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in 2011 with funding from
University of Toronto
http://www.archive.org/details/dieevangelischec01lero
Die
evangelische Christenheit
und die Juden
unter dem Gesichtspunkte der Mission
geschichtlich betrachtet.
Von
Lic. J. F. A. de le Roi,
Erster Band-
Karlsruhe und Leipzig.
Verlag von II. Reuthe
1884.
v>-
Die
evangelische Christenheit
und die Juden
in der Zeit der Herrschaft christlicher Lebensanschauungen
unter den Völkern.
Von der Reformation
bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts.
Von
Lic. J. F. A. de le Roi,
Pastor.
Karlsruhe und Leipzig.
Verlag von II. R e u t h e r.
1884.
Vorwor t.
JUas Vorhandensein einer Judenfrage ist in den letzten
Jahren unter allen den christlichen Völkern, in deren Mitte eine
grössere Anzahl von Juden wohnt, wieder als eine überaus ernste
Thatsache empfunden und erfahren worden. Die Meinung, dass
es der Neuzeit fast gelungen sei, jene Frage, welche die früheren
Jahrhunderte ja freilich ungemein lebhaft beschäftigte, zu lösen,
wird allmählig aufgegeben. Alle Einsichtigen unter den Christen
nicht bloss, sondern auch unter den Juden bekennen es jetzt,
dass es falsch war, wenn man geglaubt hatte, nur diese oder
jene einzelne Person habe die alte Frage auf künstliche Weise
für kurze Zeit wieder ins Leben gerufen. Denn man muss sich
ja gewaltsam die Augen verschliessen, wenn man es nicht sehen
will, dass thatsächlich die christliche Bevölkerung besonders von
Deutschland und Oesterreich - Ungarn , Russland und Rumänien,
in deren Gebieten etwa fünf Siebentel der gesammten Juden-
schaft angesiedelt sind, überwiegend in einem Kampfverhältniss
mit den Juden steht, das in steigendem Maasse die Art eines un-
versöhnlichen Krieges anzunehmen droht.
Aber ist denn nicht Kampf die Lösung zwischen der Syna-
goge und der Kirche, zwischen den Juden und den Gemein-
schaften, welche in ihrer geschichtlichen Entwicklung die Gestalt
christlicher Völker angenommen haben, von Anfang gewesen?
Das Christenthum und die christliche Gemeinde ringen sich ja in
VI
ihrem Ursprünge nur unter den heftigsten Angriffen der Juden
und der Synagoge zum Dasein hindurch. Letztere wollten in
keinem Falle dulden, dass es eine Gemeinde des wahrhaftigen
Gottes auf Erden gebe, die nicht jüdisches Gepräge trüge und
die etwas Höheres bedeuten sollte als ein jüdisch geartetes Gemein-
wesen zu sein. Dass nicht die Juden, ihr Stamm und Geschlecht
an sich selbst die Gottesgemeinde auf Erden darstellen sollten,
sondern dass fortan ihre Gemeinschaft an Jesu über ihre Zu-
lörigkeit zu der Gemeinde Gottes entscheiden solle, und wieder,
dass alle, welche Unterthanen Christi sein wollten, in ganz der
nämlichen Weise wie die Juden, welche Jesu dienten, die Gottes-
gemeinde auf Erden bilden helfen , das war es , wogegen sich
das jüdische Volk von Anfang an zum Kampfe auf Leben und
Tod erhob.
Keines Menschen Leben ist durch diese Thatsache so
durchgreifend bestimmt worden als das des Apostel Paulus,
welcher früher selbst als Saulus in den vordersten Reihen derer
gestanden hatte, die sich mit vollem Bewusstsein und mit einem
zu allem entschlossenen Willen die Zerstörung der Gemeinde
Jesu Christi zu einer ihrer höchsten Lebensaufgaben gemacht hatten.
Saulus hat es aber erfahren, dass er gegen Gott streite,
indem er für die Synagoge und gegen die christliche Gemeinde
kämpfe, und von da ab ist er ein Apostel Jesu Christi geworden.
Seine Aufgabe jedoch, die Gemeinde Jesu unter den Völkern zu
erbauen, konnte er von dem ersten Tage an, da er dieselbe
aufnahm, bis zu seinem letzten Odemzuge nicht anders ausrichten,
als so, dass er Schritt für Schritt mit seinem eigenen Volke
kämpfen musste. Sein Volk, welches die Synagoge an Stelle
der Kirche Christi festhalten wollte, Hess ihm keine Ruhe, son-
dern die Eiferer desselben hefteten sich an seine Sohlen und
ide, dass es sich also verhielt, machte die schmerzlichste Er-
fahrung seines Lebens aus.
Derselben Thatsache aber stand die Christenheit in aller
Folgezeit immer wieder gegenüber. Wohl hat es Jahrhunderte
— VII
gegeben, in denen die Synagoge der Hauptsache nach auf die
Vertheidigung angewiesen war, und wo sie nicht zum Angriffe
auf die Weltstellung der christlichen Kirche und ihrer Völker
übergehen konnte, aber ihre innere Stellung zu denselben ist stets
die gleiche geblieben. Ein gewisser Kriegszustand blieb denn
auch fortbestehen, äusserte sich in diesem Zeiträume aber haupt-
sächlich auf dem Gebiete des natürlichen und socialen Lebens.
Das ist seit einem Jahrhundert anders geworden. Man hat
seitdem den Versuch gemacht, Juden und Christen durch die
Mittel der modernen Humanität miteinander zu einer Volksge-
nossenschaft zu verbinden. Der Erfolg dieser Bemühungen ist
gewesen, dass viele einzelne Juden und Christen einander näher
getreten sind, und das äussere Leben der Juden in vielen Be-
ziehungen die Gestalt der Völker, unter denen sie wohnen, an-
genommen hat. Aber eine innere Verbindung der grossen jüdischen
Masse mit ihrer Umgebung zu einer wirklichen, geistigen, socialen
und nationalen Vereinigung ist durch den philosophischen und
politischen Humanismus nicht herbeigeführt worden. Seit der
neuesten Zeit tritt sogar überall das die beiden Theile Trennende
wieder verstärkt in den Vordergrund; die Kluft zwischen ihnen
erweitert sich ganz sichtbar und wird eine immer bewusstere.
Unter den Juden ist man allmählig stets entschlossener
zum Angriffe vorgeschritten; und unter den wichtigsten christ-
lichen Völkern wächst die Erkenntniss, dass man sich mit den
Juden des eigenen Landes in einem Kriege befindet, bei dem
es sich geradeswegs um die Wurzeln des gesammten Daseins
handelt.
Der Krieg ist da; wer ihn todtschweigen will, thut damit
keinem Theile einen Gefallen; denn er hilft nur dazu, dass der Brand
weiter um sich greife, bis er nicht mehr gelöscht werden kann.
Und die Gefahr ist bereits gross , dass der gegenwärtige Streit
mit den Juden in einen blossen Vernichtungskampf ausarte. Wer
aber in diesem Kampfe eine Liebe fordert, welche nicht mehr die
Wahrheit zum Siege führen will und welche also ein blosses
— VIII —
Trugbild der Liebe ist, der gibt der Synagoge gegen Christum
und den Verfolgern der Apostel gegen diese Recht. Die Juden-
frage wird damit aber am allerwenigsten gelöst, sondern auf so
ungerechten und innerlich unwahren Wegen nur tiefer in die
Verwirrung hinabgeführt. Die apostolische Gemeinde schon hat
dies erfahren, in der Judenchristen Privilegien für jüdische An-
sprüche forderten, oder, wie der Hebräerbrief zeigt, lieber an der
Wahrheit etwas nachgeben und beide Augen den Juden gegenüber
zudrücken wollten, als dass sie die Verbindung mit denselben
auf das Spiel setzten.
Paulus hat mit den Vorfahren der heutigen Philosemiten
ganz ebenso gut wie mit den Vorgängern des Antisemitismus,
die in den Christengemeinden aus den Heiden ihr Haupt zu er-
heben begannen, bereits zu ringen gehabt.
Klare, deutliche Erkenntniss dessen, wie die Sache steht,
thut uns Noth. Es ist nicht anders, sondern muss damit gerechnet
werden, dass, so lange es eine Synagoge neben der Kirche und
Gemeinde Jesu Christi gibt, so lange es auch bei dem Kampfe
zwischen den beiden bleibt; die Geschichte lehrt es uns, und die
Schrift hat es im Voraus verkündigt.
Aber die Schrift und zumal der Apostel, welcher wie kein
anderer den Kampf mit der Synagoge und den Juden gekämpft
hat, bezeugen es auch, welcher Art dieser Kampf sein, mit
welchen Waffen er gestritten werden und zu welchem Ende er
führen soll.
Gewiss, nach der Schrift ist das in der Synagoge lebende
'srael eine Gemeinschaft, welche sich der Wahrheit gegenüber
verstockt hat und welche der Apostel Paulus geradeswegs Eeinde
Gottes nennt, die Kirche dagegen die Bekennerin der Wahrheit
und ihr Volk das heilige Volk. Paulus leugnet dabei nicht eine
stark ausgeprägte Religiosität bei vielen Gliedern der Synagoge,
und nur Ungerechtigkeit will es nicht sehen, dass diese Religio-
sität auch bis heute noch, wo freilich der Unglaube die herrschende
Macht inmitten der Judenschaft zu werden droht, so manche
— IX -
bürgerliche Tugend in derselben lebendig erhalten hat. Aber
dennoch hält alle diese Religiosität der Juden den Apostel nicht ab,
dass er sie im denkbar ernstesten Lichte betrachtet. Paulus
weiss so wenig etwas die Juden Verherrlichendes zu sagen, dass
nach seinem Zeugnisse vielmehr bei ihnen alles vom innersten
Grunde aus anders werden muss.
Jeden irgendwie gearteten jüdischen Einfluss weist er daher
schon an der Schwelle der christlichen Gemeinschaft ab und
fordert von dieser zunächst aufs entschiedenste Selbstbe-
wahrung den Juden gegenüber. Die christliche Kirche und die
christliche Gemeinschaft, welche gerade ihr Apostel Paulus über
das rechte Verhältniss zu den Juden belehrt, hätten sich denn
auch diese Weisung desselben gesagt sein lassen sollen. Und
wir werden noch heute in der Judenfrage nicht weiter kommen,
wenn wir nicht mit aller Bestimmtheit daran festhalten,' dass
sich die christliche Gemeinschaft, sie heisse nun kirchliche oder
weltliche, von jedem jüdischen Einflüsse frei zu halten hat.
Doch das ist freilich nur die eine, die negative Seite der
Sache; aber der Apostel, welcher mit der Synagoge und ihrem
Volke so ernst in das Gericht geht und welcher denselben es
nirgends gestattet, die christliche Gemeinschaft in irgend einer
Weise zu bestimmen, thut dies doch nur als der Zeuge des
Christus, welcher will, dass allen Menschen geholfen werde. Mag
er von seinen Volksgenossen noch so leidenschaftlich gehasst
und verfolgt werden, er weiss nichts von Vergeltung, sondern
eben, weil er ein Diener Jesu Christi ist, verbindet sich bei ihm
mit dem unbestechlichen Ernste, der die ganze Argheit ihrer
Sünde aufdeckt und ein nichts beschönigendes Urtheil über sie
ausspricht, nun doch ein so mächtiges Liebeserbarmen, dass er
den bereits in den Abgrund Versinkenden noch die Hand dar-
reicht und sie retten will.
Ausser ihrem Heilande hat nie ein Mensch auf Erden die
Juden so heiss geliebt als der Paulus, welcher von allen Zeugen
des Neuen Testamentes am unerbittlichsten ihre Schuld und ihr
Verderben verkündigt hat. Kr sieht keinen einzigen Juden anders
als zuerst mit dem Gedanken und mit der Hoffnung an, dass
jener zu demselben Heiland kommen könne, welcher ihn selbst,
den Verfolger der Gemeinde und den Lästerer Christi gerettet
hat Es gibt nicht eine Stadt, da er nicht auf seinen Missions-
reisen zuerst an die Juden, welche sie bewohnen, herantritt, um
ihnen seine Friedensbotschaft zu verkündigen und so den ältesten
Bürgern des Gottesreiches an erster Stelle das Evangelium zu
bringen. Dem Apostel macht es gar nichts aus , wenn er eine
Stadt nach der anderen, sehr wenige ausgenommen, mit der Er-
fahrung verlassen muss, dass die grosse Masse der Juden daselbst
dem Evangelium von Christo mit Feindschaft entgegengetreten
ist; sondern an dem nächsten Orte finden wir ihn wieder unter
den Juden, um sie einzuladen, das Erbe anzutreten, welches ihren
Vätern verheissen wurde.
Ein so grosser Ernst ist es dem Apostel damit, dass der
Wille des Herrn geschehe, der alle zur Erkenntniss der Wahrheit
kommen sehen will. Und ebenso bleibt er, nachdem er immer
wieder von der Synagoge abgewiesen worden ist, doch dabei, dass
sein Evangelium eine Kraft Gottes ist, die Juden zuerst selig zu
machen. Er wird unter ihrem Widerstreben nicht in der Gewissheit
irre, dass sein Evangelium trotzdem eine viel grössere Macht als
alle Hartnäckigkeit der Juden ist. Und dies gibt ihm guten Muth,
zu derselben Zeit, wo er sich der Verstockung der Juden voll-
ständig bewusst ist, ihnen trotzdem Jesum Christum zu predigen.
Paulus hielt eben die Verstockung bei keinem einzelnen Juden
seiner Tage für unüberwindlich, er hielt sie aber auch bei dem
Volke selbst nicht für unbesiegbar, sondern glaubte nach der
Schrift an eine Zukunft, in welcher das ganze Volk nach den
Zeiten der Verstockung seine Seligkeit in Jesu Christo suchen
und finden würde. Der Ernst der Gegenwart Hess ihn an dem
Frieden der Zukunft nicht verzagen, und die Hoffnung der Zu-
kunft Hess ihn die Gegenwart nicht in falschem Lichte anschauen.
— XI —
Paulus trat stets an die grosse Masse der Juden und an
ihre geschlossene Gemeinschaft mit dem Bewusstsein heran, dass
er unter ihnen etliche finden werde, welche das ihnen dargebotene
Heil in Christo annehmen würden. Sie waren ihm also nicht
eine blosse Masse des Verderbens, sondern auch in ihrem gegen-
wärtigen Zustande noch ein Feld, auf dem sich die Arbeit wohl
lohnte. Und die in dem verdorrenden Oelbaume sich da und
dort noch zeigenden Säfte bestärkten ihn in der Zuversicht, dass
noch einmal der ganze Baum frisch aufblühen werde. Er wollte
aber auch, dass die christliche Gemeinde die gleiche Erkenntniss
wie er selbst hinsichtlich Israels haben und die gleiche Stellung
zu demselben einnehmen sollte. Daher rief er sie , wie dies be-
sonders sein Brief an die Römer beweist, zu lebendigem Zeugnisse
vor der jüdischen Masse ihrer Tage und zu derselben Hoffnung,
welche ihn erfüllte für das Volk auf. Die aus den Völkern sich
sammelnde Gemeinde Jesu sollte den im Zustande der Verstockung
dahinlebenden Juden nicht den Rücken kehren, sondern an ihnen
wie Paulus ein Werk der Barmherzigkeit ausrichten.
Damit ergeben sich aber für die Christenheit, mag sie nun
als kirchliche oder mag sie als bürgerliche Gemeinschaft in
Betracht kommen, sehr wichtige Folgen. Vor allem wird es klar,
dass es den Grundsätzen des Apostels geradeswegs widerspricht,
wenn man in der Christenheit die Juden vergisst und ihnen
gegenüber die Hände in den Schoss legt oder sie gar in ihrem
bürgerlichen und religiösen Leben misshandelt. Beides aber hat
das Mittelalter nur zu reichlich gethan. Und ebenso beweist es
das Beispiel und Zeugniss des Apostel Paulus, dass es der christ-
lichen Gemeinschaft, weiche nun die doppelte Gestalt einer kirch-
lichen und einer bürgerlichen trägt, obliegt, an den Juden eine
positive Aufgabe auszurichten.
Die Geschichte hat indessen ihr Zeugniss dafür abgelegt,
ob auf den Wegen des Apostels oder auf anderen die Lösung
der Judenfrage kommen könne. Mahnend und warnend, ermunternd
und ermuthig-end will sie unsere Lehrmeisterin sein. Eben diesem
— XII —
wahrhaft praktischen und auf das wirkliche Leben abzielenden
Zwecke will denn auch die Darstellung desjenigen Stückes Ge-
schichte dienen, welche dieses Buch enthält. Der Verfasser hat
sich aber seine Aufgabe in so bestimmter Begrenzung erwählt»
weil er gerade unter der Beschäftigung mit dem Gegenstande
immer mehr der Ueberzeugung geworden ist, dass nur von
evangelischen Grundsätzen aus, weil diese allein die Richtschnur
des Apostels hinreichend innezuhalten im Stande sind, die rechte
Stellung zu den Juden gewonnen werden kann.
Wie weit dies aber in der evangelischen Christenheit bereits
erreicht worden ist, wie oft der rechte Weg betreten und wie
oft er wieder verlassen ist, das werden die Jahrhunderte selbst
zeigen, wenn sie an dem Maasse des Apostels gemessen werden.
Was dann noch insbesondere unsere Gegenwart betrifft, so wird
dieselbe, wenn sie zum Ziele kommen will, sehr wohl thun, wenn
sie die frühere evangelische Zeit, von welcher dieser Band zunächst
handelt, unbefangen prüft. Das abgeschlossen vorliegende Zeugniss
dieses Zeitraumes ist in der That ein sehr lehrreiches.
Und nun noch ein Wort über die Schrift selbst. Ihrer Ab-
fassung standen manche Schwierigkeiten im Wege. Vor allem
war das für dieselbe nöthige Material, welches ja viele Hunderte
von Schriften ausmacht, zum Theil recht schwer, wenn überhaupt
zu verschaffen. Ein Umstand war jedoch dabei günstig. Die
Breslauer Stadtbibliothek ist im Besitze einer so reichhaltigen
Sammlung von Schriften, welche sich auf das hier bearbeitete
Thema beziehen, wie keine andere Bibliothek Deutschlands.
Allerdings aber gilt dies nur für den Zeitraum bis 1750. Fände
eine Ergänzung der betreffenden Literatur auch für die Folgezeit
statt, dann würde diese Bibliothek vor allen anderen die Möglichkeit
bieten, unser Thema in das rechte Licht zu stellen. Dankbar
aber erkennt der Verfasser die grosse Güte an, mit welcher der
Leiter dieser Bibliothek, Herr Dr. Markgraf, und seine Assi-
stenten ihm behilflich gewesen sind, die reichen Schätze, welche
unter ihrer Verwaltung stehen, zu heben.
— XIII -
Durch die Liberalität der Londoner Judenmissionsgesellschaft,
in deren Diensten der Verfasser bisher stand, war es diesem sodann
gestattet, sich eine Zeitlang in Halle aufzuhalten, um die dortige
Waisenhausbibliothek, welche in den Besitz der Literatur des
Institutum Judaicum getreten ist, zu benützen. Die Herren
Direktoren Kramer, Adler und Fr icke haben dem Verfasser
freundlichst erlaubt, die in der Waisenhausbibliothek vorhandenen
Bücher und Manuscripte einsusehen. Leider hat es sich hierbei
herausgestellt, dass dort nur ein verschwindender Bruchtheil der-
selben noch vorhanden ist. Die Londoner Gesellschaft hat ihrem
Missionar aber auch die Bücher ihrer eigenen Bibliothek gütigst
zur Verfügung gestellt, und besonders für das Werk in England
war den in jener Bibliothek befindlichen Büchern manches zu
entnehmen.
Ein Zeugniss, welches das Heil von Christen und Juden
in der Verbindung, welche der die Völker recht lenkende Gott
gestiftet hat, zu fördern trachtet, will diese Schrift sein; möchte
sie auch so aufgenommen werden.
■^3~#r;
Inhalt.
Einleitendes.
1. Zur Literatur ...........
2. Die Entwicklungsstufen in den Missionsbeziehungen der evangelischen
C.'hri stenheit zu den Juden ........
I. Die reformatorische Anfangszeit.
Vom Beginn der Reformation Ins zur Mitte des 16. Jahrhunderts
i. Zustände der Juden im Anfange der Reformation . . . .
2. Luther ............
3. Die anderen Reformatoren und Luthers unmittelbare Nachfolger
4. Proselyten der ersten Zeit ........
5. Das Ergebnis« der reformatorischen Anfangszeit ....
Seite.
9
20
44
59'
IL Das Zeitalter der gelehrten Beziehungen in der
evangelischen Christenheit zu den Juden.
Von der Mitte des 16. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts.
1. Die äusseren und inneren Verhältnisse der Juden .
2. Allgemeines über die Stellung der christlichen Umgebung zu den
Juden in dieser Zeit ........
3. Deutschland ..........
a. Die talmudische und rabbinische Literatur im evangelischen Deutsch
land bis 1700 .........
b. Anderweitige literarische und sonstige Miss
c. Esdras Edzard .....
d. Die Proselyten dieser Zeit in Deutschland
4. Die Schweiz ......
5. Frankreich ......
6. Holland
a. Christliche Missionsbestrebungen .
b. Holländische Proselyten
onsbemühun«.Ten
66
71
71
84
104
114
155
140
142
142
159-
XVI
;. Grossbritannien .....■•
a. Die Wiederaufnahme der Juden in England
b. Missionsbemühungen in England ....
c. Bekehrungen in England .....
8. Dänemark, Schleswig und Holstein ....
9. Skandinavien und die jetzt russischen Ostseeprovinzen
10. Amerika .....•■••
1 1 . Die Socinianer ....•••
12. Rückblick
III. Die Zeit des Vorherrschens innerer Beziehungen
zu den Juden.
Erste Hälfte des 18. Jahrhunderts.
1. Zur Charakterisirung des Zeitraums .
2. Jüdische Zustände ......
3. Deutschland .......
a. Philipp Jakob Spener ....
b. Literarische und anderweitige Missionsbemühungen im Zeil
c. Johann Heinrich Callenberg
d. Die Vorgeschichte des Institutum Judaicum
e. Die Anfänge des Institutum Judaicum
f. Zur Charakterisirung der Mission des Institutum
g. Die M'.ssionare Widmann und Manitius
h. Stephan Schultz ......
i. Zur weiteren Geschichte des Institutum
k. Wirkungen des Halle'schen Institutum in diesem Zeiträume
1. Anderweitige Missionsbemühungen des Zeitraumes
m. Erüdergemeine ......
n. Proselyten in Deutschland ....
4. Die Schweiz .......
5. Holland • •
6. Grossbritannien ......
7. Dänemark, Schleswig und Holstein .
8. Die nordischen Länder .....
9. Nord-Amerika .......
lo. Gesammtergebniss der älteren Periode
Seite.
163
163
1 68
iS6
191
192
195
196
197
200
202
206
206
215
246
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262
269
2S0
304
323
334
351
359
372
407
412
419
427
43i
433
436
-£3-*-C$f~
Einleitendes.
i. Zur Literatur.
ochriften über die evangelischen Missionsbeziehungen zu den
Juden innerhalb der gesammten evangelischen Kirche begegnen
uns erst in jüngster Zeit. Wo man früher allgemeinerer Bestre-
bungen, welche auf die Bekehrung der Juden abzielten, gedenkt,
wird zumeist unterschiedslos alles, was im Gebiete der gesammten
christlichen Kirche hierfür geschehen ist, zusammengestellt. Doch
ist man dabei wenigstens bestrebt, das einschlagende Quellen-
material in möglichster Vollständigkeit zu sammeln, und in diesem
Stücke übertrifft die frühere Zeit besonders das ig. Jahrhundert
ganz ungemein. Die Schriften, welche nach der Mitte des vorigen
Jahrhunderts den Quellennachweis für unseren Gegenstand bieten,
stehen in allen Beziehungen hinter den gleichartigen der älteren
Zeit zurück. Und so wird denn auch unsere Geschichtsdarstellung
in diesem zweiten Zeitraum genug Lücken zeigen, zu deren Er-
gänzung die Kritik das Ihrige beitragen mag.
Zunächst nun mögen diejenigen Quellen und Schriften,
welche für die Kenntniss der gesammten Missionsbemühungen
bis zu ihrer Zeit die erheblichsten sind, genannt werden; während
es vorbehalten bleibt, die wichtigsten Quellen und Schriften für
einzelne Abschnitte unserer Geschichte an ihrem Orte anzuführen.
An erster Stelle verdienen da eine anerkennende Erwähnung
zwei Schriften eines Predigers zu Frankfurt a. M. Martin Diefen-
bach „Iudaeus convertendus oder verschiedene Urtheile und
Vorschläge fürnehmer Theologen und anderer Gelehrten, wie die
Bekehrung der Juden durch Gottes Gnade zu suchen und zu
befördern sei". 1696. 40, und „Iudaeus conversus oder Erzählung
von einem bekehrten Juden und Erklärung der vorigen Schrift
nebst zweien Judenpredigten". Frankfurt 1 709. 4 °. Beide Schriften
J. F. A. de le Roi, Missionsbeziehungen. I
— 2 —
halten, was sie versprechen und geben einerseits eine klare Vor-
stellung davon, in wie weit und auf welche Weise unsere ältere
evangelische Kirche sich mit der Bekehrung der Juden beschäftigt
hat, und enthalten anderseits manche werthvolle Mittheilungen
über Froselyten aus diesem Zeiträume.
Johann Jakob Schudt, ein Schüler des Hamburger Esdras
Edzard, Rektor in Frankfurt a. M. hat geschrieben: Compen-
dium historiae Iudaicae de origine, incrementis et rebus gestis
Iudaeorum ad duetum Justini lib. 36 potissimum ex gentilium
scriptoribus collectum, quo res Iudaeorum ab ineptiis, convieiis
et mendaeiis gentilium vindicantur. Frankfurt 1700. 8°. Besonders
aber: „Jüdische Merkwürdigkeiten, vorstellend, was sich Curieuses
und Denkwürdiges in der neueren Zeit bei einigen Jahrhunderten
mit denen in allen vier Theilen der Welt, sonderlich durch Deutsch-
land zerstreuten Juden zugetragen, sammt einer vollständigen
Frankfurter Judenchronik" 4 Thle. 17 14 — 1717. Frankfurt und
Leipzig, 40. Schudts Schriften liefern eine ungemeine Menge,
wenn auch völlig bunt durch einander geworfener Nachrichten
über die Juden und die Missionsbemühungen unter denselben.
Sehr vieles in denselben ist werthvoll, anderes dagegen kann die
geschichtliche Probe nicht bestehen. In den beiden bedeutenden
Werken der katholischen Schriftsteller Giulio Bartolocci di
Celleno, Bibliotheca magna rabbinica, 3 Bände, Rom 1675 — 93
und den 2 Bänden Fortsetzung von D. J. C. Imbonato, Rom
1694 werden auch protestantische Autoren und jüdische Prose-
lyten, die zur evangelischen Kirche übergetreten sind, berück-
sichtigt. Was dieselben aber in unserem Felde darbieten, findet
.'-ich auch bei dem nunmehr zu nennenden evangelischen Schrift-
steller, der jene römischen Vorgänger benutzt hat und seinerseits
weit mehr als alle, welche unser Gebiet bearbeitet haben, auf
demselben geleistet hat : es ist dies Joh. Christophorus Wolf,
Ilauptpastor in Hamburg.
Wolf hat das wichtigste Werk für unsere Kenntniss der
gesammten die Juden betreffenden Literatur und ebenso auch
für den von uns behandelten speciellen Zweig derselben gelie-
fert: die Bibliotheca Hebraea sive notitia tum autorum Hebr.
eujuseunque aetatis tum scriptorum, quae vel Hebraice primum
exarata vel ab aliis conversa sunt, ad nostram aetatem dedueta.
4 Theile. Hamburg und Leipzig. 171 5 — 1734. 4°. Eine fast un-
glaubliche Fülle von Gelehrsamkeit ist in diesen 4 Bänden nie-
dergelegt. Und wenn man die ungeheure Menge des in denselben
aufgespeicherten Materials in Betracht zieht, wird man anerkennen
müssen, dass die Sammlung mit einer nur selten von irgend einem
Schriftsteller erreichten Genauigkeit veranstaltet ist. Selbst auf
jüdischer Seite hat man nicht umhin gekonnt anzuerkennen, dass
Wolfs Bibliotheca alle ihre eigenen Schriften über die jüdische
Literatur weit übertrifft. Von vielen Verfassern der durch Wolf
angeführten Schriften werden überdem die näheren Lebensum-
stände berichtet, und sehr oft auch wird eine kurze Inhaltsangabe
ihrer Werke gegeben. In nicht wenigen Fällen ist das Einzige,
was wir jetzt noch über einen früheren Autor erfahren können,
für uns in dieser Bibliotheca niedergelegt. In Folge der Wolf-
schen Fingerzeige wären wir sogar im Stande, die früheren Lei-
stungen auf unserem Missionsgebiete ziemlich erschöpfend dar-
zustellen, wenn sich nicht die Beschaffung vieler von ihm er-
wähnten Schriften gegenwärtig als eine Unmöglichkeit heraus-
gestellt hätte. Immerhin sind wir durch ihn für die frühere Zeits
so gut daran, wie wir es auch nicht im Entferntesten für die
heutige sind.
Von Wolfs grossem Werke hat sogleich sein College, der
Doktor und Professor der Theologie in Hamburg Joh. Albert
Fabricius in seinem „Delectus argumentorum et syllabus scrip-
torum, qui veritatem religionis Christianae adversus Atheos . . .
Iudaeos . . lucubrationibus suis asseruerunt. Hamburg 1725. 4°.",
Gebrauch gemacht, und der die Missionsarbeit an den Juden be-
treffende Theil, Cap. 31 S. 567 ff. ist im Wesentlichen nur ein
recht brauchbarer und bequemer Auszug aus Wolfs Werk, was
der Verfasser übrigens auch selbst ausdrücklich anerkennt.
Eine Berichtigung der Fehler in Wolfs Bibliotheca und
eine Ergänzung derselben, theils was die vor 1734, theils was
die nach diesem Jahre erschienene Literatur betrifft, hat H. F.
Köcher in seiner Nova Bibliotheca Hebraica, 2 Theile, Jena
1783 u. 84, 40 geben wollen. Diese Schrift ist aber in Wahr-
heit nur ein dürftiger Anhang zu Wolfs Werk, völlig lückenhaft
und ganz ohne den Geist des grossen Hamburger Gelehrten
geschrieben.
Eine neue Zusammenstellung der von Juden ausgegangenen
und sie betreffenden Literatur hat von jüdischer Seite her Dr.
Julius Fürst in seiner Bibliotheca Judaica, 3 Theile, 8°. Leipzig
1849 — 63 geliefert. Die Arbeit ist immerhin als Versuch anzu-
— 4 —
erkennen, aber in Genauigkeit und Vollständigkeit mit der Wolf-
schen auch nicht von ferne zu vergleichen und zeigt vielfache
Spuren von Leichtfertigkeit.
Reiches Material für das 18. Jahrhundert bieten die Wei-
mar'schen Acta historiae ecclesiae nostri temporis 1734 — 1758,
20 Bände. Nova acta 1758 — 1774, 12 Bände. Acta nostri tem-
poris 177-I — 1790, 13 Bände, wenigstens in ihren früheren Jahr-
gängen.
Die allgemeinen Werke über Kirchengeschichte, sowohl in
der früheren als in der neueren Zeit, enthalten nur Weniges über
unsern Gegenstand. Eine rühmliche Ausnahme bildet in dieser
Beziehung die Geschichte der Protestantischen Theologie von
G. Frank in Wien, Theil 2, Leipzig 1865, welcher wenigstens
einen kurzen Abschnitt (S. 290 — 295) über das Verhältniss von
Protestantismus und Judenthum in der Zeit von 1648 — 1750 ent-
hält. Die literarischen Bemühungen dieses Zeitraumes um die
Bekehrung der Juden werden hier besprochen, allerdings aber
nur das Einseitige in denselben hervorgehoben.
Sonst widmen nicht einmal die Werke über die Geschichte
der Juden den Missionsbemühungen unter denselben die genü-
gende Aufmerksamkeit. Zwar Jaques Basnage, Histoire des
Juifs, Amsterdam 1707, 12°. 5 Bände, richtet auf dieselben sein
Augenmerk, verfährt aber hierbei höchst unkritisch. D. Sieg-
m und Jacob Baumgarten 's Geschichte der Religionsparteien,
herausgegeben von Dr. Joh. S a 1. Semler, Halle 1766, und die
durch beide Theologen erfolgte Uebersetzung der Allgemeinen
Weithistorie, die in England durch eine Gesellschaft von Gelehr-
ten angefertigt worden ist, Theil 9 11. 10, Halle 1750, 65, streifen
nur unsern Gegenstand, der übrigens Semler auch höchst un-
sympathisch ist. Die Geschichte der jüdischen Religion von
D. Fr. Büschnig, Berlin, 3 Theile, 1779, erweitert ebenso un-
sere Kenntnisse nicht, obwohl er ein Interesse an der Juden-
mission bekundet und die diesbezüglichen Bestrebungen seiner
Zeit ausdrücklich erwähnt.
Die beiden Schriften, welche dänische Verfasser haben,
Jüdische Geschichte von Baron Ludwig Holberg, deutsch von
G. A. Detharding, 2 Theile, Altona und Flensburg 1747, und
Jüdische Geschichte von D. Christian Bastholm, deutsch von
Joh. Fried r. Marcus, 3 Bände, Pirna 1785, sind ebenfalls für
uns ohne Bedeutung, wenngleich sich die Verfasser zu der Noth-
— 5 —
wendigkeit der Bekehrung der Juden bekennen. Bei neueren
christlichen Darstellern der Geschichte der Juden findet die
Mission gewöhnlich nur eine kurze Abfertigung, so besonders in
der Culturgeschichte des Judenthums von Dr. Otto Henne-
Arn Rhyn, Jena 1880.
Die jüdischen Geschichtsschreiber wie Jost, Stern, Graetz,
D. Cassel, Back u. s. w. gehen einfach bei den Missionsbe-
mühungen vorüber und verrathen höchstens in Parenthesen, dass
sie dieselben verachten oder hassen.
In unserem Jahrhundert findet die Mission zuerst Beach-
tung in The History of the Jews from the destruction of Jerusa-
lem to the present time von Hannah Adams, Boston, Amerika,
London 1 SiS, deutsch, Leipzig 1819, 2 Theile. Die Geschichte
der evangelischen Mission von J. Wiggers, Hamburg 1845 ent-
hält nur kurze Notizen über die Judenmission. Die erste eigent-
liche Bearbeitung hat dieselbe in einem Buche von B. H. Steger,
ev. Pfarrer in Nürnberg „Die evangelische Judenmissiom' Hof *
1847 und neue Ausgabe Halle 1857 gefunden. Mehr als eine
Anweisung für künftige Arbeiten kann jedoch diese Schrift nicht
genannt werden. Ganz skizzenhaft ist die „Evangelische Mission
unter Israel" des Missionar J. A. Hausmeister zu Strassburg,
zuerst 1834 herausgegeben und nach seinem Tode in neuer
Auflage von D. E. Fink, Basel 1861. Das Handbuch der Mis-
sionsgeschichte von Pf. Blumhardt, 3. Aufl., Calw 1S63, ent-
hält einen ganz kurzen Ueberblick über die bedeutendsten Er-
eignisse auf dem Gebiete der Judenmission, will aber auch nur
die Dienste eines Auszuges leisten. Zur ersten Orientirung auf
dem Gebiete hilft ein Artikel des Dr. G. F. He mann in Basel
über die Mission unter den Juden in der 2. Aufl. von Herzogs
Real-Encyclopädie 18S2, 10, 102 ff.
Weitaus die bedeutendste Leistung aber ist die Schrift des
Dr. Chr. K. Kaikar in Kopenhagen, die unter dem Titel „Mio-
sionen iblandt Jöderne" 1868 in Kopenhagen dänisch erschienen
ist und dann unter dem Titel „Israel und die Kirche" eine
deutsche Uebersetzung durch AI. Michelsen, 1869, Hamburg,
erfahren hat. Diesem seinem Buche hat Dr. Kaikar in der
2. Aufl., die bisher nur dänisch vorliegt, den Titel „Israel og
Kerken", Kopenhagen 1SS1, gegeben. Die zweite Auflage, welche
im Folgenden immer citirt sein wird, hat fast -den doppelten
Umfang der ersten und ist in jeder Beziehung eine wesentliche
_ 6 —
Verbesserung der früheren. In der neuen Auflage geht Dr. Kai-
kar besonders ausführlich auf die religiösen Zustände der heu-
tigen Juden ein und zeichnet damit den Untergrund, auf dem
das Missionswerk geschieht. Sein Hauptaugenmerk ist sonst auf
die einzelnen Proselyten, welche besondere Erwähnung verdienen,
gerichtet, und verfolgt er die Missionsarbeit besonders nach dieser
Richtung hin. Er hat aber auch das Verdienst, die ungemeinen
Schwierigkeiten, welche schon der blossen Beschaffung des Ma-
terials im Wege standen, nicht gescheut und vieles gesammelt
zu haben, was vor ihm völlig zerstreut und unbekannt war. Er
zuerst auch hat auf die wichtigsten der zu benutzenden Quellen
hingewiesen. Seine Arbeit gilt der gesammten christlichen Juden-
mission und nicht der evangelischen allein und ist in allen ihren
Theilen mit Nüchternheit und Gerechtigkeit geschrieben.
Der Geist , welcher in seinem Buche weht , verdient aber
doppelte Anerkennung, weil der Verfasser selbst Proselyt ist und
die Gefahren, denen viele Schriftsteller, die Proselyten sind, erlegen
sind, durchaus vermieden hat. Vielen getauften Juden, besonders
der vorigen Jahrhunderte, fehlt es an der herzlichen Theilnahme für
ihre Volksgenossen, während nicht wenige in diesem Jahrhundert
eine überaus bedenkliche Verherrlichung ihres Stammes treiben.
Bei Kaikar hingegen verbinden sich Gerechtigkeit und Liebe,
die grösste Wahrhaftigkeit und hoher christlicher Ernst mit
einander, so dass seine Geschichtsdarstellung nirgends tendentiös
gefärbt ist.
1S71 erschien eine „Kurze Geschichte der Lutherischen
Mission" in Vorträgen von Prof. G. Plitt in Erlangen. Vortrag
2, 10 und 18 beschäftigen sich mit der lutherischen Judenmission
und behandeln dieselbe bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts.
Der Werth dieser Schrift besteht darin, dass sie zum rechten
Verständniss der lutherischen Missionsarbeit der früheren Zeit
führt; auf Vollständigkeit erhebt sie keinen Anspruch.
Die von Pastor R. Härting zuerst herausgegebenen „Blätter
für Mission", Leipzig (J. Klinkhardt), enthalten seit 1870 auch
Beiträge zur Geschichte der gesammten evangelischen Juden-
mission. Manches Brauchbare findet sich ferner in „Israel and the
Gentiles" von Isaak da Costa, London 1850; nur weniges,
das hierher gehört, enthält Mi Im an, History of the Jews, Lon-
don 1863.
— 7
Für verschiedene Partieen aus dem gesammten Gebiete der
evangelischen Missionsgeschichte findet man werthvolle Beiträge
in einigen Missionszeitschriften, wenngleich mehrere derselben
zu unkritisch verfahren, als dass man sie ohne weiteres als
Quellen benutzen könnte. Auf dieselben wird später zurück-
zukommen sein.
Viel treffliches Material bietet die Vierteljahrsschrift von
Prof. D. Delitzsch „Saat auf Hoffnung" seit 1863, zuerst in
Leipzig und dann in Erlangen erschienen (Deichert). Ebenso
findet sich nicht weniges in „Dibre Emeth" oder „Stimmen der
Wahrheit" von J. C. Hartmann seit 1 845 herausgegeben, später
von J. F. A. de le Roi, Breslau (Dülfer). Beiträge zur all-
gemeinen Missionsgeschichte liefern endlich sonst die Zeitschriften:
The Jewish Expositor, Missionsblatt der Londoner Gesellschaft
für Israel, 18 16 — 1831, an dessen Stelle The Jewish Intelligence,
London, traten. Der Friedensbote von P. Schwarz, Berlin, seit
1863, Blatt der Berliner Missionsgesellschaft, sodann das Missions-v
blatt des Rheinisch- Westfälischen Vereins für Israel, Barmen, seit
1843, und die Vierteljahrszeitschrift von R. Vormbaum „Die
Mission unter Israel", 1863 — 1875, Cöln sind gleichfalls zu erwähnen.
2. Die Entwickelungsstufen in den Missions-
beziehungen der evangelischen Christenheit
zu den Juden.
Ueberblicken wir das gesammte religiöse Verhältniss zwi-
schen der evangelischen Christenheit und den Juden, so lassen
sich hinsichtlich desselben zwei Perioden, eine ältere und eine
neuere, unterscheiden. Die ältere können wir als die der Herr-
schaft der christlichen Lebensanschauung unter den evangelischen
Völkern bezeichnen, die neuere als die des Zwiespalts der christ-
lichen Lebensanschauung unter denselben. Durch scharfe Grenzen
sind dieselben freilich von einander nicht geschieden, sondern
• sie gehen nur allmählig und im Kampfe verschiedener Richtungen
in einander über. Eben dasselbe gilt auch für die einzelnen
Abschnitte, welche uns in einem jeden der beiden Zeiträume
entgegentreten. Solche Zeiträume sind nichts desto weniger
thatsächlich vorhanden und werden durch die Herrschaft der in
ihnen an erster Stelle bestimmenden geistigen Anschauungen und
Mächte gebildet.
— s —
Der vorliegende Band nun handelt
Von den Missionsbeziehungen der evangelischen
Christenheit zu den Juden unter der Herrschaft der
christlichen Lebensanschauung. Vom Beginn der Re-
formation bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts.
Innerhalb dieses Zeitraumes unterscheiden wir
I. Die reformatorische Anfangszeit, vom Beginn der
Reformation bis zur Mitte des 1 6. Jahrhunderts.
II. Die Zeit der gelehrten Beziehungen zu den Juden,
von der Mitte des 1 6. bis zum Ende des 1 7. Jahr-
hunderts.
III. Die Zeit des Vorherrschens innerer Beziehungen
zu den Juden, die erste Hälfte des 18. Jahrhun-
derts.
I.
Die reformatorische Anfangszeit.
Vom Beginn der Reformation bis zur Mitte des 1 6. Jahr-
hunderts.
i. Zustände unter den Juden im Anfange der
Reformation.
Die Reformation fand die Juden nicht mehr in allen den
Wohnsitzen vor, welche sie im früheren Mittelalter eingenommen
hatten. Viele Staaten hatten sie inzwischen aus ihren Gebieten
vertrieben.
In Spanien und Portugal lebten nur noch jene Juden, welche,
der Verbannung zu entgehen, sich hatten taufen lassen, die aber
als Neuchristen der Kirche verdächtig waren, und von denen in der
That auch viele im Geheimen weiter am Judenthum festhielten.
Frankreich duldete Juden nur in einzelnen Städten, wie
Toulouse und Marseille, und in den Landestheilen, welche der
französischen Krone nicht unmittelbar unterworfen waren, wie in
der Dauphine und Arelat ; ebenso waren dieselben in den päpst-
lichen Gebieten von Avignon gelitten.
Ganz Italien gewährte ihnen den Aufenthalt, ausser dem
neapolitanischen Gebiet und der Lombardei. In Rom, Venedig,
Modena, Toscana, Parma, Genua, Piemont und Savoyen waren
sie theilweise ziemlich zahlreich angesiedelt. Aus der eigentlichen
Schweiz waren sie vertrieben.
Deutschland barg eine bedeutende Anzahl von Juden. Doch
gab es eine grosse Reihe von Landschaften, Fürstenthümern,
Grafschaften und einzelnen Städten, welche ihnen die Nieder-
lassung; in ihrer Mitte verweigerten.
— 10 —
England, Holland, Schweden, Norwegen und Dänemark
duldeten sie nicht, ebenso nicht das eigentliche Russland. In
Oesterreich-Ungarn durften sie nicht überall wohnen, waren aber
hierselbst sehr stark vertreten. Kein Land jedoch zählte so viele
Juden als das Königreich Polen, wohin sich der Hauptstrom der
aus Deutschland vertriebenen Juden gewandt hatte.
Die Türkei Hess dieselben in ihren Gebieten wohnen, und
viele der aus Spanien, Portugal und Italien Verbannten siedelten
sich in den Ländern des Sultans an. Von den letzteren hatten
sich grosse Schaaren an der Nordküste Afrikas niedergelassen.
L'eberall in Nordafrika bis nach Aegypten hin traf man Juden an,
in Abessinien waren die Falaschas von alter Zeit her sesshaft.
Die Asiatische Türkei und Jerusalem bargen gleichfalls eine
Anzahl derselben. Auch in Persien und Arabien kamen sie vor,
und zerstreut in den asiatischen Chanaten, ja selbst in China
und Ostindien, welches letztere schwarze und weisse Juden besass,
während einzelne nun auch nach Amerika überzusiedeln begannen.
In den eigentlichen Heidenländern verkümmerten die Juden
vollständig. Unter den Muhammedanern Asiens und Afrikas lebten
sie in grosser Erniedrigung und auch in der Türkei waren sie
im Allgemeinen noch verachteter als die Christen. Ueberall hier
blieben sie von der übrigen Bevölkerung streng abgeschieden,
und das Gleiche war in den christlichen Ländern der Fall.
Dass es selbst zwischen den christlichen Völkern, welche
damals noch ganz allgemein das Christenthum als die Grund-
lage ihres gesammten Lebens anerkannten, und den Juden nicht
zu einer näheren politischen Verbindung kam, ist erklärlich. Denn
die Juden bildeten, obwohl inmitten der Christen wohnend, über-
all doch eine religiöse, sociale und nationale Besonderheit ; und
das war das unvermeidliche Ergebniss dessen, dass beide bis in
die tiefste Wurzel ihres Wesens von einander verschieden waren.
Die christlichen Völker waren sich dieser Thatsache eben so
sehr bewusst, als die Juden ; denn auch die letzteren erkannten
es damals ganz überwiegend an, dass die Grundverschiedenheit
beider Theile, trotz ihres Zusammenwohnens, kein einheitliches
Nationalleben möglich mache.
Die Versuche in Portugal und Spanien, ein gemeinsames
Nationalleben herbeizuführen, waren aufs Furchtbarste geschei-
tert, und die mit der Reformation beginnende neue Zeit liess
sich, wenigstens früher, dies gesagt sein.
— II —
Gastweise also nur lebten und wollten zumeist die Juden
der Zerstreuung unter den christlichen Völkern leben. Sie er-
flehten es in ihren Gottesdiensten fortwährend, dass es ihnen noch
in ihren Tagen gewährt werden möge, nach Jerusalem zurück-
zukehren, und riefen am Neujahrstage geradeswegs einander zu :
„nächstes Jahr in Jerusalem!" Unrein war nach ihrer Ueberzeu-
gung ihre ganze Umgebung, und die Völker als solche waren
jedesfalls, wie es Dr. F. Weber in seinem System der altsyna-
gogalen Palästinensischen Theologie nachgewiesen hat, in ihren
Augen Empörer gegen den einzig wahren Gott, den Gott des
Volkes Israel, der jene denn auch in der künftigen Zeit durch
den Messias seinem Volke Israel unterwerfen werde (§§ 17 — 19,
S. 61 ff.).
Dabei brachte die Juden ihre so lange anhaltende Ver-
bannung durchaus nicht zur Selbsterkenntniss, sondern steigerte
in ihnen nur den Sinn der Selbstgerechtigkeit; und sie wurden,
je mehr sich das Christenthum befestigte und ausbreitete, durch-
aus nicht milder, sondern der Regel nach nur feindseliger in
ihrer Stellung zu demselben. Die innere Spannung wuchs mit
der Länge der Zeit anstatt abzunehmen. Machten sie doch im
Allgemeinen nicht einmal einen Unterschied zwischen Christen-
thum und Heidenthum, und der Uebertritt eines der Ihrigen zur
christlichen Kirche erschien ihnen geradeswegs als ein Abfall
zum Götzendienst.
Ueberdem bekämpfte eine grosse Anzahl meist namenloser
Schriften das Christenthum, und das oft in der bittersten und
schnödesten Weise. Schriften wie das Xizzachon des Rabbi
Lippmann, Mühlhausen, aus dem Ende des 15. Jahrhunderts,
herausgegeben von Hackspan 1644, und die schon von Luther
erwähnten Tholedoth Jeschu, welche das Leben Jesu in unnathig-
ster Weise darstellen, wurden von den Juden begierig gelesen
und erweiterten die schon bestehende Kluft noch immer mehr.
So hatte denn auch das gesammte religiöse, nationale und
geistige Leben der Völker, mochten dieselben Heiden, Muham-
medaner oder Christen sein, für die Juden einen ihnen durchaus
fremden Inhalt ; und thätige Betheiligung an demselben erschien
den allermeisten unter ihnen zum Mindesten als etwas, das ausser-
halb ihres Gesichtskreises läge. Was ihre Umgebung an reli-
giösen, staatlichen, geistigen und gesellschaftlichen Gedanken, an
innerster Freude und innerstem Leide bewegte, blieb ihrem Her-
zen, Geist und Gemüth fremd. Nur soweit es der Verkehr mit
jenen unbedingt forderte, gingen sie auf das Leben derselben ein ;
aber selbst wenn sie der Notwendigkeit gehorchten, die Sprache
der andern zu sprechen, verwandelten sie dieselbe gern in einen
ihnen allein eigenthümlichen Dialekt. Eine Beschäftigung der
Ihrigen mit dem, was das geistige Leben der Völker ausmachte,
wurde je länger je mehr von den andern Juden mit dem geheimen
Verdachte angesehen, dass ein Abfall vom Glauben beabsichtigt
werde. Das Loos, welches die Juden der pyrenäischen Halbinsel
getroffen hatte, die im Gegensatze zu ihren übrigen Volksgenossen
die wissenschaftlichen Bestrebungen der dortigen Christen und
Muhammedaner zu den ihrigen gemacht hatten und auch sonst
mit denselben in die engste Verbindung getreten waren, während
sie doch an allen jüdischen Gebräuchen durchaus festhielten und
sich mit ihren Nachbarn durchaus nicht ehelich vermischten,
schreckte nun die Judenschaft aller Orten doppelt ab, dieselbe
gefährliche Bahn zu betreten. Ja gerade jetzt begann jene Periode,
wo sich die Juden noch strenger als jemals vorher gegen jeden
nichtjüdischen Einfluss abschlössen, und wo das Ansehen der
polnischen Rabbinen, welche die Meister in der Kunst ihr Volk
zu isoliren waren, eine erdrückende Gewalt fast über die ge-
sammte europäische Judenschaft ausübte.
Der Grundsatz kam jetzt zu fast allgemeiner Geltung, dass
Israel ein Volk sei, welches ausschliesslich den zahllosen Be-
stimmungen, die sein Gesetzbuch, der Talmud und dessen rabbi-
nische Ausleger, aufgestellt hatten, zu leben habe. Die Ausübung
dieses Gesetzes sollte den eigentlichen Inhalt ihres Daseins aus-
machen. Und da eben dasselbe alles und jedes, Materielles wie
Geistiges, Aeusseres und Inneres bis in das Kleinste hinein unter
seine Anordnungen stellt, so nahm es auch thatsächlich alles
Denken, ja fast jeden Odemzug des Israeliten für sich in An-
spruch. Gerade jetzt beherrschte dieses Gesetz die Gemüther
mit unbedingter Autorität und war der Stolz des gesammten
jüdischen Stammes.
Die Folge dessen war, dass immerhin das jüdische Leben
einen geistigen Inhalt erhielt und nicht in rohe Barbarei ver-
sinken konnte. Es war mit religiösen Gedanken ganz erfüllt ;
und da die Synagoge den Zusammenhang mit dem Alten
Testamente wenigstens äusserlich bewahrte, so konnte es nicht
anders geschehen, als dass sich auch manche schöne Wirkungen
— 13 —
hiervon überall im jüdischen Leben zeigten. Das Gefühl für die
Grösse und Erhabenheit Gottes blieb den Gemüthern tief ein-
geprägt. Das Bewusstsein, dass der menschliche Wille unter
dem göttlichen stehe, war in vielen Juden ein sehr lebendiges, und
manche jüdische Tugend, wie die Stammes- und Verwandtenliebe,
die Keuschheit im ehelichen Leben, der Wohlthätigkeitssinn und
die Massigkeit waren Früchte, welche aus dem Samen des gött-
lichen Wortes, der doch auch noch immer unter ihnen ausge-
streut wurde, erwuchsen.
Nur dass eben der unaufhörlich noch viel reichlicher aus-
gestreute Unkrautsame der eigenen Weisheit und des eigenen
Willens dem Gewissens-, Herzens- und Geistesboden die besten
Kräfte raubte, und auch die edelsten Pflanzen daher verkümmer-
ten. Das ist die unheilvolle Bedeutung des Talmud und des
Rabbinismus für die Juden, und die Tyrannei desselben hat ihr
gesammtes Leben verunstaltet. Sie fühlten dies zu Zeiten auch
wohl selbst, aber konnten die Stricke desselben nicht zerreissen,
da sie den besseren Ersatz der rabbinischen Religion nicht an-
nehmen wollten. Sie wollten ein religiöses Volk sein, und da
sie das nicht auf den Wegen der Propheten und Apostel wer-
den mochten, haben sie mit einer Pünktlichkeit und Aengstlich-
keit wie, von der Periode des Anfangs abgesehen, sonst nie die
talmudischen Satzungen beobachtet.
Hinter den Talmudmauern führten sie, für sich abgeschlos-
sen, ihr ganzes Leben; nur denselben Boden theilten sie mit den
Völkern, unter welche sie zerstreut waren, und nur die gleiche
Luft athmeten sie mit ihnen ; sonst waren sie daselbst Fremde,
für die es keine Brücke zu ihrer Umgebung hin gab. Die Völker
aber waren die Herren eines jeden Landes, das Juden in sich
barg, und sie Hessen die Juden dies oft hart und schmählich
genug fühlen. Die Juden hingegen sahen auf ihre Gebieter mit
unendlicher Verachtung herab und trugen, wo jedes innere Band
fehlte, zum Schaden für beide Theile, nur ein lebhaftes Verlangen
nach den Gütern der Völker.
Die Ueberzeugung der Nationen , dass sie ihr gesammtes
Leben als ein christliches führen müssten, trat nicht minder
jedem Versuche, eine wirkliche Gemeinschaft zwischen beiden
Theilen herzustellen, entgegen. Nur wenn sie ihren höchsten
Gedanken, an ihrer Stelle und mit ihrem nationalen Leben das
Reich Gottes erbauen helfen zu müssen, aufopferten, konnten
— 14 —
sie den Juden das allgemeine gleiche Staatsbürgerrecht gewähren.
Hiergegen aber sträubte sich ihr innerstes Denken und Fühlen.
Und sie hatten mit dem Grundsatze ganz recht, dass für die
Juden, unter denen eine bis in die letzten Wurzeln herab ver-
schiedene Lebensauffassung herrschte, auch eine andere Lebens-
ordnung als für die christlichen Nationen gelten müsse. Sie
fehlten darin durchaus nicht, dass sie das Besondere und Anders-
geartete auch als Besonderes und Anderes behandeln wollten,
sondern ihr Fehler war es vielmehr, dass sie das Verhältniss zu
den Juden in einer Weise gestalteten, welche dem christlichen
Lebensgesetze widersprach.
Die höchste Anerkennung verdient es, dass die christlichen
Völker die Schuld, welche die Juden mit ihrem Verharren bei
der durch ihre Väter geschehenen Verwerfung Christi auf sich
luden, wahr und tief empfanden und erkannten ; aber dem Evan-
gelium folgten sie damit nicht, dass sie ganz überwiegend bei
dem Gedanken des Gerichtes, welches auf dem Volke liegt,
stehen blieben, und die Erbarmung gar zu wenig in sich wecken
liessen, die doch bei Gott für das jüdische Volk fortbesteht, und
die nach seinem Willen und Beispiele auch von den christlichen
Gemeinschaften geübt werden soll.
In Deutschland zog ausserdem die eigenthümliche Vorstel-
lung von der Kammerknechtschaft der Juden ihre besonderen
Folgen. Die Kaiser des heiligen Römischen Reiches deutscher
Nation betrachteten sich als die Nachfolger der römischen Cä-
saren. Die Juden aber , so war die Vorstellung, seien in den
Tagen des Titus dem Kaiser verfallen, und dieser habe sie, als
er sie aus Gnaden leben Hess, für alle Zeiten mit ihren Nach-
kommen zu seinen Knechten gemacht. Da sie seitdem mithin
sein Eigenthum seien, so könne er und können seine Rechts-
nachfolger mit den Juden thun, was ihnen beliebe. Niemand
sonst habe ein Recht über die Juden als der Kaiser, und Juden
zu halten sei ein Privilegium, das allein von diesem Herrscher
erworben werden könne, durch Karl IV. aber 1349 allerdings
an viele der staatlichen Gemeinwesen des Reiches übertragen
worden sei.
Bei dieser Auffassung ihrer Stellung fanden die Juden nun
freilich ihren Schutz an dem Kaiser und den Obrigkeiten, welche
das Judenprivilegium besassen , anderseits aber war diese Vor-
stellung eine überaus bedenkliche; denn die Juden standen so vor
— 15 —
den Augen der Regierenden und Regierten als dem Rechte nach
verurtheilte Verbrecher da, welche man im Wesentlichen nur aus
Rücksichten äusseren Vortheils leben Hess, und die man haupt-
sächlich als eine ergiebige Einnahmequelle betrachtete. Der Er-
kenntniss, dass man den Juden gegenüber eine tiefer begründete
Pflicht habe, trat das Verhältniss der Kammerknechtschaft in
den Zeiten vor der Reformation immer wieder störend entgegen.
Für die Kirche allerdings bestand diese Vorstellung nicht,
sondern dieselbe erkannte in den Juden Ungläubige, die aber,
so unentschuldbar auch ihre Verstockung und ihr Trotz seien,
von der Erlangung des Heiles nicht ausgeschlossen bleiben soll-
ten. Die römische Kirche lehrte überdem eine endliche Bekeh-
rung der Juden. Und der Einfluss der Kirche Hess in den christ-
lichen Völkern das Bewusstsein nicht völlig ersterben, dass ihnen
auch in den Juden Menschen gegenüberstünden, die zu Höherem
berufen wären, und dass eben desshalb ein besseres Loos für sie
zu erstreben sei. Aber die mittelalterliche Kirche that im All-
gemeinen überaus wenig dafür, dass dieser besseren Erkenntniss
eine praktische Folge im Leben gegeben würde.
Wohl hatten die Päpste und manche edle Priester, wie
z. B. Bernhard von Clairveaux des Oefteren ihre Stimme
erhoben, wenn jene entsetzlichen Judenverfolgungen ausbrachen,
oder die Juden mit Gewalt zum Christenthum bekehrt werden
sollten. Man hatte zu Zeiten auch, wie in England, Spanien und
Süd-Frankreich, besonders aber unter den Dominikanern, die
Juden mit Waffen des Geistes zu überwinden gesucht; aber eine
anhaltende Arbeit zum Heile der Juden hat die gesammte Kirche
des Mittelalters nicht gethan, die römische wie die griechische
Kirche haben hier vielmehr ihre Pflicht gröblich vernachlässigt.
So gestaltete sich die Stellung zu den Juden haupt-
sächlich nach den Erfahrungen des alltäglichen und natür-
lichen Lebens. Das Gefühl der bestehenden Trennung behielt
völlig die Oberhand und Hess es nicht dazu kommen, dass man
eine ernste Arbeit für die Besserung des ganzen Verhältnisses
zu den Juden aufgenommen hätte. Immer mehr war man damit
zufrieden, gegen den schädlichen Einfluss der Juden Repressiv-
massregeln zu ergreifen oder sie, wenn man sich nicht anders
zu helfen wusste, ganz zu vertreiben; im Uebrigen aber überliess
man sie sich selbst.
— 16 —
Das Verhältniss der christlichen Völker und der Kirche
des Mittelalters zu den Juden war schliesslich in der Hauptsache
ein rein negatives, und in beiden erlosch immer mehr der Trieb,
ein positives Ziel an denselben erreichen zu wollen. Selbst die
Versuche hierzu wurden für gewöhnlich bald wieder aufgegeben,
und der leitende Gesichtspunkt war im Grunde vielmehr der,
dafür zu sorgen, dass dieses schädliche Glied für die menschliche
Gesellschaft möglichst unschädlich gemacht würde.
Hierin etwas zu erreichen, war aber um so schwerer, als
die Juden der Regel nach die grosse Masse der Christen des
Mittelalters an Ausbildung der geistigen Fähigkeiten weit über-
ragten. Das Studium des Talmud brachte den Juden zwar ein
durchaus einseitiges Wissen und führte sie aus der Geisteswelt
ihrer Umgebung völlig heraus, aber es forderte doch von einem
jeden, der sich mit demselben beschäftigte, eine ungemeine An-
spannung seiner Geisteskräfte. Und so hatten es denn die
christlichen Volksmengen in ihrem Kampfe mit den Juden der
Regel nach mit Widersachern zu thun, die ihnen an Geistes-
gewandtheit überlegen waren.
Es nützte desshalb auch nichts, wenn man immer erfinde-
rischer in Massregeln wurde, welche den jüdischen Einfluss ein-
dämmen sollten. Dieselben hatten allein die Folge, dass die Juden
desto schlauer zu Werke gingen, und sich ein Verhältniss zwi-
schen beiden Theilen ausbildete, welches nur ein fortdauernder
Kriegszustand genannt werden kann. Die Sache stellte sich für
die grosse Masse der christlichen Bevölkerung aber um so
schlimmer, als es die Juden nur zu oft verstanden, die Macht-
haber und Obrigkeiten durch den Einfluss ihres Geldes auf ihre
Seite zu bringen.
Das Uebel wurde überdem dadurch noch besonders ver-
mehrt, dass man die Juden auf ihren falschen Bahnen immer
weiter vorwärts drängte. Freilich das sociale Denken und Stre-
ben der Juden war schon lange ein durchaus krankhaftes ge-
wesen und ist es nicht erst durch eine falsche Behandlung seitens
ihrer Umgebung geworden. Die Missgestaltung des wirtschaft-
lichen Lebens der Juden unter den Muhammedanern, Slaven und
Magyaren, welche die grösste Zahl aller Juden unter sich auf-
genommen haben und die ihnen alle wirtschaftliche Freiheit
Hessen, hat dies deutlich genug gezeigt. Auch in Deutschland
haben die Juden bis zu den Kreuzzügen durchaus nicht sociale
Beschränkungen wie hernach in der Wahl ihres Berufes erfahren,
aber hier wie im Römer-Reiche sich trotzdem ganz überwiegend
schon damals dem Handel zugewandt. Nur nothgedrungen, oder
so lange ihnen das Halten nichtjüdischer Sklaven gestattet war,
trieben sie Ackerbau und Handwerke. Es fehlte ihnen an innerer
Ruhe und Lust zu diesen einfacheren Berufsarten, und die Hand-
werke zumal wurden als Beschäftigungen angesehen, die sich
eigentlich für die Glieder des Gottesvolkes nicht ziemten und
die vielmehr die Völker für sie zu verrichten hätten.
Aber statt nun durch die Zucht einer heilsamen und ernsten
Gesetzgebung diesen ungesunden Zuständen unter den Juden
entgegenzutreten, Hessen die Völker die Juden in ihrer Mitte
entweder gewähren oder verfestigten sie noch in ihrer falschen
Lebensrichtung. In Spanien hatte man sich dieselben so über
den Kopf wachsen lassen, dass ihnen fast das ganze Land ver-
schuldet war, und der Landmann gewissermassen nur noch als
Leibeigener für sie den Boden bestellte. Ebenso ist das wirth-
schaftliche Elend der polnischen Länder ganz besonders auch
dadurch herbeigeführt worden, dass die von Natur mit sehr ge-
ringen wirtschaftlichen Tugenden ausgestattete slavische Bevöl-
kerung der rücksichtslosen Ausbeutungsgier der unter ihnen
wohnenden Juden preisgegeben wurde und so allmählig in ein
vollständiges Siechthum gerieth. Andere christliche Völker da-
gegen, und besonders die deutschen, zogen den Kreis der wirth-
schaftlichen Thätigkeit der Juden nach und nach immer enger
und verwandelten sie in eine Kaste, welche zuletzt auf die von
den Christen verachteten Thätigkeiten des Trödels, Geldverleihens
und Wuchers beschränkt wurde. Dieses ebenso unchristliche
als thörichte Beginnen konnte daher auch nur dazu beitragen,
die Juden selbst zu verschlechtern und das Verhältniss zu ihrer
Umgebung aufs Unheilvollste zu verschlimmern.
Diejenigen, welche sie nicht als eine Geldquelle betrach-
teten, sahen gemeinhin auf sie mit Hass oder Verachtung herab.
Die besondere Kleidung, welche sie anfangs zu ihrem Schutze
tragen sollten, wurde hernach ein Mittel sie herabzuwürdigen.
Man belegte ihren Eintritt in die Städte mit Zöllen , und die
Tarife führten sie hierbei unter den Thieren auf. Man gab sie
den Quälereien, der körperlichen und moralischen Misshandlung
von Hoch und Niedrig preis ; man verwandelte unaufhörlich ihre
J. F. A. de le Roi, Missionsbeziehungen. 2
— 1 8 —
Steuern, und nachdem man ihnen das abscheuliche Privilegium
des Wuchers verliehen hatte, pressten ihnen oft, wenn die Er-
regung des Volkes zu gross wurde, die Fürsten das so gewon-
nene Blutgeld aus.
Kein Wunder, dass die Juden unter der Maske der Demuth
die Christen zumeist hassten oder verachteten. Ein wirkliches
Herz hat ja auch das Mittelalter im Ganzen und Grossen für die Ju-
den nie gehabt. Die Judenfreundschaft Reuchlins und der Huma-
nisten überhaupt am Ende des Mittelalters war nur eine scheinbare.
Sie vertheidigten gegen Pfefferkoni und seinen Anhang zwar den
Talmud und die jüdische Literatur, aber aus einem rein selbstsüch-
tigen literarischen Interesse. Die Juden selbst verachteten sie
thatsächlich oder spielten sie nur gegen die Mönche aus. Der
Humanismus hat denn auch für das Wohl der Juden nicht die Hand
gerührt und am Wenigsten eine neue Zeit für sie herbeigeführt.
Dieser Mangel an einem positiven Werke an den Juden
war aber um so weniger entschuldbar, als man es unter den
christlichen Nationen vielfach erkannte, dass die Juden nicht
durch einen Zufall unter ihnen wohnten, und ebenso, dass die
unaufhörlichen Reibungen und Zusammenstösse mit denselben
doch auch auf sehr ernste Schäden in dem eigenen christlichen
Volksleben hinwiesen. Man hatte in der That ein lebhaftes
Gefühl dafür, dass man in den Juden ein warnendes Beispiel
des Ungehorsams gegen die göttliche Offenbarung erblicken
solle, und die Sage vom ewigen Juden fasste man später in
diesem Sinne auf. Jenes Verhängniss, welches der Prophet
Sacharjah (8, 13) im Voraus ankündigen muss, dass die Juden
der Zerstreuung ein Fluch unter den Nationen sein würden,
erfüllte sich ja auch nur zu sichtbar überall, wo die Völker ihren
christlichen Lebensgesetzen untreu wurden. Und in der ganzen
christlichen Völkerzeit sind die Juden geradeswegs eines der
vorzüglichsten Werkzeuge in den Händen des heiligen Gottes
geworden, um besonders die hervorragendsten christlichen Völker
und Staaten, welche ihre Aufgabe vergassen, von Innen heraus
auflösen zu helfen. Die geistige wie die materielle Zersetzung
eines christlichen Staats- und Volkslebens, das sich dem ihm
geltenden Willen Gottes entzieht, vollzieht sich in mehreren der
bedeutendsten Fälle ganz besonders auch durch die Juden. Das
Anwachsen jüdischen Einflusses in einem christlichen Volke ist
stets eines der sichersten Anzeichen für den Verfall seines Christ-
— 19 —
liehen Volks- und Staatswesens. Spanien ist hiefür in der vorrefor-
matorischen Zeit das schlagendste Beispiel.
Wo dann aber diese Zersetzung stattfand, kam es nun
darauf an, mit welchen Mitteln ihr begegnet wurde. Dass z. B.
Spanien die ihm in seinen Juden geltende Frage fast lediglich
mit ihrer Vertreibung beantwortete, und dass es bei aller Er-
kenntniss von dem Werthe des Christenthums für sein nationales
Leben viel zu wenig eine innere religiöse Neubelebung seines
Volkes und in der Hauptsache vielmehr nur eine scharf aus-
geprägte und politisch gefärbte Kirchlichkeit desselben erstrebt
hat, ist für das Land und Volk gleich verhängnissvoll geworden.
Durch den Entschluss, den es noch in letzter Stunde fasste, ein
christliches Land bleiben zu wollen, ist Spanien allerdings ge-
rettet worden. Weil es sich aber die eigentliche Lehre seiner
Geschichte zu wenig zur Frage nach seinem wirklichen, inneren
Lebensgehalt und zu einer Erneuerung im Geiste gereichen liess,
vermochte es sich auch zu einem dauerhaften Lebensaufschwunge
nicht zu erheben und verfiel in steigendem Masse dem inneren
Marasmus.
Das römisch- und griechisch-katholische Mittelalter hatte
also, um zu einem Gesammturtheile zu schreiten, den Ernst und
die Tragweite der Judenfrage im Allgemeinen wohl klarer und
tiefer als unsere Gegenwart erfasst, aber die Lösung derselben
ganz überwiegend nur auf negativem Wege zu finden gesucht.
Die Nothwendigkeit, das Christenthum als die unersetzbare Grund-
lage seines gesammten Lebens festzuhalten, hatte es den Juden
gegenüber bestimmt erkannt; dagegen die innere Wahrheit seines
christlichen Lebens angesichts der Erfahrungen mit den Juden
zu prüfen, hatte es sich zu wenig angelegen sein lassen, sondern
diese Frage mehr gewaltsam bei Seite geschoben. Der Blick
der mittelalterlichen Kirche und des mittelalterlichen Staates haf-
teten ernst an dem schmerzlichen Bilde, das ihm die Juden boten,
aber bei weitem nicht ernst genug an sich selbst, und auf die
Weisungen des Gotteswortes hinsichtlich der Juden aeüteten sie
noch weniger; die Schrift trat eben überall hinter der Kirchen-
lehre in den Hintergrund.
So blieb denn in der That hier fast noch alles zu thun,
und auch vor diese Aufgabe sahen sich die Kirche und der Staat
der Reformation gestellt. Sie hatten in den Juden, welche unter
den christlichen Völkern wohnten, ein Erbe empfangen, an dem
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durch christliche und jüdische Schuld Jahrhunderte lang ein-
gewurzelte Schäden hafteten. Was von Geschlecht zu Geschlecht
gesündigt worden war, konnte nicht an einem Tage gebessert
werden ; und sollte überhaupt geholfen werden , so musste das
Uebel unter vieler Geduld in seiner Wurzel aufgesucht werden,
damit man von hier aus die Heilung versuchte. Die Arbeit,
welche die Reformation überkam, war also eine ungeheure und
um so schwieriger, als sie ja nur in gewissen Grenzen dieselbe
aufzunehmen im Stande war ; denn neben ihr bestanden die alten
Mächte fort, und die Juden kamen allein in ihrer kleineren Zahl
unter den Einfluss der neuen Kirche. Nur an ihrem Theile also wur-
den die Kirchen und Völker der Reformation zu einem Werke an
den Juden berufen; und dies wird im Auge behalten werden
müssen, wenn man ein gerechtes Urtheil über das, was der Pro-
testantismus auf diesem Gebiete geleistet hat, fällen will. Ob
aber die Reformation im Anfange und ob der Protestantismus
in seiner weiteren Folge ihre Aufgabe, in solcher Beschränkung
gedacht, auch erkannt und ob sie für die Ausführung derselben
wenigstens die ersten Grundlagen gelegt haben, wird nun das
Weitere zu zeigen haben.
2. Luther.
Luthers Schriften: i) Dass Jesus Christus ein geborener Jude
sei, L. Werke Altenburger Ausgabe Tom. II. pag. 314 ff. ; 2) Vom
Sehern Hamphoras, Tom. VIII. pag. 277 ff.; 3) Von den Juden
und ihren Lügen, Tom. VIII. pag. 208 ; 4) Wider die Sabbather,
Tom. VII. pag. 32 ff. ; diese 4 Schriften hat auch N i c o 1 a u s
Seinecker. Leipzig 1577. in besonderem Abdruck zusammen-
gestellt herausgegeben. Sodann besonders Luthers Tischreden,
Tit. 75, pag. 588 ff. Joh. Mathesius bietet einen kurzen Aus-
zug von Luthers Aussprüchen, die Juden betreffend, in seiner
14. Predigt pag. 154 ff. über Luthers Leben dar. 1565. L. Fi-
scher, D. M. L. von den Juden und ihren Lügen. Leipzig 1838.
Einen neueren Auszug aus Luthers Aeusserungen über die
Juden bringt „Luther und die Juden", Leipzig 1881 (bei Froh-
berg). G. Plitt behandelt in seiner Kurzen Geschichte der Lu-
therischen Mission, Erlangen 1871, im zweiten Vortrage Luthers
Stellung zur Judenmission, S. 13 if.; ebenso Pr. Fr. Delitzsch
in „Saat auf Hoffnung", Joh. 1870 und H. Crem er in einer Bro-
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chüre, ohne Jahreszahl herausgegeben von der Rheinisch-West-
fälischen Missionsgesellschaft.
D. Franz Delitzsch erwähnt in seinem Buche: Wissen-
schaft, Kunst, Judenthum, S. 134 eine Sage, welche sich in den
Slavenländern von Mund zu Mund vererbt habe: „Die Zeit des
Vespergebetes, zu dem sich die Juden in der Synagoge zu Safed
in Ober-Galiläa versammelten, war vorüber; und einer der Lurjas
blieb nachdenklich und unbeweglich mit niedergesenktem Blick
an dem Orte stehen, wo er sein Gebet verrichtet hatte. Er zog
in dieser Stellung die Aufmerksamkeit der Gemeinde auf sich.
Man fand sich endlich gedrungen, sein schweigsames und nach
verflossener Gebetszeit auffälliges Sinnen zu unterbrechen und
frag ihn: „Rabbi, was ist dir?" Da erwachte er wie aus tiefem
Traume, aus prophetischem Gesichte, hub an und sprach: ,Um diese
Zeit ist im fernen Abendlande ein Mann geboren worden, der Welt
zum Heile, uns zum Heile, eine Morgenröthe ist uns aufgegangen.'
Es war der 10. November 1483, der Tag der Geburt Luthers."
Die Sage legt selbst unter den Juden des Ostens ihr Zeug-
niss von Luther und seiner Bedeutung für die ganze Welt, die
Juden miteingeschlossen, ab. Noch deutlicher aber ist die Trag-
weite der Reformation manchen Juden, welche sich der neueren
Cultur erschlossen haben , zum Bewusstsein gekommen. Dr.
J. Stern schreibt in seiner Geschichte des Judenthums, neue
Ausgabe (1870) S. 50: „Der Ausgangspunkt für die cultur- und
religionsgeschichtliche Reformepoche des Judenthums ist zunächst
nicht in diesem, sondern im Christenthum oder vielmehr in der
Christenheit zu suchen, und zwar ist die Reformation jener Aus-
gangspunkt." In der That verhält es sich auch so.
Die Umwandlung, welche die Reformation Luthers in dem
gesammten Leben der Christenheit herbeiführte, gestattete es
schliesslich auch nicht, dass die Juden in ihrem früheren Zustande
beharrten oder gelassen wurden, sondern zog dieselben nach und
nach in den Kreis ihrer Wirkungen hinein. Denn schienen die-
selben gleich anfangs die jüdische Welt nicht tiefer beeinflussen
zu wollen, so machten sie sich doch auch für dieselbe und in der-
selben immer nachhaltiger fühlbar, bis sie schliesslich der Ab-
sperrung der Juden von ihrer Umgebung allerwärts ein Ziel setzten.
Mit der Reformation war eben eine neue Geistesmacht in
das Leben der christlichen Völker eingedrungen, welche es den
Christen nicht länger gestattete, in der früheren Weise bei den
Juden vorüberzugehen; während sie in den jüdischen Gemüthern
das Princip der Selbstisolirung nach und nach erschütterte, und
es ihnen selbst wünschenswerth erscheinen Hess, eine grundsätz-
liche Neuordnung ihres Verhältnisses zu ihrer Umgebung zu er-
reichen.
Einen Abschluss des Bisherigen erstrebte und erhoffte auch
Luther für die Juden im Anfange seines Wirkens ausdrücklich
und mit vollem Bewusstsein. Freilich hat er nie daran gedacht,
dass ihnen in einem christlichen Volks- und Gemeinwesen eine
Stellung der Art eingeräumt würde, wie sie nun durch die moder-
nen Verfassungen, welche das Religionsbekenntniss ihrer Bürger
ausser Acht lassen, festgesetzt worden ist; aber eine positive
Neuordnung ihres ganzen Verhältnisses zu ihrer christlichen Um-
gebung gehörte zu seinen frühesten reformatorischen Gedanken.
Der Druck des päpstlichen Systemes hatte auf Luther selbst
so schwer gelegen, dass er es den Juden tief nachfühlte, wie
sehr sie unter den Folgen und Wirkungen, welche dasselbe für
ihre ganze Stellung inmitten der katholischen Völker gehabt
hatte, seufzten. Von Hause aus war er daher für sie mit herz-
licher Theilnahme erfüllt und anfangs war er der guten Zuver-
sicht, dass die evangelische Freiheit, welche das Papstjoch von
den Völkern nahm, auch viele von ihnen anlocken würde.
In der Auslegung des Lobgesanges der Maria 1521 schrieb
er: „Darum sollten wir die Juden nicht so unfreundlich behan-
deln, denn es sind noch Christen unter ihnen zukünftig und täg-
lich werden. Dazu haben sie allein und nicht wir Heiden solche
Zusagungen, dass allezeit in Abrahams Samen sollen Christen
sein, die den gebenedeiten Samen erkennen. Unser Ding steht
auf lauter Gnaden, ohne Zusagen Gottes, wer weiss wie und
wann. Wenn wir christlich lebten und sie mit Güte zu Christo
brächten, wäre wohl die rechte Maass. Wer wollte Christ werden,
so man siehet Christen so unchristlich mit Menschen umgehn?
Nicht also, liebe Christen; man sage ihnen gütlich die Wahrheit;
wollen sie nicht, lass sie fahren. Wie viele sind Christen, die
Christum nicht achten, hören sein Wort auch nicht und sind ärger
denn Heiden und Juden, und wir lassen sie doch mit Frieden
gehn, ja fallen ihnen zu Fuss, ja beten sie schier für Abgötter an!"
In der Predigt zum Stefanstage 1521, die erst die 1547er
Ausgabe in ihr Gegentheil verwandelt hat, bekennt er vor der
Gemeinde: „So ist es nun gewiss, dass die Juden noch werden
sagen zu Christo: gelobt sei, der da kommt im Namen des
Herrn! Das hat auch Mose verkündigt, 5 Mose 9, 30. 31, item
Hosea 3, 4. 5 und Azarjas 2 Chron. 15, 2 — 5. Diese Sprüche
mögen nicht verstanden werden, denn von den jetzigen Juden-
Sie sind ja zuvor noch nie keinmal ohne Fürsten, ohne Propheten,
ohne Priester, ohne Lehrer und Gesetz gewesen. St. Paulus,
Rom. 11, 25. 26, stimmet auch hierher und spricht: Blindheit
u. s. w. Gott gebe, dass die Zeit nahe bei sei, als wir hoffen.
Amen."
Luther hoffte also damals ganz bestimmt eine allgemeine
und nahe Bekehrung des jüdischen Volkes.
Den lebendigsten Beweis seines Herzensinteresse für die
Juden aber legte er in der zwei Jahre später, 1523 erschienenen
Schrift ab: „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei."
Seine Gegner hatten ihn beschuldigt, dass er die Jungfrau-
schaft der Maria und die Abstammung Jesu vom Samen Abra- s
hams leugne. Diese Lüge wollte er in einer besonderen Schrift
öffentlich abweisen. „Ich habe aber gedacht, daneben auch etwas
nützliches zu schreiben Darum will ich aus der Schrift
erzählen, die Ursach zu glauben, dass Christus ein Jude sei
von einer Jungfrau geboren, ob ich vielleicht auch der Juden
etliche möchte zum Christenglauben reizen . . . Denn die Päpste,
Bischöfe, Sophisten und Mönche haben mit den Juden gehandelt,
als wären es Hunde und nicht Menschen, haben nichts mehr
könnt thun, denn sie schelten und ihr Gut nehmen. Wenn
man sie getauft hat, kein christlich Lehre noch Leben hat man
ihnen beweiset, sondern nur der Päpsterei und Möncherei unter-
worfen .... Ich hab's selbst gehört von frommen getauften
Juden, dass wenn sie nicht bei unserer Zeit das Evangelium
gehört hätten, sie wären ihr Leben lang Juden unter dem Christen-
mantel geblieben .... Ich hoffe, wenn man mit den Juden
freundlich handelt und aus der h. Schrift sie säuberlich unter-
weiset, es sollten ihrer viel rechte Christen werden und wieder
zu ihrer Väter, der Propheten und Patriarchen Glauben treten.
Davon sie nur weiter geschreckt werden, wenn man ihr Ding
verwirft und so gar nichts will sein lassen und handelt nur mit
Hochmuth und Verachtung gegen sie. Wenn die Apostel, die
auch Juden waren, also hätten mit uns Heiden gehandelt wie wir
Heiden mit den Juden, es wären nie kein Christen unter den
Heiden worden. Haben sie denn mit uns Heiden so brüderlich
gehandelt, so sollen wir wiederum brüderlich mit den Juden
handeln, ob wir etliche bekehren möchten."
Danach spricht er über den Vorzug, den die Juden nach
dem Fleische vor den Heiden gehabt haben, und behandelt als-
dann einige der hauptsächlichsten Verheissungen des Alten
Testaments. Hierbei will er feststellen, dass allerdings die
Mutter Jesu eine Jungfrau, und er selbst ein wahrhaftiger Jude
war, bemüht sich aber zugleich durch die a. t. Sprüche die Juden
zu überzeugen, dass Jesus der rechte Messias ist, und sucht ihre
Einwendungen hiergegen zu widerlegen. Das thut er, wenn gleich
seine zu diesem Zwecke angeführten Beweise verschieden an
Werth sind, in ebenso herzgewinnender als eindringlicher Weise,
wendet sich auch an ihr nationales Gefühl und will mit ihnen Schritt
für Schritt vorwärts gehen, um sie nicht durch Uebereilen zurück-
zustossen. Daher schreibt er: „Ob aber die Juden würde ärgern,
dass wir unsern Jesum einen Menschen und doch wahren Gott be-
kennen, wollen wir mit der Zeit bessern. Aber es ist zum Anfang
zu hart, lass sie zuvor Milch saugen und zum Ersten diesen Men-
schen Jesum für den rechten Messias erkennen. Danach sollen
sie Wein trinken und auch lernen, wie er wahrhaftiger Gott sei;
denn sie sind zu tief und zu lange verführt, dass man muss
säuberlich mit ihnen umgehen, als denen es ist allzusehr eingebildet
worden, dass Gott nicht möge Mensch sein. Darum ist meine
Bitte und Rath, dass man säuberlich mit ihnen umginge und aus
der Schrift sie unterrichtete, so müssten ihrer etliche herbeikom-
men. Aber nun wir sie nur mit Gewalt treiben und gehn mit
Lügen bei diesen um, geben ihnen Schuld, sie müssen Christen-
blut haben, dass sie stinken, und weiss nicht, was des Narren-
werkes mehr ist, dass man sie gleich für Feinde hält; was sollten
wir Gutes bei ihnen hoffen? Item, dass man ihnen verbeut unter
uns zu arbeiten, hantieren und andere menschliche Gemeinschaft
haben, damit man sie zu wuchern treibt, wie sollt sie das bessern?
Will man ihnen helfen, so muss man nicht des Papstes, sondern
christlicher Liebe Gesetz an ihnen üben und sie freundlich an-
nehmen, mit lassen werben und arbeiten, dass sie Ursache und
Raum gewinnen, bei und um uns zu sein, unsere christlich Lehre
und Leben zu hören und zu sehen. Ob etliche halsstarrig sind,
was lic«t daran? Sind wir doch auch nicht alle eute Christen.
Hier will ich's diesmal lassen bleiben, bis ich sehe, was ich ge-
wirkt habe."
Positive Arbeit also will Luther an den Juden in grosser
Geduld gethan wissen. Er fordert, dass die unchristliche Behand-
lung derselben aufhöre, dafür aber die heilige Schrift ihnen nahe
gebracht und ihr sociales Leben in neue Bahnen hineingeführt
werde. Wenn dies geschähe, das glaubt er damals gewiss, würde
sich auch eine nähere Verbindung zwischen Juden und Christen
herstellen lassen, und die in der Christenheit waltenden Lebens-
kräfte, besonders aber das ihnen bezeugte Gotteswort, würden
auch auf Herz und Gemüth, auf Denken und Streben der Juden
einen heilsamen Einfluss ausüben.
Wie sehr es aber Luther am Herzen lag, mit dieser Schrift
unter den Juden Gutes zu wirken, bewies er auch dadurch, dass
er dieselbe mit einem Briefe an den Proselyten Bernard (Wit.
VII, 163), der sich früher in der römischen Kirche hatte taufen
lassen, dann sich aber der Reformation anschloss, zur Stärkung
seines eigenen Glaubens und damit er diese Schrift weiter unter
den Juden bekannt machte, gesandt hat.
Dieses Zeugniss Luthers ging denn auch vielen zu Herzen;
der deutlichste Beweis hierfür ist, dass die genannte Schrift 7 Auf-
lagen erlebte. Auf den Vorschlag eines Bürgers zu Augsburg,
des Andreas Rem, welcher sie in allen Ländern verbreitet wissen
wollte, übersetzte sie auch Justus Jonas 1524 ins Lateinische.
Noch in demselben Jahre 1524 erhob Luther von Neuem
•der Juden halber in ähnlicher Weise seine Stimme. Er erklärt
nämlich in seiner Schrift „Vom Brauch christlicher Freiheit":
„Der Freiheit wollte ich brauchen, wenn mir ein Jude vorkäme,
der nicht vergiftet noch verstockt wäre, den ich wollte zu Christo
bringen. Wiewohl es ein nöthiger Artikel ist zu glauben, dass
Christus Gottes Sohn sei, dennoch wollte ich davon zum Ersten
schweigen und mich also gegen ihn lenken und schicken, dass
er zuvor eine Liebe zum Herrn Christo gewinne, und sagen, dass
er ein Mensch wäre als ein anderer, von Gott gesandt, und was
Gott durch ihn zur Wohlthat der Menschen gethan habe. Wenn
ich ihm nun dies ins Herz brächte, wollte ich ihn auch wohl
weiter bringen, dass er glaube, dass Christus Gott wäre. Also
wollte ich mit ihm handeln, dass ich ihn freundlich herzubrächte
an Christum zu glauben."
— 26 —
Ebenso forderte er Predigten für die Juden. In den Tisch-
gesprächen erklärt er ausdrücklich: „Das Papstthum hat mit
seinen Götzen und Greueln den Juden viel unzählige Aergernisse
gemacht. Ich glaube, wenn die Juden unsere Predigten, wie wir
die Sprüche im Alten Testamente handeln, hörten, dass ihrer
viele gewonnen würden. Mit Disputiren macht man sie nur
zorniger und halsstarriger; denn sie sind allzu stolz und vermessen.
•Wenn einer oder zween Rabbinen und Obersten von jenen abfielen,
da sollte sich ein Fallen anheben, denn sie sind des Wartens
müde." Er scheute sich denn auch später nicht, zum Zwecke
der Bibelübersetzung mit gelehrten Juden in Verbindung zu treten;
musste bei dieser Gelegenheit jedoch, wie er dies in einem 1 53 7
an Bugenhagen gerichteten Briefe bezeugt, die Wahrnehmung
machen, dass man bei ihnen nur für Grammatik etwas, nichts
dagegen für Etymologie und Auslegung lernen könne.
Jedesfalls bot Luther in der früheren Zeit den Juden freund-
lich und treu die Hand und wirkte in der gleichen Richtung
auch auf weite Kreise ein. Denn freilich seine Mahnungen und
sein Vorgehen verfehlten ihres Eindruckes nicht. Seinem Einflüsse
vor allen muss es auch nach dem Zeugnisse des Rabb. Dr. S.
Stern (Gesch. des Judenthums. Neue Ausgabe S. 51) zuge-
schrieben werden, wenn der Augsburger Reichstag 1530 die
Verordnung erliess, „dass man die Juden, ihr Leib und Leben,
in Städten und Dörfern, auf dem Felde, auf Strassen oder auf
dem Wasser beschirmen; dass man auch die vorgenannten Juden
und Jüdinnen mit keinerlei weiteren Zöllen oder Sachen beschwere,
auch nicht ihre Weiber und Kinder zur Taufe drängen solle", und
dass derselbe Reichstag die Aufhebung ihres Wucherprivilegiums
erklärte, „wofür sie sich mit ziemlicher Handtierung und Hand-
arbeit ernähren sollten" (Schudt II., 180). 1539 1S^ dann dieser
Erlass erneuert worden, leider jedoch nicht ins Leben getreten.
Aber freilich die Juden selbst ermuthigten den Reformator
und die Evangelischen in den Bestrebungen, welche auf ihr Bestes
abzielten, nicht und wollten in keine innere Verbindung mit den
Führern der neuen Bewegung in der christlichen Kirche oder
mit dieser erneuerten Kirche selbst treten. Sie erkannten wohl,
dass der Geist, der ihnen aus der Mitte der Evangelischen her
entgegenwehte, in vieler Beziehung ein anderer Geist als der in
der römischen Kirche war, und dass ihnen von dort her eine
freundliche Gesinnung entgegenkam. Sie lasen auch fleissig
— 27 —
Luthers und die evangelischen Schriften überhaupt, was Luther
selbst in den Tischgesprächen erwähnt. Eine Schrift von Caspar
Güttel, Prediger zu Eisleben aus dem Jahre 1529 „Von den
Strafen und Plagen, die etwa Gott über die Juden und Christen
hat verhangen, eine kurze, liebliche Unterredung, dass Christus
wahrer Gott und Mensch sei", erwähnt, „dass etliche Schriften
Luthers zu Jerusalem wären öffentlich gekauft und von den Juden
mit Verwunderung gelesen worden." Aber ihre Verwunderung
kam durchaus nicht daher, dass sie sich etwa, wie so grosse
Schaaren der Christen, auch im Herzen und Gewissen von dem
mächtigen Schriftzeugnisse Luthers getroffen gefühlt hätten, son-
dern bezog sich vielmehr darauf, dass es ein römischer Christ
gewagt hatte, gegen die päpstliche Geistesknechtung aufzustebn.
Nirgends in der That, und auch nicht, nachdem Luther in jenen
früher erwähnten Zeugnissen seine Stimme so mächtig erhoben
hatte, um die Christenheit zu ermahnen, dass sie eine andere
Stellung zu den Juden einnehmen möchte, finden wir eine Spur'
davon, dass sich unter der grossen Masse der Juden eine Be-
wegung gezeigt hätte, welche man irgendwie eine gegen das
Christenthum freundlichere oder friedlichere nennen dürfte.
Vielmehr hatten nicht wenige Juden einen Zusammenbruch
des Christenthums als die Folge der neuen Bewegung erhofft
und gewähnt, dass ihre Zeit nunmehr gekommen sei, und die
Reformatoren mit ihren Anhängern ihre Bundesgenossen werden
würden. Es ging jetzt selbst eine merkwürdige Bewegung durch
die Judenschaft in vielen Theilen Deutschlands, welche gerades-
wegs darauf abzielte, die Christen zu jüdischen Glaubensanschau-
ungen zu bekehren. Als sie dann aber merkten, dass Luthers
Angriffe auf das Papstthum durchaus nicht auch dem Christen-
thum und dem Evangelium galten, sondern dass Luther und seine
Glaubensgenossen noch viel mehr als die Römischen für das
Evangelium auftraten, verwandelte sich sehr schnell ihre Stim-
mung gegen die Reformatoren und die neue Kirche. Nicht grössere
Gunst, sondern erhöhte Feindschaft erfuhr bald die Reformation
jüdischerseits. Schreibt doch Luther bereits unter dem 1 8. Januar
1525 an Amsdorf: „Es ist hier ein fremder Jude, aus Polen ge-
schickt, um den Preis von 2000 Goldgulden mich zu vergiften,
mir von Freunden durch einen Brief verrathen. Er ist Doktor
der Medizin, alles zu wagen und zu thun bereit, von unglaub-
licher Schlauheit und Beweglichkeit, den ich in dieser Stunde
zu ergreifen befohlen habe; was noch geschehen wird, weiss
ich nicht."
Und in jener Stelle der Tischreden, wo Luther bezeugt, dass
zu dieser Zeit auch die Juden evangelische Schriften und Bücher
läsen, fügt er hinzu, dass sie es thäten, „um aus denselben wider
uns zu streiten."
Erfahrungen dieser Art machten ihn bedenklich. Er wollte
die Gründe eines solchen Verhaltens der Juden gegen ihren wohl-
meinendsten Freund erkennen. So las er denn jetzt fleissig ihre
Schriften, und zwar, wie er in den Tischgesprächen selbst angibt,
wenigstens zum Theil in hebräischer Sprache; wie er denn auch
wünschte, dass die gelehrten Christen den Talmud lesen möchten,
um die Juden aus ihren eigenen heiligen Büchern zu überführen.
Bei der Lektüre ihrer Gebete war er „über ihre grosse Vermes-
senheit und Hoffahrt verwundert." „Da ist keine Erkenntniss der
Schrift, sondern eitel Rühmen über todte Privilegien, die nun ver-
loschen sind. Sie verstehn nichts von Gottes Gnade noch von
der Gerechtigkeit des Glaubens, sondern wollen heilig sein von
Natur und aus dem Geblüte, gleichwie die Heiden aus dem Willen
des Fleisches."
Je weiter er sich dann mit den Juden beschäftigte, desto
ernster trat ihm das Geheimniss der Verstockung des Volkes in
der gegenwärtigen Kirchenzeit entgegen; und je tiefer er selbst
das Wesen der Sünde überhaupt erfahren hatte, desto mehr er-
füllte ihn die Thatsache der Verstockung der Juden mit Schrecken
und Schaudern. In der 1527 verfassten Auslegung des 109.
Psalm, die er der Königin von Ungarn übersandte, schreibt Lu-
ther daher auch bereits, nachdem er schon in der Erklärung-
früherer Verse die Juden wiederholt der Hartnäckigkeit und Ver-
stocktheit beschuldigt hatte, zu Vers 19: „Nicht dass gar kein
Jude nimmermehr zum Glauben kommen mag, denn es müssen
noch etliche Brocken über bleiben und etliche einzelne bekehrt
werden. Sondern das Judenthum, welches wir das jüdische Volk
heissen , wird nicht bekehrt. Es wird auch das Evangelium
nicht über sie gepredigt, auf dass der heilige Geist Raum bei
ihnen finde, sondern wo sie beisammen sind und ihre Schulen
sind, da bleiben sie bei ihrem Fluch und Gift, dass sie Christum
verfluchen und ihren Gift für Segen halten müssen. Aber
nichts desto weniger springen zu Zeiten etliche von den Haufen
— 29 —
ab, auf dass Gott dennoch des Samens Abrahams Gott bliebe
und sie nicht gar Verstösse, wie St. Paulus spricht, Römer n."
Freilich das Herz rang noch mit Luther vielfach darum,
dass er diese Verstockung des jüdischen Volkes nicht als eine
endgültige ansehen möchte, und noch mehr, welche Folgen er
der Erkenntniss von der nun einmal auf ihnen lastenden Ver-
stockung geben solle; aber je länger desto mehr erlosch in ihm
alle Hoffnung für die Juden. Immer mehr arbeitete sich die
Ueberzeugung in ihm durch, dass die Christenheit die Last des
Fluches, welchen das Volk als Gottes hartnäckigster Feind auf
sich geladen habe, nicht erleichtern dürfe ; und doch trotz dessen
wollte er immer noch nicht den Versuch, sie von ihrem Irrwege
zurückzuführen, aufgeben.
Ein Brief desselben an den Juden Jesel in Rosheim aus
dem Jahre 1537 (Altenb. VI., 11 14) iässt nach verschiedenen
Seiten hin am Besten die Anschauungen und Ueberzeugungen
erkennen, die sich bei Luther hinsichtlich der Juden allmählig
herausgebildet hatten. Jesei hatte ihn um seine Fürsprache bei
dem Kurfürsten von Sachsen gebeten. Luther antwortete ihm .
„Mein lieber Jesel. Ich wollte gern gegen meinen gnädigsten
Herrn für euch handeln beides mit Wort und Schrift, wie ich
auch durch meine Schriften der Judenschaft gar viel gedient habe.
Aber dieweil die Euren solches meines Dienstes so schändlich
missbrauchen und solche Dinge fürnehmen, die von uns Christen
nicht zu leiden sind, haben sie sich selbst damit genommen alle
Förderung, die ich sonst bei Fürsten und Herren hätte thun
können. Denn mein Herz ja gewesen ist und noch, dass man die
Juden sollte freundlich halten, der Meinung, ob Gott sie wollte
dermaleinst gnädiglich ansehn und zu ihrem Messias bringen,
und nicht der Meinung, dass sie sollten durch meine Gunst
und Förderung in ihrem Irrthum gestärkt und ärger werden. Da-
von auch, so mir Gott Raum und Zeit gibt, will ein Büchlein
schreiben, ob ich etliche könnte aus meinem väterlichen Stamm
der Patriarchen und Propheten gewinnen und zu eurem verheis-
senen Messias bringen; wiewohl es ganz fremd ist, dass wir euch
sollen locken und reizen zu eurem natürlichen Herrn und Könige,
wie denn vorhin eure Vorfahren, da Jerusalem noch stund, die
Heiden gereizt und gelockt haben zu dem rechten Gott. Sollt
ihr nicht billig denken, dass wir Heiden wohl so hoffährtig und
ekel wären, weil ohne das Juden und Heiden sich feind einan-
30
der gewesen sind, dass wir freilich euren besten König nicht
würden anbeten, geschweige denn einen solchen verdammten ge-
kreuzigten Juden, wo nicht hierinnen wäre die Gewalt und Macht
des rechten Gottes, der solches uns hoftahrtigen Heiden, euren
Feinden, gar mächtiglich ans Herz brächte. Denn ihr Juden würdet
ja nimmermehr einen gehenkten oder geradbrechten Heiden nach
seinem Tode für einen Herrn anbeten, das wisset ihr. Darum
wollt ja nicht uns Christen für Narren und Gäuche halten, und
doch euch einmal besinnen, dass euch Gott dermaleinst aus dem
Elend, so nun über 1500 Jahr lang gewähret, helfe; was nicht
geschehen wird, ihr nehmet denn euren Vettern und Herrn, den
lieben gekreuzigten Jesus an; denn ich habe eure Rabbinos auch
o-elesen und wäre es darinnen, so wäre ich so hörnern und so
steinern nicht, es hätte mich auch bewogen. Aber sie können
nichts mehr denn schreien, es sei ein gekreuzigter, verdammter
Jude; so doch alle eure Vorfahren keinen Heiligen noch Pro-
pheten unverdammt, ungesteinigt, ungemartert haben gelassen,
welche allzumal auch müssten verdammt sein, wenn eure Meinung
darinnen sollte recht sein, dass Jesus von Nazareth von euch
Juden gekreuzigt und verdammt sei ; denn ihr's zuvor gethan und
allewege mehr gethan. Leset, wie ihr mit eurem Könige David
seid umgegangen, ja mit allen heiligen Propheten und Leuten
und haltet uns Heiden nicht so gar für Hunde. Denn ihr sehet,
dass euer Gefängniss so lange will währen, und findet doch uns
Heiden, welche ihr für eure grössten Feinde haltet, günstig und
willig zu rathen und zu helfen, ohne dass wir's nicht leiden kön-
nen, dass ihr euer Fleisch und Blut, der euch kein Leid gethan
hat, Jesum von Nazareth verflucht und lästert und wenn ihr
könntet alle die Seinen um alles brächtet, was sie sind und was
sie haben. Ich will euch ein Prophet sein, wiewohl ein Heide,
wie Bileam gewesen ist, es soll nicht gehn, als ihr hoffet; denn
die Zeit von Daniel bestimmt ist lange aus, und wenn ihr es
gleich noch so wunderlich dreht und aus dem Texte machet,
was ihr wollt, so ist das Werk fürhanden.
Solches wollet von mir freundlich annehmen zu einer Ver-
mahnung. Denn ich um des gekreuzigten Juden willen, den mir
Niemand nehmen soll, euch Juden allen gern das Beste thun wollte,
ausgenommen, dass ihr meiner Gunst nicht zu eurer VerStockung
brauchen sollt. Das wisset gar eben; darum möget ihr euren
— 3i —
Brief an meinen gnädigen Herrn durch andere fürbringen. Hier-
mit Gott befohlen."
Es ist also nichts falscher und ungerechter, als Luthers
strenges Verhalten gegen die Juden aus einem blos fleischlichen
Zorne desselben oder aus seiner Leidenschaftlichkeit herleiten zu
wollen. So gewiss er seiner zum Zorn geneigten Natur auch
den Juden gegenüber freien Lauf Hess, so waren es doch an
erster Stelle durchaus tiefernste Erwägungen und Ueberzeugungen,
welche ihn in jene Stellung hineindrängten, die er hernach den
Juden gegenüber einnahm. Er fühlte sich innerlich verpflichtet,
ihnen so entgegenzutreten, wie er es that; er folgte hierin nur
einem Gewissenstriebe, fand aber durchaus kein Wohlgefallen
daran, ihnen hart zu begegnen. Luther wusste sich berufen, auch
der Prophet der Juden in seinen Tagen zu sein, und daher an
sie selber, wie auch ihrethalben an die Christen diejenige Bot-
schaft auszurichten, welche ihm Gott für dieselben übergeben
hatte. Er hatte anfangs die Pflicht gefühlt, als der Prophet des
Herrn, die Juden, welche so lange verirrt umhergingen und durch
die Schuld der päpstlichen Kirche und ihrer Völker in ihrem
Irrthum noch befestigt worden waren, freundlich mit dem Evan-
gelio zu locken. Er hatte die Menschenweisheit zu Hause ge-
lassen und all das Götzendienerische abgestreift, das sie an der
alten Kirche mit Recht ärgerte. Mit herzlicher wahrer Theil-
nahme trat er ihnen dann entgegen und bat sie, zu dem Jesus
Vertrauen zu fassen, der es ihm geboten habe, ihnen die Pforten
zu einer neuen Zeit zu öffnen, in der sie es besser haben sollten.
Als sie aber auf diese Stimme nicht hörten und den Zeugen des
Evangeliums theilweise fast noch feindlicher als der alten Kirche
begegneten , sah er sich gezwungen , den andern Theil seines
Prophetenamtes zu erfüllen und es ihnen zu bezeugen, dass sie
nun das Gericht ihrer Sünde tragen müssten, die Christen aber
aufzufordern, dass sie die Juden ihre Verstockung fühlen Hessen.
Würde er anders gehandelt haben, das sprach er öfters aus, dann
würde er die Verantwortung dafür vor Gott nicht haben. tragen
können und ebenso sehr an den Juden als an dem christlichen
Volke gesündigt haben.
Auf diese Weise wurde sein Zeugniss an und über die
Juden je länger desto mehr zu einem Zeugnisse wider sie,
und Anlass zu einem solchen gaben sie ihm ja allerdings
reichlich.
An Justus Jonas schreibt er unter dem iS. Oktober 1535,
dass er von einem Juden, für den er in Wittenberg gesammelt
habe, betrogen worden sei. 1538 theilt ein Freund Luthers dem-
selben mit, dass Juden etliche Christen verführt hätten, sich be-
schneiden zu lassen und zu glauben, der Messias sei noch nicht
gekommen, das Gesetz der Juden aber müsse ewig bleiben und
auch von allen Völkern angenommen werden. Unter den Christen
1 Mähren besonders hätten Juden mit solchen Lehren Eingang
cfunden, und nenne man diese Judenchristen daselbst Sabbather.
Er bäte desshalb den Reformator um Verhaltungsmaassregeln und
um Anweisungen, wie er die Juden widerlegen solle. Luther
antwortete demselben in einem Briefe „Wider die Sabbather", in
welchem er dem Freunde die gewünschte Anweisung gab, welche
nach der Schrift aufs Trefflichste den Beweis führt, dass der
Messias gekommen und die Zerstreuung der Juden gerade die
Strafe seiner Verwerfung ist, alle Einwürfe hiergegen aber nieder-
schlägt.
Zu Erfahrungen solcher Art kamen andere. Er selbst be-
richtet in seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen" und
in den Tischgesprächen von drei gelehrten Juden, unter denen sich
Ic zwei Rabbinen Schamarja und Jacob befanden, die ihn um
Geleitsbriefe baten. Luther willfahrtete ihrem Wunsche, muss
aber erzählen: „Sie kamen zu mir in der Hoffnung, sie würden
einen neuen Juden an mir finden, weil wir hier zu Wittenberg
anfingen hebräisch zu lesen, gaben auch für, weil wir Christen
begünsten ihre Bücher zu lesen, sollt's bald besser werden. Da
ich nun mit ihnen disputirt, thaten sie ihrer Art nach, gaben
mir ihre Glossen; da ich sie aber zum Text zwang, entfielen sie
mir aus dem Text und sprachen, sie müssten ihren Rabbinen
glauben, wie wir dem Papst und Doktoren u. s. w. Nun hatte
ich Barmherzigkeit mit ihnen, gab ihnen eine Fürbitte an die
Geleitsleute, dass sie um Christi willen sie sollten frei ziehen
lassen. Ich erfuhr aber hernach, wie sie mir den Christum hatten
einen Thola genennet, das ist einen erhenkten Schacher. Darum
will ich mit keinem Juden mehr zu thun haben; sie sind, wie
St. Paulus sagt, dem Zorn übergeben; je mehr man ihnen helfen
will, je härter und ärger sie werden. Lass sie fahren."
Ueberdem erkannte er immer deutlicher, dass den Christen
von den Juden sehr ernste Gefahren drohten, und dies veranlasste
ihn im Jahre 1543 die beiden überaus scharfen Sendschreiben
— 33 ~
erscheinen zu lassen: „Von den Juden und ihren Lügen" und
„Vom Sehern Hamphoras und vom Geschlecht Christi". Luther
theilte in der ersten mit, dass die Versuche von Juden, Christen
an sich zu locken und etliche sogar, wie er dies in den Tisch-
gesprächen erwähnt, zur Beschneidung zu bewegen, auch nach
seinem Schreiben „Wider die Sabbather" nicht aufgehört hätten.
Desshalb müsse er seinen Vorsatz, nichts mehr von den Juden
und wider die Juden zu schreiben, brechen; denn er habe frei-
lich jenen Vorsatz gefasst, weil es ihm im Herzen weh that,
immer wieder das Gericht über sie predigen zu müssen. Jetzt
greife er noch einmal zur Feder „damit ich unter denen erfunden
werde, die solchem giftigen Fürnehmen der Juden Widerstand
gethan und die Christen gewarnt haben, sich für den Juden
zu hüten".
