte, 
welche  die  Hand  eines  kunstreichen  Meisters  geziert,  die 
Bänder  herauszog  und  so  durch  die  Entfernung  der  Schuh-  186 
riemen  von  ihrer  Stelle  das  Geschenk  in  eine  Schmach  ver- 
wandelte. Durch  diese  abscheuliche  Handlungsweise  ver- 
leidete er  die  Gabe  so  sehr,  dass  sie  ihm  offenbar  mehr  Hass 
als  Dank  einbrachte.  Er  pflegte  auch  keinen  anständigen 
Menschen  freigebig  zu  beschenken,  sondern  verschwendete 
seine  Gaben  immer  nur  an  Schauspieler  und  Spielleute.  Es 
ist  ja  auch  ganz  natürlich,  dass  solch  ein  niederer  Gesell  nur 
mit  anderen  niedrigen  Leuten  vertrauten  Umgang  hatte  und, 
selbst  in  einen  Abgrund  versunken,  sich  mit  schmeichelnden 


*)  1).  i.  das  Königsgcschlecht  der  Yngling^e,  die  ihren  Ursprung  von 
Pro  =  Freyr  herleiteten.     (Vgl.  I.  46  Anm.  1). 

*)  Wie  sich  dieser  Haco  (anrd.  Haki )  zum  rechtmässigen  König  Frotho 
verhält,  bleibt  bei  Saxo  unklar.  Wir  worden  kaum  fehlgehen,  wenn  wir 
annehmen,  Siixo  habe  sich  selbst  in  seiner  Königsreihe  verwirrt  und  meine 
denselben  von  ihm  später  angesetzten  König  Haco,  den  er  B.  VIT,  237  ff. 
(Holder)  behandelt. 

')  In  den  andern  (Quellen  erscheint  Hugleikr  als  Schwedenkönig 
und  die  folgenden  Ereignisse  spielen  sich  in  l'psata,  nicht,  wie  hier,  in 
])ul>lin  ab. 


208  Sechstes  Buch. 

Lockreden  Genossen  seiner  Schuld  gewann.  Noch  hatte  er 
zwei  Edle  von  erprobter  Tapferkeit,  Gegathus  und  Swib- 
dawus,  welche  in  der  Gesellschaft  dieser  Weichlinge  gleich- 
wie Edelsteine  auf  einem  Misthaufen  sich  durch  den  hellen 
Glanz  ihrer  kriegerischen  Thaten  auszeichneten.  Sie  waren 
also  die  einzigen  Verteidiger  der  Schätze  des  Königs.  Als 
nun  der  Kampf  zwischen  Huglec  und  Haco  begann,  ver- 
liessen  die  Herden  der  Mimen,  bei  denen  die  Leichtfertigkeit 
des  Charakters  auch  Widerstandslosigkeit  des  Körpers  erzeugte, 
in  ängstlicher  Eile  die  Schlachtreihe  und  lohnten  die  Wohl- 
thaten  des  Königs  nur  mit  schnöder  Flucht.  Da  warfen  sich 
Gegathus  und  Swibdawus  allein  so  vielen  tausend  Feinden 
entgegen  und  kämpften  mit  unglaublichem  Heldenmute,  so 
dass  es  schien,  als  ob  da  nicht  zwei  Krieger  sondern  ein 
ganzes  Heer  fechte.  Gegathus  brachte  auch  Haco,  der 
allzu  hartnäckig  auf  ihn  eindrang,  eine  so  gewaltige  Wunde 
in  der  Brust  bei,  dass  er  die  Oberfläche  der  Leber  bloss  legte. 
Hier  erhielt  auch  Starcatherus,  als  er  Gegathus  mit  dem 
Scliwerte  angriff,  eine  sehr  schlimme  Wunde  am  Kopfe.  So 
berichtet  er  auch  später  in  einem  Liede^),  er  habe  nirgend 
anders  einen  traurigeren  Hieb  bekommen;  denn  wenn  auch 
äusserlieh  noch  die  Haut  die  beiden  Teile  seines  zerspaltenen 
Hauptes  zusammenhielt,  so  barg  doch  die  blosse  Wunde  im 
Innern  ein  gar  böses  Eitergeschwür,  ohne  dass  man  es  sah. 
Starcatlierus  siegte  aber  doch,  und  nach  dem  Falle  Huglecs 
wurden  aucli  die  übrigen  Hiberner  in  die  Flucht  geschlagen. 
2H>  Wen  er  von  den  Spielleuten  gefangen  nahm,  den  Hess  er 
auspeitschen.  Denn  er  hielt  es  für  besser  an  der  Schar 
dieser  Lotterbuben  eine  lächerliche  Strafe  auf  Kosten  ihrer 
Haut  vollziehen  zu  lassen,  als  ein  peinliches  Urteil,  die  Hin- 
richtung, an  ihnen  zu  vollstrecken.  So  erliess  er  denn  gegen 
dieses  (iauklervolk  von  verächtlichem  Staude  eine  schmach- 
volle Strafe  und  begnügte  sich  damit,  sie  zum  Hohn  und  zur 
Demütigung    geissein   zu   lassen '').     Dann  holten  die    Dänen 

*)  Latt'inischi'  LcbiTsctzuntifon  von   StarkadliodiTn    gielit   Saxo  scU)st 
an  versi'hifflciwn  StolN'ii  des  VI.  u.  VIII.  Hucln's. 

•)  L'«"l  (.r  Mimen  und  Spielleuto  iin  XoriliMi  luuulolt  A.  Olrik  in  dem 


Starcatherus'  Tliaten  in  Hibemien  und  den  Ostländern.         299 

iu  der  Hauptstadt  Dufflina  die  Reiclitümer  des  Königs  aus 
der  Schatzkammer  heraus  und  Hessen  sie  öffentlich  plündern. 
Denn  dort  hatte  man  soviel  Geld  gefunden,  dass  alle  bei  der 
Verteilung  nur  geringe  Sorge  hatten. 

Darauf  wurde  Starcatherus  zusammen  mit  Winus, 
einem  Slavenfursten,  abgesandt,  um  dem  Abfall  der  Orientalen 
Einhalt  zu  gebieten.  Diese  fochten  vereint  gegen  das  Heer  187 
der  Kurländer,  Sember^),  Sangaler,  ja  aller  Orientalen  und 
gewannen  weit  und  breit  herrliche  Siege.  Ein  Fechter  von 
grossem  Ruf,  Namens  Wisinnus^),  hatte  bei  einem  Felsen 
in  Russland,  der  Ana-Fjal  heisst,  Sitz  und  Wohnung  auf- 
geschlagen und  quälte  die  Gegenden  fern  und  nah  mit 
allerlei  Unbilden.  Er  pflegte  durch  seinen  blossen  Blick  die 
Schärfe  jedes  Geschosses  stumpf  zu  machen.  Diese  Sicherheit 
vor  der  Furch^  vor  Wunden  erzeugte  nun  in  ihm  bei  seiner 
Macht  ein  solches  Mass  von  Unverschämtheit,  dass  er  selbst 
die  Frauen  vornehmer  Männer  vor  den  Augen  ihrer  Gatten 
raubte  und  schändete.  Durch  die  Kunde  von  diesen  Schand- 
thateu  fühlte  sich  Starcatherus  veranlasst,  nach  Riisshiud 
zu  eilen,  um  ihren  Urheber  aus  der  Welt  zu  schaffen.  Da 
ihm  kein  Kampf  als  zu  schwierig  galt,  forderte  er  Wisinnus 
zum  Zweikampfe  heraus,  griff'  ihn  an  und  besiegte  ihn,  nach- 
dem er  ihn  um  die  Vorteile  seiner  Kunst  gebracht.  Damit 
nämlich  der  Zauberer  seine  Klinge  nicht  ansehen  konnte, 
bedeckte  er  sie  mit  einer  ganz  dünnen  Haut,  und  Wisinnus 
half  weder  seine  Kunst  noch  seine  gewaltige  Körperkraft 
etwas,  dass  er  nicht  hätte  Starcatherus  weichen  müssen. 
Dann  besiegte  er  in  Byzautium^)  im  Vertrauen  auf  seine  o^x 
Körperkräfte  einen  Riesen  Namens  Tanna,  der  in  dem  Rufe 
der  Unbesieglichkeit  stand,    und  nötigte  ihn,    als  Verbannter 


Aufsätze:  ^Middelalderens  vandreiide  spillenuvnd  i  Norden  og  dcros  vise- 
sang**  (in  den  Mindrc  afhandlingor,  udg.  af.  d.  pliil.-hist.  Samfund  i  Köbcn- 
havn   1887.) 

*)  D.  s.  die  Einwohner  von  Seinbia  =  Saniland. 

-)  Anrd.  Visinn,  ein  Hold  im  Blökumannalande;  vgl.  VII, 357.  Anafjal 
ist  sonst  unbekannt. 

'  )Vgl.  I,  38  Anm.  1. 


300  Sechstes  Buch. 

unbekannte  Weltgegenden  aufzusuchen.  Da  nun  keine  böse 
Laune  des  Schicksals  seine  Heldenkraft  um  den  Sieg  bringen 
konnte,  so  wandte  er  sich  nach  Polonien  hin  und  über- 
wältigte dort  im  Zweikampf  einen  Fechter,  den  die  übrigen 
Wasce,  die  Teutonen  aber  mit  anderer  Schreibung  Wilcze 
nennen  ^). 

Unterdessen  begannen  die  Sachsen  an  Abfall  zu  denken 
und  besonders  darauf  zu  sinnen,  wie  sie  den  im  Kriege  noch 
unbesiegten  Frotho  auf  andere  AVeise  als  durch  einen  all- 
gemeinen Kampf  überwältigen  könnten^).  In  der  Ansicht, 
dies  sei  am  besten  durch  einen  Zweikampf  zu  erreichen, 
schickten  sie  Gesandte,  welche  den  König  dazu  heraus- 
fordern sollten;  denn  sie  wussten,  dass  sich  dieser  bereit- 
willig in  jede  Gefahr  stürzen  und  bei  seiner  Hochherzigkeit 
nie  einer  Warnung  Folge  leisten  würde.  Sie  meinten  aber, 
ihn  gerade  in  dieser  Zeit  angreifen  zu  müssen,  da  sie 
wussten,  Starcatherus,  dessen  furchtbare  Tapferkeit  all- 
gemein bekannt  war,  sei  in  (Geschäften  abwesend.  ATähreml 
jedoch  Frotho  noch  zögerte  und  sagte,  er  wolle  sich  mit 
seinen  Freunden  über  die  Antwort  beraten,  kehrte  Star- 
catherus unerwartet  von  seinem  Raubzuge  heim. 

Dieser  tadelte  besonders  darum  die  Herausforderung, 
weil,  wie  er  sagte,  Könige  nur  mit  ihresgleichen  fechten 
und  nicht  gegen  Leute  aus  dem  Volke  die  Waffen  ergreifen 
dürften^);    ihm   vielmehr,    der   ja   von  niederer  (ieburt    sei, 

*)  Er  erscheint  als  Riese  Vazi(Vu(li)  auch  sonst.  Saxos  Benicrkunj?  deutet 
darauf  hin,  dass  ihm  die  Sage  wohl  auch  aus  l/iodern  sächsischer  d.  h. 
niederdeutscher  Sänger  bekannt  war.  Vgl.  Jiriczek,  Deutsche  Heldous.  I,  178. 

*)  Von  hier  ab  sehen  wir  Starkadr  im  Dienste  dänischer  Könige, 
zuerst  Frothos,  und  damit  beginnt  auch  der  dänische  Urs]>rung  in  den 
weiteren  Berichten.  Nach  Saxo's  Bericht  wird  es  nicht  klar,  ob  Starkadr 
seine  hier  zuletzt  genannten  Thaten  auf  eigene  Faust  oder  auch  schon  in 
Frothos  Dienst  vollbracht  hat.  Das  erstere  ist  wohl  wahrscheinlicher. 
Von  jetzt  ab  erscheint  Starkadr  auch  anders  als  früher,  immer  als  (ireis. 
Ks  ist  übrigens  zu  beachten ,  dass  ursprünglich  nicht  Sachsen ,  sondern 
das  Ostland  (Hussland)  der  Schauplatz  der  folgenden  Thaten  Starkads  war. 
Vgl.  darül.er  MüUenhoff.  deutsche  Altertkd.  V,  31*J,  ferner  Olrik  II,  220. 
L'eber  die  Sachsenkämpfe  s.  noch  besonders  Olrik  II,  299  flf. 

')  Das  ist   allgemein  giltige  .\nsehauung;  vgl.  u.a.  (»ben   S.  2S7. 


Abiall  und  Unterwerfung  der  Sachsen.  301 

komme  es  zu,  den  Kampf  zu  übernehmen.  Die  Sachsen  18S 
gingen  nun  Hama,  der  wegen  seiner  Siege  in  gymnischen 
AVettki'impfen  bei  ihnen  in  höchstem  Ansehen  stand,  mit 
vielen  Versprechungen  an,  wenn  er  den  Zweikampf  über- 
nähme, gelobten,  ihm  sein  ganzes  Körpergewicht  in  Gold 
aufzuwiegen,  gewannen  ihn  durch  das  Geld  auch  wirklich  282 
und  geleiteten  ihn  unter  feierlichen  Kriegstänzen  zum  Kampf- 
platz. Dann  führten  die  Dänen  den  mit  kriegerischen  Ab- 
zeichen geschmückten  Starcatherus,  der  für  ihren  König 
eintreten  sollte,  ebenfalls  auf  das  Kampffeld.  Da  er  schon 
vom  Alter  entnervt  schien,  verachtete  ihn  Hama  im  Ver- 
trauen auf  seine  Jugend  und  wünschte,  mit  dem  kraftlosen 
Greise  lieber  zu  ringen  als  zu  fechten.  Er  griff  ihn  an  und 
hätte  ihn  auch  wirklich  auf  die  Erde  niedergeworfen,  wenn 
nicht  das  Schicksal,  welches  die  Besiegung  des  Alten  nicht 
zugab,  diese  Schmach  verhindert  hätte.  Er  soll  nämlich  von 
dem  anstürmenden  Hama  einen  solchen  Faustschlag  erhalten 
haben,  dass  er  in  die  Kniee  sank  und  die  Erde  mit  dem 
Kinne  berührte.  Aber  bald  machte  er  sein  Wanken  durch 
seine  herrliche  Rache  wieder  gut.  Denn  sobald  er  seine 
Kniee  wieder  erhoben,  seine  Hand  wieder  frei  hatte  und  sein 
Schwert  ziehen  konnte,  hieb  er  Hama  mitten  entzwei. 
Mehrere  Aecker  und  sechzig  Sklaven  waren  der  Lohn  für 
seinen  Sieg.  Nach  Hamas  Tode  aber  wurde  die  Herrschaft 
der  Dänon  über  die  Sachsen  so  streng,  dass  sie  gezwungen 
wurden,  zum  Zeichen  ihrer  Knechtschaft  für  jedes  Glied  von 
einer  Elle  Länge  eine  jährliche  Abgabe  zu  zahlen.  Dies 
nahm  sich  Hanef  sehr  zu  Herzen  und  dachte,  in  der  Ab- 
sicht, den  Tribut  los  zu  werden,  an  einen  Krieg.  Da  die 
innige  Liebe  zum  Vaterlande  in  seinem  Innern  das  Mitleid 
mit  den  Unterdrückten  von  Tag  zu  Tage  reger  machte, 
wünschte  er  endlich  sein  Leben  für  die  Freiheit  seiner  Mit- 
bürger einzusetzen  und  trat  mit  seinem  Plane  zum  Wider- 
stände offen  hervor.  Frot  ho  ging  mit  seinen  Truppen  über  die 
Elbe  und  erschlug  ihn  bei  dem  Dorfe  Han  öfra,  welches  so  nach 
ihm  heisst  *).    Obwohl  Swertingus  nicht  weniger  durch  das 

^)  Wohl  eine   von  Saxos  Uowährsmann  erfinulone  Etymologie    (oder 


302  Sechstes  Buch. 

Eleud  seiner  Mitbürger  erscliüttert  war,  so  sprach  er  doch 
gar  nicht  von  dem  Unglück  seines  Vaterlandes,  betrieb  dabei 
aber  noch  thatkräftiger  als  Ilanef  den  Befreiungsplan.  Ob 
man  diese  Absicht  nun  als  Tugend  oder  als  Laster  zu  be- 
trachten hat,  kann  zweifelhaft  sein;  ich  für  meinen  Teil  be- 
zeichne sie  ohne  weiteres  als  Verbrechen,  da  sie  dem  ver- 
räterischen Wunsche  nach  Abfall  entsprang.  Denn  wenn  es 
aucli  zweifellos  sehr  verdienstlich  war,  sich  für  die  Freiheit 
des  Vaterlandes  zu  bemühen,  so  durfte  man  sie  doch  nicht 
durch  Hinterlist  und  Verrat  zu  erreichen  suchen.  Wie  nun 
die  That  des  Swertingus  offenbar  von  der  Ehre  abwich, 
so  wird  man  auch  zugeben,  dass  sie  nicht  einmal  nützlich 
gewesen  ist.     Denn  es  ist  sicherlich  rühmlicher,  offen  seinen 

288  Feind  anzugreifen  und  seinen  Hass  an  ihm  auszuüben,  als 
durch  heuchlerische  Liebenswürdigkeit  die  wahre  Absicht 
des  Schadens  zu  verschleiern.  Was  aber  durch  ein  Ver- 
brechen erzeugt  wird,    ist   immer  unrühmlich   und  trägt  nur 

189  schnell  verschwindende  Früchte.  Denn  sowie  der  Sinn  un- 
beständig ist,  der  die  Absicht  des  Truges  durch  heimliche 
Kunststucke  verdeckt,  so  muss  auch  alles,  was  mit  Hinterlist 
zu  thun  hat,  vergänglich  und  gebrechlich  sein.  Bekanntlich 
fällt  ja  ein  Verbrechen  meist  auf  seinen  Urheber  zurück. 
Diese  Thatsache  hatte  aucli  Swertingus  der  Sage  nach  an 
sich  zu  erfahren.  Als  dieser  den  König  zum  Scheine  zu 
einem  Gelage  einlud  und  sich  anschickte,  ihn  zu  verbrennen, 
wurde  er  von  jenem  überrascht  und  erschlagen;  gleichwohl 
brachte  er  ihm  selbst  auch  noch  den  Tod^).  Auf  diese 
Weise  bereitete  das  Verbrechen  des  einen  allen  beiden  den 
Untergang.     Obgleich    also    hier    die    l^ist    ihren  Zweck    am 

Volksotymolojrie),  die  nur  zur  ErklUrunj^  des  Städtenanieiis  dienen  soll. 
Olrik  weist  darauf  hin.  wie  nahe  es  pelc^en  hätte,  auch  Hamburg  als 
nach  Hama  benannt  zu  bezeichnen. 

*)  Nach  isländischer  Ueberlieferunp  wird  Frode  V(ui  Swortinjjs  Söhnen 
bei  Nacht  ermordet,  als  Starkadr  in  Schweden  weilt :  vpl.  Dettor  in  Paul 
und  Braunes  Boitriijren  z.  (rosch.  d.  deutsch.  Spr.  u.  Litt.  XVIII.  72.  — 
Saxos  Bericht  ist  (Quelle  für  K.  E.  Eberts  Gedicht  ^Schwertin^',  der  Sachsen- 
herzojj.** 


Frothos  IV.  Tod  durch  Swertingus.     Ingellus.  303 

Feinde  erreichte,  gewährte  sie  dennoch  ihrem  Plrfinder  keinen 
Schutz  vor  der  Strafe. 

Frotho  folgte  sein  Sohn  Ingellus^).  Dessen  Sinn 
war  der  Ehre  abgewandt;  er  hielt  sich  nicht  an  das  Vor- 
bild seiner  Ahnen,  sondern  gab  sich  ganz  den  Lockungen 
der  ausgesuchtesten  Schwelgerei  hin.  Daher  verliess  er  den 
Weg  des  Guten  und  Rechten,  liebte  Laster  statt  der  Tugend, 
sprengte  die  Bande  der  Enthaltsamkeit,  vernachlässigte  die 
Pflichten  königlicher  Majestät,  ward  ein  schmutziger  Sklave 
der  Völlerei.  Was  nur  für  einen  ehrenwerten  Charakter 
widerwärtig  oder  unpassend  sein  konnte,  das  übte  er  sicherlich. 
Die  Ehre  seiner  Väter  und  Grossväter  befleckte  er,  indem  er 
sich  die  schlimmsten  Leidenschaften  angewöhnte;  die  herr- 
lichen Ruhmestitel  seiner  Vorfahren  vernichtete  er  durch 
seine  gottlosen  Thaten.  Er  war  so  den  Gelüsten  des  Bauches 
verfallen,  dass  er  weder  seinen  Vater  zu  rächen  noch  die 
schmählichen  Einfälle  der  Feinde  abzuw^ehren  wünschte. 
Konnte  er  nur  seinen  Rachen  füllen,  so  glaubte  er  in  keiner 
Beziehung  mehr  massig  oder  bescheiden  handeln  zu  dürfen. 
Er  schändete  seine  glänzende  Abkunft  durch  seine  Stumpf- 
heit und  Faulheit,  führte  ein  ausgelassenes,  wollüstiges 
Leben,  er  freute  sich  darüber,  sein  entartetes  Gemüt,  das 
sich  auf  abschüssiger  Bahn  soweit  ab  von  dem  Pfade  seiner 
Väter  entw^ickelte,  in  die  Abgründe  der  verworfensten  Ge- 
meinheiten zu  stürzen.  Wurstmacher,  Köche,  Röstpfannen, 
allerlei  Küchenvorrichtungen  für  seinen  Leckermund,  ver- 
schiedene Künstler  zu  sammeln,  um  einen  Braten  oder  ein 
Mahl  herzustellen,  das  hielt  er  für  ehrenvoll.  Aber  Waft'en, 
Kriegsdienst,  Kampf  aus  eigener  Erfahrung  kennen  zu  lernen, 
das  konnte  er  nicht  über  sich  gewinnen,  und  er  wollte 
solche  Uebuugen  auch  andern  nicht  gestatten.  Daher  ver- 
schmähte er  auch  jedes  männliche  Benehmen  und  ahmte  ein 
weibisches  nach,    er,  den  das  unwiderstehliche  Jucken  seiner 


*)  Die  dänische  Ing;jaldsage  ist  aufs  engste  mit  der  Starkadsage 
verknüpft.  Ihr  Kern  ist  die  Enveckung  des  schlummernden  Ehrgefühls 
und  der  Tüchtigkeit  Ingjalds  durch  Starkad.  Vgl.  ühland  Sehr.  VII, 
251  ff.  u.  OlriklL  222  ff. 


304  Sechstes  Buch. 

284  Kehle  für  jeden  Küeliendunst  in  Flammen  setzte.  Immer 
roch  er  nach  einem  Weinrausch,  da  er  ja  jede  Spur  von 
Nüchternheit  völlig  abgelegt  hatte,  und  verriet  die  unverdaute 
Masse  in  seinem  Bauche  durch  den  stinkenden  Atem  seines 
Mundes.  Er  war  ebenso  verkommen  in  seiner  Schwelgerei, 
wie  Frotho  im  Kriege  berühmt  gewesen  war.  So  sehr  hatte 
die  unzeitige  Verderbnis  seiner  Lüsternheit  mit  ihren 
schlimmen  Reizen  seinen  Charakter  verweichlicht.  Starca- 
therus  sah  sich  durch  seinen  Abscheu  vor  dieser  Un- 
mässigkeit  veranlasst,  auf  den  Umgang  mit  Ingellus  zu 
verzichten.  Er  suchte  die  Gastfreundschaft  des  Königs 
Haldanus  von  Schweden  auf;    denn    er  zog  Thätigkeit  der 

190  Müsse  vor.  So  wenig  konnte  er  es  also  aushalten,  der 
Schwelgerei  auch  nur  zuzusehen.  Die  Söhne  des  Swertingus 
aber  gaben  Ingellus  aus  Furcht,  dass  er  sie  für  die  That 
ihres  Vaters  büssen  lasse,  ihre  Schwester  zur  Ehe,  um  so 
seiner  Rache  durch  ihre  Liebenswürdigseit  zuvorzukommen. 
Von  dieser  soll  er  nach  alter  Leberlieferung  seine  Söhne 
Frotho,  Fridlewus,  Ingellus  und  ülawus  bekommen 
haben;  der  letztere  allerdings  soll  nach  dem  Bericht  mancher 
der  Sohn  seiner  eigenen  Schwester  gewesen  sein  ^). 

Nun  hatte  irgend   ein  Goldschmied,    ein  Manu   niederen 
Standes,  der  wohl  zu  schmeicheln  verstand  und  über  allerlei 

285  kleine  Gaben  verfügte,  durch  welche  die  Begehrlichkeit  der 
Weiber  am  meisten  gefesselt  wird,  Helga,  die  Schwester 
des  Ingellus,  durch  sein  Liebeswerbeu  zur  Gegenliebe  für 
sich  entflammt^);  denn  nach  dem  Tode  des  Königs  gab  es 
niemanden,  der  Vaterrechte  an  dem  Kinde  geübt  hätte,  und 
so  war  sie  ohne  Aufsicht  und  Schutz  geblieben.  Als  dies 
nun  Starcatherus  aus  den  fortgesetzten  Erzählungen  von 
Wanderern  vernahm,  gewann  er  es  nicht  über  sich,  den 
Uebermut  des  Schmiedes  ungestraft  hingehen  zu  lassen  (denn 
er  pflegte  ebenso  dankbar   für  eine  Wohlthat    wie  rasch  zur 


*)  Dieser  Bericht  über  Olaf  stimmt  mit  amierii  (iäni>clK'ii  (Quellen 
übereil),  isliindisehe  kennen  ihn  nieht.  Saxo  kommt  auf  ilui  noch  H.  VIL. 
2115  (Hnl(hT)  zurück.     Ohits    Mutter    ist    die    unten    S.  310   erwähnte  Asa. 

*)  Die  fnl«:»-n<ie  (iesciiichte  berichtet  Saxo  allein. 


Ingellus;  Helga,  der  Schmied  und  Starcatherus.  305 

Rache  für  eine  Unverschämtheit  zu  sein)  und  beeilte  sich, 
einen  so  ungewöhnlich  kecken  Hochmut  zu  strafen,  um  zu- 
gleich auch  die  früheren  Freundlichkeiten  Frothos  an  seinem 
verwaisten  Kinde  zu  vergelten.  Er  durchwanderte  Schweden 
und  gelangte  endlich  zu  der  Wohnung  des  Schmiedes,  wo  er 
sich  nahe  der  Schwelle  aufstellte,  und  um  sich  nicht  zu  ver- 
raten, das  Antlitz  mit  seinem  Hute  beschattete.  Der  Schmied, 
der  noch  nicht  wusste,  dass  auch  unter  einem  schlechten 
<5ewande  starke  Fäuste  verborgen  sein  können  ^),  zankte  ihn 
aus  und  hiess  ihn  schleunigst  sein  Haus  verlassen,  damit  er 
unter  der  Schar  der  Bettler  die  letzten  Abfälle  vom  Mahle 
in  Empfang  nehme.  Der  Alte  aber  fasste  sich  bei  der  ihm 
angeborenen  Selbstbeherrschung  in  Geduld,  blieb  trotzdem 
ruhig  und  wollte  nun  allmählich  auch  weiterhin  die  Keckheit 
des  Wirtes  erproben.  Denn  einen  Ausbruch  der  Wut  hielt 
bei  ihm  immer  die  überlegene  Vernunft  zurück.  Darauf 
näherte  sich  der  Schmied  mit  unverhohlener  Unverschämtheit 
<lem  Mädchen,  legte  sich  in  ihren  Schoss  und  bot  den  jung- 
fräulichen Händen  seinen  Kopf  zum  Kämmen  dar.  Dann 
nahm  er  seinen  Lendenschurz  ab  und  verlangte  ihre  Dienste 
beim  Herauslesen  der  Flöhe,  und  er  erreichte  es  auch,  dass 
ein  Mädchen  von  vornehmster  Geburt  nicht  errötete,  mit 
ihren  zarten  Fingern  das  schmutzigste  Kleidungsstück  zu  be- 
rühren. Endlich  glaubte  er  seiner  Lust  freien  Spielraum 
gewähren  zu  dürfen  und  wagte  es,  mit  seinen  lüsternen 
Händen  unter  ihr  Gewand  zu  greifen  und  seine  unstäten 
Finger  ihrer  Brust  zu  nähern.  Da  aber  ward  sie  bei  ge- 
nauerem Hinsehen  die  Gegenwart  des  ihr  einst  bekannten 
Alten  gewahr,  fing  an,  sich  zu  schämen,  sträubte  sich  gegen 
-seine  schamlosen,  begehrlichen  Berührungen  und  stiess  seine  286 
frechen  Hände  zurück;  ja  sie  forderte  ihn  sogar  auf,  sich 
um  seine  Waffen  zu  bekümmern  und  ermahnte  ihn,  von 
seinem  allzu  lüsternen  Treiben  abzulassen.  Bei  diesem  An-  IM 
blick  war  Starcatherus,  der  nahe  der  Thür  sass,  das  Haupt 
•vom  Hute    beschattet,    schon    so  zornig   geworden,    dass  er, 


*)  Vgl.  dasselbe  Sprichwort  TI,  S.  68. 
Sazo  Grammaticui.  ^0 


306  Sechstes  Buch. 

unfähig,  sich  länger  zu  beherrschen,  seine  Hülle  abi^arf  und 
seine  Rechte  ans  Schwert  legte,  um  es  zu  zücken.  Da  aber 
wusste  der  Schmied,  der  nichts  als  seine  Lüsternheit  ver- 
stand, in  seiner  kopflosen  Furcht  nicht,  was  er  machen 
sollte;  sobald  er  aber  erkannte,  dass  es  zum  Kampfe  komme, 
gab  er  alle  Hoffnung  auf  Verteidigung  auf  und  erblickte  nur 
noch  in  der  Flucht  den  einzigen  Rettungsweg  in  seiner  Not. 
Nun  war  es  aber  ebenso  schwierig,  durch  die  Thür,  welche 
der  Feind  besetzt  hielt,  zu  entwischen,  wie  gewagt,  den  An- 
greifer im  Hause  zu  erwarten.  Endlich  aber  machte  er,  von 
der  Not  getrieben,  seinem  Zögern  ein  Ende  und  erwog,  dass 
der  sicheren  und  unabwendbaren  Gefahr  immer  noch  der 
Ausweg  vorzuziehen  sei,  der  wenigstens  eine  kleine  Hoffnung 
auf  Errettung  böte.  Daher  ergriff  er  auch  die  Flucht,  obwohl 
sie  wegen  der  drohenden  Gefahr  sehr  schwierig  war,  weil 
sie  immer  noch  etwas  mehr  Aussicht  auf  ein  Entkommen  zu 
bieten  schien,  und  Hess  das  Zaudern,  das  gleichsam  in 
völliger  Hilflosigkeit  offenbar  nur  Unglück  und  zweifellose 
Vernichtung  bringen  konnte.  Als  er  aber  gerade  die  Schwelle 
überschreiten  wollte,  hieb  ihn  der  Alte,  der  die  Thür  schützte* 
mitten  durch  die  Hinterbacken  ^),  sodass  er  wankte  und  halb- 
tot niedersank.  Denn  sein  Besieger  glaubte  sich  sehr  hüten 
zu  müssen,  seine  ruhmreichen  Hände  zu  der  Ermordung 
eines  verächtlichen  Aschenpusters  herzugeben,  und  er  glaubte, 
die  Schmach  würde  für  die  Glut  seiner  gottlosen  Liebe  eine 
härtere  Sühne  sein,  als  der  Tod;  gilt  ja  doch  bei  manchen 
der  Elende  für  schwerer  gestraft  als  der  Getötete.  So  kam 
es,  dass  das  Mädchen,  obwohl  keine  Eltern  ihre  Pflicht  an 
ihm  geübt,  doch  in  ihrem  Benehmen  eine  hochgebildete  Frau 
wurde  und  gleichsam  an  sich  selbst  die  Aufgabe  eines 
eifrigen  Vormundes  erfüllte.  Als  sich  nun  Starcatherus  um- 
sah und  bemerkte,  wie  dem  ganzen  Haushalte  der  jüngste 
287  Fall  des  Hausherrn  nahe  ging,  sorgte  er  dafür,  die  Schande 
des  Verwundeten  noch  durch  Spottreden  zu  vergrössern  und 
bepjann  voll  Hohn  folgendermassen: 

*)  Solch   eine   schmähliche  Wunde    heisst    anrd.    klamhö^'j:^;    \^\.  11^ 
S.  89  Aum.  2. 


Bestrafung  des  Schmiedes;  Lied  des  Starcatherus.  307 

„Warum  verharrt  das  Haus  in  starrem  Schweigen? 
Was  ist  die  Ursache  dieses  neuen  Schmerzes?  Wo  ruht  jetzt 
jener  weibische  Weichling,  den  vor  kurzem  das  Schwert  für 
seine  unwürdige  Liebe  gezüchtigt?  Bewahrt  er  noch  etwas 
von  jenem  schnöden  Stolze  und  seiner  faulen  Ueppigkeit 
oder  besteht  er  noch  auf  seinem  Beginnen  und  glüht  von 
der  frischen  Leidenschaft?  Mag  er  doch  in  Wechselrede  mit 
mir  die  Zeit  hinbringen  und  den  Hass  von  gestern^)  durch 
freundliche  Worte  begütigen.  Zeigt  nur  freudigere  Mienen, 
keine  Klage  halle  im  Hause  oder  lasse  eure  Gesichter  von 
Trauer  verdüstern.  Da  ich  wissen  wollte,  wer  von  Liebe  zu 
der  Jungfrau  entbrannt  sei  und  von  Glut  ergriffen  für  192 
meinen  geliebten  Zögling,  nahm  ich  meinen  Hut,  um  mich 
nicht  durch  mein  wohlbekanntes  Gesicht  zu  verraten.  Da 
trat  jener  fremde  Schmied  ein  mit  lüsternen  Schritten,  wiegte 
sich  in  den  Hüften  hierhin  und  dorthin  mit  absichtlichem 
Tänzeln,  und  ebenso  warf  er  auch  mit  Blicken  herum  bei 
seinen  verschiedenen  Verbeugungen.  Ein  mit  Biberpelz  be- 
setzter Mantel  diente  ihm  als  Gewand,  seine  Sandalen 
funkelten  von  Edelsteinen,  sein  Rock  war  mit  Gold  ge- 
schmückt. Glänzende  Bänder  durchzogen  sein  geringeltes  288 
Haar,  und  eine  bunte '^)  Binde  hielt  seine  widerspenstigen 
Locken  zurück.  Daher  rührte  seine  feige  Aufgeblasenheit 
und  sein  Uebermut;  denn  er  glaubte,  Reichtümer  seien  Adel, 
Schätze  seien  Eltern,  und  er  beurteilte  seinen  Stand  nur 
nach  seinem  Vermögen,  nicht  nach  seiner  Abkunft.  Daher 
kam  ihm  der  Dünkel,  daher  durchsetzte  Hochmut  sein  Wesen. 
Denn  der  Elende  begann  sich  wegen  seines  Prunkes  gross 
vorzukommen  und  Edlen  gleich,  der  Aschenpuster,  der  mit 
dem  Blasebalge  die  Luft  jagt,  der  durch  emsiges  Blasen  das 
Feuer  nährt,    der  mit  den  Fingern  in  der  Asche  wühlt,    der 


')  Das  ist  nicht  wörtlich  zu  nehmen,  sondern  auf  die  unmittelbare 
Verdränge nheit  zu  beziehen ;  denn  nach  dem  Zusammenhange  muss  man 
annehmen,  dass  sich  die  ganze  Geschichte  an  einem  Tage  abgespielt  hat. 

*)  Oder  ^breit** :  varicata  vitta ;  so  erklärt  Müller  das  Wort,  welches 
eigentlich  „breitbeinig  dastehen''  hcisst.  Elton  bemerkt  aber,  dass  es 
dann  ein  langes  ä  haben  müsste   und  will  dafiir  variata  =  bunt  einsetzen. 

20* 


308  Sechstes  Buch. 

oft  beim  Zurückziehen  des  Blasebalgs  nach  Luft  schnappt, 
der  oft  mit  zartem  Fächer  einen  Hauch  hervorbringt  und  die 
einschlafenden  Funken  wieder  anfacht.  Dann  legte  er  sich 
in  den  Schoss  des  Mädchens  und  sagte:  Jungfrau,  kämme 
mein  Haar,  fange  die  springenden  Flöhe  und  nimm  sie  weg, 
wo  die  Haut  mich  brennt.  —  Dann  setzte  er  sich  auf  und 
breitete  die  Arme  aus,  die  unter  der  Last  des  Goldes 
schwitzten,  lehnte  sich  auf  das  weiche  Kissen  und  stützte  sich 
auf  den  Ellenbogen;  er  wollte  ja  mit  seinem  Schmucke 
prunken,  sowie  ein  Ungetüm  mit  gähnendem  Rachen  die 
verschlungenen  Ringel  seines  gewundenen  Schwanzes  aufrollt. 
Da  aber  jene  mich  erkannte,  begann  sie  den  Verliebten 
zurecht  zu  weisen,  seine  lüsternen  Hände  weg  zu  stossen, 
und  in  der  Ueberzeugung,  dass  ich  es  sei,  sagte  sie:  Fort 
mit  deinen  Fingern,  ich  bitte  dich,  massige  deine  Begierden 
und  sinne  lieber  darauf,  den  Alten  an  der  Thür  zu  besänf- 
tigen. Das  Spiel  wird  mit  Trauer  enden,  Starcatherus  scheint 
hier  zu  sein   und  beobachtet  scheelen  Blickes  dein  Treiben. 

289  —  Ihr  erwiderte  der  Schmied:  Fürchte  dich  doch  nicht  vor 
dem  unkriegerischen  Raben  und  dem  zerlumpten  Alten;  nie 
hätte  es  jener  Held,  vor  dem  du  bangst,  über  sich  gewonnen, 
sich  durch  so  gemeine  Kleidung  zu  erniedrigen.  Der  Tapfere 
erfreut  sich  an  glänzendem  Anzup^e  und  wählt  Gewänder,  die 
zu  seiner  Gesinnung  passen.  —  Da  warf  ich  meine  Hülle  ab, 
zückte  mein  Schwert  und  hieb  dem  fliehenden  Schmied  die 
Scham  ab;  seine  Hinterbacken  klafften  auseinander  und  ab- 
getremit  von  den  Knochen    entblössten    sie    die  Eingeweide. 

193  Dann  sprang  ich  auf  und  schlug  dem  Mädchen  mit  der  Faust 
ins  Gesicht,  dass  Blut  ihrer  Nase  entströmte  ^).  Da  troflFen 
die  an  boshaftes  Gekicher  gewohnten  Lippen  von  Blut  und 
Thränen,  und  ihre  thörichte  Liebe  musste  jetzt  büssen,  was 
sie  mit  ihren  schmeichelnden  Blicken  gesündigt.  Jetzt  ist 
wohl  das  Spiel  der  Unglücklichen  vorbei,  die  in  blinder  Be- 
gier sich  hinreissen  liej>s  wie  eine  rasende  Stute  und  in  ihrer 

*)  Diese    Bestrafiin.if    des   Miidehens   fehlte    in    dem   vorausg^ehciidea 
Prosabericht. 


Lied  des  Starcatherus.  309 

Wollust  ihre  Schönheit  begrub.  Du  hättest  verdient,  fremden 
Völkern  für  Geld  verkauft  zu  werden,  würdig  der  Mühle  ^), 
wenn  nicht  dein  blutüberströmter  Busen  bewies,  dass  du 
fälschlich  angeklagt  bist  und  deine  Brust  ohne  Milch  dich 
von  dem  Vorwurfe  reinigte.  Ich  halte  dich  doch  für  un- 
schuldig an  diesem  Verbrechen,  aber  errege  nur  ja  keinen 
Verdacht,  traue  nicht  den  bösen  Zungen  und  überlasse  dich 
nicht  dem  geschwätzigen,  lästernden  Volke.  Das  Gerücht 
schadet  vielen  und  lügnerische  Nachrede  hindert  sehr.  Die 
öffentliche  Meinung  lässt  sich  durch  ein  kleines  Wörtchen 
täuschen.  Achte  deine  Ahnen,  ehre  deine  Väter,  gedenke 
deiner  Eltern,  sieh  an  deine  Vorväter.  Dein  Ruhm  ent- 
spreche deinem  Geschlechte.  Welche  Raserei  befiel  dich  ? 
Welches  Verhängnis  trieb  dich,  gottloser  Schmied,  solch 
edlen  Spross  mit  deiner  Lüsternheit  zu  versuchen?  Oder 
wer  trieb  dich,  Jungfrau,  die  du  des  rühmlichsten  Bettes 
würdig  bist,  zu  dieser  unwürdigen  Liebe?  Sage  nur,  wie  in 
aller  Welt  konntest  du  seinen  nach  Asche  riechenden  Mund 
mit  deinen  rosigen  Lippen  küssen,  seine  geschwärzten  Hände  290 
an  deine  Brust  drücken,  seine  kohlenschaufelnden  Arme  um 
deine  Seite  schlingen,  seine  von  dem  beständigen  Gebrauche 
der  Zange  gehärteten  Finger  an  deine  Wange  führen,  seinen 
aschebestreuten  Kopf  umfassen  und  in  deine  schneeweissen 
Arme  schliessen?  Welch  grosser  Unterschied  zwischen  aller- 
hand Schmieden  vorhanden  ist,  daran  denke  ich,  da  ich  einst 
von  ihnen  getroffen  ward  ^).  Alle  haben  dieselbe  Bezeichnung 
nach  ihrem  Gewerbe,  aber  die  Gesinnung  in  ihrer  Brust  ist 
verschieden.  Die  sind  meiner  Ansicht  nach  die  besten,  welche 
Schwerter  und  Speere  für  die  Männer  schmieden,  die  durch 
ihre  Kunst  ihre  Gemütsanlage  verraten,  durch  ihre  harte 
Pflicht  ihren  Mut  andeuten  und  durch  ihre  Arbeit  ihre  Kühn- 
heit kund  geben.  Es  giebt  aber  auch  andere,  welche  in  ge- 
höhlten Kellen  Erz  hervorbringen,  aus  geschmolzenem  Golde 


*)  Der  Dienst   an    der  Mühle  wurde   nur   von  Sklavinnen   ausgeübt. 

^)  Das  bezieht  sich  auf  eine  (leschichte,  die  später  B.  VIII,  S.  272 
(Holder)  nochmals  berührt  wird;  über  das  Schmieden  und  hervorrajjfende 
Schmiede  im  Altertum  vgl.  Weinhold  S.  92  ff. 


310  Sechstes  Buch. 

gar  verschiedene  Formen  bilden,  Erzadern  auflösen  und 
Metalle  kochen.  Aber  diesen  hat  die  Natur  eine  zu  weich- 
liche Geistesanlage  verliehen  und  belastete  die  Hunde,  welche 
sie  mit  hervorragender  Kunstfertigkeit  begabt,  mit  Feigheit. 
Oft  nehmen  diese  mit  List,  wenn    der    heisse  Hauch   das  in 

194  die  Pfanne  gelegte  Erz  schmilzt,  von  der  reinen  Masse  eine 
Schicht  Goldes  weg,  während  die  Form  nach  dem  gestohlenen 
Metalle  dürstet." 

Nach  diesen  Worten  kehrte  Starcatherus,  der  über 
sein  Lied  nicht  weniger  Vergnügen  empfand  als  über  seine 
That,  wieder  zu  Haldanus  zurück  und  widmete  sich  in 
treuer  Freundschaft  seinem  Dienst;  niemals  Hess  er  von 
kriegerischen  Unternehmungen  ab,  sondern  entzog  sich  voll- 
ständig allen  anderen  Genüssen,  so  dass  er  sich  immer  nur 
mit  seiner  beständigen  Liebhaberei  für  Waffenthaten  abquälte. 
Ingellus  hatte  nun  zwei  Schwestern,  Helga  und  Asa, 
von  denen  Helga  bereits  heiratsfähig,  Asa  dagegen  jünger 
und  noch  unreif  für  die  Ehe  war.     Nun  bestieg  der  Norweger 

291  Helgo,  in  der  Absicht  um  Helga  zu  werben  ein  Schiff. 
Er  rüstete  dasselbe  zur  Reise  mit  solcher  Pracht  aus,  dass 
er  goldgewirkte  Segel  verwendete,  die  an  vergoldeten  Masten 
hingen  und  von  purpurnen  Stricken  gehalten  wurden.  Bei 
seiner  Ankunft  versprach  ihm  Ingellus  die  Erfüllung  seines 
Wuns(;hes,  wenn  er  nur,  um  zu  bezeugen,  dass  sein  Ruf 
wohl  begründet  sei,  die  gegen  ihm  ausgesandten  Fechter  im 
Kampfe  bestehen  wolle.  Helgo  Hess  sich  durch  diese  Be- 
dingung nicht  abschrecken  sondern  antwortete,  er  werde  sehr 
gern  die  Abmachung  erfüllen.  So  wurde  denn  nun  der  Ehe- 
vertrag des  künftigen  Paares  ganz  feierlich  abgeschlossen. 
Zu  derselben  Zeit  sollen  nun  der  Sage  nach  auf  der  Insel 
Seeland  neun  Sohne  irgend  eines  Fürsten  aufgewachsen  sein, 
alle  vorzüglich  mit  Kraft  und  Kühnheit  begabt;  der  älteste 
von  ihnen  war  Angaterus  ^)  und  war  el)enfalls  ein  Bewerber 


')  Aiird.  Angantyr,  wohl  derselbe,  von  dem  schon  V.  S.  2l)H  die  Rede 
war;  wenitre  Seiten  s|Ȋter  erscheint  der  Name  in  der  Form  Anganturus. 
—  Auch  dicic  Geschichte  vom  Kampfe  Starkad^  mit  den  neuu  Hecken 
ist  unr  uns  Saxo  l>ekannt. 


Helga,  Angaterus  und  Helgo.  311 

um  dasselbe  Mädchen.  Als  er  sah,  wie  die  ihm  abge- 
schlagene Ehe  dem  Helgo  gewährt  wurde,  forderte  er  diesen 
zum  Kampfe  heraus,  um  durch  das  Schwert  die  Schwierigkeit 
aus  deipWege  zu  schaiTen.  Helgo  ging  auf  die  Bedingungen 
zum  Kampfe  ein,  und  der  Termin  wurde  mit  Einwilligung 
beider  auf  den  Hochzeitstag  festgesetzt.  Denn  wer  eine  Her- 
ausforderung zum  Zweikampf  ablehnte,  der  wurde  von  allen 
verachtet.  So  quälte  nun  den  Helgo  einerseits  die  Scham, 
sich  gegen  den  Kampf  zu  weigern,  andererseits  die  Furcht, 
ihn  zu  unternehmen.  Denn  er  glaubte  sich  gegen  das  ge- 
wöhnliche Recht  des  Zweikampfes  von  einer  ungleichen 
Schar  herausgefordert,  da  er  sich  offenbar  zum  Kampf  gegen 
neun  Gegner  verpflichtet  hatte.  Als  er  darüber  überlegte, 
versicherte  ihn  seine  Rraut,  er  müsse  irgend  eine  Hilfe  haben, 
und  forderte  ihn  auf,  auf  den  Kampf  zu  verzichten,  in  dem 
er  sich  offenbar  den  Tod  oder  Schande  holen  wurde,  zumal 
da  er  ja  die  Zahl  derer,  gegen  welche  er  kämpfen  sollte, 
durch  gar  keine  feste  Bestimmung  festgesetzt  hätte.  Daher 
sollte,  er  sich  die  Gefahr  ersparen  und  zu  seiner  Sicherung 
die  Hilfe  des  Starcatherus  anrufen,  der  bei  den  Schweden 
weilte;  denn  dieser  stehe  ja  stets  den  Hilfsbedürftigen  bei 
und  wende  meistens  traurige  Ereignisse  durch  sein  glück-  195 
liches  Dazwischentreten  zum  Guten.  Dieser  Rat  war  Helgo 
angenehm.  Er  nahm  nur  ein  kleines  Gefolge  mit  und  eilte 
nach  Schweden;  als  er  zu  der  vornehmsten  Stadt  Upsala  292 
kam,  trat  er  nicht  selbst  ein  sondern  schickte  einen  Mann 
Toraus,  der  Starcatherus  feierlich  begrüssen  und  zur 
Hochzeit  von  Frothos  Tochter  einzuladen  versuchen  sollte. 
Starcatherus  nahm  diese  Liebenswürdigkeit  übel  wie  eine 
Beleidigung,  sah  den  Jüngling  scharf  an  und  antwortete,  er 
müsste  für  eine  so  thörichte  Botschaft  büssen,  wenn  er  nicht 
den  Namen  seines  teuern  Frotho  in  seinen  Auftrag  verfloch- 
ten hätte;  er  glaube  wohl,  dass  er  wie  ein  Wssenreisser  oder 
Schmarotzer  eines  vornehmen  Essens  wegen  dem  Duft  einer 
fremden  Küche  nachzulaufen  pflege.  Als  Helgo  dies  von  dem 
Diener  hörte,  begab  er  sich  selbst  in  die  Königshalle,  be- 
grüsste    den  Greis  im  Namen  der  Tochter  Frothos    und    bat 


312  Sechstes  Buch. 

ihn  um  seine  Hilfe  bei  dem  Kampfe,  zu  dem  er  herausge- 
fordert sei;  er  sagte,  er  verlasse  sich  deswegen  nicht  ganz 
allein  auf  sich  selbst,  weil  die  Verabredung  der  Bedingungen 
noch  die  Zahl  derer,  die  mit  ihm  fechten  sollten,  offen  ge- 
lassen habe.  Starcatherus  nahm  den  Bittenden,  nachdem  er 
sich  noch  nach  Art  und  Zeit  des  Kampfes  erkundigt,  nicht 
nur  freundlich  auf  sondern  versprach  ihm  auch  seine  Unter- 
stützung und  hiess  ihn  guten  Mutes  mit  seinen  Begleitern 
nach  Dänemark  zurückkehren;  er  selbst  werde  sich  schon 
auf  einem  verborgenen,  kürzeren  Wege  Zutritt  zu  ihm  ver- 
schaffen. Peinige  Tage  nach  seiner  Abreise  begann  Starca- 
therus seinen  Weg,  und  er  soll,  wenn  man  der  Sage  glauben 
darf,  mit  solcher  Schnelligkeit  geeilt  sein,  dass  er  in  einer 
einzigen  Tagereise  ebenso  viel  zurücklegte,  als  die  andern,  die 
vor  ihm  gegangen  waren,  in  zwölf  Tagen  durchmessen  haben 
sollen^),  sodass  beide  in  zufalligem  Zusammentreffen  zu 
eben  derselben  Zeit  ihr  Ziel,  die  Halle  des  Ingellus,  erreich- 
ten. Als  dort  Starcatherus  wie  die  Diener  an  den  mit  Gasten 
<licht  besetzten  Tischen  vorbeiging,  erhoben  die  oben  ge- 
nannten neun  ein  unheimliches  Geheul,  begleitet  von  häss- 
lichen  Bewegungen;  sie  liefen  hin  und  her  wie  auf  der  Bühne 
und  feuerten  sich  durch  gegenseitige  Aufmunterungen  zum 
Kampfe  an  ^).  Kinige  berichten  auch,  sie  hätten  den  Helden 
bei  seinem  Nahen  wie  wütende  Hunde  angebellt^).  Starca- 
therus schalt  sie,  dass  sie  sich  durch  solche  verkehrte  Gri- 
masstMi  lächerlich  machten,  wenn  sie  mit  ihren  aufgerissenen 
Si93  Mäulern  so  lärmteu,  und  sagte,  dass  in  dieser  Weise  Schwel- 


*)  Eine  rationnlistischo  Krkläriinjjfiir  die  iiberinensehlirho  S/hneUijfkeit, 
mit  clor  Starkudr  intoljjo  seines  üherirdischen  (riosiM'liei))  Ursprungs  zu 
waiulcrn  vorniajj. 

*)  Das  ist  ein  Aushrneh  der  Berserkerwut,  wie  er  noch  j^^enauer  VII» 
lUo  -54H  u.  XII,  4(>l  (H.)  besehriehen  wird,  ein  l»elit)»t»'s  Mritiv  der  alten 
Sa^'o.  3Ian  fasst  diesen  Zustand  der  ürre^iujg  als  eine  Art  Krankheit  auf, 
w<d)««i  natiirlieh  in  den  Seliilderiui^en  vi<'li»s  ülicrtriclx^n  ist.  Vyl.  Olrik  I, 
fif)  rt*.  —  Aehnlieher  Natur  sind  in  deutschtT  reherüfferun^'  u.  a.  die 
liieren  im  Kr»niir  Kother. 

*)  \V1.  di*'  ähnliehe  Sc<'m»  V.  21."».  Das  Verfahren  »eln-int  al sc»  beim 
Kinpfai'.^e  uidivhsamer  (»äste    xi«»ndieh    allffrniein  iildieh  ^rwi-M-n    zu  sein. 


Helgo  und  Starcatherus;  beide  bei  Ingellus.  313 

gerei  und  Unmässigkeit  die  weibische  Weichlichkeit  der 
Schwächlinge  herbeiführten.  Auf  die  Frage,  ob  er  Mut  zum 
Kampfe  habe,  antwortete  er,  er  habe  sicher  Kräfte  genug, 
nicht  nur  einem,  sondern  so  vielen,  als  man  gegen  ihn 
schicke,  entgegen  zu  treten.  Aus  dieser  Rede  entnahmen 
die  neun,  dass  er  derjenige  sei,  der  dem  Gerücht  nach  aus 
der  Ferne  Helgo  zu  Hilfe  kommen  sollte.  Um  auch  das 
Brautgemach  durch  eine  recht  sorgfältige  Bewachung  zu 
schützen,  übernahm  Starcatherus  auch  freiwillig  das  Amt  der  196 
Beaufsichtigung,  verschloss  die  Thürflügel  des  Schlafzimmers, 
schob  statt  des  Riegels  sein  Schwert  vor  und  wollte  so  durch 
seine  liebenswürdige  Hut  den  Eheleuten  eine  sichere  Ruhe 
gewähren.  Als  Helgo  aufwachte,  schüttelte  er  die  Schlaf- 
trunkenheit ab,  erinnerte  sich  an  sein  Versprechen  und  wollte 
sich  die  Rüstung  anlegen.  Da  er  aber  bemerkte,  dass  noch 
ein  wenig  von  dem  Dunkel  der  Nacht  übrig  sei ,  und  er  erst 
die  Dämmerung  abwarten  wollte,  Hess  er  sich,  während  er 
noch  über  das  ihm  nahe  bevorstehende  gefährliche  Unter- 
nehmen nachdachte,  von  der  sanften  Gewalt  des  rasch  über- 
wältigenden Schlafes  überraschen  und  sank  schlummernd  auf 
auf  das  Bett  zurück.  Als  Starcatherus  beim  Morgengrauen 
heremkam,  und  ihn  fest  in  den  Armen  seiner  Gattin  schlafen 
sah,  gewann  er  es  nicht  über  sich,  ihn  durch  ungelegenes 
Rütteln  aus  seiner  süssen  Ruhe  aufzuwecken,  schon  damit  es 
nicht  schiene,  als  ob  er  aus  Feigheit  die  Aufgabe  des  Er- 
munterns  übernehmen  und  die  Freuden  einer  so  jungen  Ver- 
einigung unterbrechen  wolle.  So  hielt  er  es  denn  für  rühm- 
licher, sich  allein  in  die  Gefahr  zu  begeben  als  sich  durch 
Störung  fremder  Lust  einen  Begleiter  zu  verschaffen.  Er 
kehrte  also  still  um,  begab  sich  voller  Verachtung  seiner 
Gegner  auf  das  Gefilde,  welches  in  unserer  Sprache  Roliung  ^) 
heisst,  und  suchte  sieh  am  Abhänge  eines  Berges  einen  Sitz, 
wo  er  seinen  Körper  dem  Sturm  und  Schnee  preisgab. 
Dann  zog  er  sein  Gewand  aus,    gleich    als  ob  Frühlingslüfte 

*)  Derselbe  Name  findet  sieh  als  Rölung  noch  VIII,  274  (Holder) 
als  Grabstälte  Starkads.  Nach  unserer  Schilderung  muss  die  Oertlichkeit 
in  Seeland  Hegen.    Vgl.  die  Anm.  zu  der  späteren  Stelle. 


314  Sechstes  Buch. 

wehten,  und  beschäftigte  sieh  mit  Flöhefangen.  Er  warf 
sogar  den  Purpurmantel,  den  er  vor  kurzem  von  Helga  zum 
Geschenk  erhalten,  in  die  Dornensträucher,  damit  es  nicht 
scheine,  als  ob  er  durch  ein  Gewand  Schutz  gegen  die  Wucht 
der  Hagelkörner  suche.  Darauf  kamen  nun  die  Kämpfer  an, 
bestiegen  von  der  entgegengesetzten  Seite  aus  den  Berg, 
suchten  sich  einen  gegen  die  Winde  geschützten  Sitzplatz 
und  vertrieben  die  Kälte,  indem  sie  ein  Feuer  anzündeten. 
Da  sie  Starcatherus  nicht  sahen,  schickten  sie  endlich  einen 
auf  den  Gipfel  des  Berges,  damit  er  wie  von  einer  Warte 
aus  genauer  auf  seine  Ankunft  achte.  Als  dieser  die  Höhe 
des  Berggrats  erklommen,  sah  er  auf  der  abschüssigen  Seite 

294  den  Greis,  der  bis  an  die  Schulterblätter  von  dem  nieder- 
rieselnden Schnee  bedeckt  war.  Er  fragte  ihn  nun,  ob  er 
derjenige  sei,  der  den  versprochenen  Kampf  auszufuhren 
habe.  Auf  Starcatherus'  Versicherung  hin.  er  sei  dieser, 
kamen  auch  die  anderen  herbei  und  fragten  zugleich,  ob  er 
ihnen  allen  auf  einmal  oder  jedem  einzeln  entgegenzutreten 
beschlossen  habe.  Jener  erwiderte:  So  oft  mich  eine  böse 
Huuderotte  anbellt,  pflege  ich  sie  alle  auf  einmal  und  nicht 
nach  und  nach  fortzujagen.  So  deutete  er  an,  er  wolle  lieber 
mit  allen  zu  gleicher  Zeit  als  immer  mit  je  einem  fech- 
ten, und  glaubte  seine  Gegner  erst  durch  seine  Worte,  dann 
durch  seine  Waffen  verächtlich  machen  zu  müssen.  Der 
Kampf  begann,  und  sechs  von  jenen  streckte  er  nieder,  ohne 
selbst  eine  Wunde  zu  erhalten.     Obgleich    er    nun    von    den 

197  drei  übrigen  durch  siebzehn  Wunden  so  übel  zugerichtet 
wurde,  dass  der  grösste  Teil  der  Eingeweide  aus  dem  Bauche 
herausdrang,  erschlug  er  sie  doch  nichtsdestoweniger  ebenso 
wie  ihre  Brüder.  Als  er  darauf  mit  seinen  heraushängenden 
Gedärmen  und  sinkenden  Kräften  von  heftigem  Durste  ge- 
peinigt wurde,  kroch  er  in  dem  Wunsche,  einen  Trunk  zu 
finden,  auf  den  Knieen  vorwärts  und  verlangte  nach  dem 
Wasser  des  nahe  vorbei  fliessenden  Baches.  Als  er  aber  sah, 
dass  es  von  Blut  gefärbt  war,  enthielt  er  sich  des  eklen 
Trankes,  denn  das  Aussehen  des  Wassers  war  ihm  verleidet. 
Anganturus  war  nämlich  in  die  Wogen  des  Flusses  hinein- 


Starcatherus'  Sieg  über  neun  Kämpen.  315 

gefallen  und  hatte  dessen  Lauf  so  mit  der  Röte  seines  Blutes 
gefärbt,  dass  er  nicht  mehr  wie  Wasser  sondern  wie  eine 
rosarote  Flüssigkeit  hinzugleiten  schien.  Starcatherus 
hielt  es  nun  für  rühmlicher,  seine  Körperkräfte  völlig  zu  ver- 
lieren als  sie  durch  eine  so  grausige  Labung  aufzufrischen. 
Da  ihn  seine  Stärke  jetzt  fast  ganz  verlies,  kroch  er  auf  den 
Knieen  bis  zu  einem  Felsen,  der  gerade  in  der  Nähe  lag  und 
lehnte  sich  ein  wenig  an  ihn  an.  Noch  heute  kann  man  die 
ausgehölte  Oberfläche  desselben  sehen,  gleich  als  ob  die  Last 
des  sich  Anlehnenden  ihn  durch  einen  deutlichen  Abdruck 
des  Körpers  gekennzeichnet  hätte  ^).  Ich  aber  glaube,  dass 
dieses  Abbild  von  menschlicher  Kunst  gefertigt  wurde;  denn 
ich  halte  es  für  sehr  unwahrscheinlich,  dass  der  harte  und 
undurchdringliche  Fels  so  die  Weichheit  des  Wachses  habe 
annehmen  können,  dass  er  durch  die  blosse  Berührung  eines 
Mannes,  der  sich  daran  lehnte,  in  Gestalt  einer  dauernden 
Wölbung  offenbare  Spuren,  dass  ein  Mensch  darauf  gesessen, 
davongetragen  hätte. 

Als  nun  ein  Mann,  der  gerade  dort  vorbeifuhr,  Starca- 
therus fast  am  ganzen  Leibe  verwundet  sah,  lenkte  er 
ebenso  erschreckt  wie  verwundert  näher  hin  und  fragte, 
welchen  Lohn  er  erhielte,  wenn  er  sich  bemühe,  seine  Wun-  295 
den  zu  heilen.  Aber  Starcatherus  wollte  sich  lieber  von  dem 
Schmerze  seiner  Verletzungen  quälen  lassen,  als  die  Gefällig- 
keit eines  Menschen  von  niederem  Stande  in  Anspruch  neh- 
men, und  er  wünschte  zuvor  seine  Beschäftigung  und  Her- 
kunft zu  erfahren.  Als  er  hörte,  er  bekleide  die  Stelle  eines 
Büttels^),  begnügte  er  sich  nicht  damit,  ihn  zu  verachten, 
sondern  verfolgte  ihn  auch  noch  mit  Schmähreden:  Jener 
habe  jedem  anständigen  Lebenswandel  entsagt,  spiele  die  Rolle 

^)  Der  Zug,  dass  menschliche  oder  tierische  Körper  Eindrücke  auf 
Steinen  hinterlassen,  findet  sich  öfter:  vgl.  z.  B.  die  deutsche  Sage  von 
der  Rosstrappe.  —  Saxo  zeigt  sich  auch  hier  bei  der  Erklärung  als 
Rationalist. 

')  Diese  Ucbersotzung  ist  nicht  ganz  genau,  es  Hess  sich  aber  keine 
bessere  finden;  man  könnte  auch  Polizei-  oder  Gerichtsdiener  sagen.  Was 
gemeint  ist,  besagt  der  Zusammenhang,  im  Text  steht  jirvcu,  tttis  Bu 
Cange  mit  ,serjant'  erläutert. 


316  Sechstes  Buch. 

eines  Schmarotzers,  habe  seinen  ganzen  Lebenslauf  immer 
mit  einem  schlimmen  Rufe  befleckt,  er  betrachte  die  Ver- 
luste der  Armen  als  seinen  Gewinn,  lasse  niemandem  seine 
Unbescholtenheit,  sei  bereit,  alle  mit  einer  schmählichen  An- 
klage zu  überraschen;  er  freue  sich  ganz  besonders,  wenn 
anderen  ein  Unglück  zustosse,  seine  Hauptaufmerksamkeit 
wende  er  allein  darauf,  die  Handlungen  aller  durch  gemeines 
Spionieren  auszukundschaften  und  unschuldige  Gemüter  durch 
Gelegenheit  zu  einem  Unrecht  zu  verführen.  Als  dieser  weg 
war,  kam  ein  anderer  und  versprach  ihm  ebenfalls  Hilfe  und 
Heilung.     Auf  das  Geheiss,  wie  der  erste  seinen  Stand  kund 

198  zu  thun,  bekannte  er,  er  habe  die  Magd  irgend  eines  Mannes 
geheiratet  und  leiste  nun  dem  Herrn  derselben  Dienste  in 
der  Wirtschaft,  um  seine  Gattin  frei  zu  kaufen.  Starcatherus 
erwiderte,  er  wolle  seine  Mühe  deswegen  nicht  in  Anspruch 
nehmen,  weil  er  in  schmachvoller  Ehe  sich  in  die  Arme 
einer  Sklavin  geworfen  habe.  Wenn  er  noch  einen  Funken 
von  Ehrgefühl  hätte,  so  hätte  er  doch  wenigstens  die  Ge- 
meinschaft mit  einer  fremden  Magd  verschmäht  und  sich 
eine  freie  Genossin  seines  Bettes  gesucht.  —  Wie  hoch 
müssen  wir  die  Seelengrösse  des  Mannes  schätzen,  der  in  der 
äussersteu  Lebensgefahr  sich  bei  der  Zurückweisung  der 
Hilfe  ebenso  mutig  bewies,  wie  er  es  beim  Erhalten  der 
Wunden  gethan  hatte.  Als  dieser  nun  auch  fort  war,  führte 
der  Zufall  eine  Frau  auf  ihrem  Wege  an  dem  Alten  vorüber. 
Wie  sie  herankam,  um  seine  Wunden  zu  verbinden,  hiess  er 
sie  zuerst  angeben,  welcher  Abkunft  sie  sei  und  welche 
Stellung  sie  habe.  Auf  ihre  Antwort,  sie  sei  eine  Magd  und 
habe  ihren  Dienst  an  der  Mühle,  forschte  Starcatherus  weiter? 

29«  ob  sie  ein  Kind  habe;  als  sie  versetzte,  sie  habe  ein  Töch- 
terchen, hiess  er  sie  nach  Hause  gehen  und  dem  schreienden 
Kinde  die  Brust  reichen.  Denn  er  hielt  es  für  höchst  un- 
ziemlich, von  einem  Weibe  niedrigsten  Standes  Hilfe  anzu- 
nehmen. Ausserdem  wusste  er,  dass  sie  ihr  eigenes  Fleisch 
und  Blut  viel  besser  mit  ihrer  Milch  ernähren  als  die  Wun- 
den eines  Fremden  heilen  könne.  Als  auch  sie  wegging, 
folgte  ein  Jungling,  der  auf  einem  Wagen  fuhr.     Auch  dieser 


Starcatherus'  Standhaftigkeit ;  Heilung  seiner  Wunden.         317 

kam  beim  Anblick  des  Alten  heran,  um  seine  Wunden  zu 
verbinden.  Auf  die  Frage,  wer  er  sei,  antwortete  er,  er 
wäre  der  Sohn  eines  Bauern  und  an  die  Muhen  der  Land- 
arbeit gewöhnt.  Da  pries  Starcatherus  seine  Abstammung 
und  nannte  seinen  Stand  den  verehrungswürdigsten.  Denn 
solche  Leute  erwürben  sich  ihren  Lebensunterhalt  nur  durch 
ehrliche  Arbeit;  sie  hätten  ja  keinen  Gewinn,  den  sie  sich 
nicht  selbst  durch  ihren  eigenen  Schweiss  verschafften.  Und 
mit  Recht  glaubte  er,  dass  das  Landleben  selbst  den  reich- 
sten Schätzen  vorzuziehen  sei,  da  ja  dessen  reinste  Früchte 
offenbar  im  Schosse  der  goldenen  Mitte  zwischen  einem 
glänzenden  und  einem  verworfenen  Leben  erzeugt  und  her- 
vorgebracht werden.  Um  nun  die  Freundlichkeit  des  jungen 
Mannes  nicht  unbelohnt  zu  lassen,  gab  er  ihm  den  Mantel, 
den  er  zwischen  die  Dornen  geworfen,  zum  Geschenk  für  die 
Achtung,  die  er  ihm  erwiesen.  So  kam  nun  der  Bauernsohn 
heran,  brachte  die  herausgerissenen  Teile  seines  Leibes  wieder 
an  ihre  frühere  Stelle  und  band  auch  die  herausgefallene 
Masse  der  Eingeweide  mit  einem  Geflecht  aus  Weidenruten 
wieder  fest.  Dann  nahm  er  den  Greis  in  sein  Gefährt  und 
brachte  ihn,  erfüllt  von  Ehrfurcht  und  Eifer,  bis  zu  dem 
Palast  des  Königs. 

Unterdessen  begann  Helga  mit  den  vorsichtigsten  Worten 
ihren  Mann  zu  unterweisen ;  sie  sagte,  sie  wisse  ganz  genau,  199 
dass  Starcatherus  ihn  gleich  nach  seiner  Rückkehr  von  der 
Besiegung  der  Fechter  für  seine  Abwesenheit  bestrafen  würde, 
da  er  ja  dessen  Ansicht  nach  mehr  auf  Feigheit  und  Tiüstern-, 
heit  als  auf  sein  Versprechen  in  Bezug  auf  den  abgemachten 
Kampf  bedacht  gewesen  war.  Er  müsse  ihm  aber  um  so 
mutiger  widerstehen,  als  jener  die  Tapferen  zu  schonen,  die 
Feigen  zu  hassen  pflege.  Ilelgo  nahm  sich  diese  Warnung 
ebenso  sehr  wie  den  Rat  zu  Herzen  und  rüstete  sich  an  Leib 
und  Seele  eifrig,  eine  Heldenthat  zu  vollbringen.  Als  nun 
Starcatherus  vor  der  Königshalle  anlangte,  sprang  er  rasch, 
ohne  seiner  schmerzenden  Wunden  zu  achten  vom  Wagen  herab 
und  drang,  als  wenn  er  ganz  gesund  wäre,  in  das  Ehege- 
mach  ein,  nachdem  er  die  Thür  mit  der  Faust  zerschmettert. 


318  Sechstes  Buch. 

Da  sprang  Helgo  vom  Bette,  wie  ihn  seine  Frau  geheissen, 
und  hieb  ihn  mit  dem  Sehwerte  mitten  über  die  Stirn.  Als 
er  aber  in  der  Absicht,  ihm  eine  zweite  Wunde  beizubringen, 
mit  der  Klinge  eben  von  neuem  ausholte,  da  flog  Helga 
aufs  schnellste  vom  Lager  herab  und  schützte  den  Greis  vor 
297  dem  drohenden  Verderben,  indem  sie  einen  Schild  ergriff  und 
vor  ihn  hielt.  Von  Helgos  kräftigem  Streiche  aber  wurde 
der  Schildbuckel  mitten  durchgespalten.  So  brachte  die  Frau 
mit  ihrer  preisenswerten  Schlauheit  dem  Freunde  Hilfe,  den 
sie  zwar  durch  ihren  Rat  verwundet  hatte,  durch  ihre  Hand 
aber  rettete,  und  wie  den  Gatten  durch  ihre  Warnung,  so 
schützte  sie  den  Alten  durch  ihre  That.  Dieser  Umstand 
veranlasste  Starcatherus,  Helgo  ungestraft  zu  lassen,  da  ja 
die  augenblickliche  Probe  seiner  Tapferkeit  einen  Beweis  für 
seinen  Mannesmut  erbrachte.  Denn  nach  seiner  Meinung 
konnte  der  nicht  den  Tod  verdienen,  dessen  mutvolle  Ge- 
sinnung ihm  solche  Zuversicht  zum  Widerstände  einge- 
geben hatte. 

Noch  ehe  seine  Wunden  geheilt  waren  und  noch  ehe  sie 
eine  Narbe  bedeckte,  kehrte  er  nach  Schweden  zurück;  da 
Haldanus  von  seinen  Nebenbuhlern  erschlagen  worden  war, 
setzte  er  dessen  Sohn  Sywardus,  nachdem  er  den  Aufstand 
einiger  Rebelleu  niedergeworfen,  zum  Erben  der  väterlichen 
Herrschaft  ein.  Bei  diesen  verweilte  er  ziemlich  lange,  bis 
er  hörte,  dass  Ingellus,  der  Sohn  des  heimtückisch  er- 
schlagenen Frotho,  in  gänzlich  verkehrter  Handlungsweise 
den  Mördern  seines  Vaters  statt  der  Strafe  Liebenswürdigkeit 
und  Freundschaft  zu  teil  werden  lasse;  denn  das  Gerücht 
hiervon  verbreitete  sich  rasch  ^).  Von  dem  Stachel  der  Ent- 
rüstung über  eine  so  schauerliche  Ünthat  getrieben  und  voll 


*)  Die  letzten  Ereignisse,  die  Rache  Starkads  für  Frothos  Tod  und 
die  Bekehrung  Iii^^ulds,  werden  noch  in  der  s.  g.  dänischen  „Keimchronik* 
des  13.  Jhdts.  und  von  der  Skjüldungusußfa  berichtet,  aber  so  abweichend, 
dass  man  dafür  andere  Quellen  als  für  8axo  annehmen  nuiss.  S.  Olrik  II, 
222.  Auch  daa  Heowulfslied  kennt  die  (leschichte,  nennt  aber  nicht 
Starkads  Namen,  (v.  2021  flf.  bes.  2042  fi. :  s.  auch  Ingcld  im  Xamen- 
verzeichnis). 


Helgo  und  Helga;  Starcatherus  bei  Ingellus.  319 

Schmerz  darüber,  dass  ein  so  beanlagter  Jüngling  sich  als 
Sohn  eines  so  hochberühmten  Vaters  verleugnen  könne,  lud 
er  sich  eine  mächtige  Last  Kohlen  auf  die  Schultern  wie  eine 
kostbare  Bürde  und  wanderte  so  nach  Dänemark.  Auf  die 
Fragen  der  ihm  Begegnenden,  was  er  denn  für  eine  unge- 
wöhnliche Last  schleppe,  sagte  er,  er  wolle  die  Stumpfheit 
des  Königs  Ingellus  durch  Kohlen  in  Schärfe  verwandeln^). 
Er  legte  nun  auf  einem  schnellen  und  bequemen  Wege,  gleich- 
sam in  einem  Atemzuge,  seine  rasche  und  überstürzte  Reise  298 
zurück^),  und  als  er  endlich  des  Ingellus  Gastfreundschaft  20O 
gemessen  konnte,  setzte  er  sich  seiner  Gewohnheit  gemäss 
auf  einen  der  für  die  Edlen  bestimmten  Plätze.  Denn  bei 
den  Königen  des  letzten  Jahrhunderts  war  er  gewohnt,  den 
ehrenvollsten  Sitz  einzunehmen.  Als  nun  die  Königin  herein- 
kam und  ihn  mit  Schmutz  bedeckt  in  seinen  unsauberen, 
bäuerlichen  Lumpen  sah,  beachtete  sie  wegen  seiner  häss- 
lichen  Kleidung  allzu  unsorgfältig  die  Pflichten  der  Wirtin, 
sie  beurteilte  den  Mann  nur  nach  seinem  Aeusseren,  schalt 
ihn  wegen  seiner  Tölpelei,  dass  er  sich  mit  seinem  Platze  vor 
die  Vornehmen  gedrängt  und  einen  Sitz,  der  für  seinen 
bäuerlichen  Aufzug  nicht  passe,  eingenommen  habe,  und  be- 
fahl ihm,  seinen  Platz  zu  verlassen,  damit  er  nicht  die  Kissen 
durch  seinen  unerlaubt  unsauberen  Anzug  beflecke.  Was 
jener  nämlich  aus  Selbstbewusstsein  that,  schrieb  sie  der 
Dummheit  und  Unverschämtheit  zu  und  wusste  nicht,  dass 
auf  einem  erhabenen  Sitze  der  Sinn  weit  glänzender  leuchte 
als  das  Kleid.  Erregt  gehorchte  der  Greis,  obwohl  unwillig 
über  die  Zurechtweisung,  unterdrückte  mit  bewundernswerter 
Selbstbeherrschung  den  Zorn  über  diese  Schmach,  welche  sein 
Heldenmut  so  wenig  verdiente,  und  Hess  weder  ein  Wort 
noch  einen  Seufzer  über  die  erlittene  Schande  hören.  Aber 
er  hielt  es  doch  nicht  aus,  seine  stille  und  schmerzende  Er- 
bitterung gar  zu  lange  zu  verbergen.     Er  stand  auf,  ging  bis 


*)  Ein  wenig  geschicktes,  dem  Schmiedehandwerk  entlehntes  Gleichnis; 
wie  der  Schmied  das  Metall  im  Kohlenfeuer  erhitzt  und  läutert,  so  will 
Starkadr  Ingjald  läutern. 

*)  S.  o.  S.  312  u.  Anm.  1. 


322  Sechstes  Buch. 

« 

braten  wie  gesotten  bei  demselben  Male  vorgesetzt  würde^ 
und  er  hielt  es  für  eine  Ungeheuerlichkeit  bei  der  Zurichtung, 
wenn  die  Kunst  des  Koches  eine  Speise,  die  von  dem  Dunst 
der  Küche  angezogen  war,  mit  verschiedenen  Zuthaten  würzte. 
Inge  11  US  dagegen  missachtete  das  Muster  der  Vorfahren  und 
gab  sich  zügelloser,  als  es  die  väterliche  Sitte  erlaubte,  neuen 
Bräuchen  bei  Tische  hin.  Nachdem  er  sich  nämlich  einmal 
an  teutonische  Sitten  gewöhnt  hatte,  schämte  er  sich  nicht, 
ihren  weibischen  Schwächungen  zu  unterliegen^).  Von  dem 
Ausfluss  dieses  Landes  drang  eine  nicht  geriiige  Nahrung  des 
Luxus  in  die  Kehle  unserer  Heimat.  Daher  kaitleh  uns  die 
allzu  glänzenden  Tische,  die  vornehmen  Küchen,  die  niedrigen 

202  Dienste  der  Köche,  die  verschiedenen,  verderblichen  Würste. 
Von  dort  aus  verbreitete  sich  die  Herrschaft  eines  sitten- 
loseren Wesens,  auch  in  der  Kleidung,  im  Widerspruch  zu 
den  väterlichen  Bräuchen.  So  erbettelte  sich  unser  Land, 
welches  die  Massigkeit  wie  eine  angeborene  Tugend  in  sich 
förderte,  den  Luxus  von  den  Nachbarn.  Ingellus  wurde 
von  diesen  Lockungen  bethört  und  hielt  es  nicht  für  schimpf- 
lich, Beleidigungen  mit  Wohlthaten  zu  vergelten;  auch  er- 
innerte er  sich  nicht  mit  einem  einzigen  Seufzer  der  Er- 
bitterung an  die  klägliche  Ermordung  seines  Vaters. 

Die  Königin  aber,  welche  nicht  unverrichteter  Sache  ihr 
Vorhaben  aufgeben  wollte,  glaubte  den  Zorn  des  Alten  am 
besten  durch  Ges<'henke  besänftigen  zu  können,  und  so  nahm 
sie  denn  eine  wunderbar  gearbeitete  Binde  von  ihrem  eigenen 
Haupte  herab  und  legte  sie  ihm,  als  er  beim  Pässen  sass,  in 
den  Schoss,  um  sich  nun  sein  Wohlwollen  zu  erkaufen,  da  sie 
seiner  Tüchtigkeit  nichts  hatte  anhaben  können.  Starcatherus 
aber  hatte  seinen  Groll  über  ihre  Beleidigung  noch  nicht  ver- 

'  wunden  und  schleuderte  ihr  ihre  Gabe  ins  Gesicht,  da  er 
meinte,  in  solch  einem  Geschenke  liege  mehr  Verachtung 
als  Ehrerbietung.     Und  er  handelte  klug  daran,  dass  er  nicht 


*)  Nicht  Saxo  allein  hasst  Deutschland  als  die  Quelle,  aus  der  Ver- 
weichlichung und  Verfall  nach  dem  Norden  strömten,  andere  Schriftsteller 
äussern  sich  ahnlich,  z.  B.  Arnold  von  Lübek  (gestorb.  121 B)  in  seiner 
Blavenchronik  111,  5     (ed.  Monumenta  iierm.  Histor.  Script  XXI,  S.  146)* 


Starcatherus  bei  Ingelliis.  321 

den  alten  Heldeji  durch  Vertreibung  von  seinem  Sitze  so  ver- 
höhnt hatte,  bald  nachher  von  dem  Blute  ihrer  erschlagenen 
Brüder  gerötet  sehen  musste. 

Aber  als  Ingellus  de^  Abends  zusammen  mit  den 
Söhnen  des  Swertingus  speiste,  bestand  er  auf  den  prun- 
kendsten  Zurichtungen  und  belud  die  Tische  mit  üppi(2;en 
Gerichten;  den  Alten  suchte  er,  damit  er  sich  nicht  allzu  früh 
dem  Mahle  entziehe,  durch  eine  freundliche  Einladung  zu- 
rückzuhalten, als  ob  die  Reize  eines  reichen  Gelages  seine 
«tarre,  feste  Mannhaftigkeit  hätten  untergraben  können.  Als 
Starcatherus  seine  Blicke  darüber  hinschweifen  Hess,  ver- 
achtete er  ihre  verführerischen  Bräuche,  und  um  in  keiner 
Beziehung  der  fremden  Sitte  nachzugeben,  stählte  er  mit 
seiner  Selbstbeherrschung,  durch  die  er  soviel  erreichte,  seine 
Begehrlichkeit  gegen  die  Lockungen  (lieser  Genüsse,  damit 
er  nicht  seinen  kriegerischen  Ruhm  durch  Hingabe  an  Tafel- 
freuden verringere.  Denn  sein  Heldensinn  liebte  einfache 
Massigkeit,  hasste  allzu  grossen  Ueberfluss  an  Speisen  und 
wandte  sich  ab  von  unmässigen  Mählern;  niemals  erlaubte 
er  sich,  der  Ueppigkeit  irgend  welche  Bedeutung  beizulegen, 
immer  war  er  nur  auf  die  Forderungen  der  Tüchtigkeit  be- 
dacht und  unterliess  Vergnügungen.  Da  er  nun  sah,  wie  die 
alten  einfachen  Sitten  und  jeglicher  frühere  Brauch  durch  den 
neuen  Luxus  und  durch  Schwelgerei  verderbt  waren,  da  ver- 
langte er  nur  die  Zubereitung  einer  bäuerlichen  Speise  und 
verschmähte  den  Aufwand  des  kostbaren  Gelages  ^).  So  ver- 
achtete er  also  das  lüsterne  Schwelgen  in  Tafelfreuden,  nahm 
nur  eine  räucherige  und  schon  etwas  ranzige  Speise  und  stillte 
seinen  Hunger  um  so  weiser,  je  einfacher  es  geschah,  um 
nicht  seine  angespannte  Tüchtigkeit  durch  die  Ansteckung 
an  fremden  Genüssen  wie  durch  eine  Art  süssen  Giftes  zu  300 
schwächen  oder  seine  zum  Gesetz  gewordene  Massigkeit  für 
ungewohnten  Gaumenkitzel  aufzugeben.  Er  war  auch  entrüstet 
darüber,   dass  ein  und  dasselbe  Gericht   sowohl  trocken   ge- 


*)  Wie  Hamlet  beim  König  von  Britannien  (III,  S.  149),  wenn  auch 
üus  andern  Gründen.  —  Diese  Charakteristik  Ingjalds  schliesst  sich  aa 
die  frühere  (oben  S.  303  4)  an. 

Sazo  GramiuAticus.  21 


324  Sechstes  Buch. 

Flötenbläser  aufmerksam  aufspielen  und  führte  die  Musik 
ins  Treffen,  um  seine  noch  immer  andauernde  Entrüstung  zu 
besänftigen;  denn  sie  wünschte  durch  die  kunstvollen  Töne 
die  natürliche  Spannung  seiner  Unliebenswürdigkeit  aufzu* 
heben,  aber  die  Reize  der  Flöte  und  der  Saiten  blieben  bei 
dem  Versuche,  die  Hartnäckigkeit  des  Mannes  zu  erweichen, 
nur  allzu  unwirksam.  Denn  wie  er  dies  hörte,  bemerkte  er, 
dass  die  ihm  erwiesene  Ehre  mehr  nach  Geflunker  als  nach 
Liebe  aussehe.  Daher  kam  es,  dass  der  in  seiner  Erwartung 
getäuschte  Mime  mehr  vor  einer  Bildsäule  als  vor  einem 
Menschen  zu  spielen  schien,  und  er  musste  erfahren,  dass 
der  Zustand  gewichtigsten  Ernstes  vergebens  durch  possen- 
haftes Treiben  angegriffen  wird,  und  dass  eine  mächtige  Last 
nicht  durch  ein  nichtiges  Verziehen  des  Mundes  ins  Wanken 
gebracht  werden  kann.  Denn  der  andauernde  Groll  hatte 
Starcatherus'  Gesichtsausdruck  so  versteinert,  dass  er  iu 
keiner  Beziehung  etwas  leichter  zu  bewegen  schien  als  ge- 
wöhnlich. Die  Starrheit,  mit  der  er  auf  seinen  Vorsätzen 
beharrte,  Hess  sich  weder  durcli  Flötenspiel  noch  durch 
milden  (iesang  besänftigen,  und  er  glaubte  mehr  Gewicht 
auf  einen  männlichen  Charakter  als  auf  die  Lockungen  eines 
302  Mahles  und  eines  Ohrenschmauses  legen  zu  müssen.  Daher 
schleuderte  er  den  Knochen,  den  er  beim  Essen  gerade  ab- 
genagt hatte,  dem  Spieler  ins  (Jesicht^)  und  bewirkte  so, 
dass  dessen  mit  I^uft  gefüllte  Backen  mit  lautem  Knall  aus- 
einander platzten.  Durch  dieses  Verfahren  zeigte  er,  wie 
sehr  sein  Ernst  den  Beifall,  den  man  der  Bühne  schenkt, 
verachtete.  Denn  seine  von  Zorn  verschh>ssenen  Ohren 
standen  keiner  Wirkung  der  Lust  offen.  Diese  Gabe,  eines 
Scliauspielers  würdig,  strafte  mit  schmählichem  F^ohne  seine 
schändliche  Willfährigkeit.  Denn  Starcatherus  schätzte  seine 
Verdienste  vorzüglich  ab;  er  bestimmte  dem  Flötenspieler 
einen  Röhrknochen,  um  darauf  zu  spielen*)  und  vergalt  ihm 

»)  Vjrl.  II.  IM)  Anm.  3. 

*)  Im  Latoinischen  Hegt  hier  i'iii  unüborsotzbares  Wortspiel  vor: 
Duinoris  loco  tibicini  tibiani  eron^avit.  Tibia  ist  ein  K< »hrkiiochen ,  dana 
bedeutet  es  auch  die  ursprünglich  daraus  (refertigte  Flute. 


Starcatherus  bei  Ingellus.  325 

mit  einer  harten  Belohnung  seine  weichlichen  Dienste.  Ob 
dieser  nun  dabei  lanter  gespielt  oder  geweint  hat,  kann  man 
nicht  sagen,  aber  er  bezeugte  durch  seinen  bitteren  Thränen- 
strom,  wie  w^enig  Raum  die  Tapferkeit  in  solcher  Schwelger 
Herzen  hat.  Denn  der,  der  sich  ganz  dem  Vergnügen  ge- 
widmet hatte,  hatte  nicht  gelernt,  nur  ein  einziges  Mal  den 
Ansturm  des  Unglücks  zu  ertragen.  Seine  Verwundung 
war  nur  ein  Vorspiel  zu  dem  späteren  Morden  bei  dem  Ge- 
lage. Und  mit  Recht  zeigte  Starcatherus  in  seiner  strengen 
Gesinnung  eine  ernste  und  dauernde  Beständigkeit;  denn  ihm 
bereitete  das  Saitenspiel  ebensoviel  Ekel  als  anderen  An- 
nehmlichkeit, und  dadurch,  dass  er  den  unerbetenen  Dienst 
mit  dem  schmachvollen  Knochenwurfe  belohnte,  bewies  er,  dass 
er  der  ruhmreichen  Asche  seines  heldenmütigen  Freundes  mehr 
Achtung  schulde  als  dem  verkommenen  Charakter  seines  ent- 
arteten Mündels.  Darauf  stimmte  er  noch  zur  grösseren 
Verhöhnung  des  Gauklers  ein  Lied  folgender  Art  an  *)  . . . . 
Die  Königin  aber  staunte  diese  Mannhaftigkeit  an,  welche  204 
sie  nicht  hatte  ins  Wanken  bringen  können,  und  ward  von 
Bewunderung  für  den  erfüllt,  den  sie  vergeblich  durch  ihre 
Liebenswürdigkeit  ehrte. 

Als  nun  Starcatherus  sah,  dass  Frothos  Mörder  beim 
Könige  in  höchstem  Ansehen  standen,  verriet  er  seinen  In- 
grimm darüber  durch  das  glühende  Funkeln  seiner  Augen, 
er  offenbarte  seine  innere  Erregung  durch  seinen  äusseren 
Gesichtsausdruck  und  bezeugte  den  in  seiner  Brust  verborgenen 
Sturm  durch  die  offene  Gehässigkeit  seines  Blickes.  Als  ihn 
endlich  Ingellus  durch  Heranziehung  zum  königlichen  Mahle 
besänftigen  wollte,  verschmähte  er  die  Speisen;  denn  mit 
gewöhnlicher  Kost  zufrieden,  verachtete  er  die  fremden  Lecker- 
bissen aufs  tiefste,  er  liebte  einfache  Mahlzeiten  und  ver- 
zärtelte seinen  Gaumen  nicht  durch  irgend  welchen  reizenden 
Geschmack.     Auf  die   Frage,    warum    er   mit    so    bewölkter  303 


^)  So  nach  Holders  sicher  richtigem  Text  nach  einem  handschrift- 
lichen Bruchstück.  Dann  ist  das  Lied  ausgefallen.  Die  ed.  princ.  liest: 
3£ox  citandum  Carmen  =  das  gleich  anzuführende  Lied.  Aber  das  bald 
folgende  Lied  erwähnt    die  Geschichte    mit  dem  Flötenspieler   gar  nicht. 


326  Sechstes  Buch. 

Stirn  die  Freigebigkeit  des  Königs  zurückweise,  erwiderte  er, 
er  sei  nach  Dänemark  gekommen,  um  Frothos  Sohn  wieder- 
zufinden und  nicht  einen  Mann,  der  den  Schlund  seines  ver- 
wöhnten Magens  mit  einer  Fülle  künstlich  bereiteter  Speisen  voll- 
stopfe. Denn  der  F^uxus  der  Teutonen,  welcher  dem  König 
wohl  vertraut  war,  hatte  ihn  soweit  gebracht,  dass  er  schon 
im  Wasser  gesottene  Gerichte  in  der  Begierde  nach  recht 
genussreichen  Sättigungsmitteln  noch  einmal  ans  Feuer  setzen 
Hess,  um  sie  auch  zu  rösten.  Nach  solchen  Vorgängen  konnte 
er  sich  nicht  halten  und  die  Sitten  des  Ingellus  ungerügt 
lassen,  sondern  er  häufte  die  ganze  Bitterkeit  seines  Tadels 
auf  sein  Haupt,  er  zieh  ihn  der  Lieblosigkeit,  weil  er  vor 
allzu  grosser  üeberföllung  gähne,  sich  von  seinem  durch  sein 
Schwelgen  erzeugten  Rausche  durch  hässliches  Aufstossen 
wieder  befreie,  weil  er  den  Lockungen  der  Sachsen  folge  und 
weit  von  dem  Pfade  der  Nüchternheit  abgeirrt  sei,  so  bar 
jeglicher  Mannhaftigkeit,  dass  er  nicht  einmal  mehr  dem  ge- 
ringsten Schatten  derselben  nachgehe.  Der  Gipfel  seiner 
Schmach  sei  es,  sagte  er,  dass  er  gleich  am  Anfange  seiner 
kriegerischen  Laufbahn  die  Rache  für  seinen  Vater  vergessen 
habe  und  gegen  das  Gesetz  der  Natur  dessen  Mörder,  die 
sein  Blut  vergossen,  mit  Liebenswürdigkeit  und  Wohlwollen 
umgebe  und  sie,  die  ihm  am  schlimmsten  mitgespielt,  mit 
liebevollem  Entgegenkommen  behandle:  den  Leuten,  gegen 
die  er  auf  das  strengste  hätte  vorgehen  müssen,  habe  er 
nicht  nur  Straflosigkeit  gewährt,  sondern  sie  auch  der  Ehre 
seines  Umganges  und  seines  Tisches  für  WHirdig  erklärt,  sie, 
die  er  vielmehr  hätten  hinrichten  lassen  müssen.  Ausserdem 
bekräftigte  er  dies  noch  durch  folgendes  Lied  ^) : 

,,Es  weiche  die  unkriegerische  Jagend  dem  Alter  und  ehre 
die  vielen  Jahre  des  Greises;  an  einem  tapfern  Manne  soll 
niemand  hohes  Alter  tadeln. 


*)  Das  f<>ljr*'n(le  Liod  ist  gewiss  die  Uolx^sotzunjr  einor  oinheiniischen 
Diohtiii)^.  Stt3[o  bietet  es  noch  einmal  vf>ll^»läiidiß,  (obgleich  er  den  liih«U 
schon  vorher  zum  g^rosson  Teil  in  Prosa  wiodorpepehen  hatte. 


Starcatherus  bei  Ingellus:  sein  Lied.  327 

Obgleich  das  Haar  vom  Alter  ergraut  ist,  dauert  doch  805 
dieselbe  Mannhaftigkeit  in  den  Greisen,  und  nicht  kann  der 
Strom  der  Zeit  ein  Mannesherz  brechen. 

Mich  stösst  ein  beschwerlicher  Gast  mit  dem  Ellenbogen 
von  meinem  Platze;  sein  gutes  Aeussere  schändet  er  durch  304 
sein  Laster,  und   da  er  nur  dem  Bauche   gehorcht,  zieht  er 
nichts  anderes  seinem  täglichen  Schmausen  vor. 

Als  ich  unter  Frothos  Mannen  zählte,  sass  ich  immer 
inmitten  der  Krieger  auf  erhabenem  Sitze  in  der  Halle  und 
als  erster  unter  den  Edlen  nahm  ich  mein  Mahl. 

Jetzt  hat  sich  die  Art  der  besseren  Zeit  verändert;  ein- 
geschlossen bin  ich  in  einen  Winkel  und  ich  gleiche  dem 
Fische,  der  in  flüchtigem  Hin-  und  Herschiessen,  verborgen 
in  den  Fluten,  nach  einem  schützenden  Versteck  sucht. 

Ich,  der  ich  in  früheren  Tagen  sicherlich  gewohnt  war, 
ehrenvoll  auf  teppichbedecktem  Lager  zu  ruhen,  werde  jetzt 
zu  den  Untersten  gedrängt  und  von  dem  gefüllten  Hofe  ver- 
trieben. 

Vielleicht  wäre  ich  rücklings  zur  Thür  hinausgejagt 
worden,  wenn  nicht  die  Wand,  auf  die  ich  stiess,  mich  zurück- 
gehalten und  die  entgegenstehenden  Ziegeln  nicht  dem  Fort- 
gedrängten eine  leichte  Flucht  geweigert  hätten. 

Von  dem  Gelächter  des  Volkes  in  der  Halle  werde  ich 
gereizt  und  entbehre  des  Empfanges,  den   ein   Ankömmling 
verdient;  mit  boshaften  Witzen  werde  ich  begrüsst,  während  B05 
ich  von  geschwätzigen  Angriffen  belästigt  werde. 

Welch  neue,  denkwürdige  Kunde  hier  umgeht,  wie  die 
Ordnung  in  euerer  Heimat  und  wie  das  Treiben  in  eurem 
Lande  sei,  das  begehre  ich  Fremdling  zu  wissen. 

Wie,  Ingellus,  weshalb  zögerst  du  denn,  unter  deinen 
Sünden  begraben,  deinen  Vater  zu  rächen?  Willst  du  denn 
die  Ermordung  deines  ehrwürdigen  Erzeugers  gleichmütigen 
Herzens  hinnehmen? 

Weshalb  bist  du,  Faulpelz,  nur  auf  das  Essen  bedacht  20C 
und  pflegst  in  aller  Ruhe,   weichlicher  als  Freudenmädchen, 
deinen  Bauch?  Oder  kommt  es  dir  etwa  auf  die  Rache  deines 
erschlagenen  Vaters  gar  nicht  an? 


328  Sechstes  Buch. 

Als  ich  dich,  Frotlio,  das  letzte  Mal  verliess,  sagte  mir 
meia  vorausahnendes  Herz,  dass  du,  grösster  der  Könige^ 
sicherlich  von  den  Waffen  der  Feinde  fallen  würdest. 

Während  ich  lange  als  Wanderer  das  Land  durchstreifte^ 
kam  mir  eine  traurige  Ahnung  in  den  Sinn,  die  mir  durch 
ein  Vorzeichen  verkündete,  dass  ich  dich  hier  nicht  mehr 
wiedersehen  würde. 

Wehe  mir,  dass  ich  damals  in  der  Feme  abwesend  war^ 
die  äussersten  Völker  der  Welt  bekriegend,  als  der  trenlose 
Wirt  hinterlistig  das  Leben  des  Königs  angriff. 

Sonst  hätte  ich  mich  als  Rächer  meines  Herrn  erwiesen^ 
oder  als  Begleiter  bei  seinem  Untergang  und  als  Gefährte  io 
seinem  Schicksal,  und  in  demselben  Leichenzuge  wäre  ich 
freudig  dem  seligen  Könige  gefolgt. 

Nicht  kam  ich,  um  die  Kehle  mit  Leckerbissen  zu  ver- 
306  gnügen,  ein  Toaster,  das  ich  immer  gern  strafe,  noch  will  ich 
mich  um  die  Sorge  für  mein  Aeusseres  bekümmern  noch  um 
die  Freuden  des  feisten  Bauches. 

Keiner  der  ruhmreichen  Könige  hat  mich  früher  mitteD 
unter  die  Fremden  gesetzt,  mich,  der  ich  berechtigt  war,  den 
ersten  Platz  unter  den  Freunden  einzunehmen. 

Von  Schweden  bin  ich  gekommen,  weite  Lande  durch- 
messend, und  hoffte  meinen  Lohn  zu  finden,  wenn  ich  nur 
den  Anblick  des  Sohnes  meines  teuren  Frotho  geniessen  könnte. 

Aber  während  ich  einen  Rechtschaffenen  suchte,  fand  ich 
einen  Schlemmer,  einen  König,  ergeben  dem  Laster  und  dem 
207  Bauche,  dessen  ganzes  Streben  in  schnöder  Wollust  nur  auf 
die  Ueppigkeit  gerichtet  ist. 

Berühmt  ist  ja  jenes  Wort,  das  von  Haldanus  stammen 
soll,  der  uns  verhiess,  dass  binnen  kurzem  ein  verständiger 
Vater  einen  herzlosen  Sohn  erzeugen  würde. 

Aber  wenn  auch  der  Erbe  als  entartet  gilt,  so  will  i«*h 
doch  nicht  gestatten,  dass  die  Schätze  des  grossen  Frotha 
den  Fremden  zur  Bereicherung  dienen  oder  als  Beute  zum 
Raube  offen  daliegen.** 

Bei  diesen  Worten  erbebte  die  Königin,  nahm  die  Binde 
von   ihrem   Haupte,    mit  der  sie   gerade  nach  *"  ihr 


Lieder  des  Starcatherus  vor  Ingellus.  329 

Haar  geschmückt  hatte,  und  reichte  sie  dem  erbitterten  Greise, 
um  durch  diese  Gabe  seinen  Grimm  abzuwenden.  Starca- 
therus  aber  schleuderte  sie  ganz  verächtlich  voll  Zorn  der 
Spenderin  ins  Gesicht  und  begann  von  neuem  mit  lauter  Stimme : 

„Fort,  ich  bitte  dich,  mit  deinem  weibischen  Geschenk; 
setze  deine  Binde  wieder  aufs  Haupt,  kein  Held  nimmt  eine 
Zier,  wie  sie  nur  der  Venus  ziemt.  bot 

Unsinnig  ist  es  ja,  dass  Waifentuchtige  ihr  Haar  in  ge- 
wundenes Gold  zwängen;  solcher  Schmuck  gehört  sich  für 
verweichlichte  und  verzärtelte  Gesellen. 

Aber  bringe  nur  diese  Gabe  deinem  Gatten,  dem  solcher 
Prunk  gefällt,  dessen  Finger  zucken,  während  er  vor  Lüstern- 
heit hin-  und  herrutscht  und  den  bräunlich  gerösteten  Vogel 
ausnimmt. 

Ingellus*  leichtsinnige  und  flüchtige  Gattin  wünscht  die 
Sitten  der  Teutonen  anzunehmen;  Wohlleben  setzt  sie  ins 
Werk  und  ge/älschte  Speisen. 

Denn  sie  kitzelt  den  Gaumen  durch  neu  erfundene  Gerichte, 
sie  hascht  nach  der  Lust  eines  unbekannten  Geschmackes,  sie 
brennt  darauf,    alle  Tische    gar  prächtig    mit   verschiedenen  208 
Gängen  zu  belasten. 

Ihrem  Gatten  trinkt  sie  den  Wein  zu  in  Schalen,  und  in 
allem  sinnt  sie  auf  verschwenderische  Pracht;  Gekochtes  lässt 
sie  noch  braten  und  bestimmt  es  zum  zweiten  Male  fürs  Feuer. 

Ausgelassen  weidet  sie  ihren  Gatten  wie  ein  Schwein, 
als  schamlose  Hure  natibus  fidens  Gratis  admissum  tolerare 
penera  Crimine  stupri. 

Gesottenes  brät  sie,  und  Geröstetes  kocht  sie  nochmals, 
in  verschwenderischer  Ueppigkeit    denkt   sie   sich    das  Mahl  308 
aus,  verachtet   die  Sitte   und  pflegt  das  Laster,  das  schänd- 
liche Weib. 

Vorlaut  ist  sie  in  ihrer  Anmassung,  eine  Sklavin  der 
Venus,  gierig  nach  Speise;  sie  verschmäht  die  wohlgemässigten 
Bräuche  und  denkt  nur  an  Künste  zum  Gaumenkitzel. 

Rübchen  begehrte  sie,  in  glatten  Pfannen  gesotten,  Kuchen 
in  zartem  Safte  und  Reihen  von  Austern  für  ihren  lüsternen 
Magen. 


330  Sechstes  Buch. 

Nicht  erianere  ich  mich,  dass  je  der  grosse  Frotho  seine 
Hände  an  die  Sehnen  von  Geflügel  gelegt  und  mit  gekrümmtem 
Daumen  das  Hinterteil  eines  gekochten  Hahnes  zerrissen  habe. 

Welcher  von  den  früheren  Königen  war  so  gelüstig,  dass 
er  in  dem  stinkenden  Wust  der  Eingeweide  gewühlt  oder  mit 
der  Hand  den  eklen  Steiss  eines  Vogels  zerlegt  hätte  ? 

Rauh  ist  die  Speise  heldenhafter  Männer,  und  nach  meiner 

309  Ansicht  bedarf  es  keiner  prächtigen  Tische  für  den,  dessea 
Sinn  in  der  tapferen  Brust  nach  Werken  des  Krieges  steht. 

209  Angemessener  wäre  es,  du  könntest  mit  fest  zusammen- 

gepressten  Zähnen  den  starren  Bart  beissen^),  als  wenn 
du  gierig  mit  dem  geräumigen  Munde  den  Krug  mit  Milch 
leerst. 

Wir  fliehen  das  Laster  der  üppigen  Küche  und  sättigen 
unseren  Hunger  mit  ranzigem  Mahle;  gekochte  Suppen  ge- 
Gelen in  alter  Zeit  nur  wenigen. 

Der  Tisch  entbehrte  würzigen  Geschmackes  und  bot  nur 
Hammel-  und  Schweinebraten;  die  massige  Sitte  wurde  in 
nichts  durch  unmässige  Versuche  durchbrochen. 

Du,  der  du  jetzt  das  milchweisse  Fett  schlürfst,  nimm 
doch,  ich  bitte,  Männergesinnung  an;  denke  au  Frotho  und 
räche  deines  Vaters  Tod. 

Ein  nichtswürdiges  und  feiges  Herz  wird  zu  Grunde 
g^hen  und  nicht  durch  die  Flucht  dem  Tode  entrinnen,  mag 
es  sich  auch  im  Thale  verbergen  oder  in  schattigen  Grotten 
verstecken. 

310  Einst  wareu  unser  elf  Edle,  die  dem  Dienste  des  Königs 
Haco  folgten;  hier  sass  in  der  Tischordnung  Gegathus^) 
vor  Ilelgus. 

Hier  konnte  man  den  Reiz  des  ersten  Hungers  durch 
eiuen  trockenen  Schweineschinken  stillen:  das  Knurren  des 
Magens  bezähmte  eine  Fülle  harter  Krusten. 


*)  Kin  etwas  unklarer  Ausdruck,  der  wohl  zur  Bezeicluiung  des  Zornes 
dient :  pemeiiit  ist  wahrseheinlich  der  eigene  Bart.  Die  Redensart  m«^ 
auf  ein  Sprichwort  zurückjjehen. 

*)  Dieselben  Personen,    die  schon  oben  S.  2{*8  erwähnt  wurden. 


Lied  des  Starcatherus.  331 

Niemand  begehrte  der  dampfenden  Bisschen,  jeder  be- 
gnügte sich  mit  der  gewöhnlichen  Kost;  nur  wenig  Aufwand 
verursachte  das  Mahl  der  Mächtigen. 

Das   Volk    mied    fremde    Gerichte,    und   auch    die   Vor-  210 
nehmsten  waren  nicht  nach  solchen  Mahlzeiten  lüstern;  selbst 
der  König  war  darauf  bedacht,  mit  wenigem  ein  bescheidenes 
Leben  zu  führen. 

Er  verachtete  den  Anblick  des  Honigtrankes  und  schlürfte  311 
gegohreuen  Gerstensaft;  er  zögerte  nicht,  zu  wenig  Gekochtes 
zu  geniesseu  und  hasste  das  Geschmorte. 

Der  Tisch  gönnte  sich  nur  massigen  Aufwand  und  ver- 
wendete nur  einen  spärlichen  Salzvorrat,  damit  nicht  die  er- 
probte alte  Sitte  sich  nach  fremdem  Brauche  ändere. 

Niemand  brachte  früher  Krüge  und  Schalen  auf  den 
Tisch;  vom  Fasse  füllte  der  Schenke  den  Becher,  und  es  gab 
auch  keine  Fülle  von  gemalten  Tellern. 

Kein  Verehrer  der  alten  Zeit  gesellte  zu  den  Humpen 
die  feinen  Henkelkrüge,  und  kein  geschniegelter  Diener  häufte 
vqr  Alters  die  Speisen  auf  die  Schüssel. 

Kein   eitler  Wirt  schmückte   damals   das  Frühstück  mit  312 
kleinen  Muscheln  oder  glatten  Spitzgläseru ;  jetzt  hat  ein  neuer 
Brauch  dies  alles  schmählich  unterdrückt. 

Wer  hätte  es  einst  über  sich  gewinnen  können,  durch 
Annahme  von  Geld  den  Tod  eines  erschlagenen  Angehörigen 
zu  sühnen,  oder  w^er  hätte  für  seinen  ermordeten  Vater  ein 
Geschenk  vom  Feinde  begehrt? 

Welcher  kräftige  Erbe  oder  wohlgeratene  Sohn  hätte  sich 
Seite  an  Seite  mit  solchen  Menschen  gesetzt  und  durch  solch 
schimpflichen  Vertrag  allen  Mannesmut  erstickt? 

Daher  verberge   ich,    wenn   der   Ruhm    der   Könige    ge- 
sungen wird  und  die  Dichter  die  Heldenthaten    der  Fürsten 
verkünden,    voll   Scham    mein   Haupt    im    Mantel,    traurigen  211 
Herzens. 

Denn  bei  dir  giebt  es  keine  hervorleuchtende  Ruhmes- 
tbat,  die  würdig  verherrliclit.  werde»  kö»»te>  kein  Erbe  Ffe4Jtes 
wird  unter  den  ehrenwerten  Helden  genannt. 


332  Sechstes  Buch. 

Was  quälst  du  mich  mit  deinen  gottlosen  Blicken,  da, 
der  du  den  am  Tode  deines  Vaters  schuldigen  Feind  verehrst 
und   nur  mit  Broten  und  warmer  Suppe    als  Rächer   giltst? 

Wenn  man  die  Rächer  von  Verbrechen  preist,  so  wünsche 
du  dir  vom  Dienst  deiner  Ohren  befreit  zu  sein,  damit  da 
dich  in  deinem  gottlosen  Sinn  weniger  zu  schämen  brauchst. 

Denn  oft  pflegt  die  Tüchtigkeit  eines  andern  ein  schuld- 
beladenes Herz  zu  zerreissen,  und  durch  den  Ruhm  eines 
Wackern  wird  häufig  ein  böses  Gemüt  in  der  Brust  gequält. 

Magst    du    den   Osten    aufsuchen    oder  fern   im  Westen 
leben  oder,  von  dort  fortgetrieben,  zum  Mittelpunkt  der  Erde 
fliehen, 
313  Magst  du  den  kältesten  Himmelsstrich  aufsuchen,  wo  der 

Gipfel  des  Poles  ragt,  in  gewaltigem  Schwünge  die  Sphäre 
dahinreisst  und  auf  das  nahe  Sternbild  des  Bären  herabblickt, 

Weithin  wird  dir  die  Schande  als  Begleiterin  folgen  und 
dein  Antlitz  mit  schuldiger  Röte  übergiessen,  wenn  sich  vereint 
eine  Versammlung  grosser  Könige  unterhält. 

Denn    ewige   Schmach    erwartet   dich,    nicht  kannst   du 
unter  die  Scharen  der  Edlen  gelangen,   und  als  Verworfener 
wirst  du  in  jeder  Zone  leben. 
212  Das  Geschick   gab  Frotho    einen  Sprössling,    der    unter 

dem  Zorne  der  Götter  zur  Welt  geboren  ward,  dessen  ganzes 
Streben  nur  Verbrechen  und  niedrige  Leidenschaften  gefangen 
halten. 

Wie  es  bei  dem  Schifte  ist,  wo  aller  Schmutz  sich  in 
der  geraeinen  Höhlung  des  Kielraumes  sammelt,  so  strömten 
auch  in  Ingellus  eine  Menge  lasterhafter  Dinge  zusammen. 

Darum  wirst  du  aus  Furcht  vor  öfl^entlicher  Schmach  in 
einem  Winkel  deines  Landes  daliegen,  aufgeschwollen  iu 
deinem  unsauberen  Heim,  und  darfst  dich  nicht  in  ehren- 
werter Gesellschaft  sehen  lassen. 

Dann  wirst  du  den  Bart  schütteln  über  dein  unheilvolles 
Schicksal,  unterdrückt  von  den  Anstachelungen  deiner  Buh- 
lerinnen, wenn  dir  dein  Kebsweib  mit  klagenden  Worten  in 
den  Ohren  liegt. 


Starcatherus'  Lied  und  sein  Erfolg.  333 

Wenn   bleiche  Furcht    deinen  Sinn    zurückhält    und   du  814 
dich   ängstigst,  der  Rächer  deines  Vaters  zu  werden,    dann 
entartest  du  ganz  und  gar  und  wirst    ein  Charakter,    ganz 
gleich  einem  Sklaven. 

Mit  geringer  Anstrengung  hätte  man  dich  stürzen  können, 
wie  wenn  jemand  einen  Bock  ergreift  und  absticht  oder  ein 
zartes  Lamm  schlachtet,  indem  er  ihm  mit  dem  Messer  die 
Kehle  abschneidet. 

Siehe,  der  Sohn  des  Tyrannen  Swertingus,  dessen  feige 
Schwester  du  in  schimpflicher  Verbindung  bei  dir  behältst, 
wird  sich  nach  dir  Dänemarks  als  Erbe  bemächtigen. 

Während  du  dich  damit  erfreust,  deine  mit  Edelsteinen 
beladene  und  in  Goldschmuck  strahlende  Braut  zu  feiern, 
verzehren  uns  Pein  und  Scham  und  wir  klagen  über  deine 
Schande. 

Wenn  dich  jählings  die  Wollust  hinreisst,  ruft  unser  Geist 
uns  ängstlich  die  Art  der  Vergangenheit  ins  Gedächtnis  zu-  218 
rück  und  erweckt  in  uns  heftigen  Schmerz. 

Denn  anders  als  du  beurteilen  wir  das  Verbrechen  der 
Feinde,  die  du  jetzt  ehrst;  daher  ist  das  Leben  der  Gegen- 
wart für  mich,  der  ich  die  Vergangenheit  kenne,  eine  Last. 

Kein  grösseres  Glück  wollte  ich  mehr  erstreben,  wenn 
ich  nur  die  an  deinem  Tode  Schuldigen,  Frotho,  gerechte 
Strafe  für  diesen  Frevel  erleiden  sähe." 

Mit  diesem  seinem  aufstachelnden  Mahnrufe  hatte  er  315 
nun  so  grossen  Erfolg,  dass  er  dem  schlaffen  und  entnervten 
Geiste  durch  seinen  Tadel  wie  durch  einen  Feuerstein  die 
lohendste  Flamme  der  Tapferkeit  entlockte.  Zuerst  zwar 
schenkte  der  König  dem  Sänge  gar  keine  Beachtung,  dann 
ward  er  durch  die  immer  eindringlicher  werdende  Ermahnung 
seines  Erziehers  erregt,  und  endlich  ergriff  ihn  das  Feuer 
der  Rachsucht,  so  dass  er  das  Gelage  'vergass  und  zum 
Feinde  ward.  Zuletzt  sprang  er  von  seinem  Sitze  auf  und 
ergoss  die  ganze  Wut  seines  Zornes  über  seine  Gäste  in  der 
Weise,  dass  er  in  blutipjer  Grausamkeit  gegen  Swertingus' 
Söhne  das  Schwert  zog  und  mit  gezurkter  Klinge  die  Kehlen 
derer  bedrohte,  deren  Gaumen  er  eben  noch  mit  den  Lecker- 


334  Sechstes  Buch. 

bissen  seines  Tisches  gekitzelt  hatte.  Dadurch,  dass  er  diese 
auf  der  Stelle  niederhieb,  befleckte  er .  die  Heiligkeit  des 
gastlichen  Tisches  mit  Blut^),  zerriss  er  das  schwache  Band 
der  Gastfreundschaft.  Durch  seine  erhabene  Wut  wandelte 
er  das  schmähliche  Gelage  um,  aus  dem  Wirte  ward  er  zum 
Feinde,  aus  dem  verworfensten  Sklaven  der  Völlerei  zum 
thatkräftigsten  Rächer.  Denn  die  eifrige  Rede  seines  Warners 
erzeugte  in  ihm  bei  seiner  weichen  und  zarten  Jugend  den 
Geist  des  Zornes,  sie  schuf  Kühnheit  in  ihm,  indem  sie  die- 
selbe aus  ihrem  Schlupfwinkel  hervorzog,  und  erreichte  es, 
dass  die  Verüber  des  schwersten  Frevels  die  verdiente  Strafe 
für  ihre  That  erlitten.  Die  Wackerkeit  des  jungen  Mannes 
war  gewissermassen  nur  ausgewandert ,  nicht  erstorben. 
Unter  der  Beihilfe  des  Alten  ward  sie  wieder  ans  Licht  ge- 
zogen und  vollendete  ein  Werk,  um  so  grösser,  je  später  es 
kam,  und  es  war  viel  rühmlicher,  die  Becher  mit  Blut  statt 
.  mit  Wein  zu  füllen.  Wie  begeistert  muss  wohl  der  Greis 
gewesen  sein,  der  durch  seine  beredsame  Ermahnung  das 
masslose  Laster  aus  des  Königs  Herzen  vertrieb  und  an  seine 
Stelle,  nachdem  er  die  Fesseln  der  Nichtsnutzigkeit  zer- 
brochen, die  wirksamste  Saat  der  Tugend  streute!  Starca- 
therus  begleitete  des  Königs  Hand  mit  gleichen  Thaten; 
aber  er  zeigte  nicht  nur  an  sich  selbst  das  höchste  Mass  der 
Tapferkeit,  sondern  er  vermochte  es  auch  aus  der  Brust 
des  andern  hervorzulocken.  Nach  der  That  begann  er  wie 
folgt: 

214  „Lebe    wohl,    König   Ingellus,    dessen    mutvolles  Herz 

nun  endlich  eine  kühne  That  gewagt  hat.  Eine  Gesinnung 
herrscht  in  deiner  Brust,  die  sich  jetzt  zum  ersten  Male 
offenbart  hat,  und  es  fehlt  deinem  Gemüte  nicht  an  tiefer 
Einsicht,  obwohl  du  bis  jetzt  dich  schweigend  verhalten. 
Denn  den  Schaden  des  Zögerns  machst  du  durch  Wackerkeit 
wieder  gut  und  entschädigst  für  die  Schlaffheit  deines  Mutes 
durch   mannhafte  Tüchtigkeit.     Wohlan  nun,    erschlagen  wir 

316  auch  die  andern,  keiner  entkomme  der  Gefahr,  die  jeder  mit 


»)  Vgl.  I,  28  Anm.  1. 


Die  Hache;  Schlosslied  des  Starcatherus.  335 

gleichem  Grunde  verdient.  Es  falle  das  Verbrechen  auf  seine 
Anstifter  zurück,  und  die  Schuld  unterdrucke  ihre  eigenen 
Urheber.  Knechte  sollen  die  Körper  der  Getöteten  auf  einen 
Wagen  laden,  schnell  führe  der  Henker  die  Leichen  hinaus, 
die  mit  Recht  der  letzten  Ehren  verlustig  gehen  sollen,  nicht 
wert ,  von  einem  Grabhügel  bedeckt  zu  werden.  Kein 
Leichengepränge  noch  Scheiterhaufen  soll  ihnen  die  fromme 
Ehre  eines  Grabmales  verschaffen;  verwesend  mögen  sie  auf 
den  Feldern  umherliegen,  ein  Frass  für  die  Schnäbel  der 
Vögel,  und  mit  ihrer  unheilvollen  Fäulnis  mögen  sie  das 
Land  ringsum  beflecken^).  Entfliehe  aucli,  mein  König, 
wenn  du  verständig  bist,  deinem  wilden  Weibe,  damit  sie 
nicht,  die  Wölfin,  ein  Kind,  ihr  ähnlich,  gebiert  und  von  dir 
ein  Ungeheuer  erzeugt  werde,  das  dem  eigenen  Vater  schaden 
würde.  Sage  nun,  Rotho*),  du  ewige  Verhöhnerin  der 
Feigen,  ob  wohl  Frotho  genug  gerächt  sei,  nachdem  wir 
zur  Sühne  für  den  einzigen  Mann  sieben  Begräbnisse  auf* 
gewandt  haben.  Siehe,  da  bringt  man  die  tot  an,  die  nicht 
wirklich,  sondern  nur  zum  Schein  deine  Herrschaft  ehrten 
und  unter  der  Dienstfertigkeit  Trug  im  Schilde  führten. 
Immer  aber  lebte  ich  der  Hoffnung,  dass  der  Nachwuchs  der 
Edlen  ihrem  Erzeuger  entspricht  und  im  Charakter  dem  Ge- 
schicke folgt,  das  schon  im  Blute  liegt.  Jetzt  nun,  Ingellus, 
verdienst  du  mehr  als  vormals  Herr  von  Lethra  und  Däne- 
mark zu  heissen.  Bartlos  folgte  ich  einst,  König  Haco, 
deiner  Führung  und  Leitung  im  Kriege  und  hasste  die 
schlaffen  Gemüter  und  die  Ueppigkeit,  nichts  liebte  ich  als 
Feldzüge.  Indem  ich  Körper  und  Geist  zusammen  übte, 
verbannte  ich  alles  Niedrige  aus  meinem  Sinn^  entfloh  den 
Gelüsten  des  Magens  und  dachte  nur  an  Heldenthaten.  317 
Denn  wer  sich  den  Waffen  geweiht,  für  den  war  einst  die 
Kleidung  rauh  und  seine  Bedürfnisse  leicht  zu  befriedigen, 
spärlich  war    die  Ruhe    und    kurz    der  Schlaf.     Mühen    ver- 


»)  Vgl.  die  Strafe  nach  dem  Tode  Fengos,  B.  IV,  S.  157. 
*)  Anrd.  Rota,  eine  Walküre,  deren  Xame  wohl  Saxo  nur  aus  einem 
dänischen  Liede  bekannt  sein  konnte. 


336  Sechstes  Buch. 

scheucliten  weit  die  Müsse,  und  unter  dürftigem  Aufwände 
verging  die  Zeit.  Nicht  gab  es  wie  jetzt  gewisse  Leute, 
deren  unersättliche  Begierde  in  blinder  Lüsternheit  die  ganze 

216  Vernunft  verschleierte.  Mancher  von  diesen,  gehüllt  iu  sein 
Prunkgewand,  lenkt  weichlich  ein  schnellfüssiges  Ross,  lösst 
den  Haarknoten  und  lässt  die  Locken  frei  im  Winde  flattern. 
Oft  und  gern  spricht  er  auf  dem  Versammlungsplatze  und 
lechzt  nach  schnödem  Gewinne.  Mit  solchen  Bemühungen 
tröstet  er  sich  über  sein  faules  Leben  und  besorgt  mit  seiner 
feilen  Zunge  die  ihm  übertragenen  Geschäfte.  Durch  Gewalt- 
that  verletzt  er  die  Gesetze,  bricht  das  Recht  mit  dem 
Schwerte,  unterdrückt  die  Unschuldigen,  nährt  sich  von 
fremdem  Gelde,  übt  Wollust  und  Völlerei,  mit  bissigem 
Hohngelächter  begleitet  er  das  Mahl,    und  hinter  Huren  ist 

318  er  her  wie  die  Harke  hinter  dem  Unkraut.  Als  Feigling 
stirbt  er,  während  friedlich  alle  Kämpfe  ruhen.  Selbst  wenn 
einer  mitten  im  Thale  sich  lagert,  so  wird  doch  den  kein 
Schild  beschirmen,  der  das  Schicksal  fürchtet.  Die  letzte 
Stunde  ruft  jeden  Sterblichen  ab.  In  keinem  Versteck  kann 
man  dem  Tode  entgehen.  Ich  aber,  der  ich  die  Welt  mit  so 
vielen  Niederlagen  erfüllte,  sollte  eines  friedlichen  Todes 
sterben?  Ich  sollte  nach  einem  sanften  Ende  zu  den  Sternen 
emporsteigen  und  ohne  Wunden  der  Gewalt  einer  Krankheit 
erliegen?" 


Ende  des  sechsten  Buches. 


siebentes  Buch.  «^«^  319 


Das  geschichtskundige  Altertum  überliefert,  dass  Inge  11  us 
vier  Söhne  hatte,  von  denen  Olawus,  da  die  drei  andern 
im  Kriege  fielen,  allein  nach  des  Vaters  Tode  die  Herrschaft 
führte ;  einige  behaupten  nach  einer  unsicheren  Ansicht,  dass 
dieser  der  Sohn  von  Ingellus'  Schwester  gewesen  sei^). 
Die  Nachwelt  hat  nur  eine  ganz  ungenaue  Kenntnis  von  sei- 
nen Thaten,  da  sie  von  der  Trübheit  des  Alters  verdunkelt 
sind.  Nur  den  letzten  seiner  kühnen  Pläne  hat  die  Kunde 
aufbewahrt.  Denn  als  er  schon  an  der  äussersten  Schwelle  820 
<les  Todes  stand,  wollte  er  noch  für  seine  Söhne  Frotho 
und  Harald  US  sorgen,  und  er  gebot,  dass  der  eine  die 
königliche  Gewalt  über  die  Länder,  der  andere  über  die 
Gewässer  ausüben  sollte,  und  zwar  sollte  diese  Scheidung 
der  Macht  nicht  dauernd  sein,  sondern  jährlich  zwischen 
ihnen  abwechseln^).  So  wurden  die  Bedingungen  der  Herr- 
schaft gleich  unter  sie  verteilt,  aber  Frotho,  der  zuerst  die 
Obergewalt  über  das  Seegebiet  erhielt,  erntete  infolge  seiner 
vielen  Schlappen  bei  seinen  Zügen  nur  Schmach.  Der  Grund 
dieses  Missgeschicks  waren  die  jungen  Ehen  seiner  Schiffs- 
leute; denn  diese  zogen  die  Freuden  des  häuslichen  Bettes 
4en  Anstrengungen  des  Kriegsdienstes  im  Felde  vor.  Nach 
Ablauf  seiner  Zeit  erhielt  nun  der  jüngere  Haraldus  die 
Herrschaft  zur  i>ee,  und  er  wählte  sich  unverheiratete  Krieger, 
da  er  sonst  einen  Misserfolg  wie  bei  seinem  Bruder  besorgte. 


')  Ueber  Olawus  e.  B.  VI.  S.  290  mit  Anra.  2  und  Olrik  II,  229. 
')  Dieselbe  Teilung  fand  sich  schon  II  S.  81. 
SaKO  Grammaticut.  22 


338  Siebentes  Buch. 

Da^Glflck  war  seiner  Wahl  günstig;  denn  er  erwies  sieb 
als  ebenso  ruhmreicher  Wiking,  wie  sein  Bruder  ruhmlos  ge- 
wesen war.  Dieser  Umstand  zog  ihm  aber  den  Neid  seine» 
Bruders  zu.  Ja  sogar  ihre  Frauen  Sygne  und  Ulwilda, 
die  eine  eine  Tochter  des  Schwedenkönigs  Sywardus,  die 
andere  des  Statthalters  von  Götland,  Karolus,  stritten  hef- 
tig und  voll  Eifersucht  um  den  Vorrang,  und  sie  machten 
dem  wechselseitigen  Zusammenleben  ihrer  Männer  ein  Ende. 
So  kam  es,  dass  Haraldus  und  Frotho  ihren  geraeinsamen 

217  Haushalt  auflösten  und  ihr  gemeinschaftliches  Vermögen  teil- 
ten, indem  sie  dem  Weibergezänk  mehr  Beachtung  schenkten 
als  den  Pflichten  brüderlicher  Liebe. 

Frotho  glaubte,  er  werde  wegen  des  Ruhmes  seine» 
Bruders  verachtet  und  es  erwüchse  ihm  daraus  Unehre,  und 
so  gebot  er  einem  seiner  Vertrauten  ihn  zu  töten,  weil  er 
sah,  dass  er,  der  ältere,  von  jenem  an  Tüchtigkeit  übertreffen 
werde  ^).  Nach  der  That  Hess  er  das  Werkzeug  seiner  Heim- 
tücke unbemerkt  umbringen,  damit  sein  Verbrechen  nicht 
durch  einen  Mitwisser  verraten  werde.  Darnach  Hess  er,  um 
Glauben  an  seine  Unschuld  zu  erwecken  und  dem  Tadel  für 
seine  Unthat  zu  entgehen,  eine  gründliche  Untersuchung  an- 
stellen, welch  unglücklicher  Zufall  seinen  Bruder  so  unver- 
mutet hingeraff't  hätte.  Doch  konnte  er  trotz  so  vieler  Kunst- 
griffe nicht  verhindern,  dass  ihn  die  Meinung  des  Volkes 
brandmarkte.  Später  fragte  er  einmal  Karolus,  wer  wohl 
Haraldus  getötet  haben  möge;  jener  aber  antwortete,  erfrage 
heuchlerisch  nach  einer  ihm  gar  wohlbekannten  Sache.  Di^se 
Worte  kosteten  ihm  das  Leben,  denn  Frotho  meinte,  er  habe 
ihn  so  verblümt  des  Brudermordes  geziehen. 

Darnach  trachtete  er,  der  Oheim,  auch  den  Söhnen  dea 

321  Haraldus  von  Sygne,  Karolus'  Tochter,  Haraldus  und 
Haldanus,    nach  dem  Leben^),  aber  von  ihren  Beschützern 


*)  Müller  weist  auf  die  Aehnlichkeit  mit  dem  Verfahren  des  ältesten 
Sohnes  des  Königs  Frotho  I.  hin,  Ualdanus,  der  ebenfalls  aus  Herrschsadit 
seine  Brüder  tötete.    S.  II  S.  80.    Auch  die  Hrolfssaj^a  berichtet  Aehnliches. 

»)  Die  folgende  Erzählung,  wie  Frode  seinen  Neffen  nach  dem  Leben 
trachtet,   wird    mit   einigen  Abweichungen   und    grösserer  AusführUchkeit 


Frotho  V.  und  seine  Neffen.  339 

wurde  ein  gar  schlauer  Weg  zu  ihrer  Rettung  ausfindig  ge- 
macht. Sie  befestigten  nämlich  abgehauene  Wolfsklauen  an 
ihren  Sohlen  und  begannen  den  schmutzigen  und  mit  Schnee 
bedeckten  Boden  um  ihre  Wohnung  herum  mit  Spuren  zu 
übersäen,  indem  sie  mehrmals  hin  und  hergingen;  sie  wollten 
so  den  Anschein  erwecken,  als  ob  da  wilde  Tiere  gelaufen 
wären.  Darauf  töteten  sie  ein  paar  Sklavenkinder,  rissen 
ihren  Körper  in  Stücke  und  streuten  die  zerfleischten  Glieder 
überall  hin.  Als  man  nun  die  Knaben  suchte  und  nicht  fand, 
entdeckte  man  die  zerrissenen  Glieder,  bemerkte  die  Tier- 
spuren und  sah  die  blutbefleckte  Erde.  Man  glaubte,  die 
Kinder  seien  von  wilden  Wölfen  getötet  worden,  und  nie- 
mandem konnte  wohl  ein  Zweifel  an  dem  so  deutlichen  Be- 
weise für  ihren  Tod  aufgehen.  Der  Glaube  an  diesen  Schein 
diente  den  Kindern  zum  Schutze.  Sie  wurden  gleich  darauf 
von  ihren  Pflegern  in  eine  hohle  Eiche  eingeschlossen,  und 
damit  durch  kein  Anzeichen  ihr  Dasein  verraten  werde, 
wurden  sie  lange  unter  dem  Vorgeben,  dass  es  Hunde  seien, 
ernährt;  ja  man  gab  ihnen  sogar  Hundenamen,  damit  um  so 
weniger  die  Kunde  von  ihrer  Verborgenheit  ruchbar  würde. 
Frotho  allein  wies  den  Glauben  an  ihren  Tod  zurück  und 
begann  mit  Hilfe  einer  zauberkundigen  Frau  den  Ort  ihres 
Verstecks  zu  erforschen.  Die  Macht  ihrer  Sprüche  war  so 
gross,  dass  sie  offenbar  die  Fähigkeit  besass,  jede  beliebige 
Sache,  unter  so  festem  Verschlusse  sie  auch  ruhen  mochte, 
ganz  allein  zu  erblicken  und  in  Greifweite  zu  bringen.  Sie 
gab  an,  ein  gewisser  Regno  habe  heimlich  die  Pflicht  der 
Erziehung  jener  Kinder  übernommen  und,  um  sie  zu  ver- 
bergen, ihnen  Hundenamen  beigelegt.  Als  diese  nun  sahen, 
dass  sie  durch  die  ungewöhnliche  Kraft  des  Zaubers  aus  2I8 
ihrem  Schlupfwinkel  entführt  und  vor  die  Augen  der  Zauberin 
gebracht  wurden,  warfen  sie  ihr,  um  nicht  durch  einen  so 
schauerlichen  Zwang  verraten  zu  werden,  eine  Menge  Gold, 
welches  sie  von  ihren  Beschützern  bekommen  hatten,  in  den 


auch  von  der  Hrolfssaga  (Kap.  3)  berichtet;  die  Hundenamen  sind  darnach 
Hoppr  und  Hö.  Auch  in  der  Skjoldung^asaga  findet  sich  Entsprechendes. 
S.  Olrik  U,  82. 

22* 


340  Siebentes  Buch. 

Schoss.  Sowie  jene  die  Gabe  empfing,  Hess  sie  sich,  indem 
sie  einen  plötzlichen  Krankheitsanfall  erheuchelte,  wie  leblos 
auf  den  Boden  sinken.  Auf  die  Frage  ihrer  Dienerinnen 
nach  dem  Grunde  ihres  so  unvermuteten  Falles  erklärte  f^ie, 
die  Flucht  der  Söhne  des  Haraldus  sei  unerforschbar,  und 
322  deren  ausnehmende  Kraft  schränke  sogar  die  Macht  ihrer  ge- 
waltigsten Zaubersprüche  ein.  So  begnügte  sie  sich  mit 
einer  kleinen  Belohnung  und  gewann  es  nicht  über  sich,  den 
König  um  ein  grösseres  Geschenk  zu  bitten.  Als  darauf 
Regno  bemerkte,  dass  sich  das  Gerede  von  ihm  und  seinen 
Schützlingen  immer  mehr  im  Munde  des  Volkes  verbreitete, 
führte  er  beide  nach  FTineii.  Dort  wurde  er  von  Frotho 
gefangen,  bekannte,  dass  er  den  Knaben  seinen  Schutz  ge- 
währt habe,  und  bat  den  König,  er  möge  die  Kleinen,  denen 
er  schon  den  Vater  genommen,  schonen  und  es  nicht  als  ein 
Glück  ansehen,  sich  mit  einem  doppelten  Verwandtenmorde 
zu  beflecken.  Durch  diese  Worte  verwandelte  er  die  Wut 
des  Königs  in  Scham,  und  er  versprach  überdies,  wenn  jene 
irgend  welche  Umwälzungen  in  ihrem  Vaterlande  planten,  so 
würde  er  dem  König  Meldung  machen.  So  gewann  er 
Sicherheit  für  seine  Pfleglinge  und  lebte,  frei  von  Furcht, 
noch  viele  Jahre. 

Als  sie  herangewachsen  waren,  gingen  sie  nach  Seeland, 
und  da  ihre  Freunde  sie  aufforderten,  ihren  Vater  zu  rächen, 
gelobten  sie,  sie  und  ihr  Oheim  würden  den  Schluss  des 
Jahres  nicht  zusammen  erleben.  Sowie  Regno  dies  erfuhr, 
eilte  er,  veranlasst  durch  die  Erinnerung  an  sein  Versprechen, 
bei  Nacht  in  die  Königshalle  und  sagte,  er  komme,  um 
heimlich  dem  Könige  etwas  zu  berichten,  was  er  versprochen 
habe.  Er  litt  aber  nicht,  das  man  diesen  bei  Nacht  aus  dem 
Schlafe  weckte,  weil  Frotho  eine  solche  Störung  mit  dem 
Sehwerte  zu  bestrafen  pflegte.  Als  so  schweres  Verbrechen 
galt  es  in  alter  Zeit,  den  Schlummer  des  Königs  zu  unge- 
legener Zeit  zu  unterbrechen.  Als  Frotho  dies  am  Morgen 
von  den  Wächtern  vernahm  und  merkte,  dass  Regno  die 
Botschaft  von  einem  Anschlage  gebracht  habe,  sammelte  er 
ein  Heer  und  beschloss  dem  Aufruhr  durch  seine  Grausamkeit 


Frotho  V.  und  seine  NefiFen.  341 

zuvorzukommen.  Harald us'  SöhDe  hatten  nun  kein  anderes 
Hilfsmittel,  als  Wahnsinn  zu  heucheln.  Denn  als  sie  er- 
kannten, dass  sie  unvermutet  überrascht  waren,  begannen  sie, 
gleichwie  von  Wahnwitz  getrieben,  sich  wie  Verrückte  zu 
gebärden.  Da  nun  Frotho  meinte,  sie  seien  toll,  Hess  er 
von  seinem  Vorhaben  ab,  denn  er  hielt  es  für  unehrenhaft, 
die  mit  dem  Schwerte  anzugreifen,  die  offenbar  das  Schwert 
gegen  sich  selbst  richteten.  In  der  nächsten  Nacht  aber 
wurde  er  von  diesen  verbrannt  und  büsste  so  mit  Fug  und 
Recht  für  seinen  Brudermord.  Sie  griffen  nämlich  die 
Königshalle  an  und  steinigten  zuerst  die  Königin;  dann  legten 
sie  Feuer  an  das  Haus  und  zwangen  Frotho,  in  die  Enge 
einer  längst  zuvor  angelegten  Höhle  und  in  das  Versteck 
eines  dunklen  Ganges  sich  zu  verkriechen.  Als  er  sich  dort  B23 
eingeschlossen  zu  verbergen  suchte,  kam  er,  erstickt  von 
Rauch  und  Dampf,  um. 

Nach  Frothos  Tode  führte  Haldanus^)  etwa  drei  219 
Jahre  die  Herrschaft  in  seinem  Lande  und  übergab  dann  das 
Recht  derselben  vertretungsweise  seinem  Bruder  Haraldus, 
während  er  selbst  Oelandien^)  und  die  benachbarten  Inseln, 
welche  ein  mannigfach  gewundener  Wasserweg  von  der  Küste 
Schwedens  trennt,  in  Wikingerzugen  verheerte.  Ebendort 
unternahm  er  auch,  als  im  Winter  die  SchiflFe  ans  Land  ge- 
zogen und  in  einem  Lager  verschanzt  waren,  eine  dreijährige 
Kriegsfahrt.  Darauf  griff  er  mit  einem  Heere  Schweden  an 
und  tötete  den  König  im  Kampfe.  Den  Enkel  desselben, 
Eric  US,  den  Sohn  seines  Oheims  Frotho,  wollte  er  nachher 
in  einer  Schlacht  bestehen.  Als  er  aber  erfuhr,  dass  einer 
von  dessen  Kämpen,  Haquinus,  es  verstünde,  durch  Zauber- 


*)  Die  jetzt  folgende  Halfdansage  erscheint  als  ^lischprodukt  aus 
norwegischen  und  dänischen  Sagen,  wobei  sich  das  Einzelne  nicht  mehr 
genau  sondern  lässt.  In  Halfdan  vereinigen  sich  mindestens  zwei  Personen, 
der  norwegische  Halfdan  hinn  Bjargrami  und  ein  dänischer.  Die  beiden 
Hauptt«ile  darin  sind  die  Vaterrache  und  die  Wikingerzüge;  der  Kern  des 
Ganzen  ist  die  Eroberung  des  schw^edischen  Thrones.  Ygl.^Uhland,  Sehr. 
VI,  110  ff.  und  Olrik  II  81  ff. 

»)  Siehe  die  Anm.  6  zu  V  S.  254  und  Anm.  4  zu  IV  S.  189. 


342  Siebentes  Buch. 

Sprüche  das  Eisen  stumpf  zu  machen^),  stellte  er  sich  eine 
gewaltig  grosse  Keule,  mit  eisernen  Buckeln  versehen,  zum 
Zuschlagen  her,  gleichsam  um  die  Stärke  des  Zaubers  durch 
die  Kraft  des  Holzes  zu  bekämpfen.  Dann  stürzte  er  sich 
—  denn  er  zeichnete  sich  vor  allen  durch  seine  hervorragende 
Tapferkeit  aus  —  in  die  hitzigen  Knäuel  der  Feinde,  das 
Haupt  durch  den  Helm  beschirmt,  aber  ohne  Schild,  und 
schwang  mit  beiden  Händen  seine  w^uchtige  Keule  auf  die 
ihm  entgegen  gehaltenen  schützenden  Schilde.  Kein  Hin- 
dernis war  so  fest,  das  nicht  deren  massige  Streiche  zer- 
malmt hätten.  So  kam  es  auch,  dass  er  den  ihm  im  Kampfe 
begegnenden  Fechter  mit  einem  kräftigen  Schlage  seiner 
WaflFe  niederstreckte.  Dennoch  wurde  er  besiegt,  und  er 
entkam  auf  seiner  Flucht  nach  Helsingien,  wo  er  einen  ge- 
wissen Vitolf us*-^),  einen  ehemaligen  Krieger  des  Haraldus, 
aufsuchte,  um  Heilung  für  seine  Wunden  zu  finden.  Dieser 
hatte  den  grössten  Teil  seines  Lebens  im  Kriegslager  zuge- 
bracht und  sich  dann  nach  dem  traurigen  Geschick  seines 
Herrn  in  die  Einsamkeit  dieser  Gegend  zurückgezogen,  wo 
er  ein  ländliches  Leben  führte  und  sich  von  den  schon  ge- 
wohnten Anstrengungen  des  Kriegsdienstes  erholte.  Da  er 
oft  von  feindlichen  Geschossen  getroffen  worden  war,  hatte 
er  sich  durch  die  beständige  Pflege  seiner  Wunden  eine  nicht 
geringe  Kenntnis  in  der  Heilkunde  erworben.  Wenn  aber 
jemand  seine  Hilfe  durch  Schmeicheleien  zu  gewinnen  suchte, 
so  fügte  er  diesem  gewöhnlich  eine  heimliche  Schädigung 
zu,  anstatt  Heilung  zu  gewähren;  denn  er  hielt  es  für  rühm- 
324  lieber  eine  Wohlthat  unter  Drohungen  als  unter  Liebens- 
würdigkeiten zu  erlangen.  Als  die  Soldaten  des  Ericus  in 
der  Absicht,  Haldanus  zu  fangen,  auf  sein  Haus  losstürmten, 
nahm  er  ihnen  so  sehr  die  Fähigkeit  des  Sehens,  dass  sie  das 


^)  lieber  diese  Kunst  und  die  dagegen  angewandten  Mittel  vgl. 
Olrik  I,  58.  —  Der  starke  Keulenschwinger  begegnet  später  nochmals. 
B.  Vm,  222  und  223  (Holder). 

*)  Anrd.  Viaolfr;  im  Liede  von  Hyndla  Str.  34  (=  Gerings  Edda 
S.  124)  trägt  ein  Riese,  der  Stammvater  der  Weissagerinnen,  denselben 
Namen.     Richtiger  ist  wohl  A'ittolfr*  von  ,vitt'  =  Zaubermittel. 


Haldanus  Biarg^rammus.  343 

ganz  nahe  Gebäude  weder  erblicken  noch  sicher  ausfindig 
machen  konnten.  In  dem  Masse  hatte  eine  Art  von  nebel- 
haftem Irrtum  die  Schärfe  ihrer  Augen  abgestumpft. 

Als  nun  Haldanus  durch  dessen  Hilfe  wieder  frische 
Kräfte  erlangt  hatte,  gewann  er  Thoro  för  sich,  einen  Recken 
Ton  hervorragender  Befähigung,  und  erklärte  Ericus  den 
Krieg.  Als  man  nun  auf  beiden  Seiten  die  Truppen  vor« 
führte  und  er  sah,  dass  jener  ihn  an  Zahl  der  Krieger  über- 
treffe, gebot  er  einem  noch  verborgenen  Teil  seines  Heeres, 
sich  hinter  den  nahen  Gebüschen  am  Wege  zu  verstecken, 
um  so  den  Feind,  wenu  er  durch  die  ziemlich  enge  Bahn  220 
des  Hohlweges  ziehe,  aus  dem  Hinterhalt  zu  vernichten. 
Ericus  aber  hatte  dies  vorausgesehen,  die  Gelegenheit  zum 
Yordringen  ausgekundschaftet  und  glaubte  sich  etwas  zurück- 
ziehen zu  müssen,  um  nicht,  wenn  er  den  vorher  ins  Auge 
gefassten  Weg  betrete,  in  der  steilen  Bergschlucht  durch  die 
Hinterlist  des  Feindes  überrumpelt  zu  werden.  Dah^r  fand 
die  Schlacht  nun,  Heer  gegen  Heer,  in  einem  ringsum  von 
jähen  Bergabhängen  eingeschlossenen  Thalkessel  statt.  Als 
hier  Haldamus  sah,  wie  die  Reihen  der  Seinigen  wankten, 
bestieg  er  mit  Thoro  einen  mit  Steinblöcken  reich  bedeckten 
Felsen,  riss  die  Steine  aus  der  Erde,  wälzte  sie  auf  den 
Feind  herab  und  vernichtete  durch  ihren  wuchtigen  Fall  die 
unten  eingeklemmte  Schar.  So  kam  es.  dass  er  den  Sieg, 
den  er  mit  den  Waffen  schon  verloren,  durch  Steine  wieder- 
gewann. Wegen  dieser  glänzenden  That  erhielt  er  den  Bei- 
namen Biargrammus*),  ein  Wort,  welches  von  der  Be- 
zeichnung der  Berge  und  seiner  Wildheit  abgeleitet  zu  sein 
scheint.  Dadurch  gewann  er  bei  den  Schweden  so  hohes 
Ansehen,  dass  man  ihn  als  Sohn  des  gros.sen  Thor  betrach- 
tete und  ihn  von  Staats  wegen  für  würdig  erklärte,  dass  man 
ihm  opfere. 


^)  Stephanius  erklärt  das  Wort  mit  Saxo  als  Zusammensetzung  aus 
,berg  oder  bjjerg*  =  Berg  und  Adj.  gramr  =  wild,  feindlich;  Müller  will 
den  zweiten  Bestandteil  als  Subst.  gramr  =  Fürst ,  König  fassen.  Das 
nichtige  ist  wohl,  was  auch  Saxos  Schreibung  entspricht,  denselben  mit 
Elton  als  Adj.  rammr  =  gewaltig,  stark  aufzufassen. 


344  Siebentes  Buch. 

825  Aber  die  Gemüter  der  Besiegten  pflegen  sich  nur  selten 

ruhig  zu  halten,  und  die  Bosheit  der  unterworfenen  strebt 
nach  dem  Verbotenen.  So  kam  es  auch,  dass  Ericus, 
während  er  sich  bemühte,  die  Nachteile  seiner  Flucht  wieder 
gut  zu  machen,  die  Provinzen  des  Haldanus  angriff.  Ja 
nicht  einmal  Dänemark  verschonte  er  mit  dieser  seiner 
Wildheit;  denn  er  hielt  es  gerade  für  gerechtfertigt,  das 
Land  dessen  zu  überfallen,  durch  den  er  aus  seinem  eigenen 
vertrieben  worden  war.  Während  er  es  vorzog,  Gewaltthat 
zu  üben,  statt  sie  nur  zurückzuweisen,  befreite  er  Schweden 
von  den  feindlichen  Waffen.  Denn  als  Haldanus  hörte, 
dass  sein  Bruder  Harald us  von  jenem  in  drei  Treffen  be- 
siegt und  im  vierten  getötet  worden  sei,  sah  er  sich  au» 
Besorgnis,  seine  Herrschaft  zu  verlieren,  genötigt,  das  Gebiet 
der  Schweden  zu  räumen  und  nach  seinem  Vaterlande  zu 
eilen.  So  schnell  also  Ericus  die  Herrschaft  über  Schweden 
verloren  hatte,  so  leicht  gewann  er  sie  auch  wieder.  Hätte 
ihn  das  Schicksal  in  gleicher  Weise  bei  der  Behauptung  wie 
bei  der  Wiedererlangung  seines  Reiches  unterstützen  wollen, 
so  hätte  es  ihn  nie  der  Gewalt  des  Haldanus  überantwortet. 
Die  Art  seiner  Gefangennahme  vollzog  sich  in  folgender 
Weise:  Als  Haldanus  nach  Schweden  zurückkehrte,  ver- 
barg er  seine  Flotte  im  Hinterhalt  und  fuhr  mit  zwei  Schiffen 
Ericus  entgegen.  Von  diesem  mit  zehn  Schiffen  angegriffen, 
zog  er  sich  unter  verschiedenen  Segelmanövern  zu  der  ver- 
steckten Schar  der  Seinigen  zurück.  Als  ihn  Ericus  immer 
weiter  verfolgte,  tauchte  die  dänische  Flotte  aus  dem  Meere 
auf.  So  ward  Ericus  umzingelt,  verschmähte  aber  das  Leben, 
das  man  ihm  unter  der  Bedingung  der  Knechtschaft  anbot. 
Er  gewann  es  nicht  über  sich,  das  Licht  des  Lebens  der 
Freiheit  vorzuziehen  und  wollte  lieber  sterben  als  dienen, 
damit  er  nicht  aus  Liebe  zum  Dasein  aus  einem  freien  Manne 
ein    Sklave    würde    und    denjenigen    durch    die    ungewohnte 

221  Pflicht  der  Dienstbarkeit  ehre,  zu  dessen  gleichen  ihn  kurz 
vorher  das  Glück  gemacht  hatte.  So  wenig  versteht  sich  die 
Tüchtigkeit  darauf,  Rettung  mit  Schmach  zu  erkaufen.  Er 
wurde  daher  in  Fesseln  gelegt,   an  einem  von  wilden  Tieren 


Haldanus  Biargrammus.  345 

besuchten  Orte  ausgesetzt  und  fand  ein  Ende,    wie   es  seine 
Geistesgrösse  nicht  verdient  hatte. 

Haldanus  hatte  nun  die  Herrschaft  über  beide  Reiche 
inne,  und  er  schmückte  seinen  ruhmvollen  Namen  durch  drei 
ehrenwerte  Eigenschaften.  Er  war  nach  väterlicher  Art  in 
der  Fertigkeit,  Gedichte  zu  verfassen*),  sehr  gewandt  und 
zeichnete  sich  ebenso  durch  heldenhafte  Kraft  wie  durch 
Herrschertugenden  aus.  Auf  die  Kunde,  dass  die  allzu 
wagemutigen  Wikinger  Toko  und  Anundus  die  umliegenden 
Provinzen  bedrohten,  griflF  er  sie  in  einem  Seegefecht  an  und 
besiegte  sie.  —  Denn  die  Alten  glaubten,  man  dürfe  nach  326 
nichts  mehr  streben  als  nach  Ruhm,  der  nicht  durch  reiche 
Schätze,  sondern  durch  Tüchtigkeit  in  den  Waffen  erworben 
werde.  Daher  war  es  nach  dem  Sinne  der  alten  Helden, 
Aufruhr  anzustiften,  Streitigkeiten  vom  Zaune  zu  brechen, 
die  Ruhe  zu  hassen,  den  Krieg  dem  Frieden  vorzuziehen, 
sich  nach  dem  Masse  der  Tapferkeit,  nicht  des  Vermögens 
abzuschätzen,  das  höchste  Vergnügen  am  Kampfe,  das  ge- 
ringste an  Gastereien  zu  finden. 

Haidan  US  fehlte  es  auch  nicht  lange  an  einem  Neben- 
buhler; denn  ein  gewisser  Sywaldus,  ein  Mann  von  recht 
vornehmer  Abkunft,  gedachte  in  einer  Versammlung  der 
Schweden  mit  so  kläglichen  Worten  des  Todes  Frothos 
und  seiner  Gemahlin  und  erregte  bei  fast  allen  solchen  Hass 
gegen  Haldanus,  dass  er  unter  Zustimmung  der  grossen 
Mehrzahl  die  Genehmigung  zu  seinem  Aufstande  erhielt. 
Aber  er  begnügte  sich  nicht  bloss  mit  den  günstigen  Stimmen, 
sondern  gewann  sich  den  Sinn  des  Volkes  durch  seine 
listigen  Umtriebe  in  so  hohem  Grade,  dass  er  fast  alle  ver- 
anlasste, ihm  die  Königskrone  aufs  Haupt  zu  setzen.  Er 
hatte  sieben  Söhne,  die  in  Zauberkünsten  so  geübt  waren, 
dass  sie  bei  plötzlichen  Wutanfallen  Zornesblitze  aus  den 
Augen  zu  schiessen,  in  ihre  Schilde  zu  beissen,  glühende 
Kohlen  zu  verschlucken  und  durch  jeden  beliebigen  auf- 
gehäuften Brand  zu  schreiten  pflegten;    und   dieser  Zustand 


0  Wie  hoch  diese  Fertigkeit  geschätzt  wurde,  zeigt  B.  VI,  S.  275/6. 


346  Siebentes  Buch. 

der  Raserei  konnte  durch  kein  anderes  Mittel  als  durch 
schmachvolle  Fesseln  oder  durch  ein  Menschenopfer  gemildert 
werden^).  Mit  solcher  Wildheit  erfüllte  sie  entweder  ihr 
«igenes  rasendes  Temperament  oder  die  Wut  der  Furien. 
Als  Haldanus  dies  vernahm,  sagte  er  mitten  in  seiner  Be- 
schäftigung mit  einem  Piratenzuge  zu  seinen  Kriegern,  es 
sei  jetzt  Zeit,  nachdem  sie  bisher  an  Fremden  ihr  Mütchen 
gekühlt,  nunmehr  den  Stahl  an  das  Herz  der  Mitbürger  zu 
setzen,  und  während  sie  sich  bisher  die  Vergrösserung  des 
Reiches  hätten  angelegen  sein  lassen,  müssten  sie  jetzt  die 
Schmach,  dass  man  es  ihnen  entreisse,  zurückweisen.  Als  er 
herannahte,  schickte  Sywaldus  Gesandte  zu*  ihm  und 
forderte  ihn  auf,  wenn  die  Thatsachen  seinem  Rufe  ent- 
sprächen und  er  wirklich  so  tapfer  sei,  wie  das  Gerücht  von 
ihm  behaupte,  so  sollte  er  allein  ihn  und  seine  Söhne  im 
Kampfe  bestehen  und  durch  seine  eigene  Gefährdung  die  Gefahr 

222  vom  Staate  abwenden.  Auf  seine  Erwiderung,  ein  recht- 
mässiger Einzelkampf  dürfe  die  Zahl  von  zwei  Personen 
nicht  überschreiten,  antwortete  Sywaldus,  es  sei  nicht  zu 
verwundern,  dass  ein  kinderloser  Junggeselle  sich  gegen  den 
angebotenen  Strauss  sträube ;  denn  seine  jeder  Wärme  bare 
Natur  habe  ihm  Leib  und  Seele  mit  einer  schmählichen 
Kälte  erfüllt.  Seine  eigenen  Kinder  seien  übrigens  von  ihm 
selbst  gar  nicht  verschieden,  da  er  sie  ja  erzeugt  und  sie 
von  ihm  die  gemeinsame  Grundbedingung  zum  Dasein  er- 
halten hätten.     So  seien  er  und  seine  Kinder  gewissermasseu 

327  als  eine  Person  zu  betrachten,  da  ihnen  oflFenbar  von  der 
Natur  gleichsam  nur  ein  einziger  Leib  zu  teil  geworden 
sei.  Haldanus  beschloss  nun  voll  Entrüstung  über  diese 
Schmähung  der  Herausforderung  Folge  zu  leisten,  um  die 
schändliehe  Verhöhnung  seiner  Ehelosigkeit  durch  eine 
glänzende  Heldenthat  aufzuwägen.  Als  er  zufällig  durch  das 
schattige  Dunkel  eines  Waldes  schritt,  riss  er  eine  Eiche,  die 
ihm  im  \\eq;e  stand,  mit  den  Wurzeln  aus  dem  Boden,  be- 
freite sie  nur  von  den  Aesten  und  gestaltete  sie  so  zu  einer 


»)  Vfjl.  B.  VT,  S.  312  »nd  Anm.  2. 


Haldanus'  Eampt  mit  Sywaldus  und  Harthbenus.  347 

festen  Keule  um.     Im  Vertrauen  auf  diese  WaflFe  dichtete  er 
folgendes  kurze  Lied: 

^ Siehe,  die  rauhe  Last,  die  wir,  den  Nacken  dagegen 
stemmend,  tragen,  soll  anderer  Nacken  Wunden  und  Ver- 
derben bringen.  Nie  wird  fürwahr  eine  Waffe  aus  belaubtem 
Holze  die  Götlrmder  mit  schrecklicherem  Verhängnisse  be- 
drängen. Die  stolze  Stärke  des  sehnigen  Nackens  wird  sie 
brechen  und  die  gewölbten  Schläfe  mit  ihrer  hölzernen 
Wucht  zermalmen.  Nie  wird  eine  Keule,  welche  die  wilde 
Wut  des  Heimatlandes  bändigen  soll,  den  Schweden  in 
höherem  Grade  verderblich  sein.  Knochen  zerschmetternd 
und  über  den  zerfleischten  Gliedern  der  Männer  geschwungen, 
wird  sie  vorn  mit  ihrer  Spitze  den  Rücken  der  Nichts- 
würdigen schwer  belasten,  das  Heim  der  Blutsverwandten 
zerstören,  das  Blut  der  Bürger  vergiessen,  eine  verderbliche 
Pest  für  das  Vaterland.'* 

Nach  diesen  Worten  griff  er  Sywaldus  mit  seinen 
sieben  Söhnen  an,  machte  mit  der  furchtbaren  Wucht  seiner 
Keule  ihre  gewaltigsten  Kraftanstrengungen  zu  nichte  und 
weihte  sie  dem  Tode. 

Um  diese  Zeit  setzte  ein  gewisser  Harthbenus,  der 
aus  Helsingien  kam.  seine  Ehre  darein,  Königstöchter  zu 
rauben  und  zu  schänden;  wer  ihn  an  dem  Genüsse  seiner 
Lüste  verhindern  wollte,  den  pflegte  er  zu  erschlagen.  Vor- 
nehme Verbindungen  zog  er  niedrigen  vor,  und  er  hielt  sich 
für  um  so  rühmenswerter,  je  edlerer  Mädchen  Umarmung 
er  sich  erzwungen  hatte.  Keiner  entging  der  Strafe,  der  sich 
anmasste,  sich  mit  seinem  Mute  in  Vergleich  zu  stellen. 
Sein  Körper  war  so  gross,  dass  seine  Länge  nicht  weniger 
als  neun  Ellen  betrug.  Zwölf  Recken  waren  seine  Gesellen,  228 
deren  Aufgabe  es  war,  so  oft  ihn  seine  kampfahnende  Wild-  328 
heit  befiel,  ihn  in  Ketten  zu  legen  und  durch  dieses  Mittel 
den  Ausbruch  seiner  Raserei  abzuschwächen.  Als  Haldanus 
von  diesen  die  Aufforderung  erhielt,  Harthbenus  und  seine 
Recken  Mann  für  Mann  anzugreifen,  verpflichtete  er  sich 
nicht  nur  zum  Kampfe,  sondern  versprach  sich  auch  selbst 
mit    den    zuversichtlichsten    Worten    den    Sieg.     Bei    dieser 


348  Siebentes  Buch. 

Kunde  wurde  Harthbenus  von  einem  plötzlichen  Wutanfall 
ergriffen,  zerstörte  den  äusseren  Rand  seines  Schildes  durch 
seine  scharfen  Bisse,  Hess  nicht  ab,  feurige  Kohlen  in  seinen 
Magen  zu  befördern,  ergriff  Brände  mit  dem  Munde  und 
Hess  sie  in  seine  Eingeweide  gleiten,  rannte  trotz  der  Gefahr 
durch  prasselnde  Flammen,  verfiel  zuletzt  in  die  wildeste 
Raserei  und  stiess  mit  grimmer  Hand  sechs  seiner  Recken 
sein  Schwert  in  den  Leib.  Ob  ihn  zu  diesem  unsinnigen 
Benehmen  die  Kampfgier  oder  seine  natürliche  Wildheit  fort- 
gerissen, bleibt  ungewtss.  Darauf  griff  er  mit  dem  Reste 
seiner  Kämpfer  Haldanus  an.  Von  diesem  wurde  er  mit 
einem  Hammer  von  staunenswerter  Grösse  niedergeschmettert 
und  verlor  Leben  und  Sieg;  sa  musste  er  für  die  Heraus- 
forderung des  Haldanus  büssen  wie  auch  für  die  Könige, 
deren  Kinder  er  sich  mit  Gewalt  bemächtigt  hatte. 

Der  Zufall  bot  Haldanus  immer  neue,  unvermutete 
Anlässe  zum  Kampfe,  als  ob  er  nie  mit  der  Erprobung  seiner 
Tapferkeit  zufrieden  sei;  so  geschah  es,  dass  der  Finne 
Egtherus^)  die  Schweden  durch  einen  räuberischen  Küsten- 
überfall belästigte.  Haldanus  griff  ihn  mit  drei  Schiffen 
an,  denn  er  wusste,  dass  jener  ebenso  viele  hatte.  Da  die 
Nacht  dem  Treffen  ein  Ende  machte  und  er  deshalb  noch 
nicht  die  Entscheidung  herbeiführen  konnte,  forderte  er  ihu 
am  nächsten  Tage  zum  Zweikampfe  heraus  und  erschlug  ihn 
dabei.  Darauf  erfuhr  er,  dass  Grimmo,  ein  Recke  von 
hervorragender  Kraft,  unter  Androhung  eines  Zweikampfes 
um  Thorilda,  die  Tochter  des  Häuptlings  Hatherus, 
werbe,  und  dass  deren  Vater  verkündet  hätte,  derjenige  solle 
sie  bekommen,  der  den  Recken  bei  Seite  schaffe.  Obwohl 
er  unvermählt  schon  ein  hohes  Alter  erreicht  hatte,  Hess  er 
sich  doch,  weniger  durch  das  Versprechen  des  Häuptlings 
als  durch  den  Uebermut  des  Recken,  bestimmen,  und  zog 
nach  Norwegen.  Als  er  hinkam,  tilgte  er  alle  Spuren,  an 
denen  man  ihn  hätte  erkennen  können,  indem  er  sein  Antlitz 


*)  Dns  ist  wahrscheinlich  dieselbe  Person,  wie  der  V,  S.  2<>4  geuannte 
Biamiier  K^iihcrus. 


Haldanus'  Kampfe  mit  Harthbenus,  Egtherus  und  Grimmo.       349 

mit  entstellendea  Schmutzflecken  bespritzte;  sobald  er  auf 
den  Kampfplatz  kam,  zuckte  er  zuerst  sein  Schwert.  Als  er 
sah,  wie  es  durch  den  Blick  seines  Feindes  stumpf  wurde, 
warf  er  es  auf  die  Erde,  zog  ein  anderes  aus  der  Scheide,  329 
griff  damit  Grimmo  an  und  zerhieb  ihm  die  äussersten 
Fugen  seines  Panzers  sowie  den  unteren  Teil  des  Schildes. 
Grimmo  betrachtete  voll  Verwunderung  diese  That  und 
sagte:  Ich  kann  mich  nicht  erinnern,  dass  je  ein  alter  Mann 
hitziger  gefochten.  —  Zugleich  zog  er  aber  sein  Schwert  und 
hieb  damit  den  ihm  entgegen  gehaltenen  Schild  mitten  durch. 
Während  jedoch  noch  seine  Rechte  der  Wucht  des  Streichse 
nachgab,  führte  Haldanus,  ohne  zu  zögern,  den  Gegenhieb 
und  sclilug  sie  ihm  ab.  Jener  aber  ergriff  dessen  ungeachtet  224 
mit  der  Linken  das  Schwert  und  durchbohrte  seinem  Gegner 
den  Schenkel,  indem  er  so  die  Verstümmelung  seines  eigenen 
Körpers  durch  eine  kleine  Wunde  rächte.  Der  siegreiche 
HaUlamis  gestattete  dem  Ueberwundenen,  den  Rest  seiner 
Tage  für  Geld  zu  erkaufen*),  damit  er  nicht  in  den  Ver- 
dacht käme,  einem  kampfunfähigen  Verwundeten  schmählich 
sein  elendes  Dasein  genommen  zu  haben.  Durch  dieses  Ver- 
fahren zeigte  er  sich  bei  der  Schonung  seines  Feindes  fast 
ebenso  gross  wie  bei  seiner  Besiegung.  Als  Preis  für  den 
Sieg  erhielt  er  die  Hand  Thorildens.  Er  bekam  von  ihr 
einen  Sohn,  Asmundus*),  von  dem  die  norwegischen  Könige 
abzustammen  sich  rühmen;  so  verfolgen  sie  ihren  edlen 
Stammbaum  bis  auf  Haldanus  zurück^). 

Darnach  masste  sich  Ebbo,  ein  Seeräuber  von  niedriger 
Abkunft,  im  Vertrauen  anf  seine  Tapferkeit  an,  eine  vor- 
nehme Ehe  zu  schliessen.  Erwarb  nämlich  um  Sygrutha, 
die  Tochter  des  Königs  Ungwiuus    von  Götland,    und  ver- 


^)  Ein  Beispiel  für  Kampflösung,  hölmlausn;  s.  III,  139  Anm.  l. 

')  Nach  Olriks  überzeugenden  Ausführungen  (I,  67)  einer  Vermutung 
Müllers  dürfte  dieser  König  dieselbe  Person  sein  wie  der  V  S.  258  ff.  er- 
wähnte Asmundus  (Gnodar-Asmundr),  der  in  den  isländischen  Sagen  häufig 
vorkommt. 

*)  Das  LiedvonHyndla  nennt  in  den  unechten  Str.  14—17  (Gering  S.  120) 
Haldanus  (Halfdan)  als  Stammvater  fast  aller  berühmten  Königsgeschlechter. 


350  Siebentes  Buch. 

Iftflfie  Doeh  audserdem  die  Hälfte  dieses  Reiches  als  Mitgift. 
Haldanas  wurde  über  die  EiDwilligung  in  die  Heirat  um 
Rat  gefragt  und  schlug  vor,  die  Zusage  solle  scheinbar  ge- 
geben werden;  er  werde,  versprach  er,  schon  die  Vermählung 
vereiteln.  Er  gebot  auch,  ihm  einen  Platz  unter  der  Reihe 
der  Gäste  anzuweisen.  Ungwinus  billigte  den  Plan,  und 
330  Haldanus  vertilgte  jede  Spur  seiner  königlichen  Würde 
durch  eine  fremdartige,  hässliche  Kleidung.  Bei  Nacht  kam 
er  zum  Hochzeitsfeste  und  jagte  den  ihm  Begegnenden 
Schrecken  ein,  da  man  über  die  Ankunft  eines  Mannes  von 
übermenschlicher  Gestaltung  erstaunte.  Sobald  er  dann  in 
die  Königshalle  eintrat,  musterte  er  alle  und  erkundigte  sich, 
wer  den  Sitz  zunächst  dem  Könige  eingenommen  habe.  Als 
Ebbe  darauf  erwiderte,  der  zukünftige  Schwiegersohn  des 
Ungwinus  sitze  an  dessen  Seite,  fragte  Haldanus  mit  den 
zornigsten  Worten,  welcher  Wahnsinn,  welche  schrankenlose 
Raserei  ihn  denn  zu  der  Anmassung  verleitet  habe,  die  ver- 
ächtliche Niedrigkeit  seines  Geschlechts  mit  dem  Glänze 
höchsten  Adels  zu  vereinigen,  und  zu  dem  Wagnis,  seine 
Bauernfaust  an  königlichen  Stamm  zu  legen  und  überdies 
noch,  damit  nicht  einmal  zufrieden,  oflTenkundig  Auteil  an 
einem  fremden  Reiche  zu  verlangen.  Dann  forderte  er  ihn 
zum  Zweikampfe,  denn  nur,  wenn  er  darin  siege,  sollte  sich 
sein  Wunsch  erfüllen.  Als  jener  antwortete,  die  Nacht  passe 
als  Kampfeszeit  nur  für  Ungetüme,  für  Menschen  dagegen 
der  Tag,  meinte  er,  damit  sich  jener  Dicht  durch  diese 
Ausrede  dem  Streite  entziehe,  der  Glanz  des  Mondes  sei  ja 
tageshell.  So  zwang  er  Ebbo  zu  dem  Strausse  und  machte 
aus  dem  Gelage  ein  blutiges  Sciiauspiel.  Ei*  erschlug  ihn, 
und  verwandelte  so  das  Hochzeitsfest  in  eine  Leichenfeier. 
Nach  einigen  Jahren  kehrte  er  dann  in  seine  Heimat  zurück, 
und  da  er  kiuderlos  war  ^),    vermachte  er  seine  königlichen 


*)  VAn  merkwürdiger  Widerspruch  gegen  das  soeben  Berichtete;  ent- 
weder erklärt  er  sich  daraus,  dass  Saxo  wieder  flüchtig  aas  mehreren  ver- 
achiodenen  Quellen  schöpfte,  oder  aber  man  muss,  wie  3Iüller  will,  den 
8atz  iur  einen  ungewöhnlichen  Ausdruck  dafür  auffassen,  dass  er  Thurilda 
mit  Asnunulus  in  Norwegen  zurückliuist  und  allein  nach  Dänemark  heimkehrt. 


Haldanus  und  Ebbo;  Syritha.  351 

Schätze  testamentarisch  Ungwinus^)  und  setzte  ihn  zum 
König  ein.  Dieser  wurde  später  von  einem  Nebenbuhler, 
Namens  Regnaldus,  im  Kriege  getötet  und  hinterlies  einen 
Sohn  Sywaldus. 

Dessen  Tochter  Syritha  war  so  sittsam,  dass  sie,  obwohl  225 
wegen  ihrer  Schönheit  von  einer  ungeheuren  Menge  Freier 
umworben,  nicht  dazu  zu  bewegen  schien,  eioen  von  ihnen 
nur  anzusehen  *).  Im  Vertrauen  auf  diese  Selbstbeherrschung 
erbat  sie  sich  von  ihrem  Vater  den  zum  Gemahl,  dem  es 
durch  süsse  Schmeichelworte  gelänge,  einen  Blick  von  ihr  er- 
widert zu  bekommen.  Denn  in  alten  Zeiten  pflegte  bei  uns 
die  Zurückhaltung  der  Mädchen  lüsterne  Blicke  gar  sehr  zu 
bändigen,  und  damit  die  Reinheit  des  Sinnes  nicht  durch 
Zügellosigkeit  der  Augen  verdorben  werde,  strebte  man 
darnach,  dass  auch  ein  bescheidener  Gesichtsausdruck  die 
Keuschheit  des  Herzens  verkünde.  Da  entbrannte  nun  ein  331 
gewisser  Otharus,  ein  SohnEbbos,  gar  heftig  darnach,  die 
Jungfrau  zu  gewinnen,  sei  es  im  Vertrauen  auf  die  Grösse 
seiner  Thaten  oder  auf  seine  Liebenswürdigkeit  und  Bered- 
samkeit. Mit  aller  Anspannung  seines  Witzes  versuchte  er 
es,  ihren  Blick  zu  erweichen;  da  er  aber  ihre  niedergeschlagenen 


*)  Ein  König  Ungu  oder  Yngve  (Hugne)  —  über  den  Namen  s.  Olrik  1, 
8.  108  Anm.  —  wird  auch  in  andern  dänischen  Königsverzeichnissen  als 
Nachfolger  Halfdans  genannt;  dass  ihm  die  Erbfolge  durchs  Testament 
vermacht  wird,  ist  wohl  nur  ein  Yerlegenheitsausweg  Soxos  oder  seines 
G^ewährsmannes,  um  eiuigermassen  einen  sinngemässen  Zusammenhang  zu. 
wahren.     Vgl.  auch  Müller  II,  195. 

')  Hiermit  beginnt  eine  Reihe  von  fünf  äusserlich  und  innerlich 
zusammenhängenden  Sagen,  deren  gemeinsamer  Grundstofif  die  Liebe  ist. 
Sie  sind  als  Episoden  in  die  Königssagen  verflochten.  Alle  fünf  sind  nach 
Olriks  Nachweisen  dänischen  Ursprungs.  Ueber  die  ganze  Gruppe  vgl. 
Uhland  Sehr.  VU,  225  ff.  und  Olrik  II,  230  ff.  Siklingsagnene  (gemeinsamer 
Name  für  alle  fünf  Erzählungen,  der  zuerst  von  Grundtvig  gebraucht 
wurde).  Die  erste  behandelt  die  Liebesgeschichte  von  Otharus  und  Syritha, 
die  in  isländischer  Ueberlieferung  ganz  unbekannt  ist;  über  diese  vgl. 
Olrik  II,  234  ff.  und  seine  Abhandlung  in  der  Zeitachr:  d.  Vereins  f.  Volks- 
kunde U,  252,  wo  besonders  die  märchenhaften  Züge  herausgehoben  und 
Parallelen  aus  anderen  Litteraturen  dazu  gegeben  sind.  In  der  Dichtung 
-Syritha'*  hat  Paul  Heyse  die  Sage  poetisch  behandelt. 


352  Siebentes  Buch. 

Augen  durcli  keia  Mittel  auf  sich  lenken  konnte,  musste  er 
voller  Bewunderung  ihrer  Ausdauer  und  ihres  unbesieglichen 
Ernstes  abziehen.  Ein  Riese  strebte  nach  demselben  Ziele; 
da  er  aber  ebenfalls  seine  Bemühungen  erfolglos  sah,  beauftragte 
er  eine  Frau  damit,  sich  das  Vertrauen  des  Mädchens  zu  ge- 
winnen. Als  diese  eine  Zeit  lang  der  Jungfrau  gedient  hatte, 
lockte  sie  sie  einst  schlau  auf  allerhand  Irrwegen  von  dem 
Palaste  ihres  Vaters  fort;  dann  stellte  sich  der  Riese  selbst 
ein  und  entführte  sie  in  die  enge  Abgeschlossenheit  seiner 
steilen  Bergesjoche.  Andere  meinen,  er  habe  selbst  Frauen- 
gestalt angenommen  und  erst,  als  er  durch  die  hinterlistige 
Verfuhrung  seiner  Kunst  das  Mädchen  vom  Vater  fortgelockt, 
die  Rolle  des  Räubers  gespielt.  Als  Otharus  dies  hörte, 
durchsuchte  er,  um  die  Jungfrau  ausfindig  zu  machen,  grundlich 
den  Berg,  fand  sie,  erschlug  den  Riesen  und  führte  sie  mit 
sich.  Die  Aufdringlichkeit  des  Riesen  hatte  aber  so  sehr  das 
Haar  des  Mädchens  durch  Verflechtung  der  Locken  in  Un- 
ordnung gebracht,  dass  die  Haarmasse  wie  ein  verworrener 
Knäuel  zusammenhing  und  nicht  leicht  jemand  ohne  Zuhilfe- 
nahme der  Schere  das  dichte  Gewirr  hätte  lösen  können.  Von 
neuem  unternahm  er  es  nun,  durch  allerlei  Lockungen  den 
Blick  des  Mädchens  auf  sich  zu  ziehen;  als  er  aber  ihre 
starren  Augen  lange  vergeblicii  versucht  hatte,  gab  er  sein 
Vorhaben  auf,  da  es  allzu  wenig  nacii  seinem  Sinne  verlief. 
Er  gewann  es  auch  nicht  über  sich,  dem  Mädchen  Gewalt 
anzuthun,  um  nicht  ein  Kind  edler  Abkunft  durch  eine  un- 
würdige Umarmung  zu  beflecken.  Als  sie  nun  einst  beim 
Umherstreifen  verschiedene  einsame  Pfade  durcheilte,  gelangte 
sie  durch  Zufall   zu  der  Hütte   einer  unheimlichen  Waldfrau. 

8.TJ  Von  dieser  erhielt  sie  den  Auftrag,  die  Hut  über  ihre  Ziegen- 
herde zu  übernehmen.  Abermals  wurde  sie  hier  durch  des 
Otharus  Hilfe  befreit,  und  dieser  bestürmte  sie  wiederum 
mit  folgender  Rede: 

226  „Willst  du  nicht  lieber  meinen  Ermahnungen  dich  fügen 

und  eine  deinen  Ansprüchen  angemessene  Verbindung  an- 
knüpfen als  die  Herde  hüten  und  für  die  stinkenden  Ziegen 
sorgen? 


Othanis  und  Syritha.  353 

Stosse  weg  die  Hand  deiner  ruchlosen  Gebieterin  und 
entfliehe  rasch  deiner  grausigen  Herrin,  damit  du  mit  mir 
die  vertrauten  Schiffe  wiedersiehst  und  frei  lebst. 

Gieb  auf  die  Sorge  um  das  dir  anvertraute  Getier,  ver- 
schmähe es,  auf  die  Schritte  der  Ziegen  zu  achten;  gewähre 
lieber  als  Genossin  meines  Bettes  meinen  Wünschen  die  ver- 
diente Belohnung. 

0  du,  die  ich  mit  solchem  Eifer  gesucht,  schlage  doch 
endlich  einmal  die  starren  Augen  auf,  erhebe  nur  ein  klein 
wenig  mit  leichter  Bewegung  deinen  schamhaften  Blick. 

Zu  deinem  väterlichen  Heim  will  ich  dich  bringen,  froh 
will  ich  dich  mit  deiner  geliebten  Mutter  vereinen,  wenn  du 
nur  einmal  deine  Augen  aufschlägst,  gerührt  von  meinen 
zarten  Wünschen. 

Du,  die  ich  so  oft  aus  der  Haft  der  Riesen  befreit,  vergilt 
doch  nach  Verdienst  meiner  längst  geleisteten  Arbeit,  erbarme 
dich  meiner  schweren  Mühen  und  gieb   deine  Starrheit  auf." 

Denn  warum  bist  du  so  unsinnig  thöricht,  dass  du  es 
vorziehst,  eine  fremde  Herde  zu  hüten  und  dich  zum  Gesinde  383 
von  Unholden  zählen  zu  lassen,  statt  in  eine  ebenbürtige  Ver- 
bindung einzuwilligen  und  unsern  Ehebund  zu  fördern?*)  — 
Sie  aber  hielt  nichts  destoweniger,  damit  die  Beständigkeit 
ihres  keuschen  Sinnes  nicht  beim  Anblick  der  Aussenwelt  ins 
Wanken  geriete,  ohne  mit  einer  Wimper  zu  zucken  und  un- 
entwegt an  dem  starren  Ausdruck  ihres  Blickes  fest.  Welche 
Sittsamkeit  müssen  wohl  die  Frauen  jener  Zeit  besessen  haben, 
die  selbst  durch  die  heftigsten  Bestürmungen  ihrer  Liebhaber 
nicht  einmal  zu  einem  leichten  Augenaufschlag  veranlasst 
werden  konnten.  Da  nun  Otharus  auch  um  seines  doppelten 
Verdienstes  willen  nicht  das  Auge  der  Jungfrau  auf  sich  zu 
ziehen  vermochte,  kehrte  er,  der  Beschämung  und  des  Kummers 
satt,  zu  seiner  Flotte  zurück.  Syritha  durchwanderte  nun  227 
wie  früher  weit  und  breit  die  Gebirgsgegenden,  und  als  sie 


')  Nach  Sinn  und  Inhalt  gehören  diese  Sätze  natürUch  noch  zu  dem 
vorstehenden  Liede;  es  bleibt  unklar,  warum  sie  Saxo  in  Prosa  aus- 
geführt hat. 

Saxo  Grammaticus.  23 


354  Siebentes  Buch. 

auf  ihrer  Irrfahrt  zufällig  zu  dem  Wohnsitz  £bbo8  gelangte, 
gab  sie  sich  aus  Scham  über  ihre  Nacktheit  und  Dürftigkeit 
als  Kind  armer  Leute  aus.  Otharus*  Mutter  aber  bemerkte, 
dass  sie,  wenn  auch  durch  Magerkeit  entstellt  und  nur  mit 
einer  dürftigen  Hülle  bekleidet,  doch  edlem  Stamme  ent- 
sprossen  sei,  wies  ihr  einen  £hrenplatz  au  und  behielt  sie  in 
freundlicher  Liebenswürdigkeit  bei  sich.  Denn  die  Schönheit 
des  Mädchens  verriet  ihren  Adel,  und  ihr  Aussehen  verkündete 
Ihf  Geschlecht.  ^)  AlsOtharus  sie  sah,  fragte  er,  warum  sie 
ihr  Angesicht  mit  dem  Gewände  beschatte.  Um  ihre  Ge- 
sinnung um  so  sicherer  zu  erproben,  gab  er  vor,  er  werde 
sich  sogleich  mit  einer  Frau  vermählen,  bestieg  deren  Lager 
und  Hess  Syritha  die  Lampe  halten.  Wie  diese  fast  ganz 
herabgebrannt  war  und  jene  unter  der  allzu  grossen  Nähe  der 
Flamme  zu  leiden  hatte,  gab  sie  eine  Probe  solcher  Ausdauer, 
dass  sie  die  Hand  bewegungslos  festhielt  und  scheinbar  nicht 
die  geringste  Belästigung  von  der  Hitze  verspürte.  Denn  das> 
innere  Feuer  hielt  dem  äusseren  die  Wage  und  die  Glut  ihres 
sehnenden  Herzens  mässigte  das  Brennen  ihrer  versengten 
Haut.  Endlich  gebot  ihr  Otbarus,  auf  ihre  Hand  zu  achten, 
und  da  richtete  sie  mit  verschämtem  Augenaufschlag  einen 
334  sanften  Blick  auf  ihn.  Sogleich  wurde  nun  die  vorgespiegelte 
Hochzeit  abgebrochen,  und  sie  bestieg  als  seine  Braut  daa 
Ehebett.  Bald  nachher  brachte  Sywaldus  denOtharus  in 
seine  Gewalt  und  meinte,  ihn  wegen  Schändung  seiner  Tochter 
hängen  lassen  zu  müssen;  allein  Syritha  klärte  alsbald  die 
Geschichte  ihrer  Entführung  auf  und  versöhnte  ihn  nicht  nur 
mit  dem  Könige,  sondern  veranlasste  auch  ihren  Vater,  die 
Schwester  ihres  Gatten  zu  heiraten. 

Darnach  fand  zwischen  Sywaldus  und  Regnaldus*) 
in  Seeland  ein  Treffen  statt,  nachdem  man  auf  beiden  Seiten 
Krieger  von  erprobter  Tapferkeit  ausgewählt  Drei  Tage  ver- 
gingen unter  gegenseitigem  Gemetzel,  und  der  Ausfall  der 
Entscheidung  war  wegen  der  hervorragenden  Mannhaftigkeit 


»)  Vgl.  II,  67  Anni,  1. 

*)  Der  alte  Feind  des  Ungwinus;  vgl,  oben  S.  351 


Otharus  und  Syritha;  Alf  und  Alwilda.  355 

beider  Parteien  unsicher.  Da  stürzte  sich  Otharus,  entweder 
von  Unwillen  über  die  langwierige  Schlacht  oder  von  Ruhmes- 
gier ergrifTen,  mit  Todesverachtung  in  die  dichtesten  Scharen 
der  Feinde,  erschlug  Regnaldus  inmitten  seiner  tapfersten 
Helden  und  gewann  so  den  Dänen  einen  plötzlichen  Sieg. 
Diese* Schlacht  war  wegen  der  Feigheit  der  vornehmsten  Edlen 
merkwürdig.  Denn  die  Gesamtmasse  geriet  in  solchen 
Schrecken,  dass  auch  die  vierzig  Tapfersten  der  Schweden 
geflohen  sein  sollen.  Selbst  Starcatherus,  den  besten  von 
ihnen,  den  kein  furchtbares  Ereignis  und  keine  Gefahr  zu  er- 
schüttern pflegte,  beschlich  damals  ein  unverständliches  Angst- 
gefühl und  er  zog  es  vor,  sich  der  Flucht  der  Seinen  anzu- 
schliessen,  statt  sie  zu  verachten.  Ich  möchte  glauben,  diese 
Furcht  sei  ihm  durch  die  Macht  der  Götter  eingeflösst  worden, 
damit  er  sich  nicht  schmeicheln  sollte,  mit  übermenschlichen  228 
Kräften  begabt  zu  sein.  So  pflegt  das  Glück  der  Sterblichen 
nichts  Vollkommenes  zu  kennen.  Dann  stellten  sich  alle  diese 
in  den  Dienst  des  mächtigsten  der  Wikinger,  Hako,  sodass 
gleichsam  die  Ueberbleibsel  aus  dem  Kriege  zu  ihm  über- 
gingen. 

[Von  König  Sigarus,  nach   dem  das  Städtchen  Syersted 
seinen  Namen  hat  *).] 

Darnach  folgte  dem  Sywaldus  sein  Sohn  Sigarus, 
welcher  drei  Söhne  hatte,  Sywaldus,  Alf  und  Algerus, 
und  eine  Tochter  Sygne.  Von  diesen  verlegte  sich  Alf,  vor 
den  übrigen  durch  Anmut  und  Schönheit  ausgezeichnet,  auf 
den  Seeraub  ^).  Auch  umspielte  seine  herrlich  glänzenden  335 
Locken  eine  solche  Anmut,  dass  sein  Haar  strahlend  wie 
Silber  aussah.  Zu  derselben  Zeit  soll  der  König  der  Göt- 
länder,  Sywardus,  zwei  Söhne,  Wemundus  und  Ostenus. 
und  eine  Tochter,  Alwilda,  gehabt  haben.    Diese  befleissigte 


*)  Dieser  Satz  ist  eine  Bemerkung  des  Schreibers. 

')  Hier  beginnt  die  zweite  Liebeageschichte,  von  Alf  und  Alwilda, 
die  etwas  mehr  norwegisches  Gepräge  zeigt,  aber  den  Isländern  auch  ganz 
unbekannt  ist.  Der  Grundgedanke  ist  derselbe  wie  in  der  vorigen  Sage, 
die  endliche  Gewinnung  eines  spröden  Mädchens  nach  fielen  Schwierig- 
keiten.   Vgl.  Uhland  Sehr.  VII,  228  ff.  u.  Ulrik  U,  244  ff. 

23* 


356  Siebentes  Buch. 

sich  fast  schon  von  der  Wiege  her  einer  so  beständigen 
Sehamhaftigkeit,  dass  sie  ihr  Gesicht  dicht  mit  dem  Gewände 
verhüllt  trug,  damit  ihre  Schönheit  nicht  fremder  Begierde 
als  Lockung  diene  ^).  Ihr  Vater  hielt  sie  in  sehr  engem 
Gewahrsam  und  übergab  ihr  eine  Viper  und  eine  Schlange 
zum  Aufziehen,  um  durch  die  Hut  dieser  Tiere,  wenn  sie  gross 
geworden,  ihre  Ehre  zu  schützen*).  Man  hätte  in  der  That 
nicht  leicht  in  ein  Gemach  eindringen  können,  welches  ein 
so  gefährlicher  Riegel  verschloss.  Er  setzte  auch  fest,  dass 
jeder,  der  vergebens  einzutreten  versuchte,  sogleich  geköpft 
und  sein  Haupt  auf  einen  Pfahl  gespiesst  werden  sollte.  So 
peinigte  eine  mit  Lust  verbundene  Furcht  die  Gemüter  der 
erregten  jungen  Leute.  Da  glaubte  nun  Alf,  des  Sygarus 
Sohn,  die  That,  deren  Ausführung  um  so  mehr  Ruhm  ein- 
brachte, je  gefährlicher  sie  war,  unternehmen  zu  müssen,  und 
trat  als  Freier  auf.  Man  hiess  ihn  die  Ungetüme,  welche  das 
Gemach  des  Mädchens  bewachten,  bekämpfen;  denn  kraft 
jenes  Erlasses  wurde  nur  dem  Besieger  derselben  die  Um- 
armung der  Jungfrau  zu  teil.  Um  ihre  Wut  um  so  heftiger 
gegen  sich  zu  erregen,  umhüllte  sich  Alf  mit  einem  blutigen 
Felle.  Sobald  er,  damit  umgürtet,  unter  die  Thür  des  Zimmers 
trat,  bohrte  er  ein  Stück  glühenden  Stahl,  das  er  in  einer 
Zange  trug,  der  gähnenden  Viper  in  den  Schlund  und  streckte 
sie  tot  zu  Boden.  Darauf  schleuderte  er  auch  der  Schlange, 
die  in  geschmeidigen  Windungen  herankroch,  seine  Waife 
mitten  in  den  Rachen  und  tötete  sie  ebenfalls  ^).  Als  er  nun 
gemäss  der  Vertragsbedingung  den  ausgemachten  Siegespreis 
verlangte,  sagte  Sywardus,  der  sei  ihm  als  Schwiegersohn 
recht,  auf  den  die  freiwillige  Wahl  seiner  Tochter  gefallen 
sei.  Nur  die  Mutter  des  Mädchens  wollte  dem  Werber 
Schwierigkeiten  bereiten,  und  sie   erkundete    den  Sinn  ihrer 


*)  Diese  ungewöhnliche  Scham haftifi^keit  hat  Alwilda  mit  Syritha 
ebenfaUs  f]femeinsam. 

*)  Vf^l.  die  ganz  ähnlichen  Verhältnisse  in  der  Ragnar  Lodbroks- 
saga,  8axo  IX,  301  (Holder),  bei  Lathg^ertha  u.  302  (T.  Thnra;  man  sehe 
auch  B.  V,  S.  195  Anm.  2. 

•)  Vgl.  auch  hierzu  die  Kagnarsagc  Saxo  IX,  302  3. 


Alf  und  Alwilda.  357 

Tochter  in  einer  geheimen  Unterredung.  Als  diese  nun  ihren 
Freier  wegen  seiner  Tapferkeit  gar  zu  rückhaltslos  lobte, 
überhäufte  sie  sie  mit  heftigen  Schmähreden,  weil  sie  die 
Schranken  des  Anstandes  überträte  und  sich  von  einem  locken-  229 
den  Aeusseren  bestechen  Hesse,  und  weil  sie,  ohne  an  Tugend 
zu  denken,  in  ihrem  lüsternen  Sinne  ihren  Blick  nur  auf 
die  verführerische  Schönheit  seiner  Gestalt  lenke.  So  ward 
Alwilda  veranlasst,  den  jungen  Dänen  zu  verachten.  Nun- 
mehr vertauschte  sie  ihr  Frauengewand  mit  Männerkleidung, 
um  ein  wildes  Seeräuberleben  zu  beginnen,  sie,  die  eben  noch 
das  sittigste  Mädchen  gewesen  war.  Mehrere  Jungfrauen, 
welche  dieselbe  Neigung  hatten,  nahm  sie  in  ihre  Dienste 
auf.  Zufällig  gelangte  sie  nun  an  einen  Ort,  wo  gerade  eine  336 
Schar  Wikinger  den  Tod  ihres  Führers  beklagte.  Von  diesen 
wurde  sie  wegen  ihrer  Schönheit  zum  Leiter  der  Raubflotte 
erwählt,  und  sie  vollbrachte  Thaten,  die  weit  über  der 
Leistungsfähigkeit  einer  Frau  standen.  A 1  f  bemühte  sich  in 
zahlreichen,  mühevollen  Zügen  sie  zu  verfolgen  und  stiess 
dabei  zufällig  im  Winter  auf  eine  Flotte  der  Blacmannen.  ^) 
Zu  dieser  Zeit  war  aber  das  Wasser  festgefroren,  und  die 
Schüfe  gerieten  in  eine  solche  Eismasse,  dass  selbst  das  an- 
gestrengste Rudern  sie  nicht  vorwärts  zu  bringen  vermochte. 
Da  nun  die  andauernde  Kälte  den  Eingeschlossenen  einen 
ziemlich  sicheren  Weg  zum  Vordringen  versprach,  hiess  Alf 
seine  Leute  ihr  schlüpfriges  Schuhwerk  ablegen  und  in 
Stiefeln  die  festgewordene  Oberfläche  des  Meeres  erproben, 
um  in  dieser  Weise  mit  besserem  Halt  das  Eisfeld  zu  durch- 
messen. Die  Blacmannen,  welche  glaubten,  jene  seien  mit  aller 
Geschwindigkeit  ihrer  Füsse  auf  die  Flucht  bedacht,  begannen 
einen  Kampf  mit  ihnen,  mussten  aber  weichen,  da  sie  allzu 
sehr  hin  und  her  schwankten;  denn  die  Glätte  unter  ihren 
Füssen  machte  ihre  Schritte  ganz  unsicher.  Die  Dänen  aber 
standen  mit  festeren  Tritten  auf  dem  gefrorenen  Meere  und 


*)  Wer  diese  Blacmanni  (anrd.  Blökumenn  =  schwarze  Männer)  eigent- 
lich sind,  ist  nicht  sicher.  Man  denkt  an  einen  fabelhatten  Volksstamm, 
der  wohl  irgendwo   im   Osten  (Wallachei)  oder  in  Afrika  zu  suchen  wäre. 


358  Siebentes  Buch. 

spotteten  des  unsicheren  Vordringens  der  Feinde.  Als  sie 
diese  völlig  besiegt  hatten,  nahmen  sie  ihre  Fahrt  nach  Finn- 
land. Dort  gelangten  sie  in  einen  recht  engen  Sund,  schickten 
Kundschafter  voraus,  welche  die  Oertliehkeit  erspähen  sollten, 
und  erfuhren,  dass  der  Hafen  von  einigen  Schiffen  besetzt 
sei.  A'lwilda  hatte  nämlich  zuvor  mit  ihrer  Flotte  dieselbe 
Meerenge  aufgesucht.  Als  diese  die  fremden  Fahrzeuge  in 
der  Ferne  erblickte,  schoss  sie  eiligst  mit  gewaltigen  Ruder- 
schlägen zu  ihrer  Begegnung  vor,  da  sie  es  für  besser  hielte 
den  Feind  selbst  zu  überfallen,  als  ihn  zu  erwarten.  Als  sich 
Alfs  Gefährten  dagegen  erklärten,  dass  mehrere  Schiffe  von 
einer  Minderzahl  angegriffen  würden,  sagte  er,  es  sei  un- 
würdig, dass  jemand  Alwilda  melden  sollte,  er  habe  sich 
durch  den  Widerstand  von  ein  paar  Schiffen  von  der  Ver- 
folgung seiner  Pläne  abbringen  lassen,  und  er  meinte,  der 
Ruhm  grosser  Thaten  dürfe  nicht  durch  Kleinigkeiten  ge- 
schmälert werden.  Die  Verwunderung  der  Dänen  war  aber 
nicht  gering,  woher  denn  die  Feinde  solch  herrliche  Körper- 
ge.stalt  und  so  geschmeidige  Glieder  hätten.  Als  nun  die 
Seeschlacht  begann,  sprang  der  junge  Alf  auf  das  Deck 
Alwildens,  drang  immer  weiter  vor  und  hieb  alles  nieder, 
was   ihn  Widerstand  leistete.     Als  sein  Gefährte   Borcarus 

337  Alwilden  den  Helm  herunterschlug  und  ihr  zartes  Kinn  sah, 
merkte  er,  dass  man  hier  mit  Küssen  und  nicht  mit  Waffen 

280  vorgehen,  die  harten  Geschosse  niederlegen  und  dem  Feinde 
mit  sanfteren  Mitteln  zu  Leibe  gehen  müsse.  Alf  freute  sich 
nun  sehr,  dass  ihm  die,  welche  er  zu  Wasser  und  zu  Lande 
trotz  so  vieler  Gefahren  unermüdlich  gesucht  hatte,  jetzt  ganz 
wider  Erwarten  in  die  Hände  fiel,  ergriff  sie  gar  eifrig  und  zwang 
sie,  die  Männerkleidung  gegen  weibliche  zu  vertauschen.  Später 
bekam  er  von  ihr  eine  Tochter  Guri t ha.  Borcarus  erhielt 
eine  Begleiterin  Alwildens,  Namens  Gro,  zur  Frau  und  hatte 
von  ihr  einen  Sohn  Haraldus,  dem  die  Folgezeit  den  Bei- 
namen Hilde  tan  gab  ^). 