Dann erklärt er: „Ich gehe nicht damit um, dass ich die
Juden bekehren wollte, das ist unmöglich", denn Gott selbst habe
unter seinen 1400jährigen Gerichten „an ihnen nichts ausgerichtet . .
sie sind schlägefaul". „Disputire nicht viel mit Juden von den
Artikeln unseres Glaubens; sie sind von Jugend auf also erzogen
mit Gift und Groll wider unsern Herrn, dass da ist keine Hoff-
nung, bis sie dahin kommen, dass sie durch ihr Elend zuletzt
mürb und gezwungen werden zu bekennen, dass Messias sei ge-
kommen . . . Wir reden jetzt nicht mit den Juden, sondern von
den Juden und ihrem Thun, das unsere Deutschen auch wissen
mögen." Dann weist er nach, worauf sie pochen: auf ihre Ab-
stammung, die Beschneidung, das Gesetz und Kanaan und geht
auf die Messiaslehre näher ein. „Es ist nicht zu sagen noch zu
begreifen, welch ein störriger, ungezähmter, verzweifelter Hoch-
muth in dem Volke steckt, durch dieses Vortheil in ihnen er-
wachsen, dass Gott selbst mit ihnen geredet hat. Kein Prophet
hat dafür können aufkommen noch bestehen wider sie, Moses
selbst nicht . . . Strafte Gott oder schlug er sie mit seinem
Wort durch die Propheten, so schlugen sie ihn aufs Maul und
tödteten seine Propheten".
Die Rabbinen insbesondere haben es dahin gebracht, dass
nun auch der gemeine Mann unter den Juden von der Wahrheit
abgewandt ist, und sie martern die Schrift so, dass sie mit allen
ihren Weissagungen nichts von Christo sagen darf. Der Talmud
hat ihr ganzes Denken und Leben verdorben. „Summa, sie essen,
sie trinken, sie schlafen, sie wachen, sie stehen, sie gehen, sie
J. F. A. d e le Roi, Missionsbeziehungen. 3
— 34 —
ziehen sich an oder aus, sie fasten, sie baden, sie beten, sie
loben und alles, was sie leben oder thun, ist mit rabbinischen
unfläthigen Aufsätzen und Missglauben also beschmeisst, dass
Moses nicht wohl mehr kenntlich bei ihnen ist."
Aber die Juden gehn noch weiter und haben Christum und
Maria gelästert; Beispiele solcher Lästerungen bringt Luther aus
den jüdischen Schriften reichlich herbei. Ueberdem „lassen sie
uns arbeiten im Nasenschweiss, sitzen sie dieweil hinter dem
Ofen, faullenzen . . . haben uns und unsere Güter gefangen durch
ihren verfluchten Wucher, sind also unsere Herren, wir ihre
Knechte". „So ist unsere Schuld, dass wir das unschuldige Blut
nicht rächen, sie nicht todtschlagen, sondern für alle ihren Mord
Fluchen, Lästern, Lügen, Schänden frei bei uns sitzen lassen, ihre
Schulen, Leiber, Häuser und Gut schützen und schirmen, damit
wir sie faul und sicher machen und helfen, dass sie getrost unser
Geld und Gut uns aussaugen, dafür unser spotten, uns anspeien,
ob sie zuletzt könnten unser mächtig werden."
Luther glaubte jetzt, was er früher entschieden abgewiesen
hatte, dass die Juden Brunnen vergiftet, heimlich gemordet, Kinder
gestohlen und Blut der Christen getrunken hätten. „Das ist's,
dass ein Christ nächst dem Teufel keinen giftigeren, bittereren
Feind habe, denn einen Juden."
„Aus diesem allen sehen wir Christen, welch ein schreck-
licher Zorn Gottes über dieses Volk gegangen und ohne Auf-
hören geht, welch ein Feuer und Gluth brennt da, und was die
gewinnen, so Christo und seinen Christen fluchen oder Feind
sind. O lieben Christen, lasst uns solch greulich Exempel zu
Herzen nehmen, wie St. Paulus Römer 1 1 sagt und Gott fürchten,
dass wir nicht auch zuletzt in solchen und ärgeren Zorn verfallen,
sondern sein göttlich Wort ehren und die Zeit der Gnade nicht
versäumen, wie es bereits der Mahommet und Papst versäumt
haben und nicht viel besser denn die Juden worden sind."
„Was wollen wir Christen nun thun mit diesem verworfenen,
verdammten Volk der Juden? Zu leiden ist's uns nicht, nach-
dem sie bei uns sind, und wir solch Lügen, Lästern, und Fluchen
von ihnen wissen, damit wir uns nicht theilhaftig machen aller
ihrer Lügen, Flüche und Lästerungen. So können wir das un-
löschliche Feuer des göttlichen Zornes, wie die Propheten sagen,
nicht löschen noch die Juden bekehren. Wir müssen mit Gebet
und Gottesfurcht eine scharfe Barmherzigkeit üben, ob wir doch
— 35 —
etliche aus der Flammen und Gluth erretten könnten. Rächen
dürfen wir uns nicht. Sie haben die Rache am Halse tausendmal
ärger, denn wir ihnen wünschen mögen. Ich will meinen treuen
Rath geben.
Erstlich, dass man ihre Synagogen oder Schulen mit Feuer
anstecke . . . Denn was wir bisher aus Unwissenheit geduldet
(ich hab's selber nicht gewusst) wird uns Gott verzeihen. Nun
wir's aber wissen, und sollten darüber den Juden ein solch Haus
schützen und schirmen, darin sie Christum und uns belügen, lästern,
fluchen, anspeien und schänden, das wäre so viel als thäten wir's
selbst." Luther beruft sich hierbei auf die Gebote des Alten
Testaments.
„Zum andern, dass man ihre Häuser desgleichen zerbreche
und zerstöre, denn sie treiben eben dasselbe darinnen, das sie
in den Schulen treiben. Dafür mag man sie etwa unter ein Dach
oder Stall thun, wie die Zigeuner, auf dass sie wissen, sie seien
nicht Herren in unserm Lande, wie sie rühmen, sondern elend
und gefangen. . . .
Zum dritten, dass man ihnen nehme alle Betbüchlein und
Talmudisten . . . Zum vierten, dass man ihren Rabbinen bei
Leib und Leben verbiete hinfort zu lehren . . . Zum fünften,
dass man den Juden das Geleit und Strasse ganz und gar auf-
hebe . . . Zum sechsten, dass man ihnen das Wuchern verbiete
und nehme ihnen alle Barschaft und Kleinod an Silber und Gold
und lege es beiseit zu verwahren. Und ist die Ursach: alles,
was sie haben, haben sie uns gestohlen und geraubt durch ihren
Wucher, weil sie sonst keine andere Nahrung haben. Solch
Geld sollte man dazu brauchen und nicht anders: wo ein Jude
sich ernstlich bekehret, dass man ihm davon für die Hand gebe,
hundert, zwei, drei Gulden nach Gelegenheit der Person, damit
er eine Nahrung für sein armes Weib und Kindlein anfahen
möge, und die Alten und Gebrechlichen damit unterhalte . . .
Zum siebenten soll man den jungen starken Juden und
Jüdinnen in die Hand geben Flegel, Axt, Karste, Spaten, Rocken,
Spindel und lassen sie ihr Brot verdienen im Schweiss der Nasen,
wie Adams Kindern aufgelegt ist."
Wenn sie aber den Christen alsdann noch Schaden thun
sollten, so räth er sie aus dem Lande zu vertreiben. Besonders
erhebt er noch seine Stimme gegen die Herrschaften, welche den
Juden für Geld das Privilegium des Wuchers geben, weil sie
- 3ö -
damit ihre Untcrthanen berauben; die Pfarrer aber ermahnt er,
die Gemeinden vor den Juden zu warnen, „dass sie sich für den
Juden hüten und sie meiden, wo sie können, nicht dass sie jenen
viel fluchen oder persönlich leid thun sollten".
„Ich habe das Meine gethan, ein Jeglicher sehe, wie er das
Seine thue; ich bin entschuldigt", fügt er hinzu. Sauer genug
aber ist es ihm angekommen, so schreiben zu müssen. Denn
„es ist der Zorn Gottes über sie kommen; daran ich nicht gern
denke und mir das Buch nicht fröhlich zu schreiben gewest ist,
also dass ich habe müssen, jetzt mit Zorn jetzt mit Spott wider
die Juden, den schrecklichen Blick aus meinen Augen reissen,
und mir weh thut, dass ich ihre schrecklichen Lästerworte habe
müssen nennen von unserm Herrn und seiner lieben Mutter, die
wir Christen gar ungern hören, und verstehen wollen, was St.
Paulus meint Römer 10, dass ihm sein Herz weh thue, wenn er
an sie gedenkt, welches ich achte auch einem jeglichen Christen
geschehen, der mit Ernst daran denkt, nicht des zeitlichen Un-
glücks und Elends halber, darüber sie, die Juden klagen, sondern
dass sie dahin gegeben sind zu lästern, fluchen, verspeien . . .
Ach Gott, himmlischer Vater, wende dich und lass des Zornes
über sie genug gewest und ein Ende sein um deines lieben Sohnes
willen. Amen."
Den Christen aber, welche in Gefahr sind, sich von den
Juden verführen zu lassen, zeigt er dann aus dem Alten Testament,
dass Christus der wahre Messias sei, aber freilich nicht ein welt-
licher König, wie ihn die Juden begehren. „Denn was wäre mir
solches alles nütze, und bliebe gleichwohl die greuliche Last und
Plage aller Menschen, der Tod, auf mir, für dem ich nicht sicher,
alle Augenblicke mich für ihn fürchten, für der Hölle und Gottes
Zorn zittern und beben müsste, und des alles kein Ende wissen,
sondern ewiglich gewarten sollte."
Darauf preist er den Messias der Christen, welcher eine
ewige Gerechtigkeit bringt, die Missethat versiegelt, der Ueber-
tretung steuert und die Sünde versöhnt. Der Schluss aber lautet:
„Christus, unser lieber Herr bekehre die Juden barmherziglich
und erhalte uns in seiner Erkenntniss, welche das ewige Leben
ist, fest und unbeweglich. Amen."
In demselben Jahre 1 543 erschien dann noch die versprochene
Schrift „Vom Sehern Hamphoras und vom Geschlecht Christi",
in welcher er den Christen zeigen will „was ein Jude sei, und
37
die Christen vor ihnen als vor dem Teufel selbst zu warnen . .
denn ein Jude oder jüdisch Herz ist so stock-stein-teufelhart, das
mit keiner Weise zu bewegen ist. Wenn Moses käme mit allen
Propheten und thäten alle Wunderwerke für ihren Augen, dass
sie sollten ihren harten Sinn fahren lassen, so wäre es doch um-
sonst . . Wenn sie auch über diese 1500 Jahr noch 1500 Jahr
sollten im Elend sein, dennoch muss Gott ein Lügner, sie aber
wahrhaftig sein. Summa, es sind junge Teufel zur Hölle ver-
dammt; ist aber noch etwas menschliches in ihnen, dem mag
solch Schreiben zu nutz und gut kommen. Vom ganzen Haufen
mag hoffen, wer will, ich habe da keine Hoffnung: . . „Denn dass
etliche aus der Epistel zum Römern am n.Cap. solchen Wahn
schöpfen, als sollten alle Juden bekehret werden am Ende der
Welt, ist nichts; St. Paulus meinet gar viel ein anderes."
Luther verdeutscht dann zuerst das elfte Capitel im ersten
Theil des Buches Purcheti, in welchem derselbe die jüdischen Läster-
erzählungen über die Zaubereien, die Christus unter Anwendung des '
vierbuchstabigen Namens Gottes Jehovah getrieben habe, mittheilt.
Durch cabbalistische Träume und Zaubereien steckten sie auch
viele einfache Christen, ja selbst Dorfpfarrer, Küster und Edelfrauen
an, wie dies Luther und seine Genossen bei der Kirchenvisitation
erfahren hatten. Sah sich doch auch später 1545 Luther ge-
nöthigt, den Kurfürsten Joachim von Brandenburg, welcher sich
durch Juden zur Alchymie hatte verleiten lassen und dem Propst,
der ihn deswegen strafte, zürnte, brieflich zu warnen.
Im zweiten Theil aber weist er die jüdischen Angriffe auf
die zwei verschiedenen Stammbäume Christi bei Matthäus und
Lukas ab und erklärt dann zuletzt: „Hie will ich's lassen und
mit den Juden nicht mehr zu thun haben, noch weiter von ihnen
oder wider sie schreiben; sie haben's genug. Welche sich be-
kehren wollen, da gebe Gott seine Gnade zu, dass sie (doch
etliche) mit uns erkennen und loben Gott den Vater, unsern
Schöpfer, sammt unserm Herrn Jesu Christo und dem heiligen
Geist in Ewigkeit. Amen."
Aber so sehr es ihm widerstrebte gegen die Juden aufzu-
treten, sah er sich doch noch einmal hiezu veranlasst; und zwar
ist das letzte öffentliche Zeugniss, das Luther überhaupt gethan
hat, die an dem Sonntage vor seinem Tode von ihm in Eisleben
gegen die Juden gehaltene Predigt. Unter dem Titel: „Luthers
Vermahnung wider die Juden", ist sie seinen Werken einverleibt
- 38 -
(Altenb. VIII, 531). Luther ermahnt in dieser Predigt seine Zu-
hörer zu zwei Dingen: vor allem dem Evangelio treu zu bleiben,
und sodann dem verderblichen Einflüsse der Juden zu widerstehen.
„Nun wollen wir christlich mit ihnen handeln und bieten ihnen
erstlich den christlichen Glauben an, dass sie den Messias wollen
annehmen, der doch ihr Vetter ist und von ihrem Fleisch und
Blut geboren und rechter Abrahams Same, dessen sie sich
rühmen . . Das sollt man ihnen erstlich anbieten, dass sie sich
zu dem Messias bekehren wollen und taufen lassen, dass man
sehe, dass es ihnen ein rechter Ernst ist. Wenn nicht, so wollen
wir sie nicht leiden . . . Denn soll ich den bei mir leiden, der
meinen Herrn Christum lästert und verflucht, so mache ich mich
fremder Sünde theilhaftig, so ich doch an meiner eigenen Sünde
genug habe. Wo sie sich aber bekehren, ihren Wucher lassen
und mit Ernst Christum annehmen, so wollen wir sie gern als
unsere Brüder halten. Das habe ich als ein Landeskind euch zur
Warnung sollen sagen zur Letzte, dass ihr euch fremder Sünde
nicht theilhaftig machet."
Alle diese Zeugnisse Luthers der Juden halber und an sie
kamen nun bald zu ihrer Kenntniss, aber sie suchten dieselben
nur aus den gemeinsten Beweggründen abzuleiten. Schon in der
1573 in Basel erschienenen Schrift des Marcus Lombardus (Conrad
Huser) wird dessen Erwähnung gethan, dass die Juden behauptet
hätten, Luther habe aus Rache, weil ihm ein Anlehen von einigen
hundert Gulden von ihnen verweigert worden sei, gegen sie ge-
schrieben. Und ebenso theilt J. Alb. Fabricius in seinem
Centifolium Lutheranum 1728 mit, die Juden hätten ausgesprengt,
dass Luther von den Frankfurter Juden eine grosse Summe
Geldes erbeten und dass er ihnen für die Gewährung derselben
versprochen habe, sie in seinen Schriften zu loben. Sie hätten
aber dieses Anerbieten abgeschlagen, weil sie dem Kaiser Karl V.
die Treue hätten halten wollen, und Luther habe dann, um Ver-
geltung zu üben, seine judenfeindlichen Schriften erscheinen lassen.
Doch auch für Christen ist es überaus leicht, bei diesem
Auftreten Luthers gegen die Juden einfach nur von fleischlichem
Eifer, zn dem er sich ja allerdings vielfach hinreissen Hess, zu reden;
gerecht wird man aber hierbei weder seiner Person noch seiner
Aufgabe. Luther war in der That ein Prophet Gottes, wie er
selbst dies am Klarsten wusste, und hatte daher ebensogut wie
die Propheten des Alten Testamentes den Beruf eines solchen
— 39 —
ganz und voll in Kirche und Staat, den herrschenden Gewalten
im kirchlichen wie im politischen Gemeinwesen gegenüber,
hinsichtlich des religiösen wie des gesellschaftlichen Lebens, hin-
sichtlich des eigenen Volkes wie hinsichtlich anderer Völker
auszurichten.
Darin hat denn auch Luther seinen Prophetenberuf wahrlich
nicht verfehlt, dass er für die Juden nicht eine Stellung wie die
es ist, welche die moderne Emancipation für sie geschaffen hat,
forderte. Vielmehr handelte er ganz recht, wenn er Fürsten und
Völker ermahnte, Gesetze und Ordnungen zu schaffen, um dem
vorzubeugen, dass die Juden nicht das religiöse und sociale
Leben ihrer christlichen Umgebung verderbten. Darin trat auch
jener richtige Patriotismus zu Tage, welchen die Propheten Israels
und ein Apostel Paulus in so hohem Masse bekunden: jener
Patriotismus, welcher eine heilige Liebe zu dem Volke hegt, dem
man nach Gottes Willen angehört. Luther wollte sein deutsches,
christliches Volk, das als christliches eine noch viel höhere Auf-
gabe auszurichten hatte als das auf der alttestamentlichen Stufe
befindliche Israel, nicht verderben lassen, sondern alles aufbieten,
damit es diesem seinem hohen Berufe lebe. Als Patriot im
christlichen Sinne hat er daher auch gegen Rom und die Juden
einen unermüdlichen Kampf gekämpft; und Niemand vor wie
nach ihm hat so sehr darum geeifert, dass die Stellung, welche
Gott dem deutschen Volke in seinem Reiche auf Erden ange-
wiesen hat, ihm nicht verloren gehe.
So ist es denn beides, ein echt christliches und echt
patriotisches Thun und Wirken, dass Luther bis zu seinem letzten
Odemzuge die Judenfrage im deutschen Volke und vor demselben
unter das Licht des Evangeliums zu stellen trachtet. Wenn er
dabei aber den Juden das Gericht verkündigen muss, so wird
ihm das nicht minder schwer, als wenn dies die Propheten des
Alten Testaments zu thun haben. Er sagt mit voller Aufrichtig-
keit in der Schrift „Von den Juden und ihren Lügen": „Es ist
der Zorn Gottes über sie gekommen, daran ich nicht gern ge-
denke, und ist mir dies Buch nicht fröhlich zu schreiben gewest"
und dass ihm darüber „das Herz weh thut".
Schon hierdurch unterscheidet er sich völlig von den moder-
nen Judenfeinden. Er heisst nicht aus pharisäischer Verliebtheit
in die deutsche Art die Juden lediglich abwehren. Gerade im
Gegentheil wird er nicht müde, immer von Neuem seine Deutschen
— 40 —
darauf hinzuweisen, dass die Juden ihnen dasjenige Schicksal
vor Augen stellen sollten, welches sie selbst treffen werde, wenn
sie auch wie jene das Zeugniss des Evangeliums verachten würden.
Er lässt sich nirgends auch nur im Geringsten durch die Anti-
pathie gegen die Juden zu seinem Auftreten wider sie bestim-
men; selbst bei dem äussersten Spott und Hohn zeigt sich hier-
von bei ihm nichts, sondern er glaubt, Spott, Hohn und harte
Rede gegen sie als Waffen gegen die Feinde Gottes gebrauchen
zu müssen; und eben lediglich darum, weil sie Feinde Gottes
und seiner Gemeinde sind, schlägt er alle jene scharfen Maass-
regeln gegen sie vor.
Ihm ist das Schicksal der Juden auch nicht gleichgiltig
gewesen, sondern er fühlte es vielmehr wie einen Brand in seinem
Herzen, dass auf sie das Feuer des göttlichen Zornes gefallen
ist. Daher hätte er ihnen gern geholfen und glaubte, dass „durch
eine scharfe Barmherzigkeit" vielleicht noch einzelne aus dem
Feuer gerettet werden könnten. Um das Wohl so manches
Proselyten war er treulich besorgt und die Taufe von Juden
wollte er besonders feierlich gestaltet wissen, wie dies sein Brief
an P. Gnesius zu Ichtershausen 1531 über die Form der Taufe
einer Jüdin beweist.
Mit seinem ganzen Herzen, welches für die Ehre des
heiligen Gottes und für die Erhaltung seiner Gemeinde glühte,
ja welches selbst die aus der Mitte seiner Gegner in herzlicher
Fürsorge umfasste, welche sich retten lassen wollten, schrieb und
redete Luther wider die Juden. Nach allen diesen Seiten hin
bleibt er denn auch für uns eine beständige Mahnung; und die
Judenfrage unserer Tage hätte nicht die gegenwärtige drohende
Gestalt angenommen, wenn sich zumal die evangelische Christen-
heit mehr von jenem Eifer Luthers um die Ehre des heiligen
Gottes in ihrem ganzen Leben bewahrt hätte. Dann wäre es
nicht zu jener falschen Vereinigung und Verbindung zwischen
Juden und Christen gekommen, welche beiden Theilen zum Ver-
derben gerathen ist. Und die Thatsache besonders, dass Luthers
letztes öffentliches Wort eine Vermahnung an seine Christen und
lieben Landsleute war, sich vor dem Verderben zu hüten, das
durch die Juden in ihrer Mitte auf ihr ganzes Leben auszugehen
drohte, sollte uns beständig in Erinnerung bleiben. In jenen
Zeugnissen liegt ein Vermächtniss des Propheten Gottes an
unser Volk vor; und ein Zufall ist es nicht gewesen, dass Luthers
— 41 —
letzte Mahnung an unser Volk dahin ging, das Evangelium sich
zu bewahren und sich vor den Juden zu hüten.
Eins jedoch ist für Luthers Stellung zu den Juden verhäng-
nissvoll geworden. Er hat den Unterschied zwischen Verstockung
und Sünde wider den heiligen Geist nicht erkannt, sondern jene
bei den Juden betrachtet, als wäre sie bereits die andere. Die
Verstockung aber, obwohl der allergefährlichste unter den sünd-
lichen Zuständen, ist nicht in jedem Falle vom heiligen Geiste
unüberwindlich, sondern auch die Verstockung lässt noch der
Hoffnung Raum; und gerade der Apostel, welcher von Israel
schreibt, es ist verstockt, hält trotzdem noch an der Errettung
desselben in der endlichen Znkunft fest. Luther betrachtete
hernach das jüdische Volk als eine Masse des Verderbens, aus
welcher nur einzelne gerettet werden könnten. Es sei der Sünde
des Teufels verfallen, und dessen Gericht stehe ihm daher auch
nur bevor. Darum, obwohl in dem Gedanken an ein solches
Verhängniss seine ganze Natur erbebte, denn er hatte ein tief
und zartfühlendes Herz, meinte er zuletzt auch, es sei frevelhaft,
dieses Feuer löschen zu wollen. Für den Teufel solle es nach
Gottes Willen nur Verdammniss geben, und so müssten sich auch
die Christen für die Juden in einen solchen Ausgang der Dinge
schicken, so sehr sie darüber das Entsetzen ergreifen möchte.
Luther erkannte eben nur den einen der beiden Gottesgedanken,
welcher das Leben der Juden, die dem Heile in Christo widerstreben,
beherrschte, den des Gerichtes über dieselben; für den andern
dagegen, den der göttlichen Geduld und Gnade öffnete er in der
späteren Zeit sein Herz immer weniger. Die Heiligkeit Gottes
fühlte er in ihrer ganzen Erhabenheit und Unantastbarkeit und
hatte auch in die Tiefen der Gnade wie kein anderer seit der
Apostel Tagen hineingeblickt. Aber hier finden wir bei ihm
eine Grenze und Schranke. Ohne Busse kann die Gnade ihr
Werk nicht thun, und versagte Busse ist eine Feindschaft wider
Gott, darin hatte er freilich Recht. Aber dass die Gluth der
Gnade auch ein in der Unbussfertigkeit zu Stein gewordenes
Herz noch einmal schmelzen könnte, wollte er nicht glauben.
Ihm blieb an der Gnade die Seite der Geduld verborgen, und
so hat er denn auch diese christliche Tugend in sich selbst gar
wenig pflanzen lassen. Er verlor thatsächlich den Juden gegen-
über jene heilige Geduld, welche Gott doch selbst die Gefässe
des Zornes noch tragen lässt, und den Glauben an die Allmacht
— 42 —
der Gnade, die er sonst allen Sündern so hell und klar verkündigt
hatte. Eine positive Arbeit wollte er daher auch an ihnen nicht
mehr gethan wissen, da Gott über sie entschieden habe, und
man ihm also nicht in seinen Arm fallen dürfe; den einzelnen
allein müsse es überlassen bleiben „von dem grossen Haufen
abzuspringen und sich in die Arche der Kirche zu flüchten".
Der Luther des Anfanges gleicht mithin dem Luther des
Endes sehr wenig, und ausreichende Anweisungen, welches Ver-
hältniss sie zu den Juden einnehmen sollten, empfingen die christ-
lichen Völker von ihm nicht. Er überbot schliesslich noch den
schmerzlichen Fehler des Mittelalters. Denn er verfiel nicht
bloss in den alttestamentlichen und römischen Standpunkt,
welcher die falsche Religion mit Gewalt unterdrücken wollte,
zurück, sondern ging zum Theil noch weiter als die Päpste,
welche die Juden wenigstens nicht vor die Wahl gestellt sehen
wollten, entweder das Christenthum anzunehmen oder ihre Wohn-
sitze unter den Christen zu verlassen. In dieser Beziehung hat
Luther das Verständniss für die Judenfrage und die Behandlung
derselben eher verwirrt als gefördert.
Trotz alledem bleibt es nun aber doch dabei, dass Luther
für die Juden die höchste Bedeutung gewonnen hat, und dass
auch die Christenheit durch ihn zu einer anderen Stellung den-
selben gegenüher geführt worden ist. Die Prinzipien, welche er
in das allgemeine Leben der christlichen Völker und der ganzen
Welt hineingeführt hat und die auch in seinen ersten die Juden
angehenden Zeugnissen reiner ausgesprochen wurden, waren
Lebensmächte, welche sich selbst durch die Einseitigkeiten und
Fehler Luthers nicht fesseln Hessen. Sie waren und sind mit
keiner einzelnen Person unauflöslich verbunden und entfalteten
sich auch über die Grenzen hinaus, die ihnen etwa ihr erster
Verkündiger stecken wollte. Sie drangen in das gesammte Leben
ein und prägten ihm immer sichtbarer ihre Gestalt auf. Noch
in der atheistischen Verzerrung, welche Luthers Gedanken in der
französischen Revolution erhielten, erkennt man die reformato-
rischen Grundsätze und ihr unveräusserliches Recht wieder.
Insbesondere aber wurde auch dadurch, dass Luther und
die Reformation die Bibel in die Hände des evangelischen Volkes
gelegt hatten, dieses selbst fortwährend auf das Schriftzeugniss
hinsichtlich der Juden und auf die Pflicht, welche ihnen das gött-
liche Wort denselben gegenüber auferlegte, hingewiesen. Die
— 43 —
evangelische Christenheit sah unter ihrem fleissigen Gebrauch der
Schrift unaufhörlich ihre Augen auf die Juden gerichtet, und hat,
so lange sie überhaupt der Bibel die ihr gebührende Stellung
Hess, sich beständig an dieselbe erinnert gesehen. Während die
römischen Christen vollständig durch die Stellung ihrer Autori-
täten zu den Juden bestimmt werden, ist das Verhältniss im
Protestantismus ein anderes gewesen. Das abgeschlossene und
auch in seinem Zeugniss hinsichtlich der Juden sich immer gleich
bleibende Gotteswort in der Bibel hat hier, allen Zeitansichten
und allen Strömungen in der Kirche zum Trotz, unmittelbar zu
den Herzen und Gewissen zu reden vermocht. Eben daher fühlte
sich aber die evangelische Christenheit selbst stets an die Juden
gemahnt. Es ist denn auch gar kein Vergleich, in wie viel
höherem Grade das protestantische als das römisch- oder grie-
chisch-katholische Volk den Juden seine Aufmerksamkeit geschenkt
hat. Die in der evangelischen Kirche und in der evangelischen
Welt wirklich gelesene Bibel gestattet es denselben nun einmal
nicht, bei den Juden vorüberzugehen, sondern die Schrift knüpfte
immer wieder neue Verbindungen zwischen den beiden Theilen,
auch wenn der natürliche Zug der Herzen dem noch so sehr
zuwider war.
Seit der Reformation war es daher nicht mehr möglich,
dass die frühere Isolirung zwischen der Christenheit und den
Juden in derselben Weise und in dem gleichen Maasse wie früher
fortbestand; die Bibel inmitten der evangelischen Welt Hess es
nicht dazu kommen. Von jetzt ab war ein Band vorhanden, das
immer wieder die Getrennten mit einander zu verbinden suchte.
Ein Neues musste allmählig eintreten, wenn die Schrift nicht ein
todtes Ding in der evangelischen Kirche wurde. In demselben
Grade, als die Schrift in ihr lebendiger hervortrat, war dann auch
die Verbindung mit den Juden eine lebhaftere ; und in demselben
Grade, als die Schrift zurücktrat, traten für sie die Juden in
den Hintergrund.
Auch jene völlige Umwandlung, welche die Verhältnisse der
Juden durch die französische Revolution erfahren haben, hat ihren
ersten Anstoss durch die Reformation Luthers erhalten; und alles Gute
in dem Humanismus, den diese französische Bewegung als Lebens-
gesetz erwählt hat, ist nur ein mit vielen gefährlichen Irrthümern
durchsetzter Ueberbleib jener herzlichen christlichen Theilnahme
und Liebessorge für alle Menschen, wie sie in Luthers Schrift,
— 44 —
„dass Jesus Christus ein geborener Jude sei" zu Tage tritt. Aller-
dings aber haben die Irrthümer und Fehler, welche wir in Luthers
Stellung zu den Juden wahrnahmen, auch vielfach nachtheilig
gewirkt. Denn nicht wenige glaubten dem Reformator darin recht
nachzufolgen, wenn sie auch seine Irrwege gingen, während sie
seine grossen Gedanken in sich nicht aufnahmen. Im Schlimmen
wie im Guten und Heilsamen wirkt denn auch thatsächlich Luthers
Werk, Vorgehen und Beispiel in der Judenfrage noch immer fort.
3. Die anderen Reformatoren und Luthers unmittel-
bare Nachfolger.
In den Ländergebieten der reformirten Kirche gab es im
Anfange der Reformation entweder gar keine Juden, oder sie
waren dort nur in spärlicher Zahl vorhanden. Man trat desshalb
in jenen Gegenden mit den Juden nicht in so unmittelbare und
lebendige Berührung. Dieser Umstand erklärt es auch wohl,
dass Calvin und Zwingli ihr Augenmerk nur wenig auf die Juden
richteten. Calvin ist allerdings wenigstens einmal mit einem
öffentlichen Zeugniss an die Juden herangetreten, das hernach
aus seinen Briefen (358) der Baseler Buxtorf als Schlusswort
zur Synagoga Judaica oder Judenschule 1605, erste Aufl., weiter
verbreitet hat. Calvin antwortet hier auf Fragen eines Juden,
welcher Widersprüche des Christenthums mit den Lehren des
Alten Testamentes nachzuweisen sucht. Die Antworten, welche
er seinem Gegner aus dem Alten Testament selbst heraus ertheilt,
sind ebenso klare als entscheidende. Aber freilich zeigen die-
selben auch, dass jener Reformator nicht die mindeste Theilnahme
für die Juden empfand, denn er weist sie lediglich in scharfem
und hartem Tone ab. Luther, auch wenn er voll Zornes an und
wider die Juden schreibt, thut es unter innerster Bewegung seines
Herzens um des Gerichtes willen, das sie auf sich selbst herab-
geladen haben. Calvin dagegen ist es lediglich um eine schneidige
Zurückweisung ihrer Angriffe zu thun.
Sehr viel wohlthuender dagegen werden wir durch Th. Beza,
den Freund und Mitarbeiter Calvins in Genf berührt, der eine ganz
andere Stellung zu den Juden einnahm und seinen Bemerkungen
zu Römer II, 18 ein Gebet hinzufügte, von dem er selbst sagt,
dass er es täglich für die Bekehrung der Juden bete. In leb-
haftere Beziehung zu den Juden trat Martin Bucer. Man hat
— 45 —
demselben sogar, weil er in seiner metaphrasis et enarratio des
Römerbriefes anerkennt, dass Israel noch einmal werde bekehrt
werden, jüdischer Meinungen beschuldigt und von ihm behauptet,
er sei jüdischer Abkunft; aber diese letztere Behauptung ist ohne
Grund, denn er war der Sohn eines Schlettstädter Bürgers aus
einer altchristlichen Familie, und jüdische Meinungen oder Nei-
gungen sind in ihm am allerwenigsten zu entdecken. Auf Ver-
langen Philipps von Hessen hat er mit Melander und
anderen 1539 em »Bedenken, wie die Juden unter den Christen
zu halten seien", herausgegeben, das sehr scharf und streng lautet.
Er rieth hier im Verein mit anderen reformirten Theologen den
Juden keine Lästerung des Namens Christi zu gestatten, ihnen den
Gebrauch des Talmud zu verbieten und nur das Alte Testament zu
gestatten, die Erbauung neuer Synagogen zu verweigern und den
Christen es nicht zu erlauben, mit Juden zu disputiren. Dagegen
sollten bestimmte Prediger angestellt werden, welche mit den Juden
reden sollten, und letztere gehalten sein, Predigten derselben an-
zuhören. Wuchern und jedes Handelsgeschäft sei ihnen zu ver-
bieten, und dafür seien sie zu grober Handarbeit anzuhalten.
Helfe aber das alles nichts, so solle man sie wie tolle Hunde aus
dem Lande jagen.
Zum ersten Male begegnen wir hier im Gebiete der evan-
gelischen Kirche dem Vorschlage, die Juden zur Anhörung christ-
licher Predigten und Lehrunterweisungen zu zwingen, und man
hat demselben hernach leider mehrfach Folge gegeben.
Haben in diesem Stücke reformirte Theologen kein gutes
Beispiel gegeben, so kommt ihnen anderseits aber das Verdienst
zu, auf dem Judenmissionsgebiete am Frühesten mit wissenschaft-
lichen Leistungen hervorgetreten zu sein. Menrad Molther gab
1532 in Heidelberg aus einem Manuscript die drei Bücher des
Erzbischofs Julianus Pomerius in Toledo (689) de demon-
stratione sextae aetatis heraus.*) Es wird hierselbst die Behaup-
tung der Juden bekämpft, dass der Messias erst nach 6000 Jahren
erscheinen werde, und aus Altem und Neuem Testament bewiesen,
dass er in der Zeit erschienen sei, wo er allgemein erwartet wurde.
Besonders anregend aber hat Conrad Pellican, der 1556
als Professor des Hebräischen in Zürich starb, gewirkt. Er hat
in der reformirten Kirche recht eigentlich den Eifer für die rab-
•') Wolfs Bibl. Ilebr. (\V. B. II.) 2, S. 999.
- 46 -
bini sehen Studien geweckt. Als er einst einen römischen Theologen
gegen eine Jüdin zu Schanden werden sah, beschloss er sich auf
das Hebräische zu legen und hat dann dasselbe durch einen
bekehrten Juden, Paul Pfedersheimer, erlernt. Seitdem lenkte
er die Aufmerksamkeit seiner Schüler auf die Juden und die
Frucht dessen blieb nicht aus. Einem seiner Schüler, Sebastian
Münster, hat Deutschland die erste Ausgabe der hebräischen
Bibel zu danken, Basel 1534, 35. Er hat dieselbe aber haupt-
sächlich im Missionsinteresse veranstaltet; denn er Hess sie mit
jüdisch- deutschen Lettern drucken und fügte der mitfolgenden
lateinischen Uebersetzung Anmerkungen aus rabbinischen Com-
mentaren hinzu. Sebastian Münster übersetzte jedoch auch das
Evangelium Matthäi und den Hebräerbrief ins Hebräische (Basel
1537), dieser Uebertragung eine lateinische und Anmerkungen
hinzufügend. Um aber die Wirkung der Lektüre dieser neutesta-
mentlichen Schriften für die Juden zu erhöhen, schickte er dem
Matthäus-Evangelium eine Vorrede voran. Diese, hebräisch verfasst
und gleichzeitig mit lateinischer Uebersetzung versehen, enthielt eine
kurze Darlegung des christlichen Glaubens, und wurde demselben
der Glaube der Juden seiner Zeit gegenüber gestellt. Dieser Dar-
legung folgt eine Bekämpfung der jüdischen Irrthümer und der
verkehrten Meinungen der Juden über das Christenthum. Das
Ende der Vorrede aber bildet die sagenhafte Erzählung über die
Annahme des Christenthums durch die Chazaren. Auch einen Kate-
chismus liess Sebastian Münster unter dem Titel Emunah Hame-
schichim, fides Christianorum erscheinen, von dem Wolf Bibl. H.
eine 1582 in Basel erschienene Ausgabe erwähnt.*) Die luthe-
rischen Theologen hat später besonders das Beispiel von Seba-
stian Münster zu wissenschaftlicher Arbeit auf dem Missions-
gebiete ermuntert.
Paulus Fagius liess Isna 1542 Precationes Hebraicae er-
scheinen. Den hebräischen und in lateinischer Uebersetzung mit-
getheilten jüdischen Gebeten stellt er christliche ähnlichen Inhalts
in derselben Sprache gegenüber. Hierauf folgt die Schrift eines
älteren Proselyten: Sepher Emunah, welche die Gründe bespricht,
durch die viele Juden vom Uebertritt zum Christenthum fern
gehalten werden, selbst wenn sie bereits überzeugt sind; wonach
zuletzt die jüdischen Einwürfe gegen das Christenthum wider-
►) W. B. H. 2 S. 1066.
— 47 —
legt werden. Der Verfasser ermahnt zugleich ernstlich, Ge-
duld gegen die Juden zu üben und in dem Bestreben, sie auf
den rechten Weg zurückzuführen, nicht müde zu werden. Paulus
Fagius hat auch Thisbi, das hebräische Werk von Elias Ger-
manus ins Lateinische übersetzt, und hat den Züricher Proselyten
Michael Adam in seiner 1543 erschienenen ConstanzerUebertragung
der 5 Bücher Moses und der 5 Megilloth ins Deutsche unterstützt.
Damit seine Uebersetzung von den Juden gelesen würde, Hess
Fagius sie mit jüdischen Lettern drucken.
Anzeichen eines herzlichen Interesses an der Bekehrung der
Juden begegnen uns mehrfach in der frühesten lutherischen Kirche.
Wenceslaus Link, Prediger zu Altenburg, übersetzte im Jahre
1524 den hernach noch mehrfach in deutscher Sprache heraus-
gegebenen lateinischen Brief des sogenannten Rabbi Samuel
aus Marokko. Mit diesem Briefe, welchen man damals all-
gemein für das Zeugniss eines Proselyten hielt, wollte er an die
Gewissen der Juden dringen. Er selbst gab der Schrift den
Titel „dass Jesus von Nazareth der wahre Messias sei, desshalb
die Juden auf keinen andern warten dürfen". Bei Wenceslaus
Link tritt uns höchst wohlthuend der Sinn entgegen, mit dem
Luther anfangs den Juden zu begegnen bat. Er schreibt in der
Vorrede: „Lies es mit Fleiss; denn es dir ohne Zweifel nützlich
sein wird vielfältig. So wir nicht mit Lästern, Vermaledeien
und anderen ungeschickten Weisen, sondern mit gegründeten
Schriften gegen die Juden und andere Ungläubige handeln wür-
den, möchten wir sie Christo unserm Herrn wohl gehorsam und
unterthan machen". Eine herzliche Sorge um die Bekehrung der
Juden hat Link zur Feder greifen lassen.
Prediger Caspar Güttel in Eisleben schrieb 1529 ein
Büchlein „Von den Strafen und Plagen, die etwa Gott über die
Juden durch Jesum Christum hat verhangen, eine kurze, liebliche
Unterredung, dass Christus wahrer Gott und Mensch sei". In
dieser Schrift lässt er einen Christen und einen Juden mit ein-
ander reden. Der Jude beklagt sich über das üble Verhalten so
vieler Christen gegen die Juden und äussert seine Zweifel hinsichtlich
der Gottheit Christi. Der Christ räumt das Recht zur Anklage
gegen die Christen ein, beweist aber dann die Gottheit Christi aus
der Schrift, besonders aus Psalm 2, und heisst endlich die Juden
Luthers Schrift „dass Jesus Christus ein geborener Jude sei"
lesen. Der Ton dieser Schrift ist ein durchaus herzlicher und
- As -
würdiger und ein Beweis, welchen Eindruck Luthers erste Zeug-
nisse in der Sache der Juden auf viele gemacht hatten.
Hans Sachs dichtete 1530 ein Advents - Festspiel „dass
Christus der wahre Messias sei", in dem ein christlicher Doktor
von einem jüdischen Rabbi darüber zur Rede gestellt wird, dass
er behaupte, der Messias sei schon erschienen. Adam, Abraham,
Jakob, Moses, David, Jesaia, Jeremia, Micha, Daniel und Zacharias
müssen desshalb als Zeugen dafür auftreten, dass allerdings der
Messias bereits gekommen ist. In höchst ansprechender Weise
führen sich hierbei jene alttestamentlichen Personen mit den be-
kannten messianischen Stellen ein, welche die Schrift aus ihrem
Munde oder in ihren Büchern enthält; worauf der jüdische Rabbi
den christlichen Doktor um weitere Belehrung bittet. Alle diese
Zeugnisse der Theilnahme für die Juden, welche eine Folge des
ersten Aufrufs Luthers, sich derselben anzunehmen, sind, zeichnen
sich durch einen gemüthvollen, warmen Ton aus.
Grossen Eifer für die Bekehrung der Juden bekundete der
Braunschweigisch-Lüneburgische Superintendent Urbanus Rhegius.
Jene hatten auch in Braunschweig das Aufkommen der neuen
Kirche so verstanden, als sollte von nun an mit der christlichen
Lehre überhaupt gebrochen werden. Wie Luther öfters die
Beweise dafür erhielt, dass die Juden alles Ernstes im Anfange
der Reformation meinten, dass nun ihre Zeit gekommen sei, und
die Welt ihnen jetzt zufallen werde, so auch Rhegius in Braun-
schweig. Phil. Jul. Rehtmeier berichtet in seiner Kirchenhistorie
der Stadt Braunschweig (1707): „Um 1530 mussten die Juden in
Braunschweig einen Eid schwören, dass sie den Bürgern ihre
Lehre nicht vorsagen noch sie mit Schriften verführen und aller
Lästerung Jesu sich enthalten würden". Urb. Rhegius fand also
in seiner nächsten Umgebung genug Anlass, denselben entgegen-
zutreten; aber er that es auf echt christliche Weise, indem er
den Juden zum Herzen und Gewissen redete, um sie für Christum
zu gewinnen. Und er war auch der Mann dazu; denn er be-
herrschte in einer für seine Zeit sehr anerkennungswerthen Weise
das Hebräische und war auch mit der rabbinischen Literatur ver-
traut. So richtete er denn im Jahre 1535 aus Celle, seinem
Wohnorte, ein hebräisches Sendschreiben an die Juden, welches
lateinisch übersetzt seine Werke (3, 92), Schudts jüdische Merk-
würdigkeiten Thl. 4, Forts. 3 S. 12 ^. in lateinischer und deut-
scher Uebersetzung, und Delitzsch Saat 1872, Heft 1, 36 enthalten.
— A9 —
Freundlich bittet er hier die Juden, sein Schreiben allein
als einen Beweis seines Eifers um die göttliche Wahrheit gelten
zu lassen und ihm auf dasselbe Antwort zu geben. Dann weist
er sie darauf hin, wie gegenwärtig in der Christenheit das Gesetz
und die Propheten fleissig gelesen und alle Schriften des Alten
Testaments von den Christen ebenso wie von den Juden als göttliche
Wahrheit anerkannt würden. Dennoch verwürfen die Juden den
Messias, welchen die Propheten lehrten. Desshalb beschwöre er
sie, ihm den Grund dessen anzugeben. Er wolle ihnen kurz zwei
Fundamente des Glaubens der Christen an Jesus als den Messias
des Alten Testaments zeigen: Die Worte i Mose 49 und Daniel 9.
Auf diese beiden alttestamentlichen Zeugnisse für die Messianität
Jesu geht er näher ein und bittet die Juden darauf ihm zu sagen,
wer anders der hier gemeinte sei. Aber sie möchten ihre Mei-
nung auch mit stichhaltigen Gründen vortragen und nicht mit
den Erdichtungen des Buches Nizzacbon von Salomo Jarchi ant-
worten. Wohl ärgere sie der Gekreuzigte, aber sie sollten an
Jesaia 53 denken, welches Kapitel er ihnen eindringlich vorhält;
und sollten sich, nachdem sie so lange an die Kraft der Thier-
opfer geglaubt hätten, nicht daran stossen, wenn nun ein Heiliger
Gottes das Opfer für unsere Sünden gebracht habe. Mit beweg-
lichen Worten ermahnt er sie darauf, ihr Heil nicht länger von
sich zu weisen und sich an das Wort eines ihrer alten Rabbiner
zu erinnern, der im Anschluss an das „alles ist eitel" im Prediger
Salomonis bekannte: „eitel; ist das Gesetz, bis dass Messias kommt.""
Von einer Antwort des Juden auf dieses Schreiben hören
wir nicht. Urbanus Rhegius aber behielt die Juden beständig im
Auge, wie er denn auch persönlich mit ihnen verkehrte. 1545
erschien von ihm in Celle noch „Ein Dialog von der herrlichen,
trostreichen Predigt, die Christus, Lukas 23, von Jerusalem bis
Emmaus den zwei Jüngern am Ostertage aus Mose und allen
Propheten gethan hat." 1606 ist sodann diese Predigt noch ein-
mal besonders in Wittenberg erschienen. In diesem Zwiegespräch
mit seiner Ehefrau, welche übrigens selbst das Hebräische studirt
hatte, geht Urbanus Rhegius sehr ausführlich auf alle messia-
nischen Stellen des Alten Testaments ein, berücksichtigt hierbei
zugleich die jüdische Auslegung und bekämpft die Auffassung,
welche den Messias als einen weltlichen Herrscher betrachtet.
Ein Rabbi in Hannover habe jüngst zu seinen Juden gesagt, dass,
wenn auch der Messias komme, er bei demselben gewiss nicht
J. F. A. de le Roi, Missionsbeziehungen. 4
— 50 —
die Vergebung der Sünde und die Gerechtigkeit suchen werde.
Dasselbe habe er auch selbst in der Synagoge zu Braunschweig
neulich predigen hören. Um so mehr wolle er desshalb die Juden
über die Person und das Amt des Messias belehren. Eben dies
thut er nun in seinem Dialoge. Dabei hält er nach Hosea und
Römer, n an der Hoffnung der Bekehrung der Juden fest und
erklärt, weil Gott ihnen noch einmal Gnade erzeigen wolle, dürfe
die Christenheit die Juden weder verspotten noch sie von sich stossen.
Keinen geringen Eindruck machte Johannes Draconites
auf manche Juden.*) Derselbe war Prediger und Professor an
einigen Orten, wie in Erfurt, Wittenberg, Marburg, Rostock, und
Herausgeber der Gottesverheissungen in den Propheten und einer
Pentaglotte über verschiedene Schriften des Alten Testaments.
In der Vorrede zu einem Berichte über eine an Salomo Naph-
thali in Rostock vollzogenen Taufe sagt er selbst, dass er bis
dahin (um 1555) bereits 7 Juden getauft habe, die alle beständig
geblieben seien. Insbesondere war er der geistliche Vater des
trefflichen Proselyten Johannes Isaak Halevi (Levita). Draco-
nites hatte seine eigenen Kenntnisse im Hebräischen einem zur
evangelischen Kirche übergetretenen Juden Bernhard (Rabbi
Jakob) zu danken. Bis an sein Lebensende 1566 setzte er eifrig
seine Missionswirksamkeit fort.
Den Juden kam es in gewisser Weise zu gute, dass die
Reformation den weltlichen Obrigkeiten eine neue Stellung ver-
liehen hatte, die, trotz alles Bedenklichen, das mit derselben ver-
bunden war, in ihnen doch ein lebendiges Bewusstsein davon,
dass sie in ihrem Amte eine christliche Aufgabe und Pflicht zu
vollziehen hätten, erweckte. Die Fürsten gingen hierin so weit,
dass sie geradeswegs meinten, dafür Sorge tragen zu müssen, dass
sich die Juden in ihren Gebieten zum Christenthum bekehrten.
Das erste Beispiel dieser Art finden wir in der Ordnung Philipps
von Hessen „Wie die Juden sollen gelitten und geduldet werden"
vom Jahre 1539 und 1543. Auch diese Judenordnung nimmt
auf die Thatsache Rücksicht, dass die Juden in den evangelischen
Gebieten eine gewisse Rührigkeit, um die Bevölkerung für ihren
Glauben zu gewinnen, entfaltet hatten. Denn es wird denselben
hier nicht bloss die Lästerung und Verspottung der christlichen
Religion verboten, sondern ihnen auch streng eingeschärft, dass
") Saat. Johanni 79.
— 5i —
sie mit keinem andern als mit den dazu verordneten Predigern
über Religion disputiren dürften, zugleich aber auch bestimmt,
dass ihnen besondere Predigten gehalten werden sollten, denen
alle Juden von den achtjährigen Kindern an beizuwohnen gehalten
seien. Ueber ihr Erscheinen bei diesen Predigten sollten die
Amtleute Buch führen und Anzeige erstatten. Von langem Be-
stände ist aber diese Ordnung nicht gewesen, sie widerstrebte
ja auch dem Geiste des Evangeliums ebenso wie dem Wesen
der reformatorischen Kirchen. Aber ein Zeugniss dafür war sie
immerhin, dass den Obrigkeiten, welche sie erliessen, das Heil der
Juden ernstlich am Herzen lag. Und wiederholen sich in der
späteren Zeit bis in die Mitte des iS. Jahrhunderts hinein mehr-
fach die Versuche evangelischer Obrigkeiten, den Juden in solcher
Weise das Evangelium nahe bringen zu lassen, so wird man
ihnen, wiewohl sie in diesem Stücke fehlgriffen, doch die Aner-
kennung nicht versagen dürfen, dass sie nach dem Maasse ihrer
christlichen Erkenntniss eifrig bemüht waren, ihre Christenpflicht
gegen die Juden zu erfüllen. Ein Versuch, Juden zum Uebertritt
zu zwingen, hat überdem bei allen diesen Unternehmungen nie
stattgefunden.
4. Proselyten der ersten Zeit.
Die Reformation hatte, wie sehr bald zu Tage trat, die
Stellung der grossen Masse der Juden zum Christenthum nicht
verändert und sie demselben in keiner Weise näher geführt.
Uebertritte geschahen daher zunächst noch nicht eben häufiger
als in der früheren Zeit, und hervorragenden Proselyten begegnen
wir in der beginnenden evangelischen Kirche nur äusserst selten.
Der bekannteste und bedeutendste unter allen ist jedesfalls
Emmanuel Tremellius.*)
Er war 15 10 in Ferrara geboren. Sein Vater, wahrscheinlich
ein jüdischer Arzt und trefflicher Kenner des Hebräischen, liess
den Sohn im Hebräischen, Chaldäischen und Syrischen unter-
richten, welche Sprachen derselbe denn auch nachmals in hervor-
raeendem Maasse beherrschte. Das Elternhaus aber stand in
*) Wolf B.II. I, 3, 4 N. 1797. Em. Trem. erster Rektor des Zwei-
brückener Gymnasiums von F. Butters. Zweibrücken 1859. Saat. Ostern 1865
S. 25. ff. Rhein -Westfäl. Miss.-Blatt 1858 Nr. 3. Kaikar, Israel 2. Auflage
H7 ff-
4*
52 —
lebhaftem Verkehr mit vielen Christen, und besonders gingen in
demselben christliche Theologen ein und aus, welche daselbst
die hebräische Sprache erlernen wollten. Dies geschah in jener
ersten Zeit der Reformation, wo die Einwirkungen derselben auch
in Italien mächtig empfunden wurden. Zumal der Hof der Her-
zogin Renata von Ferrara war der Sammelpunkt für viele, welche
der Reformation geneigt waren. Evangelische Lehrer erzogen ja
die Kinder der Herzogin, und ein Gespiele derselben war Olym-
pia Mo rata. Von den christlichen Theologen, welche einen
regeren Verkehr mit dem Vater des Tremellius unterhielten,
waren denn auch manche der neuen Richtung zugethan, und
durch sie empfing Tremellius seine ersten christlichen Eindrücke.
Dieselben bestimmten ihn ohne Zweifel zum Uebertritt, aber aller-
dings zunächst in die katholische Kirche, der ja auch jene Männer
immer noch angehörten.
Sein hernachmaliger Anschluss an die reformirte Kirche
war besonders eine Folge der innigen Verbindung mit dem be-
kannten Augustiner Petrus Martyr Vermilius, welcher früher
wenigstens auf das geistliche Leben von Tremellius den grössten
Einfluss ausgeübt zu haben scheint. Der feurige Augustiner,
welcher den reformatorischen Anregungen folgend sich ernstlich
auf das Studium der Bibel warf, hatte durch Em. Tremellius eine
Erweiterung seiner hebräischen Kenntnisse zu erlangen gesucht,
und der Verkehr, in welchen beide auf diese Weise mit einander
traten, führte zu einem engen Freundschaftsbunde zwischen ihnen.
Als Vermilius daher eine gelehrte Schule in Lucca errichtete,
berief er Em. Tremellius an dieselbe als Lehrer der hebräischen
Sprache. Die Schule wurde bald von weit und breit her durch
solche besucht, welche der evangelischen Lehre heimlich zuge-
than waren; aber gerade dies reizte die Inquisition, bei der be-
reits von Neapel aus Vermilius im Verdacht stand, und die dess-
halb eine Untersuchung wegen Ketzerei gegen ihn eingeleitet
hatte. Er und einige seiner Freunde, zu denen auch Tremellius
gehörte, sollten sich also vor jenem geistlichen Gerichtshofe stellen.
Da sie aber wohl wussten, was der Ausgang des Processes sein
würde, floh Vermilius mit 18 Gefährten 1542 nach der Schweiz
und schloss sich nun völlig der reformirten Kirche an. Von dort
wanderten sie nach Strassburg, wo Tremellius an Joh. Sturms
Schule Lehrer des Hebräischen wurde und in nähere Verbindung
mit Bucer trat, dessen Vorlesungen über den Epheser-Brief er
— 53 —
auch 1562 herausgab. Auf den Rath des letzteren verheirathete er
sich dort mit einer früheren Nonne aus Metz, konnte jedoch in
Folge des Interims nur bis 154 8 in Strassburg verbleiben. Mit
Vermilius empfing er aber jetzt einen Ruf von dem Erzbischof
Cranmer, nach England herüberzukommen, und beide Männer
folgten demselben. Im Inselreiche aber standen sie Cranmer bei
der Abfassung und Einführung der Glaubensartikel und Liturgie
bei, so dass die Reformationsbewegung in England durch einen
Proselyten eine bedeutsame Förderung erfahren hat.
Tremellius wirkte an der Universität Cambrigde als Professor
und legte daselbst das Alte Testament aus. In dieser Zeit ver-
kehrte auch die damalige Prinzessin, hernachmalige Königin
Elisabeth viel mit ihm und erhielt ihm auch ihre Freundschaft,
als er 1553 nach der Thronbesteigung der blutigen Maria mit
den Gefährten aus England fliehen musste. Er sollte nun wieder
sein früheres Amt in Strassburg übernehmen, aber unter der
Bedingung, dass er die Augsburgische Confession unterschriebe. '
Hierzu jedoch konnte er sich, obwohl er der lutherischen Lehre
verhältnissmässig geneigter war, nicht entschliessen. Dafür wurde
ihm vom Herzog Wolf gang von Zweibrücken während der
Jahre 1554 — 58 die Erziehung seiner Kinder anvertraut, worauf
er das Rektorat an dem neuen Gymnasium zu Hornbach über-
nahm. Der Herzog aber erhielt ihm seine Freundschaft nicht
bleibend, sondern warf ihn sogar 1561 ins Gefängniss. Aus dem-
selben befreit, wurde er Mitglied einer Gesandtschaft an den
Reichsverweser Anton von Navarra und an die in Orleans ver-
sammelten Stände. Er hatte sich dieser Gesandtschaft ange-
schlossen, um für die gefangenen und unterdrückten Evangelischen
in Metz Fürsprache einzulegen, und dieselbe hatte den gewünschten
Erfolg. Hierauf wurde er Professor an der Universität Heidelberg
und unterstützte die Verfasser des Heidelberger Katechismus so-
wohl bei dieser als bei ihren sonstigen Arbeiten. Ueberhaupt
waren die jetzt folgenden 15 Jahre die fruchtbarsten seiner
YVirksamkeit.
Während der Heidelberger Zeit machte Tremellius noch
einmal einen Besuch in England. Dort war Parker, unter dessen
Kindern eines Tremellius zum Pathen hatte, nun wieder Erzbischof
von Canterbury, und Königin Elisabeth auf dem Throne. Die-
selbe begrüsste ihn ungemein freundlich und hätte ihren alten
Freund gern ganz in England zurückbehalten; aber es zog ihn
— ' 54 —
nach Heidelberg zurück. Doch war hierselbst nicht lange mehr
seines Bleibens. Ludwigs Sohn und Nachfolger Friedrich war
ein Anhänger der lutherischen Lehre, und so musste nun Tremellius
wieder von der Universität weichen. Dafür aber berief ihn Hein-
rich de la Tour d'Auvergne, Vicomte de Turenne an die
Akademie, welche er für den hugenottischen Adel in Sedan errichtet
hatte, und dort blieb Tremellius, von der Jugend hoch geehrt, bis
an sein Ende.
Auch während der späteren Zeit seines Lebens war er
schriftstellerisch fruchtbar geblieben. Dem Volke seiner Ab-
stammung aber erhielt er stets die treueste Anhänglichkeit. Er
Hess im Jahre 1554 zu Paris einen Katechismus in hebräischer
Sprache unter dem Titel Chinuch Bechire Jah, Unterweisung der
Erwählten des Herrn, erscheinen, ein Buch, das nach einer überaus
schönen hebräischen Vorrede an seine jüdischen Brüder die christ-
liche Lehre in Frage und Antwort nach den 5 Hauptstücken
behandelt und als Anhang allerlei Gebete enthält. Ueberall
werden hier die Beweise für die Richtigkeit der christlichen
Lehre aus dem Alten Testament herbeigebracht und darauf hin-
gewiesen, wie das ganze Alte Testament auf den Messias abge-
zielt habe. In der diesem Buche angehängten Widmung an den
Herzog Christoph von Würtemberg betont Tremellius besonders,
dass es nöthig sei, wenn man die Juden für das Christenthum
gewinnen wolle, sie in ihrer eigenen Sprache und nicht in einer
fremden anzureden, und rechtfertigt zugleich mit dem Beispiele
des Apostel Paulus seine eigene Liebe zu dem Volke, dem er
entsprossen ist. Derselbe Katechismus erschien hebräisch, griechisch
und lateinisch 1591 in Leyden und hebräisch und jüdisch in
Madras 1544 und 18 19. Im Jahre 1820 hat ihn die Londoner
Gesellschaft für Israel neu aufgelegt und ihn bis zum heutigen
Tage vielfach unter den Juden besonders des europäischen Ostens
und Asiens verbreitet.
Von andern Schriften des Tremellius nennen wir eine latei-
nische Uebersetzung und Erklärung des Propheten Hosea, eine
lateinische Uebersetzung der Paraphrase des Jonathan zu den
12 kleinen Propheten 1567 und die syrische Uebersetzung des
Neuen Testamentes in hebräischen Lettern mit beigefügter latei-
nischer Uebersetzung 1569. Bei der Erklärung sind überall die
Rabbinen berücksichtigt. Auch gab er eine chaldäische und
syrische Grammatik heraus und gehörte in seiner Zeit entschieden
— 55 —
zu den hervorragendsten Kennern der Grammatik jener Sprachen,
nicht minder aber zu den bedeutendsten der damaligen Ausleger
alttestamentlicher Schriften. Seine Werke wurden denn auch stets
von Neuem in der Schweiz, Holland, England, Frankreich und
Deutschland aufgelegt. Mit dem holländischen Theologen Franz
Junius veranstaltete er sodann eine neue lateinische Uebersetzung
der Bibel, mit Scholien versehen, die von 1575 an erschien.
Nach dem Tode des Tremellius gestattete sich Franz Junius
viele Veränderungen in der Uebersetzung sowohl als in den An-
merkungen, beides jedoch nicht zum Vortheile des Werkes. In
allen seinen Schriften aber hat Tremellius Christen und Juden
gleichmässig im Auge behalten.
Bis zuletzt im Dienste der Kirche ungemein thätig, sollte
er doch kein ruhiges Lebensende geniessen. Seine Feinde Hessen
ihm bis zuletzt keine Ruhe, sondern brachten selbst das Gerücht
aus, er sei wieder Jude geworden. Einige derselben versagten
ihm sogar auf dem Sterbebette seinen Wunsch, sich mit ihnen
auszusöhnen. Als dem Greise dies vermeldet wurde, rief er aus:
„vivat Christus, pereat Barrabas" und so starb er am 9. Oktober
1580. In seinem Testamente vom 31. Juli desselben Jahres hatte
er zuvor ein ausführliches Bekenntniss seines Glaubens nieder-
gelegt, in demselben den Dank dafür, dass der Herr ihn zur
Erkenntniss Christi gebracht habe, ausgesprochen und für die
Armen ein Vermächtniss ausgesetzt.
Tremellius war ein friedsamer Mann, ein demüthiger und
glaubenstreuer Christ, bereit für die von ihm erkannte Wahr-
heit immer wieder alle Unbill und Verfolgung zu ertragen und
um derselben willen stets von Neuem den Wanderstab zu er-
greifen. Er war auch ein fruchtbarer Theolog, dem die evange-
lische Kirche jener Anfangszeit in verschiedenen Ländern
mannigfache Anregung und Förderung zu verdanken hat; ein
reformirter Christ, der sich bei allem Eifer für die reformirte
Lehre doch nicht gegen die allgemeine und gemeinsame evange-
lische Wahrheit in Einseitigkeit abschloss, und sich auch unter
den Proselyten seiner Zeit dadurch auszeichnete, dass er ernster
als die meisten unter ihnen an der Bekehrung seiner Volksgenossen
arbeitete. Die reformirte Kirche des Anfangs zählt ihn zu ihren
wichtigeren Persönlichkeiten.
Einen Mann von gleicher Bedeutung wie Tremellius hat
die frühere lutherische Kirche unter ihren Proselvten nicht auf
— 5° —
zuweisen. Doch haben in ihr wie in der reformirten Schwester-
kirche verschiedene Proselyten dadurch einen segensreichen Ein-
fluss ausgeübt, dass sie mehreren der bedeutendsten Theologen
und der Kirche selbst eine weitere Kenntniss des Hebräischen
vermittelten. Das Schriftstudium der Reformation hat auf diese
Weise durch ihre Proselyten eine entschiedene Förderung erfahren.
In der lutherischen Kirche wird zuerst ein Proselyt Bern-
hard oder Bernard genannt, der als Jude Rabbi Jakob hiess.
Luther schickte an denselben im Jahre 1523, wie bereits erwähnt,
ein Exemplar seines soeben erschienenen Buches „Dass Jesus
Christus ein geborener Jude sei", und sagt in dem Begleitbriefe,
dass er ihm seine Schrift sende, um ihn im Glauben zu stärken,
zugleich aber auch, um ihn zu bitten, das Büchlein weiter unter
Juden zu verbreiten, damit dieselben zur Erkenntniss Christi geführt
würden. Johann Draconites aber theilt mit, dass Bernhard
durch Jeremias 33 bekehrt worden sei, und dass er hernach ihn
im Hebräischen unterrichtet habe. Ein festes Amt oder gewisses
Brot muss Bernhard jedoch nicht gefunden haben; denn 1535
spricht Luther seine Verwunderung darüber aus, dass derselbe
als ein gesunder Mensch fortwährend so arm bleibe, nennt ihn im
Uebrigen einen guten Mann.
Erwähnung verdient sodann Paul Staffelsteiner.*) Als
Jude hiess derselbe Nathan Aron und war von priesterlichem
Geschlecht. Getauft wurde er mit mehreren Kindern in seiner
Vaterstadt Nürnberg, seine Frau dagegen folgte ihm nicht. Zu
Nürnberg Hess er noch in seinem Taufjahre eine deutsch ge-
schriebene Schrift erscheinen, welche den Titel führt „Kurzer
Unterricht, dass man einfältig Christo nachwandern, ihm und
seinem Worte glauben, und sich die jüdischen Lehrer, als ihre
Rabbinen und Schriftgelehrten nicht solle abwenden lassen."
Später zog er nach Strassburg, wo er an der Universität Vor-
lesungen über die hebräische Sprache hielt und bis zu seinem
Lebensende blieb. Der Strassburger Professor Elias Schadaeus
nennt ihn in seiner Schrift Mysterium (1592) unter den Proselyten,
welche „die Kraft des Blutes Christi in ihrem Tode erfahren
haben, während sich sonstens Juden vor dem Tode fürchten".
Von Staffelsteiner werden auch Schriften genannt, welche alle
*) W. B.II. 3, 4 N. 1817 b. Würfel. Nachricht von der Judengemeinde
zu Nürnberg zum Jahre 1536. Kaikar 143.
- 57 —
die Bekehrung der Juden befördern wollten: „Eine kurze Unter-
weisung, dass man dem Herrn Jesu Christo einfältig nachwandern
soll" 1536 Nürnberg. „Wahrhaftige Widerlegung der grossen
Verfälschung der jüdischen Lehrer des 22. Psalm." Nürnberg
1536; eine deutsche Rede, in welcher er beweist, dass Jesus
von Nazareth der wahre Messias ist. Heidelberg 1557, und eine
deutsche Schrift über den Messias, in welcher er die Juden er-
mahnt, dem schlechten Gedanken, dass der Messias als ein welt-
licher König erscheinen müsse, zu entsagen. Heidelberg 1563.
Als Professor des Hebräischen wirkte auch an der Universität
Strassburg der Proselyt Petrus Flegel,*) der im Jahre 156J
starb; Näheres ist über denselben nicht bekannt.
Viel bedeutender als die bisher Genannten ist Johannes
Isaak Levita Germanus.**) Joh. Draconites hat denselben
mit seiner Frau und seinem Sohne Stephan im Jahre 1546 ge-
tauft. Nachdem er schon vorher christliche Anregungen em-
pfangen hatte, las Levita, dadurch aufmerksam gemacht, dass
durch Draconites 4 Juden die Taufe empfangen hatten, eine bei
dieser Gelegenheit gehaltene Predigt desselben Theologen. Hier-
bei wurde er durch Jesaia 53, das er vorher, wie er selbst bekannt,
zwar ungemein oft gelesen, aber nie verstanden hatte, überwunden und
trat zum Christenthume über. Er gab darauf denn auch die deutsche
Auslegung jenes Kapitels von Draconites in hebräischer Sprache
heraus, um an der Bekehrung seiner Brüder zu arbeiten, und
führte zu dem gleichen Zwecke mit den Juden des öfteren Ge-
spräche, in denen er ihnen am liebsten jene Prophetenstelle zu
Gemüthe führte. Luthers Tod, der in seinem Taufjahre erfolgte,
besang er in den Zioniden, in welchen er, wie Draconites sagt,
„nach der Weise des den Josia unter Thränen beklagenden Jeru-
salems, sein Herz über den von den Engeln in Abrahams Schooss
getragenen Luther ausschüttete." Später wurde er Professor des
Hebräischen in Löwen und Köln. Ungewiss ist es, ob das Send-
schreiben an die Wetzlarer Juden, in welchem dieselben sich zu
bekehren aufgefordert werden, von ihm stammt; denn dieses
Schreiben ist in einer so gehässigen Sprache abgefasst, dass
man in ihm Levita nicht wieder erkennen würde. Derselbe war
ein fruchtbarer Schriftsteller. Geeen den Katholiken Lindanus
*) Wolf. B.H. IV, X. 1826 b.
**) Wolf I, 3, 4 X. 816. Kaikar 143.
- 58 -
hat er in einer Schrift Defensio veritatis Hebraicae Cöln 1558
mit Entschiedenheit die Bibel und die Echtheit des hebräi-
schen Textes vertheidigt, führte aber gegen seine Widersacher,
von denen der eitle Mann auch gerechten Tadel nicht ertragen
wollte, stets eine zu scharfe Sprache. Von ihm stammt eine
hebräische Grammatik, die mehrere Auflagen erlebte: Mebo Imre
Schofar, zuerst Cöln 1553, die sowohl das Alte Testament als
die Rabbinen berücksichtigt. Ebenso behandelte er, von anderem
abgesehen, das Buch Ruth grammatisch und übersetzte ins Latei-
nische und erklärte Schriften von Maimonides und Juda Aben
Tibbon. Sein Sohn Stephan, der ebenfalls Professor in Löwen
und Cöln, zuletzt aber Arzt war, gab eine lateinische Uebersetzung
des Propheten Maleachi heraus und bekämpfte den Jesuiten
Johann von Münster.
Zwei andere Proselyten Hessen es sich angelegen sein, ihren
bisherigen Glaubensgenossen die ganze heilige Schrift in der
Landessprache anzubieten, um dieselben auf diese Weise für das
Christenthum zu gewinnen. Michael Adam, ein Bürger von
Zürich f 1550.*) Derselbe gab ausser einer Uebersetzung des
Buches des Josephus über den jüdischen Krieg, die in jüdisch-
deutscher Sprache und mit hebräischen Lettern erschien, in der-
selben Weise die 5 Bücher Moses, die geschichtlichen Bücher,
die Megilloth und Haphthoroth des Alten Testamentes, Constanz
1544 heraus. Bei seiner Uebersetzung und bei der Herausgabe
der Schriften wurde er von Paulus Fagius unterstützt. Eine
Probe der Uebersetzung liefert Wolf B.H. 4 S. 19/) ff.; sonst hat
Michael Adam noch ein Gebetbuch hinterlassen.
Eine Uebertragung der lutherischen Uebersetzung des Neuen
Testamentes, mit Ausnahme der Offenbarung Johannis, ins Jüdisch-
deutsche mit rabbinischen Lettern in Folio lieferte der Proselyt
Johannes Harz uge in Krakau 1540.**) Einzelne hebräische Wörter
sind in dieser Uebersetzung beibehalten und durchweg ist dieselbe
mit Parallelstellen versehen. Eine Probe auch von dieser Ueber-
setzung findet sich bei Wolf B.H. 4 S. 205.
Ob auch Matthäus Hadrianus, der in der katholischen
Kirche getauft worden ist, später zur evangelischen übertrat, ist
zweifelhaft.***) Aus Spanien stammend, lehrte er das Hebräische
*) Wolf B.H. 1, 3. N. 1410. 2 S. 455. 4 S. 193. Kaikar 151.
**) Wolf B.H. I N. 812. 2 S. 458, 4 S. 204.
***) Wolf B.H. 1, 4 N. 1675. Kaikar 144.
— 59 —
in Löwen, schrieb eine Einleitung zur hebräischen Sprache und
übersetzte das Vaterunser, den englischen Gruss und das Salve
Regina ins Hebräische. Erasmus nennt ihn im Jahre 1518 in
einem Briefe an Aegidius Burlidius (Ep. 3, 39) in der hebräi-
schen Literatur so erfahren, dass dies Zeitalter keinen besitze,
der ihm hierin verglichen werden könne, und empfiehlt ihn damit
zur Aufnahme. Auch Wolfgang Reuchlin hat ihn in Bruchsal
15 13 zum Lehrer im Hebräischen gehabt. Luther erwähnt gleich-
falls lobend seine hebräischen Kenntnisse. Später hat Hadrian
auch in Wittenberg Hebräisch gelehrt, und eben dies scheint für
seinen Uebertritt zur evangelischen Kirche zu sprechen. Ueber
seinen letzten Aufenthaltsort und das Jahr seines Todes erfahren
wir nichts.
Philipp Wolf*) nennt sich in seinem „Spiegel der Juden"
Danzig 1555 „Doktor der Theologie nach der Hebreyer und
Chaldeyer Weis, erfahren in der Arznei, ein geborener Jude,
getauft in Christo in der löblichen Stadt Danzig 1554". In
seinem Buche führt er aus, dass die Patriarchen, Moses und die
Propheten in ihren Verheissungen Jesum Christum gemeint hätten,
und dass ebenso die Cabbala ihn lehre. Die täglichen Gebete
der Juden wurden von ihm verdeutscht und Näheres über den
Sehern Hamphoras durch ihn mitgetheilt. Die kleine Schrift
macht einen wohlthuenden Eindruck.
Der sonst mehrfach als Proselyt angeführte und eine Zeit
lang das Hebräische in Wittenberg lehrende Johannes Böschen-
stein bestreitet es selbst jüdischer Abstammung zu sein.
5. Das Ergebniss der reformatorischen Anfangszeit.
Fassen wir das gesammte Verhältniss der frühesten evange-
lischen Kirche zu den Juden ins Auge, so werden wir uns die
Thatsache nicht verhehlen können, dass ein entschiedener Bruch
mit der Vergangenheit zunächst noch nicht eingetreten ist. An
der Erkenntniss, dass es hier auch zu etwas Besserem als bisher
kommen müsse, fehlt es nicht, und es werden ebenso einzelne
Ansätze in dem Bestreben, eine andere Stellung zu den Juden zu
gewinnen, gemacht; aber es bleibt bei Anfängen, die zu keiner
nachhaltigen Bewegung führen; und mit einer positiven Neuge-
*) Wolf. B.H. 3 N. 1830 c.
— oo —
staltung des ganzen Verhältnisses der Juden inmitten der Christen-
heit in socialer, politischer und religiöser Beziehung wird auch in
der evangelischen Welt nicht begonnen.
Luther und die evangelische Kirche der Anfangszeit haben
ihr erstes Entgegenkommen von den Juden übel belohnt gesehen,
und das lähmte bald ihre Missionsthätigkeit unter denselben; ja
es erweckte in vielen die Ueberzeugung, dass bei den Juden
überhaupt nichts erreicht werden könne. Weil der erste Versuch
offenbar misslungen war, hatte man keine Zuversicht zu weiterem
Vorwärtsgehen auf der neuen Bahn. Man erkannte es klar, dass
es mit den Juden im Fundamente überaus schlimm stünde, besass
aber zu wenig jene Geduld der Liebe, die alles hofft, auch wo
man noch nicht sieht, und welche die Gerechtigkeit übt, gleich-
viel ob sie anerkannt wird oder nicht anerkannt wird, und welche
desto ernster an das Legen neuer Fundamente denkt.
Nicht die evangelische Kirche und das evangelische Volk
im Allgemeinen, sondern nur einzelne Personen hatten die Er-
kenntniss gewonnen, dass die Christen eine Aufgabe an den Juden
zu erfüllen hätten. Was also damals an Missionsbemühungen und
an Bestrebungen, die Stellung der Juden zu verbessern, zu Tage
tritt, ist das Ergebniss der Erkenntniss und des Beispieles ein-
zelner frommer und hervorragender Personen. Die Missions-
thätigkeit jener ersten Zeit ist Privatsache und noch nicht die
Sache der evangelischen Gemeinde geworden.
Zur Entschuldigung dessen wird man auch nicht sagen
dürfen, dass die eigenen Aufgaben der evangelischen Kirche zu
grosse gewesen seien, als dass sie bereits ernstlicher an die
Juden zu denken im Stande gewesen wäre. Luther hat gerade
in der Zeit des ersten Entstehens der eigenen Kirche die Pflicht
und die Möglichkeit, zu eingreifender positiver Thätigkeit an den
Juden zu schreiten, klar genug erkannt. Ueberdem aber ist es
unserem Reformator anfangs nicht minder deutlich zum Bewusst-
sein gekommen, dass sich das christliche Volk selbst den grössten
Schaden mit jenem seinem Verfahren gegen die Juden bereitet
hatte, bei dem es dieselben nur einzuschränken trachtete und sie
im Uebrigen ihrem natürlichen Sinne preisgegeben bleiben Hess.
Seine spätere Ueberzeugung, dass die grosse jüdische Masse
rettungslos dem teuflischen Wesen verfallen sei, musste jedoch
seine Stellung zu den Juden völlig umwandeln. Aber die frühere
evangelische Christenheit im Allgemeinen folgte, wenn auch viele
— 6i —
Luthers spätere Ansichten theilten, demselben hierin nicht. Desto
weniger hat sie eine Rechtfertigung für ihr Gehenlassen der
Judenfrage.
Nicht einmal die Proselyten der neuen Kirche fanden eine
bessere Pflege als in der früheren Zeit. Man unterrichtete sie
wohl mit aller Treue, aber beschränkte sich auch wesentlich
hierauf. Obgleich sie durch ihren Uebertritt aus allen ihren
früheren Verhältnissen und Beziehungen herausgerissen wurden,
überliess man es ihnen doch gewöhnlich, selbst für ihr weiteres
Fortkommen zu sorgen. Denn sie in die christliche Gemeinschaft
einzugliedern und sie für dieselbe zu erziehen, empfand man zu wenig
als Pflicht, und der Trieb hierzu fehlte auch in zu vielen Fällen.
Sympathie und Antipathie stritten selbst den Proselyten gegen-
über in den Gemüthern, wenn gleich die erstere offenbar die
Oberhand behielt. Von den meisten der uns bekannt gewordenen
Proselyten aber empfangen wir den Eindruck, dass sie die christ-
liche Wahrheit lebendig an sich selbst erfahren hatten, und dass
ihnen auch die Bekehrung ihrer Brüder am Herzen gelegen war.
Eins hat jedesfalls die Kirchenerneuerung sofort gethan:
sie hat die Juden wieder im höheren Grade der Christenheit in
Erinnerung gebracht. Ebenso kommt auch, was seitdem für die
Juden in religiöser Beziehung geschehen ist, ganz überwiegend
auf evangelische Rechnung. Während z. B. im 16. Jahrhundert
noch die Erzeugnisse der Judenmissionsliteratur auf römischer
Seite den evangelischen an Zahl gleich kommen, sind die evan-
gelischen den katholischen im 1 7. Jahrhundert bereits um das
Vierfache überlegen, und doch wohnte die bei weitem grössere
Zahl von Juden in katholischen Ländergebieten. Die ersten Wir-
kungen der Reformation auf die Juden und für das Verhältniss
zwischen Juden und Christen werden wir daher auch nicht als
das Bedeutsamste in der neuen Bewegung zu betrachten haben,
sondern die Befruchtung eines grossen Theiles der Christenheit
mit Gedanken und Trieben, welche sich in wachsendem Maasse als
eine tiefgreifende Macht an den Juden und zum Heile derselben
erwiesen haben.
IL
Zeitalter der gelehrten Beziehungen zu den
Juden in der evangel. Christenheit.
Von der Mitte des 16. bis Ende des 17. Jahrhunderts.
1. Aeussere und innere Verhältnisse der Juden.
in dem ganzen Zeiträume bis zur französischen Revolution
gestalten sich die äusseren Verhältnisse der Juden zu ihrer Um-
gebung nicht grundsätzlich anders, wenn gleich dieselben mannig-
fache Veränderungen im Einzelnen erfahren. Die Reformation
brachte aber allerdings nach und nach den Juden viele Erleichte-
rungen zuwege.
Eine Folge der Kirchenerneuerung war die zunehmende
Selbständigkeit der einzelnen deutschen Staaten dem Kaiser gegen-
über. Damit hörten auch die Juden auf, Kammerknechte derselben
zu sein, und wurden Unterthanen der Fürsten oder Städte. In
manchen Fällen verschlechterte sich dadurch die Lage der Juden,
denn sie waren nun zuweilen öfteren Gelderpressungen ausgesetzt;
in vielen anderen Fällen dagegen gewannen die Verhältnisse der
Juden hierbei an Sicherheit. Insbesondere aber nahmen evange-
lische Fürsten und Länder wiederholt Juden bei sich auf, die aus
katholischen Gebieten vertrieben worden waren ; wiewohl die
Evangelischen durchaus nicht ganz allgemein den Juden das
Wohnen in ihren Gebieten gestatteten, und sogar Fälle von Ver-
treibung der Juden auch aus evangelischen Ländern und Herr-
schaften vorkamen. Der grosse Kurfürst nahm 1670 die aus den
österreichischen Erbstaaten durch Leopold verbannten Juden auf.
- 63 -
Aus Spanien und Portugal fliehende Marranen, die nur zum
Scheine das Christenthum in jenen Ländern angenommen hatten,
fanden um 1590 eine Zuflucht in Holland und Hamburg und
durften sich dort wieder öffentlich zum Judenthum bekennen.
England erlaubte eben solchen Juden um 1660 die Ansiedelung
im Königreiche. Von den durch den Kosakenaufstand aus der
Ukraine und zum Theil auch aus dem übrigen Königreich Polen
vertriebenen Juden aber ergossen sich seit 1650 ganze Ströme
nach Deutschland, Holland, Ungarn und Italien.
Die portugiesischen Juden wurden in Holland und theilweise
auch an einigen anderen Stellen, in denen sie ein neues Unter-
kommen suchten, nicht den übrigen gewöhnlichen Beschränkungen
*ihrer Stammesgenossen unterworfen, wiewohl sie nirgends das
volle und eigentliche Bürgerrecht eines Landes erhielten.
Etwa von England abgesehen, waren es aber jedesmal
Gründe finanz-politischer Art, welche die Aufnahme von Juden
in evangelischen Gegenden, wo sie bisher nicht gewohnt hatten,
veranlassten. Die Steuer, welche sie für ihre Handelsgeschäfte zu
zahlen hatten, erschien neben der allgemeinen Belebung des
Handels den betreffenden Landesherren oder Gebieten, welche
ihnen das Niederlassungsrecht gewährten, als eine so erwünschte
Einnahmequelle, dass sie eben desshalb die Bitte von Juden um
die Aufnahme gewährten oder sie wohl selbst herbeiriefen. Er-
wägungen höherer Art sprachen jetzt fast noch nirgends zu
Gunsten der Juden, sondern solche führten regelmässig gerade
zur Abweisung oder Vertreibung derselben. Theologen, Juristen
und manche Fürsten wollten aus religiösen Gründen den Juden
die Niederlassung in neuen Gegenden versagt wissen, während
die Bürgerschaft und der Kaufmannsstand aus Furcht, geschäftlich
von den vielfach ja freilich wenig bedenklichen Juden überflügelt
zu werden, die Unterthanen überhaupt aber wegen des wucheri-
schen Treibens der Juden dieselben von sich fernzuhalten oder
von ihnen befreit zu werden suchten.
Die Reformation hatte aber in der Christenheit eine mächtige
religiöse Bewegung wachgerufen, welche auch der römischen
Kirche zu Gute kam. Als die Juden daher bemerkten, dass ihre
Hoffnung auf eine Erschütterung des Christenthums durch die
Reformation eine vergebliche war, schlössen sie sich gegen die
gesammte Kirche und ihren Einfluss desto strenger ab. Die Zeit,
welche jetzt unter ihnen anbrach, nennt man selbst jüdischerseits
- 6, -
vielfach das eigentliche jüdische Mittelalter. Man befestigte sich
nun mehr denn je in dem eigenen System und bildete es bis in
seine letzten Consequenzen aus. Die polnischen Rabbinen, welche
sich am peinlichsten und entschiedensten von der Berührung mit
der christlichen Welt fern zu halten gewusst hatten, wurden jetzt
die Lehrer und Muster der ganzen Judenschaft Europas, ja zum
Theil auch in Asien und Afrika. Die gebildeten Portugiesen
übten fast keinen Einfluss auf die übrige Judenschaft aus, son-
dern geriethen selbst je länger desto mehr unter das Joch jener
Feinde aller christlichen Kultur; portugiesische Juden waren es,
die einen Spinoza in den Bann thaten und Uriel Acosta zum
Selbstmorde trieben.
Zu keiner Zeit hat man sich unter den Juden sorgfältiger*
gegen jede Verbindung mit der Geisteswelt der anderen Völker
abgesperrt. Die pharisäische Buchstäbelei ersann dagegen immer
neue und kleinlichere Bestimmungen, deren Beobachtung und
Erfüllung allein das jüdische Leben ausmachen sollte. Ein Werk
des Josef Karo f 1575, der Schulchan Aruch insbesondere,
welcher eine Unzahl solcher Verordnungen für die Juden als
bleibendes Gottesgesetz aufstellte, fand die weiteste Anerkennung.
Und die Tyrannei der Rabbinen erreichte einen solchen Grad,
wie nur selten sonst die Herrschaft von Priestern in irgend einer
anderen Religion. Ein wildes und zerfahrenes Wesen drang
überall ein; Zanksucht und Geldgier erfüllten die Gemüther, und
der sonst so feste Zusammenhang zwischen den verschiedenen
Gliedern der Judenschaft drohte oft völlig zu zerreissen. '
Aber nur desto heiliger erschien man sich selbst in jenem
wilden Eifer und hatte für alle sittlichen Schäden kein Auge.
Gewisser denn je waren die meisten Führer Israels des göttlichen
Wohlgefallens, und die Wirren, die langen und blutigen Kriege
des Zeitraumes sah man als sichere Zeichen der Nähe des
Messias an, der die Völker zu stürzen und Israel zu seiner ver-
dienten Herrlichkeit zu erheben herbeieile. Auch mit aus diesem
Grunde fand jener falsche Messias Sabbathai Zebi (1626 — 1676)
aus Smyrna einen ungeheuren Anhang in Asien, der Türkei und
ganz Europa. Selbst unter den gebildeten Amsterdamer, Ham-
burger und Londoner Juden fand er und zum Theil fanatisch
begeisterte Anhänger. Nicht einmal der Uebertritt desselben
zum Muhammedanismus ernüchterte viele seiner Anhänger. Denn
auch Nachfolger und Prediger desselben sammelten grosse
- 65 -
Schaaren um sich. Das gelang einem Cardorso aus Tripolis,
Mardochai aus Eisenstadt, Nathan aus Gaza, Raphael Chija
Chajon und seinem Gehilfen Löbele Prossnitz, Jakob Querido
und Chaim Zebi und anderen.
In jener messianischen Bewegung rächte es sich aber auch,
dass der Talmudismus und der Rabbinismus die Religion haupt-
sächlich in ein banales Aussenwerk und in einen tödtenden
Formendienst verwandelt hatten. In diesem Religionshandwerke
fanden Gemüth und Herz so wenig als das tiefere Sehnen und
Ahnen des Geistes ihre Befriedigung. Dem suchte nun eben
eine Geheimlehre abzuhelfen, welche dem Christenthum vieles
entlehnte und scheinbar selbst die Dreieinigkeit lehrte, die aber,
weil nicht von biblischer Wahrheit und Nüchternheit getragen, ihrer-
seits nun wieder in die gefährlichste Schwärmerei ausartete. Jetzt
entstand zumal auch die Sekte der Chassidim des Chaim Malach
und Juda Chasid in Polen, welche sich immer weiter ausgestaltet
hat und heute in den slavischen Ländern dem Talmudismus
immer weitere Gebiete aberobert.
Die Verfolgungen der Juden aber als Rechtfertigung für
diese Zustände in ihrem Inneren anzuführen, geht nicht an. Denn
auch da, wo von keinem Drucke derselben die Rede war, wie in
Holland, und wo sie volle Freiheit hatten, ihr bürgerlisches Leben
nach eigener Wahl zu gestalten, wie im türkischen Reiche, zeigen
sich dieselben traurigen Erscheinungen. Vielmehr trat es jetzt
ganz klar zu Tage, dass die jüdische Religion nicht die Kraft
in sich trägt, ihre Bekenner bei der äussersten Glaubenstreue vor
dem Verfall zu bewahren, und sie durch ihre eigenen Mittel aus
demselben wieder zu erheben. Nie war das Ideal einer Ausge-
staltung der jüdischen Religion aus ihren eigenen Principien
heraus in so hohem Grade erreicht worden, und niemals war die
Judenschaft so tief gesunken als gerade in dieser Zeit der höch-
sten Entwickelung ihres Religionssystems. Zwischen verknöchert-
stem Formendienst, bei dem das sittliche Leben versank,' und
mystischem Taumel schwankte die Judenschaft hin und her und
fand in ihrer Religion nirgends das Mittel, aus diesen Zuständen
herauszukommen.
Die Judenschaft hatte die Mahnung der Reformation, die
ihr durch dieselbe angebotene Hilfe anzunehmen, abgewiesen.
Der Gewinn, den sie hiervon hatte, war ein desto schnellerer
innerer Verfall. Unaufhaltsam ging es jetzt in ihr abwärts.
J. F. A. de le Roi, Missionsbeziehungen. c
— 66 —
Lediglich die von aussen, die von der Christenheit her in sie
eindringende Kultur hat hernach wenigstens das äussere Gepräge
des Judenthums verändert und der Judenschaft neue Lebenssäfte
und Lebenskräfte zugeführt. Ohne die christliche Kultur, die der
Judenschaft als Retterin erschien, drohte sie in tödtliche Erstarrung
oder in wilden Wahnsinn zu gerathen. Das Judenthum sich
selbst überlassen oder auf seine eigenen Kräfte angewiesen, ver-
liert in fortschreitendem Maasse seinen Lebensgehalt und artet
nach allen Seiten hin aus — das hat diese Periode besonders
mit voller Klarheit gezeigt.
2. Allgemeines über die Stellung der christlichen
Umgebung zu den Juden in dieser Zeit.
In der evangelischen Kirche trat nach der reformatorischen
Anfangszeit vor allem andern das Bestreben hervor, sich als die
Kirche der reinen Lehre allseitig zu befestigen und auszubilden.
Dieser eine Gedanke und Trieb beherrschte sie bis zum Auf-
kommen des Pietismus ganz überwiegend, und dies hatte für sie
im Guten wie im Schlimmen die tiefgreifendsten Folgen. Jetzt
erwuchs sichtbar ein sicheres evangelisches Gemeinbewusstsein,
und so wurzelte sich denn auch die evangelische Kirche in vielen
ihrer Gebiete fest ein. Die ganze evangelische Gemeinschaft
gewann nunmehr recht eigentlich ihr bestimmtes und unterschei-
dendes Gepräge; und für die Erhaltung wie für die Weiterent-
faltung und historische Stellung der evangelischen Kirche inmitten
der allgemeinen Christenheit ist daher diese Zeit von der grössten
Wichtigkeit geworden. Hier vor allem liegt also die Bedeutung
derselben.
Anderseits jedoch hat es diese Zeit auch im besonderen
Maasse verschuldet, dass die evangelische Kirche nicht zu völligerer
Entfaltung und Entwicklung gekommen ist. Dieselbe hat es in
zu hohem Grade vergessen, dass es ihre Aufgabe gewesen wäre,
die überkommenen evangelischen Principien allseitiger auszu-
arbeiten und auszuwirken, als es der Anfangszeit möglich war.
Vielmehr hat sie in grösster Einseitigkeit eine scholastische
Ausgestaltung der reformatorischen Lehre für ihren Beruf ge-
halten. Wohl hat sie auch und zwar besonders in den mittleren
Gesellschaftsklassen das christliche Leben auf ähnliche Weise
wie die Lehre in feste Ordnungen zu bringen versucht, aber
- 67 -
auch hierbei Avar ihr Absehen mehr auf genau abgemessene
Ordnung als auf die Erweckung und Entfaltung eines reicheren
Geistes- und Gemeinschaftslebens gerichtet. Die Kirche, das
Volk, den Staat, die Gesellschaft, die Wissenschaft und die Kunst,
das öffentliche und das private Leben mit der neuen Glaubens-
und Geistesmacht innerlich zu erfüllen und zu durchdringen, um
dieselben auf diese Weise von Stufe zu Stufe weiter zu führen,
war nicht ein Ziel, das diese Zeit erstrebte.
Die Wahrheit der reinen Lehre wollte die evangelische
Kirche, welche die Trägerin derselben war, und die Wissenschaft,
welche in ihrem Dienste stand, anerkannt wissen und darthun.
Wenn sie hierin Eifer bewiesen und Geschicklichkeit oder Kraft
bekundeten, glaubten sie ihre Pflicht und Aufgabe recht erfüllt zu
haben. Darüber hinaus gingen ihre Gedanken nicht wesentlich,
sondern mit diesem Ausschnitte der christlichen Thätigkeit be-
gnügte sich in der Hauptsache die Zeit der sogenannten Orthodoxie.
Wie hätten sich also der Staat oder die bürgerliche Gemeinschaft
höhere Ziele stecken sollen, wenn die Gedanken der Kirche nicht
weiter gingen, und wie hätten diese sich auf etwas anderes
richten sollen, als eben auch nur die bestehende Ordnung mög-
lichst auf allen Gebieten zu erhalten.
Man glaubte denn in der evangelischen Kirche auch den
Andersdenkenden, der römischen Kirche und dem Unglauben,
jeder Ketzerei und überhaupt jedem Feinde gegenüber, welcher
die eigene Kirche bedrohte, vor allem die eigene Lehre klar und
bestimmt feststellen zu müssen, um die hier erwachsene Aufgabe
recht erfüllt zu haben. Möglichst scharf und logisch, am liebsten
bis in das kleinste Detail hinein und gegen jeden erdenklichen
Einwand die Richtigkeit der evangelischen Lehre zu beweisen
und das Irrthümliche in der anderen Anschauung aufzudecken,
galt für den Weg, den man einzuschlagen habe, um den Gegner
zu entwaffnen und so gewiss das erstrebte Ziel zu erreichen.
Denn freilich der dialektische und gelehrte Triumph erschien
dieser Zeit zugleich als die Ueberwindung des Gegners; und
vielfach glaubte man noch dazu der Wahrheit am besten zu
dienen, wenn man den Gegner mit den rücksichtslosesten Worten
förmlich zermalmte.
So war jene Zeit allerdings im Besitze der reinen Lehre
ihrer selbst gewiss und fühlte auch Muth und Freudigkeit genug,
sie vor aller Welt zu bezeugen. Denn wir würden allerdings
5*
— 68 —
der evangelischen Kirche dieser Zeit nicht gerecht werden, wenn
wir es nicht anerkennen wollten, dass sie ein reger, obgleich
sehr einseitiger Missionssinn erfüllte. Sie wollte durchaus das Recht
der evangelischen Lehre vor aller Welt bezeugen und diese auch
zu der Anerkennung führen, dass die evangelische Kirche, oder
vielmehr jede der verschiedenen evangelischen Kirchen wollte es
für sich selbst beweisen, dass sie im Besitze der reinen Wahr-
heit sei. Das helle Licht dieser Wahrheit sollte in die Finster-
niss der anderen hineinscheinen, und diese auf solche Weise ihre
eigene Finsterniss erkennen lernen.
Insbesondere aber bot man eine ungemeine Fülle von wissen-
schaftlicher Arbeit und Gelehrsamkeit, die man es sich mit der
allero-rössten Mühe zu erwerben nicht hatte verdriessen lassen,
auf, um den Juden zu zeigen, dass sie falsche Wege gingen, und
dass sie allein in der evangelischen Lehre den rechten Weg
finden könnten. Aber man fing dieses 'Werk vielfach sehr ver-
kehrt an, und dies darum, weil über dem Eifer, die Menschen
zu retten, der Eifer für den Sieg der reinen Lehre stand. Eben
daher dachte man viel zu wenig darüber nach, wie man den
Zusane zu den Herzen der Fernstehenden gewinnen könne, und
fühlte auch die Notwendigkeit des persönlichen Aufsuchens der
Verirrten in viel zu geringem Grade. Hatte man klar und deut-
lich die Vorzüge des christlichen Glaubens vor dem jüdischen
dargestellt, so erwog man alsdann die Frage, wie nun eben dieser
Glaube den Draussenstehenden nahe gebracht werden möchte,
zumeist mit sehr viel geringerem Eifer, Ernst und Sorgfalt. Der
Missionssinn jener Zeit im Allgemeinen war noch nicht jener
echt christliche und echt evangelische, welcher dem Menschen
selbst vor allem in Treue, Liebe und Geduld nachgeht.
Man unternahm also gleichsam Ringkämpfe mit allen, welche
entweder ganz ausserhalb der eigenen Rechtgläubigkeit standen
oder irgend wie von derselben abwichen. Ja, je hartnäckiger der
Gegner war, und je mehr Wissenskraft und Gelehrsamkeit gegen
denselben aufgeboten werden musste, desto lieber suchte man den
Kampf auf; hatte man doch die Gewissheit, auch aus solchem
Streite als der Stärkere hervorzugehen. Und gerade darum boten
die Juden als die ältesten und ausgesprochensten Widersacher
des Christenthums und ihre Literatur mit ihrem riesigen Umfange
den Theologen jener Zeit ein ganz besonders anziehendes Kampf-
objekt. Hier fand man in der That einen Kämpfer vor, der
- 69 -
Jahrhunderte hindurch seine Waffen gegen das Evangelium
geschwungen hatte, und mit ihm zu ringen bot einen ganz beson-
deren Reiz.
Aus dem allen erklärt es sich denn auch, dass sich fast
die gesammte Theologenwelt jener Zeit mit der jüdischen und
rabbinischen Literatur und dies in einem Umfange beschäftigte,
wie es nie vorher und nachher in der Christenheit der Fall
gewesen ist. Alle berühmten Theologen des Zeitraumes schrieben
Schriften über, für oder gegen die Juden und ihre Literatur. Fast
auf allen evangelischen Universitäten widmete man der Kenntniss
des Judenthums und seiner Literatur das eingehendste Studium.
Die theologischen Dissertationsschriften jener Zeit wählen un-
gemein häufig gerade aus diesem Gebiete ihre Themata, und
Niemand darf den Anspruch erheben, in der Theologie gehört zu
werden, der nicht in der jüdischen Literatur zu Hause ist.
Aber fast diese gesammte Literatur ist lateinisch geschrieben,
das doch nur ein sehr kleiner Theil der damaligen Juden ver-
stand; und die grosse Masse derselben wusste daher, obwohl man
sie mit dem Aufgebot der grössten Kraft von der Falschheit
ihres Glaubens, wie von der Richtigkeit des christlichen zu über-
zeugen suchte, nicht einmal von dem, was man ihrethalben schrieb
und redete, oder dass man sich um ihre Bekehrung bemühte.
Der gemeine Mann unter den Evangelischen aber konnte
auch diese Schriften nicht lesen und erfuhr der Regel nach nur in
so weit etwas von dem, was seine Theologen und literarisich Gebil-
deten hinsichtlich der Juden beschäftigte, als dieselben ihre
gelehrten Anliegen auch auf die Kanzel oder in die Schulen
brachten. Denn allerdings die gelehrte Behandlung der Juden-
frage blieb nicht auf die Bücher beschränkt, sondern wurde ins-
besondere durch die sonntägliche Predigt vielfach auch unter die
Gemeinde getragen, um dort gewöhnlich in der Weise eines
wissenschaftlichen und literarischen Streites behandelt zu werden.
Und so lag es in der Natur der Sache, dass die Gemeinde eine
Förderung in der Erkenntniss, was ihr den Juden gegenüber
obliege, und einen Antrieb, das Missionswerk unter ihnen zu treiben,
durchaus nicht in irgend welchem hinreichenden Maasse empfing.
Möglichste Beschränkung der Juden, so weit das finanzielle
Interesse nicht anderes zu gebieten schien, blieb auch in dieser
Zeit der überwiegende Gesichtspunkt in der Behandlung der
Judenfrage. Theologen und Juristen fassten dabei mehr die ideale
Seite der Sache ins Auge, während bei den politischen Macht-
habern die finanzielle Rücksicht bald für bald gegen die Juden
sprach. Aber allerdings der negative Gesichtspunkt war bei den-
jenigen, welche über das Verhältniss der Christen und des christ-
lichen Gemeinwesens zu den Juden nachdachten, der vorherrschende.
Der Rechtsgelehre Baptist Cäsar in Frankfurt a. M. z. B. beant-
wortete die Frage: „Ob eine rechte christliche Obrigkeit mit
gutem Gewissen Juden halten und leiden möge?" (Marburg 1621)
dahin, dass er dies nur gestattet sehen wolle, wenn den Juden
der Talmud genommen und ihren Rabbinen das Lehren ver-
boten, alle Juden zur Anhörung christlicher Predigten gezwungen
und ihre Kinder getauft würden. Ist jener Gelehrte darin aber
allerdings weiter als die meisten seiner Zeitgenossen gegangen, so
erklärte man sich doch ziemlich allgemein gegen die Erbauung neuer
Synagogen. Oefters wurden auch Luthers strenge Rathschläge
wiederholt, und der Hamburger Dr. Joh. Müller hat z. B. in
seinem bekannten, viel gelesenen und bedeutenden Werke Judais-
mus detectus die Frage, ob Häuser an Juden vermiethet werden
dürften, nur unter vielen Beschränkungen bejaht wissen wollen.
Eben diese Ansichten aber kehren bei der grössten Zahl
der Juristen und Theologen wieder, und zwar ebensowohl unter
den Lutherischen als unter den Reformirten. Bei den reformirten
Professoren Gisbert Voetius und Joh. Leusden in Utrecht unter
anderen finden sich um 1660 alle die oben genannten Vorschläge
über die Beschränkung der Juden wieder. Und dabei waren es
zumeist Männer, denen das geistliche Wohl der Juden wirklich
am Herzen lag, welche Forderungen dieser Art aussprachen
Der gemeine Mann wusste daher im Allgemeinen noch viel
weniger die rechte Stellung zu den Juden zu gewinnen. Man
rächte sich an den Juden besonders für den von ihnen getriebenen
Wucher auf unverantwortliche Weise. Von Gross und Klein
wurden sie gequält, am Bart gerauft und verhöhnt, ihnen Würfel
um Paschen abgefordert und sie selbst allen erdenklichen Placke-
reien unterworfen. Der Leibzoll und das besondere Abzeichen
an den Kleidern erhielten sich auch in den meisten protestan-
tischen Gegenden noch diese ganze Periode hindurch. Ja, dem
Geiste des Zeitraumes entsprechend, sehen wir das Verhältniss
zwischen Juden und Christen ganz systematisch nach den Regeln
eines Krieges ausgestaltet werden.
— 71 —
Geistiger und äusserer Kampf, das ist das hervorstechendste
Merkmal in dem Verhältniss der miteinander zusammenwohnenden
Christen und Juden ; in dem ersteren sind die Christen die An-
greifer, in dem anderen die Vertheidiger. Man will die feind-
lichen Juden allerdings nicht bekämpfen, um sie zu vernichten,
sondern um sie zugleich für das Reich Christi zu erobern, aber
man fasst für gewöhnlich mit rauher Hand zu, und dem Ernste
fehlt gar zu sehr die Lindigkeit und der Herzenston der Erbarmung.
In der Folge werden wir nun die Missionsbeziehungen zu
den Juden in den einzelnen Ländern und Völkern zu betrachten
haben.
3. Deutschland.
a. Die talmudische und rabbinische Literatur im evan-
gelischen Deutschland bis 1700.
Die allgemeinen Verhältnisse der evangelischen Kirche
Deutschlands haben während dieses Zeitraumes ein Missionswerk
an den Juden mehrfach ausserordentlich erschwert. Der Kampf
mit der römischen Kirche, bei dem es sich um Sein und Nicht-
sein handelte, der dreissigjährige Krieg mit seinen maasslosen
Schrecken und Greueln und endlich die inneren Kämpfe der
evangelischen Kirchen untereinander nahmen die Gemüther und
das ganze Leben so sehr in Anspruch, dass für eine Missions-
arbeit an den Juden kaum ein Raum übrig zu bleiben schien.
Die reformatorische Anfangszeit bot in der That denn auch noch
günstigere Verhältnisse in dieser Beziehung dar als einige Jahr-
zehnte dieser Periode; sie war die Zeit des siegreichen Vor-
dringens der evangelischen Kirche. Die Entschuldigung, dass
der unerlässlichen Aufgaben zu viele seien, als dass man für die
Juden Kraft und Zeit übrig habe, hätte jetzt, wo man recht eigentlich
um das Dasein zu ringen hatte, eher als damals ein Recht gehabt.
Während der Zeit des dreissigj ährigen Krieges geschah
denn auch auf dem Judenmissionsgebiete sehr wenig, und erst»
als man sich wieder von demselben zu erholen begann, lenkten
die Theologen von Neuem die Aufmerksamkeit der Gemeinden auf
die Juden, die leider in jenen Kriegsjahren vielfach die Noth des
Volkes ausgebeutet hatten. Jetzt, wo man zu einem Wieder-
aufbau des Zerrissenen und zu innerer Befestigung schritt, trat
— 72 —
man alsbald auch an die Frage, wie man sich zu den Juden
stellen solle, wieder heran.
Und was nun hier geschehen ist, verdient die volle Beach-
tung. Obwohl die eigene Kirche noch aus tausend Wunden
blutete , erwachte doch bald nach dem dreissigjährigen Kriege
ein überaus lebhafter Trieb in der deutsch-evangelischen Kirche,
das gute Recht der eigenen Sache auch vor den Juden zu ver-
treten. Das wird man eben desshalb als einen besonderen Lebens-
beweis dieser Kirche anerkennen und man wird ihre Bemühungen
auf dem Judenmissionsgebiete mit Theilnahme begleiten müssen.
Betrachten wir dann aber die Art dieser Thätigkeit, so
werden wir das Urtheil auszusprechen haben, dass alles, was in
lobender oder tadelnder Weise vorher über diesen Zeitraum gesagt
war, für Deutschland im besonderen Maasse gilt.
Nirgends hat man sich so eifrig mit der jüdischen Literatur
beschäftigt als hier, und besonders geschah dies in der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhunderts. Man hatte hierbei theils ein gelehrtes,
theils ein apologetisches , theils ein polemisches und theils ein
ausgesprochenes Missionsinteresse.
Aufs gründlichste wurden in Deutschland der Talmud und
die Rabbinen durchforscht. Zur bequemeren Erlernung der tal-
mudischen und rabbinischen Sprache verfassten bedeutende Theo-
logen wie Hackspan in Altorf, Pfeiffer, Mercerius und
Sennert in Wittenberg, Scherzer und Starcke in Leipzig,
Burcklin in Frankfurt a. M. , Danz in Jena, Spitz in Kiel,
Scheidius in Strassburg, Cellarius in Halle und Hankeimann
in Hamburg Lexika und Grammatiken.
Einzelne Theile des Talmud wurden ins Lateinische über-
setzt. So durch Michael Neander in Sorau, Ullmann und B.
Scheidius in Strassburg, Esdras Edzard in Hamburg, Peringer
und Wagenseil in Altorf, von dem lateinische und deutsche
Uebersetzungen einzelner Theile stammen, Ludovicus und Seb.
Schmidt in Leipzig, Das so v in Wittenberg, J. Wülfer in Nürn-
berg. Von H. Lehmann erschien auch in Leipzig eine deutsche
L'ebersetzung der Sprüche der Väter (Pirke Aboth).
Lateinische Uebersetzungen talmudicher Traktate lieferten
ebenso Zacharias Grape in Rostock, Dan. Schwenten in Nürn-
berg, Heinr. Opitz, Josua Frank in Halle.
Beckmann in Frankfurt a. O. schrieb unter anderem über
cie Bibelstellen im Talmud 1690, über Theile und Abschnitte
— 73 —
aus der talmudischen Literatur Gabriel Groddeck in Danzig und
Laur. Nor mann. Christ. Theoph. Unger in Herrenlauersitz
(Schlesien) hat Jeschua Halevi, Methodologie des Talmud (Hala-
chot Olam) bearbeitet. Struve in Jena und Ritmeier in Hanau
haben Schriften von Jac. Jehuda Leone übersetzt; Saubert in
Helmstadt 1655, Molitor in Altona und Burklin in Frankfurt
a. M. Schriften von Salomo Ibn Melech ins Lateinische, und
solche von Arje de Modena endlich Valerius Grossgebauer
in Frankfurt a. M.