M  Das  hier  zuletzt  Berichtete  widerspricht  dem,  was  Saxo  ein  weni^ 
spüter  (8.  :\^:\)  erzählt.  Dort  ist  Harald  ULldctand  d.  i.  Kumpfzahn  der 
Sohn   des  Haldaiius    und  der  Guritha:    Borcarus   und  (tro  sind  also  seine 


Alf  und  Alwilda.  359 

Damit  sich  nun  nicht  etwa  jemand  wundere,  wie  sich 
<las  weibliche  Geschlecht  so  in  Kriegszügen  abmuhte,  will  ich  in 
Form  einer  kurzen  Abschweifung  einiges  über  Lage  und 
Charakter  solcher  Frauen  vorbringen.^)  Es  gab  einst  bei 
den  Dänen  Frauen,  welche  sich  ganz  wie  Männer  benahmen 
und  fast  jeden  Augenblick  ihrer  Zeit  zur  Ausbildung  im 
Kriegsdienste  benutzten,  um  nicht  ihre  heldenhafte  Spann- 
kraft von  der  Seuche  der  Ueppigkeit  abstumpfen  zu  lassen. 
Denn  sie  hassten  eine  weichliche  Lebensführung  und  pflegten 
Leib  und  Seele  durch  andauernde  Anstrengungen  abzuhärten; 
von  aller  Weichheit  frauenhafter  Milde  sagten  sie  sich  los  und 
zwangen  ihr  weibliches  Gemüt,  männliche  Wildheit  anzu- 
nehmen. Sie  strebten  auch  mit  solchem  Eifer  nach  kriege-  338 
Tischem  Ruhm,  dass  jeder  glauben  konnte,  sie  hätten  sich 
gauz  ihres  Geschlechts  entäussert.  Besonders  aber  pflegten 
diejenigen,  welche  einen  lebhaften  Geist  oder  eine  grosse 
Gestalt  besassen,  sich  solchem  Leben  zu  widmen.  Diese  nun 
zogen,  gleichsam  ihre  natürliche  Stellung  vergessend,  Härte 
Schmeicheleien  vor,  verlangten  nach  Kämpfen  statt  nach 
Küssen,  sehnten  sich  nach  Blut  statt  nach  Liebkosungen,  übten 
lieber  Waffen-  als  Liebesdienst,  benutzten  ihre  Hände,  die 
doch  für  den  Webstuhl  bestimmt  waren,  zu  Schiessübungen; 
sie  strebten  nicht  nach  dem  Bett  sondern  nach  Mord^)  und 
griffen  die  mit  ihren  Lanzen  an,  welche  sie  durch  ihre 
Schönheit  hätten  bezwingen  können.  Jetzt  aber  will  ich  von 
dieser  Abschweifung  zu  meiner  Aufgabe  zurückkehren. 

Zu  Frühlingsanfang  nahmen  Alf  und  Algerus  ihr  See- 
raiiberleben  wieder  auf  und  machten  das  Meer  durch  ver- 
schiedene Züge  unsicher^);  dabei  stiessen  sie  auch  mit  hundert 

Grosseltern.  Dies  Versehen  ist  entweder  einer  Flüchtigkeit  Saxos  oder 
einer  Unklarheit  bei  Benutzung  der  Quellen  zuzuschreiben. 

»)  Vgl.  II,  63  Anm.  5. 

*)  Im  Lateinischen  liegen  hier  drei  unübersetzbare  Wortspiele  vor 
zwischen  armorum  und  amorum,  telas  und  tela,  lecto  und  leto. 

*)  Hier  beginnt  die  dritte  der  Siklingensagen ,  die  von  Hagbarthus 
und  Sygne,  die  sich  einer  ausserordentlich  weiten  Verbreitung  in  ganz 
Skandinavien  erfreute.  Vgl.  darüber  Müller  II,  198  ff.,  Uhland  Sehr.  VII, 
229  ff.,    Olrik   II,    245  ff.    und   GrundtWg,    Danraarks    gamle    Folkeviser 


360  Siebentes  Buch. 

Schiffen  auf  die  Söhne  des  Häuptlings  Hamundus,  Helwin^ 
Hagbarthus  und  Hamundus.  Sie  griffen  sie  an,  und  da 
erst  die  dunkle  Duinmerung  ihre  vom  Morden  ermatteten 
Hände  trennte,  hielten  die  Heere  bei  Nacht  Waffenruhe.  Am 
folgenden  Morgen  wurde  die.'^e  auf  beiden  Seiten  rechtmässig 
bestätigt,  denn  in  der  gestrigen  Schlacht  hatte  man  auf  jeder 
Partei  solche  Verluste  erlitten,  dass  keine  Möglichkeit  vor- 
handen war,  den  Kampf  wieder  aufzunehmen.  So  zwang  sie 
die  Notwendigkeit  zum  Frieden,  nachdem  gleiche  Tapferkeit 
sie  erschöpft  hatte.  Zu  derselben  Zeit  warb  Hildigisleus, 
ein   vornehmer  Teutone,    im   Vertrauen    auf   seine  Schönheit 

281  und  seinen  Adel  um  Sigarus*  Tochter  Sygne.  Bei  dieser 
zog  ihm  seine  Unbedeutendheit  die  grösste  Verachtung  zu; 
denn  eigener  Tapferkeit  bar.  gewann  er  offenbar  nur  durch 
die  Tüchtigkeit  anderer  sein  Ansehen.  Dagegen  bewog  sie 
zur  Liehe  Hakos^)  besonders  der  weit  bekannte  Ruhm  von 
dessen  Heldenthaten ;  sie  schenkte  nämlich  tapferen  Männern 
mehr  Beachtung  als  Weichlingen  und  bewunderte  nicht  die 
Vorzüge  der  Gestalt  sondern  der  Thaten;  denn  sie  wusste, 
dass  einschmeichelnde  äussere  Schönheit,  wenn  man  einzig 
nach  der  Tüchtigkeit  schätzt,  zu  Nichte  werde  und  mit  jener 
keinen  Vergleich  aushalten  könne.    Es  giebt  nämlich  Mädchen, 

d39  die  sich  eher  durch  den  Ruhm  als  durch  die  Gestalt  ihrer 
Liebhaber  fesseln  lassen;  da  diese  nicht  die  Beschaffenheit 
des  Gesichts  sondern  des  Herzens  in  Betracht  ziehen,  so  ent- 
flammt sie  nur  die  Rücksichtnahme  auf  die  Gesinnung 
zum  Wunsche  gegenseitiger  Verbindung.  Als  nun  Hagbar- 
th us  mit  des  Sigarus  Söhnen  nach  Dänemark  zog,  ver- 
langte er  ohne  ihr  Wissen  eine  Unterredung  mit  ihrer 
Schwester  und  verleitete  diese  schliesslich  dazu,  ihm  das 
Versprechen    heimlichen  Liebesgenusses  zu  geben.     Als  nun 


No.  20  (mit  Nachträgen).  —  Vedel  bemerkt  hierau  S.  CXLVI:  Der  hier 
folgenden  Hagbartgeschichte  liegt  ein  Lied  zu  Grunde,  das  heute  noch 
allgemein  gesungen  wird. 

')  Das  ist  wahrscheinlich  der  oben  S.  B55  genaniUe  ^maximus  pira- 
tarum**  und  der  3Hi>  als  Seeländer  bezeichnete  Held  gleichen  Namens,  der 
isohn  des  Wigerus. 


Uagbarthus  und  Sygne.  361 

zufTillig  später  einmal  ihre  Dienerinnen  die  Ruhmesthaten 
der  Edlen  verglichen*),  zog  sie  Hako  dem  Hildigisleus 
vor,  indem  sie  nachwies,  an  dem  letzteren  finde  man  nichts 
Lobenswürdiges  als  seine  Gestalt,  während  bei  dem  andern 
ein  Fehler  im  Gesicht  durch  seine  vorzügliche  Gesinnung  aus- 
geglichen werde.  Und  nicht  zufrieden  mit  diesem  einfachen 
Lobspruch,  soll  sie  noch  folgenden  Gesang  angestimmt 
haben: 

„Dieser  Mann,  arm  an  Schönheit,  zeichnet  sich  aus 
durch  hervorragende  Bravheit;  Kraft  ist  in  seinem  Gesicht 
ausgeprägt. 

Denn  erhabene  Gesinnung  gleicht  den  Nachteil  starrer 
Form  aus  und  überwiegt  einen  körperlichen  Mangel. 

Sein  Auge  funkelt  vor  Mut,  sein  Antlitz,  ausgezeichnet 
gerade  durch  seine  Strenge,  blickt  wild. 

Eine  strenge  Beurteilung  des  Charakters  preist  nicht  die 
Gesinnung  wegen  körperlicher  Schönheit,  sondern  diese  um 
der  Gesinnung  willen. 

Bei  ihm  macht  nicht  die  Gestalt  den  Wert  aus,  sondern 
mutiges  Wagen  und  mit  den  Waffen  gewonnener  Ruhm.  MO 

Jenen  aber  empfiehlt  nur  die  Schönheit  seines  Kopfes, 
sein  strahlendes  Antlitz  und  sein  Scheitel  mit  schimmerndem 
Haar. 

Die  eitle  Anmut  der  Gestalt  taugt  nichts,  und  in  sich 
selbst  fällt  der  trügerische  Wert  dieser  Schönheit  zusammen. 

Schönheit  und  Tüchtigkeit  werden  von  verschiedeneu 
Neigungen  beheri^cht;  diese  besteht,  jene  vergeht. 

Die  inhaltslose  schöne  Gesichtsfarbe  führt  zum  Verderben; 
der  lei.se  Fluss  der  Jahre  zerstört  sie  allmählich. 

Bravheit  aber  sichert  eine  bessere  Stellung  den  Herzen, 
die  ihr  gehören,  und  nie  verschwindet  sie  völlig  und  sinkt 
darnieder. 

Durch    äussere    Vorzüge    lässt    sich    die  Meinung    des  282 
Volkes  täuschen,    und    sie   verachtet  die  Regel  des  Rechten. 


*)  Es  handelt  sich  um  eine  gleiche  Unterhaltung  der  Frauen,  wie 
wir  sie  II,   87  hei  3Iännern  kennen  gelernt  haben:    s.  dort  auch  An m.  2. 


362  Siebentes  Buch. 

Ich  aber  preise  mit  hölierem  Lobe  die  Tugend  und  ver- 
schmähe die  blosse  Anmut  körperlicher  Schönheit.^ 

Dieses  Lied  fand  in  der  Weise  seinen  Weg  zu  den 
Ohren  der  Anwesenden,  dass  man  glaubte,  sie  preise  Hag- 
barthus  unter  dem  Namen  Hakos^).  Da  es  nun  Hildi- 
gisleus  schmerzte,  dass  sie  Hagbarthus  ihm  vorziehe,  gewann 
er  einen  gewissen  Bolwisus*),  einen  Blinden,  durch  Ge- 
schenke, dass  er  des  Sigarus  und  Hamundus  Söhne  dazu 
bringe,  ihre  Freundschaft  in  Feindschaft  zu  verwandeln.  Denn 
König  Sigarus  pflegte  fast  alles  nach  dem  Rate  zweier 
Greise,  von  denen  einer  Bolwisus  war,  vorzunehmen.  Die 
Veranlagung  dieser  beiden  war  aber  so  verschiedenartig,  dass 
der  eine  immer  die,  welche  mit  einander  in  Feindschaft 
341  lagen,  versöhnen  wollte,  während  der  andere  alle  Sorge  dar- 
auf verwandte,  die  in  Freundschaft  Verbundenen  durch  Hass 
zu  trennen  und  durch  wechselseitige  Streitigkeiten  die  Pest 
der  Eifersucht  zu  erregen.  Zuerst  nun  griff  Bolwisus  die 
Söhne  des  Hamundus  bei  den  Kindern  des  Sigarus  mit 
lügnerischen  und  verleumderischen  Nachreden  an,  indem  er 
behauptete,  sie  hielten  nie  in  friedlicher  Treue  die  Rechte 
der  Freundschaft,  und  sie  müssten  vielmehr  durch  Kampf  als 
durch  ein  Bündnis  im  Zaume  gehalten  werden.  So  wurde 
die  Eintracht  zwischen  den  jungen  Leuten  unterbrochen,  und 
während  Hagbarthus  in  der  Ferne  weilte,  griffen  Sigarus' 
Söhne.  Alf  und  Algerus,  denHelwin  und  Hamundus  an 
und  besiegten  sie  in  dem  Hafen,  der  Hamundus'  Bucht  heisst'). 
Diese  überfiel  später  Hagbarthus  mit  frischen  Kräften  und 
erschlug  sie  zur  Rache  für  seine  Brüder  im  Kampfe.  Hildi- 


*)  Die    j^anze    trajfische    (veschichte    beruht    also    auf   diesem  Miss- 

verstamiuisse. 

*)  Anrtl.  Bolviss  (zusamnuMi^esetzt  aus  dem  Suhst.  bol  =  Uebel, 
Sohutlon  und  Adj.  viss  =  kundijf ,  geschickt,  also  das  Ganze  =:  geschickt 
im  Schaden)  ist  urspriiti^'lich  Adj.,  wie  zum  Beispiel  im  2.  Liede  von 
Helvri  t^tr.  2  ein  Mann  Klindr  enn  bohisi  d.  i.  Blind  der  Böse  heissL 
Wahrscheinlich  ist  iibriirens  die  in  diesem  Licde  behandelte  Helgisage 
von  unserer  Sikliiigcn>Ho:e  bccintlusst:  v^l.  itoriMg<  AnmerkinivT  dazu,  Eddm 
S.  172,  1. 

*)  Ist  nicht  festzustellen. 


Hagbarthus  uad  Sygne.  3t)3 

• 

gisleus  entkam,  aber  es  wurden  ihm  beide  Hinterbacken 
von  einer  Lanze  durchbohrt*).  Diese  Thatsache  bot  Gelegen- 
heit, die  Teutonen  mit  Spott  zu  überschütten,  da  die  häss- 
liche  Verwundung  unfehlbar  schmachvoller  Brandmarkung 
verfiel. 

Darnach  legte  Hagbarthus  Frauen kleidung  an  und 
kehrte,  gleich  als  ob  er  Sigarus'  Tochter  nicht  durch  die 
Ermordung  ihrer  Brüder  schwer  getroffen  hätte,  ganz  .allein 
im  Vertrauen  auf  das  von  ihr  erhaltene  Versprechen  zu  ihr 
zurück;  denn  er  erwartete  mehr  Sicherheit  von  ihrer  Treue 
als  dass  er  sich  wegen  seiner  Frevelthat  fürchtete.  So  sehr 
verachtet  die  Leidenschaft  die  Gefahr.  Damit  seiner  Reise 
nicht  ein  Grund  zu  fehlen  schien,  gab  er  sich  als  ein  Kampf- 
mädchen Hak 0  8^)  aus  und  sagte,  er  habe  eine  Botschaft 
von  diesem  an  Sigarus  zu  überbringen.  Bei  Nacht  wurde 
er  zum  Schlafengehen  unter  die  Mägde  gewiesen,  und  als 
ihm  die  Dienerinnen  die  Füsse  wuschen  und  abtrockneten, 
fragte  man  ihn,  weshalb  er  so  behaarte  Schenkel  habe  und 
seine  Hände  so  wenig  weich  anzufühlen  seien;  da  ant- 
wortete er  mit  folgendem  Liede: 

„Was  Wunder,  dass  meine  zarten  Sohlen  hart  werden  288 
und  lange  Haare  am  struppigen  Schenkel  wachsen,  da  doch 
so  oft  der  Sand  meinen  Fuss  berührt  und  mich  Dornen 
mitten  im  Laufe  festhalten?  Jetzt  durchmesse  ich  springend 
die  Wälder,  jetzt  eilend  die  Fluten,  bald  ist  das  Meer,  bald 
die  Erde,  bald  die  Woge  mein  Weg.  Auch  meine  Brust, 
eingeschlossen  von  eiserneu  Maschen  und  oft  getroffen  von 
Spiessen  und  Pfeilen,  kann  sieh  nicht  weich  anfühlen  wie 
bei  euch,  die  ihr  einen  Mantel  als  Hülle  oder  ein  weiches  342 
Gewand  tragt.  Nicht  der  Spinnrocken  oder  die  Wolle  im 
Korbe,  sondern  bluttriefende  Waffen  machten  die  Beschäfti- 
gung meiner  Hände  aus.^ 

Sygne  zögerte  nicht,  diese  Versicherung  mit  ähnlicher 
Verstellung  zu  erwidern;    sie   sagte,    es    sei    ganz    natürlich, 


')  Vgl.  II,  8.  89  Anm.  2  und  VI,  S.  306. 

*)  Wieder  ist  der  vorhergenannte  Hako  gemeint,   nicht  wie  Uhland 
annimmt,  der  erst  S.  3H9  auftretende  gleichnamige  Bruder  des  Hagbarthus. 


3B4  Siebentes  Buch. 

wenn  die  Hände,  welche  öfter  Wunden  als  Wolle  ^)  ausge- 
teilt, welche  sich  mehr  mit  Kampf  als  mit  häuslichen  Ar- 
beiten beschäftigt  hätten,  dem  entsprechend  hart  geworden 
seien  und  nicht  bei  der  Berührung  anderer  jene  weichlich- 
sanfte, frauenhafte  Zartheit  aufwiesen.  Teils  durch  die  Mühen 
des  Krieges,  teils  durch  die  Ausübung  der  Schiffahrt  seien 
sie  rauh  geworden.  Ein  Kriegsmädchen  Hakos  beschäftige 
sich  ja  nicht  mit  Weiberarbeiten,  sondern  pflege  vielmehr 
ihre  blutüberströmte  Rechte  zum  Werfen  der  Lanzen  und 
zum  Schleudern  der  Geschosse  zu  verwenden.  Auch  dürfe 
man  sich  nicht  wundern,  wenn  ihre  Füsse  von  dem  Durch- 
messen gewaltiger  Strecken  verhärtet  seien,  denn  das  so 
häufige  Durchstreifen  der  mit  steinigen  Klippen  bedeckten 
Gestade  hätte  sie  angegrifi^en;  daher  seien  sie  von  schwieliger 
Hornhaut  starr  geworden  und  könnten  bei  der  Berührung 
nicht  eben  solche  W^eichheit  aufweisen  wie  die  Füsse  derer, 
die,  ohne  einen  weiten  Weg  zu  kennen,  nur  immer  hinter 
der  Schwelle  des  Palastes  eingeschlossen  seien.  —  Hagbar- 
th us  bekam  sie,  da  er  gewissermassen  eine  ehrenvollere 
Schlafstätte  haben  sollte,  als  Lagergenossin  und  redete  sie 
unter  ihrem  gegenseitigen  Liebesgeflüster  leise  mit  folgenden 
Versen  an: 

„Wenn  dein  Vater  mich  fängt  und  traurigem  Tode  weiht, 
wirst  du  da,  so  heiligen  Versprechens  vergessend,  nach 
meinem  Untergange  noch  einmal  ein  Ehebündnis  suchen? 
Denn  wenn  dies  Schicksal  mich  triflft,  so  hofl^e  ich  nicht  auf 
2S4  Nachsicht.  Nicht  wird  sich  dein  Vater,  wenn  er  seine  Kinder 
rächt,  schonend  meiner  erbarmen.  Denn  deine  Brüder  habe 
ich  erschlagen,  nachdem  ich  sie  ihrer  Seemacht  beraubt,  und 
jetzt  halte  ich  dich  wider  Wissen  deines  Vaters,  gleich  als 
ob  ich  früher  nie  etwas  gegen  seine  Wünsche  gethan,  in 
meinen  Armen.  Sage  mir,  einzig  Geliebte,  welchen  Wunsch 
wirst  du  hegen,  wenn  du  meine  traute  Umarmung  entbehrst?" 

Darauf  erwiderte  Sygne: 


*)  An  die  ]ilägde  zum  Verarbeiten ;  das  war  wie  auch  im  römischen 
Altertum  eine  Hauptbeschäftigung  der  Dienerinnen. 


Hagbarthus  und  Sygne.  305 

„Glaube  mir,  Geliebter,  ich  will  mit  dir  sterben,  wenn 
das  Todeslos  dich  zuerst  hinrafft;  nicht  will  ich  die  Dauer 
meines  Lebens  verlängern,  wenn  das  traurige  Verhängnis 
dich  in  den  Hügel  senkt.  Denn  wenn  du  für  immer  die  343 
Augen  schliessest,  unterlegen  dem  wütenden  Angriffe  der 
Henker,  gleichgiltig,  welcher  Todesart  du  verfällst,  ob  Krank- 
heit oder  Schwert,  Erde  oder  Meer  dich  hinraffen  —  ich 
sage  mich  jedenfalls  von  nichtswürdiger,  zügelloser  Liebes- 
glut los  und  weihe  mich  demselben  Tode,  damit  gemeinsamer 
Hingang  uns  verbinde,  wie  gemeinsamer  Ehebund  uns  an 
einander  gefesselt.  Wenn  ich  auch  Todesnot  empfinde,  will 
ich  doch  nicht  den  verlassen,  den  ich  meiner  Liebe  würdig 
befunden,  der  die  ersten  Früchte  meiner  zarten  Jugendblüte 
davontrug.  Kein  Gelübde,  glaube  ich,  wird  sicherer  gehalten 
werden,  wenn  überhaupt  Frauenwort  Treue  zu  halten  weiss." 

Diese  Worte  erquickten  das  Herz  des  Hagbarthus  so, 
dass  er  mehr  Lust  über  ihr  Versprechen  empfand,  denn  die 
Gefahr  bei  seinem  Scheiden  bedachte.  Als  er  nun  von  den 
Mägden  verraten,  von  Sigarus'  Häschern  ergriffen  wurde, 
wehrte  er  sich  lange  in  mutigem  Kampfe  und  schlug  mehrere 
von  ihnen  beim  Herannahen  nieder.  Endlich  wurde  er  aber 
gefasst  und  vor  die  Volksversammlung  geführt,  wo,  wie  er 
hörte,  die  Ansichten  der  Menge  über  ihn  geteilt  waren. 
Denn  mehrere  sagten  zwar,  für  solch  ein  schweres  Vergehen 
müsse  er  den  Tod  erleiden,  Bilwisus^)  aber,  des  Bolwisus 
Bruder,  und  noch  andere  rieten  zu  einem  besseren  Urteil  und 
wiesen  darauf  hin,  man  solle  sich  lieber  seine  Thatkraft  zu  285 
Nutze  machen,  anstatt  gar  zu  grausam  gegen  ihn  vorzu- 
gehen. Da  aber  kam  Bolwisus  hinzu  und  behauptete,  das 
.seien  nichtswürdige  Ratschläge,  welche  vom  König  Verzeihung 
verlangten,  wo  er  Rache  üben  müsste,  und  den  Ausbruch  ge- 
rechten Zornes  durch  unangebrachtes  Mitleid  zu  beschwich- 
tigen suchten.  Wie  könne  sich  denn  Sigarus  zur  Schonung 
oder  Bemitleidung  des  Mannes  bewegen  lassen,  der  ihm 
nicht  nur  den  Trost  seiner  beiden  Söhne  genommen,  sondern 


»)  S.  seine  ('harakterbtik  oben  8.  362. 


366  Siebentes  Buch. 

844  ihm  noch  offenkundig  die  Schmach  angethan  habe,  seine 
Tochter  zu  schänden.  Dieser  Meinung  schloss  sich  die  Mehr- 
zahl der  Stimmen  des  Volkes  an,  Hagbarthus  wurde  Ter* 
urteilt  und  der  Galgen  für  ihn  errichtet^).  So  kam  es,  dass 
er,  der  zuerst  fast  gar  keine  verhängnisvolle  Stimme  gegen 
sich  gehabt  hatte,  doch  mit  allgemeiner  Strenge  verdammt 
wurde.  Darauf  reichte  ihm  die  Königin  einen  Becher  hin 
mit  der  Aufforderung,  seinen  Durst  zu  löschen,  und  rief  ihm 
folgende  kränkende  Drohung  zu^): 

„Jetzt  wirst  du,  frecher  Hagbarthus,  den  die  ganze 
Versammlung  mit  Recht  zum  Tode  verurteilt  hat,  um  den 
Durst  zu  vertreiben,  den  Trunk  im  Hornbecher  zum  Munde 
führen.  £ntschlage  dich  nur  der  Furcht  und  netze  im  letzten 
Augenblick  deines  Lebens  mit  dem  Todesbecher  die  kühnen 
Lippen;  denn  wenn  du  ihn  geleert,  wirst  du  gleich  eingehen 
in  die  Behausungen  der  Unterirdischen,  wirst  eintreten  in 
das  abgeschlossene  Reich  des  Dis^).  Dein  Leib  wird  dem 
Galgen,  deine  Seele  dem  Orcus  gehören." 

Da  ergriff  der  Jüngling  den  dargebotenen  Becher  und  soll 
folgende  Antwort  gegeben  haben: 

„Mit  dieser  Hand  will  ich  mir  den  letzten  Genuss  gönnen, 
den  Abschiedstrunk  zum  Munde  führen,  mit  der  ich  dir 
deine  Zwillinge  gerauht  habe.  Nicht  ungerächt  werde  ich 
die  elysischen  Gefilde,  nicht  ungesühnt  die  grausen  Geister 
aufsuchen.     Denn    der  Mord,    von    meiner  Kraft  verübt,   hat 

280  i^^^  schon  früher  in  die  Höhlen  des  Tartarus  gebannt.  Hier 
meine  Rechte  triefte  von  deinem  Blute,  sie  raubte  deinen 
Kindern,  die  dein  Leib  gebar,  die  jungen  Jahre,  nichts  schonte 
ihrer  damals  das  Todesschwert.  Nichtswürdiges  Weib,  rasenden 

a45  Sinnes,    unglückliche    Mutter,    verwaist    deiner  Söhne,    keine 


*)  Der  Galgen  hcisst  daher  in  skaldischer  rnischroibuiig  f,Dta  Rom 
von  Sygnes  (latteu*. 

')  Mit  dein  folgenden  poetischen  Streitgespräche,  welches  ein  voll- 
kommenes Hdd  altgermanischer  (temütshiirte  giebt,  vergleiche  man  das 
ähnlich  geartete  zwiM'hen  Atli  und  iiudnni  (Gerings  Edda  S.  2SI  ff.). 

*)  In  der  rönii>chen  Mythologie  =  Pluto,  Gott  der  Unterwelt:  vgl.  I, 
S3  Anm    1. 


Hagbarthus  und  Sygne.  337 

Jahre  werden  dir  deine  vom  Tod  entführten  Kinder  zurück- 
geben, keine  Zeit  und  kein  Tag  wird  sie  für  dich  zurück- 
kaufen." 

So  rächte  er  sich  für  die  Todesdrohung,  indem  er  sich 
rühmte,  jene  Jünglinge  erschlagen  zuhaben;  darauf  schleuderte 
er  der  Königin  den  Becher  zurück,  und  überschüttete  ihr  Ge- 
sicht mit  dem  vergossenen  Weine. 

Unterdessen  fragte  Sygne  ihre  weinenden  Dienerinnen, 
ob  sie  es  über  sich  gewönnen,  Genossinnen  ihres  Beginnens 
zu  werden.  Jene  gelobten,  jeden  Wunsch  ihrer  Herrin,  der 
ihr  einfallen  würde,  treulichst  zu  erfüllen,  und  dieses  Ver- 
sprechen wurde  auch  gehalten.  Dann  sagte  sie,  von  Thränen 
überströmt,  sie  wolle  ihm,  dem  einzigen  Bettgenossen,  den  sie 
je  gehabt,  in  den  Tod  folgen,  und  gebot,  sobald  das  Zeichen 
von  der  Warte  gegeben  sei,  Feuer  an  das  Gemach  zu  legen. 
Schlingen  aus  ihren  Gewändern  zu  machen  und  sich  in  diesen, 
indem  man  den  Füssen  den  Untergrund  entziehe,  zu  erhängen. 
Jene  willigten  ein  und  sie  reichte  ihnen,  um  ihre  Todesfurcht  zu 
mindern,  Wein  zum  Tranke.  Damach  wurde  Hagbarthus 
auf  den  Berg  geführt,  der  nach  ihm  seinen  Namen  hat,  um 
durch  den  Strang  hingerichtet  zu  werden.  Um  die  Treue 
seiner  Geliebten  zu  erproben,  bat  er  nun  die  Henker,  zuerst 
seinen  Mantel  aufzuhängen;  denn  es  würde  ihm  Vergnügen 
machen,  sagte  er,  wenn  er,  gleichwie  ein  Schauspiel,  zuvor 
ein  Abbild  seines  Todes  sehen  könnte.  Die  Bitte  wurde  ge- 
währt, und  der  Wächter  auf  der  Warte  meldete  in  der 
Meinung,  es  sei  schon  um  Hargbarthus  geschehen,-  das  Ge- 
sehene den  in  ihrem  Gemache  eingeschlossenen  Mädchen. 
Diese  legten  alsbald  Feuer  an  das  Haus,  stiessen  die  Dielen 
unter  ihren  Füssen  zurück  und  Hessen  sich  die  Kehlen  von 
den  Schlingen  zusammenschnüren.  Als  nun  Hagbarthus 
sah,  wie  die  Königsburg  von  den  Flammen  ergriffen  wurde, 
rief  er  aus,  aus  der  Treue  seiner  Geliebten  erwachse  ihm 
mehr  Freude,  als  er  Schmerz  über  seinen  nahen  Tod  empfin- 
den könnte.  Ja  er  forderte  sogar  die  Umstehenden  auf,  ihm 
den  Tod  zu  geben,  und  bezeugte  in  folgenden  Liede,  wie 
wenig  er  sich  aus  seinem  Schicksal  mache: 


SiyH  Siebentes  Buch. 

ai6  ^Sehueller,   ihr  Henker,   ergreift  mich   uod  erbebt  mich 

in   die  Lüfte.     Süss  ist  es  für   mich,   Geliebte,  nach   deinem 

287  Ende  zu  sterben.  Ich  höre  das  Krachen  des  Hauses  und  sehe 
es  von  Flammen  gerötet,  und  die  längst  versprochene  Liebe 
enthüllt  jetzt  ihren  Bund.  Siehe,  dein  Gelübde  hast  du  ohne 
das  geringste  Bedenken  erfüllt,  da  du  mir  im  Tode  wie  im 
Leben  Gefährtin  bist.  Gemeinsam  ist  unser  Ende,  gemeinsam, 
unserer  Vereinigung  gemäss,  unsere  Verbindung,  und  nun  und 
nimmer  kann  unsere  erste  Liebe  vergehen.  Glücklich  bin  ich, 
dass  ich  es  mir  verdient  habe,  solcher  Gefährtin  mich  zu  er- 
freuen und  dass  ich  nicht  allein  elend  zu  den  Göttern  der 
Unterwelt  zu  ziehen  brauche.  Mag  nun  immerhin  die  Schlinge 
meine  Kehle  zusammenschnüren,  nichts  als  Lust  wird  mir  die 
letzte  Strafe  bringen,  da  mir  die  sichere  Hoffnung  bleibt, 
meine  Liebe  zu  erneuern,  und  der  Tod,  der  gar  bald  seine 
Freuden  zeitigen  wird.  Beide  Welten  gefallen  mir,  in  beiden 
Reichen  *)  wird  man  die  Ruhe  unserer  Seelen  ehren  und 
unsere  gleichmässige  Treue  in  der  Liebe'*. 

Denn  siehe,  gern  nehme  ich  das  mir  gesprochene  Urteil 
hin,  da  ja  selbst  in  der  Unterwelt  die  Liebe  nicht  zugiebt, 
dass  die  Umarmungen  der  von  ihr  Erfüllten  aufhören*).  — 
Unter  diesen  Worten  erwürgten  ihn  die  Henker  mit  der 
Schlinge.  Damit  nicht  jemand  glaubt,  die  Spuren  des  Alter- 
turas seien  ganz  und  gar  verschwunden,  wird  noch  jetzt 
für  die  Wahrheit  der  erzählten  Geschichte  ein  Beweis  in 
der  Gegend  geboten;  denn  des  Hagbarthus  Tod  hat  diesem 
Gau*)  seinen  Namen  gegeben,  und  unweit  der  Stadt  des 
Sigarus*)  giebt  es  auch  eine  Stelle,  wo  sich  der  Boden  etwas 

347  über  die  Ebene  erhebt  und  in  dieser  Erhöhung  einigermassen 


*)  Die  Ober-  und  Unterwelt  ist  ffemeint. 

*)  Dieser  Satz  gehört  dem  Sinne  nach  noch  zum  v<»rigen  Liede. 

')  Paj?us  könnte  auch  mit  Dorf  übersetzt  werden;  ^liiller  sagt,  dass 
Dur  noch  ein  Hügel  dieses  Namens  bekannt  sei. 

*)  Sigersted  bei  Aisted  auf  Seeland:  vgl.  die  Schreiberglosse  oben 
8.  ii'>')  Einen  galgehöj  =  (rulgenhügel  giebt  es  auch;  aber  schtm  Müller 
zweifelt,  ob  jene  Namen  alt  und  ursprünglich  sind.  Wahrscheinlich  sind 
sie  erst  von  der  am  Beginn  unsi'res  ,lahrhufid»Tts  he^r^chenden  Romantik 
jenen  Stätten  beigelegt  worden. 


Tod  des  Hagbarthus;  Rache  seines  Bruders.  369 

einem  alten  Herrschersitzte  ähnelt.  Es  erzählte  auch  ein 
Mann  dem  Bischof  Absalon^),  er  habe  selbst  gesehen,  wie 
man  dort  einen  Balken  gefunden  habe,  auf  den  ein  Landmann 
beim  Pflügen  gestossen  sei. 

Als  man  sah,  dass  Hako,  Hamundus"  Sohn^),  auf  diese 
Kunde  hin  zur  Rache  für  seine  Brüder  seine  Waffen  von 
Hibernien  nach  Dänemark  kehren  wollte,  verliessen  ihn  der 
Seeländer  Hako,  des  Wigerus  Sohn,  und  Starcatherus, 
deren  Unterstützung  er  sich  seit  des  Regnaldus  Tode  bis  zu 
diesem  Augenblicke  erfreut  hatte.  Der  eine  wurde  durch  die 
Rücksicht  auf  Freundschaftsbande,  der  andere  durch  die  auf 
seine  Abkunft  dazu  veranlasst,  und  so  erzeugten  verschiedene 
Gründe  bei  beiden  denselben  Entschluss.  Hako  hielt  nämlich 
seine  Anhänglichkeit  von  einem  Angriff  auf  sein  Vaterland 
ab,  da  ja  er  allein  offenkundig  gegen  Landsleute  hätte  kämpfen 
müssen,  während  die  übrigen  gegen  Fremde  fochten.  Star- 
catherus aber  durfte  nicht  als  Feind  auftreten,  weil  er  die 
Gastfreundschaft  des  alten  Sigarus  genossen  hatte  •—  damit 
man  nicht  glaube,  er  vergelte  eine  Wohlthat  mit  Unrecht; 
denn  manche  Leute  zollen  der  Gastfreundschaft  solche  Achtung, 
dass  sie  nie  veranlasst  werden  können,  denjenigen  einen 
Nachteil  zuzufügen,  deren  freundliche  Dienste  einmal  em- 
pfangen zu  haben,  sie  sich  erinnern.  Hako  aber  betrachtete  288 
den  Tod  seiner  Brüder  als  einen  grösseren  Verlust  als  den 
Abfall  seiner  Kämpfer,  versammelte  seine  Flotte  in  dem  Hafen, 
welcher  auf  dänisch  Herwig,  auf  lateinisch  Heeresbucht  heisst, 
und  stellte  seine  Landtruppen  dort  in  Schlachtordnung  auf, 
wo  jetzt  die  von  Hesbernus  erbaute  Stadt ^)  durch  ihre  Be- 
festigungen den  Umwohnenden  Schutz  bietet  und  die  An- 
näherung der  wilden  Barbaren  fernhält.  Dann  teilte  er  seine 
Truppen  in  drei  Teile  imd  schickte  zwei  Drittel  seiner  Schiffe 
mit  nur  wenigen  Ruderern  voraus  bis  zu  dem  Flusse  Susa,^)  a48 


*)  Saxos  Vorgesetzter  und  Gönner;  s.  Vorr.  8.  1,  Anm.  1. 
*)  Ein  bisher  noch  nicht  genannter  Bruder  des  Hagbarthus,  der  von 
dem  andern  Hako  'wohl  zu  unterscheiden  ist. 

*)  Nach  Saxo  XIV,  595,,,  (üolder)  ist  dies  Kalunda,  jetzt  Kallundborg. 
*)  D.  i.  die  Suus-Aa  auf  Seeland. 

Saso  Grammaticus.  24 


370  Siebentes  £uch. 

damit  diese  Abteilung,  in  den  manigfachen  Windungen  des 
Flussbettes  auf  gefährlicher  Fahrt  vordringend,  den  Land- 
truppen im  Notfalle  Hilfe  leisten  könnte.  Er  selbst  schlug 
mit  dem  Reste  den  Landweg  ein  und  hielt  sich  meist  an 
waldige  Gebiete,  um  nicht  gesehen  zu  werden.  Diese  Strasse, 
einst  mit  dichtem  Baumwuchs  bedeckt,  ist  jetzt  zum  Teil 
urbar  gemacht  und  nur  spärlich  mit  Buschwerk  bewachsen. 
Damit  aber  beim  Vordringen  ins  flache  Land  nicht  der  Schatten 
der  Bäume  fehle,  Hess  er  seine  Soldaten  Zweige  abhauen  und 
mit  sich  nehmen,  und  ferner  gebot  er,  damit  ihnen  sonst  bei 
ihrer  Eile  nichts  zur  Last  falle,  auch  einen  Teil  der  Kleidung, 
sowie  die  Scheiden  wegzuwerfen  und  die  Schwerter  bloss  zu 
tragen.  Zum  Andenken  an  diese  Geschichte  blieb  dem  Berge 
und  der  Bucht  für  immer  ein  Beiname^).  So  täuschte  er 
bei  seinen  nächtlichen  Vorrücken  zwei  Wachtposten;  als  er 
auf  den  dritten  stiess,  eilte  der  Späher,  sobald  er  den  un- 
gewöhnlichen Vorgang  erblickte,  in  des  Sigarus  Schlafgemach 
und  sagte,  er  bringe  eine  erstaunliche  Botschaft^  denn  er  habe 
Laub  und  Bäume  wie  Menschen  gehen  sehen.  Der  König  fragte 
nun,  wie  weit  noch  die  Ankunft  des  Waldes  im  Felde  stehe, 
und  als  er  hörte,  er  sei  ganz  nahe,  erklärte  er,  durch  dieses 
Wunder  werde  ihm  sein  Tod  verkündet^).  So  kam  es,  dass 
man  die  Niederung,  wo  man  die  Sträucher  abgehauen,  in 
der  Rede  des  Volkes  den  Todessumpf')  nannte.  Sigarus 
849  fürchtete  nnn  die  Enge  seiner  Stadt,  und  eilte  aus  ihr  nach  einem 
ebeneren  und  offeneren  Orte,  um  dort  dem  Feind  im  Kampfe 
entgegenzutreten.    Bei  der  Stätte,  die  im  Volksmunde  Wal- 


^)  Wu  für  ein  Name  und  welche  Gegend  gemeint  ist,  Ut  nicht  er- 
sichtlich. 

')  Dieser  Ausdruck  scheint  auf  ein  früheres  Orakel  dieses  Inhalts 
hinzuweisen.  Die  Erzählung  vom  wandelnden  Walde  entspricht  genaa 
der  Shakespeares  in  Macbeth  Y,  4  u.  5.  Sh.  schöpfte  aus  der  schottischen 
Chronik  des  Henricus  Bocthius  (Buch  XII).  Vgl.  übrigens  die  ähnUcfae 
Lage  V,  S.  238/9  und  die  altfränkische  Sage  bei  Grimm,  Deutsche  Sagen 
No.  434. 

')  Lat.  palus  Lethalis;  das  wäre  dünisch  (nach  Hüller)  Helmoae 
oder  Helkjfer:  etwa  1500  Schritt  nordwestlich  von  Sigersted  soU  es  wirk- 
lich einen  Ort  Hellekjiur  geben. 


Hako  rächt  seinen  Bruder,  Sywaldus  seinen  Vater.  371 

brunaa,  airf  lateinisch  Leichen-  oder  Blutbrunnen  heisst,^) 
lieferte  er  eine  unglückliche  Schlacht,  in  der  er  geschlagen 
und  getötet  ^urde.  Hako  nutzte  nun  seinen  Sieg  grausam 
aus  und  verfolgte  sein  Glück  so  rücksichtslos,  dass  er  ohne 
Unterschied  morden  Hess  und  weder  auf  Stellung  noch  Ge- 
schlecht glaubte  achten  zu  dürfen.  Weder  von  Mitleid  noch 
von  Ehrfurcht  Hess  er  sich  beeinflussen,  sondern  er  befleckte 
sein  Schwert  mit  Frauenblut,  und  mit  gleicher  Blutgier  metzelte 
er  Weiber  und  Kinder  nieder. 

Sigarus'  Sohn  Sywaldus  hatte  bisher  ruhig  im  väter- 
lichen Palaste  gesessen;  auf  diese  Nachricht  hin  aber  sammelte 
er  ein  Heer,  um  die  Pflicht  des  Rächers  zu  übernehmen. 
Hako  Hess  sich  nun  durch  das  Zusammenströmen  dieser 
Mengen  schrecken,  kehrte  mit  dem  einen  Drittel  seines  Heeres  289 
zur  Flotte  in  Herwig  zurück  und  sorgte  durch  einen  Rückzug 
zur  See  für  seine  Sicherheit.  Sein  Gefährte  Hako  aber,  mit 
dem  Beinamen  der  Stolze,*)  glaubte  mehr  Zitversicht  infolge 
des  jüngsten  Sieges  als  Besorgnis  wegen  Hakos  Entfernung 
hegen  zu  müssen;  er  zog  den  Tod  der  Flucht  vor  und  suchte 
den  Rest  des  Heeres  zu  sichern.  So  wich  er  denn  mit 
seinem  Lager  nur  ein  wenig  zurück,  um  bei  dem  Dorfe 
Axelstade^)  da«  Eintrefl^en  der  Flotte  zu  erwarten,  hatte 
sich  aber  über  die  Trägheit  der  allzu  langsam  kommenden 
Bundesgenossen  2u  beklagen;  denn  die  den  Fluss  hinauf- 
geschickte Flotte  war  noch  nicht  in  dem  bestimmten  Hafen 
gelandet.  Der  Tod  des  Sigarus  aber  und  des  Sywaldus  treue 
Liebe  erregten  ausnahmslos  so  das  Gemüt  des  Volkes,  dass 
sich  beide  Geschlechter  dem  Kampfe  widmeten,  und  man  muss 
schon  glauben,  dass  dieser  Krieg  nicht  ohne  Beihilfe  der 
Frauen  verlief.  Am  folgenden  Tage  stiessen  Hako  und 
Sywaldus  zusammen  und  zogen  das  Gefecht  zwei  Tage  lang 
hin.    Es  wurde  aufs  blutigste  gestritten,  beide  Feldherrn  fielen,  350 


*)  Lat.    cadaverum  vel  stragis   puteus;    ist  jetzt  dänisch  Valbrönd. 

*)  Dieser  Hako  Superbus  ist  der  dritte  des  Xamens,   der   in  dieser 
Geschichte  auftritt:  (isl.  heisst  er  Haki  hinn  hugpruOi). 

•)  Nach  3Iüller  ist  dieser  Ort   mit  dem  jetzigen  Aisted  auf  Seeland 
identisch. 

24* 


372  SiebeDtes  £uch. 

und  der  Sieg  zierte  die  Ueberreste  der  Dänen.  In  der  Nacht 
nach  dem  Treffen  aber  fuhr  die  Flotte  die  Susa  hinauf  und 
gelangte  in  den  Schutz  des  ihr  angegebenen  Hafens.  Denn 
einst  stand  dieser  Fluss  der  Schiffahrt  offen,  jetzt  aber  machea 
ihn  infolge  des  Eindringens  fester  Bestandteile  seine  Engen 
unfahrbar,  sodass  seine  trägen  Windungen  nur  noch  selten 
das  Einlaufen  eines  Schiffes  gestatten.  Am  Morgen  sahen  die 
Schiffsleute  die  Leichen  ihrer  Genossen  und  errichteten,  um 
den  Führer  zu  bestatten,  einen  Hügel  von  beträchtlicher 
Grösse,  den  der  Volksmund  Hakos  Grab  nennt  —  noch 
heute  ist  er  in  der  Sage  berühmt.  Die  meisten  von  ihnen 
aber  weihte  Borcarus,  der  plötzlich  mit  Schonischer  Reiterei 
hereinbrach,  dem  Tode.  Als  der  Feind  vernichtet  war,  rüstete 
er  die  der  Mannschaft  entblössten  Schiffe  desselben  neu  aus 
und  verfolgte  eilig,  in  atemloser  Hast  den  Sohn  des  Hamundus. 
Als  er  mit  diesem  zusammenstiess,  geschah  es,  dass  Hake  nach 
unglücklichem  Kampfe  in  kopfloser  Angst  mit  drei  Schiffen 
in  das  Land  der  Schotten  entfloh.  Dort  starb  er  nach  zwei 
Jahren. 

Diese  gefahrvollen  Schicksale  und  Kriege  hatten  nun  das 
Königsgeschlecht  der  Dänen  so  sehr  erschöpft,  dass  es  bis 
auf  die  einzige  Guritha,  die  Tochter  des  Alfus,  die  Enkelin 
des  Sigarus,  ausgestorben  war.  Als  sie  sich  nun  der  Ober- 
leitung durch  das  gewohnte  Herrscherhaus  entblösst  sahen, 
übertrugen  sie  die  Regierung  Leuten  aus  dem  Volke,  wählten 
sich  Fürsten  und  überwiesen  Ostmarus  die  Verwaltung 
Schönens,  Hundingus  die  Seelands.  Hano  übertrugen  sie 
die  Herrschaft  über  Fünen.  Roricus  aber  und  Haterus 
vertrauten  sie  —  mit  getrennter  Machtvollkommenheit  —  die 
351  Oberleitung  über  Jütland  an  ^).  Damit  es  nun  nicht  ver- 
verborgen bleibe,  welchem  Stamme  die  nachfolgenden  Könige 

')  Hiermit  beginnt  ein  Abschnitt,  den  man  als  die  Zeit  der  fünf 
Könige  bezeichnet;  er  reicht  bis  zum  Auftreten  des  Königs  Harald  Kampf- 
zahn. Die  Berichte  sind  vorliegend  dänischen  (schonischcn)  Ursprungs. 
In  andern  dänischeti  Quellen  findet  sich  eine  andere  Art  der  Verteilung. 
Vgl.  Olrik  II.  249  ff.  —  Die  £rzählung  ist  mit  einer  Fülle  von  Abschwei- 
fungen durchsetzt. 


Zwischenhemchaft  in  Dänemark;  Krieg  zw.  Schweden  u.  Noxwegen.     373 

entsprossen,  müssen  notwendigerweise  einige  Punkte  in  einer 
kleinen  Abschweifung  besprochen  werden.  Es  haisst,  dass 
Gunnarus,  der  tapferste  der  Schweden,  einst  aus  sehr  triftigen  240 
Gründen  mit  Norwegen  verfeindet  gewesen  sei.  Die  auf  seine 
Bitten  erlangte  Erlaubnis,  es  anzugreifen,  nutzte  er  unter  den 
grössten  Gefahren  aufs  äusserste  aus  und  unternahm  zuerst 
seinen  beabsichtigten  Einfall  in  die  Provinz  Jather^).  Mit 
Brand  und  Mord  verheerte  er  sie ;  Raub  übte  er  nicht,  sondern 
er  freute  sich  nur,  wenn  die  Wege  mit  Leichen  übersät  und 
die  Strassen  mit  Blut  überströmt  waren.  Denn  während 
andere  wenigstens  das  Leben  schonen  und  mehr  auf  Beute 
als  auf  Mord  auszugehen  pflegen,  zog  er  die  Grausamkeit  der 
Lust  am  Plündern  vor  und  büsste  seine  blutigen  Gelüste  am 
liebsten  durch  das  Hinschlachten  von  Menschen.  Aus  Furcht 
vor  seiner  Wildheit  suchten  nun  die  Einwohner  der  drohenden 
Gefahr  durch  allgemeine  Unterwerfung  zuvorzukommen.  Als 
femer  Regnaldus^),  der  König  der  Norweger,  von  der 
Gesinnung  des  Tyrannen  hörte,  liess  er  seine  Tochter  Drota 
in  eine  Höhle  einschliessen,  versah  sie  mit  Vorräten  für  lange 
Zeit  und  gab  ihr  auch  die  nötige  Dienerschaft  mit^).  Auch 
einige  Schwerter,  die  mit  ausserordentlicher  Kunst  verfertigt 
waren,  vertraute  er  zusammen  mit  dem  königlichen  Schatze 
der  Höhle  an,  um  dem  Feinde  nicht  die  Klinge  zum  Gebrauch 
zu  lassen,  die  er  selbst  nicht  mehr  schwingen  konnte.  Damit 
nun  nicht  eine  Bodenanschwellung  die  Höhle  verriete,  liess 
er  die  Erhebung  mit  dem  festen  Erdreich  in  gleiche  Höhe 
bringen.  Dann  zog  er  in  den  Krieg,  und  da  er  mit  seinen 
alten  Gliedern  nicht  mehr  selbst  in  die  Schlacht  gehen  konnte, 
stützte  er  sich  auf  die  Schultern  seiner  Begleiter  und  drang 
so  unter  Beihilfe  anderer  vor.  Er  kämpfte  aber  mit  mehr 
Eifer  als  Glück,  fiel  und  hinterliess  sein  Land  in  schwerer 
Schande. 


^)  «fetzt  der  Eüstenstrich  Jseder  im  Bezirke  Stavanger. 

*)  Sonst  ist  dieser  KegiHildus  ni«l)t  als  norwegisober  König  bekannte 

*)  Ueber  das  Motiv   von  der  Königstochter  im  Hügel  vgl.  Olrik   in 
der  Zeitschr.  d.  Ver.  f.  Volkskde.  II,  867  ff. 


374  Siebentes  Buch. 

Gunnarus  Hess  nämlich,  um  die  Feigheit  des  besiegten 
352  Volkes  durch  eine  ungewöhnlich  schmachvolle  Bedingung  zu 
bestrafen,  statt  eines  Fürsten  einen  Hund  an  ihre  Spitze 
stellen  ^).  Was  anderes  mag  er  wohl  damit  haben  erreichen 
wollen,  als  dass  das  übermütige  Volk  eine  gar  schwere  Sühne 
für  seine  Anmassung  fühlen  sollte,  wenn  sie  oft  ihre  Häupter 
vor  einem  bellenden  Hunde  neigen  mussten!  Und  damit 
keine  Demütigung  ausbliebe,  ernannte  er  Statthalter,  welche 
im  Namen  dieses  Hundes  die  öffentlichen  und  privaten  Ge- 
schäfte wahrzunehmen  hatten.  Auch  verpflichtete  er  die  vor- 
nehmsten Edlen  zur  dauernden  und  beständigen  Bewachung 
und  Pflege  desselben.  Ferner  setzte  er  fest,  dass  jeder  Höfling, 
der  etwa  den  Dienst  seines  Herrn  für  verächtlich  hielt  und 
sich  weigerte,  ihm  bei  seinem  vielfachen  Hin-  und  Herrennen 
die  schuldige  Ehrerbietung  zu  erweisen,  mit  dem  Verlust 
seiner  Glieder  dafür  zu  büssen  habe.  Er  legte  auch  dem 
Volke  eine  doppelte  Steuer  auf;  die  eine  war  von  der  Fülle 
des  Herbstes,  die  andere  zur  Frühlingszeit  zu  zahlen.  So 
brach  er  den  üebermut  der  Norweger  und  erreichte  damit, 
dass  sie  nur  allzu  klar  den  Verlust  ihres  Stolzes  erkannten, 
da  sie  sich  gezwungen  sahen,  einem  Hunde  zu  huldigen. 
241  Als  er  hörte,  dass  des  Königs  Tochter  in  einem  entlegenen 

Versteck  verschlossen  sei,  bemühte  er  sich  mit  dem  Aufgebot 
all  seines  Scharfsinnes,  sie  ausfindig  zu  machen.  So  kam  es, 
dass  er  einst,  während  er  sich  selbst  mit  andern  ans  Suchen 
machte,  zweifelnden  Ohres  in  der  Ferne  das  Geräusch  eines 
unterirdischen  Murmeins  hörte.  Da  drang  er  allmählich  weiter 
vor  und  erkannte  den  Laut  einer  menschlichen  Stimme.  Er 
Hess  den  Boden  unter  seinen  Füssen  bis  zum  festen  Unter- 
grunde aufgraben  und  sah  da  plötzlich,  als  die  Höhlung  offen 
dalag,    die    gewundenen    Gänge.     Er    erschlug    das    Gefolge, 


*)  Auch  andere  (Quollen  erziihloti  diese  (ioschichte  vom  Hiindeköoifif 
in  X()rwo}2fen ;  die  Hcim^tkriii^la  (90)  netuit  nls  deu  König,  der  ihn  oin:)et;ste, 
iiirht  den  scinst  unlM'kannten  (liunnarus,  scmtlern  den  Nonvejfor  Eväteinn, 
andere  den  aus  der  Hrolfssaga  V>ekannten  Athislus  (Aöils).  J)er  Hundr- 
kruii^  »(»Ihst  hiess  nach  der  einen  Fassung  Saurr,  nach  der  andern  Rakki. 
VkI.  3liiller  II.  203. 


Der  Hundekönig;  Gunnarus  u.  Drota;  Haldanus.  375 

welches  den  entdeckten  Eingang  der  Grotte  noch  zu  schützen 
versuchte,  und  schleppte  das  Mädchen  samt  den  dort  nieder- 
gelegten Prunkstücken  aus  der  Höhle  heraus.  Diese  hatte 
indessen  mit  grösster  Vorsicht  die  Schwerter  ihres  Vaters 
dem  Schutze  eines  noch  geheimeren  Gewahrsams  anvertraut. 
Sie  wurde  von  Gunnarus  überwältigt  imd  gebar  ihm  einen 
Sohn,  Hildigerus.  Dieser  eiferte  so  sehr  der  Grausamkeit 
seines  Vaters  nach,  dass  er  immer  nach  Mord  dürstete,  nur 
auf  das  Verderben  der  Menschen  seinen  Sinn  richtete  und  in 
massloser  Gier  nach  Blut  lechzte.  Wegen  seines  unerträglich 
grausamen  Charakters  wurde  er  von  seinem  Vater  geächtet, 
erhielt  aber  bald  darauf  von  Alwerus  eine  Herrschaft:^)  er  353 
verwickelte  seine  Nachbarn  fortwährend  in  blutige  Kriege 
und  verbrachte  die  ganze  Zeit  seines  Lebens  in  den  Waffen. 
Trotz  seiner  Verbannung  Hess  er  nicht  ein  bisschen  von 
seiner  gewohnten  Grausamkeit  ab,  und  mit  dem  Wechsel  des 
Aufenthalts  trat  bei  ihm  keine  Aenderung  der  Gesinnung  ein. 
Inzwischen  erfuhr  Borcarus,  dass  Regnaldus'  Tochter 
Drota  mit  Gewalt  die  Ehe  von  Gunnarus  aufgedrungen 
worden  war;  daher  raubte  er  diesem  Frau  und  Leben  und 
vermählte  sich  selbst  mit  Drota.  Diese  willigte  auch  nicht 
ungern  in  die  Heirat,  da  sie  glaubte  mit  vollem  Rechte  den 
Rächer  ihres  Vaters  umarmen  zu  dürfen.  Denn  als  Tochter, 
die  noch  ihren  Erzeuger  betrauerte,  konnte  sie  nie  mit  freu- 
diger Willfährigkeit  dem  Mörder  desselben  entgegen  kommen. 
Ihr  und  des  Borcarus  Sohn  hiess  Haldanus ^).  Während 
seiner  ersten  Jugend  stand  dieser  im  Rufe  der  Wildheit,  aber 
in  der  Folgezeit  zeichnete  er  sich  durch  die  hervorragendsten 
und  glänzendsten  Thaten  aus  und  erwarb  sich  die  höchsten 
Ehren  im  Leben.  Schon  als  Knabe  fiel  er  über  einen  Kämpfer 
von  bedeutendem  Rufe,  der  ihm  in  kindischem  Spiel  einen 
Faustsehlag  versetzt  hatte,  her  und  erschlug  ihn  mit  dem 
Stabe,  den  er  in  der  Hand  hatte.  Damit  eröffnete  er  die 
Reihe  seiner  künftigen  Heldenthaten  und  verwandelte  die  Ver- 

*)  Dieser  Alwerus  wird  bald  nachher   als  König  von  Schweden   be- 
iseichnet;  unter  der  Herrschaft  ist  eine  Statthalterschaft  zu  verstehen. 

*)  Ueber  diese  Halfdansage  vgl.  Uhland  VI,  110  und  Olrik  II,  246. 


376  Siebentes  Buch. 

ächtlichkeit  seines  früheren  Lebens  für  die  Zukunft  in  den 
höchsten  Glanz.  Dieses  Ereignis  Hess  in  der  That  schon  die 
Grösse  seiner  herrlichen  Leistungen  im  Kriege  voransahneu. 
Zu  dieser  Zeit  verheerte  Rötho,  ein  ruthenischer  See- 
räuber unser  Vaterland  durch  grausame  Raubzüge.  Seine 
Roheit  war  so  gross,  dass  er,  während  andere  ihren  Gefangenen 

242  wenigstens  gänzliche  Nacktheit  ersparten,  unbedenklich  auch 
den  verborgenen  Körperteilen  jede  Hülle  entzog.  Daher 
pflegen  wir  bis  auf  den  heutigen  Tag  alle  schweren  und  un- 
menschlichen Räubereien    als  Rötho-ran^)    zu    bezeichnen. 

854  Er  wendete  auch  zuweilen  folgende  Art  des  Foltertodes  an: 
Er  liess  die  rechten  Füsse  seiner  Opfer  ganz  fest  an  die  Erde 
heften,  während  er  die  linken  an  zu  diesem  Zwecke  herab- 
gebogenen Zweigen  befestigte,  sodass  durch  deren  Zurück- 
schnellen die  Körper  mitten  entzwei  gerissen  wurden^). 
König  Hano  von  Fünen,  der  sich  dadurch  Ruhm  und  Ehre 
gewinnen  wollte,  versuchte  ihn  zur  See  zu  bekämpfen,  musste 
aber,  nur  von  einem  einzigen  Mann  begleitet,  die  Flucht  er- 
greifen. Zu  seiner  Schande  entstand  das  Sprichwort:  Herr 
Hano  kann  nur  etwas  in  seinem  eigenen  Heim^).  Borcarus 
vermochte  nun  nicht  länger  das  Hinschlachten  seiner  Mitbürger 
mit  anzusehen  und  warf  sich  Rötho  entgegen.  Wie  ihr 
Kampf  war  auch  ihr  Ende  gemeinsam.  Haldanus  soll  in 
dieser  Schlacht  schwer  verwimdet  worden  sein  und  lange  an 

*)  D.  i.  Kötho-Raub.  Xach  Müller  ist  dies  ein  ganz  ungebräuchUches, 
Teraltetes  Wort,  dessen  Etymologie  noch  dazu  sehr  zweifelhaft  und  wahr- 
scheinlich volksmässigen  Ursprungs  ist.  Der  Name  des  Räubers  selbst 
begegnet  nur  noch  einmal  in  einer  dänischen  Quelle. 

')  Nach  Olrik  ist  dieser  Zug  eine  Entlehnung  aus  der  Theseussage 
(die  Ueberwältigung  des  Sinnis). 

*)  Ein  Sprichwort,  welches  zugleich  ein  Wortspiel  zwischen  „Hahn*^ 
und  dem  damit  verwandten  Namen  des  Königs  enthält.  Es  lautet:  Hane 
er  hjemme  rigest  =  der  Hahn  ist  zu  Hause  am  stärksten;  eine  andere 
dänische  Quelle  (Script.  Rer.  Danic.  I,  154)  berichtet  dieselbe  Geschichte 
von  dem  seeländischen  Statthalter  Hundingus  und  zitiert  dann  das  Sprich- 
wort: Hund  er  hjemme  rigest.  Uebrigens  kennen  wir  es  (Müller)  durch 
Seneca  auch  aus  altrümischer  Ueberlieferung :  Qallus  in  suo  sterqiiUinio 
plurimum  potest  =  der  Hahn  vermag  auf  seinem  Misthaufen  am  meisten* 
In  dieser  Form    kommt   es  auch    in  deutscher  sprichwörtlicher  Rede  vor. 


Rötho;  Haldanus  und  Guritha.  377 

diesen  Verletzungen  gekrankt  haben.  Eine  von  ihnen  hatte 
ihn  sehr  auffällig  in  den  Mund  getroffen,  und  die  Narbe  war 
so  sichtbar,  dass  sie,  während  die  anderen  zuheilten,  als  eine 
entstellende  Oeffnung  zurückblieb.  Denn  den  verletzten  Teil 
der  Lippe  schwellte  ein  hässlicher  Schürf  so  auf,  dass  der 
eitrige  Spalt  nicht  mehr  von  neuem  Fleische  überwachsen 
werden  konnte.  Dieser  Umstand  brachte  ihm  einen  schmach- 
vollen Beinamen^)  ein,  während  doch  sonst  Wunden,  die  man 
vom  empftngt,  gewöhnlich  Ruhm  und  nicht  Schande  zur  Folge 
haben.  So  wird  die  Stimme  des  Volkes  manchmal  auch 
boshaft  beim  Auslegen  der  Tüchtigkeit. 

Da  nun  indessen  Guritha,  die  Tochter  des  Alfus,  sah, 
dass  der  königliche  Stamm  bis  auf  sie  ausgestorben  war,  und 
sie  keinen  ihr  ebenbürtigen  Mann  kannte,  den  sie  hätte  hei- 
raten können,  so  that  sie  das  Gelübde  freiwilliger  Keuschheit; 
denn  sie  hielt  es  für  besser  unvermählt  zu  bleiben  als  einen 
Mann  aus  dem  Volke  zu  nehmen.  Um  irgend  welcher  Gewalt- 
that  zu  entgehen,  umgab  sie  ihr  Gemach  mit  einer  Schar  aus- 
erlesener Fechter.  Zufällig  kam  Haldanus  einmal  zu  ihr,  355 
als  die  Recken  abwesend  waren,  denen  er  einst  selbst  noch 
als  Knabe  einen  Bruder  getötet  hatte,  und  sagte  ihr,  sie  müsse 
den  Gürtel  ihrer  Jungfräulichkeit  lösen  und  ihre  strenge  Ent- 
haltsamkeit mit  Thaten  der  Liebe  vertauschen;  sie  solle  nicht 
so  sehr  dem  Gelübde  ihrer  Keuschheit  nachgeben,  dass  sie  es 
verschmähe,  durch  eine  eheliche  Verbindung  die  schwindende 
Herrschaft  über  das  Reich  sich  wieder  zu  sichern.  Er  bat 
sie  dann,  sie  möge  den  Gedanken  einer  Ehe  mit  ihm,  der 
sich  doch  durch  vornehmste  Geburt  auszeichne,  in  Erwägung 
ziehen,  da  sie  ja  vielleicht  docli  wohl  aus  dem  genannten 
Grunde  Liebesfreuden  den  Zutritt  zu  ihr  gestatten  werde. 
Guritha  erwiderte  darauf,  er  könne  sie  nicht  dazu  verleiten, 
dass  sie  es  über  sich  gewönne,  den  letzten  Spross  des  Königs- 
geschlechts mit  einem  Manne  geringerer  Abkunft  zu  verbinden. 
Und  nicht  zufrieden,    ihn  wegen  seines  niederen  Ursprunges  248 


^)  Den  Saxo  aber  nicht  nennt;  auch  aus  andern  QueUen  kennen  wir 
ihn  nicht. 


378  Siebentes  Buch. 

geschmäht  zu  haben,  warf  sie  ihm  auch  noch  die  Entstellung 
seines  Gesichts  vor.  Haldanus  antwortete,  zwei  Fehler  habe 
sie  ihm  vorgehalten,  einmal,  dass  sein  Geschlecht  nicht  edel 
genug  sei,  und  zweitens,  dass  er  in  seinem  zerhauenen  Antlitz 
eine  unvernarbte  Wunde  trage.  Daher  werde  er  nicht  eher 
zurückkehren,  um  ihre  Hand  zu  erbitten,  als  bis  er  beides 
durch  Waffenruhm  getilgt  habe.  £r  beschwor  sie  auch,  sie 
möge  keinem  erlauben,  ihr  Lager  zu  teilen,  als  bis  sie  sichere 
Kunde  von  seiner  Rückkehr  oder  seinem  Tode  erhalten  habe. 
Die  Kämpen,  denen  er  schon  früher  den  Bruder  geraubt, 
waren  nun  entrüstet,  dass  er  mit  Guritha  gesprochen,  und 
suchten  ihn  zu  Pferde  zu  verfolgen.  Als  er  dies  sah,  hiess 
er  seine  Gefährten  ein  Versteck  aufsuchen,  und  sagte,  er  wolle 
allein  den  Recken  entgegentreten.  Da  nun  seine  Begleiter 
zögerten  und  es  für  sciimachvoll  hielten,  seinem  Gebote  zu 
folgen,  trieb  er  sie  unter  Drohungen  fort  und  erklärte,  Guritha 
sollte  nie  hören,  dass  er  sich  aus  Furcht  einem  Kampfe  ent- 
zogen hätte.  Dann  hieb  er  eine  Eiche  ab,  machte  sich  eine 
Keule  daraus^),  begann  allein  mit  den  zwölfen  das  Hand- 
gemenge und  erschlug  sie.  Trotzdem  war  er  mit  dem  Ruhm 
solch  einer  Heldenthat  noch  nicht  zufrieden,  sondern  liess  sich, 
um  noch  grössere  zu  verrichten,  von  seiner  Mutter  die 
Schwerter  seines  Grossvaters  geben,  von  denen  das  eine 
Lyusingus,  das  andere  wegen  des  Glanzes  seiner  polierten 
Schneide  Hwytingus  hiess*).  Sobald  er  aber  hörte,  dass 
zwischen  Alwerus,  dem  König  von  Schweden,  und  den 
Rutenen  ein  Krieg  ausbreche,  eilte  er  auf  der  Stelle  nach 
Russland,  bot  den  Einwohnern  seine  Hilfe  an  und  wurde  von 
allen  mit  den  grössten  Ehren  empfangen.  Aber  auch  Alwerus 
356  stand  nicht  fern,  da  ein  schmaler  Landstrich  nur  eine  kleine 
Entfernung  zwischen  ihnen  herstellte.  Einer  von  seinen 
Kriegern,  Hildigerus,  der  Sohn  des  Gunnarus,  forderte  nun 
Streiter  der  Rutenen  zum  Zweikampfe  heraus;  als  er  aber 
sah,  dass  mau  ihm  Haldanus   entgegenstellte,    der,    wie   er 

M  Auch  der  norwejTischc  Halfdan  hinn  bjarjrranimi  erschien  oben  S.  342 
als  gewaltiger  Keulenschwiuger. 
")  Vgl.  II,  91  Anm.  2. 


Haldanus  und  Guritha;  seine  Heldenthaten.  379 

wohl  wusste,  sein  Bruder  war,  gab  er  der  Bruderliebe  vor 
der  Tapferkeit  den  Vorzug  und  sagte,  er,  der  sich  durch  die 
Besiegung  von  siebzig  Helden  ausgezeichnet  habe,  möge  nicht 
mit  einem  so  wenig  gekannten  Manne  fechten  ^).  Er  forderte 
ihn  vielmehr  auf,  sich  an  einer  weniger  bedeutsamen  Probe 
zu  versuchen  und  Aufgaben  nachzugehen,  die  seinen  Kräften 
entsprächen.  Das  sagte  er  aber  nicht  aus  Zweifel  an  seinem 
Mute,  sondern  nur,  um  sich  von  Blutschuld  frei  zu  halten; 
denn  er  war  nicht  nur  sehr  tapfer,  sondern  verstand  es  auch, 
durch  Zauberlieder  Schwerter  stumpf  zu  machen*).  Da  er 
nun  daran  dachte,  dass  sein  Vater  von  Haldanus'  Vater  er- 
schlagen worden  war  und  er  von  zwei  Gefühlen,  dem  Wunsche, 
seinen  Vater  zu  rächen,  und  der  Bruderliebe  erfüllt  war,  hielt 
er  es  für  besser,  die  Herausforderung  zurückzuweisen,  als  sich 
in  die  schwerste  Schuld  zu  verstricken.  Als  Haldanus  an 
seiner  Stelle  einen  andern  Gegner  verlangte,  erschlug  er  den 
gegen  ihn  herausgeschickten,  und  bald  wurde  ihm  auch  nach 
Ansicht  der  Feinde  die  Palme  der  Tüchtigkeit  zuerkannt  und  244 
er  durch  allgemeinen  Zuruf  als  der  Tapferste  von  allen  aus- 
gezeichnet. Am  folgenden  Tage  griff  er  zwei  im  Kampfe  an 
und  tötete  sie ;  am  dritten  Morgen  besiegte  er  drei ;  am  vierten 
überwand  er  vier,  die  mit  ihm  fochten.  Am  fünften  forderte 
er  fünf  heraus;  als  er  sie  erschlagen  hatte  und  unter  gleichem 
Zuwachs  an  Kämpfen  und  Siegen  bis  zum  achten  Tage  gelangt 
war,  streckte  er  elf  nieder,  die  ihn  zugleich  angriffen.  Da 
nun  Hildigerus  sah,  dass  der  Ruhm  seiner  Heldenthaten  von 
der  hervorragenden  Tapferkeit  jenes  erreicht  sei,  konnte  er 
sich  nicht  länger  gegen  den  Kampf  mit  ihm  weigern.  Als  er 
merkte,   dass   er  von   dem  mit  Lumpen  umhüllten  Schwerte 

*)  l)io  Geschichte  von  dem  tragfisch  endenden  Brudorkampfe  erzählt, 
allerdings  z.  T.  mit  anderen  Xamen  die  isländische  Asmundärsaga  Kappa- 
bana  (hrsg.  von  Detter  in  „Zwei  Fomaldarsögur**,  Halle  1891,  S.  81  flF.)  so- 
wie ein  täröisches  Asmundslied.  Hildigerus  heisst  dort  Hildebrand,  ein 
Name,  der  neben  andern  Umständen  auf  einen  Zusammenhang  mit 
der  deutschen  Hildebrandsage  hinweist  Vgl.  Jiriczek,  Deutsche  Helden- 
sagen I.  285  flf.  und  329 ;  ßoer  i.  d.  Beitr.  zur  Gesch.  d.  deutsch.  Sprache 
und  Litt.  XXII  (1897)  342  ff. 

')  Vgl.  oben  S.  342  Anm.  1. 


380  Siebentes  Buch. 

seines  Gegners  eine  tötliche  Wunde  erhalten  hatte,  warf  er 
die  Waffen  weg  und  redete,  am  Boden  liegend,  seinen  Bruder 
mit  folgenden  Versen  an: 

„Gern  möchte  ich  noch  im  Wechselgespräch  eine  Stunde 
hinbringen  und,  \vährend  das  Schwert  ruht,  ein  wenig  auf  der 
Erde  sitzen,  um  die  Zeit  auf  Unterhaltung  zu  verwenden  und 
unsere  Herzen  zu  befriedigen.  Ich  habe  noch  Zeit  für  meinen 
Vorsatz;  denn  verschiedenes  Geschick  ist  uns  beiden  bestimmt; 

3«7  den  einen  rafft  mit  sicherem  Griff  das  Todeslos  hin,  des  an- 
deren harrt  Prunk  und  Ehre  in  besseren  Jahren  und  die 
Freiheit,  weiter  zu  leben.  So  ist  unser  beider  Bestimmung 
verschieden  eingerichtet*).  Dich  gebar  dänische  Erde,  mich 
schwedischer  Boden.  Drota  hat  dir  einst  die  Mutterbrust 
gereicht;  sie  gebar  auch  mich,  und  so  bin  ich  dein  Milch- 
bruder*). Siehe,  ein  guter  Sohn  stirbt  jetzt,  der  es  gewagt 
hat,  mit  grausen  Waffen  zu  streiten.  Edlem  Blute  ent- 
stammte Brüder  sinken  nieder,  nach  dem  sie  sich  selbst  mit 
Mord  bedroht ;  während  sie  nach  dem  Gipfel  der  Macht  streben, 
verlieren  sie  ihre  Tage,  in  der  Begier  nach  dem  Scepter  finden 
sie  den  Tod  und  werden  in  gemeinsamem  Schicksal  zum 
Styx  wandeln.  Zu  meinen  Häupten  lehnt  ein  schwedischer 
Schild '),  diesen  schmückt  ein  glänzendes,  klaresBild  in  erhabener 

358  Arbeit,  und  kunstvolles  Schnitzwerk  ziert  ihn  in  wunderbarer 
Ausführung.  Dort  zeigt  ein  vielfarbiges  Gemälde  die  Erlegung 
der  Edlen,  die  Besiegung  der  Kämpfer,  Kriege,  und  die  glän- 
zenden Thaten  meiner  Hand.  In  der  Mitte  steht  in  prächtiger 
Arbeit  das  Bild  meines  Sohnes  gezeichnet,  dem  diese  meine 


*)  Die  beiden  letzten  Sätze  entsprechen  ziemlich  genau  einer  Strophe 
in  der  Asmundarsaga  (Detters  Ausgabe  S.  98,1);  deutsch  lautet  sie  wört- 
lich: Sehr  schwer  ists,  dem  vorzubeugen,  wie  (oder  dass)  [einer]  geboren 
werden  soll  einem  andern  zum  Tode. 

*)  Ebenso  diese  Verse;  nrd. :  Dich  gebar  Drott  in  Dänemark,  mich 
selbst  in  Schweden.  —  Diese  Strophe  ist  besonders  auffällig,  weil  io  der 
Saga  vorher  die  Mutter  der  Brüder  nicht  Drott,  wie  bei  Saxo,  sondern 
Hildr  heisst.  —  Die  nächsten  fünf  Verse  bei  Saxo  weichen  ganz  von  denen 
der  Saga  ab. 

')  Hier  beginnt  dagegen  wieder  eine  recht  genaue  U  oberein  Stimmung 
mit  der  Ueberlieferung  der  Saga. 


Haldanus  und  Hildigerus.  381 

Hand  den  Lebensfaden  durchschnitt  ^).  Er  war  mein  einziger 
Erbe,  die  einzige  Sorge  meiner  Vaterliebe,  der  Mutter  zum 
Tröste  vom  Himmel  gegeben.  Ein  schlimmes  Geschick,  welches 
unheilvolle  Jahre  auf  glückliche  häuft,  erdrückt  die  Freude  245 
durch  Trauer  und  erschwert  einem  sein  Los.  Denn  traurig 
und  elend  ist  es,  ein  verworfenes  Leben  zu  führen,  jammer- 
voll seine  Tage  zu  verbringen  und  sein  Geschick  zu  beklagen. 
Was  auch  immer  der  voraus  bestimmende  Beschluss  der  Parcen 
verhängt,  was  auch  immer  der  geheimnisvolle  göttliche  Rat- 
schluss  verhüllt,  was  auch  immer  vom  Walten  des  Schicksals 
vorhergesehen  ist,  das  wird  nie  ein  W^andel  dieser  hinfälligen 
Welt  abändern«)." 

Auf  diese  W^orte  hin  tadelte  ihn  Haldanus  für  seine 
Trägheit,  dass  er  erst  so  spät  das  Bekenntnis  ihrer  brüder- 
lichen Zusammengehörigkeit  ablegte.  Jener  antwortete,  er 
habe  deshalb  geschwiegen,  damit  man  ihn  nicht  wegen  einer  359 
Weigerung  gegen  den  Kampf  einen  Feigling  oder  wegen  seiner 
Einwilligung  einen  Verbrecher  nennen  könne.  Mit  dieser  Ent- 
schuldigung starb  er.  Bei  den  Dänen  aber  hatte  sich  das 
Gerücht  verbreitet,  Haldanus  sei  von  Hildigerus  erschlagen 
worden.  Darnach  begann  Siwarus,  ein  sehr  vornehmer 
Sachse,  um  Guritha,  die  allein  noch  vom  Königsgeschlecht 
in  Dänemark  übrig  war,  zu  werben.  Da  diese  aber  im  Stillen 
Haldanus  vorzog,  so  stellte  sie  ihrem  Freier  die  Bedingung, 
er  dürfe  nicht  eher  um  ihre  Hand  anhalten,  als  bis  er  das 
jetzt  in  Stücke  zerrissene  Dänenreich  wieder  zu  einem  ein- 
zigen Körper  vereint  und  das  unrechtmässig  Entrissene  mit 
den  Waffen  wiedergewonnen  hätte.  Siwarus  versuchte  das 
vergeblich,  bestach  aber  alle  Hüter,  und  so  musste  sie  endlich 
in  die  Verlobung  einwilligen.     Haldanus  hörte  das  in  Russland 


^)  Aus  Suxos  Darstellung  erfahren  wir  sonst  nichts  über  diesen  Kindes- 
mord; in  der  Asmundarsaga  wird  aber  erzählt,  wie  Hildebrand  bei  der 
Nachricht,  dass  alle  seine  Recken  von  ein  und  demselben  Helden  besiegt 
worden  sind,  in  einem  Anfall  von  Berserkerwut  seinen  eigenen  Sohn  um- 
bringt.    S.  Jiriczek  a.  a.  O. 

*)  Der  Schluss  ist  wieder  in  beiden  Darstellungen  abweichend  ge- 
staltet. 


382  Siebentes  Buch. 

und  verlegte  sich  nuu  mit  solchem  Eifer  auf  die  Seereise^ 
dass  er  noch  kurz  vor  der  Hochzeit  ankam  ^).  Als  er  am 
ersten  Tage  derselben  im  Begriff  war,  in  die  Königshalle  zu 
gehen,  gebot  er  zuvor  noch  seinen  Begleitern,  sie  sollten  sich 
nicht  eher  aus  dem  ihnen  angewiesenen  Aufenthaltsorte  ent- 
fernen, als  bis  sie  in  der  Ferne  das  Klirren  seines  Schwertes 
hörten.  Sobald  er  nun,  von  den  Festgenossen  unerkannt,  vor 
der  Jungfrau  stand,  sang  er,  um  nicht  durch  unverhüllte,  ge- 
wöhnliche Rede  noch  mehreren  verständlich  zu  werden,  fol- 
gendes Lied  mit  dunklem  Wortlaut: 

„Als  ich  des  Vaters  Scepter  verliess,  fürchtete  ich  nicht 
den  Trug  weiblicher  Lüge  oder  frauenhaften  Wankelmut.  Einst 

246  erschlug  ich  in  siegreichem  Kampfe  einen  und  zwei,  drei  und 
vier,  fünf  dann  und  sechs,  nachhef  sieben  und  gleich  acht,  ja 
elf  allein.  Auch  glaubte  ich  damals  nicht  von  einem  tadeln- 
den Vorwurf  betroffen  zu  werden,  von  einem  leichtsinnigen  Ver- 
sprechen, von  einem  unrechtmässigen  Gelübde." 

360  Darauf  erwiderte  Guritha: 

„In  schwächlicher  Herrschaft  über  die  Ereignisse  schwankt 
mein  Herz,  irrend  in  zagendem  und  unsicherem  Leichtsinn. 
Die  Kunde  über  dich  war  ungewiss  und  zweifelhaft,  von  ver- 
schiedenen Erzählungen  entstellt,  und  quälte  meine  bangende 
Brust.  Ich  fürchtete,  die  Jahre  deiner  zarten  Jugend  seien 
durch  das  Schwert  geendet.  Konnte  ich  denn  allein  den 
Aelteren  und  meinen  Leitern  widerstehen,  wenn  sie  mich  an 
einer  Weigerung  hinderten  und  zu  einer  Heirat  nötigten? 
Meine  Liebe  nnd  Neigung  bleibt  dieselbe;  bald  soll  sie  dir 
ganz  gehören.  Mein  Gelübde  ist  nicht  gebrochen,  sondern 
wird  bald  treu  erfüllt  werden." 

Nicht  habe  ich  nämlich  mein  Versprechen  dir  gegenüber 
gebrochen,  obgleich  ich  allein  stand,  dem  vielfachen,  eindring- 

*)  Müller  macht  auf  die  Aehnlichkeit  der  jetzt  folgenden  Geschichte 
(Guritha  und  Haldanus)  mit  der  von  Signe  und  Gram  (ß.  I  S.  26  ff.)  auf- 
merksam, die  sich  sogar  bis  auf  den  Wortlaut  der  darin  eingeflochteoen 
Lieder  erstrockt.  —  Die  Asmundarsaga  schliesst  mit  einer  ähnlichen  Episode, 
mit  der  Vermählung  Asuiunds  mit  einer  verwaisten  dänischen  Prinzessin. 
Zwei  darin  vurkommcndo  Liederstrophen  entsprechen  fast  genau  dem 
gleich  folgenden  liiodo  des  Haldanus  bei  Saxo. 


I 


Haldanus  und  Goritha.  383 

lieben  Zureden  mich  nicht  entziehen  und  den  tadelnden  Er- 
mahnungen betreffs  Annahme  des  Ehejoches  mich  nicht  wider- 
setzen konnte*).  —  Noch  hatte  die  Jungfrau  ihre  Antwort 
nicht  vollendet,  als  Haldanus  schon  ihren  Bräutigam  mit 
dem  Schwerte  durchbohrte.  Und  nicht  zufrieden  damit,  den 
einen  erschlagen  zu  haben,  hieb  er  gleich  den  grössten  Teil 
der  Tischgäste  nieder.  Als  nun  die  Sachsen,  in  ihrer  Trunken- 
heit rückwärts  taumelnd,  auf  ihn  eindrangen,  wurden  sie  von 
seinen  Landsleuten,  die  zu  Hilfe  eilten,  niedergemetzelt.  Dar- 
nach bemächtigte  er  sich  Gurithas.  Er  merkte  aber  nun, 
dass  sie  mit  Unfruchtbarkeit  geschlagen  war,  und  da  er  den 
innigsten  Wunsch  hatte,  Kinder  zu  bekommen,  eilte  er  nach 
Upsala^),  um  Fruchtbarkeit  für  sie  zu  erbitten.  Dort 
erhielt  er  in  der  Antwort  die  Aufforderung,  wenn  er  einen 
Nachkommen  erzeugen  wolle,  müsse  er  erst  die  Manen  seines  361 
Bruders  durch  ein  Opfer  versöhnen;  als  er  das  Orakel  befolgt 
hatte,  sah  er  zu  seinem  Tröste  seinen  Wunsch  erfüllt.  Denn 
er  bekam  von  Guritha  einen  Sohn  undhiess  ihn  Haraldus'). 
In  dessen  Namen  versuchte  er  das  durch  die  Gewaltthaten 


')  Diese  Prosasätze  gehören  dem  Sinne  nach  noch  zum  vorigen  Liede. 

*)  D.  i.  die  Hauptkultstätte  Schwedens;  s.  Mogk  i.  Grdr.  III,  396; 
einen  ähnlichen  Besuch  fanden  wir  schon  VI,  S.  290. 

*)  Die  hier  beginnende  Sage  von  Harald  Hildetand  zieht  sich  ein- 
schliesslich mehrerer  Episoden  bis  ins  VIII.  Buch  hin  (S.  264  H.) ;  man  kann 
sie  mit  Olrik  in  folgende  sechs  Hauptabschnitte  zerlegen :  1.  Haralds  Geburt 
auf  Geheiss  der  Gottheit.  2.  Odins  Fürsorge  für  ihn.  3.  Tod  seines  Vaters, 
Flucht  seiner  Mutter,  seine  Kache.  4.  Einigung  Dänemarks.  5.  Seine 
Siege  über  auswärtige  Völker.  6.  Die  Bravallaschlacht.  —  Norwegische 
und  dänische  Ueberlieferung  begegnen  sich  häufig  in  dieser  Sage.  Wichtig 
ist  sie  besonders  auch  für  die  Kenntnis  Odins,  der  überall  ausser  im 
3.  u.  4.  Abschnitt  persönlich  eingreift;  Tgl.  darüber  Uhland  Sehr.  VII,  234 
u.  Olrik  II ,  85  ff.  Ueber  die  ungenauen  und  widerspruchsvollen  genea- 
logischen Angaben  Saxos  s.  oben  S.  358  Anm.  1 ;  nach  dem  isl.  Bruchstück 
Sögubrot  af  nokkrum  fornkonungum  i  Dana  ok  Sna  veldi  (Fomald.  Sögur  I, 
363  ff.)  sind  Hrmrekr  und  AuÖr  seine  Eltern;  s.  auch  d.  Lied  v.  Hyndla 
Str.  29  =  Gerings  Edda  S.  123  u.  Anm.  2.  —  Das  Motiv  von  dem  spät 
und  auf  besonderes  Einwirken  der  Gottheit  geborenen  Kinde,  das  zu  einer 
hervorragenden  Lebensthätigkeit  bestimmt  ist,  ist  sehr  häufig;  ausser  an 
nordische  Parallelen,  auf  die  Olrik  verweist,  kann  man  auch  an  biblische 
denken. 


3g  4  Siebentes  Bcch. 

der  Grossen  zerrissene  Reich  der  Dänen  wieder  in  seinen 
247  früheren  Zustand  zu  bringen;  aber  während  er  in  Seeland 
Krieg  führte  undWesetus  ^),  einen  Fechter  von  bedeutendem 
Ansehen,  im  Kampfe  angriff,  fiel  er.  Guritha  hatte  in 
Männerkleidnng  ans  Liebe  zu  ihrem  Sohne  an  der  Schlacht 
teilgenommen,  und  als  sie  dies  sah,  trug  sie  ihren  Sohn,  der 
trotz  der  Flucht  seiner  Gefährten  allzu  eifrig  fechten  wollte, 
auf  ihren  Schultern  in  einen  nahen  Wald.  Die  Mattigkeit 
zumeist  hielt  die  Feinde  von  einer  Verfolgung  zurück.  Aber 
einer  tou  ihnen  durchbohrte  doch  Haraldus,  wie  er  so  hing, 
mit  einem  Pfeile  den  Hintern^).  Daher  glaubte  dieser,  die 
Fürsorge  seiner  Mutter  habe  ihm  mehr  Schande  als  Hilfe 
gebracht. 

Haraldus  war  von  ausnehmender  Schönheit  und  be- 
sonderer Grösse,  übertraf  seine  Altersgenossen  an  Kraft  und 
Gestalt  und  erfuhr  Othinus*  Gunst,  auf  dessen  Orakel  hin  er 
offenbar  geboren  war,  in  solchem  Masse,  dass  kein  Schwert 
die  Unversehrtheit  seines  Körpers  schädigen  konnte').  So 
kam  es,  dass  Geschosse,  die  andere  verwundeten,  unfähig 
waren,  ihm  eine  Verletzung  beizubringen.  £r  aber  war  für 
diese  Gabe  nicht  undankbar;  denn  er  soll  alle  Seelen,  die 
er  mit  dem  Schwerte  vom  Körper  geschieden,  Othinus  gelobt 
haben  ^).  Er  Hess  auch  zum  Andenken  an  seinen  Vater 
einen  Bericht  von  dessen  Thaten  iuBlekinge  durch  Künstler 
in  einen  Felsen  aufzeichnen,  dessen  ich  schon  gedacht  habe  *). 
Darauf  vernahm  er,  dass  Wesetus  in  Schonen  Hochzeit 
halten  wollte,  und  begab  sich  nun  in  Gestalt  eines  Bettlers 


*)  Ueber  diesen  ist  sonst  nichts  bekannt,  obwohl  sich  der  Name  Doch 
öfters  findet. 

«)  Vgl.  D,  89  Anm.  2. 

')  Dasselbe  berichten  in  mehr  rationalistischer  Weise  die  Sögubrot.  — 
Zu  der  Thatsache  selbst  vgl.  die  Nachrichten  über  BaldrlD,  119  und 
über  Frogerus  IV,  188. 

*)  Hier  zeigt  sich  Odin  besonders  in  seiner  Eigenschaft  als  Todetgott 
und  Führer  der  Toten. 

•)  Vorrede  8.  9;  siehe  dort  Anm.  8.  —  Die  Volkssage  mochte  die 
vermeintliche  Inschrift  mit  dem  wohlbekannten  Halfdan  in  Verbindung 
bringen;  lesen  und  verstehen  konnte  man  ja  naturgomäss  nie  etwas  davon 


Thaten  des  Haraldus.  385 

dorthin.  Als  das  Nachtmahl  beendet  war  und  alle  in  tiefem 
Rausch  und  Schlummer  lägen,  stiess  er  das  Brautgemach 
mit  einem  Balken  ein.  Wesetus  versetzte  ihm  mit  einem 
Knüttel,  ohne  ihn  dabei  zu  verwunden,  einen  so  heftigen  Hieb 
auf  die  Backe,  dass  er  ihm  zwei  Zähne  ausschlug ;  den  Verlust 
aber  machte  bald  darauf  das  unerwartete  Nachwachsen  von 
Mahlzähnen  wieder  gut.  Dieses  Ereignis  brachte  ihm  den 
Namen  Hyldetan  ein,  den  er  nach  dem  Bericht  anderer  3(^2 
wegen  seiner  hervorstehenden  Zähne  bekommen  haben  soll  ^). 
Er  erschlug  nun  dort  Wesetus  und  gewann  die  Herrschaft 
über  Schonen.  Dann  griff  er  Hatherus  in  Jütland  an  und 
tötete  ihn.  Dessen  Fall  verewigt  der  noch  andauernde  Name 
einer  Stadt*).  Darnach  warf  er  Hundingus  und  Röricus 
nieder,  eroberte  Lethra  und  vereinte  so  das  zerrissene  Dänen- 
reich wieder  zu  seiner  früheren  Gestalt').  Darauf  erhielt  er 
die  Nachricht,  dass  Asmundus,  der  König  der  Wikarer*), 
von  seiner  älteren  Schwester  vom  Throne  gestossen  sei,  und 
da  er  sich  über  solche  Anmassung  eines  Weibes  ärgerte,  kam 
er,  während  der  Kampf  noch  unentschieden  war,  mit  nur  einem 
Schiffe  nach  Norwegen,  um  Asmundus  Hilfe  zu  bringen.  Als 
die  Schlacht  begann,  drang  er,  in  einen  Purpurmantel  gekleidet, 
in  goldgestickter  Kopfbinde  und  mit  offenem  Haupthaar  gegen 
den  Feind  vor  und  vertraute  in  stiller  Zuversicht  so  sehr  auf 
sein  Glück,  dass  er  lieber  in  Festkleidung  als  in  Kampfes- 
rüstung erschien.  Aber  seine  Gesinnung  stimmte  nicht  mit  diesem 
Aufzuge  überein.  Denn  obwohl  unbewaffnet  und  nur  mit  den  2iS 
königlichen  Abzeichen  geschmückt,  zog  er  doch  den  Scharen 

*)  Der  zweite  Bestandteil  des  Beinamens  Hildetand  (isl.  Hilditönn) 
ist  dän.  tand  =  Zahn ;  beim  ersten  scheint  Saxos  an  das  Verb,  hvlde  = 
verhüllen,  bedecken  zQ  denken.  Eine  richtigere  Etymologie  leitet  ihn  von 
hildr  =  Kampf  ab,  ein  Wort,  das  sich  in  sehr  vielen  Namen  (z.  B.  Hilde- 
brand, Hildegard,  Hildegund)  ündet. 

*)  I).  i.  nach  Müller  Hadersleb  in  Schleswig. 

»)  Mit  dieser  Einigung  Dänemarks  unter  seiner  Herrschaft  ist  die 
Zeit  der  fünf  Könige  vorüber.  —  Die  beiden  letzten  Berichte  sind  rein 
dänischen  Ursprungs. 

*)  Das  sind  die  Einwohner  der  siid norwegischen  ProWnz  Vigen ;  vgl. 
B.  V,  S.  258  Anm.  2. 

Saxo  Graxninaticus.  25 


386  Siebentes  Buch. 

der  Bewaffneten  voran  und  setzte  sieh  selbst,  schutzlos  wie 
er  war,  den  heftigsten  Gefahren  des  Kampfes  aus.  Allein  die 
auf  ihn  geschleuderten  Waffen  verloren,  als  ob  sie  stumpf 
wären,  jede  schädliche  Wirkung.  Als  ihn  nun  die  übrigen 
bei  einem  neuen  Angriff  so  ungedeckt  fechten  sahen,  nötigte 
sie  die  Scham  zu  einem  heftigeren  Vordringen  gegen  ihn. 
Haraldus  aber,  selbst  unverletzt,  tötete  sie  oder  zwang  sie 
863  zur  Flucht.  So  verschaffte  er  Asmundus,  nachdem  er  dessen 
Schwester  niedergeworfen,  seine  Herrschaft  wieder.  Als  ihm 
nun  Belohnungen  für  seinen  Sieg  angeboten  wurden,  sagte 
er,  der  Ruhm  genüge  ihm  allein  als  Preis,  und  er  zeigte  sich 
ebenso  grossherzig  in  der  Zurückweisung  der  Geschenke,  wie 
vorher  bei  seinem  Bestreben,  sie  zu  verdienen.  Dadurch  er- 
regte er  bei  allen  Bewunderung  über  seine  Bescheidenheit 
wie  über  seine  Tapferkeit;  denn  er  hatte  bezeugt,  dass  er 
bei  seinem  Siege  nur  Ruhm,  nicht  Geld  davon  tragen  wollte. 
Unterdessen  starb  der  Scliwedenkönig  Alwerus  und 
hinterliess  drei  Söhne,  Olawus,  Ingo  und  Ingeldus^).  Von 
diesen  erklarte  Ingo,  nicht  zufrieden  mit  den  Ehren  seines 
väterlichen  Erbes,  den  Dänen  den  Krieg,  um  seine  Herrschaft 
zu  erweitern.  Als  nun  Haraldus  den  Ausgang  desselben 
durch  Orakel  zu  erfahren  wünschte,  trat  ihm  ein  Greis  von 
ungewöhnlicher  Grösse,  einäugig  und  in  einen  rauhen  Mantel 
gehüllt,  entgegen^).  Dieser  erklärte  ihm,  er  heisse  Othinus 
und  verstehe  sich  wohl  auf  das  Kriegshandwerk;  er  gab  ihm 
auch  eine  sehr  nützliche  Anweisung,  wie  das  Heer  in  Schlacht- 
reihe   aufzustellen  sei').     Er  hiess  ihn,    wenn  er    zu  Lande 


*)  Ueber  diese  schwedischen  Fürsten  ist  sonst  nichts  bekannt. 

*)  Ebenso  erschien  Odin  dem  Haddinj^;  I,  34. 

•)  Vgl.  die  kürzere  Beschreibung  der  keilförmigen  Schlachtreihe  L 
49.  Die  hier  gegebene  ist  zwar  recht  austÜhriich,  aber  wegen  der  ge- 
schraubten Ausdnicksweise  doch  nicht  ganz  klar.  Von  mehrerern  Versuchen, 
sie  möglichst  gut  zu  deuten,  ist  der  von  Müller  (1,363  ff.  in  den  einzelnen 
Anmerkungen  u.  II,  214  fl.)  wohl  der  beste:  von  ihm  stammt  auch  die 
nebenstehend  mitgeteilte,  etwas  veränderte  Zeichnung. 


Sieg  des  Haraldus;   die  keilförmige  SchlachtreLhe. 


387 


Spitze 


Flügel 


Glitte 


Flügel 


Junge  Mannschaft 


Veteranen 


Schleuderer 


^'el•schiedene  Truppen 


Nachhut 


\ 

/ 

\ 

/ 

s 

/ 

\ 


/ 


/ 


25* 


;3>$8  Siebentes  Buch. 

«inen  Krieg  beginnen  wollte,  seine  Truppen  in  drei  Treffen 
teilen«  deren  jedes  zwanzig  Mann  tief  sein  sollte ;  das  mittel- 
ste sollte  die  andern  um  zwanzig  Mann  an  Ausdehnung  über- 
treffen; dieses  sollte  auch  eine  kegel-  oder  pyramidenförmige 
Spitze  haben,  und  die  Flügel  sollten  auf  beiden  Seiten  schräg 
zulaufen.    Die  Aufstellung  innerhalb  jedes  Treffens  aber  sollte 

3H4  er  so  einrichten,  dass  die  Fronten  mit  zwei  Mann  begönnen 
und  dann  jede  weitere  Reihe  um  einen  Mann  verstärkt  würde  ^). 
In  die  zweite  Reihe  sollte  er  also  drei,  in  die  dritte  Tier 
Mann  stellen  und  so  weiter  nach  hinten  zu  dasselbe  fort- 
iichreitende  Verhältnis  einhalten,  bis  das  äussere  Verbindungs- 
glied die  Flügel  erreichte.  Jede  Flanke  sollte  von  Zehner- 
reihen gebildet  werden.  Hinter  diese  Truppen  sollte  er  die 
mit  Speeren  ausgerüstete  junge  Mannschaft  stellen  und  in 
deren  Rücken  eine  Abteilung  Veteranen,  welche  die  etwa 
wankenden  Kräfte  ihrer  Genossen  gewissermassen  durch  ihre 
alte,    erprobte   Tapferkeit    verstärken    sollten.     Daran  würde 

249  ein  kundiger  und  wohl  berechnender  Feldherr  die  Scharen 
der  Sehleuderer  schliessen,  die  hinter  ihren  Kameraden  stehen 
und  aus  der  Ferne  den  Feind  mit  ihren  Geschossen  beun- 
ruhigen sollten.  Hinter  diese  könnte  er  dann  Soldaten  be- 
liebigen Alters  und  verschiedener  Gattung  reihen,  ohne 
Kiicksicht  auf  ihre  Stellung.  Uebrigens  sollte  er  aber  die 
letzte  Staffel  ebenso  wie  die  erste  in  drei  Treffen  teilen  und 
in  demselben  Zahlenverhältnis  anordnen.  Der  Rücken,  der 
auf  die  vorderen  Massen  träfe,  würde  diese  selbst  durch  den 
Widerstand  einer  entgegengesetzten  Front  schützen*).    Wenn 

nu.'  aber  ein  Seekrieg  stattfände,  sollte   er  einen  Teil  der  Flotte 

^)  Die  Zunahme  regelt  sieh  also  voa  Glied  zu  Glied  in  arithmetischer 
Pni^(\M»i()n  von  2  bis  11  Mann  in  zehn  Keihen;  an  diesen  Keil  schliesst 
Mich  diinn  das  ebenfalls  zehn  Keihen  (zu  11  Mann)  tiefe  Viereck.  Die 
Verstärkung  der  Mitte  wird  man  nach  dem  unklaren  Text  (mediam  vero 
(lU'ioml  XX.  virorum  numero  reli(}uis  porrecciorem  extenderet)  in  einer 
Verliiugerung  der  Keilsjiitze  um  5  Reihen  (zu  2,  3,  4,  5  und  H  ^  20  Mann) 
j«t*hon  niiisH«Mi,  \vo(luroh  sich  die  (Trundlinie  auf  16  Mann  erhöht. 

')  Dioso  Nachhut  steht  demnach  den  übrigen  Kämpfern  Rücken 
gc>jon  Riickou  jjoj;iMni)»<»r,  um  dem  Feinde  bei  einem  etwaigen  Rücken» 
Überfall  soF<»rt  die  Stirn  bieten  zu  können. 


Die  keilförmige  Schlachtreihe.  389 

absondern,  der,  während  er  selber  seinen  beabsichtigten  Angriff 
ausführte,  die  feindlichen  Schiffe  durch  fortwährendes  Kreuzen 
beunruhigen  sollte.  Mit  diesen  Plänen  ausgerüstet,  überraschte 
er  Ingo  und  Olawus  noch  bei  ihren  Vorbereitungen  zum 
Kampfe  in  Schweden  und  schlug  sie.  Ihrem  Bruder  Ingeldus, 
der  wegen  seiner  angeblich  schwachen  Gesundheit  durch  Ge- 
sandte um  einen  Waffenstillstand  ersuchte,  gewährte  er  seine 
Bitte,  damit  seine  Tapferkeit,  die  es  doch  gelernt  hatte,  das 
Unglück  zu  schonen,  keine  Ausgelassenheit  zeige  in  den  Zeiten 
eines  schweren  und  demütigenden  Schicksals  eines  andern. 
Bald  darauf  wurde  er  von  jenem  noch  durch  die  Entführung 
seiner  Schwester  gereizt  und  beleidigt;  als  er  ihn  aber  durch 
einen  langen  Kampf,  dessen  Ausgang  zweifelhaft  war,  geschwächt 
hatte,  gewann  er  sich  wieder  seine  Freundschaft,  da  er  es  für 
besser  hielt,  in  ihm  einen  Bundesgenossen  als  einen  Feind  zu 
haben  ^). 

Wie  er  darnach  hörte,  dass  zwischen  Olawus,  dem 
Könige  der  Thronder,*)  und  den  Jungfrauen  Sticla  und  Ru- 
sila^)  ein  Kampf  um  die  Königs  würde  stattfinden  sollte,  be- 
gab er  sich  voller  Entrüstung  über  die  Anmassung  der 
Frauen  heimlich  und  ohne  Zögern  zu  jenen,  legte  ein  Ge- 
wand an,  unter  dem  er  seine  hervorspringenden  Zähne  ver- 
bergen konnte,  und  griff  die  Jungfrauen  an.  Beide  fielen 
und  hinterliessen  jede  einem  Hafen  einen  Namen,  der  noch 
an  sie  erinnert*).  Damals  legte  er  den  hervorragendsten  366 
Beweis  für  seine  Tapferkeit  ab;  denn  nur  mit  einem  Hemd 
unter  den  Schultern  bekleidet,  gab  er  ungeschützt  seine 
Brust  den  Waffen   preis.     Als    ihm  aber  Olawus  eine  Be- 


»)  Vgl.  B.  VI  S.  281  u.  Anm.  1. 

')  D.  s.  wohl  die  Bewohner  der  Gegend  von  Drontheim  (Throndhjem) 
in  Norwegen.     (Im  anrd.  bezeichnet  I>rändheiinr  den  Gau). 

•)  Vgl.  IV,  190,  u.  A.  1,  V,  259  u.  A.  3  u.  Vin,  416 ff.;  ursprünglich 
gehören  diese  Schildmädchen  gewiss  nur  in  die  Harald  Kampfzahnsafjre 
(Brawal laschlacht)  und  sind  bloss  als  beliebte  Zierfiguren  in  die  andern 
Sagen  übernommen  worden. 

*)  Ein  Hafen  Kuslar  liegt  am  Eiagaoge  des  Sognefjords,  ein  Stikla- 
see  auf  der  kleinen  Insel  Karmö  gegenüber  der  Mündung  des  Stavanger- 
fjords ;  Tgl.  über  das  sonstige  Vorkommen  dieser  Namen  Olrik  ü,  8S  Anm* 


390  Siebentes  Buch. 

lohming  für  seinen  Sieg  anbot,  wies  er  die  Gnade  zurück 
und  Hess  es  so  ungewiss,  ob  man  ihm  höheren  Preis  für 
seine  Tapferkeit  oder  für  seine  Genügsamkeit  zollen  sollte. 
Darauf  griff  er  einen  friesischen  Recken,  Namens  Ubbo, 
an,  der  das  Gebiet  seiner  Landsleute  in  zahlreichen  Einfällen 
verwüstete.  Als  er  ihn  mit  den  Waffen  nicht  überwältigen 
konnte,  hiess  er  seine  Soldaten  ihn  mit  den  Händen  ergreifen, 
schlug  ihn  zu  Boden  und  legte  den  Besiegten  in  Fesseln. 
So  hatte  er  nun  den,  von  dem  er  eben  die  schwerste  Nieder- 
lage befürchtete,  in  einer  schmählichen  Art  der  Ueberwälti- 
gung  völlig  überwunden.  Er  gab  ihm  dann  seine  Schwester 
zur  Frau  und  gewann  ihn  als  seinen  Genossen.  Darauf 
machte  er  die  Grenzvölker  am  Rheine  tributpflichtig  und  hob 
aus  den  tapfersten  dieses  Volkes  ein  Heer  aus.  Im  Vertrauen 
auf  dieses  unterjochte  er  Slavien,  liess  aber  die  Fürsten  dieses 
Landes,    Duc  und  DaP),  wegen  ihrer  Tapferkeit  nur  gefan- 

250  gen  nehmen,  nicht  töten.  Er  gewann  sie  für  seine  Dienste 
und  unterwarf  dann  mit  Waffengewalt  Aquitanien*).  Als- 
dann zog  er  nach  Britannien,  tötete  den  König  der 
Humbrer  und  zog  die  kriegstüchtigsten  jungen  Leute  bei  den 
Besiegten  für  sich  ein.     Als   der  hervorragendste  von  diesen 

367  galt  Orm  mit  dem  Beinamen  der  Britannier.  Der  Ruf  von 
diesen  Thaten  zog  Kämpfer  aus  den  verschiedensten  Welt- 
gegenden zu  ihm  heran,  und  er  vereinigte  sie  zu  einer 
Söldnerschar.  Gestützt  auf  ihre  grosse  Anzahl  hielt  er  die 
Bewegungen  in  allen  Reichen  durch  die  blosse  Furcht  vor 
seinem  Namen  so  sehr  in  Schranken,  dass  er  ihren  Beherrschern 
die  Lust  benahm,  sich  gegenseitig  zu  bekämpfen;  es  wagte 
aber  auch  niemand,  sich  ohne  seine  Einwilligung  die  Herr- 
schaft zur  See  anzumassen.  Denn  in  alten  Zeiten  war  in 
Dünemark  die  Herrschaft  zu  Lande  und  zur  See  getrennt. 

M  Diese  \amen  wie  auch  der  des  oben  erwähnten  l'l)b(»  bejfegnon 
tjoehmals  im  Vlll.  Huehc  bei  der  Autzahhinp  der  Teilnehmer  an  der  Bra- 
wallaijohlacht. 

*)  Wahrscheinlich  ist  diese  (reschichte  vcm  Saxo  von  einem  späteren 
historischen  Harald,  dem  Blauzahn.  anf  dessen  sagenhaften  Namensvetter 
übertragen  worden. 


Sieg  des  Haraldus;    Olo  der  Kühne.  391 

Unterdessen  starb  in  Schweden  Ingeldus  und  hinterliess 
seinen  Sohn  Ringo,  den  ihm  Haraldus'  Schwester  geboren 
hatte,  als  noch  ganz  kleinen  Knaben.  Haraldus  übergab  ihm 
die  Herrschaft  seines  Vaters  und  setzte  Vormünder  für  ihn 
ein.  Dann  verbrachte  er,  als  er  die  Provinzen  und  Fürsten 
so  unterworfen  hatte,  fünfzig  Jahre  in  Ruhe.  Um  aber 
während  dieser  Unthätigkeit  nicht  eine  Erschlaffung  des 
Mutes  seiner  Soldaten  herbeizuführen,  verordnete  er,  dass  sie 
eifrig  von  Fechtern  die  Kunst,  Schläge  auszuteilen  und  abzu- 
wehren, erlernen  sollten;  einige  von  diesen,  welche  sich  durch 
eine  ganz  besondere  Kunstfertigkeit  im  Fechten  auszeichneten, 
trafen  immer  mit  unfehlbarem  Streiche  die  Augenbrauen 
ihrer  Gegner.  Wenn  aber  einer  bei  Empfang  solch  eines 
Hiebes  etwas  ängstlich  mit  den  Wimpern  zuckte,  wurde  er  als- 
bald vom  Hofe  Verstössen  und  hatte  ausgedient^). 

Zu  derselben  Zeit  führte  den  Olo,  den  Sohn  des  Sywardus 
und  der  Schwester  des  Haraldus,  der  Wunsch  seinen  Oheim 
zu  sehen  aus  norwegischem  Gebiet  naeh  Dänemark.  Da  dieser 
bekanntlich  in  des  Haraldus  Gefolgschaft  die  erste  Stelle 
einnahm  und  nach  dem  Schwedenkönige  den  Thron  von  Däne- 
mark bestieg,  so  gehört  es  wohl  zu  unserer  Aufgabe,  das,  was  36a 
von  seinen  Thaten  überliefert  ist,  zu  erwähnen 2).  Olo  legte 
also,  als  er  sein  fünfzehntes  Jahr  beim  Vater  verbrachte, 
schon  ganz  unglaubliche  Proben  von  seinen  geistigen  und 
körperlichen  Gaben  ab.  Er  war  ferner  so  furchtbar  anzu- 
schauen, dass  das,  was  andere  mit  den  WaflFen  ausrichteten, 
er  allein  durch  seine  Augen  beim  Feinde  vollbraclite  und 
selbst  die  Tapfersten  durch  seinen  flammenden  Blick  er- 
schreckte. Als  er  die  Nachricht  erhielt,  dass  Gunno,  der 
Beherrscher    von  Thelemarchien,    mit    seinem  Sohne  Grimo 


*)  Ein  ähnliches  Gesetz  gab  es  bei  den  Jorasvikingern. 

')  Hiermit  beginnt  die  in  die  Haraldssage  eingeschaltete  Sage  von 
Ole  dem  Kühnen  (hinn  frcekni),  der  im  VIII.  B.  S.  413  nochmals  auftritt. 
Nach  Olriks  scharfsinnigen  Ausführungen  ist  dieser  Olo  derselbe,  dessen 
erste  Jugendgeschichte  am  Schlüsse  der  Fridlewussage  VI,  189  unter  den 
Namen  Olawus  erzählt  wurde.    Vgl.  Olrik  II,  68  ff.  u.  Uhland  Sehr.  VII,  265. 


392  Siebentes  Bach. 

den  Wald  Ethascoug  ^),  der  ganz  dicht  bewachsen  und  reich 
an  dunklen  Gründen  war,  mit  Räubereien  heimsuchte,  wurde 
er  von  Unwillen  über  diesen  Frevel  erfüllt;  dann  verlangte 
er  von  seinem  Vater  einen  Hund,  ein  Pferd  und  eine  brauch- 
bare Rüstung  und  verwünschte  seine  Jugend,  die  es  mit  sich 
bringe,  dass  seine  Zeit,  die  doch  zu  Heldenthaten  bestimmt 
251  sei,  ungenutzt  verstreiche.  Er  erhielt  das  Gewünschte,  durch- 
forschte den  vorgenannten  Wald  aufs  genaueste  und  bemerkte 
die  Fussspuren  eines  Mannes  ziemlich  tief  in  den  Schnee  ein- 
gedrückt. Denn  die  durch  das  Gehen  verletzte  Schneedecke 
hatte  ihm  den  Weg  des  Räubers  verraten.  Dieser  Spur  folgend 
überschritt  er  den  Kamm  eines  Berges  und  stiess  dann  auf 
einen  sehr  breiten  Strom.  Da  dieser  das  weitere  Erkennen 
der  vorigen  menschlichen  Fährten  verhinderte,  beschloss  er 
überzusetzen.  Aber  schon  die  Wassermasse  selbst,  die  in 
reissender  Strömung  die  jagenden  Wellen  dahinführte,  schien 
wegen  der  Schwierigkeit  die  Möglichkeit  eines  Ueberganges 
zu  verbieten.  Denn  das  Wasser  war  voller  verborgener 
Klippen  und  wirbelte  den  ganzen  Lauf  in  schäumenden 
Strudeln  daher.  Indessen  der  Wunsch  vorwärts  zu  kommen 
hatte  aus  Olos  Herzen  alle  Angst  vor  Gefahr  entfernt.  Sobald 
nun  einmal  die  Furcht  mannhaft  besiegt  und  die  Gefahr  kühn 
verachtet  war,  hielt  er  nichts,  was  ihm  beliebte,  für  zu 
schwierig,  und  er  durchritt  die  brausenden  Wirbel.  Als  er 
sie  glücklich  überwunden,  kam  er  an  eine  enge  Stelle,  die 
von  allen  Seiten  vollständig  von  Sümpfen  umgeben  war,  und 
das  Betreten  des  Innern  verhinderte  ein  zum  Schutz  davor 
errichteter  Damm.  Er  setzte  mit  seinem  Pferde  hinüber  und 
bemerkte  eine  Einfriedigung  mit  vielen  Ställen.  Als  er  eine 
Pferdeherde  daraus  vertrieb  und  sein  eigenes  Ross  hineinfuhren 
wollte,  wurde  er  von  einem  gewissen  Toko,  (das  war  ein 
Knecht  Gunnos)  der  sich  über  solch  eine  Unverschämtheit  des 
Fremden  ärgerte,  hitzig  angegriffen,  aber  er  machte  den  An- 
dringenden durch  das  blosse  Vorhalten  seines  Schildes  un- 
schädlich.     Da    er    es    für   schmählich    hielt,    ihn    mit    dem 


*)  Ein  Wald    an    der    Grenze    zwischen   Schweden    und   Norwegfcn; 
altnrd.  (denn  er  kommt  auch  in  andern  Berichten  vor)  EiOasko^. 


Olo  und  Grimo;   dessen  Todeslied.  393 

Schwerte  zu  töten,  ergriff  er  ihn,  zerriss  ihn  in  Stücke  und  369 
warf  sie  hinüber  in  das  Haus,  aus  dem  er  so  vorschnell  heraus- 
gekommen war.  Diese  Schande  erbitterte  heftig  Gunno  und 
Grimo,  sie  eilten  zu  verschiedenen  Thüren  heraus  und 
stürzten  sich  zu  gleicher  Zeit  auf  Olo,  ohne  auf  den  Stand 
seines  Alters  oder  seiner  Kräfte  Rücksicht  zu  nehmen.  Sie 
wurden  tödlich  von  ihm  verwundet,  und  als  ihnen  schon  die 
Kräfte  ausgingen,  sang  Grimo,  obwohl  er  bereits  in  den 
letzten  Zügen  lag,  und  ihm  fast  alle  Lebenskraft  entflohen 
war,  mit  äusserster  Anstrengung  seiner  Stimme  folgendes 
Lied : 

„Wenn  auch  unsere  Körperkraft  geschwächt  ist  und  das 
entströmende  Blut  unsere  Stärke  erschöpft,  wenn  auch  das 
Leben  aus  der  Wunde  entflieht  und  kaum  noch  in  der  zer- 
rissenen Brust  schlägt,  so  soll  dennoch,  denke  ich,  durch 
unsere  Anstrengung  die  Not  der  letzten  Stunde  durch  uner- 
schrockenes Wagen  berühmt  werden;  denn  keiner  soll  sagen, 
es  sei  je  ein  Kampf  mutiger  bestanden  oder  besser  ausge- 
fochten  worden,  und  der  wilde  Streit  soll,  solange  wir  die 
Waffen  führen,  uns  den  Lohn  ewigen  Ruhmes  erringen,  wenn  252 
unser  Leib  ermattet  im  Hügel  ruht.  Der  erste  Hieb  zer- 
malme die  Schulterblätter  unseres  Feindes,  und  das  Schwert 
schneide  ihm  beide  Hände  ab,  damit,  wenn  uns  der  stygische 
Pluto  empfängt,  auch  den  Olo  gleiches  Verderben  erwarte, 
damit  ein  gemeinschaftlicher  Tod  über  drei  Männer  herein- 
breche, und  eine  Urne  die  Asche  dreier  umschliesse." 

Soweit  Grimo.  Sein  Vater  aber  wetteiferte  mit  ihm  an 
unbezwinglichem  Mute,  und  um  die  tapferen  Worte  seines 
Sohnes  auch  mit  einer  Mahnung  seinerseits  zu  begleiten, 
begann  er  folgendermassen: 

„Obgleich  unsere  Adern  schon  aufs  äusserste  von  Blut 
leer  sind  und  nur  noch  kurzes  Leben  im  verstümmelten 
Körper  weilt,  soll  doch  die  Anstrengung  unseres  letzten 
Kampfes  so  gross  sein,  dass  sie  unsern  Ruhm  nicht  auch  kurz 
sein  lässt.  Darum  ziele  der  Speer  zuerst  nach  der  Schulter 
und  den  Armen  des  Feindes,  damit  das  Werk  seiner  Hände 
geschwächt  werde.     So   wird  uns  dreien  nach  dem  Tode  ein 


394  Siebentes  Buch. 

gemeinsames  Begräbnis  zu  teil  werden,  und  dieselbe  Urne 
wird  die  vereinte  Asche  von  uns  dreien  bergen." 

370  Nach  diesen  Worten   erhoben  sich  beide    auf  die  Kniee 

(denn  die  Nähe  des  Endes  hatte  schon  ihre  Kraft  erschupft) 
und  bemühten  sich  mit  aller  Anstrengung  noch  Mann  gegen 
Mann  mit  Olo  zu  kämpfen,  um  womöglich  noch  im  Tode 
ihrem  Feinde  das  gleiche  Geschick  zu  bereiten.  Ihr  eigenes 
Los  achteten  sie  für  nichts,  wenn  sie  nur  den,  von  dessen 
Hand  sie  fielen,  zugleich  mit  sich  ins  Verderben  hätten  ziehen 
können.  Einen  von  ihnen  tötete  Olo  mit  dem  Schwerte,  den 
andern  durch  seinen  Hund.  Aber  er  selbst  trug  auch  keinen 
unblutigen  Sieg  davon;  denn  während  er  bisher  unversehrt 
geblieben  war,  erhielt  er  jetzt  eine  Wunde  vorn  auf  der  Brust. 
Sein  Hund  aber  beleckte  sie  ihm  eifrig,  und  so  gewann  er 
seine  Körperkraft  wieder.  Dann  hängte  er,  um  die  Kunde 
von  seinem  Siege  zu  verbreiten,  die  Leichen  der  Räuber  an 
einen  Galgen,  so  dass  sie  weithin  zu  sehen  waren.  Uebrigens 
bemächtigte  er  sich  ihrer  Feste,  und  was  er  darin  an  Beute 
fand,  barg  er  in  heimlichem  Gew'ahrsam  zum  Gebrauch  für 
künftige  Zeiten. 

Zu  dieser  Zeit  ging  die  unverschämte  Zügellosigkeit  der 
Brüder  Scatus  und  Hiallus^)  soweit  in  ihrer  Frechheit, 
dass  sie  schöne  Jungfrauen  ihren  Eltern  raubten  und  schändeten. 
So  kam  es,  dass  sie  sich  auch  Esa,  die  Tochter  des  Olawus, 
des  Fürsten  der  Wermen*),  als  Beute  ausersahen  und  es  ihrem 
Vater  anheimstellten,  selbst  oder  durch  einen  andern  für  den 
Schutz  seines  Kindes  zu  sorgen,   wenn   er   nicht   wolle,    dass 

253  es  der  Lust  der  Fremden  zum  Opfer  falle.  Als  Olo  dies 
erfuhr,  freute  er  sicli,  dass  ihm  (Jelegenheit  zu  einem  Kampfe 
^el)oten  sei,  und  be^ab  si(;h  in  bäuerlicher  Kleidung  an  den 
Hof  des  Olawus.  Dort  nahm  er  seinen  Platz  unter  den  letzten, 
und  als  er  die  Familie  des  Königs  von  Trauer  erfüllt  sah, 
rief  er  absiclitlich  den  Sohn  desselben  näher  zu  sich  und 
fragte  ihn,  weshalb  denn  die  andern  so  betrübte  Gesichter 
machten.     Als  dieser  erwiderte,    die    Ehre    seiner   Schwester 


*)  AU  HjuUir  und  Siijallr  uuch  in  isliiiidLsohor  Sn^c  bekannt. 
*)  Du»  Kinwohnor  von  VViTiiiIand:  a.  V,  S.  2*}7  Anm.  4. 


Olos  Sieg;   sein  Zug  nach  Wermland.  395 

werde  in  nächster  Zeit  durch  die  wildeu  Recken  befleckt 
werden,  wenn  nicht  schnell  noch  jemand  mit  einer  Abwehr 
dazwischentrete,  forschte  er  weiter,  welche  Belohnung  der 
empfangen  sollte,  der  sein  Leben  für  die  Jungfrau  aufs  Spiel 
setze.  Olawus,  von  seinem  Sohn  darüber  befragt,  antwortete, 
er  werde  seine  Tochter  ihrem  Verteidiger  geben.  Dieses 
Wort  entflammte  in  Olo  die  Begier,  sich  dem  Kampfe  zu 
unterziehen.  Das  Mädchen  pflegte  nun  immer  nahe  an  die 
Gäste  heranzutreten  und  sie  bei  einem  vorgehaltenen  Lichte 
möglichst  genau  zu  betrachten,  damit  sie  um  so  sicherer  ihren 
Charakter  und  ihre  Kleidung  erkenne.  Sie  soll  auch  aus  371 
gewissen  Abzeichen  und  den  Gesichtszügen  die  Abkunft  der 
Gemusterten  erkundet  und  nur  durch  die  Schärfe  ihrer  Augen 
die  Beschafl^enheit  jedes  beliebigen  Blutes  unterschieden  haben*). 
Als  sie  nun  forschenden  Blickes  vor  Olo  trat,  wurde  sie  von 
dem  ungewohnten  Schrecken  seiner  Augen  überwältigt,  und 
fiel  wie  leblos  zu  Boden.  Wie  sie  aber  allmählich  wieder  zu 
Kräften  kam  und  ihr  Atem  freier  ging,  versuchte  sie  es  von 
neuem,  den  Jüngling  anzuschauen,  stürzte  aber  wieder  jäh  hin 
wie  an  Leib  und  Seele  getroffen.  Auch  als  sie  zum  dritten 
Male  ihre  geschlossenen  und  gesenkten  Augen  aufschlagen 
wollte,  versagten  ihr  nicht  nur  diese  sondern  auch  die  Füsse 
den  Dienst,  so  dass  sie  in  plötzlichem  Falle  zu  Boden  sank. 
So  sehr  kann  Schreck  und  Ueberraschung  die  Kräfte  ab- 
stumpfen. Als  Olawus  das  sah,  fragte  er,  warum  sie  so 
oft  hingefallen  sei.  Sie  gestand,  sie  sei  von  dem  furchtbaren 
Blicke  des  Fremden  so  erschreckt  worden,  und  versicherte, 
er  sei  königlicher  Abstammung;  wenn  er  die  Gelüste  der 
Räuber  abweise,  so  sei  er  ihrer  Umarmung  höchst  würdig. 
Nun  baten  alle  Olo  (denn  dieser  hatte  seinen  Hut  tief  in  die 
Stirne  gedrückt),  die  Hülle  zu  entfernen  und  ihnen  ein  Zeichen 
darzubieten,  an  dem  man  ihn  erkennen  könnte.  Da  hiess  er 
alle  ihre  Trauer  ablegen  und  ihre  Herzen  von  Schmerz  frei 
machen,  enthüllte  sein  Antlitz  und  zwang  aller  Augen  in 
begieriger  Bewunderung  seiner  ausnehmenden  Schönheit  sich 


*)  Vgl.  die  ähnliche  Szene  II,  67. 


396  Siebentes  Buch. 

auf  ihn  zu  richten;  denn  seine  Locken  \s'aren  goldblond  und 
sein  Haar  strahlend.  Seine  Augensterne  Hess  er  übrigens  von 
den  Lidern  dicht  bedeckt,  damit  sie  die  Schauenden  nicht 
erschräken.  Man  hätte  meinen  können,  dass  plötzlich  aller 
Gemüter  durch  die  Hoffnung  auf  Besserung  aufgerichtet 
wurden:  die  Gäste  tanzten,  die  Hofleute  sprangen  vor  Freuden, 
der  tiefste  Kummer  war  durch  ausgelassene  Heiterkeit  ersetzt. 

254  So  befreite  die  Hoffnung  von  der  Furcht,  das  Aussehen  des 
Gelages  war  ganz  anders  geworden  und  dem  Beginne  gar 
nicht  mehr  gleich  oder  ähnlich.  So  vertrieb  das  gütige  Ver- 
sprechen eines  einzigen  Fremdlings  die  gemeinsame  Angst 
aller.     Unterdessen  stürmten  Hiallus  und  Scatus  mit  zehn 

372  Dienern  herein,  um  die  Jungfrau  gleich  fortzuführen,  erfüllten 
alles  mit  ihrem  wüsten  Geschrei  und  forderten  den  König., 
wenn  er  seine  Tochter  nicht  sogleich  bereit  hielte,  zum 
Kampfe  heraus.  Olo  trat  ihrem  Rasen  sofort  mit  der  An- 
nahme der  Herausforderung  entgegen  und  fügte  nur  die  Be- 
dingung hinzu,  dass  keiner  den  Kämpfenden  heimlich  in  den 
Rücken  fiele,  sondern  dass  der  Streit  Angesicht  gegen  An- 
gesicht durchgeführt  werden  sollte.  Darauf  streckte  er  mit 
seinem  Schwerte,  Namens  Lögthi*),  allein  alle  zwölf  nieder 
und  vollbrachte  so  eine  That,  die  weit  über  eine  Jünglings- 
leistung hinausragte.  Uebrigens  bot  den  Ort  für  den  Kampf 
eine  mitten  in  einem  Sumpfe  gelegene  Insel,  in  deren  Nähe 
sich  eine  Stätte  befindet,  die  noch  heute  eine  Erinnerung  an 
dieses  Gefecht  bietet,  da  sie  die  Namen  der  beiden  Bruder 
Hiallus  und  Scatus  vereint  enthält^). 

Die  Jungfrau  wurde  ihm  als  Siegespreis  gegeben,  und  er 
bekam  von  ihr  einen  Sohn,  Omundus^).  Nachher  nahm  er 
von  seinem  Schwiegervater  Urlaub,  um  seinen  Vater  wieder- 
zusehen.    Sowie  er  aber  erfuhr,  dass  seine  Heimat  von  dem 


»)  S.  II,  S.  91  Anm.  2. 

•)  Müller  berichtet,  dass  in  der  Nähe  von  Glumsten  in  Halland  zwei 
Hügel  den  Namen  tumuli  fratrum  (=  Brüderhügel)  führten.  Olrik  erwähnt 
einen  Ort  Hjtelleskatta  in  Wermland. 

•)  Näheres  über  Omundus  folgt  noch  VIII,  413  ff. 


Olo  befreit  sein  Vaterland.  397 

Fürsten  Thoro  durch  Tosto  den  Opferer^)  und  Liotarus 
mit  dem  Beinamen  .  .  .*)  bekriegt  werde,  eilte  er,  nur  von  einem  373 
einzigen  Diener  in  Weiberkleidung  begleitet,  mit  ihnen  den 
Kampf  zu  beginnen.  Als  er  nicht  mehr  weit  von  Thoros 
Palast  entfernt  war,  verbarg  er  sein  und  seines  Begleiters 
Schwert  in  hohlen  Stöcken.  Sobald  er  aber  die  Königshalle 
betrat,  Hess  er  seinen  wahren  Gesichtsausdruck  unter  einem 
falschen  Scheine  verschwinden  und  benahm  sich  wie  ein  alter, 
von  seinen  Jahren  gedrückter  Mann.  Bei  Sywardus,  sagte 
er,  sei  er  König  der  Bettler^)  gewesen,  aber  jetzt  sei  er 
verbannt,  von  dem  Hasse  seines  Sohnes  Olo  allzu  heftig 
verfolgt.  Bald  begrussten  ihn  nun  die  meisten  der  Höflinge 
als  König,  Hessen  sich  aufs  Knie  nieder  und  boten  ihm  zum 
Spott  die  Hand.  Da  befahl  er  ihnen,  was  sie  im  Scherze 
gethan,  auch  wirklich  im  Ernst  auszuführen,  riss  die  Schwerter 
aus  den  Stücken,  die  sie  trugen,  und  stürzte  auf  den  König 
los.  Ein  Teil  unterstützte  nun  Olo,  indem  er  den  Scherz 
für  Ernst  nahm  und  die  zum  Spass  gelobte  Treue  nicht  ver- 
letzte. Die  meisten  aber  stellten  sich  auf  die  Seite  Thoros, 
indem  sie  ihr  inhaltloses  Gelübde  brachen.  So  entstand  nun 
ein  schwankender  Bürgerkrieg.  Endlich  wurde  Thoro  ebenso 
sehr  mit  Hilfe  seiner  eigenen  Leute  wie  durch  die  Waffen 
seines  Gastes  überwältigt,  und  Liotarus,  zu  Tode  getroffen, 
erklärte  den  siegreichen  Olo  für  ebenso  schlau  und  erfindungs- 
reich als  kühn  und  thatkräftig;  er  gab  ihm  den  Beinamen 
des  AVackeren  und  prophezeite  ihm,  er  werde  durch  dieselbe 
Art  Heimtücke,  mit  der  er  gegen  Thoro  verfahren  sei,  selbst 
faHen;  denn  zweifellos  werde  er  durch  Nachstellungen  in 
seinem  eigenen  Lande  umkommen.  Bei  diesen  Worten  verschied 
er  plötzlich.     So  sieht  man,    wie  die   letzte  Aeusserung   des  255 


*)  Wahrscheinlich  =  anrd.  Blot- Toste  (zusammengesetzt  mit  dem 
Subst.  blot  =  Opfer). 

')  Der  Beiname  ist  ausgefallen. 

')  Stephanius  erzählt,  dass  es  früher  wirklich  diese  Würde  (Staader- 
Kongo)  gegeben  habe;  vielleicht  ist  dies  aber  nur  ein  Missverständnis 
unserer  Stelle,  die  sehr  wohl  ironisch  gemeint  sein  kann;  am  Ende  des 
17.  Jhrhdts.  waren  die  Staader-Konger  Polizeibeamte. 


398  Siebentes  Bach. 

Sterbenden  den  künftigen  Tod  seines  Besiegers  scharfsinnig 
voraussagte  ^).  Nach  diesen  Thaten  begab  sich  Olo  zu  seinem 
Vater,  also  erst,  als  er  dessen  Lande  den  Frieden  bringen 
konnte.  Er  erhielt  von  ihm  die  Herrschaft  über  das  Meer 
und  erschlug  siebzig^)  Seekönige,  als  er  seine  Kräfte  mit 
ihnen  im  Kampfe  mass.  Unter  diesen  waren  Birwillus  und 
Hwirwillus^)  sowie  Thorwillus,  Nef  und  Onef,  Redwartbus. 
Randus  und  £randus  besonders  bekannt.  Durch  die  rühm- 
374  volle  Kunde  von  diesen  Thaten  begeisterte  er  die  Fechter, 
deren  ganze  Neigung  der  Tapferkeit  galt,  und  veranlasste  eine 
grosse  Schar,  mit  ihm  ein  Bündnis  zu  schliessen.  Er  gewann 
auch  Jünglinge  von  wildem  Wagemute,  die  von  leidenschaft- 
licher Ruhmbegier  entflammt  waren,  für  sich  als  Leibwache. 
Von  diesen  nahm  er  Starcatherus  mit  den  höchsten  Ehren 
auf  und  schenkte  ihm  mehr  Vertrauen  als  es  für  ihn  gut  war*). 
Mit  solchen  Kräften  gerüstet,  schreckte  er  den  Uebermut  der 
benachbarten  Könige  durch  den  Ruf  seines  Namens  so  sehr, 
dass  er  ihnen  Macht,  Lust  und  Mut  zu  gegenseitigen  Befeh- 
dungen benahm. 

Darnach  begab  er  sich  zu  Haraldus  und  wurde  auch 
von  diesem  mit  der  Herrschaft  zur  See  betraut;  endlich  wid- 
mete er  sich  dem  Dienste  Ringos.  Zu  eben  dieser  Zeit 
war  ein  gewisser  Bruno  der  einzige  Teilnehmer  und  Mit- 
wisser an  Haraldus'  Beratungen.  Diesem  pflegte  auch  Ringo. 
sobald  er  einmal  einen  recht  verschwiegenen  Boten  brauchte, 
seine  Aufträge  zu  übergeben.  Einen  solchen  Grad  von  Ver- 
trauen hatte  er  durch  die  gemeinschaftliche  Kinderzeit  und 
Erziehung  mit  ihnen  gewonnen.  Dieser  fand  nun  einst  bei 
einer  seiner  zahlreichen  und  anstrengenden  Gesandtschafts- 
reisen in   den  Wellen    eines   Flusses    seinen  Tod.     Othinus 


*)  Denn  die  Prophezeiung  ging  wirklich  in  Erfüllung;  VIII,  414. 

')  70  (oder  auch  72)  ist  eine  in  der  Volksdichtung  sehr  beliebte 
Zahl,  die  auch  in  Deutschland  und  England  ganz  üblich  ist. 

')  Diese  Namen  finden  sich  als  Byrwill,  Hwyrvill  und  Na?fill  in  dem 
Seekönigsverzeichnisse  der  Snorra  Edda  wieder.  (Skäldskpm.  75.  ed. 
Arnamagn.  I,  548). 

*)  Denn  er  wurde  später  von  ihm  ermordet;  VKI,  S.  413  4. 


Weitere  Thaten  Glos;  Zwist  zwischen  Haraldus  u.  Kingo.       399 

aber  nahm  seinen  Namen  und  seine  Gestalt  an  und  brachte 
durch  eine  hinterlistige  Botschaft  die  bisher  so  enge  Eintracht 
der  Könige  ins  AVanken.  So  gross  war  seine  Tücke  beim 
Aussäen  der  Feindschaft,  dass  er  in  den  durch  innigste 
Freundschaft  verbundenen  einen  gegenseitigen,  glühenden 
Hass  erzeugte,  der  offenbar  nur  durch  einen  Krieg  zu  be- 
friedigen war.  Zuerst  ergaben  sich  bei  ihnen  stille  Ver- 
stimmungen, bis  die  Spannung  auf  beiden  Seiten  zu  Tage 
trat  und  der  geheime  Groll  ganz  offßn  ausbrach.  So  erklärten  375 
sie  sich  denn  den  Krieg,  und  sieben  Jahre  vergingen  mit  den 
Rüstungen  zum  Kampfe.  Einige  berichten,  Haraldus  habe, 
nicht  aus  Hass  oder  Besorgnis  für  seine  Herrschaft,  sondern 
absichtlich  und  auf  Grund  eigenwilligen  Entschlusses  heimlich 
nach  Ursachen  für  seinen  Tod  gesucht.  Da  er  nämlich  wegen 
seines  Alters  und  seiner  Strenge  selbst  für  seine  Bürger  eine 
Last  war,  zog  er  das  Schwert  den  Qualen  einer  Krankheit 
vor  und  wollte  seinen  Geist  lieber  in  der  Schlacht  als  im 
Bette  aufgeben,  um  ein  Ende  zu  finden,  das  den  Thaten 
seines  vergangenen  Lebens  entspräche.  Um  nun  seinen  Tod 
um  so  rühmlicher  zu  gestalten  und  mit  möglichst  grosser 
Begleitung  in  die  Unterwelt  einzuziehen,  wünschte  er  sich 
recht  viele  Genossen  seines  Schicksals  zu  gewinnen,  und  traf  25« 
darum  willig  Vorbereitungen  für  den  Krieg,  um  Stoff  zu  dem 
künftigen  Gemetzel  zu  liefern.  Aus  diesen  Gründen  also 
wurde  er  von  solcher  Begier  nach  seinem  eigenen  Tode  wie 
nach  dem  anderer  ergriffen;  und  damit  auf  beiden  Seiten  die 
Verluste  gleich  gross  wären,  stattete  er  beide  Parteien  mit 
gleich  grossen  Truppenmengen  aus.  Ringo  aber  gab  er  eine 
etwas  stärkere  Streitmacht;  denn  er  wünschte,  dass  dieser 
ihn  als  Sieger  überlebe  ^). 

Ende  des  siebenten  Buches. 


^)  Der  Schluss  dieses  Buches  enthält  die  Einleitung  zu  der  im  Anfang 
des  folgenden  beschriebenen  gewaltigen  ßrawallaschlacht  und  giebt  zu- 
gleich deren  Gründe  und  Ursachen  an:  1.  Odins  Wille,  2.  Haralds  Entschluss 
eines  rühmlichen  Heldentodes,  nicht  des  Strohtodes,  zu  sterben. 


257-,  376  Achtes  Buch. 


Die  Geschichte  des  schwedischen  Krieges  hat  zuerst 
Starcatherus,  der  selbst  eine  Hauptstütze  in  diesem  Kampfe 
war,  in  dänischer  Rede  verbreitet,  aber  mehr  in  mündlicher  als 
in  schriftlicher  ü eberlief erung.  Er  selbst  gab  nach  heimischer 
Sitte  den  Bericht  davon  in  der  Landessprache,  ich  aber  habe 
beschlossen,  ihn  ins  Lateinische  zu  übertragen  ^)  und  will  zu- 
nächst die  hervorragendsten  Edlen  von  jeder  Partei  aufzählen. 
Denn  die  ganze  Menge  derselben  zu  betrachten,  habe  ich 
keine  Lust,  da  sie  sich  nicht  einmal  der  Zahl  nach  genau 
feststellen  lässt.  Und  zuerst  soll  nun  mein  Griffel  von  denen, 
377  die  auf  des  Haraldus  Seite  standen,  berichten,  dann  von 
denen,  die  unter  Ringo  dienten. 

Unter  den  Heerführern,  die  sieh  zu  Haraldus  gesellten, 
werden  als  die  berühmtesten  genannt  Swen,  Sambar,  Ambar  und 


*)  Thatsache  ist  an  diesem  Berichte,  dass  Saxo  aus  einem  oder 
mehreren  skandinavischen  Gedichten  geschöpft  hat,  was  vor  allem  die 
Allitteration  in  der  gleichfolgenden  Aufzählung  der  Namen  beweist.  Diese 
ist  so -streng  durchgeführt,  dass  es  Müller  in  den  Not.  über.  (II,  220  ff.) 
versucht  hat,  nach  Saxos  Angaben  die  altnordischen  Verse  wieder  herzu- 
stellen. Die  Schlacht  wird  Brawallaschiacht  genannt,  weil  sie  auf  den 
(lefilden  von  Brawalla  (anrd.  BravoUir,  jetzt  Br&valle  am  Bravik,  einem 
3Ieerbusen  in  Ostgötland)  statt  fand.  Wohl  sicher  liegt  ihr  ein  historisches 
Ereignis  zu  Grunde.  Dass  Starkadr  die  erste  Beschreibung  davon  geliefert, 
ist  natürlich  Sage.  Eine  Zusammenstellung  der  Erwähnungen  dieser 
Schlacht  in  der  anrd.  Litteratur  giebt  das  Corpus  Poeticum  Boreale  I» 
353  ff.;  die  wichtigsten  Denkmäler  dafür  sind  die  schon  erwähnten  Sögubrot 
und  die  StarkadarkviOa  in  der  (Tautrekssaga  (Fornald.  Sog.  III,  16  ff.). 
Vgl.  Uhland  Sehr.  Vll,  236  u.  Olrik  U,  90  ff 


Die  Helden  des  Haraldus  in  der  Brawallaschlacht.  401 

Elli,    Rati   von  Funen,   Salgarthus  und  Roe,  der  von  seinem 
langen  Barte   einen  Beinamen  bekam  ^).    An   diese  schlössen 
sich  Skale  von  Schonen  *)  und  Alf  der  Sohn  des  Aggi ,   dann 
Olwir  der  Breite  und  Gnepia  der  Alte.    Dann  folgen  Gardh, 
der  Grunder  der  Stadt  Stang'),  und  ferner  als  Angehörige*) 
des  Haraldus  Blend ,    ein  Bewohner    des  äussersten  Thule  *), 
und  Brand  mit  dem  Beinamen  Brotkrume "),   ferner  Thorny 
mit    Tborwingus,    Tatar    und  Hialto.      Diese    fuhren   nun  in  378 
trefflicher  Kriegsrustung  mit  der  Flotte  nach  Lethra''),  und 
sie  zeichneten  sich  auch  durch  mannhafte  Gesinnung  aus,  so 
dass  sie   mit  den  Proben  ihres  Mutes  ihrem  vornehmen  Ge- 
schlechte Ehre  machten.     Denn   sie  verstanden   es  aufs  ge- 
schickteste  mit  dem   Bogen  oder   der   Schleudermaschine  zu 
schiessen,   Mann  gegen  Mann  gegen  den  Feind  zu  kämpfen 
(wie  es  meistens   der  Fall  war)  und  Lieder  in  ihrer  Mutter- 
sprache zu   dichten.     So  sehr   hatten  sie   Geist  und  Körper 
zugleich  durch  angestrengte  Uebung  ausgebildet»     Aus  l^ethra  258 
kamen  noch    Hortar  und  Borrhy,  ferner  Belgi  und  Begathus 
Bari  und  Toli.    Aus  der  Stadt  Sie  ^  aber  war  nebst  Hako  mit 
der     gespaltenen    Wange     noch     unter     der    Führung     der 
Hetha  und  Wisna  Tummi  der  Segelmacher  gekommen.     Den 
weiblichen  Körper  dieser    hatte    die  Natur  mit    männlichem 
Mute    ausgerüstet.      Der   Webiorga,    welche    von    demselben 
Geiste  beseelt  war,   folgten  noch  Bo,  des  Bramus  Sohn,  und 


*)  Wahrscheinlich  siQskeggr  =  Orossbart. 

»)  Kam  schon  V,  8.  257  u.  264  vor. 

■)  Wohl  Stängby  in  Schonen ;  etwas  weiter  unten  (S.  409)  hoisst  der 
(t runder  (rarthar. 

*)  Das  lateinische  necessarii  ist  nach  Müller  =  anrd.  skyldir  und 
bezeichnet  daher  nicht  bloss  Verwandte,  sondern  in  weiterem  Sinne  (Ge- 
folgsleute. 

*)  =  Island;  vgl.  S.  5  Anm.  2.  Alle  isländischen  Namen  sind  in  dem 
Bericht  als  spätere  Interpolation  zu  betrachten,  da  Island  zur  Zeit,  da  die 
Schlacht  anzusetzen  ist  (nach  Müller  das  8.  Jhrhdt.)  noch  gar  nicht  ent- 
deckt war.     Erst  seit  874  wurde  es  von  Norwegen  aus  besiedelt. 

•)  Lat.  Mice  d.  i.  mica  panis;  dem  entspräche  (nach  Müller)  nrd. 
Hitlingr. 

')  Vgl.  II,  U  Anm.  2. 

*)  =  Schleswig. 
Saxo  Gramniaticut.  26 


402  Achtes  Buch. 

Brat  der  Jute  aus  Kriegslust.  Zu  diesen  gesellen  sich  noch 
Orm  aus  Amglien^),  übbo  der  Friese^),  Ary,  der  auf  ein 
Auge   blind   war,  Alf  und  Goter,   ferner  Dal  der  Dicke  and 

379  der  Slavc  Duc.  Die  Wisna  aber,  eine  Frau  von  starrer 
Sinnesart  und  höchst  erfahren  im  Kriegswesen/  umgab  eine 
Schar  von  Slaven.  Unter  diesen  sind  besonders  die  Trabanten 
Barri  und  Gnizli  t\x  nennen.  Die  übrigen  aber  aus  derselben 
Truppe  «ohirmten  ihren  Körper  durch  kleine  Schilde,  be- 
dienten sich  sehr  langer  Schwerter  und  erzfarbener  Tartschen, 
welche  sie  zu  Kriegszeiten  entweder  auf  den  Rücken  zurück- 
warfen ^er  den  Gepäckträgern  übergaben.  Sie  legten  dann 
jede  Schutzwaffe  von  ihrer  Brust  ab,  gaben  den  Körper  jeder 
Gefahr  preis  und  eilten  mit  gezückten  Schwertern  in  den 
Kampf;  von  diesen  zeichneten  sich  besonders  Tolcar  and 
Ymi  aus.  Ferner  ist  noch  Toki  aus  der  Provinz  Wollin  ^) 
und  Otritus  mit  dem  Beinamen  der  Junge  rühmlich  bekannt. 
Auch  Hetha,  von  den  geübtesten  Gefährten  umgeben,  brachte 
eine  kriegsgerüstete  Schar  mit.  Die  ersten  daraus  waren 
Grimar  und  Grenzli;  ausserdem  werden  noch  Ger  von  Livland. 
Hama*)  und  Hunger,  Humbli  und  Biari  als  die  Tapfersten 
der  Fürsten  erwähnt.  Diese  kämpften  oft  sehr  glücklich  und 
gewannen  weit  und  breit  berühmte  Siege.  Die  genannten 
Jungfrauen  waren  nun  nicht  bloss  anmutig,  sondern  auch 
kriegsmässig  gekleidet  und  führten  die  Landtruppen  in  die 
Schlacht.  So  strömte  Schar  für  Schar  des  dänischen  Heeres 
zusammen.  Sieben  Könige,  von  gleichen  Anlagen  aber  von 
verschiedener  Gesinnung  gewährten  ihre  Unterstützung  teils 
llaraldus,  teils  Ringo.  Ausserdem  waren  noch  auf  die  Seite 
des  Haraldus  getreten:   Hömi  und  HösathuP),  Hastinus  und 

380    Hvthin   der  Schlanke,    wie   auch  Dahar  mit  dem   Beinamen 


')  Vgl.  VII,  390. 
*)  Vgl.  VII.  390. 

')  D.  i.  die  vorpommcrische  Insel;  denn  die  Besserung  provincift 
•Julinensis  aus  dem  unverstämllichen  pr.  Jumensis  dürfte  richtig  sein. 

*)  Vgl.  VI,  130  ff. 

*)  Es  ist  zweifelhaft,  ob  der  Name  so  lautet ;  die  ed.  priuc.  hat  H^sa 
Thulhim. 


Die  Helden  des  Haraldus.  403 

Grenski^)  und  Haraldus,  der  Sohn  des  Olawus.  Aus  der 
Provinz  Aaland^)  dienten  Har  und  Herlewar  samt  Hothbroddus, 
der  den  Beinamen  der  Zügellose  führte,  im  dänischen  Lager. 
Aus  dem  Imischen  Gebiet^)  kamen  Humnehy  und  Haraldus. 
Ihnen  schlössen  sich  an,  vom  Norden  kommend,  Haki  und 
Bemos  Söhne*),  Sygmundus  und  Serker.  Die  Gefolgschaft 
aller  dieser  lohnte  der  König  mit  freigebiger  Freundlichkeit. 
Denn  sie  wurden  bei  ihm  selbst  in  höchsten  Ehren  gehalten 
und  empfingen  goldbeschlagene  Schwerter  und  die  besten 
Beutestücken  aus  den  Kriegen^).  Auch  die  Söhne  Gandals  259 
des  Greisen  waren  erschienen,  welche  alte  Bekanntschaft  zu 
Freunden  des  Haraldus  gemacht  hatte.  Das  von  der 
dänischen  Flotte  bedeckte  Meer  schien  nun  Seeland  und 
Schonen  gleichwie  durch  eine  Brücke  miteinander  zu  ver- 
binden. Wer  nämlich  diese  Provinzen  besuchen  wollte,  dem 
gewährte  die  gedrängte  Masse  der  Schilfe  den  kürzesten 
Weg  zu  Fuss.  Um  sich  aber  nicht  ohne  AVissen  der  Schweden 
zum  Kriege  gegen  sie  zu  rüsten,  sandte  Haraldus  Boten, 
welche  offen  Kingo  die  Kriegserklärung  überbringen  und  das 
Ende  des  bisherigen  Friedens  verkündigen  sollten.  Sie  er- 
hielten zugleich  den  Auftrag,  den  Ort  für  die  Schlacht  zu 
bestimmen.  Die  von  mir  genannten  waren  nun  also  die 
Krieger  des  Haraldus. 

Auf  der  Seite   R Ingos  zählte  man   Ulf,  Aggi,  AViudar, 
Eyil  den  Einäugigen,  Gotar,  Hildi,  Guti,  Alfs  Sohn,  Stur  den  ssi 
Starken,    Sten,    einen  Anwohner  des  Wienischen  Sumpfes^), 
ferner    Gerth     den    Kühnen,    und    Gromer    aus    AVermland. 
Ausserdem    sind    noch    zu    nennen    die    Grenznachbarn    von 


^)  D.  h.  aus  Grenland  in  Norwegen. 

*)  Lat.  Ualica  provincia  (so  Holder  nach  Pedersen);  das  wäre  die 
norwegische  Provinz  Aland.  Die  cd.  pr.  hat  Uatica  provincia,  was  Müller 
als  Hadaland  in  Norwegen  erklärt. 

•)  Nach  Holder  die  Umea  Lappmark. 

*)  Vgl.  VI,  2t)5;6. 

•)  Aehnlich  wurde  König  Hrolf  im  II.  Buche  geschildert. 

•)  Lat.  Wienica  palus ;   vielleicht    der  Wenernsee  (nach  Schousbolle). 

2ii* 


404  Achtes  Buch. 

Nordalbingien,  Saxo,  Fletir  ^)  und  Sali,  Gothas^),  Thord  der 
Nickende,  Throndar  mit  der  grossen  Nase,  Grundi,  Otbi, 
Grinder,  Towi,  Coli,  Byarchi,  Hogni  der  Sinnreiche,  Rokar  der 
Schwarze.  Diese  hatten  sich  nämlich,  da  sie  die  Gemein- 
schaft mit  der  Menge  verschmähten,  von  der  Schar  der  übrigen 
zu  einem  einzigen  Trupp  abgesondert.  Ferner  wären  noch 
Rani,  der  Sohn  Hylds,  Lyuth  Guthi,  Sweno  mit  dem  ge- 
schorenen Haar  [Soknarsoti]^),  Rethyr  der  Falk  und  Rolf  der 
Weiberfreund  zu  nennen.  Zu  ihnen  kommen  noch  Ring,  der 
Sohn  Athylas,  und  Haraldus  aus  dem  Dorfe  Thothni*),  sowie 
382  Walsten  aus  Wik,  Thorulf  der  Dicke,  Thengil  der  Lange. 
Hun,  Solwe,  Birwil  der  Bleiche  ^^,  Burgar  und  Scumbar. 
Auch  aus  Thelemarchien  waren  die  Tapfersten  gekommen, 
die  den  grössten  Mut,  aber  die  wenigste  Einbildung  besassen, 
Thorlewar  der  Hartnäckige,  Thorkill  der  Götländer,  und  der 
unbillige  und  nach  Raubzügen  gierige  Gretir.  Ihnen  folgen 
Haddir  der  Harte  und  Roldar  Zehenspitze.  Aus  Norwegen 
sind  dann  zu  nennen  Thronder  Thrönski  ®),  Thoki  aus  Möre"\ 
Rafn  der  AVeisse,  Hafwar,  Biarni,  Blihar  mit  dem  Beinamen 
der  Plattnasige,  Biorn  aus  dem  Dorfe  Soghni  ^),  Findar,  der 
am  Meerbusen  geboren  ist,  Bersi  aus  der  Stadt  Falir'),  Sy- 
wardus  Eberkopf,  Ericus  der  Erzähler^®),  Holmsten,  Hwiti, 
Ruthar,  Rawi  und  Erlingar  mit  dem  Beinamen  Schlange. 
Aus    der    Provinz    Jathrien^^)   kamen  Od^^)  der  Angle,    Alf 


^)  Fletir  ist  hier  Appeliativmn,  sodass  es  hcisst  Saxo  der  Splitterer. 
In  Ueimskringla  I,  72  (od.  F.  .lonsson)  findet  sich  ein  Saxi  flettir. 

')  Vielleicht  ist  auch  dies  Appellativum,  also  ^=  Sali  der  (xötländer). 

*)  V^on  Müller  aus  metrischen  (tründen  aus  den  SJigubrot  eingeschoben. 

*)  I).  i.  Toten  am  MjfJsen-See,  nördlich  von  Kristiania. 

*)  Wahrscheinlich  der  schon  VII,  398  genannte. 

")  I).  h.  aus  Throndhjem  (Drontheim). 

'')  Lat.  Müricus;  vielleicht  ist  dies  das  Adjektiv  zu  Moringia;  vgl. 
unten  S.  444  Anm.  1. 

*)  D.  i.  die  Provinz  Sogn  in  Xorwej»^en. 

•)  Oder  Fulu,  d.  i.  die   Provinz  Fjalir  oder  Fjalafylke  in  Norwegen. 

***)  Lat.  fabulator;  das  ist  \v<)hl  richtige  Besserung  für  fibulator  der 
ed.  princ.     Vgl.  die  ni)rdische  Hezeichnung  Sözu-Eirikr. 

^»)  Vgl.  S.  373  mit  Anm.   1. 

**)  Wahrscheinlich  ist  der  b(>kanntc  Sagenhcld  Orvarodd  gemeint^ 
der  schon  V,  Ö.  2t>6  vorkam. 


Die  Helden  des  Kingo.  405 

der  Vielgereiste,  Eoar  der  Dickbauch,  und  Ywarus  mit  dem 
Beinamen  Thruwar.  Aus  Thule  erschien  Mar  der  Rote,  ge- 
boren und  erzogen  in  dem  Orte  Mithfirthi^),  Grombar  der 
Bejahrte,  Gram  Brundelucus,  Grim  aus  der  Stadt  Skierum^),  260 
der  aus  der  Provinz  Scaha-Fyrthi^)  stammte.  Dann  bemerkte 
man  auch  den  Sänger  Berhgar  mit  seinen  Begleitern  Brahi 
und  Rankil.  Von  den  Schweden  waren  die  tapfersten  folgende; 
Arwacki,  Keclu,  Karll,  Croc  der  Bauer*),  Guthfast  und  Gummi 
aus  Gyslamarchien.  Diese  waren  Abkömmlinge  des  Gottes  384 
Frö  ^)  und  treue  Diener  der  Götter.  Auch  Ingi  und  Oly, 
Alwer  und  Folki,  die  Söhne  des  Elricus,  widmeten  sich  dem 
Dienste  Ringos,  Männer  von  kühner  Faust,  Einsicht  im  Rate, 
und  mit  Ringo  durch  Verwandtschaft  eng  verbunden.  Auch 
sie  führten  den  Ursprung  ihres  Geschlechts  auf  Frö  zurück. 
Unter  ihnen  befand  sich  auch  noch  Simundus  aus  der  Stadt 
Sigtun*),  eine  Art  Fechternotar'),  der  sich  mit  der  Aus- 
fertigung von  Kauf-  und  Verkaufsverträgen  befasste.  An 
ihn  schloss  sich  noch  Frosty  mit  dem  Beinamen  Krüglein  ^) 
und  Alf  der  Stolze  aus  dem  Bezirke  Upsala.  Dieser  war 
ein  gewandter  Speerschütze    und  pflegte    immer   im   Kampfe  385 


*)  Nach  Müller  der  Midijord  im  nördlichen  Island,  nach  Holder 
„Midfiord  in  Sandeherred  bei  Töosberg**. 

*)  I).  i.  Skier  in  Thelemarken. 

•)  Xach  Holder  die  Provinz  Skongen  an  der  Grenze  von  Thelemarken, 
richtiger  nach  Müller  der  Skagafjord  im  nördlichen  Island. 

*)  Die  Sögubrot  haben  Krokarr  af  Akri ;  darnach  hat  also  Saxo  miss- 
vcrständlich  aus  dem  Ortsnamen  ein  adjektivisches  Beiwort  (agrestis)  ge- 
macht. 

*)  Vgl.  1,  46  Anm.  1 ;  gemeint  ist  das  Ynglingengeschlecht. 

•)  D.  i-  Forn-  (^=  Alt)  Sigtun  bei  Sigtun  in  der  Nähe  von  Stockholm. 

')  Forensis  quidam  athleta;  das  ist  nur  ein  ^lissverständuis  Saxos. 
Die  Sögubrot  haben  hier  (Forn.  Sog.  I,  381)  pessir  vom  ofan  af  Sigtünum : 
Sigmundr  kaupängskappi  .  .  .  d.  h.  Folgende  waren  aus  S. :  S.,  ein  Kämpe 
der  Handelsstadt  .  .  .  Das  Beiwort  bezeichnet  also  nur  die  Herkunft.  Das 
Älissverständniss  verursachte  auch  noch  den  folgenden,  zur  Erklärung 
dienenden  Satz. 

*)  Auch  dieser  seltsame  Beiname  (crucibulum)  beruht  wohl  auf  einem 
allerdings  für  uns  nicht  mehr  erkennbaren  Uebersetzungsfehler  Saxos. 
Die  SiJgubrot  haben  hier  Tolutrosti. 


406  Achtes  Buch. 

voran  zu  gehen.  Olos  Begleitung  bildeten  sieben  Könige, 
sehr  gewandt  in  Rat  und  That,  nämlich  Holfy  und  Hendill, 
Holmar,  Lewy  und  Hama;  dazu  kommt  noch  der  Rutbene 
Regnaldus,  der  Enkel  des  Rathbarthus,  und  ausserdem  durch- 
furchte Sywaldus  mit  elf  Schiffen  das  Meer.  Lesy,  der 
Sieger  über  die  Pannonier,  stattete  sein  goldbeschlageues 
Fahrzeug  auch  mit  Segeln  aus  Goldstoff  aus.  Thririkar  aber 
fuhr  auf  einem  Schiffe,  dessen  Enden  wie  Drachen  gewunden 
waren.  Thrygir  und  Torwil  kamen  gesondert  und  brachten  je 
zwölf  Schiffe  mit.  Es  befanden  sich  übrigens  in  der  Flotte 
Ringes  im  ganzen  2500  Fahrzeuge.  Die  Götländische  Flotte 
aber  wartete  in   dem  Hafen  Garnum^)  auf  die  schwedische. 

386  Ringo  führte  das  Landheer,  Olo  aber  erhielt  den  Ober- 
befehl über  die  Seemacht.  Den  Gotländern  wurde  nun  ein 
Zeitpunkt  und  ein  Ort  zwischen  Wik  und  Werundien^)  zur 
Begegnung  mit  den  Schweden  angewiesen.  Damals  konnte 
man  nun  weithin  das  Meer  von  den  Kielen  durchschnitten 
sehen,  und  die  an  den  Masten  aufgespannten  Segel  ver- 
hinderten den  Ausblick  über  den  Ozean.  Die  schwedische 
Flotte  erreichte  bei  günstiger  Fahrt  schon  eher  den  Kampf- 
platz, während  die  Dänen  von  widrigen  Winden  zu  leiden 
hatten.  Ringo  schiffte  nun  hier  seine  Truppen  aus  und 
schickte  sich  zugleich  an,  die  Soldaten,  die  er  selbst  zu  Lande 
hergeführt  hatte,  abteilungsweise  in  die  Schlachtordnung  ein- 
zuordnen. Wie  sie  ziemlich  locker  aufgestellt  waren,  ergab 
sich,  dass  sich  der  eine  Flügel  bis  nach  Werundien  hinzog. 
Aber  der  König  umritt  diese  verworrene,  ungeordnete  Menge 
und  stellte  ins  Vordertreffen  die  Tapfersten  und  am  besten 
Bewaffneten  unter  Führung  des  Olo,  Regnaldus  und  Wiwillus. 
Dann  drängte    er    die  übrige    Masse    durch    eine  eigenartige 

261  Wendung  auf  zwei  Flügel  zusammen.  Den  rechten  unter- 
stellte er  dem  Befehl  des  Ungo,  der  Söhne  des  Elricus  und 
des  Trigo,  den  linken  führte  Leso;  im  übrigen  setzten  sich 
die  Geschwader   und  Einzelabteilungen   meist   aus   dicht   ge- 


*)  =  Oarnshamn  auf  der  Insel  (»ottland  (nach  Holder). 
«)  S.  S.  9  Anm.  2  u.  \\  S.  258  mit  An  m.  2. 


Beginn  der  Brawallaschlacht.  407 

drängten  Scharen  von  Kut-  und  Estländem  zusammen*.     Zu- 
letzt stand  die  Reihe  der  Schleuderer. 

Unterdessen  legte  sich  die  Ungunst  der  Winde,  und  die 
dänische  Flotte  erreichte  nach  ununterbrochener  siebentägiger 
Fahrt  die  Stadt  Calmarna^).  Da  konnte  man  sich  Aber  das 
weithin  von  windgeblähter  Leinwand  bedeckte  Meer  wundem, 
und  die  an  -  den  Raaen  ausgespannten  Segel  entzogen  den 
Himmel  den  Blicken.  Denn  Slaven,  Livländer  und  7000 
Sachsen  hatten  die  Flotte  noch  verstärkt.  Denen  aber,  die 
zu  Lande  marschierten,  wurden  ortskundige  Schonier  als 
Führer  und  Wegweiser  zugeteilt.  Als  nun  das  dänische 
Heer  über  die  wartenden  Schweden  hereinbrach,  hiess  Ringo 
die  Seinigen  sich  solange,  bis  Haraldus  die  Sehlachtreihe 
aufgestellt  hätte,  geduldig  ruhig  halten  und  gebot,  nicht  eher  ^7 
das  Zeichen  zum  Angriff  zu  geben,  als  bis  man  den  König 
bei  den  Adlern  auf  seinem  Wagen  sähe;  er  sagte,  er  hoffe, 
ein  Heer  könne  leicht  ins  Wanken  kommen,  das  sich  auf 
die  Führung  eines  Blinden  verlasse.  Ferner  sei  Haraldus 
noch  in  der  letzten  Zeit  seines  Lebens  von  der  Gier  nach 
fremder  Herrschaft  ergriffen  worden,  und  er  werde  eben 
so  sehr  seinen  Verstand  verlieren,  wie  er  sein  Augen- 
licht verloren  habe.  Keine  Macht  könne  einen  Mann  be- 
friedigen, der,  wenn  er  seine  Jahre  in  Betracht  zöge,  sich 
eigentlich  mit  seinem  Grabe  zufrieden  geben  müsste.  Den 
Schweden  sei  also  die  Notwendigkeit  aufgedrungen,  für  die 
Freiheit  ihres  Vaterlandes  und  ihrer  Kinder  zu  kämpfen, 
während  der  Feind  in  frechem  Üebermute  den  Krieg  unter- 
nommen habe.  Uebrigens  ständen  auf  der  Gegenseite  nur 
wenig  Dänen;  die  Mehrzahl  der  Truppen  seien  Sachsen  und 
andere  weibische  Völkerstämme.  Schweden  und  Norweger 
müssten  immer  daran  denken,  um  wieviel  stets  die  nordische 
Schar  die  Germanen  und  Slaven  übertroffen  haben.  Man 
müsse  also  ein  Heer  verachten,  das  offenbar  mehr  aus  einer 
zufällig  zusammengeströmten  Menschenmasse  als  aus  zu- 
verlässigen Kerntruppen  zusammengesetzt  sei.  —  Durch  diese 


*)  D.  i.  die  heutige  Stadt  Kalmar  in  Götland. 


408  Achtes  Buch. 

Rede  entflammte  er  nicht  wenig  den  Mut  seiner  Soldaten. 
Bruno^)  aber,  der  den  Auftrag  hatte,  an  Haraldus'  Stelle 
die  Schlachtordnung  zu  entwerfen,  bildete  die  Spitze  in  Keü- 
form,  stellte  Hetha  auf  den  rechten  Flügel,  übergab  Hako 
den  Befehl  über  den  linken  und  bestimmte  Wisna  als  Banner- 
trägerin. Haraldus  erhob  sich  nun  in  seinem  Wagen  und 
beklagte  sich  mit  so  lauter  Stimme  als  er  konnte,  darüber, 
dass  Ringo  seine  Wohlthaten  mit  Ungerechtigkeiten  lohne. 
Von  diesem  Manne  werde  er  angegriffen,  obgleich  er  doeb 
seine  Herrschaft  nur  durch  seine  Gnade  erhalten  habe^).  So 
habe  Ringo  weder  mit  dem  Greise  Mitleid  noch  schone  er 
den  Oheim,  sondern  er  stelle  seine  eigenen  Leidenschaften 
allen  Rücksichten  der  Verwandtschaft  und  Dankbarkeit  vor- 
an. Er  hiess  auch  die  Dänen  daran  denken,  wie  sie  immer 
ruhmvoll  fremde  Völker  besiegt  hätten  und  ja  vielmehr  ihren 

«62  Nachbarn  zu  gebieten  als  zu  gehorchen  pflegten.  Er  ermahnte 
sie  auch,  sie  sollten  die  Ehre  solchen  Ruhmes  nicht  durch 
die  Frechheit  eines  unterworfenen  Volkes  ins  Wanken  bringen 
lassen  und  nicht  zugeben,  dass  man  ihm  die  Herrschaft,  die 
sie  ihm  in  der  Blüte  seiner  Jugend  gewonnen,  am  Ende 
seines  Lebens  entreisse. 

388  Darauf  ertönten  die  Hörner   und  der  Kampf  wurde  auf 

beiden  Seiten  mit  der  grössten  Heftigkeit  begonnen.  Man 
hätte  glauben  können,  der  Himmel  sei  plötzlich  auf  die  Erde 
niedergestürzt,  Wälder  und  Felder  seien  versunken,  alles  sei 
durcheinander  geworfen,  das  Chaos  des  Altertums  sei  wieder- 
gekehrt, Himmlisches  und  Irdisches  vermische  sich  in  ge* 
waltigem  Aufruhr,  alles  gehe  zu  gleicher  Zeit  dem  Unter- 
gänge entgegen^).  Denn  sobald  man  zum  Schiessen  kam, 
erfüllte  ein  unerträglicher  Waffenlärm  alles  mit  unglaublichem 


*)  D.  i.  der  schon  VII,  398  erwähnte  Vertraute  Haralds;  da  dort 
schon  desaen  Tod  erzählt  wurde,  ist  anzunehmen,  dass  Odin  selbst,  wie 
es  später  auch  klar  hervortritt,  sich  in  seiner  Gestalt  barg.  Harald  wusste 
ja  nichts  von  dem  Tode  seines  Freundes. 

*)  Vgl.  VII.  391. 

*)  Man  vgl.  mit  dieser  pathetischen  Schilderung  die  des  Weltunter- 
gangs in   „der  Seherin  Weissagung**  Str.  46  ff.  (Gerings  Edda  S.  12  ff.). 


Die  Brawallaschlacht.  409 

Getöse.  Der  Dampf  der  AVunden  umhüllte  d^n  Himmel  mit 
einem  plötzlichen  Nebel,  der  helle  Tag  wurde  durch  den 
Hagel  der  Geschosse  verdunkelt.  Auch  die  Beihilfe  der 
Schleuderer  war  in  dem  Kampfe  viel  wert.  Sobald  aber  die 
Geschosse  den  Händen  oder  Geschützen  enteilt  waren,  kämpfte 
man  im  Handgemenge  mit  Schwertern  und  eisenbeschlagenen 
Keulen.  Da  floss  das  meiste  Blut.  Da  begann  der  Schweiss 
von  den  Körpern  der  Ermüdeten  zu  rinnen,  und  das  Klirren 
der  Schwerter  wurde  weit  in  der  Ferne  gehört.  Starca- 
therus,  der  zuerst  den  Verlauf  des  Streites  in  der  Mutter- 
sprache erzählt  hat,  kämpfte  in  den  vordersten  Reihen,  und 
er  berichtet,  wie  er  die  Edlen  des  Haraldus  Hun  und  Elli, 
Hort  und  Burgha  erschlagen  und  Wisna  die  rechte  Hand 
abgehauen  habe.  Ausserdem  erzählt  er,  dass  auch  ein  ge- 
wisser Roa  mit  zwei  andern,  Gnepia  und  (Jarthar,  im  Kampfe 
von  ihm  verwundet  gefallen  seien.  Diesen  gesellte  er  noch 
des  Scalcus  Vater  hinzu,  ohne  seinen  Namen  zu  nennen.  Er 
bezeugt  auch,  dass  er  den  tapfersten  der  Dänen,  Hako,  zur 
Erde  geworfen  habe;  er  habe  dafür  aber  selbst  eine  so 
schwere  Wunde  erhalten,  dass  seine  Lunge  zur  Brust  her- 
ausliing,  sein  Schädel  bis  zur  Mitte  gespalten  und  seine 
Hand  um  einen  Finger  verstümmelt  war.  So  musste  er  den 
Kampfplatz  verlassen,  und  lange  schien  die  klaffende  Wunde 
weder  vernarben  noch  heilen  zu  können.  Nach  seinem  Be- 
richte streckte  auch  die  Jungfrau  W^egthbiorg  im  Kampfe  389 
gegen  den  Feind  den  Kämpen  Soth  ^)  im  Gefechte  nieder. 
Während  sie  aber  noch  auf  das  Verderben  der  Recken  sann, 
durchbohrte  sie  Thorkillus  aus  Thelemarchien  mit  einem 
Pfeile,  den  er  von  der  Sehne  schnellte.  Die  treffkundigen 
Götländer  nämlich  spannten  ihre  Bogen  mit  solcher  Kraft, 
dass  sie  selbst  die  Schilde  mit  ihren  Geschossen  durch- 
bolirten.  Nichts  wurde  eine  verhängnisvollere  Ursache  für 
das  Verderben.  Die  Pfeilspitzen  durchdrangen  Panzer  und 
Helme,  als  ob  der  Körper  ungeschirmt  wäre.  Unterdessen 
tötete  der  Friese  Ubbo,  der  wackerste  Krieger   des  Haraldus 


M  Das   ist    wahrscheinlich  der  oben  8.  404  (von  Müller)  Soknaraoti 
genannte  Held. 


410  Achtes  Buch. 

und  vor  den  andern  durch  seine  Körpergrösse  aus- 
gezeichnet, ausser  elf  Mann,  die  er  in  Reih  und  Glied  ver- 
wundete, noch  fünfundzwanzig  von  den  auserlesenen  Fechtern. 
Alle  diese  waren  schwedischer  oder  götländischer  Abkunft. 
Dann  griff  er  die  vorderste  Reihe  an,  sprang  in  die  dichtesten 

268  Scharen  der  Feinde  und  verjagte  die  furchtbebenden 
Schweden  allenthalben  mit  Lanze  und  Schwert.  Fast  war 
schon  alles  zur  Flucht  gewandt,  als  Hagder,  Rolder  und 
Gretir,  eifersüchtig  auf  seine  Tapferkeit,  den  Helden  an- 
griffen und  das  Verderben  des  Staates  durch  ihre  eigene 
Gefahr  abzuwenden  beschlossen.  Da  sie  sich  scheuten,  ihm 
aus  der  Nähe  zuzusetzen,  begnügten  sie  sich  damit,  von 
weitem  auf  ihn  zu  schiessen.  So  erlag  Ubbo  der  Menge  der 
Geschosse  aus  der  Ferne,  da  keiner  wagte,  mit  ihm  selber 
handgemein  zu  werden.  Hundertvierundvierzig  Spitzen  durch- 
bohrten den  Kämpfenden,  ehe  ihn  seine-  Kräfte  verliessen 
und  er  zu  Boden  in  die  Kniee  sank.  Da  nun  erlitten  die 
Dänen  durch  die  Thronder  und  die  Bewohner  der  Provinz 
Dala^)  eine  gewaltige  Niederlage.  Denn  der  Kampf  ent- 
brannte von  neuem  infolge  der  gewaltigen  Masse  der  Pfeil- 
sehützen,  und  kein  Umstand  war  für  die  Unsrigen  verderb- 
licher als  dieser. 

Als  aber  Harald us,  da  er  ja  bereits  vor  Alter  er- 
blindet war,  das  traurige  Gemurmel  der  Seinigen  hörte,  er- 
kannte er,  dass  dem  Feinde  ein  besseres  Glück  gelächelt  habe. 
Er  gebot  nun,  so  wie  er  war,  in  seinem  Sichelwagen  *),  dem 

390  Bruno,  der  voller  Heimtücke  das  Amt  des  Lenkers  aus- 
übte, nachzusehen,  welche  Art  und  Weise  Ringo  bei  der 
Aufstellung  und  Einteilung  seines  Heeres  angewendet  habe. 
Dieser  verzog  seine  Miene  ein  wenig  zu  einem  [fächeln  und 
antwortete,  jener  habe  in  keilförmiger  Schlachtordnung  ge- 
kämpft. Bei  diesen  Worten  begann  der  König  unruhig  zu 
werden  und  in  höchstem  Erstaunen  zu  fragen,  von  wem  wohl 


^)  Nach  Holder  (hidbrandsdalen  in  Norwegen. 

')  Andere  nordische  (^nellen  kennen  diese  Art  Streitwagen  nicht: 
der  currus  fiilcatus  wird  wohl  also  aus  klassischer  Ueberlieferung  von 
8axo  eigenmächtig  eingeführt  sein. 


Niederlage  und  Tod  des  Haraldus.  411 

Ringo  solche  Kunst  in  der  Anordnung  eines  Heeres  erlernt 
habe,  da  ja  Othinus  selbst  der  Erfinder  und  Lehrer  dieses 
Verfahrens  sei,  und  kein  anderer,  als  er,  Haraldus,  selbst 
habe  von  dem  Gotte  diese  neue  Art  der  Kriegskunst  kennen 
gelernt.  Als  Bruno  dazu  schwieg,  kam  dem  König  der 
Gedanke,  dass  dieser  Othinus  selbst  sei  und  der  ihm  einst 
so  vertraute  Gott  sich  in  einer  verwandelten  Gestalt  berge, 
um  ihm  Hilfe  zu  bringen  oder  zu  entziehen.  Er  begann  ihn 
auch  inständig  anzuflehen,  dass  er  den  Dänen,  welchen  er 
früher  gnädig  beigestanden,  auch  jetzt  den  letzten  Sieg  ge- 
währe und  das  Ende  seiner  AVohlthaten  dem  Anfange  gleich 
mache,  und  er  versprach  ihm  die  Geister  der  Erschlagenen 
als  Geschenk  zu  weihen.  Bruno  aber  warf,-  ohne  sich 
durch  die  Bitten  des  Flehenden  rühren  zu  lassen,  plötzlich 
den  König  zum  Wagen  hinaus,  stiess  ihn  zur  Erde,  entriss 
ihm  im  Fallen  seine  Keule,  schmetterte  sie  ihm  aufs  Haupt 
und  erschlug  ihn  so  mit  seiner  Waffe  ^).  Um  den  Wagen 
des  Königs  herum  lagen  unzählige  Leichen,  und  die  Masse 
der  Toten  überragte  die  Höhe  der  Räder.  Der  Haufe  der 
Getöteten  war  ebenso  hoch  wie  die  Deichsel.  Denn  im  Heere 
Ringos  starben  gegen  12000  Edle,  auf  des  Haraldus  Seite 
aber  fielen,  ausser  dem  Verlust  an  gemeinen  Soldaten,  an 
30000  Vornehme. 

Als  Ringo  Haraldus'  Tod  erfuhr,  gab  er  den  Seinigen  264 
das  Zeichen,  die  Reihen  aufzulösen  und  hiess  den  Kampf 
beenden.  Dann  schloss  er  unter  dem  Schutze  eines  Waffen- 
stillstandes mit  den  Feinden  einen  Vertrag  und  erinnerte 
sie,  wie  vergeblich  es  wäre,  den  Krieg  ohne  ihren  König 
fortzusetzen.  Darauf  gebot  er  den  Schweden,  überall  unter 
den  durcheinanderliegenden  Leichenhaufen  den  Körper  des  391 
Haraldus  herauszusuchen,  damit  das  Begräbnis  des  Königs 
nicht  der  schuldigen  Totenopfer  entbehre.  Das  Volk  gab 
sich    nun    voll  Eifer    der  Aufgabe  hin,    die  Körper    der  Ge- 


*)  So  stirbt  Harald  den  schönsten,  den  Schlachtentod  inmitten  der 
Gefallenen,  der  Seinigen  und  der  Feinde.  Von  Odin  selbst  wird  er  ab- 
geholt, um  zu  den  Freuden  Walhalls  einzugehen. 


412  Achtes  Buch. 

töteten  umzuweDden,  und  ein  halber  Tag  wurde  mit  dieser 
Beschäftigung  zugebracht.  Endlich  fand  man  die  Leiche  zu- 
sammen mit  der  Keule,  und  Ringo  glaubte  nun  Haraldus 
Manen  versöhnen  zu  müssen.  Daher  spannte  er  denn  das 
Pferd,  auf  dem  er  ritt,  an  den  Wagen  des  Königs,  legte  ihm. 
wie  es  sich  ziemte,  einen  goldenen  Sattel  auf  und  weihte  es 
ihm  zu  Ehren.  Darauf  betete  er  und  fügte  die  Bitte  hinzu, 
Haraldus  möge  auf  diesem  Rosse  reitend  seinen  Schicksals- 
gefährten in  die  Unterwelt  voranziehen,  und  er  möge  bei 
Pluto,  dem  Fürsten  des  Orcus,  für  Freund  und  Feind 
günstige  Sitze  erbitten.  Darauf  Hess  er  den  Scheiterhaufen 
errichten  und  befahl  den  Dänen,  das  vergoldete  Schiff  des 
Königs  als  Nahrung  für  die  Flammen  hinaufzulegen.  Als 
das  Feuer  den  Leichnam  verzehrte,  begann  er  bei  den 
trauernden  Fürsten  herumzugehen  und  sie  alle  eindringlich 
zu  ermahnen,  Waffen,  Gold  und  was  es  sonst  Treffliches  gäbe, 
zur  Unterstützung  des  Scheiterhaufens  und  zu  Ehren  eines 
so  grossen  und  um  alle  so  wohl  verdienten  Königs  aufzu- 
wenden ^).  Die  Asche  des  verbrannten  Körpers  Hess  er  in 
eine  Urne  sammeln,  nach  Lethra  bringen  und  dort  mit  dem 
Ross  und  den  Waffen  nach  königlichem  Brauche  bestatten. 
Dadurch,  dass  er  unter  so  sorgfältigen  Totenopfern  seinem 
Onkel  die  letzte  Ehre  erwies,  gewann  er  sich  die  Gunst  der 
Dänen  und  verw-andelte  den  Hass  der  Feinde  in  Wohlwollen. 
Die  Dänen  baten  ihn  darauf,  er  möge  den  Rest  des  Reiches 
Hetha  übergeben;  um  aber  eine  plötzliche  Wiedererstarkung 
der  feindlichen  Kräfte  zu  verhindern,  trennte  er  Schonen 
von  Dänemark  ab  und  überwies  es  mit  dem  Bezirke  Olos. 
Seeland  aber  und  die  übrigen  Gebiete  des  Reiches  unter- 
stellte er  vorläufig  der  Leitung  Hethas.  So  brachte  der 
AVankelmut  des  Glückes  das  dänische  Reich  unter  die  Macht 
der  Schweden;  das  war  nun  das  Ende  des  brawischen 
Krieges^). 


*)  Diese  Beschreibung  von  Haralds  Bejfräbnis  entspricht  unserer 
sonstigen  Kenntnis  derartiger  Feierlichkeiten;  die  in  Sögubrot  (a.  a.  O. 
S.  38(5  7)  ist  ähnlich.    Vergl.  III,  S.  117  und  Anm.  2,  V,  S.  250. 

*)  1).  h.  der  Brawallaschlacht;  s.  oben  S.  399.  Anm.  1. 


Haraldus'  Begräbnis;  Hetha  und  Olo.  413 

Den  Seeländern  aber,  die  unter  Haraldus'  Führung  392 
gestanden,  schwebte  noch  immer  die  Erinnerung  an  ihr 
früheres  Glück  vor  Augen,  und  sie  hielten  es  für  schmach- 
voll, den  Gesetzen  einer  Frau  zu  gehorchen.  Darum  wandten 
sie  sich  alle  an  Olo  mit  der  Bitte,  er  möge  nicht  zulassen, 
dass  die  an  den  Dienst  des  berühmtesten  Königs  gewohnten 
Krieger  unter  das  Joch  eines  Weibes  gefesselt  würden. 
Ausserdem  versprachen  sie,  sie  würden  zu  ihm  selbst  ab- 
fallen ,  wenn  er  die  Waffen  ergriffe,  um  sie  aus  ihrer  schmäh- 
lichen Lage  zu  befreien.  Olo^)  ging  gern  auf  ihren  Wunsch 
ein,  ebenso  sehr  durch  die  Erinnerung  an  den  Ruhm  seiner 
Ahnen  wie  durch  die  Willfährigkeit  der  Krieger  veranlasst. 
So  beschied  er  Hetha  zu  sich  und  zwang  sie  mehr  durch  265 
Drohungen  als  durch  Waffengewalt,  alle  Teile  ihrer  Herr- 
schaft mit  Ausnahme  von  Jütland  aufzugeben,  und  dieses 
selbst  machte  er  sich  tributpflichtig,  damit  nicht  ein  Weib 
die  Verfügung  über  eine  freie  Herrschaft  habe.  Er  erzeugte 
auch  einen  Sohn  und  gab  ihm  den  Namen  Omundus. 
Uebrigens  war  er  der  Grausamkeit  ergeben  und  zeigte  sich 
als  so  nichtswürdiger  Gebieter,  dass  die  frühere  Verachtung 
der  Königin  bei  allen,  die  über  ihre  Herrschaft  Scham 
empfunden  hatten,  Reue  erregte.  Zwölf  Edle  begannen  nun, 
sei  es  aus  Mitgefühl  für  das  Elend  ihres  Landes  oder  weil  sie 
Olo  schon  längst  aus  irgend  einem  Grunde  hassten.  einen  An- 
schlag gegen  sein  Leben  vorzubereiten.  Zu  diesen  gehörten 
Lennius^),  Atyla,  Thottus  und  Vithnus;  obgleich  dieser  bei 
den  Slaven  eine  Statthalterschaft  inne  hatte,  gehörte  er  doch 
seiner  Abkunft  nach  zu  den  Dänen.  Da  sie  übrigens  allzu 
wenig  auf  ihre  eigenen  Kräfte  und  Talente  bei  der  Voll- 
endung ihrer  That  vertrauten,  gewannen  sie  durch  Geld 
Starcatherus.  Dieser  wurde  bestimmt,  die  Sache  mit  dem 
Schwerte   zum  Austrage  zu  bringen,   und  er  entschloss  sich, 


')  Ueberülo  vgl.  VII,  9.  391  ff.  und  Anm.  2;  Uhland  Sehr.  VII  S.  2ß5; 
zu  dem  jetzt  folgenden  Teile  der  Sage  und  zu  seinem  Tode  vgl.  bes. 
Olrik  II,  72  ff. 

')  Später  wird  derselbe  Manu  auch  Lenno  oder  Lennus  genannt; 
die  isländische  Form  ist  Hlenni. 


414  Achtes  Bach. 

die  Ausfuhrung    des    blutigen  Dienstes   zu    öbernehmen   und 
den  König   im  Bade    zu    überfallen.     Als  dieser  sieb  wusch. 
trat  er  ein,  wurde  aber  sofort  von  dem  scharfen  Blick  seiner 
Augen,  die  in  beständiger  Beweglichkeit  funkelten,  betroffen. 
seine  Glieder  wurden  von   einer   geheimen  Furcht    gelahmt. 
er  stutzte,  wandte  sieh  um   und  gab  die  Vollziehung  8eine:^ 
Anschlages  auf.     So  konnte  er.    der  die  Rüstungen  so   vieler 
Feldherrn  und  Kämpfer  vernichtet  hatte,   nicht  den  scharfen 
Blick  eines  einzigen,   unbewaffneten  Mannes    ertragen.     OIo 
aber,  der  sich  sehr  wohl  der  Wirkung  seines  Auges  bewusst 
war,  bedeckte  sein  Antlitz  und  hiess  ihn  näher  kommen  und 
sagen,    was   er    bringe.      Denn  die  alte  Lebensgemeinschaft 
und    die    lange,    erprobte    Freundschaft    Hessen    nicht     im 
893  geringsten  in  ihm  den  Verdacht  eines  Hinterhalts  aufkommen. 
Jener  aber  zückte  das  Schwert,  sprang  vor  und  durchbohrte 
den  König,  und   als  dieser  sich  wieder  zu  erheben  bemühte, 
schnitt    er    ihm    noch    die    Kehle    durch.      120  Pfund    Gold 
wurden    ihm    zur   Belohnung  gegeben.      Später   empfand    er 
Reue    und    Scham    darüber    und    bedauerte    seine    That    so 
schmerzlich,  dass  er  sich  nicht  der  Thränen  enthalten  konnte, 
wenn   zufällig  die   Rede  darauf  kam.     Ausserdem  tötete  er 
eine  Anzahl    von    denen,    auf   deren  Anstiften    er  gehandelt 
hatte,  zur  Rache  für  das  von  ihm  begangene  Verbrechen  und 
sühnte    so    selbst    den  Frevel,    zu  dem  er  die  Hand  geboten 
hatte. 

Die  Dänen  erwählten  nun  Omundus^),  Olos  Sohn,  zum 
Könige,  indem  sie  allerdings  mehr  der  edlen  Geburt  seines 
Vaters  als  seinen  Verdiensten  Rechnung  trugen.  Als  dieser 
heranwuchs,  zeigte  es  sich,  dass  er  in  keiner  Beziehung 
hinter  den  Leistungen  seines  Vaters  zurückstand.  Denn  er 
trug  Sorge   dafür,   es  den  Thaten  Olos   gleich  zu  thun  oder 


*)  Wahrscheinlich  ist  dieser  Omundus,  dessen  Geburt  auf  der  vorigen 
Seite  erzählt  wird,  derselbe,  von  dem  wir  auch  schon  VII,  396  hörten. 
Der  doppelte  Bericht  kann  eine  Flüchtigkeit  Saxos  sein.  Dass  diese  möglich 
ist,  zeigt  die  Geschichte  seines  Vaters  Olo,  bei  der  ähnliche  Verwirningf 
herrscht;  s.  S.  413  Anni.  1.  Die  Omundssage  ist  norwegischen  Ursprungs 
und  trägt  das  (repräge  grosser  Jugend.    Vgl.  Ülrik  II,  92  ff. 


Olos  Tod.     Omundus.  415 

8ie  ZU  Übertreffen.  Ringo  beherrschte  zu  jener  Zeit  einen 
grossen  Teil  'des  norwegischen  Volkes,  und  ein  ausgezeichneter 
Ruf  hatte  dessen  Tochter  Esa  dem  Omundus,  als  dieser  266 
nach  einer  Gemahlin  suchte,  empfohlen.  Aber  die  Hoffnung, 
sie  zu  erwerben,  wurde  durch  eine  merkwürdige  Neigung  Ringos 
vermindert;  deno  dieser  wollte  nur  einen  Schwiegersohn  von 
erprobter  Tapferkeit  haben,  und  er  legte  ebensoviel  Wert 
auf  Waffenruhm,  als  andere  in  Schätzen  erblicken.  Um  sich 
nun  in  jener  Art  des  Ruhmes  hervorzuthun  und  sich  den 
Ruf  der  Tapferkeit  zu  gewinnen,  versuchte  Omundus  jener 
Forderung  mit  allen  Kräften  nachzukommen  und  wollte  des- 
halb mit  seiner  Flotte  nach  Norwegen,  um  Ringos  Reich 
kraft  seiner  Erbanspruche  anzugreifen.  Oddo^)  der  Fürst 
von  Jathrien,  nahm  ihn  freundlich  auf:  denn  dieser  betrachtete 
Ringo  als  den  gewissesten  Feind  seiner  Herrschaft  und  be- 
klagte sich  darüber,  dass  er  schon  öfter  Unrecht  von  ihm 
erlitten  habe.  Da  Ringo  unterdessen  mit  Seeraub  be- 
schäftigt war,  griff  er  das  unverteidigte  Land  an,  schonte 
aber  das  Eigentum  der  Bevölkerung,  gab  nur  das  Privat- 
eigentum Ringos  der  Plündening  preis  und  tötete  dessen 
Angehörige.  Oddo  hatte  sich  zwar  auch  mit  Omundus 
verbündet;  bei  allen  seinen  Unternehmungen  aber,  so  ver- 
schieden und  vielseitig  sie  auch  sein  mochten,  hütete  sich 
dieser  immer,  denen  Gewalt  anzuthun,  denen  er  an  Zahl  der 
Truppen  überlegen  war.  Denn  er  gedachte  immer  daran,  394 
dass  er,  der  Sohn  eines  heldenhaften  Vaters,  nur  durch  seine 
Tüchtigkeit,  nicht  durch  die  Zahl  siegen  dürfe.  Unterdessen 
geschah  es,  dass  Ringo  von  seinem  Raubzuge  zurückkam. 
Bei  der  Nachricht  von  dessen  Rückkehr  begann  Omundus 
«in  sehr  grosses  Schiff  auszurüsten,  von  dem  aus  er,  gleich- 
wie von  einer  Befestigung,  den  Feind  von  oben  her  mit 
seinen  Geschossen  angreifen  wollte.  Omothus  und  Thola, 
die    Söhne  Atylos    von   Schonen,    ernannte    er    zu    Befehls- 


*)  Das  ist  wohl  auch  der  Held  der  ( )rvaroddsage ,  der  irgendwie 
mit  den  Schicksalen  Gmünds  in  Verbindung  gesetzt  wurde:  vgl.  oben 
8.  404  Anni.  12. 


416  Achtes  Buch. 

habern ^)  derselben;  der  eine  sollte  steuern,  der  andere  auf 
dem  Vorderteil  die  Leitung  haben.  Ringo  aber  fehlte  e» 
weder  an  Geschicklichkeit  noch  an  Schlauheit,  ihnen  ent- 
gegenzutreten. Denn  er  zeigte  nur  einen  kleinen  Teil  seiner 
Truppen  und  beabsichtigte  den  Feind  im  Rücken  anzugreifeu. 
Omundus  wurde  durch  Oddo  von  diesem  schlauen  Plane 
benachrichtigt,  sandte  Leute  ab,  welche  die  im  Hinterhalt 
Aufgestellten  überwältigen  sollten,  und  gebot  dem  Atylo 
von  Schonen,  Ringo  zu  empfangen.  Dieser  kam  dem  Be- 
fehl mit  mehr  Eifer  als  Glück  nach,  seine  Streitmacht  wurde 
vernichtet,  er  erlitt  eine  Niederlage  und  floh  nach  Schonen. 
Omundus  verstärkte  sich  nun  wieder  mit  Hilfe  Od  dos  und 
stellte  die  Flotte  zur  Seeschlacht  auf.  Zu  dieser  Zeit  erfuhr 
Atylo  aus  Traumgesichteu  zweifellos  den  Ausgang  des  nor- 
wegischen Krieges,  beschleunigte,  um  seine  Flucht  wieder 
gut  zu  machen,  nach  Kräften  seine  Fahrt  und  erfreute 
Omundus  noch  kurz  vor  dem  Gefecht  mit  seiner  angenehmea 
Unterstützung.  Omundus  verliess  sich  auf  seine  Beihilfe 
und  begab  sich  mit  ebensoviel  Vertrauen  wie  Erfolg  in  den 
Kampf.  Denn  im  persönlichen  Streite  gewann  er  den  Sieg, 
den  er  verloren,  als  nur  seine  Leute  zu  fechten  hatten. 
Ringo,  von  einer  tötlichen  Wunde  verletzt,  sah  ihn  mit 
267  brechenden  Augen  au,  winkte  ihn  mit  der  Hand,  so  gut  er 
konnte,  herbei  (denn  die  Stimme  versagte  schon  ihren  Dienst) 
und  beschwor  ihn,  sein  Schwiegersohn  zu  werden.  Denn  er 
erleide  gern,  sagte  er,  sein  Schicksal,  wenn  er  seine  Tochter 
solch  einem  Manne  zur  Ehe  hinterliesse.  Ohne  eine  Ant- 
wort hören  zu  können,  verschied  er.  Omundus  beweinte 
seinen  Tod  und  gab  die  eine  Tochter  Ringos  dem  Omothus, 
dessen  treue  Dienste  er  im  Kampfe  erfahren,  zur  Gemahlin, 
während  er  selbst  die  andere  heiratete. 

Zu    eben    dieser    Zeit   hatte  die  Jungfrau  Rusla^),   die 


*)  80  ist  wohl  hier  „remipes**  am  richtipstcMi  übersetzt;  der  nrd. 
Ausdruck  dafür  wäre  wörtlich  stafnbuar,  dem  Sinne  nach  stVrimenn. 

*)  Dieses  Schildmädchen  hat  ursprünglich  seine  Holle  fj^ewias  nur  in 
der  Hrawollaschlacht ;  hier  und  an  den  andern  Stellen  mag  es  nur  durch 
die  Erzählunjrslust  des  Sugaschreibers  eingeführt  worden  sein.  S.  VII, 
ij.  389  Anm.  2. 


Omundus'  Sieg  über  Ringo.     Rusla.  417 

sich  in  wackeren  Kriegsthaten  weit  über  weibische  Gesinnung  395 
emporgeschwungen  hatte,  in  Norwegen  vielfache  Streitigkeiten 
mit  ihrem  Bruder  Thron dus^)  um  die  Oberherrschaft.  Sie 
wollte  es  nicht  leiden,  dass  Omundus  die  Norweger  be- 
herrsche, und  hatte  allen  Tributpflichtigen  der  Dänen  den 
Krieg  erklärt.  Sobald  Omundus  diese  Nachricht  erhielt,  be- 
stimmte er  seine  besten  Leute  zur  Niederwerfung  dieses 
Aufruhrs.  Rusla  schlug  diese,  wurde  übermütig  durch  ihren 
Sieg,  Hess  sich  zu  einer  masslosen  Hoffnung  hinreissen  und 
und  beabsichtigte,  sich  der  Herrschaft  über  Dänemark  selbst 
zu  bemächtigen.  Zuerst  griff  sie  nun  die  Gegend  von 
Hailand  an,  wurde  aber  von  Omothus  und  Thola,  welche 
der  König  hingeschickt,  empfangen,  in  einer  Schlacht  ge- 
schlagen und  musste  sich  zurück  zu  ihrer  Flotte  flüchten. 
Nur  dreissig  von  ihren  Schifl^en  entkamen  in  eiliger  Flucht, 
die  übrigen  fielen  in  die  Gewalt  der  Feinde.  Throndus 
griff  nun  seine  Schwester  an,  welche  den  Dänen  zu  ent- 
wischen suchte,  wurde  aber  von  ihr  geschlagen,  seines  ganzen 
Heeres  beraubt  und  flüchtete  sich  ohne  die  geringste  Be- 
gleitung über  die  dofrinischen  Alpen  ^).  So  übermannte  die, 
welche  kurz  zuvor  den  Dänen  weichen  musste,  bald  darauf 
ihren  Bruder  und  verwandelte  ihre  Flucht  in  einen  Sieg. 
Auf  die  Nachricht  hiervon  begab  sich  Omundus  wieder  mit 
einer  gewaltigen  Flotte  nach  Norwegen  und  stachelte  zuerst 
die  Einwohnerschaft  von  Thelemarchien  durch  Omundus  und 
Thola,  die  er  auf  verborgenen  Schleichwegen  aussandte,  gegen 
Ruslas  Herrschaft  auf.  So  kam  es,  dass  diese  von  ihren 
eigenen  Unterthanen  aus  ihrem  Reiche  vertrieben  wurde  und 
dann  bei  den  Inseln,  die  sie  in  der  Hoffnung  auf  Rettung 
aufgesucht  hatte,  vor  den  sie  überfallenden  Dänen,  ohne  sich 
in  einen  Kampf  einzulassen,  floh.  Der  König  verfolgte  sie 
eifrigst  auf  ihrer  Flucht,  holte  ihre  Flotte  auf  dem  Meere 
ein  und  vernichtete  sie  fast  gänzlich,  sodass  er  einen  un- 
blutigen Sieg  und  herrliche  Beute  zum  grössten  Schaden  für 


*)  Der  Eigenname  ist  ursprünglich   nur  Appeliativum   und   bedeutet 

Bewohner  von  Thron dhjem. 