Ebenso verwandte man vielen Fleiss auf die Erklärung des
Talmud und der Rabbinen, und mit ungemeiner Lebhaftigkeit
wurde die Frage über den Nutzen desselben verhandelt. Seltener
wird derselbe vollständig verworfen. Seb. Schmidt im feurigen
Drachengift 1682 und Grambs in Frankfurt a. M. 1682 stehen
mit ihrem Rathe, den Talmud zu verbrennen oder ihn den Juden
zu verbieten, in dieser Zeit ziemlich vereinzelt da. H. Muhlius
dagegen schrieb eine, übrigens massig gehaltene Apologie des-
selben, Frankfurt 1689, und Zachar. Grapius in seiner Abhand-
lung über die Idee des jerusalemischen Talmud, Leipzig 1695,
vertheidigt denselben gegen den Vorwurf, dass er ein Fabelbuch
sei. M. Johann Heinrich Wolf suchte in einer zu Leipzig 1683
erschienenen Schrift alle die thörichten Fabeln des Talmud als
blosse Allegorien zu rechtfertigen und empfahl das talmudische
Studium in jeder Beziehung. Als Konrektor in Gera übersetzte
er später 1726 die 13 Glaubensartikel des Rabbi Vital ins La-
teinische und versah sie mit Bemerkungen.
Vielfach empfahl man das talmudische Studium zum besseren
Verständniss der Juden, zur Verwerthung im christlich -apologe-
tischen Sinne gegen dieselben und als Hilfsmittel für die Erklärung
des Alten wie des Neuen Testamentes. Auch Schickhard in
Tübingen, Ben. Carpzov in Leipzig, Th. Dassov und Scheidius
empfahlen das Studium der Rabbinen und des Talmud für diesen
Zweck ihren Zeitgenossen. Ebenso J. Cramer in Herborn,
Martin Geier in Leipzig, Hackspan, Joh. Heinr. Majus in
Giessen, Aug. Pfeiffer in Leipzig und Jo. Andr. Danz in Jena.
Noch mehr vertiefte man sich in das Studium der bedeu-
tendsten Rabbinen des Mittelalters. Ihre Erklärungen der Bücher
des Alten Testamentes wurde aufs Sorgfältigste bei der Aus-
legung derselben berücksichtigt, viele ihrer Schriften ins Latei-
nische übersetzt und eingehender, oft polemischer Prüfung unter-
v.'orfen. Die grossen jüdischen Gelehrten und Rabbinen Mai-
monides, Abravanel, Abraham Ihn Esra, Raschi und
Kirne hi zumal fanden häufige Bearbeiter auf den verschiedensten
Universitäten und unter nicht akademischen Theologen. So
Schnell, Hackspan und Wagenseil in Altorf, Wasmuth,
YVacke und Burklin in Jena, Genz, Scherzer, Carpzov,
Abi cht und Christoph Stämmen in Leipzig, Herrn, von der
Hardt, Sprecher, Schramm und Hilpert in Helmstädt,
Pfeiffer und Geier in Wittenberg, Brandanus Gebhard, N.
Koppe in Grcifswald, Varenius und Bohle in Rostock, Uli-
mann und Seb. Schmidt in Strassburg, Storr in Tübingen,
Walter in Königsberg, Mieg in Heidelberg, Chr. Gräfe in
Altenburg, Joh. Müller in Hamburg, Molitor in Altona, Croze
in Bremen, Beckmann in Frankfurt a. O.
Einzelne Midraschim übersetzte Saubert in Helmstädt. Ueber
den Schulchan Aruch, jenes Werk, welches das rabbinische
Judenthum in seiner ausgeprägtesten Gestalt darstellt und es aufs
tiefste bestimmt, ja vollständig beherrscht hat, schreibt Beck-
mann. Gegen Lipmans Lästerschrift wider das Christenthum,
„Xizzachon", erhoben sich mehrere Gelehrte: Hackspan, Schnell,
Wagenseil, Wacke, Gerlov und Blendinger. Die gewaltigste
aller jüdischen Angriffsschriften, Chisuk Emunah, hekämpften
besonders Joh. Müller, W a g e n s e i 1 , Brandanus Gebhard
und Storr.
Mehrere jüdische Dichter übersetzte Ebe r t in Frankfurt a. O.
Einige Theologen hofften durch Berufung auf die jüdische Geheim-
lehre die Juden für das Christenthum zu gewinnen. Zumal Hack-
span, Ritangel, ganz besonders aber Knorr von Rosenroth,
Senn er t und Wachert Hessen es sich angelegen sein, die
Kabbala in diesem Sinne auszubeuten. Die meisten Theologen,
welche sie benutzten, legten der jüdischen Geheimlehre einen viel
zu hohen Werth bei und lasen oft die ganze christliche Glaubens-
lehre aus derselben heraus. Einige verloren sogar über dieser
Mystik den Geschmack an dem einfachen Evangelium. Das gilt
besonders von Rosen roth, dem Verfasser der Kabbala denu-
data, gestorben 1689 und von Abraham von Frankenberg,
gestorben 1652, der Peninis Bechinath Olam mit Anmerkungen
versah. Der schlesische Pastor Hilarius Prache, der gleichfalls
Kenner der rabbinischen Literatur war und Frankenbergs
Standpunkt theilte, hat dessen Werk in lateinischer Uebersetzung
— 75 —
und mit lateinisch-rabbinischen Anmerkungen versehen, 1673 her-
ausgegeben. Im Kreise der Schlesischen Mystiker, die sich
besonders an Jakob Böhme anschlössen, sprach man sogar viel
von einem Seligwerden der Juden ohne die Taufe. So besonders
Paul Kaym.*)
Natürlich war die Messiaslehre ein ganz besonderer Gegen-
stand der Besprechung und wurde mit steter Rücksicht auf die
rabbinischen Anschauungen, die theilweise abgewehrt wurden
theilweise Zustimmung fanden, aus dem Alten Testament ent-
wickelt oder wurde direkt aus der talmudischen und rabbinischen
Literatur abgeleitet und dann nach den Kategorien der üblichen
Dogmatik dargestellt. Viei Fleiss und Mühe haben hier Molther,
Widmar in Marburg, Helvicus, Anan Weber in Leipzig,
Varenius, Jo. Micraelius in Stettin, Cellarius, Haber-
korn, Sennert, Frischmuth, Brandanus Gebhard und
Joh. von Lent aufgewandt.
Die grösste Mühe gab man sich, die ganze christliche Lehre
oder Stücke derselben aus der jüdischen Literatur zu beweisen.
Michael Neander in Sorau schrieb 1567 in lateinischer Sprache
ein Buch „Die Zeugnisse der alten Hebräer, Rabbinen, Talmudi-
sten und Cabbalisten über Christum, der Welt Jeschua oder
Heiland." Basel. Johann Molther suchte in seiner Schrift:
„Theologia et Chronologia Judaeorum, das ist: Gründliche Er-
zählung der jüdischen Fabeln vom Messias, Auferstehung, dem
Tode u. s. w., daneben der irrgläubigen Juden Wegweiser.
Frankfurt a. M. 1601" durch Citate aus der rabbinischen Literatur
die Juden für das Christenthum zu gewinnen. Ebenso der
Giessener Professor Christ. Helwig, der vielfach mit Juden ver-
kehrte und hebräischen Unterricht bei ihnen genommen hatte,
in seinem Elenchus Judaeorum. Giessen 1609. Ueber die Drei-
einigkeitslehre im Talmud schrieb Josua Arnd, Wittenberg 1650,
und besonders eifrig suchte der Tübinger Professor Schickhardt
1625 die Rabbinen als Zeugen des christlichen Glaubens zu
verwerthen.
Prof. Joh. Förster in Wittenberg dagegen, Varenius in
Rostock und M. Wasmuth in Kiel wollten von einem positiven
Nutzen des Talmud für die christliche Theologie nichts wissen
*) G. Koffmane, Religiöse Bewegungen in der evangelischen Kirche
Schlesiens während des 17. Jahrhunderts, S. 38, 45, 47.
- 76 -
und -warnten davor, denselben als ein Lehrbuch des christlichen
Glaubens zu behandeln. Hehvig, obwohl er apologetischen Ge-
brauch von der jüdischen Literatur machte, wies doch ander-
seits darauf hin, wie der Talmud das ganze Denken der Juden
in wenig heilsamer Weise beeinflusst habe. Frischmuth in
Jena erklärte, dass gerade der Talmud das grösste Hinderniss
für die Bekehrung der Juden bilde, weil er sie nicht zum Ver-
ständniss des Alten Testamentes gelangen lasse. Den gleichen
schädlichen Einfluss des Talmud hob Professor Dannhauer zu
Strassburg in seinem Christophorus hervor 1638. Auch Balthasar
Baumbach in: Quatuor utilissimi tractatus, Nürnberg 1609 und
Joh. Müller im Judaismus detectus rathen hier zur grössten
Vorsicht, weil die Juden für alles im Talmud die verschieden-
sten und einander widersprechendsten Erklärungen und Aussprüche
hätten. Conrad Fronmüller rief durch seine zwei hebräischen
Briefe über die Widersprüche der Rabbinen unter einander eine
Entgegnung des Rabbi Hanoch B. Levi hervor, die dann jener
Gelehrte mit seinen beiden Briefen veröffentlichte. Altorf 1679.
Prof. Aug. Pfeiffer wies in seiner Schrift: Theologiae Judaicae
principia sublesta, Leipzig 1687 darauf hin, dass aus der wüsten
Masse dessen, was der Talmud enthalte, nur immer weniges zu
gebrauchen sei, so dass nun auch das Studium desselben die
darauf verwandte Mühe nicht lohne. Nicht minder warnte der
berühmte Professor Conring in Helmstädt vor einer Ueber-
schätzung des Talmud und seiner Literatur.
Jedesfalls haben viele Professoren der damaligen deutschen
Universitäten und besonders die in Leipzig, Jena, Wittenberg,
Altorf, Strassburg, Greifswald, Rostock und Königsberg ihren
Studirenden in Bezug auf das Studium des Talmud und der
Rabbinen zu viel zugemuthet. Sie haben dadurch im Wesent-
lichen auch nur die Neigung, sich in unfruchtbare Gelehrsamkeit
zu verlieren, gefördert, und theilweise eine völlig verkehrte Vor-
liebe für jene Literatur die das richtige Urtheil über dieselbe
schliesslich verlor, herbeigeführt. Der sonst treffliche Wagen-
seil in Altorf konnte sich selbst soweit verirren, dass er in seiner
„Hoffnung der Erlösung Israels" von der Mischnah, dem eigent-
lichen Texte des Talmud, zu sagen im Stande war: „Das ist
ein gutes Buch und geht nach der Schrift fast allen andern
Büchern vor."
— 77 —
Auch Systeme der jüdischen Glaubenslehre wurden aus
der talmudischen und rabbinischen Literatur aufgestellt, oder
einzelne jüdische Lehren in ihr verfolgt, um dieselben an der
Schrift des Alten Testamentes zu messen und sie theils zu
widerlegen, theils ihre Uebereinstimmung mit der christlichen
Lehre nachzuweisen. Auf diesem Gebiete ragen Helwig,
Pfeiffer, Havemann, Generalsuperintendent in Stade, Joh.
Müller, Joh. Fecht in Rostock, Dannhauer, Dassov, Johann
von Lent in Herborn, Georg Calixt in Helmstädt, Majus und
Carpzov hervor.
Mit Vorliebe schlug man aber auch den polemischen Weg ein.
Der jüdische Glaube wurde in seinen Selbstwidersprüchen, in
seinen Wiedersprüchen gegen die heilige Schrift und in seiner
Nichtigkeit dargestellt. Dabei trat jedoch nur selten das Be-
streben zu Tage, die Juden durch Freundlichkeit zu gewinnen
und in herzlicher Weise den Versuch zu machen, dass sie zu
anderen Ueberzeugungen gelangten. Die Sprache ist vielmehr
meistens eine grobe. Ein besonderer Fehler war es aber auch,
dass sich diese Literatur, dem Charakter der Zeit entsprechend,
vorwiegend an den Verstand und in viel geringerem Grade an
das Herz und Gewissen der Juden wandte. Die Logik war in
der That die Hauptwaffe, mit weicher man zum Kampfe auszog;
und doch ist die kalte Logik am wenigsten dazu angethan, auf
dem Gebiete des innersten Herzenslebens zahlreichere und wahr-
haft heilsame Siege zu erstreiten. Daher hat es jene Zeit bei
allem Eifer, welchen sie auf die Ueberführung der Juden ver-
wandte, selbst verschuldet, dass die Frucht der grossen Mühe
und Arbeit nicht entsprach. Vor einem literarischen Wirken
an den Juden, dem nicht das lebendige mündliche Zeugniss an
dieselben beständig zur Seite geht, und das nicht durch die Er-
fahrungen des persönlichen Verkehrs mit den Juden innerlich
bestimmt und erwärmt wird, warnen gerade die Erfahrungen
jener Zeit.
Ganze Systeme der Controverse wurden von verschiedenen
Theologen aufgestellt. So besonders von Joh. Müller in seinem
Judaismus detectus, Hamburg 1644. Dieses Buch ist das be-
deutendste polemische Werk gegen die Juden in jener Zeit und
zeugt von einer ungewöhnlichen Belesenheit des Verfassers in
der jüdischen Literatur, in welcher ihm aber allerdings fast nur
die Schattenseiten entgegentreten. Zur Seite stellt sich das
- 78 -
tüchtige Werk von Johann von Lent „Moderna theologia Judaica"
Herborn 1694. Auch Abraham Calov in Wittenberg geht wider
die Juden im Interesse der Wahrheit der christlichen Religion
in der Schrift Veritas religionis Christianae adversus Judaeos
probata, Wittenberg 1679 vor. Seinecker Hess sich überaus
heftig gegen ihre Lästerungen aus (Leipzig 1577), und sehr
scharf griff Georg Nigrinus im „Judenfeind" die Juden an,
Giessen 1570. Nicht minder hart ist das Gericht, das Joh.
Schmidt im „Feurigen Drachengift" über sie abhält. Coburg
1682. Nicolaus Vedelius führt in „De deo Synagogae" aus,
dass die Juden nicht den rechten Gott anbeten. Auch D. J. F.
Mayer wandte sich gegen die Juden in seinem Museum
Ministri ecclesiae Leipzig 1 703 und in seiner lateinischen Schrift
über den Götzendienst der Juden und der Päpstlichen, Leipzig
1673. Aehnlich vergleicht Joh. Fe cht de ecclesia Judaica das
Judenthum mit allen christlichen Irrlehren. Die jüdische Theologie
im Allgemeinen bekämpfte Aug. Varenius zu Rostock im
Elenchus theologiae Judaicae 1647, und ebenso schrieb Fried.
Ulrich Calixt de religione Judaica. Helmstädt 1686. Der
Leipziger Professor D. Aug. Pfeiffer suchte nachzuweisen, wie
haltlos die Principien der jüdischen Religion seien in Mataeologiae
Judaicae u. s. w., Leipzig 1687, während der Königsberger D.
Christian Dreier zu dem gleichen Zwecke die Principien des
christlichen Glaubens denen des jüdischen entgegenstellte: De
principiis fidei Christianae contra Gentiles et Judaeos. 1689.
Von dem berühmten Professor D. Jo. Henr. Majus in
Giessen stammt eine Synopsis theologiae Judaicae veteris et
novae 1698. Von D. Jo. Benedict Carpzov eine Introductio in
theologiam Judaeorum 16S7, die als Einleitung seiner Ausgabe
des Pugio fidei von Raymundus Martini vorausgeschickt ist.
Im Anhange dieses Werkes bringt er auch die bis dahin nur
als Manuscript in der Leipziger Universitätsbibliothek vorhanden
gewesene Geschichte der Bekehrung des hernachmaligen Prämon-
stratensers Hermann von Cöln zum Christenthum.
Das zusammenfassendste polemische Werk am Schlüsse
dieses Zeitraumes aber ist das von Johann Andreas Eisen-
menger, Professor der orientalischen Sprachen in Heidelberg,
zuerst Frankfurt a. M. 1700. „Entdecktes Judenthum oder
gründlicher und wahi-hafter Bericht, welchergestalt die verstockten
Juden die hochheilige Dreieinigkeit, Gott, Vater, Sohn und hl.
79 —
Geist erschrecklicher Weise lästern, die heilige Mutter Christi
verschmähen, das Neue Testament, die Evangelisten und Apostel,
die christliche Religion spöttisch durchziehen und die ganze
Christenheit auf das äusserste verachten und verfluchen u. s. w."
2 Theile.
Dieses Werk hat seine besondere Geschichte.*) Den Ver-
fasser desselben hatte das Studium der orientalischen Sprachen
als jungen Mann nach Amsterdam geführt. Dei Judenschaft dieser
Stadt fand er ebenso selbstbewusst als gegen das Christenthum
feindlich gestimmt. Als er nun aber den dortigen Rabbiner
David L i d a mit eigenen Ohren Lästerungen über Christum
aussprechen hörte und Zeuge davon wurde, wie sich drei Christen
in jener Stadt durch die Beschneidung ins Judenthum aufnehmen
Hessen, erwachte sein christlicher Unwille und Eifer. Es trieb
ihn im Gewissen für die Ehre Christi gegen seine Angreifer ein-
zutreten und andere Christen vor der Gefahr des Abfalles zum
judenthum zu behüten. Desshalb wollte er nun das Judenthum
aus seinen eigenen Quellen studiren und so ausgerüstet sein
Zeugniss sowohl vor den Juden, als vor den Christen ablegen.
Leichtsinnig wollte er das Werk nicht unternehmen, sondern der
Sache auf den Grund gehen. Er durchforschte desshalb mit un-
gemeinem Fleisse die jüdische Literatur und verkehrte viel mit
Juden, die, da sie den Zweck seiner Studien nicht kannten, ihn
selbst auf viele Schriften aufmerksam machten, die ihm sonst
entgangen wären. Neunzehn Jahre arbeitete er an dem Werke,
in welchem er die umfangreichsten Citate aus nicht weniger als
193 jüdischen Schriftstellern beibrachte, die jedesmal im Urtext
mit Quellenangabe und in deutscher Uebersetzung aufgeführt werden.
Mitten in seinen Studien aber wurde Eisenmenger aus
Heidelberg durch die Franzosen, welche dasselbe verwüsteten,
vertrieben und fand mit seiner Frau und Kind in Frankfurt a. M.,
wo ihm diese aber starben, eine Zufluchtsstätte. Dort erwarb er
sich in der bescheidenen Stellung eines Chur - Pfälzischen Regi-
strators des Archivars sein Brot, bis er später nach Heidelberg
zurückkehrte und 1 700 daselbst eine Professur der orientalischen
Sprachen erhielt.
Im Jahre 1700 nun übergab er in Frankfurt sein Werk
dem Druck. Die Juden erfuhren dies und boten alles auf, um
*) Schuclt. Jüdische Merkwürdigkeiten 1, 426 ff. 3, I ff. 4, 285 ff.
— So-
das Erschienen des Buches zu verhindern. Die Frankfurter und
Wiener Juden verbanden sich, um es bei dem Kaiser zu er-
wirken, dass Eisenmengers Manuscript nirgends im ganzen
deutschen Reiche gedruckt werden dürfte. Sie scheuten desshalb
keine Kosten und nachdem sie Tausende von Gulden aufgewandt
hatten , erlangten sie es auch wirklich , dass vom Reichshofrath
ein Verbot dieses Buches erlassen wurde. Noch war dasselbe in
Frankfurt nicht fertig gedruckt, als das kaiserliche Verbot ein-
traf; doch wurde alsdann wenigstens die Vollendung des Druckes
gestattet. Die fertige Auflage dagegen, 2000 Exemplare, wurde
mit Beschlag belegt und im Frankfurter Armenhause aufbewahrt.
Nur etwa zehn Stück , welche bereits vor der Beschlagnahme
ausgegeben waren, gelangten zunächst in die Welt.
Vergeblich erklärten sich die eifrig katholischen Universi-
täten Cöln und Mainz und die evangelische Universität Giessen,
denen das Buch zur Begutachtung vorgelegt worden war, für die
Freilassung und Ausgabe desselben, und vergeblich strengte
Eisenmenger selbst einen Prozess um Auslieferung seines Buches
an. Derselbe hatte, um in den Besitz so zahlreicher jüdischer
Schriften zu gelangen, ausserordentliche Kosten aufwenden müssen ;
denn dieselben hatten einen ungemein hohen Preis. Dies und
die Flucht aus Heidelberg hatten seine baaren Mittel vollständig
verzehrt, so dass er sich in den letzten Jahren eine Anleihe von
2000 Gulden aufzunehmen genöthigt gesehen hatte. Diese Ver-
legenheit Eisenmengers und die Ungewissheit, ob sie den Prozess
gegen den Professor gewinnen werden, bewogen die Juden, dem-
selben für den Fall , dass er ihnen sein Buch ganz überliesse,
12,000 Gulden zu bieten. Eisenmenger, der anfangs höhere
Zwecke mit seinem Buche verfolgt hatte, war durch die Noth
schwach geworden und liess sich in einen Geldhandel ein, forderte
nun aber 30,000 Gulden und hierüber zerschlug sich der Ver-
gleich. Bald darauf starb er, im Jahre 1704, ohne den Ausgang des
Prozesses, den seine Erben 1 742 gewannen, erlebt zu haben. Dass
Eisenmenger jedoch überhaupt auf eine solche Verhandlung
eingehen konnte, ist ein Beweis dafür, dass wenigstens unter den
Kämpfen seiner letzten Lebensjahre seine sittliche Kraft gesunken
war; und so war es auch eine Vergeltung, dass er selbst die
Frucht so langer Arbeit nicht ernten durfte.
Die Juden haben jedoch ihren Zweck auch nicht erreicht.
Eisenmengers Erben wandten sich an Könip" Friedrich I. von
— 8i —
Preussen und baten diesen darum, dass er ihnen zu ihrem Rechte
verhülfe. Der König untersuchte die ganze Sache und als er
dieselbe nun genau kennen gelernt hatte, beschloss er selbst kräftig
einzuschreiten. Es waren aber Gründe sehr ernster Art, welche
ihn dazu bestimmten, auf das Erscheinen des Eisenmenger'schen
Werkes zu dringen. Er fasste die Aufgabe eines christlichen
Regenten sehr hoch auf und wusste sich als König in hervor-
ragendem Maasse zum Vertheidiger der christlichen Religion
berufen. Dem christlichen Glauben aber, so fürchtete er, werde
Schaden erwachsen, wenn die Juden in diesem Falle die Ober-
hand behalten sollten. Es würde alsdann so aussehen, als hätten
sie das Recht, die christliche Religion in Deutschland anzugreifen,
ohne dass man dieselbe vertheidigen dürfe, und als sollte sich
wohl der jüdische Irrthum hierselbst äussern können, die Wider-
legung desselben dagegen verboten sein, so dass ein Privilegium
für die Juden bestünde, alles über und gegen das Christenthum
zu sagen und zu schreiben, während den Christen die Hände
gebunden würden, wenn sie sich in ihrer eigenen Sache und für
dieselbe erhöben. Desshalb richtete er 1 705 ein Schreiben an den
Kaiser Leopold, in welchem er von demselben die Herausgabe
des Eisenmenger'schen Buches erbat; und als dieser Kaiser ge-
storben war, wiederholte König Friedrich dieselbe Bitte bei
seinem Nachfolger, Kaiser Joseph im Jahre 1708.
Da der König es jedoch bereits erfahren hatte, wie mächtig
der Einfluss des jüdischen Geldes in Wien war, erklärte er in
seinem zweiten Schreiben, dass er, falls ihm nicht nachgegeben
würde, das Buch in seinem Königreich Preussen, das heisst
in der jetzigen Provinz Ost-Preussen, welche nicht zum deutschen
Reiche gehörte und für die eben desshalb auch das kaiserliche
Verbot des Eisenmenger'schen Buches nicht bestand , drucken
lassen und die Eisenmenger'schen Erben auf Kosten der Juden
schadlos halten werde. Einen Erfolg hatte diese Verwendung
auch bei Kaiser Joseph nicht, und so hielt nun König Friedrich
sein Wort. Er liess das Buch 171 1 in 2000 Exemplaren neu
auflegen. Als Druckort desselben wird Königsberg in Preussen
angegeben, thatsächlich ist es in Berlin gedruckt worden; weil
in letzterer Stadt Friedrich aber nicht Souverain war, durfte das
Erscheinen des Werkes in Berlin nicht durch den Titel bekannt
gegeben werden. Die Kosten des Druckes bestritt übrigens der
J. F. A. de le Roi, Mtssionsbeziehungen. 6
— 82 —
König aus seiner eigenen Schatulle und überliess den grössten
Theil der Auflage den Eisenmenger'schen Erben.
Das Eisenmenger'sche Werk nun ist in zwei starken Quart-
bänden erschienen und stellt in zusammen 37 Kapiteln die Lehren
der Juden über den christlichen Glauben und die eigenen jüdischen
religiösen Anschauungen, ihre Ansichten über sich selbst, über
die Christen und über den Verkehr mit denselben dar. Von
manchen Missverständnissen und falschen Auflassungen jüdischer
Aussprüche , die bei der ungeheuren Fülle des Stoffes fast un-
vermeidlich waren, abgesehen, gibt diese Schrift in der That nur
solches wieder, was in der jüdischen Literatur wirklich zu finden
ist. Und nun hat sich ja freilich in derselben während der Jahr-
hunderte sehr vieles gesammelt, was den tiefen Fall bekundet, den
das jüdische Volk gethan hat. Des Giftes ist ausserordentlich
viel, welches sich im Judenthum gehäuft hat, und an dieser That-
sache ist trotz aller Unschuldserklärungen der Juden in ihrer
eigenen Sache einmal nichts zu ändern. Die Entrüstung , mit
welcher man das Eisenmenger'sche Buch als ein Werk blosser
Verläumdungen im jüdischen Lager darzustellen beliebt, ist eine
übel angebrachte und nur ein Beweis dafür, dass man die eigenen
Schäden durchaus nicht eingestehen und für das eigene Unrecht
nicht Busse thun will.
Trotzdem ist das Eisenmenger'sche Werk eine Ungerechtig-
keit gegen die Juden. Denn es sammelt eben nur alles Arge
und Verkehrte aus der jüdischen Literatur und übergeht das
Bessere. Eisenmenger ist freilich durch die grosse Menge des
Schlechten , das er in dem unter den Juden für heilig aus-
gegebenen Schriftthum derselben fand, mit innerem Abscheu vor
dem jüdischem Wesen erfüllt worden und hat eben darum das-
selbe bekämpfen wollen. Aber in seinem Eifer sah er eben nur
das Schlimme und hatte für das andere, das ihm doch auch
reichlich entgegengetreten war, keine Augen. Das Bild der
Juden wurde daher in seiner Zeichnung ein teuflisches, und für
das Mitleid mit den Juden wurde kaum noch Raum gelassen.
Das christliche Publikum , welches hier eine Fülle von
gelehrtem Material und von lauter Quellenauszügen vor sich er-
blickte, dessen Einseitigkeit es nicht zu durchschauen vermochte,
musste nach der Lektüre des Buches mit dem tiefsten Hasse
gegen die Juden erfüllt werden und daran völlig verzagen , dass
- 83 -
einem so teuflischen Wesen gegenüber noch etwas Heilsames
erreicht werden könne.
Eisenmengers Buch hat denn auch ganz überwiegend schäd-
lich gewirkt. Die Juden waren am wenigsten bereit, sich durch
diese gehäuften Zeugnisse zum Nachdenken über sich selbst
bringen zu lassen. Zu irgend welcher Prüfung, wie es möglich
sei, dass ihr hochgepriesenes und im Lichte göttlicher Wahrheit
angeschautes Schriftthum so viel Arges und Thörichtes enthalte,
Hessen sie sich in keiner Weise bewegen, sondern verherrlichten
dasselbe nach wie vor als den Ausfluss der vortrefflichsten,
edelsten und heiligsten Gesinnung. Doch das haben die Juden
freilich auch den Propheten und Aposteln und allen anderen
gegenüber gethan, welche ihnen ihren Spiegel vorhielten.
Viel schlimmer ist es, dass Eisenmengers Buch fort und
fort bis zum heutigen Tage von allen christlichen Judenfeinden
ausgebeutet wird, um dem Judenhasse stets neue Nahrung zuzu-
führen. Schon 1714 erschien in Cöln ein „Judenspiegel", der nur
Auszüge aus Eisenmengers Werk enthält. 1743 übersetzte Rev.
John Peter Stehe lin in London einige Abschnitte des Eisen-
menger'schen Buches unter dem Titel: The Traditions of the
Jews. In beiden Fällen ist aber die Quelle nicht genannt, aus
der man geschöpft hat, das englische Werk nennt sich nur eine
Uebersetzung aus dem Hochdeutschen. Rohlings Talmudjude
(4. Aufl. Münster 1873) und zahlreiche Schriften ähnlicher Art
aus der neuesten Zeit sind nur schlechte Auszüge aus Eisenmenger.
Ein besonderer Mangel jener Zeit aber war es, dass es
überhaupt nur der kleinere Theil ihrer umfangreichen Literatur,
welche polemisch oder apologetisch das jüdische Schriftthum
verwerthet, verstand, sich auf den jüdischen Standpunkt zu
versetzen und so den Juden die Brücke zum Christenthum hin-
überzuschlagen. Man sah in manchen Fällen in den jüdischen
Kundgebungen zu wenig von dem, was Hoffnung erwecken
konnte, und in noch häufigeren Hess man sich von dem Wort-
laute jüdischer Schriften nach der anderen Richtung hin täuschen;
denn man legte hier christlich oder im Sinne der eigenen Theo-
logie aus, was bei den jüdischen Schriftstellern doch eine ganz
andere Bedeutung und durchaus nicht jene Tragweite hatte, die
man ihm christlicherseits gern gab.
Die Bedeutung des Studiums und der Verwerthung der
talmudischen und rabbinischen Literatur bestand aber darin, dass
- 84 -
man besonders an den Stätten der ernstesten Geistesarbeit in
Deutschland, auf den evangelischen Universitäten, in lebhaftester
Weise der Juden gedachte und sich ein Interesse für ihr religiöses
Leben erhielt, zugleich aber auch die Juden fort und fort in der
Erinnerung der Christen erhielt. Die Juden blieben so beständig
für die deutsch-evangelische Kirche wenigstens ein Gegenstand
religiösen Nachdenkens; und so wenig zureichend man auch die
Aufgabe erfüllte oder zu erfüllen verstand, man fühlte sich doch
unter der unausgesetzten Beschäftigung mit der jüdischen Literatur
stets von Neuem daran gemahnt, eine geistliche und religiöse
Pflicht an den Juden zu erfüllen.
Einzelne Männer, welche in ihren Schriften die talmudische
und rabbinische Literatur reichlicher verwertheten, werden wir
übrigens noch im Folgenden erwähnen; wegen der Bedeutung
ihrer Schriften im allgemeinen Missionsinteresse fordern sie eine
besondere Besprechung.
b. Anderweitige literarische und sonstigeMissions-
bemü h unge n.
Der literarische Weg erschien dem 17. Jahrhunderte über-
haupt als der vorzüglichste, um dem Evangelio zu dienen. Einer
literarischen Behandlung der Frage, was zu thun sei, um die
Juden zur Anerkennung Christi zu führen, begegnet man daher
überall in dem damaligen evangelischen Deutschland. Zumal
über die Methode, bei der man am ehesten mit den Juden zum
Ziele kommen möchte, wurde vielfach verhandelt. Ausführlich
berichtet über diesen Meinungsaustausch Diefenbach in seinem
Judaeus convertendus § 5 ff.
Dannhauer in Strassburg empfahl nach dem Vorgange
Luthers die Juden mit ihrer Zerstreuung zu überführen, während
Bottsac in Danzig und Franz in Wittenberg forderten, dass
man ihnen besonders das Fehlen der Opfer, ohne welche es
nach dem Gesetze für Israel kein Mittel gibt, Vergebung der
Sünden und Versöhnung mit Gott zu erlangen, zu Gemüthe
führe. Am häufigsten aber drang man darauf, dass den Juden
aus dem Alten Testamente der Schriftbeweis für die Messianität
Jesu geführt werde.
Einem Theile dieser Literatur nun wird man die Aner-
kennung nicht versagen dürfen, dass er aus echter Missions-
gesinnung erflossen ist, und manche Zeugnisse derselben sind
- 85
von bleibendem Werthe, wenn gleich die Mehrzahl Kinder der
Zeit genannt werden müssen, und eben so wenig wie viele der
im Missionsinteresse geschehenen Bearbeitungen talmudischen
und rabbinischen Materials es verstanden haben, den Juden recht
nahe zu kommen.
Besondere Erwähnung verdient Elias Schadäus, Profes-
sor und Prediger zu Strassburg. In seiner deutsch verfassten
Schrift: Mysterium, das ist Geheimniss St. Pauli Römer II von
Bekehrung der Juden, ausgelegt und gepredigt zu Strassburg
im Münster 1592, bezeugt derselbe, dass er seine hebräischen
Studien vor allem darum getrieben habe, „damit er des Herrn
Christi und der heiligen Patriarchen, Propheten und Apostel
Blutsfreunden, Nachkommen und Verwandten nützlich und dienst-
lich sein möchte". Er hat desshalb auch in Strassburg eine
Druckerei mit hebräischen und jüdischen Lettern angelegt, aus
der die Evangelien Lukas und Johannes, die Apostelgeschichte,
der Römer- und Hebräer -Brief, denen die alttestamentlichen
Weissagungen und Stücke aus den zwei ersten Kapiteln des
Evangeliums Matthäi hinzugefügt wurden, nach Luthers Ueber-
setzung in jüdischer Currentschrift hervorgingen. Ausserdem
veröffentlichte er den lutherischen Katechismus in jüdischer
Currentschrift. Seine Schriften enthalten herzgewinnende An-
reden an die Juden und die ernstliche Bitte an die Christen,
besonders aber an die Obrigkeiten, die Proselyten in die Hand-
werke aufzunehmen. In allem aber, was er von anderen erbat,
ist er selbst mit gutem Beispiele vorangegangen, hat öffent-
lich in der Kirche für die Juden gebetet und ebenso die Christen
zum Gebet für Israel aufgefordert. Seine Stimme fand denn
auch in weiteren Kreisen Gehör, und seine Bücher wurden unter
Juden und Christen vielfach verbreitet.
Joh. Molther, Prediger zu Freiberg in der Wetterau,
forderte in seiner deutsch verfassten Theologia et Chronologia
Judaeorum d. i. Gründliche Erzählung der Juden-Fabeln und der
irrgläubigen Juden Wegweiser. Frankfurt a. M. 1601, in freund-
licher Sprache die Juden auf, die zwischen ihnen und den Christen
bestehenden Differenzen nach der Bibel und selbst nach ihren
eigenen alten Schriften zu prüfen, und beantwortet ihre haupt-
sächlichsten Einwendungen gegen das Christenthum in freund-
licher Weise,
— 86 —
Professor S c h i c k h a r dt in Tübingen verlangte auch darum
das Studium des Hebräischen auf den Universitäten mit beson-
derem Nachdruck, damit die nachherigen Lehrer der Christen
geschickt wären an der Bekehrung der Juden zu arbeiten. In
seiner Schrift: Jus regium Hebraeorum, Strassburg 1625, und
Bechinath Haperuschim, Tübingen 1626, erklärte er, dass er aus
dem Grunde vor allem mit Juden verkehre und Nutzen aus
ihrem Umgange für seine Kenntniss des Hebräischen zu ge-
winnen suche, damit er recht in den Stand gesetzt würde, Schriften
zu verfassen, welche ihre Bekehrung befördern könnten. Vor
allem aber will er die Juden zur heiligen Schrift zurückgeführt
wissen, da dies ihr besonderer Schaden sei, dass sie dieselbe ver-
nachlässigten und ihr den Talmud vorgezogen hätten. Er selbst,
der zu den eigentlichen Vätern des talmudischen und rabbini-
schen Studiums in Deutschland gehört, hat sich auch über diese
Literatur sein christliches Urtheil nicht trüben lassen, wie er
denn die rabbinischen Studien nicht aus gelehrter Liebhaberei,
sondern im Missionsinteresse trieb.
Der hessische Superintendent Hermann Fabronius Mose-
mann forderte in seiner Schrift „Bekehrung der Juden" u. s. w.
Erfurt 1624, zu öffentlichen Predigten für die Juden auf und
betonte ernstlich die Pflichten des christlichen Volkes gegen die
Juden. Fr. Casimir Sohnius richtete eine deutsche Schrift
an die Juden, Frankfurt 1629, „Muster und Formular des uralten
und wahren jüdischen Glaubens aus Mose und den Propheten,
den jetzigen Juden zur Nachricht vorgestellt".
Besonderen Eifer entfaltete auf unserem Gebiete Christian
Ravis. Derselbe, 161 3 in Berlin geboren, war einer der be-
deutendsten Kenner der orientalischen Sprachen in seiner Zeit
und überhaupt einer der grössten Gelehrten seiner Tage. Er
hat in verschiedenen Ländern gewirkt, besonders in Schweden,
Dänemark, Holland und England und an der Kieler Hochschule.
Auf seinen zahlreichen Reisen hat er in Constantinopel, Smyrna
und in Afrika viele wichtige Manuscripte gesammelt. Mit Was-
muth in Kiel wollte er ein Missionscollegium für 6 junge Leute
anlegen, von denen 2 stets zu den Juden gehen sollten, aber
dasselbe ist nicht zu Stande gekommen. Seine persönlichen
Versuche unter den Juden Altonas und Hamburgs zu wirken,
hatten nicht besonderen Erfolg. Ravis starb als Professor der
- 87 -
orientalischen Sprachen in Frankfurt a. O., ein eifriger, gelehrter,
aber auch von sich selbst sehr eingenommener Mann.
Durch christliche Wärme zeichnete sich M. Andreas Cramer,
Superintendent in Mühlhausen 1636 aus. S pener hat die Schrift
desselben „Der gläubigen Kinder Gottes Ehrenstand und Pflicht"
mit feiner Vorrede versehen, herausgegeben, Dresden, Leipzig
1716. Cramer sagt von sich selbst, er habe mit vielen Juden
und Jüdinnen, mit Rabbinen und Marranen oft Gespräche ge-
habt und dieselben aufgezeichnet. Bei seinen Fragen und Zeug-
nissen über den Messias und dessen Ankunft habe er sie aber
so viele wunderliche Ausflüchte machen sehen, dass er darauf
eine andere Methode eingeschlagen habe. Er habe die Juden
aufgefordert ihm zu sagen, was sie für eine Hoffnung zu Gott
hätten, auf welche sie sterben und in die zukünftige Welt hin-
übergehen wollten. Die Antworten, welche er da erhalten, habe
er sich aufgezeichnet, damit man aus denselben Anlass nehmen
möge, den Juden näher zu treten, und hierzu gibt er nun in
seiner Schrift katechetische Winke.
Eine merkwüdige Kundgebung aus dem Jahre 1623 ist die
ohne Angabe des Verfassers und des Ortes erschienene „propheti-
sche, apostolische und apokalyptische Betrachtung der Weissagung
unseres Herrn Christi Matthäus 24, 14". Diese Schrift stellt sich
als ein juristisches Gutachten auf verschiedene Fragen, die Juden
betreffend dar. Zunächst schärft sie die Pflicht, den Juden das
Evangelium zu predigen, ein und bezeugt, dass ihnen vor der
Wiederkunft Christi noch einmal die Decke werde von den
Augen genommen werden. Sache der Christen sei es nun, den
Juden alle Mittel der Verhärtung abzuschneiden und alle Mittel
zu ihrer Bekehrung an die Hand zu geben. Die Christen hätten
hier aber fast nur Sünde auf Sünde gehäuft, und doch habe
Christus die Seelen der Juden mit seinem Blute theuer erkauft.
Denke die Christenheit hieran nicht, so ziehe sie Gottes Strafe
auf sich herab. Freude ist unter den Engeln des Himmels über
jeden Sünder, der Busse thut, und also auch über jeden Juden,
der sich bekehrt. Wer hierzu mithilft, hat an der ewigen Ver-
heissung Theil. Und das Ende der Welt, so schreibt der Ver-
fasser unter dem Eindrucke der Greuel des dreissigjährigen
Krieges, sei nahe herbeigekommen.
Allerdings brächten die Juden in dieser Kriegszeit viele,
die fast schon ruinirt seien, durch ihren Wucher noch um das
— 88 —
Letzte, aber das rechte Gegenmittel, welches allein diesem Treiben
derselben ein Ziel setzen werde, sei ihre Bekehrung, und für
diese müsse man daher mit Eifer wirken.
Die Frage, welche dann weiter an den Verfasser gerichtet
wird, ob Juden an bestimmten Orten Aufnahme finden sollten,
beantwortet er für den Fall bejahend, dass sie dort das Wort
Gottes anhören wollen. Auch die Frage, ob sie wissentlich
Jesum lästerten, bejaht er und hebt hervor, dass sie in ihren
Schriften immer mehr zum Angriffe übergingen; um so mehr
aber müsse man ihnen mit Gottes Wort entgegentreten. Dabei
seien sie an das Alte Testament zu erinnern, welches ja die
christliche Lehre enthalte. Wenn also die Juden diese nicht
angenommen hätten, seien sie nicht zu entschuldigen. Die Frage
aber, was nunmehr mit ihnen zu thun sei, beantwortet der Ver-
fasser dahin, dass man ihnen predigen müsse, damit sie sich be-
kehrten, und damit die Christen von ihrer Verantwortung frei
würden. Die Sünde wider den heiligen Geist hätten auch jedes-
falls die Juden noch nicht begangen, denn sie hätten noch nie
an Jesum geglaubt. Die Obrigkeit aber habe die Pflicht, sie
vom Handel zu entwöhnen, denn das Handelsleben befestige sie
nur in ihrem Kriege gegen die Christen. — In der That ein
vielfach, wenn auch nicht in allen Stücken zutreffendes Zeugniss.
Professor Dannhauer in Strassburg verlangt gleichfalls,
dass man an den Juden ein positives Werk aufnehme, und fordert
die Geistlichen in seiner Christosophia 1638 auf, Unterredungen
mit ihnen zu suchen, um sie für den christlichen Glauben zu
gewinnen, im ganzen Verkehr mit den Juden aber ihnen jene
Sanftmuth zu beweisen, welche von selbst für den christlichen
Glauben ein anziehendes Zeugniss ablegt. Unglücklicher dagegen
war die Forderung, welche derselbe Gelehrte in seiner Schrift
„Katechismusmilch" 1669 aufstellte, dass die Juden durch die
Obrigkeit angehalten werden sollten, sich zu Disputationen über
das Christenthum einzustellen.
In deutscher Sprache wandte sich Michael Ha venia nn,
General -Superintendent der Herzogthümer Bremen - Verden , an
die Juden.*) Sein Lehrer im Hebräischen war der Poselyt
Julius Cornad Otto, Professor zu Altorf, der aber hernach ins
Judenthum zurückfiel, gewesen. Gründlich mit dem jüdischen
*) Saat 1872, I S. 17 ff. Plitt, Kurze Geschichte S. 162.
- 89 -
Schriftthum vertraut, gab er 1633 einen später auch ins Hol-
ländische zu Amsterdam (1654) übersetzten Traktat „Wider die
übelgefassten jüdischen Einbildungen" heraus. Veranlasst wurde
er hierzu dadurch, dass ihm zu Ohren gekommen war, es seien
Christen durch Juden, in deren Kaufläden sie von denselben über
religiöse Gegenstände angeredet wurden, an der bereits erfolgten
Erscheinung des Messias irre gemacht worden. 1663 gab er
dann diese Schrift in erweiterter Gestalt heraus und unter dem
Titel „Wegeleuchte wider die jüdischen Finsternisse", Jena und
Hamburg, von welchem Buche gleichfalls eine holländische Ueber-
setzung, Amsterdam 1666, erschien. Für seine Schrift wählte er
die deutsche Sprache, weil die Juden dieselbe eher verstehen
würden. Aus den Propheten vor allem, sodann aber auch aus
den Targumim, dem Talmud und älteren Rabbinen suchte er
die wesentliche Uebereinstimmung der jüdischen und christlichen
Lehre über den Messias und über andere Punkte des Glaubens
zu beweisen; erst die neuere jüdische Theologie habe den Gegen-
satz zwischen christlicher und jüdischer Anschauung geschaffen.
Sieht Havemann hierin nun auch die Dinge viel zu optimistisch
an, so ist doch der freundliche Ton und das Bestreben, die Juden
sachlich zu überzeugen, sehr anzuerkennen.
Havemann schmerzte es, dass man die Juden, denen die
älteste christliche Kirche die höchste Aufmerksamkeit geschenkt
hätte, so sehr vergässe, und desshalb suchte er wieder an die
christliche Glaubenspflicht des Zeugnissablegens zu erinnern.
Aussichtslos sei auch das Werk an den Juden um so weniger,
als die Verheissungen der Schrift von einer Zeit redeten, wo Israel
zur seligen Erkenntniss des Herrn Jeschuah, des Messias gelangen
werde. Desshalb ermahnt nun Havemann zu freundlichem christ-
lichen Verkehr mit den Juden und fordert, dass die Gemeinden
hieran in Predigten erinnert, die Jugend auf den Schulen in der
jüdischen Controverse geübt würden, und die Obrigkeit zu dem
allen die Hand biete. Die nämlichen Forderungen werden aber
jetzt überhaupt und immer dringender von allen ernsteren Theo-
logen aufgestellt.
Professor Hackspan in Altorf in der Mitte des 17. Jahr-
hunderts, der Lehrer Wagenseils hat damit begonnen, jene
Universität zu einer Stätte zu machen, welche von nun ab die
Aufmerksamkeit des fränkischen Landes und nicht dieser Gegend
allein, sondern des ganzen evangelischen Deutschlands lange Zeit
— 9o —
hindurch stets von Neuem auf die Juden hin lenkte. Ein tüchtiger
Kenner der talmudischen und rabbinischen Literatur hat er das
Buch Nizzachon des R. Lipmann herausgegeben, Nürnberg
1644. Einen gewissen Werth der talmudischen und rabbinischen
Literatur räumte er auch für christliche Theologen ein, rieth
aber zu grosser Vorsicht in der apologetischen Verwendung
derselben den Juden gegenüber und empfahl vielmehr, ihnen
Predigten zn halten.
Einen ganz besonderen Namen aber hat sich durch sein
Eintreten für die Juden vor der gesammten Christenheit der
Professor an der Altorfer Universität Johann Christophorus Wagen-
seil erworben.*) Ursprünglich Professor der Rechte wählte er
dann den Lehrstuhl für hebräische und orientalische Sprachen,
weil er das Verlangen trug, Theologen heranzubilden, welche den
Juden das christliche Zeugniss wohl vorbereitet entgegenzubringen
vermöchten. Er hatte auf seinen weiten Reisen, die ihn nach
Italien, Frankreich, Spanien und Nord -Afrika führten, die Juden
vielfach kennen gelernt und sich mit ihrer Literatur in aus-
gedehntem Maasse bekannt zu machen gesucht, um sie von
ihrem Irrthum auf den Weg der Wahrheit zu führen.
In seiner 1681 zu Altorf erschienenen Schrift Tela ignea
Satanae hat er sich dann gegen einige jüdische Lästerschriften,
die bei den Juden in grossem Ansehen standen, erhoben. Aber
mit dieser Schrift wollte er nicht die Christen gegen die Juden
erregen, sondern einerseits ein Zeugniss gegen die jüdischen
Lügen ablegen und anderseits den Christen die Nothwendigkeit,
die Juden aus den Händen ihrer Verführer zu erretten, zum Be-
wusstsein bringen. Die Vorrede des Buches ist der beste Beweis
dafür, wie fern Wagenseil von allem Judenhasse war, denn sie
enthält ein mächtiges, herzbewegliches Gebet desselben um die
Bekehrung des Volkes. S. 478 ff. bringt diese Schrift auch eine
Katechese für die Juden herbei, welche er dem reformirten Fran-
zosen Josua P 1 a c a e u s , den Wagenseil aber nicht als Verfasser
kannte, entnahm.
In seiner Denunciatio Christiana oder Christliche Ankündigung
an alle hohen Potentaten gegen die Lästerung, womit die Juden
unsern Heiland Jesum Christum ohne Aufhören freiwillig schmähen,
hatte er die eidliche Verpflichtung aller Juden von 13 Jahren
*) Saat 1882, I S. 5 ff.
— 9i —
an und darüber, dass sie Jesum Christum und das Christenthum
nicht lästern wollten, gefordert, aber von jeder Gewaltthat gegen
dieselben abgemahnt, und das verkehrte Verfahren, welches man
früher mit den Juden zumeist eingeschlagen hatte, ernstlich ge-
straft. Bei dieser Gelegenheit versprach er zugleich, dass er
die Verheissungen der Schrift für die Juden einmal in Erinnerung
bringen würde. Das that er nun auch hernach und ergriff nun-
mehr überhaupt die Gelegenheit für die Juden apologetisch
aufzutreten.
Es folgte jetzt also eine ganze Reihe von Schriften, durch
welche er das Heil der Juden zu befördern trachtete. Zusammen-
gefasst sind acht derselben und unter ihnen auch die Denun-
ciatio unter dem Titel „Benachrichtigung wegen einiger die Juden
angehenden wichtigen Sachen", zuerst Leipzig 1705. Unter den-
selben ragt besonders die kleine Schrift „Hoffnung der Erlösung
Israels" hervor. Hier beklagt Wagenseil zunächst, dass, während
sich die Christenheit mit wahrem Eifer auf Künste und Wissen-
schaften werfe, sie die Juden noch immer vernachlässige. Um
die Bekehrung der Juden , für welche doch der Heiland einst
auch Thränen geweint habe, kümmere man sich fast gar nicht.
An die Heiden denke die katholische Kirche , hinsichtlich der
Juden habe dieselbe nur die wenig ernst gemeinte Verordnung
erlassen, dass ihnen gepredigt werden solle. Evangelischerseits
sei anfangs auch wenig geschehen, und doch stelle die Schrift
eine allgemeine Bekehrung der Juden vor dem Ende der Welt
in Aussicht, was ja auch sowohl reformirte als lutherische Theo-
logen in grosser Zahl anerkannt hätten. Allmäblig fange man
aber auch an zu fühlen, dass sich die Christenheit an einer so
kaltsinnigen Stellung zu den Juden nicht genügen lassen könne.
Ein ungemein reger Eifer sei seit der Mitte des 1 7. Jahrhunderts
für die jüdische Literatur unter den evangelischen Theologen
erwacht, und so sei man jetzt im Stande, den Juden auf ihrem
eigenen Gebiete näher zu treten. Auch die allgemeine Stellung
zu den Juden habe sich wesentlich verändert. Die Reformation
habe das Aufhören der Judenverfolgungen nach und nach herbei-
geführt und allerwärts die Stimmung gegen dieselben gemildert.
Auch die äussere Lage der Juden habe sich darüber vielfach gün-
stiger gestaltet, und nun beginne man bereits ihnen die heilige Schrift
in ihrem Dialekte nahe zu bringen. Man fahre nur so fort und
lasse sich förmlichen Verkehr mit ihnen angelegen sein, betrachte sie
— 92 —
als unsere Nächsten, höre mit allen Gewaltmaassregeln gegen sie
auf und predige ihnen freundlich, so werde die Frucht dessen
nicht ausbleiben.
Besonders lasse man auch die Proselyten nicht darben und
sie nicht so vielfach verkommen , wie es bisher der Fall war.
Desshalb gewöhne man die christlichen Gemeinden, in den Kirchen
ihre Liebesgaben für die Proselyten zu spenden. Die Obrigkeit
aber und die Geistlichen mögen sich verbinden, damit alle
Hindernisse der Bekehrung der Juden aus dem Wege geräumt
würden. Nach dem Beispiele des Collegium für die Verbreitung
des Glaubens in Rom errichte man ein Haus, in welchem Stu-
denten für die Mission unter den Juden vorbereitet würden, und
sende solche nach beendigtem Studium als Missionare aus, um
unter jenen zu arbeiten. Der öffentliche Gottesdienst aber müsse
stets eine Fürbitte für die Juden enthalten.
Die evangelische Kirche allein könne auf diesem Gebiete
etwas leisten , die katholische habe sich hierzu unfähig gezeigt.
„Man greife nur die Sache in Jesu Namen recht an und bete
fleissig, so werde Gott schon Gnade verleihen, dass die Juden mit
allen heiligen Christen begreifen mögen, was da sei die Breite
und die Länge."
Wagenseils Aufforderung, den Juden zu predigen, fand übrigens
merkwürdigerweise in der katholischen Kirche zuerst Wiederhall;
in Ferrara richtete in Folge derselben ein katholischer Kardinal
Gottesdienste für die Juden ein. Aber freilich, Rom hat es je
länger desto weniger verstanden, den Juden das Evangelium in
solcher Weise nahe zu bringen, dass es dieselben anziehen konnte.
In einer anderen, zu dieser Benachrichtigung gehörigen Schrift
erhob Wagenseil Protest gegen die Beschuldigung, dass die
Juden Christenblut gebrauchen. Auch auf die Wucherfrage ging
er ein und zeigte, wie vieles die Christen dazu beigetragen hätten,
dass sich jenes schändliche Gewerbe unter den Juden ausgebildet
habe. Im Eifer der Vertheidigung geht Wagenseil sogar öfters
zu weit und lässt er die Schuld der Juden hinter der der Christen
zu sehr zurücktreten. Er vergass es alsdann, dass sie aus völlig
eigenem Antriebe ihre falschen Wege erwählt hatten, und das
Unrecht der Christen vielmehr darin bestand, dass sie, anstatt den
Verkehrtheiten der Juden entgegenzutreten, diese in denselben
noch befestigten.
— 93 —
Selbst an die Kinder richtete er eine Schrift Pera juvenilis,
1695, in welcher er die Juden gegen die Anklage, dass sie
christliche Kinder schlachteten, in Schutz nahm. Und um auch
in praktischer Weise Anleitung für den literarischen Verkehr mit
den Juden zu geben, liess er eine Belehrung über die jüdisch-
deutsche Rede- und Schreibart, Königsberg 1699, erscheinen. Kurz,
einen so lebhaften und eifrigen Vertheiger hatten die Juden inner-
halb der evangelischen Kirche noch nicht gefunden. Sein warmes
Herzensinteresse für dieselben übertrug sich sogar auf seine
Tochter Helene Sibylle, die hernach den Professor Dr. V. Möller
heirathete und die hebräischen Studien so eifrig betrieb, dass sie
von der Akademie der Wissenschaften in Padua zu ihrem Mit-
gliede ernannt wurde.
Wagenseils Einfiuss nun ist ein sehr bemerklicher geblieben.
Sein Name wurde weithin bekannt und sein Wort fand weit über
Deutschlands Grenzen hinaus Gehör. Seine engere Heimath, das
Anspach'sche Gebiet, zeichnete sich lange durch ein hervorragen-
des Missionsinteresse aus, das überall auf die Anregungen Hack-
spans und Wagenseils zurückweist. Aber auch in der übrigen
theologischen Welt Deutschlands und besonders in dessen pieti-
stischen Kreisen fiel das Zeugniss dieses Gelehrten auf einen
fruchtbaren Boden. Mag. Joh. Müller, der Verfasser des Lichtes
am Abend und geistige Vater Callenbergs hat durch Wagenseil
seine besten Anregungen empfangen. Callenberg selbst hat sich
mit Wagenseils Schriften eingehend beschäftigt und hernach jene
studentische Mission ins Leben gerufen, die der Altorfer Professor
entstehen zu sehen wünschte.
Aus Wagenseils Nachbarschaft, nämlich aus Nürnberg,
stammt die Schrift des Johann Wulf er: Theriaca Judaica ad
examen revocata, 1681, in welcher derselbe aus Anlass des Streites,
der zwischen dem Proselyten Fr. Brenz und dem jüdischen
Gelehrten Salman Zebi über verschiedene Anschuldigungen
der Juden entstanden war, beider Gründe und Gegengründe
seiner Prüfung unterwarf und Licht und Schatten nach beiden
Seiten hin gerecht vertheilte, die Vertheidigung der Juden aber
durch Isaak Vives in der Blutgebrauchsfrage ganz zu seiner
eigenen machte.
Sonst gehört Professor Hermann von derHardt in Helm-
städt zu den Theologen, welche eine besonders rege Thätigkeit,
durch literarische Bemühungen das Beste der Juden zu befördern,
— 94 —
entfaltet haben. Zuerst lieferte er eine Abhandlung über die
Frucht, welche Christen aus dem Lesen jüdischer Bücher schöpfen
könnten, Jena 1683, und bekämpfte die jüdische Lehre von einem
doppelten Messias, dem Sohne Josephs, welcher leidet und stirbt,
und dem Sohne Davids, welcher herrscht. 1706 Hess er eine
Recension des Buches Officia Judaeorum antelucana von Schara-
daeus erscheinen und schickte derselben werthvolle Abhandlungen
voran. Zunächst zeigte er in: Manasse in vinculis, Judaeos in
exilio canonum esse tenacissimos , wie sie hartnäckiger als alle
anderen Menschen an einmal gefassten Meinungen festhielten.
Davon legten alle ihre Zeiten von Anfang bis in die Gegenwart
Zeugniss ab. Im Velum Mosis kommt er darauf zu sprechen,
wie die Rabbinen durch ihre Schriften und Bestimmungen einen
Schleier über die ganze Schrift gezogen hätten, durch welchen
nun die Juden alles in derselben anzusehen gewohnt wären. Um
es ja nicht zur rechten Erkenntniss gelangen zu lassen, hätten
die Rabbinen das Volk fest an sich selbst gebunden und es gewöhnt,
andere Menschen und deren Worte gar nicht zu beachten, ja
überhaupt alles für die Juden in Anspruch zu nehmen und für
andere nichts gelten zu lassen, so dass die Schrift eigentlich nur
für sie und nicht auch für die übrige Menschheit vorhanden
wäre. Sorgfältig hätten die Rabbinen die Ihrigen von der Geistes-
welt der andern abgesperrt, und so lebten sie nun als geistlich
Gefangene ausschliesslich in ihren traurigen Einbildungen dahin.
Die Rabbinen übten ausserdem an allem, was von Juden heraus-
komme, vorher Censur, so dass nichts erscheinen dürfe, was
ihnen widerspreche. Das Band der einen Sprache, des einen
Gebetbuches und des überall gleichen Kultus habe dazu die
Einheit und Geschlossenheit unter ihnen vermehrt. Sorgfältig
hätten sie es vermieden, in der Landessprache ihr Gebetbuch
und andere religiöse Werke erscheinen zu lassen. In Deutsch-
land gestatteten ihre Rabbinen ihnen höchstens ein verdorbenes
Deutsch, das Jüdisch-deutsch für Werke religiösen Inhalts; denn
sie fürchteten, dass mit dem Gebrauch der Landessprache auch
andere Gedanken in die Köpfe kommen würden. Ihre eigene
Gerichtsbarkeit und ihr eigener Kalender hätten sie gleichfalls
in ihrer Abschliessung von der Aussenwelt befestigt. Und indem
schliesslich alles bei ihnen auf Moses zurückgeführt werde, er-
schienen die Menschensatzungen der grossen jüdischen Masse
als unantastbares Heiligthum. Die geistliche Bevormundung habe
— 95 —
die Judenschaft dahin geführt, dass sie für den eigentlichen Sinn
der Schrift je länger je mehr alles Verständniss verloren habe.
Und da ihr Leben bis ins Kleinste durch gesetzliche Bestim-
mungen der Rabbinen peinlich geregelt sei, so sei ihnen die
Möglichkeit benommen, auf andere Wege zu gelangen. Kurz,
die Talmud- und Rabbinenknechtschaft sei das grösste Hinderniss
für die Bekehrung der Juden geworden.
Im Antiquarium Judaicum lieferte H. v. d. Hardt sodann
eine kurze Erklärung der jüdischen Gebräuche, der für dieselben
üblichen Bezeichnungen und anderes zu weiterer Kenntniss der
rabbinischen Literatur. Im Jahre 171 5 aber richtete er einen
lateinischen Brief an die jüdischen Lehrer, welcher auch bei
Schudt, Th. 4, Forts. 3, S. 70 zu lesen ist. Mit ungemeiner
Freundlichkeit und mit herzandringenden, bittenden Worten redet er
hier dieselben an. Rühmend hebt er zuerst hervor, dass alle
Völker der Welt und die europäischen besonders von der he-
bräischen Nation die höchsten Wohlthaten erhalten hätten. Auch
der Undank vieler in Israel gegen ihre eigenen grossen Männer
ändere an der Thatsache nichts, dass aus dem jüdischen Volke
die wahren Wohlthäter des Menschengeschlechtes hervorgegangen
seien. Dies fühle er sich vor allem gedrungen ihnen auszusprechen,
damit sie die Gesinnung erkennen möchten, welche er gegen
sie hege.
Aber freilich, das würden sie sich selbst eingestehen müssen,
sie dürften dem bösen Beispiele, welches so viele ihrer Vorfahren
gegeben hätten, nicht folgen, und sie würden, wenn sie nur ernstlich
über sich selbst nachdenken wollten, auch zu neuer Erkenntniss
gelangen. Ihre Sache stünde Christo genau so wie dem Moses
gegenüber. Beide hätten ihr Volk befreien wollen und beide
dafür zunächst nur Undank geerntet. Moses habe dafür, dass er
die Seinen von den Aegyptern habe retten wollen, vierzig Jahre
vor ihnen fliehen und ihnen fern bleiben müssen, und doch allein
die Rückkehr dieses von ihnen verworfenen Mannes habe ihre
Befreiung ermöglicht. So sollten sie nun auch wissen, dass durch
ihre Schuld Jesus von ihnen gegangen sei, und dass ihnen nur
geholfen werden könne, wenn eben dieser Jesus wieder zu ihnen
zurückkehre. Die Juden in Aegypten hätten einst nicht gemeint,
dass sie, weil Moses von Stammesgenossen verfolgt worden war
und weil er vor denselben fliehen musste, aus Treue gegen ihre
Vorfahren ihn nicht wieder annehmen dürften; und so möchten
- 96
sich auch die heutigen Juden dasselbe hinsichtlich Jesu gesagt
sein lassen.
Freilich über diejenigen, welche ihre Schuld nicht ein
gestehen wollten, hätten die Propheten schon im Voraus ein grosses
Gericht verkündigt, und dasselbe habe auch Jesus gethan. Ebenso
sei Moses, der nach seiner Rückkehr anfangs von ihren Vor-
fahren gern aufgenommen worden wäre, hernach von ihnen den-
noch wieder verachtet worden und habe ihnen darüber den
Untergang in der Wüste verkündigen müssen. Aehnlich aber sei
das Schicksal derer geworden, die Jesum, nachdem sie ihn eine
Zeitlang gerne gehört und seine Wunder mit Freuden angeschaut,
hernach verachtet hätten; das Gericht sei ja offenbar über sie
gekommen.
Doch müssten sie desshalb nicht für immer verloren bleiben.
Sie hätten aus Unwissenheit Christum getödtet, und so sei ihnen
denn, den Bestimmungen ihres väterlichen Gesetzes entsprechend,
eine Zufluchtsstätte bereitet worden. Diese Zufluchtssätte hätten
sie in den europäischen Christenländern gefunden. Der von ihnen
Getödtete sei zugleich aber ihr Hoherpriester. Und wie einst in
Israel nach dem Tode des Hohenpriesters alle jene , die nicht
vorsätzlich einen Todtschlag verübt hatten, ihre Freiheit wieder
erlangen konnten, so könnten auch die heutigen Juden, wenn sie
sich dessen nur recht bewusst würden, dass Jesus der Hohepriester
sei, welcher sie vor Gott vertrete, durch denselben und seinen
Tod wiederum frei werden.
Das Recht, welches Jesus ihnen durch sein Sterben erworben
habe, sich anzueignen, würden sie in der Christenheit geradeswegs
eingeladen. Möchten sie die dringende Aufforderung hierzu
besonders aus dem Munde ihres eigenen Apostels Paulus, Rom. 1 1,
und aus dem aller anderen Apostel, welche gleichfalls ihre
Brüder waren, hören. Möchten sie sich endlich die hohe Ehre
zu Nutze machen, dass sie Brüder Jesu, Brüder aller Propheten
und Apostel seien, und die Bibel von lauter Genossen ihres
Volkes geschrieben. Möchten sie eben desshalb auch alle andern
darin zu übertreffen suchen, dass sie den besten Gebrauch von
dem machten, was ihnen doch zuerst geschrieben worden sei
und ihnen zuerst gegolten habe.
Ihnen zuerst sei das Heil angeboten worden, und die Apostel,
ihre Brüder, hätten auch da, wo sie dasselbe zu den Völkern
hinaustrugen, sich doch noch stets an sie gewandt. Aber freilich,
97 —
da sie das Ihrige anzunehmen verschmäht hätten, sei es hierauf zu
den andern Völkern gekommen. Die Völker jedoch hätten nun das
Heil für sie, die ursprünglichen und ersten Inhaber desselben,
aufgehoben und Jahrhunderte hindurch es für sie schon auf-
bewahrt. Und die Dankbarkeit treibe die Völker, wenn sie sich
gleich dessen wohl bewusst wären , dass sie von dem neuen
Lichte ihre eigene Finsterniss noch nicht hätten völlig überwinden
lassen, dasselbe ihnen zu bringen. Offen, frei und ruhig wollten
nun hiervon die Christen mit ihnen reden und sie in ihrer Mitte
wie Gäste behandeln. Sie dürften nicht gequält und misshandelt
werden; denn sie wohnten ja bei den Christen in der Zufluchts-
stätte, die Gott für sie verordnet habe.
Darum sollten sie selbst es aber freilich auch bedenken,
welche Pflichten die Gastfreundschaft ihnen auferlegte. Sie
müssten sich sorgfältig aller Schmähung Christi und seiner Apostel
enthalten und ihren Wucher massigen, der bisher alle Aufstände
gegen sie und alle ihre Verfolgungen hervorgerufen habe. Auch
sollten sie den Wissenschaften der Völker nicht so fern bleiben,
ihre eigenen Schulen verbessern, auf die von ihnen gesprochene
Sprache grössere Sorgfalt verwenden und vor allem ihre eigene
heilige Schrift mehr lesen. Würden sie dies nur erst recht thun
und zwar ohne die Anleitung ihrer jüdischen Ausleger, dann
würden sie selbst die Schrift bald so wie ihre eigenen Apostel
verstehen lernen.
Es werde aber auch gewiss mit ihnen noch einmal dahin
kommen, und ihr Prophet Paulus würde in dem Recht behalten,
was er Römer 1 1 gesagt habe. Dieses Kapitel wird dann von
Hardt eingehend besprochen und die Gewissheit ihrer Bekehrung
zu Jesu aus demselben dargethan. Werde diese Bekehrung
Israels eintreten, dann würden auch die Völker und selbst viele
heidnische Nationen von dem, woran sie nur zu zähe fest gehalten
hätten, sich befreien lassen, und durch das bekehrte Israel würden
wir viel Licht für so manche Dunkelheit, die unter uns noch
geblieben sei, erlangen.
H. von der Hardt's Zeugnisse gehören also zu dem Aus-
gezeichnetsten, was die frühere evangelische Zeit hinsichtlich der
Juden ausgesprochen und an Erkenntniss gewonnen hat. Die-
selben verdienen es noch heute fleissig gelesen und ernstlich er-
wogen zu werden. Schade ist es nur, dass der zuletzt angeführte
Brief von der Hardt's lediglich an die gelehrten Juden und in
F. J. A. de le R o i , Missionsbeziehungen. J
- 9s
der Gelehrtensprache, dem Latein, gerichtet ist. Wie so anders
hätte diese Kundgebung wirken können, wenn sie die gesammte
Judenschaft oder wenigstens die deutsche in der ihnen verständ-
lichen Sprache angeredet hätte !
Die Frage der endlichen Bekehrung Israels beschäftigte in
dieser Zeit ganz besonders die Gemüther und trug auch dazu
bei, die Aufmerksamkeit auf die Juden zu lenken. Der grösste
Theil der deutschen Theologen Hess sich durch die Schrift zur
Anerkennung dessen, dass eine Bekehrung des Volkes Israel in
der Zukunft bevorstehe, führen. Von bedeutenderen Theologen
widersprachen dem eigentlich nur Dannhauer, Pappus, Cramer,
Calov und Johann Georg Neu mann in dieser Zeit. Zur Schrift-
lehre dagegen bekannten sich die Wittenberger Professoren Ge.
.Mylius, Aegidius und Nikolaus Hu nnius, Gesner, Remigius,
L. Hutter, Th. Balduin, Joh. Forster, B. Meissner, Jac.
Martini; von Leipzigern Scherzer und Wein rieh, von Ro-
stockern Tarnov, Quistorp, Varenius, L. J. Helwig, Schuck-
mann; von Marburgern und Giessenern Winke imann, B. Mentzer,
Chr. Helvicus, Clodius, Joh. Gerhard, in Magdeburg M.
Flacius; von Helmstädtern Ge. Calixt, Hildebrand; von
Strassburgern El. Schadaeus, Schmidt; von Altorfern Th.
Hackspan, Wagenseil; von Kielern Wasmuth und von son-
stigen Theologen Mich. Havemann, M. Walther, Kessler,
Lossius, Creidius, Gravius, Schindler, Patienz.
Die Schrift des Professors der Philosophie Christophorus
Besold in Tübingen De Hebraeorum ad Christum salvatorem
nostrum conversione 1620 beweist besonders schlagend aus Altem
und Neuem Testamente die zukünftige Bekehrung des jüdischen
Volkes. Eine geistige Erneuerung Israels werde geschehen und
das bekehrte Volk dann die christliche Kirche zum Siege aut
Erden führen. Israel sollte beides, das Fundament der Kirche
und die Krönung des Gebäudes sein. Das bekehrte Israel werde
das Innerste des Tempels Gottes darstellen.
Die Hoffnung auf die endliche Bekehrung des Volkes hatte
aber den Einfiuss, dass man auch die Juden der Gegenwart nicht
als völlig unbekehrbar betrachtete und eine Arbeit an ihnen nicht
von vorn herein für aussichtslos hielt. Die reiche literarische
Thätigkeit, welche die Bekehrung der Juden befördern wollte,
wäre nicht erfolgt, wenn nicht die Hoffnung auf einen friedlichen
Aus^an"- der Geschichte Israels auch zu einem Wirken an den
— 99 —
Juden der Gegenwart ermuthigt hätte. Dass Luthers späteres
Verzweifeln an den Juden die Folgezeit im Allgemeinen nicht
dazu führte, der Schrifthoffnung für dieselben Gewalt anzuthun,
sondern dass man den Schriftgedanken hinsichtlich derselben
folgte, war von entscheidender Bedeutung für die weitere Stellung,
die man in der evangelischen Kirche Deutschlands den Juden
gegenüber einnahm.
Aber es liegt hierin auch ein klarer Beweis dafür vor, dass
die reformatorische Kirche thatsächlich die Schrift als den
höchsten Lehrmeister und den eigentlichen Wegweiser anzuer-
kennen gewillt war, und dass sie sich durch die höchste Pietät
für den grössten ihrer Gotteszeugen doch nicht zur Menschen-
knechtschaft verleiten und keine menschliche Autorität unbedingt
annehmen wollte. Die deutsch-evangelische und setzen wir hinzu,
die gesammte evangelische Kirche hatte, wie es an diesem Bei-
spiele recht klar zu Tage getreten ist, allerdings als die ent-
scheidende Stimme über ihre Stellung zu den Juden die heilige
Schrift anerkannt und thatsächlich erwählt. Darum musste sie
auch in dieser Frage vorwärts kommen; und darin hat sie, wenn
sie nur sich selber treu bleibt, die Gewähr, dass sie auch den
Juden gegenüber zu jener Stellung gelangen wird, welche sie hier
nach Gottes Willen einnehmen soll.
Die Lehre von der Endbekehrung Israels hat in der That
nicht eine bloss theoretische Bedeutung in der evangelischen
Kirche und für dieselbe gehabt, sondern sie ist ein mächtiger
Antrieb für dieselbe geworden, die Missionspflicht an den
Juden auszuüben; und hatte sie in der vorliegenden Periode, dem
allgemeinen Charakter derselben entsprechend, zunächst eine mehr
theoretische Bedeutung für das evangelische Deutschland, so hat
doch auch hier die Theorie zur Praxis gedrängt, und dies selbst
im gewissen Maasse zu jener Zeit selbst gethan.
Hier und da hatte übrigens die Lehre von der Endbekehrung
Israels schon damals auch andere Folgen and führte in einigen
Fällen zu einem phantastischen Chiliasmus und wunderlicher Ueber-
schätzung des jüdischen Stammes, wie des jüdischen Wesens.
M. Joh. Jakob Zimmermann aus Württemberg wurde wegen
seines Chiliasmus des Amtes entsetzt 1689 und sammelte eine
kleine Schaar, die mit ihm nach Amerika auswandern wollte,
Zimmermann starb aber 1693 in den Vorbereitungen zur Ueber-
fahrt in Rotterdam. Er hatte das 1 ooojährige Reich und die
— 100 —
demnächste Bekehrung der Juden vorausgesagt. Sein Anhang
siedelte sich in Pensylvanien an. 1689 erschien von Zimmermann
die Schrift „Darreichung der gemeinen Liebe gegen die übrigen
Juden, Türken und Heiden zu ihrer Seligmachung in der brüder-
lichen Liebe". Der Arzt Andreas Kempe*) schrieb 1697 eine
Schrift „Israels erfreuliche Botschaft, zum Trost allen frommen
Israeliten und rechtgläubigen Christen geschrieben". Er widmete
dieses Buch dem reichen Juden Manuel Texeira in Hamburg
und ermahnte hier die Juden bei der Feier ihres Sabbaths zu
verbleiben, den die falschen Christen in den ersten Wochentag
verwandelt hätten. Texeira aber übergab das Buch dem Rathe,
und Kempe wurde aus Hamburg verwiesen.
Eine adlige Dame, Anna von Medem, aus Preussen
gebürtig, heirathete einen Juden, den es ihr für ein Christenthum
ihrer Art zu gewinnen gelungen war, und hielt seitdem öfters
Predigten, um die Juden zu bekehren. In Amsterdam Hess
sie dann auch einen Traktat in deutscher Sprache „Geistlicher
jüdischer Wundbalsam für alle Gebrechen und Wunden der
Juden" 1646 und 1660 drucken, welcher den Juden ihre Phan-
tastereien annehmbar machen sollte. Sie gab vor, eine Offen-
barung empfangen zu haben, nach der sie einen göttlichen Sohn
gebären würde , welcher alle Juden zur christlichen Religion
führen werde.
M. Conrad Victor, Lehrer am Gymnasium zu Marburg,
ging sogar, Frau und Kinder verlassend, nach Thessalonich, um
Jude zu werden. Dort unter dem Namen Mosche Pardo über-
getreten lebte er in der grössten Armuth, so dass er sich 161 4
die Erlaubniss, zurückkehren und als Jude in Deutschland leben
zu dürfen, erbat.
Doch Erscheinungen dieser Art waren in Deutschland nicht
häufige, der Abstand zwischen Juden und Christen wurde hier zu
tief empfunden. Eine religiöse Beeinflussung der Christen, welche
in der früheren evangelischen Zeit von den Juden mehrfach ver-
sucht wurde, fand hernach nur im geringeren Maasse statt; unter
den Christen hatte man auch ganz überwiegend das Gefühl, dass
man die Juden vielmehr zur eigenen Religion zu bekehren suchen
müsse.
Näher nun trat man christlicherseits an diese Aufgabe damit
heran, dass man für sie Schriften in dem ihnen verständlichen
*) Schudt 1, 536 fif.
— 101 —
jüdischen Dialekte schrieb; denn nicht einmal das Hochdeutsch
lasen viele derselben.
Schadaeus war der erste, welcher daran dachte, den Juden
in dem unter ihnen üblichen Dialekte das Neue Testament zu
bringen. Auch eine hebräische Uebersetzung des Neuen Testa-
mentes geschah durch Elias Hutter in der Polyglottenbibel des-
selben, Nürnberg 1599; eine andere viersprachige Ausgabe er-
schien 1602, und von dem nämlichen Verfasser erfolgten dann auch
die Sonntagsevangelien und Episteln 1691, aber ohne dass er der
Ueberserzungsaufgabe schon gewachsen gewesen wäre. Die Evan-
gelien des Kirchenjahres gab hebräisch -deutsch Johann Clajus,
Leipzig 1578, heraus und eben dieselben noch einmal in hebräischer,
griechischer und lateinischer Uebersetzung. Das Evangelium Lucas
erschien hebräisch von Fr. Petri, Wittenberg 1579; von dem-
selben kamen auch hebräisch die Sonn- und Festtagsevangelien
und ebenso das Evangelium Lucas und das Vaterunser in der
polyglotten Uebersetzung desselben heraus. Die Geschichte
der Leiden und Auferstehung Christi nach den Evangelien er-
folgte in hebräischer, griechischer, lateinischer und deutscher
Sprache durch Mart. Theodorus Fabricius, Wittenberg 1595.
Hunnius hat dieser Leidensgeschichte ein Vorwort vorausgesandt.
Das Evangelium Marcus übersetzte hebräisch Walther Herbst
aus Hannover, Wittenberg 1575, die sonntäglichen Episteln
hebräisch Conr. Neander 1586.
Philipp Gallus veranstaltete eine hebräische Uebersetzung
der Augsburgischen Konfession, und Superintendent Olearius
(1588) fügte derselben eine Vorrede bei, in welcher er die Ver-
breitung dieser Uebersetzung unter den Juden dringend empfahl.
Ihm habe sein Rabbi Paulus Elkana aus Prag bekannt, dass er
besonders durch die hebräische Uebersetzung des Matthäus und
Römer -Briefes gewonnen worden sei. Die Juden würden aus
der Augsburgischen Konfession erkennen, dass der Sauerteig
menschlicher Ueberlieferung im evangelischen Glauben entfernt sei,
die Bekehrung einer einzigen Seele aber sei schon ein unver-
gleichlicher Gewinn.
Auch Katechismen zur Unterweisung der Juden in der
christlichen Lehre entstanden. So gab Johannes Clajus den
Kleinen Katechismus Luthers in 4 Sprachen: rabbinisch, griechisch,
lateinisch und deutsch, Wittenberg 1572 und öfters heraus.
Theodosius Fabricius lieferte eine hebräische Uebersetzung
— 102 —
des Luther'schen Katechismus , die Michael Neander mit bei-
gefügter griechischer Erklärung von Joh. Volandi und dem
lateinischen und deutschen Texte, Wittenberg 1582 herausgab.
Conrad Neander lieferte den Kleinen Katechismus Luthers in
4 Sprachen; derselbe ist eine genauere und verbesserte Ausgabe
des Katechismus von Clajus, Wittenberg 1599; statt des Rabbini-
schen ist hier das reine Hebräisch gewählt; hinzugefügt ist unter
anderem das Nicänische Glaubensbekenntniss. 1658 Hess Sebastian
Curtius, Cassel, einen Kleinen Judenkatechismus erscheinen,
der aber nur 8 Seiten enthält.
52 evangelische Kirchenlieder wurden von M. Georg
Leu sehne r in hebräische Reime übersetzt, wobei zugleich
darauf geachtet wurde, dass sie nach den gewöhnlichen Melodien
gesungen werden konnten. Leipzig 1662.
Die von bedeutenden Theologen ausgegangene Ermahnung,
die Schüler der oberen Klassen in den höheren Schulen für die
Juden zu interessiren, fiel nicht auf unfruchtbaren Boden; denn
die Schulprogramme jener Zeit, welche Abschiedsreden von Schü-
lern enthalten, die zur Universität gehen wollen, behandeln oft
Themata, welche sich auf die Bekehrung der Juden beziehen.
Nicht wenige der Gelehrten, die sich mit der jüdischen Literatur
beschäftigten, Hessen es sich übrigens auch angelegen sein, persön-
lich mit Juden zu verkehren, um sie für das Christenthum zu
gewinnen. Dass die Pflicht hierzu den gelehrten Christen obliege,
hat besonders Professor Wolfgang Franz zu Wittenberg in
seiner Schrift Schola sacrificiorum 161 7 betont, und er selbst
hat gethan, was er von anderen gefordert hat. Dasselbe gilt
von M. Andreas Cr am er, Superintendenten zu Mühlhausen,
und manchem anderen.
Nicht erfolglos waren sodann die Mahnungen, welche die
Theologen oft an die Fürsten richteten, sich der Juden in ihren
Gebieten anzunehmen. Manche Fürsten erlernten sogar das
Hebräische, theils um das Alte Testament in der Ursprache zu
lesen, theils um ihrer christlichen Aufgabe den Juden gegenüber
besser zu genügen. Das that Kurfürst August von Sachsen
noch in seinem Alter. Christian August von Pfalz-Sulz-
bach erlernte nicht nur das Hebräische, sondern studirte selbst
die rabbinischen und cabbalistischen Schriften der Juden, und
das Nämliche ist vom Landgrafen Moritz von Hessen zu
sagen. Hebräisch lernten ebenso Lud wig V. von Darmstadt,
103
Kurfürst Johann Georg von Sachsen, die Prinzen Günther
und Heinrich von Schwarzburg, welche den Proselyten
Fels zum Lehrer wählten; und unter den Fürstinnen Amalie
Amoena, Gemahlin Ludwigs von Anhalt, deren Tochter
Louise Amoena sogar hebräisch sprechen konnte, und die
Tochter Georgs von Hessen, Anna Sophie, Aebtissin
von Quedlinburg.
Besonders aber hielten sich in diesem Zeiträume mehrere
evangelische Fürsten für verpflichtet, Juden das Anhören christ-
licher Predigten zu gebieten. Im Anspach'schen wurde den Juden
1597 befohlen „wegen ihres täglichen Verkehres mit den Christen
auch mit ihnen in die christliche Kirche zu gehen und darin
Gott um die rechte Erkenntniss seines Wesens und Willens an-
zurufen und ihn zu bitten, dass er sie durch Erleuchtung des
heiligen Geistes zu wahrer Busse und Bekehrung aus dem finsteren
Judenthum in das rechte Licht des Christenthums bringen wolle".
1652 wurde den Juden in Anhalt-Bernburg von Christian IL
das Gleiche geboten. Ebenso am Ende des Jahrhunderts von
Georg Wilhelm, Herzog von Braunschweig, verordnet,
dass die Prediger des Landes an jedem Ort, wo Juden wohnten,
dieselben einmal des Jahres vor sich fordern und ihnen die Grund-
sätze der christlichen Religion vortragen sollten.
Landgraf Georg von Hessen befahl 1642 der Universität
Marburg, einen Plan zur Ueberzeugung der Juden von der Wahr-
heit und Göttlichkeit des Christenthums anzufertigen. Professor
Hab er körn in Giessen, welcher Predigten an Juden empfohlen
hatte, hielt selbst solche Predigten, fand aber freilich bei
ihnen wenig Aufmerksamkeit. Landgräfin Amalie Elisabeth
von Hessen beauftragte den Dekan Soldanus den Juden in
Cassel auf dem Rathhause zu predigen. Eine Sammlung von
22 solchen Predigten, die zwischen 1647 und 1650 gehalten
worden waren, ist dann unter dem Titel „Entdeckung und Für-
stellung der Bundeslade und Gnadenstuhles des Alten Testa-
mentes" 1650 erschienen, und ebenso ein Judenkatechismus
desselben aus dem Jahre 1651, den alle Juden lesen sollten.
Nach der Predigt wurde übrigens den Juden gestattet, ihre Mei-
nungen zu äussern. Ein Proselyt, Wilhelm Christlieb, der 1705
in Cassel getauft wurde, erklärte, dass jene Predigten von Soldan,
die er gelesen, den ersten Trieb in ihm erweckt hätten, ein
Christ zu werden.
— 104 —
Doch nur selten hatten diese Predigten eine heilsame Wir-
kung, denn die Juden hatten natürlich keine Lust auf das Wort,
welches sie gezwungen anhören mussten, zu achten ; vielfach ver-
stopften sie selbst hierbei ihre Ohren mit Wachs und Baumwolle,
und bald stand man denn auch immer wieder von dem Versuche,
in dieser Weise auf die Juden einzuwirken, ab.
Die Verordnung endlich, dass sich die Juden in ihren
Gottesdiensten aller Lästerung gegen Christum enthalten sollten,
wurde auch in diesem Zeiträume öfters wiederholt.
So viel ist aus allen diesen Beispielen jedesfalls er-
sichtlich, dass die Ermahnungen, welche in den Schriften und in
den öffentlichen Zeugnissen der Theologen geschahen, an das
Heil der Juden zu denken, doch vielfach empfunden und beherzigt
wurden. Ueberhaupt aber wird man anerkennen müssen, dass jene
Zeit in ihrer Weise die Nothwendigkeit lebhaft empfand, den Juden
den Weg zu Christo zu bahnen. Dies fordert entschieden die
Gerechtigkeit einzuräumen, während man sich anderseits die
Augen davor nicht verschliessen kann, dass in dem damaligen
Protestantismus noch zu vieles vorhanden war, was denselben
verhinderte, eine kräftige Einwirkung auf die Juden auszuüben,
und dass hieran besonders das Ueberwiegen des Intellektualismus
in der Religiosität Schuld trug.
c. Esdras Edzard.
Schudt, Jüd. Denkw. i, S. 377 ff. u. öfters, 4, 265 ff. u.
öfters. Joh. Fr. Mayjer, Museum ministri ecclesiae 3, 48 ff.
Fabricius, Memoriae Hamburg. 2, 1020. M oller, Cimbria
literata 3, 221 ff. Gleiss, Esdras Edzard, Hamburg 2. Aufl.
1871. Vormbaum Oct. 1871. Friedensbote 1863 N. 1, 2.
Kaikar 154.
Die hervorragendste Persönlichkeit auf dem Gebiete der
Judenmission seit der Reformation und bis zum Anfange des
18. Jahrhunderts hin ist Esdras Edzard. Derselbe, am 28. Juni
1629 geboren, war ein Sohn des Jodocus Glanaeus Edzard,
Pastor in der Neustadt Hamburg, und stammte aus einer Familie
im Oldenburgischen, die sich in den Streitigkeiten mit den Cal-
vinisten hervorthat. Der Vater, ein selbst in den schwersten
Tagen der Pest seines Amtes treu waltender Geistlicher, hat
auch die Gelegenheit, welche ihm die Seestadt bot, mit Nicht -
christen zu verkehren, treu im christlichen Sinne benutzt und
— 105 ~
ausser einem Türken und einem Mohren mehrere Juden in die
christliche Kirche aufgenommen.
Der Sohn erhielt im elterlichen Hause eine treffliche Vor-
bildung für das Gymnasium und ging dann im Jahre 1647, erst
1 8 Jahre alt, auf die Universität. Um aber die Theologie seiner
Tage gründlich kennen zu lernen, Hess er sich nicht an dem
Besuche einer Hochschule genügen, sondern bezog eine ganze
Reihe derselben und hielt sich nach der eigentlichen Studienzeit
auch in anderen Städten, welche gelehrte Männer beherbergten,
auf. In Leipzig hörte er Hulsemann, in Wittenberg Martini,
in Gotha Salomon Glassius, in Basel genoss er den Unterricht
von Buxtorf, in Zürich den von Jakob Huldrich und Heinrich
Hottinger, in Strassburg hörte er Dorscheus, in Giessen Fa-
bronius und Haberkorn, in Rostock wieder Dorscheus. Fast
alle hervorragenden Theologen und Orientalisten Deutschlands
und der Schweiz lernte er persönlich kennen.
Zur Vervollkommnung seines talmudisch - rabbinischen
Wissens nahm er jedoch auch Unterricht bei dem Oberrabbi der
portugiesischen Judengemeinde in Hamburg, David Cohen de
Lara, dem er hernach dann wieder bei der Herausgabe seines tal-
mudisch-rabbinischen Lexikons wesentliche Hilfe leistete.
Erst 1656, also nach 9 Jahren, beendigte er seine Studien-
zeit. In dem genannten Jahre erwarb er sich unter Dorscheus
in Rostock den Grad eines Licentiaten der Theologie durch eine
Universitätsschrift, welche in 50 Thesen das Thema De praecipuis
doctrinae christianae capitibus adversus Judaeos et Photinianos
behandelt. Er besass eine gründliche Kenntniss der Theologie
überhaupt und besonders der orientalischen Sprachen, speciell
des Rabbinischen, erlag aber nicht, wie so viele seiner Zeit-
genossen, der Gefahr, sich an gelehrtem Wissen genügen zu lassen
oder mit seiner Gelehrsamkeit vor der Oeffentlichkeit zu glänzen.
Mit allem Ernst auf die Reinhaltung der lutherischen Lehre
bedacht, bereit sie gegen Jedermann, gegen Christen wie Nicht-
christen, zu vertheidigen und von einem brennenden Eifer für die
Bekehrung der Juden erfüllt, widerstand er doch allem Drängen,
sich häufiger in Schriften vernehmen zu lassen; denn er scheute
die literarische Vielgeschäftigkeit. „Schreiben macht Schreiben
und die Leute werden dadurch nur faul gemacht", pflegte er zu
saeen. Er hat desshalb nur Weniges auf diesem Gebiete hinter-
lassen. Wir besitzen von ihm Anmerkungen zu dem Pugio fidei
— io6 —
des Raymund Martin und einen Consensus antiquitatis Judaicae
cum explicatione Christianorum super Jerem. 23, 5.6 und 1 Cor.
1, 30 neben rabbinischen Erklärungen zu Psalm 110.
In jenen literarischen Zeugnissen legte er, „um die Juden
zu reizen", durch eine grosse Zahl von Citaten aus ihren berühm-
testen rabbinischen Schriften dar, dass die Propheten nur im
Sinne des Apostels Paulus zu verstehen seien. Sonst ist von ihm
nur noch ein brieflich mitgetheilter Plan über die Methode, die
man bei den Bemühungen um die Bekehrung der Juden befolgen
solle, vorhanden und derselbe hernach gedruckt worden. Man
findet diesen Plan in Mayers Museum 3, 46 ff., in Martin
Diefenbach Judaeus convertendus S. 41 ff. und in Richard
Kidder Demonstratio adversus Judaeos, englisch 3, 473 ff.
Dieser letztere, ein englischer Bischof, hatte sich an Edzard gewandt,
um seinen Rath, wie man mit Juden umgehen solle, zu erbitten,
und erhielt hierauf brieflich jene Anweisung, die hernach durch den
Druck der Oeffentlichkeit übergeben wurde. Edzard war stets
unwillig, wenn er wieder von einer neuen Uebersetzung rabbini-
scher Schriften hörte; denn die meisten, so erklärte er, suchten
nur mit ihrem rabbinischen Wissen zu prahlen, und der hebräi-
schen Sprache werde dadurch ein Schaden bereitet.
In lebendig praktischer Weise aber dachte Edzard, nachdem
er sich 1656 in Hamburg niedergelassen hatte, seine theologi-
schen und wissenschaftlichen Kenntnisse zum Heile der Juden
zu verwerthen, indem er sich theils direkt an diese wenden»
theils den Christen das Beispiel geben wollte, wie man die Juden
reizen müsse, Christum anzunehmen. Wiederholt wurden ihm in
Hamburg selbst und an verschiedenen Universitäten gelehrte
Stellungen angeboten, er nahm aber keine derselben an, um in
voller Freiheit wirken zu können. Zu Statten kam ihm hierbei,
dass er selbst ein wohlhabender Mann war und er desshalb ohne
Sorge seine private Stellung zu behaupten vermochte.
So öffnete er nun sein Haus Juden sowohl als Christen,
welche von ihm Belehrung annehmen wollten, und deren gab es
unter beiden eine ausserordentlich grosse Zahl. In Hamburg
hatten neben deutschen auch geflüchtete portugiesische Juden
161 2 die Erlaubniss erhalten, sich daselbst niederzulassen.
Letzteren war hierbei die Bedingung gestellt worden, dass sie
in Hamburg selbst keine Synagogen bauen und keine Beschnei-
dung vollziehen dürften. Aber die ihnen auferlegten Beschrän-
— 107 ■ —
kungen wurden nicht innegehalten, und sie übten bald ihre
Religion fast unbehindert in der Stadt aus. Ebenso wurde die
Bestimmung, dass sie ihre Kinder in christliche Schulen schicken
und dieselben dort auch den christlichen Religionsunterricht er-
halten sollten, von ihnen niemals innegehalten. Ihren grossen
Wohlstand trugen sie gern zur Schau, und ihre Häuser waren zum
Theil aufs Prächtigste eingerichtet. Zu den reichsten Einwohnern
der Stadt gehörten Juden, die denn auch in derselben bald einen
übermässigen Luxus entfalteten.
Das Auftreten der Hamburger Juden wurde in nicht langer
Zeit ein so herausforderndes, dass sich der deutsche Kaiser aus
Anlass dessen beschwerdeführend an den Senat der Stadt wandte,
und der Rath daraufhin den Befehl gab, die Juden sollten die
Stadt verlassen, widrigenfalls sie für jeden Tag weiteren Ver-
weilens in derselben einen Goldgulden zahlen müssten. Aber
diese Verordnung war mehr zum Schein erlassen, denn sie trat
nicht in Wirksamkeit. Nirgends in Deutschland und überhaupt
nirgends sonst ausser in Holland genossen die Juden unter den
damaligen Christen eine solche Freiheit, und Hamburg wurde
von ihnen daher auch Klein- Jerusalem genannt.
Edzards Bemühungen um die Juden bedeuteten nun nicht, dass
er ihnen in der Stadt und in dem Gemeinwesen eine Stellung
eingeräumt wissen wollte, wodurch jene ihren christlichen Charakter
verlören; modern - humanistische Emancipationsgedanken lagen
ihm völlig fern. Die Juden hatten in Hamburg nicht das Recht,
Häuser von Christen als Eigenthum zu erwerben; unter der Hand
geschah das jedoch hier und da, und behielt alsdann das be-
treffende Haus nur dem Namen nach seinen christlichen Besitzer.
Ein Jude erwarb ein derartiges Haus und entfernte dann von
demselben die lateinische Ueberschrift „Christus ist unser Heil".
Sobald Edzard dies erfuhr, klagte er bei der Obrigkeit, und der
Jude wurde hierauf genöthigt, die alte Ueberschrift in goldenen
Buchstaben am Hause wieder anzubringen. Ebenso Hess Edzard
es nicht zu, dass Juden, weil das Gesetz ihnen nur im gegenüber-
gelegenen Altona synagogale Zusammenkünfte gestattete, solche
in Hamburg abhielten, wie er denn auch die Wegnahme von
Büchern, welche ihnen zu halten nicht gestattet war, veranlasste.
Aber die äusseren Schranken für die Juden festzuhalten,
war nicht die eigentliche Aufgabe, welche er sich denselben
gegenüber gesteckt hatte, sondern diese galt ihrer Bekehrung;
— ioS —
und die Ereignisse der Zeit bestärkten ihn noch in dem Vorsatze,
den Juden das Evangelium nahe zu bringen. Der falsche Messias .
Sabbathai Z e b i fand damals auch unter den Juden in Hamburg
einen grossen Anhang, und selbst Christen wurden über den
Nachrichten von seinen Wundern stutzig. Edzard aber bezeugte
beiden, dass jene angeblichen Wunder lauter Lug und Trug seien.
Und als nun Zebi vom Sultan Muhammed IV. vor die Wahl
gestellt, lebendig gespiesst zu werden oder den Islam anzunehmen,
das Letztere that, fand Edzard mit seinem Zeugnisse desto mehr
Eingang auch unter den Juden. Ein Schullehrer an der deutschen
Judengemeinde, Jakob Melammed aus Cornitz gebürtig, später
Talmudlehrer in Krakau und Wien und endlich in Hamburg, der
hernach den Namen David Hieronymus annahm, *) hatte ganz
besonders fest an Zebi geglaubt. Ein ganzes Jahr lang hatte
er täglich bis zum Abend gefastet, um bei der Ankunft des
Messias desselben' würdig erfunden zu werden. Da jener nun
aber als Betrüger entlarvt wurde, kam Jakob Melammed zu
Edzard in der Nacht, und nachdem er die ganze Nacht hindurch
bis zum frühen Morgen das Zeugniss des christlichen Gelehrten
gehört hatte, ging ihm in der Frühe des neuen Tages auch das
Licht Christi auf. Er Hess sich dann mit seiner Frau und drei
Kindern taufen und blieb trotz aller Nachstellungen der Juden
dem christlichen Glauben treu. Den meisten Theil seines weiteren
Lebens brachte er hernach in Berlin zu und hat mehrere Juden für
das Christenthum gewonnen. Die Juden aber bestachen zuletzt
Matrosen, welche ihn auf der Strasse überfielen und so* miss-
handelten, dass er an den empfangenen Wunden 1 713 starb.
Hieronymus ging aber im lebendigen Glauben heim, und die
Seinen blieben rechtschaffene Christen.
Der klägliche Ausgang Zebis hat übrigens auch andere
Juden, welche ihn für den erschienenen Messias gehalten hatten,
in die christliche Kirche geführt, so den Moses Ben Aron,
welcher sich 1696 in Schweinfurt taufen Hess.
Unter den sonst durch Edzard gewonnenen Juden haben
mehrere ein öffentliches Amt in der Kirche und im Staate
bekleidet. Der Sohn eines angesehenen Rabbinen, Jeschurun
mit Namen, auf welchen Edzard einen tiefgehenden Eindruck
gemacht hatte, wurde von seinem Vater, um vor dem Abfalle
<) Schudt. Denk-.v. 2 b 56, 4 b 242. Wolf B.H. 1, 3. 487.
— 109 ~~
bewahrt zu werden, nach der Insel Barbados geschickt; zurück-
gekehrt wurde er aber dennoch Christ. Auch der Oberrabbi
Cohen de Lara war, je länger er mit Edzard verkehrte, der
christlichen Wahrheit desto näher gekommen. Wenige Tage vor
seinem Tode hatte dieser Rabbi mit dem christlichen Gelehrten
ein Gespräch, in welchem dies deutlich zu Tage trat. Erkrankt
Hess Cohen de Lara Edzard rufen und derselbe verkündigte ihm
bei dieser Gelegenheit noch einmal die Rechtfertigung des Sünders
durch Jesum Christum allein. Zwei Tage nach diesem Gespräche
ist Cohen de Lara gestorben. Er selbst allerdings empfing die
Taufe nicht, aber einer von den Juden, welche das Zeugniss
Edzards am Sterbebette ihres Oberrabbiners gehört hatten, meldete
sich danach zum Unterrichte und wurde getauft.
Die Zahl der Juden, welche durch Edzard der christlichen
Kirche zugeführt wurden, belief sich auf mehrere Hunderte. Es
kam vor, „dass sich zuweilen in einem Jahre 30 bis 40 Seelen zur
christlichen Religion begaben"; und in dem sogenannten Kassa-
buch, welches die Rechnungen über die zum Besten von Prose-
lyten und Katechumenen eingelaufenen und ausgegebenen Gelder
enthält, findet sich die Bemerkung, dass im Jahre 1 705 86 arme
und nothleidende bekehrte Familien aus der Kasse eine Unter-
stützung erhalten mussten. Die Taufen geschahen so häufig, dass
es zuletzt schwer wurde, für die Täuflinge Pathen zu erhalten,
und Edzard viele der von ihm Unterrichteten in andere Gegenden
schickte, damit sie dort die Taufe empfingen. „Kaum der vier-
zigste Theil" der von Edzard Gewonnenen wurde hernach untreu,
und viele der Getauften waren später eifrig bemüht, ihre
früheren Glaubensgenossen für Christum zu gewinnen. Edzard
Hess aber nur denjenigen die Taufe ertheilen, welche sich bereit
erklärten, einen bestimmten Lebensberuf zu erwählen, von dem
sie sich ernähren konnten, und brachte besonders viele seiner
Proselyten bei der Hamburger Stadtwache an.
Sein Sohn Elieser schrieb 1725 an den Senat von Ham-
burg, dass, „da es Gott gefallen, aus den allhier getauften Familien
Prediger und andere gelehrte Männer, Offiziere, Handwerker und
andere feine Leute hervorgehn zu lassen, auch so viele derselben
im christlichen Glauben bis ans Ende beharrt haben", der obrig-
keitliche Schutz dem Werke weiter erhalten bleiben möge.
51 Jahre hindurch hielt Edzard an jedem Mittwoch und
Sonnabend eine Katechismusstunde für die bekehrten Juden, zu
— IIO
der sich übrigens auch christliche Kinder und Erwachsene ein-
fanden, und in seinem Hause war er für Juden und Proselyten
ebenso wie für jeden anderen, welcher seine Belehrung begehrte,
täglich zu festgesetzter Stunde zu sprechen.
Aber es war allerdings zugleich sein Wunsch und Wille, dass
andere es lernen möchten, in gleicher Weise Hand an die Mission
unter den Juden zu legen. Und so ertheilte er denn auch an
Christen Unterricht zu dem bestimmten Zweck, dass sie befähigt
werden möchten, hernach ein Zeugniss unter den Juden abzu-
legen. Jeden Freitag kamen zu ihm Studenten, um sich bei ihm
im Rabbinischen zu üben, wobei er dann gewöhnlich einen Kom-
mentar zum Alten Testamente Michlaljophi von Rabbi S a 1 o m o n
Ben Melech zu Grunde legte. Nachmittags von i bis 4 oder
bis 5 Uhr kamen Schüler, Knaben, Studenten, Bürger und alle
möglichen Zuhörer, oft 50 bis 60 mit dem hebräischen Alten
und dem griechischen Neuen Testamente, um Unterweisung von
Edzard in der Schrift aus dem Urtexte zu erhalten. Solchen,
die Näheres zu hören wünschten, wurde es gestattet, ihre Fragen
nach den betreffenden Stunden Edzard vorzulegen.
Aus ganz Deutschland, England, Schweden, Norwegen,
Dänemark, Livland, Finnland, Polen, Ungarn und Siebenbürgen
strömte man nach Hamburg, um Edzards Unterricht im Rabbi-
nischen und seine Anleitung für den Verkehr mit den Juden zu
gewinnen. In Folge dessen nahm er, der überhaupt ein herrisches
Wesen an sich trug und sehr heftiger Natur war, die keinen
Widerspruch vertrug, leicht den Ton einer gewissen Unfehlbarkeit
an. Das schreckte die Leute jedoch nicht ab. Wülfer, Danz,
Schudt, Hermann von der Hardt, Dassov, Zeltner, Dav.
Clodius, Tilemann, Andr. Rivinus, Aug. Pfeiffer, Herrn.
Muhlius, Steph. Masius, Albert von Holten, Heinr. Majus,
Hankeimann, Gutbier, Dedekennus, Aug. Herrn. Franke
haben zu seinen Füssen gesessen. Spener wies seine Schüler
auf denselben hin und rieth ihnen, eine Zeitlang nach Hamburg
zu gehen und die Unterweisungen von Edzard zu geniessen. Die
Früchte der Anregungen, welche derselbe gab, sehen wir denn
hernach auch überall in der evangelischen Kirche und nicht bloss
in derjenigen Deutschlands zu Tage treten; sie bestanden beson-
ders in einer erhöhten Zuversicht für das Missionswerk unter
den Juden.
— III —
Edzard war übrigens, wie schon vorher bemerkt war, nicht
bloss bestrebt, die Juden zur Erkenntniss Christi zu führen, son-
dern auch die äusseren Verhältnisse der Proselyten zu sichern;
denn gerade dadurch, dass dies an den meisten andern Orten
zu wenig geschah, hat das Missionswerk unter den Juden in der
früheren Zeit ausserordentlich gelitten. Während er also für
den Unterricht, welchen er erth eilte, auch von wohlhabenden
Christen keinerlei Entgelt selbst annahm, sah er es doch gern,
wenn man für die Proselytenkasse, die er errichtet hatte, bei-
steuerte. Er selbst legte den Grund zu derselben durch Schenkung
von 200 hamburgischen Thalern im Jahre 1667, und andere
lieferten zum Theii recht ansehnliche Beiträge. Auch Vermächt-
nisse flössen der Kasse zu, und ein Kollektenbuch, welches die
empfangenen Gaben verzeichnete, führt noch heute den Nachweis
über die eingegangenen Gelder und die Geber. Schon 1675
hatte die Kasse eine Jahreseinnahme von über 1000 Mark, her-
nach 2000 und darauf sogar 3000, später aber nahm dieselbe
wieder ab. Doch besteht diese Kasse noch heute und dient den
von Edzard bestimmten Zwecken. Nach dem Tode desselben
stand sie unter seinen Söhnen; jetzt, nachdem die Familie Edzard
ausgestorben ist, befindet sie sich unter der Verwaltung des Ham-
burger Senates, der sie durch 5 Administratoren verwalten lässt.
Auch die Kosten für allerlei Missionsschriften, z. B. für einen
Katechismus, der nach Edzards Anweisungen für die Proselyten
abgefasst worden ist, wurden aus dieser Kasse bestritten.
Der ausserordentliche Erfolg, welchen dieser Mann in seinen
Missionsbemühungen um die Juden aufzuweisen hatte, veranlasste,
wie schon früher erwähnt, viele, ihn um die Methode zu befragen,
die man anwenden müsse, um die Juden zu Christo zu
führen. Er antwortete hierauf, dass er keine Methode kenne,
die in allen einzelnen Fällen anzuwenden sei, oder die gewissen
Erfolg verspreche. In jenen Fehler der Ueberschätzung einer
Methode oder einer verstandesmässigen Ueberführung des Men-
schen, in welchen jene Zeit sehr leicht und gern verfiel, ist
Edzard nicht gerathen. Aber die Erfahrungen, welche er in
seinem vielfältigen Verkehre mit Juden und in seinen Bemühungen
um die Gewinnung derselben gemacht hatte, wollte er allerdings
nicht zurückhalten. Er habe, so erklärte er, bei den Juden stets
darauf einen besonderen Nachdruck gelegt, dass es unmöglich
sei, das Gesetz Gottes recht und nach dem eanzen Ernst seiner
112 —
Forderungen zu erfüllen, und eben desshalb auch unmöglich, dem
Fluche, welcher auf die Uebertretung des Gesetzes gelegt ist, zu
entgehen. Damit habe er den Juden die Notwendigkeit
einer Versöhnung fühlbar zu machen gesucht, aber ihnen dann
auch alle falschen Versöhnungsmittel zu Schanden gemacht und
ihnen gezeigt, dass es keine andere wahrhaft zureichende Ver-
söhnung gebe, und auch das Alte Testament von keiner anderen
wisse, als die Versöhnung durch den Messias. Diesen habe er
sich hierauf bemüht den Juden aus dem Alten Testamente und
aus den Schriften ihrer bekanntesten alten Lehrer so darzustellen,
wie er von der christlichen Kirche erkannt und angenommen
worden sei. Einen solchen Weg habe der Apostel Paulus besonders
eingeschlagen, und eben darum habe er, Edzard ihn auch am
liebsten verfolgt, um auf demselben vielfach zu schönen Er-
fahrungen zu gelangen.
Rastlos fuhr Edzard in dieser Arbeit bis an sein Ende
fort und achtete auch die zunehmende Schwäche nicht. Erst zwölf
Tage vor seinem Tode ergab er sich und legte sich zu Bett,
am 21. Dezember 1707. Tag und Nacht beschäftigte er sich auf
seinem Lager mit dem Worte Gottes. Am 30. Dezember Hess
er seine Söhne zu sich rufen , ermahnte sie an der Augsburgi-
schen Konfession und den übrigen lutherischen Bekenntnissschriften
mit aller Treue festzuhalten und sich vom lutherischen Glauben
durch kein Unglück oder Verfolgung abwendig machen zu lassen.
An demselben Tag Hess er aber auch die Proselyten, welche in
seinem Unterrichte standen, noch an sein Bett kommen und er-
mahnte sie, im wahren Glauben Zeit ihres Lebens zu bleiben,
wobei er ihnen aus der hebräischen Bibel mehrere Sprüche vor-
las, welche sie besonders zur Standhaftigkeit ermuntern sollten.
Am 2. Januar 1708 starb er dann in einem Alter von j6 lfa Jahren.
Aus seiner Ehe mit Jungfrau Angelica Less stammten
8 Söhne und 2 Töchter. 4 Söhne überlebten den Vater und
sind dem Beispiele desselben auch in seiner Missionsarbeit an
den Juden treu gefolgt. Den Geist des Vaters hatte freilich
keiner derselben, und so vermochten sie auch das Missionswerk
nicht in der früheren Blüthe zu erhalten; die letztere war vielmehr
eine besondere Wirkung der bedeutsamen Persönlichkeit des
Vaters gewesen. Der älteste Sohn Jodocus Pancratius reiste
schon als Student vielfach an Orte, wo sich eine grössere Zahl
von Juden aufhielt und disputirte mit ihnen. So hat er unter
— ii3 —
anderem in der Synagoge zu Frankfurt a. M. mit dem berühmten
Rabbi Abendana aus Oxford eingehender über den Glauben
verhandelt, und nicht wenige sollen durch ihn überzeugt worden
sein. Eine Universitätsprofessur und ein öffentliches Amt schlug
dieser älteste Sohn Edzards ebenso wie sein Vater aus, um
demselben in seinem Hamburger Werke recht behilflich sein zu
können, starb aber schon vor dem Vater im Jahre 1703.