«)  Ein  Gebirgszug  in  Nor^^egen. 
Saxo  Gramroaticus.  27 


418  Achtes  Buch. 

die  Feinde  davontrug.  Rusla  aber  entkam  mit  wenigen 
Schiffen  und  durchschnitt  mit  raschen  Ruderschlägen  die 
Fluten.  Während  sie  zwar  den  Dänen  auswich,  stiess  sie 
auf  ihren  Bruder  und  ward  von  ihm  getötet.  So  pflegen 
überhaupt  die  Gefahren,  an  die  man  nicht  denkt,  eine 
um  so  wirksamere  schädigende  Macht  zu  haben ,  und 
der  Zufall  macht  die  Uebel,  welche  man  am  wenigsten 
furchtet,  meistens  für  die,  w^elche  sie  treffen,  am  ver- 
hängnisvollsten. Der  König  aber'  beschenkte  Throndus 
für  die  Vernichtung  seiner  Schwester  mit  einer  Statthalter- 
schaft, machte  die  übrigen  tributpflichtig  und  kehrte  in 
sein  Vaterland  zurück. 
3Ö6  Zu  dieser  Zeit  beschäftigten  sich  Thorias  und  Bero,  die 

268  wackersten  Krieger  Kuslas,  in  Hibernien  mit  Seeraub.  Als 
sie  den  Tod  ihrer  Herrin,  den  zu  rächen  sie  einst  eidlieh  ge- 
lobt hatten,  erfuhren,  suchten  sie  eiligst  Omundus  auf  und 
forderten  ihn  zum  Zweikampfe  heraus.  Sich  dagegen  zu 
weigern  galt  in  alter  Zeit  als  schmachvoll  für  Könige.  Denn 
der  Ruhm  der  früheren  Fürsten  wurde  mehr  nach  den  Waffen- 
thaten  als  nach  ihren  Schätzen  beurteilt.  Omothus  und 
Thola  boten  sich  nun  als  Stellvertreter  an,  um  die  Heraus- 
forderer des  Königs  im  Kampfe  zu  bestehen.  Omundus  lobte 
sie  sehr,  weigerte  sich  aber  zuerst,  um  einem  Vorwurfe  zu 
entgehen,  ihre  Hilfe  anzunehmen.  Zuletzt  aber  Hess  er  sich 
von  den  inständigen  Bitten  der  Seinigen  erweichen  und  gewann 
es  über  sich,  sein  Geschick  der  Hand  anderer  anzuvertrauen. 
In  diesem  Streite  soll  Bero  gefallen  sein,  Thorias  aber 
schwer  verwundet  den  Kampfplatz  verlassen  haben.  So- 
bald dieser  sich  von  seinen  Wunden  erholt,  versöhnte  sich 
der  König  mit  ihm  und  ernannte  ihn  zum  König  von 
Norwegen.  Als  Omundus  später  durch  Gesandte  den 
üblichen  Tribut  von  den  Slaven  einziehen  Hess,  wurde  »*r 
nicht  nur  durch  die  Ermordung  der  Gesandten,  sondern 
auch  durch  einen  Kiiifall  der  Slaven  in  Jütland  gereizt; 
in  einem  einzigen  Feldzuge  aber  besiegte  er  sieben  Könice 
und  sicherte  sich  das  gew<»hnte  Recht  des  Tributes  dunh 
seinen  Sieg. 


Kache  für  Rusla;    Starcatherus  bereitet  sich  zum  Tode.         419 

Unterdessen  war  Starcatherus^)  infolge  seines  hohen 
Alters  entkräftet  geworden,  und  da  er  für  Lagerleben  und 
Kriegsdienste  nicht  mehr  geeignet  erschien,  so  meinte  er,  es 
wäre  das  Beste,  um  nicht  seinen  früheren  Ruhm  durch  die 
Schuld  des  Greisenalters  einzubüssen,  wenn  er  sich  freiwillig 
den  Tod  gäbe  und  sein  Schicksal  nach  eigenem  Gutdünken 
beschleunigte.  Denn  er,  der  so  viele  herrliche  Kämpfe  be- 
standen, hielt  es  für  schwächlich,  eines  unblutigen  Todes  zu 
sterben,  und  um  durch  ein  rühmliches  Ende  den  Glanz  seines 
früheren  Lebens  nur  noch  zu  vermehren,  wollte  er  sich  lieber 
von  der  Hand  eines  vornehmen  Mannes  töten  lassen  als  den 
allzu  späten  Todespfeil  der  Natur  erwarten.  Als  so  schmach- 
voll galt  es  also  in  alter  Zeit  für  diejenigen,  welche  sich 
dem  Kriegsleben  gewidmet  hatten,  einer  Krankheit  zu  erliegen. 
Da  sein  Körper  schwach  und  seine  Augen  in  ihrer  Klarheit 
getrübt  waren,  hasste  er  eine  längere  Dauer  des  Lebens.  Um 
sich  nun  einem  Mörder  zu  erkaufen,  hängte  er  das  Gold, 
welches  er  sich  durch  Olos  Ermordung  verdient  hatte,  um 
den  Hals;  denn  er  meinte,  er  könne  das  Unrecht  für  die  Ver-  397 
letzung  der  Majestät  nicht  besser  sühnen,  als  wenn  derselbe 
Preis,  der  auf  Olos  Leben  gestanden  hätte,  auch  für  das  seinige 
gölte,  und  wenn  er  das  Gold,  welches  er  für  den  Tod  eines 
andern  erbalten,  zum  Schaden  seines  eigenen  Lebens  aussetze. 
Diese  Anwendung  des  verruchten  Schatzes  hielt  er  für  die 
schönste.  Er  umgürtete  sich  also  mit  zwei  Schwertern  und 
stützte  seine  schwachen  Füsse  mit  Hilfe  zweier  Stäbe.  So 
suh  ihn  ein  Landmann,  und  da  er  meinte,  der  Gebrauch  zweier 
Schwerter  sei  für  den  Alten  überflüssig,  so  bat  er  ihn  im 
Scherz  um  eins.  Starcatherus  machte  ihm  Hoffnung  auf  269 
die  P>füllung  seines  Begehrens  und  hiess  ihn  näher  heran- 
kommen; dann  riss  er  sein  Schwert  von  der  Seite  und  durch- 


*)  Die  iiicr  bejfinnemie  Erzählung  vom  Tode  Starkads  enthält  nach 
Olrik  II,  22()  ff.  nr>rwojjisohe  wie  dünische  LJel>erlieferung  Die  letztere 
ülxTwiegt  im  ersten,  dem  Prosateil,  erstere  in  dem  eigentlichen  Todeslied. 
Diese  beiden  Teile  sind  übrigens  nicht  in  streng  zeitliche  Aufeinanderfolge 
zu  setzen,  sondern  mehr  als  parallel  nebeneinander  hergehend  zu  fassen. 
Vgl.  ausser  Olrik  noch  Uhland,  Sehr.  VII,  2t>9  ff. 

27* 


420  Achtes  Buch. 

bohrte  ihn.  Dies  sah,  als  er  mit  seinen  Hunden  Wild  hetzte, 
ein  gewisser  Hatherus,  dessen  Vater  Lenno  einst  Starca- 
therus  aus  Reue  über  seine  Frevelthat  erschlagen  hatte;  dieser 
unterbrach  die  Jagd  und  gebot  zweien  seiner  Begleiter,  mit 
gespornten  Rossen  einen  Angriff  auf  den  Alten  zu  machen, 
um  ihm  Furcht  einzujagen.  Als  diese  aber  nach  dem  Vor- 
dringen wieder  umkehren  wollten,  wurden  sie  von  Starca- 
therus'  Stäben  aufgehalten  und  mussten  mit  dem  Tode  dafür 
büsseu.  Erschreckt  über  diesen  Anblick  ritt  Hatherus  selbst 
heran,  erkannte  den  Greis,  ohne  jedoch  von  ihm  wieder- 
erkannt zu  werden,  und  fragte  ihn,  ob  er  sein  Schwert  gegen 
einen  Wagen  vertauschen  wollte.  Starcatherus  erwiderte. 
einst  habe  er  immer  an  Spöttern  Rache  genommen,  und 
niemals  sei  er  ungestraft  von  Vorwitzigen  verhöhnt  worden. 
Sein  geschwächtes  Augenlicht  aber  Hess  ihn  den  Jüngling 
selbst  an  seinen  Gesichtszügen  nicht  erkennen;  daher  sprach 
er  folgendes  Gedicht,  in  welchem  er  der  Grösse  seiner  Ent- 
rüstung Ausdruck  gab: 

„Wie  der  Strom  die  gleitenden  Wellen  ohne  Rückkehr 
vorwärts  treibt,  so  flie.sst  auch  das  Leben  der  Menschen  in 
allmählicliem  Laufe  der  Jahre  dahin,  ohne  Umkehr.  Jäh 
398  brechen  die  Spuren  des  Hingangs  herein,  welche  das  Greisen- 
alter erzeugt,  um  allen  Dingen  ein  Ende  zu  bereiten.  Es 
macht  die  Augen  der  Menschen  ebenso  unsicher  wie  ihre 
Schritte,  es  raubt  den  Männern  die  Sprache  und  den  Mut 
verdunkelt  allmählich  den  Glanz  des  Ruhmes  und  tilgt  berühmte 
Thaten.  Es  befällt  die  gebrechlichen  Glieder,  macht  die  An- 
strengungen der  keuchenden  Stimme  vergeblich  und  erstickt 
in  Stumpfheit  den  lebensfrohen  Sinn.  Wenn  der  Husten  ent- 
steht, wenn  die  Haut  rauh  wird  und  juckt,  wenn  die  Zähne 
stumpf  und  hohl  werden  und  der  Magen  ekelhafte  Em- 
pfindungen erzeugt,  dann  vertreibt  es  die  Jugendschönheit 
verunziert  das  Aeussere  durch  Schlaffheit  und  zeichnet  zahl- 
reiche Runzeln  in  die  rauhe  Haut.  Es  vernichtet  schöne 
Fähigkeiten,  tilgt  die  Erinnerung  an  die  Vergangenheit  und 
lässt  die  Ehre  früherer  Ruhmesthaten  vergessen.  Gefrässig 
zerstört  es  die  Kraft,  raubt  den  Wert  der  Mannhaftigkeit  und 


Lied  des  Starcatherus.  421 

die  Fähigkeit,  sie  anzuwendeo,  kehrt  alles  um  und  bringt  es 
in  Unordnung.  Ich  selbst  habe  erfahren,  >vie  es  schadet,  das 
leidige  Älter;  matt  ist  jetzt  mein  Blick  und  rauh  der  Ton 
meiner  Stimme  und  meines  Atems.  Alle  Vorzüge  haben  sich 
ins  Gegenteil  verwandelt.  Schon  sichere  ich  den  weniger 
rüstigen  Körper  durch  Nachhilfen  und  stütze  die  schlaffen 
Glieder  durch  Krücken.  Als  Blinder  lenke  ich  meine  Füsse  mit  270 
zwei  Stöcken,  und  wie  der  Stab  es  weist,  folge  ich  den 
Windungen  des  Pfades,  mehr  auf  die  Unterstützung  der  Krücke 
als  meines  Auges  vertrauend.  Niemand  kümmert  sich  um 
mich,  keiner  spendet  in  der  Schlachtreihe  dem  Alten  Trost, 
wenn  nicht  etwa  Hatherus  ^)  da  ist  und  dem  Freunde  in  seiner 
elenden  Lage  zu  Hilfe  kommt.  Wen  jener  einmal  seiner 
pflichttreuen  Liebe  würdigt,  den  hegt  er  unverdrossen  in  399 
seinem  Beginnen  beständig  mit  demselben  Eifer  und  scheut 
sich,  das  erste  Band  zu  lösen.  Oft  spendet  er  auch  denen, 
die  sich  im  Kriege  wacker  hervorgethan,  verdienten  Lohn  und 
ehrt  ihren  Mut.  Ehre  verleiht  er  den  Tapferen  und  ziert  seine 
berühmten  Freunde  mit  Geschenken.  Schätze  gewährt  er  und 
bemüht  sich,  den  Glanz  seines  Ruhmes  durch  Freigebigkeit 
zu  erhöhen  und  viele  Mächtigen  darin  zu  übertreffen.  Nicht 
weniger  wacker  ist  er  im  Kampfe;  seine  Kraft  kommt  seiner 
Güte  gleich,  rasch  ist  er  zum  Kriege,  trag  zum  Weichen, 
schnell  bereit  einen  Streit  auszufechten,  ungeübt,  dem  an- 
drängenden Feinde  den  Rücken  zu  weisen.  Mir  aber  bestimmte 
das  Geschick  bei  der  Geburt,  wenn  ich  mich  recht  erinnere, 
Kriegen  nachzugehen,  im  Kampfe  zu  sterben,  Zwistigkeiten 
zu  erregen,  in  den  Waffen  zu  wachen  und  ein  blutiges  Leben 
zu  führen.  Ruhelos  habe  ich  in  den  Feldlagern  gelegen,  voll 
Hass  gegen  den  Frieden;  unter  deinen  Zeichen,  0  Mars,  bin 
ich  unter  den  grössten  Gefahren  alt  geworden.  Die  Furcht 
ward  verbannt,  für  ehrenvoll  hielt  ich  es  zu  kämpfen,  für 
schimpflich,  müssig  zu  sein;  herrlich  erachtete  ich  es,  häufig 
Blutbäder  anzurichten  und   zahlreiche  Gemetzel  zu  verüben. 


')  Aus  diesem  Zusaiumenhange  ergiebt  sich,  daas  Hathenis  frülier, 
vor  Glos  und  Lennos  Ermordung,  in  sehr  freundschaftlichem  Verhältnis 
zu  Starkad  stand. 


422  Achtes  Buch. 

Oft  sah  ich  ehrwürdige  Könige  im  Kampfe  sich  begegnen, 
Schilde  und  Helme  zerhauen,  die  Gefilde  von  Blut  triefen, 
Panzer  unter  den  eingedrungenen  Spitzen  zerbrechen,  die  Brüste 
allenthalben  unter  dem  festhaftenden  Eisen  nachgeben  und 
die  wilden  Tiere  schwelgen  im  Frasse  der  unbeerdigten  Krieger. 
Während  hier  ein  Vollführer  herrlicher  Thaten,  mächtig  im 
Kampfe  und  mit  seiner  Faust,  mitten  unter  den  Feinden  streitet, 
spaltet  ein  anderer  den  Schutz  seines  Hauptes,  zersplittert 
den  Helm  und  taucht  das  Eisen  in  sein  Gehirn.  Dieses  Schwert, 
oft  von  der  Rechten  des  Fechters  geschwuingen,  hat  gar  manchen 
Schild  zerhauen  und  blieb  häufig  im  Haupte  haften." 

400  Dagegen  sang  Hatherus  ein  Lied  folgender  Art: 
^Woher  kommst  du,  der  du  Gedichte  in  heimischer  Zunge 

zu  singen  pflegst,  und  den  zweifelnden  Fuss  auf  den  unsicheren 
271  Stab  stützest?  Und  wohin  eilst  du,  raschester  Sänger  der 
dänischen  Muse?  Aller  Prunk  deiner  hervorragenden  Kraft 
ist  hin  und  entschwunden,  fort  ist  die  Farbe  aus  deinem 
Gesicht,  weg  die  Freude  aus  deinem  Sinn;  die  Stimme  hat 
dich  verlassen  und  ertönt  in  heiserer  Rauheit;  das  früher** 
Aussehen  ist  deinem  Körper  entflohen,  der  äusserste  Verfall 
hat  ihn  ergriffen  und  die  Schönheit  der  Form  mit  der  Kraft 
zugleich  hingerafft.  Wie  ein  Schiff,  von  unermüdlicher  Fahrt 
erschüttert,  auseinanderfällt,  so  erzeugt  das  Greisenalter  im 
langen  Laufe  der  Jahre  ein  trauriges  Ende,  das  Leben  verliert 
seine  Kräfte,  verfällt  und  erfährt  den  Verlust  seines  früheren 
Loses.  Wer  hindert  dich  denn,  du  wohlbekannter  Alter,  jugend- 
liche Scherze  zu  treiben,  wie  sichs  gebührt,  den  Ball  zu  werfen 
oder  Nüsse  zu  zerbeissen  und  zu  essen?  Ich  halte  es  für  besser 
duss  du  dein  Schwert  verkaufst  und  dagegen  ein  Gefährt 
einhandelst  in  dem  du  oft  ausfahren  kannst,  oder  ein  leicht 
zu  zügelndes  Pferd;  oder  für  denselben  Preis  könntest  du 
auch  ein  leichtes  Wägelchen  erstehen.     Zweckmässiger  werden 

401  Zugtiere  solch  schwächliche  Greise  aufnehmen,  denen  »schon 
die  Schritte  unsicher  werden;  ein  im  Kreise  sich  drehendes  Rad 
frommt  denen,  deren  Füsse  kraftlos  zittern.  Wenn  du  dich  aber 
weigerst,  das  unnütze  Schwert  zu  verkaufen,  so  wird  es  dir 
entrissen  werden   und  dich   töten,   wenn  dirs   nicht  feil  ist.** 


Lieder  des  Hatherus  und  St<arcathcrus.  423 

Darauf  erwiderte  Starcatherus: 

„Elender,  mit  leichtsinnigem  Munde  sprichst  du  unbe- 
sonnene Worte,  unpassend  für  die  Ohren  rechtschaffener  Leute. 
AVeshalb  verlangst  du  Geschenke  zum  Lohn  für  die  Führung, 
die  du  umsonst  hättest  leisten  müssen?  Auf  eigenen  Füssen 
will  ich  gehen,  nicht  schimpflich  mein  Schwert  im  Stiche 
lassen  und  die  Hilfe  eines  Fremden  anrufen.  Die  Natur  gab 
mir  das  Recht  der  Fortbewegung  und  hiess  mich  auf  die 
eigenen  Fasse  vertrauen.  Weshalb  schmähst  du  höhnend  mit 
frecher  Rede  den,  dem  du  freiwillig  auf  seinem  Wege  hättest 
ein  Leiter  sein  sollen?  Weshalb  giebst  du  meine  Thaten,  die 
ich  einst  vollbracht,  der  Schande  preis,  während  sie  doch 
dauernden  Ruhmes  wert  sind?  Weshalb  verwandelst  du  auch 
das  Verdienst  in  Schuld?  Warum  verfolgst  du  den  im  Kampfe 
mächtigen  Alten  mit  Gelächter  und  wjeihst  meinen  unbesieg- 
baren Ruhm  und  meine  glänzende  Thaten  der  Schmach,  indem 
du  das  Ehrenwerte  verkleinerstund  das  Heldenhafte  vernichtest? 
Kraft  welches  Rechtes  verlangst  du  mein  Schwert,  das  für 
deine  Kräfte  nicht  passt?  Nicht  gehört  es  an  die  unkriegerische 
Seite  oder  in  die  Hände  eines  Ochsenknechtes,  der  nur  länd- 
liche Lieder  auf  der  Rohrpfeife  zu  spielen,  das  Vieh  zu  besorgen 
und  die  Herden  auf  der  Weide  zu  schützen  pflegt.  Denn  unter 
den  Knechten,  dicht  neben  dem  schmierigen  Topfe,  tauchst 
du  deine  Kruste  in  den  Schaum  der  brodelnden  Pfanne,  lässt  272 
dein  mageres  Brot  von  dem  Safte  des  dicken  Fettes  durch-  402 
ziehen  und  leckst  verstohlen  die  warme  Suppe  vom  durstigen 
Finger.  Besser  verstehst  du  es,  dein  Gewand,  das  daran 
gewöhnt  ist,  an  der  Asche  abzuwerfen,  am  Herde  zu  schnarchen 
und  den  ganzen  Tag  im  Schlafe  zu  liegen,  eifrig  nur  in  der 
Beschäftigung,  in  der  duftenden  Küche  herumzustreifen,  statt 
im  Kriege  wacker  Blut  fliessen  zu  lassen.  Als  Feind  des  Lichtes, 
als  Liebhaber  unsauberer  Sehlupfwinkel,  ein  elender  Sklave 
deines  Bauches,  wirst  du  einem  Hunde  gleiehgeachtet,  der 
schmutzige  Körner  frisst  zugleich  mit   den  Schalen*).     Beim 


^)  Ein    etwas    unklarer    Satz;     lat.:    Parque    putaris    Soidida    cum. 
siliquis  lambenti  farra  cateUo. 


424  Achtes  Buch. 

Himmel  nicht  hättest  du  versucht,  mich  meines  Schwertes  zu 
berauben,  als  ich  unter  höchster  Gefahr  dreimal  der  Besieger 
von  Ol  OS  Sohn  war^).  Denn  fürwahr,  in  jenem  Kampfe  zer- 
brach meine  Hand   das  Schwert   oder  schlug  die  Hindernis^if 

403  nieder;  so  gross  war  die  Wucht  meiner  Hiebe.  Und  was  soll 
ich  weiter  von  jener  Zeit  sprechen,  als  ich  zuerst  Anweisung 
gab,  das  Gestade  der  Kurländer  und  den  mit  unzähligen  Spitzen 
bedeckten  Weg  auf  den  mit  Holzschuhen  bekleideten  Füssen 
hinabzueilen^)?  Denn  als  ich  die  mit  eisernen  Stacheln  aus- 
gefüllten Felder  betreten  wollte,  schützte  ich  die  Fusse,  die 
zerfleischt  werden  sollten ,  durch  untergelegte  Holzsohlen. 
Dort  tötete  ich  Hama,  der  mit  auserlesener  Streitmacht  mir 
entgegentrat.  Dann  schlug  ich  samt  ihrem  Führer  Rinus^). 
dem  Sohne  des  Flebax,  die  Kurländer  und  die  Stämme,  welche 
Estland  gebar  und  deine  Völker,  Semgala.  Darnach  griff  ich 
die  Thelemarchier  an  und  trug  einen  blutigen,  leichenfarbigen 
Kopf  davon ,  zerquetscht  von  Hammerhieben  und  getroffen 
von  geschmiedeten  Waffen*).  Damals  begriff  ich  zuerst,  was 
die  Eisengeräte  des  Amboss  vermöchten,  und  wieviel  Mut 
den  gemeinen  Leuten  inne  wohnt.     Auch  die  Teutonen  büssteu 

404  durch  mich,  als  ich  deine  Söhne,  Swertingus,  die  Schuldigen 
an  dem  ungerechten  Morde  Frothos,  als  Rächer  meines  Herrn 
beim  Zechgelage  niederstreckte.  Nicht  geringer  war  auch  ilie 
That,  als  ich  für  ein  geliebtes  Mädchen  sieben  Brüder  in  einem 
Kampfe  erschlug*);  Zeuge  dafür  ist  die  Stelle,  die  verdorrte, 
als  ich  meine  Eingeweide  dort  verlor,    und  die  kein  frisches 


')  Der  ganze  Satz  ist  dem  Inhalt  nach  iÜr  uns  völlig  unverständlii'li : 
auch  Worterklärung  und  Konstruktion  sind  mehrdeutig.  Er  lautet:  Quan<iH 
tcr  Olonis  summo  discrimine  nati  Expugnator  eram. 

*)  Für  die  folgende  Aufzählung  von  Starkads  Thaten  vgl.  die  Be- 
richte B.  VI  S.  294  flF. 

■)  Das  ist  wahrscheinlich  derselbe  Mann,  der  VI,  299  Winus  St*Ia- 
vorum  princeps  genannt  wurde;  der  Name  seines  Vaters  Flebax.  von  d«Mu 
übrigens  nur  der  Ablativ  Flebace  belegt  ist,    kommt   sonst  nirgends    vor. 

*)  Diese  Verse  geben  die  Erläuterung  zu  VI,  309  (u.  Aiim.  2). 

*)  (verneint  ist  der  Kampf  mit  Angaterus  für  Helgo,  H.  VI,  B14  ff,: 
dass  dort  neun,  hier  sieben  Brüder  genannt  sind,  beruht  entweder  a  .f 
einer  Flüchtigkeit  Saxo»  oder  auf  Verschiedenheit  der  Quellen. 


Lieder  des  Starcatherus.  425 

Gras  mehr  auf  dem  versengten  Boden  hervorbringt.  Als  sich 
dann  der  Feldherr  Kerrus  zum  Seekriege  rüstete,  haben  wir 
seine  mit  auserlesenen  Scharen  angefüllte  Flotte  besiegt^). 
Darauf  weihte  ich  Waza*)  dem  Tode,  verstümmelte  den  frechen 
Schmied,  indem  ich  ihm  die  Hinterbacken  abhieb  und  tötete 
mit  dem  Schwerte  Wisinnus,  der  von  schneebedeckten  Felsen 
aus  die  Geschosse  stumpf  machte.  Darauf  erschlug  ich  die 
vier  Söhne  des  Lerus^)  und  die  Biarmischen  Fechter.  Den  278 
Häuptling  des  hibernischen  Volkes  nahm  ich  gefangen  und 
plünderte  die  Schätze  von  Duflina.  Immer  wird  auch  unser 
Ruhm  andauern,  wenn  man  die  Siegeszeichen  von  Brawalla  405 
betrachtet.  Was  zögere  ich?  Zahllos  sind  die  Heldenthaten, 
die  ich  vollbracht,  und  wenn  ich  durchmustere,  w^as  ich  aus- 
geführt habe ,  vermag  ich  es  nicht  vollständig  aufzuführen. 
Alles  ist  bedeutender  als  mein  Bericht  darüber;  das  Werk 
selbst  übertrifft  die  Kunde  davon ,  und  Worte  reichen  nicht 
aus  für  die  Thaten,'* 

Soweit  Starcatherus.  Als  er  endlich  aus  der  Antwort 
erfuhr,  dass  Hatherus  Lennos  Sohn  sei,  erkannteer,  dass 
der  Jüngling  aus  vornehmem  Geschlechte  stamme,  und  bot 
ihm  seine  Kehle  zum  Durchstechen  dar,  indem  er  ihn  ermahnte, 
er  solle  nicht  zögern,  an  dem  Mörder  seines  Vaters  Rache  zu 
nehmen.  Wenn  er  es  thue,  versprach  er  ihm  den  Besitz  des 
Gelde«,  welches  er  selbst  von  Lenno  bekommen  hatte.  Um 
seinen  Zorn  noch  heftiger  gegen  sich  zu  erregen,  soll  er  sich 
folgender  Anreizung  bedient  haben: 

„Ferner,  Hatherus,  habe  ich  dich  deines  Vaters  Lenno 
beraubt;  vergilt  mir  das,  ich  bitte,  und  töte  mich  Alten,  der 
sterben  will,  ziele  mit  dem  rächenden  Stahl  nach  meiner  Kehle. 
Denn  mein  Sinn  verlangt  den  Dienst  eines  ruhmreichen  Mörders, 
und  er  schaudert  davor,  von  einer  feigen  Hand  sein  Schicksal 
einzufordern.  Recht  ist  es,  mit  frommem  Streben  dem  Gesetze 
des  Geschickes  zuvorzukommen.   Vorweg  nehmen  darf  man  das. 


*)  Von  dieser  Geschichte  wissen  wir  sonst  nichts;  der  Name  Kerrus 
findet  sich  als  Kjarr  öfter. 

•)  VI,  300  hiess  er  Wasce  (Wilzce). 

•)  Auch  hiervon  wissen  wir  sonst  nichts. 


42ß  Achtes  Buch. 

dem  man  nicht  entgehen  kann.  Ein  junger  Baum  muss  gepflegt, 
ein  alter  abgehauen  werden.  Eia  Diener  der  Natur  ist  nur, 
wer  vernichtet,  was  dem  Ende  nahe  ist,  und  niederstreckt, 
was  nicht  mehr  stehen  kann.  Der  Tod  ist  dann  am  besten, 
wenn  man  ihn  begehrt ,  überdrüssig  ist  einem  das  Leben, 
wenn  man  sein  Begräbnis  wünscht ,  und  nicht  möge  dann 
ein  unbequemes  Alter  die  Wechselfälle  des  Daseins  verlängern.  "* 

Mit  diesen  Worten  holte  er  das  Geld  aus  der  Tasche  und 
reichte  es  ihm  hin.  Hatherus  gelobte  nun,  ebenso  indem 
Wunsche,  den  Schatz  zu  besitzen  wie  Rache  für  seinen  Vater 
zu  üben,  er  werde  seiner  Bitte  willfahren  und  die  Belohnung 
dafür  nicht  zurückweisen.  Starcatherus  übergab  ihm  eifrig 
sein  Schwert,  neigte  auch  zugleich  seinen  Hals  hin,  ermahnte 
ihn  noch,  er  solle  nicht  furchtsam  das  Henkerwerk  vollziehen 
und  das  Schwert  nicht  weibisch  anwenden,  und  verhiess  ihm 
noch,  er  werde,  wenn  er  nach  Vollbringung  derThat  vor  dem 
Niederfallen  des  Leichnams  zwischen  Haupt  und  Rumpf  mitten 

40(5  hindurchspringe,  gegen  Waffen  gefeit  sein.  Ob  er  dies  gesagt 
hat,    um    seinem   Mörder    damit  zu   nützen   oder   um  ihn  zu 

274  strafen,  bleibt  dahingestellt.  Denn  es  könnte  wohl  sein,  dass 
ihn  beim  Sprunge  die  Last  des  Körpers  erdrückt  hätte. 
Hatherus  schwang  nun  kräftig  das  Schwert  und  hieb  dem 
Greise  das  Haupt  ab.  Dieses  soll,  als  es  vom  Rumpfe  getrennt 
auf  die  Erde  fiel,  noch  in  eine  Scholle  gebissen  haben,  und 
offenbarte  durch  die  Wildheit  des  Mundes  die  grausame  Sinnes- 
art des  Sterbenden.  Der  Mörder  aber  fürchtete  unter  jener 
Verheissung  einen  Trug  und  unterliess  vorsichtig  den  Sprung. 
Wenn  er  ihn  blindlings  gewagt  hätte,  wäre  er  vielleicht  unter 
der  Wucht  des  stürzenden  Leichnams  verschüttet  worden  und 
hätte  so  mit  dem  eigenen  Tode  für  die  Ermordung  des  Greises 
gebüj?st.  Um  aber  einen  solchen  Helden  nicht  unbestattet 
liegen  zu  lassen ,  liess  er  meinen  Körper  auf  dem  Felde, 
welches  im  Volkmunde  Rölung^)  heisst,  einem  Grabmal 
übergeben. 


*)  Das  ist  diosollK»  Statte  in  Seclaml.  die  VI,   313  Koliung  genannt 
wurde. 


Tod  des  Starcatherus  und  Omundus.     Sywardus.     £bbo.         427 

Omundus  starb  nun,  wie  ich  lese,  in  tiefstem  Frieden 
und  ungestörter  Ruhe;  er  hinterliess  zwei  Söhne  und  ebenso 
viele  Töchter.  Der  älteste  von  jenen,  Sywardus^),  übernahm 
kraft  der  Erbschaft  die  Herrschaft,  während  sein  Bruder 
Buthlus  noch  ganz  jung  war.  Zu  dieser  Zeit  wurde  der 
Schwedenkönig  Götarus  infolge  des  Rufes  von  ihrer  aus- 
gezeichneten Schönheit  von  unendlicher  Liebe  zu  der  einen 
von  Omundus'  Töchtern  ergriffen  und  übertrug  die  Botschaft 
mit  der  Aufgabe  um  die  Jungfrau  zu  werben  einem  gewissen 
Ebbo,  Sibbos  Sohne.  Dieser  führte  seinen  Auftrag  sehr 
gewandt  aus  und  brachte  die  angenehme  Kunde  von  der  Ein- 
willigung des  Mädchens  zurück.  NMchts  fehlte  nun  Götarus 
mehr  zur  Erfüllung  seiner  Wünsche  ausser  der  Hochzeit,  die 
er  sich  scheute  bei  den  Fremden  zu  vollziehen;  deshalb  bat 
er  Ebbo,  dessen  er  sich  ja  schon  früher  als  Gesandten 
bedient  hatte,  ihm  seine  Braut  zuzuführen. 

Als  dieser  mit  einem  ziemlich  kleinen  Gefolge  durch 
Hailand  zog,  begab  er  sich,  um  zu  übernachten,  in  ein 
Bauerngehöft,  in  welchem  ein  mitten  hindurchströniender  Fluss 
die  einander  gegenüber  liegenden  Behausungen  zweier  Brüder 
trennte.  Diese  hatten  nun  die  Gewohnheit,  alle,  welche  sie  407 
gastfreundlich  aufnahmen,  zu  ermorden,  verstanden  es  aber, 
unter  dem  Scheine  der  Freigebigkeit  ihre  Räubereien  zu  ver- 
bergen. Sie  hatten  nämlich  einen  viereckigen  Balken,  wie 
eine  Presse  gestaltet  und  mit  einer  eisernen  Spitze  beschlagen, 
hoch  oben  am  Hause  an  verborgenen  Stricken  befestigt;  zur 
Nachtzeit  Hessen  sie  diesen  nun  herab,  indem  sie  die  Halte- 
taue wegnahmen ,  und  pflegten  so  die  Köpfe  der  darunter 
Liegenden  abzuschneiden;     auf  diese  Weise  hatten  sie  schon 


*)  Die  (lesehichto  von  Sywardus,  der  isländischen  Quellen  völlig 
fremd  ist,  bildet  die  Einleitung  zur  Janneriksage ,  die  gleich  folgt.  Stil 
und  Inhalt  der  Erzählung  weisen  darauf  hin,  dass  in  ihr  nicht  altes  ihii 
vorliegt,  sondern  dass  Zeitereignisse  —  die  Wendenkriege  unter  AValdemar 
in  der  Mitte  des  12.  Jhdts.  (vgl.  dazu  die  Geschichte  des  Roricus  III,  132 
u.  Anm.  3)  —  in  etwas  altertümelnder  Form  wiedergegeben  sind.  Den 
Hauptraum  nimmt  zudem  das  märchenhafte  Abenteuer  Ebbos  ein;  vgl. 
Olrik  II,  254  5. 


428  Achtes  Buch. 

viele  durch  die  schwebende  Masse  enthauptet.  Als  sie  dud 
Ebbo  und  den  Seinigen  ein  reichliches  Mahl  vorgesetzt  hatten. 
bereiteten  ihnen  Diener  ein  Lager  nahe  dem  Herde,  um  ihnen 
dann  heimtückisch  die  Köpfe,  die  auf  das  Feuer  zu  lagen^ 
durch  die  Wucht  des  Balkens  abzuschlagen.  Als  sie  weg- 
gingen, kam  Ebbo  die  Vorrichtung  zu  seinen  Häupten  ver- 
dächtig vor,  und  er  gebot  seinen  Leuten,  sich  wo  anders 
hinzulegen  und  sich  schlafend  zu  stellen,  indem  er  sagte, 
diese  Art  Veränderung  würde  ihnen  sehr  heilsam  sein.  Es 
275  befanden  sich  dabei  aber  auch  einige  die  nicht  zu  Ebbos 
Gefolge  gehörten;  diese  verachteten  die  Warnung,  auf  welche 
die  übrigen  alle  hörten,  und  blieben,  ohne  sich  zu  ruhreu, 
auf  der  Stelle  liegen,  die  jeder  gerade  gefunden  hatte.  Unter 
dem  Diiakal  der  Nacht  -wurde  nun  das  schwebende  Gewicht 
der  Maschine  von  den  Vollziehern  der  Heimtücke  in  Bewe- 
gung gesetzt,  der  Balken  entglitt  den  Knoten ,  in  denen  er 
hing,  sauste  mit  grosser  Gewalt  herab  und  überantwortete 
die  darunter  Liegenden  dem  Tode.  Um  nun  genauer  den 
Erfolg  der  Sache  zu  untersuchen,  brachten  die,  welchen  die 
Ausführung  der  Unthat  übertragen  war,  ein  Licht  und  fanden, 
dass  Ebbo,  dessentwegen  man  hauptsächlich  den  Anschlag 
unternommen  hatte,  klüglieh  der  Gefahr  ausgewichen  war. 
Von  diesem  wurden  sie  sogleich  angegriffen  und  mussten 
mit  dem  Tode  büssen.  Ebbo  aber  verlor  im  Handgemenge 
auch  seine  Leute,  fand  dann  zufällig  ein  Boot,  setzte  darin 
über  den  mit  zahlreichen  Eisschollen  bedeckten  Fluss  und  gab 
Götarus  mehr  über  sein  Unglück  als  über  den  Erfolg  seiner 
Gesandschaft  Auskunft. 

Götarus  vermutete,  dass  dieser  Ueberfall  auf  Antrieb 
des  Syw^ardus  veranstaltet  worden  sei  und  rüstete  sich,  mit 
Waffengewalt  Rache  für  die  Unbill  zu  nehmen.  Sywardus 
wurde  von  ihm  in  Hailand  geschlagen  und  entwich  nach 
Jütland,  während  seine  Schwester  von  den  Feinden  gefangen 
wurde.  Hier  siegte  er  über  einen  Haufen  Slaven,  welche 
ohne  Anführer  eine  Schlacht  wagten,  und  erntete  aus  diesem 
Siege  ebenso  grossen  Ruhm ,  als  er  sich  durch  die  Flucht 
Schimpf  zugezogen  hatte.     Als  aber  diese,  die  er  ohne  Feld- 


Abenteuer  £bbos;  Unglück  des  Sywardus.  429 

herr  geschlagen  hatte,  bald  einen  Anführer  bekamen,  musste 
er  ihnen  in  Fünen  weichen.     Mehrfach  mass  er  sich  mit  ihnen  408 
auch   in  Jütland,    aber  mit  unglücklichem  Erfolge.     So  kam 
es,  dass   er  Schonen  und  Jütland  verlor  und  nur  die  Mitte 
seines  Reiches  •    gleich  wie    den  Rumpf  eines  verstümmelten 
Körpers,  ohne  Haupt  zurückbehielt.     Sein  Sohn  Jarmericus 
ward  mit  seinen  beiden  Schwestern  im  zarten  Kindesalter  eine 
Beute  der  Feinde;    die  eine  derselben  ward  für  Geld  an  die 
Norweger  verkauft,    die    andere   an  die  Germanen;    denn  in 
alter    Zeit   waren    die    Ehen    Handelsgeschäfte^).     So  verfiel 
das  Dänenreich,    welches    auf   das    heldenhafteste    erweitert, 
durch  so  grosse  Ruhmesthaten  der  Vorfahren  berühmt  geworden, 
durch    so    viele   Siege  vergrössert  worden   war ,    wegen    der 
Unfähigkeit  eines   Mannes  vom  höchsten  Ruhmesglänze  und 
aus  dem  blühendsten  Zustande  in  so  tiefe  Schmach,  dass  es 
selbst  den  Tribut  zahlen    musste,    den  es  vorher  eingezogen 
hatte.     Sywardus    aber,    all    zu  oft  um  den  Sieg  betrogen 
und  wiederholt  an  schimpflichen  Niederlagen  schuld,  gewann 
es  nicht  über  sich,  nach  dem  so  hohen  Ruhme  der  Vorfahren 
bei   einem    so    schandvollen  Zustande  seines  Vaterlandes  die 
verworrenen   Zügel   der  Regierung   weiter  zu  führen;     damit 
nicht  sein  Iicben  noch  länger  zur  äussersten  Aufopferung  des 
Ruhmes  beitrüge,  beeilte  er  sich,  im  Kampfe  einen  ehrenvollen 
Tod  zu  suchen.     Denn  er  konnte  sein  Unglück  nicht  vergessen; 
er  wollte  zwar  seinen  Kummer  loswerden,  verzweifelte  aber 
an  einer  Besserung.     So    sehr  hatte  ihm  der  eifrige  Wunsch,  276 
seine    Schmach    zu   sühnen ,    das    Leben    verhasst    gemacht. 
Darum  rüstete   er  seine  Truppen   zur  Schlacht    und    erklärte 
einem  gewissen  Simo,  einem  Statthalter  des  Götarus  in  Schonen, 
oflFen  den  Krieg.     Er  führte   ihn  mit  der  hartnäckigen  Kraft 
der  Verzweiflung,    erschlug  Simo^;    und    endete  nach  einem 
Blutbade    unter   den    Feinden  sein    Leben.      Sein   Vaterland 
aber  konnte  trotzdem  nicht  von  der  Last,  den  Tribut  zu  zahlen, 
befreit  werden. 


»)  Vgl.  V,  250  und  I,  26  Anm.  2. 

*)  Auch  dieser  chrutUehe  (.jüdische),  nicht  germanische  Name  ist  ein 
Zeichen  für  die  Jugend  der  Erzählung. 


430  Achtes  Buch. 

Unterdessen  sass  Jarmericus^)  mit  seinem  gleichaltrigen 
Milchbruder  Gunno  im  Gefängnis,  bei  dem  Slavenkönig  Is- 
marus.  Endlich  wurde  er  jedoch  entlassen,  und  betrieb,  zu 
Feldarbeiten  verwandt,  den  Ackerbau.  Infolge  seiner  ge- 
schickten Leistungen  dabei  wurde  er  zum  Aufseher  über  die 
königlichen  Sklaven  ernannt.  Als  er  sich  auch  hier  tadellos 
bewies,  wurde  er  unter  die  Leibwache  des  Königs  versetzt; 
da  er  sich  dort  nach  Höflingsbrauch  durch  äusserst  liebens- 
würdiges Benehmen  auszeichnete,  wurde  er  nach  kurzer  Zeit 
unter  die  Zahl  der  Freunde  des  Königs  aufgenommen,  und 
409  in  einer  Art  Stufenleiter  von  Verdiensten  gelangte  er  aus 
der  niedrigsten  Stellung  bis  zum  glänzendsten  Gipfel  der 
Ehren.  Um  nicht  eine  träge  und  schwächliche  Jugend  zu 
verleben,  gewöhnte  er  sich  an  kriegerische  Uebungen  und 
vermehrte  seine  natürlichen  Gaben  noch  durch  Fleiss.  Allen 
war  die  Veranlagung  des  Jarmericus  angenehm,  nur  der 
Königin  war  das  Talent  des  Jünglings  verdächtig.  Ein  plötz- 
lich auftauchendes  Gerücht  verkündigte  auch,  dass  des  Königs 
Bruder  vom  Geschick  hingerafft  sei.  Da  ihm  Ismarus  ein 
glänzendes  Begräbnis  zu  teil  werden  lassen  wollte,  veran- 
staltete er,  damit  der  Prunk  der  Leichenfeier  um  so  grösser 
werde,  mit  königlicher  Freigebigkeit  ein  Gastmahl.  Jar- 
mericus aber,  der  sonst  zusammen  mit  der  Königin  die 
Aufgabe  hatte,  sich  um  das  Hauswesen  zu  kümmern,  begann 


*)  Die  hier  beginnende,  bei  Saxo  nach  dänischer  Volksüberlieferungr 
dargestellte  Jamieriksage  zerfällt  in  zwei  Hauptabschnitte:  1.  Die  Jugend 
des  Helden  und  seine  Kämpfe,  2.  Swanhildens  Tod  und  dessen  Folgen. 
Der  Held  der  Sage  ist  der  historische  Ostgotenkönig  Airmauareiks  (deutsch 
Emianarich,  nrd.  Jormunrekr),  der  sieh  375  seihst  tötete.  Die  Jugend- 
geschichte ist  von  Saxo  allein  überliefert  und  märchenhaft  ausgestaltet 
(Olrik  in  d.  Zeitschr.  d.  Ver.  f.  Volkskde  II ,  252  ff.)-  !i*onst  s.  über  die 
Sage  Oh-ik  II,  252  ff.;  Symons  i.  Grdr.«  III.  ««2  ff.  u.  bes.  Jiriczek,  Deutsche 
Heldensagen  I,  55  tf.,  vor  allem  darin  Ö.  95  ff.,  115  ff.  —  Ferner  die  Edda- 
lieder Gudruns  Aufreizung  und  das  Lied  von  Hanidir  (=  Gering  S.  286  u. 
290),  und  Rassmann,  Die  deutsche  Heldensage'  (Hannover  1863)  I,  S.  262, 
330,  355  if.,  II,  475,  570  if.,  wo  üebersetzungen  noch  anderer  Quellen 
gegeben  sind  (Edda,  Völsungasaga,  ober-  u.  niederdeutsche  Berichte, 
Thidrekssaga). 


Jamericus^  Jugend  und  Flucht.  431 

jetzt  eifrig  an  die  Flucht  zu  denken,  der  die  Abwesenheit 
des  Königs  glückliehen  Erfolg  zu  versprechen  schien.  Er 
erkannte  nämlich,  dass  er  auch  unter  Schätzen  nur  ein 
elender  Sklave  sein  werde  und  gleichsam  nur  durch  fremde 
Güte  sein  klägliches  Leben  friste.  Ausserdem  glaubte  er, 
trotz  der  hohen  Ehren,  die  er  beim  König  genoss,  die  Frei- 
heit diesen  Freuden  vorziehen  zu  müssen,  und  er  brannte 
von  heftigster  Begier,  sein  Vaterland  zu  besuchen  und  sein 
Geschlecht  kennen  zu  lernen.  Da  er  aber  wusste,  dass  die 
Königin  für  ausreichende  Wachen  gesorgt  hatte,  damit  keiner 
der  Gefangenen  entwischen  könnte,  bemühte  er  sich,  durch 
List  auszuführen«,  was  er  mit  Gewalt  nicht  erreichen  konnte. 
Daher  steckte  er  in  eine  aus  Bast  und  Ruten  geflochtene 
Figur,  wodurch  die  fjandleute  gleichwie  durch  eine  mensch- 
liehe  Gestalt  die  Vögel  von  den  Aehren  zu  verscheuchen  pflegen, 
einen  lebenden  Hund.  Dann  zog  er  seine  Kleider  aus  und 
legte  sie  diesem  Gebilde  an ,  damit  es  um  so  wahrschein- 
licher eine  Menschengestalt  darstelle.  Darauf  brach  er  in 
des  Königs  Privatschatz  ein,  nahm  das  Gold  heraus  und  ver-  277 
barg  es  an  nur  ihm  bekannten  Orten.  Inzwischen  trug  G  unno, 
der  den  Auftrag  hatte,  die  Abwesenheit  seines  Gefährten  zu 
verheimlichen,  die  Puppe  in  die  Königshalle,  reizte  den  Hund 
zum  Bellen  und  berichtete  auf  die  Frage  der  Königin,  was 
das  bedeute,  Jarmericus  sei  wahnsinnig  geworden  und 
heule.  Jene  Hess  sich  beim  Anblick  der  Figur  durch  die 
Aehulichkeit  täuschen  und  gebot,  den  Verrückten  aus  dem 
Palaste  hinauszuwerfen.  Da  brachte  Gunno  die  Puppe  hin- 
aus und  legte  sie ,  gleich  als  ob  sie  sein  rasender  Gefährte 
sei,  ins  Bett.  In  der  Nacht  aber  machte  er  die  Wachen  bei 
einem  heiteren  Mahle  durch  reichlichen  Weingenuss  unschäd- 
lich ,  schnitt  ihnen  im  Schlafe  die  Köpfe  ab  und  legte  sie  410 
ihnen,  um  ihren  Tod  noch  schimpflicher  zu  machen,  zwischen 
die  Beine.  Durch  den  Lärm  wurde  die  Königin  aufgeweckt, 
und  da  sie  die  Ursache  davon  wissen  wollte,  öffnete  sie  erregt 
die  Thür.  Sowie  sie  aber  unvorsichtig  ihren  Kopf  hinaus- 
steckte, wurde  sie  unversehens  von  Gunno  s  Schwert  durchbohrt. 
Als  sie  mit  der  Todeswunde  niedersank,  wandte  sie  die  Augen 


432  Achtes  Buch. 

auf  ihren  Mörder  und  sagte:  Wenn  ich  unversehrt  hätte  lebeQ 
dürfen,  würdest  durch  keinen  listigen  Anschlag  dieses  Land 
verlassen.  —  So   ergoss  sie    noch    sterbend  viele  Drohungea 
über  ihren  Mörder.      Darauf   legte    Jarmericus    zusammen 
mit  Gunno,  dem  ruhmreichen  Genossen  seiner  That,   heim- 
lich Feuer  an  das  Gemach,   in  dem  der  König  beim  Gelage 
die  Leichenfeier  für  seinen  Bruder  hielt,    und    da    alle  von 
der  Trunkenheit    überwältigt  waren ,    war    es    bald  von    den 
Flammen  erfüllt^).     Als  diese  weiter  um  sich  griffen,  schüt- 
telten einige  den  Dämmer  des  Rausches  von  sich  ab,  schwangen 
sich  zu  Pferde    und  verfolgten  die ,    welche   sie    als  Urheber 
ihrer  Gefahr  entdeckt  hatten.     Die  Jünglinge  aber  ritten  zu- 
erst auf  den  Tieren,   die   sie  sich  genommen  hatten,  davon, 
und  als  diese  zuletzt  von  dem  all  zu  langen  Laufen  abgemattet 
waren ,    setzten    sie    zu  Fuss    ihre  Flucht  fort.     Als  sie  fast 
schon   ergriffen   wurden ,    brachte    ihnen    ein   Fluss  Rettung. 
Sie  überschritten  nämlich  eine  Brücke,  deren  Balken  sie  schon 
vorher,  um  die  Verfolger  aufzuhalten,  halb  durchgesägt  hatten, 
sodass  sie  nicht  nur  keine  Last  mehr  aushalten  konnte,  sondern 
schon  dem  Einstürze  nahe  war;  dann  begaben  sie  sich  absicht- 
lich in  eine  dunkle  Schlucht.     Als  die  Slaven,  allzuwenig  die 
Gefahr  voraussehend,  unvorsichtig  die  Brücke  mit  dem  Gewicht 
ihrer  Pferde  belasteten,  brach  das  schwache  Gebälk  zusammen, 
und    sie    stürzten   in  den  Strom.     Während  sie  schwimmend 
das  Ufer  zu  erreichen  strebten,   wurden   sie  von  Gunno  und 
Jarmericus,  die  ihnen  entgegentraten,  aufgefangen  und  ertränkt 
oder  erschlagen.     So  vollbrachten  die  Jünglinge  vermöge  ihrer 
ausgezeichneten  Schlauheit,  nicht  wie  flüchtige  Sklaven,  sondern 
wie  mit  Weisheit  begabte  Greise,   eine    That,    die  weit  über 
ihr  Alter  hinausging ,    und  was   sie  so   listig  geplant  hatten, 
führten  sie   auch  thatkräftig  durch.     Sobald  sie  aber  an  den 
Strand  kamen,   ergriffen  sie  ein  Schiff,  das  ihnen  der  Zufall 
entgegenbrachte ,    und    segelten   in    das    hohe   Meer    hinaus. 
Als  die  verfolgenden  Barbaren  sie  auf  See  sahen,  suchten  sie 
sie    durch    lautes   Schreien    zurück  zu  rufen.     Sie  verhiessen 


»)  Vj?l.  III,  131  und  Anm.  3. 


Jarmericus'  Flucht  und  Siege. 


433 


ihnen,  sie  sollten  herrschen,  wenn  sie  zurückkehrten;     denn 
nach  einer  öffentlichen  Verordnung  der  Alten  sei  den  Mördern 
von   Königen   die    Nachfolge    in    der    Herrschaft    zuerkannt.  278 
Lange    noch    erfüllte    das    andauernde    Geschrei    der  Slaven  411 
mit  den  verführerischen  Versprechungen  die  Ohren  der  Flücht- 
linge. 

Zu  dieser  Zeit  herrschte  Buthlus,  der  Bruder  des 
Sywardus,  vertretungsweise  über  die  Dänen;  bei  der  Ankunft 
des  Jarmericus  aber  sah  er  sich  genötigt,  diesem  die 
Herrschaft  zu  übergeben ,  und  so  ward  er  aus  einem  König 
ein  Privatmann.  Um  dieselbe  Zeit  tötete  Götarus  den 
Sibbo,  den  er  der  Schändung  seiner  Schwester  bezichtigte. 
Infolge  dieses  Mordes  eilten  dessen  Verwandte  klagend  zu 
Jarmericus  und  verhiessen,  sie  würden  aus  Rache  für  ihren 
Angehörigen  mit  ihm  zusammen  Götarus  bekriegen.  Sie 
brachen  auch  ihr  Versprechen  durchaus  nicht.  Denn  mit 
ihrer  Hilfe  gelang  es  Jarmericus ,  Götarus  zu  schlagen  und 
sich  Schwedens  zu  bemächtigen.  Da  er  nun  über  zwei  Völker- 
schaften herrschte,  griff  er  im  Vertrauen  auf  seine  gesteigerte 
Macht  die  Slaven  in  einem  Kriegszuge  an.  Vierzig  von 
ihnen  nahm  er  gefangen  und  Hess  sie  neben  eben  so  viel 
Wölfen  aufhängen*).  Diese  Art  Strafe,  die  einst  für  Vater- 
mörder bestimmt  war ,  wollte  er  deswegen  an  den  Feinden 
vollstreckt  wissen,  damit  man  schon  aus  der  Gemeinschaft 
mit  den  wilden  Tieren  ersehen  könnte,  wie  grausam  sie  gegen 
die  Dänen  verfahren  waren.  Als  er  auch  ihr  Land  unter- 
worfen, verteilte  er  Besatzungen  in  die  geeigneten  Plätze. 
Dann  brach  er  auf  und  brachte  den  Sembonen,  Kurländern 
und  mehreren  andern  Völkerschaften  des  Ostens  eine  Nieder- 
lage bei.  Da  der  König  hiermit  beschäftigt  war,  glaubten 
die  Slaven ,  es  sei  ihnen  Gelegenheit  zum  Abfall  geboten, 
erschlugen  die  Befehlshaber,  die  er  eingesetzt  hatte,  und  ver- 
heerten Dänemark.  Bei  der  Rückkehr  von  seinem  Raubzuge 
fing  Jarmericus  zufällig  ihre  Flotte  ab,  zerstörte  sie  und  er- 
höhte durch  diese  That  noch  den  Ruhm  seiner  früheren  Siege. 


')  Vgl.  B.  V,  263  u.  Anm.  2. 
Saxo  Grammaticus. 


28 


434  Achtes  Buch. 

Uebrigens  liess  er  den  Yornehmen  unter  ihnen  zuerst  Riemen 
durch  die  Schienbeine  ziehen,  sie  dann  an  die  Hufe  wilder 
Tiere  binden  und  diese  mit  Hunden  hetzen.  So  hiess  er  sie 
durch  Kot  und  Dickicht  schleifen  und  tötete  sie  unter  einem 
klagliohen  Schauspiele.  Dadurch  wurde  der  Mut  der  Slaven 
gebrochen  und  sie  erkannten  in  höchster  Angst  die  Herr- 
schaft des  Königs  an.  Jarmericus  hatte  sich  nun  an  der 
Beute  von  so  vieleu  Völkern  so  bereichert^),  dass  er  ein 
sicheres  Unterkommen  für  dieselben  schaffen  musste,  und  er 
erbaute  dafür  auf  einem  sehr  hohen  Felsen  mit  bewundems- 

412  werter  Kunst  ein  Haus.  Er  errichtete  einen  Damm  von 
Erdschollen,  in  dessen  Grund  er  zahlreiche  Steine  werfen  Hess., 
und  umgab  den  untersten  Teil  mit  einem  Walle,  den  mittleren 
mit  einer  Reihe  von  Zimmern,  den  obersten  mit  Brustwebren. 
Ringsherum  stellte  er  übrigens  eine  ununterbrochene  Kette 
von  Wachen  auf.  Vier  grosse  Thüren  gewährten  voji  ebenso 
vielen  Seiten  ungehinderten  Zutritt.  In  diesem  herrlichen 
Gebäude  häufte  er  die  ganze  Pracht  seiner  Schätze  auf.  Als 
er  80  seine  häuslichen  Angelegenheiten  geordnet,  wendete  er 
seinen  Sinn  wieder  äusseren  zu.     Er  unternahm   eine  Fahrt, 

270  begegnete  vier  Brüdern  hellespontischer*)  Abkunft,  die  sehr 
an  den  Beruf  des  Seeraubes  gewöhnt  waren,  auf  dem  Meere 
und  zögerte  nicht,  sie  in  einer  Seeschlacht  anzugreifen.  Nach- 
dem diese  drei  Tage  gedauert ,  bedang  er  sich  von  ihnen 
ihre  Schwester  samt  der  Hälfte  des  Tributes  aus,  welchen  sie 
den  von  ihnen  Besiegten  auferlegt  hatten  ,  und  brach  dann 
das  Treffen  ab. 

Darnach  entwischte  Bieco^),  der  Sohn  des  Königs  der 
Livländer,  aus  der  Gefangenschaft,  in  der  er  von  den  genannten 
Brüdern  gehalten  wurde,  und  begab  sich  zu  Jarmericus« 
von  dem  er  einst  seiner  Brüder  beraubt  worden  war,  ohne 
jedoch  diese  Unbill  vergessen  zu  haben.     Freundlich  von  diesem 


')  Der  Reichtum  des  .loruierik  ist  in  der  germanischen  Sage  ganz 
allgemein  bekannt;  s.  W.  (irimm,  Die  deutsche  Heidonsage*  S.  19. 

')  Was  fiir  Leute  mit  den  Hellespontiern  gemeint  sind,  ist  nicht  zu 
ersehen:  vpl.  Anm.  2  auf  Ö.  36. 

*)  In   der  Vülsun^rasaga  heisst   er  Bikki,   in  der  Thidrekssaga  Siflca. 


Jarmericus  und  Bicco.  435 

aufgenommen ,  wurde  er  bald  der  ganz  besondere  Vertraute 
seiner  Geheimnisse.  Sobald  er  merkte ,  dass  der  König  für 
alle  seine  Ratschläge  empfänglich  sei,  verführte  er  ihn,  wenn 
er  seinen  Rat  in  Anspruch  nahm^  immer  zu  den  verabscheu- 
ungs würdigsten  Handlungen  und  veranlasste  ihn,  die  nichts- 
würdigsten Verbrechen  zu  begehen.  So  übte  er  unter  dem 
Scheine  der  Willfährigkeit  die  Kunst  des  Schädigens.  Besonders 
aber  reizte  er  ihn  gegen  seine  nächsten  Blutsverwandten. 
In  dieser  Weise  suchte  er  durch  List  Rache  für  seine  Brüder 
zu  nehmen,  da  er  es  mit  Gewalt  nicht  konnte.  So  kam  es, 
dass  der  König  statt  seiner  tugendhaften  Eigenschaften  schmut- 
zige Laster  annahm  und  für  das,  was  er  auf  Antrieb  seines  treu- 
losen Beraters  Grausames  verübte,  sich  allgemeinen  Hass  zuzog. 
Auch  eine  Empörung  der  Slaven  brach  gegen  ihn  aus.  Um 
diese  zu  dämpfen,  Hess  er  ihren  gefangenen  Führern  Stricke 
durch  die  Schienbeinknochen  ziehen,  und  sie  dann  von  Pferden, 
die  nach  verschiedenen  Richtungen  gejagt  wurden,  zerreissen  ^). 
Auf  diese  Weise  getötet,  mussten  die  Rädelsführer  durch  die 
Zerfleischung  ihrer  Leiber  für  ihre  Hartnäckigkeit  büssen.  413 
Dieses  Verfahren  aber  erhielt  die  Slaven  fortan  in  Gehorsam 
und  gleichmässiger,  stäter  Unterwürfigkeit. 

Unterdessen  aber  erhoben  die  Schwestersöhne  des  Jar- 
mericus, die  in  Germanien  geboren  und  erzogen  waren,  im 
Vertrauen  auf  den  Namen  ihres  Grossvaters  die  Waften  gegen 
ihren  Oheim,  indem  sie  behaupteten,  ihnen  komme  die  Herr- 
schaft ebenso  gut  wie  jenem  zu.  Der  König  zerstörte  ihre 
Befestigungen  in  Germanien  durch  Maschinen ,  belagerte 
mehrere  Städte  oder  nahm  sie  ein,  einige  Hess  er  auch  dem 
Erdboden  gleich  machen  und  kehrte  nach  einem  unblutigen 
Siege  zu  seinen  Bürgern  zurück.  Da  kamen  ihm  die  Helles- 
pontier  entgegen  und  brachten  ihm  ihre  Schwester^)  zu  der 
verabredeten  Vermählung.  Diese  wurde  gefeiert,  und  dann 
wandte  er  sich  wieder  auf  Antrieb  Biccos  nach  Germanien, 


^)  Das  ist  natürlich  nur  eine  Wiederaufnahme  des  auf  der  vorigen 
Seite  berichteten  Zuges. 

')  Sie  heisst  Swanhild  (bei  Sazo  Swanilda);  s.  unten. 

28* 


436  Achtes  Buch. 

WO  er  nicht  zögerte,  seine  während  des  Krieges  gefangenen 
NeflFen  aufhängen  zu  lassen.  Die  Vornehmen  versammelte  er. 
indem  er  zum  Scheine  ein  Gastmahl  veranstaltete,  und  liess 
sie  ebenfalls  auf  dieselbe  Weise  umbringen. 

Indessen  hatte  der  König  dem  Broderus^),  den  er  einst 
in  einer  andern  Ehe  erzeugt,  die  Obhut  über  seine  Stiefmutter 
übertragen,  die  dieser  auch  in  vollkommen  sittenreiner  Wach- 
samkeit ausübte.  Bicco  bezichtigte  ihn  aber  beim  Vater  der 
Blutschande,  und  um  nicht  den  Verdacht  zu  erwecken,  dass 
er  ihn  fälschlich  angeklagt  habe,  verfolgte  er  ihn  mit  falschen 

280  Zeugen.  Als  nun  die  Anklage  in  allen  Punkten  vollständig 
erhoben  war,  konnte  Broderus  keine  giltige  Entschuldigung 
zu  seinem  Schutze  vorbringen,  und  der  Vater  bat  seine  Freunde, 
das  Urteil  über  den  Angeklagten  abzugeben;  denn  er  hielt 
es  für  weniger  lieblos ,  wenn  andere  die  Strafe  für  seinen 
Sohn  bestimmten,  als  wenn  er  selbst  den  Urteilsspruch  fälle. 
Alle  andern  erkannten,  er  verdiene  Aechtung,  nur  Bicco  scheute 
sich  nicht,  eine  verhängnisvollere  Ansicht  gegen  sein  Leben 
zu  äussern  und  erklärte,  der  Verüber  einer  sündhaften  Schän- 
düng  müsse  am  Galgen  büssen.  Damit  man  nun  aber  nicht 
glaube  ,  diese  Strafe  gehe  von  der  Grausamkeit  des  Vaters 
aus,  so  sollte  man  ihn,  meinte  er,  an  einer  Schlinge  fest- 
geknüpft auf  ein  Brett  stellen ,  das  von  Dienern  getragen 
würde.  Wenn  diese  ermattet  die  Hände  unter  der  Last  sinken 
Hessen ,  so  würden  diese  gewissermassen  für  den  Tod  des 
Jünglings  verantwortlich  uud  würden  durch  ihre  Schuld  den 
König  von  dem  Verbrechen  des  Kindesmordes  befreien. 
Ausserdem  versicherte  er,  wenn  der  Anklage  nicht  die  Strafe 
folge,  werde  er  seinem  Vater  nach  dem  Leben  trachten.  Die 
Ehebrecherin  Swanil da  aber  müsste,  damit  sie  um  so  schmäh- 
licher aus  dem  Leben  scheide,  von  Tieren  mit  den  Hufen 
zerstampft  werden.     Der  König    folgte    Bicco,    liess    seinen 

414  Sohn  zum  Galgen  führen  und  ihn  von  den  Umstehenden  mit 
Hilfe  eines  Gerüstes  unterstützen ,  damit  er  nicht  erwürgt 
werden  könne.   So  rief  ein  unschädlicherKnoten,  der  seine  Kehle 


*)  In  der  V(">lsungasaga  heisst  er  Kandverr  (Hassmaiin  I,  S.  263). 


Geschichte  des  Broderus  und  Swaohildas.  437 

nur  ein  wenig  zusammenschnürte ,  bloss  den  Eindruck  einer 
scheinbaren  Strafe  hervor.  Die  Königin  aber  Hess  er  fest  an 
die  Erde  binden  und  gab  sie  Pferden  preis,  die  sie  mit  ihren 
Hufen  zerstampfen  sollten.  Der  Sage  nach  aber  war  ihre 
Schönheit  so  gross,  dass  selbst  die  Tiere  davor  zurückschreckten, 
so  herrlich  schöne  Glieder  zu  zerfleischen.  Der  König  meinte, 
durch  dieses  Zeichen  werde  die  Unschuld  seiner  Gemahlin 
kund  gethan,  empfand  Reue  über  seinen  Irrtum  und  beeilte 
sich  ,  die  fälschlich  Angeklagte  zu  befreien.  Indessen  eilte 
aber  Bicco  herbei,  um  zu  versichern,  dass  sie  in  ihrer  Rücken- 
lage die  Tiere  durch  Zaubersprüche  zurückscheuche  und  nur 
zerstampft  werden  könne,  wenn  sie  auf  dem  Gesicht  läge. 
Er  wusste  nämlich  wohl,  dass  sie  Dank  ihrer  Schönheit  ver- 
schont geblieben  sei.  Als  nun  der  Leib  der  Königin  umge- 
wendet war,  zermalmte  die  Herde  der  Tiere,  die  man  auf  sie 
hetzte,  sie  mit  ihren  vielen  Huftritten.  Das  war  Swanildas 
Ende.  Inzwischen  kam  der  Lieblingshund  des  Broderus 
zum  König  gelaufen  und  schien  unter  einer  Art  kläglichen 
Geheuls  die  Hinrichtung  seines  Herrn  zu  beweinen.  Auch 
sein  Habicht  wurde  gebracht,  da  dieser  begann,  sich  selber 
mit  dem  Schnabel  die  Federn  auszurupfen.  Der  König  fasste 
dessen  Nacktheit  als  Zeichen  eigener  Kinderlosigkeit  auf  und 
schickte  schleunigst,  um  dem  Zeichen  zuvorzukommen,  Leute 
ab,  die  seinen  Sohn  aus  der  Schlinge  herausnehmen  sollten. 
Er  vermutete  wegen  der  Federlosigkeit  des  Vogels,  dass  er 
selber  ohne  Kinder  dastehen  würde ,  wenn  er  sich  nicht  in 
Acht  nähme.  Sobald  Broderus  aus  seiner  gefährlichen  Lage 
befreit  war,  meldete  Bicco  aus  Furcht  vor  einer  Strafe  für  seine 
Angeberei  eiligst  den  Hellespontiern,  das^  Swanilda 
von  ihrem  Manne  grauenvoll  getötet  worden  sei.  Als  diese  in  See 
gingen,  um  ihre  Schwester  zu  rächen,  kehrte  er  zu  Jarmericus  281 
zurück,  um  ihn  zu  benachrichtigen,  dass  von  den  Hellespontiern 
ein  Kriegszug  gegen  ihn  geplant  werde.  Der  König  meinte, 
er  würde  sicherer  hinter  Mauern  als  in  offener  Feldschlacht 
kämpfen  und  flüchtete  sich  hinter  die  Befestigung,  die  er 
erbaut  hatte.  Um  dort  die  Belagerung  auszuhalten,  Hess  er 
die  inneren  Räume  mit  Vorräten,  die  äusseren  mit  Bewaffneten 


438  Achtes  Buch. 

anfüllen.     Goldglänzende  Tartschen  und  ringsum  aufgehängt«' 
Schilde  schmückten  die  obersten  Galerien  des  Gebäudes.     Es 
geschah  aber,  dass  die  Hellespontier,  im  Begriff  die  Leute  zu 
verteilen .    eine    grosse  Menge    der    ihrigen  des  Unterschleifs 
bezichtigten  und  töteten.    Da  sie  nun  bei  ihrem  eigenen  Zwist 
einen  so  grossen  Teil  ihrer  Truppen  eingebüsst  hatten,  glaubten 
sie,  die  Eroberung  dieser  Burg  übersteige    ihre  Kräfte,    und 
fragten    eine  Zauberin  Namens  Guthruna    um    Rat.       Auf 
deren  Anstiften    wurden    nun    die  Kämpfer    der    königlichen 
415  Partei  plötzlich  des  Augenlichts    beiraubt    und   wandten    ihre 
Waffen  gegen  sich  selbst.     Als  die  Hellespontier  dies  bemerk- 
ten, brachten  sie  eine  Belagerungsmaschine  heran  und  besetzten 
die    ersten  Zugänge   zu    den  Thoren.     Dann    rissen    sie     die 
Pfosten  weg ,    drangen   in    die  Burg    ein    und  metzelten    die 
blinden  Scharen  ihrer  Feinde  nieder.     In  diesem  Gewirr  kam 
Othinus   herbei,    mischte  sich  mitten  unter  die  Knäuel  der 
Kämpfenden  und  gab  den  Dänen,    die    er   immer  mit  väter- 
licher Liebe  gehegt  hatte,  durch  seine  höhere  Kraft  das  ihnen 
durch  den  Zauber  geraubte  Augenlicht  wieder.     Er  lehrte  sie 
auch,  die  Hellespontier,  die  sich  durch  Zaubersprüche  gegen 
Geschosse  zu  feien  pflegten,    durch  zahlreiche  Steinwürfe   zu 
vernichten.     So  kamen  beide  Heere  in  gegenseitigem  Gemetzel 
um.     Jarmericus    wälzte    sich,    beider   Hände    und  Füsse 
beraubt,  mit  seinem  verstümmelten  Körper  unter  den  Leichen 
umher.     Sein  nur  allzuwenig  geeigneter  Bruder  folgte  ihm  in 
der  Regierung. 

Nach  diesem  herrschte  Sywaldus.  Dessen  Sohn  Snio') 
warf  sich  eifrig,  als  sein  Vater  alt  wurde,  auf  den  Seeraub 
und  erhielt  nicht  nur  den  Umfang  seines  Vaterlandes,  sondern 
stellte  auch,  da  er  ja  vermindert  war,  dessen  früheren  Zustand 
wieder  her.  Als  er  die  Herrschaft  übernommen  hatte,  bändigte 
er   die   Frechheit   der  Fechter  Eskillus   und  Alkillus  und 


^)  Der  Name  des  Könifjs  Siijn  =  Schnee  (auch  isländisch  als  Snaer 
|hinn  gauiU]  bekannt)  pfehört  ursprünjflich  einem  Reifriesen:  doch  ist  von 
der  mythischen  Cinnullaj^e  bei  Saxo  nichts  mehr  zu  erkennen.  Die  Sage 
zerfsillt  in  drei  Hauptabschnitte:  1.  Snjo  jjewiunt  seine  (lemahlin.  2.  Die 
f^rt^e  vom  Trinker.     3.  Die  Auswanderersape.    Vjfl.  Olrik  H,  261  ff. 


Tod  des  Jarmericus.    Sywaldus.     Snio.  439 

führte  durch  seinen  Sieg  Schonen,  das  der  dänischen  Ober^ 
hoheit  entzogen  war,  wieder  zum  Bunde  mit  seinem  Vaterlande 
zurück.     Endlich  verliebte  er  sich  in  die  Tochter  des  Königs 
der  Götländer,  die  seine  Liebe  erwiderte,   und  suchte  durch 
heimliche  Boten  die  Möglichkeit  zu  erlangen,  mit  ihr  zusammen 
zu  kommen.    Diese  aber  wurden  von  dem  Vater  des  Mädchens 
abgefangen,  aufgehängt  und  mussten  so  für  ihre  Unvorsichtig- 
keit bei  der  Gesandtschaft  büssen.     Da  Snio  für  sie  Rache 
zu  nehmen  wünschte,  griff  er  Götland  feindlich  an;  als  ihm 
der  König   mit  seinen  Truppen  entgegenkam,   ersuchten  ihn 
die   vorgenannten  Kämpfer  in  Form  einer  Herausforderung, 
er  möge  die  Sache  durch  Fechter  entscheiden  lassen.     Snio 
stellte  die  Bedingung,  dass  jeder  der  beiden  Könige,  je  nach 
dem  Schicksal  seiner  Kämpen  entweder  sein  Eigentum  verlieren 
oder  das  fremde  Reich  gewinnen  sollte,  und  dass  die  Herrschaft 
des  Besiegten  als  Preis  des  Siegers  ausgesetzt   würde.     So  282 
kam   es,   dass  der  König   der  Götländer,   infolge  des   Miss- 
geschickes seiner  Fechter  überwunden,  gezwungen  wurde,  zu 
Gunsten  der  Dänen  sein  Reich  zu   verlassen.     Sobald  Snio 
erfuhr,  dass  seine  Tochter  auf  Veranlassung  ihres  Vaters  fort- 
geschickt  worden   sei,   um   den  Schwedenkönig  zu   heiraten, 
sandte  er  einen  Mann  in  abgetragener  Kleidung,  der  an  den  416 
öffentlichen  Wegen  Almosen  zu  erbetteln  pflegte,  zu  ihr,  um 
ihre  Gesinnung  zu  erkunden.    Als  dieser  nach  Bettlerart  nahe 
der  Schwelle  seinen  Sitz  nahm,  und  er  die  Königin  gerade  sah, 
flüsterte  er  ihr  mit  leiser  Stimme  zu:  Snio  liebt  dich.  —  Jene 
fing,  ohne  es  sich  merken  zu  lassen,  die  Laute  auf,  die  ihr 
Ohr  trafen,  schritt  aber,  ohne  sich  umzusehen  oder  umzukehren, 
weiter  in  die  Halle.    Dann  drehte  sie  sogleich  um  und  sagte 
mit  leisem,  kaum  hörbaren  Lispeln:  Ich  liebe  den  wieder,  der 
mich  liebt.  —  Damit  ging  sie  wieder  weg.    Voll  Freude  dar- 
über,  dass  sie  ein  Wort  der  Erwiderung  ihrer  Liebe  gesagt, 
setzte  sich  der  Bettler  am  nächsten  Tage  wieder  an  die  Thür, 
und  als  die  Fürstin  da  war,  sagte  er  mit  gewohnter  Kürze: 
Der  Wunsch  muss   seine   Stätte   haben.  —  Wieder  verstand 
sie  die  Bedeutung  dieses  schlauen  Wortes  und  ging  in  höchster 
Verstellung  weg.    Bald  darauf  kam  sie  wieder  an  dem  Kund- 


440  Achtes  Buch. 

schafter  vorbei  und  versicherte,  sie  werde  binnen  kurzem  nach 
Böcherör^)  gehen;  denn  diesen  Ort  bestimmte  sie  für  ihre 
Flucht.  Sicher  über  diesen  Punkt  fuhr  der  Bettler  mit  der 
gewohnten  Gewandtheit  in  seinen  Fragen  fort,  eine  geeignete 
Zeit  für  ihr  Vorhaben  zu  erforschen.  Jene  aber  war  ihm 
weder  an  Schhiuheit  unterlegen  noch  verständliclier  in  ihreu 
Ausdrücken  und  nannte  so  kurz  als  möglich  den  Anfang  des 
Winters.  Uebrigens  hielt  ihr  Gefolge,  das  einen  flüchtigen  Ton 
dieses  Liebesgespräches  vernommen  hatte,  ihre  erfindungs- 
reiche Klugheit  für  den  Ausfluss  äusserster  Narrheit.  Als 
Snio  von  dem  Bettler  genaue  Kunde  erhalten  hatte,  Hess  er 
die  Königin,  die  ihren  Gemahl  seine  Schätze  entwendet  und 
sich  unter  dem  Vorwand,  zu  baden,  entfernt  hatte,  in  einem 
Schiffe  entführen.  Später  aber  wurde  sehr  häufig  zwischen 
ihm  und  dem  Schwedenkönig  —  denn  der  eine  wollte  seinen 
rechtmässigen  Ehebund  wieder  anknüpfen,  der  andere  den 
unrechtmässigen  behaupten,  —  mit  schwankendem  Ausgange 
und  wechselndem  Erfolge  gekämpft*). 

Zu  dieser  Zeit  ward  infolge  höchst  ungünstiger  Witterungs- 
verhältnisse die  Fruchtbarkeit  der  Aecker  vernichtet,  und  es 
trat  eine  grosse  Getreideteuerung  ein.  Da  nun  wegen  der 
Seltenheit  der  Nahrungsmittel  eine  schwere  Hungersnot  das 
Volk  aufrieb,  war  der  König  in  Verlegenheit,  auf  welche 
Weise  er  denn  den  schweren  Zeiten  steuern  sollte;  und  da 
er  nun  einen  bedeutend  grösseren  Aufwand  bei  den  Trinkern 
417  als  bei  den  Essern  bemerkte,  verordnete  er  Massigkeit  für 
sein  Volk.  Er  schaffte  die  Sitte  der  Zechgelage  ab  und  be- 
stimmte, dass  aus  keiner  Frucht  mehr  Getränke  bereitet  werden 
sollten.     Er   glaubte  nämlich  durch  das  Verbot  überflüssigen 


*)  In  Schweden. 

*)  Olrik  verweist  auf  die  Aehnliehkeit  dieser  sagenhaften  Entführunps- 
geschichte  mit  zwei  wirklich  im  12.  Jhd.  vorgefallenen.  Die  eine  berichteU 
dass  der  Schwedenköiiig  Swerker  die  Gattin  des  dänischen  Königs  Niels 
(Nicolaus)  entführte  und  heiratete  (Öaxo  XIII,  437  oben),  die  andere  er- 
zählt von  dem  Raub  und  der  Verführung  der  Tochter  eines  Jarls  durch 
den  Kiuiigssohn  Jon  Swerkersön,  wofür  König  Swen  einen  liachezug  unter- 
nimmt (Saxo  XIV,  470  Holder).  Es  liegt  nahe,  einen  EinHuss  dieser  zeit- 
genössischen Ereignisse  auf  die  Ausgestaltung  der  Sage  anzunehmen. 


Snio;  die  Sage  vom  Trinker.  441 

Trinkens  die  bitteren  Qualen  des  Hungers  vertreiben  und 
gewissermassen  einen  Ueberschuss  an  fester  Nahrung  durch 
eine  Anleihe  an  den  Durst  erzielen  zu  können. 

Damals  erdachte  sich  nun  ein  ziemlich  ausgelassener  28B 
Freund  seiner  Gurgel,  der  die  Aechtung  der  Trinklust  be- 
trauerte, ein  sehr  schlaues  Auskunftsmittel  und  fand  einen 
neuen  Weg,  seine  Lust  zu  büssen^).  Er  brach  das  Staats- 
gesetz über  die  Enthaltsamkeit  durch  seine  Unmässigkeit  im 
Geheimen,  indem  er  seiner  Leidenschaft  auf  eine  listige  und 
zugleich  lächerliche  Weise  frönte.  Er  befriedigte  nämlich 
seine  Sehnsucht  nach  Trunkenheit  dadurch,  dass  er  den  ver- 
botenen Trank  tropfenweise  einschlürfte.  Vom  König  dafür 
zur  Rechenschaft  gezogen,  behauptete  er,  er  sei  ein  ganz  un- 
schuldis^er  Beobachter  der  Massigkeit,  der  noch  dazu  seine 
Begierde  nach  Trunk  durch  seine  kluge  Erfindung  einer  so 
massigen  Aufnahme  strafe,  und  er  beharrte  dabei,  das  Ver- 
gehen, dessen  man  ihn  bezichtigte,  durch  die  Bezeichnung 
„schlürfen"  zu  beschönigen.  Als  aber  noch  schreckliche 
Drohungen  hinzugefügt  wurden,  sah  er  sich  nicht  nur  am 
Trinken,  sondern  auch  am  Schlürfen  gehindert,  konnte  aber 
dennoch  nicht  gegen  seine  Gewohnheit  ankämpfen.  Um  nämlich 
das  Unerlaubte  wie  etwas  Erlaubtes  zu  geniessen  und  seine 
Kehle  nicht  der  Herrschaft  eines  andern  unterworfen  zu  haben, 
feuchtete  er  Brot  mit  dem  Getränk  an,  ass  dann  die  ein- 
geweichten Bissen  und  zog  darauf  den  erwünschten  Weinrauseh 
durch  langsames  Geniessen  lange  hin,  indem  er  eine  verbotene 
Befriediguug  durch  ein  doch  erlaubtes  Verfahren  erreichte. 
So  war  seine  wilde  Begier  hartnäckig  im  höchsten  Grade; 
sie  setzte  das  Leben  für  die  Ueppigkeit  aufs  Spiel,  Hess  sich 
nicht  durch  das  Drohen  schrecken  imd  stählte  sein  unbesonnenes 
Begehren  zur  Verachtung  jeglicher  Gefahr.  So  wurde  er  denn 
auch  zum  zweitenmale  unter  der  Anklage,  die  Verordnung 
übertreten  zu  haben,  vom  Könige  zur  Rechenschaft  gezogen. 
Aber  auch  da  war  er  nicht  um  eine  Verteidigung  seines  Thuns 


*)  Die  folgende  (Teschichte  trägt  rein  volksmassig  -  humoristischen 
Charakter,  ähnlich  wie  die  deutschen  Schwanke  von  Salman  und  Morolt 
oder  von  Till  Eulenspiegel. 


442  Achtes  Buch. 

verlegen;  er  behauptete,  dem  königlichen  Erlasse  in  keiner 
Weise  entgegen  gehandelt  oder  die  durch  die  Verordnung  ge- 
botene Massigkeit  durch  das,  was  ihn  so  locke,  verletzt  za 
haben,  zumal  da  das  Enthaltsamkeitsgesetz  eine  solche  Form 
der  Sparsamkeit  verfügt  habe,  dass  nur  die  Erlaubnis,  einen 
Trank  zu  trinken,  nicht  aber  ihn  zu  essen,  aufgehoben  sei. 
Da  rief  der  König  die  Götter  zu  Zeugen  an  und  beschwor 
beim  allgemeinen  Wohl,  däss  der,  der  solches  noch  einmal 
wagen  würde,  es  mit  dem  Haupte  büssen  müsse.  Jener  aber 
meinte  den  Tod  leichter  als  die  Enthaltsamkeit  ertragen  und 
eher  sein  Leben  als  seine  Völlerei  aufgeben  zu  können,  kochte 
von  neuem  Früchte  im  Wasser  und  Hess  die  Flüssigkeit  gähren; 
da  er  auch  auf  keine  weitere  Verteidigung  seiner  Begierde 
mehr  hoffte,  gab  er  sich  offenkundig  dem  Trünke  hin  und 
wandte  sich  mit  freier  Stirue  dem  Verbrechen  zu,  indem  er 
seine  List  mit  Keckheit  vertauschte  und  vom  Könige  lieber 
die  Strafe  hinnehmen  als  massig  werden  wollte.  Als  ihn  nun 
der  König  fragte,  warum  er  sich  so  oft  willkürlich  etwas  Ver- 

418  botenes  anmasse,  sagte  er:  Nicht  sowohl  meine  Begierde  als 
dass  Wohlwollen  für  dich  hat  diese  Sehnsucht  erzeugt.  Ich 
dachte  nämlich  daran,  dass  eine  königliche  Leichenfeier  durch 
ein  Trinkgelage  begangen  werden  muss.  Dafür,  dass  nun  nicht 
das  Mahl,  mit  welchem  dein  Begräbnis  begleitet  wird,  wegen 

284  Mangels  an  Getreide  eines  feierlichen  Trunkes  entbehre,  habe 
ich  mehr  aus  Umsicht  als  aus  Genusssucht  durch  Mischung 
dieses  verbotenen  Getränkes  gesorgt.  Ich  zweifle  nämlich 
nicht,  dass  du  vor  allen  andern  Hungers  sterben  und  eher 
als  sie  ein  Grab  nötig  haben  wirst.  Denn  du  hast  doch  nur 
deswegen  dieses  ungewöhnliche  Gesetz  über  die  Sparsamkeit 
i^egeben,  weil  du  fürchtest,  dass  es  dir  zuerst  an  Nahruug 
fehlen  werde.  Nur  aus  Fürsorge  für  dich,  nicht  für  andere 
gewannst  du  es  über  dich,  so  das  Vorbild  unerhörten  Geizes 
zu  geben.  —  Diese  so  witzige  Rede  des  Mannes  verwandelte 
den  Zorn  des  Königs  in  Beschämung.  Da  er  erkannte,  dass 
sein  Erlass  zum  Besten  des  Staates  nur  zu  seiner  eigenen  Ver- 
spottung diene,  gab  er  seine  Fürsorge  für  das  (lemeinwohl 
auf  und  widerrief  seine   Verordnung;   denn  er  wollte   lieber 


Die  Sage  vom  Trinker;   Auswanderung.  443 

seinen  Beschluss  ändern,  als  bei  seinen  Unterthanen  Anstoss 
erregen. 

Da  nun,  wie  ich  schon  sagte,  infolge  ungenügenden 
Regens  oder  der  allzu  grossen  Hitze  die  Felder  ausgeglüht 
waren  uiid  nur  wenig  Frucht  gaben,  rieb  die  Hungersnot  das 
von  allen  Nahrungsmitteln  entblösste  Land  völlig  auf.  Als 
nun  bei  dem  geringen  Bestände  an  Lebensunterhalt  keine 
Hilfsquelle  mehr  übrig  war,  sich  des  Hungers  zu  erwehren, 
wurde  auf  Veranlassung  Aggos  undEbbos  folgender  Volks- 
beschluss  gefasst:  Die  Greise  und  kleinen  Kinder  sollten 
getötet,  alle,  die  sich  in  kriegsunfähigem  Alter  befanden,  aus 
dem  Reiche  verjagt  und  nur  die  Starken  ihrem  Laude  er- 
halten werden.  Nur  die  zum  Waffendienst  oder  Ackerbau 
Geeigneten  sollten  im  Besitz  des  heimischen  Herdes  und  der 
väterlichen  Grundstücke  bleiben.  Als  die  beiden  dies  ihrer 
Mutter  Gambaruc  mitteilten,  bemerkte  diese,  dass  die  Ur- 
heber dieses  verruchten  Beschlusses  ihr  eigenes  Heil  in  dem 
Verbrechen  gesucht  hätten;  sie  verdammte  die  Entscheidung 
der  Volksversammlung  und  sagte,  man  dürfe  die  Not  nicht 
durch  Verwandtenmord  lindern,  und  sie  versicherte,  es  wäre 
ein  viel  ehrenhafterer  und  für  geistige  und  körperliche 
Tüchtigkeit  viel  angemessenerer  Entschlüss,  wenn  man  Eltern-  419 
und  Kindesliebe  achtete  und  durch  das  Los  die  bestimmte, 
welche  das  Vaterland  verlassen  sollten.  Wenn  dieses  hin- 
fällige Greise  träfe,  so  sollten  sich  die  Stärkeren  an  ihrer 
Stelle  zur  Verbannung  erbieten  und  freiwillig  die  Last  der- 
selben anstatt  der  Schwachen  übernehmen.  Uebrigens  ver- 
dienten die  das  Leben  überhaupt  niclit,  die  es  über  sich  ge- 
wonnen hätten,  es  durch  ein  so  nichtswürdiges  Verbrechen 
zu  erhalten  und  Eltern  und  Kinder  durch  einen  so  ruchlosen 
Beschluss  zu  verfolgen;  denn  sie  würden  immer  nur  Grausam- 
keiten ausüben,  statt  die  Pflichten  der  Liebe  zu  erfüllen. 
Ueberhaupt  machten  sich  alle  die  sehr  übel  um  das  Vaterland 
verdient,  bei  denen  die  Sorge  um  das  eigene  Leben  die  Liebe 
zu  Eltern  und  Kindern  überwiege.  Dieser  Ansicht,  die  vor 
die  Volksversammlung  gebracht  wurde,  traten  die  meisten 
mit  ihren  Stimmen  bei.     So  wurde  aller  Geschick  dem  Lose 


444  Achtes  Buch. 

anheim  gestellt,  und  wen  es  traf,  der  sollte  als  landfremd 
gelten.  Daher  kam  es,  dass  die,  welche  freiwillig  nicht  hatten 
der  Not  gehorchen  wollen,  nun  gezwungen  dem  Entscheid 
285  des  Schicksals  folgen  mussten.  Zuerst  zogen  sie  nun  nach 
Blekinge,  fuhren  dann  an  Moringien  ^)  vorüber,  landeten  auf 
der  Insel  Gotland,  wo  sie  sich  nach  dem  Zeugnis  des  Paulus') 
auf  Veranlassung  der  Göttin  Frig  den  Namen  Langobarden 
beigelegt  haben  sollen,  deren  Staat  sie  später  begründeten. 
Endlich  landeten  sie  auch  in  Rügen,  verliessen  ihre  Schiffe 
und  traten  eine  Landwanderung  an.  Sie  durchmassen  einen 
grossen  Teil  der  Welt,  verheerten  ihn  mit  ihren  Waffen  und 
suchten  sich  endlich  nach  vielen  blutigen  Kämpfen  Wohnsitze 
in  Italien,  wo  sie  die  alte  Bezeichnung  des  Volkes  mit  ihrem 
Namen  vertauschten. 

Inzwischen  nahm  das  Land  der  Dänen,  da  die  Thätigkeit 
der  Ackerbauer  sich  verminderte,  und  die  Spuren  der  Acker- 
furchen durch  das  lange  Liegen  überwucherten,  ein  waldiges 
Aeusseres  an;  es  legte  gleichsam  seinen  ursprünglichen 
freundlichen  Rasen  ab  und  starrte  von  der  unförmigen  Dich- 
tigkeit der  nachwachsenden  Wälder.  Das  zeigt  sich  auch 
jetzt  noch  in  dem  gegenwärtigen  Aussehen  der  Gefilde.  Was 
nämlich  einst  ertragreiche  Getreidefelder  waren,  erscheint  jetzt 
von  Baumstümpfen  durchsetzt,  und  wo  einst  die  Bauern  tief 


*)  Die  beiden  Bezirke  Nord-  und  Süd-Möre ;  s.  VIII,  8.  404,  Anm.  1 . 

*)  1).  i.  Paulus  Diaconus  (Warnefried),  der  langobardiache  GeschichU- 
Schreiber.  Geboren  um  730  zu  Friaul  lebte  er  meist  am  Hofe  zu  Pavia» 
trat  etwa  781  ins  Kloster  Monte  Cassino  ein,  gehörte  bald  darauf  bis 
ungefähr  787  der  Akademie  Karls  d.  Gr.  an,  wo  er  viel  zur  Hebung  der 
gelehrten  Studien  beitrug,  und  kehrte  dann  in  sein  Kloster  zurück,  wo 
er  797  starb.  Er  schrieb  Gedichte,  theologische  Werke  und  zwei  wichtige 
geschichtliche.  Eine  „Römische  Geschichte**  (bis  Justinian)  und  die  „Ge- 
schichte der  Langobarden".  —  Letztere,  hrsg.  v.  G.  AVaitz  als  Pauli  Historia 
Langobardorum  Hannover  1878  (aus  Mon.  Germ.  Hist.  Script.  Rer.  Langob. 
et  Italic.  Saec.  VI— IX  8.  12  ff.)  ist  (I,  3  ff)  die  Quelle  für  Saxos  Dar- 
Stellung  der  Auswandrersage;  doch  finden  sich  auch  wesentliche  Ab- 
weichungen, die  durch  Einfluss  mündlicher  Ueberlieterung  zu  erklären 
sind.  (Näheres  über  Paulus  s.  bei  Ebert  [S.  S.  17,  A.  1]  II,  3(i  ff.  42 ff.).  Zur 
Sache  vgl.  noch  Müller  II,  239  ff.  u.  Olrik  II,  263  ff.  —  Die  Namen  Aggo, 
Ebbo,  (vambaruc  heissen  bei  Paulus  Ajo,  Ibor,  (lambara. 


Die  Auswanderung.     Dänemarks  Bodenbeschaffenheit.  445 

die  Erde  aufwühlten  und  gewaltige  Schollen  zertrümmerten, 
da  erhebt  sich  jetzt  Wald  und  bedeckt  die  Felder,  die  noch 
die  Spuren  der  alten  Kultur  bewahren.  Wenn  diese  nicht  ohne 
Pflege  geblieben  und  durch  die  lange  Brache  verödet  wären,  420 
hätten  sie  nie  auch  nur  eine  Scholle  zwischen  die  Furchen 
der  Pflugschar  und  die  zähen  Baumwurzeln  zu  teilen  brauchen. 
Auch  die  Hügel,  welche  die  Emsigkeit  der  Alten  aus  Fürsorge 
für  die  zu  bestattenden  Leichen  in  der  Ebene  aufgeworfen 
hat,  hat  die  jetzige  Waldmasse  im  Besitz.  Man  kann  auch 
noch  manchen  Steinhaufen  inmitten  des  Waldesdickichts  sehen; 
diese  sammelte  einst  die  Sorgfalt  des  Landmannes  auf,  der 
das  Geröll,  damit  es  nicht  überall  beim  Ziehen  der  Furchen 
hinderlich  sei,  auf  einen  Platz  aufhäufte,  da  er  lieber  ein 
kleines  Stückchen  Acker  einbüssen  als  das  Ganze  unbequem 
haben  wollte.  Aus  dem  nun,  was  der  Fleiss  der  Bauern 
damals  zur  leichteren  Bestellung  der  Felder  geleistet  hat, 
ergiebt  sich,  dass  die  Bevölkerung  in  der  Vorzeit  zahlreicher 
gewesen  ist  als  jetzt;  denn  jetzt  begnügt  man  sich  mit 
kleinen  Aeckerchen  und  steckt  der  Landkultur  engere 
Schranken  als  es  die  Spuren  der  Vorfahren  andeuten.  So 
wundern  sich  denn  die  jetzigen  Bewohner  darüber,  den  Boden, 
der  einst  Getreide  trug,  mit  einem,  der  nur  zur  Erzeugung 
von  Eicheln  geeignet  ist,  vertauscht  zu  finden  und  an  Stelle 
der  ländlichen  Pflugschar  und  der  Getreidehalme  eine  mit 
Bäumen  bewachsene  Landschaft  zu  sehen  ^).  —  Mit  diesen 
Ausführungen  über  Snio,  die  ich  möglichst  der  Wahrheit 
entsprechend  gegeben  habe,  möge  es  nun  genügen. 

Diesem  folgte  Björn,  und  nach  dem  erhielt  Haraldus 
die    Oberherrschaft.     Dessen    Sohn    Gormo*)    erwarb    sich 


^)  lieber  die  (späteren)  landwirtschaftlichen  Verhältnisse  in  Däne- 
mark  vgl,  Müller-Jiriczek,  Xord.  Altertkde.  I,  458  ff. 

')  Dieser  Gormo  ist  nach  Saxos  Darstellung,  obwohl  wir  von  ihm 
sonst  nichts  wissen,  genau  von  dem  späteren  Gorm,  dem  Alten,  dem 
Vater  Harald  Blauzahns,  zu  scheiden;  indessen  scheint  er  nur  eine  wi\U 
kürliche  Schöpfung  des  Schriftstellers  zu  sein.  Den  Inhalt  der  ihn  be- 
treffenden Sage  bilden  die  im  Mittelalter  so  ausserordentlich  beliebten 
Reisegeschichten  und  Abenteuer,  die  mit  allerlei  Fabeleien  ausgeschmückt 
sind.    Vgl.  Ohik  II,  138  ff.,  bes.  S.  136. 


446  Achtes  Buch. 

unter  den  alten  Dänenfürsten  durch  den  Ruhm  seiner  wackeren 
286  Thaten  einen  nicht  geringen  Ehrenplatz.  Denn  er  wandte 
sich  einer  ganz  neuen  Art  der  Kühnheit  zu,  indem  fr  die 
angestammte  Tapferkeit  mehr  bei  der  Durchforschung  der 
geheimen  Natur  der  Pinge  bethätigen  wollte  als  durch 
Waffenthaten.  Wie  andere  Könige  kriegerisches  Feuer,  so 
trieb  ihn  eine  innerliche  Sehnsucht,  Wunderbares  zu  erkennen, 
mochte  es  nun  thatsächlich  nachgewiesen  oder  nur  gerücht- 
weise bekannt  sein.  Da  er  nun  so  begierig  war,  Fremdes 
und  Ungewöhnliches  kennen  zu  lernen,  glaubte  er  vor  allem 
eine  unbestimmte  Nachricht,  die  er  von  Männern  vonThule^) 
über  den  Wohnsitz  eines  gewissen  Geruthus*)  erfahren, 
prüfen  zu  müssen.  Von  diesen  Leuten  wurde  nämlich  Un- 
421  glaubliches  über  die  Menge  der  dort  aufgehäuften  Schätze 
gefabelt,  ^ber  der  Weg  sollte  aller  Gefahren  voll  und  für 
Sterbliche  fast  unmöglich  sein.  Denn  nach  der  Versicherung 
der  Kundigen  musste  der  Forscher  den  Ozean,  der  die  Erde 
umgiebt,  durchschiffen,  Sonne  und  Gestirne  hinter  sich  lassen^ 
unten  das  Chaos  durchwandern  und  zuletzt  lichtlose  Gegen- 
den, in  denen  ewige  Finsternis  herrschte,  durchziehen.  Aber 
in  seinem  jugendlichen  Sinn  verscheuchte  nicht  sowohl  die 
Begier  nach  Beute  als  nach  Ruhm  die  Furcht  vor  der  damit 
verknüpften  Gefahr;  denn  er  hoffte  hohe  Berühmtheit  zu  er- 
reichen, w^enn  er  sich  an  eine  noch  ganz  unversuchte  Unter- 
nehmung wagte.  Dreihundert  Männer  äusserten  denselben 
Wunsch  wie  der  König,  und  sie  beschlossen,  Thorkillus, 
der  die  Nachricht  gebracht,  zum  Reiseführer  zu  nehmen,  da 
er  die  Oertlichkeit  kannte  und  Bescheid  wusste,  wie  man 
sich   jenen  Gegenden   nähern  könnte.     Dieser  wies  den  An- 


*)  Hier  wie  bei  der  ßrawallaschlacht  macht  das  Hcreinbriogen  der 
Isländer  einige  Schwierigkeiten.  Schuld  daran  trägt  Saxo  oder  sein  Ge- 
währsmann, die  von  den  thatsächlichen  Zeitverhältnissen  wohl  keine  rechte 
Vorstellung  hatten. 

*)  Geruthus,  von  dem  S.  451  ff.  Näheres  erzählt  wird,  ist  ursprünglich 
ein  Gewitterriese,  GeirröÖr,  der  einst  von  Thor  bezwungen  ward;  vgl.  den 
eingehenden  Bericht  der  Edda,  Skaklskap.  2  =  Gering  S.  361— (>4,  femer 
Mogk  i.  (irdr.  III,  361,  K.  H.  Meyer  S.  148  9,  Golther  183,  274. 


Gorxno  I.     Reise  des  Thorkillus.  447 

trag  nicht  zurück  und  gebot,  um  der  ungewöhnlichen  Wild- 
heit des  Meeres,  das  sie  zu  durchsegeln  hätten,  zu  trotzen, 
Schiffe  von  fester  Bauart  anzufertigen,  sie  durch  zahlreiche 
Knotenstricke  und  dichtgereihten  Nägel beschlag  zu  sichern, 
sie  mit  zahlreichen  Vorräten  auszustatten  und  oben  mit 
Rinderhäuten  zu  bedecken,  damit  die  Innenräume  gegen  die 
Unbill  der  anstürmenden  Wogen  geschützt  wären.  Dann  ging 
man  mit  nur  drei  Seglern,  deren  jeder  hundert  auserlesene 
Männer  fasste,  in  See. 

Als  sie  aber  nach  Halogien  kamen,  wurden  sie  von  den 
günstigen  Winden  verlassen  und  verschiedentlich,  ganz  dem 
zweifelhaften  Zufall  preisgegeben,  auf  dem  Meere  umherge- 
worfen. Endlich  ging  ihnen  beim  gänzlichen  Mangel  an 
Lebensmitteln  auch  das  Brot  aus,  und  sie  täuschten  sich 
durch  den  Genuss  eines  dünnen  Breis  über  den  Hunger  hin- 
weg. Nach  einigen  Tagen  hörten  sie  in  der  Ferne  das 
donnernde  Brausen  eines  Seesturmes,  gleich  als  wenn  er 
über  Klippen  hinweg  fegte.  Als  sie  so  die  Nähe  des  Landes 
erkannt  hatten,  musste  ein  besonders  gewandter  Jüngling  die 
Spitze  des  Mastbaumes  erklettern,  um  Umschau  zu  halten, 
und  er  meldete,  es  sei  eine  jäh  abfallende  Insel  in  Sicht. 
Mit  begierigen  Blicken  verfolgten  alle  froh  die  Richtung,  die  er  422 
andeutete,  denn  sie  warteten  eifrig  auf  den  Schutz  des  ver- 
sprochenen Strandes.  Endlich  erreichten  sie  auch  einen  287 
Landungspunkt  und  mühten  sich  auf  hohen  Pfaden  über  die 
entgegenstehenden  Hügel,  nach  einem  höher  gelegenen  Teil 
des  Landes.  Thorkillus  verbot  ihnen  nun,  mehr  von  der 
Herde,  die  in  grosser  Zahl  am  Gestade  herumliefen,  zu  töten, 
als  zur  einmaligen  Stillung  des  Hungers  hinreichte^);  denn 
andernfalls  würde  ihnen  von  den  Schutzgöttern  der  Gegend 
die  Möglichkeit,  wieder  wegzufahren,  genommen  werden.  Die 
Schiffer  aber  waren  mehr  geneigt,  für  ihre  weitere  Sättigung 
zu  sorgen  als  auf  dieses  Verbot  zu  hören,  achteten  die  Sorge 


*)  Diese  Geschichte  erinnert  sehr  an  die  ähnliche  von  den  Rindern 
des  Helios  in  der  Odyssee  XII,  260 — 453.  Unmittelbare  Entlehnung  wird 
nicht  vorliegen,  wohl  aber  ist  das  Motiv  in  die  abenteuerliche  Reise- 
litteratur  überhaupt  übergegangen,  zu  der  unsere  junge  Sage  auch  gehört. 


448  Achtes  Buch. 

um  ihre  Errettung  geringer  als  die  Lockung  des  Magens  und 
füllten  die  erschöpften  Räume  ihrer  Schiffe  mit  den  Körpern 
der  getöteten  Tiere.  Diese  waren  sehr  leicht  zu  fangen: 
denn  ohne  Angst  liefen  sie  bei  dem  ungewohnten  Anblick 
der  Männer  staunend  zusammen.  In  der  folgenden  Nacht 
umSogen  Ungeheuer  den  Strand  und  belagerten,  indem  sie 
den  ganzen  Wald  durchlärmten,  die  eingeschlossenen  Schiffe. 
Eines  von  diesen,  grösser  als  die  andern  und  mit  einem  ge- 
waltigen Knüttel  bewaffnet,  schritt  sogar  über  das  Meer  hin. 
Näher  herangekommen,  begann  es  zu  schreien,  sie  würden 
nicht  eher  fortkommen,  als  bis  sie  die  Unbill,  die  sie  durch 
das  Zertreuen  der  Herde  geübt,  gesühnt  und  durch  Aus- 
lieferung je  eines  Mannes  für  ein  Schiff,  den  Schaden  an  den 
geweihten  Tieren  wieder  gut  gemacht  hätten.  Thorkillus 
fügte  sich  diesen  Drohungen  und  gab  drei  durch  das  Los 
bestimmte  hin,  um  durch  den  Verlust  dieser  wenigen  die 
Sicherheit  der  Gesamtheit  zu  erkaufen. 

Darauf   segelten   sie    mit    günstigen  Winden    nach    dem 
fernen  Biarmien.     Diese  Gegend  ist  ewig    kalt,    von  tiefen 
423  Schneemassen    bedeckt    und   kennt    nicht   einmal    die    Kraft 
sommerlicher  Wärme.     Sie    hat    Ueberfluss    an    unwegsamen 
Wäldern,  ist  ertraglos  an  Früchten  und  reich  an  sonst  unbe- 
kannten   wilden    Tieren.      Zahlreiche    Flüsse    strömen    dort 
wegen    der    Klippen    im    Flussbett    reissend,    zischend    und 
schäumend  dahin.     Hier    Hess  Thorkillus    die  Schiffe    ans 
Land   ziehen    und  Zelte  am  Gestade    aufschlagen;    denn    er 
behauptete,  man  sei  jetzt  dahin  gekommen,  von  wo  es  einen 
Weg  zu  Geruthus  gäbe.     Er  verbot  auch,  sich    mit  irgend 
einem  Ankömmling    in    ein  Gespräch  einzulassen,    indem    er 
versicherte,  die  Ungeheuer  erhielten  durch  nichts  leichter  die 
Macht  zu  schaden  als  durch  unfreundliche  Worte  seitens  der 
Fremden^).     Daher   wäre    Schweigen   für  die  Gefährten  das 
Sicherste.     Er  allein  dürfe  unbedenklich   reden,    da  er  schon 
früher  Sitten    und   Gewohnheiten    dieses  Volkes   kennen  ge- 


*)  Vgl.  das  gleiche  Verbot  des  Ericus  in  einer  ähnlichen  Lage  B.  V. 
S.  2U. 


Reise  des  Thorkillus.     Guthmundus.  449 

lernt  habe.  Beim  Hereinbrechen  der  Dämmerung  nahte  ein 
Mann  von  ungeti^$hnlicber  Grösse  und  begrüsste  die  Seefahrer 
beim  Namen.  '^Vähtend  alle  darüber  staunten,  hiess  sie 
Thorkillus  c^ifrig,  jenem  bei  seiner  Ankunft  Willkommen  zu 
bieten,  und  er -belehrte  sie,  es  sei  Guthmundus^),  der 
Bruder  des  Geruthus,  in  Gefahren  der  treueste  Beschützer 
aller,  die  hier  landeten.  Auf  seine  Frage,  weshalb  denn  die 
andern  so  stille  wären,  antwortete  er,  sie  seien  sehr  uner- 
fahren in  seiner  Sprache  und  schämten  sich  dieser  Unkennt- 
nis. Da  lud  sie  Guthmundus  gastfreundlich  zu  sich  und  289 
nahm  sie  in  Wagen  auf.  Bei  der  Weiterfahrt  sahen  sie  einen 
Fluss,  der  auf  einer  goldenen  Brücke  zu  überschreiten  war. 
Als  sie  darüber  hinweggehen  wollten,  hielt  er  sie  von  ihrem 
Vorhaben  ab,  indem  er  bemerkte,  die  Natur  habe  durch 
diesen  Strom  das  Reich  der  Menschen  von  dem  der  Unge- 
heuer geschieden,  und  menschliche  Füsse  dürften  da  nicht 
hinüber^).  Bald  darauf  gelangten  sie  zu  dem  Heim  ihres 
Führers.  Dort  rief  Thorkillus  seine  Gefährten  bei  Seite 
und  begann  sie  zu  ermahnen,  sie  sollten  sich  bei  den  ver- 
schiedenen Arten  von  Versuchungen,  die  mannigfache  Zufälle 
ihnen  in  den  Weg  führen  würden,  als  umsichtige  Männer 
zeigen.  Sie  sollten  sich  der  fremden  Speisen  enthalten  und 
sich  an  ihren  eigenen  Lebensmitteln  stärken,  sie  sollten  ge- 
trennte Sitze  von  den  Eingeborenen  einnehmen  und  keinen 
von  ihnen,  wenn  sie  da  lägen,  berühren.  Wer  nämlich  von 
jenen  Speisen  koste,  verliere  die  Erinnerung  an  alles  und 
müsse  unter  den  schauerlichen  Horden  der  Ungetüme  immer  424 
in  schmutziger  Gemeinschaft  mit  ihnen  leben  ^).  Ebenso 
müssten  sie  sich  von  deren  Dienern  und  Bechern  fernhalten. 


*)  In  nordischen  Berichten  erscheint  er  unter  dem  Namen  GoÖmundr 
als  elbenhafter  König;  dem  köstlichen  Acker  bei  Saxo  entspricht  dort  der 
Üdäinsakr.    Vgl.  IV,  1Ö8  m.  Anm.  3  und  noch   Golther  S.  280. 

*)  Vgl.  den  Bericht  von  Haddings  Besuch  in  der  Unterwelt  I,  47  u. 
S.  48,  Anm.  1. 

')  Dieser  Zug  erinnert  an  die  Erlebnisse  des  Odysseus  und  seiner 
Gefährten  bei  Kirke  (Odyss.  X,  133  flf.);  doch  ist  diese  Anschauung,  dass 
die  Berührung  eibischer  Wesen  oder  ihnen  gehöriger  Dinge  schade,  all- 
gemein verbreitet. 

Saxo  Grammaticus.  29 


450  Achtes  Buch. 

Um  die  Tische  hatten  sich  die  zwölf  herrlich  veranlagten 
Söhne  des  Guthmundus  und  ebenso  viel  Töchter  Ton  her- 
vorragender Schönheit  aufgestellt.  Als  dieser  sah,  dass  der 
König  nur  das  von  den  Seinigen  Mitgebrachte  genoss,  warf 
er  ihm  die  Zurückweisung  seiner  Freundlichkeit  vor  und  be- 
klagte sich,  dass  dies  von  seinem  Gaste  beleidigend  wäre. 
Thorkillus  aber  fehlte  es  nicht  an  einer  befriedigenden 
Entschnldigung  hierfür.  Er  wies  nämlich  darauf  hin,  dass 
man  meist  beim  Genuss  ungewohnter  Speisen  schwer  erkranke^ 
und  dass  der  König  weniger  undankbar  gegen  die  Freund- 
lichkeit des  Fremden  als  vielmehr  auf  seine  eigene  Gesund- 
heit bedacht  sei,  wenn  er  sich  nach  hergebrachter  Weise 
stärke  und  seinen  Tisch  lieber  mit  eigener  Kost  versähe. 
Daher  dürfe  man  es  ihm  nicht  als  Verachtung  auslegen, 
wenn  er,  um  einer  Krankheit  zu  entgehen,  sich  eines  ge- 
sünderen Verfahrens  bediene.  Als  nun  Guthmundus  sah. 
dass  seine  listigen  Vorbereitungen  an  der  Genügsamkeit  der 
Fremden  scheiterten,  und  dass  er  ihre  Enthaltsamkeit  nicht 
erschüttern  könne,  beschloss  er  ihre  Keuschheit  zu  unter- 
graben, indem  er  sich  mit  aller  Anstrengung  seines  Geistes 
darauf  verlegte,  ihre  Selbstzucht  abzuschwächen.  Er  bot 
nämlich  dem  König  seine  Tochter  zur  Ehe  an  und  versprach 
den  übrigen,  sie  dürften  sich  auswählen,  welche  aus  der 
Dienerschaft  sie  immer  wollten.  Die  Meisten  billigten  das, 
Thorkillus  aber  kam  durch  eine  heilsame  Warnung  auch 
dieser  Versuchung  wie  den  übrigen  zuvor,  indem  er  seine 
Umsicht  mit  grossartiger  Selbstbeherrschung  in  die  Rolle  des 
vorsichtigen  Gastes  und  des  vergnügten  Genossen  zu  teilen 
wusste.  Vier  von  den  Dänen  aber  gingen  auf  das  Anerbieten 
ein  und  zogen  die  Lust  ihrem  Leben  vor.  Diese  Berührung 
nämlich  machte  sie  vollständig  wahnsinnig  und  beraubte  sie 
der  Erinnerung  an  alles  Frühere.  Nachher  sollen  sie  nie 
wieder  recht  vernünftig  geworden  sein.  Wenn  diese  ihre 
Sinne  innerhalb  der  schuldigen  Schranken  der  Massigkeit  ge- 
halten hätten,  wären  sie  an  Ruhm  dem  Hercules  gleich  ge- 
kommen, hätten  die  Tapferkeit  der  Riesen  durch  ihren  Mut 
289  übertroffen  und  wären  ewig  als  die  Vollbringer  wunderbarer 


Aufenthalt  bei  Guthmundus;   Geruthus^  Wohnung.  451 

Thaten  in  ihrem  Vaterlande  ausgezeichnet  gewesen.  Guth- 
mundus beharrte  noch  immer  hartnäckig  bei  seinem  Vor- 
satze, List  anzuwenden  und  lobte  nun  sehr  die  Schönheit 
seines  Gartena;  denn  er  bemühte  sich,  den  König  dazu  zu  ^^^ 
verführen,  Früchte  abzupflücken,  und  wünschte  durch  Reize 
für  das  Auge  und  Lockungen  für  die  Zunge  seine  vorsich- 
tige Standhaftigkeit  zu  brechen.  Gegen  diese  Ränke  war 
aber  der  König  wie  vorher  durch  die  Ratschläge  des  Thor- 
killus  gefestigt,  und  er  wies  seine  erheuchelte  Liebenswürdig- 
keit zurück,  indem  er  als  Entschuldigung  anführte,  seine 
Geschäfte  drängten  ihn  zur  Beschleunigung  seiner  Reise. 
Da  nun  Guthmundus  einsah,  dass  er  seiner  Klugheit  in 
allen  Punkten  habe  nachgeben  müssen,  gab  er  die  Hoffnung 
auf  Ausführung  seines  Anschlages  auf  und  Hess  sie  alle  auf 
das  jenseitige  Ufer  des  Flusses  bringen  und  ihre  Reise  fort- 
setzen. 

Dort  zogen  sie  weiter  und  erblickten  ganz  in  der  Nähe 
eine  schwarze ,  hässliche  Stadt ,  die  am  meisten  mit  einer 
Rauchwolke  Ähnlichkeit  hatte.  Pfähle  zwischen  den  Pallisaden 
trugen  abgeschnittene  Menschenköpfe.  Hunde  von  grässlicher 
Wildheit  sah  man  zum  Schutze  des  Eingangs  vor  den  Thoren 
liegen.  Thorkillus  warf  ihnen  ein  mit  Fett  bestrichenes 
Hom  zum  Belecken  hin  und  besänftigte  durch  diesen  geringen 
Aufwand  ihre  zügellose  Wut.  üeber  den  Thoren  stand  ein 
Eingang  oifen.  Sie  erstiegen  ihn  auf  Leitern  und  kamen 
mühselig  hinein.  Drinnen  erfüllten  schwarze,  missgestaltete 
Gespenster  die  Stadt  und  man  kann  nicht  wissen,  ob  deren 
lärmende  Erscheinung  schauriger  für  das  Auge  oder  für  das 
Ohr  war.  Alles  war  grausig  und  faulender  Unrat  quälte  die 
Nasen  der  Nahenden  mit  unerträglichem  Gestanke.  Dann 
fanden  sie  ein  steinernes  Gemach,  in  dem  Geruthiis  der 
Sage  nach  als  in  seiner  Königsburg  hausen  sollte.  Sie 
beschlossen,  das  enge  und  schauerliche  Innere  zu  besuchen, 
erstiegen  die  Stufen  und  standen  bald  ängstlich  am  Eingange. 
Als  nun  Thorkillus  ihr  Bedenken  sah,  verscheuchte  er  das 
Zögern  vor  dem  Eintreten  durch  eine  Ermahnung,  in  der  er 
ausführte ,    sie  sollten  sich  hüten ,    irgend   ein  Gerät  in  dem 

29* 


452  Achtes  Buch. 

Hause,  in  das  sie  hineingehen  wollten,  zu  berühren,  wenn  es 
auch  noch  so  besitzenswert  und  angenehm  für  das  Auge 
wäre;  ihr  Sinn  sollte  ebenso  jeglicher  Habgier  abgewandt, 
wie  furchtlos  sein.  Nichts  Verlockendes  sollten  sie  begehren, 
vor  nichts  Schrecklichem  sollten  sie  sich  ängstigen,  wenn  sie 
auch  auf  eine  überreichliche  Fülle  von  beiderlei  Dingen  stos^n 
sollten.  Im  Falle  habgierigen  Zugreifens  würden  ihre  Hände 
plötzlich  festwachsen ,  sie  würden  sie  nicht  mehr  von  dem 
berührten  Gegenstande  lösen  können,  und  würden  gleichsam 

426  durch  ein  untrennbares  Band  damit  verknüpft  sein.  Ausser- 
dem gebot  er  ihnen,  georduet  zu  je  vieren  zu  gehen.  Brode  rus 
und  Buchi  wagten  zuerst  von  ihnen  den  Eintritt.  Diesen 
folgte  Thorkillus  mit  dem  Könige.  Dann  kamen  die  andern 
in  geordneten  Reihen.     Innen  war  das  Haus  gänzlich  verfallen, 

290  von  einem  abscheulichen  Dampfe  erfüllt,  und  überall  erblickte 
man  eine  Fülle  von  allem,  was  Auge  oder  Gemüt  beleidigen 
kann.  Die  Pfosten  waren  mit  langjährigem  Russ  bedeckt, 
die  Wände  mit  Schimmel  überzogen,  das  Dach  war  aus  den 
Fugen  gegangen ,  der  Estrich  lag  voller  Gewürm  und  war 
mit  allerhand  Unrat  besät,  kurz,  ein  ganz  ungewohntes  Schau- 
spiel erschreckte  die  Ankömmlinge.  Zu  alledem  reizte  noch 
ein  scharfer  und  andauernder  Gestank  kläglich  ihre  Geruchs- 
nerven. Blutlose,  schattenhafte  Ungetüme  hockten  auf  eiser- 
nen Sitzen;  endlich  waren  benachbarte  Plätze  durch  bleierne 
Geflechte  getrennt ,  und  eine  grauenerregende  Wache  von 
Thürhütern  stand  an  den  Schwellen.  Einige  von  ihnen 
bekämpften  sich  unter  lautem  Gelärm  mit  Knütteln,  während 
andere  durch  das  Hin-  und  Herwerfen  einer  Bockshaut  ein 
hassliches  Spiel  trieben.  Hier  erhob  Thorkillus  zum  zweiten 
Male  seine  Warnung,  indem  er  ihnen  untersagte,  unvorsichtig 
und  habgierig  ihre  Hände  nach  verbotenen  Dingen  auszu- 
strecken. Als  sie  durch  eine  Lücke  in  dem  Felsen  weitergingen, 
sahen  sie  nicht  fern  auf  einen  erhöhten  Sitz  einen  alten  Greis 
mit  durchbohrtem  Körper  mit  dem  Rücken  gegen  ein  abge- 
sprengtes Felsstück  lehnen.  Ferner  nahmen  auch  drei  Frauen« 
deren  Leib  mit  Auswüchsen  bedeckt  war  und  deren  Rückgrat 
seine  Festigkeit  verloren  zu  haben  schien,  einen  gemeinschaft- 


Abenteuer  bei  öeruthus.  453 

liehen  Sitz  ein.  Thorkillus,  der  genau  die  Ursachen  der 
Dinge  Icannte,  belehrte  seine  wissbegierigen  Gefährten,  dass 
einst  der  Gott  Thor,  durch  die  Frechheit  der  Riesen  gereizt, 
glühenden  Stahl  durch  die  Brust  des  Geruthus,  der  sich 
ihm  widersetzt,  getrieben  habe,  und  dass  dieser,  weiterdringend, 
auch  die  Seite  des  Berges  abgesprengt  und  zermalmt  habe. 
Die  Frauen  aber  seien  vom  Blitze  getroffen  worden  und  büssten 
so ,  wie  er  versicherte ,  mit  dem  Schaden  ihres  Körpers  für 
einen  Angriff  auf  denselben  Gott^).  Als  sie  von  dort  weg- 
gingen ,  öffneten  sich  vor  ihnen  sieben  mit  goldenen  Reifen  427 
besclilagene  Tonnen.  In  diesen  hingen  silberne*  Ringe  mit 
mannigfachen  Windungen.  Daneben  war  der  an  den  beiden 
Enden  in  Gold  gefasste  Zahn  eines  merkwürdigen  Tieres  zu 
finden.  Bei  diesem  lag  ein  gewaltiges  Büffelhorn,  gar  kunst- 
voll mit  auserlesenen,  glänzenden  Edelsteinen  besetzt  und  mit 
künstlerischer  Drechslerarbeit  wohl  verziert.  Dicht  daneben 
war  eine  äusserst  schwere  Armspange  zu  sehen.  Einer  wurde 
nun  von  übermässiger  Gier  ergriffen  und  berührte  mit  der 
Hand  das  Gold,  ohne  zu  ahnen,  dass  unter  dem  Glänze  des 
herrlichsten  Metalls  das  schlimmste  Verderben  verborgen  sei, 
und  dass  unter  der  strahlenden  Beute  eine  verhängnisvolle 
Pest  lauere.  Ein  zweiter  konnte  ebensowenig  seine  Habsucht 
bemeistern  und  streckte  seine  unbeständige  Hand  nach  dem 
Hörn  aus.  Ein  dritter  eiferte  der  Zuversicht  der  beiden  andern 
nach  und  suchte,  ohne  seine  Finger  hinreichend  zu  zügeln, 
mit  dem  Zahn  seine  Schulter  zu  beladen.  Diese  Beutestücke 
waren  ja  ebenso  angenehm  anzusehen  wie  nützlich  zu  ver- 
wenden; denn  die  äussere  Gestaltung  zeigte  dem  Auge  gar 
verlockende  Formen.  Aber  das  Armband  verwandelte  sich  in 
eine  Schlange  und  züngelte  mit  giftigen,  spitzen  Zähnen  nach 
dem,  der  es  trug.  Das  Hörn  dehnte  sich  zu  einem  Drachen  291 
aus  und  raubte  seinem  Träger  das  Leben.  Der  Zahn  ward 
zu  einem  Schwerte    und    bohrte  seine  Schneide  in  die  Brust 


»)  Hier  weicht  der  Bericht  der  Edda  (Gering  S.  363)  etwas  ab,  da 
dort  Thor  die  Töchter  GeirröOs,  Ojalp  und  Greip,  die  ihn  auf  einem  Stuhl 
an  die  Decke  der  Halle  empor  heben  wollen,  herunterdrückt  und  ihnen 
dabei  das  Rückgrat  zerbricht. 


454  Achtes  Buch. 

dessen ,  der  ihn  mit  sich  führte.  Die  übrigen  glaubten  voll 
Sehrecken  über  das  Unglück  ihrer  Gefährten,  sie  würden  trotz 
ihrer  Unschuld  ebenso  wie  die  Schuldigen  umkommeu  und 
hofften  nicht  einmal  für  ihre  Schuldlosigkeit  straflos  auszu- 
gehen. Eine  Hinterthür  deutete  nun  auf  einen  noch  engeren 
Zugang  zu  einem  zweiten  Gemache,  und  es  öffnete  sich  auch 
eine  Art  Schatzkammer  noch  reicheren  Inhalts,  in  der  Waffen 
für  Glieder  von  menschlicher  Grösse  nmher  lagen.  Unter  diesen 
sah  man  einen  Königsmantel  nebst  einem  sehr  feinen  Hute 
und  einem  wunderbar  gearbeiteten  Gürtel.  Thorkillus  liess 
nun ,  von  Bewunderung  dafür  ergriffen ,  seiner  Begier  die 
Zügel  schiessen ,  liess  die  beabsichtigte  Selbstbeherrschung 
ausser  Acht  und  er,  der  so  oft  andere  gewarnt  hatte,  konnte 
nun  nicht  einmal  seine  eigene  Begehrlichkeit  einschränken. 
428  Er  legte  Hand  an  den  Mantel  und  veranlasste  durch  sein 
unbesonnenes  Beispiel  die  andern  zu  gleichem  Wagnis.  Da 
aber  begannen  die  Gemächer  in  ihren  Grundfesten  zu  erzittern, 
und  ganz  unerwartet  zu  schwanken  und  zu  beben.  Dann 
schrieen  auch  die  Weiber,  dass  man  schon  länger  als  billig  die 
nichtswürdigen  Räuber  dulde.  Was  man  nun  vorher  für  halb- 
tote und  leblose  Schattenbilder  gehalten  hatte ,  sprang  jetzt 
gleichsam  auf  Befehl  dieser  Frauenstimmen  plötzlich  von  seinen 
Sitzen  herab  und  griff  in  gewaltigem  Andringen  die  Fremd- 
linge an.  Die  übrigen  erhoben  ein  rauhes  Gebrüll.  Da 
nahmen  Broderus  und  Buchi  zu  alten,  ihnen  längst  bekannten 
Hilfsmitteln  ihre  Zuflucht ,  fielen  die  auf  sie  einstürmenden 
Lamien^)  von  allen  Seiten  mit  den  Speren  an  und  überwäl- 
tigten auch  mit  den  Geschossen  ihrer  Bogen  und  Schleudern 
die  Schar  der  Gespenster.  Keine  andere  Macht  wäre 
wirksamer  zur  Abwehr  gewesen.  Nur  zwanzig  von  der 
ganzen  Gefolgschaft  des  Königs  rettete  das  Eingreifen  der 
Schützenkunst;  der  Rest  wurde  von  den  Ungeheuern  zer- 
fleischt. Die  Ueberlebenden ,  welche  sich  zu  dem  Flusi^e 
zurückbegaben,  setzte  Guthmundus  in  einem  Schiffe  über, 
nahm  sie    in  seinem  Hause    auf,    und  da  er  sie  trotz  langer 


')  Vgl.  II,  S.  6H  Aum.  5. 


Abenteuer  bei  Geruthus;  Schluss  der  Reise.  455 

uud  inständiger  Bitten  nicht  zurückhalten  konnte,  erlaubte  er 
ihnen  endlich,  nachdem  er  sie  beschenkt,  die  Rückkehr.  Hier 
achtete  auch  Buchi  zu  wenig  auf  sich  selbst,  er  Hess  nach 
in  seiner  Selbstbeherrschung  und  gab  seine  bisherige  Festig- 
keit auf.  £r  umarmte  nämlich  eine  von  Guthmundus 
Töchtern  in  unwiderstehlicher  Liebe,  aber  er  gewann  dadurch 
nur  eine  Vermählung  mit  dem  Verderben;  denn  alsbald 
drehte  sich  alles  in  seinem  Haupte,  und  er  verlor  die  Erinne- 
rung an  die  ganze  Vergangenheit.  So  wurde  jener  gewaltige 
Bezwinger  so  vieler  Ungetüme,  der  so  viele  Gefahren  bestanden, 
durch  die  Leidenschaft  zu  einem  einzigen  Mädchen  überwunden, 
indem  er  seinen  Sinn  der  Enthaltsamkeit  entfremdete  und 
unter  das  klägliche  Joch  der  Wollust  verfiel.  Als  er  den 
König  beim  Abschied  ehrenhalber  begleiten  wollte,  und  mit 
dem  Wagen  durch  die  Furt  fuhr,  gerieten  die  Räder  allzusehr 
ins  tiefe  Wasser,  er  wurde  von  der  Gewalt  der  Strudel  er- 
griffen und  kam  um.  Der  König  beklagte  den  Tod  seines  292 
Gefährten  und  setzte  dann  eilig  seine  Reise  zur  See  fort. 
Zuerst  verlief  sie  glücklich,  dann  aber  ward  er  von  widrigen 
Winden  hin-  und  hergeworfen,  seine  Begleiter  starben  vor 
Hunger,  und  nur  wenige  blieben  am  Leben.  Da  fühlte  er 
«ine  fromme  Regung  in  sich  und  nahm  seine  Zuflucht  zu 
Gebeten  an  die  Himmlischen;  denn  er  meinte,  die  Rettung 
in  der  letzten  Not  bestehe  in  der  Hilfe  der  Götter.  Schliess- 
lich meinten  die  andern,  man  müsse  verschiedene  Mächte  unter 
den  Überirdischen  anflehen ,  und  nach  ihrer  Ansicht  müsse 
der  besonderen  Majestät  jeder  Gottheit  geopfert  werden.  Er 
selbst  ging  nun  den  Ugarthilocus^)  mit  Gebeten  und  Sühn-  429 
opfern  an  und  erlangte  auch  den  günstigen  Witterungszustand, 
den  er  wünschte. 


^)  Der  Mythus  von  iJtgarOaloki  d.  i.  von  Loki,  der  in  ÜtgarÖar 
(=  Aussenwelt,  wo  die  Wiuterriesen  wohnen,  im  Gegensatz  zur  Menschen- 
erde  midgardr  und  zum  (^ötterheira  Asgardr)  haust,  ist  bei  Saxo  ziemlich 
verdunkelt  8.  den  näheren  Bericht  S.  459.  (ftgarOaloki  ist  ein  Gott,  der 
ursprünglich  aus  Loki  hervorgegangen  ist,  als  Herrscher  der  Unierwelt 
erscheint,  und  später  zu  Loki  selbst  in  Gegensatz  tritt.  Vgl.  über  ihn 
Oylfag.  4H.  47  =  Gering  S.  337  ff.,  E.  H.  Meyer  8.  149  u.  Register,  Mogk 
i.  Grdr.  III,  352,  Golther  8.  276  ff..  428. 


456  Achtes  Buch. 

Bei  seiner  Ankunft  zu  Hause  bemerkte  er  nun,  dass  er 
so  viele  Meere  durchkreuzt  und  so  viele  Mühen  durchgemacht 
habe,  und  meinte,  jetz  seinen  von  Kummer  ermatteten  Geist 
von  Geschäften  fern  halten  zu  dürfen.  So  nahm  er  sich  denn 
eine  Frau  aus  Schweden  und  pflegte  statt  seiner  früheren 
Bestrebungen  einer  nachdenklichen  Müsse.  Sein  Leben  floss 
auch  in  schönster  Ungestörtheit  dahin,  und  er  war  schon  bis 
fast  an  die  Grenzen  seines  Daseins  gelangt,  als  er  von  einigen 
Männern  unter  Angabe  ziemlich  wahrscheinlicher  Gründe  hörte, 
dass  die  Seelen  unsterblich  seien;  nun  überlegte  er  nach  den 
verschiedensten  Richtungen  hin,  nach  was  für  einem  Wohnsitz 
er  denn  kommen  würde,  wenn  sein  Geist  den  Körper  verlassen 
hätte ,  oder  welche  Belohnung  wohl  seine  eifrige  Verehrung 
der  Götter  verdienen  würde. 

Während  er  darüber  nachgrübelte ,  kamen  einige ,  die 
Thorkillus  recht  übel  gesinnt  waren  und  belehrten  den  Könicc., 
man  müsse  die  Götter  um  Rat  fragen;  denn  Sicherheit  über 
eine  so  wichtige  Angelegenheit,  die  über  menschliches  Denken 
hinausginge  und  für  die  Erkenntnis  der  Sterblichen  zu  schwierig 
sei,  müsse  man  durch  Orakel  von  den  Himmlischen  erbitten. 
Deshalb  müsse  Ugarthilocus  beschickt  werden,  und  niemand 
sei  für  diese  Aufgabe  geeigneter  als  Thorkillus.  Es  gab 
selbst  einige,  die  ihn  heimtückischer  Ränke  bezichtigten  und 
als  F^eind  für  des  Königs  Leben  anklagten.  Als  Thorkillus 
sah,  dass  er  der  äussersten  Gefahr  ausgesetzt  werden  sollte, 
erbat  er  sich  die  Ankläger  als  Reisebegleiter.  Sobald  nun 
die,  welche  einen  Unschuldigen  beschuldigt  hatten,  sahen,  dass 
die  dem  Leben  eines  andern  zugedachte  Gefahr  sie  selber 
träfe,  suchten  sie  ihren  Rat  zu  widerrufen.  Doch  sie  lagen 
dem  König  vergeblieh  in  den  Ohren,  sie  wurden  gezwungen 
unter  des  Thorkillus  Führung  mitzufahren  und  wurden  oben- 
drein noch  wegen  ihrer  Angst  geschmäht.  So  müsste  immer 
der  Schaden,  der  einem  andern  zugedacht  wird,  auf  das  Haupt 
des  Urhebers  zurückfallen.  Als  sie  einsahen,  dass  sie  sieh 
unwiderruflich  und  gezwungen  der  Gefahr  aussetzen  mussten. 
überdachten  sie  ihr  Schiff  mit  Rinderhäuten  und  füllten  es 
mit  einem  reichen  Vorrat  an  Lebensmitteln. 


Beginn  der  Reise  zu  Ugarthilocus.  457 

lu  diesem  fuhren  sie  aus  und  gelangten  in  eine  Zone, 
^0  die  Gegend  die  Sonne  entbehrt,  die  Sterne  nicht  kennt, 
kein  Tageslicht  hat  und  unter  dem  Schleier  ewiger  Nacht 
liegt.  Als  sie  lange  unter  diesem  ungewöhnlichen  Himmels-  298 
strich  gekreuzt  hatten,  ging  ihnen  schliesslich  das  Holz  aus, 
und  da  sie  also  keine  Nahrung  fürs  Feuer  noch  eine  Stätte 
zum  Abkochen  hatten,  stillten  sie  ihren  Hunger  mit  rohen 
Speisen.  Die  meisten  aber,  die  so  assen,  zogen  sich  eine  ^^ 
schlimme  Krankheit  zu,  da  sie  sich  an  einem  unverdaulichen 
Mahle  sättigten.  Denn  zuerst  stellte  sich  infolge  der  unge- 
wohnten Nahrung  Magenschwäche  ein,  dann  griff  das  Uebel 
weiter  um  sich,  und  die  Krankheit  wurde  lebensgefährlich. 
So  ergab  sich  also  ein  doppeltes  Uebel  mit  zwei  Spitzen: 
denn  so  unerträglich  das  Fasten  war,  so  verderblich  war  das 
Essen,  und  man  konnte  thatsächlich  weder  mit  Sicherheit 
Speise  zu  sich  nehmen,  noch  zu  seinem  Vorteil  sich  ihrer 
enthalten.  Als  sie  schon  alle  Hoffnung  aufgaben,  (wie  denn 
die  Sehne  am  leichtesten  zu  reissen  pBegt,  wenn  man  sie  am 
straffsten  spannt),  nahte  ihnen  Erlösung  und  unverhoffte 
Hilfe.  Die  Erschöpften  sahen  nämlich  plötzlich  in  geringer 
Entfernung  ein  Feuer  leuchten,  und  das  gab  ihnen  neuen 
Mut  zum  Weiterleben.  Thorkill us  betrachtete  dies  als 
eine  vom  Himmel  gesandte  Rettung  und  beschloss  etwas 
davon  mitzunehmen;  und  um  sich  die  Rückkehr  zu  seinen 
Gefährten  mehr  zu  sichern,  befestigte  er  einen  glänzenden 
Edelstein  an  der  Spitze  des  Mastes  als  Zeichen.  Dann  ging 
er  ans  Land,  und  seine  Augen  fielen  da  auf  einen  schmalen 
AVeg,  der  zu  einer  Höhle  mit  engem  Eingange  fährte.  Er 
ging  hinein,  während  er  seine  Gefährten  draussen  warten 
hiess  und  erblickte  zwei  schwarze  Männer^)  von  gewaltiger 
Grösse,  mit  hörnernen  Nasen,  welche  alles,  was  der  Zufall 
ihnen  brachte,  aufrafften  und  dem  Feuer  als  Nahrung  zu- 
warfen. Uebrigens  beleidiget  der  hässliche  Eingang,  die 
altersschwachen  Pfosten,  die  von  Moder  schwarzen  Wände, 
die  schmutzige  Decke,  der  mit  zahlreichen  Schlangen  bedeckte 


*)  Lat.  aquili;  vgl.  II,  66  Anm.  3. 


458  Achtes  Bück 

Estrich  ebenso  sehr  das  Auge  wie  das  Gefühl.  Da  begrüsste 
ihn  einer  der  Riesen  und  sagte  ihm,  er  habe  sich  an  ein 
sehr  schwieriges  Unternehmen  gewagt,  wenn  er  in  seiner 
heissen  Begier,  eine  fremde  Gottheit  zu  besuchen,  auch  mit 
seiner  forschenden  Neugier  Kenntnis  von  überweltlichen  Ge- 
genden zu  erlangen  strebe.  Er  werde  aber  von  ihm  den 
Weg  zum  Ziel  seiner  Reise  erfahren,  wenn  er  ihm  drei  Wahr- 
heiten in  Form  ebenso  vieler  Sprichwörter  mitteile.  Da  sagte 
Thorkillus:     Ich  erinnere  mich  wahrhaftig  nicht,  je  eine  Ge- 

431  Seilschaft  mit  hässlicheren  Nasen  gesehen  zu  haben;  auch 
habe  ich  nie  einen  Ort  betreten,  wo  ich  weniger  gern  leben 
möchte;  endlich:  Ich  betrachte  den  Fuss  als  meinen  besten, 
der  zuerst  den  Ausgang  von  hier  gewinnen  kann.  —  Der 
Riese  freute  sich  über  die  Klugheit  des  Thorkillus,  lobte  die 
Wahrheit  seiner  Sprichwörter  und  teilte  ihm  mit,  dass  er 
zuerst  nach  einem  rasenloseu  Lande,  das  in  tiefste  Finsternis 
gehüllt  sei,  wandern  müsse.  Bevor  er  aber  diesen  bestimmten 
Ort  erreiche,  müsse  er  noch  bei  ununterbrochenem  Rudern 
eine  viertägige  Seereise  zurücklegen.  Dort  werde  er  ügar- 
thilocus  besuchen  können,  der  sich  schaurig  schwarze 
Höhlen   zur  unsauberen  Behausung  auserkoren  habe.     Thor- 

204  killus  erschrak  gewaltig,  dass  ihm  noch  eine  lange  und  ge- 
fährliche Seefahrt  geboten  wurde,  aber  er  bezwang  seine 
augenblickliche  Furcht  mit  einer  zweifelnden  Hoffnung  und 
bat  um  etwas  Feuer.  Da  sagte  der  Riese :  Wenn  du  Feuer 
begehrst,  so  musst  du  erst  noch  drei  andere  Wahrheiten  in 
entsprechenden  Sprichwörtern  sagen.  —  Thorkillus  ent- 
gegnete: Einem  Rat  muss  man  folgen,  wenn  ihn  auch  ein 
jämmerlicher  Gesell  giebt.  —  Ferner:  Ich  bin  in  meiner 
Tollkühnheit  soweit  gegangen,  dass  ich,  wenn  ich  überhaupt 
zurück  kann,  meine  Rettung  am  meisten  meinen  Füssen  ver- 
danke. —  Endlich:  Wenn  ich  mich  für  jetzt  eines  freien 
Weggangs  erfreute,  würde  ich  mich  sorgsam  vor  einer  noch- 
maligen Rückkehr  hüten. 

Darauf  brachte  er  seinen  Gefährten  das  Feuer,  erlangte 
günstige  Winde  und  landete  am  vierten  Tage  in  dem  be- 
stimmten Hafen;  er  stieg  mit  seinen  Genossen  aus  Land,  wo 


Reise  zu  Ugarthilocus.  459 

eine  ewige  Nacht  keinen  Wechsel  mit  dem  Lichte  kannte. 
Obgleich  das  Auge  nur  mühsam  einen  Ausblick  erhaschen 
konnte,  nahm  er  dennoch  eine  Klippe  von  ungewöhnlicher 
Grösse  wahr.  Voll  Begier,  sie  zu  durchforschen,  liess  er  von 
seinen  Gefährten,  die  draussen  Wache  hielten,  mit  Feuer- 
steinen Feuer  schlagen  und  am  Eingange  einen  Brand  — 
ein  gutes  Schutzmittel  gegen  Dämonen  ^)  —  anzünden.  Dar- 
nach zwängte  er,  während  andere  das  Licht  voraus  trugen, 
seinen  Leib  durch  den  engen  Schlund  der  Höhle  und  sah 
dort,  während  zahlreiche  Schlangen  herankrochen,  überall 
eine  Menge  eiserner  Sitzplätze.  Dann  bot  sich  eine  ziemlich 
ruhige  Wassermasse,  die  sanft  über  Sandgrund  hinglitt,  dem 
Blicke  dar.  Er  setzte  hinüber  und  näherte  sich  bald  einer 
noch  etwas  tieferen  Höhle.  Dann  öffnete  sich  vor  den  Be- 
suchern ein  schwarzes,  scheussliches  Gemach.  In  diesem  sah 
man  Ugarthilocus,  an  Händen  und  Füssen  mit  gewaltigen 
Kettenlasten  beschwert  ^).  Seine  übelriechenden  Haare  kamen 
an  Grösse  und  Stärke  Lanzen  von  Kornelholz  gleich.  Eins  432 
davon  riss  ihm  Thorkillus  mit  Hilfe  seiner  Gefährten  aus 
dem  Kinn,  was  jener  sich  auch  ruhig  gefallen  liess,  und  be- 
wahrte es  auf,  um  einen  recht  glaubwürdigen  Beweis  für 
seine  Thaten  zu  haben.  Sogleich  aber  verbreitete  sich  ein 
so  gewaltiger  Gestank  über  die  Umstehenden,  dass  sie  nur 
atmen  konnte,  wenn  sie  ihre  Gewänder  an  die  Nase  pressten. 
Kaum  an  dem  Ausgang  angelangt,  wurden  sie  von  allent- 
halben herbeieilenden  Schlangen  bespieen.  Nur  fünf  von 
Thorkillus'  Begleitern  konnten  mit  ihrem  Führer  das  Schiff 
besteigen,  die  übrigen  wurden  von  dem  Gifte  verzehrt.  Wilde 
Dämonen  erhoben  sich  über  sie  und  schleuderten  überall 
ihren  giftigen  Geifer  auf  sie  herunter.  Die  Schiffer  aber 
hielten  ihre  ledernen  Schutzdecken  vor   und   schüttelten  das 


*)  Das  ist  eine  in  der  Volkskunde  aller  Völker  begeg^nende  Vor- 
stellung, (die  übrigens  auch  von  kaltem  Wasser  gilt);  vgl.  Mogk  i.  Ördr. 
III,  387  ff.  (385  über  Wasser),  E.  H.  Jleyer  unter  Feuer  im  Hegister. 

*)  Müller  erinnert  hier  an  die  Fesselung  Lokis  an  drei  spitze  Steine 
mit  den  Gedärmen  seines  Sohnes,  die  zu  Eisen  werden ;  Gylfag.  50  =  Gerings 
Edda  S.  347. 


460  Achtes  Buch. 

Gift  ab,  welches  darauf  fiel.  Einer  versuchte  zufällig  einmal 
sieh  umzusehen,  aber  das  Gift  berührte  sein  Haupt,  und  wie 
von  einem  Schwerte  abgeschnitten,  wurde  es  ihm  vom  Nacken 
getrennt.  Ein  anderer  Hess  die  Augen  von  den  Schutzdecken 
frei,  und  als  er  sie  zurückwandte,  waren  sie  erblindet.  Ein 
dritter  steckte  die  Hand  unter  der  Hülle  hervor,  als  er  sie 
295  auseinander  falten  wollte,  aber  infolge  der  Kraft  des  Geifers 
zog  er  nur  einen  verstümmelten  Arm  wieder  herein.  Während 
nun  die  übrigen  die  Götter  vergeblich  um  Gnade  anflehten, 
wandte  sich  Thorkillus  mit  seinen  Wünschen  an  den  Gott 
des  Weltalls  ^) ,  und  wie  er  mit  seinen  Gebeten  auch  Opfer 
vereinte,  stellte  sich  bald  das  frühere  Aussehen  des  Himmels 
wieder  ein,  das  Wetter  klärte  sich  auf  und  er  konnte  die 
Fahrt  glücklich  fortsetzen. 

Schon  schienen  sie  nun  eine  andere  Welt  und  die  Nähe 
von  menschlichen  Verhältnissen  zu  erblicken.  Endlich  landete 
er  in  Germanien,  das  damals  eben  dem  Christentum  gewonnen 
war,  und  lernte  dort  bei  der  Bevölkerung  die  Grundlehren 
des  Gottesdienstes  kennen.  Da  die  Schar  seiner  Gefährten 
infolge  des  Einatmens  jener  ungewohnten,  schrecklichen  Luft 
fast  aufgerieben  war,  kehrte  er  von  dort  mit  nur  zwei  Be- 
gleitern, an  denen  das  schlimmste  Schicksal  vorübergegangen 
war,  in  die  Heimat  zurück.  Der  böse  Dunst  aber,  dem  sein 
Gesicht  ausgesetzt  war,  hatte  seine  Gestalt  und  die  Umrisse 
seiner  früheren  Form  so  mitgenommen,  dass  er  selbst  von 
seinen  Freunden  nicht  erkannt  wurde.  Sobald  er  aber  jene 
Entstellung  los  geworden  war  und  sich  denen,  die  ihn  be- 
suchten, zu  erkennen  gab,  erregte  er  in  dem  König  gewaltige 
Neugier,  etwas  über  seine  Reise  zu  erfahren.  Aber  die 
Wühlerei  seiner  Nebenbuhler  war  noch  nicht  zu  Ende  ge- 
kommen, und  einige  redeten  dem  Könige  ein,  er  würde  sofort 
sterben,  wenn  er  Thorkillus'  Nachrichten  vernommen  hätte. 
Seine    eigene    Leichtgläubigkeit,     hervorgerufen    durch    die 


*)  Wer  mit  dem  Deus  universitatis  gemeint  ist.  ist  nicht  recht  klar; 
wahrscheinlich  ist  er  eine  Vdn^'cpnahme  des  christlichen  Gottes,  den  Thor- 
killus bald  nach  Saxo  kennen  lernt.  Man  denke  auch  an  den  eddischen  Alf^Or. 


Rückkehr  von  ügarthilocus.     Tod  Gormos  I.  461 

falsche  Prophezeiung  eines  Traumes  über  dieselbe  Sache, 
vermehrte  noch  sein  Zutrauen  zu  dieser  Versicherung.  Daher  433 
wurden  auf  des  Königs  Befehl  Leute  gedungen,  die  Thor- 
kill us  in  der  Nacht  umbringen  sollten.  Da  dieser  aber  hier- 
von Kunde  erhielt,  verliess  er  heimlich  sein  Lager,  und  legte 
an  seiner  Stelle  einen  recht  schweren  Holzklotz  hin.  Dadurch 
machte  er  den  heimtückischen  Anschlag  des  Königs  zu  nichte, 
denn  die  Mietlinge  stachen  nur  in  den  Holzstamm.  Am 
folgenden  Tage  begab  er  sich  zu  dem  Fürsten,  als  dieser 
sich  stärkte,  und  sagte:  Ich  verzeihe  deiner  Wildheit  und 
entschuldige  deinen  Fehlgriff,  obgleich  du  mir  für  die  Bot- 
schaft von  dem  glücklichen  Erfolg  meiner  Fahrt  Strafe  statt 
Dank  bestimmt  hast.  Zwar  habe  ich  in  dir,  für  den  ich 
mein  Leben  sovielen  Unbilden  ausgesetzt,  sovielen  Gefahren 
preisgab,  den  dankbarsten  Belohner  meiner  Thaten  erhofft, 
aber  nur  den  grausamsten  Bestrafer  der  Tüchtigkeit  gefun- 
den. Doch  ich  verzichte  auf  Rache  und  begnüge  mich  mit 
deiner  innerlichen  Beschämung  (wenn  überhaupt  Undankbare 
noch  irgend  welche  Scham  haben)  als  Sühne  für  meine  Be- 
leidigung. Nicht  mit  Unrecht  vermute  ich,  dass  du  alle 
Wildheit  der  bösen  Geister  und  die  Grausamkeit  der  Raubtiere 
übertriffst;  denn  während  ich  den  Nachstellungen  so  vieler 
Ungeheuer  entgangen  bin,  konnte  ich  allein  vor  den  deinigen 
nicht  sicher  sein.  —  Der  König  wünschte  nun  alles  von  Thor- 
killus  zu  erfahren,  und  da  er  es  doch  für  eine  schwierige 
Sache  hielt,  dem  Schicksal  zu  entgehen,  gebot  er  ihm,  seine 
Abenteuer  der  Reihe  nach  zu  berichten.  Er  lauschte  eifrig 
auf  alle  übrigen  Erzählungen,  konnte  es  aber  zuletzt  nicht 
ertragen,  dass  sein  eigener  Gott  eine  so  ungünstige  Be- 
urteilung erfuhr.  Er  konnte  es  nicht  übers  Herz  bringen, 
von  der  Unflätigkeit  des  Ügarthilocus  erzählen  zu  hören,  296 
und  empfand  solchen  Schmerz  über  dessen  unwürdiges  Los, 
dass  er  seinen  Geist,  der  solche  Reden  nicht  mehr  aushalten 
konnte,  mitten  unter  der  Erzählung  des  Berichterstatters  auf- 
gab. Während  er  sich  also  eifrig  dem  Dienste  eines  falschen 
Gottes  widmete,  erkannte  er,  wo  das  eigentliche  Gefängnis 
des  Elends  sei.     Uebrigens    brachte    der   üble  Geruch  jenes 


462  Achtes  Buch. 

Haares,  welches  Thorkillus  gleichsam  zum  Zeugnis  für  die 
Grösse  seiner  Thaten  dem  Riesen  ausgerauft  hatte,  als  er  sich 
über  die  Umstehenden  ausbreitete^  mehreren  den  Tod. 

Nach  Gormos  Tode  herrschte  sein  Sohn  Gotricns. 
Dieser  zeichnete  sich  ebenso  durch  Waffenthaten  wie  durch 
Freigebigkeit  aus,  und  es  ist  ungewiss,  ob  er  mehr  tapfer 
oder  milde  war;  ja  er  schränkte  die  Strenge  so  durch  Güte 
ein,  dass  er  das  eine  durch  das  andere  auszugleichen  schien. 
Zu  dieser  Zeit  wurde  Goto,  der  König  von  Norwegen,  von 
434  Bero  und  Refo^)  aus  Thule  besucht,  und  er  schenkte 
Refo,  den  er  besonders  ehrenvoll  und  freundlich  behandelte, 
eine  schwere  Armspange.  Als  dies  einer  der  Höflinge  sah, 
pries  er  die  Grösse  der  Gabe  mit  allzu  schrankenlosem  Lobe 
und  behauptete,  dass  niemand  Goto  an  Milde  gleichkomme. 
Refo  war  nun  zwar  dem  König  für  seine  Gnade  Dank 
schuldig,  aber  er  gewann  es  trotzdem  nicht  über  sich,  die 
aufgeblasenen  Worte  dieses  masslosen  Lobsprechers  zu  billigen, 
sondern  er  zog  jenem  den  Gotricus  vor.  Um  nämlich  die 
eitle  Anmassung  des  Ohrenbläsers  zu  zerstören,  wollte  er 
lieber  für  die  Güte  des  fern  Weilenden  Zeugnis  ablegen  als 
dem  gegenwärtigen  Gabenspender  fälschlich  schmeicheln. 
Ferner  hielt  er  es  immer  noch  für  bedeutend  wertvoller,  der 
Undankbarkeit  bezichtigt  zu  werden  als  in  ein  eitles,  prahlen- 
des TiOb  einzustimmen,  und  den  König  von  dem  Ernste  der 
Wahrheit  zu  überzeugen  als  ihn  durch  schmeichlerische  Lügen 
zu  täuschen.  Ulwo^)  aber  beharrte  nicht  nur  dabei,  seine 
Lobsprüche  auf  den  König  zu  wiederholen,  sondern  auch 
dabei,  durch  einen  Versuch  die  Probe  zu  machen,  und  er 
ging  mit  seinem  Widersacher  eine  Wette  ein.  Einverstanden 
damit,  zog  Refo  nach  Dänemark  und  fand  da  Gotricus, 
wie  er  von  seinem  Thron  aus  Sold  unter  seine  Soldaten  ver- 


*)  Ueber  die  Hefosage,  die  in  der  isländischen  Gjafa-Refssaga  (einem 
Teile  der  Gautrekssaga,  Fornaldar  Sögur  III,  S.  30 — 31;  39 — 53)  eine 
Entsprechung  hat,  siehe  Olrik  II,  137  ff.  Sie  ist  norwegischen  Ursprungs. 
Das  Wort  refr  als  Appell ativum  heisst  übrigens  Fuchs. 

*)  D.  i.  der  Name  seines  vorhin  nicht  genannten  Gegners  =  anrd. 
ülfr  =  Wolf. 


Gotricus;   die  Refosage.  463 

teilte.  Auf  die  Frage,  wer  er  sei,  antwortete  er,  er  heisse 
Fücbslein.  Während  einige  darüber  lachten,  andere  sich 
wunderten,  sagte  Gotricus:  Ein  Fuchs  muss  seine  Beute 
mit  dem  Maule  aufnehmen.  —  Und  zu  gleicher  Zeit  streifte 
er  eine  Kette  vom  Arme,  liess  jenen  herbeiholen  und  steckte 
sie  ihm  zwischen  die  Lippen.  Refo  befestigte  sie  sogleich 
au  dem  einen  Arme  und  zeigte  diesen  mit  dem  Sehmucke 
allen,  während  er  den  andern,  da  er  jeder  Zierde  entbehrte, 
mehr  zu  verbergen  suchte.  Infolge  dieser  Schlauheit  erhielt 
er  Ton  der  Hand  des  unermüdlich  grossmütigen  Spenders 
noch  eine  Gabe,  die  der  ersten  gleich  war^).  Das  erfüllte 
ihn  nicht  sowohl  wegen  des  hohen  Wertes  als  wegen  des 
Sieges  in  seinem  Streite  mit  Freude.  Als  der  König  von 
dieser  Wette  hörte,  freute  er  sich,  dass  er  mehr  durch  Zufall  297 
als  absichtlich  so  freigebig  gegen  ihn  gewesen  war,  und  ver- 
sicherte, er  empfinde  mehr  Vergnügen  über  sein  Geben  als 
der  Empfänger  über  das  Geschenk.  Refo  kehrte  nun  nach 
Norwegen  zurück,  und  als  sich  sein  Partner  weigerte,  das 
niedergelegte  Pfand  auszulösen,  tötete  er  ihn,  und  die  Tochter 
Gotos  nahm  er  gefangen,  um  sie  Gotricus  als  dessen  eigen 
zuzuführen. 

Gotricus,  der  auch  Godefridus^)  genannt  wird,  focht  ^35 
auch  gegen  fremde  Völker  und  erhöhte  seinen  Ruhm  und 
seine  Macht  durch  glückliche  Erfolge.  Abgesehen  von  andern 
denkwürdigen  Thaten,  legte  er  auch  den  Sachsen')  folgende 
Abgaben  auf:  So  oft  bei  den  Dänen  ein  Wechsel  in  der 
Regierung  eintrat,  sollten  ihre  Fürsten  bei  der  Thronbesteigung 
des  neuen  Königs  hundert  schneeweisse  Rosse  geben.     Wenn 


*)  Vgl.  die  ganz  ahnliche  Geschichte  II,  S.  92,3. 

*)  Dieser  Fürst  ist  ein  historischer  Dänenkönig,  dessen  Geschichte 
aber  Saxo  nicht  nach  sicheren  Quellen  sondern  nach  volksmässiger  Ueber- 
lieferung  aufgezeichnet  hat.     Er  wurde  810  ermordet. 

*)  Mit  den  Sachsen  hat  er  nicht  wirklich  gekämpft,  sondern  er  wurde 
von  ihnen  gegen  Karl  den  Grossen  zu  Hilfe  gerufen,  die  er  auch  gewährte. 
Ein  so  strenges  Verhältniss  zwischen  ihnen  und  Götrik  hat  nicht  obge- 
waltet. Dagegen  werden  seine  siegreichen  Feldzäge  gegen  die  Obotriten 
und  Wilzen  von  Saxo  gamicht  erwähnt,  wenn  nicht  etwa  in  Folge  von- 
Verwechselung  die  Sachsen  an  deren  Stelle  getreten  sind. 


464  Achtes  Buch. 

die  Sachsen  bei  einem  Wechsel  in  der  Herrschaft  einen  neuen 
Fürsten  bekämen,  sollte  auch  dieser  durch  Zahlung  der  ge- 
nannten Abgabe  sich  beim  Antritt  seiner  Regierung  vor  der 
Oberherrlichkeit  Dänemarks  beugen,  um  so  die  Oberherrschaft 
unseres  Volkes  anzuerkennen  und  ein  feierliches  Zeichen 
seiner  eigenen  Unterwerfung  zu  geben.  Aber  er  begnügte 
sich  nicht  mit  der  Unterwerfung  Germaniens,  sondern  über- 
trug Refo  die  Aufgabe,  auch  Schweden  anzugreifen.  Da  sich 
die  Schweden  nun  scheuten,  ihn  mit  Waffengewalt  zu  töten, 
versuchten  sie  es  mit  einer  heimtückischen  Tbat  und  ermor- 
deten ihn  im  Schlafe  durch  einen  Steinwurf.  Sie  befestigten 
nämlich  einen  Felsblock  in  der  Nähe,  schnitten  die  Stricke 
durch  und  Hessen  ihn. auf  den  Kopf  des  darunter  Liegenden 
fallen  ^).  Zur  Busse  für  diesen  Frevel  wurde  bestimmt,  dass 
jeder  von  den  Anstiftern  zu  der  That  zwölf  Talente  Gold, 
jeder  Mann  aus  dem  Volke  aber  eine  Unze  desselben  Metalls 
an  Gotricus  zahlen  sollte.  Das  nannte  man  „die  Füchslein- 
lösung" *). 

Indessen  geschah  es,  dass  Karolus.  der  König  der 
Franken'),  Germanien  mit  Krieg  überzog  und  es  nicht  nur 
zwang,  das  Christentum  anzunehmen,  sondern  auch  seiner 
Macht  zu  gehorchen.  Auf  diese  Kunde  bin  griif  Gotricus 
die  an  die  Elbe  angrenzenden  Völker  an  und  versuchte 
Sachsen,  welches  sich  zu  willig  dem  Joche  Karolus*  fügte 
und  die  römischen  Waffen  den  dänischen  vorzog,  wieder  zu 
der  althergebrachten  Anerkennung  seiner  Oberherrschaft  zu 
43H  nötigen.  Zu  dieser  Zeit  hatte  der  siegreiche  Karolus  jen- 
seits des  Rheines  sein  Lager  aufgeschlagen,  und  deswegen 
verzichtete  er,  gleichsam  durch  das  Dazwischenliegen  des 
Flusses  gehindert,  auf  einen  Zusammenstoss  mit  dem  fremden 
Feinde.     Als  er  gerade  beabsichtigte,  ihn  doch  nochmals  zu 


M  Diese  (sagenhafte)  Geschichte  erinnert  an  den  gegen  Ebbo  geplanten 
Ueberfall  (8.  427  8).  —  Von  einem  Schwedenkriege  Götriks  wissen  andere 
(Quollen  nichts. 

*)  Das  bezieht  sich  auf  den  Xamen  des  (Getöteten;  Olrik  II,  188 
denkt  an  ein  Wortspiel  (?)  zwischen  Ref-gjold  und  nef-gjold  (r^  Wergeid). 

»)  Das  ist  Karl  der  Grosse  (768  -  814). 


Gotricus'  Kämpfe  in  Deutschland.  465 

Überschreiten,  um  Gotricus  zurückzuwerfen,  wurde  er  von 
dem  römischen  Papste  Leo^)  zum  Schutze  seiner  Stadt  ab- 
gerufen. Er  folgte  diesem  Rufe,  übertrug  aber  seinem  Sohne 
Pipinus*)  die  Führung  des  Krieges  gegen  Gotricus,  damit 
dieser,  während  er  selbst  gegen  einen  entfernten  Feind  zog, 
den  Kampf  gegen  den  Nachbar,  den  er  unternommen,  leiten 
sollte.  Karolus  war  also  von  zwei  verschiedenen  Sorgen  in  298 
Anspruch  genommen  und  musste  mit  seinem  zersplitterten 
Heere  gegen  beide  geeignete  Abhilfe  schaffen.  Unterdessen 
trug  Gotricus  einen  glänzenden  Sieg  über  die  Sachsen 
davon  ^)  und  sammelte  dann  von  neuem  Streitkräfte;  als  er  437 
nun  eine  ziemlich  zahlreiche  Truppenmasse  zusammengebracht 
hatte,  besehloss  er  nicht  nur  an  Sachsen,  sondern  an  der 
ganzen  Bevölkerung  Germaniens  die  Schmach  zu  rächen,  dass 
er  seine  Herrschaft  dort  verloren  hatte.  Zuerst  unterwarf 
er  mit  seiner  Flotte  Friesland.  Diese  Landschaft  ist  sehr 
flach,  und  so  oft  der  Ozean  aufgeregt  ist  und  Sturmfluten 
die  Dämme  durchbrechen,  pflegt  sich  die  ganze  Wucht  der 
Ueberschwemmung  über  seine  offenen  Felder  zu  ergiessen*). 
Diesem  Lande  erlegte  Gotricus  einen  nicht  gerade  harten, 
aber  recht  seltsamen  Tribut  auf*).  Ueber  die  Art  und  die 
Bedingungen  desselben  will  ich  kurz  berichten.  Zuerst  wurde 
ein  Bauwerk  hergestellt,  240  Fuss  lang  und  in  zwölf  Räume 
abgeteilt.  Jeder  von  diesen  erstreckt  sich  über  20  Fuss, 
sodass  also  die  Gesamtausdehnung  die  obengenannte  Länge 
erreichte.  Am  obersten  Ende  dieses  Baues  sass  nun  der 
königliche  Zolleinnehmer,  am  untersten  wurde  ihm  gegenüber 
ein  runder  Schild  aufgestellt.  Wenn  nun  die  Friesen  ihren 
Tribut  zahlten,  pflegten  sie  jede  Münze  einzeln  in  die  Höhlung 
dieses  Schildes  zu  werfen;    doch  nur  diejenigen  Geldstücke,  438 


»)  Leo  III.  (795—816);  Karls  Zujf  nach  Rom  erfolgte  799. 

*)  Das  iit  ein  Irrtum ;  oicht  Pipin  sondern  Karl  erhielt  diese  Aufgabe. 

^)  Davon  ist  nichts  bekannt ;  dagegen  fällt  ins  Jahr  808  Götriks  oben 
erwähnter  Feldzug  gegen  die  Obotriten. 

*)  Vgl.  S.  8  und  Anm.  l. 

*)  Der  Bericht  von  der  Unterwerfung  Frieslanda  und  der  Auferlegung 
des  Tributs  ist  geschichtlich;  das  Ereigniss  fällt  ins  Jahr  808. 

Saxo  Grammaticut.  30 


466  Achtes  ßuch. 

deren  Klang  deutlich  von  dem  Ohre  des  entfernt  sitzenden 
Zöllners  wahrgenommen  v^urde,  wurden  von  ihm  bei  seiner 
Zählung  als  Königszins  berechnet.  So  kam  es,  das  der  Ein- 
nehmer nur  das  Geld  für  den  Staatsschatz  mitzählte,  dessen 
Niederfallen  er  in  seiner  entfernten  Stellung  deutlich  gehört 
hatte.  Wenn  aber  der  Klang  undeutlich  war  und  der  Wahr- 
nehmung des  Zählers  entging,  so  wurde  dieses  Geld  zwar 
auch  in  den  Staatsschatz  aufgenommen,  aber  es  wurde  nicht 
als  Vermehrung  der  Summe  gezählt^).  Da  nun  der  Schall 
beim  Auffallen  der  Münzen  ziemlich  häufig  dem  Ohr  des 
Zöllners  entging,  so  ergab  sich,  dass  die  Leute  bei  der  Ein- 
lieferung  der  festgesetzten  Abgabe  zuweilen  einen  grossen 
Teil  ihres  Geldes  vergeblich  aufopferten.  Durch  Karolus 
sollen  sie  später  von  der  Last  dieser  Steuer  befreit  worden 
sein.  Als  Gotricus  nach  seinem  Zuge  durch  Friesland  und 
nach  Karolus'  Rückkehr  aus  Rom  beschlossen  hatte,  sich  auf 
die  inneren  Bezirke  Germaniens  zu  werfen,  erlag  er  den 
Nachstellungen  eines  seiner  eigenen  Gefolgsleute  und  starb 
unter  dem  Schwerte  eines  heimtückischen  Verräters  in  seiner 
Umgebung^).  Bei  dieser  Kunde  jubelte  Karolus  freudig 
auf  und  bekannte,  das  Glück  habe  ihn  nie  mehr  begünstigt, 
als  durch  diesen  Zufall. 

Ende  des  achten  Buches. 


*)  3IüUer  weist  II,  251  nach,  das  der  fabelhaft  ausgeschmückte  Bericht 
über  den  Tribut  auf  nicht  mehr  recht  verständliche  alte  Gesetzesformeln 
zurückzuführen  sei.  Bei  den  Sühnogeldem  für  Körperverletzungen  wurde 
nur  für  die  aus  der  Wunde  herausgenommenen  Knochensplitter  eine  bestimmte 
Summe  gezahlt,  die  man  noch  in  einiger  Entfernung  auffallen  hörte,  wenn 
man  sie  in  einem  Schild  warf. 

^  Auch  dies  ist  historisch;  es  geschah  810. 


I^enntes  Buch.  299;  439 


Olavus,  der  Sohn  des  Gotricus,  herrschte  nach  dem 
Tode  seines  Vaters.  Dieser  trug  kein  Bedenken,  aus  Eifer 
seineu  Vater  zu  rächen ,  sein  Land  in  Bürgerkriege  zu  ver- 
wickeln ,  indem  er  seine  Pflichten  gegen  den  Staat  seiner 
eigenen  Begier  nachstehen  Hess.  Als  er  starb ,  nahm  der 
unter  dem  Namen  des  Olavus  bekannte  Hügel  bei  Lethra 
seinen  Leichnam  auf^). 

Ihm  folgte  Hemmingus.  Von  diesem  kenne  ich  keine 
nennenswerten  Thaten,  abgesehen  davon,  dass  er  einen  Frieden 
mit  Kaiser  Ludowicus  eidlich  beschworen  bat.  Vielleicht 
werden  auch  mehrere  bedeutende  Ereignisse  seiner  Zeit 
trotz  ihrer  damaligen  Wichtigkeit  von  dem  neidischen  Alter 
verborgen^). 

Nach  diesen  kam  mit  Unterstützung  der  Schonier  und 
Seeländer  Siwardus    mit    dem  Beinamen  Ring')    auf   den 


^)  Dieser  Olaf  wird  ausser  von  Saxo  noch  von  einigen  andern  däni- 
schen Quellen  erwähnt;  die  isländischen  sowie  festländischen  (fränkische 
Annalen)  kennen  ihn  nicht.  Historisch  beglaubigt  ist  nur,  dass  nach  Götriks 
Tode  mannigfache  Unruhen  in  Dänemark  herrschten.  —  Der  Olafshägel 
(Olehöj)  bei  Lethra  kann  ebenso  gut  nach  irgend  einem  andern  Olaf  be- 
nannt sein. 

•)  Andere  Quellen  (die  bei  Müller  II,  253  verzeichnet  sind)  machen 
Hemming  zum  Sohn  Götriks,  und  der  Friede  mit  dem  deutschen  Kaiser 
wird  nicht  mit  Ludwig  sondern  noch  mit  Karl  dem  Grossen  abgeschlossen. 

')  Fränkische  Annalen  stimmen  in  der  Geschichte  Sigurds,  den  sie 
Sifridus  nennen,  mit  Saxo  ziemlich  überein ;  isländische  Berichte  setzen  ihn 
dagegen  Ringo,  dem  Sieger  in  der  Brawallaschlacht ,  gleich.  Saxo  mag 
auch  hier  für  die  geschichtlichen  Ereignisse  nicht  sowohl  aus  schriftlichen 
Quellen  als  vielmehr  aus  Volksüberlieferungen  geschöpft  haben. 

30* 


4G8  Neuntes  Buch. 

Thron ,  der  Sohn  seines  gleichnamigen  Vaters  ,  des  Fürsten 
von  Norwegen,  und  der  Tochter  des  Gotricus.  Denn  Jütland 
hatte  sein  Vetter  ffingo,  ebenfalls  ein  Enkel  des  Gotricus, 
im  Besitz.  So  begann  nun  die  geteilte  Macht  des  einen 
Reiches,  da  ja  jeder  Teil  wegen  seiner  Kleinheit  für  sich 
unbedeutend  war,  verachtet  und  sogar  angegriffen  zu  werden. 
Siwardus  verfolgte  diese  Feinde  mit  mehr  Hass  als  seinen 
Nebenbuhler  in  der  Herrschaft,  denn  er  zog  auswärtige  Kriege 

440  solchen  im  Innern  vor  und  setzte  andauernd,  fünf  Jahre  lang, 
den  Gefahren ,  die  sein  Vaterland  bedrohten ,  einen  Damm 
entgegen;  er  wollte  ja  lieber  eine  Wunde  im  Innern  ertragen, 
um  die  äussere  desto  besser  heilen  zu  können.  Ringe 
benutzte  nun  die  Gelegenheit  seiner  Abwesenheit  und  versuchte 
sich  selbst  die  gesamten  Herrschaftsrechte  anzueignen,  ohne 
sich  zu  scheuen,  ihn  noch  im  eigenen  Lande  zu  bedrohen, 
während  er  draussen  darüber  Wacht  hielt.  Er  fiel  also  in 
die  Provinzen  ein,  die  jeuer  im  Besitz  hatte,  und  belohnte 

300  so  die  Verteidigung  des  gemeinsamen  Vaterlandes  mit  Undank. 
Einige  von  den  Seeländern,  sehr  eifrige  Anhänger  des  Siwardus. 
riefen  nun,  um  ihm  während  seiner  Abwesenheit  recht  sicher 
die  Treue  zu  bewahren,  seinen  Sohn  Regnerus,  der  kaum 
die  Wiege  verlassen  hatte,  zum  König  aus,  nicht  als  ob  sie 
gewusst  hätten,  dass  für  ihn  selbst  die  Zeit  zur  Herrschaft 
noch  nicht  da  sei,  sondern  nur,  um  durch  Einführung  eines 
so  teuren  Unterpfands  die  Gemüter  ihrer  trägen  Bundesgenossen 
gegen  Ringo  aufzustacheln.  Als  aber  Ringo  hörte,  dass 
Siwardus  inzwischen  von  seinem  Zuge  zurückgekehrt  sei, 
griff  er  die  Seeländer  mit  grosser  Macht  an  und  drohte  ihnen 
mit  Vernichtung  durch  das  Schwert,  wenn  sie  sich  nicht  er- 
gäben. Die  Seeländer  aber,  denen  so  Schmach  oder  Gefahr 
in  Aussicht  gestellt  wurde,  trauten  wegen  ihrer  geringen  Zahl 
ihren  Kräften  nicht  und  baten  um  einen  Waffenstillstand,  sich 
die  Sache  zu  überlegen.  Sie  erhielten  ihn  auch;  da  es  ihnen 
aber  nicht  frei  stand,  sich  um  die  Gunst  des  Siwardus  zu 
bewerben,  und  es  unehrenhaft  erschien,  sich  Ringo  in  die 
Arme  zu  werfen,  schw^ankten  sie  lange  voller  Bedenken  zwischen 
Furcht  und  Scham.     Während  nun  in  dieser  Angelegenheit 


Siwardus  Ring  und  Kingo;  Kegnerus.  469 

selbst  die  Greise  keinen  Rat  wussten,  sagte  Regnerus,  der 
gerade  in  der  Volksversammlung  anwesend  war:  Ein  kurzer 
Bogen  entsendet  rasch  den  Pfeil.  Wenn  ich  auch  mit  kiudi- 
schem  Wagemute  die  Vorschläge  der  Alteren  vorwegzunehmen 
scheine,  so  bitte  ich  doch  um  Verzeihung  für  meine  Irrtümer 
und  um  Nachsicht  für  ein  unzeitiges  Wort.  Aber  ein  Rat- 
geber zur  Klugheit  ist  nicht  zurückzuweisen,  selbst  wenn  er 
verächtlich  erscheint^).  Denn  eine  nützliche  Lehre  muss  man 
mit  gefügigem  Sinne  aufnehmen.  Es  ist  nun  ebenso  schimpf- 
lich, als  Fahnenflüchtige  und  Ueberläufer  gebrandmarkt  zu 
werden,  wie  unbesonnen,  etwas  über  seine  Kräfte  zu  wagen, 
und  in  beiden  Fällen  ist  offenbar  gleiche  Schuld  vorhanden. 
Darum  müssen  wir  uns  in  Scheinbarer  Unterwerfung  zum 
Feinde  begeben  und  ihn,  sobald  sich  eine  günstige  Gelegen- 
heit bietet,  wieder  im  Stiche  lassen.  Es  wird  also  besser 
sein,  dem  Grimme  des  Gegners  durch  einen  scheinbaren  Ge- 
horsam zuvorzukommen,  als  ihm  durch  eine  W^eigerung  die 
Wallen  in  die  Hand  zu  geben,  uns  noch  mehr  zuzusetzen. 
Was  thun  wir  denn  anderes,  wenn  wir  uns  gegen  die  Herr- 
schaft eines  Stärkeren  auflehnen,  als  dass  wir  ihm  selbst  freiwillig 
die  Waffen  bieten,  uns  zu  töten?  Oft  wird  durch  verwickelte  ^^ 
Bestrebungen  der  wirksamste  Betrug  gezeitigt.  Einen  Fuchs 
muss  man  mit  List  fangen'^).  —  Durch  diesen  heilsamen  Rat 
beseitigte  er  die  Bedenken  der  noch  schwankenden  Bürger  und 
gewährte  dem  feindlichen  Lager  einen  sehr  verderblichen  Zu- 
wachs. Die  Volksversammlung  aber  wunderte  sich  ebenso  sehr 
über  die  Beredsamkeit  wie  über  die  Klugheit  in  seiner  Jugend 
und  pries  eifrig  das  Urteil  seiner  hervorragenden  Begabung, 
die  weit  über  seine  Jahre  hinausgehe.  Und  die  ratlosen  Alten 
brauchten  sich  nicht  zu  schämen,  dem  Vorschlage  eines  Knaben 
gefolgt  zu  sein ;  denn  obwohl  er  von  einem  Unmündigen  aus- 
ging, war  er  doch  das  Ergebnis  gründlichster  und  reiflichster 
Ueberlegung.  Da  sie  sich  aber  scheuten,  den  Urheber  des 
Rates  der  drohendsten  Gefahr  auszusetzen,    brachten  sie  ihn 


')  Vgl.  Vm  S.  458. 
')  sprichwörtlich. 


470  Xecctes  Bock. 

Seiner  Erziehung  wegen  nach  Norwegen.     Bald  nachher  griff 
MI  Siwardus  Ringo  in   einer  Feldschlacht   an^).     Er  erschlug 
jenen,  wurde  aber  selbät  von  einem  tötlichen  Streich  getroffen 
und  verschied  wenige  Tage  später  an  seiner  Wunde. 

Regnerus^j  folgte  ihm  auf  den  Thron.  Zu  dieser  Zeit 
erschlug  der  Schwedenkönig  Frö  ')  den  König  der  Norweger, 
Sywardus,  verstiess  die  Frauen  von  dessen  Verwandten  in 
ein  Freudenhaus  und  Hess  sie  öffentlich  schänden.  Als 
Regnerus  dies  vernahm,  eilte  er  in  der  Absicht,  seinen 
Grossvater  zu  rächen,  nach  Norwegen.  Bei  seiner  Ankunft 
begannen  sich  mehrere  Frauen,  die  erst  kürzlich  die  Schändung 
ihres  Leibes  erduldet  hatten,  oder  für  die  Zukunft  eine  Gefahr 
für  ihre  Keuschheit  fürchteten,  in  Männerkleidung  eifrigst 
seinem  Lager  zu  nähern  und  bekannten,  dass  sie  den  Tod 
der  Schande  vorziehen  würden.  Der  künftige  Rächer  der 
Ehre  der  Frauen  errötete  nicht  darüber,  gegen  den  Urheber 
412  dieses  Schimpfes  sich  von  denen  Unterstützung  zu  leihen, 
deren  Schmach  er  sühnen  wollte.     Unter  diesen  Frauen  war 

^)  Dieses  Kreigniss  ist  (nach  fränkischen  Annalen)  ins  Jahr  812 
zu  setzen. 

*)  Die  umfangreiche  Sage  von  Ragnar  Lodbrok,  aus  dessen  Jugend 
wir  eben  eine  Geschichte  vernommen,  ist  im  Norden  ausserordentlich  ver- 
breitet. Isländische,  norwegische,  dänische  und  festländische  Quellen  wissen 
von  ihm  zu  erzählen.  Die  wichtigsten  davon  sind  ausser  Saxo:  „Saga  af 
Ragnari  konüngi  Lofbrok  ok  sonum  hans**  in  Fornaldar  Sog.  I  235  ff. 
(zuletzt  übersetzt  von  Edzardi,  Stuttgart  1880);  ein  Lied  Krakumal,  ebda, 
hinter  der  Saga  S.  300;  ferner  |>attr  af  Ragnors  sonum,  Fom.  Sog.  I,  343  ff. 
Vollständig  sind  die  Quellen  zusammengestellt  bei  Olrik  II,  94  ff.  —  Saxos 
Bericht  ist  in  vielen  Punkten  durchaus  eigenartig  und  scheint  demnach 
auf  dänischer  Überlieferung  zu  beruhen;  andererseits  sind  auch  isländisch- 
norwegische Einiiüsse  nicht  zu  verkennen,  und  dazu  kommen  noch 
historische  Erinnerungen  und  Züge,  die  aus  andern  Sagen  entnommen  zu 
sein  scheinen.  Die  wichtigste  Litteratur  über  die  Sage  ist:  Uhland  Sehr. 
VlKL>9J>ff".,  Steenstnip.  Normannerne  (Kopenhagen  1876 ff.)  I,  S.  81  ff.  II, 
37t>  tV..  Storni,  Kritiske  Hridag  til  Yikingetidens  Historie  (Kristiania  1878) 
*)lrik  II,  lOÜtY. 

•)  Von  Frö  (S.  I,4H  Anm.  1)  leitete  das  schwedische  Königsgeschlecht 
der  Vn^jlinije  seinen  Stammbaum  ab;  wahrscheinlich,  weil  der  Gewahrt- 
uxnuw  tür  unsere  Sage  dies  nicht  mehr  wusste,  erscheint  hier  FH>  selbst 
als  SohwedtMikönig,  wie  übrigens  auch  in  der  Ynglingasaga  K.  10  (ed. 
F.  JonssonK 


Regnerus  und  Lathgertha.  471 

auch  Lathgertha,  ein  kriegskundiges  Weib,  eine  Jungfrau 
mit  männlichem  Mut,  die  mit  ihrem  langen,  über  die  Schultern 
herabwallenden  Haupthaar  als  erste  unter  den  Vordersten 
kämpfte*).  Alle  bewunderten  ihre  unvergleichlichen  Thaten, 
(denn  das  über  den  Rücken  herab  wallende  Haar  verriet  sie 
als  ein  Weib).  Regnerus  aber  erkundigte  sich,  nachdem  er 
den  Mörder  seines  Grossvaters  erschlagen,  eifrig  bei  seinen 
Genossen  nach  dem  Mädchen,  das  er  vorn  an  im  Treffen  bemerkt 
hatte,  und  er  erklärte,  er  verdanke  den  Sieg  den  Kräften 
dieser  einzigen  Frau.  Da  er  hörte,  sie  entstamme  einem  vor- 
nehmen Geschlecht  bei  den  Barbaren^),  Hess  er  sogleich  durch 
Boten  um  sie  werben.  Jene  verachtete  zwar  im  Stillen  die 
Gesandtschaft,  gab  aber  scheinbar  ihre  Einwilligung.  Als  sie 
durch  ihre  trügerische  Antwort  in  ihrem  feurigen  Freier  die 
Zuversicht  erweckt  hatte,  er  werde  seinen  Wunsch  erfüllt  sehen, 
liess  sie  einen  Bären  und  einen  Hund  in  der  Vorhalle 
ihres  Gemaches  anbinden,  um  durch  diese  Tiere  ihr  eigenes 
Zimmer  gegen  jeden  Eifer  eines  Liebhabers  zu  schützen. 
Regnerus  bestieg  erfreut  über  die  günstige  Nachricht  ein 
Schiff,  durchmass  das  Meer,  liess  seine  Gefährten  im  Gölerdal ') 
(das  ist  der  Name  eines  Thaies)  halten  und  begab  sich  allein 
zu  der  Wohnung  des  Mädchens.  Dort  wurde  er  von  den  Tieren 
empfangen,  aber  er  durchbohrte  das  eine  mit  dem  Schwerte, 
packte  das  andere  bei  der  Kehle,  drehte  ihm  den  Hals  um 
und  erwürgte  es  so;  dann  erhielt  er  die  Jungfrau  als  Preis 
für  die  überstandene  Gefahr.  Aus  dieser  Ehe  hatte  er  zwei 
Töchter,  deren  Namen  nicht  überliefert  sind,  und  einen  Sohn 
Fr  i  die  was:  darauf  lebte  er  drei  Jahre  in  Ruhe. 

Die  Jütländer,  ein  imverschämtes  Volk*),  vermuteten  nun 
wegen  seiner  soeben  gefeierten  Hochzeit,  er  werde  nicht  mehr 
zurückkehren,  schlössen  mit  den  Schoniern  ein  Bündnis   und 


*)  Vgl.  II.  S.  63  Anm.  5.  Die  Geschichte  Lathgerthas  berichtet 
Saxo  allein. 

*)  Die  Norweger  sind  gemeint. 

')  Anrd.  Gaulardair,  jetzt  Guldal  im  Drontheinier  Gebiet,  südlich 
am  Fjord. 

*)  Zu  dieser  Char»kteristik  vgl.  noch  Saxo  XV,  645  6  (Holder). 


^72  Neuotes  Buch. 

versuchten  die  Seeländer,  die  mit  besonderer  Liebe  und  Treue 
S02;443  an  Kegnerus  hingen,  zum  Kriege  zu  reizen.  Auf  diese  Kunde 
hin  rüstete  Regnerus  dreissig  Schiffe,  erlangte  eine  gunstige 
Fahrt  und  vernichtete  die  Schonier,  die  den  Kampf  wagten, 
bei  dem  Dorfe  Whiteby^).  Nach  Ablauf  des  Winters  focht 
er  mit  günstigem  Ausgange  gegen  die  Jütländer,  welche  an 
dem  Meeresarme  Liimfjord*)  in  dieser  Gegend  wohnen. 
Ebenso  unterwarf  er  sich  zum  dritten  und  vierten  Male  mit 
glücklichem  Erfolge  die  Schonier  und  Halandier.  Sodann 
wandte  er  seine  Liebe  Thora,  der  Tochter  des  Königs 
Herothus*),  zu;  er  wollte  sie  auch  heiraten  und  sich 
von  Lathgertha  trennen.  Denn  bei  dem  Gedanken,  das« 
sie  ihm  einst  so  reissende  Tiere  in  den  Weg  gestellt  habe, 
verurteilte  er  ihre  Treue.  Inzwischen  aber  brachte  König 
Herothus,  als  er  einst  jagend  die  Wälder  durchstreifte,  ein 
Paar  von  seineu  Begleitern  gefundene  Schlangen  seiner  Tochter 
zum  Aufziehen  mit.  Sie  folgte  der  Aufforderung  ihres  Vaters 
nur  zu  schnell  und  gewann  es  über  sich,  die  Natternbrut  mit 
ihren  jungfräulichen  Händen  aufzufüttern.  Ja  sie  trug  sogar 
besonders  Sorge  dafür,  dass  täglich  ein  ganzes  Rind  zu  ihrer 
Sättigung  da  war,  ohne  zu  ahnen,  dass  sie  durch  diese  Pflege 
in  ihrem  Hause  ein  Verderben  für  das  Land  gross  ziehe.  Als 
die  Schlangen  nun  ausgewachsen  waren  und  mit  ihrem  töd- 
lichen Hauche  die  Umgebung  verpesteten,  bereute  der  König 
seine  thörichte  That  und  verhiess  dem,  der  dies  Verderben 
beseitigte,  den  Besitz  seiner  Tochter.  Da  diese  Aussicht  ebenso 
die  Tapferkeit  wie  die  Leidenschaft  entflammte,  Hessen  sich 
viele  junge  Leute  dazu  herbei,  aber  sie  gingen  vergeblich  an 
das  gefahrvolle  Werk.  Als  auch  Regnerus  von  Wanderern 
diese  Geschichte  hörte,  Hess  er  sich  von  seiner  Amme  einen 
wollenen  Mantel  und  ein  paar  zottige  Beinkleider  geben,  durch 
die   er   die  Bisse    der  Schlangen   unschädHch  machen  wollte. 


»)  Noch  heute  hcisst  in  Schonen  ein  Ort  Hviteby. 

»)  Vgl.  S.  7,  unten. 

*)  Isl.  heisst  er  Herraudr,  iarl  i  Gautlandi;  die  f(»lgende  Geschichte 
stimmt  in  den  Hauptzügen  ziemlich  genau  mit  der  isländischen  Kagnar- 
«age  überein;  dort  ist  jedoch  nur  von  einer  Schlange  die  Rede. 


Des  Regnerus  Schlangenkampf  um  Thora.  473 

Er  glaubte  nämlich  zum  Schutze  eine  so  dicht  behaarte  Klei- 
dung anlegen  zu  müssen,  und  andererseits  wählte  er  sie  auch, 
weil  sie  leicht  war  und  die  Bewegungen  nicht  hinderte.  Als  er 
zu  Schifte  nach  Schweden  gelangt  war  und  Frost  eintrat, 
sprang  er  absichtlich  ins  Wasser  und  liess  seine  durchnässte 
Kleidung  von  der  Kälte  erhärten,  damit  sie  undurchdringlich 
würde  ^).  Damit  angethan,  verabschiedete  er  sich  von  seinen 
Freunden,  ermahnte  sie,  Fridlewus  Treue  zu  halten,  und 
begab  sich  allein  zu  der  Königshalle.  Als  er  sie  erblickte,  4I4 
gürtete  er  sein  Schwert  an  die  Seite  und  nahm  einen  Speer 
mit  Wurfriemen*)  in  die  Rechte.  Sowie  er  weiter  vordrang, 
glitt  ihm  eine  ungewöhnlich  grosse  Schlange  entgegen;  bald 
kroch  auch  hinter  ihr  eine  zweite  von  gleicher  Grösse  wie  die 
erste  hervor.  Diese  bemühten  sich  nun,  den  Jüngling  bald 
durch  Umschlingen  mit  ihren  Schwänzen  zu  Falle  zu  bringen, 
bald  ihn  mit  Gift  und  Geifer  anzuspeien.  Die  Höflinge  suchten 
indessen  sichere  Gemächer  auf  und  sahen  wie  ängstliche 
Mädchen  von  weitem  der  Sache  zu.  Der  König  selbst  war 
von  gleicher  Furcht  ergrifi^en  und  hatte  sich  mit  nur  wenigen 
Begleitern  in  ein  enges  Zimmer  geflüchtet.  Regnerus  aber 
vertraute  auf  die  Härte  seines  gefrorenen  Gewandes,  machte 
nicht  nur  mit  den  Waften,  sondern  auch  durch  seinen  Mantel 
die  giftigen  Angrifi^e  wirkungslos  und  hielt  allein  in  unent-  808 
wegtem  Kampfe  den  Rachen  der  beiden  Ungeheuer  Stand,  die 
ununterbrochen  ihren  Geifer  über  ihn  ergossen.  Die  Bisse 
machte  er  nämlich  durch  den  Schild,  das  Gift  durch  seine 
Kleidung  unwirksam.  Zuletzt  schleuderte  er  seinen  Speer 
und  jagte  ihn  kräftig  den  beiden  andringenden  Tieren  durch 
die  [iCiber,  und  indem  er  damit  beiden  das  Innere  zerfleischte, 
machte  er  dem  Kampfe  ein  glückliches  Ende.  Der  König 
betrachtete  nun  neugierig  seinen  Anzug,  und  da  er  ihn  so 
zottig  und  haarig  sah,  und  namentlich  die  Rauheit  der  unteren 
Kleidungsstücke  bemerkte,  machte  er  sich  am  meisten  über 


*)  Nach  dem  isländischen  Berichte  sott  er  seine  Fellkleidung  in  Pech, 
härtete  sie  an  der  Sonne  und  \v'älzte  sich  dann  darin  im  Sande. 

-)  =  snceris-spjot;  s.  I,  41  Anm.  2. 


474  Neuntes  Buch. 

das  kunstlose  Aussehen  seiner  Hosen  lustig  und  nannte  iha 
im  Scherze  Lothbrog^).  Er  lud  ihn  auch,  damit  er  sieh 
von  seinen  Anstrengungen  erholen  könnte,  samt  seinen  Freunden 
zum  Mahle.  Jener  sagte,  er  müsste  erst  seine  Gefährten,  die 
er  zurückgelassen,  wieder  aufsuchen.  Er  ging  zu  ihnen  und 
brachte  sie  dann,  für  das  Gelage  prächtig  gekleidet,  mit. 
Endlich  erhielt  er  am  Ende  des  Mahles  den  ausgemachten 
Siegespreis.  Er  erzeugte  mit  ihr  Rathbarthus  undDunwatus, 
zwei  herrlich  begabte  Fruchte  seiner  I-iiebe.  Diesen  gab 
die  Natur  noch  als  Brüder  Sywardus,  Biornus,  Agnerus  und 
Iwarus. 

Inzwischen  erglühte  die  unauslöschliche  Fackel  des  Auf- 
standes bei  den  Jütländern  und  Schonier  aufs  neue.  Sie  wiesen 
die  Ansprüche  des  Regnerus  zurück  und  übertrugen  einem 
gewissen  Haraldus  die  Oberherrschaft.  Als  Regnerus 
Gesandte  nach  Norwegen  schickte  und  um  freundlichen  Bei- 
stand gegen  diese  bat,  unternahm  Latbgertha,  noch  immer 
445  beseelt  von  der  früheren  heissen  Liebessehnsucht,  mit  ihrem 
Gatten^)  und  Sohn  die  Fahrt.  Eine  Flotte  von  120  Schiffen 
vermochte  sie  dem,  der  sich  einst  von  ihr  getrennt  hatte, 
zu  bieten.  Da  dieser  meinte,  er  sei  von  jeder  Hilfe  verlassen, 
besorgte  er  sich  Unterstützung  von  jedem  Lebensalter,  mischte 
Starke  und  Schwache  durch  einander  und  scheute  sich  nicht, 
in  die  Reihen  der  Tapferen  Abteilungen  von  Knaben  und 
Greisen  einzuordnen.  Auf  dem  Felde,  welches  lateinisch 
Wollfeld*)  heisst,  versuchte  er  nun  zuerst  die  Macht  der 
Schonier  zu  brechen  und  hatte  eine  schwere  Schlacht  mit 
den  Aufständischen.      Dort  kämpfte  Iwarus    als  Knabe  von 


*)  Anrd.  LoÖbrok  aus  loÖ  -  (in  loOino  „behaart*:  loÖi,  mask.  =^ 
Pelzmantel)  und  brok  (fem.)  =  Hose  d,  i.  der  Teil  von  den  Hüften 
bis  zum  Knie  (dazu  deutsch-mundartlich  die  Bruch«  engl,  breeches);  an 
die  brok  schliesit  sich  die  „hoia** ;  vgl.  Weinhold,  Altnrd.  Leben  S.   163. 

*)  I).  i.  ihr  zweiter  Mann,  den  sie  nach  Regnerus*  Vermahlung  mit 
Thora  geheiratet  hat,  derselbe,  den  sie  nach  ihrer  Rückkehr  von  diesem 
Zuge  ermordet. 

*)  Lat.  Campus  Laneus;  andere  Berichte  kennen  einen  l'llarakr  =  Woll- 
acker, der  bei  Upsala  liegt.     Saxos  Schilderung  verweist  auf  Schonen. 


Regnerus'  Kampf  mit  Haraldus;  Sywardus  Schlangenauge.       475 

sechs  Jahren  vorzüglich  und  erwies  in  seinem  kindlichen 
Körper  die  Kraft  eines  Erwachsenen.  Sywardus  aber  stürzte, 
während  er  vorwärts  gegen  den  Feind  stürmte,  vorn  über  zu 
Boden  und  erhielt  eine  Wunde.  Dieser  Umstand  erweckte 
bei  seinen  Genossen,  die  das  mit  ansahen,  die  schwerste 
Besorgnis,  so  dass  sie  sogleich  an  Flucht  dachten,  und  er 
warf  nicht  bloss  Sywardus  nieder,  sondern  fast  alle  Waffen 
von  Regnerus'  Partei.  Doch  dieser  ermunterte  sie  bei  ihrer 
thörichten  Mutlosigkeit  durch  männliche  Worte  und  Thaten 
und  zwang  sie,  als  sie  schon  zur  Niederlage  bereit  waren, 
den  Sieg  zu  versuchen.  Auch  Lathgertha,  die  trotz  ihrer 
zarten  Glieder  von  unvergleichlichem  Mute  beseelt  war,  verdeckte 
durch  das  Beispiel  ihrer  glänzenden  Tapferkeit  die  ängstliche 
Neigung  des  Heeres.  Denn  mit  einer  kunstvollen  Schwenkung  804 
fiel  sie  dem  Feinde  unvermutet  in  den  Rücken  und  verlegte 
so  die  Furcht  ihrer  Genossen  in  das  Lager  der  Feinde.  Zu- 
letzt wankte  die  Schlachtreihe  des  Haraldus,  und  er  selbst 
floh  nach  einem  argen  Blutbade  unter  den  Seinigen.  Als 
Lathgertha  aus  dem  Kampfe  nach  Hause  zurückkehrte, 
erstach  sie  bei  Nacht  ihren  Gemahl  mit  einem  Dolche,  den  sie 
unter  dem  Gewände  verborgen  hatte,  und  bemächtigte  sich 
dann  seiner  Herrschaft  und  Machtfülle  iu  ihrer  ganzen  Aus- 
dehnung. Denn  der  schrankenlose  Stolz  dieses  Frauenherzens 
hielt  es  für  angenehmer,  ohne  Mann  die  Herrschaft  zu  führen  446 
als  sie  mit  ihm  zu  teilen. 