Der zweite Sohn, Georg Elieser, wurde Rektor und der
vierte, Sebastian, Professor am akademischen Gymnasium zu
Hamburg. Georg Elieser hat z. B. zwei Kapitel des talmudi-
schen Traktates Aboda Sara und ebenso Kapitel 1 des Traktates
Berachoth aus der Gemara ins Lateinische übersetzt. Aber diese
wie auch andere im lutherischen Interesse von ihm verfassten
Schriften sind überwiegend polemischen Inhalts und im Tone der
Streitschriften des 17. Jahrhunderts gehalten.
Sebastian trat mehr in des Vaters Fusstapfen und hat
z. B. im Jahre 171 5 in Hamburg 24 Juden, die er vorher treu-
lich unterrichtet hatte, zur Taufe gebracht.
Der dritte Sohn, Johann Esdras, wurde lutherischer Pastor
in London und hat daselbst nach dem Zeugnisse des Bischof
Kidder gleichfalls mehrere Juden getauft. Der letzte Edzard
war ein Enkel Lic. jur. Hieronymus, gestorben 1760.
Hamburg zeigte in jener Zeit überhaupt das lebhafteste
Interesse an der Bekehrung der Juden. Seit Pastor Joh. Müller
daselbst sein grosses Werk Judaismus detectus geschrieben hat,
sehen wir die dortigen Theologen ununterbrochen den Juden,
wenn auch in verschiedener Weise, ihre Theilnahme zuwenden.
Prediger M. Georg Dedekennus gab einen Thesaurus consilio-
rum theol. et juridic, eine Reihe von Gutachten, Jena 1671, über
die Verhältnisse der Juden heraus. Pastor Balth. Schuppius
forderte, dass man aufhöre von der Kanzel herab mit den Juden
zu disputiren und dass man ihnen vielmehr ernstlich das christ-
liche Zeugniss entgegenbringe. Die Professoren Hankeimann
und G u t b i e r in Hamburg, von denen der letztere auch Einiges
über rabbinische Studien erscheinen Hess, beförderten Edzards
Unternehmen treulich. Jo. Christophor. Wolf schuf das grosse
Werk: die Bibliotheca Hebraea, und in der ganzen nächsten
Folgezeit noch ist Hamburg ein für Judenmissionsbestrebungen
besonders empfänglicher Boden.
J. F. A. de le Roi, Missionsbeziehungen. S
— im —
d. Die Proselyten dieser Zeit in Deutschland.
Recht hervorragende und in das allgemeine deutsche Leben
tiefer eingreifende Männer treten uns unter den evangelischen
Proselyten dieses Zeitraums nicht entgegen; doch verdienen es
mehrere, mit Achtung genannt zu werden.
Fetrus Flegel war Professor des Hebräischen in Strass-
burg, wo er auch 1564 starb. Ausser ihm begegnen uns noch
andere Proselyten in dieser Zeit, welche Lehrer des Hebräischen
und orientalischer Sprachen an Universitäten, Gymnasien oder
in privater Stellung sind. Solche besonders, die früher Rabbiner
gewesen waren, suchten sich in jenem Berufe ihr Brot zu er-
werben, hatten aber vielfach mit kümmerlichen Verhältnissen zu
kämpfen.
Wir nennen hier Lucas H e 1 i c aus Posen, der Mitglied der
mährischen Brüder -Unität war und seiner trefflichen hebräischen
Kenntnisse halber zur Uebersetzung der Kralitzer Bibel um 1 5 70
herbeigezogen wurde. Helic erhielt 15 18 die Ordination der
mährischen Brüder und Hess auch seine Predigten drucken, be-
reitete aber durch ein unstetes Wesen der Unität viele Noth,
so dass er schliesslich keine amtliche Stellung in derselben inne
hatte. 1598 wird zum letzten Male seiner in den Akten der
mährischen Brüder gedacht.
Johann Adrian aus Emden,*) der 1607 in Frankfurt getauft
wurde, war Lehrer Trotzendorfs im Hebräischen und richtete
ein Send- und Warnungsschreiben an die Juden (Wittenberg
1609), in welchem er gegen seine früheren Glaubensgenossen
sehr hart auftritt.
Michael G ellin g,**) geboren 1597, getauft 16 16, übersetzte
in Hamburg 1633 aus dem Hebräischen zur Widerlegung der
Juden und zur Verbreitung der Wahrheit des dreieinigen Gottes
unter ihnen die jüdische Streitschrift Chisuk Emunah ins Deutsche.
Diese Arbeit blieb aber zunächst Manuscript. D. Joh. Müller
hat dann in seinem Judaismus detectus dieses Manuscript viel-
fältig benutzt, aus seinem Besitz aber ist es durch Erbschaft auf
M. Chr. Ziegra übergegangen. Ueber dieses Manuscript theilt
dann Wolf in seiner Bibliotheca Hebraea 4 S. 639 Ausführliches
mit und bringt hier auch eine Probe der Gelling'schen Ueber-
*) Wolf B.H. 1, 3, N. 809.
**) Wolf B.H. 4 N. 1412 b und S. 639.
— ii5 —
Setzung bei. M. Chr. Ziegra hat später in den Unschuldigen
Nachrichten von 1753 „eine historische Nachricht von der
Gelling'schen Uebersetzung des Chisuk Emunah" geliefert; und
hier erfahren wir, dass Gelling auch einen hymnus jambicus in
nativitatem Jesu Christi 163 1 herausgegeben hat. Nach Ziegras
Mittheilungen stand Gelling mit Hugo Grotius in Verbindung,
scheint aber, obwohl er von jenem bedeutenden Theologen und
von anderen Gelehrten um seiner hervorragenden Kenntnisse
willen geschätzt wurde, keine feste Anstellung gefunden zu haben.
Seine späteren Schicksale sind unbekannt geblieben.
Als Professor wirkte am Gymnasium zu Danzig Johannes
S a 1 o m o.*) Derselbe stammte aus Posen und war Rabbiner
unter den Juden gewesen. 1656 wurde er, weil er für etliche
Juden Bürgschaft geleistet hatte, die hernach ihren Verpflich-
tungen nicht nachkamen, ins Gefängniss geworfen. Hier hatte auf
seine Bitten Pastor Joh. B o 1 1 s a c mit ihm eingehende Gespräche
über den Glauben, und das hatte die Folge, dass sich Salomo
nach seiner Entlassung aus dem Gefängnisse 1657 taufen Hess.
Alles dies berichtet Joh. Salomonis historia conversionis et nar-
ratio colloquii inter illum et Bottsacum per Septem congressus.
Im Jahre 1659 wurde er Professor des Hebräischen am Gymnasium
der Stadt und starb dort 1683 im Alter von 60 Jahren. Von
ihm werden im Ganzen zehn Schriften erwähnt, durch welche er
die Bekehrung der Juden und die Kenntniss des Hebräischen
unter der christlichen Jugend befördern wollte. Seine confessio
fidei Christianae Danzig 1656 und 1658 ist hebräisch und deutsch
geschrieben. Bemerkenswerth sind sonst seine t,1/ Demonstrationes,
Jesum verum et aeternum cum Patre et Spiritu Sancto esse Deum,
lat., Frankfurt 1660. Knapp, logisch, klar und durchsichtig führt
er hier unter Benützung der jüdischen Literatur seinen Beweis.
Die Schrift: „Drei Blumen aus dem orientalischen Garten", Danzig
1675, ist hebräisch verfasst mit daneben gestellter deutscher
Uebersetzung. Ebenso ist „Zertheilte Finsterniss" oder Wider-
legung des Buches von Rabbi Saadia Gaon von der Erlösung
und Bekehrung Israels hebräisch und deutsch erschienen. Danzig
1681. Das Hebräische ist lesbar, seine Art, die Juden anzureden,
eine ebenso ernste als gewinnende.
*) Wolf B.H. 1, 3 N. 824. Athenae Gedanenses von Ephraim Praetorius
.eipzig 17 13.
— n6 —
Docent der orientalischen Sprachen in Jena war Ernst
Christian Zarfosi.*) M. Michael Beck aus Ulm, der bei ihm
als Student Vorlesungen gehört hatte, hat ihn in einem hebräi-
schen und deutschen Gedichte besungen: Proselytus genuinus.
Als Jude Abraham Sachs genannt, ist er in Krakau geboren
und war dann 18 Jahre hindurch ein recht berühmter Rabbi in
derselben Stadt. 1668 wurde er in Gotha getauft. Beck rühmt,
dass er sich unter den Proselyten des Jahrhunderts durch seine
Treue, Frömmigkeit und Gelehrsamkeit ausgezeichnet habe.
Unter den Juden in Hamburg und Altona hat er, von Esdras
Edzard und Hankeimann unterstützt, mit solchem Erfolge gewirkt,
dass sich 28 derselben zur Taufe bewegen Hessen.
Durch die Bewegung, welche der falsche Messias, Sabbathai
Zebi, hervorrief, zum Nachdenken veranlasst, wandte sich Salomo
Ben Meir zum Christenthum**) und wurde 1673 in Nordhausen
getauft; seitdem führte er den Namen Christophorus Paul Meyer.
Er gab dann zunächst eine Schrift: „Jüdischer Narrenspiegel"
heraus, Wittenberg 1679, in welcher er die Erwartung eines
weltlichen Messias unter den Juden geisselte. Ausserdem er-
schienen von ihm mehrere polemische Schriften gegen die Juden,
welche aber keinen besonderen Werth beanspruchen können.
Doch war er ein überzeugter Christ und wird als solcher von
Professor Sennert in Wittenberg, Dieffenbach und Schudt
gerühmt. Auch er hat sich durch Unterrichtgeben im Hebräischen
auf der Universität erhalten; nach 16S4 hielt er sich in Witten-
berg auf.
Ebenso wirkte Fr. Wilh. Bock***), früher Rabbi Isaak, als
Docent des Hebräischen in Frankfurt a. O. und hat Abraham
Jageis Lekach Tob oder Judenkatechismus deutsch in Leipzig
169.4 erscheinen lassen. Lehrer des Hebräischen und Rabbinischen
war gleichfalls Christian Leberecht Fels.f) 1640 geboren, wurde
er später Rabbiner in Prag. Als er sich in Cöthen taufen Hess
und dann sein bedeutendes väterliches Erbtheil in Prag bean-
spruchte, wollte ihm die dortige Obrigkeit dies nur in dem Falle
aushändigen, dass er katholisch würde. Daraufging Fels aber nicht
*) Wolf B. II. 3, 4N. 217b, Fr. A. August! in Frommer Proselyten Trost,
Erfurt 1755.
**) Wolf B. H. 1,4 N. 1899.
**♦) Wolf B. II. 1 N. 1850.
f) Wolf B. H. 1, 3 N. 1897.
— ii7 —
ein und verlor so das Seine. Die ersten Jahre nach der Taufe
fand er kein beständiges Brot, sondern wanderte hin und her,
dasselbe zu suchen, später unterrichtete er an verschiedenen Gym-
nasien und Universitäten als Lehrer des Hebräischen und Rab-
binischen. Um die Juden von der Wahrheit des Christenthums
zu überzeugen, schrieb er deutsch Hodegus Judaeorum oder
Wegweiser der Juden, Frankfurt und Leipzig 1703 und dann
öfters. In diesem Dialoge suchte er die Richtigkeit der christ-
lichen Lehre gegen die jüdischen Einwendungen aus der Schrift,
den Targumim, Talmud und Rabbinen zu beweisen. Auch den
Grafen Günther von Schwarzburg unterrichtete er im Hebräi-
schen und Rabbinischen und Hess 1697 eine hebräische Grammatik
zu Sondershausen in lateinischer Sprache unter dem Titel: Bre-
vis et perspicua via ad linguam sanctam erscheinen. Nicht weniger
als 32 Juden sind durch ihn zur Annahme des Christenthums
bewogen worden. Um seiner Kenntnisse willen erhielt er hernach
die Stelle eines ausserordentlichen Professors in Wittenberg
und schrieb hier 1700 Brevis et perspicua via ad accentuationem.
Durch den Krieg aus Wittenberg vertrieben, begab er sich nach
Verden und Lübeck, wo er weiter hebräischen Unterricht ertheilte.
Er starb 17 19 zu Hamburg im treuen Glauben.
Im 17. Jahrhundert treffen wir aber auch die ersten Geist-
lichen unter den protestantischen Proselyten an. Einige deutsche
Proselyten sind es gewesen, die zuerst ein Pfarramt in der evan-
gelischen Kirche verwaltet haben. Der erste derselben war der
vortreffliche Christian Gerson. Wie es erklärlich ist, zog der-
selbe in den weitesten Kreisen der evangelischen Kirche die Auf-
merksamkeit auf sich, und sind desshalb auch die Mittheilungen
über denselben recht eingehende.*) Männer wie Wagen seil,
J. B. Carpzov, Arnold in seiner Kirchen- und Ketzer -Historie,
Richard Simon, Reimmann u. a. haben seiner rühmend gedacht.
Christian Gerson ist am 1. August 1567 in Reklinghausen
oder Recklichhausen im Kurfürstenthum Cöln geboren. Der Vater,
Meyer Biberach, gab ihm selbst den Namen Gerson. Seine
Jugend hat er auf verschiedenen hohen jüdischen Schulen zu-
gebracht, worauf er Talmudlehrer in mehreren Städten des west-
lichen Deutschlands wurde, z. B. in Frankfurt a. M., Trier und
*) D. Beckmann über die Historie des Fürstenthums Anhalt 7 c. 3, 339 ff.
Schudt Denkw. 4, 2 Forts. 294 ff. a. a. Ü. Wolf B. H. 1, 4 N. 1896; 4, S. 462,
965. Dibre Emeth 1879, N. 7 — 10. Kaikar 151.
— nS —
Essen. Da ihm der Ruf eines gelehrten Mannes voranging, hatte
er stets viele Schüler. 1595 verheirathete er sich mit einer Jüdin
Bräunichen, welche ihm zwei Söhne schenkte, von denen aber
nur der älteste am Leben erhalten blieb. Ueber seine Verhält-
nisse als Jude hat er selbst in "der Widmung zu seiner Schrift:
„Jüdischer Talmud" an Heinrich Julius, Herzog von Braun-
schweig-Lüneburg (Geraer Ausgabe vom Jahre 1613) nähere
Auskunft gegeben und dort auch seine Bekehrungsgeschichte er-
zählt; in den neueren Ausgaben fehlt diese Widmung.
Im Jahre 1610 entlehnte eine arme christliche Nachbarin
von ihm 8 Weisspfennige und gab ihm als Unterpfand für das
geliehene Geld das Neue Testament in lutherischer Uebersetzung.
Gerson war begierig die Lehre der Christen einmal ordentlich
kennen zu lernen, um zu erfahren, „was es doch für ein kräftiger
Irrthum wäre, der so viele hunderttausend Seelen, alle Christen
verführt, in dem sie ja doch nur die Verdammniss davontragen
müssten". Mit seinen beiden Schwägern las er also unter viel
Spott und Lästern das ganze Neue Testament, aber ein Stachel
blieb doch in seiner Seele zurück. Besonders war es ihm auf-
gefallen, dass Christus und seine Apostel im Neuen Testamente
sich so oft auf das Alte Testament beriefen. Darum las er das
Buch noch einmal heimlich für sich und verglich hierbei beson-
ders die angeführten alttestamentlichen Sprüche mit dem hebräi-
schen Urtext. „Da fand ich denn ein solches Licht, dass ich
billig Gott dem Herrn dafür die Tage meines Lebens zu danken
habe." Besonders das sündliche Verderben des eigenen Herzens
wurde ihm unter diesem Lesen der Schrift offenbar.
Seine Gedanken aber durfte er Niemand offenbaren und
gerieth darüber in einen vier Wochen anhaltenden Zustand
solcher Angst und Traurigkeit, dass ihn der Schlaf floh, und
alle Speise ihm zuwider wurde. Er selbst erkannte jetzt aber,
dass es so mit ihm nicht weiter gehen könne, und daher wandte
er sich nun an Herzog Heinrich von Braunschweig, dessen mäch-
tigen Schutz gegen die spanischen Soldaten einst die Reckling-
hauser erfahren hatten. Dieser Fürst nahm ihn freundlich in
Halberstadt auf, liess ihn fast ein Jahr lang unterrichten und da
er in dieser Zeit sich bewährte, wurde er am 19. Oktober 1600
von Pastor D. Silberschlag an St. Martin in Halberstadt getauft.
Gerson hatte aber für seinen Uebertritt viel opfern müssen.
Die Juden hielten ihm all' das Seine zurück und er war desshalb
— ii9 —
völlig auf die Wohlthätigkeit der Christen angewiesen. Doch
griffen ihm fromme Leute unter die Arme und vom Fürsten
unterstützt ernährte er sich dann durch Privatvorlesungen über
die hebräische Sprache in Helmstädt. Einem Rufe des Königs
von Dänemark folgend unterrichte er später auch Studenten in
Kopenhagen im Hebräischen und ertheilte hernach selbst noch
in seiner Stellung als Geistlicher bis kurz vor seinem Tode ver-
schiedenen Personen hebräischen Sprachunterricht. Zu seinen
Schülern gehörten einige Fürsten. Gelehrte Kenner des Hebräi-
schen, wie besonders Buxtorf, standen mit ihm in beständigem
Verkehre, und jener berühmte Orientalist zumal hat Gersons
Kenntnisse rühmend anerkannt.
Das Schmerzlichste war für Gerson bei seinem Uebertritt
gewesen, dass ihm die Juden seinen Sohn geraubt hatten; erst
nach fünf Jahren entdeckte er denselben in Windeck (Hanau).
Am 8. Dezember 1605 wurde dann auch dieser Sohn getauft
und erhielt die Namen Philipp Friedrich; auch ein Bruder Gersons
wurde Christ und hiess von da ab Stephanus; derselbe fiel als
Soldat in den Niederlanden. Der Sohn ist später Kantor in
Koswigk (Anhalt) gewesen. Gersons Ehefrau dagegen wollte
ihrem Manne nicht folgen und so wurde er 1605 von derselben
geschieden; auch seine Mutter und Schwester folgten ihm zum
tiefsten Schmerz seines Herzens nicht nach.
Seine ungemeine Vertrautheit mit der heiligen Schrift
veranlasste seine Freunde ihn zu bitten, dass er sich doch im
Predigen üben möchte. Anfangs wies er dieselben ab, aber am
Pfingstmontage 1608 liess er sich bewegen, in dem Magdeburgi-
schen Bendorf seine erste Predigt zu halten, der bald andere
folgten. Gerson besass in der That eine besondere Predigtgabe;
seine Schriften zeigen es, dass er in herzandringlichster Weise
und mit grosser Ueberzeugungskraft zu reden wusste. Sein Stil
war überdem ein bei weitem natürlicherer und ansprechenderer
als der seiner meisten Zeitgenossen. Derselbe ist von der da-
maligen Schwerfälligkeit und Undurchsichtigkeit durchaus frei,
und seine Rede ergiesst sich oft in wohlthuendstem Flusse. Nur
vortheilhaft hat es auf ihn gewirkt, dass er nicht den gewöhn-
lichen Studiengang seiner Zeit, welcher so leicht zu blosser
Häufung des gelehrten Wissens in den Köpfen führte, gegangen war.
Selbst den Zeitgenossen fiel seine Art auf und sie rühmten „seine
gute natürliche Methode" und „die feine Popularität seiner Predigt".
— 120 —
Durch seine Beredtsamkeit machte er ein solches Aufsehen,
dass ihm verschiedene Stellen im Magdeburgischen und Halber-
städtischen angeboten wurden. Da aber seine Anschauungen
über die Abendmahlslehre allmählich reformirte geworden waren,
vermochte er in jener lutherischen Gegend nicht ein Amt anzu-
nehmen. Dagegen schlug er die reformirte Diakonatsstelle „Auf
dem Berge vor Bernburg" nicht aus und trat dieselbe nach zurück-
gelegter Prüfung am 8. März 1612 an, später 1621 wurde er
Pastor an derselben Kirche.
Nach erfolgter Scheidung von seiner jüdischen Frau hei-
rathete er Anna Halidt und überlebten ihn aus der Ehe mit
derselben ein Sohn und zwei Töchter. In seinem Hause waltete
er als ein rechter Priester und verweilte am liebsten im Schoosse
der Familie. Sein Amt hat er mit der grössten Treue und un-
ermüdlichem Eifer ausgerichtet, der Jugend und der Kranken
sich noch besonders angenommen und kein Ansehen der Person
gekannt. Mit seiner Umgebung verband ihn aber das freund-
lichste Verhältniss. Manche äussere Noth, die ihn traf, trug er
willig, und den Armen war er stets ein hilfsbereiter Freund.
Für seine früheren Glaubensgenossen schlug stets sein Herz.
Er wollte sich nicht, wie es leider damals so manche Proselyten
thaten, das Zutrauen der christlichen Umgebung durch Schmä-
hungen auf die Juden erwerben, sondern vertrat ihre Sache stets
vor den Christen. Treulich vertheidigte er sie z. B. gegen die
falsche Beschuldigung, dass sie Blut von Christen gebrauchten.
Aber freilich beschönigte er auch ihre Sünden nicht und bezeugte
den Juden mit allem Ernst, dass ihr Heil allein in Christo zu
finden sei, und sie zur Erkenntniss Christi zu führen, war ein
Hauptanliegen seines Lebens.
Desshalb verfasste er für seine früheren Glaubensgenossen
zwei Schriften, von denen die erste besonders bekannt geworden
ist. Die zweite Schrift „Talmudischer Judenschatz", d. i. eine
Abhandlung über den Traktat Chelek aus dem Buche Sanhedrin
im vierten Theil der Gemara, Helmstädt 16 10, brachte eine
deutsche Uebersetzung jenes Traktates mit Anmerkungen. Gerson
wollte hier vorzüglich auf drei Punkte eingehen: erstens auf die
jüdische Lehre von der Rechtfertigung des Sünders vor Gott,
zweitens auf die jüdische Lehre von der Auferstehung der Todten
und drittens auf die Messiaslehre der Juden, welche jener Traktat
besonders ausführlich behandelt. Dabei wollte Gerson den Juden
— 121 —
ihre Irrthümer nachweisen und den jüdischen Anklagen gegen
Jesum entgegentreten.
Noch bekannter aber ist seine erste Schrift: „Des jüdischen
Talmud fürnehmster Inhalt und Widerlegung" geworden. Die-
selbe erschien zuerst in Goslar 1607, die zweite und dritte Auf-
lage in Gera 161 3 und 161 8, und 1668 eine sechste Auflage in
Leipzig. Eine dänische Uebersetzung , die aber Manuscript
geblieben ist, verfertigte Th. Broderus Bircherodius, während
nach Richard Simon eine französische Uebersetzung von einem
gewissen Helvetius angefertigt durch Schuld des Buchdruckers
verloren gegangen sein soll.
Dieser jüdische Talmud zerfallt in zwei Theile, von welchen
der erste „die ganze jüdische Religion und falschen Gottesdienst
beschreibt" und der zweite „beides durch die Schrift des Alten
Testaments und den Talmud selbst gründlich widerlegt."
In der Vorrede lässt sich Gerson darüber aus, wie verkehrt
vielfach das Verfahren von Päpsten und Fürsten gewesen wäre,
die Juden zu Christo zu führen. Geistliche und Gelehrte hätten
oft die Juden literarisch überwinden wollen, aber in nicht wenigen
Fällen, ohne die Literatur der Juden recht zu kennen, oder so,
dass sie dieselbe, wie z. B. die Geheimlehre der Kabbala, aus
der alles mögliche zu beweisen sei, falsch venverthet hätten.
Nicht weniger unzureichend sei auch gewöhnlich die Weise des
Disputirens mit den Juden und dies und ähnliches ; besonders
aber habe das gewaltsame Verfahren gegen die Juden ihrer Be-
kehrung stets im Wege gestanden.
Darum wolle er nun Vorschläge machen , wie das Werk
besser anzugreifen sei. Die Obrigkeit solle dafür sorgen, dass
den Juden an passenden Orten das Evangelium rein aus Gottes
Wort verkündigt werde, und Geistliche und Gelehrte sollten nach
Luthers Rath mit den Juden „säuberlich umgehen". Weil jedoch
die Juden kaum eine Ahnung vom christlichen Glauben hätten,
so wolle er ihnen nun einmal denselben darstellen, zuerst aber
ihnen das Bild ihres eigenen Glaubens vor Augen halten; und
dies thut er dann in den beiden oben erwähnten Theilen, in 37
Kapiteln auf 283 und in 19 Kapiteln auf 210 Oktavseiten.
Der jüdische Glaube wird hier mit dem ganzen Ernste
eines Mannes, welcher die Verderblichkeit des jüdischen Systems
an sich selbst erfahren hatte, aber dabei doch ohne Bitterkeit
und Gehässigkeit und mit dem Bestreben, seine Volksgenossen
— 122 —
zur Schrift zurückzurufen, dargestellt. Ungemein ergreifend ist
dann aber der Schluss, welcher ein wahrhaft paulinisches Zeug-
niss genannt werden muss und es in überwältigender Weise zu
Tage treten lässt, wie sehr Gerson um das Seligwerden seines
Volkes gerungen hat. Den mächtigsten Eindruck macht hierbei
auch sein eigenes christliches Glaubensbekenntniss , das er in
zwölf Artikeln aus dem Alten Testamente aufstellt und besonders
die Beschreibung dessen, was ihm Christus ist und allem gegen-
über, das ihn irre machen oder schrecken wollen würde, blei-
ben soll.
Seit der Apostel Tagen hat wohl kaum ein Jude ein solches
Bekenntniss zu Christo abgelegt, wie es in diesen Schlussworten
des jüdischen Talmud von Gerson enthalten ist „Es soll dieses
Bekenntniss mein Testament und letzter Wille sein, ob ich schon
heute oder morgen in meinem Haupte irre werden oder eines
jähen Todes sterben sollte", hatte Gerson hier geschrieben, und
dieses letztere ist an ihm in Erfüllung gegangen. Als er den
25. September 1622 von der Trauung der Tochter eines Predigers,
der ihn um die Einsegnung seines Kindes gebeten hatte, am
Abend zurückkehrte, gerieth sein roher Knecht mit anderen
Kutschern in Streit und lief schliesslich davon. Die Pferde,
bereits unruhig geworden, rasten nun in der Dunkelheit mit dem
Wagen vorwärts den Berg herab und in den Fluss hinein. Die
Dunkelheit der Nacht verhinderte es, dass man dem Prediger,
welcher aus dem Wagen gefallen war, zu Hilfe kam und so er-
trank er. Superintendent Konrad Reinhardt hielt ihm die
Leichenpredigt. Bei dem Begräbniss that sich eine ungewöhn-
liche Theilnahme kund, und nur die Juden waren froh; denn
triumphirend riefen sie aus, dass Gott den Abtrünnigen vor aller
Welt habe strafen wollen.
Gerson erreichte ein Alter von über 55 Jahren und war
über 10 Jahre im Pfarramt. Sein Andenken hat die Missions-
geschichte verdientermaassen wohl bewahrt. Er hat aber auch
in würdigster Weise jene grosse Zahl von Geistlichen, die nun
allgemach der evangelischen Kirche aus jüdischen Proselyten er-
wachsen sind, eröffnet. Seine Schriften haben zum inneren Ver-
ständniss des talmudischen Judenthums nicht wenig beigetragen
und sind auch heute noch des Lesens werth. Viele Christen
haben es jedesfalls bezeugt, dass Gersons Schriften in ihnen den
Sinn für die Judenmission geweckt hätten.
— 123 —
Der zweite evangelische Geistliche aus der Zahl der bekehrten
Juden ist Victorin Christophorus Brinz oder Brenz.*) Der
Vater desselben war jener bekannte Sam. Fr. Brenz, früher Low,
der 1601 mit Frau und Kindern zu Feuchtwangen getauft wurde
und der dann in Nürnberg 161 4 den „Jüdischen abgestreiften
Schlangenbalg", eine Schmähschrift gegen die Juden erscheinen
liess, auf welche, wie früher bereits erwähnt, Rabbi Salman Zebi
mit der Gegenschrift Theriaca Judaica in jüdisch-deutscher Schrift
antwortete, Hannover 161 5. Der älteste Sohn dieses Brenz nun
war 1595 geboren und erhielt als sechsjähriger Knabe die Taufe,
bei welcher Gelegenheit er für den früheren Namen die Tauf-
namen David Victorin Christophorus empfing. Der Graf von
Oettingen liess ihn in der Lateinschule zu Feuchtwangen unter-
richten, später erhielt er eine Freistelle in der Fürstenschule zu
Heilsbronn vom Markgrafen Joachim Ernst. Nach Vollendung
seiner Studien wurde er, 24 Jahre alt, im Jahre 16 19 an der-
selben Schule als unterster Lehrer angestellt und heirathete hier-
selbst. 1624 wurde er dann Pfarrer zu Untermichelbach. Sein
Einkommen für die ganze Familie, die jetzt ausser der Frau
6 Kinder zählte, betrug nur 150 Thaler. Dabei traf ihn ein
Schlag über den anderen, und endlich kamen noch die Drang-
sale des dreissigjährigen Krieges hinzu, während dessen er öfters
von bigoten Katholiken ermordert werden sollte. Seine Frau
musste sich einmal fünf Tage nach ihrer Entbindung vor den
wilden Soldatenhorden flüchten.
Seine Lage verschlimmerte sich aber wo möglich noch, als
er 163 1 nach Auernheim versetzt wurde. Das Elend, welches
Brenz sammt den Seinen in diesem und dem nächsten Jahre
bald durch die Kaiserlichen, bald durch die Schweden zu erleiden
hatten, spottet jeder Beschreibung. Seine Pfarrei konnte ihn
schliesslich nicht mehr ernähren. Desshalb wies man ihm auch
noch Hechlingen zu, wo er aber die Versorgung der zehn Kinder
des auf der Flucht verstorbenen früheren Pfarrers mit über-
nehmen musste. Seine Frau war der Noth dieser Drangsalszeit
erlegen, er heirathete wieder, und die Zahl seiner Kinder belief
sich zuletzt auf neun. 1636 bezog er für seine beiden Pfarreien
nur sechs Gulden und so war er genöthigt, sich auf Bauernarbeit
zu verdingen. 1642 endlich besserte sich seine Lage. Helden-
f) Saat. Ostern 1866 S. 17 ff. Kaikar 174.
— 124 —
haft hatte er ausgehalten, denn sein starker Glaube hatte ihm
die Kraft hierzu gegeben. Die Anstrengungen, welche ihm jedoch
auch noch jetzt zugemuthet wurden, denn er musste zuletzt sieben
Pfarreien verwalten, untergruben seine Gesundheit; am 22. Ok-
tober 1642 starb er 47 Jahre alt, mit Hinterlassung einer Wittwe
und neun Kindern. Sein Nachfolger Zwinger heirathete die
Wittwe und wurde ihr und ihrer Kinder Versorger. Dieses zweiten
unter den evangelischen Predigern Deutschlands, welche Prose-
lyten waren, hat die Judenmission ebenso alle Ursache zu ge-
denken, weil sich sein Glaube unter den schwersten Stürmen
bewährt hat.
Der dritte der Proselyten im evangelischen Pfarramte Deutsch-
lands war M. Georg Philipp Lichtenstein.*) Derselbe stammt
aus Frankfurt a. M., wo er am 26. März 1606 geboren ist. Als
Jude hiess er Süsskind Mayer oder Meyer. Der Vater war
durch seine Geschäftsbeziehungen mit vielen frommen Christen
in Verbindung getreten. Besonders die Gottesfurcht eines christ-
lichen Kaufmannes machte auf den Vater einen grossen Eindruck,
aber auch christliche Lieder drangen demselben tief ins Herz.
Darüber erwachte in jenem Manne der Gedanke Christ zu werden,
aber seine Frau wollte von einem solchen Schritte nichts wissen;
und als es nun zur Entscheidung kam, trennte sie sich von ihrem
Manne. Sie nahm bei dieser Gelegenheit ihren jüngsten Sohn
Süsskind mit sich, und erst obrigkeitliches Einschreiten verhalf
dem Vater wieder zu seinem Sohne. Am 31. Dezember 1606
wurde dann Meyer mit drei Kindern getauft. Der Vater erhielt
die Namen Johann Daniel Lichtenstein und der jüngere Sohn
hiess fortan Georg Philipp. Der letztere empfing mit Bewilligung
des Vaters seine Erziehung bei einem Prediger, von dessen Hause
aus er auch die Schule besuchte. 1623 verliess er das Gym-
nasium mit dem Zeugnisse, dass er ein wahres Muster eines in
allen Stücken willigen und gehorsamen Schülers gewesen sei.
Hierauf bezog er mehrere Universitäten und zeichnete sich ebenso
sehr durch seine hebräischen Kenntnisse als durch seine Predigt-
eabe aus.
*) Spener, Leichenpredigten 2, 254 ff. Schudt, Denkw. 2b. 123 ff., 4,
292 ff. Fr. Alb. Augusti in „Frommer Proselyten Trost und Ermunterung zur
Glaubensbeständigkeit". Dibre Emeth 1880, S. 52 ff. Kaikar 153.
— 125 —
Nach der Universität erhielt er sogleich mehrere ehrenvolle
Berufungen zum Predigtamte. Der schwedische General Graf
Gustav Hörn begehrte ihn zum Hofprediger, aber diese, wie
andere Stellungen schlug er aus, um seiner Vaterstadt zu dienen.
1634 erhielt er denn auch eine Predigerstelle in Frankfurt a. M.
und verheirathete sich in demselben Jahre. In seiner Ehe wurden
ihm vier Söhne und drei Töchter geboren, von denen ihn jedoch
nur eine Tochter überlebte. Seine erste Anstellung fand er am
Hospital, wo er sich in aufopferndster Weise der Kranken an-
nahm; zumal in der Pestzeit hat er mit ausserordentlicher Selbst-
verleugnung seine seelsorgerischen Pflichten erfüllt. „Er hat
wohl neben einem Todten oder auf einem solchen gekniet, um
einem in den letzten Zügen Liegenden das Abendmahl zu reichen
und den Sterbenden mit dem Verdienste des Herrn Jesu zu
trösten." Mit derselben Sorgfalt nahm er sich der Gefangenen
an, und die Armen fanden in ihm einen förmlichen Vater. Er
war dann an verschiedenen Kirchen Frankfurts angestellt, zuletzt
an der Barfüsser Kirche, und erkrankte 14 Tage vor seinem Ende
auf der Kanzel. Am 6. Februar 1682 starb er im Alter von
75 Jahren nach ^8jähriger Amtsführung: „ein Licht, das sich
selbst verzehrte", wie der ihm gewidmete Nachruf sagt.
Der Juden hat er stets in Liebe und Treue gedacht, nicht
weniger als 22 derselben hat er unterrichten und taufen dürfen.
Selbst ein Spener hat ihn um seines christlichen Charakters und
seiner ausgezeichneten Amtsführung willen sehr hoch gestellt.
Als erste Pfarrfrau aus der Reihe der getauften Jüdinnen
wird die Frau des ersten evangelischen Geistlichen im Thüringi-
schen Roda mit Namen Wilhelm Köhler (bis 1565) genannt.
Näheres war über dieselbe aber nicht zu ermitteln, und gibt hier
auch die Chronik von Roda keine weitere Auskunft.
Unter den Proselyten jener Zeit befindet sich auch ein
Arzt Wilhelm Fortunat us,*) welcher durch das Studium des
Neuen Testamentes zur christlichen Erkenntniss gekommen war.
Er wurde 1639 im Badischen getauft und hat dort hernach
seinem ärztlichen Berufe gelebt.
Für viele der damaligen Proselyten war ihr Christenstand
ein fortwährendes Martyrium, weil es unter den Verhältnissen
jener Zeit sehr schwer fiel, dieselben, die ja meist in reiferen
*) Wolf b.h. 1 N. 564.
— 126 —
Jahren zum Christenthum übertraten, noch in eine Lebensstellung
zu bringen, in welcher sie sich ohne grosse Sorge den Lebens-
unterhalt erwerben konnten.
Es ist daher auch ein Beweis lauterer und hoher Frömmig-
keit, wenn manche derselben unter allem Drucke der Armuth
trotzdem ihres Glaubens froh blieben. Männer dieser Art ver-
dienen es in Wahrheit, nicht weniger genannt zu werden, als
solche, welche zu einer hervorragenden Stellung gelangt sind
oder sich durch Gelehrsamkeit bekannt gemacht haben. In ihrer
Zeit sind denn auch etliche derselben eine lebendige Predigt
und ein Beweis für viele in ihrer Umgebung geworden, dass
Juden wahrhaft zu Christo bekehrt werden können.
Unter den hier zu erwähnenden hat sich besonders die
Achtung weiter christlicher Kreise Mayer, der Sohn Arons zur
goldenen Leiter, der als Christ Joh. Bleib treu hiess, erworben.*)
Er hat seine Lebensgeschichte in einer kleinen Schrift: „Der er-
leuchtete Mayer", Frankfurt a. M. 1687, selbst beschrieben. Schon
den fünfzehnjährigen Knaben bewegte es tief, als er einst bei
der Frankfurter Peterskirche vorübergehend das Lied „Aus
tiefer Noth ruf ich zu dir" singen hörte. Hernach hat ihn der
Umgang mit einem christlichen Bürger der Stadt, der oft zu
ihm in erbaulicher Weise über Glaubenssachen redete, weitere
Veranlassung zum Nachdenken gegeben. Er lieh sich darum
auch das Neue Testament von einem anderen Juden, der es im
Geheimen viel las. Bleibtreus Schwiegervater war gleichfalls
neugierig gewesen, das Neue Testament kennen zu lernen, und
hatte den Schwiegersohn aufgefordert, sich dasselbe zu ver-
schaffen. Diesem Manne und ebenso seinem früheren Schwieger-
vater las er dann aus dem Evangelio vor. Als er aber an die
Stelle in Lukas 19 kam, wo von den Thränen geredet ist, die
Jesus über Jerusalem geweint hat, und wie derselbe hernach die
Käufer und Verkäufer mit den Worten „mein Haus ist ein Bet-
haus, ihr aber habt es zu einer Mördergrube gemacht" aus dem
Tempel trieb, äusserte der eine der beiden Schwiegerväter: „Ich
finde nichts Böses in diesem Buche und habe mein Lebtag nicht
geglaubt, dass so köstliche Sachen darin stünden". Durch diese
Worte wurde der andere in eine solche Wuth versetzt, dass er
das Buch ergriff und es hinter den Ofen warf, den Alten bitter
*; Schudt 2 b. 124 ff. und öfters. Wolf B.H. i, 3 N. 1834.
— 127 —
scheltend, dass er den jungen Mann durch seine Worte verführen
werde, an die Fabeln des Neuen Testamentes zu glauben.
Bleibtreu hob das Buch unter dem Vorgeben auf, dass er es
verbrennen wolle, damit es nicht in die Hände eines Kindes
käme, verbarg es aber unter dem Holz und las in der Nacht
darüber, ohne selbst seiner Frau etwas hiervon zu sagen. Er
verglich aber bei seiner Lektüre fortwährend das Neue mit dem
Alten Testamente und trieb das so Jahr und Tag. 1681 endlich
verliess er die Judenschaft und bat um den christlichen Unter-
richt. Seine Frau folgte ihm nicht; sein einziges Söhnlein wollte
dieselbe ihm auch vorenthalten, und die Obrigkeit musste ihm
dasselbe mit Gewalt ausliefern. Am 20. Juli 1681 wurde er
getauft und mit ihm sein Sohn Johann Wilhelm.
Bleibtreu war hernach mit den Frankfurter Geistlichen
herzlich befreundet. Schudt pflegte mit ihm vertrauteren Um-
gang, Spener, Mitternacht und Arcularius haben in der
Vorrede zu seiner Lebensgeschichte die ehrendsten Zeugnisse
über ihn abgelegt, ebenso auch Dieffenbach und andere in
ihren Schriften. Die Juden waren über seine Bekehrung ausser-
ordentlich erbittert und verfolgten ihn auf die gemeinste Weise.
Er hingegen kannte nur die Sorge, sie zur Nachfolge zu reizen,
und vergalt ihnen nie Gleiches mit Gleichem. 1702 starb er,
aber noch unmittelbar vor seinem Tode rief er dem anwesenden
Prediger zu „ich bleibe treu".
Der Sohn Bleibtreus wurde zuerst Theolog, hat dann aber
in Leipzig als Arzt promovirt und wurde später ein geschickter
Arzt in Gellnhausen, starb aber daselbst mit Hinterlassung dreier
Söhne bereits 1 7 1 1 . Während seiner Gymnasialzeit in Frankfurt
sah ihn einst seine jüdisch gebliebene Mutter auf der Strasse
und wollte ihm Geld geben, er aber entgegnete ihr ernst, dass
er sie erst als seine Mutter erkennen würde, wenn sie an Jesum
glauben würde.
Aehnlich wie auf Bleibtreu wurde mit Vorliebe auf Ernst
Ludwig Darmstädter hingewiesen,*) über den Diakonus Caspar
Hornig in Breslau 171 3 eine kleine Schrift: „Gestillte Sehnsucht
eines wahren Israeliten nach dem himmlischen Jerusalem" er-
scheinen Hess. Der Sohn eines gelehrten Juden, wurde er auf
seinen Reisen am Rhein in einem Dorfe krank, während dieser
•) Wolf B.H. 3 N. 216 b.
— 128 —
Krankheit von dem Pastor des Dorfes besucht und zur Erkennt-
niss Christi geführt. 1680 erhielt er in Darmstadt die Taufe.
Um Juden, die ihn schmähten, zu zeigen, dass es ihm mit
dem Christenthum Ernst wäre, enthielt er sich einmal mehrere
Tage aller Speise und hinterliess durch sein ganzes Wesen bei
manchen derselben einen tiefen Eindruck. Obwohl er kein
studirter Mann war, wurde es ihm wegen seiner lauteren Fröm-
migkeit einige Male gestattet in Kirchen zu predigen. Die letzten
Jahre seines Lebens brachte er in Breslau zu und wurde hier
nach seinem Ableben auf Kosten des Kirchencollegiums bei
St. Barbara feierlich beerdigt.
Sehr häufig erschienen in dieser Zeit Predigten, welche bei
der Taufe von Juden gehalten worden waren, nachdem man
schon früher zuweilen solche Zeugnisse durch den Druck ver-
öffentlicht hatte. In dieser Periode tragen dieselben meistens
einen gelehrten Charakter und versuchen die Richtigkeit des
Christenthums exegetisch klarzulegen; ein recht das Herz an-
sprechender Ton ist durchaus nicht die Regel. Vielfach ist den
Predigten ein Katechismusexamen angefügt, das mit den Tauf-
kandidaten vor der Versammlung veranstaltet wurde und das
oft mehrere Stunden in Anspruch genommen haben muss. Diese
Predigten und diese Prüfungen lassen es uns erkennen, in welcher
Weise die Vorbereitung der Katechumenen für die Taufe und
ihr nachheriges Christenleben geschah. Wir ersehen aus den-
selben aber, dass man es ganz überwiegend auf die Erzielung
eines bestimmten religiösen Wissens ablegte und dass man eine
innere Herzensdurchbildung bei Weitem nicht in dem gleichen
Grade erstrebte. Je schwerer es aber damals den Proselyten
gemacht war, im bürgerlichen Leben zu bestehen, desto wichtiger
wäre es gewesen, dass sie für den Kampf des Lebens recht aus-
gerüstet worden wären. Hieran hat man es offenbar vielfach
fehlen lassen, und diese Aufgabe zu erfüllen war auch nur die
kleinere Zahl der Theologen jener Zeit im Stande.
Und nun trugen eben die äusseren Umstände sehr viel
dazu bei, dass oft die Proselyten dieses Zeitraumes nicht recht
gedeihen wollten. Die sociale Verfassung der Judenschaft war
ja eine völlig innormale. Von der christlichen Gesellschaft war
sie ausgeschlossen, in die bürgerlichen Corporationen durfte sie
nicht eintreten, eine ständische Gliederung wie unter den Christen
gab es in ihrer Mitte auch nicht. Die kleinste Zahl der Juden
— 129 —
nährte sich von einem der wenigen Handwerke, die ihnen noch
gestattet waren, der grösste Theil dagegen lebte von den ver-
schiedensten Formen des Schachers. Ein ziemlich ansehnliches
Contingent erhielt sich vom Unterrichtgeben in den jüdischen
Wissenschaften oder diente der Synagoge. Mit dem Uebertritt
zum Christenthum hörte so für die allermeisten die Möglichkeit
auf, sich in der bisherigen Weise weiter zu erhalten. Die bürger-
lichen Thätigkeiten der Christen aufzunehmen, fiel dann den meisten
Proselyten ungemein schwer. Denn auch viele von denen, die
ihr Alter daran nicht hinderte, liess die nun schon Jahrhunderte
lang andauernde Entwöhnung ihres Stammes von der gewöhn-
lichen bürgerlichen Beschäftigung der anderen und die ererbte Un-
ruhe des jüdischen Wesens nicht zu einer Stetigkeit in ihren
Beschäftigungen kommen, selbst wenn sie unter grossen Opfern
den entscheidenden Schritt des Uebertritts zum Christenthum
vollzogen hatten.
Den Christen aber und zwar auch den evangelischen fehlte
es im Allgemeinen an der rechten Geduld mit diesen Proselyten,
und ebenso fühlte man die Pflicht, die Neugewonnenen dem
übrigen Organismus in gesunder Weise einzugliedern zu wenig,
oder man scheute die Mühe und Arbeit, welche das kostete.
Für die Anfangszeit der evangelischen Kirche, welche gleichfalls
den Proselyten nur geringe Fürsorge zuwandte, mag man das
Werdende in allen Verhältnissen derselben und ihre Ueberhäufung
mit der mannigfaltigsten Arbeit als Erklärungsgrund gelten lassen.
Für die Erziehung der Gemeinden that man damals ja überhaupt
nur wenig. Und ebenso hat man ein Recht, für die erste Hälfte
des zweiten Zeitraumes auf die Kämpfe mit der katholischen
Kirche, die alle Kräfte in Anspruch nahmen, und auf die Nöthe
des Krieges hinzuweisen; aber in der hierauf folgenden Zeit hätte
man der Aufgabe, welche man an den Proselyten zu erfüllen hatte,
näher treten müssen.
Selbst Männer, welche den Juden sehr ernst und oft hart
gegenüberstanden, erkannten dieses Gebrechen an. Johann
Müller bekennt: „Man nimmt sich der Juden nicht recht an mit
Unterhalt und Nahrung, wenn sie bekehrt sind; dadurch werden
ihrer viele abgeschreckt und zurückgehalten". Ebenso Joh. Bene-
dict Carpzov: „Man klagt über die Unbeständigkeit der getauften
Juden, aber wir Christen sind vielfach selbst Schuld daran und
werden es schwer vor Christi Richterstuhl zu verantworten haben.
F. J. A. de le Roi, Missionsbeziehungen. q
— 130 —
Sobald sich ein Jude zur christlichen Religion bekehrt, sobald ist
er von seinem Vater, Mutter, Geschwistern und allen Anverwandten
und Freunden verlassen und hat sich ferner nicht der geringsten
Hilfe bei ihnen zu vertrösten. Unter uns Christen wird er nicht
also fort zu einem Amt gezogen, in welchem er sein ehrliches
Auskommen habe: kein Handwerk hat er erlernt, damit er sich
ernähre. Wie versorgen wir ihn? Wir lassen ihn bettelngehen
und fahren ihn doch wohl noch statt des Almosens mit viel
harten Worten übel an. Wenn nun ein solcher Christengenosse
noch nicht genug in Christi Kreuzesschule geübt ist, was ist's
Wunder, wenn er in seinem Hunger und Kummer über der
Christen Unbarmherzigkeit verzweifelt und wiederum abfällt!"
Selbst Eisen menger klagt darüber bitter, „dass man die Prose-
lyten in grosser Armuth und Dürftigkeit stecken lässt und um
ihre Versorgung wenig bekümmert ist".
Briefe, in denen man den Proselyten bescheinigte, dass sie
getauft seien und sie der Mildthätigkeit der Christen empfahl,
waren ausser dem einmaligen Pathengeschenk bei der Taufe oft
das einzige, womit man die Neubekehrten ausstattete und sie so,
anstatt sie von vorn herein in eine ruhige, geordnete Thätigkeit
hineinzuweisen, auf den Weg des Bettels verwies. Dass dann
solche Personen häufig an Leib und Seele Schiffbruch litten, ist
ganz erklärlich und nur zu verwundern, dass noch so viele unter
denen, welche diese Bahnen dahingingen, es dennoch mit ihrem
Christenglauben aufrichtig meinten.
Die Proselyten dieser Zeit blieben der Regel nach irt sehr
einfachen Verhältnissen, und der Vortheil der äusseren Lage war
es also nicht, welcher zum Uebertritt reizen konnte; wiewohl sich
einige Personen taufen Hessen, um das Pathengeld zu erlangen,
und es sogar vorkam, dass sich Juden zu diesem Zweck an ver-
schiedenen Orten die Taufe ertheilen Hessen.
Vorschläge, wie diesen Uebelständen abzuhelfen sei, sehen
wir des öfteren geschehen, aber nur in einem ganz unzulänglichen
Maasse wurde denselben Folge gegeben. Esdras Edzard hat
auch in diesem Stücke das Meiste und Beste gethan. Der Nürn-
berger Rath richtete 1659 ein Haus mit Garten ein, in welchem
Katechumenen einige Wochen oder Monate bleiben sollten, um
dort Unterricht zu empfangen; wie lange dasselbe bestanden
hat, ist nicht ersichtlich. Ernst der Fromme von Sachsen,
gestorben 1675, forderte zur Gründung eines Stiftes auf, welches
— i3i —
denen, die aus der römischen oder einer anderen Kirche oder
aus dem Judenthum und Heidenthum zur evangelischen Kirche
übertreten wollten, Unterstützung gewähren sollte. Da ihm aber
trotz seiner Bitte andere nicht zu Hilfe kamen, hat er ein Kapital
ausgesetzt , von dessen Zinsen derartigen Personen unter die
Arme gegriffen werden sollte. Hunderte und darunter auch
eine ganze Anzahl Juden sind aus dieser Kasse unterstützt
worden.
Sonst war es Sitte , dass die Städte die Fürsorge für die
Katechumenen bis zu ihrer Taufe übernahmen, und wurde dies als
selbstverständliche Pflicht der christlichen Obrigkeit betrachtet.
Nur wenn die Zahl solcher Personen zu gross wurde, wies man
dieselben an andere Orte. Auch finden wir in grösseren Städten
bestimmte Geistliche mit der Fürsorge und dem Unterricht der
Katechumenen von Amtswegen betraut. Aber eben nur dies
Vereinzelte und Unzureichende geschah von Seite der christlichen
Gemeinde dafür, um die Proselyten für das christliche bürgerliche
Leben zu erziehen. Ueberwiegend liess sich die Zeit an ihrer
wissenschaftlichen und gelehrten Missionsthätigkeit genügen, und
so kam es auch nicht zu einer eigentlichen Arbeit an den Prose-
lyten, zu welcher sich die verschiedenen Glieder der Kirche die
Hand einander gereicht hätten. Man stellte recht oft grosse
Forderungen an das Leben der Bekehrten und wollte an ihnen
keine Schwächen, am wenigsten die national-jüdischen mehr sehen;
sie sollten gleichsam andere Leute als alle übrigen und vollendete
Heilige sein! Man klagte über die Mängel, welche an ihnen zu
Tage traten, aber gab sich gewöhnlich herzlich wenig Mühe, den-
selben abzuhelfen.
Sehr feindselig traten in der Regel die Juden den Prose-
lyten entgegen. Der Sohn eines Bekehrten, des Paulus Chri-
stianus, welcher mit seinem Vater gemeinschaftlich zum Christen-
timm übergetreten war, wurde dafür von Juden ermordert. Das-
selbe Schicksal erlitt der Proselyt David Hieronymi 171 3 , der
1676 mit seiner Frau und sechs Kindern getauft und 1703 vom
Könige Friedrich zum Inspektor der Berliner Synagoge ernannt
worden war.
Hieronymi unterrichtete z. B. den nachmaligen Professor
in Jena, Joh. Andr. Danz, im Rabbinischen und hat etliche
Juden in Berlin der Kirche zugeführt.
9*
— 132 —
Mehrere Proselyten aber vergalten auch ihren früheren
Glaubensgenossen die gegen sie geübte Feindschaft und Hessen
wider sie Schriften ausgehen, die voller Gehässigkeit waren.
So Sam. Friedrich Brenz seinen „Abgestreiften Schlangenbalg",
Nürnberg 1641,*) wo er alle möglichen und viele erdichtete Be-
schuldigungen über die Juden häuft. In sehr harter Weise lässt
sich auch Christ. Gottlieb Burkhardt (Immanuel Li ep mann)
aus Oettingen in seinem „Gewissenhaften Bekenntniss" über die
Juden aus 1688. Aehnliches gilt von dem Lektor des Hebräi-
schen zu Rinteln, Friedrich Wilhelm Christ lieb,**) welcher
„Greuel der Verwüstung des heiligen Jerusalem durch den jüdi-
schen Talmud" 1681 zu Kassel in deutscher Sprache schrieb.
Er greift in dieser Schrift die Juden heftig an, hat aber in der
Hauptsache aus Gersons Talmud abgeschrieben. Ebensowenig
taugt seine Schrift: „Lästerungen der Juden gegen Christum"
1682 und: „Jesus Christ und Sohn Gottes nach kabbalistischer
Art erwiesen", Rinteln 1697.
Mit Gersons Feder schmückte sich auch Georg Conrad
Victor von Oettingen. „Höre Mutter, schaue darauf" 1675, neu
herausgegeben durch die Berliner Traktatgesellschaft, ist ein
Plagiat von Gersons Talmud.
Der 1692 getaufte Paul Wilhelm Hirsch,*) welcher als
Christ an mehreren Orten Hebräisch lehrte, hat unter anderem
1717 eine Schrift in Berlin erscheinen lassen, welche den Titel
trägt „Entdeckung der Tekuphoth oder das schädliche Blut,
welches über die Juden viermal des Jahres kommt, laut ihrer
eigenen Luchoth oder Kalender". Hirsch erklärt hier, viermal
des Jahres verwandele sich alle Flüssigkeit in den Gefässen der
Juden in Blut, und das sei eine Strafe für den an Christo voll-
brachten Mord.
Die Noth so mancher Proselyten, welche sie nach Broterwerb
ausblicken hiess und bei der sie auf die Neigung vieler Christen,
den Juden alles erdenkliche Schlechte zuzutrauen, rechneten,
kam hinzu, um sie zur Herausgabe von Schmähschriften gegen
ihre früheren Glaubensgenossen zu veranlassen; sie glaubten sich
hiezu aber um so berechtigter, als sie für gewöhnlich die trau-
rigste Behandlung durch die Ihrigen erfuhren.
*) Wolf, B. II. 1, 3 N. 2131.
**) Wolf, B. II. 1. 3, 4 N. 1849.
***) Wolf, B. II. 3, X. 1810 b.
— 133 —
Werth haben überhaupt nur einige Schriften von Proselyten
dieses Zeitraumes. Es fehlte den meisten dieser Männer an der
genügenden Bildung, oder sie hatten, da die Juden damals dem
geistigen Leben der christlichen Nationen der Regel nach voll-
ständig fern blieben, erst in späteren Jahren das Versäumte nach-
zuholen.
Einige Proselyten und unter diesen etliche, welche vorher
tür das Christenthum literarisch aufgetreten waren, wurden her-
nach wieder abtrünnig. So trat Joseph Bar Zadok aus Posen, als
Christ Paul Joseph, 1611 in Nürnberg getauft*) und dort als
Lehrer des Hebräischen angestellt, hernach in Wien zum Katho-
lizismus über und hat beide Kirchen beschwindelt. Er war ein
begabter Mensch und hat in seiner Schrift: „Propheten-Spiegel"
recht hübsch die Lehre der Apostel aus dem Alten Testamente
dargestellt und auch eine hebräische Grammatik in deutscher
Sprache herausgegeben.
Rabbi Levi de Pomis, als Christ Christian de Pomis,
Lehrer Wülfers im Hebräischen, in Nürnberg getauft, studirte
dann in Altorf, wo er hernach auch Lektor der hebräischen und
rabbinischen Sprache war, verschwand aber endlich mit Hinter-
lassung bedeutender Schulden.
Rabbi Elchanon Ben Mena ehern, als Christ Elchanon
Paulus,**) stammte aus Prag, 1556 getauft in Nürnberg. Er war
früher von Sein eck er recht gelobt worden und schrieb ausser
anderem in deutscher Sprache „Mysterium novum, ein neu herr-
lich Beweis aus den prophetischen Schriften, dass der Name
Jesus Christus Gottes und Maria Sohn in den fürnehmsten Pro-
phezeihungen vom Messias verdeckt bedeutet, dass er auch wahr-
haftig sei der verheissene Messias", 1668 und später. Im pol-
nischen Chelm Hess er sich dann noch einmal taufen und starb
als Apostat in Prag.
Naphthali Margolith oder Margaritha, als Christ Julius
Konrad Otto,***) 1603 getauft, wurde Professor des Hebräischen
in Altorf, später aber wieder Jude. Ueber sein Ende ist nichts
bekannt; denn die Angabe, dass er 1607 in Altorf gestorben sei,
ist falsch. Unsicher ist es auch, ob der von Joh. Caspar Ulrich in
seiner Sammlung jüdischer Geschichten in der Schweiz genannte
*) Wolf, B. H. 1, 3, 4 N. 181 1, 4, 957t>-
**) Wolf, B. H. 1, 3, 4 N. 224.
***) Wolf B. H. I, 3, 4 N. 826. Saat Weihnacht 1869, S. 146.
— 134 —
Otto aus der Familie Margaritha derselbe ist. Der von Ulrich
erwähnte soll 1617 in Zürich noch einmal die Taufe erhalten
haben. Otto hat mehrere Schriften verfasst, so eine Grammatica
Hebraea, Nürnberg 1605, den Anfang eines Dictionarium radicale
der rabbinischen und talmudischen Wörter, Gale Razia oder
Revelatio arcanorum ex Daniele 2, 29, lateinisch und deutsch,
d. i. Entdeckung des Verborgenen. Letzteres Buch enthält, ausser
einer Abhandlung über die falschen Lehren des Talmud und
einer Aufzählung bedeutender Rabbinen, rabbinische Zeugnisse
über die Aussprüche des Alten Testamentes, welche die Lehre
vom Messias und vom dreieinigen Gotte betreffen. Die ganze
Beweisführung zeigt aber schon, dass es ihm mit dem Christen-
thum nicht ernst ist, und sind seine Citate oft falsch oder auch
völlig erdichtet.
Ein haltloser Mensch war auch Friedrich Albrecht Chri-
stiani,*) Docent des Talmudischen und Rabbinischen in Leipzig.
Als Jude hiess er Baruch und stammt aus Prostitz in Mähren.
Die Sabbathai Zebische Bewegung, welcher er sich anfangs an-
geschlossen hatte, führte ihn zum Christenthum. Er wurde 1674
in Strassburg getauft, aber seine Bekehrung war nur eine ober-
flächliche, gewesen. Von ihm stammt die Schrift: „Der Juden
Glaube und Aberglaube", Leipzig 1705, der Reineccius eine
Vorrede mit der Lebensbeschreibung dieses Proselyten voraus-
geschickt hat. Christiani besass früher das Vertrauen vieler
Theologen. Carpzov und Pfeiffer erkannten seine Gelehrsamkeit
an, aber später ergab er sich dem Spiele und verschwand mit
300 Thalern, die ihm auszuwechseln übergeben worden waren.
Man weiss nicht recht, was aus ihm geworden ist. Behauptet
wird bald, dass er in Wien Katholik, bald dass er wieder Jude
geworden sei. Christiani war ein gelehrter Mann. Er gab Abar-
banels Commentar zu den früheren Propheten heraus, ebenso
Jonas hebräisch und chaldäisch mit Masora und den bedeutendsten
rabbinischen Commentaren, übersetzte den Hebräer-Brief aus dem
Griechischen ins Hebräische, beschrieb in deutscher Sprache die
Passahgebräuche der Juden und liess auch noch andere Schriften
erscheinen.
Gross ist übrigens die Zahl der eigentlichen Abtrünnigen
unter den Proselyten dieser Zeit nicht gewesen. Wo dagegen
*) Wolf, B. H. i, 3, 4 N. 1848.
— 135 —
irgend die Theilnahme für die Juden lebhafter zu Tage trat,
wurde der Erfolg auch in häufigeren Taufen sichtbar. Ausser
Hamburg war es besonders die Gegend von Altorf, Fürth und
Nürnberg, in welcher Hackspans und Wagenseils Anregungen ein
lebendigeres Interesse an den Juden hervorgerufen hatten; und
gerade hier werden auch besonders zahlreiche Judentaufen ge-
meldet. Pastor C. F. Lochner in Fürth z. B. hat eine grosse
Schaar von Juden getauft, und ebenso war die Zahl der in
Frankfurt a. M. zur evangelischen Kirche Uebertretenden
keine ganz unbeträchtliche. Johann Schmidt, der eine überaus
scharfe Schrift gegen die Lästerungen der Juden: „Feuriger
Drachen Gift und wüthiger Ottern Galle" schrieb, Coburg 1682,
theilt dennoch mit, dass in einer Stadt durch tägliche Unterwei-
sung 60 Juden Christen geworden und bis auf einen es auch
geblieben sind. Eine Schätzung der jährlichen Judentaufen in
der damaligen evangelischen Kirche Deutschlands ist nicht recht
möglich und nur festzustellen, dass ihre Zahl gegen Ende des
17. Jahrhunderts erheblich zu wachsen begann.
4. Die Schweiz.
J. Caspar Ulrich, Pfarrer zu Frauen -Münster in Zürich,
Sammlung jüdischer Geschichten vom 13. Jahrhundert bis 1760
in der Schweiz. Basel 1 768.
Aus der Schweiz waren in diesem Zeiträume die Juden
noch verbannt und durften sich nur unter Geleit auf die Messen
begeben, oder Geschäfte halber für kürzere Zeit an einigen Orten
aufhalten. Oefters siedelten sie sich dann gegen das Gesetz an
solchen Orten an, und daher hören wir wiederholt von Vertreibungen
der Juden aus mehreren Städten. Direkte Missionsarbeit war
unter diesen Verhältnissen in der Schweiz nur in so weit möglich,
als auswärtige Juden, welche zur christlichen Kirche übertraten,
um die Erlaubniss baten, sich Unterrichts halber an einem Orte
der Schweiz niederlassen zu dürfen. Die Obrigkeit musste jedes
derartige Gesuch dann erst genehmigen und hat das allerdings
nicht selten gethan. Solchen Juden, welchen zum Zweck des
Uebertritts zur christlichen Kirche der Aufenthalt an einem
Schweizer Orte gestattet wurde, gewährte man alsdann auch,
ebenso wie in Deutschland, den Unterhalt auf öffentliche Kosten
während der Unterrichtszeit. In dieser Beziehung zog man in
— 136 —
beiden staatlichen Gemeinwesen die praktische Folge daraus,
dass man an dem christlichen Charakter der bürgerlichen Ge-
meinde festhielt.
Unter den geschilderten Umständen konnte es also ge-
schehen, dass auch in der Schweiz Judentaufen während dieses
Zeitraumes stattfanden. Der Missionssinn war aber auch jetzt
in der Schweiz nicht ausgestorben, sondern die von Pellican
und Sebastian Münster ausgegangenen Anregungen wirkten
hier fort.
Theod. Bibliander schrieb 1553 zu Basel: Consideratio
de Judaeorum et Christianorum defectione a Christo, item de
conversione Judaeorum et Christianorum ad Jesum Christum.
Sebastian Lepusculus Hess sich in seinen Decadibus Judaicis,
Basel 1559, über die Gründe aus, warum die Juden sich nicht
bekehren.
Aus der französischen Schweiz richtete Polier, Lausanne
1606, im Missionsinteresse eine Schrift an die Juden in französi-
scher Sprache: La Venue de Messie. Nicolas Antoine aus
Lothringen dagegen, der viele Wandlungen durchgemacht hat,
glaubte zuletzt das Heil nur bei den Juden finden zu können.
Während er Geistlicher in Genf war, suchte er, wiewohl vergeb-
lich, die Beschneidung bei den Juden nach und lästerte dann,
als er entdeckt wurde, das Christenthum. Man sperrte ihn zu-
nächst in ein Irrenhaus ein, zuletzt aber wurde er gehängt, 1632.
Das Interesse an den hebräischen Studien war es dann ins-
besondere, was in der Schweiz die Aufmerksamkeit auf die Juden
lenkte. Diese Studien erfuhren hier jetzt durch die Baseler
Buxtorfe die nachhaltigste und tiefgreifendste Förderung, und
zwar durch Johannes Buxtorf den Aelteren, starb 1629,*) den
Sohn, Enkel und Urenkel, alle gleichen Namens. Der Sohn
starb 1664, der Urenkel lebte im Anfange des 18. Jahrhunderts.
Die Buxtorfe sind die grössten Kenner des Hebräischen, Chaldäi-
schen, Syrischen und Rabbinischen zu ihrer Zeit gewesen, und
ihre Werke sind noch heute zum Theil völlig unentbehrliche.
Der Vater verfasste eine hebräische, chaldäische und syrische
Grammatik, ein hcbräisch-chaldäisches Wörterbuch, die rabbinische
Bibel und Tiberias sive commentarius Masorethicus, eine Concor-
danz der hebräischen Bibel und das chaldäisch- talmudisch -rab-
*) Johannes Buxtorf der Aeltere von E. Kautzsch. Basel 1879.
— 137 —
binische Lexikon, Werke, welche der Sohn fortsetzte, verbesserte
und durch eigene Schriften derselben Art vermehrte. Letzterer
übersetzte z. B. das Buch Cosri und mehrere rabbinische Disser-
tationen ins Lateinische. Dabei wurde dem Vater Buxtorf noch
die Beschafmne der nöthigren talmudischen Literatur äusserst
erschwert; denn er musste z. B. für ein vollständiges Talmud-
exemplar die für die damalige Zeit ungeheure Summe von 200
Thalern zahlen.
Auf seine Bitte wurde es dem älteren Buxtorf 161 7 vom
Rathe in Basel erlaubt, dass er sich zur Correktur seiner hebräi-
schen Bibel einen jüdischen Rabbi Abraham halten durfte, dem
er für sich selbst, seine Frau und sein Kind Wohnung und Kost
zu gewähren hatte. Sonst durfte sich ein Jude in der Stadt höch-
stens einen Monat lang Geschäfte halber aufhalten. Dem Rabbi
wurde nach zwei Jahren Wohnens in Basel ein Sohn geboren.
Buxtorf wollte gern der Beschneidung desselben beiwohnen und
bewog desshalb den Diener des Oberstrathes ausser ihm selbst
und einigen Christen mehrere Juden dem Akte beiwohnen zu
lassen. Aber die Sache wurde bekannt. Abraham wurde in
Folge dessen zur Zahlung von 400 Gulden verurtheilt und musste
die Stadt verlassen. Buxtorf und der Buchdrucker König hatten
gleichfalls jeder 100 Gulden Strafe zu entrichten, die übrigen
Christen wurden für drei Tage in den Thurm geworfen.
Unter den Juden selbst genoss der ältere Buxtorf weit und
breit das grösste Ansehen wegen seiner Gelehrsamkeit. Der
Gymnasiarch Dan. Tossanus zu Basel, Buxtorfs Zeitgenosse,
der auch selbst Theses contra Judaeos 1595 schrieb, sagt: „Aus
ganz Deutschland, Polen, Böhmen, Mähren und Italien haben ihn
die Juden mit zahllosen Briefen geplagt, so dass nicht Hunderte
sondern Tausende und aber Tausende hebräischer Briefe in seiner
Bibliothek zu finden sind. Ganze Synagogen an allen Enden
der Welt haben ihn in öffentlichen Schriften begrüsst und wunder-
bar verherrlicht."
Aber es war allerdings kein bloss gelehrtes Interesse, welches
den älteren Buxtorf zu diesen Studien trieb, sondern er wollte
mit denselben der Kirche und den Juden dienen. Von der Pest
ergriffen, gab er seinem Sohne, über sein Befinden befragt, ruhig
die Antwort: „Mir gilt es gleich, ob ich abgerufen werde oder
leben bleibe; ich habe lange genug gelebt. Wenn Gott will,
dass ich ihm länger diene, will ich es gern thun, um der Kirche
und der Wissenschaft zu nützen. Sonst aber aus irdischen Grün-
den begehre ich auch nicht einen Augenblick länger zu leben.
Wie Gott will, es geschehe sein Wille." Von seinem Kranken-
bette erhob er sich noch einmal, um in seiner Concordanz die
Stellen mit dem Namen Gottes Adonai abzuschliessen und um
aus einem Kästchen eine Summe Geldes zu nehmen, die er einer
armen Nachbarin übersandte. Sein letztes Wort war ein feuriges
Ja auf die Frage, ob er sich Gott befohlen und Jesum Christum
im Herzen habe?
Seine hebräischen und rabbinischen Studien aber wollte er
allerdings auch für die Bekehrung der Juden verwerthen. Das
erste Werk, welches er geschrieben und das er allein in deutscher
Sprache verfasst hat, damit es eben auch die Juden lesen sollten
und könnten, war: „Synagoga Judaica, das ist Judenschul", Basel
1603. Er wollte hier- das Leben und den Glauben der Juden
aus ihren eigenen Schriften darstellen, „damit wir durch den Un-
glauben und Verstockung der Juden uns selbst den Zorn und
Ernst Gottes an ihnen zu Gemüthe führen und seine Barmherzig-
keit dankbar erwägen lernen, die Juden aber in sich gehen, sich
ihrer Fabeln schämen lernen und sich selbst bekehren".
Die Schrift, welche übrigens in 36, hernach in 50 Fragen
abgefasst ist, wollte die jüdische Lehre in ihrer Entartung dar-
stellen. Angehängt ist derselben das Calvinische Gespräch mit
einem Juden, und der ursprünglich hebräisch geschriebene Brief
des Ludwig Carret über seine Bekehrung zum Christenthum.
Die Synagoga hat viele Auflagen erlebt und ist mehrfach über-
setzt worden: zuerst 1604 in Hannover, dann noch öfter ins
Lateinische, und ebenso ins Englische, Holländische und Fran-
zösische.
Ausserdem hat der ältere Buxtorf eine Schrift über den Hass
der Juden gegen alle Völker verfasst und in seinem Thesaurus
grammaticus linguae sanctae auch das Jüdisch-Deutsche behandelt.
Das Ansehen aber, welches sich Buxtorf in der gesammten christ-
lichen Gelehrtenwelt erwarb, hat in besonderem Maasse dazu
beigetragen, dass die Theologen des 17. Jahrhunderts der jüdi-
schen Literatur so hohe Aufmerksamkeit schenkten und theil weise
auch der Juden selbst sich annahmen.
Die talmudische und rabbinische Literatur bearbeitete ferner
Joh. Pistor in Basel 1587 und Joh. Fr. Faust ebendaselbst
1699. Besonders aber verdienen auf diesem Gebiete nach Buxtorf
— 139 —
zwei Theologen: Joh. Heinr. Hottinge r und Joh. Heinr. Heid-
egger genannt zu werden.
Joh. Heinr. Hottinger in Zürich und Heidelberg, gestorben
1667, hat ausser anderem eine Abhandlung über das Wesen
Gottes nach der jüdischen Auffassung geliefert und sich in seinem
Thesaurus philologicus ausführlicher über Juden und Judenthum
geäussert. Ebenso hat derselbe ein Compendium universae theo-
logiae Judaicae 1662 erscheinen lassen. 1666 erliess er in deut-
scher Sprache ein Sendschreiben, welches vror dem falschen
Messias Sabbathai Zebi warnte.
Hottinger entfaltete eine wesentlich gelehrte Thätigkeit und
seine Sprache trägt auch ganz diesen Charakter. Einen herz-
licheren Ton schlug Johann Heinrich Heidegger in Zürich an.
Er schrieb Disputationes selectae über die jüdische Religion, die
in verschiedenen Sektionen zu Zürich 1675 — 1697 erschienen.
Schon früher waren Reden von ihm herausgekommen, die er in
Steinfurt 1659 gehalten hatte. In zwei Reden wendet er sich
hier an die Juden und hält ihnen in eindringlichster Weise, eben-
so sehr sie im Gewissen mahnend als sie freundlich lockend,
vor, welches Unheil es ihnen je und je eingetragen habe, dass
sie Christum nicht anerkennen wollten.
In Steinfurt erschien auch lateinisch Heideggers Dissertation
über die Fundamentartikel des christlichen Glaubens.
Joh. Rudolf Zwinger sprach seine Hoffnung auf die Be-
kehrung der Juden in einer Schrift: Solatium Israelis oder gründ-
licher Erweis, dass noch eine ansehnliche Bekehrung der Juden
vor dem jüngsten Tage zu erwarten ist, aus. Basel 1685.
Joh. Heinr. Otto aus Bern, gestorben 1 719, schrieb eine
Geschichte der Lehrer der Mischnah.*) Derselbe war zuerst
Professor der Philosophie in Lausanne und hernach Prediger in
Höchstetten. Sein Buch hat er in Oxford, dessen Bibliothek er
benutzte, ausgearbeitet, 1672; in den Druck aber hat es Adrian
Reland 1698 zu Amsterdam gegeben.
In der Kirche zu Neuchatel pflegte am Charfreitag ein
Gebet für die Bekehrung der Juden gebetet zu werden, das
Ulrich in seiner Sammlung jüdischer Geschichten mittheilt, eben-
so Dibre Emeth 1882 Nr. 5 und 6. Genf weist in dieser Zeit
einen Fond des proselytes auf.
*) Wolf B. H. 4 S. 335 ff-
— I-jO —
Von Proselyten der Schweiz nennt Ulrich im zweiten Ab-
schnitt des vierten Theils seines Buches Moses aus Florenz, nach
der Taufe in Bern 1649 Christoph genannt. Derselbe habe in
Genf studirt und dann mit grossem Lobe italienisch gepredigt.
Jakob Levi aus Prag, 1697 in Bern getauft, schrieb einen he-
bräischen Brief der Liebe an seine früheren Volksgenossen.*)
5. Frankreich,
Frankreich duldete während dieses Zeitraumes im All-
gemeinen keine Juden; doch wohnten solche in dem päpstlichen
Avignon und in den Provinzen, welche dem deutschen Reiche
aberobert worden waren, im Elsass und in Lothringen. Dagegen
fand man eine Anzahl heimlicher Juden, welche sich aus Spanien
und Portugal hierher geflüchtet hatten , im Lande und einige
derselben erlangten grossen Einfluss. Für das rege Glaubens-
leben der französischen Protestanten zeugt es, dass sie, obwohl
selbst heftig verfolgt und äusserst gedrückt, das Zeugniss an die
Juden nicht vergassen. Geflüchtete französische Theologen
haben auch in Holland und England regen Antheil an der Mis-
sionsthätigkeit, welche den Juden galt, genommen und sie viel-
fach erst recht belebt; diese letzteren werden wir aber in ihrer
neuen Heimath nennen müssen.
In Frankreich gönnte man, nachdem die katholische Partei
wieder zur Macht gekommen war, den Reformirten es nicht einmal,
ihren Glauben unter den Juden zu verbreiten. 1683 verbot ein
königliches Edikt ihren Predigern und Aeltesten bei Strafe von
500 Franks und Verlust des Rechtes, ihre Religion an ihrem
Orte auszuüben, Juden, die zu ihrer Kirche übertreten wollten,
in dieselbe aufzunehmen; die römische Kirche allein solle dieses
Recht haben. Bis dahin aber haben die Protestanten nach besten
Kräften an den Juden gearbeitet.
Die französischen Protestanten zeichnet in ihrem Verkehr
mit den Juden eine ausserordentliche Feinheit aus. So grob
überwiegend die Deutschen in jener Zeit mit den Juden umgehen,
so sehr sind die Franzosen bestrebt, alles Verletzende in der
Form von ihren Missionsbemühungen fern zu halten. Ein wahres
Muster in dieser Beziehung ist Philipp de Mornay (Mornaeus)**)
*) Wolf B. H. 1 N. 106S.
**) Saat, 1882, 1 S. 10 ff.
— Hi —
der in der Bartholomäus-Nacht nur durch ein Wunder dem Tode
entgangen war und dann Staatsmann am Hofe Heinrichs IV.
wurde. Derselbe richtete eine Ansprache an die Juden: Adver-
tissement aux Juifs sur la venue de Messie, Saumur 1607, die
der Arzt Jakob Viverius 161 1 zu Amsterdam ins Holländi-
sche übersetzte, uud die in demselben Jahre zu Hannover in deut-
scher Uebersetzung erschien. Ebenso wandte sich Mornay
an die Juden in seiner Schrift: De veritate religionis 6, 27 und 31,
die in französischer Uebersetzung zu Antwerpen erschien 1579
bis 1583 und seitdem wiederholt in Paris, Genf und Leyden,
ausserdem in lateinischer Uebersetzung zu Antwerpen 1580 und
1583, später in Leyden, Siegen, Herborn und Jena; eine englische
Uebersetzung erfolgte durch Arthur Philipp de Sidney, London
161 7, eine holländische durch Golding, London 1587, Jak. Vive-
rius, Amsterdam 1602 und 161 1 und ebenso durch Halsberg,
Amsterdam 1646, eine deutsche durch Castilio, Basel 1597
und ebenso durch Eilhard Lubin, Rostock 1602, eine schwe-
dische durch Joh. Silvius, Stockholm 1674.
Man ersieht hieraus bereits, welchen Eindruck die Kund-
gebungen von Mornaeus auf die Zeitgenossen und ein ganzes
Jahrhundert hindurch gemacht haben. Die gesammte evangelische
Christenheit hörte auf das Zeugniss dieses Mannes. Ganz vor-
trefflich weist denn auch Mornay den Juden die Erfüllung der
Verheissungen des Alten Testamentes in Christo nach, und selbst
die rabbinische Literatur zieht er vielfach zur Unterstützung seiner
Beweise heran; denn dieser Staatsmann hatte dieselbe in der
That fleissig gelesen. Der Ton aber, welchen er den Juden gegen-
über anschlägt, ist ein ungemein ansprechender. Die Worte
kommen aus einem liebewarmen Herzen und aus einem für das
Heil der Seelen glühenden Eifer. Man muss es Mornay um so
höher anrechnen, dass er gerade in dieser Weise sich an die
Juden wandte, als er, menschlich und natürlich gesprochen, allen
Grund gehabt hätte , ihnen sehr ernst zu begegnen. Die Ge-
mahlin von Heinrich IV. hatte einen Juden Elias Montalto zum
Leibarzt, der aus Portugal geflohen, in Paris sein Scheinchristen-
thum öffentlich aufgegeben hatte und sich nun wieder zum Juden-
thuni bekannte. In einer Schrift: „Vom wahren Verstände etlicher
Texte der heiligen Schrift, welche die Heiden (Christen) zur Be-
stätigung ihrer Sekte vorbringen", hatte dieser Mensch, welcher
so lange die Heuchelmaske zu tragen im Stande war, die Drei-
— 142 —
einigkeit, die Menschwerdung Christi, die Erbsünde und die mes-
sianische Deutung der alttestamentlichen Verheissungen aufs
Frivolste verspottet. Mornay hatte dies trotzdem nicht erbittert,
sondern er suchte mit eben so grosser Ueberzeugungstreue als
Sanftmuth den Feind und Spötter zu überwinden.
1661 gab Moses Amyraldus eine Abhandlung von dem
Geheimniss der heiligen Dreieinigkeit heraus, von dem Wagenseil
in seiner Schrift: Tela ignea Satanae gegen Lipmanns Werk
Gebrauch macht (S. 140 ff.).
Jos. Placaeus (de la Place) verfasste in französischer
Sprache eine Unterweisung zur Bekehrung der Juden, und Pierre
de la Föns richtete an sie einen Brief in französischer Sprache,
der sie zu Christo rief: Epitre aux Juifs, que Jesus est le Christ,
Prince et Pasteur eternel, Charenton 1648.
Die reformirte Synode zu Charenton aber 1644 beschäftigte
sich auch ausdrücklich mit dem Werke an den Juden und setzte
ein Formular für die Taufe von Proselyten fest, das Johannes
Quick, Prediger in London, im Synodicum in Gallia reformata
mittheilt. Nur die Gewaltmaassregeln der römischen Kirche
haben dem Werke der protestantischen Franzosen unter den Juden
damals ein Ziel gesetzt.
6. Holland,
a. Missionsbestrebungen.
In Holland fanden erst wieder am Ende des 16. Jahrhunderts
Juden Aufnahme. Der Freiheitskampf mit den Spaniern erweckte
unter den Holländern auch Theilnahme für die Marannen, welche
sich durch scheinbare Annahme des Christenthums den ferneren
Aufenthalt auf der pyrenäischen Halbinsel zu erkaufen gewusst hatten.
Ihr Judenthum weiter zu verbergen glaubten aber viele dieser
Marannen keinen Grund mehr zu haben, als ihnen, auf ihre Anfrage,
ein Asyl in den holländischen Freistaaten versprochen wurde. In
Folge des ihnen gegebenen Versprechens, sie aufzunehmen, ver-
liessen Tausende derselben ihre Heimath, und die ersten Schaaren
derselben kamen 1593 über Emden nach Amsterdam. Hier
durften sie sich wieder offen zum Judenthum bekennen und er-
hielten 1598 bereits die Erlaubniss, in der holländischen Hauptstadt
eine Synagoge zu erbauen.
— M3 —
Uebrigens führten die von der pyrenäischen Halbinsel nach
Holland geflüchteten Juden den gemeinsamen Namen von portu-
giesischen Juden oder Sefardim. Dieselben hatten in ihrer
früheren Heimath alle Bildung der Christen genossen und zeich-
neten sich hierdurch vor ihren übrigen Glaubensgenossen aus, welche
nichts als den Talmud kannten. Sie selbst betrachteten sich
denn auch gewissermaassen als einen jüdischen Adel und ver-
mieden zunächst eheliche Verbindungen mit den übrigen, aus
Polen und Deutschland eingewanderten Juden, den Aschkenasim.
Viele dieser portugiesischen Juden waren sehr reiche Leute, viele
unter ihnen gehörten den studirten Kreisen an und waren früher
Aerzte, Rechtsgelehrte oder auch katholische Geistliche gewesen.
In Holland nun unterlagen sie nicht den Beschränkungen
welche sie sonst überall zu ertragen hatten. Das besondere Zeichen
an der Kleidung war ihnen erlassen und ihnen gestattet zu
drucken, was sie wollten, ohne dass sie irgend welche christliche
Censur zu befragen hatten. Sie selbst nannten denn auch Am-
sterdam das grosse und Hamburg das kleine Jerusalem. Staats-
bürgerliche Gleichstellung aber wurde ihnen freilich nicht gewährt,
denn auch die Republik Holland wollte ein christliches Gemein-
wesen bleiben.
Dass die fortgesetzte Heuchelei, in welcher diese sefardischen
Juden dahingegangen waren, auf ihre Sittlichkeit auch sonst nicht
vortheilhaft eingewirkt hatte, kann nicht Wunder nehmen. Es
herrschte unter ihnen grosse Anmaassung und Uebermuth und
eben so grosse Gleichgiltigkeit bei vielen gegen die Forderungen
der Sittlichkeit; desto peinlicher aber war man dabei auf die Er-
füllung und allgemeine Beobachtung der talmudischen Satzungen
bedacht. Während man im sittlichen Leben den Einzelnen gern
alles nachsah, duldete man keine Abweichung von den Gebräuchen
und Gesetzen der Synagoge und hielt jede Regung der Freiheit
in diesem Stücke mit unerbittlicher Gewalt danieder.
Das Recht, in dieser Weise gegen die Ihrigen einzuschreiten,
hatten sie vom Staate empfangen, und so wurde denn ein scharfes
Regiment gegen alle diejenigen geübt, welche sich etwa ketzerische
Anschauungen über das Recht des Talmudismus zu Schulden
kommen Hessen. Uriel da Costa, einer dieser Marannen, welcher
sich doch früher vom Christenthum losgesagt und mit glühender
Begeisterung zum Judenthum bekannt hatte, musste dies ebenso
wie Spinoza hart genug erfahren. Uriel da Costa war in dem
— M-l —
Wahn gewesen, dass er das echte alttestamentlich-biblische Juden-
thum unter den Seinen finden werde und führen könne. Er
konnte sich aber bald der Erkenntniss nicht verschliessen, dass
der Talmudismus eine Karikatur der biblischen Religion sei,
und war nun nicht gewillt, einen neuen Irrthum für das, was er
vorher als Irrthum angesehen hatte, einzutauschen. Dafür verfiel
er dem Inquisitionsverfahren der Synagoge, und wurde durch die
körperlichen und moralischen Misshandlungen derselben zu solcher
Verzweiflung getrieben, dass er sich schliesslich 1647 selbst das
Leben nahm.
Auch der gewaltige Philosoph Baruch (Benedict) Spinoza
wurde von dem Banne der Synagoge getroffen, als er mit den
jüdischen Satzungen brach, von denen er einsah, dass sie nichts
als blosse Menschenerfindungen wären. Ein Mordversuch auf
denselben misslang, aber er musste aus Amsterdam weichen, da
die jüdische Gemeindebehörde seine Entfernung aus der Haupt-
stadt durchsetzte. Die ihm angebotene Stelle eines Professors zu
Heidelberg schlug er aus, um sich seine Freiheit nicht beschränken
zu lassen, und starb 1677, ohne in weiterem Zusammenhange mit
der Synagoge gestanden zu haben.
Schützte alle ihre Bildung diese spanischen und portugiesi-
schen Juden nicht vor Verfolgungssucht, so anderseits aber auch
nicht vor der thörichtesten Schwärmerei. Der Sabbathai Zebi'sche
Schwindel fand gerade unter ihnen grossen Eingang, und in der
Synagoge zu Amsterdam bereitete man sich bald mit Fasten,
bald mit Tanzen auf die Ankunft des neuen Messias vor. Kurz
in religiöser Beziehung standen diese Juden vielfach eher unter
als über ihren übrigen Glaubensgenossen.
Aber allerdings die feine Bildung, die geistige Regsamkeit
und die wissenschaftlichen Kenntnisse, welche so manche dieser
Juden auszeichneten, zogen auch die Aufmerksamkeit gelehrter
Christen auf sich, und zwischen einigen hervorragenden jüdischen
und christlichen Gelehrten fand ein reger Verkehr statt. Neben
den Aerzten Abraham Zakuto und Isaak Cardorso erfreute
sich zumal der Rabbi Menasseh Ben Israel, der zehn Sprachen
kannte und Hebräisch, Spanisch und Lateinisch schrieb, der Be-
achtung und Berücksichtigung auch weiterer christlicher Kreise.
Menasseh Ben Israel, welcher grosse Bedeutung für die
Juden überhaupt gewonnen hat, ist 1604 auf der pyrenäischen
Halbinsel geboren. Seine Familie ist mit der des berühmten
— 145 —
jüdischen Gelehrten Isaak Abarbanel verwandt. Sein Vater,
ein reicher Kaufmann, floh mit den Seinen nach Holland. In
seinen Studien machte der Sohn solche Fortschritte, dass er
bereits mit 18 Jahren als Prediger und Talmudlehrer an Stelle
seines alten Lehrers R. Isaak Usiel an der Synagoge zu Amster-
dam angestellt wurde. Da die Inquisition seine väterlichen Güter
in der alten Heimath wegnahm, sah er sich in seinen späteren
Jahren genöthigt, dem Rabbinat zu entsagen und Kaufmann zu
werden. Er starb zwischen 1657 und 1659 in Amsterdam nach
seiner Rückkehr aus London.
Menasseh Ben Israel stand z. B. mit Isaak Vossius und
Hugo Grotius in lebendigem Verkehre. Auch in Deutschland
zog er die Augen vieler auf sich. Hieronymus Kromeyer in
Leipzig u. a. (starb 1670) nimmt in seinem Scrutinium religionum,
in welcher Schrift er auch die jüdische Religion der Prüfung
unterzieht, auf Menassehs Werke besondere Rücksicht. Von den
überaus zahlreichen philosophischen, geschichtlichen und kriti-
schen Schriften dieses gelehrten Juden ist besonders zu nennen
das spanisch geschriebene und dann ins Lateinische übersetzte
Buch Consiliador, in welchem er die Widersprüche der heiligen
Schrift zu lösen sucht. Die Behauptung eines jüdischen Reisen-
den de Montezinos sodann, er habe in den Indianern Nord-
Amerikas die verlorenen zehn Stämme Israels wieder gefunden,
gab den Anlass zum Erscheinen seiner Schrift Spes Israelis, die
in Amsterdam 1650 zuerst spanisch, hernach auch in lateinischer,
hebräischer, holländischer und jüdisch-deutscher Sprache erschien.
In Nischmath Chaim behandelte er die Frage von der Unsterb-
lichkeit der Seele. Sehr gelesen aber wurde zumal die dem
englischen Parlamente gewidmete Schrift: Vindiciae Judaeorum,
englisch in London 1656. Dieselbe ist später von Marcus
Herz ins Deutsche übersetzt worden „Rettung der Juden" und
wurde dabei von Moses Mendelsohn mit einer Vorrede ver-
sehen.*) Menasseh vertheidigt hier die Seinen gegen die Beschul-
digung, Christenblut zu rituellen Zwecken zu gebrauchen. Diese
Beschuldigung weist er ganz vortrefflich zurück, liefert aber sonst
in dieser und seinen übrigen Schriften den nur zu deutlichen Be-
weis, welche Verblendung unter der Judenschaft aller Zeiten seit
Christo herrscht.
*) Neu aufgelegt. Bamberg 1882.
J. F. A. de le Roi, Missionsbeziehungen.
— 146 —
Die Erfahrung, dass jede Erleichterung ihrer Lage von den
Juden dahin verstanden wird, dass dieselbe nur eine Abschlags-
zahlung auf ihre Forderung sei, an die Spitze der Welt zu treten,
bestätigt auch das holländische Judenthum. In Menasseh Ben
Israels Schriften schimmert immer dieser Anspruch durch, und
die Freiheit in Holland wurde von vielen der dortigen Juden
dahin verstanden, dass sie jener oben genannten Zukunft den
Weg bahnen solle.
Uebrigens war den Juden des Landes nicht bloss für sich
selbst völlige Religionsfreiheit gewährt worden, sondern sie durften
auch Christen in ihre Gemeinschaft aufnehmen. Eisenmenger
traf in Amsterdam drei solcher Judenproselyten an, zu denen
Joh. Petrus Speeth aus Wien gehörte, der zuerst Katholik war,
dann evangelisch, hernach wieder katholisch und endlich unter
dem Namen Moses Germanus in Amsterdam Jude wurde und
endlich als solcher 1701 starb. Ebenso Hess sich in Amsterdam
ein Christ durch Beschneidung in das Judenthum aufnehmen,
welcher danach den Namen Moses Ben Abraham führte; einen
anderen David Farar in Amsterdam suchte Hugo Broughton
vergeblich zum Christenthum zurückzuführen. Theodor Hasaeus
nennt sogar einen früheren Prediger vom Rhein, welcher sich
nach Amsterdam wandte, dort unter dem Namen Abraham Ben
Jacob Jude wurde und eine Karte von Palästina anfertigte, auf
welcher die Ortsnamen mit hebräischen Buchstaben verzeichnet
waren, der ausserdem aber einen Kalender zum Gebrauche für
Juden und Christen für 130 Jahre herausgab.
Die Gewalt, welche den jüdischen Vorgesetzten über die
Ihrigen eingeräumt worden war, machte es für diejenigen, in
welchen eine Neigung zum Christenthum erwachte, desto schwerer,
derselben zu folgen. Thatsächlich haben manche dieser Marannen,
nachdem sie nun in Holland zum Judenthum zurückgekehrt waren,
hernach das Haltlose desselben erkannt; und so ereignete sich
das Wunderbare, dass jetzt, wie Dr. da Costa in seinem Buche
Israel and the Gentiles mittheilt, mehrere der Neujuden im Ge-
heimen dem Katholicismus, dem sie auf der Pyrenäischen Halb-
insel nur äusserlich gehuldigt hatten, anhingen.
Das Missionswerk kämpfte unter den geschilderten Verhält-
nissen in Holland mit besonderen Schwierigkeiten. Aber abge-
schreckt hat dies die gläubigen Christen des Landes nicht, son-
dern im Gegentheil haben dieselben und besonders die Theologen
— M7 —
eine sehr rege Thätigkeit entfaltet, um die in ihrer Mitte wohnen-
den Juden für das evangelische Christenthum zu gewinnen.
Holland hat thatsächlich im 17. Jahrhundert auf diesem Gebiete
sich ganz besonders hervorgethan.
Die Dortrechter Synode richtete 16 19 an die Generalstaaten
eine Bittschrift, dass dieselben solche Christen, welche an der
Bekehrung der Juden arbeiten wollten, in ihren Schutz nehmen
möge. Ebenso berieth die Synode zu Utrecht 1670 über die
Mittel, Heiden und Juden zu bekehren. Gisbert Voetius hat
diese Beschlüsse veröffentlicht.*) Es sollten nach denselben die
Prediger und Aeltesten und Gläubigen sich alle ernstlich bemühen,
die Juden zur Erkenntniss Christi als ihres einigen Heilandes zu
führen und ihre Vorurtheile ihnen auszureden. Die Obrigkeit
wurde ersucht, die Juden zur Anhörung christlicher Predigten
anzuhalten und geeignete Personen anzustellen, welche die
Juden mit der christlichen Religion bekannt machen, dabei
aber stets in enger Verbindung mit den Synoden und Gemeinden
bleiben sollten. Vorgeschlagen wurde ebenso die Anstellung
eines Professors der hebräischen Sprache am Gymnasium zu
Amsterdam, welcher die Christen zum Werke an den Juden an-
feuern und den Juden die Fundamente der christlichen Religion
zeigen sollte. Ebenso wurde gefordert, eine Missionsliteratur für
die Juden zu scharten, welche es denselben kund thun sollte, dass
die Christen ein Verlangen nach ihrem Heile trügen und für
dasselbe beteten. Im Gottesdienst solle das Gebet für die Juden
eine Steile finden, in den Predigten ihrer gedacht und aus den
Gotteshäusern alle Bilder, welche sie ärgern könnten, entfernt
werden. In jeder Provinz müssten zwei Jünglinge für das Werk
herangebildet werden. Die theologischen Professoren sollten die
Studenten mit der jüdischen Controverse und Theologie bekannt
machen, und wo möglich in jeder Stadt, da Juden wohnten, ein
Prediger, der Hebräisch verstünde, angewiesen werden, sich ihrer
besonders anzunehmen. Vor allem Aera-ernissgeben sollten sich
die Christen besonders hüten, die bekehrten Juden geschützt und
mit dem Nothwendigen versehen werden.
Diese und ähnliche Beschlüsse wiederholten die Synoden
von Delft und Leyden 1676 und 1678. Die Universität Leyden
erhielt einen Lehrstuhl für jüdische Controverse, den z. B.
*) Dibre Emeth 1S79 S. 87 ff.
— 148 —
Constantin l'Empereur bekleidete, welcher gegen die Erklärung
von Jesaia 53 bei Abarbanel und Mose Alschech schrieb, 163 1,
und eine durch Bashuysen hernach herausgegebene Clavis
Talmudica anfertigte.
Viele Theologen des Landes zeichneten sich durch einen
ungemeinen Eifer aus, besonders literarisch, theihveise aber auch
durch mündliche Einwirkung den Juden die christliche Wahrheit
nahe zu bringen. Und es gibt keinen bedeutenden Mann unter
den holländischen Theologen des 17. Jahrhunderts, der nicht
seinen Beitrag zur literarischen Arbeit an den Juden geliefert hätte.
Schon vor der Aufnahme der Juden in Holland hatte sich
übrigens die evangelische Theologie des Landes mit ihnen be-
schäftigt. Petrus Co st us schrieb gegen ihren Unglauben in
„Typus Messiae et Christi Domini" in den alttestamentlichen
Propheten. Leyden 1554. Martin Gilbert disputirte gegen sie
in einem französich geschriebenen Dialoge über den christlichen
Glauben, Leyden 155?. Mit einer gelehrten Schrift über die
erste und zweite Ankunft des Messias wandte sich ebenso Jacob
Brocard, Leyden 1 581 , an die Juden. D. Joh. Driesche,
Franeker, lieferte Uebersetzungen aus Maimonides 1591.
Aber grössere Wärme empfangt diese Literatur doch erst,
seitdem Juden im Lande selbst wohnen, und von da ab haben
freilich alle evangelischen Parteien Hollands mit Eifer ihre Be-
kehrung gesucht. Auch die Arminianer und selbst die Socinianer
haben es als ihre Pflicht betrachtet, ihr Zeugniss vor denselben
abzulegen.
Der Ton dieser Literatur hält etwa die Mitte zwischen dem
der Franzosen und der Deutschen. Es fehlt nicht an Derbheiten
und Schroffheiten, aber viel häufiger zeigt sie gewinnende
Formen auf und wird der höheren Bildung der holländischen
Juden gerecht.
An der Spitze der Arminianer steht Hugo Grotius. Das
fünfte Capitel seines grossen Werkes De veritate religionis
Christianae, das zuerst 1622 holländisch, dann 1627 und öfters
lateinisch, hernach aber auch in englischer (1637), arabischer
(1660), dänischer, französischer (1691) deutscher (163 1, 165 1.
1656, 1708, 1726), schwedischer (1637), malaiischer, griechischer
(1638), persischer und chinesischer Uebersetzung erschien, gilt
den Juden. Die arabische Uebersetzung einiger Theile des
Buches wurde dann durch die Callenberg'sche Mission als be-
— 149 —
sonderer Traktat verbreitet. Wie Grotius mit Menasseh Ben Israel
verkehrte, so auch mit vielen Glaubensgenossen desselben, und
war es hierbei sein ausgesprochener Zweck, sie von der Wahr-
heit des Christenthums zu überzeugen. Grotius vertrat besonders
den apologetischen Standpunkt. Er suchte, was die Juden für
das Alte Testament geltend machten, für das Neue Testament
und das Christenthum in Anspruch zu nehmen und sie so durch
das Alte Testament für das Neue zu gewinnen. Das Aufhören
der Opfer mit der Ankunft des Messias wollte er besonders
geltend gemacht wissen.
Johannes de Labbadie, Prediger zu Middelburg, liess 1629
in holländischer Sprache eine Schrift erscheinen, welche 1659
in deutscher Uebersetzung erschien: Urtheil der Liebe und Ge-
rechtigkeit über den gegenwärtigen Zustand der Juden, ihren
König und Messias betreffend. Seine mystische Richtung liess
ihn aber den Unterschied zwischen christlichem und jüdischem
Glauben vielfach übersehen.
Isaak Vossius, welcher hebräischen Unterricht bei Menasseh
Ben Israel genommen hatte, empfahl besonders mit dem Neuen
Testamente an die Juden zu treten, und bat dieselben, die heilige
Schrift selbst mit Beiseitelassung aller talmudischen Erklärungen
zu lesen, so würden sie dann bald den Messias Jesus Christus
erkennen. Aehnlich schickte Henricus Groenewegen seiner Aus-
legung des Hebräer-Briefes 1679 eine solche Anrede an die Juden
voraus, in welcher er ihnen ihre lange Zerstreuung neben den
Verheissungen der Propheten vorhält und ihre Bekehrung wünscht.
Besonders eindringlich ermahnte sodann der von den Zeit-
genossen hochgeehrte und treffliche Leydener Professor der
Theologie Jo. Hoornbeck die Christen, den Juden das Evange-
lium zu bringen. Von Jugend auf hatte er selbst den Trieb, an
ihrer Bekehrung mitzuarbeiten, empfunden und sich stets als
„einen Schuldner der Juden" bekannt. Wie so viele in seiner
Zeit glaubte er aber, dass für jeden Erfolg unter den Juden dis-
putatorische Fertigkeit dringend nöthig sei. Die Erfahrung von
Pellicanus, der einst einen Doktor der Theologie in der Dis-
putation mit einer jüdischen Frau erliegen sah, bestärkte ihn um
so mehr in dieser Ueberzeugung. Er verlegte sich desshalb mit
grossem Fleisse auf das Rabbinische und hat dann als Professor
Vorlesungen über dasselbe gehalten, wie er es sich denn auch
angelegen sein liess, die Studirenden im Disputiren zu üben.
— 150 —
Ebenso bezweckten nun seine Schriften beides, sowohl das christ-
liche Interesse für die Juden zu erwecken, als Handreichung für
die Kunst des Disputirens mit ihnen zu bieten. In seiner Summa
Controversiarum, zuerst Utrecht 1653, dann öfters und z. B. 1676
in Colberg erschienen, galt das zweite Buch den Juden. Noch
bedeutender aber ist seine Schrift Teschuba Jehudim sive pro
convincendis et convertendis Judaeis, Leyden 1655, in der Dispu-
tationes antijudaicae vom Jahre 1644 enthalten sind.
Trefflich schildert er hier, was die Juden gegen das Christen-
thum mit Vorurtheil erfülle, und gibt hierauf Mittel zu ihrer Be-
kehrung an die Hand. Kirche, Staat und Schule müssten zu-
sammenwirken. Die Misshandlung von Juden habe ehemals Schuld
daran getragen, dass sich nur eine geringe Zahl derselben bekehrt
habe. Ueberdem habe man sich früher um ihre Bekehrung zu
wenig bekümmert oder, um dieselbe zu erreichen, damals den
Weg der Gewalt eingeschlagen. Gebet und Predigt aber seien
die sichersten Mittel für ihre Gewinnung und die einzig würdigen
Waffen der Kirche. Pflicht sei es, Prediger für dieselben anzu-
stellen, welche die Vorbereitung zu diesem ihrem Berufe auf den
Universitäten erhalten müssten. Aber auch auf den Schulen
müsse schon die Controverse mit den Juden gelehrt werden, und
tüchtig vorbereitete Studirende seien besonders geeignet, die
Juden aufzusuchen, um ihnen das christliche Zeugniss zu bringen.
Ferner forderte er das öffentliche Kirchengebet für die Juden,
wie er denn selbst für sie recht zu beten verstand. Einen köst-
lichen Beweis dafür enthält diese seine Schrift. Endlich aber
betont er, dass der Blick auf die Zukunft, welche ja eine endliche
Bekehrung des Volkes in Aussicht stelle, den Muth der Christen
heben müsse. Dabei war aber Hoornbeck keineswegs gewillt,
den christlichen Charakter des Staates für Holland und andere
Länder aufzugeben. Er forderte vielmehr, während er gleich-
zeitig jedoch auch die Erziehung der Juden zur produktiven
Arbeit und zum Handwerk insbesondere verlangte, eine sehr
weitgehende Beschränkung derselben und wollte ihnen selbst
nicht einmal vollständig freie Religionsübung gestattet wissen.
An Hoornbeck schliessen sich die beiden Friedrich Span-
hem an. Der Vater hatte in einer nach seinem Tode (1649) in
Genf erschienenen Schrift Dubia evangelica (165 1) die Evangelien
gegen die Angriffe der Juden vertheidigt. Der Sohn, welcher
später Hoornbecks Nachfolger im Amte war, folgte besonders
— 151 —
auch dessen Vorbilde. Er betonte aber seinerseits mit vollem
Rechte, dass man auf dem Wege des Disputirens mit den Juden
nicht viel erreichen werde. Selbst empfahl er vor allem ihnen
mit anhaltendem Gebete nachzugehen und es sich ernstlich an-
gelegen sein zu lassen, dass sie von der christlichen Predigt
erreicht würden. Hingegen warnte er davor, den Juden viel von
ihrer herrlichen Zukunft zu sagen, ehe sie sich noch bekehrt
hätten, da sie dies nur stolz mache. Der Zug der Zeit war aber
doch so mächtig, dass auch er hauptsächlich den Weg der lite-
rarischen Auseinandersetzung mit den Juden einschlug. Am
bekanntesten ist sein Buch Controversiarum de religione elenchus,
Leyden 1697, geworden. Dasselbe enthält auch eine schon
früher erschienene Schrift Spanhems: De causis incredulitatis
Judaeorum et de mediis conversionis. Diese Schrift zeichnet sich
aber allerdings vor vielen literarischen Zeugnissen jener Periode
über unseren Gegenstand aus. Gründlichkeit und Klarheit sind
neben ansprechender Darstellung ihre Vorzüge.
Spannern empfiehlt, um die Juden von ihrem Irrthum zu
überzeugen, ihnen vor allem es zu Gemüthe zu führen, dass
Gottes Gericht auf ihnen ruhe, dass sie Mosis Gesetz falsch ver-
standen und Gesetz und Propheten verkehrt hätten, dass sie voll
falscher Einbildungen über ihre Stellung als Volk seien, voll
falscher Gedanken über den Messias, ohne jedes Verständniss
Jesu Christi und voller Vorurtheile gegen das Christenthum,
dessen Lehren sie verdrehten, oder dem sie selbst alle jene Aus-
wüchse, die freilich in einzelnen Theilen der christlichen Kirche
zu Tage getreten seien , anrechneten. Jedesmals aber gibt er
zugleich an die Hand, wie nun mit den Juden zu verkehren, und
ihnen der volle Zusammenklang Alten und Neuen Testamentes,
von denen das erstere überall auf das andere abziele , nachzu-
weisen sei, damit sie von dem falschen auf den richtigen Weg
zurückgebracht würden. Durch Spanhem erfolgte auch eine neue
Ausgabe der Schrift des Hadrianus Finus: Flagellus in Judaeos
(1538, Venedig).
Einen vielfach heilsamen Einfluss übte Johannes Coccejus
aus, dessen Streben darauf gerichtet war, die Theologie vom
Scholasticismus zu befreien und sie zur heiligen Schrift zurück-
zuführen. Urheber der sogenannten Föderaltheologie machte er
es sich zur Lebensaufgabe, die geschichtliche Entwicklung der
Offenbarung auf Grund der heiligen Schrift allein nachzuweisen,
— 152 —
und betrachtete selbst alles Einzelne im Alten Testamente nur
unter dem Gesichtspunkte, dass es eine vorbildliche Bedeutung
auf Christum haben sollte. Denn der Gang des gnädigen Gottes
mit der sündlichen Menschheit war ihm aus der Schrift lebendig ent-
gegengetreten und auf denselben wies er nun mit allem Nach-
druck hin. Eifriges Bibelstudium musste aber ganz von selbst die
Augen auch auf die Juden lenken und hat es bei Coccejus in
hohem Maasse gethan. Dass die Theologie in Holland seit der
Mitte des 17. Jahrhunderts den Juden eine erhöhte Theilnahme
schenkte, ist in nicht geringem Grade eine Folge der Anregungen
von Coccejus.
Dieser Gelehrte hat übrigens auch die rabbinische und
talmudische Literatur nicht vernachlässigt, sondern vielmehr
grossen Fleiss auf eine genaue Erforschung derselben verwandt.
Er war als junger Mann 1625 nach Hamburg gegangen und
hatte dort bei einem gelehrten Juden Unterricht genommen. Nach
seiner Rückkehr vervollkommnete er seine Kenntnisse in diesem
Fache bei Sixtus Amama, Johann Markuski und Wilhelm
Am es i us. Er übersetzte denn auch die talmudischen Traktate
Sanhedrin und Maccoth ins Lateinische und versah diese Ueber-
setzung mit Anmerkungen. Durch seine Kenntniss der rabbini-
schen Literatur erlangte er früh einen grossen Ruf. Später wurde
er nach Leyden berufen, wo er 1650 sein Amt mit einer lateini-
schen Rede über die Ursachen des Unglaubens der Juden antrat.
Seine Anschauungen in der ihm eigenthümlichen Weise
entwickelnd suchte er dann auch eifrig die Juden zu überzeugen,
und sie selbst gaben ihm direkte Gelegenheit zum Zeugnisse an
sie. Denn Juden selbst hatten ihn aufgefordert, die christliche
Sache vor ihnen zu rechtfertigen. Sehr siegesgewiss hatte näm-
lich ein Jude in einer zuerst portugiesisch geschriebenen und
dann ins Lateinische übersetzten Schrift einem Katholiken auf
Fragen desselben geantwortet und ihm dann eigene Fragen ent-
gegengestellt. Coccejus antwortete also diesem Juden in öffent-
licher Disputation und gab diese seine Erwiderungen in einer
Schrift: Consideratio Judaicarum quaestionum et responsionum 61
Amsterdam 1661 heraus. Vergleiche auch Coccejus Werke am
Ende des 7. Bandes.
Diese Schrift ist eins der bedeutendsten unter den Zeug-
nissen, die in der früheren Zeit aus der Mitte der evangelischen
Christenheit an die Juden ergangen sind, setzt aber allerdings
— 153 —
-wissenschaftlich gebildete Leser voraus. Die Christen erinnert
Coccejus zuvor ganz besonders eindringlich an ihre Pflicht gegen
die Juden und an die Hoffnung , welche die Schrift noch für
dieses Volk hat. Die Hauptfrage aber denselben gegenüber sei,
ob Jesus der Messias wäre. Eben diese wolle er desshalb an
erster Stelle und zwar als eine Gewissensfrage behandeln; denn
es gelte zu zeigen, dass Jesus Christus sich in seiner Lehre vor
den Gewissen rechtfertige und den tiefsten Bedürfnissen des
Menschen entspreche. Bei Beantwortung jener oben erwähnten
Frage in dieser Weise suchte er aber ebensosehr den Schriftbe-
weis als den Beweis ihrer alten rabbinischen Literatur zu führen
und sie so durch innere wie durch äussere Zeugnisse zu gewinnen.
Ueberaus gründlich verfährt der arminianische Professor in
Leyden, Simon Episcopius, in seinen Institutiones theologicae,
deren 3. Buch, Sektion 4 den Juden und besonders der Frage
vom Messias gilt (Amsterdam 1650). Doch schlug derselbe auch
einen direkteren Weg ein, um an die Juden zu kommen, und hielt
kurz vor seinem Tode zwei Predigten in holländischer Sprache
über Johannes 17, 3 , welche die Ursachen des Unglaubens der
Juden behandeln. Diese Predigten sind ins Lateinische übersetzt
worden und so in Theil I, 431 ff. seiner Werke zu finden. Er
weicht hier aber von der christlichen Lehre mehrfach sehr bedenk-
lich ab und nennt die Lehre von der Dreinigkeit geradeswegs einen
der Punkte, welcher die Juden vom Christenthum fernhalten müsse.
Anton Hüls i us als Professor in Leyden 1699 gestorben,
von dem auch der Anfang eines Werkes über die jüdische Theo-
logie vorliegt, disputirte mit dem Amsterdamer Rabbi Jakob
Abendana in einem hebräischen Briefwechsel über die Herr-
lichkeit des zweiten Tempels nach Haggai Kapitel 2 und bewies
demselben aus dieser Schriftstelle die bereits erfolgte Ankunft
des Messias. Kraansburg schrieb holländisch: Der Jooden
Wegwizer, Amsterdam 1654. Grosse Vorsicht empfiehlt in dem
ganzen Verhältniss zu den Juden Gisbert Voetius, Professor zu
Utrecht. In mehreren Schriften widerrieth er ebenso sehr jede
Misshandlung der Juden , als das Niederreissen der ihnen ge-
zogenen Schranken ; das eine widerspreche dem Christenthum,
das andere mache sie desto verstockter. Von eben demselben
stammte auch eine vortreffliche Schrift über die endliche all-
gemeine Bekehrung der Juden 1655.
— 154 —
Die allgemeine endliche Bekehrung Israels bestritt Jacob
Batelerius im Haag 1669. Jacob Alting, Professor in Gro-
ningen, dagegen schrieb ausser anderem 54 ganz ausgezeichnete
und ungemein umfangreiche Predigten über Römer 1 1 , die unter
dem Titel Spes Israelis 1676 erschienen sind, und verkündigte
eben so laut die seinem Herzen besonders theure Hoffnung der
Bekehrung des jüdischen Volkes in einer Dankpredigt, welche er
nach Aufhebung der Belagerung von Groningen 1672 zur Er-
öffnung der Vorlesungen hielt.
Die Aussicht auf die Endbekehrung Israels war auch ein
Sporn für Hermann Witsius, Professor zu Franeker und Leyden,
durch eine Schrift: Judaeus Christianizans (1660) Anleitung zu
geben, wie man es versuchen solle, die Juden von ihren Irr-
thümern zu überzeugen. Von Heinrich Grönewegen stammt
eine 1677 zu Amsterdam holländisch erschienene und dann
auch ins Deutsche zu Frankfurt a. M. übersetzte Schrift: „Hoff-
nung Israels" und von demselben Verfasser die Frankfurt 171 1
herausgegebene Schrift: „Ausbreitung der Herrlichkeit des
Königreiches Christi in der letzten Zeitordnung des Neuen Testa-
mentes". Auch dieser Theolog, ebenso wie Hermann Varenius
in Franeker bekannte sich zu der endlichen allgemeinen Bekeh-
rung der Juden. Nur wenige Theologen Hollands wie Saim
Maresius (1664) bekämpften diese Hoffnung.
Peter Serarius ging sogar so weit, eine Wiederherstellung
des levitischen Kultus unter den bekehrten Juden zu behaupten,,
und ähnliches that Eva Margaritha Fröhlich in einer Schrift:
„Bewys wegen der Joden hare Gnadenverkiesing", Amsterdam 1682.
Haben alle diese Gelehrten auch in ihren Werken fleissig
von der jüdischen Literatur Gebrauch gemacht, so gilt dies im
besonderen Maasse von Joh. Leus den, Professor in Utrecht, der
bei Rabbinen Unterricht genommen hatte und dann auch die
Verwerthung der rabbinischen und talmudischen Literatur im
Missionsinteresse dringend empfahl. Besonders that er dies im
Philologus Hebraeo mixtus 1663.
Mit den Juden und der jüdischen Literatur sich auseinander-
zusetzen fühlten die holländischen Theologen dasselbe Bedürfniss
wie die deutschen. Auch Dogmatiker wie Petrus van Mas-
tricht und Archäologen wie der berühmte Vitringa wollten bei
denselben nicht vorübergehen, sondern vertheidigten ausdrücklich
ihren christlichen Standpunkt dem jüdischen gegenüber.
— 155 —
Alle die letztgenannten Theologen hielten, da sie die innere
Verfassung der Juden im ernstesten Lichte ansahen, sehr weit-
gehende Beschränkungen derselben für nothwendig. Bei einigen
anderen dagegen trat eine Freundschaft für die Juden zu Tage, welche
es ganz zu vergessen drohte, dass die Juden unter der Schuld und
dem Gericht der Verwerfung Christi dahinleben. Caspar Barlaeus
verherrlichte Menasseh Ben Israel in einer Weise, welche ihm
von allen Seiten gerechten Tadel zuzog; stellte er doch den
christlichen und den jüdischen Glauben als im gleichen Maasse
Gott gefällig dar; und Romein de Hooghe nannte die Juden
„die Gott wohlgefällige Braut Zion". Petrus Jurieu in Rotter-
dam schickte dem zweiten Theile seines Buches Accomplissement
des propheties eine Ansprache an die Juden voraus, in welcher
er sie durch die Beschreibung der weltlichen Herrlichkeit, die
ihrer im Messiasreiche warte, zu gewinnen sucht. Zwei Amster-
damer Rabbinen dankten Jurieu hierfür und forderten ihn auf,
seinem Buche selbst Folge zu geben und zu ihnen überzutreten;
denn er hätte es unzweifelhaft gemacht, dass der Messias noch
nicht erschienen sei, sondern Israel desselben mit Recht noch warte.
Ein Repräsentant jener Richtung sodann, welche auf die
Juden hauptsächlich um ihrer Literatur willen ein Augenmerk
aus überwiegend wissenschaftlichen Gründen richtete und sich
dann im Studium des Talmud und der Rabbinen verlor, muss
der berühmteste Philologe jener Zeit, Professor Jac. Rhenferd
in Franeker, um 1687, genannt werden. Wie derselbe unter
Rabbinen studirte und stets mit Rabbinen verkehrte, so hat
er auch mit grossem Eifer rabbinische Vorlesungen gehalten und
viele Dissertationen über rabbinische Gegenstände herausgegeben.
Für die Auslegung des Alten und Neuen Testamentes zog er
am liebsten rabbinische Erklärungen herbei und bekehrte Juden
wollte er selbst bei ihren früheren jüdischen Gebräuchen gelassen
wissen.
Andere Vertreter der specifisch gelehrten Richtung unter
denen, welche sich in Holland mit den Juden beschäftigten, sind
Joh. Koch in Amsterdam 1629 und Oppyk, der eine Clavis
Talmudica Maxima schrieb, Leyden 1634, M. Arnold in Fran-
eker 1680. W. H. Vorst übersetzte in Amsterdam und Leyden
seit 1638 Schriften von Maimonides ins Lateinische uud versah
sie mit Anmerkungen. Dasselbe that Vythage in Leyden 1683
und Honting, Amsterdam 1695. Johann Clericus, Ende des
i56 -
\j. und Anfang des 18. Jahrhunderts übersetzte Traktate des
Talmud ins Lateinische, Uchtmann in Leyden 1668 gab Jedaja
Peninis Schrift über die Nichtigkeit der Welt hebräisch und
lateinisch heraus. F. v. Husen lieferte, Leyden 1687, eine
Uebersetzung des Commentars von Abarbanel zu Jona. Petrus
Cunaeus führte in seinem Buche De Republica Hebr. den Juden
den gelehrten Schriftbeweis, dass der Messias bereits erschienen
sei. Casimir Oudine gab in Leyden 1692 die drei Bücher
Dialoge gegen die Juden des 1201 verstorbenen Bischofs P.
Gualter de Castilione heraus. Professor Johannes Meyer in
Hardenvyk verfasste zwischen 1695 und 171 2 mehrere Schriften,
welche ebenso die Juden wissenschaftlich von der Messianität Jesu
überführen sollten, und benutzte hiezu mit Vorliebe die Rabbinen
und die Cabbala.
Die ganze Mischnah übersetzte zum ersten Male in sechs
Theilen ins Lateinische der gelehrte Wilhelm Surenhuis, Pro-
fessor in Amsterdam 1698 — 1703, nachdem er sich zu diesem
Behuf mit Rabbinen in Verbindung gesetzt hatte. Es schliessen
sich an in lateinischer Uebersetzung die Commentare des Mai-
monides und Bartenoras nebst Bemerkungen und Uebersetzungen
verschiedener Autoren zu den von ihnen herausgegebenen Codices;
eigene Bemerkungen von Surenhuis sind hinzugefügt.
Zu den gelehrten Kämpfern mit den Juden gehörte auch
Melchior Leydekker, Professor in Utrecht, der seit 1685 eine
Reihe von diesbezüglichen Schriften erscheinen liess; auch er
hatte den Unterricht eines Rabbi genossen und schon als 1 7-
jähriger Jüngling rabbinische Schriften gelesen.
Von den Theologen, welche für die Auslegung des Alten
Testamentes die Rabbinen herangezogen sehen wollten, ist zu nennen
Stephan le Moyne, Professor in Leyden, am Schlüsse des Zeit-
raumes. Viel nüchterner dachte in diesem Punkte JaquesGousset,*)
ein reformirter Theolog, der 1685 aus Frankreich nach Holland
geflüchtet und zuletzt Professor in Groningen war. In seiner
Schrift Ternio controversiarum adversus Judaeos, Dortrecht 1688
bekämpft er an der Hand dreier Schriftstellen das Chissuk Emunah
des Isaak Troki, wobei er zugleich den christlichen Theologen
1 äth, sich nicht den Juden gegenüber auf den Talmud zu berufen,
da in demselben immer ein Zeugniss dem anderen widerspreche.
*) Saat, Michaeli 187 1, S. 224 ff.
— 157 —
Die Bibel biete das beste Arsenal für die Widerlegung der
jüdischen Irrthümer. Diese Schrift war aber nur der Vorläufer
einer grösseren: Jesu Christi Evangeliique veritas salutifera de-
monstrata, der 6 Disputationen zum Hebräer -Brief als Anhang
zugefügt sind. Das Werk ist nach seinem im Jahre 1704 er-
folgten Tode 171 2 in Amsterdam erschienen. Das ganze Buch
Chissuk Emunah, diese bedeutendste jüdisch -polemische Schrift
gegen das Christenthum wird hier in gründlichster Weise widerlegt.
Ein anderer von den geflohenen französischen Theologen
Pierre du Bosc, welcher dann Geistlicher in Holland war, wies
seine Umgebung in einer Dissertation über Römer II, 32 ff.
auf die mit aller Zuversicht zu erhoffende endliche Bekehrung
Israels hin.
Als Apologet des Christenthums gegen die Juden trat ein
anderer französischer Flüchtling, Isaak Jaquelot, auf,*) der nach
der Aufhebung des Ediktes von Nantes zuerst nach Heidelberg,
dann nach dem Haag in Holland ging und endlich in Berlin als
Prediger der dortigen französischen Gemeinde 1708 starb. Er
hielt 1692 im Haag vier Predigten über das Thema: Jesus Christ,
qu'il est le Messie et le vrai Dieu, und liess dann 1699 ebenfalls
im Haag Dissertations sur le Messie, oü Ton prouve aux Juifs, que
Jesus Christ est le Messie promis et predit dans l'ancien Testa-
ment, erscheinen. Jaquelot ist mit der jüdischen Literatur wohl
vertraut, und seine Sprache zeigt die französische Eleganz. Der
Geist aber, in welchem er schreibt, ist der eines mit warmer
Liebe zu den Verirrten erfüllten Christen. Er stellt zuerst positiv
nach der Schrift fest, dass Jesus der rechte Messias und seine
Lehre die rechte Lehre ist, und beantwortet dann die jüdischen
Einwürfe. Die Erhabenheit Christi über alles, was die Welt kennt,
weiss er aufs Eindringlichste den Juden zu Gemüthe zu führen
und stellt dem falschen Messiasbild, welches die Juden immer
wieder verleitet irre zu gehen, das rechte der Schrift entgegen.
Den apologetischen Weg schlug auch unter den Arminianern
Philipp van Limborch, zuletzt Professor in Amsterdam^ ein.**)
Er traf mit dem aus Spanien geflohenen Marannen Orobio de
Castro, welcher selbst nach seiner Flucht aus Spanien in Frank-
reich noch als Rath Ludwig- XIV. sein Scheinchristenthum bei-
Saat, Johann! 1874, S. 131 ff.
Saat, Johanni 1872, S. 158 ff.
- i58 -
behalten hatte und dasselbe erst 1666 in Holland fallen Hess,
zusammen. Orobio griff jetzt das Christenthum aufs heftigste an.
Limborch aber führte selbst einem in so besonderem Maasse un-
würdigen Menschen gegenüber in ruhigster und selbst freund-
licher Weise die Sache des Christenthums. Er eröffnete also
mit Orobio eine schriftliche Besprechung über die schweben-
den Fragen. Anfangs hatte Limborch seine Briefe nicht für die
Oeffentlichkeit bestimmt, später gab er jedoch, wie wohl nur
zögernd, seine Zustimmung zu ihrer Veröffentlichung, die 1687
zu Gouda erfolgte. Die dort erschienene Schrift trägt den Titel:
De veritate religionis Christianae amica collatio cum erudito Judaeo.
Orobios Anklagen gegen das Christenthum beantwortet Limborch
rein sachlich. Auch er hebt wie Grotius dem Orobio gegenüber
hervor, dass alles, was derselbe für Moses anführe, für Christum
gelte. Zum Verständniss der Schrift und des Christenthums
gelange man aber freilich nur, wenn man den Stufengang der
Offenbarung beachte. Das alttestamentarische Gesetz selbst ist
unzulänglich für das Heil des Menschen, weist aber typisch und
mystisch auf dasselbe hin. Limborch führt dies nach der cocce-
janischen Weise aus, und darin liegt die Stärke, wie die Schwäche
seiner Beweisführung. Richtig wies er aber seinen Gegner darauf
hin, dass es nicht eine blosse Verstandesverschiedenheit sei,
welche die Juden nicht zu Christo kommen lasse, sondern dass
sie der Erdensinn und der Hochmuth zur Verwerfung Christi
geführt und diese Sünde alsdann auch ihr ganzes Geschick
bestimmt habe. Am Anfange der amica collatio bespricht Lim-
borch den Fall des Uriel Acosta. Auch in anderen Schriften
vertheidigte Limborch das Christenthum gegen die Juden; so in
den Commentaren zur Apostelgeschichte, zum Römer- und He-
bräer-Brief und in: Jesum esse Christum seu Messiam Judaeis
olim promissum 1686. In letzterer Schrift widerlegt er die ver-
nehmlichsten Einwürfe der Juden. 1702 erschien diese Schrift
auch in englischer Uebersetzung zu London.
In holländischer Sprache suchte ferner am Ende des Jahr-
hunderts Lake es zu beweisen, dass der Messias längst gekom-
men sein müsse, und Jesus der Messias sei. Thomas Crenius,
gleichfalls am Ende des Jahrhunderts in Holland wirkend, gab
dann 1702 den Elenchus Judaicus von Helwig neu heraus, um
bei dieser Gelegenheit einmal die Zeitgenossen an die grosse
Zahl von Schriften zu erinnern, welche für die Bekehrung der
— 159 —
Juden geschrieben seien und von den Christen zu diesem Zwecke
venverthet werden könnten.
In der That, die Theologen aller Parteien in Holland ent-
falteten einen überaus regen Eifer, um die Juden, die ihr Land
neu aufgenommen hatte, für das Christenthum zu gewinnen.
Die Wirkung wurde aber, von den schon früher angegebenen
Gründen abgesehen, doch dadurch beeinträchtigt, dass man auch
hier zu überwiegend den literarischen Weg einschlug, um die
Juden zu gewinnen. Man erreichte auf diese Weise immer nur
eine zu kleine Anzahl einzelner und trat mit der grossen Masse
nicht in jene lebendige Berührung, welche das eigentliche Zeug-
niss ablegen erst recht möglich macht. So sehr die hollän-
dische Missionsliteratur jener Zeit ihre Vorzüge hat, so deutlich
zeigt sie es doch auch , dass sie der Mangel an einem genügen-
den persönlichen Verkehr mit den Juden beeinträchtigt. Der
Schwerpunkt fiel auch hier jedesfalls noch nicht auf das münd-
liche, sondern auf das schriftliche Wort, das nun einmal das
mündliche, welches erst die ganze Zeugenkraft entfaltet, nie
hinreichend ersetzt.
b. Holländische Proselyten.
Dass sich die holländische Judenschaft, die anfangs zum
grössten Theile aus Marannen bestand, welche ihr Scheinchristen-
thum endlich abgeworfen hatten, zunächst als ein wenig ergiebiges
Missionsfeld erwies, wird nicht Wunder nehmen. Ueberdem
waren jene Neujuden mit unbeugsamer Strenge darauf bedacht,
alle christlichen Regungen unter den Ihrigen bei Zeiten zu er-
sticken. Einen in ihrer Mitte, der es gewagt hatte, Jesum einen
weisen und frommen Mann zu nennen, und der sich weigerte,
dies zu widerrufen, thaten sie dafür in den Bann. (Wolf. Ani-
madv. ad R. Zebi. Theriaca Jud. c 2.) Und da überdem die
erste Missionswirksamkeit hier überwiegend in gelehrten Bahnen
einherging, so war ihr nächster Erfolg kein bedeutender. Bis
zum 1 8. Jahrhundert werden nicht sehr viele Proselyten in Holland
genannt, und noch weniger begegnen uns in irgend welcher Be-
ziehung hervorragendere Persönlichkeiten unter denselben.
Erwähnt werden aus jener Zeit Daniel Alexandersen,*)
getauft 1621. Derselbe veröffentlichte sein Glaubensbekenntniss
>) Wolf B. H. 3 N. 533 b.
— 160 —
zuerst in syrischer Sprache, und dasselbe wurde dann ins Hol-
ländische, Deutsche und Französische übersetzt von Petrus Jacobi,
Amsterdam 1642. Dem Bekenntnisse ist ein Brief an die zer-
streuten Juden beigefügt, welcher sie zur Bekehrung auffordert.
Der bedeutendste unter den holländischen Proselyten des
17. Jahrhunderts war Ragstatt de Weile, auch Veil genannt.*)
Sein Leben und seine Bekehrung hat er selbst in einer holländi-
schen Schrift: Noachs Prophetie van de salige Roepinge en Be-
keeringe der Heydenen über 1 Mose 9, 27, Amsterdam 1685,
beschrieben. Danach ist er zu Metz 1648 geboren. Seine Vor-
fahren waren aus Spanien geflohen und führten den Namen
Veil. Die Leute aber nannten seinen Vater nach der Stadt
Rastadt, in welcher derselbe seinen Wohnsitz gehabt und dort
grosse Reichthümer gesammelt hatte. Sein Vater David war
Vorsteher und Lehrer an verschiedenen Synagogen. Auf jüdische
Schulen von seinen Eltern geschickt, fiel ihm dort einmal die
sogenannte Weissagung des Elias aufs Herz, dass der Messias
nach 4000 Jahren zu erwarten sei. Unterdess selbst Rabbi
geworden, studirte er fleissig die Propheten, verglich sie mit
den Rabbinen und kam zu der Erkenntniss, dass der Messias,
von dem die Evangelisten reden, der rechte sein müsse. Zu
dieser Erkenntniss gelangt, begab er sich zu D. Jo. Alex. Neu-
spitzer, Pastor an der reformirten Kirche zu Cleve, in dessen
Nähe er wohnte und wurde von demselben in seiner Ueberzeugung
gestärkt. Um aber volle Klarheit in einer so wichtigen Ange-
legenheit zu erlangen, trat er öffentlich in der Synagoge zu
Cleve auf und setzte den versammelten Juden seine Ansichten
auseinander, wobei er erwartete, dass die Juden, falls sie das
im Stande wären, ihm das Irrthümliche in denselben nachweisen
würden. Als dies aber nicht geschah, begab er sich ganz zu
Dr. Neuspitzer, der ihn freundlich in sein eigenes Haus aufnahm,
dort erhielt und ihn unterrichtete, bis er ihn, 23 Jahre alt, 1671
taufen konnte. Nach dem Kurfürsten von Brandenburg nahm
er den Namen Friedrich an und wünschte nun, die Juden mit
dem Evangelium aufzusuchen, besonders aber die Jugend im
Hebräischen zu unterweisen. Sein Weg führte ihn jetzt nach
Holland, dort besuchte er die Akademie zu Groningen und ging
1672 nach Leyden als Candidat des Predigtamtes. 1677 erhielt
') Wolf B. H. 1, 3, 4 N. 1852.
— 161 —
er seine erste Stelle in Ossenen, 1680 aber wurde er nach
Spyk bei Gorkum in Süd -Holland versetzt und blieb dort bis
an sein Ende.
Sogleich nach seiner Bekehrung schrieb er Theatrum luci-
dum, exhibens verum Messiam dominum nostrum Jesum Christum
ejusque honorem defendens contra accusationes Judaeorum seu
Rabbinorum in genere, speciatim R. Lipman Nizzachon. Amster-
dam 167 1. Das Buch wird sonst auch unter dem Titel Tracta-
tus de vero Messia angeführt und wurde später von ihm, reichlich
vermehrt, in holländischer Uebersetzung herausgegeben, Amster-
dam 1683, und in noch erweiterterer Gestalt, Haag 1684. Im
Holländischen trägt es den Titel: De Heerlyckheid Jesu Christi
Krachtelyk uyt Moses en de Propheten bewesen. Diese Ausgabe
enthält auch zwei Predigten des Verfassers über 1 Mose 49, 10
und Maleachi 3 , 1 , von denen die erstere in deutscher Ueber-
setzung bei Joh. Christ Müller 1 702 im Pantheon Anabaptisticum
N. 43 zu finden ist.
Die erwähnten Schriften reden zu Gunsten dieses Proselyten;
denn aus ihnen spricht eine lebendige christliche Ueberzeugung
und Erfahrung des Verfassers heraus. Christum stellt er beson-
ders als das Licht des Lebens den Juden dar und bittet sie,
diesem Lichte zu folgen, so würden sie sich nicht länger auf die
Irrwege ihrer Ueberlieferungen verlieren. Dabei beweist er ihnen,
dass der Messias gekommen sei, und kein anderer mehr kommen
könne, sondern sie vielmehr stets, weil sie den wahren Messias
nicht hätten annehmen wollen, von falschen Messiasen betrogen
worden seien, während alle Schriftzeugnisse in Christo ihre Er-
füllung gefunden hätten. Auch die Lehre von der Dreieinigkeit
weiss er seinen früheren Glaubensgenossen in lebendiger Weise
nahe zu bringen. Ueberall aber braucht er denselben gegenüber
eine sehr gewinnende, herzliche Sprache und dringt in sie, die
Schrift zu lesen, welche der rechte Wegweiser in Glaubens-
sachen sei.
In einer anderen Schrift Vertoog van de Wangestalte des
hedendaegse superstitieuse Jodendoms, mitsgaders have stoute
hardnekkigheyd, int lästeren van de Heere der Heerlykheid, en
de misbruyk van die an haar gegunne vryheyd, Dortrecht 1699,
erzählt er, wie ein jüdischer Lehrer aus Leerdam zu ihm unter
dem Vorgeben, dass er Christ werden wolle, in der That aber,
um ihn zu ermorden, gekommen sei. Als ihm sein verbrecheri-
J. F. A. de le Roi, Missionsbeziehungen. II
— IÖ2 —
sches Vorhaben nicht glückte, richtete er dann eine Schrift voller
Lästerungen an Ragstatt de Weile, auf welche derselbe in der
eben erwähnten Schrift antwortete. Hier nun beklagt Ragstatt,
dass den Juden zu weit gehende Freiheiten in Holland eingeräumt
würden, und dies sie nur an ihrer Bekehrung, deren Beförderung
ihm sehr am Herzen lag, hindere. Seine Schrift brachte denn
auch Vorschläge, wie man das Missionswerk unter den Juden
lebendiger anfassen sollte. Zugleich aber wendete er sich hier
gegen die gehässigen Reden und Erdichtungen, mit welchen die
Proselyten von jüdischer Seite verfolgt würden, und bewies in
einer Predigt über Jesaia 55, 1 dann den Juden, dass ihr Cere-
monialgesetz keine Giltigkeit mehr habe.
Dass sein Zeugniss von den Juden empfunden wurde, beweist
aber nicht bloss jener Mordanfall des jüdischen Lehrers auf ihn,
sondern in besserer Weise auch die Bekehrung eines reichen Juden
portugiesischer Abkunft, Aharon Gabai Faro (Rodriguez), welcher
des Verfassers Schrift de Heerlykheyd Jesu Christi gelesen hatte
und durch sie zur Erkenntniss Jesu Christi geführt wurde. In
der Taufpredigt Jesus Nazarenus Sions koninck über Psalm 2, 6
berichtete Ragstatt de Weile selbst über diesen Fall.
Sonst wird unter den bekehrten Juden dieser Zeit in Holland
Johannes Jacobus genannt, von dem im Jahre 1682 eine Schrift
in Amsterdam erschienen ist: Jesus de waare Hoeckstein, welche
der Verfasser zuerst in englischer Sprache hatte ausgehen lassen;
später hiervon mehr.
Wenig Ehre hat Aaron Margaritha seinem Christenstand
gemacht.*) Derselbe stammte aus Polen. In Leyden wurde er
von Trigland in die reformirte Kirche aufgenommen, später aber in
Hamburg lutherisch 1712. Derselbe hat an verschiedenen Orten
Hebräisch unterrichtet und eine Menge von Schriften verfasst;
insbesondere hat er die Uebereinstimmung der Cabbala mit der
christlichen Lehre nachzuweisen gesucht. Da er zu keiner festen
Lebensstellung gelangte, soll er schliesslich den Juden angeboten
haben, wieder zu ihnen zurückzukehren und endlich im Zucht-
hause in Copenhagen gestorben sein. Die Gerechtigkeit aber
erfordert es anzuerkennen, dass die Unsicherheit seiner äusseren
Lage ihm zur Versuchung werden musste, und dass weder in
Holland noch in Deutschland Genügendes geschah, um diesem
") Wolf B. H. i, 3, 4 N. 189. Saat 1869. Weihnacht S. 147 ff.
— iÖ3 —
schwankenden Charakter einen Halt zu bieten. Er sowohl als
ein Proselyt Jacob Wolf wollten sich übrigens das Vertrauen der
Christen durch gehässige Beschuldigung ihrer früheren Glaubens-
genossen erwerben.
Tödtliche Feindschaft der Juden, die vor nichts zurück-
schreckte, und in vielen Fällen Vernachlässigung auf Seite der
Christen, das war das Loos, welches die Proselyten in Holland
fanden; eben dies erklärt es denn auch, dass viele vom Christ-
werden zurückschreckten, und die Zahl der Proselyten im 17.
Jahrhundert dort keine erhebliche war.
7. Grossbritannien.
William Prynne, A short demurrer to the Jews long dis-
continued remitter into England 1656. A narrative of the late
Proceedings of Whitehall concerning the Jews, London 1656, zu
finden in Phenix or a Revival of scarce and valuable pieces
S. 391 ff. London 1707 und 1708, wieder abgedruckt in Jewish
Expositor 1826 S. 281 ff. Anglia Judaica von D. Blossiers
Tovey. Oxford 1738. Schudt 1, 190 ff. 4, 124 ff. Picciotto,
sketches of Anglo Jewish History S. 25 und öfters. Our Missions
von Thomas D. Halsted. S. 31 ff. London 1866.
a. Die Wiederaufnahme der Juden in England.
Im Jahre 1290 waren die Juden unter König I. Eduard
aus England vertrieben worden, und die katholische Zeit Hess
es dann zu keiner weiteren Theilnahme für dieselben kommen.
Allein die Reformation ist es gewesen, welche wieder ein Interesse
an den Juden in weiteren Schichten des englischen Volkes er-
weckt hat. Besonders fühlten die Puritaner bei ihrem eifrigen
Studium der Bibel und zumal des Alten Testamentes ihre Auf-
merksamkeit auf dieselben gerichtet; und leicht übertrug man
in diesen Kreisen, was von der Treue der Gläubigen Israels
während der Tage des Alten Bundes in der Schrift gesagt war,
auf die Juden der Gegenwart. Ueberdem las man die zahlreichen
Verheissungen, welche besonders das Alte Testament für die
Juden enthält; und der lebendige Glaube an die Wahrheit der
Schrift nahm die Erfüllung schnell voraus, ohne dass man immer
die Bedingungen ihrer Erfüllung recht erwog. Alles dies wirkte
dazu, dass sich nicht wenige in England ein ganz eigenthüm-
1 1*
i6a
liches Bild von den Juden, die man ja überdem in der Nähe
nicht sah und aus Erfahrung nicht kannte, entwarfen. Eduard
Nicholas schrieb z. B. eine „Apologie für die ehrenwerthe
Nation der Juden und für alle Söhne Israels", welche die Juden
üb erschw anglich idealisirte. Das alles wurde den Juden des
europiüschen Festlandes wohl bekannt und so hielt man in
Cromwells Zeit unter demselben die Zeit für gekommen, ihre
Aufnahme im Inselreiche von Neuem zu erbitten. Der Name
Cromwells, eines Staatsmannes, der mit seinen Anhängern ganz
besonders hoch vom Alten Testamente hielt und sich mit ihnen
überall auf dasselbe berief, wurde unter den Juden weit und
breit genannt. Eben diese Vorliebe Cromwells für das Alte
Testament mag unter den Juden ähnliche Vorstellungen über
den Protektor hervorgerufen haben, wie die waren, welche die-
selben im Anfange der Reformation von Luther hatten. Sie
glaubten, dass er und seine Anhänger im Grunde ihres Herzens
jüdische Gesinnung hegten, und der Ruf beider war in der That
in der Judenschaft ein ganz seltsamer.
Ueberdem hatte Cromwell allgemeine Religionsfreiheit ver-
kündigt und erklärt, dass er dem Handel besonderen Schutz und
Pflege werde angedeihen lassen, und als ein Handelsvolk sah er
die Juden mit günstigen Augen an. Sein Feldkaplan stellte
1647 sogar den Antrag, es solle den Juden erlaubt werden, in
England zu wohnen und Handel zu treiben.
Alle diese Umstände veranlassten Menasseh Ben Israel in
Amsterdam, die Wiederaufnahme der Juden in England zu be-
treiben. Er trat zu diesem Zwecke mit einflussreichen und ge-
lehrten Männern in einen Briefwechsel. Schon 1647 hatte er
nämlich an einen Engländer geschrieben, dass ihr Land seine
gegenwärtigen Unruhen besonders den früheren Verfolgungen
der Juden zu danken habe. 1650 aber hatte er sein Buch Spes
Israelis dem englischen Parlament gewidmet und den Dank dieser
Körperschaft dafür durch Anschreiben des Parlamentsassessors
E. S. Middlesex erhalten. Hierdurch ermuthigt, wandten sich
nun an Menasseh Ben Israel orientalische Juden, welche ihren
Amsterdamer Genossen dringend aufforderten, die günstige Ge-
legenheit nicht unbenutzt vorübergehen zu lassen und die Wie-
derzulassung der Juden im Inselreiche zu beantragen. Menasseh
folgte dieser Aufforderung und ging 1655 mit Jacob Ben Azahel
und dem Präger Rabbi David Eleazar nach London. Gleichzeitig
i65 -
war eine Anzahl jüdischer Kaufleute in die englische Hauptstadt
gekommen, die nur den Ausgang der Verhandlungen jeher eben
genannten abwarten wollten, um sich, wenn dieselben günstig
ausfielen, sogleich in England niederzulassen.
In London wandten sich die Abgeordneten zuerst an die
Handelskammer, um derselben Eröffnungen über eine vortheil-
hafte Verbindung Englands mit dem Orient zu machen. Das
Direktorium der Handelskammer nahm sie gut auf, wies sie
aber mit ihrem Gesuch um Aufnahme in England an Cromwell.
Die Räthe Cromwells wurden nun durch die jüdischen
Deputirten bestochen und unterstützten daher ihr Gesuch. Me-
nassehs Petition enthielt aber 7 Punkte: I. Aufnahme der jüdi-
schen Nation in England. 2. Freie Religionsübung für dieselbe.
3. Gewährung eigener Begräbnissplätze. 4. Freie Ausübung des
Handels unter denselben Bedingungen, wie sie für andere Fremde
bestünden. 5. Schutz für die Anziehenden. 6. Eigene Gerichts-
barkeit der Juden bei allen ihren Streitigkeiten unter einander.
7. Aufhebung der Gesetze wider die Juden.
Ueber dieses Begehren zu berathen nun berief der Protektor
eine Versammlung von weltlichen und geistlichen Mitgliedern,
die vom 4. bis 18. Dezember 1655 in wöchentlich 2 oder 3
Sitzungen in Whitehall tagte. Die Stimmen waren getheilt.
Mehrere und besonders einige Geistliche fürchteten, dass die
Rückkehr der Juden zur Verführung vieler Christen führen würde,
und diese Furcht war bei der eigentümlichen Auffassung von
der Giltigkeit des alttestamentlichen Gesetzes in puritanischen
Kreisen keine ungegründete. Dachten doch nicht Wenige unter
denselben daran, den christlichen Sonntag durch den jüdischen
Sonnabend zu ersetzen. Jedesfalls forderte man ein Verbot der
Lästerung Christi, der Verhöhnung der Christen und des Be-
truges. Die Kaufieute äusserten ihre Besorgniss, dass der eng-
lische Handel durch diese Fremden Schaden leiden würde. Von
anderen und besonders von weltlichen Räthen dagegen wurde
die Ansicht geäussert, die Christen seien Schuldner der Juden
und sollten dieselben nun reizen, das Evangelium anzunehmen.
Die Juden erlitten in vielen Ländern grosse Verfolgung; das sei
aber gegen die Schrift. England, in dem schon gegenwärtig von
vielen Christen eifrig und glühend für das Heil der Juden gebetet
werde, solle ihnen zeigen, dass es die frühere eigene Verschuldung
gegen die Juden bereue und dass es jetzt gern ein Werkzeug
— 166 —
zu ihrer Bekehrung werden wolle. England, das an die Ver-
heissungen Gottes für die Juden glaube, habe doppelten Anlass,
dieselben aufzunehmen. Der Händel des Landes aber werde so
wenig durch die Rückkehr der Juden Schaden nehmen, dass
man durch dieselben vielmehr nur eine Förderung desselben zu
erwarten habe.
So standen die Ansichten einander gegenüber, aber die
Mehrzahl der Versammlung war nicht für die Gewährung der
Rückkehr.
Der Protektor konnte sich nicht entschliessen, ob er
der Mehrheit oder der Minderheit jener Versammlung folgen
sollte; aber ein eigenthümlicher Umstand erbitterte ihn dann
gegen die jüdischen Abgeordneten. Anfangs war er für ihre
Aufnahme günstig gestimmt gewesen, weil er die Belebung der
Handelsverbindungen mit dem Orient durch Juden, die sich in
England niederliessen, erhoffte. Er gewährte denn auch den
jüdischen Abgeordneten eine Audienz und nahm sie bei
dieser Gelegenheit gütig auf. Es heisst nun aber, dass sie im
Verlauf des Gespräches Cromwell gegenüber die Cambridger
Bibliothek gerühmt hätten, und dass der Protektor, welcher dieser
Universität ihre Anhänglichkeit an den früheren König nicht
verzeihen konnte, versprochen habe, ihnen aus derselben alles,
was sie gern besässen, zu verkaufen. Sie besahen denn auch
dieselbe und nahmen ihren Catalog mit sich. Das wurde bekannt.
Das Gerücht ging nun aber weiter und wollte wissen, dass
die jüdischen Abgeordneten selbst für die Pauls -Kirche, welche
Cromwell ein Dorn im Auge war, einen hohen Preis geboten
hätten, die von ihnen vorgeschlagene Summe dem Protektor
aber nicht hoch genug erschienen sei. Jedesfalls wurde von den
jüdischen Abgeordneten, wenn auch nicht dem Protektor selbst,
für die Zulassung der Ihrigen in England eine hohe Summe
versprochen.
Es wird nun weiter erzählt, dass die Gesandten vor ihrer
Rückkehr aus Cambridge im Auftrage derer, welche sie abge-
schickt hatten, den Geburtsort Cromwells Huntington besucht
hätten, weil unter den orientalischen Juden die Rede ging, dass
der Protektor ein jüdischer Bastard sei; war doch selbst unter
jener Judenschaft die Meinung geäussert worden, dass Cromwell
der verheissene Messias sein möchte. Die Gesandten hätten
diesen ihren Auftrag zwar mit aller Vorsicht ausgeführt, aber
- i67 -
das Gerücht von ihren Fragen und Nachforschungen habe sich
weiter ausgebreitet und sei endlich auch zu Cromwells Ohren ge-
kommen. Die Gegner desselben benutzten jedesfalls diese Dinge,
um ihn im Volke zu verdächtigen. Der Protektor war denn auch
über alles Vorgefallene sehr ungehalten und erklärte nunmehr
den Gesandten in einer öffentlichen Audienz, dass er ihnen weder
Handelsfreiheit gestatten noch die Bibliothek an sie veräussern
werde, zugleich aber, dass er mit den Seinen einen gekreuzigten
Gott anbete, dessen Feinde sie seien; ungnädig und ohne eine
Antwort von ihnen anzunehmen, entliess er sie hierauf.
Vergeblich wartete Menasseh Ben Israel noch bis zum
April 1656 auf eine Aenderung in der Stimmung Cromwells;
denn er glaubte, dass der eben erwähnte Bescheid kein end-
giltiger sein solle, und dass die Erregung des Protektors sich
bald wieder legen werde. Cromwell jedoch sah die Oeffent-
lichkeit zu sehr gegen die Juden eingenommen, als dass er sich
entschlossen hätte, etwas zu ihren Gunsten zu thun. Schriften,
wie die von Prynne über die schwebende Frage, London 1656,
herausgegebene sprachen sich zu scharf und entschieden gegen die
Wiederaufnahme der Juden in England aus. Der Verfasser er-
klärte im Sinne sehr vieler, dass nach den Erfahrungen, die
England früher mit den Juden gemacht habe und nach den Ge-
setzen, die ihre Rückkehr geradeswegs verböten, dieselben nicht
wieder den Zutritt im Lande erhalten dürften. Ihm antwortete
zwar Thomas Collier in „Brief answer to some of the objections
and demurs made against the Coming in and inhabitating of the
Jews in this Commonwealth" ebenfalls 1656, und Menasseh Ben
Israel richtete gegen ihn seine Vindiciae Judaeorum in dem-
selben Jahre, aber vergeblich. Die Gesandten verliessen zuletzt
London und mit ihnen die aus der Ferne herbeigekommenen
Kaufieute. Menasseh Ben Israel starb bald darauf in Middelburgh
und hatte sein Ziel nicht erreicht.
Unter Cromwell haben denn auch jedesfalls die Juden noch
nicht die Erlaubniss zur Rückkehr erhalten, wenn gleich einzelnen
die Ansiedlung gestattet worden sein mag, und Menasseh Ben
Israel sogar vom Protektor, der ihm persönlich wohl wollte, ein
Jahresgehalt von 100 Pfund Sterling ausgesetzt erhalten haben
soll. Unter Cromwells Sohn, welcher dem Vater 1658 folgte,
oder doch sicher unter König Karl II. dagegen ist es den Juden
gestattet worden, sich in England niederzulassen. Der stets
— i68 —
geldbedürftige Karl ertheilte freilich seine Ansiedlungserlaubniss
nur gegen Geld.
Sefardische oder protugiesische und aschkenasische (deutsche
und polnische) Juden bildeten dann den Grundstock der neuen
englischen Judenschaft. 1662 finden wir bereits eine jüdische
Synagoge in London erwähnt. Die Portugiesen waren das
aristokratische Element in dieser Judenschaft und schlössen sich
von den Aschkenasim im bürgerlichen Leben völlig ab, so dass
sie mit denselben zunächst auch keine Ehen eingingen, und von
Gemeindebeamten in dieser ersten Zeit ein aschkenasischer Jude
nur das Amt eines Büttels erhielt. Die Zahl dieser neu an-
gesiedelten Juden war anfangs nur eine ganz geringe und ver-
mehrte sich erst allmählig. Bekanntlich wohnen auch jetzt im
Inselreiche nur etwa 80,000 Juden.
b. Missionsbemühungen in England.
Viel früher, als sich Juden wieder in England ansiedeln
durften, sehen wir bereits die christliche Theilnahme für dieselben
im evangelischen England erwachen.
Das 121 3 unter König Johann gegründete Haus für bekehrte
Juden hatte auch während der seit 1290 verflossenen etwa 370
Jahre der Verbannung der Juden aus England immer wieder etliche
auswärtige Bekenner des Judenthums, welche sich zum Christenthum
wenden wollten, aufgenommen. Dies geschah sowohl in der
katholischen als hernach in der evangelischen Zeit, und wenigstens
dieser Faden des Missionswerkes ist also in England nie ab-
gerissen. Der Master of the Rolls oder Urkundenbewahrer Eng-
lands , einer der höchsten Beamten des Königreiches war über
das Haus gesetzt und bei der Einsetzung desselben in sein Amt
wird auch jenes Hospital öfters erwähnt. Karl I. beschützte
einige daselbst wohnende Juden. Zwei Proselyten, Eleasar
und Abraham, baten das Parlament 1653, aus den Einkünften
des Hauses etwas empfangen zu dürfen. Karl IL überwies dem
Hospital mehrere arme Juden im Jahre 1660, und König Jacob IL
folgte 1687 seinem Beispiele. Tovey aber beklagt hernach im
Jahre 1733, dass, obwohl das Haus noch stünde, es doch wenig
für seine Zwecke gebraucht werde.
Zu den frühesten Fällen, in denen ein evangelischer Geist-
licher Englands Gelegenheit fand, einem Juden der Wegweiser
zum Christenthum zu werden, gehört der von John Fox, welcher
— ■ 169 —
einen von Nordafrika nach England gekommenen Juden taufte,
der seitdem den Namen Nathanaei führte. Die Taufe fand in
Parish Church of Allhallowes in Lombard Street zu London am
1. April 1577 statt. Die bei dieser Gelegenheit gehaltene Predigt
erschien zuerst in lateinischer Sprache und wurde dann 1587
durch James Bell auch in englischer Uebersetzung herausgegeben.
Sehr ausführlich handelt hier Fox nach Römer 1 1 über den
wahren und schönen Oelbaum (of the true and gladsome Olive
tree). Nathanaei erhielt nach sechsjährigem Aufenthalte in Eng-
land die Taufe. Fox aber nimmt bei dieser Taufe Gelegenheit,
die Hoffnung Israels an der Hand jenes Kapitels in aller Aus-
führlichkeit zn besprechen, wobei er besonders auf Daniel eingeht,
zugleich eine vollständige Erklärung der christlichen Glaubens-
lehre gibt und die römische bekämpft. Von diesem Erstling
unter den Proselyten aber, welche zur evangelischen Kirche Eng-
lands übergetreten sind, wird hernach die Rede sein.
Besonderen Eifer für die Bekehrung der Juden entfaltete
Hugo Broughton.*) Derselbe ist geboren 1549 und gestorben
16 12. Er war als Theolog und Prediger in seiner Zeit geschätzt*
aber auch wegen seiner Grobheit, Händelsucht und Eitelkeit von
seiner Umgebung gefürchtet. Seinen ältesten Sohn Rowland
unterrichtete er so früh im Hebräischen, dass derselbe mit 7 oder
8 Jahren das Alte Testament in der Ursprache las und sich
später auch, zum Leidwesen seiner Mutter, vielfach mit dem
Vater hebräisch unterhielt. Freilich aber war das Hebräische
Hugo Broughtons ebenso wie sein Latein ein sehr wenig klas-
sisches. Seit 1589 kam er wiederholt auf das Festland und
disputirte mit den Juden in Frankfurt a. M., Hannover, Worms,
Offenbach, Hanau, Basel, Zürich und an anderen Orten. Seine
Disputationsart war jedoch nicht immer eine sehr feine, und
sticht er in dieser Hinsicht ungemein von den übrigen englischen
Theologen ab, die fast allgemein den Juden gegenüber eine sehr
gewinnende Sprache führen. In der Synagoge zu Frankfurt a. M.
von den Juden angeredet, „sang unser Vorsänger nicht wie ein
Engel?" antwortete er „nein, er bellte wie ein Hund". Aber weil
ihm die Juden eine lebendige Theilnahme für sie abfühlten, traten
sie doch gern mit ihm in mündlichen und schriftlichen Verkehr.
*) Schudt 4 TM. 2. Forts. 72 ff., 3. Forts. 110 ff. Wolf 1, 3 N. 545.
4 S. 491. Gewish Expositor 1823 S. 137 ff., 248 ff.
— 170 —
Mehrere gelehrte Juden in Frankfurt a. M. wünschten nach
seiner Erzählung von ihm im Evangelio unterrichtet zu werden,
und sein Name wurde weit und breit unter den Juden bekannt.
Lord Edw. Barton, der diplomatische Vertreter Englands in
Konstantinopel, welchem das Wohl der Juden am Herzen lag,
händigte eine Schrift von Hugo Broughton „The Book of
Scripture Concent" dem Oberrabbiner der türkischen Hauptstadt
ein, und in Folge dessen sandte jener jüdische Gelehrte Abraham
Ben Rüben durch Lord Barton einen Brief an Broughton, in
welchem er denselben bat, nach Konstantinopel zu kommen, um
die dortigen Juden in den Fragen des Glaubens zu unterweisen.
Diesen hebräisch geschriebenen Brief erhielt Broughton in Basel
und Hess ihn drucken, während er seine eigene hebräische Ant-
wort mit lateinischer Uebersetzung versehen in Amsterdam 1606
in den Druck beförderte. Diese Antwort enthielt eine Ausein-
andersetzung der christlichen Lehre.
Broughton wandte sich nun aber auch an Königin Elisa-
beth von England, König Jacob von Schottland und das Privy
Council mit der Bitte, dass ihm die Mittel gegeben würden, um
eine hebräische Uebersetzung des Neuen Testamentes und eine
christliche Literatur in hebräischer Sprache zum Besten der Juden
herzustellen. Diesem Gesuche ist jedoch keine Folge gegeben worden.
Unter den Juden selbst hatte Broughton manchen sicht-
baren Erfolg zu verzeichnen. Ein Rabbi Elias in Frankfurt
wurde, während er anfangs seinem christlichen Gegner heftig
widerstrebt hatte , durch das Gespräch mit demselben doch so
bewegt, dass er ihm nach Basel nachreiste und ihn bat, das
Neue Testament ins Hebräische zu übersetzen. Zwei italienische
Juden, welche seine Schriften und zumal seine Erklärung zum
Daniel gelesen hatten, Hessen sich taufen; ein anderer, welchen
die Gespräche, die er mit Broughton gehabt hatte, vom Festlande
nach England herübergezogen, wurde dort getauft.
1605 schrieb Broughton auch hebräisch und lateinisch: Fa-
milia Davidis, eine Disputationsschrift gegen den portugiesischen
Rabbi Farar, die 1608 unter dem Titel: Christs Family and
other things depending upon it, englisch erschien. Ausserdem
gab er noch eine Anzahl polemischer Schriften gegen die Juden
heraus.
Wäre Broughton nicht ein so abstossender Charakter ge-
wesen, so hätte sein Beispiel wahrscheinHch schon damals in
— 171 —
England zahlreichere Nachfolger gefunden. Anregungen aber
haben jedesfalls die Theologen seiner Zeit durch ihn erhalten,
wie denn auch hernach Lightfoot seine Werke herausge-
geben hat.
Ein Gegner Broughtons, der Oxforder Professor John Rai-
nold, gehörte zu denen, welche sich am Frühesten in England
mit talmudischer und rabbinischer Literatur bekannt gemacht
haben. In seiner Censura librorum apocryphorum, Oxford 1611,
wendet er bereits die eigenen Waffen der Rabbinen gegen die-
selben; ein Bewunderer des Talmud war er nicht.
John Harrison lernte als englischer Beamter die Juden in
der Berberei kennen und trat mit ihnen in Verbindung, wie er
sich denn auch ernstlich auf das Studium des Hebräischen legte,
um ihnen religiöse Handreichung zu thun. Die Misshandlungen
der Juden durch die Muhammedaner gingen ihm zu Herzen und er
hätte gern ihr Schicksal geändert. Es war ihm aber klar, dass
ihr schmerzliches Loos eine Folge der Verwerfung Christi sei,
und er ihnen eben desshalb dazu helfen müsse, „dass sie sich
die Decke von den Augen nehmen Hessen". 16 10 erschien von
ihm in Amsterdam und 1619 zum zweiten Male The Messiah al-
ready come. Er wollte mit dieser Schrift die Juden der Berberei
und in anderen Ländern erreichen, forderte in derselben aber auch
die Christen auf, von aller Unbarmherzigkeit gegen die Juden
zu lassen und mit aller Geduld an ihrer Bekehrung zu arbeiten.
Den Juden selbst beweist er, dass der Messias gekommen sei,
aus den Weissagungen des Alten Testamentes, den Lebensum-
ständen Jesu, den Erfahrungen der ersten christlichen Kirche
und der ganzen Geschichte seit Christo.
Auch Edwin Sandys war bei seinen Reisen, die ihn weit-
hin führten, auf die Juden aufmerksam geworden. Er beschrieb
ihre Zustände und ermunterte zum Missionswerke unter ihnen.
Aus dem Englischen desselben übersetzt erschien 1626 in Genf:
Relation de l'etat de la religion, das 1669 auch in Frankfurt eine
deutsche Uebersetzung erfuhr.
Der Geistliche Thomas In gern et hör p in der Diöcese Durham
•übersetzte 1633 den kirchlichen Katechismus ins Hebräische. Der
Titel lautet: A short catechism by law authorized in the Church
of England for young Children to learn, translated into Hebrew.
Der Uebersetzer war offenbar der hebräischen und rabbinischen
Sprache kundig, denn seine Uebersetzung ist lesbar. Das Buch
— 172 —
ist dem Erzbischofe von York gewidmet und hat in den hohen
kirchlichen Kreisen Sympathie gefunden.
The Calling of the Jews, a Present to Judah and the Chil-
dren of Jsrael, ist der Titel einer Schrift von William Gouge,
London 1621. Vorangeschickt ist derselben ein Brief an die
fudenschaft der ganzen Welt, welcher sie in überaus beweglicher
Weise zur Annahme Christi reizen will und ihnen vor Augen
stellt , welche Herrlichkeit ihrer wartete , wenn sie Christum an-
nähmen. Neben manchem Schönen, was diese Schrift bietet, wird
hier doch bereits unter Berufung auf die Propheten und die
Offenbarung Johannis jene Geschichtsauslegung und jene Berech-
nung der letzten Dinge getrieben, die ganz genau weiss, wie sich
alles in der nächsten Zeit gestalten werde, und welche jetzt in
weiten Kreisen des Inselreiches grassirt. Als ein Beweis, dass
diese Richtung ihre Wurzeln in bestimmten Fehlern der englischen
Schrifterklärung bereits vor 250 Jahren gehabt hat, ist Gouges
Schrift merkwürdig. Sie hätte aber dadurch, dass ihre Erklärung
der Weissagung von der Folgezeit vollständig gerichtet worden
ist, eine Warnung vor dieser Art und Weise, die Prophetie Alten
und Neuen Testamentes zu verstehen, werden sollen. Und es
ist daher wichtig auf solche Schriften hinzuweisen, die durch die
Widerlegung, welche ihnen die Geschichte selbst ertheilt hat,,
recht ernstlich dazu rathen, dem geschichtlichen Walten Gottes
in dem Fortschritte der Zeiten ernster nachzudenken. Der
Mission und dem Missions werke in England hat es ausserordent-
lich geschadet, dass man hier oft den Gang und die Entfaltung
des Reiches Gottes und des göttlichen Lebens in der Menschheit
zu mechanisch aufgefasst hat.
1635 wendet sich dann Jo. Paget in seinem englischen
Buche gegen die Brownisten auch gegen die Irrthümer der Juden,
Amsterdam 1635, und Joh. Davenport schrieb 1652 zu London:
The true Messias or crucified Jesus.
Mit Robert Sheringham tritt, hernach sich weiter ver-
breitend, jene Richtung in England zu Tage, bei welcher die Verherr-
lichung der Juden dicht bis an den Verrath der christlichen Sache
selbst streift. Sheringham ist der absoluteste Bewunderer der
talmudischen und rabbinischen Literatur. In seiner mit einer latei-
nischen Uebersetzung und einem Commentar versehenen Ausgabe
des talmudischen Traktates Joma, London 1648, erklärte er, dass
man die Schrift ohne den Talmud ffar nicht recht verstehen und
— i/3 —
das Gesetz selbst bis zu einem gewissen Grade nicht ohne den
Talmud erklären könne. Die Jerusalemer Mischnah und Ge-
marah müsse man von allen Erdichtungen freisprechen. Shering-
ham ist übrigens ein ebenso aufgeblasener als unselbständiger
Mensch; er hat zumeist aus anderen Quellen geschöpft.
Desto eifriger bekämpft Thomas Burnet die jüdische Lite-
ratur oder wenigstens die Cabbala in seiner Archaeologia philo-
sophica, London 1692, und von Rosenroths Vorliebe für die-
selbe. Ausser dem Gedanken, dass alles einmal zu Gott zurück-
kehren müsse, sei hier alles unnütz. Seinem Werke: De statu
mortuorum et resurgentium hat er einen Anhang hinzugefügt:
De futura Judaeorum restauratione , der in Rotterdam 1727 im
Drucke erschien. Er geht hier alle Verheissungen der Schrift
von Abraham an durch , um die zukünftige nationale Wieder-
herstellung Israels zur Gewissheit zu machen. Und ebenso deckten
Jo. Morinus und Jo. Owen, welche das Studium des Talmud
und der Rabbinen eifrig betrieben, die ungemeinen Schwächen der-
selben rückhaltlos auf.
Franc. Tay ler schrieb über die Pirke Aboth. Christoph.
Cartwright benützte die rabbinische Literatur besonders für die
Auslegung des Alten Testamentes. Clerc und Guisius, beide
in Oxford, übersetzten einzelne Traktate des Mischnah ins La-
teinische. Sam. Ockley zu Canterbury und Thomas Hyde,
Oxford 1698, widmeten sich mit besonderem Fleisse den Schriften
von Jehuda Arje (Leo Mutinensis).
Ed. Pocock, der die talmudische Literatur mehrfach be-
arbeitet hat, vertraute ihrer Beweiskraft für das Christenthum zu
viel. Menasseh Ben Israel imponirte ihm so, dass er sein Leben
in französischer Sprache beschrieb. Zu denen, welche das tal-
mudische und rabbinische Studium besonders trieben und for-
derten, gehört auch Robert Clavering in Oxford.
Sie alle überragt als Kenner der jüdischen Literatur Jo.
Lightfoot, 1602 — 1675. Er hat für die Erklärung des Alten
und Neuen Testamentes von dieser Literatur den ausgiebigsten
Gebrauch gemacht, und das in überwiegend gesunder Weise.
Besonders müssen hier seine Horae Hebraicae et Talmudicae
hervorgehoben werden, in welcher er seine ungemeine Kenntniss
der rabbinischen Literatur für die Erklärung der vier Evangelien,
der Apostelgeschichte und Theile des Römer- und Corinther-
— 174 —
Briefes venverthet. Im Allgemeinen hat er sich hierbei, wie
gesagt, Nüchternheit bewahrt.
In seinem Manipulus spicilegiorum ex lib. Exod. , Sectio
2j (Oper om. Tom. i, 175 ff.) stellt er, nachdem er in Sect. 26
die Meinung der Juden über das Gesetz aus Talmud Maccoth.
Rab. Abhuhah dargestellt hat, die 10 Artikel eines gläubigen
Juden, dargestellt nach dem Gesetze Moses zusammen: dass das
Heil durch den Glauben und nicht durch die Werke komme,
dass es keine Versöhnung Gottes ohne Genugthuung gebe, dass
diese Genugthuung einst würde geleistet werden, und zwar durch
einen bestimmten Mann, der mehr sein werde als ein Mensch,
sowohl Gott als Mensch, der, um die Genugthuung zu leisten,
sterben müsse , aber nicht für eigene Sünde , sondern für die
Sünde der Menschen und dann vom Tode auferstehen würde,
während der Mensch durch den Glauben an sein Verdienst selig
werde. Dabei macht Lightfoot die Juden vielfach darauf aufmerk-
sam, dass sie sich selbst widersprechen und vom Talmud mit
seinen vielen Fabeln ebenso geknechtet werden, wie die Katho-
liken vom Tridentinum.
Mit dem Evangelium verglichen sei der Talmud Streu ohne
Werth, und auch die Cabbala für den Christen ohne jeden Nutzen.
Er klagt den Talmud besonders darum an, weil er ein buntes
Gemisch von Gut und Schlecht sei, glaubt aber, dass, während
für die Juden die Lektüre desselben verderblich wäre, die Christen
für die Erklärung des Neuen Testamentes aus demselben den
grössten Nutzen ziehen könnten. Seine Ansichten schwanken
hin und her, je nachdem einmal der Eindruck des Anziehenden
oder des Widerwärtigen, des bloss gelehrten oder des religiösen
Interesses bei ihm vorherrscht.
Dasselbe Schwanken nimmt man in seinen Ansichten über
die zukünftige Bekehrung der Juden wahr. In seiner Chronica
temporum et ordo textuum N. T. Tom. 2. 151 bekennt er, dass
sich einst zwei grosse Haufen der Juden bekehren würden, nicht
aber das jüdische Volk; denn dasselbe sei der Antichrist. Da-
gegen enthalten seine hinterlassenen Schriften Op. posthum.
(S. 146) „Verheissungen, welche der jüdischen Kirche gegeben
sind und sich in den letzten Tagen erfüllen müssen, aus den
Propheten kurz zusammengestellt". Hier lehrt er ausdrücklich
eine endliche Rückkehr Israels in sein Land und beschreibt das-
selbe als die vollendete Kirche der Zukunft.
— 175 —
Die rabbinische Literatur fand ferner reiche Berücksichtigung
durch Jo. Seiden, gestorben um 1650, und H. Prideaux über-
setzte Theile der Schrift von Maimonides Jad Chasaka, Oxford 1679.
Zur selben Zeit forderte der damals in England weilende
deutsche Gelehrte Christian Ravis in seinem Discourse concer-
ning the Eastern tongues (London 1650) eindringlich auf, an die
Bekehrung der Juden zu denken. Er bezeugt, dass allerdings
viel in England für dieselbe gebetet, aber doch nichts Rechtes für
sie gethan werde. Es sei unverantwortlich, dieses Volk, das,
obgleich es unter den gerechten Gerichten Gottes stehe, doch
sein Volk noch sei, liegen zu lassen. Wohl sei das Gebet, welches
besonders unter den Geistlichen gar reichlich für die Juden ge-
schehe, ein Zeichen, dass Gott mit den Juden noch etwas vor-
habe; aber man möge dasselbe nicht eine Modesache werden
lassen , die alsdann ein blosses Heuchelwerk würde , sondern
sich durch die Verheissung für die Juden ebenso zum Werk an
denselben reizen lassen, wie sich einst die Juden in der ersten
christlichen Zeit zum Werk an den Heiden durch die Schrift-
verheissung haben bestimmen lassen.
1655 liess Samuel Brett seinen bei Longmanns, London
1679, neuabgedruckten Bericht in A Narrative of the proceedings
of a great Council of Jews assembled in the piain of Ageda
(Nagy-Ida) in Hungaria erscheinen. Capitain Brett erzählt, dass
er selbst bei diesem Concil gegenwärtig gewesen sei. Dasselbe
habe den Zweck gehabt, die Frage zu prüfen, ob Jesus Christus
der Messias sei. Die Juden hätten sich aber nicht einigen können,
zumal sie das Christenthum nur in der römischen Gestalt kannten.
Brett lässt dort einen Rabbiner sagen, dass er statt der katho-
lischen Geistlichen, welche dem Concile beiwohnten, die An-
wesenheit evangelischer gewünscht hätte, weil diese den Ver-
sammelten eine bessere Vorstellung vom Christenthum gegeben
haben würden. Wie viel Geschichtliches dem allen zu Grunde
liegt, bleibt zweifelhaft. Bretts Darstellung ist jedesfalls eine
tendenziöse , und seine Anwesenheit bei dem Concil ein blosses
Vorgeben. Bei den Reformirten Ungarns hätten sich die Juden
wohl Raths erholen können, wenn es ihr Wunsch gewesen wäre,
die evangelische Lehre kennen zu lernen. Wahrscheinlich sollte
aber Bretts Schrift für die Wiederaufnahme der Juden in England,
welche ja gerade in diesen Jahren geplant wurde, ein Wort sprechen,
indem man der dortigen evangelischen Bevölkerung zu verstehen
- i76 -
gab/Mass die Juden in evangelischer Umgebung sich leicht zum
Christenthum bekehren würden.
Aus derselben Zeit stammt eine Schrift von Henr. Jesse,
die Jdann in Amsterdam aus dem Englischen ins Holländische
übersetzt wurde, „Die Herrlichkeit und das Heil von Juda und
Israel". Der Verfasser redet die Juden und besonders die Amster-
damer an und will sie theils von der Messianität Jesu überzeugen,
theils ihre Einwürfe widerlegen, theils die Hoffnung auf die Be-
kehrung Israels unter den Christen stärken. Sein Traktat „Von
der Vereinigung der Juden und Christen in vielen Hauptpunkten
der Religion" verfolgt den nämlichen Zweck. Rechte Nüchtern-
heit bewahrt er sich nicht bei seinem apologetischen Vorgehen.
Georg Hamnond trat ebenso für die Bekehrung der Juden in
der Schrift: „The good ancient laws and Statutes of King Jesus
vindicated" 1660 ein.
Wie lebhaft die Frage über die Aufnahme der Juden die
Gemüther in England beschäftigte, zeigt besonders die hierauf
bezügliche Literatur. Aber man muss es auch anerkennen, dass
viele der ernsteren evangelischen Christen des Landes den
neuen Ankömmlingen bald ihr Bestes entgegenzubringen ent-
schlossen waren, und dass in nicht wenigen Herzen ein lebendiges
Gefühl für die Pflicht, diesen Juden, die nun unter ihnen wohnen
sollten, Christum zu bezeugen, vorhanden war.
W. Robertson verbesserte die hebräische Uebersetzung
des Neuen Testamentes von Hutter 1661 und Hess in einem
besonderen Abdrucke die kirchlichen Jahresevangelien hebräisch
erscheinen. Alexander Ross bot A View 011 all religions in the
world, London 1660 und 1683, dar, welches Werk David Ner-
retter unter dem Titel: Wunderwürdiger Juden- und Heidentempel
in Nürnberg 1701 — 7 deutsch, und Thoma le Grue, Amsterdam
1666, in französischer Uebersetzung erscheinen Hessen. Hier wird
nicht allein über die jüdische Religion gehandelt, sondern es werden
auch Anweisungen gegeben, wie man es anfangen solle, um die Juden
zur Erkenntniss Christi zu führen. A View of the Jewish Religion
erschien besonders 1656, um in die schwebende Frage mit ein-
zugreifen. Denn Ross wollte die Engländer mit den Juden, welche
sich in ihrem Lande niederzulassen wünschten, bekannt machen
und in den Schicksalen derselben der eigenen Nation einen War-
nungsspiegel vorhalten. Der Verfasser legt dabei überall Kennt-
— 177 —
niss der Sache und ein tieferes Verständniss für das Wesen des
Judenthums an den Tag.
Den Weg wissenschaftlicher Ueberführung der Juden schl ug
Henr. Morus ein; er wollte sie aber besonders durch die Lehre
vom tausendjährigen Reiche angelockt wissen.
L. Addison, Königlicher Caplan, schilderte die Zustände
der Juden in Nord -Afrika in „The present State of the Jews in
Barbary" 1675. Das Heil der Juden lag ihm sehr am Herzen,
und er bat seine Zeitgenossen besonders, die Schriften, die zu
ihrer Bekehrung verfasst würden, in einer ihnen verständlichen
Sprache zu schreiben. Litt doch auch das englische Missionswerk
darunter, dass es noch zu oft in der schweren Waffenrüstung
lateinischer Gelehrsamkeit einherging.
A Dissertation on the History and Oeconomy of the Jews,
London ohne Jahreszahl, von einem Anonymus, stammt offen-
bar aus der letzten Zeit des Jahrhunderts. Der Verfasser hatte
mit derselben die Absicht, den Juden das Christenthum zu be-
zeugen und redet sie wiederholt selbst an. Er prüft ihre Ein-
wendungen gegen die christliche Religion, widerlegt, dass Chri-
stus, wie viele Juden behaupten, ein Betrüger gewesen, und zeigt da-
gegen, wie alle Messiase, welche die Juden an Stelle Christi er-
wählten, wirklich Betrüger waren. Alle Umstände und die Zeit
der dem Messias geltenden Verheissungen im Alten Testamente
passten auf keinen anderen als auf Jesum Christum. Thatsächlich
bleibe denn auch den Juden nichts übrig, als entweder allen
Glauben an ihr Gesetz aufzugeben oder das Christenthum anzu-
nehmen. Im Besonderen aber warnt der Verfasser die neuan-
gesiedelten Juden in England davor, nicht wieder in den Wucher
zu verfallen, damit sie nicht von Neuem aus dem Lande ver-
trieben würden, und schliesst mit dem Bekenntniss zu der Schrift-
hoffnung, dass noch einmal ganz Israel werde bekehrt werden.
Interessant ist eine Flugschrift aus dem Jahre 1678,'*"') welche
zwei Briefe eines Kaufmanns in London an seinen Freund in
Amsterdam enthält und über eine Besprechung zwischen einem
Protestanten und einem Jesuiten berichtet. Diese Schrift richtet
sich zugleich gegen die damaligen Bestrebungen, in England wie-
der dem Katholicismus zum Siege zu verhelfen. Ein Jesuit
unternimmt es zuerst, die Unhaltbarkeit des jüdischen Glaubens
*J Jewish Exporltor 1816 S. 293 ff. 330 ff. 370 ff. 412 ff.
J. F. A. de le Rci, Mtssionsbeziehungen. 12
i78 -
darzuthun und führt den Beweis aus den Wundern im Leben
Christi und in der ganzen apostolischen Zeit, die eben dafür
sprächen, dass Jesus der Messias sei. Da diese Wunder völlig
beglaubigt seien, so bleibe nichts anderes übrig, als dieselben
entweder für eine von Gott selbst geschehene Bestätigung Jesu
als des Messias zu halten, oder den Gott, welcher Jesu solche
Wundermacht verliehen habe, für einen Verführer der Menschen
anzusehen, oder falls Jesus seine Wunder durch den Teufel gewirkt
habe, zuzugestehen, dass der Teufel grössere Macht als Gott
selbst besitze. Der jüdische Rabbi erklärt aber hierauf, dass
die Wunder Jesu theils seltsame Erdichtungen, theils in der
That diabolische Werke seien. In dieser Ueberzeugung würden
die Juden noch dadurch bestärkt, dass die römischen Christen
von weiteren Wundern der Ihrigen erzählten, welche offenbar
völlig fabelhaft und lächerlich, nichts desto weniger aber durch
ihre unfehlbaren Päpste bestätigt worden seien.
Von diesen Wundern führt der Rabbi nun eine Reihe an
und schliesst damit, dass der allmächtige Gott sicher nicht mit
so thörichten Dingen, wie es doch sehr viele der durch die
Autorität der römischen Kirche geschützten Wunder sind, die
Menschen habe äffen wollen. Nun würden aber die kirchlichen
Wunder in der gleichen Weise wie die Wunder Jesu von den
römischen Christen angenommen, und daraus ergebe sich, dass
die einen so wenig als die anderen für die Juden ein Beweis
der Messianität Jesu sein könnten.
Der Jesuit verstummt diesen Ausführungen des Rabbi gegen-
über. Darauf nimmt aber der evangelische Christ, Ferd. Beza,
die Sache neu auf. Er führt dem Rabbi zu Gemüthe, dass sein
Beweis hinke. Denn nur die römischen Christen glaubten jene
von der römischen Kirche angenommenen Wunder der späteren
Jahrhunderte, protestantische Christen dagegen glaubten sie nicht;
gegen sie gelte also der von dem Rabbi geführte Beweis nicht.
Die Wrunderfrage sei aber überhaupt nicht von besonderer Be-
deutung, wenn es sich um den Erweis handle, dass Jesus Christus
der Messias Gottes sei. Das spätere Christenthum habe keine
Wunder nöthig gehabt, und dieselben machten nicht einen
Wesensbestand des Christenthums aus. Wunder geschahen bei
Gründung der alttestamentlichen Religionsgemeinde unter Moses,
Wunder ebenso bei der Gründung der neutestamentlichen Religions-
gemeinde, aber alsdann konnten beide Gemeinschaften ohne Wun-
— 179 —
der weiter bestehen. Uebrigens verhalte es sich mit den Wun-
dern Jesu anders als mit denen der katholischen Kirche. Letztere
tauchten oft erst lange nach dem Tode derer auf, welche sie
vollbracht haben sollten. Christi Wunder geschahen offen vor
seinen Feinden, und die Wirklichkeit derselben wurde auch von
seinen Feinden nicht bezweifelt, sondern nur ihre Göttlichkeit.
Selbst der Muhammedanismus erkenne die Wunder Jesu und
noch dazu als heilige Thaten in Gottes Kraft gethan an. Ist
aber die Wirklichkeit der Wunder Jesu und seiner Apostel nach
ihm erst anerkannt, dann muss auch ihre Göttlichkeit zugestanden
werden, oder Gott wäre in der That daran Schuld, dass die
Menschen aufs Furchtbarste vom Teufel betrogen wurden.
Bei einer späteren Zusammenkunft führt Benjamin dann
dem Rabbi den Beweis aus dem Alten Testamente und aus den
rabbinischen Schriften, dass nur unter solchen Umständen und
nur ein solcher, wie es hernach mit Jesu von Xazareth der Fall
war, kommen sollte, und spricht zuletzt nach der Schrift seine
Hoffnung auf eine endliche Bekehrung des jüdischen Volkes
aus. Der Rabbi erklärt hierauf, dass ihm viele Anstösse aus dem
Wege geräumt worden seien, und er weitere Belehrung erbitte.
Richard Kid der, Bischof von Bath und Wells fühlte etwas
davon, dass man bei aller freundlichen Gesinnung, welche man
in seinem Lande für die Juden hegte, oft doch zu wenig die
Wege fand, ihnen das Evangelium nahe zu bringen, und wandte
sich desshalb, wie schon früher erwähnt, an Esdras Edzard in
Hamburg mit der Anfrage, wie man es beginnen solle, um bei
den Juden etwas zu erreichen. Er selbst richtete dann seine
Zeugnisse in englischer Sprache an dieselben und schrieb:
A demonstration of the Messias, in which the truth of the
Christian religion is defended especially against the Jews, London
1684 — 1700, hernach ins Deutsche übersetzt von F. E. Rambach.
Rostock 1 75 1 .
Dass aber Kidder der Gedanke kam, eine Apologie des
Christensthums gegen die Juden zuschreiben, hatte seinen- guten
Grund; denn freidenkerische Christen wie Toland, Thomas
Woolston, Thomas Morgan, Anton Co! lins und andere be-
gannen mit den Juden zu liebäugeln, und diese Hessen es sich
angelegen sein, die Schriften solcher Männer zu verbreiten.
Der Ritter Robert Boyle nun hatte 1691 eine Stiftung ins
Leben gerufen, welche wissenschaftlich tüchtige Männer auffor-
1S0 —
dem sollte, die Sache des christlichen Glaubens in Predigten und
Schriften gegen die freidenkerische Richtung zu vertheidigen.
Kidder, der mit Boyle befreundet war, erhielt von diesem also
den Auftrag, die Vertheidigung des Evangeliums gegen die Juden
zu übernehmen, die bereits die wenigen Jahre nach ihrer Auf-
nahme in England den Muth gefunden hatten, angreifend gegen
das Christenthum vorzugehen. Kidder war mit der jüdischen
Literatur wohl bekannt und ganz der Mann, die ihm gewordene
Aufgabe auszuführen. Er that dies in der oben genannten
Schrift.
Er hebt das dem Christenthum und Judenthum noch Ge-
meinsame gern hervor; davon ausgehend stellt er aber in
schlagender Weise die unendliche Ueberlegenheit des Christen-
thums über das Judenthum dar, und zu wie künstlichen Mitteln
die Juden greifen müssten, um sich der Anerkennung dessen zu
entziehen, dass Moses und die Propheten von ihnen den Glauben
an Jesum fordern. Eingehend berücksichtigt er hierbei die
wichtigsten jüdischen Einwürfe gegen das Christenthum. Zugleich
aber richtet er seine Ermahnungen an alle Glieder des christ-
lichen Volks sich der Juden anzunehmen.
Die Obrigkeit soll keinen Zwang zum Uebertritt gegen sie
ausüben, aber Pflicht der christlichen Regenten sei es allerdings,
sie zum Anhören der christlichen Predigt anzuhalten; denn es
sei viel, dass den Feinden Christi der Aufenthalt im Lande
gewährt werde. Jedesfalls sei es Pflicht sie zu beschränken, denn
die schrankenlose Freiheit mache sie frech und erwecke in ihnen
stets die Ueberzeugung, dass sie Bevorzugte des Himmels seien.
Man müsse aber auch Personen anstellen, die mit ihnen die Reli-
gionssachen verhandelten, und bei den Vorstehern der Juden von
Zeit zu Zeit anfragen, welche Gründe sie hätten, dass sie nicht Chri-
sten würden, damit man mit ihnen recht vorgehn könne. Auf
den Universitäten müsse das jüdische Studium gepflegt und unter-
stützt werden. Aber nicht die Gelehrten allein sollten ans Werk
gehn, sondern auch die einfachen Leute, welche den Juden
Schriften über das Christenthum vorlesen könnten.
Kidder hat in früherer Zeit am Ausführlichsten in England
das jüdische Thema behandelt.
Jac. Abbadie, welcher als Prediger in Dublin 1727 starb,
behandelte in seinem Traite de la verite de la religion Chretienne,
Rotterdam 1684 — 1688, auch die jüdische Religion. Ausführlich
— iSi —
geht er hier auf die Einwendungen der Juden gegen die christ-
liche Schriftauslegung und gegen das Christenthum, gegen die
Kirche und gegen die Berufung der Völker ein. Ernst hält er
ihnen vor, dass ihre Sünde gerade in der Verwerfung Christi
bestehe, der nach allen Kennzeichen des Alten Testamentes der
wahre Messias sei. Diese ganze Schrift ist durchaus sachlich
gehalten und von Bilderbeck in Zelle 171 3 und 1721 deutsch
übersetzt worden.
Eine eigentliche Missionsschrift aber ist: A short and easy
method with the Jews von Charles Leslie, London 1698 und
öfters, deutsch von M. Seidel 171 8, neu herausgegeben durch
die Londoner Judenmissionsgesellschaft 181 2. Verfasst hat Leslie
seine Schrift schon mehrere Jahre früher, als sie im Druck er-
schien; die Vorrede trägt das Datum des Charfreitages 1689.
Limborchs Amica collatio, die von ihm vielfach benützt
worden ist, und ein Gespräch mit einem Juden, welcher auf das
jüdische Lästerbuch Tholedoth Jeschu anspielte, scheinen für
Leslie die nächste Veranlassung geworden zu sein, mit dieser
Schrift hervorzutreten. Leslie wendet sich in derselben aber
direkt an die Juden. Er hält ihnen vor, dass die Offenbarung
und das Gesetz Mosis alle Giltigkeit verlören, wenn die Juden
nicht auch für Jesum gelten Hessen, was sie für jene in Anspruch
nähmen. Christi Wundern und Lehren käme die gleiche Glaub-
würdigkeit wie jenen zu. Jesus aber sei ein besserer Messias
als der von den Juden erhoffte; denn der letztere könne nichts
für das ewige Leben geben, wohl aber Christus; und das Opfer,
welches die Juden haben müssten, besässen sie nur in Christo.
Zur selben Zeit mit Leslie wurde von einem nicht genannten
Verfasser Abraham Jageis „Guter Rath oder Lehre", welche
Ludovicus de Veil aus dem Hebräischen ins Lateinische übersetzt
hatte, aus dem Lateinischen ins Englische unter dem Titel „The
Jews' Catechism" 1691 übertragen. Der Verfasser entschuldigt
es zuerst, dass er den Katechismus eines Juden übersetze, aber
in demselben widerspreche nichts dem Christenthum; und dann
legt er die 13 jüdischen Glaubensartikel aus.
Bischof D. Thomas Barlow von Lincoln erhob in „Several
cases of conscience resolved", London 1692, in wunderlicher
Weise seine Stimme für die Duldung der Juden. Quäker und
Baptisten seien nicht zu leiden, wohl aber Juden, da letztere dem
Staate zum Vortheil gereichten, und England ihnen eine Wieder-
— 182 —
gutmachung des früher ihnen zugefügten Unrechts schulde; ihren Un-
glauben müsse man ihnen nicht so übel nehmen, da Gott ihr Herz
verstockt habe. Der Bischof betrachtete diese Verstockung wie
ein Verhängniss, das über die Juden gekommen sei, und vergisst
es völlig, dass ihre Verstockung nur ein Gericht ist, welches sie
selbst verschuldet haben. Völlige bürgerliche Freiheit will er
ihnen jedoch durchaus nicht gewährt wissen, ja ihnen nicht ein-
mal den Bau neuer Synagogen und das Tragen der Kleidung
der Christen gestatten. Ueberhaupt verlangt er die weiteste Be-
schränkung derselben, allerdings aber auch, dass man ihnen den
christlichen Glauben bezeuge.
Der Prediger Tho. Calvert in York gab im Missionsinteresse
unter dem Titel: The blessed Jew of Morocco, den bekannten
vor und nach der Reformation oft aufgelegten Brief Samuels an
Rabbi Jsaak aus Marokko heraus, 1697. Ein Jude richtet hier
Frage auf Frage an einen anderen Juden, die alle die Erkennt-
niss wirken wollen , dass die Juden unter dem Gerichte dahin-
gehen. Calvert selbst ist voll herzlicher Liebe für die Juden und
denkt der Zeit mit Freuden , wo sie mit allen Völkern vereint
Jesu, dem Sohne Davids das Hosiannah anstimmen werden.
Die Christen aber sollen durch ihr Zeugniss an die Juden dazu
helfen, dass diese Zeit erscheine ; denn so gewiss die Drohungen
Gottes an ihnen in Erfüllung gegangen seien, und Calvert weist
dies an den Geschicken der Juden in verschiedenen Ländern nach,
so gewiss werde Gott auch seine Verheissung an ihnen erfüllen.
Ein Jacob Calvert hatte übrigens auch bereits 1672 zu
London in „Xaphthali" seine Hoffnung auf die Rückkehr der
Juden nach Canaan und auf ihre Bekehrung ausgesprochen.
In persönlichen Verkehr mit den Juden trat Pierre d 'All ix,
einer der französischen Theologen, welche nach England flüchteten.
Gegen die Unitarier seiner Tage rief er das Zeugniss der alten
jüdischen Theologie auf: Judgment of the ancient Jewish Church
against the Unitarians, London 1699, das Matth. Seidel, Berlin
171 7, ins Deutsche übersetzte. Die Dreieinigkeit und die Gottheit
des Messias wollte er hier als klare Lehren der früheren Juden
und besonders des Philo und der Targumim nachweisen. Frei-
lich nahm er hierbei eine zu weite Uebereinstimmung der Lehre
Christi und seiner Apostel mit der eigentlichen jüdischen Theo-
logie ihrer und der ihnen zunächst gelegenen Zeit an. Er erblickte
da bereits volle christliche Klarheit, wo doch noch viel Schwanken
- i83 -
und Unklarheit herrschten und erst die Spuren dessen zu finden
sind, was das Christenthum verkündigt hat. Allix lässt in der
That Christum und seine Apostel nur lehren, was schon all-
gemeine Glaubensüberzeugung des jüdischen Volkes gewesen sei.
Immerhin aber führt er den Nachweis im Allgemeinen treff-
lich, dass sich Christus für seine Messianität mit Recht auf das
Alte Testament berufen habe, und verwendet ebenso das Zeugniss
der älteren jüdischen Theologie in recht bemerkenswerther
Weise.
Sehr eingehend behandelt er in der von ihm französisch
verfassten und hernach von Chr. Esche nbach, Prediger zu Nürn-
berg 1702 übersetzten Schrift: „Vernünftige Betrachtung über
die Bücher der heiligen Schrift", die Messiaslehre des Alten und
Neuen Testamentes. Er wies hier weitläufig nach, dass nach
allen Kennzeichen, welche das Alte Testament für den Messias
aufstellt, derselbe gekommen und kein anderer zu erwarten sei.
Ist er also nicht erschienen, dann hat das Alte Testament Christen
und Juden gleichmässig betrogen. Ebenso übersetzte Eschenbach
ins Deutsche (1 702) die beiden lateinischen Abhandlungen von d' Allix
über die doppelte Ankunft Christi (1701 London). Allix erzählt, er
habe einen Rabbi in der Synagoge zu London über die Ankunft
des Messias spanisch predigen gehört. Von den anwesenden
Juden um seine Meinung über den Gegenstand befragt, habe er
ihnen gesagt, dass er ihnen dieselbe ausführlicher erklären wolle
und dies denn auch in seinem Hause, wohin eine Anzahl der-
selben kam, gethan. Er habe nach Daniel 2, 7, 9 ausgeführt,
dass der Messias wieder kommen werde, sie zu erlösen, und dass
diese Zeit nicht mehr fern sei. Frucht aber hätten seine Worte
nicht geschafft. Allix bekannte dies offen und hat so selbst er-
fahren, dass es eine falsche Rechnung ist, wenn man die Juden
für Jesum Christum durch Anpreisung der Herrlichkeit seines
zukünftigen Reiches gewinnen will, ehe sie ihn nicht als den
Sünderheiland angenommen haben. Schon früher, 1698, hatte er
übrigens durch eine Schrift an einen Rabbi über die 70 Wochen
des Daniel den Versuch gemacht, den Juden das Evangelium
durch Vorhaltung der Verheissungen annehmlicher zu machen.
Der gleiche Trieb, den Juden das Evangelium mündlich zu
bezeugen, erfüllte einen anderen französischen Theologen in
England, Jean d'Espagne, Prediger der französischen Gemeinde
in London. Ueberhaupt haben die Franzosen des 17. Jahr-
- i84 -
hunderts fast alle anderen an Eifer und praktischem Geschick,
den Juden das christliche Zeugniss nahe zu bringen, übertroffen.
Sie hatten unter dem schweren Druck, unter welchem sie in
ihrem Vaterlande seufzten , in ihrer eigenen Kirche gewisser-
maassen nur ein Missionswerk treiben können, hatten hierbei
aber das Evangelium als eine lebendige Gotteskraft erfahren; und
so wussten sie es denn aus praktischer Uebung und Erprobung
heraus, wie Missionsarbeit in die Hand genommen werden muss,
wenn sie gelingen soll. Das literarische Wirken, welches sonst
in dieser Zeit überall an erster Stelle stand und überschätzt wurde,
ging bei ihnen immer mit lebendiger persönlicher Missionsthätig-
keit Hand in Hand, und sie schlugen die Bedeutung des münd-
lichen Wortes nicht niedriger an als die des geschriebenen. In
ihnen lebte der Drang, die Juden aus dem persönlichen Verkehre
mit ihnen selbst kennen zu lernen und in demselben auf sie ein-
zuwirken. Hiernach gestaltete sich denn auch ihr Zeugniss, und
eben desshalb gehört das, was aus der Feder evangelischer Fran-
zosen in jenem Zeiträume erflossen ist, entschieden zu dem Her-
vorragendsten und Besten aus der ganzen betreffenden Literatur.
d'Espagnes Schriften sind des öfteren französisch und hol-
ländisch erschienen, von Sigismund Hosmann in deutscher
Uebersetzung, Frankfurt a. M. 1697. Derselbe war entschieden
gegen die Aufnahme von Juden in England und hielt denen,
welche mit der Möglichkeit ihrer Bekehrung daselbst ihre Neu-
ansiedlung im Inselreiche befürworteten, entgegen, dass ihre Be-
kehrung ausserordentlich schwer sei. Um den Engländern einen
Beweis dessen zu geben, dass er Recht habe, forderte er Menasseh
Ben Israel auf, ihm Rede und Antwort wider seine Bedenken zu
stehen. Letzterer konnte sich dem nicht entziehen, und so fand im
Mai 1656 eine Unterredung zwischen beiden statt. Derselben wohnten
der französische Gesandte de Bourdeaux und viele andere bei.
d'Espagne, welcher mit der Schrift und der rabbinischen Lite-
ratur wohl vertraut war, erbat sich von Menasseh Auskunft über
mehrere Stellen aus dessen Buche über die Schöpfung und aus
dem Conciliador, insbesondere auch über die Bestimmung, dass
man, wenn zwei Rabbinen das Gegentheil behaupteten, beiden
glauben müsse, weil beider Aussprüche Worte des lebendigen
Gottes seien; ebenso über die Opfer, die Gott beim Neumond
bringen müsse, über das Opfer an Sammael (Satan), über das
Gebot des Sichbetrinkens am Purim-Fest, über Psalm 110 und
- 185 -
andere Schriftworte, welche die einen unter den Rabbinen auf
den Messias beziehen, die anderen nicht, und über die fortwäh-
renden Widersprüche zwischen der alttestamentlichen und der
rabbinischen Religion.
Menasseh wusste nicht ein und aus, und seine Verteidigung
fiel, wo er sie versuchte, ganz kläglich aus. Er stand einem zu
ernsten und unbestechlichen Sachkenner gegenüber. Im folgen-
den Jahre 1657 liess d'Espagne denn auch eine Schrift: Examen
de dix-sept maximes Judaiques (London) erscheinen, in welcher
er sich gegen 17 Lehrgrundsätze des Maimonides und des Me-
nasseh Ben Israel ausspricht. Weiter aber behandelte er, auch
hiermit in die damals schwebende Frage eingreifend, das Thema:
WTarum die Bekehrung der Juden jetzt viel schwerer als im An-
fange der christlichen Zeit sei?
Als den ersten Grund erkennt er hierbei nach der Schrift
die Halsstarrigkeit der Juden, die nicht glauben wollen, während
sie doch alles zum Gehorsam des Glaubens mahne, insbesondere
ihre Zerstreuung, das Fehlen der Opfer, die vergebliche Erwartung
eines Messias, welche sie schliesslich zu lauter verwirrten Ge-
danken über denselben geführt habe, das Fehlen des Davidischen
Geschlechtsregisters u. s. w. Aber der Ungrund ihrer Sache
habe sie stets nur desto erfinderischer im Suchen nach Aus-
flüchten gemacht. Ganz grundsätzlich hätten sie, um nur Christo
entfliehen zu können, die Auslegung der messianischen Stellen
bei den alten Rabbinen verworfen; und die späteren Rabbinen
hätten dann alles ersonnen, um nur das Volk in seiner Verblen-
dung zu erhalten. In England speciell werde die Zertheilung
der Kirche in so viele Parteien sie abschrecken, und ausserdem
die dort herrschende Neigung zu judaistischen Irrthümern ihrer
Bekehrung im Wege stehen.
Wie stark übrigens diese Neigung zu judaisiren damals in
England war, beweist die Thatsache, dass 1661 unter Führung
eines gewissen Poole aus Norwich*) etwa hundert Engländer mit
Frauen und Kindern das Land verliessen und sich mit kurfürst-
licher Erlaubniss nahe dem Kloster Lobensfeld bei Heidelberg
niederliessen, um dort ihr Leben unter alttestamentlichen Formen
zu führen. Sie suchten Christenthum und alttestamentliches Wesen
mit einander zu vereinigen, bekannten sich zu Christo, aber
b: Schudt I, 523; 4. Forts, i, 312.
— 186 —
beobachteten auch die Beschneidung, den jüdischen Sabbath, die
mosaischen Speiseopfer und schoren die Barte nicht. Die Sekte,
deren Führer ein unsittlicher Mensch war, hielt sich aber nicht,
sondern ging bald unter.
c. Bekehrungen in England.
Die, so weit ersichtlich, erste Aufnahme eines Juden in die
evangelische Kirche Englands hat selbstverständlich auch die
Theilnahme der dortigen Christen im besonderen Maasse auf sich
gezogen. Im Jahre 1577 taufte John Fox zu London einen Juden,
der früher Juda hiess, als Christ aber Nathanael genannt wurde.*)
Dieser Proselyt hielt bei seiner Taufe selbst eine Ansprache an
die Versammelten, aus welcher hervorgeht, dass er ein weit-
gereister Mann war. Seine Reisen hatten ihn oft nach Spanien und
Portugal geführt. Er wurde mit der Literatur jener Länder wohl
bekannt und besass überhaupt eine nicht gewöhnliche Bildung.
Seine Geschäfte führten ihn auch nach England und hier kam
er zu christlicher Erkenntniss, die ihn um die Aufnahme in die
christliche Kirche bitten liess. Ueber seine weiteren Schicksale
ist nichts bekannt.
Ein gelehrter Proselyt in dieser früheren Zeit war Philipp
Ferdinand,**) der aus Polen stammte und der sich hernach in
Constantinopel aufgehalten hatte, dann nach England kam und
später nach Holland ging. Derselbe gab aus dem Hebräischen
in lateinischer Uebersetzung die Schrift des Abraham Ben Ka-
tanni: Kol Jehovah, die Stimme Gottes, heraus, Canterbury 1597,
eine Abhandlung über die 613 Gebote der Juden. Hiermit ver-
banden sich einige Zusätze über die heutigen Feste der Juden,
die 7 Gebote Noahs, über die jüdischen Speisen, über die nicht
zum Zeugnisse berechtigten Personen, über die 4 Arten der Strafe
und des Todes, über die 13 Glaubensartikel, Disputationen über
die Accente nach Elias Germanus, rabbinische Spitzfindigkeiten
zu 1 Moses 1, einiges Masorethische, über das grössere Alphabet
und wo es in der Bibel gefunden wird, über die verschiedenen
Namen des Gesetzes nach Kimchi zu Psalm 119. Wolf erwähnt
1, N. 1830 noch einen 1590 gestorbenen Ferdinand Philipp,
von dem Scaliger sagt, dass er in Constantinopel mit den Karäern
vielen Verkehr gehabt, und dass er selbst von ihm das Meiste
*) Jewish Intelligence 1827 S. 28 ff., 321 ff., 406 ff., 445 ff.
**) Wolf B.H. 1 N. 1832; 3, N. 1831I und N. 14S.
- i87 -
über die talmudischen Wissenschaften gelernt habe, so dass er
ihm allein seine Professur zu danken habe. Wenn die Jahreszahl
1597 für das in Canterbury erschienene Buch des erstgenannten
Philipp Ferdinand richtig ist, dann handelt es sich hier um zwei
verschiedene Personen; höchst wahrscheinlich aber liegt ein Irr-
thum in den Jahreszahlen vor, da alles sonst auf die Identität
der beiden hinweist.
Auf einer Handelsreise, die er nach England machte, wurde
wie Nathanael, so auch Paul Jesaia*) für das Christenthum ge-
wonnen, worauf er in London 1654 eine Schrift A Vindication
of the Christians' Messias erscheinen Hess. Paul Jesaia hat in
Prag auf einer jüdischen Hochschule studirt, war aber schon
damals den Seinen wegen mehrfach kund gegebener Neigung
zum Christenthum verdächtig. Da trat in Böhmen ein falscher
Messias auf, welcher einen grossen Anhang gewann, hernach je-
doch als Betrüger offenbar wurde. Das, so erzählt er, habe viele
gelehrte Juden in Mähren und Ungarn zum Eintritt in die katho-
lische Kirche bewogen und auch in ihm den Gedanken, Christ
zu werden, zum festen Entschlüsse reifen lassen. Da er aber
von den Seinen zu eng bewacht war, begab er sich auf Reisen.
Unterwegs gelang es einem Jesuiten in Antwerpen, wo er krank
lag, ihn und einen jüdischen Reisegefährten zur Taufe in der
katholischen Kirche zu bewegen. Gesund geworden kam er
nach England und trat dort zu den Baptisten über. Durch seine
Schrift, die ganz den Charakter der damaligen jüdischen Aus-
legungsweise trägt, wollte er auch andere Juden bestimmen,
ihm nachzufolgen.
In den angeregteren christlichen Kreisen Englands empfand
Mancher eine besondere Theilnahme für die kleine Zahl der im
Lande neu aufgenommenen Juden, und das hatte zur Folge, dass
sich mehrfach zwischen solchen Christen und Juden ein Verkehr
entspann, welcher einigen der letzteren das Christenthum in einem
freundlichen Lichte erscheinen Hess. Besonders peinlich wurde
die kleine Judengemeinde dadurch berührt, dass bereits 1663 der
italienische Rabbi Moses Scialiti**) die Taufe erbat, die denn
auch am Dreieinigkeits-Sonntage von D. Warmestre, Dekan von
Worcester in St. Margaret vollzogen wurde. Mitglieder der
f) Wolf B. H. 4, N. 181 1 d.
f) Picciotto S. 34. Anglia Judaica S. 2S0 ff. Wolf B. H. 4, 1652 b.
— ISS —
höheren Stände wünschten die Pathen des Rabbi zu sein, und
zu der Zahl derselben gehörte der Bischof von Chester D. Samuel
Collins und die Countess Lucy von Huntington. Scialiti wandte
sich darauf in einem italienischen Briefe, dem die englische
Uebersetzung beigefügt wurde, an seine früheren Glaubensgenossen
indem er ihnen die Gründe seines Uebertritts auseinander setzte
und sie zur Nachfolge ermunterte.
Durch dieses Vorkommniss erschreckt, bot die erste jüdische
Gemeinde in England um so mehr alle Mittel auf, weiterem Ab-
falle vorzubeugen. Ein wohlhabender Kaufmann de Pass oder
de Paz, welcher aus Holland übergesiedelt war, fand eine An-
stellung beim Staatssecretär, Zutritt bei Hofe und heirathete eine
englische Dame. Die Juden aber verfolgten ihn so sehr, dass
er nach Indien ging; und als sie ihm auch dort keine Ruhe
Hessen, soll er wieder Jude geworden sein. Seine Wittwe musste
sich seinen Nachlass erst gerichtlich erstreiten. Die Enterbung
jüdischer Kinder, welche zum Christenthum übertraten, verbot
später 171 5 eine Parlamentsakte.
Am bekanntesten sind unter den Proselyten dieses Zeit-
raums in England die beiden de Veil, Ludwig und Karl, ge-
boren in Metz, geworden.*) Der Vater war zuerst Rabbiner in
Metz und später an verschiedenen Orten Deutschlands, der Gross-
vater Jacob war ein angesehener jüdischer Gelehrter gewesen und
hat mehrere von den Juden gern gelesene Schriften geschrieben.
Ludwig ertheilte schon im 17. Jahre Unterricht und wurde, wie
es heisst, 1655 vom Könige Ludwig XIII. von Frankreich dazu
genöthigt, in Compiegne katholisch. Der König und die Königin
gehörten jedesfalls zu seinen Pathen. Seinen Namen Compiegne
erhielt er von der Stadt, in welcher er die Taufe empfing. Er
wurde dann ordentlicher Professor der orientalischen Sprachen des
Königs von Frankreich an der Sorbonne in Paris. Wagenseil, der
ihn in Paris kennen lernte, lobte ihn eben so sehr wegen seiner Be-
scheidenheit als wegen seiner wissenschaftlichen Tüchtigkeit und
erwartete Bedeutendes von ihm. Ludwig übersetzte in dieser
Zeit die 8 ersten Traktate des Jad Chasaka von Maimonides
ins Lateinische und versah die Uebersetzung mit Bemerkungen.
Die Schrift erschien von 1662 bis 1678 in Paris.
*) Wolf B. H. 1, 3, 4 N. 1340. Kaikar 77, 78.
— 189 —
Im Katholicismus aber hielt es ihn nicht lange, obwohl er
unterdess von Herzen christlicher Ueberzeugung geworden war.
Als er dann Frankreich verliess, weil er ohne Heuchelei nicht
länger Katholik bleiben konnte, ging er mit noch einigen anderen
nach Deutschland und zwar nach Heidelberg, wo er an der Uni-
versität gelehrt haben soll. Von dort wandte er sich nach
London und wurde hier besonders durch d'Allix für die evan-
gelische Kirche gewonnen, zu der er nun auch öffentlich über-
trat. Dort veröffentlichte er dann die weiteren Ergebnisse seiner
Studien über Maimonides und Abarbanel und andere Rabbinen.
Zuerst hat er hier den hebräischen Katechismus des Ab-
raham Ja gel in lateinischer Uebersetzung herausgegeben, 1679
und diese Schrift dem Bischöfe von London gewidmet. Er wurde
dann Prediger der englischen Kirche und verwaltete zuletzt das
Amt eines Vorstehers der Königl. Bibliothek in London. Ein
Sohn desselben wurde Friedensrichter in England.
Ludwigs Bruder trat auch zur katholischen Kirche über
und war besonders durch den Einfluss von Bossuet gewonnen
worden. Er erhielt in der Taufe den Namen Carl Maria de Veil.*)
Später wurde er Regulärer Canonikus der Gallicanischen Con-
gregation und Doktor der Theologie, Prior der Congregation in
Melun, hernach Professor an der Akademie zu Angers und end-
lich Pfarrer in Sens. In dieser Zeit schrieb er Commentare zu
Matthäus und Marcus, zum Hohenliede und Joel. 1677 aber
ging er nach England, trat zur evangelischen Kirche über und
wurde Prediger in Fulham. Hier zeigte er aber bald baptistische
Neigungen, heirathete eine Baptistin und trat zu den Baptisten
über. Der Benediktiner Augustin Calmet, welcher ihm seinen
Austritt aus der römischen Kirche nicht verzeihen konnte, schreibt,
dass er endlich fast ohne ein Anzeichen irgend einer Religion
im Anfange des 1 8. Jahrhunderts gestorben sei. Das wird ander-
weitig durchaus nicht bestätigt, und auch seine letzte Schrift
macht diesen Eindruck keineswegs; nur war seine Stellung zur
Kirche und Kirchenthum sein schwacher Punkt, und ein Katholik,
für den Christenthum und Kirchenthum eins sind, wird in solchem
Falle freilich geneigt sein, auf völlige Glaubenslosigkeit oder Ab-
fall vom Christenthum zu schliessen.
*) Wolf B.H. 1 3, 4, N. 1895.
— 190 —
Aus seiner evangelischen Zeit stammen neben Ueberarbei-
tungen früherer Commentare, die der neugewonnenen Ueberzeugung
Rechnung trugen, Auslegungen der kleinen Propheten, der Apostel-
geschichte und des Predigers Salomo. Gegen Richard Simon
vertheidigte er in einem Briefe an Robert Boyle die alleinige
Autorität der Schrift in Glaubenssachen und antwortete auch de
l'Isle, welcher die Auslassungen dieses seines Briefes bekämpfte.
John Jacob*) aus Polen stammend, der bereits auf Seite 162
erwähnt worden ist, scheint nicht in Holland, sondern in England
die Taufe empfangen zu haben. Seine Schrift ist jedesfalls, ehe
sie holländisch in Amsterdam 1682 erschien, schon 1679 in Eng-
land in englischer Sprache unter dem Titel: The Jew turned
Christian or the Corner Stone herausgekommen. Der Mensch, so
führt der Verfasser aus, ist einmal für Gott geschaffen und in
ihm allein, dem höchsten Gut, findet er wahre Befriedigung. Der
gefallene Mensch aber kann zu Gott nur durch sein Gnadenwerk
und im Gnadenbunde gelangen. Israel jedoch verweigert es, in
den Gnadenbund zu treten, den Gott in Jesu Christo gestiftet hat,
denn es hat an der eigenen Gerechtigkeit festgehalten. Aber
keine eigene Gerechtigkeit führt den Menschen in den Bund
Gottes. Alles dieses beweist das Alte Testament, wie es nun
der Verfasser zeigt, und dabei geht er ausführlich auf die Person
des Messias ein, zu deren Beschreibung er mehrere messianische
Weissagungen heranzieht.
In Truth springing of the Earth will Rabbi SalomonFranco,
nachdem er Christ geworden ist, London 1670 die Wahrheit der
Messianität Jesu Christi aus den irdischen Verheissungen des
Gesetzes beweisen. Nach den eigenen Geständnissen alter jüdischer
Schriftsteller verlangen die Verheissungen des Alten Testamentes
neben einer zeitweiligen noch eine höhere Erfüllung; und nach
dieser Erklärungsregel sucht nun eben der Verfasser die Juden
zur Anerkennung Jesu als des wahrhaftigen Messias zu führen.
Johannes Alexander**) schrieb nach seiner Taufe Gods
Covenant displayed, London 1689 und zeigte hier den Juden,
dass der Bund Gottes mit Israel erst in Jesu Christo zu seiner
Vollendung komme.
*) Wolf B. IL 167S.
**) Wolf B. EL 4 N. 806b.
— I9I —
Theodor John*) (John Tob), ein Rabbiner, aus Prag
gebürtig, kam in seinem dreissigsten Jahre nach London und
wurde dort durch Johann Esdras Edzard, den Sohn des Ham-
burger Edzard, in der deutsch -lutherischen Kirche 1693 getauft.
Gleichzeitig Hess er seine Bekehrungsgeschichte und sein Glaubens-
bekenntniss englisch erscheinen. Er war früher Rabbi in Trier
gewesen.
1 705 gab zu Oxford der schon früher getaufte Philipp Levi**)
eine hebräische Grammatik in englischer Sprache heraus. Am
Schlüsse derselben lässt er sich über die Elemente des Chaldäi-
schen aus, so weit sie zum Verständniss des im Alten Testamente
enthaltenen Chaldäisch nöthisr sind.
8. Dänemark, Schleswig und Holstein.
In Dänemark durften bis zu Christian V. Juden nicht
wohnen. Der bekannte reiche Jude Texeira in Hamburg aber
erlangte 1684 von jenem Könige die Erlaubniss sich mit den
Seinigen in Dänemark niederzulassen. Seitdem haben sich Juden
in Kopenhagen angesiedelt und werden solche auch in Altona,
Glückstadt und Friedericia angetroffen.
Nur sehr spärliche Notizen gehen uns aus dieser Zeit zu,
welche ein Interesse der Evangelischen jener Gegenden für die
Juden beweisen.
Nie P. Scandorph in Kopenhagen Hess sich in drei Dispu-
tationen über die Verwerfung der Juden aus. Christian Falster,
Rektor zu Ripen, schlug die Veranstaltung eines Concils von
Juden und Christen vor, in welchem sich beide Theile über die
christliche Lehre mit einander berathen sollten, damit so den
Juden die Annahme des Christenthums erleichtert würde. Th.
Bangius bearbeitete seit der Mitte des 17. Jahrhunderts in
Kopenhagen die talmudische und rabbinische Literatur, vor deren
Uebersetzung er jedoch warnte.
Eine seltsame Erscheinung war Holger Pauli. Nachdem
derselbe Amsterdam zum Wohnsitz erwählt hatte, wo er sich mit
grösserer Freiheit bewegen konnte, forderte er Juden und Christen
*) Wolf B. H. 1, 3 N. 2224.
**) Wolf B. H. 1, 3 N. 18312.
— 192 —
auf, ihn als Messias anzunehmen. Er wurde dafür in das Irren-
haus gesperrt, später aber aus demselben wieder entlassen und
starb 171 5 in Kopenhagen.
9. Scandinavien und die jetzt russischen Ostsee-
provinzen.
In Norwegen gab es während des 17. Jahrhunderts keine
Juden, ebenso auch nicht in Schweden. Zeitweise durften Juden
in Handelsgeschäften nach Schweden und Livland kommen,
mussten sich aber nach izitägigem Aufenthalt von jedem Orte
wieder entfernen. Das Herzogthum Kurland gestattete ebenfalls
den Juden nicht, in seinem Gebiete zu wohnen.
So lagen die Juden ausserhalb des eigentlichen Gesichts-
kreises der Bevölkerung dieser Länder, und auch die religiöse
Richtung derselben führte sie wenig dazu, der Juden zu gedenken.
Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts wendet man ihnen in
Schweden eine gewisse Aufmerksamkeit zu, welche dann im An-
fange des 18. Jahrhunderts die Gestalt eines lebhaften gelehrten
Eifers für das Studium der rabbinischen Literatur annahm.
Ernstere christliche Theilnahme erfüllte den König Karl XL
für die Juden. Er wollte ihre Zustände, Lehren, Gebräuche und
religiösen Irrthümer deutlicher und klarer kennen lernen. Als er
desshalb erfuhr, dass ein Theil der Juden, die Karaiten, sich allein
an das Gesetz Mosis halten wollten, erweckte dies in ihm die
Hoffnung, dass man diesen Juden leichter das Christenthum werde
näher bringen können. Um Näheres über dieselben zu erfahren,
schickte er 1692 den Professor zu Upsala Gustav Peringer
Lindenblatt, der auch eine Abhandlung über den Messias der
Juden geschrieben hatte, Upsala 1675, nach dem Königreich
Polen mit dem Auftrage, genaue Erkundigungen über die Karaiten
einzuziehen und die Schriften derselben zu kaufen. Peringer
führte diesen Auftrag aus und berichtete dann dem Könige.
Weitere Folgen hat die Sache nicht gehabt. Die Universität Upsala
war aber in jener Zeit bereits ein Sitz der rabbinischen Studien.