Indessen  wurde  Sywardus  in  eine  nicht  weit  entfernte 
Stadt  gebracht,  um  sich  von  Aerzten  heilen  zu  lassen.  Als 
dies3  schon  in  der  höclisten  Verzweiflung  waren,  da  die  ge- 
waltige Wunde  jedem  Heilmittel  widerstand,  das  man  an- 
wandte, sah  man  einen  Manu  von  erstaunlicher  Grösse  sich 
dem  Bette  des  Kranken  nahen;  dieser  verhiess  ihm,  er  werde 
sich  sogleich  völliger  Gesundheit  erfreuen,  wenn  er  ihm  die 
Seelen  derer  weihen  wolle,  die  er  mit  den  Waffen  besiegen 
werde.  Er  verschwieg  auch  seinen  Namen  nicht  und  gab  an 
Rostarus^)    zu  heissen.     Da  Sywardus    nun  einsah,    dass 


»)  Vgl.  III,  S.  126  Anm.  1.     Der  Mann  ist  natürlich  Odin. 


476  Neuntes  Buch. 

er  sich  für  ein  kleines  Versprechen  eine  grosse  Annehmlich- 
keit verschaifen  könne,  ging  er  gern  auf  diese  Forderung  ein. 
Da  beseitigte  der  Greis  durch  die  schnelle  Hilfe  seiner  Hände 
die  gefährliche  Eiteranhäufung  und  bewirkte  eine  rasche  Ver- 
narbung der  Wunde.  Zuletzt  streute  er  ihm  Staub  in  die 
Augen  und  ging  weg.  Dieser  erzeugte  viele  Flecken  und 
nahm  dann  zum  Erstaunen  aller,  die  es  sahen,  eine  treffende 
Aehnlichkeit  mit  kleinen  Schlangen  an.  Ich  glaube,  der  Ur- 
heber dieses  Wunders  wollte  die  künftige  Wildheit  des  Jüng- 
lings durch  ein  deutliches  Zeugnis  seiner  Augen  andeuten, 
damit  dieser  durchsichtige  Teil  des  Körpers  nicht  ohne  An- 
zeichen bliebe,  welches  auf  sein  künftiges  Leben  hinwies. 
Als  die  alte  Frau,  welche  für  seine  Tränke  zu  sorgen  hatte, 
Schlangenspureu  in  seinem  Gesicht  sah,  wurde  sie  von  einem 
ungewöhnlichen  Schrecken  vor  dem  jungen  Manne  ergriffen 
und  sank  plötzlich  ohnmächtig  zu  Boden.  So  kam  es,  dass 
Sy  ward  US  weit  und  breit  den  Beinamen  Schlangen- 
auge erhielt.  ^) 

Unterdessen  raffte  ein  heftiger  Krankheitsanfall  des 
Regnerus  Gemahlin  Thora  hin,  und  dies  bereitete  ihm,  der 
seine  Frau  aufs  innigste  liebte,  unendlichen  Kummer  und 
Schmerz.  Da  er  meinte,  diesen  am  besten  durch  Beschäftigung 
zerstreuen  zu  können,    beschloss  er  Ti'ost  in  Waffenübungen 

447  zu  suchen  und  dies  Leid  durch  Arbeit  zu  massigen.  Um  also 
seine  Traurigkeit  abzulenken  und  sich  einen  Trost  zu  ver- 
schaffen, dachte  er  an  einen  Kriegszug,  und  er  gebot,  dass 
jeder  Familienvater  den  verächtlichsten  seiner  Söhne  oder 
jeden  Sklaven,  den  er  als  trag  und  unzuverlässig  kannte,  in 

805  seinen  Dienst  stellen  möge.  Obwohl  dieser  Erlass  seinem 
Vorhaben  wenig  günstig  zu  sein  schien,  lehrte  er  doch,  dass 
die  Schwächsten  von  den  Dänen  die  Tapfersten  von  andern 
Nationen  überträfen*),    und    er  brachte    den   jungen  Leuten 


*)  Anrd.  Ormr  i  auga;  mit  dieser  Erzählung  steht  Saxo  ganz  allein 
da.  Ueber  den  völlig  abweichenden  isländischen  Bericht  vgl.  ausser  den 
Quellen  am  bequemsten  Uhland,  Sehr.  VII,  303  ff. 

')  Nur  um  dieser  Phrase  willen,  die  dem  dänischen  Nationalstolze 
schmeicheln  raussto,  scheint  die  eben  angegebene  Bestimmung  erfunden 
worden  zu  sein. 


Sywardus.     Thoras  Tod.     Kriegfszüge  des  Regnerus.  477 

einen  grosHen  Vorteil;  denn  die  tiierzu  Auserlesenen  wünschten 
naturlich  um  die  Wette,  den  Makel  der  Faulheit  zu  tilgen. 
Ferner  bestimmte  er  nach  Aufhebung  aller  andern  Rechts- 
verfahren, dass  jeder  Prozess  dem  Urteil  von  zwölf  erprobten 
Männern  überlassen  werden  sollte,  und  er  Hess  weder  einen 
Rechtsangriff  durch  den  Kläger  noch  eine  Verteidigung  dos 
Angeklagten  mehr  zu  ^).  Durch  dieses  heilsame  Verfahren 
beseitigte  er  jedes  unbesonnene  Eingehen  auf  einen  Prozess, 
und  da  er  glaubte,  nun  hinlänglich  den  Verleumdungen 
schlechter  Menschen  vorgebeugt  zu  haben,  richtete  er  seine 
Waffen  gegen  Britannien  und  erschlug  den  König  des  Landes,  448 
Hama,  den  Vater  Hellas,  eines  hochedlen  Jünglings,  im 
Kampfe.  Dann  tötete  er  die  Fürsten  von  Schottland  und 
Petland^)  und  der  sogenannten  „Südlichen  oder  Mittags- 
inseln"*) und  übergab  seinen  Söhnen  Sywardus  undRath- 
bartus  die  Verwaltung  dieser  Provinzen,  die  jetzt  ohne 
Statthalter  waren.  Auch  den  Fürsten  von  Norwegen  warf  er 
mit  Gewalt  aus  seinem  Lande  heraus  und  zwang  es  unter 
die  Botmässigkeit  des  Fridlewus;  diesem  wies  er  auch  die 
Herrschaft  über  die  Orchaden  zu,  denen  er  ebenfalls  ihren 
eigenen  Fürsten  nahm. 

Unterdessen  hatten  einige  von  den  Dänen,  voll  hart- 
näckigen Hasses  gegen  Regnerus,  ihre  Gemüter  zur  Empörung 
verhärtet,  und  indem  sie  sich  auf  die  Seite  des  längst  ge- 
flüchteten Harald  US  schlugen,  versuchten  sie  das  bereits 
niedergesunkene  Glück  des  Tyrannen  wieder  aufzurichten. 
Durch  diese  Unbesonnenheit  fachten  sie  gegen  den  König  die 
verzehrendsten  Flammen  des  Bürgerkrieges  an  und  ver- 
wickelten ihn,  als  er  von  äusseren  Gefahren  frei  war,  in 
innere.  Um  sie  niederzuwerfen,  brach  Regnerus  mit  einer 
Flotte  der  Inseldänen  auf,  vernichtete  das  Heer  der  Rebellen 
und  zwang  Haraldus,  den  Führer  des  geschlagenen  Heeres, 


*)  Ueber  den  Gang  des  Verfahrens  im  Gericht  vgl.  Amira  i.  Grdr.  III, 
202  ff.,  bes.  207  ff.  Die  vorliegende  Stelle  ist  übrigens  textlich  sehr  dunkel 
und  unklar. 

*)  Ein  Teil  des  nördlichen  Schottland. 

*)  Gemeint  sind  die  Hebriden,  die  bei  den  Isländern  SuOreyar  heissen. 


478  Neuntes  Buch. 

der  nach  Germanien  gefluchtet  war,    seine  unrechtmässig  er- 
worbene Ehre    schmählich    wieder  aufzugeben.     Er  begnügte 
sich  auch  nicht  damit,  die  Gefangenen  einfach  hinrichten  zu 
lassen,  sondern  er  liess  sie  lieber  unter  Martern  töten,  damit 
die,  welche  sich  nicht  zum  Verzicht  auf  ihr  gottloses  Unter- 
nehmen   hatten  bewegen  lassen,    auch    den  letzten  Atemzug 
nur  unter    den  schmerzhaftesten  Qualen  aushauchen  durften. 
Ferner  verteilte  er  die  Güter  derer,    die  mit  Harald us  ge- 
flohen waren,    unter    die  Teilnehmer  an  seinem  Zuge;    denn 
er  meinte,  ihre  Väter  würden  dadurch  um  so  härter  bestraft, 
wenn  sie  sähen,  dass  die  Ehre  der  Erbschaft  auf  die  Kinder 
übertragen    werde,    die    sie    aus  eigenem  Antrieb  Verstössen 
hatten,  während  die  ihnen  lieberen  um  ihr  Erbe  kamen.  Aber 
auch    so  war  sein  Rachedurst   noch  nicht  gesättigt,    sondern 
er  beschloss  auch  Sachsen  anzugreifen,    weil   er   es  als  eine 
Zufluchtsstätte    der  Feinde    und    ein  Asyl    des  Haraldus  be- 
trachtete.    Er    bat    also    seine  Söhne   um  Hilfe  und  überfiel 
Karolus,  der  damals  gerade  in  diesem  Gebiete  seines  Reiches 
449  weilte.     Da  er  dessen  Wachen  gefangen  nahm   und  die  vor- 
«06  geschobenen  Posten  täuschte,    hielt  er  auch  das  Weitere  für 
leicht  und  hoffte  auf  einen  raschen  Erfolg.    Da  aber  warnte 
plötzlich    eine  die  Zukunft  kennende  Frau,    eine  Art  himm- 
lisches Orakel  oder  eine  Verkünderin  des  göttlichen  Willens, 
durch    eine  heilsame  Weissagung  König  Karolus:    sie  kam 
dem  Unheil,  das  in  der  nahenden  Gefahr  bestand,  durch  ihre 
glückliche  Prophezeihung  zuvor,  indem  sie  meldete,  die  Flotte 
des  Sywardus  sei  an  der  Mündung  des  Flusses  Sighwinus  *) 
gelandet.  Der  Kaiser  beherzigte  wohl  diesen  Mahnruf,  deutete 
ihn    auf   die  Ankunft    eines  Feindes    und   liess  den  ihm  an- 
gekündigten Barbaren  Widerstand    im  Felde   entgegensetzen. 
Es  fand    auch    eine  Schlacht    gegen  Regne rus    statt,    aber 
Karolus    war    mit    dem    Ausgange    des  Kampfes    nicht    so 
glücklich;     wie     er    vorsichtig     vor     der     Gefahr    gewesen 
war.     So  sah  jener  unermüdliche  Bezwinger    von    fast    ganz 
Europa,  der  unter  den  glänzendsten   und  mächtigsten  Siegen 


*)  D.  i.  die  Svino. 


Begnerus'  Siege  über  Haraldus,  Karl  d.  Gr.,  d.  Sachsen  u.  Sorlus.     479 

einen  so  grossen  Teil  der  Erde  durchmessen  liatte,  der  Be- 
sieger so  vieler  Staaten  und  Völker,  wie  sein  Heer  allen 
Kampfesmut  verlor  und  von  einer  kleinen  Schar  aus  einer 
einzigen  Provinz  geschlagen  wurde  ^). 

Regnerus  legte  nun  den  Sachsen  einen  Tribut  auf;  450 
bald  erhielt  er  dann  sichere  Botschaft  aus  Schweden  vom 
Tode  des  Herothus  und  zugleich,  dass  dessen  Kinder  in 
Folge  von  Verleumdungen  des  Sorlus^),  des  stellvertretenden 
Königs,  ihrer  väterlichen  Güter  beraubt  seien.  Er  erbat  sich 
nun  Unterstützung  von  seinen  drei  Söhnen  Biornus,  Fridlewus 
und  Rathbarthus  (denn  Regnaldus,  Withsercus  und  Ericus, 
die  er  mit  Swanlogha^)  erzeugt  hatte,  waren  noch  nicht  in 
waffenfähigem  Alter)  und  zog  nach  Schweden.  Sorlus  rückte 
ihm  mit  seinem  Heere  entgegen  nnd  bot  ihm  die  Wahl  an, 
ob  er  mit  seiner  ganzen  Macht  oder  einzeln  kämpfen  wollte ; 
da  sich  Regnerus  für  einen  Einzelkampf  entschied,  stellte 
er  ihm  Scarchdhus*),  einen  Fechter  von  erprobter  Kühn- 
heit, mit  der  Schar  seiner  sieben  Söhne  entgegen,  damit  er 
der  Herausforderung  gemäss  streite.  Regnerus  nahm  sich 
seine  drei  Söhne  als  Kampfgesellen,  griff  jenen  angesichts 
beider  Heere  an  und  ging  als  Sieger  aus  dem  Kampfe  her- 
vor. Biornus  aber,  der  ohne  eigene  Verletzung  den  Feind 
niedergeworfen,  erhielt  von  der  gleichsam  eisernen  Festigkeit 
seines  Körpers    einen   ewig   dauernden  Beinamen  ^).     Durch 


*)  Diese  Geschichte  von  Ragnars  Sieg  über  Karl  d.  Gr.,  der  dem 
letzten  Satze  nach  zweifellos  gemeint  ist,  ist  nur  eine  Fabel.  Vielleicht 
hat  sie  ihren  historischen  Hintergrund  in  einem  Siege,  den  Götreks  Söhne 
828  an  der  Eider  über  ein  Frankenheer  davontrugen.  —  Saxo  widerspricht 
sich  übrigens  selbst,  da  er  ja  schon  S.  467  von  einem  Vertrage  Hemmings, 
der  vor  Kagnar  herrschte,  mit  Karls  Nachfolger  Ludwig  erzählt  hat.  Die 
Weissagung  dürfte  freie  Nachahmung  irgend  eines  älteren  Vorbilds  (etwa 
der  ähnlichen  Sage  von  Drusus)  sein. 

«)  Anrd.  Sörli. 

*)  Von  dieser  neuen  Gemahlin  Ragnars  hat  Saxo  bisher  nichts  erzählt. 
Vgl.  Olrik  n,  111. 

*)  Die  Namensform  ist  sicher  verderbt;  Elton  glaubt  an  Starkadu8(?) 
denken  zu  düHen. 

*)  Eisenseite,  dän.  jaBmaide;  über  die  Geschichte  dieses  Björn  vgl. 
Müller  n,  271. 


480  Neuntes  Buch. 

diesen  Sieg  gewann  Regnerus  die  Zuversieht,  der  ganzen 
Gefahr  Herr  zu  werden,  griff  Sorlus  an  und  tötete  ihn  nebst 
sämtlichen  Truppen,  die  er  in  Sold  genommen  hatte.  Darauf 
übertrug  er  Biornus  zum  Lohne  für  seine  hervorragende 
Tapferkeit  die  Herrschaft  über  Schweden  und  ruhte  eine 
Zeitlang  von  seinen  Kriegen  aus;  während  dessen  verliebte 
er  sich  sehr  in  eine  Frau,  und  um  sich  die  Möglichkeit,  sie 
zu  besitzen,  zu  erleichtern,  machte  er  ihrem  Vater  aufs 
eifrigste  den  Hof,  indem  er  ihm  die  grössten  Liebenswürdig- 
keiten erwies,  ihn  sehr  häufig  zum  Mahle  lud  und  mit  Freund- 
lichkeiten überhäufte.  Denn  wenn  jener  nahte,  so  ehrte  er 
ihn  durch  Aufstehen,  und  wenn  er  bei  Tische  lag,    dadurch, 

307  dass  er  seinen  Platz  dicht  neben  ihm  wählte.  Oft  erfreute 
er  ihn  durch  Geschenke,  mitunter  auch  durch  gütige  Ansprache. 
Da  dieser  merkte,  die  Ursache  zu  solcher  Ehrerbietung  könne 
nicht  in  seinen  eigenen  Verdiensten  liegen,  dachte  er  tiefer 
darüber  nach  und  erkannte,  dass  die  stumme  Freundlichkeit 
seines  Fürsten  der  Liebe  zu  seiner  Tochter  entspringe,  und 
dass  dieser  seine  wollüstige  Absicht  mit  dem  Scheine  der 
Güte  beschönige.  Um  aber  auch  die  feinsten  Anschläge  des 
Verliebten  unschädlich  zu  machen,  Hess  er  das  Mädchen  um 

451  so  strenger  behüten,  je  mehr  er  sie  von  der  heimliehen 
Neigung  und  der  lebhaften  Art  des  Königs  umworben  sah. 
Regnerus  aber,  der  durch  ganz  sichere  Botschaft  von  ihrer 
Einwilligung  verständigt  war,  begab  sich  nach  dem  Land- 
hause, in  dem  sie  gehalten  wurde,  und  suchte  mit  dem  Ent- 
schlüsse, dass  nichts  seiner  Liebe  im  Wege  stehen  dürfe,  ganz 
allein  das  Haus  eines  Bauern  auf.  Am  Morgen  vertauschte 
er  seine  Kleider  mit  Frauengewändern  und  gesellte  sich  in 
diesem  Anzüge  zu  seiner  Freundin,  als  sie  Wolle  krempelte. 
Um  sich  nicht  zu  verraten,  legte  er  auch  trotz  seiner  un- 
kundigen Finger  listig  bei  der  Arbeit  der  Jungfrau  mit  Hand 
an.  In  der  Nacht  aber  sah  er  seine  Wünsche  erfüllt,  als  er 
das  Mädchen  umarmte.  Wie  nun  jedoch  die  Stunde  der  Geburt 
nahte  und  die  schmähliche  Verletzung  der  Keuschheit  durch 
den  schwellenden  Schoss  des  Mädchens  verraten  wurde,  wusste 
der  Vater  nicht,  wem  sich  seine  Tochter  preisgegeben  habe: 


Regnerus  und  d.  Bauerntochter;  sein  Zug  gegen  d.  Hellespontier.     481 

trotzdem  aber  bestand  er  darauf,  von  ihr  selbst  den  unbe- 
kannten Verfuhrer  zu  erfahren.  Als  sie  hartnäckig  behauptete, 
sie  habe  niemanden  als  ihre  Dienerid  bei  sich  im  Bett  gehabt, 
brachte  er  die  Sache  zur  Untersuchung  vor  den  König.  Da 
es  dieser  nicht  zugeben  wollte,  dass  eine  unschuldige  Magd 
eines  unerhörten  Verbrechens  bezichtigt  werde,  errötete  er 
nicht  davor,  durch  das  Geständnis  seiner  eigenen  Frevelthat 
die  Unschuld  jener  zu  beweisen.  Durch  diese  Grossmut 
brach  er  aller  weiblichen  Verleumdung  die  Spitze  ab  und 
bewirkte  zugleich,  dass  kein  lächerliches  Gerede  vor  den 
Ohren  anderer  Leute  entstände.  Ausserdem  fugte  er  hinzu, 
der  Sohn,  den  sie  gebären  würde,  sei  seines  Blutes  und  er 
wollte  ihn  Ubbo  genannt  wissen.  Als  dieser  ein  wenig  her- 
angewachsen war,  kam  er  mit  dem  Verstände  seiner  zarten 
Jugend  bereits  dem  Zustande  reifer  Erfahrung  nahe.  Denn 
er  liebte  innig  seine  Mutter,  weil  sie  eine  Verbindung  mit 
einem  so  edlen  Manne  geschlossen,  versagte  aber  seinem 
Vater  alle  Achtung,  da  er  sich  zu  einer  Vermählung  unter 
seinem  Stande  herabgelassen  habe  ^). 

Darnach  röstete  sich  Regnerus  zu  einem  Zuge  gegen 
die  Hellespontier*),  berief  eine  Volksversammlung  der  Dänen 
und  versprach,  die  heilsamsten  Gesetze  für  das  Volk  durch- 
bringen zu  wollen.  Wie  er  vorher  von  jedem  Familienvater 
das  am  wenigsten  geachtete  seiner  Kinder  zum  Kriegsdienst 
für  sich  verlangt  hatte,  so  gebot  er  jetzt,  jeder  solle  seinen 
kräftigsten  Sohn  oder  zuverlässigsten  Knecht  ausrüsten.  Darauf 
nahm  er  alle  seine  Söhne  von  Thora,  mit  Ausnahme  Ubbos  '), 


^)  Saxos  Erzählung  von  Ragnars  Ehe  mit  der  Bauerntochter  und  von 
ihrem  Sohne  Ubbo  (Uffe)  dürfte  nach  Charalcter  und  Stil  rein  dänischen 
Ursprungs  sein  (Olrik  II,  111  ff.).  Beide  Erzählungen  finden  sich  auch 
nur  in  dänischen  Quellen. 

»)  S.  VITI,  S.  434  Anm.  2  und  Anra.  2  auf  S.  36. 

*)  Omnibus,  quos  ex  Thora  procreaverat ,  filiis,  preter  Ubbonera, 
assumptis;  das  ist  eine  ungenaue  Ausdrucksweise,  da  ja  Ubbo  nicht  von 
Thora  geboren  ist.  Dieses  unlogische  Verfahren  hat  wahrscheinlich  Elton 
veranlasst,  „praeter''  mit  „in  addition  to*^  zu  übersetzen,  was  nicht  richtig 
ist.  Grundtvig  hat:  „undtagen  Ubbe**  und  auch  Olrik  II,  112  fasst  diese 
JStcUe  wie  ich. 

S.1XO  Grammaticus.  31 


482  Neuntes  Buch» 

308  ^i\'  ^^^  unterwarf  sich  Hellespoatien  und  seinen  König  Diaa 
Qach  mehreren  siegreichen  Kämpfen.  Zuletzt  bereitete  er 
diesem  eine  Niederlage  nach  der  andern  und  erschlug  ihn. 
Dessen  Söhne  Dian  und  Daxon,  die  einst  die  Töchter  de» 
ruthenischen  Königs  geheiratet  hatten,  erbaten  sich  nun  Truppen 
von  ihrem  Schwiegervater  und  ergriffen  mit  feurigstem  Mute 
die  Aufgabe,  ihren  Vater  zu  rächen.  Als  Regnerus  ihr 
gewaltiges  Heer  bemerkte,  vertraute  er  nicht  ganz  auf  die 
Zahl  seiner  Streitmacht  und  Hess  eherne  Rosse  auf  bewegliche 
Rhder  setzen  und  mit  einem  drehbaren  Gestell  umgeben; 
dann  gebot  er,  sie  mit  grösster  Gewalt  in  die  dichtesten 
Scharen  der  Feinde  zu  schieben.  Dieses  Verfahren  trug  so 
sehr  dazu  bei,  die  Reihen  der  Gegner  aufzulösen,  dass  die 
Hoffnung  auf  Sieg  mehr  als  auf  das  Heer  auf  diese  Vorrich- 
tung begründet  schien,  deren  unwiderstehliche  Wucht  alles 
niederriss,  worauf  sie  traf  ^).  Einer  der  Fürsten  wurde  nun 
getötet,  der  andere  floh,  und  das  ganze  Heer  der  Hellespontier 
wich.  Auch  die  Scythen,  welche  mit  Daxon  von  mütterlicher 
Seite  ganz  nahe  verwandt  w^aren,  sollen  in  jener  gefahrvollen 
Zeit  vernichtet  worden  sein.  Ihr  Gebiet  erhielt  Withsercus, 
und  der  König  der  Ruthenen,  der  sich  allzuwenig  auf  seine 
Kraft  verliess,  beeilte  sich,  den  furchtbaren  Waffen  des 
Regnerus  durch  die  Flucht  zu  entgehen. 

Dieser  hatte  nun  fast  fijinf  Jahre  mit  seinem  Raubzuge 
zugebracht,  und  alle  übrigen  hatten  sich  ihm  schnell  unter- 
worfen; bei  den  jüngst  erst  besiegten  Biarmiern  aber  merkte 
er,  dass  sie  es  mit  der  Unterwerfung  nicht  ehrlich  meinten 
und  sich  offen  gegen  seine  Herrschaft  auflehnten.  Als  diese 
von  seiner  Ankunft  unterrichtet  waren,  schickten  sie  Zauber- 


^)  Für  dieses  merkwürdige  und  etwas  unwahrscheinliche  Kunststück 
hat  man  noch  keine  Parallelen  entdecken  können;  dass  es  blosse  £rfindu Dg 
sei,  ist  auch  kaum  anzunehmen.  Olrik  II,  118  vermutet  nun  sehr  ansprechend 
und  scharfsinnig,  Saxos  (schriftliche  oder  mündliche)  Quelle  habe  einen 
Ausdruck  hlunngoti,  hlunnfäkr  oder  hlunnjor  d.  i.  Rollenhengst,  eine 
poetische  Umschreibung  (kenning)  für  Schiff,  gehabt.  Da  nun  dieser  Aus- 
druck nicht  mehr  verstanden  wurde,  konnte  sehr  wohl  jene  Fabel  dafür 
ersonnen  worden  sein. 


Regnerus'  Kämpfe  gegen  d.  Hellespoptier,  Biarroier  u.  FinneD.     483 

lieder  zum  Himmel  empor,  beschworen  die  Wollten  und  riefen  453 
die  heftigsten  Nebel  und  Stürme  hervor^).  Dieser  Umstand 
hielt  die  Dänen  lange  Zeit  in  ihrer  Fahrt  auf  und  führte 
schliesslich  zum  Mangel  an  Lebensmitteln.  Dann  liess  das 
Unwetter  plötzlich  nach,  und  eine  glühende  Hitze  dorrte  sie 
aus,  Dieses  Leiden  war  ebenso  unerträglich,  als  es  vorher 
die  unerhörte  Kälte  gewesen  war.  So  ergriff  ein  doppeltes 
Unheil  mit  zweifachem  Leiden  abwechselnd  ihren  Körper  und 
schädigte  sie  durch  die  masslose  Steigerung  eines  jeden  der 
beiden  Zustände.  Uebrigens  raffte  auch  noch  der  Durchfall 
viele  hin.  So  starben  die  meisten  der  Dänen,  festgebannt 
unter  einem  so  wechselvollen  Himmelsstrich,  an  den  Krank- 
heiten, die  unter  ihnen  ausbrachen.  Da  sich  nun  Regner us 
mehr  durch  heimtückisch  herbeigeführte  als  durch  natürliche 
Witterungsverhältnisse  behindert  sah,  fuhr  er  noch,  soweit  es 
ging,  und  landete  dann  im  Gebiete  der  Kurländer  und  Sem- 
bern *).  Diese  verehrten  seine  Majestät  und  Würde  in  höchstem 
Masse,  als  ob  er  der  ehrenvollste  Sieger  sei.  Durch  ihre 
Freundlichkeit  wurde  der  König  um  so  mehr  über  die  Frech- 
heit der  Biarmier  erbittert  und  suchte  in  einem  plötzlichen  809 
Angriff  Rache  für  die  Verletzung  seiner  Hoheit.  Ihr  König 
unbekannten  Namens  wurde  bei  dem  unvermuteten  Einbruch 
der  Feinde  von  Schrecken  übermannt  und  floh,  ohne  die  Zu- 
versicht zu  einer  Schlacht  mit  ihnen  zu  gewinnen,  zu  MatuUus, 
dem  Fürsten  von  Finmarchien  ^).  Im  Vertrauen  auf  die  Ge- 
schicklichkeit seiner  Pfeilschützen  plagte  er  nun  ungestraft 
das  Heer  des  Regnerus,  der  in  Biarmien  Winterquartiere  bezogen 
hatte.  Die  Finnen  gleiten  nämlich  auf  glatten  Pflöcken  in 
schnellem  Laufe  dahin,  durcheilen  nagh  eigenem  Gutdünken 
beliebig  rasch  jeden  Raum  und  sollen  die  Fähigkeit  besitzen, 
sich  aufs  Schleunigste  nähern  oder  entfernen  zu  können. 
Sobald  sie  einen  Feind  angegriffen  haben,  fliehen  sie  mit 
derselben  Geschwindigkeit,  mit  der  sie  gekommen,  wieder  weg 


*)  Vgl.  I,  48  Anm.  2  über  die  Zauberkunst  der  Biarmier  und  Finnen. 
«)  S.  VI,  S.  299,  Anm.  1. 

*)  In   norwegisch-isländischen   Sagen  findet    sich   öfter    ein    3IottuU 
Finnakonungr. 

31* 


484  Neuntes  Buch. 

und  ihr  Rückzug  geht  durchaus  nicht  langsamer  als  ihr  An- 
griff. Durch  die  Beweglichkeit  ihrer  Gefährte  und  ihrer  Körper 
erreichen  sie  die  vollständige  Fertigkeit  beim  Ansturm  wie 
bei  der  Flucht^).  Man  muss  wohl  glauben,  dass  Regnerus 
damals  sehr  verwundert  über  die  Wankelmütigkeit  des  Glückes 
gewesen  sein  mag,  da  er  sich,  den  einstigen  Bezwinger  römi- 
scher Grösse^),  jetzt  von  einer  unbewaffneten,  rohen  Horde  an 
den  äussersten  Rand  des  Verderbens  gerissen  sah.  Er,  der  die 
römische  Kriegskunst  auf  ihrem  herrlichsten  Höhepunkt  und 
454  den  grössten  und  erhabensten  Feldherrn  glänzend  geschlagen 
hatte,  musste  jetzt  einem  bäurischen,  niedrig  stehenden  Pöbel 
mit  kläglicher  und  elender  Ausrüstung  weichen;  er,  dessen 
kriegerischen  Ruhm  die  Macht  des  tapfersten  Volkes  vorher 
nicht  hatte  vernichten  können,  war  jetzt  nicht  stark  genug, 
einer  kleinen  Schar  eines  verächtlichen  Stammes  Stand  zu 
halten.  So  kam  es,  dass  er  mit  der  Mannschaft,  mit  der  er 
die  höchste  Zierde  der  Welt  und  die  bedeutendste  Kriegsmacht 
aufs  tapferste  zu  Grunde  gerichtet  hatte,  mit  der  er  so  viele 
lärmende  Fusstruppen,  Lager  und  Reiterscharen  vor  aller 
Welt  überwältigt  hatte,  jetzt  gegen  ein  gemeines  und  unbe- 
deutendes Völkchen  heimlich  und  gleich  wie  ein  Dieb  los  ziehen 
musste  und  sich  nicht  scheute,  seinen  herrlichen  Ruhm,  den 
er  öffentlich  und  bei  Tage  sich  erworben,  durch  nächtliche 
Heimtücke  zu  beflecken;  denn  statt  zu  offener  Tapferkeit 
nahm  er  zu  einem  heimlichen  Hinterhalt  seine  Zuflucht.  Das 
war  zwar  eine  hässliche  That^),  aber  der  Erfolg  war  gut. 
Erfreute  sich  aber  über  die  Flucht  der  Finnen  nicht  weniger 
als  über  die  des  Karolus,  denn  er  gestand,  dass  er  mehr 
Kraft  bei  jenem  ärmlichsten  Stamme  als  bei  dem  best  gerüsteten 
Heere  gefunden  habe.  Den  schwerbewaffneten  Römern  konnte 
er  ja  leichter  die  Spitze  bieten  als  den  leichten  Geschossen 
dieses  Lumpenvolkes.  Als  nun  der  König  der  Biarmier  getötet 
und  die  Finnen  gesehlagen  waren,  Hess  Regnerus   auf  einem 


»)  Vgl.  zu  dieser  Schilderung  S.  14  mit  Ann.  1  u.  V,  264. 
')  (Tomeint  ist  natürlich  das  römische  Reich    deutscher  Kation    und 
Karl  der  (-»rosse. 

')  Welcher  Art  sie  war,  berichtet  Saxo  nicht. 


Kegnerus'  Sieg  über  die  Finnen;  Ubbos  Aufstand.  485 

Felsenhögel  ein  ewiges  Denkmal  seines  Sieges  von   Steinen 
errichten,  die  einen  Bericht  darüber  enthielten  ^). 

Indessen  wurde  Ubbo  durch  seinen  Grossvater  Hes- 
bernus  zu  verruchter  Begier  nach  der  Herrschaft  verleitet,  810 
streifte  alle  Ehrfurcht  vor  seinem  Vater  ab  und  masste  sich 
das  Abzeichen  der  Königswürde  für  sein  eigenes  Haupt  an. 
Als  Regnerus  diese  Frechheit  von  den  schwedischen  Fürsten 
Keltherus  und  Thorkillus  erfuhr,  richtete  er  seine  Fahrt 
eiligst  nach  Götland.  Obgleich  Hesbemus  schon  erprobt 
hatte,  dass  jene  beiden  mit  besonderer  Treue  der  Partei  des 
Regnerus  anhingen,  bemühte  er  sich  doch,  sie  durch  Ver- 
sprechen von  Belohnungen  dem  Könige  abspenstig  zu  machen.  •^55 
Jene  aber  wichen  nicht  im  geringsten  von  ihrem  Vorsatze  ab, 
antworteten,  ihre  Entscheidung  hinge  ganz  von  Biornus 
ab,  und  versicherten,  kein  Schwede  würde  etwas  wagen,  was 
von  dessen  Willen  abwiche.  Nicht  faul  suchte  nun  Hesbernus 
diesen  selbst  durch  sehr  liebenswürdige  Anerbietungen  ver- 
mittelst seiner  Gesandten  für  sich  zu  gewinnen.  Der  aber 
sagte,  dass  er  nie  mehr  der  Untreue  als  der  ehrlichen  Treue 
zuneigen  würde,  und  erklärte  es  für  den  höchsten  Grad  von 
Nichtswürdigkeit,  wenn  die  Gunst  seines  gottlosen  Bruders 
der  Liebe  seines  hochverehrten  Vaters  vorgezogen  würde. 
Gegen  die  Abgesandten  selbst  aber  verfuhr  er  wie  gegen 
Verführer  zum  schwersten  Verbrechen  und  Hess  sie  hängen. 
Die  Schweden  Hessen  auch  die  übrige  Schar  der  Gesandtschaft 
für  ihre  gefährliche  Aufforderung  mit  der  gleichen  Strafe 
büssen.  Da  nun  Hesbernus  meinte,  dass  seine  Erfolge  mit 
heimHchen  und  verborgenen  Vorbereitungen  zu  unglücklich 
ausfielen,  mietete  er  öffentlich  Truppen  und  rückte  vor  aller 
Augen  zum  Kriege  aus.  Iwarus  jedoch,  der  Statthalter  von 
Jütland,  glaubte,  dass  kein  Standpunkt  in  dem  verbrecherischen 
Kriege  sich  mit  seiner  Rechtlichkeit  vertrage  und  kam  einem 
gottlosen  Kampfe  durch  frei wiUige  Verbannung  zuvor.  Regnerus 
aber  griff  Hesbernus   in  der  Bai,    die    lateinisch   die   Grüne 


^)  Ob  dies  Geschichte  oder  Sage  ist,  (Steenstrup  glaubt,  der  Feldzug 
gegen  die  Biarmier  habe  einen  historischen  Kern)  ist  ungewiss;  gefunden 
hat  man  jedenfaUs  eine  derartige  Inschrift  nicht. 


486  Neuntes  Buch. 

heisst^),  an  und  tötete  ihn;  der  Leiche  Hess  er  dann  das 
Haupt  abschlagen,  steckte  es  auf  sein  Schiff  und  bot  den 
Aufrührern  ein  schreckliches  Schauspiel.  Ubbo  aber  entfloh. 
erregte  den  Krieg  von  neuem  in  Seeland  und  griflF  seinen 
Vater  zum  zweiten  Male  an.  Als  die  Reihen  der  Seinigen 
wichen,  wurde  er  allein  von  allen  Seiten  bestürmt.  Aber 
er  streckte  eine  solche  Menge  von  der  Schar  seiner 
Gegner  nieder,  dass  er  von  der  Anhäufung  der  feindlichen 
Leichen  wie  von  der  festesten  Schanze  umgeben  war  und 
leicht  das  Herannahen  der  Angreifer  hindern  konnte.  Zuletzt 
aber  erlag  er  doch  der  Uebermacht  der  Feinde,  wurde  ergriffen 
und  ins  Staatsgefängnis  geworfen.  Jedoch  er  zerriss  und 
zersprengte  mit  gewaltiger  Kraft  die  Ketten;  obgleich  es  ihm 
so  zwar  gelang,  die  ihm  angelegten  Fesseln  abzustreifen  und 
zu  vernichten,  konnte  er  doch  auf  keine  Weise  seinem  Kerker 
entfliehen.     Sobald  aber  Iwarus  hörte,  dass  der  Aufruhr  im 

456  Vaterlande  durch  die  Hinrichtung  des  Rebellen  beigelegt  sei. 
kehrte  er  nach  Dänemark  zurück.  Regnerus  empfing  ihn 
mit  der  grö.ssten  Achtung,  weil  er  bei  dem  Wüten  des  wider- 
natürlichen Krieges  am  aufrichtigsten  der  Stimme  der  Natur 
gefolgt  war. 

Inzwischen  hatte  Daxon  lange  vergebens  versucht,  With- 
sercus,  den  Statthalter  von  Schwedeu*),  zu  überwinden;  endlich 
aber    griff  er   ihn   bei    einem   äusserlichen   Frieden    an    und 

811  überwältigte  ihn.  Während  er  gastfreundlich  von  jenem 
aufgenommen  wurde,  sandte  er  ein  wohlgerüstetes  Heer  ab, 
welches  scheinbar  um  einen  Einkauf  zu  besorgen,  auf  Wagen 
in  die  Stadt  eindringen  und  das  Haus  seines  Gastgebers  in 
nächtlichem  Angriff  zerstören  solle.  Withsercus  aber  begeg- 
nete dieser  Räuberbande  mit  solch  gewaltigem  Widerstände, 
dass  er,  von  einem  Haufen  Feindosleichen  umgeben,  nur 
gefusst  werden  konnte,  wenn  man  Leitern  von  oben  herabliess. 


')  Sinns  viridis,  d.  i.  der  (TrÖnsund  zwischen  Falater  imd  Möen. 

')  Kurz  zuvor  ist  Withsercus  als  Statthalter  des  Skythenlandes  ^eoannt 
worden:  Müller  ((lauht.  dass  Saxos  Gewähreinann  hier  den  Ausdruck  ^Gn»si- 
aohwetlen",  das  eben  die  ^»hellespontischen''  Länder  Saxos  bezeichne,  a:  - 
jrewendet  habe,  dass  dieser  ihn  aber  nicht  mehr  recht  ^  erstand. 


BesieguDg  Ubbos;  WithsercUs  und  Daxon.  487 

In  gleicher  Weise  wurden  zwölf  seiner  Begleiter  vom  Feinde 
gefangen;  obwohl  man  diesen  Erlaubnis  gab,  in  ihr  Vater- 
land zurückzukehren,  wollten  sie,  da  sie  ihr  Leben  dem  König 
geweiht,  lieber  die  Gefahr  eines  andern  teilen  als  sich  der 
eigenen  entziehen.  Daxon  aber  ward  von  Mitgefühl  mit  der 
ausnehmenden  Schönheit  des  Withsercus  ergriffen,  und  gewann 
es  nicht  über  sich,  die  eben  sich  entfaltende  Blüte  seiner 
herrlichen  Anlagen  zu  vernichten.  Er  bot  ihm  nicht  nur  das 
Leben  an,  sondern  auch  seine  Tochter  zur  Ehe,  sowie  die 
Hälfte  seines  Reiches  als  Mitgift,  und  er  wollte  liebe>  seine 
Schönheit  schonen  als  seine  Kühnheit  bestrafen.  Jener  achtete 
in  seiner  Geistesgrösse  den  Genuss  eines  elenden  Lebens  für 
nichts  und  wies  seine  Begnadigung  als  eine  höchst  kleinliche 
Gabe  zurück;  er  bat  äiis  freien  Stücken  um  sein  Todesurteil 
und  sagte,  Regnerus  werde  etwas  milder  die  Rache  für  seinen  457 
Sohn  ausüben,  wenn  er  höre,  dass  dieser  bei  der  Wahl  seiner 
Todesart  seinen  eigenen  Willen  gehabt  hätte.  Sein  Feind  bewun- 
derte diese  Kühnheit  und  versprach  ihm,  er  solle  auf  die  Art 
sterben,  die  er  sich  selbst  auserwähle.  Diese  Erlaubnis  nahm 
der  Jüngling  als  eine  grosse  Wohlthat  auf  und  bat,  man 
möge  ihn  gefesselt  zusammen  mit  seinen  Gefährten  verbrennen. 
Daxon  willfahrte  auch  rasch  seiner  Todessehnsueht  und 
gewährte  ihm  als  Gnade  die  Hinrichtung  in  der  gewünschten 
Weise.  Als  Regnerus  dies  hörte,  wurde  er  von  einem 
Kummer  zum  Sterben  ergriffen  und  zog  nicht  nur  Trauer- 
kleidung an,  sondern  er  legte  sich  auch  in  seinem  höchsten 
Seelenschmerz  ins  Bett  und  gab  seiner  Betrübnis  durch 
Seufzen  Ausdruck.  Seine  Gattin,  die  mehr  als  männliche 
Zuversicht  besass,  schalt  ihn  wegen  seiner  Schwäche  und 
ermutigte  ihn  durch  mannhaftes  Zureden;  sie  suchte  seinen 
Sinn  der  Trauer  abwendig  zu  machen,  forderte  ihn  auf,  eifriger 
an  Waffenthaten  zu  denken,  und  erklärte  ihm,  dass  ein  helden- 
hafter Vater  den  blutigen  Tod  »eines  Sohnes  viel  richtiger 
durch  die  Waffen  als  durch  Thränen  zu  sühnen  habe.  Sie 
warnte  ihn  auch,  dass  er  sich  nicht  durch  sein  weibisches 
Trauern  und  Klagen  ebenso  grosse  Schande  zuziehe,  als  er 
sich  früher  durch  seinen  Heldenmut  Ruhm  erworben    hab6. 


488  Neuntes  Buch. 

Bei  (lieser  Rede  fürchtete  Regnerus,  dass  er  den  Ruf  seiner 
Tapferkeit  durch  unmännliches  Jammern  zerstören  möchte, 
warf  seine  Trauerkleidung  weg,  legte  die  äusseren  Zeichen 
seines  Schmerzes  ab  und  rief  in  der  Absicht,  schnelle  Rache 
zu  liben,  seine  schlummernde  Kühnheit  wieder  wach.  So 
wird  der  Sinn  der  Starken  von  Schwachen  ermutigt.  Er 
übertrug  Iwarus  die  Verwaltung  des  Reiches,   kam  Ubbo, 

812  indem  er  sich  mit  ihm  versöhnte,  mit  väterlicher  Liebe  ent- 
gegen, setzte  mit  seiner  Flotte  nach  Russland  über,  nahm 
Daxon  gefangen,  Hess  ihn  zur  Strafe  in  Ketten  legen  und 
verbannte  ihn  nach  Uhtgardia  ^)  ins  Gefängnis.  Regnerus 
ist  also  damals  offenbar  gegen  den  Mörder  seines  liebsten 
Sohnes  mit  gnädigster  Schonung  verfahren,  indem  er  es  vorzog, 
seinen  Wunsch  nach  Rache  nur  durch  die  Verbannung  statt 
durch  den  Tod  des  Schuldigen  zu  befriedigen.  Infolge  dieser 
Menschenfreundlichkeit  schämten  sich  die  Ruthenen,  weiter 
gegen  den  König  zu  wüten,  den  sie  nicht  einmal  durch  die 
bittersten  Kränkungen  veranlassen  konnten,  seine  Gefangenen 
zum  Tode    zu  verurteilen.     Regnerus   begnadigte   ihn   bald 

458  vollends  und  gab  ihn  seinem  Vaterlande  wieder,  als  er  ihm 
versprach,  jedes  Jahr  barfuss  zusammen  mit  zwölf  ebenfalls 
unbeschuhten  Greisen  wie  ein  Flehender  Tribut  zu  zahlen. 
Er  hielt  es  nämlich  für  besser,  gegen  den  Gefangenen  und 
Bittenden  milde  zu  verfahren  als  das  blutige  Beil  zu  zücken, 
und  seinen  hochmütigen  Nacken  mit  beständiger  Knechtschaft 
zu  strafen  als  ihn  nur  ein  einziges  Mal  zu  verletzen.  Dann 
segelte  er  ab,  und  übertrug  seinem  Sohn  Ericus  mit  dem 
Beinamen  W  i  n  d h  u  t^)  die  Herrschaft  über  Schweden.  Während 
dort  Fridlewus   und  Siwardus  unter  ihm  dienten,  erfuhr 


*)  Apud  Uhtjfardiam ;  die  isländische  QueUe  Saxos  hatte  wahr- 
scheinlich (nach  Storms  geistreicher  Vermutung:  vgl.  Olrik  II,  lir>ffl> 
foeröi  hann  viÖ  ütgarda;  dieser  Ausdruck  heisst  wörtlich:  «Er  schickte 
ihn  in  ferne  Wohnungen**,  dann  übertragen:  „er  tötete  ihn.*  Da  Saxo 
dies  nicht  mehr  verstand,  machte  er  aus  „viÖ  ütgarÖa"  einen  Ortsnameo 
(vielleicht  zugleich  in  der  Krinnerung  an  seinen  Ugarthilocus). 

*)  Ericum ,  Ventosi  Pillei  cognomen  habentem;  auch  schwedische 
Berichte  kennen  einen  Eirikr  Vederhat  (^^  Windhut) :  aus  der  Richtung« 
nach  der  er  seinen  Hut  hielt,  soll  der  Wind  geweht  haben. 


\ 


Siege  über  Daxon,  die  Norweger  u.  Schotten.  481) 

er,  dass  die  Norweger  und  Schotten  zu  Unrecht  zwei  andern 
Männern  die  Königstitel  übertragen  hätten;  er  hob  zunächst 
den  Usurpator  der  Herrschaft  über  Norwegen  auf  und  über- 
trug sie  Biornus. 

Darauf  berief  er  diesen  und  Ericus  zu  sich,  verheerte 
die  Orchaden,  landete  endlich  im  Gebiete  der  Schotten  und 
tötete  ihren  König  Murial,  nachdem  er  ihn  in  einem  drei- 
tägigen Treffen  völlig  erschöpft  hatte.  Aber  auch  des  Reg- 
nerus  Söhne  Dunvat  und  Rathbarthus,  die  ausgezeichnet 
gefochten  hatten,  wurden  in  dieser  Schlacht  vom  Feinde  ge- 
fällt und  erkauften  so  mit  ihrem  Blute  ihrem  Vater  einen 
teuren  Sieg.  Als  er  dann  nach  Dänemark  zurückgekehrt, 
vernahm  er,  dass  seine  Gattin  Swanloga  von  einer  Krankheit 
hingerafft  worden  sei;  sogleich  suchte  er  ein  Heilmittel  gegen 
seinen  Kummer  in  der  lünsamkeit  und  gewann  es  [nicht]  ^) 
über  sich,  die  Trauer  seines  betrübten  Herzens  innerhalb  der 
Wände  seines  Hauses  einzuschliessen.  Doch  diesem  bitteren 
Schmerze  entzog  ihn  bald  die  plötzliche  Ankunft  des  Iwarus, 
der  aus  seinem  Reiche  vertrieben  worden  war.  Die  Gallier*) 
hatten  ihn  nämlich  geschlagen  und  einem  gewissen  Hella, 
Hamas  Sohne  *),  unrechtmässig  die  Königswürde  übertragen. 
Unter  seiner*)  Führung  —  denn  er  musste  ja  die  Ortlichkeit  459 
kennen  —  ging  Regnerus  in  See  und  landete  in  dem  Hafen, 
der  Norwicus*)  heisst;  hier  lieferte  er  Hella,  der  sich  auf 
die  Tapferkeit  der  Gallier  verliess,  eine  dreitägige  Schlacht 
und  bewirkte,  dass  dieser  sich  doch  lieber  für  die  Flucht 
entschied;  sein  Sieg  kostete  den  Angeln  sehr  viel,  den  Dänen 


*)  Hesser  für  Sinn  und  Zusammenhang  ist  es,  dieses  ^non*^  der  ed. 
princ.  mit  den  spätem  Herausgebern  zu  streichen. 

*)  Man  hat  wohl  hier  wie  eini(|^e  Zeilen  später  an  gallische  Hilfs- 
truppen der  Engländer  zu  denken. 

*)  Vgl.  oben  S.  477. 

*)  D.  i.  des  Iwarus. 

*)  Müller  meint,  es  sei  an  die  Stadt  Nor^'ich  zu  denken,  Elton  ver- 
mutet S.  B78  (nach  8teenstru[>),  die  Schreibung  Noruicus  der  ed.  princ. 
sei  ein  Fehler  für  Joruicus,  das  den  Hafen  von  York  bedeute;  er  stützt 
sich  dabei  auf  die  altenglische  Sachsenchronik  (ed.  B.  Thorpe,  London  1861) 
z.  ,1.  8«7. 


490  XeuDte9  Buch. 

Dur  sehr  wenig  Blut.  Als  Regnerus  dort  siegreich  ein  Jahr 
verweilt  hatte,   berief  er  seine  Söhne  zur  Unterstützung  her- 

81S  bei  und  griff  dann  Hibernien  an;  er  tötete  dessen  König 
Melbricus^),  belagerte  Duflina,  welches  ganz  mit  Schätzen 
der  Barbaren  angefüllt  war^),  bestürmte  es  und  nahm  es  ein. 
Hier  hielt  er  auch  ein  Jahr  sein  Standquartier,  durchschiffte 
dann  das  Mittelnieer  und  gelangte  bis  zum  Hellespont.  Die 
dazwischen  liegenden  Gegenden  durcheilte  er  alle  unter  den 
glänzendsten  Siegen,  und  nirgends  hemmte  das  Schicksal  sein 
beständig  glückliches  Vordringen. 

Unterdessen  erregte  Haraldus  unter  der  Beihilfe  einiger 
Dänen,  welche  nur  mit  sehr  geringem  Eifer  für  Regnerus 
Kriegsdienste  leisteten,  von  neuem  Aufruhr  in  seinem  Vater- 
lande und  masste  sich  den  Königstitel  an.  Er  wurde  von 
Regnerus,  der  vom  Hellespont  zurückkehrte,  mit  Waffen- 
gewalt empfangen,  und  da  er  nach  dem  unglücklichen  Aus- 
gange dieses  Kampfes  bemerkte,  dass  daheim  seine  Hilfs- 
mittel erschöpft  seien,  begab  er  sich  zu  Ludowicus,  der 
sich  in  Mainz  aufhielt,  und  bat  ihn  um  Unterstützung.  Dieser 
aber  war  von  dem  höchsten  Eifer  erfüllt,  die  christliehe 
Religion  zu  verbreiten  und  stellte  dem  Barbaren  eine  Be- 
dingung, indem  er  ihm  nur  Hilfe  versprach,  wenn  er  darein 
willige,  den  Dienst  Christi  auszuüben.  Denn  es  könne,  sagte 
er,  keine  Uebereinstimmung  in  der  Gesinnung  bei  Leuten 
geben,  die  verschiedene  Götter  verehrten.  Daher  brauche  ein 
Hilfeflehender  zuerst  Glaubensgemeinschaft,  und  die  könnten 
nicht  Bundesgenossen  zu  grossen  Werken  sein,  die  ein 
verschiedenes  Glaubensbekenntnis  trenne.  Diese  Ansieht 
brachte  nicht  nur  seinem  Gaste  Rettung,  sondern  auch  ihm 
selbst    den  Ruf   der  Frömmigkeit.     Denn    sobald  Haraldus 

400  feierlich  getauft  war,  unterstützte  er  ihn  mit  sächsischen 
Hilfstruppen*).    Im  Vertrauen  darauf  erbaute  dieser   nun    in 

»)  V^rl.  II  S.  73  donselhon  Xamon. 

*)  l'cber  doii  KiMohtuni  von  Diinlin  s.  noch  ^^,  299. 

*)  (ninz  priia»  sind  wir  iibor  die  (Tcsohichto  dieses  Harald,  der  den 
Heinamen  Klak  führt,  nicht  nntcrrichtet.  Das  Wesentliche  in  Saxos  Er- 
zählung?, seine  unsichere  Stellung ,  das  Hündnis  mit  Ludwige  und  seine 
Hekehrunjy,  ist  richtip.    Vjyl.  Müller  II,  257  ff. 


Regnerus*  Siege  über  Melbricus  u.  Haraldus;  seine  Gefangennahme.     491 

• 

dem  Gebiete  voq  Schleswig  mit  grossen  Sorgea  und  Kosten 
einen  Tempel  zur  Ehre  Gottes.  Er  nahm  sich  also  ein  Vor- 
bild für  sein  heiliges  Verfahren  an  dem  Brauche  der  Römer, 
legte  den  Irrtum  der  Ungläubigen  bloss,  zerstörte  ihre  Heilig- 
tümer, ächtete  ihre  Opferer,  setzte  die  Priester  ab  und  führte 
zuerst  das  Christentum  in  seinem  Vaterlande  ein,  indem  er 
den  Götzendienst  ausrottete  und  für  den  Gottesdienst  eiferte. 
Ueberhaupt  beobachtete  er  alles,  was  die  Hütung  der  Religion 
anlangte,  mit  gewissenhaftester  Sorgfalt.  Aber  er  unternahm 
die  Sache  mit  mehr  Frömmigkeit  als  Erfolg.  Denn  Regnerus 
überraschte  ihn,  schändete  die  von  ihm  mitgebrachten  Heilig- 
tümer, ächtete  die  wahre  Religion,  stellte  dafür  die  frühere 
falsche  wieder  her  und  setzte  die  alten  Bräuche  wieder  zu 
Ehren  ein.  Haraldus  aber  floh  und  ward  zum  Gottes- 
leugner. Denn  sowie  er  wegen  seiner  Einführung  der  Religion 
ein  leuchtendes  Vorbild  war,  so  war  er  auch  das  erste  Bei- 
spiel des  Abfalles  davon,  und  aus  einem  Beschützer  des 
Christentums  ward  er  ein  nichtswürdiger  Abtrünniger. 

Inzwischen  hatte  sich  Hella  zu  dem  Hiberniern  begeben 
und  bestrafte  alle,  die  sich  treulich  an  Regnerus  angeschlossen 
hatten,  mit  dem  Schwerte  und  mit  Folterqualen.  Regnerus  8U 
griff  ihn  mit  der  Flotte  an,  aber  durch  die  gerechte  Strafe 
des  Allmächtigen  musste  er  jetzt  offenkundig  Sühne  leisten 
für  seine  Verachtung  der  Religion.  Denn  gefangen  und  ins 
Gefängnis  geworfen  musste  er  seine  schuldigen  Glieder 
Schlangen  zum  Frasse  überlassen,  und  die  Fibern  seiner  Ein- 
geweide bot  er  als  traurige  Nahrung  den  Ottern  dar  ^).  Als 
seine  Leber  schon  gefressen  war,  und  eine  Natter  gleich  wie 
ein  todesdrohender  Henkersknecht  schon  an  seinem  Herzen 
sass,  ging  er  noch  einmal  mit  lebhafter  Stimme  die  ganze 
Reihe  seiner  Thaten  durch,  ^)  und  am  Ende  dieser  Aufzählung 


*)  Des  gleichen  Todes  starb  Ounnar:  vgl.  den  „Untergang  der  Nif- 
liinge"  =  Gerings  Edda  S.  241  u.  die  dort  in  Anm.  11  angeführten  Lioder- 
stellen. 

*)  In  einem  Todesliede,  ähnlich  wie  Starkadr  (B.  VIII).  Die  Kra- 
kiimal  enthalten  es  in  nordischer  Sprache  (z.  T.  übersetzt  bei  Uhland 
Sehr.  VII,  311  ff.). 


492  Neuntes  Buch. 

fügte  er  folgenden  Schluss  hinzu:  Wenn  die  jungen  Keiler 
die  Qualen  des  Ebers  kennten,  würden  sie  ohne  Zweifel  in 
den  Stall  einbrechen  und  ihn  von  seinen  Leiden  erlösen*). 
461  Diese  Worte  legte  Hella  dahin  aus,  dass  noch  einige  seiner 
Söhne  am  Leben  wären,  und  er  gebot  den  Henkern  einzu- 
halten und  die  Schlangen  zu  entfernen.  Als  aber  die  Tra- 
banten hineilten,  um  den  Befehl  auszuführen,  warRegnerus 
bereits  dem  Gebot  des  Königs  durch  den  Tod  zuvorgekommen. 
Was  kann  man  anderes  sagen,  als  dass  diesem  Manne  zwei 
verschiedene  Schicksale  bestimmt  gewesen  sind?  Das  eine 
hatte  ihm  eine  tadellose  Flotte,  ausgedehnte  Herrschaft,  her- 
vorragende Leistungen  auf  seinen  Raubzügen  gewährt,  während 
das  andere  ihm  Vernichtung  seines  Ruhmes,  den  Tod  seiner 
Gefährten,  das  qualvollste  Lebensende  brachte;  denn  der 
Henker  sah,  wie  er,  von  giftigen  Tieren  umringt,  mit  dem- 
selben Herzen,  das  jeder  Gefahr  gegenüber  unentwegt  ge- 
blieben war,  Nattern  nährte.  So  war  schliesslich  dem  glänzend- 
sten Sieger  das  elende  Los  eines  Gefangenen  bestimmt^  und 
er  gab  damit  eine  Lehre,  dass  niemand  allzusehr  dem  Glücke 
trauen  soll. 

Iwarus  erhielt  diese  Trauerbotschaft,  als  er  gerade 
Spielen  zusah  ^).  Nichtsdestoweniger  blieb  sein  Gesichtsaus- 
druck unverändert,  und  er  zeigte  sich  in  keiner  Weise  mehr 
bewegt  als  gewöhnlich;  er  beherrschte  nicht  nur  sich  selbst^ 
indem  er  bei  der  Nachricht  von  dem  Tode  des  Vaters  seinen 
Schmerz  unterdrückte,  sondern  er  Hess  auch  kein  Wehklagen 
ausbrechen  und  verbot  dem  Volke,  das  Theater  zu  verlassen. 
P>  legte  also  die  Heiterkeit  seines  Antlitzes  nicht  ab,  um 
nicht  durch  Beendigung  des  Spieles  die  Vorstellung  zu  unter- 
brechen, noch  lenkte  er  seine  Augen  von  der  öffentlichen 
Freude  ciuf  seine  eigene  Trauer,  damit  es  nicht  scheine,    als 


*)  Damit  meiut  er  sich  selbst  und  seine  Söhne;  dieser  Satz  entspricht 
gonau  einer  Strophe  der  Raguursaga,  mit  der  sich  auch  sonst  wörtliche 
Ankläfijrc  feststellen  lassen  (vgl.  Uhland  VII,  308). 

*)  Der  Bericht  \(»n  Kagnars  Tod  wie  der  über  die  Aufnahme  der 
Hotsohnft  d»irch  seine  Söhne  stimmt  auch  fast  genau  mit  den  isländischeo 
(Quellen  überein. 


RegDerus'  Tod;  Eindruck  der  Botschaft  auf  seine  Söhne.       493 

ob  er  von  dem  ausgelassensten  Jubel  plötzlich  zur  äussersten  462 
Betrübnis  überginge  und  mehr  die  Rolle  des  klagenden  Sohnes 
als  die  des  fröhlichen  Fürsten  spiele.  Als  aber  Sywardus 
dieselbe  Nachricht  erhielt,  ging  ihm  die  Liebe  zum  Vater 
näher  als  eigener  Schmerz,  und  er  stiess  sich  den  Speer,  den 
er  gerade  in  der  Hand  hielt,  in  seiner  Bestürzung  tief  in 
den  Fuss,  ohne  vor  der  Allgewalt  seiner  Trauer  das  körper- 
liche Leiden  zu  bemerken.  Um  nämlich  die  Wunde  in  seinem 
Herzen  geduldiger  tragen  zu  können,  bemühte  er  sich,  auch 
einen  Teil  seines  Leibes  schwer  zu  verletzen.  Durch  diese 
That  offenbarte  er  zugleich  seinen  Heldenmut  und  seine 
Trauer,  indem  er  bei  seinem  Geschick  als  Verwaister  ebenso 
viel  Betrübnis  als  Standhaftigkeit  zeigte.  Biornus  aber  war  ;U5 
bei  der  Nachricht  von  dem  Tode  seines  Vaters  gerade  mit 
Würfelspielen  beschäftigt;  und  er  ergriff  den  Stein  mit  solcher 
Gewalt  und  presste  ihn  so  in  seiner  Hand  zusammen,  dass 
das  Blut  aus  seinen  Fingern  sprang  und  den  Tisch  benetzte  ^). 
Dabei  lernte  er  also,  dass  die  Fügung  des  Schicksals  unleugbar 
noch  unbestimmbarer  sei  als  der  Würfel,  den  er  warf.  Als 
Hella  dies  hörte,  glaubte  er,  der  von  den  dreien  habe  des 
Vaters  Tod  mit  der  grössten  Standhaftigkeit  vernommen,  det 
bei  seinem  Hingänge  seine  Sohnesliebe  nicht  gezeigt  habe, 
und  darum  müsse  ihm  die  Tüchtigkeit  des  Iwarus  am  meisten 
verdächtig  sein.  Iwarus  landete  zwar  an  der  englischen 
Küste;  als  er  aber  bemerkte,  dass  seine  Flotte  zu  einem 
Kampfe  mit  dem  Feinde  zu  schwach  sei,  zog  er  die  List  der 
Kühnheit  vor  und  wagte  sich  mit  Schlauheit  an  Hella,  in- 
dem er  als  vermittelndes  Unterpfand  des  Friedens  nur  soviel 
Ackerland  forderte,  als  von  einer  Rosshaut  umfasst  werden 
könne  2).  Was  er  wollte,  erlangte  er  auch;  denn  der  König 
glaubte,  diese  Bitte  würde  ihn  nicht  teuer  zu  stehen  kommen, 


*)  In  der  Saga  wird  dieser  Zug  von  Hvitserk  erzählt,  und  es  handelt 
sich  dort  nicht  um  das  AVürfel-  sondern  um  das  Brettspiel.  (Ueber  dieses 
s.  Weinhold  8.  469.) 

')  Dieser  Zujjr,  der  sehr  an  die  Gründung  Karthagos  durch  Dido  er- 
innert, findet  sich  auch  in  den  isländischen  Quellen.  In  der  Saga  heisst 
die    neue    Stadt   Lundünaborg  (=  London),    im   I>attr  Jörvik   (=  York). 


494  Neuntes  Buch. 

und  freute  sich  in  der  Meinung,  dass  ein  ziemlich  kleines 
Fell  doch  nicht  viel  Land  in  Anspruch  nehmen  werde,  dar- 
über, dass  ein  so  starker  Feind  nur  so  wenig  statt  viel  ver- 
langß.  Iwarus  aber  zerschnitt  das  Fell  in  ganz  dünne 
Streifen,  dehnte  es  dadurch  aus  und  umspannte  damit  ein 
Gebiet,  welches  zur  Erbauung  einer  Stadt  wohl  geeignet  war. 
Bei  Hella  folgte  jetzt  die  Reue  über  seine  Freigebigkeit, 
und  er  berechnete  erst  zu  spät  die  Grösse  des  Felles,  als  er 
die  Haut  jetzt  in  zerschnittenem  Zustande  genauer  wie  vor- 
her im  Ganzen  ausmass.  Während  er  nämlich  geglaubt  hatte. 
463  sie  werde  nur  eine  kleine  Bodenfläche  bedecken,  sah  er  jetzt, 
dass  sie  weithin  eine  ganze  Anzahl  Joche  in  Anspruch  nahm. 
Iwarus  aber  führte  in  die  neu  gegründete  Stadt  reichlich 
Lebensmittel  ein,  die  auch  für  eine  Belagerung  ausreichen 
konnten;  denn  er  wünschte  sie  ebenso  gegen  den  Mangel  wie 
gegen  den  Feind  gerüstet  zu  sehen. 

Indessen  kamen  Siwardus  und  Biornus  mit  einer 
Flotte  von  400  Schiffen  herbei  und  erklärten  in  offener  Her- 
ausforderung dem  Könige  den  Krieg.  Diesen  begannen  sie 
auch  zu  der  angekündigten  Zeit,  nahmen  Hella  gefangen 
und  Hessen  in  seinen  Rücken  eine  Wunde  in  Gestalt  eines 
Adlers  einschneiden,  indem  sie  sich  darüber  freuten,  ihren 
wildesten  Feind  unter  dem  Zeichen  des  grausamsten  Vogels 
zu  vernichten  ^).  Und  nicht  zufrieden  damit,  ihn  mit  dieser 
Wunde  gebrandmarkt  zu  haben,  streuten  sie  auch  noch  Salz 
in  sein  zerrissenes  Fleisch.  Als  Hella  so  geendet  hatte, 
kehrten  Biornus  und  Siwardus  in  ihre  Reiche  zurück. 
Iwarus  regierte  zwei  Jahre  lang  in  Anglien.  Inzwischen 
begannen  die  Dänen  in  hartnäckigstem  Aufruhr  wieder  Krieg 


^)  Das  ist  wiederum  eine  missverstäudliche  Deutung  eines  anrd.  Aus- 
druckes :  «rista  bloÖ-orn  d.  h.  den  Blutadler  ritzen**.  Es  war  dies  eine 
grausame  Art,  gefangene  Feinde  zu  töten,  die  darin  bestand,  dass  man 
vom  Kücken  aus  die  Rippen  vom  Rückgrat  löste  und  dann  die  Lunge 
herausriss.  Vgl.  das  Lied  von  Regin  Str.  2ti  =  Gerings  Edda  S.  201 
u.  Aiim.  6.  —  Die  altenglische  Sachsenchronik,  die  sonst  diese  Dinge 
auch  berichtet,  weiss  hiervon  nichts.  (Ueber  Iwarus  vgl.  noch  Müller  IL 
270  ff.). 


Die  Söhne  des  Regnerus.  495 

und  Übertrugen  einem  gewissen  Siwardus  und  Ericus,  die 
aus  königlichem  Geschlecht  stammten,  die  Herrschaft  über 
den  Staat.  Diese  griffen  die  Söhne  des  Regnerus  gemeinsam 
mit  einer  Flotte  von  1700  Schiffen  bei  Schleswig  an  und 
vernichteten  sie  in  einem  sechsmonatlichem  Kampfe.  Grab- 
hügel zeugen  davon  noch  heute  ^).  Aueh  der  Meerbusen,  in 
dem  gefochten  wurde,  ward  berühmt  durch  den  Tod  des 
Siwardus.  Das  königliche  Haus  war  nun  bis  auf  die  Söhne 
des  Regnerus  fast  ausgestorben.  Als  dann  Biornus  und  S16;  464 
Ericus  nach  Hause  zurückkehrten,  nahmen  Iwarus  und 
Siwardus  in  Dänemark  ihre  Wohnsitze,  um  die  Rebellen 
desto  fester  im  Zaume  zu  halten,  und  übertrugen  Agnerus^) 
die  Verwaltung  von  Anglien.  Dieser  aber  wurde  durch  die 
Widerspenstigkeit  der  Anglier  gereizt  und  unter  der  Beihilfe 
des  Siwardus  wünschte  er  lieber  die  Provinz,  die  ihn  ver- 
achtete, ohne  Bebauer  zu  sehen,  indem  er  ihre  ausgedehnten 
Ackerländer  verwüstete,  als  ihre  ünbotmässigkeit  noch  zu 
nähren;  er  verheerte  die  fruchtbaren  Gefilde  der  Insel  aufs 
grausamste,  denn  er  hielt  es  für  besser  über  eine  verödete 
als  über  eine  übermütige  Gegend  zu  gebieten.  Später  wollte 
er  dann  Ericus  rächen,  der  in  Schweden  der  Bosheit  eines 
gewissen  Ostenus  zum  Opfer  gefallen  war*);  aber  während 
er  allzu  eifrig  auf  Rache  für  einen  andern  bedacht  war,  gab 
er  sein  eigenes  Blut  den  Feinden  preis,  und  indem  er  zu 
hitzig  Sühne  für  des  Bruders  Ermordung  suchte,  bezahlte  er 
seine  Bruderliebe  mit  dem  eigenen  Leben. 

So  erhielt  denn  nun  Siwardus*)  unter  allgemeiner  Zu- 
stimmung einer  Volksversammlung    aus   ganz  Dänemark  die 


*)  Allerdings  finden  sich  bei  Schleswig  noch  Graber,  doch  kann  man 
die  Zeit  ihrer  Anlage  nicht  genau  bestimmen. 

')  Dieser  Sohn  Ragnars  ist  nur  den  skandinavischen,  nicht  auch  den 
altenglischen  Quellen  bekannt. 

*)  Nach  isländischer  Ueberliefenmg  war  Erich  schon  lange  vor  seines 
Vaters  Tode  in  einer  Schlacht  gegen  den  Schwedenkonig  Eysteinn  (=  Saxos 
Ostenus)  gefallen. 

*)  Der  Name  Siwardus  (oder  Sifridus  bei  den  Deutschen)  findet  sich 
zwar  in  recht  vielen  Quellen,  aber  es  lässt  sich  nicht  immer  feststellen,  wer 
eigentlich  damit  in  jedem  einzelnen  Falle  gemeint  ist;  vgl.  Müller  II,  273. 


496  Neuntes  Buch. 

väterliche  Herrschaft.  Nach  seinen  vielen  blutigeu  Schlachten 
aber  begnügte  sich  dieser  mit  dem  Ruhme,  den  er  au  seinem 
Hofe  ernten  konnte,  und  wollte  sich  lieber  im  Frieden  als 
durch  Waffenthaten  auszelchueu.  Er  gab  das  Lagerleben 
auf,  und  er,  früher  der  wildeste  Tyrann,  begann  nua  den 
strengen  Hüter  des  Friedens  zu  spielen;  er  setzte  jetzt  eben- 
so viel  Ehre  in  stille  Müsse,  als  früher  seiner  Ansicht  nach 
in  einer  Menge  von  Siegen  enthalten  war.  Das  Glück  be- 
günstigte auch  so  huldvoll  diese  Aenderung  in  seinen  Be- 
strebungen, dass  ihn  ebenso  wenig  jemand  feindlich  angriflT, 
wie  er  dies  that.  Als  er  verschied,  trat  Ericus,  ein  ganz 
unmündiges  Kind,  das  Erbe  mehr  seiner  Natur  als  seiner 
Friedensherrschaft  an,  denn  Ericus,  der  Bruder  desHaral- 
4B5  du  s  ^) ,  verachtete  seine  zarte  Jugend,  brach  mit  Aufruhr  in 
das  Land  ein  und  bemächtigte  sich  der  Kdnigskrone.  Er 
schämte  sich  nicht,  den  rechtmässigen  Fürsten  in  seiner  Kind- 
heit anzugreifen  und  zu  Unrecht  die  Herrschaft  an  sich  zu 
reissen.  Dadurch  aber,  dass  er  es  über  sich  gewinnen  konnte, 
einen  Kriegsunfähigen  der  Königsmacht  zu  berauben,  bewies  er 
sich  selbst  derselben  um  so  unwürdiger.  So  brachte  er  jenen 
um  das  Scepter,  sich  selbst  aber  um  alle  Ehrenhaftigkeit, 
und  dadurch  dass  er  mit  seinen  Waffen  eine  Wiege  angriff, 
entäusserte  er  seine  Brust  jeder  Mannhaftigkeit.  Denn  so- 
bald Begierde  und  Ehrgeiz  entflammt  waren,  fand  Verwandten- 
liebe keinen  Platz  mehr.  Aber  der  Zorn  und  die  Rache  des 
Himmels  straften  diese  Unmenschlichkeit.  Denn  zwischen 
ihm  selbst  und  Guthormus,  dem  Sohne  des  Haraldus,  ent- 
brannte plötzlich  ein  Kriegt) ,  der  mit  solchem  Blutvergiessen 
endete,    dass   beide    mit  unzähligen  anderen  fielen    und    das 


^)  Saxos  DarsteUung  dieser  teilweise  geschichtlichen  Verhältnisse  ist 
ganz  verwirrt.  Der  hier  als  Bruder  des  Harald  Klak  bezeichnet«  Erich, 
der  unrechtmässige  König,  ist  nach  andern  Quellen  vielmehr  der  Sohn 
<TÖtrek8  (Godefredus).  Der  junge,  vertriebene  Erich  dagegen  ist  höchst- 
wahrscheinlich der  Sohn  des  eben  genannten,  also  der  Enkel  GÖtreks; 
vgl.  Müller  II,  274. 

*)  Dieser  Verwandtenkrieg  fallt  ins  .Jahr  854. 


Siwardus  und  £ricus.  497 

dänische  Königsgeschlecht,  erschöpft  durch  das  blutige  Morden, 
bis  auf  den  einzigen  Sohn  des  oben  genannten  Siwardus 
vernichtet  war. 

Durch  den  Verlust  seiner  Verwandten  gewann  er  das 
Glück  der  Herrschaft;  der  Tod  seiner  Angehörigen  war  für 
ihn  auch  wirklich  vorteilhafter  als  ihr  Leben.  £r  liess  das  ^17 
Beispiel  der  andern  unbeachtet  und  trat  mit  seinen  Unter- 
nehmungen in  die  Fusstapfen  seines  Grossvaters;  denn  er 
zeigte  sich  alsbald  als  eifrigster  Veranstalter  von  Wikinger- 
ziigen.  Ach,  hätte  er  nur  nicht  auch  in  der  Ausrottung  des  christ- 
lichen Gottesdienstes  den  unbesonnenen £rben  von  Regnerus' 
Geiste  dargestellt!  Denn  er  verharrte  dabei,  gerade  die 
frömmsten  Leute  mit  Martern  zu  verfolgen,  ihr  Vermögen 
einzuziehen  oder  sie  mit  Verbannung  zu  bestrafen.  Doch 
vergebens  möchte  ich  den  Anfang  seiner  Laufbahn  tadeln,  da 
ich  das  Ende  billigen  muss.  Denn  das  Leben  verdient  mehr  466 
Lob,  bei  dem  ein  rühmlicher  Schluss  einen  schimpflichen  Be- 
ginn vergessen  lässt,  als  ein  solches,  bei  dem  ein  achtens- 
werter Anfang  in  Schuld  und  Schmach  endet.  Ericus  legte 
nämlich  auf  die  heilsamen  Ermahnungen  des  Ansgarius^) 
hin  den  Irrtum  seines  gottlosen  Sinnes  ab,  und  er  sühnte 
die  Frevel,  die  er  durch  dessen  Frechheit  begangen;  ja,  er 
zeigte  sich  jetzt  ebenso  eifrig  in  der  Pflege  der  Religion,  wie 
früher  in  ihrer  Verachtung.  Daher  nahm  er  nicht  nur  den 
Trunk  der  Heilslehren  mit  willigem  Herzen  in  sich  auf,  sondern 
er  tilgte  auch  die  Flecken  am  Beginne  seines  Lebens  durch 
seine  Reinheit  am  Ende  desselben.  Er  hinterliess  einen  Sohn 


^)  ÄDsgar,  genannt  der  Apostel  dea  Nordens,  geboren  801  in  der 
Picardie,  begleitete  826  Harald  Klak  nach  dessen  Bekehrung  nach  Däne- 
mark, von  wo  er  schon  828  wieder  vertrieben  wurde.  831  reiste  er  nach 
Schweden,  832  erhielt  er  das  Bistum  Hamburg  (für  nordische  Mission), 
welches  847  nach  Bremen  verlegt  wurde ;  er  starb  864  und  wurde  darnach 
heilig  gesprochen.  Sein  Biograph  ist  sein  Nachfolger  Bimbert  (oder 
Rembert),  dessen  Werk  in  den  Monum.  Germ.  Histor.  Script.  11,  683  ff.) 
herausgegeben  ist.  Eine  deutsche  Uebersetzung  von  Laurent  erschien  in 
den  „Geschichtsschreibern  der  deutschen  Vorzeit*^  2.  Aufl.  v.  Wattenbach, 
Leipzig  1889. 

Sazo  Gnunmaticni.  32 


498  Keuntea  Buch. 

Kanutus^)  von  der  Tochter  des  Guthormus,  die  zuglei<'b 
des  Harald  US  Nichte  war;  dieser  Sohn  überlebte  ihn,  al> 
er  starb. 

Während  dessen  Kindheit  war  nun  ein  Vormund  für  da> 
Reich  und  den  Knaben  erforderlich.  Da  nun  den  meisten  die 
Uebernahme   dieses  Amtes   unangenehm  oder   zu  schwer   er- 
schien, beschloss  man  durch  das  Los  einen  Mann  zu  wäbleu 
Denn  gerade   die  klügsten  Dänen  scheuten  sich  bei  einer  m» 
hochwichtigen  Angelegenheit  nach  eigener  Willkür  zu  kandelü 
und    wollten    den  Ausgang    der  Wahl    lieber    dem    äusseren 
Schicksal    als  reiflicher  üeberlegung  anheimstellen.     So  kam 
es,    dass    ein    gewisser  Ennignupus,    ein  Mann    von    voll- 
kommenster und  fleckenloser  Tüchtigkeit,  gezwungen  wurde, 
dieses  so  beschwerliche  Amt  auf  seine  Schultern  zu  nehmen. 
Als    er    die    ihm  durchs  Los   beschiedene  Herrschaft  antrat, 
hatte    er    ebenso   sehr  für    das    Allgemeinwohl    wie    für    die 
467  Jugenderziehung  des  Königs  im  besondern  zu  sorgen.   Daher 
weisen  ihm  auch  einige,    die   mit  der  Geschichte   za   wenig 
vertraut  sind,  einen  Platz  mitten  in  den  Königsverzeichni^iseii 
an  ^).    Als  Kanutus  nun  die  Jugendjahre   hinter    sich    hattcr 
und  zum  Manne  herangewachsen  war,  entfernte  *)  er  die,  von 
denen  er  die  Wohlthat    der  Erziehung  genossen  hatte.     Aus 
einem  fast  hofl^nuugsloseu  Jüngling  ward   er  dann   ein  Mann 
von  unerwarteter  Tüchtigkeit;  nur  aus  dem  einen  Grunde  ist  er 
zu  beklagen,  dass  er  ohne  den  Segen  des  christlichen  Glaubens 
aus  dem  Leben  geschieden  ist. 

Dann  ging  die  Hersschaft  bald  auf  seinen  Sohn  Frotha 
über*).    Dieser  ereichte  in  seinem  Glücke,  das  noch  in  zahl- 


*)  lieber  diesen  Kanutus  (I)än.  Knud  =  Knoten)  berichten  die  ver- 
schiedenen Quollen  sehr  widersprechend  und  unj^enau,  sodass  man  zu 
keiner  bestimmten  Sicherheit    über   ihn  kommen    kann.     (Müller  II,    274). 

')  Derartijje  Könipsverzoichnisse  sind  uns  bis  heute  erhalten ;  sie 
sind  gesammelt    und   horausjfopeben    im    1.  Bd.   der    Script.   Rer.    I>mnic. 

•)  Der  Ausdruck  ist  auch  im  Lateinischen  unbestimmt  und  zwei- 
deutig: amovere  kann  ebenso  gut  heissen  bei  Seite  schieben  wie  umbringen. 

*)  Die  Mohrzahl  der  (Quellen  berichtet  in  ziendicher  Uebereinstimmoni^ 
dasselbe  wie  Saxo  über  diesen  Frotho ;  nur  die  Angelsachsen  schweigen, 
was    denn  doch  seine  Taufe  in  England   als  zweifelhaft   erscheinen    lasst. 


Kanutus.     Frotho  VI.     Gormo  IL  499 

reichen  Kriegen  erhöht  wurde,  einen  solchen  Erfolg,  dass  er 
die  einst  von  den  Dänen  abgefallenen  Provinzen  wieder  unter 
das  frohere  Joch  beugte  und  sie  zum  alten  Gehorsam  zwang. 
Er  Hess  sich  auch  selbst  in  Anglien,  das  schon  längst  das  gig 
Christentum  kannte,  feierlich  taufen.  Da  er  übrigens  wünschte, 
die  Allgemeinheit  an  seinem  eigenen  Heil  Anteil  nehmen  zu 
lassen,  bat  er  Agapitus,  der  damals  auf  dem  heiligen 
Stuhle  in  Rom  sass  ^),  Dänemark  in  der  göttlichen  Lehre 
unterweisen  zu  lassen.  Ehe  ihm  aber  dieser  Wunsch  erfüllt 
wurde,  verschied  er,  denn  sein  Tod  trat  kurz  vor  der  Ankunft 
der  römischen  Gesandtschaft  ein.  Er  hatte  mehr  beabsichtigt 
als  erreicht;  aber  von  der  himmlischen  Wiedervergeltung  hat 
er  gewiss  für  den  Vorsatz  seiner  Frömmigkeit  ebenso  hohen 
Lohn  erhalten,  als  anderen  für  die  That  selbst  gewährt  wird. 

Sein  Sohn  Gormo*),  der,  weil  er  in  England  geboren  468 
war,  den  Beinamen  „der  Engländer"  erhielt,  erlangte  zwar 
nach  seines  Vaters  Tode  auf  der  Insel  den  Besitz  der  könig- 
lichen Burg');  aber  sein  Glück  dauerte  nicht  lange,  obwohl 
es  schnell  eingetreten  war.  Während  er  nämlich  aus  England 
nach  Dänemark  ging,  um  dort  Ordnung  zu  schaffen,  erfuhr 
er  einen  grossen  Verlust  für  die  kleine  Zeit  seiner  Entfernung. 
Denn  die  Engländer  meinten,  dass  Schicksal  ihrer  Freiheit 
entscheide  sich  in  seiner  Abwesenheit,  fielen  offenkundig  von 
den  Dänen  ab  und  gewannen  sehr  rasch  volles  Zutrauen  zu 
ihrem  Aufruhr.  Doch  je  gehässiger  sich  England  von  ihm 
lossagte,  um  so  treuer  hielt  Dänemark  zu  ihm.  Während  er 
also  seine  herrschsüchtige  Hand  so  nach  beiden  Gebieten 
ausstreckte,  bemächtigte  er  sich  zwar  des  einen;  die  Herrschaft 
über  das  andere  aber  verlor  er  unwiederbringlich,  und  er 
wagte  auch  nie  eine  kühne  That,  um  sie  wieder  zu  gewinnen. 
So  schwer  ist  es,  übergrosse  Reiche  zusammen  zu  halten. 


' )  Agapetus  11.     (946—955). 

')  Dieser  Gorm  wird  nur  von  dänischen  und  angelsächsischen  Quellen 
genannt;  die  isländischen  und  deutschen  kennen  ihn  nicht. 

*)  Lat. :  Regiam  adeptus  est  arcem ;  nach  Stephanius  ist  dies  eine 
dem  Valcrius  Maximus  entlehnte  Umschreibung  für  den  allgemeinen  Aus- 
druck: „er  bemächtigte  sich  der  Herrschaft**. 

32* 


500  Neuotes  Buch. 

Nach  ihm  wurde  sein  Sohn  Haraldus^)  Herrscher  v*il 
Dänemark.  An  ihn  ist  aber  bei  der  Nachwelt  nur  eine  ziem- 
lich dunkle  Erinnerung  bewahrt,  und  für  ihn  giebt  ea  keine 
Gedächtnismäler  hervorragender  Thaten;  denn  er  war  mehr 
Erhalter  als  Mehrer  der  königlichen  Macht. 

Nach  ihm  bestieg  Gormo*)  den  Thron;  er  war  imm»-: 
voller  Hass  gegen  die  Religion  und  immer  gewillt,  jegliche 
Rücksicht  auf  die  Christen,  als  ob  sie  die  schlimmsten  Men2»cht:ii 
wären,  aufzuheben.  Alle  Anhänger  dieses  Glaubens  quältr 
er,  so  viel  er  nur  konnte,  durch  die  verschiedensten  Unbildru 
und  ruhte  nicht,  sie  mit  verleumderischen  Beschuldigungen  zw 
verfolgen.  Ja  er  zerstörte  sogar,  um  den  alten  Götzendien^* 
wieder  herzustellen,  die  auf  Schleswigschem  Gebiete  von  d^i 
Mönchen  erbauten  Kirchen  bis  auf  die  untersten  Grundmaaeni. 
und  so  bestrafte  er  die,  denen  er  keine  Martern  bereit^: 
hatte,  mit  der  Niederreissuug  des  heiligen  Gebäudes.     Obwi»b. 

469  er  als  ein  Mann  von  recht  bedeutender  Grösse  galt,  eutspra«' 
sein  Charakter  wenig  seinem  Körper*).  Denn  er  schränkir 
sich,  zufrieden  mit  seiner  Macht,  so  ein,  dass  er  sich  mehr 
darüber  freute,  sein  Ansehen  zu  bewahren  als  es  zu  vergrösseru. 

810  dass  er  es  für  vorteilhafter  hielt,  seinen  eigenen  Besitz  zu 
schützen  als  in  fremden  einzufallen,  dass  er  mehr  auf  di-i 
Hütung  des  Erworbenen  als  auf  Neuerwerbungen  bedacht  war. 
Als  er  von  den  Ältesten  ermahnt  wurde,  sich  zu  vermählen, 
warb  er  um  Thira,  die  Tochter  des  Königs  Hedelradus^ 
von  England.  Da  sich  diese  nun  durch  Ernst  und  Umsicht 
vor  anderen  Frauen  auszeichnete,  erlegte  sie  ihrem  Freier 
eine  Bedingung  auf  und  sagte,  sie  würde  ihn  nicht  eher  hri- 


^)  Die  wenigen  Quellen,  die  ihn  überhaupt  kennen,  nennen  ihn  au«  h 
nur  als  den  Vater  Gornia. 

')  Die  Korivhte  der  übripo»  Quellen  (s.  Müller  II,  279)  stimmen  hl 
>vesentliohoii  mit  dem  Saxos  übereiti;  man  setzt  seine  Regierun^^v:* 
zwischen  81H)  und  i^3H. 

')  Kr  führt  nach  manchen  Quellen  den  Beinamen  Loghe  d.  i.  d* : 
Faule. 

*)  Einer  der  historischeu  Könige  Ethelred  kann  dies  nickt  aei-  ; 
der  erste  diese»  Namens  hernjchte  8ti4» — 71,  der  zweite  978 — 1016.  D.» 
J^Äjje  tritt  aUo  hier  wieder  iu  ihre  Rechte. 


Hcraldns.     Gormo  III.  and  Thira.  501 

raten,  als  bis  sie  Dänemark  als  Mitgift  erhalten  hätte.  Dieser 
Vertrag  wurde  nun  geschlossen,  und  sie  verlobte  sich  nun 
mit  Gormo.  In  der  Nacht  aber,  als  sie  zum  ersten  Mal  das 
Ehebett  bestieg,  bat  sie  inständig  ihren  Gemahl,  er  möge  sie 
drei  Tage  unberührt  lassen;  denn  sie  wollte  sich  nicht  eher 
dem  Liebesgenuss  hingeben,  als  bis  sie  im  Schlafe  durch  irgend 
ein  Zeichen  erfahren  hätte,  dass  ihre  Ehe  fruchtbar  sein 
würde ^).  So  schob  sie  die  Ausübung  ihrer  ehelichen  Pflicht 
unter  dem  Scheine  der  Enthaltsamkeit  auf,  indem  sie  ihren 
Wunsch,  ihre  Nachkommenschaft  kennen  zu  lernen,  durch 
äusserliche  Schamhaftigkeit  beschönigte,  und  sie  verzögerte 
den  wollüstigen  V^erkehr,  indem  sie  unter  dem  Scheine  der  470 
Ehrbarkeit  sich  nach  dem  Schicksal  ihrer  Kinder  erkundigte. 
Andere  vermuten,  sie  habe  sich  den  Freuden  des  Ehebettes 
entzogen,  um  durch  ihre  Enthaltsamkeit  ihren  Bettgenossen 
für  das  Christentum  zu  gewinnen.  Wie  sehr  sich  aber  auch 
der  Jüngling  in  flammender  Begier  nach  ihrer  Liebe  sehnen 
mochte,  er  zog  es  doch  vor,  ihrer  Keuschheit  und  nicht  seiner 
Lust  nachzugeben,  und  er  hielt  es  für  rühmlicher,  seiner 
nächtlichen  Erregung  zu  gebieten,  als  den  Wunsch  seiner 
Geliebten,  den  sie  unter Thränen  aussprach,  zurückzuweisen; 
denn  er  meinte,  ihre  wohlberechnete  Bitte  rühre  von  ihrer 
Schamhaftigkeit  her.  So  kam  es  nun,  dass  er,  der  die  Pflichten 
des  Ehemanns  hätte  ausüben  müssen,  zum  Hüter  ihrer  Keusch- 
heit wurde ,  damit  er  nicht  gleich  bei  Beginn  der  Ehe  von 
dem  Vorwurfe  wollüstiger  Gesinnung  getrofl^en  werde,  als  ob 
er  mehr  der  Macht  der  Leidenschaft  als  seiner  eigenen  Selbst- 
achtung nachgegeben  hätte.  Damit  es  übrigens  nicht  scheinen 
sollte,  als  wollte  er  den  von  der  Jungfrau  nicht  gewünschten 
Liebesgenuss  durch  eine  leidenschaftliche  Umarmung  erzwingen, 
hielt  er  sich  nicht  nur  von  einer  Berührung  mit  ihr  fern, 
sondern  er  trennte  sich  auch  von  ihr  durch  ein  blosses  Schwert^) ; 
80  machte    er    aus  dem   gemeinsamen  Bette  ein  gesondertes 


*)  Dasselbe  wird  von  einer  nur  den  Isländern  bekannten  (remahlin 
Ragnars  LoÖbrok  (Aslaug)  erzählt;  Fornald.  Sog.  L  250,  Kap.  5. 

*)  Dieser  Zug  kehrt  öfter  in  der  Sage  wieder:  vgl.  die  Oeschichte 
Sigfrids  und  Brunhilds  und  manche  Märchen. 


502  Neuntes  Buch. 

Lager  für  sich  und  seine  Gattin.  Aber  er  genoss  die  Freudpri. 
die  er  sich  in  freiwilliger  Liebenswürdigkeit  vorbehielt,  soglei«  j 
in  Gestalt  eines  frohen  Traumes^).  Denn  als  er  eingeschlafr-ij 
war,  träumte  ihm,  dass  zwei  Vögel  aus  dem  Schosse  seiner 
Gattin  hervorkämen,  einer  grösser  als  der  andere,  dass  >ir 
sich  hoch  in  die  Luft  emporschwangen  und  in  jähem  FIul:^ 
zum  Himmel  hinan  strebten,  dass  sie  aber  nach  kurzer  Z^-ir 

471  zurückkehrten  und  sich  ihm  jeder  auf  eine  Hand  »etzt^-ii 
Durch  geringe  Ruhe  erquickt,  hätten  sie  sich  dann  zuil 
zweiten   und  dritten  Male  mit  ausgebreiteten  Schwingen   d»-r 

$20  Luft  anvertraut,  und  endlich  sei  der  kleinere  von  ihnen  nii* 
blutbefleckten  Federn  ohne  seinen  Gefährten  zu  ihm  zurück- 
gekehrt. Bestürzt  über  diese  Erscheinung,  stiess  er  im  Schlaf»-. 
wie  er  war,  einen  lauten  Seufzer  aus,  der  sein  Staunen  an- 
deutete, und  er  erfüllte  das  ganze  Haus  mit  seinem  unruhigt-r. 
Geschrei.  Als  er  nun  auf  die  Frage  seiner  Diener  seinei. 
Traum  erzählte,  gab  Thira  in  der  Hoffnung,  sie  werde  mi* 
Nachkommenschaft  beglückt  werden,  den  Vorsatz,  ihr.- 
Vermählung  aufzuschieben,  auf,  und  opferte  gar  gern  ihr»- 
Keuschheit,  für  die  sie  vorher  so  eifrig  gebeten  hatte.  IndeiL 
sie  die  Jungfräulichkeit  der  Liebe  überantwortete,  gab  si»- 
ihrem  Gatten  willig  die  Erlaubnis,  sich  ihrer  zu  bemächtigen, 
und  sie  glich  ihre  frühere  tugeudsame  Enthaltsamkeit  jetzt 
durch  ihre  Befriedigung  an  dem  nun  gestatteten  Verkehr  aus. 
Zugleich  sagte  sie  zu  ihm,  sie  würde  sich  überhaupt  nirht 
mit  ihm  vermählt  haben,  wenn  sie  nicht  aus  seinem  Traum- 
bilde, das  er  erzählte,  die  Gewissheit  ihrer  Fruchtbarkeit 
entnommen  hätte.  So  verwandelte  sich  nach  einem  eben>«* 
schlauen  wie  ungewöhnlichen  Plane  ihre  vorgebliche  Schani- 
haftigkeit  in  das  offene  Bekenntnis  ihres  Wunsches  nach 
Nachkommenschaft.  Und  das  Schicksal  täuschte  ihre  Hoffnuni: 
nicht.  Denn  in  kurzer  Zeit  wurde  sie  glückliclie  Mutter  zweier 
Söhne,  Haraldus  und  Kiuiutus  *^).     Als  diese  das  Manue>- 

')  Vyl.  1.  S.  53  Amn.  4. 

^)  fluraldus  ist  dor  spätere  Köiii^  (luniUl  liliui/.ahn  (däii.  Hlaatan«! . 
l»3<>-n8<)),  dessen  (.Jeschichte  der  Anlanvr  des  X.  Hiu*h<s  erzählt.  —  Vom 
Knnutus  wird  das  Nähere  sogleich   l»erielitet. 


Gormos  Traum;  seine  Söhne.  503 

alter  erreicht  hatten,  gingen  sie  mit  einer  Flotte  in  See  und 
bändigten  die  wieder  entzugelte  Frechheit  der  Slaven.  Aber 
auch  England  verschonten  sie  nicht  mit  einem  solchen  Einfalle. 
Hedelradus,  voller  Freude  über  ihre  Veranlagung,  betrach- 
tete die  Gewaltthat  seiner  Neffen  an  ihm  als  ein  Vergnügen 
und  bezeichnete  die  schauerlichste  Ungerechtigkeit  als  eine 
grosse  Wohlthat.  Denn  er  legte  viel  mehr  Gewicht  auf  ihre 
Tapferkeit  als  auf  ihre  verwandtschaftliche  Liebe.  Daher  hielt 
er  es  auch  für  besser,  wenn  er  feindlich  von  ihnen  angegriffen 
werde,  als  wenn  sie  ihn  als  Feiglinge  verehrten,  gleich  als 
ob  er  schon  in  dieser  Veranlagung  zur  Tapferkeit  eine  Gewähr 
für  ihre  zukünftige  Mannhaftigkeit  erblicken  könnte.  Er 
konnte  ja  nicht  zweifeln,  dass  sie  auch  fremde  Reiche  angreifen 
würden,  da  sie  ja  so  kühnlich  ihr  Mutterland  verlangten. 
Er  schätzte  aber  ihre  Ungerechtigkeit  um  so  viel  höher  als 
ihre  wirklichen  Pflichten,  dass  er  ihnen  mit  Uebergehung  seiner 
Tochter  England  in  seinem  Testament  vermachte,  ohne  Bedenken  472 
zu  tragen,  seine  Eigenschaft  als  Gross vater  der  als  Vater 
vorzuziehen^).  Und  er  handelte  nicht  unklug  damit;  denn  er 
wusste,  dass  die  Ausübung  der  Herrschaft  mit  mehrRecht  Männern 
als  Frauen  zukomme,  und  er  glaubte  doch  einen  Unterschied 
in  der  Beurteilung  seiner  unkriegerischen  Tochter  und  seiner 
tapferen  Enkel  machen  zu  müssen.  So  kam  es,  dass  Thira 
ihre  Söhne  als  Erben  der  Güter  ihres  Vaters  sah,  ohne  dabei 
jedoch  ihre  eigene  Enterbung  unangenehm  zu  empfinden.  Ja 
sie  hoffte,  dass  ihr  diese  Bevorzugung  mehr  Ehre  als  Schmach 
einbringen  werde.  Jene  selbst  bereicherten  sich  nun  durch 
<len  Gewinn  aus  zahlreichen  Raubzügen  und  richteten  dann 
voll  Zuversicht  ihre  Hoffnungen  auf  Irland,  um  darnach  ihre 
Hände  auszustrecken.  Während  der  Belagerung  von  Duf  lina, 
der  Hauptstadt  der  Provinz,  drang  der  König  von  Irland  mit 
einigen  wenigen  geschickten  Bogenschützen  in  einen  Wald  dicht  821 
vor  der  Stadt  ein,  umzingelte  Kanutus,  der  mit  einer  Schar 

*)  Diese  ganze  Erzählung  von  dem  Verhältnis  Ethelreds  zu  seinen 
Knkcln  und  besonders  auch  die  Testamentsgeschichte  klingt  sehr  sagenhaft; 
trleich  am  Anfange  des  X.  Buches  berichtet  übrigens  Saxo  auch  von  einem 
Sohne  Ethelreds,  Namens  Ethelstan. 