Benzel und Skunk übersetzten dort Maimonides und erklärten
ihn seit 1696. Johann Galle und Daniel Lund übersetzten
Commentare von Aben Esra ins Lateinische, Lund bearbeitete
auch Maimonides, Palmeroot in Upsala that seit 1696 das
— 193 —
Gleiche mit Abarbanel, und der Schwede Magnus Ronnow
liess Stücke der Mischnah in lateinischer Uebersetzung erscheinen.
Wirklicher Missionssinn tritt uns in einer lateinischen Schrift
des schwedischen Gelehrten Lajurentius Odhelius, die er unter
dem Titel Synagoga bifrons, 1691 in Frankfurt a. M. heraus-
gab, entgegen. Der junge Gelehrte klagt hier darüber, dass die-
jenige Literatur, welche auf die Bekehrung der Juden abziele,
für diesen Zweck grösstentheils unbrauchbar sei, da sie nicht in
hebräischer Sprache erscheine. Er nun wolle, um die Juden
gründlich zu widerlegen, eine jüdische Theologie schreiben, und
zu diesem Zwecke sei sein Buch erschienen. Der Verfasser hat
jedoch, trotz seiner vielfach richtigen und klaren Erkenntniss
von der Eigenthümlichkeit der Juden die alten gelehrten Wege
eingeschlagen. Er hat genau dasselbe gethan, was er an anderen
tadelt, und sein Buch geht in der schweren Rüstung der da-
maligen lutherischen Dogmatik einher. In seiner Schrift stellt er
dann auf der einen Seite die ungesunde, specifisch -jüdische, auf
der anderen Seite die gesunde Lehre der heiligen Schrift dar
und vergleicht sie mit einander. Er hat in diesem Werke aber
auch Jageis Katechismus ins Lateinische übersetzt und eine Ab-
handlung über die jüdischen Sekten geliefert, besonders über die
Pharisäer.
Die Seele des Judenthums sei die Selbstgerechtigkeit, im
Uebrigen aber enthalte die jüdische Lehre Gutes und Schlechtes
unter einander, und müsse man sich vor dem doppelten Fehler
hüten, in der jüdischen Literatur alles mit christlichen Augen
anzusehen oder alles in derselben zu verdammen. Man müsse
hier eine Mittelstellung einnehmen. Von dem Besseren in dieser
Literatur müsse man zur Ueberführung der Juden und zum Er-
weise der christlichen Wahrheit gegen alle ihre Angreifer Ge-
brauch machen, und in so weit sei dieselbe positiv zu benützen.
Endlich folgt eine Beschreibung der jüdisch- theologischen
Bücher, des Glaubens der Karäer, der Rabbaniten und der
neueren Moralisten. Den 40 Fragen Jageis sind noch Anmer-
kungen hinzugefügt.
Den nächsten Anlass dazu, dass in König Karl XL der
Missionsgedanke erwachte, scheint die Taufe von 12 jüdischen
Personen gegeben zu haben, denen zu diesem Zwecke ein längerer
Aufenthalt in Stockholm gewährt worden war. Der deutsche
Pastor Christoph Bezel taufte nämlich im Jahre 1681 zu Stock-
J. F. A. de le Roi, Missionsbeziehungen. 13
— i£M —
holm die beiden Juden Israel Mandel und Moses Jacob mit
ihren Frauen und Kindern, 12 Personen, auf einmal.
An einem Zeugnisse aus Norwegen fehlt es übrigens in
dieser Zeit auch nicht. Heinrich Lern mich, Pastor in Bergen,
schrieb eine Schrift: Vindicatio incarnati veri Messiae promissi
ex Talmude et Rabbinorum scriptis desumpta, Rostock 1666, in
welcher er aus dem Talmud und den Rabbinen nachwies, dass
Jesus der rechte Messias sei. Im Anhange werden vom theo-
logisch-politischen Gesichtspunkte aus die Fragen über die Be-
kehrung und Duldung der Juden und ähnliches behandelt.
Als Docent des Talmudischen und Rabbinischen wirkte an der
Universität Upsala der Proselyt Moses de Krakovia, welcher als
Christ den Namen Joh. Kemper*) führte und in jener Stadt 1714
starb. Derselbe gehört zu den tüchtigeren Proselyten des Jahrhun-
derts, und wird von Delitzsch eine Zierde unserer Kirche ge-
nannt. Er verfertigte eine hebräische Uebersetzung des Neuen.
Testamentes, die er mit Anmerkungen begleitete, die aber nicht
im Drucke erschien. Dem Rathe von Lorenz Norman folgend,
leerte er sich auf die soharistischen Studien. Von ihm stammen
lateinisch Makkel Jacob, Stab Jacobs und Ruthe Mosis in drei
Theilen oder Pforten, von denen der erste Theil die Pforte der
Dreieinigkeit, der zweite die des Messias, (Gottheit des Messias),
der dritte die Pforte des Mittlers heisst; dieser letzte behandelt
die Selbstentäusserung des Messias. Die zweite Schrift führt den
Titel : Beriach Hatikon. Dieselbe enthält Auszüge aus dem Sohar
zum ersten Buche Mosis, und soll hier die Uebereinstimmung
der Ueberlieferung des Sohar und Talmud mit dem Neuen Tes-
tamente nachgewiesen werden. Die dritte Schrift führt den
Titel: Karse Hakodesch und enthält Beiträge zur Auslegung des
zweiten Buches Mosis; die vierte Abodath Hakodesch Beiträge
zum dritten Buch Mosis, die fünfte Leket Ani zum vierten und
fünften Buche. Eine Probe aus dem ersten Theil der ersten
Schrift findet sich im Phosphorus orthodoxae fidei von Norrelius.
Ein hebräisches Gratulationsgedicht Kern p er s theilt Olav
Rudbeck in Lapponia illustrata mit.
Aus den jetzt russischen Ostseeprovinzen hören wir von
der Taufe eines Nehemia Cohen Mackschan **) der als Christ
*) Wolf B. H. 1, 3 N. 1648. Delitzsch Wissenschaft, Kunst, Judenthum
S. 504 ff.
**) Wolf 13. H. 3 N. 376 b.
— 195 —
Beatus Christian Mackschan hiess. Derselbe hatte früher weite
Reisen durch drei Welttheile gemacht, war dann in Avignon
Rabbiner gewesen und hatte im Jahre 1672 die Taufe emp-
fangen. 1690 Hess er in deutscher Sprache: Schriftmässiger
Jesus -Palmbaum oder klarer Beweissthum wider die Juden, dass
Jesus der wahre Messias sei, in Riga erscheinen. Er soll als
Christ in recht bedrängten Verhältnissen gelebt haben.
10. Amerika.
Nur vereinzelt und nicht in Gemeinden zusammengeschlossen
kommen während dieses Zeitraumes Juden in Nord- Amerika vor,
so dass nur selten die Aufmerksamkeit der dortigen Evangelischen
auf die Juden gelenkt wird.
Im südamerikanischen Surinam durften, als es die Engländer
und Holländer besassen, Juden Pflanzungen halten. Sie siedelten
sich dort denn auch ziemlich zahlreich an, ein Theil von ihnen
wurde sehr wohlhabend und bürgerlich den Christen ganz gleich
gestellt. Portugiesische und deutsche Juden hatten in Paramaribo
ihre Synagogen.
Ebenso Hessen sich hernach Juden in Jamaika nieder. Hol-
länder, Engländer und die bereits länger in Amerika angesiedelten
Christen scheinen sich im Allgemeinen um die religiösen Verhält-
nisse der Juden in ihrer Umgebung wenig gekümmert zu haben.
Doch fehlt es nicht an einigen Zeichen, dass auch das
evangelische Amerika nicht alles Missionssinnes baar war. Jo-
hannes Davenport, der in Nord -Amerika lebte, Hess in eng-
lischer Sprache eine Schrift: The true Messias or crucified Jesus
1652 erscheinen, die aber in London gedruckt wurde.
Die Freiheit von der bisherigen staatlichen und kirchlichen
Autorität war für die Presbyterianer Nord-Amerikas eine Lebens-
frage. Daher heimelte sie die Verfassung der Juden und ihrer
Synagoge an und sie waren theilweise geneigt, die Juden und
ihre Zustände in einem zu günstigen Lichte anzusehen. Eine
Idealisirung der Juden verräth die Schrift von William Pinchion
aus Springfield in Neu -England, die unter dem Titel The Jews'
Synagogue in London 1652 an die Oeffentlichkeit trat. Diese
Schrift hat geradeswegs den Zweck, den Einrichtungen der
Synagoge einen göttlichen Ursprung zuzuschreiben, und die Ord-
nung des Gottesdienstes, die Verfassung und das presbyteriale
13*
— 196 —
Regiment der Synagoge als von Christo selbst herstammend der
Kirche als Muster zu empfehlen.
Dr. Increase Mather in Boston veröffentlichte 1667 eine
Abhandlung, welche auf die kommende allgemeine Bekehrung der
Juden hinweisen sollte, und Hess sich über dasselbe Thema in
einem Antwortschreiben an den Prediger Baxter und Dr. Light-
foot in England aus. Die wunderbare Erhaltung des jüdischen
Volkes in seiner Zerstreuung unter so vielen Völkern müsse
Jedermann überzeugen, dass Gott mit ihrer Nation noch etwas
besonderes vorhabe und dass die Juden, so wie es die Schrift lehre,
dereinst noch ein Segen für die ganze Welt werden würden.
11. Die Socinianer.
Selbst in den socinianischen Kreisen jener Zeit wurden die
Juden nicht vergessen. Im Gegentheil war man hier mehrfach
der Meinung, dass die Verwandtschaft des socinianischen Gottes-
begriffes und desjenigen der Synagoge dem Christenthum,
welches der Socinianismus lehrte, bei den Juden leichteren
Eingang verschaffen würde. Nur die Mystik des orthodoxen
Christenthums habe die Juden, so war man hier überzeugt, zurück-
geschreckt; ein vernünftiges Christenthum, das die altkirchlichen
Glaubenslehren aufgebe, werde die Bekenner der Synagoge an-
locken. Smalcius, Volkel und der Rakausche Katechismus
(1602) suchten also in ihrer Weise und vom socinianischen
Standpunkte den Juden aus dem Neuen Testamente den Beweis
zu führen, dass Jesus der Messias sei, hatten aber gar keinen
Erfolg. Im Gegentheil fanden unter den Socinianern in Sieben-
bürgen und Ungarn jene Sabbatharier Eingang, welche ein Juden-
christenthum aufrichteten, in dem schliesslich allem eine jüdische
Gestalt aufgeprägt wurde.
Der Socinianer Paulus Felgenhauer gab ein Schrift
Bonum nuntium, Amsterdam 1655, heraus, die er Menasseh Ben
Israel widmete und in der er geradeswegs erklärte, dass die
Christen genau ebenso wie die Juden auf den Messias warteten,
und beide, weil sie in diesem Punkte eins seien, sich auch über-
haupt als eins zu erkennen im Stande wären. Menasseh Ben Israel
sprach Felgenhauer seinen Dank dafür aus, dass er sein Volk in
der Hoffnung, die es so lange festgehalten habe, bestärke und
das jüdische Streben somit gerecht würdige.
— i97 —
In ähnlicher Weise wie Felgenhauer hat Daniel Brenius
auf den nahen Anbruch des Reiches Christi hingewiesen. Er
that dies zumal in einer Disputatio contra Judaeos, Amsterdam
1664. Der sehr äusserliche Beweis aus den Wundern Christi
wurde von den Socinianern mit Vorliebe gewählt, um den Juden
die Messianität Jesu zu beweisen.
12. Rückblick.
Der Gedanke, dass an den Juden eine religiöse Pflicht zu
erfüllen sei, ist während des so eben besprochenen Zeitraumes, in
welchem die evangelische Kirche aus ihren ersten werdenden An-
fängen zu ihrer Befestigung gelangte, bereits in den hauptsächlich-
sten Theilen derselben erwacht und zur Anerkennung gekommen.
Er hat aufgehört, das Eigenthum von nur einzelnen Personen zu
sein, und ist in recht weite Kreise mächtig hineingedrungen.
Man darf sogar ohne Uebertreibung sagen, dass derselbe damals
zu den Gemeingütern der Theologen in der evangelischen Kirche
gehörte. Ja niemals, von der apostolischen Zeit abgesehen, sind
die mit dem Amte des evangelischen Zeugnisses betrauten Per-
sonen der christlichen Kirche und ihre Amtsträger überhaupt so
lebhaft von dem Bewusstsein erfüllt gewesen, dass ihnen eine
Missionsaufgabe an den Juden obliege. An Missionssinn in
ihrem Verhältnisse zu den Juden hat thatsächlich die evangelische
Kirche dieser etwa 150 Jahre nicht bloss die mittelalterlich
römische, sondern auch die alte katholische und alle anderen
Kirchen der früheren Jahrhunderte weit übertroffen.
Die Notwendigkeit, den christlichen Glauben vor den Juden
zu bekennen und zu bezeugen, ist sogar unter den evangelischen
Theologen jener Periode viel allgemeiner als unter denen unserer
Gegenwart empfunden worden; und jene Vergangenheit richtet
damit an unsere Gegenwart, zumal aber an unsere Theologen
und Gelehrten die ernste Mahnung, dass wir doch hinter dem
nicht zurückbleiben mögen, was eine frühere Zeit, wenn auch in
ihrer Weise, immerhin unter Aufbietung grossen Fleisses und
einer unermüdlichen Thätigkeit geleistet hat.
Aber mit dieser Anerkennung muss sich nun doch ein leb-
haftes Bedauern verbinden. Vor allem ist dieser Eifer für eine
auf die Juden gerichtete Missionsthätigkeit ganz überwiegend auf
die Kreise der Theologen un(j zumal der wissenschaftlichen
— 198 —
Theologen beschränkt geblieben und bekundet daher auch Schritt
für Schritt diese Einseitigkeit. Die Missionswirksamkeit bleibt in
diesem Zeiträume hauptsächlich Sache eines Standes innerhalb
der evangelischen Kirche und wird ebenso wenig Sache der
evangelischen Kirche selbst als des evangelischen Volkes.
Viel allgemeiner freilich als in der reformatorischen Anfangs-
zeit hat sich jetzt die theologische Welt innerhalb fast des ganzen
Protestantismus mit Judenmissionsgedanken getragen und mit
einer gewissen Judenmissionsthätigkeit beschäftigt, aber dieselbe
blieb eben hauptsächlich eine theologisch- wissenschaftliche und
zeigt sich daher denn auch mit allen Mängeln der Theologie
jener Periode behaftet.
Die Juden sehen sich nicht eigentlich einer christlichen
Gemeinde gegenübergestellt, welche sie ihren Missionseifer er-
fahren lässt; und die evangelische Kirche wird daher auch nur
in geringem Grade eine Gewissensmahnung und eine Gewissens-
macht vor ihnen.
Arbeit genug ist also wohl auf die Bekehrung der Juden
in jener Zeit gewandt worden, aber die letzteren konnten bei
ihren damaligen Verhältnissen und ihrem damaligen Bildungs-
stande von dieser Arbeit nur einen geringen Nutzen ziehen.
Die Erfolge, welche damals evangelischerseits unter den Juden
erzielt wurden, sind daher auch nur zum kleinsten Theile eine
direkte Frucht der wissenschaftlichen Missionsthätigkeit , welche
ihrethalben entfaltet wurde, und stehen jedesfalls nicht im Ver-
hältniss zu der auf sie verwandten Mühe.
Freilich regte die genannte Literatur gar manchen, der mit
ihr beschäftigt war oder sie las, an, den Juden auch persönlich
mit dem Zeugnisse des Evangeliums nahe zu treten, und ein
bloss gelehrtes Werk blieb also diese Missionswirksamkeit nicht.
Indirekt hat vielmehr die reiche literarische Arbeit dieser Zeit
auch das allgemeine Missionswerk in derselben gefördert. Und
wo sich dann mit dem wissenschaftlichen Triebe der Eifer ver-
band, das geschriebene Wort auch ins Leben umzusetzen und
den Juden persönlich nahe zu treten, da blieben die Früchte nicht
aus. Das leuchtendste Beispiel hierfür ist Esdras Edzard.
Aber es gehört allerdings zu den besonderen Gebrechen
des Missionswirkens in jenem Zeiträume, dass literarische Be-
handlung der Missionsfrage, Missionsbedürfnisse und Missions-
forderungen und praktisches Zufassen in sehr vielen Fällen durch
— i99 —
eine ziemlich weite Kluft von einander getrennt sind. Missions-
sinn war wirklich vorhanden, aber derselbe konnte seine Kraft
nicht entfalten, weil eben der Eifer um die rechte Lehre ein
grösserer als der um die Personen war, um welche es sich
handelte.
Allerdings findet in allen den Ländern, welche während
dieser Zeit eine evangelische Judenmissionsthätigkeit kennen, ein
Kampf zwischen dem bloss gelehrten Interesse und der wirklichen
Herzenstheilnahme für die Juden in höherem oder geringerem
Maasse statt; aber überall wird die Missionskraft durch den
Streit der beiden Richtungen mit einander gehemmt und gebun-
den, und es kommt nicht zu einer harmonischen Durchdringung
beider mit einander, von welcher die Juden den rechten Gewinn
gehabt hätten.
Die Burg des Judenthums ist denn auch durch den gelehrten
Sturmlauf, der gegen sie gerichtet wurde, und der noch dazu
vielfach vor seinen Mauern stehen blieb, weil er oft nicht einmal
die Leiter einer Sprache, welche die Juden verstanden, mitge-
nommen hatte, nicht erschüttert worden. Nicht einmal einen
nennenswerthen Einfiuss nehmen wir von diesem gelehrten Streit
auf das Judenthum im Allgemeinen wahr. Die evangelische
Christenheit musste daher auch noch andere Wege einschlagen,
wenn sie ihr Ziel an den Juden erreichen wollte, und musste es
vor allem lernen, die Judenfrage als eine solche zu behandeln,
in welcher sie die Aufgabe hätte, direkt an die Juden heranzu-
treten, um sie auf diese Weise mit ihrem Zeugnisse zu erreichen.
Die gelehrte Thätigkeit durfte nur eine dienende Stelle einnehmen
und nicht die erste behaupten. Und dass es in der nächsten
Zeit wenigstens bis zu einem gewissen Grade hierzu gekommen
ist, bleibt das Verdienst zumal des deutschen Pietismus und der
ihm verwandten Richtungen in anderen Ländern.
III.
Die Zeit des Vorherrschens innerer
Beziehungen zu den Juden.
Erste Hälfte des 18. Jahrhunderts.
i. Zur Charakteristik des Zeitraumes.
xVlare und scharfe Grenzen können weder für den Anfang
noch für das Ende dieses Zeitraumes angegeben werden. Denn der
Pietismus, welcher die bedeutendste und folgenreichste Erscheinung
in demselben bildet, ist durch solche nicht zu bestimmen. Spener,
der eigentliche Vater des Pietismus wurde ja schon 1666 zum
Senior des Geistlichen Ministeriums zu Frankfurt a. M. berufen,
und starb bereits im Anfange des 18. Jahrhunderts, 1705. Eben
desshalb könnte es auf den ersten Blick willkürlich erscheinen,
den ersten Theil des 18. Jahrhunderts als besonderen Zeitab-
schnitt zu behandeln. Thatsächlich aber hat der Pietismus doch
erst mit dem Auftreten der drei jungen Magister in Leipzig
August Hermann Franke, Paul Anton und Johann Caspar
Schade im Jahre 1686 und seit der Errichtung der Universität
Halle 1691 seine tiefer gehende Einwirkung auf das allgemeine
kirchliche und öffentliche Leben entfaltet. Von da ab erst hat
er jenen Einfluss gewonnen, welcher ihn für das kirchliche, reli-
giöse und auch für das bürgerliche Leben zunächst des evange-
lischen Volkes von so hoher Bedeutung werden liess.
Freilich aber hat er von Anfang an sein Gebiet nicht un-
bestritten eingenommen, und er war es nicht allein, welcher die
evangelische Kirche und das evangelische Leben Deutschlands
201
bestimmte. Und ähnlich stand es dort, wo die Geistesverwandten
des Pietismus auftraten. Neben dem letzteren und oft im heftigsten
Kampfe wider ihn behauptete die alte Rechtgläubigkeit ihr
Feld. Diejenige Richtung, welche besonders die gelehrten Be-
ziehungen zu den Juden pflegte, sehen wir also nicht so schnell
vom Schauplatze verschwinden, sondern bis in die dreissiger
Jahre hinein noch recht eifrig auf den Plan treten.
Beide Richtungen beeinflussen denn auch einander in dem
Werke, welches den Juden gilt; sie spornen sich gewissermaassen
gegenseitig an, mit ihren Kräften und Mitteln an denselben zu
arbeiten, ergänzen sich auch gegenseitig und greifen oft in ein-
ander über, so dass dieser Zeitraum das Bild einer recht lebhaften
Thätigkeit auf unserem Gebiete zeigt.
An der Fülle literarischer Erzeugnisse übertrifft die ortho-
doxe Richtung noch die pietistische, aber doch tritt der innere
Einfluss des Pietismus auch in jener vielfach zu Tage. Dem
Pietismus war es im Unterschiede von der gelehrten Gläubigkeit
vor allem und an erster Stelle um die Person der Juden selbst
zu thun. Nicht das theologische Interesse oder der wissenschaft-
liche Eifer oder das religionswissenschaftliche Rechthabemvollen
hiessen ihn an die Juden herantreten und eine Arbeit an ihnen
aufnehmen, wie dies bei der Orthodoxie oft an erster Stelle der
Fall gewesen war, sondern das brennende Verlangen nach dem
Heile ihrer Seelen. Das Herz hatte es hier zunächst mit den
Juden zu thun und fühlte tief den Ernst der Frage ihres Selig-
werdens.
Aus diesem Grunde war für den Pietismus und auch in
gewissem Grade für seine Geistesverwandten das Zeugniss an die
Juden eine innere Notwendigkeit, und darum dachte er auch
angelegentlich darüber nach, wie er den Gewissen und Herzen
derselben das Evangelium nahe zu bringen vermöchte. Vor
allem das Beste ihrer Person suchend, liess er es sich desshalb
auch angelegen sein, die Juden in einer ihnen verständlichen
Sprache anzureden und es ihnen fühlbar zu machen, dass es ihm
einen tiefen Schmerz bereite, sie der seligmachenden Wahrheit
den Rücken kehren zu sehen.
Eben daher wandelte sich im Pietismus und bei seinen
Genossen auch die Sprache ganz auffällig, welche man den Juden
gegenüber führte, und dieselbe gewann hier einen wärmeren, ein-
drinelicheren und mehr die Herzen anfassenden Ton. Kurz, die
— 202 —
Stellung des Pietismus zu den Juden wurde eine wirkliche Mis-
sionsstellung. Und so war es auch nichts Zufälliges, dass aus
der Mitte seiner Anhänger her eine eigentliche Judenmission
erwuchs.
Heilsame und nachhaltige Anregungen, den Juden gegen-
über eine dem Evangelium entsprechende Stellung zu gewinnen,
hat aber der Pietismus auch auf weitere Kreise ausgeübt. Er
hat in dieser Beziehung in der That viele sehr vortheilhaft beein-
fiusst, welche nicht zu seinen Anhängern gehörten und nicht in
seinen Einseitigkeiten einhergingen.
Aber freilich über lebendige Anregungen einer grösseren
Zahl einzelner evangelischer Personen brachte es auf unserem
Felde auch der Pietismus nicht hinaus. Denn sein Subjektivismus
raubte ihm wie auf anderen Gebieten, so auch hier die Fähigkeit
eine allgemeinere Erhebung der Kirche und des evangelischen
Volkes herbeizuführen.
In Holland befreundete sich der Coccejanimus mit dem
deutschen Pietismus, in England aber enstand im Methodismus
eine dem deutschen Pietismus verwandte Erscheinung. Allerdings
nicht in der lebhaften Weise, wie es im deutschen Pietismus der
Fall war, aber in der inneren Richtung ihm wenigstens ähnlich,
beeinflussten jene religiösen Erscheinungen an ihrem Orte die
Stellung vieler zu den Juden. Den Missionssinn und Missions-
eifer hat zumal der Methodismus in England wesentlich wecken
helfen.
Den Abschluss dieses Zeitraumes führt das Auftreten eines
in der rationalistischen Gestalt hervortretenden Humanimus herbei,
welcher sowohl die Stellung der Christen zu den Juden als jene
letzteren selbst in ganz neue Bahnen hineinzuleiten beginnt. Der
Grenzpunkt ist aber auch hier nicht durch eine bestimmte Jahres-
zahl anzugeben; und es wird sich nur etwa rechtfertigen, wenn
ungefähr die Mitte des 18. Jahrhunderts, welche auf jüdischer
Seite die Gestalt von Moses Mendelsohn vor die Oeffentlichkeit
führt, als das Ende der bisherigen und der Anfang der neueren
Periode festgehalten wird.
2. Jüdische Zustände.
Die Wohnsitze der Juden waren in der ersten Hälfte des
1 8. Jahrhunderts im Wesentlichen dieselben wie am Schlüsse des 1 7.
— 203 —
Doch fingen sie nun auch in Nord-Amerika an sich zu Gemeinden
zu sammeln, nachdem 600 portugiesische Juden, welche mit den
Holländern nach Brasilien gegangen waren, dasselbe, seitdem die
Portugiesen dieses Land verloren hatten, wieder verliessen. 1 729
bildete sich in New -York (Neu -Amsterdam) eine jüdische Ge-
meinde, welche 1 730 die erste Synagoge auf nordamerikanischem
Boden erbaute. Sehr früh Hessen sich auch Juden in Jamaika,
Guyana und Curacao nieder, in Surinam gelangten sie zu bedeu-
tendem Wohlstande und hohem Anseilen.
Einzelne Verfolgungen der Juden kamen auch in diesem
Zeiträume vor, aber ganz überwiegend in nicht evangelischen
Ländern. Die allgemeine Stellung dagegen, welche die Juden
inmitten der christlichen Völker einnahmen, blieb auch jetzt der
Regel nach eine unwürdige; doch ist ein Fortschritt zum Besseren
hier immerhin zu erkennen.
Ziemlich einstimmig aber geben die jüdischen Geschichts-
schreiber zu , dass die erste Hälfte des 1 8. Jahrhunderts bis zu
Mendelsohn vielleicht eine der dunkelsten Perioden ihrer Geschichte
bilde. Grätz z. B. , welcher doch von keinem anderen in der
Verherrlichung seines Stammes erreicht wird und dessen einziges
Dogma die Vergötterung der Judenschaft ist, bekennt trotzdem
(X, 323 ff.): „Die Rabbiner dieser Zeit waren im Allgemeinen
keine Muster, die polnischen und die deutschen meistens Jammer-
gestalten, die Köpfe erfüllt von unfruchtbarem Wissen, sonst un-
beholfen und unwissend wie kleine Kinder. Die portugiesischen
Rabbinen traten äusserlich würdig und imponirend auf, aber inner-
lich waren auch sie hohl; die italienischen hatten mehr Aehnlichkeit
mit den deutschen, besassen aber nicht deren Gelehrsamkeit."
„So ohne des Weges kundige Führer, in Unwissenheit oder
Wissensdünkel versunken, von Phantomen umschwärmt, taumelte
die Gesammtjudenheit in allen Erdtheilen ohne Ausnahme vonThor-
heit zu Thorheit und Hess sich von Betrügern und Phantasten
am Narrenseil leiten. Eine Albernheit mochte noch so augen-
fällig sein, sie fand Glauben, wenn sie nur mit scheinbarem reli-
giösem Ernste geltend gemacht und in verrenkte Schriftverse
oder talmudische Sprüche in gekünstelter Auslegung eingefügt
oder mit kabbalistischen Floskeln belegt wurde. Der Höhepunkt
des Mittelalters stellt sich in der jüdischen Geschichte zu der
Zeit ein, wo es im westlichen Europa grösstentheils überwunden
war. Für Krankheiten Amulete zu schreiben und sie damit zu
— 204 —
bannen, wurde von jedem Rabbiner verlangt und sie gaben sich
auch dazu her, ja manche wollten als Geisterbeschwörer gelten."
Und ebenso gesteht Grätz: „Im Anfange des 18. Jahr-
hunderts war sowohl der wissenschaftliche und künstlerische Sinn
als das sittliche Gefühl den Juden abhanden gekommen oder
mindestens abgestumpft. Zwar blieben die Grundtugenden des
jüdischen Volkes in ihrer ganzen Kraft bestehen: Famiiienliebe und
brüderliche Theilnahme unter einander; aber das Rechts- und
Ehrgefühl war im Durchschnitt geschwächt. Gelderwerb war
eine so gebieterische Notwendigkeit, dass die Art und Weise des
Gelderwerbes gleichgiltig war. Uebervortheilen und Ueberlisten
nicht bloss der feindlich gegenüberstehenden Bevölkerung, sondern
auch der eigenen Volksgenossen galt meistens nicht als Schande,
vielmehr als eine Art Heldenthat. Daraus entstand eine An-
betung des Mammons, nicht bloss Liebe zum Gelde, sondern
auch Respekt vor ihm , mochte es aus noch so unlauteren
Quellen geflossen sein. Die bis dahin noch so ziemlich behauptete
demokratische Gleichheit unter den Juden, welche den Unterschied
des Standes und der Kaste nicht anerkennen mochte, verlor sich
bei dem rasenden Tanz um das goldene Kalb. Der Reiche galt
auch als ehrenwerth, zu dem die minder Begüterten wie zu etwas
Höherem hinaufblickten, und dem sie daher vieles nachsahen.
Die Reichsten, nicht die Würdigsten kamen an die Spitze der
Gemeinden und erhielten daher einen Freibrief für Willkür und
Uebermuth."
In der That, die Zustände der Juden waren sehr ernste.
Das reformatorische Zeugniss hatten sie sowohl in seiner anfäng-
lichen als in seiner späteren Gestalt von sich gewiesen, obgleich
der Unterschied desselben von dem römischen ihnen scharf genug
entgegengetreten war. Ja, sie waren in ihrem Widerstreben
gegen das Christenthum nun noch weiter fortgeschritten, und das
musste seine Folgen für ihr religiöses Leben haben. Denn frei-
lich die innere Gewissensmahnung konnte nicht abgewiesen werden,
ohne dass der religiöse Sinn selbst dadurch Schaden erlitt.
Die Thatsache des religiösen Verfalls verbarg sich denn auch
vor den Augen vieler Juden nicht, wie denn noch aus jüngster
Zeit das oben erwähnte Zeugniss von Grätz sie einräumt; aber
den eigentlichen Grund derselben wollten sie sich nicht ein-
gestehen und es sich nicht selbst bekennen, dass eben ihre
Religion sie immer weiter sinken lassen musste , und dass die
20:
Selbstbefestigung ihrer Religion gegen das Christenthum ihr
ganzes Verderben war. Trotz alles dessen, was sie an sich selbst
erlebten, ragten sie nach wie vor in ihrer eigenen Ueberzeugung
über die ganze Welt hinaus.
Indess währte der Messiasschwindel fort, obgleich doch
wahrlich die Erfahrungen mit Sabbathai Zebi und der grossen
Zahl derer, welche dann seine Lehre weiter verbreiteten, die
Gemüther hätten ernüchtern sollen. Der Betrüger Chija Chajon
fand in Amsterdam und von dort aus fast in der ganzen Juden-
schaft zahlreiche Anhänger. Mose Chajim Luzzato aus Padua
beunruhigte weite Kreise durch seine kabbalistischen Lehren.
Der bekannte Rabbi Jonathan Eibeschütz in Prag und her-
nach in Altona war ein Beförderer des Sabbathianismus. In von
ihm ausgegebenen Anmieten wurde Sabbathai Zebi als Messias
angerufen.
In der Mitte des Jahrhunderts aber erstand unter den tür-
kischen und wallachischen Juden in Jacob Frank ein neuer
Messias, der später auch im Polnischen Reiche viele Gläubige
fand, bis er 1760 eingesperrt wurde und aus dem Gefängniss ent-
lassen zurückgezogen in Offenbach lebte, wo er auch starb.
Bei diesen messianischen Bewegungen zeigte es sich aber,
dass auch die in äusserlich günstigen Verhältnissen lebenden
Juden, wie die hochgebildeten in Holland, Hamburg und England,
sich eben so wenig durch ihr Judenthum befriedigt fühlten als
diejenigen, welche eine gedrückte Stellung unter den Völkern
einnahmen. In der That trat es jetzt ganz klar zu Tage, dass
die Juden in ihrer Religion kein Genüge gefunden hatten.
Während die grosse Masse der Juden in der allersorg-
fältigsten Ausübung dessen, was ihr religiöses System ihnen vor-
schrieb, dahinlebte, fühlten die Gemüther je länger desto mehr
eine unbeschreibliche Leere, welche um jeden Preis gefüllt sein
wollte. Nur die völlige innere Ohnmacht, welche an dem Juden-
thum zu Tage getreten war, nachdem es die Freiheit gehabt hatte,
ohne irgend Jemandes Dazwischentreten vor seinen Bekennern
seinen ganzen Inhalt und sein ganzes Vermögen darzulegen, er-
klart die Erscheinung, dass den Juden überall in Europa, Asien
und Afrika jene Messiase und messianischen Propheten, die fast
ein Jahrhundert lang unter ihnen auftreten durften, als Bringer
der wahren frohen Botschaft galten. Das Verlangen nach etwas
Besserem war ein so grosses und gewaltiges, dass es einen so
— 206 —
langen Zeitraum hindurch keine noch so traurige Erfahrung zu
dämpfen vermochte. Eine förmliche Messiasraserei hatte sich der
Juden bemächtigt, und nur nach und nach erwachte der grössere
Theil derselben aus ihrem Rausche.
Der Talmudismus konnte sich auch nur desshalb noch halten,
weil dieses ganze Messiastreiben offenbar eine Lüge war; und
jener Mystik allein hatte er es zu danken, dass er noch nicht
völlig zusammenbrach. Aber seine Zeit war freilich vorüber, und
es kam nur darauf an, ob sich eine Macht finden liess, welche
grösseres Vertrauen unter den Juden gewann und welche ihnen
einen Ersatz für das alte pharisäisch-talmudische Wesen bot.
Mitten in diesem Treiben und während dasselbe noch in
seiner Blüthe stand, erhob sich aus der evangelischen Kirche her
der Zeuge, welcher die Juden einen anderen besseren Weg zu
weisen versuchte: der deutsche Pietismus und die Mission des-
selben sammt den verwandten Erscheinungen auf anderen Gebieten
der evangelischen Kirche.
Wie er dieses Werk aufgenommen, ob mit der rechten
Kraft und den rechten Mitteln, ob er von der evangelischen
Kirche hinreichend verstanden und von den evangelischen
Völkern genügend unterstützt wurde , und wieder , ob und wie
weit die Juden diesem Wegweiser zu folgen willens waren, wird
nun die folgende Darstellung nachzuweisen die Aufgabe haben.
3. Deutschland.
a. Philipp Jacob Spener.
Philipp Jacob Spener, geboren 1635 zu Rappoldsweiler im
Elsass, hatte schon als Student auf der Universität Strassburg
dem Hebräischen und Rabbinischen besonderen Fleiss zugewandt.
Zur besseren Erlernung des Talmudischen bediente er sich der
Hilfe eines Juden und ging 1659 eigens nach Basel, um hier
eine weitere Förderung in diesen Studien durch Buxtorf zu er-
fahren. Auch Esdras Edzard in Hamburg hat er aufgesucht,
und die Bemühungen dieses Mannes um die Bekehrung der Juden
haben einen bleibenden Eindruck auf ihn hervorgebracht. Nicht
bloss folgte er dem Rathe desselben für seine jüdischen und
hebräischen Studien, sondern ihm erschien auch die Art und Weise
des Verkehrs, den jener Hamburger Theologe mit den Juden
— 207 —
pflegte, für alle Missionswirksamkeit an denselben als die beson-
ders geeignete. Auf Edzards Vorbild hat er desshalb auch stets
mit grossem Nachdruck hingewiesen.
Sein Amt in Frankfurt a. M. bot ihm alsdann manchen
Anlass, mit Juden in nähere Verbindung zu treten; und hier
zeigte es sich sogleich, dass es ihm in seinen talmudischen und
rabbinischen Studien nicht um den Erwerb grösseren literarischen
Wissens oder nur um wissenschaftliche Förderung zu thun ge-
wesen war, und dass er bei diesen Studien eben so wenig an eine
bloss wissenschaftliche Verwerthung derselben gedacht hatte,
sondern dass diese Art der Beschäftigung dem geistlichen und
äusseren Wohl der Juden hatte gelten sollen.
Eben desshalb genügte ihm auch das durchaus nicht, was
in der evangelischen Kirche bisher für die Juden geschehen war,
sondern er fühlte es tief, dass in diesem Stücke viel vernach-
lässigt worden wäre, und dass die Schuld der Christen ein grosses
Hinderniss für die Ausbreitung des Christenthums unter den Juden
sei. Nicht weniger aber stand es ihm fest, dass sich die Christen-
heit nunmehr in allen ihren Ständen aufmachen müsse, um das
Versäumte nachzuholen.
Demgemäss erhob er seine Stimme und er that dies nach-
haltig, in Frankfurt wie in Dresden und auch zuletzt noch in Berlin.
In Predigten von der Kanzel herab und in Schriften Hess
er sich gleichmässig über den Gegenstand vernehmen. So heisst
es bereits 1675 in den Piis desideriis (Frankfurt) S. 56 und öfters
„dass an der Aeusserlichkeit der Christen zuvörderst die Juden
sich ärgern, so unter uns wohnen und werden in dem Unglauben
gestärkt, ja den Namen des Herrn zu lästern bewogen, als die
da nicht können glauben, es sei möglich, dass wir Christum für
einen wahren Gott halten, dessen Geboten wir gar nicht folgen,
oder es müsse unser Jesus ein böser Mensch gewesen sein, wo
sie ihn und seine Lehre aus ihrem Leben urtheilen, also dass
wir nicht können in Abrede sein, dass dieses der bisherigen
Verstockung der Juden und Hinderniss dero Bekehrung eine
grosse Ursache gewesen, das Aergerniss, so die armen Leute an
uns nehmen".
S. 116: „Insgemein gegen alle Ungläubigen oder Irrenden
soll geschehen die Uebung herzlicher Liebe, dass wir ihnen zwar
zu ihrem Unglauben oder Irrglauben oder dessen so Uebung als
Fortpflanzung nichts zu willen werden, aber in anderen Dingen,
— 208 —
welche zum menschlichen Leben gehören, zeigen, dass wir sie
für unsere Nächsten, ja auch aus Recht der allgemeinen Schöpfung
und gegen alle sich erstreckenden göttlichen Liebe für unsere
Brüder erkennen, und also auch mit solchen Herzen gegen sie
gesinnet seien, wie wir den Befehl haben alle als uns selbst zu
lieben. Und ist dieses ein so fleischlicher als an Bekehrung
solcher Leute schädlicher Eifer, da man einigen Ungläubigen
oder Irrenden seiner Religion wegen Schimpf oder Leid anthut,
da doch der rechtmässige Hass der Religion die der Person schul-
dige Liebe weder aufheben noch schwächen sollte".
Umfassend aber legt er seine Wünsche und Forderungen
hinsichtlich der Juden in den „Theologischen Bedenken" nieder.
So IV Art. i, Sect. 18 pag. 87: „Christliche Bedenken wegen
der Anstalt zur Bekehrung einiger Juden an Orten, da dieselben
wohnen". Hier stellt er 12 Punkte auf: 1. Die christliche Obrig-
keit, unter deren Botmässigkeit Juden lebten, sei verpflichtet,
alles zu versuchen, um sie zur Erkenntniss des Heils zu bringen.
Das fordere von ihr die christliche Liebe, welche das geistliche
Wohlsein des Nächsten suche. Sie sei aber auch das Werkzeug
der Gnade Gottes an den unsterblichen Seelen ihrer Unterthanen.
Darum sei sie verpflichtet danach zu trachten, dass die Un-
gläubigen zur Erkenntniss gelangen. Der Regent, welcher dies
unterlässt, versündigt sich schwer und geniesst alle Vortheile von
den Juden mit Sünde, so dass ihn die armen Seelen im Gerichte
verklagen werden. Die Regenten sollten daran denken, dass der
Herr ihnen die Juden nicht dazu in ihr Land gegeben habe, da-
mit sie von ihnen zeitlichen Nutzen ziehen, sondern damit diese
von ihnen geistlichen Nutzen schöpfen mögen. Ueberhaupt aber
sind die Juden unter die Christen verstreut, damit sie denselben
sowohl ein Exempel des göttlichen Gerichtes als eine Gelegenheit
zur Uebung der Liebe werden.
2. Das Gute muss auch auf eine gute Weise vollbracht
werden. Gewaltmittel stiften nur Unheil. Das Reich Christi ist
nicht von dieser Welt, weltliche Gewalt hat also darin keinen
Platz; daher nichts vorgenommen werden darf, was wider das
Gewissen eines Juden ist. Die vom Herrn geheiligten Mittel sind
anzuwenden, die Herrschaft über die Gewissen dagegen bleibt
ihm allein zu überlassen.
3. Ein Nebenmittel aber ist Hinwegräumung von Hinder-
nissen aus dem Wege. Man müsse die Juden zu einer anderen
— 209 —
Lebensart bringen und sich nicht vom Handeln und Schachern
ernähren lassen. Durch die bisherige Beschäftigung werde ihr
Gemüth mit zu vielen Sorgen erfüllt, so dass sie gar nicht recht
an etwas Göttliches denken könnten, und es ohne Betrug bei
ihrer Lebensweise nicht abgehe. Man bringe sie an noch unbe-
baute oder wenig bebaute Orte und halte sie dort zur Lebensart
ihrer Väter d. h. zum Ackerbau und Viehzucht an. Dann würden
sie auch für ihre Seele mehr sorgen können und das Gemein-
wesen von ihnen mehr Nutzen haben. Damit das aber geschehen
könne, müssten freilich nicht bloss Privatpersonen, sondern das
Reich die Sachen in die Hand nehmen. Ferner sei eine genaue
Aufsicht der Obrigkeit nöthig, damit die Juden selbst nicht Un-
recht thun und ihnen solches nicht zugefügt werde. Denn es
ärgere jene Leute schrecklich, wenn sie hören, wie den Christen
durch ihre Lehre, Liebe und Gerechtigkeit so ernstlich befohlen sei,
und wenn sie doch dieselben täglich das Gegentheil hiervon
üben sehen. Sie meinen dann, dass es uns mit unserer Religion
kein Ernst sei, und halten alles, was ihnen selbst geschieht, für
Leiden, welche ihnen um ihrer wahren Gesetzestreue willen zu-
gefügt werden. So würden sie in ihrem Wahn noch mehr be-
festigt und ihre Gemüther noch mehr verhärtet. Die Obrigkeit
müsse daher, wo Juden wohnen, allem gottlosen Leben desto
ernstlicher steuern.
Aber freilich sollten auch die Juden der christlichen Religion
nicht zuwiderhandeln und den Sonntag nicht entheiligen dürfen;
daher der Handel mit Christen ihnen am Sonntage, und den
Christen der Dienst bei Juden an diesem Tage zu verbieten sei.
4. Das rechte eigentliche Hauptmittel, um die Bekehrung
der Juden zu erreichen, seien aber das Gebet und das göttliche
Wort. Das Gebet müssten die Einzelnen üben und sei für die
Gemeinde in der Kirche zu verordnen. Wenn ernstlich gebetet
werden würde, werde der Herr auch als Antwort den Weg
zeigen, auf dem die Juden herbeigebracht werden möchten.
5. Sodann das göttliche Wort. Dasselbe ist vor allem zu
lesen. Man bewege also die Juden das Neue Testament und
andere christliche Bücher zu lesen. Aber freilich bestehe hier
das Hinderniss, dass die wenigsten Juden deutsch lesen könnten
und bereit seien, sich mit christlichen Büchern zu beschäftigen.
Gespräche und Zuspruch seien von Nutzen, aber nicht viele ver-
F. J. A. de le Roi, Missionsbeziehungen. \a
— 210 —
ständen sich hierauf; denn es fehle an der Kenntniss des Jüdischen
und an der rechten Sanftmuth den Juden gegenüber.
6. Das Meiste müssten die Prediger thun. Desshalb sollten
in jeder Herrschaft ein oder einige Prediger angewiesen werden,
sich mit dem einschlägigen Material bekannt zu machen, und
seien die Juden zu verpflichten, dieselben anzuhören; wobei ihnen
aber Einwürfe gegen dieselben erlaubt sein müssten. Zu gebieten
sei es den Juden, das Jahr über gewisse Predigten zu besuchen;
denn das blosse Anhören solcher Predigten streite nicht wider
die Gerechtigkeit.
7. Die Juden sollten aber nicht gehalten sein, dem Namen
Jesu äussere Ehrerbietung zu beweisen, auch nicht in Kirchen,
welche Bilder enthielten, geführt werden, sondern lieber an einen
anderen Ort.
8. Die Prediger sollten ihre Vorträge freundlich halten,
ohne Bitterkeit und Heftigkeit, so dass man ihnen Liebe zu den
Juden abmerke. Mit den Nachkommen der früheren Juden solle
man überhaupt mehr Mitleid haben, als Zorn gegen sie hegen
und auch ihrer Herzenshärtigkeit so gedenken, dass man dem
die Erbarmung gegen sie abfühle. Um ihr Herz zu gewinnen,
möge man ihnen auch die Herrlichkeit ihres früheren Zustandes
beschreiben , und dass wir mit Römer Kap. 1 1 wüssten , Gott
habe sein Volk nicht ganz Verstössen. Wir wollten sie nicht
stolz machen, sondern sie sollten nur sehen, dass wir sie nicht
verachten noch ihnen feind sind, sondern Liebe gegen sie tragen.
9. Bei ihrer Belehrung sei mit dem Leichteren anzufangen
und dann erst zum Schwereren vorzugehen. Es sei nicht sogleich
mit der Lehre von der Dreieinigkeit zu beginnen, sondern etwa
in der folgenden Ordnung. Mit der Heiligkeit der Lehre Christi
sei der Anfang zu machen, und wie in jener alles enthalten sei,
was nach dem Gesetze Mosis die wahre Heiligkeit ist, welche
Gott als einem geistigen Wesen und dem Dienste desselben ent-
spricht. Sodann, dass der Messias ein solcher habe sein müssen,
wie die Christen von Christo lehren, und dass er nothwendig
bereits gekommen sei. Ein Verführer kann der nicht gewesen
sein, der eine so heilige Lehre gehabt hat, die alles, was das
Gesetz Mosis enthält, vollkommen in sich fasst. Mit dem Ver-
trauen zum Neuen Testamente werde dann auch unschwer die
Annahme der anderen Geheimnisse in demselben kommen. Und
dabei sei darauf hinzuweisen, dass der Messias Gottes nach dem
211 —
Alten Testamente habe leiden, sterben, ein Versöhnopfer werden
und einen neuen Bund mit allen Völkern aufrichten müssen.
10. Die Prediger müssten die hierher gehörige Literatur
studiren. Die Beweise sind aus dem Alten Testamente zu ent-
nehmen, Nebenzeugnisse aus Talmud, Targum, Rabbinen und
Cabbala. Im Uebrigen sei jede Person besonders zu behandeln,
und sei in dem allen von Edzard zu lernen.
11. Mit der Taufe dürfe man nicht eilen, sondern müsse man
eine längere Probezeit inne halten, damit die Juden selbst sähen,
wie heilig uns die Taufe sei, und damit auch andere Christen
erkannten, dass es uns nicht um die Gewinnung blosser Namen-
christen zu thun sei. Die Getauften aber seien zu einem thätigen
Christenthum , besonders zu fieissiger Arbeit anzuhalten, welche
auch die Bedingung ihrer Aufnahme bilden müsse. Ihre jüdischen
Unarten müsse man ihnen allmählig abgewöhnen. Die Beispiele
unordentlicher Proselyten ärgerten ihre ungläubigen Brüder, gute
Beispiele dagegen zeigten ihnen die Kraft des Christenthums.
Am Schlimmsten sei die geringe Fürsorge für die Proselyten, und
müsse denselben vor allem Arbeit verschafft werden.
1 2. Die Zahl der Bekehrten werde bis zur Stunde der Ernte
freilich keine grosse sein. Trotzdem müsse man den Juden nach-
gehen, denn die Hoffnung sei für keinen aufzugeben, und für
jeden Gewonnenen dem Herrn zu danken.
1 702 , also drei Jahre vor seinem Tode , kam Spener in
Berlin noch einmal in ähnlicher Ausführlichkeit auf den Gegen-
stand in den „Unmaassgeblichen Gedanken, wie es mit den Juden
ihrer Bekehrung wegen zu halten sei", zurück (Letzte Theologische
Bedenken Band Ic 1 S. 286 ff.). Er stellt hier 14 Punkte auf,
in denen er das früher Gesagte vielfach wiederholt. Nachdem er
von dem Zwecke des Wohnens der Juden unter den Christen
gesprochen, fordert er für sie freie Reliongionsübung; doch sei
ihnen eine Lästerung und Verführung von Christen nicht zu
gestatten. Wiewohl jetzt unter dem Zorne Gottes seien sie doch
noch Blutsverwandte Christi und die Erfüllung der Verheissungen
ihnen gewiss. Darauf wird die Pflicht der christlichen Obrigkeit
gegen sie betont, die Notwendigkeit einer Aenderung ihrer
Lebensweise hervorgehoben, auf die Abstellung jeder üblen Be-
handlung der Juden unter dem Einschreiten der Obrigkeit und
auf das Predigtzeugniss an sie gedrungen, und geistliche wie
14*
— 212 —
äussere Versorgung für die Proselyten und Unterbringung der-
selben in Anstalten während ihres Unterrichtes verlangt.
Indem Spener dann betont, dass alle Gewalt gegen die
Juden vermieden werden müsse, weil dieselbe nur, wie das Spanien
und Portugal gezeigt hätten, Heuchler schaffe, verwirft er es jetzt
auch von ihnen zu fordern, dass sie dem gewöhnlichen christlichen
Gottesdienste beiwohnten, und hält es nun selbst nicht einmal für
rathsam, von ihnen den Besuch besonderer Judenpredigten zu
verlangen, weil sie das erfahrungsmässig nur desto hartnäckiger
mache. Die Sache stiftet, so fügt er hinzu, mehr Schaden als
Nutzen. Auch könnten die Katholiken gegen die Evangelischen
den gleichen Zwang ausüben.
Die Prediger sollten dagegen in den Gemeinden für die
Juden beten und jene zur Fürbitte für die Juden ermahnen.
Besonders aber gälte es im Privatverkehr die religiöse Frage mit
ihnen zu besprechen; mit Laien gingen überdem die Juden
leichter auf derartige Gespräche ein als mit Geistlichen. Die
Universitäten endlich müssten die orientalischen Studien ernster
betreiben , damit die Theologen für ein Zeugniss an die Juden
besser ausgerüstet würden.
Häufig erinnerte Spener überdies in seinen Predigten die
Gemeinde an die Juden und an ihre Christenpflichten gegen die-
selben. So bezeugte er in seiner Himmelfahrtspredigt vom Jahre
1677 in Frankfurt „über die Notwendigkeit und Möglichkeit eines
thätigen Christenthums", seinen Zuhörern, dass die evangelische
Christenheit es nicht verantworten könnte, wenn sie die Juden
weiter so hingehen Hesse, wie sie es bisher gethan habe. Noch
im Jahre 1699 hielt er in der Nicolai-Kirche zu Berlin eine Predigt,
„Dass unser Herr Jesus Christus der wahre Messias sei", welche
sich theils direkt an die Juden richtete, theils es den Christen an
die Hand geben wollte, wie sie die Juden von der Messianität
Jesu überzeugen sollten.
Eine Predigt am Sonntage der Zerstörung Jerusalems behan-
delte in herzbeweglicher Weise „Die Thränen Jesu über Jerusalem
und die Schriftlehre von der zukünftigen Bekehrung der Juden".
Da Spener eifrigst das Schriftstudium pflegte und zu einer
lebendigen Erfassung der heiligen Schrift . gelangte , wurde ihm
auch die Endbekehrung der Juden zur Gewissheit; und er
hat besonders dazu gewirkt, dass diese Hoffnung von vielen
in der evangelischen Kirche eetheilt wurde. Sehr häufig
— vs —
kommt er denn auch sowohl in seinen Schriften als in seinen
Predigten auf die Hoffnung Israels zu sprechen. In der Schrift
„Behauptung der Hoffnung künftiger besserer Zeiten" aus dem
Jahre 1693 hat er das zumal recht nachdrücklich gethan. Hier
und sonst oft kommt er mit Vorliebe auf Römer Kap. 1 1 und
auf die Propheten des Alten Testamentes zu sprechen. Aber er
weist auch nach, dass die Endbekehrung des jüdischen Volkes
die längste Zeit eine allgemeine Lehre der christlichen Kirche
gewesen sei. Ihn selbst hatte besonders sein College Grambs
zur Erkenntniss der Schriftmässigkeit derselben gebracht, und
machte er es nun auch mit Ernst geltend, dass man die Juden
unnöthig verstocke , wenn man ihnen raube, was ihnen die
Schrift doch lasse. Die endliche Bekehrung Israels bildete sogar,
wie er selbst sagt, einen täglichen Gegenstand seines Gebets; und
denen, welche ihn beschuldigten, dass er unter die Chiliasten
gegangen sei, stellte er gern die lange Reihe evangelischer Theo-
logen entgegen, welche die Schrifthoffnung für das Volk Israel
festgehalten hatten.
Nach allen Seiten hat also Spener das Verhältniss zwischen
den Christen und Juden besprochen. Getrieben von ernster und
aufrichtiger Liebe hat er seine Stimme erhoben, dass man die
Juden aus ihrem geistlichen und bürgerlichen Elende gleichzeitig
zu erretten suchen müsse, und dass den Getauften eine treue
christliche Erziehung in aller Geduld zu Theil werden möge.
Bloss humanistische oder modern politische Gedanken lagen ihm
durchaus fern. An eine Beseitigung der Schranken zwischen
Christen und Juden dachte er in keiner Weise; denn er hielt
von dem christlichen Gemeinwesen ausserordentlich hoch. Gerade
darum, weil er fest überzeugt war, dass auch der Staat ein
christliches Gemeinwesen sein müsse , glaubte er an denselben
sehr bedeutende Forderungen hinsichtlich der Fürsorge für das
religiöse Wohl seiner Bürger stellen zu müssen, so dass er in
dieser Beziehung sogar über das Maass hinausging.
Seine Vorschläge zielten aber alle darauf ab, dass die Juden
selbst und das ganze Verhältniss ihrer christlichen Umgebung zu
ihnen von innen heraus verändert werden möchte, und haben mit
der modernen rein äusserlichen und mechanischen Veränderung
der Stellung beider zu einander nichts zu thun. Spener hatte
eine zu tiefe Kenntniss des Menschenlebens , als dass er jene
modernen Heilmittel vorgeschlagen hätte, welche, nachdem sie
— 214 —
anfangs als unfehlbar wirkende Arznei angepriesen worden sind»
immer mehr als vollständig unbrauchbar für die Heilung irgend
eines Schadens erkannt werden. Ihm kam es nicht auf einen
kurzen Schein an, sondern auf Wahrheit, und für diese wirkte
er mit einem Herzen voll reicher aufrichtiger Menschenliebe.
Ueber den augenblicklichen Erfolg aller und der besten
Bemühungen an den Juden täuschte sich Spener nicht. Er wusste,
dass jetzt nur die Zeit „der Einigen" sei; aber wie ihn hier seine
Schriftkenntniss die rechte Nüchternheit bewahren liess, so führte
ihn dieselbe auch zu einer lebendigen und unerschütterlichen
Hoffnung für die Zukunft des jüdischen Volkes.
Einen allgemeinen Widerhall fanden freilich seine Worte
und Bitten nicht, aber die Zahl derer war eine grosse, welchen
seine Mahnungen zu Herzen gingen. Er selbst durfte es mit
Freuden anerkennen, dass die Behandlung der Juden z. B. in
Frankfurt a. M. in Folge seiner Zeugnisse daselbst eine bessere
geworden sei ; und auf weitere Früchte seiner Wirksamkeit werden
wir noch später hinzuweisen haben. Aber die Juden auch fühlten
es diesem Manne ab, dass er ein Herz für sie habe, und mancher
Verständige unter ihnen hat es damals anerkannt, dass er ihr
Gutes suche. Oefters begegnen wir z. B. hernach in den Berichten
der Callenberg'schen Mission Juden, welche bekennen, die
Schriften Speners gelesen zu haben; und aus Frankfurt besonders
erhalten wir die Mittheilung, dass unter den dortigen Juden in
Folge des Spener'schen Wirkens eine grosse Bewegung der Ge-
müther zu erkennen war. Spener selbst taufte dort unter anderen
auch einen alten Juden, d.:r noch auf seinem Sterbebette nach
der Vereinigung mit Jesu verlangte.
Aber allerdings die Energie besass Spener nicht, um nun
auch seinen Zeitgenossen das Beispiel zu geben, wie man ent-
schlossen alle Hindernisse durchbricht und sich immer von Neuem
direkt mit dem Zeugnisse an die Juden selbst wendet. Da ihm
und der Frankfurter Geistlichkeit das Gesuch, Predigten vor den
Juden selbst halten zu dürfen, von der Stadtobrigkeit abge-
schlagen wurde, wagte er es nicht mehr, mit einer ähnlichen
Bitte hervorzutreten. Die lautere Gesinnung und die warme Liebe
des Herzens waren bei ihm nicht mit dem gleichen Maasse von
Kraft, wo es galt auch den bürgerlichen Autoritäten entgegen-
zutreten, gepaart. Hätten sich in Spener ein Luthermuth und eine
Lutherkraft mit dem ihn erfüllenden christlichen Edelsinn und
— 215 —
der ihn beseelenden Gemüthswärme verbunden, dann hätte er und
hätten seine treuen Anhänger auch die Fundamente zu einer ge-
sunden Neuordnung des Lebens der Juden zunächst in Deutschland
gelegt, welche die Judenfrage im Allgemeinen günstiger gestaltet
und ebenso auch eine reiche Missionsernte zur Folge gehabt hätte.
b. Literarische und anderweitige Bemühungen im
Zeiträume.
Eine lange Reihe von Schrifstellern , besonders von Theo-
logen Hess sich vor der christlichen Gemeinde oder vor den
Juden mit Zeugnissen vernehmen, welche die Bekehrung der
letzteren zum Zwecke hatten.
August Hermann Franke wies wiederholt in seinen Vor-
lesungen auf der Universität zu Halle die Studirenden und in
seinen Predigten über alttestamentliche Texte die Gemeinden auf
die Juden hin. Stephan Schultz traf 1747 auf seiner Missions-
reise in Polen einen 78 Jahre alten Juden, der eine solche Predigt
mit angehört hatte und der noch nach mehr als 40 Jahren leb-
haft von dem damals empfangenen Eindrucke sprach. Das
Halle'sche Waisenhaus wurde oft von Juden in Augenschein ge-
nommen und wurde für nicht wenige eine ihr Herz ergreifende
Predigt. August Hermann Franke hat denn auch bei den Juden
in hoher Verehrung gestanden und seine Schriften wurden von
ihnen häufig gelesen. Wie weit er an der Begründung der
Halle'schen Judenmission betheiligt ist, wird noch später zu
erwähnen sein.
Aber auch so manche andere unter den Pietisten gewannen
den Juden das Herz ab. Johann Caspar Schade*) wurde,
während er sein Predigtamt in Berlin verwaltete, von den dortigen
Juden als ein Heiliger angesehen. Der kleine Sohn eines Juden
litt an einer unheimlichen Krankheit, für die nirgends Hilfe zu
finden war. In seiner Noth dachte der Vater, dass sie ihm
vielleicht Schade „dieser als Heiliger gerühmte Mann", gewähren
würde. So ging er zu dem christlichen Prediger und bat ihn
über seinem kranken Kinde zu beten. Schade willigte ein, aber
unter der Bedingung, dass er dies im Namen Christi thun dürfe.
Der jüdische Vater gestand dies zu, und dem Knaben wurde
*) Sammlung für Liebhaber christlicher Wahrheit und Gottseligkeit. Basel
1837.
— 2l6 —
geholfen. Bei Schade's Tode trauerten denn auch die Juden in
Berlin um denselben aufrichtig und wehrten die wilden Haufen ab,
welche das Begräbniss dieses wegen seines ungemeinen Ernstes
von vielen gehassten Predigers stören wollten.
Ganz im Spener'schen Geiste forderte M. Chr. Th. Leut-
wcin, Hohenlohe'scher Oberpfarrer in Waidenburg auf, „neue
Griffe ins Herz der Juden zu thun", wenn man ihnen zeigen
wolle, worin sie ihr Heil suchen sollten, und es ihnen klar zu
machen, dass sie das Gesetz nicht erfüllen könnten, während
ihnen doch zugleich auch die sühnenden Opfer fehlten.
Sehr ernst straft M. Christian Götze, Pastor in Lockwitz
bei Dresden in „Unerkannte Sünden der Welt", Dresden 1699
(3. Aufl.) Band ic 104 und 3° 15 die Christen wegen der Ver-
nachlässigung des Zeugnisses an die Juden. Man halte den Hass
gegen dieselben für etwas Erlaubtes, das Erbarmen gegen sie für
gar nicht nöthig und verstocke sie auf diese Weise noch mehr.
Für ihre Tugenden habe man kein Auge, an die Verheissungen
des Alten Testamentes für dieselben denke man nicht; wo in
den Predigten der Juden gedacht werde, geschehe es zumeist in
scheltender Weise. Desshalb solle man sich endlich daran er-
innern, dass die Christen verpflichtet seien, die Juden zu locken.
Jedermann könne an seinem Theile helfen, dass sie das Zeugniss
von dem Heile in Christo empfingen. Götze weist denn auch
den einzelnen Ständen der Christen besonders nach, in welcher
Weise sie hier mitwirken könnten, und erklärt, er wolle fortfahren
die Christen hieran zu erinnern, obwohl er bisher viel Spott für
diese seine Bemühungen unter ihnen geerntet habe. Tröstlich
aber sei es ihm, dass sich doch noch einmal Israel bekehren
werde, und dass Pauli Bekehrung das Vorbild der endlichen Be-
kehrung seines Volkes sei.
Auch M. Christian Gerber äussert sich in ähnlicher Weise;
er wiederholt in den Unerkannten Sünden der Welt die Klagen
Wagenseils über die entsetzliche geistliche Vernachlässigung, in
welcher die Christen die Juden dahingehen lassen, und fügt hinzu:
„Es leben noch viele Tausende, denen es ihr ganzes Leben nicht
einmal in die Gedanken gekommen ist, ein einziges Vaterunser
für die armen Juden zu beten, da doch der Herr Jesus Christus
noch am Kreuze für sie gebetet hat."
Theodor Matthäus Beckmann, Bürgermeister zu Essen,
liess 1 707 eine „freundliche Einladung zu friedlichem, liebreichem
— 217 —
Gespräch und Untersuchung der Prophezeihungen des Alten
Testamentes von der den Juden bald bevorstehenden so leib-
lichen als geistlichen Erlösung" ausgehen. Man solle mit ihren
Rabbinen untersuchen, ob die Zeit ihrer Bekehrung und Erlösung
in den Propheten zu finden sei, durch welche Mittel die Bekehrung
geschehen solle, verschiedene schwere Fragen und Sprüche aus
den Propheten mit jenen besprechen und die christliche Obrigkeit
sammt allen Vorstehern der Christenheit geistlichen und welt-
lichen Standes an ihre Pflichten in diesem Stücke erinnern.
Ein J. L. v. B. trat mit einer Schrift „Ohnmaassgeblicher
Vorschlag von Beförderung des Heils der Juden" hervor, welche
D. Jo. Georg Pritius, Senior der Geistlichkeit in Frankfurt a. M
mit einer Vorrede versah, 1718. Diese Schrift gehört zu den
trefflichsten Zeugnissen, welche die Theilnahme des Pietismus
für die Juden hervorrief. Pritius und der eigentliche Verfasser
der Schrift sind gleicher Gesinnung. In seiner Vorrede legt
Pritius ein warmes Zeugniss für die Gnadengedanken Gottes
mit Israel ab, und dass die Juden noch einen Zugang zu Gott
haben, der ihnen kraft seines Bundes grosse Schätze vorbehalten
hat. Desshalb sei es denn auch die Pflicht der Christen, zu ihrer
Bekehrung beizutragen.
In der Schrift selbst wird gerades wegs gefordert, dass
sich das ganze evangelische Deutschland zu einem gemeinsamen
Werke an den Juden aufraffe, und gemeinsame Einrichtungen
getroffen würden, welche für das ganze Reich Geltung haben
sollten. Dann werden die Ursachen theils des geistlichen theils
des weltlichen Verderbens der Juden besprochen. Hierbei
wird ebenso die Schuld der Juden als die der Christen hervor-
gehoben. Hinsichtlich der letzteren wird besonders geltend ge-
macht, dass man ein völlig ungerechtes Vorurtheil habe, als sei
bei den Juden nichts auszurichten; eben daher habe man es auch
unterlassen, Prediger unter sie zu senden und geeignete Schriften
unter ihnen zu verbreiten.
Im zweiten Capitel werden die Beweggründe besprochen,
welche uns antreiben sollen, den Juden Hilfe zu leisten. Dieselben
sind: auf Gottes Seite, dessen Befehl für alle Menschen zu beten,
jedem Nächsten Gutes zu thun und selbst die Feinde zu lieben,
dazu Christi eigenes Beispiel, der mit allem Ernst die Bekehrung
der Juden gesucht hat, und Gottes Verheissungen für die Be-
kehrung der Juden, wie sein Wohlgefallen an derselben. Auf
— 2lS —
Seite der Christen: die Erbarmung, die Dankbarkeit u s. w. Auf
Seite der Juden, dass sie Menschen sind, durch Christi Blut er-
kauft und unter uns leben.
Capitel 3 nennt die Werkzeuge, durch welche die Bekehrung
der Juden gefördert werden soll. Es müssten bestimmte Prediger
unter sie gesandt werden , welche allein dieses Amt auszuführen
hätten. Geeignete Schriften seien für die Juden abzufassen, und
zwar in jüdisch -deutscher, rabbinischer und hebräischer Sprache,
welche den Universitäten zur Prüfung unterbreitet werden sollten.
Christen sollten dieselben für einen geringen Preis beziehen
können, die Juden sie aber umsonst erhalten.
Ein viertes Capitel bespricht die Aufbringung der Kosten
für dieses Werk. Die Prediger sollten die Gemeinden zu Bei-
trägen auffordern. Die Obrigkeit solle die Proselyten gegen die
Ihrigen in Schutz nehmen und die Gotteslästerungen der Juden
in der Synagoge, sowie ihre Entweihung des christlichen Sonn-
tages verbieten. Aber die Obrigkeit solle auch Mittel für dieses
Werk aus den öffentlichen Einnahmen anweisen und eine allge-
meine Kirchenkollekte für dasselbe genehmigen. Jüdische Kinder
möge man auf christlichen Schulen in der christlichen Wahrheit
unterrichten. Mit den Erwachsenen suche man Gespräche über
religiöse Gegenstände anzuknüpfen und lasse sich die Versorgung
der Proselyten angelegen sein.
Besonders wichtig sei die Errichtung einer Anstalt an einer
Universität, an welcher Studirende für den Beruf des mündlichen
und schriftlichen Zeugnisses unter den Juden vorbereitet werden
müssten.
Mit der Warnung, dass wir uns nicht durch Trägheit selbst
schädigen mögen, schliesst die Schrift: „Wer hat, dem wird ge-
geben, wer aber nicht hat, von dem wird genommen werden,
was er hat; davor sollen wir uns fürchten."
Wie dieser Verfasser eine bloss literarische Einwirkung
auf die Juden nicht als genügend erkannte, so auch Matth. Georg
Schröder in einer lateinischen Abhandlung über die Verbreitung
des Evangeliums, die 171 7 in Leipzig erschien. Mit Recht weist
derselbe darauf hin, dass der einseitige literarische Verkehr mit
den Juden nicht zum rechten Ziele führen könne; seien doch auch
die meisten der für die letzteren geschriebenen Bücher in einer
ihnen nicht recht verständlichen Sprache abgefasst. Vom münd-
lichen Austausch der Gedanken sei Besseres zu erwarten.
— 219 —
Von jener weicheren Stimmung gegen die Juden, welche
in den pietistischen Kreisen allgemein gefunden wird, ist weit ent-
fernt M. Sigismund Hos mann, Consistorialrath und Stadtprediger
zu Zelle. Derselbe, ein tüchtiger Kenner des Talmud und der
Rabbinen, verkehrte viel mit Juden, empfing aber von ihnen sehr
ungünstige Eindrücke und schrieb, als ein zum Tode verurtheilter
Jude noch unmittelbar vor seiner Hinrichtung allen geistlichen
Zuspruch unter Lästerungen abwies, eine Schrift „Das schwer
zu bekehrende Judenherz". 1701. Durch alle Jahrhunderte ver-
folgt er hier die Aeusserungen jüdischer Feindschaft gegen
Christus und das Christenthum und ist von der Wahrheit auch der
falschesten Beschuldigungen der Juden völlig überzeugt. Dennoch
verzweifelt er an einer Möglichkeit ihrer endlichen Bekehrung
nicht. Der verleugnende und durch den Blick Christi alsdann
wieder bekehrte Petrus ist ihm das Bild des jüdischen Volkes;
zugleich aber ist er überzeugt, dass nur durch die härtesten
Mittel die Bekehrung desselben herbeigeführt werden könne.
Auf vielen Universitäten fuhr man noch immer fort, theiis
apologetisch, theiis polemisch die talmudische und rabbinische
Literatur zu behandeln. Dissertationen über Themata aus dem
Bereiche derselben erfreuen sich grosser Beliebtheit Leipzig,
Jena, Wittenberg, Strassburg, Königsberg, Greifswald, Helmstädt,
Frankfurt a. O. und Marburg, aber auch das neugegründete pie-
tistische Halle wetteifern auf diesem Gebiete mit einander. Nur
beispielsweise nennen wir derartige Universitätsschriften von W.
Keller in Jena, Heubner, Ertel, Erdmann in Wittenberg,
Bollhagen, Zoega in Leipzig, Losius in Halle, der später in
seinem Wernigeroder Amt eine Schrift über die allmählige Ver-
derbniss der Juden erscheinen liess. Letzterer und der Ham-
burger Magister Jac. Owmann, Jo. Philipp Hartmann in Giessen,
Adam Cnoll und Joh. Nicolaus Cnoll in Fürth, J. J. Cr am er in
Herborn und Anton vonderHardt übersetzten auch Stücke des
Talmud. Raschi fand seine Bearbeiter an Joh. Fr. Breithaupt
zu Gotha, Eskuche in Marburg und J. G. Abicht in Leipzig.
Abicht und Joh. Fr. Winkler in Hamburg zogen auch Abarbanel
und Maimonides in den Kreis ihrer Studien und gaben die hierher
gehörigen Schriften von Prof. Scherz er neu heraus. Als Pro-
fessor in Wittenberg vollzog Abicht 1730 die erste Judentaufe nach
der Reformation in jener Stadt an einem gewissen Leib. Abar-
banel wurde auch von den Helmstädter Professoren Schramm und
— 220 —
Sprecher bearbeitet, ebenso von Loscan in Frankfurt a. O.,
Weidler in Wittenberg, Mundin und Joh. Fr. Hirt in Jena,
Kraut in Lüneburg, Je. Heinr. Mai und J. Fr. Budeus in
Giessen; Maimonides von Lenz und Camenz in Wittenberg,
Ulimann in Strassburg, Walther in Königsberg, Witter,
Sonnenschmidt und Jo. Fr. Hirt in Jena, Reineck und Boll-
hagen in Leipzig, Bashuysen in Hanau, J. H. Mai in Giessen,
E. A. Fromm ann in Altorf, Chr. Schott gen in Dresden. G.
P. Geiger in Altorf schrieb über Hillel und Schamai, Ritmeier
in Hanau, der auch Gemarische Studien veröffentlichte, über
Jeschua Halevi. Struck in Halle lieferte lateinische Auszüge aus
dem Schulchan Aruch, Jo. Andreas Nagel in Altorf verbreitete
sich über Elias Levita und andere rabbinische Autoritäten, Nie.
Koppen in Greifs wald lieferte Stücke aus Salomo Ibn Melechs
Scholien zum Alten Testamente, Pertsch in Jena einen Ueber-
blick über die jüdische Theologie nach dem Buche Ikarim des
Jos. Albo.
Balthasar Ludwig Eskuche, Profosser und Prediger in
Rinteln hatte bei einem Rabbi in Kassel rabbinische Literatur
studirt und beschrieb dann die Gebräuche des jüdischen Purim-
Festes. Nerretter nimmt in seinem Wunderwürdigen Juden-
und Heidentempel, der eine Bearbeitung des englischen Werkes
von Alex. Rossaeus ist (Nürnberg 1701), vielfach auf Talmud
und Cabbala Rücksicht und will, dass aus denselben den Juden
die Messianität Jesu bewiesen werde.
Der Sohn des älteren Carpzov, auch Johann Benedict
genannt, zu Leipzig gab eine Vorlesung seines Vaters über Ruth,
welche die Auslegung des Buches unter Zugrundelegung rab-
binischer Commentare versuchte, heraus. Zuhörer und Professor
erscheinen hier nach jüdischer Weise disputirend und auf diesem
Wege den Inhalt des Buches in gemeinsamer Arbeit erhebend.
Die jüdische Geheimlehre des Sohar genoss die besondere
Gunst des P. Nicolaus Lütkens in Billwerder bei Hamburg, und
suchte derselbe wiederholt die Zeitgenossen dafür zu erwärmen,
dass sie den Juden aus jenem ihrem Buche die Richtigkeit der
gesammten christlichen Lehre darthun möchten. Um so ent-
schiedener erklärte sich Paul Berger in Wittenberg in seinem
Cabbalismus Judaico Christianus gegen die cabbalistischen Träume,
die viel zu viel Eingang auch bei Christen gefunden hätten, 1 707.
— 221 —
Grossen Fleiss hat von Jugend auf J. J. Cramer, Professor
der Theologie in Herborn, auf die Erforschung der jüdischen
Literatur verwandt und die Ergebnisse seiner Studien in dem
Werke Theologia Israelis 1 702 niedergelegt. Er geht hier liebend
allen Spuren der Wahrheit in der jüdischen Lehre nach und
sucht besonders durch die Lehre vom Goel im Altai Testa-
mente die Gemüther der Juden zu Jesu zu ziehen. Derselbe
Theolog hat überdem eine Uebersetzung bekannterer Stellen aus
der Gemara geliefert.
Der Magister Christian Reineccius in Leipzig gab die
Schrift des Proselyten Anton Margaritha „Der ganze jüdische
Glaube" und des Fr. Aibr. Christiani „Der Juden Glaube und
Aberglaube", die er mit einer grösseren Einleitung versah, heraus
und schrieb auch selbst eine lateinische Abhandlung über den
Glauben der alten Juden an den dreieinigen Gott.
Ein klares Urtheil zeichnet die Schriften des Nürnberger
Martin Rudolf Aleelf ührer aus1, von welchem Wagen seil recht
Gutes erwartete. Diese Bücher stammen noch aus der Zeit des-
selben, wo er der evangelichen Kirche angehörte; später trat er zur
römischen Kirche über. Meelführer gehört zu denjenigen Theo-
logen, welche die jüdische Literatur am Eingehendsten studirt
haben. 1692 gab er in Altorf zwei Abhandlungen über Jesus
im Talmud heraus und hob in denselben ganz richtig hervor,
dass die Mischnah nichts, die Gemara nur wenige Stellen über
Jesum enthalte. Als Adjunkt der Philosophie in Wittenberg
schrieb er einen Consensus veterum Hebraeorum cum ecclesia
Christiana 1701. Wie Luther erklärt er hier, dass er zwar die
jüdischen Irrlehren verwerfe, dass er aber aus Liebe zu den Per-
sonen derselben sein Zeugniss erhebe. In ihrer Literatur sei
neben vielem Schlechten auch vieles Gute zu finden, und zwischen
der Kirche und der Synagoge bestehe ein gewisser Zusammenhang;
denn die Gottesdienstordnung ebenso wie die Verfassung derselben
seien auf die christliche Kirche übertragen worden.
Auf den Rath Luthers nun wolle er die Juden aus ihrer
eigenen Literatur zu überzeugen suchen. Dies sei aber auch
wohl möglich, da die alte jüdische Theologie in vielen Stücken
eine Uebereinstimmung mit der christlichen Lehre zeige. Für
die Exegese sei insbesondere viel von Abarbanel zu lernen. Aber
freilich die Augen der Juden sind gehalten, dass sie es nicht
erkennen, wie ihre ältere Lehre in den Fusstapfen der christlichen
— 222 —
Anschauung einhergeht, und die spätere jüdische Theologie ist
immer weiter von der Erkenntniss der Wahrheit abgewichen.
Ein ähnliches Gepräge trägt eine 1 702 zu Altorf erschienene
Schrift Rudolf Meelführers , welche in lateinischer Sprache über
die Ursachen der Verirrung der Synagoge und die Hindernisse
der Bekehrung der Juden handelt. Mit grosser Unparteilichkeit
hebt er die Schuld auf beiden Seiten hervor.
Anerkennung verdient auch Johann Philipp Storr, Pastor zu
Heilbronn. Derselbe hat es sich eben so sehr in vielfältigem
Verkehr mit den Juden und Rabbinen angelegen sein lassen,
persönlich ihre religiösen Ansichten kennen zu lernen, als er die
rabbinische Literatur sorgfältig studirte. Wider das Chissuk
Emunah Hess er 1 703 die Schrift „Evangelische Glaubenskraft"
erscheinen. 1721 folgte dann Anima Judaismi jugulata oder
Völlig überzeugte Judenschaft, dass Jesus von Nazarath der wahre
Messias und Gottmensch sei, aus heiliger Schrift und der Rab-
binen eigenen Gegenzeugnissen dargethan. Der Schriftbeweis
und der Beweis aus der eigenen Literatur der Juden wird hier
ausführlich und nach drei Richtungen hin geführt. Es galt dem
Verfasser, einmal zu zeigen, dass die beleidigte Gerechtigkeit
Gottes einen Erlöser fordert, sodann wie dieser Erlöser beschaffen
sein musste, und endlich, in welcher Zeit seine Ankunft zu er-
warten war. Natürlich trägt seine Schrift das Gepräge der da-
maligen theologischen Wissenschaft, nimmt aber durch die Klar-
heit ihrer Beweisführung unter der gleichartigen Literatur jener
Zeit einen hervorragenden Platz ein. Altes und Neues Testament
werden umfangreich in ihr angezogen und die rabbinischen Zeug-
nisse geschickt benutzt.
Ausführlichen Unterhaltungen mit einem verurtheilten Juden
verdankt das Religionsgespräch zwischen einem Juden Mardochai
Ben Jacob und M. D. Springer, Professor am Elisabethan in
Breslau seine Entstehung, 1705. Springer gehört zu denen,
welche die Juden durch trockene gelehrte Beweisführung zu über-
zeugen suchen. Erfolg hat er damit nicht gehabt. Viel ver-
ständiger dagegen war es, dass er die Nachfolge des Thomas a
Kempis für die Juden ins Hebräische übersetzte.
Jonas Conrad Schramm bemühte sich, aus dem Talmud
das apostolische Glaubensbekenntniss zusammenzustellen, um so
den Juden den Beweis der Wahrheit des christlichen Glaubens
aus ihrem eigenen kanonischen Schriftthum herbeizubringen.
— ^^j —
Ein besonderer Freund der talmudischen und rabbinischen
Studien war der Rektor am Gymnasium in Zerbst, H. J. van
Bashuysen. Er empfahl dieselben den Zeitgnossen dringend.
Von ihm stammt ausser einer Reihe anderer Schriften und Com-
mentare, in denen ein reicher apologetischer Gebrauch der rab-
binischen Literatur im christlichen Interesse stattfindet, eine Clavis
Talmudica Maxima, Hannover 1718, die zur Belehrung und Ein-
sichtnahme in das Wesen der fraglichen Literatur mehrere jüdische
Schriften enthält, deren Uebersetzung zum Theii von anderen
Autoren stammt. Am Schlüsse des Werkes spricht sich Bas-
huysen über den Talmud selbst aus und handelt dann von der
Bekehrung der Juden. Diese und ihre Wiederherstellung als
Volk in Canaan bildeten für inn einen Gegenstand froher Hoffnung.
Vom Talmud hält er zu hoch und überschätzt den Nutzen, den
man aus demselben für die Erklärung des Neuen Testamentes
gewinnen könne. Herzlich bittet er die Christen, die Gedanken
Gottes für die Juden festzuhalten und nicht falsche Beschul-
digungen, wie die des Gebrauches von Christenblut, gegen sie zu
erheben. Aber freilich dürfe man auch eine Ueberhebung der
Juden nicht dulden, sondern müsse sie in Schranken halten. Zum
Schlüsse dringt er darauf, dass man ihnen Predigten halte und
eine neue den Bedürfnissen entsprechende Literatur zu ihrer Ueber-
zeugung von Christo schaffe.
J. Rusmeier erklärt die alte jüdische Lehre, welche ihre
Reinheit noch bewahrt hat, als durchaus richtig. Ihm und den
meisten anderen Theologen der früheren Zeit fehlt es an einem
genügenden kritischen Urtheil, um den Unterschied ihrer eigenen
fertigen Erkenntniss und des Werdenden, Schwebenden und Un-
klaren in den älteren jüdischen Lehren zu bemerken. Eifrige
Fürsprache fand auch bei Professor J. G. Lakemacher in
Helmstädt das talmudische Studium, das er in einer besonderen
Schrift: De studio rabbinico vertheidigte, 1727.
Pastor Michael Heineccius in Halle dagegen, welcher die
bei Gelegenheit der Taufe eines Juden Gerson Marcus aus Polen
1708 gehaltene Predigt über „Fall und Auferstehen vieler in
Israel" herausgegeben hat, hob nachdrücklich und mit Recht
hervor, dass gerade der Talmud die Juden nicht zur Erkenntniss
der Wahrheit kommen lasse. Er betont, dass durch den Talmud
und dessen System das innere religiöse Leben der Juden all-
mählig ertcdtet werde, dass eben daher auch das Gute, welches.
— 224 —
etwa die früheren Juden vom Messias und dessen Person erkannt
hatten, von ihren Nachkommen je länger desto weniger ver-
standen und vielmehr verdreht werde, dass sie durch den Rabbi-
nismus immer weiter auf der Bahn des Widerspruchs gegen das
Christenthum getrieben werden, und dass sie schliesslich über-
haupt nicht mehr an einen Messias glauben würden. Die spätere
Folgezeit hat diesen Behauptungen von Heineccius denn auch
nur zu sehr Recht gegeben.
In ähnlicher Weise hob später 1 75 1 M. Johann Gottlieb
Biedermann in Freiberg hervor, dass die fortwährende Täuschung
durch falsche Messiase die Juden, wenn sie fortführen bei Jesu
Christo vorüberzugehen, mit Notwendigkeit zu völligem Ver-
zweifeln an einem Messias überhaupt führen würde, und dass in
der rabbinischen Literatur hierfür schon Anzeichen genug vor-
handen seien. Werde ja doch der Glaube an den Messias von
vornehmen Rabbinen nicht zu den Grundartikeln des jüdischen
Bekenntnisses gerechnet.
Der Rektor Jo. Christophorus Müller zu Hoymb in Anhalt
brachte 1702 einen Bericht über die lange Reihe der falschen
Messiase, welche bis dahin aufgestanden waren, und wollte zu-
gleich die Juden bewegen, dass sie Jesum annehmen möchten,
auf den alle von den Propheten für den rechten Messias auf-
gestellten Kennzeichen passten. Christ. Philipp von Santen in
Greifswald wünschte aber den Juden darzuthun, dass ihre Vor-
fahren die Erhörung ihrer Gebete im Namen des Messias gesucht
hätten, und sich daher die jetzigen Juden, wenn anders ihre Gebete
erhört werden sollten, zu Christo bekehren müssten.
Der königliche Bibliothekar la Croze in Berlin erkannte,
dass es besonders darauf ankomme, mit den Juden persönlichen
Verkehr zu pflegen, wenn man auf sie einwirken wolle, und er
folgte dieser seiner Erkenntniss. Von ihm liegt überdem eine
Schrift vor, welche über seine Bemühungen, die Juden durch
mündliches Zeugniss zu gewinnen, berichtet; sie führt den Titel:
Entretien sur divers sujets de l'histoire de literature, de religion
et de critique, Cöln 171 1. In der Form des Dialoges von Justinus
Martyr mit Tryphon erzählt hier la Croze über ein Gespräch
mit einem spanischen Juden Moses Abo ab, dem zwar im Ver-
kehr mit Christen manche Zweifel an der Richtigkeit seiner
eigenen Religion aufgestiegen waren, der aber trotz der Lektüre
des Neuen Testamentes sich nicht entschliessen konnte ein Christ
— 225 —
zu werden. Endlich habe er darin Beruhigung gefunden, dass
die Juden trotz aller Verfolgungen erhalten geblieben seien. Denn
hieraus habe er einsehen gelernt, dass dieselben unter einem
besonderen göttlichen Schutze stünden, und Gott also auf ihrer
Seite sei. Zugleich sei ihm aber auch die Erkenntniss aufge-
gangen, dass sich die Juden vor den Christen mancher Vorzüge
erfreuten, besonders einer ununterbrochenen Lehre, der Freiheit
von ailen Glaubensspaltungen und trefflicher Sitten. La Croze
aber hält dem Juden entgegen, dass er und die Seinen sich mit
ihrer Lehre durchaus vom Alten Testamente entfernt hätten.
Dies trete besonders in dem Artikel vom Messias zu Tage. Die
Erhaltung ihres Volkes aber sei ein Wunder der Gnade, die mit
Israel Geduld trage, um es endlich zur rechten Erkenntniss zu
bringen. Aehnlich beantwortet la Croze auch die anderen Ein-
würfe gegen das Christenthum der Reihe nach. Grosser Ernst
waltet dabei in allen seinen Ausführungen.
Sehr heftig griff Jo. Fr. Weidler die Irrlehren der Juden
in einer Universitätsdisputation, Wittenberg 171 5, an. M. J. B.
Niehenk gibt in einer 1 7 1 7 zu Rostock erschienenen Predigt alle
Hoffnung für die Juden auf. Der jüngere van der Hardt, Anton,
in Helmstädt folgte dem Beispiele seines Vaters. In einer Disser-
tation De sophismatibus Judaeorum in probandis suis constitu-
tionibus contra Mosis et prophetarum mentem 1728 wies er an
einem Beispiele aus der jüdischen Rechtspflege nach, mit wel-
chem Aufwände von Sophistik die Rabbinen das Gesetz und die
Propheten nach ihrem Sinne zu verdrehen verstanden hätten, und
wie es ihnen förmlich zur zweiten Natur geworden sei, ihre
schlechte Sache hinter Stellen, die sie fälschlich der heiligen
Schrift entlehnt hätten, zu verbergen. Eben derselbe lieferte auch
mehrere Abhandlungen über Stücke aus der jüdischen Literatur,
z. B. über die Pirke Aboth.
Der sonst treffliche Mag. Christian Mol ler, welcher das
Neue Testament in jüdisch-deutschem Druck herausgab, forderte
in einer Schrift: Das in geistlicher Blindheit steckende Israel,
Frankfurt a. O. 1716, dass die Juden zum Ankauf seines Neuen
Testamentes gezwungen würden, damit sie sich selbst durch das
Lesen desselben von ihrer Blindheit überzeugen lernten. Der
Prediger und Professor H. Uffelmann in Lüneburg empfahl in
seinem Fasciculus casuum conscientiae die Juden mit Gewalt
zum Anhören christlicher Predigten und zu harter Arbeit anzu-
F. J. A. de le R o i , Missionsbeziehungen. I C
— 226 —
halten, überall aber, wo sie bisher nicht Aufnahme gefunden
hätten, ihnen auch solche zu verweigern. Auch M. Joh. Sam.
Adam verlangte in seinen Spar- und Nebenstunden, Dresden und
Leipzig 17 10, obwohl in milderem Geiste, dass man die Juden
zum Anhören christlicher Predigten nöthigte.
Viel besser war der Vorschlag des Juristen Justus Hennig
Böhmer, Halle 1705, dass man die Juden anhielte, Handwerke
zu erlernen und auszuüben, die sie dann in eigenen Zünften
betreiben sollten.
Der Helmstädter Professor Jonas Conrad Schramm schrieb
lateinische Disputationen über die philosophischen Geheimnisse
der alten Juden (1705), über die Reste des apostolischen Glau-
bensbekenntnisses im Talmud (1707) und gab Anleitungen zu
Disputationen mit Juden heraus (171 8). Die jüdische Lehre und
Theologie stellte der Magdeburger Prediger J. F. Reimann in
seinem „Versuch einer Einleitung in die Historie der Theologie
und jüdischen Theologie insbesondere", Leipzig 171 7, dar. Franz
Buddeus wies in seiner Introductio ad historiam philosophiae
Hebraeorum, Halle 1720, darauf hin, dass die jüdische Weisheit
nicht bei der Offenbarung verblieben sei, sondern eigene Wege
sowohl in der talmudischen Ueberlieferung als in der Mystik
eingeschlagen habe, und damit aus einem Irrthume in den anderen
gerathen sei. Trotzdem habe sich die jüdische Mystik selbst
unter den Christen viele Anhänger zu erwerben gewusst.
Joh. Georg Walen in Jena gab 1724 eine Geschichte der
Theologie und Einleitung in die vornehmsten Religionsstreitig-
keiten aus den Vorlesungen von J. Fr. Buddeus heraus. Buddeus
zeigt hier, dass die Auffassung, welche die Juden und ihre Literatur
von der Sünde hätten, ihnen einen Heiland überflüssig und daher
auch unverständlich gemacht habe. Alle ihre einzelnen Lehren
seien durch eine falsche Grundanschauung verdorben. Walch
selbst fügt in Band 5 der Streitigkeiten ausserhalb der lutheri-
schen Kirche, Jena 1734 hinzu, die Christen hätten damit, dass
Juden unter ihnen wohnten, auch die Pflicht an ihrer Bekehrung
zu arbeiten. Das Wie solcher Arbeit lehre am besten Callen-
berg in Halle. Die Missionare mögen den Juden die erste
Anregung geben, dann aber die Prediger das von jenen be-
gonnene Werk fortführen und die Getauften zu einem ordent-
lichen Leben anhalten.
— 227 —
Ueber die mystische Theologie der Juden verbreitete sich
auch Mag. Seb. Jacob Jugendres 1728. P. Justus Martin
Gläsener ermahnte die erst später unter den Juden aufgekom-
mene Irrlehre von einem doppelten Messias zu bekämpfen, weil
diese sie ganz besonders an der Erkenntniss Jesu Christi hindere.
Hildesheim 1737. Später behandelte derselbe die Dreieinigkeits-
lehre in den cabbalistischen Schriften der Juden. Helmstädt 1741.
Die Hoffnung, durch ihre eigene mystische Literatur die
Juden für das Evangelium zu gewinnen, hegten nur zu viele
Theologen der früheren Zeit. G. Chr. Sommer in Gotha be-
mühte sich, in seinem Specimen theologiae Soharicae 1734 die
ganze christliche Heilslehre aus dem Sohar zu entwickeln. Man
nahm hier an, dass sich Altes und Neues Testament mit diesem
mystischen und cabbalistischen Werke in vollster Uebereinstim-
mung befänden; denn man erkannte die vielfachen Widersprüche
in demselben nicht und Hess sich nicht dadurch warnen, dass
thatsächlich die Lektüre des Sohar die jüdischen Gemüther stets
fast nur verwirrt hatte.
Professor Johann Gottfried Tympe in Jena las daselbst
über die Gemara des Talmud. Professor G. Waehner in
Göttingen Hess sich weitläufig über das Schriftthum und die
Einrichtungen der Juden in Antiquitates Hebraeorum 1743 aus.
Von Peter Zornius stammt 1743 eine lateinische Abhandlung
über die Schmerzen des Messias d. h. über die Plagen, welche
die Erscheinung des Messias über die Welt bringen wird. Jac.
W. Blaufuss stellte die Lehre von der Seelenwanderung unter
den Juden dar. Jena 1735 und 1744.
Eine hervorragende Stelle nimmt unter den gleichartigen
Schriften jener Zeit die deutsch verfasste des D. Gottfried
Olearius „Jesus der wahre Messias", Leipzig 1714, ein. Sie ist
in vortheilhafter Weise durch den Pietismus beeinflusst. Im
zweiten Theil Cap. 2 wird das Aergerniss besprochen, welches
die Juden an Jesu dem Ecksteine nehmen. Wiewohl Olearius
es noch nicht genügend verstanden hat, die Juden in ihrer Art
recht anzureden, so durchbricht er doch in seiner Beweisführung
die gewöhnliche Schablone; und nachdem er die Juden ihre
bedeutendsten Einwürfe gegen Jesum hat aussprechen lassen,
antwortet er ihnen dann mit Zeugnissen des Neuen Testamentes,
welche er durch Aussprüche aus ihrer eigenen Literatur unterstützt.
15*
228 —
Professor D. Paul Anton in Halle führt als Vorsitzender
in einer Disputation mit Jac. Conrad Baldamus 1718 den Beweis,
dass die Wahrheit der christlichen Religion gerade durch die
jüdischen Verdrehungen recht klar ins Licht gestellt werde, und
will den Juden selbst zu bedenken geben, dass sie mit ihren
Entstellungen der christlichen Lehre nur ihr schlechtes Gewissen
bekundeten da sie den Stachel derselben wohl fühlten. Alle
christlichen Lehren, insbesondere die vom Messias, von seiner
Geburt aus einer Jungfrau, seine Wunder, seine Auferstehung
und die Existenz der Apostel würden gerade durch die läster-
lichen Berichte , welche das talmudische Schriftthum über dies
alles enthielte, von den Juden selbst bestätigt; während bei den
alten Rabbinen auch vielfach direkte Beweise für die christ-
liche Lehre zu finden seien. Diese und ähnliche Schriften sind
übrigens auch ein deutlicher Beweis dafür, dass der Pietismus
das talmudische Studium und dessen Verwerthung im Missions-
interesse durchaus nicht abgethan wissen wollte, sondern dass er
nur gegen eine bloss gelehrte Betreibung desselben war.
Gewöhnlicher ist des Weimarer Conrektors Laurentius
Reinhard „Ueberzeugender Beweis, dass Jesus von Nazareth
der wahre Messias sei", Altorf 1 73 1. Doch erkennen wir auch
hier, dass die Benutzung der jüdischen Literatur für einen jeden
Theologen, welcher den Juden irgend welches Interesse schenkte,
damals noch selbstverständlich war. Grössere Beachtung verdient
die „Religionsprüfung" des Stiftspredigers Christian August Han-
sen in Dresden 1724. Derselbe dringt darauf, dass man sich
zu wirklicher Arbeit an den Juden aufraffe und dieselben nicht
länger ihre eigenen Wege gehen lasse.
Durch eine Arbeit über die Messiaslehre des Alten Testa-
mentes wollte D. Franz Lütkens, 1724 Leipzig und Gardelegen,
eine Anleitung geben, wie man die Juden zur Anerkennung
Christi führen solle. Eine Reihe hervorragend tüchtiger Schriften
lieferte Christian Schöttgen, früher in Stargard, dann an der
Kreuzschule in Dresden. Zuerst erschien von ihm 1719 ein
Curiöses Antiquitäten-Lexikon, Erklärung von Wörtern aus dem
Jüdischen u. s. w. Leipzig. Sodann Jüdisches Zeugniss von der
Wahrheit des allbereits gekommenen Messias, Stargard 1726,
eine Uebersetzung des talmudischen Traktates Chelek. Ferner
Jüdisches Zeugniss von den Leibern der Heiligen, die mit dem
Messias auferstanden sind, 1736. Weiter gab er im Jahre 1742
— 229 —
eine Wochenschrift „Der Rabbiner" heraus, welche den Zweck
verfolgte, eine wirkliche Kenntniss der Juden unter den Christen
zu verbreiten, damit man aufhören möge, nur ein völlig einseitiges
Bild von denselben zu haben. Ihre Weisheit verdiene es bekannt
zu werden, und solle eben desshalb der Christenheit einmal durch
das Mittel einer solchen Zeitschrift entgegengebracht werden.
Schöttgen stellte darum ausführlich in 32 Blättern die Lehre
vom Messias nach den ältesten jüdischen Schriften dar, ebenso
aber auch die Lehre vom heiligen Geiste und noch einige andere
Punkte. Doch setzte er diese Wochenschrift nicht fort und liess
vielmehr später, alles im „Rabbiner" Enthaltene vervollständigend,
ein grösseres und wichtiges Werk, das den Titel „Jesus der
wahre Messias aus der alten und rein jüdischen Theologie
darstellt", Leipzig 1748 erscheinen; vorausgeschickt ist eine
Geschichte der jüdischen Orthodoxie in der Vorrede.
In diesem Werke wird besonders die Messiaslehre der
Targumim mit grossem Fleisse entwickelt und hierbei auf die
Uebereinstimmung derselben mit der Lehre der christlichen Kirche
vom Messias hingewiesen. Schöttgen sieht aber freilich diese
Uebereinstimmung als eine zu vollkommene an, indem auch er,
wie viele andere vor ihm, dort schon völlige Klarheit erblickt,
wo in Wahrheit die Vorstellungen noch nicht zu irgend welcher
fest abgeschlossenen Gestalt gekommen sind. Im Uebrigen
gehört Schöttgen zu den bedeutendsten Kennern der gesammten
jüdischen Literatur. Sein Urtheil ist überall ein sehr gemässigtes;
im Talmud weiss er Gutes und Schlechtes wohl von einander zu
unterscheiden und ebenso hat er für den allmähligen Rückgang
in der Erkenntniss des Wahren und für die Ueberwucherung des
Ungesunden in d er jüdischen Literatur ein offenes Auge. Gründlicher
ist jedesfalls die jüdische Messiaslehre von keinem früheren behandelt
worden. 1750 kamen von ihm noch Predigten der alten jüdischen
Kirche und Gedanken über das Lied „Ein Lämmlein geht" heraus.
Recht unbedeutend dagegen ist Causa dei et revelatae reli-
gionis von Professor Joachim Lange in Halle 1727. Die An-
weisungen, welche derselbe gibt, um die Messiaslehre mit den
Juden recht zu treiben, sind nach allen Seiten mangelhafte.
Auf die Targumim wollte Professor Heinrich Michaelis
in Halle die Juden besonders hingewiesen und aus denselben
zumal die Lehre vom Worte Gottes, der Memra ihnen gegen-
über verwerthet sehen. Eine Kette der Weissagungen und Vor-
— 230 —
bilder des Alten Testamentes lieferte auch zum Gebrauche für
die Juden Professor Oporin in Göttingen, 1746.
Professor Jo. Laurent. Mos he im in Helmstädt hat das Ur-
theil der Zeitgenossen über die jüdische Literatur in sehr ver-
ständiger Weise zu bilden übernommen. 1728 disputirte unter
seinem Präsidium der junge A. von der Hardt über das
Thema: De Judaeorum statuto Scripturae sensum inflectendi, über
die Gewohnheit der Juden den Schriftsinn zu beugen. Seine Bei-
spiele entnahm er den Pirke Aboth. Er zeigt hier, wie sich der
eigentliche Sinn des Alten Testamentes in den Vorstellungen der
Juden im fortschreitenden Maasse verändert habe, und wie dies
ihren Lehrern dadurch gelungen sei, dass sie den Namen des
Moses für ihre Bestimmungen festgehalten hätten, so dass die Auto-
rität desselben ihre Verdrehungen des alten Gesetzes habe decken
müssen. Eben daher sollen auch christliche Schriftausleger den
Sinn des Moses aus den jüdischen Commentaren nicht zu ge-
winnen suchen und überhaupt die jüdischen Schriften mit grosser
Vorsicht gebrauchen. Nur wenn man ein Verständniss für die
eigentliche Geistesrichtung der Juden gewonnen habe, werde man
recht an das Werk gehen, sie zur Erkenntniss der Wahrheit
zu führen.
Sam. Fr. Buch er warnte in seinen Antiquitates biblicae,
Wittenberg 1729, noch besonders davor, die Worte Christi in den
Evangelien aus dem Talmud herzuleiten, und dass man überhaupt
nicht der Neigung nachgeben möge, die Evangelien gewisser-
maassen aus den Schriften der alten Rabbinen herzuleiten.
Prälat Fr. Opfer gelt kam auch nach fieissigem Studium
der jüdischen Literatur zu dem Ergebniss, welches er in der
Schrift: „Aufrichtige Nachricht von jüdischen Lehrern" nieder-
legte, Halle 1730, dass man ihre Erzeugnisse nicht überschätzen
dürfe ; besonders zum Verständniss der Bibel trügen sie . ausser-
ordentlich wenig bei. Gut sei es, wenn man, um bei den Juden
selbst etwas auszurichten , ihre Werke studire ; aber auch ohne
dies könne man, wenn man es nur im rechten Geiste anfange,
an ihnen Gutes wirken. Das Beste sei es immer, sich an ihr
Gewissen zu wenden , da Disputationen über Schriftstellen oft
wenig ausrichteten, weil sie sich diese alle zu verdrehen gewöhnt
hätten. Und hierbei möge man sie an die Bekenntnisse, welche
sie selbst in ihren Gebeten über ihren verderbten Zustand aus-
zusprechen und abzulegen pflegten, erinnern, um es ihnen von
— 231 —
da aus zu Gemüthe zu führen und nachzuweisen, wie wohl die
christliche Lehre mit der des Alten Testamentes übereinstimme.
H. Stuss wies in einer Schrift: De consensu theologiae
Judaicae et Pontifkiae, Gotha 1730, auf die Verwandtschaft der
rabbinischen und römisch-katholischen Anschauungen hin und
wünschte, dass man von diesem Punkte aus den Kampf gegen
die Juden neu führen lerne. In ähnlicher Weise äusserte sich der
Lübecker Prediger Nicol. Carsten in seinem Parallelismus cum
religione Judaica Vetere Testamento a vate Iesaia c. 1 delineata
et Romanensi, 1745.
Ph. H. Willemer, Pfarrer zu Gellnhausen, übersetzte 35
Gebete für jüdische Frauen aus dem Hebräischen und Jüdisch-
Deutschen ins Hochdeutsche, 1734, mit Vorrede von D. J. Ram-
bach, Leipzig und Schweidnitz, um zu zeigen, eine wie bunte
Mischung von echt Biblischem und Verkehrtem hier zusammen-
gehe, und so die Zustände unter den Juden zu kennzeichnen.
Man sieht, es hat die Zeit des Pietismus, wenngleich der Eifer
für die talmudischen und rabbinischen Studien in der ersten Hälfte
des Jahrhunderts noch ein recht lebendiger war, viele von denen,
welche sich mit dieser Literatur beschäftigten, doch zu einem
nüchternen Urtheil über den Werth derselben kommen lassen.
Den vollständigsten Ueberblick über die bisherige Verwer-
thung der talmudischen und rabbinischen Literatur von Seiten
der evangelischen Theologen gab J. G. Meuschen, Consistorial-
rath und Prediger zu Coburg, in der Schrift: Novum Testamentum
ex Talmude et antiquitatibus Hebraeorum illustratum, Leipzig
1731. Er hat hierselbst besonders Balth. Scheidius, J. A. Dantz
und Jac. Rhenferd benutzt. Wer sich über die Ausdehnung
und Richtung, in welcher jene Studien innerhalb der römischen
wie der lutherischen und reformirten Kirche betrieben worden sind,
in Kenntniss setzen will, erhält bei Meuschen die beste Auskunft.
Joh. Christoph Bodenschatz hinwiederum bietet in seiner
„Kirchlichen Verfassung der heutigen Juden Deutschlands" 4
Theile, Frankfurt und Leipzig 1748, unter allen Schriften bis zu
seiner Zeit den brauchbarsten Ueberblick über die Geschichte
der Juden, ihre gottesdienstliche und ihre religionsgemeindliche
Verfassung, ihre Gebräuche und ihren Glauben. Der Verfasser
hatte, um sein Werk zu schreiben, die jüdische Literatur sehr
fleissig gelesen und auch mit den Juden vielen Umgang gehabt.
„Der aufrichtige, deutsch redende Hebräer", Frankfurt 1756, ist
— 232 —
dasselbe Werk, vom Buchhändler nur aus Speculationszwecken
unter einem neuen Titel herausgegeben. Zur Kenntniss der Juden
hat die Schrift von Bodenschatz viel beigetragen.
Durch regen Eifer für das Werk der Bekehrung der Juden
zeichneten sich in dieser Zeit fast vor allen anderen die Fränki-
schen Lande aus, in welchen die Universität Altorf demselben
noch fortwährend neue Nahrung gab.
Zu den hervorragendsten Israelsfreunden im Anfange des
iS. Jahrhunderts gehörte in diesen Gegenden D. Gustav Georg
Zeltner.*) Derselbe war zuerst Professor in Altorf, seit 1730
Pastor in Poppenreuth und starb 1738; einen Ruf an die Univerr
sität Göttingen hatte er abgelehnt. Er ist einer von denjenigen
Theologen, welche ihrer Zeit Esdras Edzard in Hamburg auf-
gesucht hatten, um durch ihn Anleitungen für die rabbinischen
Studien zu erhalten und von ihm zu lernen, wie man mit den
Juden verkehren müsse, um sie zur Erkenntniss Christi zu führen.
Denn um eine blosse Mehrung seines Wissens ist es ihm aller-
dings nie zu thun gewesen. Desshalb pflegte er denn auch Ver-
kehr mit Juden; und gerade aus der lebendigen, persönlichen
Bekanntschaft, welche er mit denselben gemacht hatte, stammten
auch die Vorschläge, die er hernach zu ihrem Besten that.
Als Docent in Altorf führte er viele Studirende in die rab-
binische Literatur ein, wie dies eine Reihe von Dissertationen,
die unter seinem Präsidium gehalten worden sind, beweisen. Aus
derselben Zeit besitzen wir eine Abhandlung Zeltners über
Birchath Haminim, das im jüdischen Gebetbuche enthaltene alte
Gebet gegen die Ketzer. Dass es, wie vielfach angenommen wird,
von Paulus in seiner pharisäischen Zeit verfasst worden sei, be-
streitet er, gibt aber zu, dass es aus sehr früher Zeit stamme.
Der eigentliche Zweck seiner Abhandlung aber war gewesen, die
Obrigkeit zu veranlassen, dass dieses Gebet nicht weiter von den Juden
öffentlich gebetet würde, weil es nurHass gegen die Christen erzeuge.
1735 richtete er als Pastor in Poppenreuth einen lateinischen
Brief an den Prediger S. H. Engerer in Schwabach: De prae-
cipuis impedimentis et adjumentis conversionis Judaeorum, Frank-
furt und Leipzig. Hier will er also die Hindernisse und Beförde-
rungsmittel für die Bekehrung der Juden nennen. Aber mit
welchem Ernst behandelt er nun die Sache ! Seine Ausführungen
*) Saat, Johanni 1867 S. 43 ff.
- 233 —
sind die folgenden: Die Juden schaffen wenig Nutzen unter den
Christen; um so mehr sollten die Christen sich fragen, warum
jene eigentlich in ihrer Mitte lebten? Gott hat sie unter den
Christen wohnen heissen, damit dieselben an ihrem Heile arbeiten,
das sie ja selbst zuerst aus den Händen der Juden empfangen
haben. Freilich ihre Bekehrung ist schwer. Schon Moses hat
ihre Verstockung vorausgesagt. Diese wurzelt aber vor allem
in ihrer ungemeinen Selbstüberschätzung, welche sie ihr Volk
und ihre Vorfahren als alle anderen Menschen weit überragend
ansehen lassen. Auf die übrigen Völker sehen sie tief herab,
dieselben sind in ihren Augen nur Götzendiener. Wenn daher
ein Jude zum Uebertritt neigt, sucht man ihn entweder durch
irdische Vortheile zurückzuhalten, oder ihn, falls er sich nicht
zurückhalten lässt, ins Elend zu stürzen. Das schreckt viele Juden
ab, Christen zu werden.
Ueberdem leben die Juden meist in der grössten Unkenntniss
des Christenthums. Sie sprechen nicht die Sprachen der christ-
lichen Völker und lesen desshalb auch ihre Schriften nicht. Dazu
wird ihre eigene heilige Schrift von ihnen vernachlässigt, oder
alles in derselben nur auf eine äussere Glückseligkeit der Juden
gedeutet. Die rabbinischen Auslegungen lassen sie nicht zu einem
Verständnisse der Schrift kommen. Viele Juden werden auch
durch den Einfluss ihrer Frauen vom Besseren zurückgehalten.
Aber auch die Christen tragen viele Schuld daran, dass
sich so wenige Juden zum Evangelio bekehren wollen. Das Leben
vieler Christen und besonders in der katholischen Kirche schreckt
sie ab. Ueberdem kennt man in der christlichen Welt für ge-
wöhnlich das Judenthum nicht. Man hält die Jugend auf den Uni-
versitäten nicht an, sich in der Disputation mit den Juden zu
üben, die Hochschulen haben zu wenig antijüdische Vorlesungen.
Zeller fordert nämlich nicht bloss Vorlesungen über jüdische
Literatur, welche ja damals ziemlich häufig waren, sondern auch
Anleitungen für eine spätere Missionsthätigkeit der Theologen
unter den Juden ihrer Umgebung.
Neben diesem Mangel beklagt er es, dass man aber auch
überhaupt die Juden gar zu sehr vernachlässige. Man lässt sie im
Schacher verkommen und befördert dadurch, dass man sie nicht
zum Handwerk anhält, die Trägheit unter ihnen, welche besonders
das weibliche Geschlecht der Juden herunterbringt. Uebermässige
Freiheit soll man ihnen desshalb noch nicht einräumen, denn die-
— 234 —
selbe schadet ihnen nur. Auch soll man sie nicht schreiben
lassen, was sie wollen, sondern auf diesem Gebiete ihnen gleich-
falls Schranken ziehen, um so sorgfältiger aber alle Misshand-
lung, Gewalt und Ungerechtigkeit ihnen gegenüber vermeiden
und z. B. die falsche Blutanklage endlich fallen lassen.
Den Predigern und insbesondere auch den Hofpredigern
liegt es ob, die Obrigkeit und die Christen an ihre heiligen
Pflichten gegen die Juden zu erinnern. Leider betet man für sie
nur selten öffentlich, und dies muss nun vor allem allgemein
geschehen. Schon 171 8, fügt Zeller ferner hinzu, habe er in
Altorf gefordert, dass wandernde Theologen (theologi circuitores)
ausgesandt würden, um in ähnlicher Weise, wie es nun durch
Callenberg ins Werk gesetzt worden sei, mit den Juden zu sprechen.
Für dieses Werk sollte man daher Collecten in den Kirchen ver-
anstalten, und auch die Kirchkassen sollten für dasselbe beisteuern.
Ferner soll man Schriften unter den Juden verbreiten und
diese in jüdisch -deutscher Sprache abfassen. Die Kinder der
Juden soll man auch in den Wissenschaften, aber in eigenen
jüdischen Schulen unterrichten.
Zum Anhören von Predigten soll man Juden nicht zwingen,
wohl aber soll man Zusammenkünfte unter öffentlicher Aufsicht
veranstalten, um hierbei die religiösen Fragen mit ihnen zu ver-
handeln. Auf die christlich klingenden Zeugnisse in ihren eigenen
Schriften geben sie selbst nicht viel, da dieselben überall auch
mit ganz anders lautenden durchsetzt und vermischt sind. Nur
nebenbei darf man auf dieselben zurückkommen, in der Haupt-
sache muss man sich auf die Schrift berufen. Cabbala und Sohar
sollen ganz bei Seite gelassen werden.
Von den Capiteln des Glaubens dürfen im Gespräche nicht
die entlegeneren in den Vordergrund gestellt werden, insbesondere
nicht die endliche allgemeine Judenbekehrung, aber auch nicht
die Wunder Christi, sondern die Person desselben, und dass in
ihm derjenige erschienen ist, von welchem die Weissagungen
gehandelt haben. Alles andere folgt hieraus von selbst. Für die
Disputation gibt es übrigens keine allgemeinen Regeln. Die Schriften
der bekehrten Juden sind mit Vorsicht zu gebrauchen.
Die Proselyten soll man nicht handeln lassen, sondern sie
an ein Handwerk zu gewöhnen suchen, und man taufe Keinen,
der nicht versprochen hat, einen gewissen Lebensberuf zu ergreifen.
Studiren mag man einige Begabte lassen, sei aber hier sehr vor-
— 235 —
sichtig in der Auswahl. Ehe sich die Proselyten in einem be-
stimmten Lebensberufe ihr Brot erwerben können, erhalte man sie
zunächst in Ansalten, welche sie für die Zukunft vorzubereiten hätten.
Zellers Stimme wurde damals von vielen beachtet und in
seiner eigenen Heimath hatte er grossen Einfiuss. Hier gehörten
die beiden Brüder Adam Andreas Cnoll und Johann Nicolaus
Cnoll in Fürth zu den grössten Kennern des Talmudischen. Seit
1710 etwa besprachen dieselben die gesammte neuere Literatur
dieser Art fortlaufend in den damaligen gelehrten Zeitschriften
und haben grosse Stücke der Gemara theils lateinisch mit An-
merkungen von Raschi, theils deutsch übersetzt. Beide verkehrten
sehr viel mit Rabbinen und jüdischen Studenten. Doch traten sie
lebhaft gegen die grosse richterliche Gewalt der Rabbinen über
die Ihrigen auf, weil sie beständig sahen, dass viele Juden aus
Furcht vor denselben es gar nicht einmal wagten, ein christliches
Zeugniss auch nur anzuhören.
Diakonus Engerer in derselben Gegend, nämlich in Schwa-
bach, der selbst mehrere Juden getauft hat, richtete 1732 „Eine
bewegliche und liebreiche Ansprache an die sämmtlichc Juden-
schaft mit einer Antwort auf Einwürfe und Aergernisse". Hier
sucht er alle Punkte auf, die Juden und Christen mit einander
gemein haben und führt ihnen dann zu Gemüthe, wie Christus
so völlig den Anforderungen des Alten Testamentes entspreche.
Nachdem er hierauf die gewöhnlichen Einwürfe gegen das
Christenthum widerlegt hat, hält er den Juden vor, wie trostlos
ihre heutige Religion sei und weist sie nun auf den wahren Trost
hin den er sie aufs herzlichste sich anzueignen bittet.
Engerer gehörte zu den treusten Missionsfreunden jener
Zeit. Er stand mit Zeltner und Callenberg in lebhafter Ver-
bindung, verkehrte mit Juden und Proselyten viel und hat letztere
treulich unterstützt. Er gab auch die von Chris tf eis verfassten
Gespräche im Reiche der Todten über die Bibel und den Talmud
heraus und bewies bei dieser Gelegenheit zugleich, dass er mit
der rabbinischen Literatur wohl bekannt war.
In Schwabach wirkte auch der französische evangelische
Prediger Barratier, der seinen Sohn, J. P. Barratier, von früh
auf nicht bloss im Griechischen und Hebräischen, sondern auch
im Rabbinischen unterrichtete. Der übrigens sehr jung (1740)
an der Schwindsucht verstorbene Sohn übersetzte des Bejamin
von Tudela Reisen aus dem Hebräischen ins Französische, ver-
— 236 —
besserte die lateinische Uebersetzung von Lempereur, mannig-
fache Irrthümer von Bas nage und die Irrthümer anderer über
jüdische Sachen. An dem jüdischen Reisenden Benjamin von
Tudela selbst übte er und mit Recht eine sehr scharfe Kritik.
Das Interesse an B. v. Tudelas Schrift aber war bei Barratier
ein Missionsinteresse. Jener hatte beweisen wollen, dass die Juden
noch nicht das Scepter verloren hätten, sondern noch an vielen
Orten herrschten. Dies widerlegte nun der jüngere Barratier,
um ihnen den falschen Trost, welchen ihr Glaubensgenosse
vielen von ihnen dargeboten hatte, zu nehmen.
Der Universität Altorf wird man jedesfalls das Verdienst
zusprechen müssen, dass sie Jahrzehnte hindurch ununterbrochen
eine Stätte war, an der die Judenfrage mit wirklichem Ernste
behandelt worden ist.
Das Interesse an den Juden erlosch auch nach Zeltners
Tode nicht sogleich. Johann Andreas Michael Nagel z. B. liess
seit 1740 hierselbst mehrere in das jüdische Fach einschlagende
Schriften erscheinen.
Aus dem Hohenlohischen stammt Joh. Chr. Wibel. Schon
auf dem Gymnasium war er von seinen Lehrern für das Studium
des Hebräischen lebhaft angeregt worden. Später als Pfarrer zu
Wilhelmsdorf trat er in regen Verkehr mit dem trefflichen Pro-
selyten Kammerrath Christfels, welcher bei vielen Christen ein
Interesse an der Mission wachgerufen hatte. Von Wibel stammt
auch eine vortreffliche Schrift: „Ueber die Pflicht evangelischer
Lehrer für das Heil der Juden zu sorgen" 1742. In seinen
Forderungen und Vorschlägen stimmt er vollständig mit Zeltner
überein. Achtsamkeit der Christen auf sich selbst, damit sie den
Juden kein Aergerniss geben, fleissige Fürbitte, Vertheilung guter
Schriften, Einführung einer freiwilligen Steuer für Proselyten,
mündlichen Verkehr mit Juden und Unterstützung des Callen-
berg'schen Instituts fordert der Verfasser, der übrigens auch in
der rabbinischen Literatur recht zu Hause ist, in eben so drin-
gender als herzlicher Weise. Später hat derselbe auch eine
ganze Reihe von Schriften, die jüdische Literatur betreffend,
geschrieben. Als Consistorialrath zu Onolzbach hat er in gleicher
Art gewirkt und auch auf Rabe, den Uebersetzer der Mischnah,
Einfluss geübt. Die rabbinischen Studien fanden denn auch in diesen
Gegenden noch dann eine Pflegstätte, als sonst das Interesse an
237 —
denselben überall erkaltete. Hierüber klagen bereits bitter die
beiden Meintel.
Johann Georg Meinte! war Rektor in Schwabach; dessen
Sohn, Conrad Stephan, lieferte schon mit 13 Jahren eine latei-
nische Uebersetzung des Psalmencommentars von H. J. van Bas-
huysen bis zum 41. Psalm, während der Vater die übrigen über-
setzte 1744.
Mündlicher Verkehr und Gespräche mit Juden veranlassten
zuerst Professor Kolshorn in Frankfurt a. O. die Schrift: „Gründ-
liche Vernunft- und Schrifterklärung über das tiefere Geheimniss
der Schrift und die Erlösung aus Altem und Neuem Testamente"
zu verfassen, Frankfurt und Leipzig 1745. Kolshorn hatte schon
früher eine Schrift : „Von der Erlösung von der Sünde" den Juden
gewidmet und hörte nun von den Aeltesten der Berliner Juden-
schaft, dass man nicht verstünde, was Erlösung von der Sünde
heisse, so dass man ihn bitte, hierüber zu schreiben. Ein anderer
Jude hatte ihn aufgefordert zu beweisen, dass Jeschuah im Alten
Testamente mit Jesus zu übersetzen sei, da dieses Wort doch
nur Hilfe und Heil bedeute. Diesen Aufforderungen habe er
nachkommen müssen.
Kolshorn behandelt dann seinen Gegenstand in der recht
ungeschickten Form einer langen Predigt, welche den Beweis für
die geistige Natur der Erlösung und der Person des Erlösers aus
dem Alten Testamente zu führen sucht, und fordert dann die
Juden auf, in der Schrift zu forschen , so würden sie dies alles
bestätigt finden und Jesum als ihren Erlöser ergreifen lernen.
Dass sich ein Jurist, denn das war Kolshorn, in dieser Weise
um die Juden bemühte und dass er so ernstlich biblische Studien
trieb, verdient alle Anerkennung, aber der von ihm übernom-
menen Aufgabe war er nicht recht gewachsen.
An der Leipziger Universität ermunterte Professor Kiss-
ling die Studirenden, ihre Sorge den Juden zuzuwenden. Zwei
unter ihm gehaltene Dissertationen von J. C. T. Steinmüller 1746
und G. Becker 1748 legen hiervon ein schönes Zeugniss ab.
Die erste De Judaeis ad zelotypiam salutarem provocatis hebt
hervor, dass man die Hoffnung für die Juden nicht aufgeben
dürfe, denn sie hätten und benützten auch das Alte Testament.
Die Erfüllung so vieler Weissagungen müsse ihnen endlich die
Augen öffnen, ebenso aber das Elend ihrer Verbannung; und in
der Gegenwart würden sie nun auch durch Christen direkt auf-
— 238 —
gefordert, zum Heile zu kommen. Eben desshalb dürfe man sie
auch ohne Bedenken unter Christen wohnen lassen. Damit sich
aber die Juden recht zum Heile gereizt fühlen möchten, müssten
nun auch die Christen ihnen mit christlichem Wandel vorangehen,
ihnen Barmherzigkeit und freundlichen Sinn zeigen und mit dem
ernsten Streben, unter sich selbst einiger zu werden, es sich an-
gelegen sein lassen, für das Heil der Juden treuer zu beten.
Die andere Abhandlung De Judaeo extorri veritatis contra
semetipsum teste nennt unter Zugrundelegung von 5 Mos. 28, 64. 65
die Juden nach allen Beziehungen das merkwürdigste Volk der
Erde und verweist auf die wörtliche Erfüllung dessen, was jene
Schriftstellen von ihnen verkündigt haben. Der Christen Sache
sei es nun aber, die Juden von ihrem Irrthum zu überführen und
sie anzuleiten, dass sie darüber nachdächten, aus welchem Grunde
Gott sie so hart und so lange strafe, und wie er sie dadurch
reizen wolle, das Heil in Christo anzunehmen.
In ähnlichem Sinne schrieb D. Nie. Nonnen zu Bremen
1748: De tentata hactenus frustra a Judaeis Status eultusque sui
restitutione. Vergeblich hätten es die Juden bisher versucht,
ihre Selbständigkeit wieder zu erwerben, alle falschen Messiase
insbesondere hätten sie am wenigsten zum Ziele geführt. Die
Rückkehr nach Canaan sei ihnen nicht gelungen, aber ebenso-
wenig hätten sie bisher irgendwo festen Fuss fassen können.
Gott habe ihnen einmal mit der Vertreibung aus ihrem Lande
Canaan zeigen wollen, dass sie sich selbst das Gericht aufgeladen
hätten, anderseits aber auch, dass die alttestamentliche Ordnung,
welche an dieses Land gebunden sei, ein Ende haben solle. Die
Christen dagegen sollten bedenken, dass die Juden unter sie geführt
worden wären, damit diese durch sie für ihre Bekehrung zubereitet
würden. Die Weissagung aber lasse ihre Bekehrung als sicher
erhoffen, und mit derselben Hand in Hand gehend ihre Rückkehr,
die dann eine Zeit voll geistlicher und leiblicher Wohlthaten
herbeiführen werde.
Die Zukunft Israels beschäftigte überhaupt, seitdem sich
Spener so warm zu der Hoffnung, welche die heilige Schrift
für das jüdische Volk ausspricht, bekannt hatte, die Gemüther
vieler. Zumal in den pietistischen Kreisen hielt man an der-
selben ganz allgemein fest. 1702 trat Professor von Krake witz
in Greifswald für dieselbe ein. Besonders eingehend behandelte
dieselbe der Mecklenburgische Prediger Joh. Fr. Thilen in: „Die
— 239 —
Hoffnung Israels oder die zukünftige Bekehrung der Juden",
Prenzlau 171 8. Anastasius Fr ei linghau.se 11 gab die über den
gleichen Gegenstand von ihm gehaltene. Predigt über Jes. 60, 1—7
heraus, und ebenso Hess sich über dieses Thema ausführlicher
J. J. Rambach aus in der Schriftmässigen Erläuterung der Theo-
logie des Vorgenannten.
Calvör stellte in seiner deutschen Schrift: Gloria Christi,
Leipzig 1710, besonders die Stellen aus Havemanns Wege-
leuchte und aus Scriver über diesen Punkt zusammen.
Joachim Lange in seiner Aufrichtigen Nachricht, im apo-
stolischen Licht und Recht und im Antibarbarus , ferner Johann
Heinr. Mai in Giessen 171 6 in einer Schrift: De mysterio con-
versionis Judaeorum adhuc sperandae, Arnold: De conversione
Judaeorum nach Römer Cap. 11, Jo. Christoph. Wolf in seinen
Curae philologicae et criticae zu Römer 11 und Meelführer
sprachen sich gleichfalls in zustimmendem Sinne aus.
J. W. Petersen verlor in seinem Mystischen Joseph, Frank-
furt a. M. 1717, alle Nüchternheit bei seiner Beschreibung der
Zukunft Israels. An der allgemeinen Hoffnung hielten auch fast
alle anderen fest, die sich über den Gegenstand vernehmen Hessen;
so Matth. Rothe in Herford in „Hoffnung Israels zu seiner
Bekehrung über Römer 11, 25", Leipzig 171 3. Heinr. Jac. van
Bashuysen in einer Predigt über Sacharjah 13, 3. M. Christian
Gerber, der Verfasser der Unerkannten Sünden der Welt,
Anton Christian Römeling 1710 in seiner Zerstörung Babels
von Mitternacht, der Greifswalder Michael Christ. Russmeier
und Jo. Christ. Schulenburg.
Widerspruch erhob besonders Christian Reineccius in
seiner Vorrede zu dem Buche von Friedr. Alb. Christ iani über
den Glauben und Aberglauben der Juden, Leipzig 1705, Bran-
danus Heinrich Gebhard in Greifswald, E. G. Gölitz in Rudol-
stadt 1707 und J. E. Schubert: Schriftmässige Gedanken von
der allgemeinen Judenbekehrung und dem tausendjährigen Reiche,
Jena 1742, und in einer späteren Schrift, die er 1763 als Pro-
fessor in Helmstädt erscheinen Hess, „Gedanken von der Präde-
stination der Juden".
Die Stadt Danzig wurde 1748 durch einen Streit ihrer
Geistlichen über die zukünftige allgemeine Bekehrung der Juden
so aufgeregt, dass der Rath einschritt und die ganze Controverse
bei strenger Strafe verbot.
— 240 —
Jedesfalls aber hat die ganze frühere evangelische Zeit weit
überwiegend an der Hoffnung einer endlichen Bekehrung des
jüdischen Volkes festgehalten.
Im baptistischen Sinne hatte sich zu Anfang des Jahrhunderts
Ernst Christoph Hochmann von Hochenau an die Juden des
westlichen Deutschlands gewandt. Sein Brief an die Juden vom
Jahre 1699, geschrieben aus dem Arrest auf Schloss Detmold
zum Druck gegeben auf Verordnung des Grafen zu Lippe, neu
aufgelegt 1 709, ermahnte die Juden, sich zu bekehren, weil dem-
nächst ihr König und Messias wieder erscheinen werde. Hoch-
mann von Hochenau ist hernach auch unter den Juden umher-
gegangen und hat ihnen so ernst ins Gewissen geredet, dass es
vielen derselben durch das Herz ging.
Der nahende Rationalismus dagegen macht sich schon in
„der einzig wahren Religion" des Herrn von Loen, Leipzig 1750,
bemerkbar. Hier wird auch den Juden gegenüber lediglich die
Religion einer humanistisch gedachten Liebe gepredigt, gegen
den Glauben ist derselbe völlig gleichgiltig. von Loen ist aber
vielfach mit Juden in Verbindung getreten und hat manche Ver-
wirrung unter ihnen gestiftet. Wenn die später zu berichtende
Verbindung zwischen polnischen Juden und den deutsch-evangeli-
schen Kreisen keine besseren Früchte brachte, so hat dies zum
Theil auch darin seinen Grund, dass Loen und sein Anhang jene
Juden in ihre sektirerischen Netze zu ziehen suchten.
An der Erkenntniss, dass es einer besonderen Missions-
literatur bedürfe, um wirklichen Eingang bei den Juden zu finden,
fehlte es auch in diesem Zeiträume nicht. Was auf diesem
Gebiete die Callenberg'sche Mission geleistet hat, wird später
erwähnt werden müssen. Hervorzuheben ist hier sonst die jüdisch-
deutsche Uebersetzung des Neuen Testamentes von Mag. Christian
Moller, Pastor in Sandau. Derselbe liess dasselbe ganz in diesem
Dialekte zu Frankfurt a. O. 1700 erscheinen. Vorangeschickt
ist eine Anweisung über das Lesen des Jüdisch-deutschen. Die
Juden aber kauften die grosste Zahl dieser Testamente auf und
verbrannten sie, weil sie fürchteten, dass in diesem Gewände
das Neue Testament in ihre Mitte dringen und viele zum Abfall
verführen könnte. Die Uebersetzung selbst kann übrigens als
eine gelungene nicht bezeichnet werden.
Superintendent Caspar Calvör verfasste einen ausführlichen
Katechismus für die Juden, Leipzig 1718, welcher den Titel
— 241 —
Gloria Christi oder Herrlichkeit Christi trug. Hier wird in aner-
kennungswerther Weise den Juden das Christenthum nahe
gebracht. Sehr ausführlich und tüchtig ist die Lehre vom
Messias behandelt, kürzer werden die anderen Lehren besprochen,
alles in der Form von Frage und Antwort. Die Glaubenslehre
wird „aus der heiligen Schrift, Targumim, Talmud, Rabbinen und
gesunden Vernunftgründen" entwickelt.
Dieser Katechismus enthält zuerst eine Einleitung über die
Schicksale und das Religionswesen der Juden seit Christo, sodann
drei Bücher über den Messias, die Dreieinigkeit, das Neue Testa-
ment und ganz kurz über die christliche Lehre im Allgemeinen.
Hierauf folgt der eigentliche Judenkatechismus, welcher noch
einmal über den Messias und die Pflicht der Menschen gegen
ihn handelt. Dem deutschen Texte steht immer die jüdisch-
deutsche Uebersetzung gegenüber. Hierzu tritt im Anhange „Das
Lob des Namens Jesu Christi aus Moses, den Propheten und
Psalmen zusammengestellt", und endlich wird eine Anleitung
gegeben, wie das Jüdisch-deutsche zu lesen sei.
Diese Schrift hat viel Gutes unter den Juden gewirkt und
ist später von der Callenberg'schen Mission theils im Ganzen,
theils in einzelnen Abschnitten unter denselben verbreitet worden.
Die Veranlassung das Buch zu schreiben fand Calvör in der Bitte
eines Juden um die Taufe. Hernach hat er selbst noch oft nach
diesem Buche Juden unterrichtet, wie unter anderen den nach-
maligen dänischen Etatsrath von Clausberg.
Jo. Heinr. Seufert, Prediger in der Nähe von Durlach gab
eine Probe eines Judenkatechismus in deutscher Sprache, Durlach
1709 heraus und arbeitete später als Adjunkt in Pforzheim den-
selben vollständig aus. Doch wurde diese spätere Arbeit nicht
gedruckt, während der Proselyt Philipp Nicolaus Leberecht den
„Grundriss" ins Jüdisch-deutsche übersetzte, Dresden 1 719. Auf
der einen Seite deutsch und auf der andern jüdisch-deutsch mit
jüdischen Lettern Hess ebenso Dan. Ernst J ab Ions ky in Berlin 1 708
einen Kleinen Judenkatechismus für einfältige Anfänger erscheinen.
Auch dieser Katechismus ist in Frage und Antwort abgefasst
und enthält die Lehre vom Messias nach Moses und den Pro-
pheten, darauf die Lehre des Messias nach dem apostolischen
Glaubensbekenntniss, welches durch Sprüche des Alten und
Neuen Testamentes in seiner Richtigkeit bewiesen wird, womit
sich die Sakramentslehre verbindet. Hierauf folgt die Lehre vom
F. J. A. de le Roi, Missionsbeziehungen. l6
242 —
rechten Leben nach den zehn Geboten und die Lehre vom
Gebet nach dem Vaterunser. Vorangeschickt ist dem Ganzen
ein köstliches Gebet für die Juden. Jablonsky legte übrigens
auch eine hebräische Druckerei in Berlin an.
J. J. Qu an dt gab Judenpredigten in Königsberg heraus.
17 10. Professor Johann Daniel Kluge übersetzte zwei Kirchen-
lieder und den ersten Theil der Augsburg'schen Konfession ins
Hebräische. Die Verbreitung der Schrift Praeco Salutis oder
Verkündiger des Heils von Heinrich Horche 1705 Hess sich die
Callenberg'sche Mission angelegen sein, und dieselbe war ein
recht brauchbares Missionszeugniss.
Man wurde sich in diesem Jahrhunderte aber überhaupt
dessen ernstlicher bewusst, dass man die Sprache der Juden
selbst erwählen müsse, wenn die Bemühungen um ihre Bekehrung
auch wirklichen Erfolg haben sollten. Denn die lateinisch abge-
fassten Schriften, welche diesen Zweck verfolgten, konnten nur
die Gelehrtesten unter den Juden erreichen; und selbst die mit
deutschen Lettern gedruckten und in hochdeutscher Sprache
geschriebenen Bücher waren, da die grösste Zahl der damaligen
Juden in Deutschland und im ganzen europäischen Osten das
Jüdisch- deutsche sprach, für eine allgemeine Verbreitung unter
denselben nicht geeignet.
Den Erfolg hatten aber wenigstens alle diese auf die Juden
gerichteten literarischen Bemühungen, dass sie immer wieder an
die Notwendigkeit, die den Christen gegen die Juden obliegende
Pflicht zu erfüllen, erinnerten und dass sie auch ein Bewusstsein
von der Pflicht, die hier bestand, wach erhielten. Es ist in dieser
Beziehung von der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts dasselbe
zu sagen, was bei der früheren Periode über den gleichen Punkt
hervorgehoben worden war. Aber die unaufhörlich wiederholte
Mahnung so vieler Schriften, die Juden nicht zu vergessen, hat
auch thatsächlich einen lauteren Wiederhall als im vorigen Jahr-
hundert innerhalb der evangelischen Christenheit gefunden.
Ueberdem stand jene Literatur auch in dieser Zeit durch-
aus auf der Höhe der damaligen wissenschaftlichen Erkenntniss
und erzwang sich schon hierdurch die Aufmerksamkeit der Zeit-
genossen. Die besten Kräfte unter den deutschen Theologen
hatten wieder auf diesem Felde gearbeitet, und die deutschen
Universitäten waren von Neuem die eigentlichen Pfiegestätten
und Beförderer dieser Literatur gewesen. Die Nachricht des
— 243 —
Nicolaus Ernst Friedrich Zobel zu Altorf von der Geschichte der
deutschen und von einigen anderen Universitäten erwähnt noch
im Jahre 1750, wo nun schon der Umschwung der Dinge eintritt,
in dem Verzeichniss der Vorlesungen ein Colleg von Dr. Schu-
bert in Helmstädt über die Controverse mit den Juden, von
D. von der Hardt über die Lehrsätze des Evangeliums aus dem
Alten Testamente und von D. Paul Theodor Carpov in Rostock
über Anleitung zur jüdisch-deutschen Sprache.
Aber freilich das gelehrte Gepräge, welches auch jetzt nur
zu oft noch diese Schriften trugen, schädigte ihre Wirksamkeit
unter Juden und Christen. In die christliche Gemeinde konnten
sie desshalb nicht im erwünschten Maasse eindringen, wenn gleich
die Literatur des Pietismus in diesem Stücke es vielfach besser
verstanden hat, sich einen weiteren Eingang zu verschaffen. Der
pietistische Theil dieser Literatur war nicht bloss für die Ge-
lehrten geschrieben, sondern auch für den gemeinen Mann zumeist
verständlich, und zumal die Predigten pietistischer Geistlichen
trugen die Angelegenheit in weitere Kreise hinein.
Der Eifer, für die Juden etwas zu thun, war denn in der That
auch ein sichtlich wachsender. Selbst auf den Gymnasien wurden
jetzt die älteren Schüler öfters veranlasst, Reden zu halten, welche
das Heil der Juden behandelten. Ad. Bernhard, Rektor zu
Hannover stellte in seiner Schulmoral 1725 den Satz auf: „Hüte
dich, dass du den Juden kein Aergerniss und Gelegenheit zum
Lästern des Namens Jesu gebest" und berief sich hierbei auf
Spener und Wolfgang Franz. Ueberhaupt erkannte man beson-
ders in pietistischen Kreisen, dass, wenn die Stellung der evan-
gelischen Christen zu den Juden eine andere werden sollte, man
mit der Jugend anfangen müsste. Vielfach wurde daher auf
Schulen für ihr Heil gebetet, und besonders häufig ein Gebet
des Senior Münden in Frankfurt a. M. auf den Gymnasien
gebraucht.*)
Die Geistlichkeit von Frankfurt a. M. und von manchen
anderen Städten legte, den Anregungen Speners folgend,
rühmlichen Eifer für ein missionirendes Wirken unter den Juden
an den Tag. Dem Einflüsse, welchen der Pietismus am preussi-
schen Königshofe ausübte, ist auch jener Erlass des Königs
Friedrich I. vom Jahre 1703, das Gebet Olenu betreffend,
*) Dlbre Emeth 1S79 S. 89 ff.
16*
2AA —
zuzuschreiben.*) Eine Stelle in jenem Gebete, welche von den
Völkern sagt: „Sie bücken sich vor eitelen und unwürdigen
Dingen und beten Götter an: lelo Joschia, die nicht helfen
können", hatte man allgemein auf Jesum bezogen und eben dies
veranlasste die Untersagung jenes Gebets durch den preussischen
König. Der Erlass desselben aber zeigt, welch ein lebendiger
und hoher Missionssinn Friedrich I. von Preussen erfüllte, und
wie ernst er von der Pflicht der Obrigkeit, der Geistlichkeit, des
ganzen Christenvolkes und der Kirche gegen die Juden hielt.
Der Eingang des Erlasses lautet: „Wir Friedrich von Gottes
Gnaden u. s. w. geben hiermit allen und jeden Prälaten, Grafen
und Herren u. s. w. wie auch ins gemein allen unseren Unter-
thanen, Gläubigen und Ungläubigen, über welche der allerhöchste
Gott Uns in Unserem Königreich nach seinem allerhöchsten
Rath und Willen gesetzt, nebst Entbietung Unseres gnädigen
Grusses zu vernehmen: dass Uns gebühre, Lob, Preis und Ehre
und Dank zu geben dem, der Uns Königreich, Macht und Stärke,
Ehre und Herrlichkeit verliehen hat, und dass mit Uns alle, die
auf Erden seine Statthalter und seines Reiches Amtleute sind,
nebst Verherrlichung des grossen Namen Gottes, auch diesen
Hauptzweck haben müssen: dass sie nicht allein die zeitliche
Wohlfahrt der ihnen anvertrauten Unterthanen befördern, sondern
weil dieselben nicht allein für diese Welt geschaffen, und in den
sterblichen Leibern eine unsterbliche Seele tragen, auch dafür
nöthig zu sorgen haben, dass, wo sie nicht alle zu Gott bekehrt,
wenigstens ihr Gericht ihnen einstens doch nicht schwerer werde.
Wenn dann in solcher Erwägung Wir mit erbarmenden
Augen das arme Judenvolk, so Uns Gott in Unserem Lande
unterwürfig gemacht, ansehen, so wünschen Wir wohl herzlich,
dass dieses Volk, welches Gott ehemals so herzlich geliebt und
vor allen Völkern zu seinem Eigenthum erwählt hatte, endlich
von seiner Blindheit möchte befreit werden und mit uns zu einer
Gemeinschaft in dem Glauben an den uns aus ihnen selbst ge-
borenen Messias und Heiland der Welt gebracht werde.
Weil aber das grosse Werk der Bekehrung zu dem geist-
lichen Reiche Christi gehört, und Unsere weltliche Macht keinen
Platz darinnen findet, Wir auch die Gewissen der Menschen dem
Herrn aller Herren einig überlassen, so müssen Wir Zeit und
*) J. B. Dibre Emeth 1876 S. 142 ff.
— 245 —
Stunde abwarten, welche der barmherzige Gott sie zu erleuchten
seinem allein gnädigen Willen vorbehalten hat, sie indessen mit
Geduld ertragen und Mittel zu ihrer Bekehrung mit aller Liebe
und Sanftmuth anwenden lassen. Wie Wir denn heute insonder-
heit die Geistlichkeit und Seelsorger ermahnt haben wollen, so
oft sie Gelegenheit dazu ersehen, sich zu bemühen, wie sie dieses
ungläubige Volk mit Sanftmuth gründlich überzeugen und dem
Messias unserem Herrn zuführen mögen, und alle und jede, so
den Namen Christi unter uns bekennen, ernstlich anweisen, ihnen
Aergerniss nicht zu geben und keinen Stein des Anstosses ihnen
in den Weg zu legen; dagegen Wir aber auch der Bosheit, da
sie sich wider Jesum Christum, unsern Herrn und Heiland und
sein Reich erheben wollen, zu wehren und ihr mächtiglich zu
steuern, Uns höchst verpflichtet zu sein erachten."
Hierauf handelt der Erlass weitläufig über das jüdische Gebet
Olenu und die in demselben verübte Lästerung gegen Christum
und bestimmt, was zur Unterdrückung desselben geschehen soll.
Danach heist es: „Wir versehen Uns aber allergnädigst, dass die
Juden diesem Unserem Gebot, welches Wir in allergnädigster
Erwägung, dass sie ehemals Gottes geliebtes Volk gewesen, und
dass sie nach dem Fleische die Befreundeten unseres Heilandes
seien, mit Mitleid, Liebe und Erbarmung gegen sie verknüpft
haben, sonsten es aber die Ehre unseres Gottes es von Uns un-
umgänglich erfordert, so viel mehr allerunterthänigsten Gehorsam
erzeigen werden, weil ihnen darin nicht das Geringste wider ihre
Religion, Ceremonien, Aufsätze und Gebräuche angemuthet wird."
Wie wohlthätig der Pietismus die Gemüther von Hoch und
Niedrig gegen die Juden beeinfiusst hat, zeigt dieser Erlass
besonders deutlich. Die ganze Stimmung gegen die Juden wurde
überall, wo der Pietismus Eingang fand, eine viel freundlichere,
weichere und dem Geiste des Evangeliums entsprechendere. Dem
Pietismus ist es im besonderen Maasse zu danken, dass ein neues
Verhältniss derselben zu ihrer Umgebung in Deutschland Platz
greifen konnte. Wenn der Pietismus nur geistesmächtig genug
gewesen wäre, seine positiven christlichen Gedanken auch in das
allgemeine Leben direkt einzuführen, und wenn er Muth und
Kraft genug besessen hätte, der Gestaltung des öffentlichen
Lebens die Bahnen zu weisen, dann hätte auch in seiner
weiteren Entwickelung dasselbe das christliche Gepräge viel
leichter erhalten. Aber darin zeigte sich nun seine besondere
— 2^6 —
Schwäche, dass er es nicht wagte, anders als auf einzelne Per-
sonen oder höchstens auf kleine Kreise bestimmend und gestaltend
einzuwirken, und dass seine Gedankenwelt auch in vieler Beziehung
eine zu dürftige war, als dass dieselbe das allgemeine Leben
bleibend umzuwandeln vermocht hätte.
c. Johann Heinrich Callenberg.
J. H. Callenberg, Bericht mit 16 Fortsetzungen seines
Berichtes von dem Versuche, das arme jüdische Volk zur Er-
kenntniss der christlichen Wahrheit anzuleiten. Relation u. s. w.
30 Stück. Christliche Bereisung der Judenörter, 4 Stück. Fort-
währende Bemühung um das Heil des jüdischen Volkes über-
haupt, 4 Stück, von 1728 — 1759.
F. K. G. Hirsching, Historisch literarisches Handbuch,
Band 1. Joh. Jacob Moser, Beiträge zu dem Lexikon der jetzt
lebenden lutherischen und reformirten Theologen in Deutschland.
Züllichau 1740 S. 119 ff. Dreyhaupt, Beschreibung des Saal-
kreises Theil 2, 44 ff., 600. Die Acta historiae ecclesiae nostri
temporis aus Weimar in dem betreffenden Zeiträume wiederholt.
J. C. Jöcher, Gelehrten-Lexikon, Nachträge und Fortsetzungen.
Mittheilungen aus Joh. Heinr. Callenbergs Briefen von Dr. Franz
Theodor Adler. Halle, Waisenhaus 1868. Saat auf Hoffnung,
Callenberg 1869 S. 242 ff.
Johann Heinrich Callenberg hat die erste eigentliche Juden-
mission innerhalb der evangelischen Kirche ins Leben gerufen.
Eben darum ist er für die Geschichte der Judenmission und der
Kirche im Allgemeinen von besonderer Wichtigkeit. Die Art
aber, wie die Mission in dem Callenberg'schen Unternehmen zu
Tage tritt, zeigt zugleich die Stellung an, welche die Judenmission
— und die Sache steht auch nicht wesentlich anders mit der Heiden-
mission ■ — im kirchlich evangelischen Leben einnimmt und cha-
rakterisirt das kirchengeschichtliche Verhältniss der evangelischen
Kirche und Christenheit zu dieser Mission.
In Callenbergs Zeit ist kirchengeschichtlich der Prozess des
Verhältnisses der evangelischen Kirche zu ihrer Missionsaufgabe
zur Entscheidung gekommen; und von dieser Entscheidung ist die
evangelische Kirche im Ganzen und Grossen bis heute noch nicht
abgegangen, wenngleich eben dieses bisherige und geschichtlich vor-
liegende Verhältniss nicht als ein endgiltiges betrachtet werden soll.
— 247 —
Callenbergs Unternehmen bedeutet aber, dass nicht die
evangelische Kirche als solche, sondern nur einzelne ihrer Glieder
die Pflicht fühlten und sich bereit zeigten, ein wirkliches und
eigentliches Missionswerk an den Juden aufzunehmen. Hatte also
die frühere Zeit der evangelischen Kirche kein organisirtes Mis-
sionswerk aufzuweisen, während weithin innerhalb derselben viele
vereinzelte Missionsbemühungen zu Tage traten, so wird jetzt
diesem Mangel freilich abgeholfen, aber nicht in der Weise, dass sich
die evangelische Kirche selbst als Gesammtheit oder in ihren ein-
zelnen Kirchen dazu aufschwänge, die ihr obliegende Pflicht zu
erfüllen.
Eine Frucht des in der evangelischen Kirche lebhafter er-
wachten Missionssinnes ist mithin das Callenberg'sche Werk wohl;
aber derselbe ist eben nicht so stark gewesen, dass er auch
zu einem kirchlichen Handeln im eigentlichen Sinne geführt hätte,
und dass die Mission eine Kirchen- oder Gerneindesache geworden
wäre. Eben dies gab denn auch der ganzen Judenmissionsthätig-
keit ihr bestimmtes und durchgreifendes Gepräge.
Dem neuen Unternehmen ist aber ebenso durch die Persön-
lichkeit ihres Stifters in vieler Beziehung sein eigenthümlicher
Stempel aufgedrückt worden, und desshalb muss dieselbe noch
besonders ins Auge gefasst werden.
Callenberg ist in dem Gothaischen Dorfe Molschleben am
12. Januar 1694 als Sohn eines Bauern geboren. In den von
Dr. Adler benützten Briefen desselben aus den Jahren 171 5 bis
1721, welche die Bibliothek des Halle'schen Waisenhauses hand-
schriftlich besitzt, schreibt Callenberg selbst, dass er „von ge-
ringen, doch ehrlichen Eltern in aller Scham und Zucht auf-
gezogen sei, und dass sich dieselben mit saurem Schweiss und
Arbeit das Stückchen Brot erwarben, davon sie sich in ihrem
Alter nothdürftig unterhalten konnten".
Nach dem Tode seines Vaters, bei dessen Ableben dieser
Sohn noch in jüngeren Jahren stand, kam Callenberg besonders
durch die Vermittelung seines Ortspastors, dem der junge Mensch
unter den Altersgenossen im Dorfe aufgefallen sein muss, auf
das Gymnasium in Gotha, dessen Rektor Vockerodt, ein treff-
licher, feingebildeter und frommer Mann, sich seiner aufs Lieb-
reichste annahm. Derselbe war ein in jener Zeit sehr geschätzter
Schulmann, und seine Programme wurden weithin gelesen. Callen-
berg hat ihm stets die dankbarste und kindlichste Verehrung
— 248 —
bewahrt. Yockerodt gehörte zu den warmen Anhängern des
Spener-Franke'schen Pietismus und hat dafür viele Anfechtungen
erleiden müssen. „Das Denken, Wirken und Streben Callenbergs
aber erhielt durch den Rektor Vockerodt die bleibende Richtung."
Der 21 jährige junge Mann kam 171 5 auf die Universität
Halle und schloss sich hier mit grossem Eifer August Hermann
Franke an. In den Franke'schen Stiftungen wohnend, lernte er
den damals gleichfalls im Waisenhause lebenden Gelehrten Salo-
mon Negri kennen. Derselbe, aus Damaskus stammend, war
früher Dolmetscher an der hohen Pforte in Constantinopel gewesen,
hierauf Bibliothekar in Frankreich und später Professor des Ara-
bischen in Rom. Professor Heinrich Wilhelm Ludolf lernte diesen
Mann auf seinen Reisen kennen, und es gelang ihm, denselben
zu bestimmen, dass er sich nach Halle wandte. Dort machte
A. H. Franke auf ihn einen grossen Eindruck, so dass er auch
das Anerbieten desselben annahm, in Halle die orientalischen
Sprachen zu lehren.
Salomon Negri nun wurde für Callenbergs inneres Leben
von Wichtigkeit. Der Glaube war für letzteren nicht ein an-
ererbtes Gut, das er sich stets ohne Anfechtung bewahrt hätte,
sondern er wurde in seiner Studienzeit von so gewaltigen Zweifeln
heimgesucht, dass er zu Zeiten allen Boden unter den Füssen
verlieren wollte. Gerade da eilte ihm Salomon Negri zu Hilfe.
Derselbe hatte einen ähnlichen inneren Gang wie Callenberg
genommen und mit den bedeutendsten Freigeistern in Frank-
reich und Italien verkehrt. Aber gerade der Umgang mit den-
selben hatte ihm die ganze Schwäche des Unglaubens gezeigt
und Negri war hierdurch geheilt worden. Um so mehr war er
der geeignete Mann, Callenberg in der Zeit seines inneren
Schwankens zur Seite zu stehen, und letzterer hat ihm dies sein
ganzes weiteres Leben hindurch dankend anerkannt.
Zur eigentlichen inneren Ruhe aber scheint der Studiosus
erst durch A. H. Franke gekommen zu sein, dessen Predigten
insbesondere eine entscheidende Bedeutung für ihn gewannen.
Nachdem er jedoch innere Klarheit erlangt hatte, erfüllte ihn von
nun an nur noch ein Wunsch, dem Reiche Christi mit allen seinen
Kräften zu dienen.
Jetzt gewann der Gedanke an die Mission, der ihn schon
früher beschäftigt hatte, in ihm eine festere Gestalt, und zwar
dachte er in Folee seiner Verbindung; mit Salomon Nefjri anfangs
— 249 —
an ein Werk unter den Muhammedanern. Eben zu diesem Zwecke
erlernte er auch von jenem Gelehrten das Arabische.
Callenbergs Missionsgedanken waren aber nicht oberfläch-
licher Art , sondern in seiner Seele tiefer begründet. Selbst in
der Zeit, wo er doch am Meisten von Zweifeln gequält war,
hatte ihn die Mission beschäftigt; denn er neigte dazu, innere
Unruhe durch verdoppelte Thätigkeit zu überwinden. Aber er
bekennt auch, dass er sich in jener Zeit gewissermaassen die
innere Ruhe als einen Lohn für treue Arbeit habe erringen wollen.
Von diesem Sinne wurde er durch A. H. Franke frei, aber seine
Hände legte er darum jetzt doch nicht in den Schooss, sondern
tiefere Gedanken führten ihn nun wieder zur Mission.
Irgend welche Ueberschwänglichkeit hatte mit Callenbergs
Missionsplänen und Missionsgedanken nichts zu thun. Von jeder
Ueberschwänglichkeit war sein Christenthum überhaupt völlig frei.
Eher tritt in der Zeit, wo er nun Herr seiner Kämpfe geworden
ist, bei ihm eine gewisse Aengstlichkeit, nur ja nichts selbst zu
machen, zu Tage. Sein Glaubensleben zeigt nirgends eine
heroische Gestalt, sondern wird durch jene Vorsicht charakterisirt,
welche an den Pietisten dieser Zeit so oft zu finden ist, und durch
eine übergrosse Sorge, nur ja alles zu vermeiden, was irgendwie
nach Schein aussehen könnte. Hat er doch seinen Sendboten
nicht einmal den Namen „Missionare" und seinem Werke nicht
den Namen „Mission" geben wollen, und zwar allein aus dem
Grunde, weil er der merkwürdigen Ueberzeugung war, dass sie
diesen Namen zu führen kein Recht hätten. Er nannte seine
Glaubensboten „Reisende Mitarbeiter".
Callenberg trat aber jetzt an die Missionssache heran, weil
er sich zu derselben durch die Umstände gedrängt sah und ihm
sein Gewissen es verbot , das abzuweisen , was ihm ohne sein
Zuthun zunächst in die Hände kam. Innerlich genöthigt, nahm
er das Werk auf, welches hernach seinen Namen trug.
Aber freilich er selbst hatte es in seinem eigenen Leben
recht mächtig erfahren, dass es keinen anderen Frieden als
in Christo gibt, und zugleich hatte er ein tiefes Gefühl für die
Noth aller derer, welche dieses Friedens noch entbehren. Dieses
Gefühl blieb jedoch nicht eine blosse Empfindung sondern trieb
ihn an, von dem Gott, welcher ihm selbst zu dem wahren Frieden
geholfen hatte, ein Zeugniss des Dankes vor allen, die ihm noch
ferne waren, abzulegen. Desshalb war es auch kein Wunder, dass
— 250 —
ihm das Heil der NichtChristen aufs Herz fiel, und dass, als sich
ihm die Gelegenheit an denselben etwas zu thun, von selbst auf-
drängte, er auch die Verpflichtung hierzu lebhaft empfand. Die
höchsten Beweggründe leiteten ihn zur Mission, und weil die-
selben bis an sein Lebensende eine Macht über ihn blieben, war
auch seine Missionsthätigkeit nicht von kurzer Dauer, sondern
beständiger Art. Er hat das einmal begonnene Werk nicht
wieder fallen lassen, sondern, so viel auf ihn ankam, war es sein
Entschluss, die ihm übertragene Arbeit, so lange ihn die gött-
liche Führung auf dieselbe hinwies, auch auszurichten.
Es waren aber der Orient und die Muhammedaner, denen er
seine erste Aufmerksamkeit zuwandte. Im Jahre 17 16 dachte er
ernstlich daran, sich selbst in muhammedanische Gebiete zu begeben
und dort das Evangelium zu verkündigen, und er suchte auch
andere für den gleichen Plan zu gewinnen. Berichte aus jenen
Gegenden, die ungemein günstig lauteten, fachten seinen Eifer
doppelt an. Dem Professor A. H. Franke theilte er dann brief-
lich mit, was ihn bewegte, und derselbe rieth ihm, um für alles
Zukünftige recht vorbereitet zu sein, Salomon Negri um Unter-
richt im Arabischen, Persischen und Türkischen zu bitten. Dies
geschah auch, und später setzte dann Callenberg denselben Unter-
richt bei einem jungen Gelehrten aus Antiochia mit Namen
Dadichi fort. Nach 5 Monaten aber bereits hatte er es im
Arabischen soweit gebracht, dass er nicht allein den Koran
auslegen, sondern auch ein ohne Punkte gedrucktes Neues Testa-
ment lesen konnte; ja er begann sogar bereits eine Uebersetzung
des Luther'schen Katechismus ins Arabische, die er später
vollendet hat.
Die Berufung mehrerer seiner Freunde nach Russland ver-
anlasste ihn dann, besonders auf die Muhammedaner dieses Reichs
sein Augenmerk zu richten und an die Beschaffung einer Literatur
zu denken, welche unter den dortigen Anhängern des Islam zu
verbreiten wäre.
Während Gedanken, Pläne und Arbeiten solcher Art ihn
beschäftigten, war er inzwischen dessen gewiss geworden, dass.
er Theolog werden müsse, nachdem er sich bisher als Studenten
der Philosophie bezeichnet hatte. Er wandte sich also jetzt dem
anderen Studium zu und gewann wie durch seine bemerkens-
werthen Fähigkeiten so durch seinen frommen Eifer bald Einfluss
in weiteren studentischen Kreisen. Er richtete einen Thüringer
— 251 —
Convent ein, welcher sich die Pflege des geistlichen Lebens seiner
Mitglieder zur Aufgabe machte, und fand hier eine Stätte frucht-
barer Wirksamkeit, die ihn auch selbst sehr befriedigte.
Callenbergs wissenschaftliche Tüchtigkeit und sein reger
Eifer für alle Angelegenheiten des Reiches Gottes erweckten
dann in A. H. Franke den Wunsch, ihn der Universität Halle zu
erhalten. Dieser trug desshalb selbst dem Könige Friedrich
Wilhelm I. die Bitte vor, dass er Callenberg zum ausserordent-
lichen Professor der Philosophie an der Universität Halle ernennen
möge. Das geschah denn auch im Jahre 1727; im Jahre 1735
wurde er ordentlicher Professor der Philosophie und 1739 ordent-
licher Professor der Theologie an derselben Universität.
Als Docent breitete er sich über eine Reihe von Fächern
aus. Das Moser'sche Lexikon theilt z. B. 1740 mit: „Er liest
über die Historie der Gelehrsamkeit überhaupt und jeder Dis-
ciplin insbesondere, über die neuere jüdische Literatur, über das
Arabische, da nach vorangeschickter Erklärung der grammatischen
Lehren ein Stück des Koran erläutert wird, über das Syrische,
über die Rechte der Christen unter den Muhammedanern, über die
Metaphysik, sonderlich deren Anwendung in der Theologie, über
das Rabbinische, das Jüdisch-deutsche und hält ascetische Stunden."
Von 1735 ab las er ein Collegium „Wie man Juden zur
Bekehrung behilflich sein könne", welches z. B. im Jahre 1745
von über 100 Studenten besucht war.
Bei den Rationalisten fand er freilich keine Gnade. S emm-
ier ging so weit, ihm Kenntniss des Griechischen und Hebräischen
abzusprechen. Ganz anders lautet das Urtheil des Curators der
Halle'schen Universität von Ludwig aus dem Jahre 1730, welcher
von Callenberg schreibt, „dass er mit besonderer Wissenschaft in
den orientalischen Sprachen, absonderlich in den Schriften der
Rabbinen und talmudischen Lehrer, wie nicht minder im Arabi-
schen und was zum Verständniss des Alkoran gehört, ausgerüstet
ist". Und ebenso rühmt der Rostocker Professor A. Th. Hart-
mann, welcher doch durchaus nicht die theologische Richtung
Callenbergs theilte, in seinem Leben von Olaf Gerhard Tychsen,
dass Callenberg für sein nachmaliges Amt vorzüglich literarisch
vorgebildet gewesen sei.
Doch war er allerdings kein durch Selbständigkeit aus-
gezeichneter theologischer Docent und als theologischer wie
überhaupt als Schriftsteller nicht von Bedeutung. Es erschienen
— 252 —
von ihm, abgesehen von den für das Missionswerk verfassten
Schriften, Abhandlungen über arabische und griechische Sprache,
Studien philosophischen Inhalts und über Kirchengeschichte, aber
dieselben sind ohne besonderen Werth. Die gelehrte Literatur
und die Wissenschaft hat durch Callenberg keine bemerkens-
werthe Förderung erfahren.
Viel reichere Frucht dagegen brachten die im Missions-
interesse verfassten oder herausgegebenen Bücher Callenbergs;
wie denn überhaupt die Bedeutung dieses Mannes durchaus
nicht auf dem wissenschaftlichen, sondern auf dem Missions-
gebiete liegt.
Für das Missionswerk unter den Muhammedanern, an das
er ja zuerst herantrat, hat er theils selbst Schriften verfasst, theils
Uebersetzungen Anderer geliefert, theils Schriften, die bereits
vorhanden waren, in neuen Auflagen erscheinen lassen und dann
für ihre Verbreitung in muhammedanischen Gebieten Sorge
getragen.
Er veröffentlichte manche Abhandlungen theils polemischen
theils apologetischen Inhalts über den Koran, um damit dem
Christenthum die Bahn unter den Muhammedanern zu brechen.
Ausserdem übersetzte er selbst oder gab nach vorhandenen
Uebersetzungen heraus A. H. Frankes Ersten Unterricht in der
christlichen Lehre und die Lehre des Apostel Paulus über die
Rechtfertigung durch den Glauben, Hugo Grotius Von der Ver-
führung der Muhammedaner, für die unter den letzteren leben-
den Christen geschrieben, Freylinghausen Ordnung des Heils
ins Arabische übersetzt, ebenso einen Auszug aus der Geschichte
des Alten und des Neuen Testamentes, Buch i — 4 der Nachfolge
Christi von Thomas a Kempis und mehrere Gespräche, ebenso
das Gespräch Christi mit der Samariterin und die Geschichte der
Auferweckung des Lazarus; das Evangelium Matthäi, Apostel-
geschichte, Römer- und Hebräer-Brief, einen Theil der Bergpredigt,
die Auferstehungsgeschichte nach Lukas und das hohepriester-
liche Gebet aus dem Evangelium Johannis arabisch; Stücke aus
dem Evangelinm des Lukas und Johannes persisch; die Berg-
predigt nach Matthäus und Stücke aus den Briefen Petri und
Johannis türkisch. Dies alles neben der umfangreichen Juden-
missionsliteratur, von welcher später die Rede sein muss.
Was seine persönlichen Verhältnisse betrifft, so verheirathete
er sich 1733 mit Beata Amalie, ältesten Tochter des Geheimraths
— 253 —
und Professors der Jurisprudenz Gasser zu Halle. Aus dieser
Ehe hatte er einen Sohn, welcher Theolog wurde und später
St. Schultz in der Leitung des Institutum Judaicum unterstützte,
dessen weitere Schicksale aber zu ermitteln nicht gelungen ist.
Callenberg starb in einem Alter von 66 Jahren am 16. Juli
1760. Wenige Minuten vor seinem Tode wiederholte er, wie
das Leichenprogramm sagt, laut die Worte des Liedes „Kommt
her zu mir, spricht Gottes Sohn": „Es lebt kein Mann, der aus-
sprechen kann die Glorie und den ewigen Lohn, den euch der
Herr wird schenken."
Callenberg ragt, wie schon vorher bemerkt, unter den deut-
schen Gelehrten keineswegs hervor, als Professor war er nicht
besonders anregend, und ebensowenig darf man ihn einen in den
Erzeugnissen seiner Feder glücklichen Schriftsteller nennen. In
allen diesen Beziehungen wird sein Name nicht weiter genannt.
Er war aber einer der frömmsten Docenten, die je eine deutsche
LTniversität besessen hat, war sich stets dessen bewusst, dass er
für die Verwaltung der ihm von Gott verliehenen Gaben werde
Rechenschaft geben müssen, und für das Heil der Seelen anderer
unablässig bemüht. Seine Frömmigkeit und sein Wirken trugen
die Gestalt des deutschen Pietismus, dessen Kind Callenberg im
vollen Sinne war, und dessen Vorzüge sowohl als dessen Schwä-
chen an ihm klar ausgeprägt zu Tage treten. Aber durch seinen
Pietismus ist er das geworden, was er geworden ist, und hat er
es gelernt, unermüdlich mit seinem Pfunde zu wuchern, so dass
er im Arbeitseifer von wenigen Zeitgenossen übertroffen worden
ist. Und durch seinen Pietismus hat er das geleistet, was ihm
eine bleibende Bedeutung in der Geschichte der evangelischen
Kirche und der Kirche überhaupt verleiht. Er ist durch seinen
Pietismus in Wahrheit der Vater der evangelischen Judenmission
geworden. Denn durch ihn ist jenes Institutum Judaicum ins
Leben gerufen worden, das der eigentlichen Judenmission in der
evangelischen Kirche die Bahn gebrochen hat, die seitdem auch
nicht mehr aus dem Kreise der christlichen Thätigkeiten ver-
schwunden ist, sondern immer grössere und wachsende Maasse
angenommen hat, um es gerade in der Gegenwart mit dem all-
gemeinen Erwachen der Judenfrage geltend zu machen, dass sie
noch höhere Ansprüche zu erheben hat.
Das Beispiel des Institutum Judaicum bestimmt aber auch
noch heute die evangelische Judenmissionsthätigkeit und zieht in
254 —
derselben mehr denn je praktisch die Aufmerksamkeit auf sich.
Die Einwirkungen Callenbergs machen sich daher noch immer
spürbar und sind nicht abgeschlossene. Die Folgezeit wird dies
viel deutlicher erkennen und wird das Gedächtniss dieses Mannes
daher in ihrer Mitte noch lebendiger werden lassen.
d. Die Vorgeschichte des Institutum Judaicum.
Callenbergs Bericht, das arme jüdische Volk zur Erkenntniss
der christlichen Wahrheit anzuleiten, mit Fortsetzungen, Stück i
S. i ff., Stück 10 S. 89 ff. Stephan Schultz, Kurze Nachricht
von einer zum Heil der Juden u. s. w. errichteten Anstalt. Aufl. 2
1769. M. Joh. Müller, Sendschreiben. Dibre Emeth 1881 S. 33 ff.
Professor Callenberg hat als Gymnasiast in Gotha den
Unterricht des dortigen frommen Predigers Mag. Joh. Müller
genossen. Letzterer hatte 1 7 1 9 seinem früheren Lehrer, dem
Professor Mai in Giessen einen Aufsatz übersandt, in welchem er
den Juden das christliche Zeugniss nahe zu bringen suchte, und
den er zum Zwecke der leichteren Verbreitung unter jenen
in jüdisch lautenden Wendungen und deutsch -jüdischer Schrift
herauszugeben gedachte. Für diese Schrift fand sich jedoch kein
Verleger.
Besseren Erfolg hatte ein „Entwurf, wie mit Juden freundlich
umzugehen und von wahrer Herzensbekehrung zu reden sein möchte,
in einem Gespräche dargestellt". Diese mit einer Vorrede von Mai
versehene Schrift erschien 1716 in Giessen. Das eben gefeierte
Chanuka-Fest gibt hier einem Christen Gottlob Anlass, einem
Juden Jonathan vorzuhalten, dass ihnen doch die Opfer fehlten.
Wie sollten sie also Hilfe und Versöhnung finden? Busse und
eine Erlösung von Sünden seien nöthig, aber die gewöhnlichen
Sühnemittel und selbst der Tod reichten nicht zu, um ihnen die Er-
lösung zu schaffen. Die Propheten des Alten Testamentes da-
gegen hätten einen rechten Sündenträger nachgewiesen, besonders
Jesai C. 53 schildere ihn, und auch der Talmud habe hier den
Versöhner Israels erkannt.
Nach dieser Vorbereitung wird dann auf den Jesus des
Neuen Testamentes hingewiesen, und mit der Messiaslehre des-
selben werden auch die übrigen christlichen Lehren, besonders die
von der Dreieinigkeit gerechtfertigt. Das Gesetz habe seine
Bedeutung gehabt und dürfe freilich nicht von Menschen abgeändert
werden, wohl aber könne es Gott zu seiner Erfüllung bringen.
255 —
/■
Das hätten auch viele Rabbinen gelehrt und die Uebereinstim-
mung einiger derselben mit der christlichen Anschauung bildet
den Schluss der Ausführungen dieses Buches.
Von Müller war auch Callenberg auf die Juden hingewiesen
worden und hatte sich seitdem stets ein herzliches Interesse für
dieselben bewahrt. Als Student der Theologie in Halle hatte er
z. B. im Jahre 1720 ein von ihm selbst hernachmals mitgetheiltes
ausführliches Gespräch mit einem jüdischen Rabbi gehabt, das in
der 2. Fortsetzung S. 189 ff. enthalten ist.
In Halle hörte dann Callenberg, dass Müller sich noch
weiter mit dem Gedanken trage, Schriften in jüdisch -deutscher
Sprache und mit jüdischen Lettern gedruckt erscheinen zu lassen;
da die umfangreiche Literatur, welche bisher den Juden das
Christenthum predigen wollte, zu einem sehr grossen Theile ihren
Zweck nicht habe erfüllen können, weil sie in einer für die meisten
Juden unverständlichen Sprache, Schreib- und Druckweise er-
schienen sei. Müller hatte insbesondere Jahre lang ein Buch im
Manuscript liegen, welches im jüdisch-deutschen Gewände an das
Tageslicht treten und den Titel „Licht am Abend" führen sollte. Es
wollte sich aber für das Schriftchen kein Verleger finden lassen.
Als dies Callenberg zu Ohren kam, erwachte in ihm der Wunsch,
das Manuscript der Müller'schen Arbeit zu erlangen, damit das-
selbe nicht etwa verloren ginge. Callenberg schrieb desshalb an
Müller und sprach ihm die Bitte aus, ihm sein Manuscript anzu-
vertrauen, so wolle er sich dann um den Druck desselben be-
mühen. 1 723 schickte ihm Müller in der That auch das Er-
betene und ermächtigte ihn brieflich, mit demselben ganz nach
seinem Gutdünken zu verfahren.
Callenberg gab sich nun Mühe einen Verleger zu finden,
aber es wollte ihm damit nicht glücken. Da ersuchte er den
Verfasser ein Memorial aufzusetzen, in welchem er Beiträge er-
bitten sollte, damit der Druck seiner Arbeit ermöglicht würde.
Unter dem 23. Januar 1725 erhielt Callenberg das gewünschte
Schreiben, das hier um der Folgen willen, die es für die Mission
haben sollte, seine Stelle finden möge. Denn „das Licht am
Abend", um dessen Druck es sich in diesem Briefe handelt, hat
den eigentlichen Anstoss für die Errichtung des Institutum Judai-
cum gegeben.
„Allen, die Christum, den Preis Israels, lieb haben und in
seinem Namen zu Gott flehen für die Kinder Israel, dass sie
- 256 -
selig werden, Gnade, Heil und Segen von Gott dem Vater und
dem Herrn Jesu Christo.
Es hat der berühmte Altorf sehe Professor, Herr D. Wagen-
seil, in seinem schönen Traktat „Die Hoffnung der Erlösung
Israels" zur Bekehrung der Juden sehr nützlich erachtet, wenn
man kleine glimpfliche Büchlein schriebe und mit deutsch-hebräi-
schen Buchstaben drucken liesse, um dadurch auf eine angenehme
Art, als hättte man etwas für, den Juden ihr Elend fürzustellen
und zugleich durch starke Beweisgründe, denn die Worte der
Weisen sind Spiesse und Nägel, Prediger Salomonis 12, 1, die
Wahrheit der christlichen Religion zu beweisen.
Ferner hat der um die christliche Kirche hochverdiente
Theolog, der selige D. S pener, in verschiedenen Schriften wohl
erinnert, dass, wenn wir bekennten, gleichwie die Weissagungen
von Christi Geburt, Leben, Wundern, Tod und Auferstehung
nach dem Buchstaben erfüllt worden, also soll auch noch vieles,
was herrlich von Israel lautet, gleichfalls so klar und offenbar
erfüllt werden, als die Worte lauten, die Juden sodann aber viel
weniger wider unsere christliche Religion einzuwenden finden,
als da man unserseits so vieles in einem geistlichen oder allego-
rischen Verstand erfüllt zu sein vorgibt, während doch die vor-
gegebene Erfüllung bei weitem nicht der Herrlichkeit der Worte
gleichkommt.
Ferner habe in Betrachtung genommen, wie der heilige
Apostel, Römer 10, 3, dies als einen Hauptirrthum der Juden
anführt, dass sie die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, nicht er-
kennen, hingegen ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten trachten.
Habe also nöthig erachtet, ehe man von dem erschienenen Messias
mit ihnen handele, vorher von rechter Busse und dem tröstlichen
Amte des ihren Vätern verheissenen Messias aus Mose und den
Propheten, sonderlich aus Jesaia 53 gründlichen und kräftigen
Unterricht zu ertheilen, sodann weiter zu anderen Punkten zu
schreiten.
In Erwägung dieses alles habe ich vor etlichen Jahren einen
kleinen Traktat unter dem Titel „Licht am Abend" mit jüdisch-
deutscher Schrift den Juden zum Besten aufgesetzt und eine
geraume Zeit bei mir liegen gehabt. Wenn dann sich jetzt eine
Gelegenheit zeigt, denselben an das Licht zu bringen, so habe
ich auf Anrathen christlicher Freunde, meine hochzuverehrenden
Pierren, deren Herzenswunsch ist, dass die Kinder Israel sich
__ 257 __
bekehren, den Herrn ihren Gott und ihren König David, den
wahren Messias, der ihre und der ganzen Welt Sünde allbereit
getragen, in den nun immer näher herannahenden letzten Tagen
suchen möchten (Hosea 3, 5), dienstlich ersuchen wollen, zum
Verlag, der etwa 20 Thaler erfordern möchte, nach ihrer Bequem-
lickeit etwas beizutragen und Vorzeigern einzuhändigen.
Den Herrn unsern Gott, den einigen rechten Gott Abrahams,
Isaaks und Israels mit mir herzlich anrufend, dass er selbst seinen
Segen kräftiglich geben und den Zweck auf ihm gefällige Weise,
wozu durch dieses Werklein nur ein geringer Versuch, in gelas-
senem Vertrauen auf seine göttliche Kraft, Weisheit und Treue
dargelegt wird, zu seiner Zeit befördern wolle. Was also auf
den Geist gesäet wird, das wird gewiss eine freudenvolle Gnaden-
ernte in dieser und der zukünftigen Welt nach sich ziehen."
Callenberg übergab dieses Schreiben zuerst A. H. Franke,
der nicht bloss sofort einen Beitrag zur Herausgabe des Trak-
tates spendete, sondern auch unter das Müller'sche Memorial die
Bemerkung setzte: „Nachdem ich solches gelesen, contribuire mit
Freuden zu solchem Vorhaben 2 Thaler und ersuche auch andere
christlich gesinnte Gemüther, denen dieses zu Gesichte kommt,
nach Belieben einen Beitrag zu thun. Wie es zur Ehre Gottes
und zum Heil des armen Judenvolkes in der Wahrheit gemeint
ist, auch dies des werthen Herrn Autors besonders von Gott
empfangenes Talent ist, so wird es auch Gott nicht ungesegnet
lassen. Ach dass, gleich wie Joseph von seinen Brüdern endlich
erkannt ist, so auch du, Herr Jesu, von deinen Blutsfreunden,
den Juden, endlich bald möchtest erkannt werden."
Nach dieser Empfehlung von A. H. Franke erfolgten Gaben
von mehreren Seiten, unter anderen von Prof. D. Joh. Heinrich
Michaelis. Die für den Druck erforderliche Summe wurde
jedoch durch die erste Sammlung noch nicht zusammengebracht.
Im September 1 726 zeigte Müller dies den Freunden, welche sich
für seine Schrift interessirt hatten, an, und nun kam nicht bloss
die geforderte Summe, sondern auch noch etwas mehr ein, so
dass die nächste finanzielle Schwierigkeit erledigt schien.
Jetzt trat aber eine neue Schwierigkeit ein. Der Buch-
drucker hielt sein anfangs gegebenes Versprechen nicht, sondern
stellte höhere Forderungen, und man musste desshalb von ihm ab-
sehen. Da rieth der fromme, gelehrte und mit Callenberg herzlich
befreundete Proselyt Im. Frommann, damals Student der Medizin
J. F. A. de le Roi, Missionsbeziehungen. iy
258 -
in Halle, welcher das Manuscript gelesen hatte, Callenberg, sich
selbst jüdische Lettern anzuschaffen und dann den Traktat zu
drucken. Callenberg wollte zunächst auf diesen Vorschlag nicht
eingehen und versprach einem Drucker, wenn derselbe sich die
Lettern verschaffen wollte, ihm nicht bloss eine grosse Anzahl
von Exemplaren des Schriftchens abzunehmen, sondern auch
künftig noch anderes bei ihm drucken zu lassen. Aehnlich
lautete sein Anerbieten einem anderen gegenüber, aber in beiden
Fällen glückte es ihm nicht. Diese kleinen Umstände waren
jedoch nicht ein blosser Zufall, sondern wurden für die Weiter-
entwicklung des Callenberg'schen Werkes von grosser Bedeutung.
Frommann drang jetzt, da es Callenberg mit den Buchdruckern
nicht glückte, desto entschiedener in den Freund, die erforder-
lichen Lettern selbst anzuschaffen. Letzterer ersuchte den anderen
darauf, ihm einen Kostenanschlag aufzusetzen. Frommann that
dies, Callenberg bemerkte aber in diesem Anschlage keine Setzer-
gebühr notirt. Hierüber befragt antwortete Frommann, er wolle
selbst das Setzen lernen und so die Setzerkosten ersparen helfen.
Andere Einwendungen beseitigte Frommann ebenfalls , und so
wurden nun die Lettern bestellt.
Darüber war der Herbst 1727 herangekommen. Ehe aber
Callenberg zum Druck schritt, hatte er eine Reise nach Gotha
zu machen, auf die er Frommann mitnahm. Er selbst hatte
einige Tage in der Nachbarschaft von Gotha zu thun und sandte
desshalb den Freund zu Müller, um ihm die Nachricht zu bringen,
dass der Druck bevorstände. Frommann traf den greisen Geist-
lichen noch gesund an, und als derselbe hörte, dass jetzt das
Licht am Abend gedruckt werden solle, brach er bewegt in die
Worte aus: „Nun will ich mit Freuden sterben, nachdem ich das
gehört habe."
Unmittelbar nach Frommanns Weggang wurde Müller krank
und bettlägerig. Auf die Nachricht hiervon eilte Callenberg zu
ihm, fand ihn aber schon in den letzten Zügen. Wenige Stunden
nach Callenbergs Weggange starb Müller in seinem 80. Lebensjahre.
Nach der Rückkehr schritt nun Callenberg zum Druck,
wobei Frommann in der That die Arbeit eines Setzers verrichtete.
Im März 1728 wurde das Büchlein fertig und erschien in einer Auf-
lage von 1000 Exemplaren in 8°, 6V2 Bogen stark.
Die näheren Umstände, unter welchen es zum Drucke dieses
Traktates kam, verdienen aber darum besonderer und ausführlicher
— 259 —
Erwähnung, weil dieselben in mehrfacher Beziehung bemerkens-
werthe sind. Sie liefern besonders klar den Beweis, dass Callen-
berg nicht von schwärmerischen Gefühlen getrieben seine Hand
zu einem Werke an den Juden bot, sondern dass er von den
Verhältnissen förmlich gezwungen wurde, immer weiter vorwärts zu
gehen. Sie sind aber auch darum so beachtenswerthe, weil schein-
bare Kleinigkeiten den Anstoss dazu geben mussten, dass hier
nicht bloss ein einzelner Traktat ans Licht trat, sondern dass
gewisse Grundlagen zu einem Werke gelegt wurden, welches her-
nach eine im Anfange nicht geahnte Bedeutung gewonnen hat.
Die Errichtung einer eigenen Druckerei, zu welcher Callenberg
genöthigt wurde, ist für die Folge von grosser Wichtigkeit geworden.
Das Licht am Abend selbst aber hat nicht bloss eine merk-
würdige Entstehungsgeschichte, sondern hat alsdann auch im
Missionswerke eine besondere Stelle erlangt.
Diese Schrift trägt in ihrer ganzen Anlage einen eigenthüm-
lichen Charakter. Um ihr leichteren Eingang bei den Juden zu
verschaffen, hatte Müller gebeten, es nicht zu veröffentlichen, dass
ein Christ ihr Verfasser sei, sondern sie namenlos erscheinen zu
lassen. Frommann aber setzte Müllers Namen in hebräischer
Uebersetzung „Jochanan Kimchi" auf ihren Titel und erinnerte
damit an den berühmten Rabbi Kimchi.
Für die Behandlung des Themas ist die Gesprächsform
gewählt und in den Ausführungen alles vermieden , was dem
Juden von seinem Standpunkte aus fern lag. Müller tritt durch-
aus auf den Boden der jüdischen Anschauungen und beruft sich
nicht auf das Neue Testament, noch beweist er etwas von christ-
lichen Voraussetzungen aus, sondern er stützt sich überall auf das
Alte Testament an erster Stelle und nebenbei auf rabbinische
Autoritäten,
Das Gespräch geht von der Behauptung vieler christlichen
Priester aus, dass es für das gefangene Israel keine Erlösung mehr
gebe, da dieselbe bereits durch den Messias zur Zeit des zweiten
Tempels geschehen sei. Um so mehr wolle die Frage nach der
Erlösung der Juden untersucht sein.
Es wird nun zunächst festgestellt, dass der Erlösung Israels
nach den Propheten zuerst eine ernste Busse desselben voran-
gehen müsse, und dieselbe eine Frucht grosser Angst und Trübsal
die über Israel kommen würde, sein werde. Hierfür werden die
Zeugnisse des Alten Testamentes und von Rabbinen angeführt.
— 2Ö0 —
Hänge aber die Erlösung von wahrer Busse ab, so müsse diese
Busse auch recht verstanden werden. Wahre Busse sei eine
solche, die von ganzem Herzen und ganzer Seele geschehe. Die
Busse des Jörn Kippur oder Versöhntages, welche in nichts
anderem als in einigen leiblichen Kasteiungen bestehe, reiche
daher nicht aus und vermöge nicht die Sünden eines ganzen
Jahres zu tilgen. Tilgung der Sünde könne vielmehr allein durch
den Messias geschehen. Jesaia 53 zeige dies.
Alle Auslegungen dieses Kapitels, welche in demselben
etwas anderes als die Leiden des Messias für die Sünder haben
erblicken wollen, werden dann als falsche dargethan. Die alten
Rabbinen freilich hätten in diesem Kapitel nur die leiblich er-
littenen Plagen des Messias erblickt.
Auf die Person dieses Messias wird alsdann des Näheren
eingegangen. In ihm habe sich nach der jüdischen Lehre die
genaueste Verbindung der göttlichen Natur, für welche der Ver-
fasser die unter den Juden bekannten Namen Schechina und
Memra gebraucht, mit einem menschlichen Leibe und einer
menschlichen Seele vollzogen, so dass er in Wahrheit „Herr, der
unsere Gerechtigkeit ist", heissen kann. Die göttliche Natur dieses
Messias führt dann weiter zu näherem Eingehen auf das göttliche
Wesen überhaupt, und werden hierbei jüdische Zeugnisse, welche
von einer Dreiheit in der Einheit des göttlichen Wesens reden,
angeführt.
Um aber an diesem Messias Theil zu haben, bedürfe man
der inneren Reinigung durch reines Wasser, und um ihm bleibend
anzugehören, müsse man slsdann auch sein Leben in dankbarer
Liebe gegen ihn führen.
Nachdem der Verfasser so den ganzen Heilsweg beschrieben
hat , geht er darauf ein , dass viele Christen den Juden die Er-
lösung nicht gönnen. Doch ihr Evangelium sei daran nicht
Schuld, denn dieses lehre das Gegentheil. Auf dieses Evangelium
möge aber diesmal nur eben hingewiesen und von ihm nicht
besonders geredet werden, fügt der Verfasser hinzu und weist so
leise auf dasselbe hin, nachdem er den Inhalt des Alten Testa-
mentes und eines Theiles der rabbinischen Literatur als mit dem
Evangelium übereinstimmend dargestellt und so wie von selbst
die Brücke zu Jesu und zum Christenthum geschlagen hat.
Dieses Buch nun fand eine ausserordentliche Verbreitung
unter den Juden. Es wurde nicht bloss durch die Callenberg'-
— 2ÖI —
sehen Missionare und durch viele Christen unter ihnen umsonst
vertheilt, sondern vielfach auch von den Juden gekauft und an-
fangs sogar in ganzen Partieen. 1736 musste es Callenberg in
hochdeutscher Uebersetzung erscheinen lassen, 1 73 1 hatte bereits
die Society for promoting Christian Knowledge eine englische
Uebersetzung des Traktates veranstaltet; der holländische Prediger
W. H. Geestmann übertrug es 1735 ins Holländische und liess
es in Nimwegen drucken, damit es unter den portugiesischen
Juden verbreitet würde. 1732 erschien eine italienische Ueber-
setzung durch Conrektor Ludwig Vockerodt in Brandenburg,
1748 eine französische durch Professor Ruchat in Lausanne.
Die Londoner Missionsgesellschaft hat es dann in diesem Jahr-
hundert neu aufgelegt und verbreitet es auch heute noch in
jüdisch- deutscher, jüdisch -polnischer, hebräischer und englischer
Uebersetzung. Es wird aber auch in der Gegenwart noch mit
Nutzen besonders in den Kreisen der östlichen Juden gebraucht.
Ganz besonders sichtlich war der Eindruck, den diese Schrift
auf die Juden jener Tage machte; sie gehörte Jahrzehnte hindurch
zu den unter den Juden gelesensten und gefürchtetsten Büchern ;
und die Callenberg'schen Berichte wissen eine ganze Reihe von
Bekehrungen, welche das Licht am Abend herbeigeführt hat, zu
melden. Unter anderen wird ein in Königsberg studirender
Proselyt erwähnt, den das Licht am Abend zur Erkenntniss
Christi gebracht habe.
Müller hat dem Professor Callenberg noch eine andere
Schrift im Manuscript hinterlassen, welche sein Freund alsdann
unter dem Titel „Sendschreiben an die europäische Judenschaft"
in jüdisch- deutscher Sprache 1729 herausgab, und die von der
Vergebung der Sünden handelt. Das Büchlein ist unter dem
Namen „Das kleine Sendschreiben" in der Mission bekannt ge-
worden und erlebte auch eine hochdeutsche und eine englische
Uebersetzung. Hier wird zunächst die Beschuldigung, dass die
Juden Christenblut gebrauchten, widerlegt und dann auf ihre
wirkliche Schuld eingegangen. Die Mittel, welche die Juden
wählen, von ihrer Schuld frei zu werden, werden ihnen als
nichtige nachgewiesen; Vergebung der Sünden könne allein durch
den Messias und nur durch eine wahre Bekehrung zu demselben
erfolgen; worauf dann auf die Person und das Werk desselben
weiter eingegangen wird.
— 2Ö2 —
Von demselben Verfasser verbreitete die Halle'sche Mission
auch das sogenannte „Grössere Sendschreiben", welches ein Aus-
zug aus dem Licht am Abend ist und 1732 in jüdisch-deutscher
Sprache herauskam. Dasselbe fand besonderen Eingang in
jüdischen Kreisen, 1746 erschien es in vierter Auflage und
wurde in Amsterdam von dortigen Juden selbst 1734 in das
Holländische übersetzt; irrthümlich sah man Callenberg für den
Verfasser des Büchleins an.
e. Die Anfänge des Institutum Judaicum.
Callenberg, Andere Fortsetzung des Berichtes S. 117 ff.
Callenberg, Neue summarische Nachricht.
Professor Callenberg fühlte sich gedrungen, einen öffentlichen
Bericht über seine Bemühungen, die auf den Druck des Lichtes
am Abend gerichtet waren, abzustatten und den Gebern für die
empfangenen Beiträge zu danken. Er that dies unter dem
3. April 1728 und betrachtete hernach selbst diesen Tag als den
eigentlichen Anfang des Institutum Judaicum. In diesem Berichte
erklärte er nämlich zugleich, dass er seine Thätigkerr. für die
Beförderung christlicher Erkenntniss unter den Juden mit der
Herausgabe des einen Buches nicht für abgeschlossen halten
dürfe, da er durch die Umstände den Fingerzeig erhalten habe,
auf diesem Gebiete weiter vorwärts zu gehen.
Er hatte sich ja genöthigt gesehen, für den Druck des
Licht am Abend eigene jüdische Lettern anzuschaffen; und da
so nun eine jüdische Druckerei vorhanden war, erkannte er, dass
„eine Gelegenheit vorhanden sei, dem jüdischen Volke mit einem
Mehreren zu dienen". Sein Bericht sollte auch hierauf hinweisen
und Christen dazu ermuntern, dass sie ihm für weitere literarische
Wirksamkeit unter den Juden in der eingeschlagenen Richtung
Handreichung thäten. Gleichzeitig bat er, dass man ihm auch
für eine weitere Verbreitung evangelischer Schriften unter den
Muhammedanern behilflich sein wolle und ihm Unterstützungen
zukommen lassen möge, damit er eine arabische Druckerei an-
zulegen im Stande wäre.
Dieser Bericht nun fand nicht bloss eine gute Aufnahme,
sondern hatte auch zur Folge, dass Callenberg von den verschie-
densten Orten her die Aufforderung erhielt, nach den oben
genannten beiden Seiten hin das begonnene Werk fortzusetzen.
Gleichzeitig liefen verhältnissmässig ansehnliche Spenden bei ihm
— 263 —
ein. Im Oktober 1728 wurden ihm an einem Tage aus Holland
58 Thaler übersandt. In denselben Tagen erhielt er aber auch
J3 Thaler von G. A. Franke, dem Sohne des A. H. Franke,
welche demselben für Callenberg übergeben worden waren, zu-
gestellt, und gleichzeitig ermunterte ihn derselbe, indem er ihn
auf das Beispiel seines Vaters A. H. Franke hinwies, „mit dieser
schönen Summe etwas Rechtes anzufangen". Diese Mahnung fiel
auf einen guten Boden. Callenberg erinnerte sich jetzt an einen
Wunsch des württembergischen Prälaten D. Hochstetter, von
dem er einmal in einer Vorlesung A. Ff. Frankes gehört hatte,
und der ihm hernach bei der Herausgabe der Franke'schen
Leichenpredigten aufs Neue ins Gedächtniss zurückgerufen worden
war (S. 978).
Jener württembergische Theologe hatte nämlich gegen den
ihn besuchenden A. H. Franke geäussert, dass ihm ein Wunsch,
den er gehegt, durch Halle in Erfüllung gegangen sei, während
ein anderer, den er gleichfalls in seinem Herzen hege, noch der
Erfüllung harre. Auf Frankes Frage, was das für ein Wunsch
sei, antwortete Hochstetter: „Die Sache, die erlangt sei, wäre
diese, dass von der evangelischen Kirche der grosse Makel ab-
gewischt sei, welchen ihr die Papisten allezeit vorgeworfen, warum
die Evangelischen nicht ausgingen, die Bekehrung der Heiden
zu suchen. Wären sie die wahre Kirche, so würden sie an das
Wort denken: gehet hin in alle Welt u. s. w. Diesen Vorwurf
hat Gott durch Ihre Mission hinweggenommen, da von Ihrem
Orte Leute unter die Heiden gegangen sind". Als ihn dann
aber Franke bat, ihm auch die Sache zu nennen, die er noch
wünsche, antwortete Hochstetter: „Unserer evangelischen Kirche
wäre es ein grosser Vorwurf, dass, wenn Ungläubige wie Juden
u. s. w. zu uns kämen, Niemand wäre, der sich ihrer recht an-
nehme, so dass sie kaum fänden, dass sie mit Fleiss in der
evangelischen Wahrheit unterrichtet würden. Und wäre endlich
dies noch geschehen, so gebe man ihnen einen Bettelbrief in die
Hände und schicke sie damit fort. Weil sie dabei nun aber
Jedermanns Vorwurf wären, schrecke dies die Menschen gewaltig
ab und verursache, dass sie sich nicht zu uns thäten, da sonst
kein Zweifel wäre, dass noch gar viele von den Juden zu dem
Glauben an Christum und von den Irrgläubigen zu der Erkennt-
niss der reinen evangelischen W7ahrheit gebracht werden könnten,
wenn wir uns in der Liebe gegen sie besser erwiesen, sie auf-
— 264 —
nahmen und ihnen den Weg zeigten, welchen sie wandeln sollten.
Dies wünschte ich noch erfüllt zu sehen."
Später erzählte Franke den Studirenden in Halle, dass er
diese frommen Wünsche nicht in seinem Herzen allein verwahren,
sondern auch ihnen dieselben habe mittheilen wollen. Denn es
gebe eine Zeit, da man fromme Wünsche so, wie es Spener
gethan habe, ausspreche und eine andere, da Gott die Wege und
Mittel zeige, sie zu erfüllen. Solche Wünsche müsse man aber,
wenn man deren Erfüllung nicht sogleich erlebe, desshalb nicht
für unausführbar halten, sondern sie den Nachkommen übergeben,
damit sie von ihnen ins Werk gesetzt würden.
Als Callenberg damals A. H. Franke diese Worte aus-
sprechen hörte, so theilt er bei Gelegenheit des Empfanges jenes
Geldes mit, hätten sie ihm zwar einen tiefen Eindruck gemacht,
er habe aber nicht geglaubt, dass Jemand den Anfang damit
machen würde, sie der Erfüllung entgegenzuführen. Jetzt aber,
als er die ansehnliche Liebesgabe aus den Händen des Sohnes
von A. H. Franke in den Händen hielt, sei ihm das Wort des
Vaters wieder aufs Herz gefallen und er habe beschlossen, diese
Gabe dafür zu verwenden, dass mit einem auf das Heil der
Juden gerichteten Werke ein ernstlicher Anfang gemacht werde.
Von jetzt ab liess es denn auch Callenberg keine Ruhe
mehr, sondern er fühlte sich innerlichst gedrängt, weiter zu gehen.
Er hatte schon vorher Sorge darum getragen, dass auch das
Licht am Abend möglichst verbreitet würde und besonders in
die Hände der Juden käme. Zu diesem Zwecke hatte er einen
alten bedürftigen Franzosen angestellt, dass er das Büchlein als
Colporteur herumtrage und anbiete, und so im Verlaufe eines
Vierteljahres allein 216 Exemplare desselben an Juden verkauft;
abgesehen von der Zahl derer, die an Juden verschenkt oder an
Christen abgesetzt worden waren. Ebenso hatte Callenberg
seinen Freund Frommann beauftragt, das Evangelium des
Lucas und die Apostelgeschichte ins Jüdisch -deutsche zu
übersetzen.
Nun aber erbot sich auch ein christlicher Freund in Halle,
der in der Jugend das Buchdrucken erlernt hatte, alles, was in
dem Institutum Judaicum erscheinen würde, für dasselbe umsonst
zu setzen. Callenbergs Muth wuchs darüber und er dachte jetzt
daran, nicht allein den Juden, welche das Jüdisch -deutsche
sprachen, sondern den Juden überall das Evangelium zugänglich
— 2Ö5 —
zu machen. Dazu war es aber nöthig, dass die hebräische
Sprache erwählt wurde, weil diese allein den Juden der verschie-
denen Länder gemeinsam und überall verständlich war.
Callenberg trug sich jetzt also mit dem Plane einer hebräi-
schen Uebersetzung des Evangeliums Lucä, da er die Hutter'sche
Uebersetzung mit Recht nicht für zureichend hielt, und bot es
dann Frommann an, eine solche Uebersetzung des Evangeliums
und der Apostelgeschichte des Lucas anzufertigen. In demselben
Jahre wurden auch noch rabbinische Lettern angeschafft, und
erschien Müllers erstes Sendschreiben in jüdisch-deutscher Sprache.
Unter den Studenten der Universität Halle blieben diese
Bemühungen Callenbergs nicht unbemerkt. Bald nach der Ver-
öffentlichung des Licht am Abend that sich eine Anzahl der-
selben zusammen, um das Jüdisch-deutsche zu erlernen und sich
darauf vorzubereiten, dass sie in ihrem zukünftigen Amte auch
den Juden dienlich werden könnten. Callenberg aber wollte die
sich hier bietende Gelegenheit, das Werk in weitere Kreise zu
tragen und die künftigen Diener der Kirche bei Zeiten in dasselbe
hineinzuziehen, nicht unbenutzt lassen, sondern griff mit Freuden
zu und bot den Studierenden die Hand, zunächst auf eine leichte
Weise der Sache näher zu treten. Er las also, obwohl Professor
der Philosophie, denselben im Jahre 1729 zum ersten Male ein
auf die Mission bezügliches Colleg, und zwar über das Licht am
Abend und über das Jüdisch-deutsche.
Im Juli desselben Jahres aber bat ihn dann der Student
der Theologie A. Maniti us nicht bloss um erneuerten Unterricht
im Jüdisch-deutschen, sondern auch um Errichtung eines Seminars,
in welchem Studenten Anleitung und Vorbereitung für eine Arbeit
an den Juden erhalten möchten. Für ein Unternehmen solcher
Art aber hatte der vorsichtige Callenberg noch nicht den rechten
Muth; denn es gehörte nun einmal zu den Schranken des Mannes,
dass er weiter aussehende und weiter greifende Pläne erst sehr
allmählig und nur unter dem Drange der Verhältnisse fassen lernte.
Doch erklärte er sich jetzt bereit, den Studenten ein Colleg in
wöchentlich einer Stunde zu lesen, welches ihnen die erwünschte
Anleitung geben sollte. Diese Vorlesung trat denn auch sogleich
ins Leben, und Callenberg las hier über das rabbinische Schrift-
thum, über die Zustände unter den Juden, und wie man christ-
licherseits dieselben für die Wahrheit des Evangeliums zu gewinnen
suchen solle.
— 266 —
Die Einnahmen des Jahres 1728 beliefen sich bereits auf
fast 300 Thaler; sie wuchsen dann aber, und bald flössen ihm
Beiträge aus ganz Deutschland, Russland, Dänemark, England,
Oesterreich und Italien zu. Die ihm dargebotenen Mittel un-
benutzt liegen zu lassen, gestattete Callenberg sein zartes
Gewissen nicht. Denn er war in seltenem Maasse von dem
Gefühle durchdrungen, dass er für die Verwaltung der ihm von
Gott und für sein Reich übergebenen Mittel werde Rechenschaft
geben müssen. Im März 1730 berichtet er denn auch, dass
bereits eine Druckerei mit hebräischen, deutschen, jüdisch-deutschen
und arabischen Lettern vorhanden sei. Bei der Druckerei seien
3 bekehrte Juden beschäftigt, nämlich Frommann, damals noch
Student der Medizin, der Schriften in hebräischer, rabbinischer
und jüdisch- deutscher Sprache ausarbeite, ein anderer, der zu
copiren habe, und ein dritter, welchen das Institutum ganz erhalte,
indem er die Stelle des Setzers in der Druckerei einnehme.
Herausgekommen seien bis dahin, also im Laufe von zwei
Jahren, in jüdisch -deutscher Sprache das Licht am Abend, ein
Brief an die Judenschaft und die Bergpredigt; im Drucke befänden
sich das Evangelium und die Apostelgeschichte des Lucas;
in arabischer Sprache Luthers Katechismus, ein Stück der Berg-
predigt, der Anfang der christlichen Lehre von A. H. Franke
und des Apostel Paulus Lehre von der Rechtfertigung durch den
Glauben, von Freilinghausen endlich die Ordnung des Heils.
Callenberg aber erkannte jetzt auch bereits, dass er auf die
Herstellung einer Missionsliteratur Bedacht zu nehmen habe, die
nach einem ganz bestimmten Plan erwachsen müsse. Vor allem
käme es darauf an, das Neue Testament theils mit kürzeren,,
theils mit ausführlicheren Erklärungen und Anmerkungen heraus-
zugeben, in den letzteren die Einwürfe der Juden zu widerlegen
und die Uebereinstimmung beider Testamente darzuthun, Stellen
aus dem Alten Testamente, welche vom Messias handeln, den
Juden gründlich zu erklären und ihnen ausführlich zu beweisen,,
dass auch das Neue Testament Gottes Wort sei, Schriften her-
auszugeben , welche die christliche Lehre im Zusammenhange
darlegen und dieselbe durch das Alte Testament zu stützen,
aber auch andere erscheinen zu lassen, welche die Widerlegung
der jüdischen Irrthümer und Vorurtheile zum Zwecke hätten;,
ferner eine kurzgefasste Kirchengeschichte zu liefern, welche den
jüdischen Verunstaltungen und Verdrehungen der christlichen
— 267 —
Kirchengeschichte entgegenzutreten hätte, und eine Schrift dar-
zubieten, die sich mit den verschiedenen Kirchen der Gegenwart
beschäftige und dieselben an der Lehre des Neuen Testamentes
prüfe, damit den Juden einerseits der Anstoss der Spaltung der
christlichen Kirche aus dem Wege geräumt würde, und damit
dieselben anderseits wüssten, an welche der vorhandenen Kirchen
sie sich anschliessen sollten.
So klar erkannte Callenberg bald die Bedürfnisse, die eine
ihrer Aufgabe entsprechenden Missionsliteratur zu befriedigen
habe; und an diesem Punkte trat es sogleich zu Tage, dass er
in hohem Grade dazu berufen war, auf diesem Gebiete unter
seinen Zeitgenossen die Führung zu übernehmen.
Ein Ueberschlag über die ihm zufiiessenden Gelder sagte
ihm aber auch, dass er sich auf die literarische Thätigkeit nicht
zu beschränken habe, sondern dass ihm die Mittel für eine darüber
hinaus zu entfaltende Thätigkeit geboten wären. Sofort war er
desshalb entschlossen, noch an einer anderen Stelle einzusetzen,
die eben so laut und dringend die Hilfe der Christen, denen das
Wohl der Juden am Herzen lag, erforderte. Den elenden Zustand
vieler Proselyten hatte schon A. H. Franke das vornehmste Hinder-
niss, dass sich die Juden nicht zu Christo bekehren wollten,
genannt. Dieses Wort seines Lehrers und die eigene Erfahrung
Callenbergs führten denselben zu der Erkenntniss , dass es hier
dringend nöthig sei, die bessernde Hand anzulegen.
Unter dem 8. August 1729 liess er denn auch bereits eine
„Nachricht, betreffend einige Fürsorge für diejenigen Juden, welche
die christliche Religion angenommen haben", ausgehen. Hier
bezeugt er nun den Christen die traurige Lage vieler Proselyten,
welche die Juden abschrecken müsse, das Christenthum anzunehmen.
Viele dieser Proselyten hätten während ihrer Zubereitung zur
Taufe keine gründliche Erkenntniss von dem rechtschaffenen
Wesen in Christo erlangt, und die meisten seien dann auch um
die Erlangung einer besseren Erkenntniss unbekümmert, sondern
wanderten nur als Bettler von Ort zu Ort und kämen hierbei
oft völlig um allen christlichen Sinn.
Die ihm Ende des vergangenen Jahres übergebene grössere
Summe habe aber in ihm den Vorsatz wach gerufen, was er an
seinem Theile dazu beitragen könne, zu thun, damit dem Elend
der herumwandernden Proselyten ein Ende gemacht werde. Die
Beiträge der Freunde des Institutum hätten ihn in den Stand
— 268 —
gesetzt, 200 Thaler als ein Kapital, das jährlich 12 Thaler Zinsen
abwürfe, zurückzulegen. So klein diese Summe sei, habe er sich
doch vorgenommen, von derselben wenigstens den besten Gebrauch
zu machen. Er habe also daran gedacht, da die Zahl der durch
Halle wandernden Proselyten eine sehr bedeutende sei, ihrer
grossen Unwissenheit und Herzensverkehrtheit doch ein wenig
abzuhelfen. Ein alter frommer Candidat (Leichner) habe sich
erboten, ihm hierin ohne jeden Entgelt behilflich zu sein. So
wolle er nun jeden durchreisenden Proselyten zunächst drei Tage
in Halle behalten, demselben für jeden Tag drei Groschen geben
und ihn durch den betreffenden Candidaten täglich zwei Stunden
unterrichten lassen; selbst aber wolle er am letzten Tage, soviel
es seine Geschäfte erlaubten, mit jedem dieser Wanderer, ehe er
nun Halle wieder verlasse, noch einmal sprechen. Käme mehr
Geld ein, dann solle die Zeit, die ein solcher durchreisender
Proselyt in Halle zurückgehalten und aufgenommen würde, um
ihm Unterricht und Pflege angedeihen zu lassen, auf eine oder zwei
bis vier Wochen ausgedehnt werden, damit so für das geistliche
Wohl der armen Leute gesorgt werden könne; zugleich aber
wolle er Erkundigungen einziehen, wo sie sich bleibend ihr Brot
erwerben könnten, damit ihrem unsteten Leben ein Ziel gesetzt
werde. Der Setzer des Institutum war auf diese Weise z. B. zu
einem festen Brote gebracht worden. Alle Arbeit, die das Insti-
tutum zu verrichten hatte, Hess Callenberg überhaupt, so weit es
irgend anging, durch Proselyten geschehen. Im Jahre 1730 aber
konnte bereits die Aufenthaltszeit für die Durchwandernden auf
acht Tage festgesetzt werden.
Den in Halle wohnhaften Proselyten hielt Callenberg seit
1730 an jedem Sonntag Abend zwischen 6 und 7 Uhr eine Er-
bauungsstunde, der auch andere Christen beiwohnten; und den
Unterstützungsbedürftigen unter diesen Proselyten wurde nach
Möglichkeit unter die Arme gegriffen, insbesondere aber die
Theilnahme der Christen für sie angesprochen.
Ernste Sorge widmete Callenberg den sich zur Taufe mel-
denden Juden. Er suchte sich durch Erkundigungen, die auch
selbst bei Juden in vorsichtiger Weise eingezogen wurden, über
den Charakter derselben Gewissheit zu verschaffen, und wandte
sich, wenn die Nachrichten günstig lauteten, an das Stadtministerium
in Halle oder an andere Orte, die sich stets willig zeigten, von
— 269 —
Callenberg empfohlene Katechumenen aufzunehmen und für ihren
Unterhalt während des Unterrichts Sorge zu tragen.
Zur Förderung seines Unternehmens erhielt Callenberg auch
schon früh von sehr verschiedenen Seiten her Bücher zugeschickt,
die für das Institutum von Interesse sein mussten, und bildeten
dieselben dann den ersten Grundstock der nachmaligen und nicht
ganz unbedeutenden Bibliothek der Missionsanstalt.
f. Zur Charakterisirung der Mission des Institutum.
Callenberg, Neue Summarische Nachricht S. 19 ff. Stephan
Schultz, Kurze Nachricht von einer zum Heile der Juden und
Muhammedaner errichteten Anstalt.
Am 9. Oktober 1730 kam ein Magister Johann Georg
Widmann zu Professor Callenberg in Halle. Er theilte dem-
selben mit, dass er seit Mitte des Jahres 1728 Reisen unter den
Juden Ungarns und Polens gemacht habe, um dieselben zur Er-
kenntniss Christi zu führen, und dass er von ihnen vielfach sehr
wohl aufgenommen worden sei. In Wien habe er dann eine
Anzahl der von dem Professor herausgegebenen Schriften durch
Freunde des Callenberg'schen Unternehmens erhalten und sei von
ihnen aufgefordert worden, diese unter den Juden zu verbreiten.
Das habe er auch und mit gutem Erfolge gethan. Mehrere an-
gesehene Evangelische in Wien hätten ihm dann aber gerathen,
nach Halle zu gehen, um sein Werk in Verbindung mit Callen-
berg fortzusetzen. Dem Rathe sei er gefolgt und er wolle nun
den Professor bitten, ihm eine Anzahl seiner Bücher zu übergeben,
damit er dieselben auf seinen weiteren Reisen unter den Juden
verbreiten könne. Callenberg war dieser Vorschlag ganz genehm,
doch wollte er zuvor Widmann näher kennen lernen. Er forderte
ihn desshalb auf, sich einige Zeit in Halle aufzuhalten, und Wid-
mann ging gern darauf ein. Professor Callenberg bat indess den
Studiosus Johann Andreas Manitius, dem er besonderes Ver-
trauen schenkte, sich mit Widmann bekannt zu machen, und ihm
zu sagen, welchen Eindruck er von demselben erhalten habe.
Manitius wurde durch den Ernst Widmanns für denselben sehr
eingenommen, und die Erzählungen des Magisters von seinen
Reisen unter den Juden erweckten in dem Studenten den leb-
haften Wunsch, vereint mit Widmann und in der von diesem
geschilderten Weise die Juden gleichfalls aufzusuchen.
— 270 —
Nachdem aber die beiden Theologen über eine gemeinsame
Missionsreise mit einander eins geworden waren, setzten sie
Callenberg hiervon in Kenntniss, und derselbe sprach ihnen seine
Bereitwilligkeit aus, sie bei ihrem Unternehmen zu unterstützen,
und „so lange sie solche Reisen in christlicher Ordnung und auf
eine Studenten der Theologie anständige Art verrichteten, ihnen
den nothdürftigen Unterhalt zu reichen". Mit diesem Versprechen
händigte er ihnen zunächst eine kleine Summe Geldes für die
von ihnen selbst zunächst ins Auge gefasste Reise und 600 Exem-
plare der von ihm herausgegebenen Bücher zur Vertheilung unter
den Juden ein.
Am 16. November 1730 begannen also Widmann und
Manitius die erste Missionsreise, welche in Verbindung mit dem
Institut um Judaicum geschah.
Von da ab hat aber das Missionswerk des Institutum seine
feste und bleibende Gestalt gewonnen. Zwei noch nicht im Amte
stehende Theologen hatten sich Callenberg zu Missionsreisen unter
den Juden zur Verfügung gestellt. Gerade derartige Personen
aber waren schon von Wagenseil und anderen Freunden der
Juden für die Ausübung eines eigentlichen Missionswerkes unter
denselben als die geeignetesten Persönlichkeiten angesehen worden.
Und da sich jetzt ungesucht die Gelegenheit bot, den theoretisch
erörterten Plan in die Wirklichkeit überzusetzen, wollte auch Callen-
berg dieselbe nicht unbenutzt vorübergehen lassen, wiewohl er
mit Bedenken und sehr vorsichtig an das Werk herantrat.
Nach vielen Beziehungen mussten aber auch in dei\ That
Theologen, welche ihre Universitätsstudien beendigt hatten, für ein
Missionswerk unter den damaligen Juden als die Persönlichkeiten
erscheinen, welche am meisten dazu geeignet seien, für einige
Zeit ihre Kräfte der Judenmission zu widmen. Callenberg dachte
niemals an lebenslang anzustellende und pensionsberechtigte
Missionare, wie er ja auch den Namen Missionare und Mission
in seinem Werke geflissentlich vermied. Schon die ihm zur
Verfügung stehenden Mittel Hessen ihn im Anfange nicht daran
denken, Männer anzustellen, welche die Mission zu ihrem bleiben-
den Lebensberufe erwählten, sich verheiratheten und nun bis an
ihr Ende hätten versorgt werden müssen. Nie und auch nicht,
als die reichlicher zufliessenden Beiträge, an eine Erweiterung
des begonnenen Werkes zu einem Missionsunternehmen in solcher
Gestalt zu denken die Veranlassung hätten geben können, ist
— 271 —
Callenberg hierzu fortgeschritten; vielleicht schon desshalb nicht,
weil er weiter ausgehende Pläne überhaupt niemals gern fasste.
Sondern sein Plan blieb immer derselbe: es sollten sich Candidaten,
ehe sie das Pfarramt übernahmen, für einige Jahre dem Institutum
für die Arbeit unter den Juden zur Verfügung stellen. Stets gar
zu ängstlich besorgt, nicht eigenwillige Wege zu gehen, wollte
Callenberg in dem Einlaufen oder Ausbleiben der Geldmittel die
Weisung erblicken, ob er das angefangene Werk fortführen oder
einstellen solle. Auch desshalb eben wollte er es stets nur mit
Persönlichkeiten zu thun haben , die ihm keine zu grossen Ver-
bindlichkeiten auferlegten, und immer in der Lage sein, das Ver-
hältniss mit ihnen leicht zu lösen.
Freilich sind alle diese Einzelheiten aber auch für Callenberg
charakteristisch und zeigen, dass er an der pietistischen Aengst-
lichkeit in zu hohem Maasse litt. Hätte er sich von derselben
ermannen können, dann würde er sich nicht immer von den
Verhältnissen haben schieben und zwingen lassen, vorwärts zu
gehen, sondern er würde in den zum Fortschreiten einladenden
Verhältnissen einen Wink Gottes erkannt haben, frischer, fröh-
licher, umfangreicher und in viel grösserem Geiste das Missions-
werk aufzunehmen. Jene erste Judenmission hätte alsdann ganz
andere Maasse angenommen und wäre nicht in allzu bescheidenen
Verhältnissen geblieben, wie es thatsächlich der Fall war. Sie
hat ihre Kraft nicht entfalten können, weil ihr Callenberg dies
nicht recht gestattete, und doch waren die innere Anlage und
die inneren Bedingungen für ein grösseres Werk damals wohl
vorhanden.
Der Pietismus des Gründers der ersten evangelischen Juden-
mission war, wie früher gesagt, die Triebkraft gewesen, aus
welcher dieses Werk erwuchs, aber er wurde auch die hemmende
Schranke desselben. Denn nicht zum wenigsten freilich lag es
an dem historischen Pietismus, dass diese Pflanze nicht zu einem
wahrhaft starken Lebensbaum heranwuchs, sondern dass sie,
wenngleich gesund, doch zart blieb. Die Persönlichkeit Callen-
bergs verkündigte es gewissermaassen von vornherein, was dieses
Missionsunternehmen leisten und was es nicht leisten werde.
Freilich die Verwendung junger Theologen war, wenn man
die Geschichte des Institutum überblickt, kein Fehler. Mangelte
es einigen derselben zuerst noch an gereifterer christlicher Er-
fahrung, so belebte sie anderseits doch ein frischer Muth; sie
— 272 —
waren ungetheilt bei der Arbeit, von der Sorge für Weib und Kind
unbeschwert, fühlten als junge Männer nicht so schwer wie
Aeltere die Entbehrungen, welche ihnen auferlegt waren, Hessen
sich an den bescheidensten äusseren Verhältnissen genügen und
wuchsen oft sehr schnell in ihr Amt hinein. Wenn sie dann in
den Pfarrdienst traten, brachten sie in denselben eine grössere
Erfahrung als die meisten ihrer Amtsgenossen mit, und nicht
wenige von ihnen haben sich in ihren späteren Stellungen im
besonderen Maasse bewährt.
Ueber ihre Thätigkeit und Erlebnisse mussten die Missionare
Tagebücher führen, die Anfangs nebst allem, was sonst bei dem
Institutum vorfiel, Callenbergs Berichte in ihrer vollen Ausführ-
lichkeit mittheilen, später aber in verkürzter Gestalt wiedergeben.
Es erschienen so ein Bericht mit 16 Fortsetzungen, Relation von
einer weiteren Bemühung u. s. w. 30 Stück, Christliche Bereisung
der Judenörter 4 Stück, und Fortwährende Bemühung um das
Heil des jüdischen Volkes 9 Stück, das alles den Zeitraum von
1728 — 1758 umfassend. Sind diese Berichte ungemein weit-
schweifig und bringen sie, wie es in der Natur der Sache liegt,
eine Häufung von Gesprächen und Vorgängen, die einander sehr
ähnlich sind, so dass sie den Leser oft ermüden, so gewähren sie
anderseits doch auch den vollen Einblick in die Art der Missionare,
in ihr Thun und Treiben und in die Zustände der Juden, mit
denen es die damaligen Glaubensboten zu thun hatten.
Aus diesen Berichten erkennen wir denn auch, mit welcher
Energie, Umsicht und Tüchtigkeit die ersten und verschiedene
der späteren Missionare an ihr Werk gegangen sind, und wie
gesund die Grundsätze waren, nach denen diese erste Mission
verfuhr.
Zunächst waren die Abgesandten des Institutum den grössten
Theil des Jahres über auf Reisen, und verhältnissmässig kurz
zugemessen waren die Ruhezeiten, welche sie in Halle zubrachten,
um sich leiblich und geistig zu stärken, in ihren Studien sich zu
vervollkommnen und Callenberg zur Hand zu gehen.