504  Neuntes  Buch. 

Soldaten  nächtlichen  Spielen  zusah,  hinterlistig  und  saiuit'- 
von  ferne  einen  verderbenbringenden  Pfeil  auf  ihn  ab,  welch-r 
den  König  vorn  in  die  Brust  traf  und  ihm  eine  tödliche  Wiiud-f 
schlugt).  Da  aber  Kanutus  fürchtete,  die  Feinde  würdt-n 
seinen  Fall  mit  ausgelassener  Freude  begrüssen,  wollte  t-r 
das  Schicksal  von  seinem  Untergange  verheimlicht  wis^^^n 
und  gebot  daher,  indem  seine  Stimme  noch  die  letzten  Atem- 
züge benutzte,  die  Spiele  sollten  ungestört  zu  Ende  geführt 
werden.  Durch  diesen  Kunstgriff  verschaffte  er  den  Dänen 
eher  den  Sieg  über  Irland,  als  den  Irländern  sein  Tod  bekannt 
wurde.  Wer  aber  sollte  den  Hingang  eines  solchen  MaDn«r^ 
473  nicht  beklagen,  dessen  Selbstbeherrschung  seinen  Kriegern  d^-n 
Sieg  verlieh  und  zwar  infolge  seiner  Klugheit,  die  länger  fort- 
wirkte als  sein  Leben?  Denn  die  Lage  der  Dänen  war  bereit> 
äusserst  verhängnisvoll  geworden,  und  fast  drohte  schon  die 
Not  der  Verzweiflung;  aber  weil  man  dem  Befehl  des  ster- 
benden Fürsten  gehorchte,  besiegte  man  rasch  die,  welch-* 
man  fürchtete.  Zu  dieser  Zeit  hatte  Gormo  die  äusserst^ 
Grenze  des  Greisenalters  erreicht.  Er  hatte  schon  eine 
gewaltige  Reihe  von  Jahren  blind  verlebt,  da  er  eben  das 
Dasein  bis  zum  letzten  Ende  menschlichen  Lebens  überhaupt 
geniessen  durfte;  aber  er  war  immer  mehr  besorgt  für  da> 
Leben  und  Wohl  seiner  Söhne  als  für  den  noch  bleibenden 
Rest  seiner  eigenen  Tage.  Seine  Liebe  zu  seinem  ältesten 
Sohn  war  so  gross,  dass  er  schwur,  er  werde  denjenigen  töten, 
der  ihm  zuerst  dessen  Tod  verkünde.  Als  nun  Thira  zwei- 
fellos sichere  Kunde  von  seinem  Hingange  erhalten  hatte  und 
niemand  dieselbe  Gormo  offen  mitzuteilen  wagte,  nahm  sie 
zur  List  ihre  Zuflucht  und  machte  ihm  seinen  Fall  durch  Thaten 
klar,  da  sie  davon  zu  sprechen  sich  scheute^).   Sie  zog  nämlich 

*)  Die  Olafssaga  Tn'gg\'asonar  erzählt,  er  sei  beim  Schwimmen  irj 
Meero  von  den  Feinden  erschossen  worden;  dabei  sind  die  bei  einer  Bolacf- 
rung  allerdings  etwas  merkwürdigen  nächtlichen  Spiele  glücklich  Umgang«^!. 

•)  In  derselben  Sage  fugt  Thira  zu  den  äusseren  Trauereeichf  . 
auf  des  Königs  besorgte  Frage  noch  eine  Erzählung  in  GleichDisfonTi. 
die  sich  auf  (-rorms  Traum  in  der  Hochzeitsnacht  bezieht.  —  Müller  mach: 
auf  eine  Parallele  zu  dieser  List  Thiras  aufmerksam,  die  sich  bei  Paulos 
Diaconus  I,  20  (ed.  Waitz  1878  S.  H7)  findet. 


Kanutus'  und  Gormos  Tod.  505 

ihrem  Gemahl  die  königlichen  Kleider  aus,  legte  ihm  schwarze 
Gewänder  an  und  brachte  auch  noch  andere  Zeichen  des 
Schmerzes  hervor,  durch  welche  sie  den  Grund  zur  Trauer 
andeuten  wollte;  denn  so  pflegten  die  Alten  bei  Todesfällen 
zu  verfahren,  um  durch  die  Art  der  Kleidung  schon  die  Bitter- 
keit ihres  Schmerzes  zu  bezeugen.  Da  sagte  Gormo:  Wehe 
mir,  verkündest  du  mir  Kanutus'  Schicksal?  —  Thira  er- 
widerte: Du  selbst  sprachst  diese  Thatsache  aus,  nicht  wir!  — 
Durch  dieses  Wort  brachte  sie  ihrem  Manne  den  Tod,  sich 
selbst  aber  das  Los  der  Witwenschaft,  und  zu  derselben  Zeit 
musste  sie  Sohn  und  Gatten  beklagen.  Während  sie  also  474 
ihrem  Gemahl  das  Schicksal  ihres  Kindes  eröffnete,  vereinigte 
sie  beide  im  Grabe.  Zwei  Lieben  beweinte  sie  zugleich  bei 
der  Leichenfeier,  in  dem  einen  den  Gatten,  in  dem  andern 
den  Sohn;  und  doch  hätte  sie  gerade  in  jenem  Augenblick 
mehr  durch  Trost  gestärkt  als  durch  Leiden  nieder  gebeugt 
werden  sollen. 

Ende  des  neunten  Buches. 


Systematisches  Sachverzeichnis, 


das  in  knappster  Form  einen  zusammenfassenden  Ueberblick  über  den 
reichen  Inhalt  an  volkskundlich-kulturgeschichtlichen  Ueberlieferungen  bei 
Sazo  geben  solP). 

I.  WohnungSTerhftltnlsse;  wirtschaftliche  Knltiir. 

Geographische  Abgrenzung  und  Beschreibung  einzelner  Stämme  und 
Gaue  s.  Vorr.  7  ff.  u.  Namenverzeichnis. 

Haus.  Am  häufigsten  wird  die  grosse  Halle  des  Fürsten  genannt 
z.  B.  23,  *154,  IHO  u.  ö.;  genaue  Beschreibung  268,  269.  Doppelflügeliges 
Thor  und  Vorbau  mit  Schutzdach  167. 

Jungfrauengemach  195. 

Schlafgemach  146,  154,  313,  Bett  147. 

Kloake  147,  148,  161. 
Wirtschaftliche  Thätigkeit. 

Ackerbau  8.  Fruchtbarkeit  Seelands  8. 

Fischerei  7,  8.  Schifffahrt  (und  -bau)  211,  310,  406,  447. 

Viehzucht  (Renntier)  112. 

Hochschätzung  der  Landwirtschaft   und  des  Bauernstandes  317;    im 

Gegensatz  zum  Handel  und  dem  Kaufmannsstande  204. 

Umschwung  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse  in  Dänemark  444,  445. 
Gesinde:     Sklaven  20,  66,  151,  195,  309.     Kammerdiener  96.     Kammer- 
mädchen  127.     Bedingte  Freilassung  20.     Freigelassene  82.     Bück- 

sichtslose  Behandlung  339. 

Tl.  Nahrung. 
n)  Ksson:     Im  allgemeinen  s.  321  ff,  329  ff. 

Utnnässigkoit  und  Völlerei  gilt  als  Schande  303,  321. 

Massigkeit  und  Anspruchslosigkeit  wird  gepriesen  321. 

Unnnnel-  und  Schweinebraten  sind  in  ältester  Zeit  am  beliebtesten  330. 

^)  Kür  die  Anonlnung  waren  namentlich  massgebend:  G.  L.  Gomme« 
The  llamlboolc  of  Folklore,  London  1890.  —  O.  Jiriczek,  Anleitung  zur 
Mitiuboit  an  volkskuiulliohon  S«unnlunjjon,  Brunn  1894  und  die  treffliche 
l't^btM'sirht  von  HolVm;n\n-Krrt\or  m  orston  Bande  des  „Schweizerischen 
Archi\s  für  Volkskinulo.-     y.uvw\\   ISM7,     (S.  2  ff.). 


Systematisches  Sachverzeichnis»  507 

Der  Steiss  der  Vögel  wird  nicht  gegessen  330. 
Fleisch  wird  entweder  gekocht  oder  gebraten  321,  322,  829. 
Würste  322.     Rübchen,  Austern  329.     Geflügel  330. 
Pferde-  u.  Hundefleisch  wird  nicht  gegessen  43. 

b)  Trinken.     Getränke:  Bier  51,  331.    Meth  331.     Gewürzter  Wein  und 
verschiedene  andere  Getränke  2H9. 

üeberraässiges  Zechen  ist  besonders  bei  den  Dänen  allgemeiner  Brauch 
und  nicht  anstössig  27,  77,  94,  107,  153,  267,  269. 

in.  Tracht,  Schmuck,  Waffen. 

a)  Kleidungsstücke   aufgezählt   307.      Hemd,    das    nur    bis    unter    die 

Achseln  reicht,  389.     Purpurmantel  385. 

Haar  (und  Bart)  lang  und  offen  getragen  55,  385,  471;    rasiert  (bei 

den  Hibernern)  270.     Haarpfeil  und  Kamm  56.     Kopfbinde  385. 

b)  Schmuckstücke  (Ringe,  Spangen.  Ketten)  38,  46,  88,   96,  126,  134 

196,  307. 

Goldgestickte  Sitzkissen  79,  469.     Kostbare  Teppiche  468. 

Unterschied  der  Tracht  bei  Freien  und  Unfreien   152. 

c)  Waffen   (Schwert,  Speer,  Helm,  Brünne,  Schild)  passlm.     Aufzählung 

96,  402. 

Zweihänder  40.     Krummes  Schwert  41,  kurzes  Schwert  41. 

Streitaxt,  Beil  98.     Wurfspeer  mit  Riemen  41,  473. 

Schild  mit  Stierfell  bezogen  58.  Prunkschilde  160, 161.  Halteriemen  105. 

Keule  116.     Kostbare  Ausrüstung  188,  189. 

IT»  Beschftftigrangr* 

ä)  Krieg,  Kampf,  Wikingertum  passim.     Jagd,  Heilkunst. 

Frauen  im  Kampfe  63,  140,  190,  259,  357,  359,  363,  384,  403,  471. 

Fechter  von  Beruf  »0,  184,  204,  375,  377,  384,  438,  439. 

Jagd  248,  259,  264,  420. 

Heilkunst  27,  127,  128,  317,  342,  475. 

Beschäftigungslosigkeit  infolge  langen  Friedens  führt  zu  Verfall  und 

Zügellosigkeit  195,  200,  201. 

b)  Handwerke: 

Schmiedehandwerk  38,  126,  203.     Salzsieder  282. 
Bäckerei  150. 

c)  Beschäftigung  der  Frauen: 

Leitung  des  Hauswesens  430. 

Sorge  für  die  Kleidung  der  Männer  196. 

Weben  149,  268.     Wolle  krempeln  364,  480. 

d)  Beschäftigung  des  Gesindes. 

Hirtendienst  65,  67,  352,  353, 
Dienst  an  der  Mühle  309. 
Füssewasehen  127,  363. 


508  Systematisches  Sachverzeichnis. 

y.  Sitte  und  Braaoh. 

a)  Geburt  und  Jugend. 

Der  Vater  erkennt  das  Kind  an  durch  Aufheben  vom  Boden. 

Drei  Brüder  fuhren  denselben  Namen  194. 

Kinderspielzeug  (Klapper)  31. 

Die  Erziehung  vornehmer  Söhne   durch  Fremde   (Pflegeväter,    Liehr- 

meister)  19,  21,  28,  83,  84,  109,  289,  291. 

Inniges  Verhältnis  zwischen  Zieh-(Milch)ge8chwistern  143 — 145. 

Freundschaft  (Blutbrüderschaft)  34,  259.    Freundestreue   bis   in  den 

Tod  259,  260. 

Ausbildung  in  Leibesübungen:  Fechten  21,  25,  194,  197,  391.     Hing^en 

194.     Schwimmen    109,   197.     Schiessen  109,  205.     Faustkampf  109. 

Steinwerfen,    Springen,    Laufen    205.      Geschicklichkeit    der    linken 

Hand  198. 

Ausbildung  in  3Iusik  und  Dichtkunst  110. 

Mädchen  werden  zuweilen  ganz  abgeschlossen  370,  480. 

Baden  der  Mädchen  22,  110. 

b)  Werbung,  Verlobung,  Ehe. 

Die  Werbung  erfolgt  (bei  Fürsten)  stets  durch  eine   Gesandtschaft 
196  ff.,  290,  427. 

Einmal  wird   das   Werben   durch   einen   andern    als   schimpflüch  be« 
zeichnet  114,   115. 

Bei  abschlägigem  Bescheid  erfolgen  Drohungen  mit  Gewalt  (Heraus- 
forderung zum  Zweikampf)  115,  198,  348,  349,  396. 
Nebenbuhler  kämpfen  um  die  Geliebte  19,  21. 
Das  Mädchen  bewahrt  sittsame  Zurückhaltung  126. 
Nur  berühmte  Freier  sind  willkommen  197. 
Grund  einer  Zurückweisung  ist  zu  grosse  Jugend  126. 
Der  Vater  übcrlässt  oft   der  Tochter   selbst   die  Entscheidung   über 
Annahme  der  Werbung  115,  198,  233. 

Das   Mädchen   wählt    aus    einer   Versammlung  junger   Männer   den 
Bräutigam  46. 

Werbung  der  Frau  um  den  3Iann  30—32,  110,  165. 
Die  V^erlobung  wird  durch  Vertrag  geschlossen  26,  230. 
Der  Vater  besorgt  die  Ausstattung  der  Tochter  199, 
Brautkauf  24.    Hochzeitsgabe  234.    Bruch  des  Verlobungsvertrages  27. 
Die  Ehe  ist  ein  Handelsgeschäft  und  wird  durch  einen  Vertrag  ge^ 
schlössen  2U,  250,  310,  429. 

Vor  der  Ehe   (wenn   auch  nach  der  Verlobung)  ist  geschlechtlicher 
Verkehr  nicht  erlaubt  255,  256. 

Ehe  unter  Verwandton  ist  verboten  304,  unter  Ziehgeschwistero  er- 
laubt 21,  31,  HO. 

Die  Ehe  zwischen  Unebenbürtigen  ist  schimpflich   und  verboten  21, 
31,  46,  54,   65,    115,   116,   152,    163.    165.    195,   232,  235,  304.    316- 


Systematisches  Sachverzeichnis.  509 

849,  350,  481. 

Die  Hochzeit  wird  durch  ein  Gelage  gefeiert  90,  166,  284. 
Brautjungfern  28. 

Nach  dem  Male  werden    die   Brautleute    bis   zur  Thür   des  Schlaf- 
gemaches geleitet  286. 

Ehe-  und  Kinderlosigkeit  gilt  als  Schmach  846. 
Erzwungene  Heirat  375. 

Treue  der  Frau  bis  in  den  Tod  32,  169,  865,  (287). 
Doppelehe  26,  166,  288. 
Ehebruch  201  (verziehen,  ohne  Strafe,  220). 
Kebsweiber  26,  94,  166,  829,  882. 
Unterscheidung  ehelicher  und  unehelicher  Kinder  26. 
Trennung  der  Ehe   26,  280   und  Yerschenkung  der  Frau   an   einen 
andern  Mann  21,  71,  289. 

c)  Tod  und  Begräbnis. 

Blutiger  Tod  wird  dem  Tod  im  Bette  vorgezogen  128,  419. 

Selbstmord  57,  84,  288  (beabsichtigt  227),  der  Frau  aus  Liebe  sum 

Manne  41,  867. 

Begräbnis  beschrieben  41,  128,  182,  140,  249,  411,  412. 

Verbrennung  auf  oder  im  Schiffe  117,  412. 

Beisetzung  der  Asche  118. 

Beigaben:    Kostbarkeiten  412.     Speise   und  Trank  259.    Hund  and 

Pferd  259,  260.     Mitbegraben  eines  Freundes  260. 

Leichenfeier,  -gelage  56,  57,  63,  117,  140,  149,  152,  161,  480,  505. 

Totenopfer  249,  411. 

Grab  Ut  eine  Höhle  259,  260. 

Grabhügel  68,  118,  128,  182,  140,  249,  257,  288,  872.     Inschrift  182. 

Denkmal  259,  872.     Mausoleum  50. 

Einbalsamierung  der  Königsleiche  274. 

Verbrecher  erhalten  kein  Begräbnis  157,  835.     Ihre  Asche   wird  in 

den  Wind  gestreut  157. 

d)  Bräuche  beim  Essen,  Trinken,  Schlafen. 

Gekostete  Speisen  dürfen  nicht  wieder  vorgesetzt  werden  220. 

Das  aus  den  Zähnen  Herausgestocherte  zu  essen  ist  Sklavensitte  152. 

Getrunken   wird    aus   Auerochsenhörnern   269.     Andere  Tafelgeräte 

269,  381. 

Mehrere  Mädchen  schlafen  in  demselben  Bett  481. 

Vornehme  weibliche  Gäste  schlafen  mit  der  Fürsten  tochter  zusammen  864. 

e)  Festlichkeiten. 

Bei  festlichen  Gelegenheiten  wird  geräuchert  268. 

Hergang  beim  Gelage,  Art  und  Stellung  der  Tische  269. 

Rangordnung  220,  282,  819. 

Anlass:    Empfang  von   Gästen   93,   161,    197.     Siegesfeier   79,   107« 

Hochzeits-  und  Totenfeier  siehe  b.  und  c. 


5J0  ^i  i*KTLATj^z^  5*^bTefx^:diiii» 


D%»  0«rtri.'.k  '.%*.  :r.   friL-ra    groue::   Fajw   ao^estellt.    aus   dem    die 

I>a*  iy-h'-'.ic«rr-a'.  Lrl  g€nr~h:il:ch  toi^  Ihesem.  znweileo  auch  TtHi 
d*rrj  Oa«»jf<-S-rr  o  -r  vomehiuec  Pers<;:;ec  aiugeöbt  56,  153,  161.  221. 
Dxer.frr  trag'-r.  '!*•   Mahl  a^f  22»». 

Zur  IVri'f  »er.*  .'./  "  -.'.^r,  Fackeln  acd  Oellampen  268. 
Fra»j<rfi  n*.-hMj<:f.  *   .i  aru  Gelage  197. 

I>a«  Trink^-D  i'>t  a'.e  Hauptsache  221.     Uebermissiges  Zechen  s.  II  b. 
Bettler  uf*<l  rera«'ht*^e  <iäste  werden  mit  Knochen  geworfen  90,  3S4. 
L'ntieb«ame  Artkörnmiinge  werden  mit  Geheul  und  schlechten  Streichen 
empfangen  215.  812. 
t)  Allgemeine  AiiHühauungen. 

Da»  Gantrecht  schützt  28,  162,  219,  384. 

Bruch  de»  GahtrechtM  28. 

Körperliche  Schönheit  ist  mit  vornehmer  Abkunft  rerbanden  67,  354. 

Freigebigkeit  (3Iilde)  als  Tugend  gepnesen  20,  89,  271,  297,  462. 

(ieix  ein  Laster  297. 

Auf  Wahrheit  muss  gehalten  werden,  wenn  auch  nur  äuaserlicfa  144, 

14H. 

Lügen  ist  eine  Hchande  177. 

Kin  Versprechen  darl  nicht  zurückgenommen  werden  186. 

Ehre  und  Freiheit  sind  höhere  Güter  als  das  Leben  226  ff..  344. 

(ielübde  (zu  irgend  einer  That)  173,  174,  204,  205,  279.  Vgl.  VII  d. 

Tl.  Mythologie.    Yolksglanbe. 

o)  Götter. 

Allgomeincs,  GriiterHitz  129,  293.     8.  auch  Xamenverz.  unter  Bizantium. 

Odin  8.  NaincMivor/.    aU    Greis   4.8,   38H,  398,  411,    einäugig   34,   35, 

als  HdHterus  475,  als  l'ggerus  252,   er  reitet  durch  die  Luft  35,  36, 

sein   Mantel   3<i,    sein    Hut    125,    Verehrung   in    Lpsala   37  ff.     8eine 

Abenteuer  mit  Kinda  125  ff.,    seine    Dienste    für    einen    König  125, 

seine  Absetzung  129  ff.     Heine    Söhne   Frogerus,    Balderus,    Bous    s. 

Nttnienverz. 

Frig^'H,  Kri^:g,  Odins  Gemahlin;  Rinda  seine  Geliebte  8.  Namenrerz. 

Th(»r  s.  Namenverz.  seine  Keule  116. 

Frö,  Statthalter  der  (lötter  119.     8.  auch  Namen verz. 

Halderus«  Oiiina  Sohn  s.  o.  ist  unverwundbar  112,  eröffnet  Quellen  118, 

leidet  an  Krsoheimin^on  IIH,  sein  Tod  soll  von  Odin  gerächt  werden  124. 

Mithotvu 


Nftmemerz. 


rilerus,  Huf  KnochtMi  fahrtMul 

Hous, 

Proserpinu  (•--•   Hei) 

Gi^tVssolte  Götter  459. 

Göltor  mischen  sioh  in  die  Kämpfe  der  Menschen  116,  122. 

NVoohetitakjo  naoh  Göttern   benannt  2V3. 


r 


Systematisches  Sachverzeichnis.  511 

b)  Sonstige  überirdische  Wesen. 

Riesen  14,  15,  31,  32,  34,  285  flf.,  292,  299,  352,  353,  450. 

Ein  Held   (Starcatherus)   riesischer  Abkunft  292,  293;    daher  seine 

übernatürliche  Schnelligkeit  312,  319. 

Riese  birgt  sich  in  Tiergestalt  45. 

Waldfrauen,  Walküren  65,  66,  111,  121,  352,  353. 

Waldsatyr  (Zwerg)  112. 

Parcen  (Nornen)  290,  381. 

Furien  98,  346. 

Ungeheuer,  Gespenster  65fif.,  68,  448.     Lamien  454.     Aquili  457. 

Mensch  mit  übermenschlichem  (dreifachem)  Alter  252,  294,  295. 

c)  Das  Jenseits. 

S.  Orkus,  Tartarus  im  Namenverz. 

Besuch  in  der  Unterwelt  und  Schilderung  derselben  47. 
Undensakre  (Unsterblichkeit^acker)  168,  169. 
Treiben  im  Jenseits  452. 

d)  Opfer. 

Trankopfer  39.     Sühnopfer  46.    Tieropfer  46. 
Menschenopfer  119,  295,  846,  448. 

e)  Zauberei. 

Zauberer  und  Zauberinnen  29  (Einteilung),  133  (Magier),  339,  438. 
Zauberei  (allgemeines)  14,  34,  41,   127,   213,  272,  273,    der  Finnen 
und  Biarmier  264,  265,  482,  483. 
Zauberlied  33,  45.     Runenzauber  32,  127. 
Zauberkraft  des  blossen  Wortes  214,  des  Namens  207,  237. 
Bei  Zauberei  muss  Schweigen  herrschen  214,  448. 
Wafifenzauber  (Stumpfmachen  des  Schwertes)  191,  299,  342,  349,  379. 
(Gegenmittel)    191,   299,   349.     (Undurchdringliches   Eisenkleid)   79, 
116,  121,  191. 

Herrschaft  über  Wolken  und  Wetter  49,  204,  482,  483. 
Blendung  204,  265,  342,  343.     Wundererscheinung   beim  Tode  283. 
Feiung  gegen  den  Tod  51,  426.     Neidstange  211. 
Durch  Zauberei  kann  man  die  Götter  erblicken  105. 
Siegverleihender  Gürtel  123. 

Schlangenspeise  als  Stärkungsmahl   121,   123,   205,  206.     Stärkungs- 
trank 35,  91. 

Liebestrank  197—199,  235.     Schutzzauber  gegen  Gift  80. 
Wiederbelebung  Toter  32, 33,  257.  Tote  leben  als  Gespenster  fort  260  ff- 
Zauberer  schaden  noch  nach  ihrem  Tode  39. 

Abhilfe  gegen  Gespenster  (Tote)  durch  Pfählung  der  Leiche  39,  261 
Feuer  als  Schutzmittel  gegen  Dämonen  459. 
Berserker  312,  345—348. 

f)  Wissen  über  die  Zukunft. 

Prophezeiungen  u.  Wahrsager  25,  113,  >32,  284,  478. 


^12  STstemstiscfa««  S^diTcnHclinis. 

VofZfeii^hen  210.  ^1.  437. 

Tnuiiiie  5S,  56.  118.  123,  279,  288.  416.  46L  302. 
(}nke\  289,  290.  383,  396.  4o6. 
^)  VerschiedeneiL 

Olftube,  Schatze  in  der  Erde  za  finden  2*i<>. 

TIL  Be^t. 

a)  Der  Forst 

Königstitel  und  Königswahl  16,  17,  159,  193. 

Vonnundschaftsregierung  193  ff. 

Teilung  der  Herrschaft  338. 

Kitregentschaft  26. 

Wahl  des  Nachfolgers  bei  Lebzeiten  des  Königs  132. 

Unbillige  Vorrechte  des  Königs  201,  S40. 

Fürst  und  Volk;  Treue  des  Gefolgmannes  93,  97,  106,  107,  320,  3S8. 

b)  Gesetzgebung. 

Der  König  sitzt  als  Gesetzgeber  und  Richter  an  erhöhtem  Ort  121 

Gesetze  (mitgeteilt)  20,  82,  84,  242--245,  248—251,  263,  271. 

Notwehr  (Selbstschutz)  erlaubt  232. 

TesUment  3,  351,  503. 
x)  Gericht. 

Prozessvorfahren  477.    Büttel  315.    Folter  151,  491. 

Strafen:  Hängen  23,  38,  42,   152,  161,  241,  354,  365,  366;  neben 

Wölfen  438.     Ersäufen  79.     Steinigen  230.     Schleifen  und  Zerreiaaen 

(Zertreten)  durch  Tiere  434,  435,  436,  437.     Pfählen  23. 

Peitschen  67,  244,  298.    Verbannung  168,  24.    Vermögensentziehung 

244.     Verunglimpfung  der  Leiche  23,  248,  249. 
4)  (Hlut)rache. 

Ausgeübt  26,  28,  30,  37,  84,  91,  107,  119,  124,  131,  132,  180,  185,  439. 

Gegenseitige  Rache  wird  Öfter  gelobt  162,  176,  254. 

Zahlung  von  Wergold  als  Ersatz  der  Rache  178,  331. 

Till.  Krieg  und  Kampf;  Brftnche  dabei. 

ß)  Hergang  beim  Kriege. 

Waffen  8.  III c.     Sonstige  Kriegsgeräte :  Feldzeichen  22.     Fusseisen 

270.     Spanische  Reiter   296.    Hakenstangen   zur   Beschädigung   der 

Sohiffe   118.     Kriegsmaischine   482.     Sichelwagen   410.     Schleader- 

und  Wurfmaschiuen  49,  239,  401.     Festungswerke  36.     Trompeten  72. 

Vorbereitung.      Einberufung   durch   Senden    des   Heerpfeils   244. 

Ort  und  Zoit  der  Sohlacht  werden  vorherbestimmt  403. 

Kampfe  beginnen  im  Frühling,   der  Winter  wird  zu  Vorbereitongea 

vorweiulot  43. 

Jinior  Vortoidi>r»ujrs^krieg  gilt  als  gerecht  231,  232. 

.\ufstellnng  n«oh  moralischen  Eigenschaften  der  Krieger  174^ 

Kcillormijjv  S^'hUchtoninuns:  49,  167,  410,  411. 


Systematiaclie»  Sachverzeichnia.  513 

Stärke  des  Heerei  248,  251,  der  Flotte  252. 
Schildburg  lU. 
Frauen  im  Kampfe  s.  IVa. 
Kriegslisten  sind  sehr  üblich: 

Durch  passiven  Widerstand  wird  der  Feind  yerfiihrt  sich  zu   yer- 
schiessen  72,  113,  114. 

Anbohren  der  feindlichen  Schiffe  52,  61,  70,  208,  224. 
Sonstige,  seltener  wiederholte  Listen  86,  42,  53,  60,  61,  68,  73,  79, 
191,  208—210,  219,  220,  288,  288,  289,  268,  270,  486. 
Hinterlistige  Ueberiälle,  besonders  bei  Gelagen, '50,  79,  93,  131,  133, 
153,  154,  167,  201,  267  ff.,  302,  343,  344,  436. 
Verwundete  werden  auf  Schilden  aus  der  Schlacht  getragen  132. 
Hissen  eines  Schildes  (am  Mäste)  bedeutet  Friede  114,  253. 
Behandlung  der  Gefangenen  (und  Toten)   239,   344,   845,   478,  486, 
491,  492,  494. 

Auslösung  17,  18.    Durch  Aufwiegen  in  Gold  37. 
Statt  allgemeiner  Schlacht  findet  oft  ein  Zweikampf  statt  19,  20,  58, 
133,  258. 
b)  Zweikämpfe. 

Genaue  Beschreibung  des  Zweikampfes  (Holmgangs)  91,  92,  187,  1 88 
Sonstige   Beispiele    79,   81,    90,    135  —  139,   172,   178,    180,    184  ff. 
299-301,  310,  311,  396,  418,  439,  479. 

Zweikampf  auf  dem  £ise  219, 222 ;  bei  Mondschein  850.  Ringkampf  301 . 
Scheltrede  vor  dem  Kampfe  41,  285. 

Weigerung,   eine  Herausforderung  anzunehmen,   ist  schimpflich  169. 
Uneben  bärtige  dürfen  nicht  miteinander  fechten  198,  287,  800. 
Der  Kampf  mohrer  gegen  einen  ist  eine  Schande  179,  184  ff. 
Ungleiche  Einzelkämpfe  (gegen  bedeutende  Uebermacht)  26,  27,  219 
266,  311,  314,  846—849,  396. 

Auch  für  Einzelkämpfe  wird  eine  Frist  vorausbestimmt  219,  221. 
Halslösung  des  Besiegten  (Hölmlausn)  113,  139,  349.     Schonung  des 
Besiegten  114,  256.     Tötung  des  Besiegten  117. 
Schimpfliche  Verwundung  (Klämhögg)  (89),  306,  308,  363,  384. 
Für    Uebernahme    eines   Kampfes    wird   Aufwiegung    in   Gold  ver- 
sprochen 278,  301. 
Der  ursprüngliche  (besiegte)  Feind  wird  zum  Freunde  281, 289, 389, 390. 

IX.  Tolksdlchtiing. 

a)  Lieder,  bei  Saxo  angeführt  I,  21,  25,  27,  31,  33,  35,  40,  41,  43,  45, 
51,  53,  54.  n,  58,  65,  66,  69,  95,  96,  99,  101,  104,  105,  106. 
V,  211—213,  222,  247,  251,  261,  262.  VI,  275.  284—286,  307—310 
325  —  336.  Vn,  347,  352,  353,  361  —  368^  380  —  382,  393,  394] 
Vm,  420—426. 

Erwähnung  von  Liedern  4,  106,  325,  491. 
Hochschätzung  der  Dichtkunst  275,  276,  401. 
Saxo  Grmmmjtticut  83 


514  Systematisches  Sachverzeichnis. 

b)  Inschriften  4,  5,  9,  384,  885. 

c)  Sagen. 

Fast  in  jeder  der  zahlreichen  bei  Saxo  erzählten  Sagen  finden  sich 
Züge  und  Motive,  zu  denen  in  den  Ueberlieferungen  anderer  (germa- 
nischer und  nichtgermanischer)  Völker  Parallelen  begegnen.  Dt 
Vollständigkeit  gerade  in  diesem  Punkte  allzuviel  Raum  in  Anspruch 
nähme  und  überdies  ohne  vergleichende  Behandlung,  die  hier  nicht 
beabsichtigt  ist,  verhältnismässig  geringen  Wert  hatte,  so  stelle  ich 
hier  nur  eine  Auswahl  der  bemerkenswertesten  und  am  häufigstcü 
begegnenden  Typen  zusammen.  (Vgl.  hierzu  York  Powella  „Folklniv 
Index'',  11.  Folk-Tales,  in  Elton's  Saxoübersetzung  S.  XClff.). 

Verkleidung  (und  Verstellung)  22,  27,  32,  63,  125,  127,  349,  350. 
363,  384,  394,  397,  439,  480. 

Frühreife  (körperliche  und  geistige)  des  Helden  19,  21,  30,  109,  11«»^ 
189,  291,  375,  391. 

Erheuchelter  Wahnsinn  141  fif.,  341.     (Probe  142,  143). 
(Bedingte)  Unverletzlichkeit  des  Helden  25,  112,  187,  188,  384. 
Aussergewöhnliche  Standhaftigkeit  87,  91,  101,  103,  314,  315,  487,  504. 
Verirrung  bei  der  Jagd  111,  258. 

Der  böse  Batgeber  (Feindschaftsstifter)  362,  434,  435,  456. 
Wunderbare  Schärfe  des  Auges  299,  391,  395,  414. 
Der  Held  überwindet  allein  eine  ganze  Schar  von  Gegnern  266,  298, 
347,  378.    (Vgl.  auch  Vlllb.  Ungleiche  £inzelkämpfe). 
Drachen  kämpf  59,  289  (zugleich  Hortgewinnung). 
Ein   Mädchen    (Königstochter)    als    Siegesgreis    48,    92,   395,    (35^ 
471—473). 

Der  Held  stellt,  als  er  sich  (allein)  in  eine  Gefahr  begiebt,  eine  Schir 
Getreuer  in  der  Nähe  verborgen  auf;   ein  Hornstosa  ist  das  verab- 
redete Zeichen  zum  Eingreifen  167,  233,  237,  268. 
Tote  werden  als  Lebendige  ausgegeben  25,  167,  191,  192. 
Der  Held  erscheint  zur  rechten  Zeit,  als  seine  Braut  (Gattin)  einen 
andern  heiraten  will  27,  382. 
Der  wandelnde  Wald  370  ^(ähnUch  238,  239). 
Ueberirdische  Wesen  begaben  ein  Kind  bei  der  Geburt  188,  290. 
Gold  auf  den  Strassen  als  Ehrlichkeitsprobe  262,  271. 
Der  unwürdige  Günstling  201. 

Statt  eines  Menschen,  der  getötet  werden  soll,  wird  ein  Kloti  unter- 
geschoben 461  (ähnlich  431). 
Scheinbare  Strafe  (Tötung)  295,  436,  437. 
Ein  Schuldiger  muss  sein  eigenes  Urteil  sprechen  218. 
Keusches  Heilager  501. 
Wunderbare  Schiesskunst  287,  288. 
Ein  Riese  raubt  ein  Königskind  285. 
Versenkung  des  Hortes  64  (ähnlich  183,  Vergraben  eines  Sehwertes). 


Systematiachefl  SachverzeichDia.  515 

Böae  StiefoiDtter  65  (82). 
Schatzspendendes  Kleinod  112. 
Brieffäbchung  149,  163. 
Tönende  Statue  88. 
Königstochter  im  Hügel  373. 
Tragisch  endender  Braderkampf  379,  880. 
Verstehen  der  Tierstimmen  206. 
Gefährliche  Botschaft  als  Mittel  zur  Beseitigung  162. 
Herrsch-  und  ränkesüchtige  Frauen  54,  56,  70,  71,  85,  93. 
Lebensgefahrliche  Werbung  um  ein  Mädchen  162,  856. 
Bestehlen  der  königlichen  Schatzkammer  42. 
Uebeimütige  Räuber  277  ff.,  299,  347,  376. 
Der  Held  bei  Riesen  erzogen  30. 
Schmählicher  Empfang  eines  Helden  215,  319. 
Stumpfheit  des  Helden  in  der  Jugend  170. 

Der  Held  hinterlässt  eine  Spur  im  Felsen,  an  den  er  sich  lehnt,  315 
Der  Held  ist  so  stark  wie  zwölf  Männer  104. 
Unbewusster  Incest  zwischen  Vater  und  Tochter  82. 
Verschiedenartige  Aufnahme  der  Botschaft  vom   Tode  des  Vaters 
durch  seine  Söhne  492. 
Der  Keulenschwinger  342,  347,  378. 
d)  Zur  Erzählungstechnik. 

Wiederholung  eines  beliebten  Zuges  126  (zu  125),  163  (zu  149),  191, 
192  (zu  167),  389,  890  (zu  386),  435  (zu  484). 

X.  Spi6le  und  Uoterhaltnngeii. 

*)  Spiele  erwähnt  63,  66,  492,  nächtliche  Spiele  504. 

Würfelspiel  53,  493.     Skinnleikr  (Tauziehen)  228. 
b)  Wettgespräche  (Streit  um  den  Vorzug)  87,   194,   216,   222,  361,  462. 

Standhaftigkeitsprobe  87. 
«)  Niederlegen  Yon  Pfändern  222,  245. 
d)  (Grausame  Vergnügungen  200,  201. 

XI.  Kunst,  Musik,  Tanz. 

a)  Für  Kunst  s.  auch  ULb  u.  IV b  Schmiedehandwerk. 

Goldene  Statue  Odins  87.    Mausoleum  50. 
Goldschmiedekunst  126,  160,  161,  404. 

b)  Musik  und  Bühnenkunst. 

Musik  110,  122.    Flötenbläser  324. 
Spielleute,  Schauspieler,  Gaukler  141,  297. 
Instrumente  72,  110. 

c)  Tänze.     Siegestänze  135,  186.     Kriegstanz  801. 

Xn.  Yolkswiti  and  -welsheil. 

jb)  Witzige  und  doppelsinnige  Reden  93,  143—145,  153,  176,  177,  221 
340,  441,  463. 

33* 


516  Systematischefl  SaehyenseiehDU. 

Jßätselfltreit  216  ff. 
b)  Sprichwörter  22,  23,  55,  68,  71,  96,  97,  178,   180,  202,   203,  206, 
207,  211—213,  215,  218—220,  223,  224,  231,  234,  240,   246—249, 
257,  305,  330,  336,  376,  458,  463,  469. 

Xm.  Namen. 

Brauch  bei  der  NameDgebting  (Na&festr)  92,  203. 

Eigennamen.     8.  Namenverz. 

Beinamen  52,  81,  84,  92,  103,  136,  186, 187, 189, 195,  203,  233,  240, 

254,  287,  290,  291,  343,  370,  371,  377,  385,  390,  397,  401—405. 

ErUärung  (Ursprung)  von  Namen  17,  21,  71, 117,  120,  170,  187,  190, 

257,  282,  283,  301,  362,  367,  368,  389,  396,  474,  476,  479,  488. 

Name  symbolisch  aufgefasst  240. 
Tiernamen. 

Löwe  85,  51.     Bär  19,  91,  471.     Wolf  51,   58,   54,   143,   160,   202. 

212,  215,  217,  263,  339,  433.     Wölfin  335. 

Fuchs  463,  469.     Eber  (Keiler)  492.    Seekuh  273.    Seekalb  273. 

Hirsch  100,  102.    Renntier  112. 

Pferd   85,  36,  65,  143,  214,  252,  268,  277-280,  336,  892,  437,  463. 

Stute  147,  273,  308.     Füllen  221.    Esel  252. 

Rind  45,  210,  219,  472.    Bock  333.     Ziege  852,  353.     Lamm  338. 

Schwein  77,  147,  148,  150,  161,  202,  329. 

Hund  43,  215,  252,   259,   261,   278,   374,  392,   394,   434,   437,   471. 

Jagdhund  248.    Bluthund  287. 

Raubvögel  212.     Adler  106,  202,  213,  494.     Habicht  437. 

Uhu  54,  212.     Nachteule  212.    Rabe  106,  212. 

Schwan  54,  284.     Hahn  47,  145,  211,  330.     Taucher  51. 

Schwalbe  191. 

Delphin  217.     Auster  329. 

Schlange  (Otter,  Natter)  58,  123,  205,  206,  356,  472,  473,  49l. 

Biene  151.     Bremse  144,  146,  160.     Flöhe  305,  314. 
Pflanzennamen. 

Fichte  219.     Kornelholz  459.     Getreide  150.     Schierling  47. 

Rübchen  329.     Wurzeln  259.    Schwämme  36,  48,  191,  259. 
Schwertnamen.     91,  102,  103,  183,  186,  379,  396. 

Hundename  339.     Schiffsname  203. 

XIY.  yerschiedenes« 

a)  Anthropologische  und  nationale  Beobachtungen  81,  85,  92,  120,  253.  — 

1,  204,  476. 

b)  Naturempfinden  138,  140,  163. 

c)  Wankelmut  der  Frauen  (Saxos  Ansicht)  18,  19,  21,  27,  28,  170,  187,  199. 


Namenverzeichnis. 


In  eckigen  Klammern  sind  neben  den  im  Text  gebrauchten  Formen 
noch  die  übrigen  bei  Saxo  vorkommenden  beigefügt. 


A. 

Aaland   [Halica  provincia]  YIII 

408. 
Ab»alon  Vorr.  1,  15,  VII  369. 
Aeolns  I  45. 

Africanus  (Scipio)  VI  276. 
AgapituB  (II.)  IX  499. 
Agdarnes  VI  288. 
Aggi  VIII  401. 
Aggi  VIII  408. 
Aggo  (Vormund  Frothoß  III.)  V 

193. 
Aggo  (Sohn  der  Gambaruc)  VIII 

443. 
AgneruB   [Agner]  (Sohn   des  In- 

gelluB)  II  90,  91,  103. 
Agnerus  (Sohn  des  Regnerus  Lofl- 

brok)  IX  474,  495. 
Alf  (Fürst  von  Hethmarchien)  V 

258. 
Alf  (Sohn  des  Sigarus)  VII  355 

bis  359,  362,  372,  377. 
Alf  (Sohn  des  Aggi)  VIII  401. 
Alf  VIII  402. 
Alf  VIII  403. 

Alf  (der  Vielgereiste)  VIII 404, 405. 
Alf  (der  Stolze)  VIII  405. 
Algerus  VII  355,  359,  362. 
AlkiUus  VIII  438. 
AUemannien  I  19,  20. 
Alpen  (dofrinische)  VIII  417. 
AlriouB  V  257,  258. 


AIyo  (Sohn  Frothos  III.)  V  264. 
Alwer  (Sohn  des  Elricus)  VIII  405. 
Alwerus(Sohwedenkönig)  VII 375, 

378,  386. 
Alwilda    (Tochter   des    Saohsen- 

k5nigs)  I  19. 
Alwilda  (Tochter  des  Qötarus  von 

Norwegen)  V  234,  236,  238. 
Alwilda  (Tochter  des  Sywardus) 

VII  355,  357,  358. 
Ambar  Vm  400. 
Amlethus  III  140,  141,  143-151, 

154,IV  155, 161—165,167—170. 
Amundus  VI  283,  284,  286—288. 
Ana-Fjal  VI  299. 
Andreas  Vorr.  2. 
Angantir  (Sohn   des   Arngrimus) 

V  266. 
Anganturus  VI  314.  Derselbe  wie 
Angaterus  VI.  310. 
Angeln  IX  489. 
Anglien  VIII  402,  494,  495. 
Anglier  IX  494,  495. 
AngUsch  I  17.    ' 
Angttl  I  16,  17. 

Ano  (der  Pfeilschütz)  VI  287—289. 
Ansgarius  IX  497. 
Anundus  VI  345. 
Aquili  II  66. 
Aquit  anienVII  390. 
Aquitanisch  I  16. 
Arktus  Vorr.  10. 


518 


NamenveReichnis. 


Armbiorn  VI  277. 

Arngrimiu  Y  264,  265. 

Arthorins  Y  254. 

Arwacki  VIII  405. 

ArwarodduB  Y  266. 

Ary  VIII  402. 

Asa  VI  310. 

AsmunduB  (Sohn  des  Swibdagems) 

I  40—42. 

Agmundus  (Sohn  des  Alf)  V  258,260. 
ABmunduB  (Sohn  des   Haldanus) 

VII  349. 
ABraundufl  (K5nig  der  Wikarer) 

VII  385,  886. 
A8wit(uB)  V  258—261. 
AthisluB  (Schwedenkönig)  lY  171 

bis  174,  176-180,  183,  186. 
Athyla  VIII  404. 
AthisluB   (Sohn    des  Hothbrodus) 

II  83,  85—89,  92,  III  109,  120. 
AttaluB  I  19. 

Atyla  VIII  413. 
Atylo  VIII  415,  416. 
Auster  I  45. 

Axelstade  [Axel8tada,Alexthathia] 
VII  371. 

B. 

Balders  Flucht  III  117. 
BalderuB  III  110,  111,  115-118, 
120,  122,  123,  131. 

Bari  VIII  401. 

Barri  VIII  402. 

Beda  I  17. 

Begathus  VIII  401. 

Belgi  VIII  401. 

Bemo  VIII  403. 

BeuionuB  VI  295,  296. 

Berhtgar  VIII  405. 

Bero  (Krieger  der  Ru8la)  VIII  418. 

Bero  (aus  Thule)  VIII  462. 

Bersi  VIII  404. 

Bessu«  I  21—23,  25. 

Biarbi  V  266. 


Biarco    II    90,    91,    95,    96,    98, 

101,  105. 
BiargrammuB  VII  343. 
Biari  YIII  402. 
Biarmien  [Bi(y)armia]  Y  264,  265, 

Vin  448,  IX  483. 
Biarmier  [Byarmi,  BiarmenBes]  I 

48,  49,  m  114,  IX  482—484. 
BiarmiBch  VI  296,  VIII  425. 
Biarni  VIII  404. 
Bicco  Vm  434—437. 
BilduB  IV  190. 
Büwisus  VII  365. 
Biorn  (aus  Soghni)  VIII  404. 
Biorn(o)  (Räuber  u.  Krieger  det 

Fridlewua)   VI    277—281,  284, 

287—289. 
Biomo  (Fürst  Yon  Wik)  V  258, 259. 
BiomuB  (Sohn  des  Regnerus  LoO> 

brok)   IX   474,    479,    480,   485, 

489,  493—495. 
Birwil   (der   Bleiche)   YIII    404. 

Derselbe  wie 
Birwillus  (Seekönig)  YII  898. 
Bizantium  [Byzantium]  I  38,  III 

129,  VI  299. 
Björn  (Dänenkönig)  YIII  445. 
Blacmannen  VII  357. 
Blekinge  [Bleki(y)ngia]  Yorr.  8, 9, 

YII  384,  VIII  444. 
Blend  VIII  401. 
Blihar  VIII  404. 
Bo  vm  401. 
Böcherör  VIII  440. 
BökuB  II  99. 
Bolwisus  VII  362,  365. 
Bootes  Vorr.  10. 
BorcaruB  VII  358,  372,  375,  376. 
Boreas  I  45. 
Borrhy  VIII  401. 
BouB  III  131,  182. 
Brac  [Bracus]    V   281—233,  287. 
Brache  I  28. 
Brahi  VIII  405. 
BramuB  VIII  401. 


Namenverzeichnia. 


519 


Brand  YIII  401. 

Brander  Y  266. 

Brat  VIII  402. 

Brawalla  YIII  425. 

Brawibch  VIII  412. 

Britannien  Vorr.  2,  I  17,  53,  II 
73,  78,  III  149,  IV  160,  161, 
163,  166,  191,  V  267,271,  VH 
390,  IX  477.  Vgl.  Anglien  und 
England. 

Britannier  II  74—76,  88,  IV  168, 

V  268,  270,  VII  390. 
Britannisch  IV  168. 

Brodder    (Sohn    des    Arngrimua) 

V  266. 
Broddo  IV  190. 

BroderuB  (Dänenkönig)  VIII  436, 

437. 
Broderua    (Begleiter    des    Thor- 

killus)  VIII  452,  454. 
Brundelucus,  Gram  VIII  405. 
Bruno  VII  398,  VIII  408, 410,  411. 
Buchi  VIII  452,  454,  455. 
Bugo  IV  190,  191. 
Burgar  VIII  404. 
Burgha  VIII  409. 
Buthlus  VIII  427,  433. 
Byarchi  VIII  409. 

C.  (Vergl.  auch  K.) 
Caesar  VI  276. 
Galmama  VIII  407. 
Chaos  I  38,  VIII  446. 
Christus  IX  490. 
Coenogardien  V  255. 
CoU  VIII  404. 
Collerus   (König   Ton   Norwegen) 

III  137,  138,  140. 
CoUo  (ein  Wiking)  I  53. 
Colo    (Erzieher    Frothos   III.)    V 

193,  194,  197,  198,  215,  216. 
Craca  V  203,  206,  207,  231,  234, 

235. 
Croc  Vin  405. 
CuBO  III  114,  115. 


} 


passim. 


D. 

Dänemark  [Dania] 

Dänen  pDani] 

dänisch 

Dagus  V  250,  255. 

Dahar  VIII  402. 

Dal  (Fürst  Ton  Slavien)  VH  890. 

Dal  (der  Dicke)  VIII  402. 

Dala  VIII  410. 

Dalemannus  II  79. 

Dan  I.  I  16,  17. 

Dan  II.  IV  187. 

Dan  III.  IV  189. 

Danaer  I  16. 

Daxon  IX  482,  486—488. 

Deutschland  Vorr.  7. 

Dian  IX  482. 

Dian  (Sohn  des  yorigen)  IX  482. 

Dimarus  V  255. 

Dis  VII  366. 

dofrinische  Alpen  VIII  417. 

Domo  II  60. 

Drota  [Drot]  VII  373,  375,  380. 

Dttc  VII  390,  VIII  403. 

Dudo  I  16. 

Dufflina  [Dufli(y)num]  IV  191,  VI 

299,  VIII  425,  IX  490,  503. 
Duna  I  36. 
Dunwat(us)  IX  474,  489. 

E. 

Ehbo  (ein  Wiking)  VII  349—351, 

354. 
Ebbo  (Sibbos  Sohn)  VIII  427,  428. 
Ebbo  (Sohn  der  Gambaruc)  VIII 

443. 
EdelraduB  s.  Hedelradus. 
Egtherus  (von  Biarmien)  V  264, 265. 
Egtherus  (der  Finne)  VII  348. 
Eider  Vorr.  7,  IV  184. 
Eisinsel  [Glacialis  insula]  Vorr.  10. 
Elbe   [Albia,  Albya)   IV   189,  V 

253,  VI  301,  VIII  464. 
ELi  VIII  401,  409. 
Elricus  VIII  405,  4C6. 


520 


NamenTerzeiehiiis. 


Ely Bisch  II  103,  YII  366. 
Enar  VIII  405. 
Engländer  V  270,  IX  499. 
England  IX  499,  500,  503. 
englisch  IX  493. 
Ennignupus  IX  498. 
EranduB  YII  398. 

Ericus  (der  Beredsame)  y  202—204, 
206-227,  230—241,  Ä46— 248, 
251,  255,  257—260,  262,  264, 
265,  267—270,  VI  276. 

Ericus  (Sohn  Frothos  V.)  VII 
841—344. 

Ericus  (der  Erzähler)  VIII  404. 

Ericus  Windhut  (Sohn  des  Regne- 
rus  Loflbrok)  IX  479,  488,  489, 
495. 

Ericus  (das  Kind;  Dänenkönig) 
IX  496,  497. 

Ericus     (Bruder     des     Haraldus 

[Kiak])  IX  496. 
Erlingar  VIII  404. 

Esa  (Tochter  des  Wermenfürsten) 
VII  394. 

Esa  (Ringes  Tochter)  VIII  415. 

Esbernu»  s.  Hesbernus. 

Esbiorn  VI  277. 

Eskillus  VIII  438. 

Esten  VI  292. 

Estländer  VIII  407. 

Estland  V  254,  255,  258,  VIII 424. 

Ethascoug  VII  392. 

Europa  I  37. 

Eyil  VIII  403. 

Eyr  II  81. 

F. 

Falir  VIII  404. 
Fanningus  IV  190,  191. 
Fantua  II  66. 

Fengo  III  137,  141,143,146-149, 
154,IV155— 157,  160—162,164. 
Fiallerus  IV  168. 
Findar  VIII  404. 


Finnen  Vorr.  14,  I  26,  III  114 
124,  V  264,   265,  VII   348,   II 

483,  484. 
Finnimarchien  V  264,  IX  483. 
Finnland  I  27,  28,  39,  V  258,  VU 

358. 
FiriTallisch  II  101. 
Flöbax  [nur  Ablatir  Flebace;  VIH 

424. 
Fletir  VIII  404. 
Floccus  VI  296. 
Folco  IV  173,  174. 
Folki  VIII  405. 
Fraccus  VI  296. 
Franken  VIII  464. 

Fridlewus  (der  Schnelle)  IV  189  bis 
191,  V  193,  217,  247. 

Fridlewus  (Dänenkönig,  Sohn  Fro- 
thos IIL)  VI  275,  276,  278,  2^ 
bis  285,  287  -  290. 

Friedlewus  (Sohn  des  Ingellus)  VI 
304. 

Fridlewus  (Sohn  des  Regnerus  LkmI- 
brok)  IX  471,  473,  477,  479,  4S>. 

Friesen  II  72,  VIII  402,  409,  465. 
Friesisch  VII  390. 
Friesland  [Fresia]  II  72,  VIII  465, 
466. 

Frig  VIII  444. 

Frigga  I  38,  II  106. 

Frö  I  45,  III 119,  VI  297,  VIH  405, 

Fröblod  I  46. 

Fröcasund  VI  284. 

Froco  VI  283. 

Frogertha  VI  283,  287,  289. 

Frogerus  IV  187—189. 

Frosty  VIII  405. 

Frotho  I.  II  58,  59,  61—64,  72,  73, 

78,  88,  101. 
Frotho  II.   IV  187-189. 

Frotho  III.  V  193,  194,  196  -  199, 
201,  202,  204,  210,  216—224, 
227,  230,  231,  233,  235,  236,  238 
bis  241,246—249, 251-  259, 262, 


N  ameD'Y  erzeichni». 


521 


264,  265,  267,  268,  270—274,  VI 

275,  281. 
Frotho  IV.    VI  290,  291,  300,  301, 

303,  304,  311,  318,  322,  325  bis 

328,  330  -  333,  335,  VIII  424. 
Frotho  V.  VI  304,  VII  337—341. 
Frotho  VI.    1X498. 
FrothoBtein  V  262. 
Frowiiiufl  IV  171,  172,  176—178, 

180. 
Fünen  [Fionia,  Fyonia,  Pheonia] 

Vorr.  8,  VII  340,  372,  376,  VIU 

401,  429. 
Furien  II  98,  VII  346. 
Fyn  IV  190.  . 
Fyrthi  (Skaha-)  VIII  405. 

G. 

Gallien  Vorr.  2. 

Gallier  IX  489. 

Gambaruc  VIII  443. 

Gandal  VIII  403. 

GandvicuB  Vorr.  13. 

Gardh  VIII  401. 

Garnum  VIII  406. 

Garthar  VIII  409.     S.  Gardh. 

GegathuH  VI  298,  330. 

GelderuB  III  113,  114,  117. 

Ger  VIII  402. 

Gerbiorn  VI  277. 

GerituB  III  132. 

Germanen  VIII  407,429. 

Germanien  II  73,   VIII  435,  460. 

464—466,  IX  468. 
Gerth  VIII  403. 
Gerutha  III  140,  141. 
GeruthuB  VIII  446,  448,  449,  451, 

453. 
GerwcndilluB  III  137. 
GestiblinduB  V  257,  258. 
GewaruB  II  83,  III  109—111,  113, 

115,  118,  131. 
GlomeruB  [Glemerus]  V  254. 
GlumeruB  I  42. 
Gnepia  VIII  401,  409. 


Gnizli  VIII  402. 

GodefreduB  VIII  463. 

Gölerdal  III  471. 

GötaruB    [GötwaruB]  (König    von 

Norwegen)  V  202—204, 220, 221, 

230—236,  246. 
GötaruB    (König    Ton    Schweden) 

VIII  427—429,  433. 
GötelvVIIl404.(Vgi.Nachtr.S.58a). 

Götlftnder  [Gotthi,  Gothi,  Go(e)t. 

(h)enfleB]  II  97,  103,  104, 106,  V 

257,  VII  347,  355,  VIII 404, 406, 

409,  439. 
Götländisch  VIII  410. 
Gotland  [Gothia]  Vorr.  9,  13, 1 21, 

26,  VII  338,  349,  VIII  439,  IX 

485. 
Götwara   [Gotuara]  V   194,    196, 

197,  222,  230. 
Gormo  I.   VIII  445,  462. 
Gormo  11.   IX  499. 
Gormo  III.    IX  500,  501,  504,  505. 
Gotar  VIII  403. 
Goter  VIII  402. 
GothuB  VIII  404. 

Gotland  [Gutlandia]  VIII  444.  a. 

Gudlandia. 
Goto  VIII  462,  463. 

GotricuB  [GotricuB]  VIII  462,  463 

bie  468. 
Gram  (König)  I  21—26,  28,  30. 
Gram  Brundelucus  VIII  405. 
Grenaki  VIII  403. 
Grenzli  VIII  402. 
Grep  [Greppus]  V  194,  195,  200, 

201,  210—213,  218,  219,  243. 

Gretir  VIII  404,  410. 
Griechenland  [Grecia]  VI 293,  294. 
Grim  VIII  405. 
Grimar  VIII  402. 
Grimmo  (ein  Fechter)  VII  348,349. 
Grimo  (Gunnos  Sohn)  VII  391, 393. 
Grinder  VIII  404. 
Grip  I  23. 


522 


Namenv  erzeich  t^  is. 


Gro  (Tochter  8igtragB)l21— 24, 28. 

Gro  (Gefährtin  Alwildas)  VII  358. 

Grombar  VIII  405. 

Gromer  VIII  403. 

GrubbuB  VI  288. 

Grüne  Bai  [sinus  yiridis]  IX  485, 

486. 
Grundi  VIH  404. 
(Jrytha  I  17. 

Gudlandia  r41,  42.   s.  Gotland. 
Gummi  VIII  405. 
Gunbiorn  VI  277. 
GunhoImuB  IV  190,  191. 
Gunnarua  VII  373-375,  878. 
Gunnilda  I  41,  42. 
Gunno  (der  Statthalter)  III  131. 
Gunno  (von  Thelemarchien)  VII 

391—393. 

Gunno  (der  Hilchbruder  des  Jar- 
merikus)  VIII  430—432. 

Gunthionus   V   257. 

Gunwara  V  194,  201,  215,  222  bis 
224,  232—237. 

Guritha  [Gyuritha]  VII  358,  372, 
377,  378,  381—384. 

Guthfaflt  VIII  405. 
Guthi  (Liuth)  VIII  404. 
GuthmunduB  VIII  449—451,  454, 

455. 
Guthormus  (Grams  Sohn)  I  28.  30. 
GuthormuB    (SchwiegerBohn     des 

HadinguB)  I  54,  56. 

GuthormuB    (Sohn   des  Haraldus) 

IX  496,  498. 
Guthruna  VIII  438. 
Guti  VIII  403. 
Gyslamarchien  VIII  405. 

H. 

Haco  [Hako]  (Tyrann  yon  Däne- 
mark) VI  297,  298,  330,  335. 
Haddir  VIII  404. 
Hading  V  266. 
HadinguB  I  28,  30,  32—37,  40  bis 


48,  50,  52—54,  56,  II  58,  63,  65, 

IV  191. 
Hafwar  VIII  404. 
HagbarthuB  VII  360,  362—368. 
Hagder  VIII  410. 
Haki  VIII  403. 
Hako    [Haco]    (der  Wiking,    des 

WigeruB   Sohn)  Vn  355,   360, 

363,  364,  369. 
Hako  [Haco]  (des  Hamondos  Sohn) 

VII  369,  371. 

Hako  (der  Stolze)  VII  371,  372. 
Hako  (mit  der  gespaltenen  Wange) 

VIII  401,  408,  409. 
Halandier  IX  472. 

HaldanuB  (König  von  Dänemark, 
Sohn  FrothoB  I.)  II  80. 

Haldanus  (Sohn  Ericus*  d.  Bered- 
samen) VI  276,  284,  290,  304, 
310,  318. 

HaldanuB  (König  von  Dänemark, 
BiargrammuB)VII  338,341  -  350. 

Haldanus  (Sohn  des  Borcarus)  VH 

375—379,  381,  383. 
Halland  Vorr.  8,  VUI  417,  427, 

428. 
Halogien  III  114, 115,  V  259,  262, 

VIU  447. 
Hama  (Gegner  des  Starcatherus) 

VI  301,  VIII  424. 
Hama  (Krieger  des  Haraldus)  VIII 

402. 
Hama,  (ein  König,   Gefolgsmann 

des  Ringo)  VIII  406. 
Hama  [Hämo]  (König  yon  Britan- 
nien)  1X477,489. 

HamunduB  (ein  Fürst)  VII  360,362, 
369,  372. 

Haraundus  (Sohn  des  vorigen)  VII 

360,  362. 
Handwanus  I  36,  37,  II  63,  64. 
Hanef  [Hanewus]  VI  291,  d01,30:s. 
Hano  VII  372,  376. 
Hanövra  VI  301. 


Namenverzeichnis. 


523 


Han(n)unda  V  199,  218,  220,  280. 

HaphliuB  I  28. 

HaqoinuB  (König  der  Nitherer)  I 

46. 
Haquinus  (ein  Kämpe)  II  79. 
Haquinns  (ein  Kämpe)  VII  341. 
Hnr  VIII  403. 
HaralduB  III  124. 
HaralduB  (Sohn  des  Olawus,  Enkel 

dee  IngeUus)  VII  337,  339,  341, 

342. 
Haraldus  (Sohn  des  yorigen)  VII 

338,  341,  344. 
Haraldus  (Hyldetan)  VII  358,  383, 

384,  386,  391,  398,  399,  VIII  400 

bis  403,  407—413. 
Haraldus  (Sohn  eines  Olawus)  VIII 

403. 
Haraldus  (aus  dem  Imischen  Ge- 
biet) VIII  403. 

Haraldus  (aus  Thothni)  VIII  404. 
Haraldus   (König  Yon  Dänemark, 

Sohn  Björns,  Enkel  Snios)  VIII 

445. 
Haraldus  (Klak)  IX  474,  475,  477, 

478,  490,  491,  496,  498. 
Haraldus  (Nachfolger  Gor  mos  II.) 

IX  500. 
Haraldus  (Blauzahn,  Sohn  Gormos 

III.)  IX  502. 
Harthbenus  VII  347. 
Harthgrepa  I  30,  34. 
Hnstinus  VIII  402. 
Hnteru8[HatheruH]  (Statthalter  von 

Jütland)  VII  372,  385. 

Hatherus  (ein  Häuptling)  VII  348. 
Hatherus    (Lennos    Sohn)  VIII 

420-422,  425,  426. 
Hedelradus   [Edelradus]  IX  500, 

503. 
Heinrich   [Henricus]  (König  Yon 

Sachsen)  I  27,  28. 

Heinrich  (Sohn  des  Asmundus)  1 40. 
Helga  VI  304,  310,  314,  317,  318. 


Helgo  (der  Hundingstöter)  II  81, 

84,  III  109. 
Helgo  (Yon  Halogien)  III 114—116, 

118. 
Helgo  (aus  Norwegen)  VI  310, 311, 

313,  317,  318. 
Heigus  VI  880. 
Hella  IX  477,  489,  491-  494. 
Hellespont  IX  490. 
Hellespontien  IX  482. 
Hellespontier  VIII  435,  437,  438, 

IX  481,  482. 
Hellespontisch  VIII  434. 
Hellespontus  I  36. 
Helsingien  I  44,  II  258. 
Helsingier  V  254,  255,  VII  342, 

347. 

Helwin  VII  360,  362. 
Hemmingtts  IX  467. 
Hendill  VIII  406. 
Herkules  I  21,   II  103,  III  170, 
V  212,  251,  VIII  450. 

Herletus  III  132. 
Herlewar  VIII  403. 
Hermuthruda   IV    164,  167—169. 
Herothus  [Heroddus]  IX  472,  479. 
Herwig  VII  369,  371. 
Hesbemus   [Esbernus]  (Sohn  des 
Ascerus)  VII  369. 

HesbernuB    (Schwiegervater    des 

Regnerus  Loflbrok)  IX  485. 
Heske  II  82. 

Hetha  VIII  401,  402,  408, 412, 413. 
Hethmarchien  V  258. 
Hialmerus  V  266. 
Hiallus  [Hialus]  VII  394,  396. 
Hialto    (lalto)  II   90,   91,  94,  96, 

98,  101,  104. 
Hialto  VIII  401. 
Hiarnus  (Hiarno)  VI  275,  281  bis 

283. 
Hiarrandi  V  266. 
Hiarthwar  V  266. 
Hiarthwarus    (Hiarwarus,   Hiart- 


524 


Namenverzeichnis. 


uarus)  II  92,  98,  98,  100,  103, 

107,  108,  III  109,  119. 
Hibern(i)er  V   270,  271,  VI  298, 

rX  491. 
Hibienern  VI   297,  VII  369,  IX 

490. 
HiberniBch  VIII  425. 
Hilda  V  253,  256. 
Hildi  VIII  403. 

Hildigerus  VII  375,  378,379,  381. 
HildiglBleuB  VII  360-363. 
Hiorthwar  V  266. 
Hithinsö  V  256. 
Hithinus  V  252—256. 
Hoddo  V  194,  b.  auch  Oddo. 
HöginuB  V  253—256. 
Högrimuß  IV  187. 
H5mi  VIII  402. 
HömothuB  IV  187. 
Hösathul  VIII  402. 
Höthingua  IV  183. 
Hogni  VIII  404. 
Holandia  IV  189. 
Holmar  VIII  406. 
Holmgardien  V  255. 
Holmsten  VIII  404. 
Holty  VIII  406. 
Hort  VIII  409,  derBelbe  wie 
Hortar  VIII  401. 
HorwendilluB    III    137,  138,   140, 

IV  156,  158,  160. 
HothbrodduB  (der  Zügellose)  VIII 

403. 
HothbroduB  [Hodbroddus]  (König 

von  Schweden)   II   83  -  85,   III 

109. 
HotheruBfHötherus]  II  SB,  III 109, 

111,  113—123,   131,  132. 

Huglec  VI  297,  298. 

HugletuB  IV  187. 

Humbli  VIII  402. 

HumbluBl.  I  16. 
HumbluB  II.  I  17. 

Humbrer  VII   390. 

Humnehj  VIII  403. 


Hun  (der  Hunnenkönig)   T     247. 

254,  255. 
Hun   (ein   Krieger  Ringos)    Till 

404. 
Hun  (ein  Krieger  des  Haraldusi 

VIII  409. 
Hunding^is  (Sohwedenk5nig,  Sohn 

des  Asmundus)  I  50,  56,  II  65 
HundinguB  II  79. 
HundinguB    (Sohn    des    Saehaea- 

königs  Syriens)  II  81,  84. 
Hundingus  (Statthalter  Ton    See- 
land) VII  372,  385. 
Hunger  VIII  402. 
Hunnen   V    196,    197,    246,    247, 

251—253,  255. 
hunnisch  V  193. 

Hwirwillus  (ein  Seekönig)  VI  39& 
Hwyrwillus   (von   Holandien)    IV 

189—191. 
Hwiti  VIII  404. 
HwytinguB  VII  378. 
Hyid  VIII  404. 

Hyldetan  (Haraldus)  VII  385. 
Hythin  (von  Thialamarchien)    VI 

284,  285,  290. 
Hythin  (der  Schlanke)  VIII   402. 

I.  J. 

Jalunga  III  173. 

Jamten  V  254,  255. 

JarmericuB  VIII   429  —  435,    437. 

438. 
Jarnberer  V  255. 
Jathar  VII  373,  dasselbe  wie 
Jathrien  VIII  404,  415. 
Imisch  VIII  403. 
Ingeldus  (Sehwedenkönig)  VII 386, 

3vS9,  391. 
Ingellus  II  90,   103. 
Ingellus  (Sohn  Frothos  IV.)  VI  303 

304,  310,  312,  318—322,   325— 

327,  329,  332,  334,  335,  VII  337, 
Ingellus  (Sohn  des  Torigen)  IV  304. 
Ingi  Vlll  405. 


Namenverzeichnis. 


325 


Ingo  VII  386,  389. 
Irlftnder  IX  504. 
Irland  YI    191,    IX  503,    504.  8. 
Hibemien. 

(Island)  Vorr.  10. 
IsmaruB  VIII  431. 
Isora  III  119. 
I8ulfu8  V  193. 
Italien  Vorr.  2  VUI  444. 
Jäten,  Jfitländer  YIII  403,  IX 
471,  474. 

Jatigch  y  240. 

Jütland  Vorr.  7,  8, 1  51,  II  81,  III 
120,  137,  152,  IV  168,  170,  V 
256,  271,  VI  282,  VII  372,  385, 
VIII  413,  418,  428,  429,  IX 
468,  485. 

Julius  (Caesar)  VI  276. 
Jupiter  II  97,  VI  293,  294. 
Juritha  VI  289. 

Iwarus  IX  474,  485,  486,  488,  489, 
492—495. 

K.  (Vergl.  auch  G.) 

KanutuB  (Lavard)  Vorr.  9. 
Kanatus  I.  (D&nenkönig,  Sohn  des 
Ericus)  IX  498. 

Kanutus  (Sohn   Gormos  III.)   IX 

502-505. 
Karll  Vm  405. 
KaroluB  (Statthalter  Yon  G5tland) 

VII  338. 
Karolus  (der  Grosse)  VIII  464-^ 

466.     IX  478,  484. 

Keclu  VIII  405. 

Keltherus  IX  485. 

Kerrus  VIII  425. 

Kerwillus  V  271. 

Keto  IV  171,  172,  174,  176—179. 

Krage  (Rolwo)  II  92. 

Kurlftnder   [Curetes,   Guri]    I  35, 

II    60,    III    132,   VI   299,   VUI 

407,  424,  433,  IX  483. 

Kurland  [Guretia]  V  254. 


L. 

Langobarden   [Longobardi]   VIII, 

444. 
Lappien  V  255,  258. 
Lateinisch  Vorr.  2,  5,  VIII  400. 
Lathgertha  IX  471,  472,  474  475. 
Latiner  I  30. 
Latium  VI  293,  294. 
Lennius  [Lenno,  Lennus]  VIII  418, 

420,  425. 
Leo  VIII  465. 
Ler  U  81. 
Lerus  VIII  425. 
Lese  VIII  406. 
Lessö  V  209. 
Lesy  VIII  406. 
Lethra  II  84,   93,    106,    IV    168 

VI  335,  VII  385,  VIII  401,  412 

IX  467. 
Lewy  vm  406. 
Liimfjord  [Lymicus  sinus,  Lymfi- 

orthinun  mare]  Vorr.  7,  IX  472, 
Liotarus  [Leotarus]  VII  397. 
Liserus  I  34,  35. 
Litharfulki  V  234. 
Livl&nder  [Liui]  VUI  407,  434. 
LiYland  VIII  402. 
Lögthi  VII  396. 
Löwi  II  91. 
Lokerus  I  35,  36. 
Lothbrog  IX  474. 
Lotherus  I  17,  18. 
Ludowicos  (der  Fromme)  IX  467, 

490. 
Lundoniä  U  78,  79. 
Lyusingus  VII  378. 
Lyuth  Guthi  VIII  404. 

H. 

Mainz  [Maguntia]  IX  490. 
Mar  VIII  405. 
Mars  U  95,  VUI  421. 
MatuUuB  IX  483. 
Melbricus  (Statthalter  von  Schott- 
land) U  73. 


526 


Namenverzeichnis. 


MelbriouB  (König  von  Irland)  IX 

490. 
Mercurius  VI  298,  294. 
MewilluB  y  253. 
Mimingus  III  112. 
Mithfirthi  YIU  405. 
Hithotyn  I  39. 
Mittagsinseln  [australesoder  meri- 

dianae  insulae]  IX  477. 

Mittelmeer    [mediterraneum    fre- 

tnm]  IX  490. 
Möre  YIII  404. 
Moringien  YIII  444. 
Murial  IX  489. 

N. 

Nanna  III  110,  111,  115,  118,  119. 
Nef  YU  398. 
Nitherer  I  46. 

Nordfriesland  [Fresia  minor] 

Yorr.  8. 
Nordpol  [polus   Beptentrionalis], 

Yorr.  10. 
Normoria  Y  254. 
Norwegen  [Noruagia]  passim. 
Norweger  [Noruagienses,    Norici, 

Normanni].     passim. 
Norwegisches  Meer  [Noricum  fre- 

tum]  Yorr.  7. 
Norwicus  IX  489. 

0. 

Occident  Y  267. 
Od  YIII  404. 

Oddo    (8.    auch    Hoddo)    Y    204, 
208-210,  217. 

Oddo  (FQrst  von  Jathrien)    YIII 

415,  416. 
Oelandien  YI  278. 
Oemi  Y  238. 

Oenewus  [OnefJ  Y  253—255. 
Oflfotus  YI  278. 
Ofura  Y  264  -  266. 
Olawus  (der  Milde)  lY  186. 


OlawuB  (Sohn  des  Fridlewas)  VI 

288,  289. 
OlawuB    (D&nenk5nig,    Sohn    de« 

IngelluB)  YI  304,  YII  337. 
Olawus  (Sohn  des  Alwenis)    YII 

386,  389. 
OlawuB  (Fürst  d.  Thronder)  TU  389. 
OlawoB  (Fürst  der  Wermen)  VII 

394,  395. 
01awu8(YaterdJiaralda8)VIII  403. 
Olawus    (Dftnenkönig,    Sohn    des 

Götricus)  IX  467. 
Olimarus  Y  246,  247,  249--251, 

253—255. 
OUeruB  III  129,  130. 
Olo  YII  391—398,  YIH  406,  412 

bis  414,  419,  424. 
Olwir  YHI  401. 
Oly  Yni  405. 
Omothus  YIU  415--418. 
Omundus  YU  496,  YIU  413 — 418, 

427. 
Onef  YU  398. 
Orc(h)aden    [0rc(h)ade8]    V   254, 

255,  IX  477,  489. 
Orient  U  63,  83,  84,  Y  24& 
Orientalen   (Ostl&nder)    I    37,     V 

246,  YI  299. 
Orkus  I  57,  YII  3C6,  YUI  412. 
Orm  YU  390,  YIII  402. 
Ostenus  (Sohn  des  Sywardus)  VU 

355. 
OstenuB  (ein  Schwede)  IX  495. 
Ostiänder  s.  Orientalen. 
Ostmarus  YII  372. 
Otharus  YII  351—355. 
Othi  Yin  404. 
Othinus  [Othynus]    I   37—40,    II 

105,    III    110,    116,    124—126, 

129-131,  lY  188,  YI293,  294, 
YII  384,  386,  398,  YIII  411,438. 
Otritus  YIII  402. 


P, 


Paltisca  II  63. 


Namenverzeichnis. 


527 


Pan  n  66. 

Pannonier  VIII  406. 

Parcen  VI  289,  VU  381. 

Paulus  (Diaconus)  VIII  444. 

Petland  [Petia]  IX  477. 

PipinuB  VIII  465. 

Pluto  II  104,  VII  898,  VIII  412. 

Polonien  VI  300. 

Proserpina  III  123. 

Proteus  I  29. 

B. 

Rafn  (der  Weisse)  VIII  404. 
Rafnus  V  204. 
Randus  VII  398. 
Rani  (des  Arngrimus  Sohn)  V  266. 
Rani  (Hylds  Sohn)  VIII  404. 
Rankil  VIII  404. 
Rathbarthus  (ein  König,  Gefolgs- 
mann Ringos)  VIII  406. 
Rathbarthus  (Sohn  des  Regnerus 

LoObrok)  IX  474,  477,  479,  489. 
Rati  VIII  401. 
Rawi  VIII  404. 
Redwarthus  VII  398. 
Refo  VIII  462—464. 
Regnaldus  (der  Feind  des  Ung- 

winus)  VII  351,  354,  355,  369. 
Regnaldus  (König  von  Norwegen) 

VII  373,  375. 
Regnaldus  (der  Ruthene)  VIII 406. 
Regnaldus    (Sohn    des    Regnerus 

Lodbrok)  IX  479. 
Regnerus  (Schwedenkönig)  II  65, 

66,  68,  70,  80,  83. 
Regnerus    (ein   Fechter)  V   203, 

206,  231. 
Regnerus  (Lodbrok)  IX  468—492, 

495,  497. 
Regnilda  I  46. 
Regno  (ein  Fechter,  derselbe  wie 

Regnerus)  V  211. 
Regno  VII  339,  340. 
Rennesö  [Rensö]  V  216,  246. 
Rethyr  VIII  404. 


RewiUus  V  253,  255. 

Rhein  [Rhenus]  II  73,  V  255,  ^^l 

390,  VIII  464. 
Rinda  III  125,  126,  131. 
Ring  (Sohn  Athylas)  VIII  404. 
Ring  (Sywardus)  IX  467. 
Ringo  (ein  Seeländer)  I  26. 
Ringo  (Schwedenkönig)  VII  391, 

398,    399,  Vni   400,   402,  403, 

405—408,  410—412. 
Ringo  (von  Norwegen)  VIII  415, 

416. 
Ringo    (Enkel  des    Götricus)    IX 

468,  470. 
Rinus  VIII  424. 
Roa  [Roe]  (Krieger  des  Haraldus) 

VIII  401,  409. 
Roarus  I  21. 

Roe  (Sohn  Frothos  I.)  I  80. 
Roe  (Sohn  des  Haldanus)  I  81. 
Roe  =  Roa. 

Rölung  [Roliung]  VIII  426. 
Römer  VI  293,  294,  IX  484,  491. 
römisch  Vorr.  4,  5,  VIII  464,  IX 

484,  499. 
Röricus  II  99. 
Rötho  [Rotho]  VII  376. 
Rokar  VIU  404, 
Roldar  VIII  404,  derselbe  wie 
Rolder  VIH  410. 
Rolf  VIII  404. 
Roliung  [Rölung]  VI  313. 
RoUerus   V   203—207,    215,   218, 

230,  233,  237,  246,  253,  254. 

Rolwo  [Rolpho]  II  83—90,  92,  93, 
96,  100,  101,  104,  106—108,  III 
119,  120. 

Rom  Vni  466,  IX  499. 

Roricus  (Slyngebond)  III  132  bis 
137,  140,  148.  III  168. 

Roricus  (Statthalter  vou  Jutland) 
VII  372,  385. 

Roskildia  II  81. 
Rostarus  IX  475. 


528 


NuneDTerzeicbnis 


RosteruB  III  126. 

RostiophuB  III  125. 

Rotala  II  62. 

Rotho  VI  385. 

Ragen  [Rugia]  YIII  444. 

Rusila  IV  189,  VII  389,  dieselbe 

wie 
Rusla  VIII  416—418. 
RuBsland  [RuBcia]   II  «2,  V  247, 

255,  VI  275,  276,  296,  299,  VII 

378,  881,  IX  488. 
Ruta  II  90,  92,  98,  105. 
Rut(li)enen  II  61,  62,  70,  III  125, 

V   249,   250,   VI  296,    VII  378, 

VIII  406,  IX  482,  488. 
Rut(h)eni8ch  III  132,  V  248,  VII 

376,  IX  482. 
Ruthar  VIII  404. 

S. 

Sachsen  [Saxonia,  SaxoneB]  I  19^ 
27,  28,  52,  II  81,  82,  III  113,' 
117,  IV  180,  181,  186,  189,  V 
255,  VI  292,  300,  301,  326,  VU 
381,   383,   VIII   407,   463—465, 

IX  467—469. 
Bächsisch  IX  490. 
SalgarthuB  VIII  401. 
Sali  VIII  404. 
Sambar  VIII  400.. 
Sampso  V  266. 
Sangaler  VI  299. 
Saxo  VIII  404. 
Scaha-Fyrthi  VIII  405. 
ScalcuB  (SlayenfürBt)  II  81. 
Scalcus  (Gefährte  Biarcos)  II  96. 
Scalcus  VIII  409. 
ScarchdhuB  XI  479. 

Scato  II  79 

Scatus  (ein  Fechter)  I  19. 
Scatus  (eine  Allemanne)  1  19. 
Scatus  (FrothoB  I.  Sohn)  II  80. 
Scatus  VII  394,  396. 
Schleswig  [Slesuicum]  IV  171,  172 
174,  IX  491,  495,  500. 


Schleswiger  (SleBuicenseB]  IV  17^ 
Schonen    [Scania]   Vorr.   2,'~87*9^ 

IV  168,   169,  V  257,   264,    272, 

VI  284,  VII  385,  VIII  401,  403, 

412,  415,  416,  429. 
Schonier  [Scanienses]   VIII    407, 

IX  467,  471,  472,  474. 
Bchonisch  VII  372. 
Schotten    [Scofcti]   II  77,    78,    IV 

166,  167,  VII  372,  IX  489. 
schottisch  II  71. 
Schottland  [Scottia]  II  78,  74,  78, 

IV  162,  163,  IX  477. 

Schweden  [Suetia,  Sueti,  Sueones] 

passim. 
Scioldunge  I  19. 

SciolduB  I  18,  19. 

Scipio  VI  276. 

Scröter  V  203. 

Sculda  II  92,  93,  98. 

Scumbar  VIII  404. 

Scythen  IX  482. 

Seeländer  [Sialandeases,  Sialandi] 

II  108,  V  210,  Vni  413,  IX 
467,  468,  472. 

Seeland  [SialandiaJ  Vorr.  8,  I  26, 

III  119,  120,  IV  169,  190,  V 
209,  274,  VI  310,  VII  840,  354, 
372,  884,  VIII  408,  412,  IX  486. 

Sela  III  140. 

Sember(n)  VI  291,  IX  483,  das- 
selbe wie 

Sembonen  VIII  488. 

Semgala  VIII  424. 

Serker  VIII  408. 

Sibbo  [Sybbo]  VIII  427,  433. 

Sifridus  I  52. 

Sigarus  [Sygarus]  VII  355,  356, 
360,  362,  363,  365,  368—372. 

SighwinuB  IX  478. 

Signe  I  26—28. 

Sigtrug(us)  I  21,  23,  25. 

Sigtun  VIII  405. 

Simo  VIII  429. 

Simundus  VIII  405. 


Namenverzeichnis. 


529 


Siwardus  (Ring)  IX  467,  468,  470. 
8iwardus(auB  kÖniglichemStamnie) 

IX  495. 
Siwaru»  VII  881. 
Skalk  [Skale,  Scale]  (von  Schonen) 

V  257,  264,  VIII  401. 
Skierum  VIII  405. 
Skottus  [Scottus]  11  71,  72,  78. 
Skrep  [Screp]  IV  183,  186. 
Skrikfinnen  Vorn  14. 

Slaven  [Sclaui]  II  81,  III  132,  133, 
i;{5,  V  238-240,  246,  256,  VI 
299,  VIII  403,  407,  413,  418, 
428,  430,  432-435,  IX  503. 

Slavien    [Sclavia[    11   81,   V   239, 

VII  390. 
Sie  VIII  401. 

Slyngebond  (Roricus)  III  136. 
Snio  VIII  438-440,  445. 
Snvrtir  II  102. 

m 

Soghni  VIII  404. 

[Soknarsoti]  VIII  404. 

Solonger  V  257. 

Solwe  VIII  404. 

Sonneninseln  [Solis  insulae]  V258. 

Sorlufl  IX  479,  480. 

Soth  VIII  409. 

Stadium  II  81. 

Stang  VIII  401. 

Starcathorus  [StarchaterusJVI  292, 
294—29(5,  298  —  301,  304-306, 
308,  310  317,  320—322,  324, 
325,  329,  334,  Vli  355,  369,  398, 
YIII  400,  409,  413,  419,  420, 
423,  425,  426. 

Stcn  VIII  403. 
Stenbiorn  VI  277. 
Stikla  [Stiela]  V  259,  VII  389. 
Storwerkus  VI  292. 
Strunicus  V  240,  241. 
Stur  VIII  403. 
StygUch  VII  393. 
Styx  I  33,  34,  VII  380. 
Suarinus  I  26,  27. 
Sazo  Granunaticui. 


Südliche  Inseln  IX  477  s.  Mittags- 
inseln. 

Sueno  II  81. 

SumbluB  I  26,  27. 

Sunmoria  V  254. 

Süss  VII  369,  372. 

Swanhwita  II  65,   67,  68,   70,  83. 

Swanilda  VIII  436,  437. 

Swanlogha  [Suanloga]  IX  479, 489. 

Swen  VIII  400. 

Sweno  VIII  404. 

Swertingu»  VI  291,  301,  302,  304, 
321,  333,  VIII  424. 

Swibdagerus  I  27,  28,  30,  37,  40. 

Swibdawus  VI  298. 

[Syersted]  VII  355. 

Sygmundus  VIII  403. 

Sygne  (Tochter  des  Karolas)  VII 
338. 

Sygne  (Tochter  des  Sigarus)  VII 
355,  360,  363,  364,  367. 

Sygrutha  VII  349. 
Syricus  [Syctricus]  II  81. 
Syritha  VII  351,  353,  354. 
SywaMus  [Siwaldu«]   (Feind    des 

HaldanuH     Biargrammus)     VII 

345—347. 
Sywaldus  (König,    Sohn  des  Ung- 

winurt)  VII  351,  354,  355. 
Sywaldus  (Sohn  des  Sigarus)  VII 

355,  371. 
Sywaldus    (Gefolgsmann    Ringes) 

VII  406. 
SyAvaldus    (Nachfolger    des    Jar- 

mericus)  VIII  438. 
Sywardus  [Siwardus]   (Schweden- 
könig) VI  318,  VII  338. 
Sywardus    (König    von     Oötland) 

VII  355,  356. 

Sywardus   (Olos   Vater)   VII   391, 

397. 
Sywardus  (Eberkopf)  VIII  404. 

Sywardus  (König,  Sohn  des  Omun- 
du8)  VIII  427  -429,  433. 

34 


530 


XamenTeneichnLH. 


Sjwardus  (KGnig  Ton  Norwegen) 
IX  470. 

Sywardu«  (Konig,  Sohn  de^  Reg- 
nern» Lodbrok)  IX  474— 475<, 
488,  493—495,  497. 

T. 

Tander  V  266. 

Tanna  VI  299. 

Tartarus  I  23,  33,  34,  VII  366. 

Tatar  VIII  401. 

Teutonen  I  17,  20,  II  82,  VI  300, 

326,  329,  VII  363,  VIII  424. 
teutonisch  II  96,  102,  VI  322. 
Theleniarohien  [Telemarchia]  VII 

391,  VIII  404,  409,  417. 
Thelemarchier  VIII  424. 
Thengil  VIII  404. 
Thengillus  (Finnenfürst)  V  264. 
Thialamarchien[=Thelemarchien] 
Thira  III  500,  502-505.    [VI  285. 
Thoki  VIII  404. 
Thola  VIII  415,  417,  418. 
Thor  II  68,  HI  116,  VI  293,  294, 

VII  343,  VIII  453. 
Thora  (Ursas  Mutter)  II  81,  82. 
Thora  (Cusoa  Tochter)  III  114, 118. 
Thora  (Tochter  des  Herothus)  IX 

472,  476,  481. 
Thoraldus  II  05. 
Thorbiorn  VI  277. 
Thord  VIII  404. 
Thoriiis  VIII  417. 
Thorilda  (Ocmahlin  dos  Hundin- 

gUH)  II  65,  69. 
Thorilda   (Tochter  des  Hatherus) 

VII  348,  349. 

Thorkill  (der  Giitiander)  VIII  404. 
Thorkillus  [Torkillus]  II  73. 
Thorkillus     (aus     Thclemarchien) 

VIII  409. 

Thorkillus    (der    Seefahrer)   VIII 

446—458,  460     462. 
Thorkillus  (ein  Schwedenfürst)  IX 

485. 


Thorlewar  VUI  404. 

ThomT  VIII  401. 

Thoro  (ein  Fechter)  VII  343. 

Thoro  (ein  Fürst)  VII  397. 

Thoro  [Thoro]  II  81,  82. 

Thomlf  VIII  404. 

Thonis  V  254. 

Thorwillus  VII  398. 

Thorwingus  VUI  401. 

Thothny  VIII  404. 

ThottuB  VIII  413. 

Thririkar  VIII  406. 

Thrönski  (Thronder)  VUI  404. 

Throndar  VUI  404. 

Thronder  (Thronski)  VIII  404. 

Thronder  (d.  s.  die  Dronthetmer» 

VII  389,  VUI  410. 
Throndus  VIII  417,  418. 
Thruwar  VIII  405. 
Thrygir  VIII  406  [=  Trigol. 
Thule   [Tyle]   Vorr.  5,   VIII  401, 

405,  446,  462. 
ThuninguB  I  48. 
Tirwingar  V  266. 
Titan  VI  287. 

Todessumpf  [Letalis  paltts]  VlI  370. 
Toki  VIII  402. 
Toko  (ein  Wiking)  VII  345. 
Toko  (ein  Sklave)  VII  392. 
Tolcar  VIII  402. 
Toli  VIII  401. 
Torwil  VIII  406. 

Toöto  (der  Schändliche)  I  51—53. 
Tosto  (der  Opferer)  VII  397. 
Tranno  II  61. 

Trigo  VIII  406  [=  Thrygir], 
Turami  VIII  401. 

ü. 

Ubbo  (Gemahl  Ulwildas)  II  70,  71 

Ubbo  (ein  Krieger)  III  136. 

Ubbo  (der  Friese)  VII  390,  VUI 
402,  409,  410. 

Ubbo  (Sohn  des  Regnems  Lod- 
brok) IX  481,  485,  486,  488. 


Namen  verzeich  dIs. 


531 


Uffo  (des  AsmunduB  Sohn)  I  42, 

44,  48,  5  . 
Uffo  (des  (Wermundus  Sohn)  IV 

170,  181—187. 
ügarthilocus  VIII  455,   456,  458, 

459,  461. 
Uggerus  V  252. 
Ulf  VIII  403. 
Ulwilda   (Tochter  des  Hadingus) 

I  54,  56,  II  70—72,  78,  79. 
Ulwilda  (Tochter  des   Sywardus) 

VII  338. 
Ulwo  VIII  462. 
Undensakre  IV  168. 
Ungo  VIII  406. 
Ungwinus  VII  349—351. 
Upsala   I  37,  41,  50,  III  119,  VI 

297,  311,  VII  383,  VIII  405. 
Ursa  II  81,  83,  85,  88,  89. 
Utgardia  IX  488. 

V. 

Vagnophthus  [Vagnhofthus,  Vagn- 

oftuB]  I  28,  30,  41. 
Venu»  II  94,  V  195,  222,  VI  829. 
Verundien    [Werundia]    Vorr.    9, 

VIII  406. 
VespasiuB  II  63. 
VigletuB  IV  168-170. 
VithnuB  VIII  413. 
VitolfuB  VII  342. 
Vittho  II  72. 

W. 

Walbrunna  VII  370,  371. 

WalBten  VIII  404. 

Wasce  [=  Wilcze]  VI  300.  Der- 
selbe wie 

Waza  VIII   425. 

Webiorga  [=  Wegthbiorg]  VIII 
401. 


Wecha   III    127. 

Wegthbiorg  [=  Webiorga]   VIII 
409. 

Weinundus  VII  355. 
Wera  V  274. 
WermenV257,  VII  394. 
Wermland  V  258,  VIII  403. 
Wermundus  IV 170, 172—174, 176, 
180—186. 

Werundien  [=  Verundien]  VIII 
406.     (Vorr.  9). 

Wesetus  VII  384,  385. 
Westmarus  V  193^195,  197—199, 
219,  223. 

Whiteby  IX  472. 

Wicarus  VI  294,  295. 

Wienisch  VIII  403. 

Wigerus  VII  369. 

Wiggo  II  92,  93,  106,  107. 

Wigo  IV  171,  176,  179. 

Wik  V  258,  262,  VIII  404,  406. 

Wikarer  VII  385. 

Wilcze  [=  Wasce]  VI  300. 

Windar  VIII  403. 

WinuB  VI  299. 

WisinnuB  VI  299,  VIII  425. 

Wisna  VIII  401,  402,  408,  409. 

Withsercus  IX  479,  482,  486,  487. 

WiwilluB  VIII  406. 

Woldemarus  Vorr.  6,  9. 

Wollfeld  [Laneus  campus]  IX  474. 

Woilin  [provincia  Ju/tnensis]  VIII 

402. 

Y. 

Ymi  VIII  402. 

Ywarus  (Thruwar)  VIII  405. 


Z. 


Zephyrus  I  45. 


34' 


Berichtigungen  und  Zusätze. 


8.  1  A.  1  Z.  1  1.  1179  St.  1079 

S.  26  Z.  14  V.  o.  1.  Ringo  st.  Ringus. 

Zu  S.  44  A.  4  vgl.  noch  das  zweite  Lied  von  Helgi  Str.  29ff.  =  Greriu^rs 
Edda  S.  178. 

Zu  8.  46  A.  1  Z.  1:  Frö  ist  die  regelmässige  dänische  Sprachform  für 
isl.  Freyr. 

Zu  S.  48  A.  1  vgl.  B.  VIU  S.  449. 

Zu  S.  72  A.  3  teilt  mir  A.  Olrik  freundlichst  mit,  dass  altnord.  luOmr 
nur  gerade  Holzinstrumente  bezeichnet,  wie  sie  noch  heute  norwegisch«.' 
Hirten  gebrauchen.  Die  Hörner  der  Bronzezeit  dagegen  sind  a>}s 
Bronze,  gekrümmt  und  tönereicher;  ihren  eigentlichen  Namen  kennf^n 
wir  nicht. 

Zu  S.  80  A.  3  s.  die  neueren  Untersuchungen  von  Bugge  „Helge-Digtt:.e 
i  den  aildre  Edda**  Kopenhagen  1896  (Zweite  Reihe  d.  Studien  üt>tr 
d.  Entwickehmg  d.  nord.  Götter-  u.  Heldensagen). 

S.  85  A.  2  1.  isländischen  st.  andern. 

Zu  S.  101  Z.  3  u.  A.  2:  Firivalllsch  (Firiuallinos  agros)  Ist  nur  Konjektur, 
aber  wohl  sicher  richtige,  für  sirtuallinos  der  ed.  princ. 

Zu  S.  114  A.  2  vgl.  noch  Buch  V,  S.  253  u.  A.  1.  —  Olrik  unterscheidet 
übrigens  an  der  angeführten  Stelle  zwischen  dänischem  und  nor- 
wegischem Brauche  einerseits  und  isländischem  andrerseits. 

Zu  S.  119  A.  5.  Isora  (Isöre)  war  genauer  der  Name  einer  Landzunge 
(und  eines  Hafens)  an  der  Einfahrt  zum  Isefjord;  sie  war  im  II.  und 
12.  Jh.  mehrfach  der  Ort  für  Reichs-  u.  Heeresversammlungen  (Olrik l. 

Zu  S.  120  A.  2:  Olrik  teilt  mir  mit,  dass  es  in  Südjütland  einen  Ort 
Hother  (heut  Hujor)  giebt,  der  wahrscheinlich  gemeint  sei. 

S.  125  Z,  7  V,  u.  (Text)  1.  begonnen. 

Zu  S.  126  A..  1  vgl.  noch  Bugge,  Studien  I  (übers,  v.  Brenner)  S.  565  bis 
573  (A,  Olrik). 

S.  132  A.  1  ist  zu  streichen.  Rönk  als  Nachfolger  des  Hotherus  findet 
sich  nur  in  den  von  Saxo  abgeleiteten,  nicht  in  ursprünglichen  Quellen. 
(Olrik). 

S.  137  A.  3.  Der  Xame  0>llerus  hat  mit  dem  Adj.  kalt,  däo.  kold,  annl 
kaldr  gar  nichts  zu  thun,  wie  doch  noch  öfter  zu  lesen  ist. 


BerichtigUDgen  und  Zusätze.  533 

S.  1B9  letzte  Z.  l.  hölmlausn. 

S.  145  A.  3  Z.  3  1.  „Stroh"  oder  „Rohr"  st.  Moos  (Olrik). 

S.  180  Z.  18  o.  u.  1.  Leben. 

S.  192  Z.  5  V.  o.  1.  ergreifen. 

Zu  S.  248  A.  1  vorl.  Z.:  hundra^  bezeichnet  im  Isländischen  jetzt  nur  noch 
bisweilen,  nicht  gewöhnlich,  die  Zahl  120  (Finnur  Jönsson). 

Zu  S.  254  A.  4:  £in  ^orir  langi  kommt  auch  in  der  Heimskringla  vor 
(F.  Jönsson). 

S.  255  Z.  15  V.  o.  1.  £ricus  st.  Frotho. 

S.  258  Z.  5  V.  u.  (Text)  1.  Hethmarchien. 

S.  284  Z.  15  V.  o.  1.  Amundus  st.  Asmundus. 

8.  288  Z.  8  V.  u.  (Text)  1.  Grubbus  st.  Grubbo. 

S.  296  Z.  1  1-  Fraccus  st.  Fricca. 

S.  322  Z.  2  V.  u.  1.  Lübeck. 

S.  343  Z.  13  V.  u.  (Text)  1.  Ualdanus. 

S.  370  A.  2  1.  Z.  1.  429  st.  434. 

S.  376.  Zu  Anm.  1  ist  das  im  Altnordischen  belegte  Wort  „rauflaran** 
das  die  von  Saxo  im  Text  angegebene  Bedeutung  hat,  zu  vergleichen 
(F.  Jönsson). 

S.  403  1.  Z.  u.  404  Z.  1  1.  Anwohner  des  Götelv  st.  Grenzuachbam  von 
Nordalbingien.  Albia  septentrionalis  bezeichnet  nach  Holder  den  ge- 
nannten schwedischen  Fluss;  da  die  Elbe  sonst  auch  immer  Albia 
heisst,  ist  die  Verwechslung,  die  übrigens  auch  Elton  hat,  entschuldbar. 

S.  404  A.  10  1.  Sögu-Eirikr. 

S.  470  A.  2  Z.  5  1.  Loflbrok. 

S.  488  Z.  11  V.  o.  u.  A.  1  Z.  1  I.  Utgardia,  Utgardiam. 


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