Der eigentliche Schwerpunkt der Wirksamkeit des Institutum
fiel in die Missionsreisen. Mit Taufen hatten es die Missionare,
die gar nicht einmal die Ordination empfangen hatten, in keinem
Falle zu thun. Juden, welche durch sie angeregt zum Christen-
thum übertreten wollten, wiesen sie in evangelischen Ländern an
die Geistlichen des Ortes oder der Umgegend, und in den katho-
— 273 —
lischen gaben sie ihnen den Rath, sich in evangelische Gebiete
zu begeben. Von selbst kamen manche dieser Taufbewerber
nach Halle, aber nur einige behielt man dort zum Unterricht,
der dann auch wohl von den Missionaren, wenn sie gerade da-
selbst anwesend waren, ertheilt wurde. Aber die ganze Thätig-
keit, welche mit der Aufnahme von Juden in die christliche
Kirche zusammenhing, wies das Institutum grundsätzlich der
Kirche zu und griff hier nur im Xothfaile und nur ergänzend ein.
Freilich aber galt es in der damaligen Zeit noch als selbst-
verständlich, dass dieser Theil der Arbeit der eigentlichen Kirche
zufiele, und die missionirende Thätigkeit konnte daher auch mit
jeder anderen unvermengt bleiben.
Im weitesten Umfange aber sollten die Missionsreisen unter-
nommen werden. Nachdem einmal die Reisen in das Programm
Callenbergs aufgenommen waren, brachten die Erfahrungen der-
selben die Missionare und Callenberg mit ihnen ziemlich schnell
zu dem Entschlüsse, nun auch die Juden weithin aufzusuchen.
Wenige Jahre reichten für beide hin, um in ihnen den Wunsch
zu erwecken, dass, so weit es irgend anginge, die Juden mit dem
Evangelium aufgesucht und es ihnen womöglich allerwärts zum
Bewusstsein gebracht werden möchte, dass die christliche Kirche
auf die Juden überall Anspruch erhebe und dass sie für alle
das Evangelium als die Kraft, welche sie selig machen kann,
erkenne. In diesem Stücke trat die Aengstlichkeit Callenbergs
durchaus zurück, und erfüllte ihn vielmehr das christliche Bewusst-
sein mit seiner ganzen erhabenen Grösse; wie denn überhaupt in
dem Manne hohe und bedeutende Züge neben mancher Beschränkt-
heit zu Tage treten und kühne, grosse Gedanken mit einer
gewissen Geistesenge kämpfen.
Der Plan, welcher hernach auch in der That zum Theil
ausgeführt worden ist, war also, dass die Juden nicht bloss in
ganz Europa, sondern auch ausserhalb desselben aufgesucht
werden, und dabei die Missionare sich womöglich in immer neue
Gegenden wenden sollten. Callenberg schreibt Fortsetzung
10, 181 in einer „Richtschnur der Reisenden bei dem Instituto"
unter dem 13. November 1732, also 4 Jahre nach Errichtung
der Anstalt: „Es erfordert die Billigkeit, dass man, wie denn
bereits in der Neuen summarischen Nachricht (August 1732)
gemeldet worden war, dass das Institutum auf die gesammte
in der ganzen Welt zerstreute Judenschaft gehe, diese Billigkeit,
J. F. A. de le Roi, Missionsbeziehungen. iS
27-1
die man allen schuldig ist, auch allen erzeige. Die Orte aber,
in welchen Gott die Gemüther zu einer Aufmerksamkeit zu erregen
scheint, kommen auch in besonderen Betracht. Desgleichen sind
solche Orte, dahin wir von anderen christlichen und verständigen
Männern gleichsam gewiesen worden, in mehr Erwägung zu ziehen.
Orte, wohin die Reisenden wieder zu kommen von den Juden
selbst veranlasst werden, sind vor anderen zu besuchen. Ich ver-
stehe aber unter solcher Veranlassung dieses, wenn sie das Wort
begierig und mit Vergnügen anhören, wenn sie mehr von unsern
Büchern verlangen und wenn sie ausdrücklich um die Wiederkunft
bitten. Auch die Orte, da sich Proselyten aufhalten, sind öfters
zu besuchen. Wo an einem Orte ein wider das ungläubige Juden-
thum dienendes Zeugniss der Wahrheit aufzusuchen ist, dahin
wird man auch von Gott gleichsam gerufen; wie auch an Orte,
wo Rabbiner und Juden besondere Einsichten haben."
Gewöhnlich begaben sich die Missionare zu zweien, zuweilen
auch zu dreien, und einmal sogar vier auf die Reisen. Wenn es
vermieden werden konnte, liess man sie nicht einzeln gehen, und
das war eine weise, oft unerlässliche Maassregel. Die Gemeinschaft
wurde ihnen zur inneren Stärkung, zumal in Gegenden, wo sie
keine Glaubensgenossen fanden ; und in allen äusseren Beziehungen
wurden sie sich gegenseitig zur Hilfe, zum Schutz in Gefahren
und zur Pflege in Krankheiten, so dass sie nicht verlassen waren.
Auf einer einzelnen Reise hatten sie der Regel nach 6 bis 700
Meilen zurückzulegen, und geschahen Reisen von geringerer Aus-
dehnung, so wird dies in den Berichten ausdrücklich hervorgehoben.
Die Missionare selbst aber hatten den Auftrag, sich in
mündlichen Unterredungen an die Juden zu wenden und ihnen
die Schriften des Institutum zu übergeben. Die Missionare reisten,
wo es irgend anging, zu Fuss und besuchten unterschiedslos
grosse und kleine, ja oft die kleinsten Orte, wo Juden wohnten»
Mit unglaublicher Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit haben es sich
die Halle'schen Sendboten angelegen sein lassen, die Juden in
denjenigen Gebieten, in welche sie sich jedesmal nach gemein-
schaftlicher Berathung mit Callenberg begaben, aufzusuchen. Sie
redeten dann aber dieselben ebensowohl auf der Strasse als in
Kaufläden und Häusern, besonders häufig in Synagogen und in
Schulstuben, auch auf Schiffen und Landstrassen an. Ohne sich
denselben aufzudrängen, Hessen sie es sich doch angelegen sein, so
viel an ihnen lag, allen Juden des Ortes, in den sie gekommen
275
waren ohne Unterschied ihres Alters, ihres Geschlechts und ihrer
Lebensstellung ihr Zeugniss entgegenzubringen.
In keiner folgenden und in keiner früheren Zeit sind so
viele Juden von dem Evangelium persönlich erreicht worden als
in der Zeit, wo Callenberg dem Institutum Judaicum vorstand.
Weithin wurde denn auch dasselbe in der Judenschaft bekannt;
und wenn die Missionare in Länder oder Provinzen kamen,
weiche sie bis dahin noch nicht betreten hatten, sahen sie oft,
dass bereits das Gerücht von ihnen auch dahin gedrungen war.
Die sociale Stellung der damaligen Juden erleichterte aber aller-
dings den Missionaren den Zutritt zu denselben. Sind gegenwärtig oft
die gebildeteren und reicheren Juden für den mündlichen Verkehr
dem Missionar fast unerreichbar, so war dies damals nicht der Fall.
Wenigstens äusserlich betrachtet, hielt kaum ein Jude sich für
zu gut mit den christlichen Glaubensboten zu verkehren. Die
Kenntniss des Hebräischen und der jüdischen Sitten aber, welche
alle bedeutenderen Missionare des Institutum in hohem Maasse
besassen, erleichterte ihnen den Verkehr mit den Juden. Man
betrachtete sie nicht als unwissende Leute, sondern erkannte ihre
geistige Ebenbürtigkeit an.
Anderseits sprach aber die anspruchslose Erscheinung, in
welcher diese Männer ihnen entgegentraten, zu sehr für die Uneigen-
nützigkeit ihrer Personen und Absichten, als dass man ihnen hätte
vorwerfen können, sie hätten ihren Beruf irgendwie um des
äusseren Vortheiles willen erwählt. Hochbepackt, ihre Wäsche,
Bücher und die nöthigsten Kleidungsstücke in einem der Regel
nach 70 Pfund schweren Bündel auf dem Rücken mit sich
tragend, zogen diese Missionare aus und wanderten so von Ort
zu Ort.
Anfangs erhielten die ersten Missionare Widmann und
Manitius einen Wochengehalt von 4 Mark, später wurde der-
selbe gesteigert. Widmann empfing zuletzt wöchentlich 5 Mark
25 Pfennig, Manitius 5 Mark und beide das Jahr über 9 bis 12
Mark für Kleidung. Stephan Schultz schreibt in seiner ferneren
Nachricht 13, S. 4: Anfänglich hatte ich aus der Kasse des
Institutum wöchentlich 1 Thaler 6 Groschen, und das musste
zum Essen und Trinken, zu Kleidern und Schuhen hinreichen.
Nach drei Jahren empfing ich zu meinem Unterhalt 6 Groschen
Zulage; diese Zulage wuchs endlich, als ich dem Institutum 15
Jahre gedient hatte, bis auf 2 Thaler 3 Groschen (6 Mark 40
- 276
Pfennige) die Woche. Und mit diesem grossen Gehalt ging ich
auf die Reise in den Orient. Mein seliger Woltersdorf hatte
als der zweite Mitarbeiter i Thaler 18 Groschen die Woche
(5 Mark 25 Pfennig). Wer aber weiss nicht, wie kostbar
die Reisen in Europa sind, die man doch mit den orientalischen
in Absicht auf die Ausgaben nicht vergleichen kann. Doch
würde mich und meine Reisegefährten unser Herr fragen:
„Habt ihr auch je Mangel gelitten?" so würden wir antworten:
„Herr, nie keinen". Denn bei unserem Gehalt konnten wir nicht
als grosse Leute herfahren, sondern schränkten uns nach dem
Spruch wort ein: „Mit vielem hält man Haus, mit wenig kommt
man aus". Und in seiner kurzen Nachricht S. 12 sagt St. Schultz:
„Mit diesem Gehalt mussten sie alles, was zu ihrem Unterhalt
nöthig war, bestreiten; doch kamen sie damit durch, weil sie ihre
Reisen mehrentheils zu Fuss verrichteten, in geringer Gestalt
einhergingen und daher von den Gastwirthen selten übertheuert
wurden. Nächstens fanden sich wohl mildthätige Personen, die,
wenn ihnen der Zweck der Reise bekannt war, sie auf einige
Tage hindurch frei erhielten." Dass aber die Missionare bei
solcher äusseren Ausstattung und Versorgung „honneten Hand-
werksburschen" glichen, wie St. Schultz einmal, ganz zufrieden
damit, dass die Sache so stand, schreibt, ist wohl erklärlich.
Dieser eine Umstand nun zeigt es sogleich, dass es eine
opfervolle Aufgabe war, welche diese jungen Männer auf sich
genommen hatten. Es wäre ihnen ein Leichtes gewesen, in eine
andere Lage zu kommen; denn wiederholt wurden ihnen von
Christen, welche sie kennen gelernt oder predigen gehört hatten,
wohl dotirte Pfarrstellen und andere ansehnliche Aemter angeboten;
aber so lange es das Interesse des Missionsberufes zu fordern
schien, lehnten gerade die hervorragendsten unter ihnen alle der-
artigen Anerbietungen ab.
Ungemeine Mühen, Entbehrungen, Strapazen und grosse
Gefahren haben Widmann und Manitius, die ersten Missionare
und nach ihnen noch andere derselben sich es in ihrem Berufe
kosten lassen. In Wind und Wetter, unter Schneegestöber und
in dem sengenden Sonnenbrande des Sommers pilgerten die
schwerbeladenen Glaubensboten ihre Strasse dahin, oft auf den
schlechtesten Wegen, durch unwirthliche Gegenden, durch un-
sichere Strecken und durch die meilenweiten, menschenleeren
Wälder Polens. Wiederholt wurden sie an den Thoren der Städte
— 277 —
als vermeintliche Bettelstudenten abgewiesen oder ihnen Polizei-
soldaten nachgesandt, um zu verhindern, dass sie Almosen sam-
melten. Wenn sie am Abende müde in einer Herberge einkehren
wollten, wies man sie nicht selten ab, weil man ihnen bei ihrer
geringen Erscheinung nicht zutraute, dass sie bezahlen würden
oder dem Wirthe etwas Ordentliches zu verdienen geben können.
Monate lang war eine Streu ihr Lager, und kamen sie in kein
Bette; aber selbst für eine solche Nachtruhe waren sie dankbar
und häufig genug mussten sie selbst auf eine Streu verzichten
und im Freien übernachten, oder auf Bänken und den blossen
Dielen liegend die Erholung für den vom langen Wandern er-
müdeten Leib suchen.
Ueber dies alles hören wir sie aber in ihren ausführlichen
Berichten, die sonst alle ihre Gemüthsstimmungen wiedergeben,
niemals klagen. Sie nahmen Derartiges offenbar als selbstver-
ständliche Zugabe des Missionsberufes mit in den Kauf. Wenn
die unaufhörlichen Entbehrungen und Strapazen Manitius und
Widmann wiederholt auf das Krankenlager warfen, wenn die
Missionare besonders in Polen, Ungarn, Russland, Italien und
im Orient unter einer Bevölkerung, welche gar keine Theilnahme
für sie fühlte, von allen verlassen daniederlagen, trugen sie
auch dies ohne Murren. In der That, wenn nicht eine grosse
Missionsliebe und ein grosser Missionseifer ihr Herz beseelte,
dann war es nicht möglich, dass sich diese jungen Männer eine
ganze Reihe von Jahren einem solchen Berufe widmeten. Die
Schule der Noth und der Entbehrungen hat sie aber innerlich
nur reifen lassen, sie hat auch die schwärmerischen Neigungen
eines Widmann wesentlich gemässigt und hat andere dieser
Missionare zu besonders bewährten christlichen Charakteren
herangebildet.
Hatten nun die Missionare zunächst den mündlichen Verkehr
mit den Juden zu suchen und ihre Schriften unter ihnen zu ver-
breiten, so waren sie ausserdem aber auch angewiesen, überall,
wohin sie kamen, sich nach den etwa daselbst vorhandenen Pro-
selyten zu erkundigen , den geistlichen Zustand derselben zu unter
suchen, sie zu stärken und zu ermahnen und die Geistlichen
sowie auch andere Christen zu treuer Fürsorge für dieselben zu
ermuntern. Diesen Theil ihrer Aufgabe haben WTidmann und
Manitius und nach ihnen die meisten anderen Halle'schen Mis-
sionare nicht weniger eifrig ausgerichtet. Die Berichte des Insti-
— 278 —
tutum zeigen es, mit welcher Sorgfalt sie überall nach den
Proselyten forschten, wie eingehend sie mit denselben verkehrten,
in wie vielen Fällen sie Sichere unter denselben aufschreckten,
Weltlichgesinnten an das Gewissen drangen, Schwankende be-
festigten, Treue stärkten und trösteten. Die lange vernachlässigte
Proselytenpflege wurde, so lange Callenberg an der Spitze des
Institutum stand, von den Missionaren desselben in anerkennens-
werthester Weise geübt.
Ausserdem aber Hessen es sich diese Missionare angelegen
sein, überall mit den evangelischen Geistlichen in Verbindung
zu treten und diese, sowie die christlichen Gemeinden durch
Predigten an ihre Pflicht gegen die Juden zu erinnern. Sie haben
auch in diesem Stücke sehr viel Gutes gestiftet; und die zahlreichen
Briefe, welche Professor Callenberg nach dem Besuche seiner
Missionare aus den verschiedensten Ländern und von den ver-
schiedensten Orten und Personen empfing, die Liebesgaben, welche
nach persönlich gewonnener Kenntniss der Missionare dem Institutum
neu zuflössen, die eifrigen Anfragen vieler Christen in Halle
nach dem Fortgange des Werkes, die Bereitwilligkeit von vielen
Geistlichen und Städten, auf die Bitte Callenbergs oder seiner
Missionare einzugehen und Juden, die sich zum Taufunterricht
meldeten, bei sich aufzunehmen und sie bis zur Taufe zu ver-
sorgen, die Legate, welche wiederholt dem Institutum ausgesetzt
wurden, waren ein deutlicher Beweis, dass es dieser Mission
gelungen war, die Herzen vieler Christen für das Werk an den
Juden zu erwärmen.
Für die Verwendung von Proselyten als Missionare war man
in Callenbergs Institutum nicht. In Schultz' „Leitungen des
Höchsten" 3, 31 ff. wird einem reformirten Geistlichen, welcher
im Jahr 1 749 solche Persönlichkeiten für dieses Werk vorschlägt,
geantwortet. Der Prediger hatte geäussert, dass geborene Juden
darum für den Missionsberuf unter den Ihrigen geeigneter wären,
weil sie 1) die hebräische, rabbinische und gemeinjüdische Sprache
besser als die Gelehrten unter den Christen verstünden; 2) ihr
Volk, dessen Natur und Ausflüchte gegen das Christenthum
ganz genau kennten; 3) weil sie eine patriotische Neigung und
Liebe zu ihrem Volke hätten, welche ein Christ wegen der von
Jugend auf eingesogenen Vorurtheile gegen das jüdische Volk
nicht haben könne ; 4) weil sie sich am Besten zu ihrem Volk her-
unterzulassen verstehen würden, und insbesonders frühere Rabbiner
— 279 —
an Dürftigkeit gewöhnt seien, so dass sie ohne vielen Kampf
in geringer Gestalt den Elenden ihres Volkes nachgehen würden,
und weil 5) das jüdische Volk geborenen Juden eher Glauben
schenken würde, wenn sie ihnen die christliche Wahrheit vor-
trügen, weil sie meinten, dass der von christlichen Eltern Geborene
das glaube, was seine Eltern glaubten, während sie sähen, dass der
Andere aus dem Irrthum der jüdischen Lehre durch die Erleuchtung
Gottes zur Erkenntniss der Wahrheit der christlichen Religion
gekommen sei.
Hierauf antwortete aber Schultz, dass unter tausend gelehrten
Juden der damaligen Zeit kaum einer die hebräische und rabbinische
Sprache nach der Grammatik verstehe, denn sie seien auch hier
unstät und flüchtig, und ebenso wenig Schriftverständniss fände
man unter ihnen. Die ungelehrten Juden aber taugten, weil
ihnen die Vorbildung fehle, nicht zu Mitarbeitern am Institutum.
Junge Juden, welche zum Christenthum überträten, einen ordent-
lichen Unterricht genössen und dann studirten, dürften allerdings
in das christliche Predigtamt befördert werden, aber dann wären
sie auch nicht besser als alle anderen daran. Ein für die Seinen
eingenommener Jude aber kenne bei Weitem nicht so gründlich
den Stolz, die Eigenliebe, den Aberglauben, den Unglauben,
die Hartnäckigkeit und Widerspänstigkeit der Juden als ein
anderer Christ, welcher die Sprachen gründlich studirt habe.
Die getauften Juden hätten dazu entweder einen schrecklichen
Hass gegen ihr Volk oder hegten einen Patriotismus, der eine
Art heimlichen Judenthums sei, und in beiden Fällen taugten sie
nicht zu Missionaren. Ein geborener Christ aber, der sich zu
diesem Werk gebrauchen lassen wolle, werde alle Vorurtheile
abgelegt haben, sonst werde er sich für die saure Mühe und
Arbeit freundlich bedanken. Viele der jüdischen Proselyten seien
voll Stolzes und Hoffahrt und nicht zur Verleugnung der Welt
und ihrer selbst zu bringen. „Ja Lektoren, Pastoren und Profes-
soren wollen sie sein, aber nicht in der Gestalt eines armen
Handwerksburschen einhergehen und sich zum Elend ihres Volkes
herunterlassen. Endlich aber haben die Juden selbst einen un-
auslöschlichen Hass gegen die Proselyten und fluchen und meiden
sie, soweit sie können."
Nur einmal hat das Institutum von diesem Grundsatze,
geborene Juden nicht als eigentliche Missionare zu verwenden,
eine eigenthümliche Ausnahme gemacht. Es beschäftigte sonst
— 2S0 —
wohl den vortrefflichen J. F rommann literarisch und verwerthete
Proselyten in der Missionsbuchdruckerei, aber keinen von diesen
sandte es missionirend aus, Dagegen erzählen die früheren
Berichte, dass ein nur mit den Anfangsbuchstaben genannter
Rabbiner J. E., den die Missionare in London kennen gelernt
hatten, 1737 zu ihnen nach Halle gekommen sei, um dort von
ihnen weiteren Unterricht zu empfangen. Dieser nun bat den
Professor Callenberg, als die Missionare wieder auf ihre Reisen
gingen, und er nicht allein in Halle zurückbleiben wollte, um
die Erlaubniss, jene Sendboten für einige Zeit begleiten zu dürfen,
um bei dieser Gelegenheit für seine eigene Person zu völliger
Klarheit zu gelangen und es seinen Glaubensgenossen zugleich zu be-
zeugen, was ihm bereits das Evangelium geworden wäre. Sein Wunsch
wurde ihm gewährt. Einige Monate reiste der Rabbiner mit
Widmann und Manitius und wurde endlich von denselben in
Königsberg zurückgelassen, weil sie inzwischen erkannt hatten,
dass es ihm nöthig sei , selbst erst noch zu lernen und in keiner
Weise andere zu lehren. Er wurde dortigen Geistlichen über-
wiesen, welche das Werk an ihm fortsetzen sollten. An eine
eigentliche Verwendung eines Juden als Missionar war also auch
in diesem Falle nicht gedacht worden.
Alle die Fragen und alle die Punkte, welche hernach stets
die Mission beschäftigt haben, sind eben bereits im Halle'schen
Institutum erwogen worden, und dies mit einer Nüchternheit,
Klarheit, Umsicht, Verständniss und Eifer für die Sache, dass
diese Mission stets die Lehrmeisterin aller evangelischen Missions-
arbeit unter den Juden sein wird, und man von ihr auch unter
den vielfach veränderten Verhältnissen noch sehr viel wird lernen
können.
g. Die Missionare Widmann und Manitius.
Die Persönlichkeit des älteren unter den beiden gleichzeitig
in den Dienst des Institutum tretenden Missionaren, des Magisters
Johann Georg Widmann, ist eine ganz eigenthümliche. Nach-
dem sich derselbe in Begleitung von Manitius unter Einwilligung
Callenbergs auf Missionsreisen begeben hatte, liefen bei dem
Professor sehr ungünstige Berichte über ihn ein. Die Halle'sche
Waisenhausbibliothek, welche den kümmerlichen Rest der Biblio-
thek und der Correspondenz des Institutum besitzt, enthält weit-
läufige Verhandlungen, welche sich an die in Halle eingelaufenen
— 28l —
Beschuldigungen Widmanns schlössen. Völlige Klarheit erlangt
man hier aber über die Verhältnisse des Mannes nicht, und nur
der Eindruck bleibt, dass Widmann eine merkwürdige Persönlich-
keit war.
In der That, dieser den Jahren nach ältere der beiden
ersten Missionare des Institutum war ein seltsamer Mensch, der
bis zu seinem Lebensende die merkwürdigsten Widersprüche in
sich vereinte. Er stammt aus dem Württembergischen, sein
Geburtsort wird aber nicht genannt, und ist der Sohn einfacher
Eltern. Die häuslichen Verhältnisse waren jedoch äusserst un-
erquicklicher Art und sehr zerrüttete. Die ganze Familie lebte
im tiefsten Zwiespalt miteinander, und selbst die scheusslichsten
Verbrechen scheinen von Mitgliedern derselben aneinander verübt
worden zu sein. Die Geschwister brachten Widmann selbst durch
falsche Anschuldigungen ins Gefängniss, aber seine Unschuld
wurde klar, und er desshalb aus demselben entlassen.
Auf das Gemüth Widmanns haben diese Erlebnisse und
Erfahrungen sehr ungünstig eingewirkt. Als eine Folge derselben
ist ihm Zeit seines Lebens etwas Düsteres und Finsteres geblieben,
und er hat stets mit grosser Schwermuth zu kämpfen gehabt.
Nach seinen Studien, die ihn auf die Universitäten Tübingen,
Jena und Halle führten, trat er mit dem Magistergrade in der
Heimath ein Vikariat an. Aber der melancholische junge Mann
mit seinen überaus ernsten Predigten und mit seinem scharfen
Auftreten gegen alle Lasterhaften, bei dem er auch kein Ansehen
der Person kannte, erregte einen Theil der Gemeinde in so hohem
Grade gegen sich, dass er selbst der Ueberzeugung wurde, auf
dem gewöhnlichen Wege nicht vorwärts kommen zu können, und
dass er angewiesen sei, andere Bahnen zu gehen.
Eine durch ganz verschiedene Personen aus ganz verschie-
denen Zeiten seines Lebens bezeugte Gabe desselben, Zukünftiges
vorauszusehen, kam hinzu, um ihn in der Ueberzeugung zu be-
stärken, dass sein Beruf ein anderer sei, als in den Bahnen des
geordneten Pfarramtes zu wandeln. Er glaubte Gesichte und
Offenbarungen gehabt und ein prophetisches Amt nach Art
Johannis des Täufers unter den Christen, zumal aber unter den
Juden überkommen zu haben. Insbesondere hielt er sich für
berufen, dem endlichen Reiche Gottes unter Israel die Bahn zu
brechen.
— 282 —
So durchzog er nun in den Jahren 1728 — 1730 zuerst die
Rheingegenden und Holland, dann aber Ungarn und Polen und
machte dort überall durch seine erschütternden Busspredigten
einen ungemeinen Eindruck auf viele Gemüther. Als später
Manitius mit ihm in den östlichen Gegenden Missionsreisen
machte, hatte er vielfach Gelegenheit zu bemerken, dass sich
Widmanns frühere Thätigkeit daselbst Vielen tief eingeprägt
hatte. Ueberall sprach man von dem „deutschen Mann", weit
und breit war sein Ruf besonders unter die Juden gedrungen,
und den Jesuiten in Ungarn war seine Wirksamkeit so gefährlich
erschienen, dass sie ihn ins Gefängniss brachten, aus dem er nur,
wie es scheint, durch die Flucht frei wurde.
Als er dann, in Wien auf denselben hingewiesen, zu Callen-
berg kam, trat er dort in einer Weise auf, die ebensosehr den
ungemeinen Ernst des Mannes als seine Neigung zu schwärmeri-
schen Vorstellungen bekundete. Er war alier Sektenbildung
durchaus abhold. Inspirirte, Wiedertäufer und Gichtelianer wurden
von ihm mit gewaltigen Worten gestraft und sie Hessen sich
das von ihm auch gefallen. Der Gedanke an die Nähe des
grossen Reiches Gottes erfüllte ihn so sehr, dass er von sektireri-
schen Kirchenbildungen durchaus nichts wissen wollte; aber er
wurde dessen nicht inne, dass er selbst auf andere schwärmerische
Abwege gerieth.
Im Uebrigen besass er eine nicht gewöhnliche Gabe an die
Herzen und Gewissen zu dringen, und unter seinem Gebet zer-
schmolzen oft förmlich die Menschen. Auf Disputationen legte
er wenig Werth und von der kleinlichen Art der Beweisführung,
welche oft ein unangenehmes Charakteristikum vieler Juden-
missionare ist, findet sich bei ihm nichts. Wer mit ihm in Ver-
bindung trat, konnte sich denn auch eines gewissen Eindruckes
von seiner Person nicht erwehren. Hoch- und Niedrigstehende,
Gelehrte und Ungelehrte, Juden und Christen und Sektirer haben
oft lange die Gespräche in sich bewahrt, welche sie mit ihm
gehabt hatten.
In London setzte Widmann ein Schreiben in lateinischer
Sprache auf, das 7 Punkte enthielt und auf Grund alttestament-
licher Stellen Fragen an die Gewissen der Juden richtete, deren
Beantwortung er sich von dem portugiesischen Rabbiner der
dortigen Gemeinde erbat. Man führte ihn mit seinem Schrift-
stück in das Lehrhaus, in welchem sich der Rabbiner studirend
— 283
aufhielt. Widmann redete ihn lateinisch an und legte ihm sein
Anliegen vor. Dem jüdischen Gelehrten war das Lateinische
nicht recht geläufig, und so frug er denn den Missionar, ob er das
Hebräische verstehe. Auf die bejahende Antwort erfolgte nun
die weitere Verhandlung in dieser Sprache. Widmann wusste
hierbei den anwesenden Juden die Zeugnisse ihrer Propheten so
sehr zu einer Gewissensfrage zu machen, dass sie schliesslich in
hellen Streit unter einander geriethen. Er selbst verabschiedete
sich darauf von ihnen, erklärte aber, dass er wieder kommen
werde, um Bescheid auf seine schriftlich niedergelegten Fragen
zu erhalten. Er stellte sich auch zu der ihm hierfür festgesetzten
Zeit ein und sah sich in Folge des neuen Gespräches veranlasst,
•ein weiteres Zeugniss in einem hebräischen Aufsatz an das por-
tugiesische Judencollegium zu richten. Man Hess ihn hierauf noch
einmal zu einer mündlichen Besprechung zu, aber als man nun
nicht mehr dem Missionar zu antworten im Stande war, lehnte
man weitere Verhandlungen mit ihm ab.
Die eigenthümliche Anziehungskraft, welche Widmann auf
viele Menschen ausübte, empfand insbesondere Manitius so sehr, dass
in demselben der unbezwingbare Wunsch entstand, sich mit Wid-
mann auf Missionsreisen unter die Juden zu begeben. Als nun
aber die beiden unterwegs waren, drangen jene ungünstigen
Gerüchte über Widmann zu Callenberg. Der Professor trat als-
bald brieflich mit ihm selbst und mit Manitius seinethalben in
Verbindung. Der Gefährte konnte nur melden, dass Widmann
sein Werk mit grossem Eifer treibe und dass er seine schwär-
merischen Gedanken in der Missionsarbeit völlig zurücktreten
lasse; die nüchterne Persönlichkeit des Manitius wirkte sichtlich auf
Widmann heilsam ein und liess nichts von den alten Neigungen
in ihm aufkommen. Callenberg hatte daher, und weil die An-
klagen gegen Widmann sich nicht ausmachen Hessen, auch gar
keine Veranlassung die Verbindung mit demselben so schnell zu
lösen, sondern gestattete es, dass die beiden Freunde ihr Werk
im Dienste des Institutum gemeinsam fortsetzten.
Auf diese Weise bereisten nun Widmann und Manitius mit
-einander missionirend Polen, Dänemark, Böhmen, England und
Deutschland in der Zeit von 1730 — 1739. Mit mächtigem münd-
lichem Zeugniss drang Widmann an viele Tausende von Juden
heran und verfasste auch einige Schriften, welche im Missions-
werke des Institutum lause ihre Verwendung gefunden haben.
— 284 —
So Hess er ein Ermahnungsschreiben an Proselyten zunächst in
Halle ergehen, welches Callenberg in der 5. Fortsetzung des
Berichtes S. 19 ff. mittheilt, und das ein tiefes Verständniss für
das geistliche Wohl und Wehe wie für die Kämpfe der Prose-
lyten bekundet.
In deutscher Sprache Hess ein Proselyt 1731 einen Traktat
Widmanns drucken, welcher den seltsamen Titel: „Kurzer Hand-
riss zu dem heutigen Judenthum" trug. Widmann Hess sich hier
über das Schwankende und Zweifelvolle in den jüdischen Religions-
vorstellungen aus und behandelte auf besonderen Wunsch auch
die Fragen, ob Christus allein der Heiden und nicht auch der
Juden Messias sei? ob die gegenwärtige Gefangenschaft des
jüdischen Volkes innerhalb 8 Jahren, wie eine damals unter
den Juden verbreitete Weissagung behauptete, ihr Ende erreichen
würde? und wo der Messias nach seinem Tode geblieben sei?
1737 Hess Callenberg die von Widmann aufgesetzten „Christ-
lichen Gebete eines sich bekehrenden Juden" in jüdisch-deutscher
Sprache drucken. Der hebräische Titel lautete: „Neue Gebete
zu suchen die alten Gnaden Davids". Später erlebte diese Schrift
eine zweite Auflage, und Theile derselben erschienen noch öfters.
Bis Mitte Juli 1739 nun stand Widmann im Dienste des
Institutum. Er hat auf viele Juden einen bleibenden Eindruck
hervorgebracht, und nachher noch trafen die Missionare manchen
Proselyten, der seine Bekehrung besonders auf das Zeugniss Wid-
manns zurückführte. Von der Gefangenschaft, welche er mit Manitius
zusammen in Böhmen erlitt, und die ihn in grosse Gefahr brachte,
wird hernach noch die Rede sein. In häufiger körperlicher
Schwachheit, unter Hohn und Spott, unter Lästerungen und thät-
lichen Misshandlungen hatte er 9 Jahre hindurch nicht den Muth
verloren, weil er der festen Zuversicht war, dass er doch noch
grosse Erfolge unter den Juden mit Augen sehen würde. Als
aber 1739 in Amsterdam das Haus, in welchem er sich mit
Manitius aufhielt, vom jüdischen Pöbel belagert wurde, und er
fast zu Tode gesteinigt worden wäre, scheint ihm der Muth für
das Missionswerk entfallen zu sein. Er begab sich nach Halle
und löste seine Verbindung mit dem Institutum auf. Von jetzt
ab wollte er ganz frei wirken.
Nach dem ferneren Bericht von St. Schultz 11, 59, 60
hat er sich in dem bekannten evangelischen Kloster Bergen bei
Magdeburg, das unter dem Abte Steinmetz stand, während des
— 285 —
Winters von 1740 — 1 74 1 einlogirt. Ein schlesischer Prediger,
welcher damals Lehrer an dem dortigen Pädagogium war, hatte
daselbst mit ihm reichen Verkehr und rühmt Widmann als einen
überaus tiefgegründeten Christen. Er machte eben auch dort auf
so Manchen einen ungewöhnlichen Eindruck. In Urlspergers
Sammlung für Liebhaber der christlichen Wahrheit vom Jahre
1786 wird Stück 10, S. 320 dann von seinen letzten Jahren
berichtet: Er habe, weil ihm die Austheilung des Abendmahles
an Unwürdige Bedenken bereitete, kein Pfarramt annehmen
wollen und sich schliesslich in Stettin und Danzig aufgehalten,
zwischen welchen beiden Orten er öfter hin und her gereist sei,
und habe daselbst durch seinen Unterricht und ernstlichen Wandel
redliche Christen gestärkt.
Im Jahre 1747 aber berichtet Callenberg selbst, dass ihn
Widmann plötzlich wieder und von da ab einige Male besucht
habe, zuletzt im August des Jahres 1754, wo er sich mit einem
Katechumenen Jacob Salomo treulich beschäftigte. Er äusserte
gegen Callenberg den Wunsch, Lebensbilder bekehrter Proselyten
drucken zu lassen und verliess Halle mit dem Vorsatz, mit einigen
anderen frommen Christen und Proselyten nach Palästina auszu-
wandern, um dort Handwerk und Ackerbau zu treiben und so den An-
fang einer Colonie zu bilden, welche hernach den gläubigen Christen
einen Stützpunkt bei dem bevorstehenden Anbruch des letzten Reiches
Gottes bieten könnte. Seine eschatologischen Ansichten haben
sich also bis an sein Lebensende erhalten. Bald darauf aber
starb er am 20. Oktober 1754 in Stettin.
Freunde desselben theilte Callenberg seinen Tod mit:
„O wie erbaulich war sein Ende, wie theuer seine Ermahnungen,
die er uns zuletzt noch gab, und wie gross seine Glaubens-
freudigkeit und Geduld." Auf seiner Rückreise von Halle war
ihm im Traume bestimmt sein naher Tod angekündigt worden,
und er hatte den dortigen Freunden sogleich davon erzählt.
Tief betrauert von denen, welche ihm während seiner letzten
Jahre nahe gestanden hatten, starb er und wurde in der St. Jacobi-
kirche zu Stettin bestattet.
Für das Institutum war es ein Glück, dass es neben Wid-
mann sogleich einen anderen Missionar gewann, Johann Andreas
Manitius*) , welcher als christliche Persönlichkeit den älteren und
*) Dibre Emeth 1882 S. 130 iü
— 286 —
begabteren Genossen in vortrefflicher Weise ergänzte, und dessen
nüchterne Frömmigkeit ein Gegengewicht gegen die Neigung
YYidmann's, ausserordentliche Wege zu gehen, bot.
Johann Andreas Manitius, 1707 in Etzien bei Brandenburg
geboren, war der älteste von 5 Söhnen des Pastors in jenem Dorfe.
Die Manitius'sche Familie war ziemlich ausgebreitet und Glieder
derselben bekleideten zum Theil ansehnliche Aemter; ein Oheim
des Missionars war Minister in Berlin gewesen.
Das Etzien'sche Pfarrhaus war von ernster Frömmigkeit
erfüllt und pflegte besonders den durch den Pietismus erweckten
Missionssinn in seiner Mitte. Für die Juden hatte schon der
Grossvater, ein Curfürstlicher Geheimrath, eine besondere Zu-
neigung empfunden. Derselbe verstand hebräisch und hat fleissig
mit einem Juden in seiner Nähe die hebräische Bibel gelesen,
um bei dieser Gelegenheit denselben für Christum zu gewinnen.
Der Wunsch von Johann Andreas Manitius, unter den Juden das
Evangelium zu verbreiten, fand daher, nachdem seine Familie
erst darüber Gewissheit erlangt hatte, dass die über denselben
ausgesprengten thörichten Gerüchte falsche seien, in ihrer
Mitte die lebhafteste Billigung. Der Vater insbesondere erklärte
darauf, er würde es nicht bloss gern sehen, wenn dieser Sohn
seine ganze Lebenszeit in diesem Werke zubrächte, sondern
würde sich freuen, wenn Gott auch die anderen Söhne dazu
gebrauchen und tüchtig machen wollte, sein Werk unter den
Juden zu treiben. Dieser Gesinnung aber blieb der Vater auch
dann treu, als er einen vollen Einblick in die Entbehrungen,
Opfer und Gefahren, welche der Missionsberuf seinem Sohne
bereitete, gewonnen hatte.
Johann Andreas Manitius war aber durch das Callenberg'sche
Unternehmen, dessen Entstehung er als Student in Halle mit-
erlebt hatte, für dasselbe warm interessirt worden. Er hörte die
Callenberg'schen Vorlesungen über das Rabbinische und Jüdisch-
deutsche und war recht eigentlich die Seele des studentischen
Kreises, welcher Callenbergs Schritte mit Theilnahme begleitete
und dessen Werk zu fördern entschlossen war. Im Einverständ-
niss mit Callenberg erliess er Ende Juli 1 730 ein offenes Schreiben
an die Studentenschaft, in welchem er zur Betheiligung an den
rabbinischen und jüdisch-deutschen Vorlesungen dieses Professors
aufforderte und die Unterstützung seines Werkes unter den Juden
den Commilitonen dringend empfahl. Der Erfolg war, dass sich so-
— 287 —
fort 21 Studirende zu den betreffenden Vorlesungen Callenbergs
meldeten. Manitius sammelte um sich aber noch einen näheren
Kreis von Freunden, die sich an jedem Mittwoch zum Gebet für die
Juden und zu weiterer Betreibung der jüdischen Studienversam-
n.elten und Hess sich ebenso an den Sonntagen die Sammlung-
von Liebesgaben für das Institutum in den studentischen Kreisen
angelegen sein.
Nach Vollendung seiner Studien sollte Manitius gegen
Ende 1730 Adjunkt bei seinem Vater werden. Die Begegnung
mit Widmann aber, der Anfang Oktober nach Halle gekommen
war, entschied über seine Zukunft und wurde die Veranlassung, dass
nun das Institutum zu eigentlichen Missionaren kam.
Manitius wurde mit Widmann eins, denselben zunächst einmal
für 14 Tage auf einer Missionsreise unter den Juden zu begleiten, und
Callenberg, dem Manitius diesen Entschluss mittheilte, versprach
ihm wie seinem Gefährten für diesen Zweck seine Unterstützung.
Nach den ersten 14 Tagen der Reise war aber Manitius
völlig entschlossen, das begonnene Werk weiter fortzusetzen.
Von nun an wanderte er denn auch Jahre lang im Verein mit
Widmann und später auch mit St. Schultz unter den Juden ver-
schiedener Länder missionirend umher.
Anfanglich von dem Eindrucke, den Widmann auf ihn ge-
macht hatte, fast übermannt, gewann er sehr schnell seine
Selbständigkeit und blieb von den schwärmerischen Neigungen
des älteren Gefährten völlig unberührt. Ohne jede überspannte
Erwartung und von der Rechnung auf Erfolg in keiner Weise
bestimmt, betrieb er sein Missions werk. Nicht der Gedanke an
eine bevorstehende allgemeine Judenbekehrung, so äusserte er
sich einmal, als man ihm ein anderes Amt anbot, treibe ihn zu
seinem Zeugnisse an die Juden, sondern dass die Pflicht der
Liebe und der Zurechtweisung von Irrenden zu keiner Zeit ver-
säumt werden dürfe. Von einer allgemeinen Verstockung der
Juden aber solle man nicht so schnell sprechen, ehe man nicht
und zwar den Einzelnen in ihrer Muttersprache das theure
Evangelium liebreich, deutlich, gründlich, überzeugend und an-
haltend vorgehalten habe. Die Juden sollten uns auch am Tage
des Gerichts nicht beschuldigen dürfen, wir Christen hätten ihnen
den Glauben an den Messias nicht vorgehalten. Freilich dürfe
man die Christen nicht liegen lassen und versäumen, aber eben-
so solle man auch um die Errettung des armen Volkes der
— 288 —
Juden bekümmert sein. Paulus nenne ja doch das Evangelium
eine Kraft Gottes, die Juden vornehmlich selig zu machen.
Juden und Heiden sollten eins in Christo werden, so müssten
denn auch beide die Predigt des Evangeliums empfangen.
Von diesem Gedanken beseelt, durchzog Manitius im Missions-
berufe Deutschland, Polen, Böhmen, Dänemark, England, Preussen,
Kurland und Theile von Russland. Sogleich im Anfange seiner
Reisen wurde er auf ernste Proben gestellt. Etwa einen Monat,
nachdem er mit Widmann Halle verlassen hatte, häuften sich die
Mühen und Beschwerden der winterlichen Wanderung in solchem
Maasse, dass dies viele andere wohl für immer vom Missions-
werke abgeschreckt hätte.
In der Mitte November waren beide aufgebrochen, in der
zweiten Hälfte des Dezember finden wir sie in Polen. Manitius
hatte bis dahin bei den guten Verhältnissen seines elterlichen Hauses
alle Bequemlichkeiten gemessen dürfen und jetzt zog er, dessen
völlig ungewohnt, wie ein Hausirer beladen, seine Strasse dahin. Der
polnische Winter setzte ihm hart zu. Im Schneesturm wanderte
er einmal mit seinem Gefährten dahin, beide verloren den Weg
und inte :; umher, sie waren in grosser Gefahr; da begegnete
ihnen 0;,- ich ein Mann, welcher der Gegend kundig war,
und dieser wies sie zurecht. Wenige Tage darauf sollten sie
durch einen grossen Wald wandern, der Weg jedoch war völlig
verschneit. Der Wirth aber, bei welchem sie eingekehrt waren,
erbarmte sich ihrer und gab ihnen einen Begleiter mit, der ihnen
auch zum Schutz gegen die Wölfe dienen sollte, welche in
jenem Walde hausten. Sie mussten dann aber über einen Fluss
setzen, dessen Eisdecke noch nicht fest genug war, um sie sicher
zu tragen, und nur mit Lebensgefahr kamen sie über dieselbe.
Mühsam erreichten sie eine schlechte Herberge und fanden in
derselben wenig Erholung von ihren Strapazen; aber von seinem
Vorsatze, den Juden das Evangelium hin und her zu bringen,
brachte auch ein solcher Anfang der Missionsreisen Manitius
nicht zurück.
In die grösste Gefahr jedoch geriethen Widmann und Mani-
tius während ihrer Reise durch Böhmen im Jahre 1733*)- ^1Q
*) Callenbergs Berichte, Fortsetzung. II. Theil 2 S. 47 ff. Der Freund
Israels. Berlin 1824. Forts. 1 S. 21 ff. Dibre Emeth 1S7S S. 65 ff. Saat 1880.
Forts. 2, S. 94 ff.
— 289 —
Reise war von vornherein nicht ohne Bedenken gewesen, da die
österreichische Regierung überall in Böhmen hussitische Prediger
witterte, welche die heimlichen Protestanten in ihrem Glauben
stärken wollten, und gegen solche Personen aufs härteste ver-
fuhr. Professor Callenberg hatte daher den Wunsch geäussert,
dass seine Mitarbeiter nur die böhmischen Grenzorte besuchen
möchten, damit sie sich im Falle der Verfolgung leicht auf
preussisches Gebiet retten könnten. In der preussischen Grenz-
stadt Landshut am Riesengebirge aber ergriff Manitius und
Widmann ein so heisses Verlangen, den Juden in Böhmen den
Sünderheiland zu verkündigen, dass sie, alle Gefahr für ihre eigene
Person vergessend, in jenes Land hineinzogen und dabei einander
zuriefen: „Es werden derer mehr sein, die für uns, als derer,
welche wider uns streiten".
Anfangs ging die Reise auch gut von Statten, und sie traten
mit den Juden in den erwünschten Verkehr. Am 18. Februar
aber langten sie in Hohenmauth an, wo sie einem Kaiserlichen
Commissär auffielen, der ihnen allerlei Fragen vorlegte und dann
auch ihre Pässe von ihnen forderte. Sie überreichten dieselben,
aber der Beamte erklärte sich durch die ihm übergebenen Papiere
nicht für zufrieden gestellt, sondern befahl ihnen, ihre Sachen zu
öffnen. Da erweckten die Schriften in ihren Ranzen und beson-
ders die jüdisch -deutschen in ihm Verdacht; und als sie ihm
hierauf offen den Zweck ihrer Reise mittheilten, verhöhnte er sie,
setzte Manitius die mitten unter den Schriften vorgefundene
Perücke desselben auf und verspottete ihn: Sehet da den Mis-
sionar! Bei fortgesetzter Untersuchung fand der Beamte etwas
Baumwolle und eine hölzerne Büchse mit Salbe. Sofort rief er
triumphirend aus, dass dies Chrisam sei, welches bei der Taufe
von Juden angewandt werden solle, — eine in der That ganz
thörichte Vermuthung, da die Evangelischen den Gebrauch von
Chrisam bei Taufen gar nicht kennen.
Unterdess war der Stadtrichter herbeigerufen worden, nach
dessen Anordnungen den Missionaren ihre Sachen weggenommen
und vor ihren Augen versiegelt wurden. Einer der Anwesenden
flüsterte jetzt Manitius leise zu: „Die Herren werden wohl in
Arrest geführt werden; gebt mir einen Gulden, so will ich Fürbitte
einlegen, dass dies nicht geschehe." Manitius jedoch entgegnete:
„Nein, das habe ich nicht nöthig. Wenn ich auch in Arrest
komme, so habe ich doch nichts zu fürchten, denn ich habe eine
F. J. A. de le Roi, Missionsbeziehungen. 1 9
290 —
gute Sache." Der Richter aber befahl jetzt, bis zu weiterer
Untersuchung die Gefangenen in den Kerker zu führen. Dort
angelangt, war es ihr Erstes, den Gott, welcher sie diese Wege
geleitet, zu loben und sich gegenseitig zu ermuntern. Sie waren
mit lüderlichen Frauenspersonen und einem älteren Manne zu-
sammengethan worden. Dieser Alte hörte ihre lateinisch geführte
Unterhaltung mit an und tröstete sie dann; es war ein Richter
aus der Stadt, welcher die Lage der Dinge bald durchschaute,
aber ihnen nicht helfen konnte.
Für die Nacht wurden neben die beiden Gefangenen zwei
gepanzerte Wächter gestellt. Während diese aber schliefen,
kamen Widmann und Manitius überein: „nichts zu verhalten, was
zur Ehre Christi diene, und was vor der römischen Kirche
bezeugt werden müsse; und wir suchten Waffen des Lichts her-
vor, mit denen wir zu kämpfen haben würden". Danach
schliefen beide ein. Im Traume aber kam es Widmann vor, als
höre er eine Stimme: „Warte nur 30 und 25 Tage. Dabei
däuchte es mich, dass ich nach solchen Tagen vor dem Richter
stünde, herumginge und kochte, aber doch noch gefangen wäre,
mehr Freiheit zu haben und des Richters gar los zu werden
wünschte." Und genau bis in alle Einzelheiten so, wie er es im
Traume gesehen, ist es hernach gekommen. Widmann aber war
dessen so gewiss, dass die Sache den Verlauf nehmen würde,
wie er es im Traume vernommen hatte, dass er dann im Chru-
dimschen Gefängniss 5 5 Striche mit Kreide an der Stelle, wo er
schlief, anbrachte und täglich einen derselben auslöschte.
Am nächsten Tage erschienen bei den Gefangenen drei
Richter und nahmen ihnen all ihr Geld weg, wobei sie, weil
unter den Münzen auch sehr verbrauchte waren, die Missionare
noch beschuldigten Falschmünzer zu sein. Darauf wurden ihnen
Ketten angelegt. Widmann rief hierbei aus: per aspera ad astra,
auf rauher Bahn geht's himmelan! Manitius aber küsste die
Ketten, die man ihm anlegte. Als die Richter hinausgegangen
waren, fielen die Gefangenen auf ihre Knie und schütteten ihr
Herz im gemeinsamen Gebet aus. Dann sprachen sie einander
zu, auf Christi Bande und Tod mit einander leben und sterben
und bis zum Martertode beständig bezeugen zu wollen, dass es
ihnen allein um den gekreuzigten Heiland zu thun gewesen sei.
Sie bereiteten sich aber auch auf die Stunde der Versuchung
vor, wo sie von einander getrennt werden sollten, und versprachen
— 291 —
sich gegenseitig, auch dann im Geiste und der Wahrheit bei ein-
ander bleiben, Gott loben und Christum verherrlichen zu wollen.
Erneute Untersuchung sollte es durchaus zu Tage bringen,
dass sie protestantische Emissäre an die verborgenen Hussiten
seien. Man vermuthete bei ihnen reiche Geldmittel und unter-
suchte sie von Neuem. Als sich hierbei in einer verborgenen
Tasche des Beinkleides von Manitius ein Dukaten und einige
Gulden vorfanden, wurde der Stockmeister, welchem die erste
Untersuchung der Beiden anbefohlen worden war, wegen heim-
lichen Einverständnisses mit den Arrestanten seines Amtes
entsetzt. Den Missionaren wurden jetzt auch ihre Ueberrröcke
genommen, damit dieselben aufgetrennt und untersucht würden,
und ihnen so ihre Decken für die Nacht entzogen.
Von nun an trennte man aber auch die Beiden von einander,
und dies traf sie besonders hart. Täglich empfingen sie jetzt vier
Kreuzer, mit denen sie sich erhalten "sollten; thatsächlich konnten
sie damit kaum den Hunger von sich abwehren. Später erhielten
sie ihre Röcke wieder zurück und hatten so wenigstens für die
Nacht eine Bedeckung.
Jetzt begannen neue Versuchungen. Man wünschte sie zum
katholischen Glauben herüberzuziehen und hoffte dies durch
freundliche Zuspräche zu erreichen. Der Richter trat in eine
längere Unterhaltung mit Manitius ein und ermahnte ihn, zur
Jungfrau Maria zu beten, so werde ihm gewiss geholfen werden.
Der evangelische Missionar aber antwortete ihm: „Mein Vertrauen,
das ich in Christo gefasst habe , lasse ich nicht sinken. Ich
weiss, was geschrieben steht: ob Jemand sündiget, so haben wir
einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesum Christum, der gerecht
ist; den werde ich fleissig anrufen, dass er für mich spreche und
bitte." Der Richter hielt ihm entgegen, dass er aber durch das
Gebet zur Maria eher aus dem Gefängnisse kommen werde.
Manitius entgegnete ihm jedoch: „Ich glaube es wohl, dass ich
bald aus dem Gefängnisse kommen würde, wenn ich solches thäte,
aber ich darf es nicht thun. In Gottes heiligem Wort steht
geschrieben: es ist nur ein Gott und ein Mittler zwischen Gott
und den Menschen, der Mensch Jesus Christus , der sich selbst
gegeben hat zur Erlösung für alle. Wie dürfte ich mich also zu
einer anderen Fürsprecherin und Mittlerin wenden!" Der Richter
stellte ihm in Aussicht, dass ein anderer ihm alles deutlicher
machen werde; in der Untersuchung solle er nur dann das
19*
— 292 —
Kreuz dreimal von der Stirn bis auf die Brust herab machen und
bekennen, dass er katholisch sei, so werde er gewiss entlassen
werden. Die Antwort von Manitius lautete: „Ich glaube an einen
dreieinigen Gott, Vater, Sohn und heiligen Geist, den rufe ich in
meiner Noth an und hoffe durch die Gnade Christi selig zu werden."
Der Richter begab sich hierauf zu Widmann und wollte bei
ihm erreichen, was er bei Manitius nicht erreicht hatte. Mit
diesem liess er sich aber nicht in ein längeres Gespräch ein, sondern
redete ihm nur in freundlicher Weise zu und machte ihm zuletzt
das Kreuz in katholischer Weise vor, wobei er ihm erklärte, dass,
wenn er dies nachmachen wolle, er bald erlöst werden würde,
und verliess ihn dann.
Des nächsten Tages mussten beide Missionare gleichzeitig
vor vier Richtern erscheinen, um die ärgerlichsten Lästerreden
über den evangelischen Glauben und Luther anzuhören. Aber
die Gefangenen blieben ihnfen die Antwort nicht schuldig, so dass
sie der weltliche Richter schliesslich mit den Worten: „Ihr seid
ein Teufelsgeschlecht" verliess.
Nicht besseren Erfolg erzielte ein katholischer Vikar, den
man ihnen jetzt über den Hals schickte. Aber der Bericht,
welchen derselbe über die beiden Gefangenen erstattete, hatte
dann auch zur Folge, dass man fortan noch härter mit ihnen
verfuhr. Jetzt sollten die Missionare mit Ketten an Händen und
Füssen geschlossen nach Chrudim abgeführt werden. Als ihnen
aber Jemand höhnend zurief: „Was habt ihr nun von eurer
Sache, als dass ihr in Ketten und Banden fortgeschleppt werdet",
entgegnete ihm Manitius : „Die Ketten sind mein grösster Schmuck.
So muss es Christen ergehen, sie müssen auch um des Namens
Christi willen etwas leiden."
Die Gefangenen wurden jetzt auf einen Leiterwagen, der
mit Stroh bedeckt war, geschafft und mussten so, den Rücken
gegen einander gekehrt, in Ketten die Fahrt nach Chrudim an-
treten. Die Stadt Hohenmauth segnend, fuhren sie von dannen,
und vor dem Thore stimmte Manitius das Lied „Lobe den Herren,
den mächtigen König der Ehren" an, in das Widmann mit einfiel.
Auf dem Wagen sassen zwei Wächter mit Keulen bewaffnet, und
neben demselben ritt der Stadtrichter einher.
Auf dem Markte in Chrudim mussten dann die Gefangenem,
ehe sie von den Behörden der Stadt übernommen wurden, eine
Weile warten , und dieser Umstand sollte für sie von erösster
— 293 —
Wichtigkeit werden. Denn ein junger Mann aus Landshut,
welcher die Missionare daselbst gesehen und kennen gelernt
hatte, wurde ihrer gewahr und brachte die Kunde von ihrer
Gefangenschaft nach Schlesien, von wo aus sie später Halle er-
reichte. Während derselben Zeit aber, wo sie ihres weiteren
Schicksals harrend auf dem Markte standen, trat ein Soldat an
sie heran und wollte sie anwerben; natürlich ohne Erfolg.
Endlich führte man sie in das Gefängniss der Stadt. Sie
wurden jetzt so eng angeschlossen, dass sie sich nicht von der
Stelle rühren konnten. Mit ihnen befanden sich in demselben
kleinen Räume drei Wilddiebe, zwei Mordbrenner, ein Deserteur,
eine Kindesmörderin, ein Hussit und ein Jude ; der letztere allein
verstand deutsch. Auf harten Steinen liegend, brachten die Mis-
sionare die Nacht zu. Einem alten Juden , welcher sich zum
Besuche bei seinem Glaubensgenossen im Gefängnisse aufhalten
durfte, bezeugten Widmann und Manitius sogleich in der ersten
Nacht Jesum Christum. Der Mann hatte bereits Mo Hers jüdisch-
deutsches Neues Testament gelesen und wurde von dem, was
ihm die Missionare an dieser Stätte sagten, so ergriffen, dass er
hernach zu ihnen auch seinen Sohn ins Gefängniss sandte, damit
er sie gleichfalls höre. Selbstverständlich wurde auch dem anderen
mitgefangenen Juden von den beiden Glaubensboten im Kerker
das Evangelium verkündigt.
Neue Richter führten nun die weiteren Verhandlungen mit
den beiden. Der enge Raum des Zimmers, in welchem die
Gefangenen sassen, wurde aber durch die Anwesenheit so vieler
Personen, die dort ununterbrochen sowohl ihre Tage als ihre
Nächte zubrachten, dermaassen verpestet, dass sich der die
Untersuchung führende Richter beim Verhöre beständig die Nase
zuhielt. Derselbe beschuldigte Widmann, weil er auf der Schreib-
tafel desselben den Namen eines hussitischen Jägers aufgezeichnet
gefunden hatte, der Gemeinschaft mit den Hussiten. Widmann
wies mit Recht diese Beschuldigung zurück, forderte aber jetzt,
dass man endlich dem widerrechtlichen Verfahren mit ihnen ein
Ziel setze. Statt ihnen eine Antwort zu geben, ging der Richter
mit höhnischem Lachen von dannen und bestimmte noch dazu,
dass fortan die Gefangenen auch in den Stock gelegt würden.
Ein römischer Geistlicher, der jetzt sein Heil bei den evange-
lischen Glaubensboten versuchen sollte, erkannte schnell, dass er
ihnen nicht gewachsen wäre, und schlug vor, dass statt seiner
— 294 —
ein gelehrter Kapuziner die Unterredungen übernähme. Tags
darauf sandte er den Dechanten Lehr zu ihnen, um sie zum
Uebertritt zu bewegen. Freundlichkeit ins Angesicht hinein und
nichtswürdige Ränke hinter dem Rücken waren die Waffen, deren
sich, wie es später einer der Richter selbst bekannt hat, dieser
katholische Geistliche gegen die beiden Protestanten bediente.
Diejenigen Gefangenen, welche sich bisher im Stock befunden
hatten, wurden nun von demselben befreit, damit die beiden
Ketzer in denselben gespannt werden könnten. Widmanns Füsse
wollten sich zunächst in denselben nicht einpressen lassen; dess-
halb erhielt er den untersten Platz im Stock nahe dem Ofen,
wo die Löcher grösser waren. Da sassen nun die Beiden auf
Stroh und streckten die geketteten Füsse durch den oberen und
den unteren Balken, welche soweit ausgehöhlt waren, dass die
Füsse darin liegen konnten. Während der Nacht wurden den
Gefangenen noch die Hände in der Form zusammengeschlossen,
wie man sie zum Beten faltet. Die Mitgefangenen baten den
Stockmeister um Gnade für die Gefangenen, und während der
Nacht wenigstens unterliess es dann derselbe, die Missionare in
dieser Weise zu quälen.
Von dem Blocke bis an die Wand war ein Raum von i 1 2
Ellen; bei den Füssen war er erhöht, bei dem Kopfe abhängig,
und es schien, als hingen sie an den Füssen. Widmann erzählt:
„Das Blut schoss mir so sehr zurück, dass die Augen anfingen
roth zu werden und anzuschwellen. Gerade konnte ich nicht
liegen, weil der Raum vom Block bis zur Wand zu kurz war;
auf die Seite konnte ich mich nicht wenden, weil die Füsse nicht
nachgaben. Endlich unterstützte ich den ganzen Leib mit zwei
Rahmen, bald von hinten, bald auf der Seite, aber es half nicht
viel." Manitius fügt hinzu : „Tag und Nacht sassen wir so volle
2 Monate lang. In der ersten Zeit hatten wir viele schlaflose
Nächte. Das Ungeziefer plagte uns; die Krämpfe meldeten sich
oft in den Beinen; wir hatten wenig zu essen und zu trinken;
die Furcht, dass noch etwas Härteres erfolgen möchte, blieb
auch nicht aus. Aber es schlug doch zu unserem Besten um,
dass wir in den Stock gesetzt wurden; denn wir konnten so die
2 Monate vor dem Verhör bei einander bleiben, mit einander
beten, studiren, uns ermuntern und stärken und auf das Verhör
vorbereiten."
— 295 —
„In dieser Vorbereitung legten wir das zum Grunde, dass,
wenn wir die Wahrheit redeten, unsere Aussagen übereinstimmen
würden. Unser grosses Elend erregte aber auch grosses Mitleid,
so dass sich Manche unser erbarmten und uns Almosen reichten.
Die Sache wurde weithin unter den Juden, Katholiken und Hus-
siten bekannt und daraus konnte zu seiner Zeit Nutzen erwachsen.
Uns selbst diente es zu weiterer Uebung des Glaubens, des Ge-
betes und der Geduld und besserer Prüfung unseres Zustandes
vor Gott, indem wir uns allen zu Tage tretenden Anzeichen nach
zum Tode vorbereiten mussten. Besonders ging unsere Sorge
darauf, dass wir an unserem Theile nichts versäumen noch ver-
sehen möchten in unserer Pflicht uns zu verantworten, unsere
gerechte Sache gründlich und mit aller Freudigkeit vorzustellen
und uns so zu verhalten, dass man, wenn wir auch unschuldig
sterben müssten, nach unserem Tode erführe, dass wir in unserem
Glauben standhaft verharrten und in demselben fröhlich aus
dieser Welt gegangen seien."
Die übrigen Gefangenen fühlten Anfangs ein Mitleiden für
die beiden Missionare; aber ihre Bitte, auch in der Nacht die-
selben aus dem Stocke zu lassen, erhörte der Kerkermeister
nicht, während er sie dagegen des Tages über öfter von dieser
Qual befreit hatte. Zur Nacht wurde der Stock mit 2 Eisen
und 2 Schlössern verschlossen. „Wenn so die Nacht herankam,
beteten wir zusammen vor allem in dem Sinn, Gott wolle dieses
unser Leiden dazu gebrauchen, dass sein Name geheiligt werde;
von uns wolle er fern thun alle Zärtlichkeit des Fleisches; wir
wissen wohl, dass wir verdient haben, zur Hölle gebeugt zu
werden; er wolle uns mit diesem Kreuzblock (wir bildeten mit
den Füssen ein Kreuz) so segnen, dass er eine Gemeinschaft
des Leidens Jesu werde."
Gegen Ende Februar stellte sich der Dechant und Doktor
der Theologie Bernhard Lehr bei den Gefangenen selbst ein.
Er verkehrte hoftährtig, hart und höhnisch mit denselben, gerieth
aber den schriftbewanderten Missionaren gegenüber sehr ins
Gedränge und schickte, weil er selbst seine Sache höchst unge-
schickt geführt hatte, ihnen bekannte römische Streitschriften
ins Gefängniss, welche denselben mehr beweisen sollten. Wieder-
holt unterhielt er sich dann mit ihnen. Widmann imponirte ihm
hierbei so, dass er ihm anbot, falls er römisch werden wolle,
— 296 —
ihm eine Professur der Theologie in Prag zu verschaffen; das
half ihm aber so wenig, als seine Drohungen.
Besonders arg wurde die Verlegenheit dieses Doktors der
Theologie, als ihm nachgewiesen wurde, dass alles, was er für
seine römische Lehre geltend mache, die Juden für ihre eigene
ältere anzögen, und dass, wenn Gründe der Tradition stichhaltige
wären, die Juden das ältere Recht vor den Katholiken für sich
geltend machen könnten. Als der Dechant aber, da er mit
ordentlichen Gründen nichts ausrichtete, Widmann die Worte im
Munde verdrehte, erklärte der gefangene Missionar, dass er mit
ihm nicht weiter sprechen werde, wenn er bei seinem Verfahren
verbliebe; und erst als der Priester fortan ehrlicher zu Werke
gehen zu wollen versprach, Hess sich WTidmann mit ihm in ein
weiteres Gespräch ein.
Der Missionar forderte jetzt eine methodische Behandlung der
Frage, ob Rom oder die evangelische Kirche im Rechte sei, und
der Dechant ging hierauf ein. Es wurde ein Protokoll verfasst
und wurden die Ergebnisse des Gespräches klargestellt. Als es
sich aber hierbei bald zeigte, wie ungünstig sich die Sache für
den römischen Theologen gestaltete, verzichtete derselbe dareuf,
in dieser Weise die Verhandlungen weiter fortzuführen.
Manitius hatte es dem älteren Collegen überlassen, den
Dechanten zurechtzuweisen. Das Schweigen desselben aber ver-
stand der Letztere falsch und wandte sich desshalb an den
jüngeren Gefangenen, in der Hoffnung, bei ihm mehr zu erreichen.
Manitius aber erklärte ihm: „Ich bin von der Gnade Gottes
in Christo und von dessen Gerechtigkeit, die allein vor Gott gilt,
so lebendig überzeugt, dass alle Ihre Vorstellungen mich nicht
abzubringen oder irre zu machen vermögen." „Im Uebrigen", fügte
Manitius hinzu, „gereichten uns seine Zusprüche nur zur Befestigung
im evangelischen Glauben."
Man Hess nun die Gefangenen Mangel leiden, um sie auf
diesem Wege weich zu machen. Später schickte ihnen der Dechant
einen Jesuiten zu. Derselbe setzte die traurigen Bekehrungsver-
suche ebenso unglücklich fort und pries dann vor den Missionaren
die katholischen Märtyrer in Japan, aber auch die Kunststückchen,
mit denen ein Pater daselbst das christliche Bekenntniss zu um-
gehen und sich in eine Stadt einzuchleichen gewusst hatte.
CT) O
Widmann antwortete dem Jesuiten zu seiner Beschämung: „Mit
List das Evangelium zu lehren, will uns nicht anstehen; man
— 297 —
hat in der Anfechtung keinen Trost. Nach Matthäus 10 hat man
ein öffentliches Bekenntniss vorzuziehen, wenn man nicht einst
auch verleugnet werden soll. Wir leiden und schweigen."
Am Charfreitage trat der Kaiserliche Commissar bei den
gefangenen Missionaren ein und erkundigte sich nach allen ihren
Umständen und wie lange sie im Stock geschlossen lägen. Wid-
mann zeigte dem Beamten die Einspannung und Beklemmung,
die ihm fast den Rücken gebrochen, nur etwas mehr Schlaf
wünsche er sich. Bei diesen Worten fiel es ihm ein, dass Char-
freitag wäre, und darüber rief Widmann aus: „Kreuzige, kreuzige,
wir sind es nicht, die so gepresst werden, Jesus selbst wird ver-
folgt; die Sache ist nicht unser, sondern Gottes und Christi.
Jesus hat ausgespannt am Kreuze gehangen, und wir werden um
seinetwillen in diesen Kreuzblock gesteckt. Gott erbarme sich
und vergebe denen ihre Sünde, die mit uns als mit Uebelthätern
handeln." Der Commissar war tief bewegt, und als er erfuhr,
dass jeder nur 4 Kreuzer täglich zu seinem Lebensunterhalt
empfing, versprach er, ihnen einen Trunk Wein senden zu wollen.
„Um 3 Uhr, in der Stunde, da dem Heiland der Trunk am
Kreuze gereicht worden war, empfingen wir ein köstliches Glas
ausländischen Weines anstatt des Essigs und der Galle, damit
Christus getränket worden."
In ihrer schmerzlichen Lage aber mussten die Missionare
noch selbst für ihren Tisch sorgen. Sie Hessen desshalb allerlei
Wirthschafts- und Kochgeräthe für sich anschaffen. Die Messer
aber nahm man ihnen des Nachts weg, damit sie sich nicht
selbst entleibten. Eine Erhöhung des Tagegeldes, die ein mit-
leidiger Richter für sie beantragt hatte, wurde hintertrieben und
ihnen auch die Bitte um die Gewährung einer hebräischen Bibel
abgeschlagen, während dem mitgefangenen Juden dieselbe be-
willigt wurde. Die stille, geduldige Art aber, alles zu ertragen
und nicht zu klagen, machte auf einige der Richter allmählich
einen besonderen Eindruck, so dass einer derselben einmal über-
wältigt ausrief: „Ich liebe Euch wie mein eigenes Herz."
Die Mitgefangenen ausser dem Hussiten waren für die
Missionare eine wahre Plage; sie zankten sich, fluchten und
redeten die ärgerlichsten Dinge den ganzen Tag über, um bald
darauf ihre römischen Gebete und Lieder anzuheben. Anfangs
schien das ganze WTesen der Missionare ihnen eine Gewissens-
mahnung werden zu wollen, bald aber waren sie hiergegen ab-
- 298 —
gestumpft; und da Jene es abwiesen, katholisch zu werden,
thaten sie ihnen auch ihrerseits alles mögliche Herzeleid an.
Neugierige, welche Zutritt im Gefängnisse fanden, wo sie
die beiden evangelischen Prediger sehen wollten, kamen nie zu
den Missionaren , ohne dass sich dieselben beeifert hätten , ihnen
ihre Christenpflicht gegen die Juden an das Herz zu legen. Sehr
lieb war Widmann und Manitius der Verkehr mit dem alten
Hussiten, der ihnen an seinem Leibe die Spuren der barbarischen
Behandlung, welche er durch katholische Geistliche erfahren hatte,,
zeigte. Eine Anzahl seiner Glaubensgenossen hatte man vor
ihm eingefangen und aufgehängt oder hingerichtet.
Der mitgefangene Jude hatte grössere Freiheit und brachte
die Kunde von den beiden Missionaren unter die Seinen. Viele
Juden besuchten sie daraufhin im Gefängniss, wo denn das traurige
Geschick der beiden Glaubensboten sie zur Theilnahme stimmte
und sie für das Wort derselben empfänglich machte. Aus den
Ketten und dem Blocke heraus aber predigten ihnen die Missio-
nare mit allem Eifer das Evangelium. „Mit Freudenthränen",
schreibt Manitius, „habe ich bisweilen Gott Dank gesagt, dass
wir in unseren Banden die hohe Gnade Gottes in Christo Jesu
den Juden beweglich ans Herz legen konnten."
Ein zweiter Jesuit mit Namen Regius besuchte sie jetzt
und hatte den Muth, zu den armen, gequälten, in den Stock
eingespannten Missionaren von der vielen Last, die ihm seine
Amtsarbeit verursache, zu sprechen, und dass sich die Katholiken
ihren Glauben so viel mehr kosten Hessen als die Evangelischen.
Die Missionare aber, ohne ein Wort von sich selbst zu sprechen,
predigten ihm mit allem Ernst die Notwendigkeit, rechtschaffene
Busse zu thun, und forderten ihn auf, an das Heil der Juden
zu denken; Aehnliches thaten sie dem Kaplan des Bischofs von
Königgrätz gegenüber, der ihnen jetzt zugesandt wurde.
Endlich am 16. April, an jenem 55. Tage, den Widmann
im Traume hatte nennen hören, bequemte man sich zum Verhör
der Beiden, nachdem alle Versuche, sie katholisch zu machen,
misslungen waren. Einzeln wurden die Missionare vorgefordert
und mussten mit den schweren Ketten an den Füssen vor dem
Richter erscheinen. Der Richter wollte nicht glauben, dass die
Beiden wirklich nur den Juden zu predigen beabsichtigt hätten;
im Uebrigen aber erklärte er, dass die Juden wohl als Juden in
den Kaiserlichen Staaten geduldet würden, dass es ihnen aber
— 299 —
nicht erlaubt wäre, evangelisch zu werden, weil dann auch viele
aus der römischen Kirche verführt werden könnten. Die möglichste
Mühe gab man sich, sie zu dem Bekenntnisse zu bringen, dass
sie die Hussiten hätten aufsuchen und unter ihnen evangelische
Bücher vertheilen wollen. Der Richter erklärte, dass man ihnen
das Geständniss durch die Folter abpressen werde. Manitius
aber legte hiergegen Berufung auf den Kaiser ein.
Nach dem ersten Verhöre rief übrigens einer der assistirenden
Richter dem Manitius zu: „Seid getrost!" Am Schluss des
zweiten Verhörs bat Manitius um die Erlaubniss, mit dem Pro-
tokoll eine Bittschrift an den Kaiser und die Appellationskammer
einsenden zu dürfen. Der Vorsitzende frag ihn hierauf, ob er
noch an eine göttliche Vorsehung glaube. Manitius antwortete
getrost: „Ja, die glaube ich von Herzen. Ich weiss wohl, dass
Gott schon Zeit und Stunde abgemessen hat, wie lange wir hier
sitzen sollen, und werden Sie uns gewiss nicht eine Stunde
länger halten können, als Gott es haben will. Das weiss ich.
Allein ich weiss auch, dass Gott mir Mund und Verstand nicht
umsonst gegeben hat, sondern wenn ich in solcher Gefahr bin,
muss ich meine Unschuld retten, den Mund aufthun und eine
hohe Obrigkeit um Erlaubniss bitten, dass ich meine Vertheidi-
gung aufsetzen darf." Widmann, der nach Manitius das Verhör
zu bestehen hatte, und seinen Richtern sehr ernst ins Gewissen
redete, blieb nun wenigstens auch den Tag über ausser dem
Stock, aber von seinem Gefährten getrennt. Ihre Bitte, ganz
vom Stocke erledigt zu werden, wurde rundweg abgeschlagen.
Manitius litt jetzt an einem starken Husten in Folge der
langen, entsetzlichen Verrenkung, welche er im Stock hatte
erdulden müssen. Der Stockmeister erlaubte daher aus Mitleid
den Beiden des Tages über auf seiner Stube zusammenzukommen,
doch blieben sie auch hier wenigstens angeschlossen. Fortwährend
wurden sie überdem mit Schriften, welche den Protestantismus
bekämpften, gequält. Ein Versuch anderer Art, Manitius zum
Katholicismus herüberzuziehen, misslang gleichfalls. Die Frau
des Bürgermeisters besuchte denselben mit ihrer erwachsenen
Tochter. Letztere bat ihn, katholisch zu werden, und deutete
ihm an, dass sie ihm dann die Hand reichen würde. Manitius
aber antwortete ihr: „Im Gefängniss ist Zeit zu beten und nicht
Zeit an's Heirathen zu denken". Widmann hatte in dieser Zeit
einmal Gelegenheit zu entfliehen, aber er widerstand dieser
— 3Q0 —
Versuchung. „Ich wollte den Arrest nicht verletzen, viel weniger
meinen Gefährten im Stich lassen und ihn in einen schlimmeren
Stand setzen."
Vor Pfingsten schlug das Getreide bedeutend auf, so dass
die Missionare ihre liebe Noth hatten, täglich mit 4 Kreuzern
auch nur den dringendsten Hunger zu stillen. Juden und Jüdinnen
aber, welche von den Beiden gehört hatten, besuchten sie jetzt öfters
im Gefängnisse und reichten ihnen Almosen dar. Nach wie vor
aber blieben die Missionare in der Ungewissheit über den end-
lichen Ausgang ihrer Haft. Ihr Glaube wurde jedoch nicht
im Mindesten erschüttert. Sie beteten viel mit einander und bei
ihrer ungemeinen Kenntniss der Schrift gingen sie, da ihnen
eine Bibel nicht gereicht wurde, Theile derselben, die sie sich
selbst aus dem Gedächtnisse aufsagten, betrachtend durch.
Zu dieser Zeit drang aber auch ein Gerücht zu den Ge-
fangenen, dass man von Halle aus ihre Sache in die Hand
genommen habe. In der That hatte Callenberg am 15. März
einen Brief aus Schlesien erhalten, welcher ihm meldete, dass
Kaufleute aus Brunn, wie es in dem Schreiben hiess, der
Gefangennehmung von Widmann und Manitius beigewohnt hätten.
Ein evangelischer Geistlicher aber meldete in einem Briefe vom
20. März, dass die Beiden zu Chrudim in Mähren, wie er irrthüm-
iicherweise statt in Böhmen schrieb, gefangen gesetzt worden
wären. Callenberg schrieb sofort an einen Gönner des Institutum
in Wien. Alsbald geschahen Schritte bei dem preussischen,
dem grossbritannischen und hannoverschen Gesandten in Wien,
denen sich auch der dänische anschloss, um die Befreiung der
Gefangenen herbeizuführen. Die Verwechselung der Orte hatte
aber viele vergebliche Nachfragen zur Folge. Erst am 2. Mai
berichtete der Minister aus Berlin, dass die beiden Missionare in
Chrudim und zwar unter weltlicher, nicht unter geistlicher Juris-
diktion gefangen sässen. Letzterer Umstand war von grosser
Wichtigkeit, denn eine Befreiung vom geistlichen Gerichte wäre
kaum zu erhoffen gewesen, wie alsbald von Wien her mitgetheilt
worden war. Aber erst Ende Juni wurde festgestellt, dass
Chrudim in Böhmen der Ort der Gefangenschaft sei. Ein Schreiben
des preussischen und dänischen Gesandten an den Oberstburggraf
in Prag vom 8. Juli hatte den gewünschten Erfolg. Unter dem
1 7. Juli langte in Chrudim ein Entlassungsbefehi für die Gefangenen
ein, und am 18. wurden ihnen die Ketten abgenommen, welche
— 3°i —
sie 22 Wochen getragen hatten. Dass der kränkliche Widmann
diese Zeit überstanden hatte, war ein rechtes Wunder Gottes.
Am 21. Juli verkündigte ihnen der Syndikus den Entlassungs-
befehl: „Aus den Inquisitionsakten habe man ersehen, dass die
beiden Arretirten zwar nichts Ketzerisches ins Land gebracht
haben, dass sie aber mit der Zeit, wenn man sie duldete, dem
Lande einen Schaden zufügen möchten. Desshalb sollten sie aus
dem Lande geschafft und unter sicherem Geleit auf einem Wagen
bis an die Grenze gebracht werden; was an Geld nach Abzug
der Unkosten noch übrig bleibe, sollten sie zurückerhalten."
Das war katholische Gerechtigkeit!
Der Kostenersparniss halber baten die Missionare, ihnen
nur 2 statt 4 Männer als Wachen mit auf den Weg zu geben.
Dies wurde bewilligt und von ihrem ganzen Gelde ihnen nur
11 Gulden 42 Kreuzer zurückgegeben, alles andere für die auf-
gelaufenen Kosten verrechnet! Der Bürgermeister und Stadtrichter
schämten sich dieses Urtheils und bewirtheten beide Missionare
in ihren Wohnungen. Am 22. Juli verliessen sie nach einem
köstlichen Abschied, den sie von allen Mitgefangenen genommen
hatten, die Stadt. Und nun schreibt Widmann: „Darauf gingen
wir in einem Sturme aus diesem Ort der Gefangenschaft in unsere
Freiheit. Eine Jüdin folgte uns nach, um zu sehen, wie wir aus
dieser Stadt kämen. Also ist der römischen Kirche offenbar
geworden, man versuche evangelischerseits mit allem Ernst die
Ungläubigen zu überzeugen; aber es steht auch zu fürchten,
dass unsere Hinwegschaffung ein schweres Gericht nach sich
ziehen werde. Je grösser die Xoth, je näher Gott."
Am 6. August langten die Missionare bei Callenberg an.
Die Vergeltung, welche Widmann vorausgesehen hatte, kam
über jene Stätten wenige Jahre später in dem Kriege Friedrichs
des Grossen, aber auf eine merkwürdige Weise. Als die Preussen
1741 in Böhmen einrückten, fanden sie die Widmann und Manitius
abgenommenen Bücher noch unter obrigkeitlicher Verwahrung
vor. Da wurden die Soldaten in ihrer Weise Missionare, denn
sie streuten, wie St. Schultz berichtet („Leitungen des Höchsten",
2, 200) die Büchlein überall unter den Juden in Böhmen, Mähren
und Oberschlesien aus. Schultz aber durfte in Teschen einen
Proselyten kennen lernen, der nach seiner eigenen Angabe durch
eins dieser Büchlein, das Evangelium Lucas in jüdisch-deutscher
Sprache, zum christlichen Glauben gekommen war.
- 302 --
Widmann aber und Manitius hatte ihre Gefangenschaft vom
Missionsberufe in keiner Weise abgeschreckt, sondern sie nahmen
sogleich nach ihrer Rückkunft ihr Amt in der bisherigen Art
wieder auf, und man hörte sie seitdem nie von dem besonders
reden, was sie in ihrem Zeugenberufe erlitten hatten. Manitius
fand überhaupt nie etwas Ausserordentliches in den vielen Nöthen
und Beschwerden, welche ihr Amt mit sich brachte, sondern
blieb stets mit wahrer Herzenslust ein Missionar. An dem Tage,
wo er das zehnte Jahr in seinem Missionsberuf vollendet hatte,
dem 16. November 17-40, schreibt er: „Gelobt sei Gott, der
mich die 10 Jahre meiner Reisen hat zurücklegen und mich in
diesen Jahren meiner Wallfahrt so manches Gute hat erleben
lassen. O, sein herrlicher Name muss dafür in alle Ewigkeit
von mir und allen Gläubigen gepriesen werden!"
Von eigenen Leistungen wollte dabei Manitius nichts
wissen und stellte seine Reisegefährten stets über sich selbst.
Durch lautere, einfältige Frömmigkeit überragte er alle anderen
Missionare des Institutum, besonders führte er ein tief innerliches
Gebetsleben. Sehr lebendig war sein evangelisches Bewusstsein,
wie dies die Zeit der Gefangenschaft deutlich bewies; und als
später ein römischer Bischof die Juden seines Sprengeis zur
Lesung der Halle'schen Missionsschriften zwingen wollte, missbilligte
dieser evangelische Glaubensbote das durchaus.
Manitius gönnte sich keine Ruhe in seinem Berufe, er ging
in demselben völlig auf. Oft wenn er nach anstrengendem
Marsche ganz ermüdet in einem Wirthshause einkehrte, vergass
er, sobald ihm in demselben Juden zu Gesicht kamen, alle
Rücksicht für sich selbst und stand sofort als Prediger des
Evangeliums unter ihnen. Einmal wollte ihn eine Jüdin sprechen,
als er sich eben hungrig und ermattet zu Tisch gesetzt hatte.
„Ich bat sie freundlich, sie möchte nach einer Stunde wieder-
kommen; sie versprach es zwar, blieb aber doch aus. Ich werde
das künftig nicht wieder thun, sondern unserem Heiland folgen,
welcher sagte: Das ist meine Speise, dass ich thue den Willen
meines Vaters, und welcher sich bei dem Zulauf des Volkes
öfters des Essens enthielt."
Wiederholte Anträge, ein Pfarramt anzunehmen, schlug er
ab, so lange es ihm seine Kräfte gestatteten, im Missionsberufe
zu bleiben; und er verwies z. B. den Bürgermeister einer Stadt,
welcher ihm im Namen derselben eine Stelle an ihrem Orte an-
— 303 —
geboten hatte, in einem längeren Schreiben auf Lucas ia, 4:
Welcher Mensch ist unter euch, der 100 Schafe hat und so er
eins derselben verliert, der nicht lasse die 99 in der Wüste und
hingehe nach dem verlorenen, bis dass er es finde?
Bei sehr grosser Schriftkenntniss besass Manitius doch
nicht gerade eine hervorragende Gabe des Wortes; er stand in
dieser Beziehung sowohl hinter seinem früheren Gefährten Wid-
mann als hinter dem späteren St. Schultz zurück. Aber wie
er selbst im innersten Herzensgrund von der Wahrheit des
Evangeliums ergriffen war, so verstand er es auch, dieselbe
gerade den Herzen der Juden nahe zu bringen und sie in die
Schrift einzuführen. Und hatte er trotz seiner gewinnenden Art
wiederholt recht Arges von Juden zu leiden, ja auch selbst Miss-
handlungen durch dieselben zu ertragen, so hörten ihn diese der
Regel nach doch willig and gern an.
Ebenso wie seinen Gefährten Widmann und St. Schultz
wurde es ihm denn auch wiederholt gegeben, dass Juden, mit
denen er in Verkehr getreten war, das Christenthum annahmen;
unter Anderem geschah dies mit einem jüdischen Arzte in Anspach,
der mit 5 Kindern Christ wurde, mit einem Rabbi aus Hessen und
einem Rabbi Aron, der sich hernach als Christ besonders bewährt
hat. In Polen wurde eine grosse Anzahl von Juden durch Wid-
mann und Manitius für das Christenthum gewonnen, in der Stadt
Posen traten einmal in Folge der von Manitius und seinem Ge-
fährten entfalteten Wirksamkeit 18 jüdische Haushaltungen über
und unter ihnen recht wohlhabende. Noch 20 Jahre nach seinem
Abgange vom Institutum wurde Manitius von Juden „ein gefährlicher
Mensch" genannt , der manchen Juden zum Abfall gebracht habe.
In besonderem Maasse war es ihm gegeben, Christen für
das Missionswerk zu erwärmen; auf Studirende verschiedener Uni-
versitäten zumal übte er in dieser Beziehung einen bemerkens-
werthen Einfiuss aus.
Als sein körperlicher Zustand ihm dann aber das fernere
Wandern zu Fuss unmöglich machte, war es ihm der grösste
Schmerz, sein liebes Missionsamt aufgeben zu müssen. Er hatte
von Hause aus eine krankhafte Anlage zum Fettwerden, welche
auch nicht einmal durch die geringe und entbehrungsvolle Lebens-
weise im Missionsamte überwunden wurde und ihm grosse Ath-
mungsbeschwerden verursachte, so dass er hierdurch schliesslich
gezwungen wurde, den Missionsberuf aufzugeben. Doch ergab
— 304 —
er sich erst, als er eben die Sache einfach nicht mehr weiter-
führen konnte , und nachdem er 1 4 Jahre hindurch mit unaus-
sprechlicher Treue und Eifer sein Werk gethan hatte.
Am 20. Februar 1744 verabschiedete er sich zum grössten
Schmerze für Callenberg und seinen damaligen Gefährten St.
Schultz vom Institutum und nahm zuerst die Schlossprediger-
stelle in Nienburg (Anhalt) an; später wurde er Pastor an der
lutherischen Kirche Agnus Dei in Cöthen, wo er am 16. April
1758 in einem Alter von 51 Jahren starb.
Die Zeit seiner Amtswirksamkeit in Cöthen war auch die
der Blüthe jener Gemeinde. Nie vor- und nachher war das
geistliche Leben in derselben so kräftig als damals, wo Manitius
an derselben wirkte. Mit derselben Unermüdlichkeit, die ihn
vorher in seiner Arbeit unter den Juden ausgezeichnet hatte,
wirkte er jetzt trotz der Hindernisse, die ihm sein körperlicher
Zustand und der katholische Fürst von Anhalt-Cöthen bereiteten,
an der christlichen Gemeinde, die seiner Pflege anvertraut war.
Aber die Juden vergass er auch in der neuen Thätigkeit
nicht. Er blieb in stets regem Verkehr mit dem Institutum,
unterrichtete auch jüdische Katechumenen und schrieb noch vier
Jahre vor seinem Tode an St. Schultz: „Die Arbeit unter den
Juden, wie sie bisher auf Reisen getrieben worden ist, ist und
bleibt mir alle Zeit eine der wichtigsten in dem herrlichen Gnaden-
reich Jesu Christi", und sorgfältig führte er sein Proselytenregister
weiter, von dem nur leider nicht zu ermitteln war, wo es geblieben
sein mag. Von seinen Kindern aus der Ehe mit J. C. Ludovici,
Tochter des hessischen Geheimraths, Vizekanzlers und Professors
Doctor juris J. F. Ludovici in Giessen überlebte ihn ein Sohn
Josua Gotthelf, geboren 25. August 1747 und eine Tochter
Johanna Christiane.
Tiefer als Johann Andreas Manitius hat wohl nie ein Juden-
missionar die Noth der Juden gefühlt und evangelischer ihnen
keiner das Heil bezeugt als dieser Mann. Alle Arbeiter der
Judenmission sollten nach dieser Richtung hin ganz besonders
für ihr Werk und ihre Arbeit von ihm zu lernen suchen.
h. Stephan Schultz.
Die Leitungen des Höchsten u. s. w. von Magister Stepiian
Schultz 5 Theile, Halle 1771 — 1775, eine Selbstbiographie des
Mannes. Auszüge aus diesem Werke haben häufig deutsche und
— 305 —
englische Missionsblätter gebracht. Stephan Schultz, Fernere
Nachricht von der zum Heile der Juden errichteten Anstalt,
Stück i — 15, 1762 — 1776. Von demselben Verfasser: Kurze
Nachricht von einer zum Heile der Juden u. s. w. errichteten
Anstalt, 2. Auflage, Halle 1769. Stephan Schultz, ein Beitrag
zum Verständniss der Juden und ihrer Bedeutung für das Leben
der Völker, von J. F. A. de le Roi, Gotha, 2. Auflage 1878.
Stephan Schultz, Basel, Verlag der Freunde Israels.
Die Berichte, welche Professor Callenberg über die Reisen
seiner beiden Missionare Widmann und Manitius herausgegeben
hatte, erweckten in dem schwedischen Staatsminister Baron von
Degenfeld den Wunsch, dass dem Werke des Institutum eine
weitere Ausdehnung gegeben werden möchte. Er schrieb dess-
halb 1735 an Callenberg, ob sich nicht noch andere Candidaten
finden Hessen, welche in die Arbeit einträten, und frug zugleich
an, was es kosten würde, einen Candidaten für das Missionsamt
vorzubereiten. Callenberg antwortete, dass es an geeigneten
Persönlichkeiten nicht fehlen würde, und theilte zugleich mit, wie viel
zur Erhaltung eines dritten Mitarbeiters nöthig sei. Baron Degen-
feld erklärte hierauf, dass er zum Unterhalt eines solchen jährlich
50 Thaler beisteuern wolle, und hat dieses Versprechen auch, so
lange er lebte , gehalten. Aber nicht bloss bei seinen Leb-
zeiten überwies er die betreffende Summe stets dem Institutum,
sondern setzte auch durch testamentarische Verfügung fest, dass
nach seinem Tode, der im Jahre 1750 erfolgte, von seinen Erben
jährlich die Zinsen von 1500 Gulden bis zur Aufhebung der
Anstalt an dieselbe gezahlt werden sollten.
Callenberg hat somit auch den ersten Schritt zur Vermehrung
der Missionare nicht von sich selbst aus gethan; aber da die
Anregung hierzu von aussen an ihn trat, hat er die Sache gern
aufgenommen und von nun an auch selbständig den Plan gefasst,
die Zahl der Mitarbeiter, so viel es irgend angehen würde, zu
vermehren. Aber auch jetzt hielt er an dem Gedanken fest, dass
jeder dieser Missionare nur für einige Zeit im Dienste des Insti-
tutum bleiben und dann in eine andere Lebensstellung eintreten
sollte. Denn von einer solchen Praxis erhoffte er noch immer den
doppelten Vortheil, dass einmal die fortwährend neu eintretenden
Kräfte dem Werke auch stets eine neue Frische verleihen, und dass
anderseits die früheren Missionare hernach als Prediger oder als
J. F. A. de le Roi, Missionsbeziehungen. 20
_ 30<5 --
Lehrer an Universitäten und Gymnasien den Trieb fühlen würden,
in ihren neuen Aemtern selbst die Arbeit an den Juden fort-
zusetzen, die Gemeinden für die Juden zu erwärmen und besonders
die jugendlichen Herzen für das Werk unter denselben zu gewinnen.
Zunächst nun trug Callenberg den Studirenden, welche seine
Vorlesungen und zumal die des Institutum besuchten, seinen
Wunsch vor, einen neuen Mitarbeiter aus ihrer Mitte für die
Missionsreisen zu erlangen; augenblicklich aber war hierzu keiner
bereit, wenngleich einer aus dieser Zahl hernach, den durch
Callenberg empfangenen Missionsanregungen folgend, zu den
Heiden ging. Callenberg beauftragte daher Widmann und
Manitius, auf anderen Universitäten sich nach einem geeigneten
Genossen umzusehen. 1736 kamen diese nach Königsberg in
Ost-Preussen und erkundigten sich dort, ob einer der Studirenden
dieser Universität bereit sei , in das Missionswerk einzutreten.
Professor Salthenius, dem sie besonders ihren Wunsch vor-
trugen, dachte an einen Theologie-Studirenden, Stephan Schultz,
welcher mit Vorliebe rabbinische Studien trieb. Durch seine Dürftig-
keit hiezu gezwungen, hatte derselbe neben den Stunden, die er
auf den Besuch der Collegien und auf die eigentlichen theologi-
schen Fächer verwendete, Unterricht am Collegium Friedericianum
geben müssen und daher nur während der Nacht Zeit zum Studium
der rabbinischen Werke, deren ausserordentlich feiner Druck die
Augen sehr angriff, gefunden. Zwei Jahre lang hatte er in jeder
Nacht nur drei Stunden geschlafen, aber dies freilich allein da-
durch zuwege gebracht, dass er die künstlichsten Mittel anwandte,
um sich wach zu erhalten.
Seinen Zweck hatte Stephan Schultz damit erreicht, aber
die Folgen Hessen nicht auf sich warten, und er selbst schreibt:
„Ich würde wohl dieses Verfahren vielleicht in Kurzem mit dem
Grabe beschlossen haben, wenn nicht Gott in seiner Güte die
Missionsreise veranstaltet hätte."
An St. Schultz also dachte Salthenius, als er nach einem
für das Missionswerk tauglichen Studirenden gefragt wurde, aber
der Gesundheitszustand desselben erregte ihm Bedenken; doch
wandte er sich an denselben und nach einem kurzen, überaus
charakteristischen Gespräch erhielt er das Ja desselben. Sofort
rüstete sich Schultz auch zum Aufbruch; die Freunde nahmen
von ihm Abschied, aber, wie sie glaubten, auf Nimmerwieder-
sehen; denn allem Anscheine nach musste Schultz auf den ersten
— 307 —
Meilen seiner Wanderschaft zusammenbrechen. Doch er ging,
und das Callenberg'sche Institutum hatte seinen bedeutendsten
Mitarbeiter und einen Missionar gefunden, mit dem sich bis in
unsere Gegenwart hinein keiner zu messen vermag.
Stephan Schultz, geboren 6. Februar 171 4, war ein Sohn
des Obermeisters der Schuhmacherinnung in Flatow, einer damals
zum Königreich Polen gehörigen Stadt der heutigen Provinz
West-Preussen. Zur Zeit seiner Geburt waren die Eltern wohl-
habende Leute. Durch ein Gelübde hatte die Mutter den Sohn
für den geistlichen Stand bestimmt und ihm den Namen Stephan
gegeben, „damit er das thue, was einst Stephanus gethan, und
wenn er auch die Leiden Stephani übernehmen sollte". Ein
evangelischer Geistlicher zu werden bedeutete aber freilich in
dem damaligen polnischen Reiche von vorn herein so viel, als
ein Märtyrerleben erwählen.
Im Dulden und Entsagen hat sich St. Schultz von früh
an üben müssen. Das 3 Monate alte Kind Hess ein Brauknecht
in die Braukufe fallen, und 1 Va Jahr lang hing in Folge dessen
sein Leben an einem Faden. In seinem ersten Lebensjahre
brannten die Eltern ab; 2 Jahre darauf zerstörte ein anderer
Brand, als der Vater auf Reisen abwesend war, das neu auf-
gebaute Haus; und was ihm noch geblieben war, verzehrte dann
der schwedische Krieg. Der 3 Jahre alte Knabe fiel von einer
Treppe herunter und längere Zeit hindurch schwebte er jetzt
zwischen Leben und Tod. Als er wieder hergestellt war, meinten
alle, dass er sein Leben lang werde an Krücken gehen müssen,
aber nach einem Vierteljahre war er wieder hergestellt und hat
hernach tausende von Meilen zu Fuss zurückgelegt. Diese Heim-
suchungen in seinen frühesten Jahren lehrten ihn aber auch bald
auf Gottes Wort merken, und der Knabe bereits führte recht
eigentlich ein Leben mit Gott.
Krieg und Brand vertrieben dann die Eltern aus Flatow
und führten sie zuerst nach Wirzisk, später aber nach Stolpe in
Pommern. Der fünfjährige Knabe besuchte in Wirzisk während
seiner Freistunden am liebsten die Schule des Rabbi. Der Muttter
wurde dies bedenklich, und sie frug ihren Sohn, er wolle doch
nicht etwa ein Jude werden. Der Kleine aber antwortete: „O nein,
ich werde kein Jude werden, sondern studiren, den Talmud
lernen und die Juden bekehren" und fuhr fleissig fort mit Juden-
kindern Umgang zu pflegen. So wurde ihm von früh auf neben
-- 303 -
dem Deutschen und Polnischen das Jüdisch -deutsche eine Art
Muttersprache. Als er nach zurückgelegtem 1 1. Jahre konfirmirt
wurde und das Abendmahl empfing, wurde ihm der Gedanke,
ein Tischgenosse Jesu gewesen zu sein, so wichtig, dass er an
Kinderspielen fortan kein Vergnügen mehr fand.
Bis zum 14. Jahre half er dann seinem Vater im Schuh-
macherhandwerk, fühlte aber dabei den Trieb zum Studiren in
sich mächtig erwachen. Die Mutter, welcher er das Herz erschloss,
wandte sich desshalb an einen Pastor Pfeifer, welcher bereit
war, dem jungen Menschen den Vorbereitungsunterricht für eine
höhere Schule zu ertheilen. Im Augenblicke der Abreise zu jenem
Geistlichen wurde aber Stephan Schultz krank und als er nach
mehreren Monaten gesund geworden war und sich nun zu jenem
Geistlichen begab, fand er denselben sterbenskrank. Der
Prediger übergab ihn daher seinem Bruder, einem Arzt und
Apotheker im pommerschen Bütow. Dort lernte nun Schultz
manches aus der Botanik und Apothekerkunst, aber die Schule
wurde völlig vernachlässigt. Desshalb ging der junge Mensch
gern auf den Vorschlag des städtischen Rektors ein, der ihm
anbot, Famulus bei ihm zu werden. Der Rektor war jedoch zu-
gleich Brauer, Branntweinbrenner und Kaufmann, und so hat nun
Stephan Schultz bei ihm, der ihn in seinen Gewerben gebrauchte,
die Schule recht selten besuchen können. „Ich wurde bei dem
Rektor ein Malzmacher, Branntweinbrenner, Pfeffer- und Herings-
krämer." Neben dem Darrofen legte sich jedoch der Jüngling
platt auf die Erde und studirte so die lateinische Grammatik
und andere Bücher oder betete.
Bis in sein 17. Jahr brachte St. Schultz in dieser Weise
seine Zeit zu. Dann hielt er dem Rektor sein Versprechen .vor
und derselbe erbot sich nun, ihn „einen Kammmacher" werden zu
lassen. „So wird Gott helfen", antwortete kurz und entschieden
der Jüngling und ging in seine Schlafkammer. Hier überlegte
er, was er jetzt thun solle. Er hatte einmal von einer Armen-
schule in Stolpe gehört, dorthin wollte er gern kommen. Der
Pastor in Bütow , an den er sich desshalb wandte , versprach
ihm, an den Rektor jener Schule seinetwegen zu schreiben. In-
dess aber kam ein Stolpe'scher Kaufmann durch Bütow. Er bat
denselben, ihn und seine wenige Habe mitzunehmen. Der Fuhr-
mann wollte es für 8 Groschen thun, Schultz aber hatte nur
9 Dreier, die bot er dem Fuhrmann an, und derselbe liess sich
— 309 —
an den wenigen Pfennigen genügen. Darauf meldete er dem
Pastor sein Abkommen. Derselbe war bestürzt, dass Schultz die
Antwort aus Stolpe nicht abgewartet hatte, gab ihm aber seinen
Segen auf den Weg und schenkte seinem Schützlinge auch einen
Mantel. So ging es auf die Reise.
Von diesem Augenblicke an ebneten sich alle Wege für
den Jüngling. Unterwegs theilte der Fuhrmann mit dem Darbenden
sein Brot und seinen Käse. Der Besitzer des Wagens aber,
der Stolpe'sche Kaufmann fand an dem jungen Menschen ein
Wohlgefallen und erlaubte ihm, statt neben dem Wagen einher-
zugehen, in demselben Platz zu nehmen, gab ihm dann, in
Stolpe angelangt, wöchentlich einen Tisch in seinem Hause und
sandte ihn, mit einem Billet von sich versehen, zu dem Rektor.
Dieser war erschrocken, als der Jüngling plötzlich vor ihm stand,
machte ihm allerlei Vorwürfe, rechnete ihm vor, was der Unter-
halt auf der Schule koste und frug ihn, was er denn thun wolle,
um die Geldmittel zu beschaffen, die nöthig seien, damit er sein
Ziel erreiche. Da streckte Schultz seine Hände zum Himmel
und sprach: „Der Gott, welcher Himmel und Erde gemacht
hat, wird auch noch ein paar Pfennige für mich übrig haben,
mich studiren zu lassen" — und der Rektor war entwaffnet.
Er prüfte ihn und wies ihn in die dritte Klasse, griff nun aber
auch zu, damit sein Bleiben am Ort ermöglicht würde; und im
Laufe einer Woche war für den Mittagstisch des neuen Gymna-
siasten, für seine Wohnung, Kleidung und Bücher vollständig-
gesorgt. Privatunterricht, den man ihm anvertraute, brachte
ihm einiges Geld und so lebte er schliesslich auf dem Gymnasium
in ganz behaglichen Verhältnissen.
Diese Gnadenführungen Gottes machten auf Schultz einen
tiefen Eindruck und er war ernstlich bestrebt, nicht bloss in
weltlichem Wissen, sondern auch in der Frömmigkeit zu wachsen.
Den Spott , welchen er dafür von seinen Mitschülern zu ertragen
hatte, achtete er nicht, viel schwerer waren ihm geistliche An-
fechtungen, welche er in einer für sein Alter völlig ungewöhn-
lichen Weise erfuhr. 1732 befiel ihn ein hitziges Fieber, so dass
er sein Ende nahe glaubte und das Abendmahl nahm, aber er
durfte noch einmal genesen. Bald darauf besuchte er einmal
seine damals noch in Wirzisk wohnenden Eltern, und der Jüng-
ling hielt daselbst auf Vieler Bitten in einer Stube eine Predigt.
Als aber die Katholiken das erfuhren, wollten sie ihn als Prädi-
— 3io —
kanten dem Gefängniss überliefern, und nur schleuniger Flucht
hatte er seine Rettung zu verdanken. Dem Jüngling, welcher
dies Alles in Stolpe mittheilte, bot man dort das Bürgerrecht
für seine Eltern an und überwies denselben, als sie gern dem
Rufe folgend übersiedelten, ein Wohnhaus an, das mit dem
Nöthigen wohl versehen war.
1733 konnte Schultz die Universität beziehen. Er ging
nach Königsberg, wo ihm Professor Salthenius freie Station
gewährte, wofür er von Schultz nur forderte, dass er zwei hebräische
Stunden am Kniphof sehen Gymnasium gäbe. Mehreren Studenten
hielt er daneben privatim ein hebräisches Colleg, und die Pro-
fessoren baten ihn, seine Studien dahin zu richten, dass er
Docent an der Universität würde.
In dieser Zeit aber las er einige der Callenberg'schen Be-
richte und dieselben wurden ihm so wichtig, dass er beschloss,
Magister auf der Universität zu werden und sich durch Vor-
lesungen eine Summe zu erwerben, die hinreichte, um hernach
Missionsreisen unter den Juden zu unternehmen. Dass also der
Vorschlag des Professor Salthenius, beim Institutum einzutreten,
angenommen wurde, ist sehr erklärlich.
22 Jahre alt, begab sich dann St. Schultz am 29. Mai 1736
mit Widmann und Manitius zu einer Probereise auf die Wanderung.
Der körperlich elende Mensch, der nun noch dazu sein schweres
Wanderbündel tragen musste, sah aus, als werde er bei den
ersten Schritten zusammenbrechen; aber seine Kraft wuchs mit
jedem Tage und trotzte den grossen Strapazen, welche die
Wanderung in den jetzt russischen Ostseeprovinzen mit sich
brachte. Eines Abends geriethen alle drei Wanderer ins Wasser.
Ueberschwemmungen hatten das ganze Gebiet vor ihnen in einen
See umgewandelt. Zurück wollten sie nicht und so blieb ihnen
nichts übrig, als sich auszukleiden, die Sachen zusammenzubinden,
sie auf den Kopf zu nehmen und, im hellen Mondlicht nach
vorn hin schauend, schwimmend ihrem Ziele zuzusteuern. Um
1 Uhr landeten sie auf trockener Erde und erreichten das Haus,
das sie aus der Ferne her erblickt hatten. „Brot, wie aus purer
Streu gebacken und in warme Milch getaucht, war die Haupt-
nahrung", selten trat „ein wenig gedörrtes Fleisch" hinzu. Aber
die Freudigkeit an der Arbeit litt darunter nicht. Schultz fand
reiche Gelegenheit zu Zeugnissen unter den Juden und nur das
hatte er gesucht, die Beschwerden achtete er nicht und war
— 3ii —
nun vielmehr bereit, sobald er zu beständiger Arbeit in diesem
Missionswerk berufen würde, sogleich zu folgen.
Von 1737 — 1739 wirkte er dann noch einmal wieder in
Königsberg als Prediger am Zuchthause und als Lehrer am
Fridericianum. Seine Gesundheit hatte sich inzwischen gekräftigt.
Jetzt gelangte aber mehrfach der Ruf an ihn, ein Pfarramt zu
übernehmen und gerade, als er im November 1 739 die Aufforderung
aus Halle erhielt, sich von Neuem dem Missionsberuf zu widmen,
ergieng an den erst 25jährigen jungen Theologen der Antrag,
die bedeutende und einträgliche Superintendentur in Stallupönen
zu übernehmen. Man hielt ihm denn auch vor, dass er die
Pflicht habe, es wohl zu erwägen, ob er eine so wichtige Stelle
ausschlagen dürfe, und so antwortete er, dass er selbst in dieser
Sache nicht entscheiden wolle. Er erklärte sich bereit, der
theologischen Facultät, die besonders in ihn drang, jenes Amt
zu übernehmen, zu gehorchen, wenn dieselbe ihm seine Bedenken
nehmen könne. Er wolle die Sache nur der Facultät so vor-
stellen, wie sie liege, und das that er in fünf Punkten, jene
Körperschaft aber solle alsdann den Entscheid geben. Er schrieb:
„Wenn Gott an jenem Tage mich fragen möchte:
1. Habe ich nicht von Kindesbeinen an dir einen Trieb
gegeben, den Juden den Weg des Heils zu zeigen? so würde ich
antworten: Ja, Herr!
2. Habe ich dir nicht auf der Probereise vor 3 Jahren ge-
zeigt, dass ich dir Tüchtigkeit geben könnte zu arbeiten? so
würde ich antworten: Ja, Herr!
3. Habe ich dir nicht zu erkennen gegeben, dass die Ernte
der Juden gross und der Arbeiter aber wenige seien? so würde
ich wieder antworten: Ja, Herr!
4. Habe ich dir nicht gezeigt, dass du auf der Probereise
manchen guten Eingang bei den Juden hattest und dass du bei
fernerer Reise und grösserer Uebung hättest weiteren Eingang
haben können? Ich würde wiederum antworten: Ja, Herr!
Und wenn endlich
5. dann der Herr mich fragen würde: Warum bist du dem
ergangenen Rufe nicht gefolgt? so würde ich die hochwürdige
theologische Facultät antworten lassen."
Darauf sagten Alle: „Nein, das wollen wir nicht verantworten,
gehe er in Gottes Namen", segneten mich und Hessen mich
ziehen."
— 312 —
Auf seiner Reise nach Halle ging er über Stolpe, wo er
von seiner verwittweten Mutter noch den Segen für das neue
Amt empfing, und über Berlin. Hier besuchte er den Pastor
Woltersdorf an der Georgenkirche. Er frug die Kinder des-
selben, ob sie wohl Lust zum Reisen hätten? Der 9jährige
Albert Friedrich antwortete: „Warum nicht, wenn es Gottes
Wille ist?" 10 Jahre später trat derselbe in das Institutum ein
und begleitete Schultz auf dessen Missionsreisen nach dem Orient
als jugendlicher Mitarbeiter.
Anfang 1 740 verliess dann Schultz Halle, um in Begleitung
von Manitius Missionswanderungen zu unternehmen.
Da es der Plan des Institutum war, dass womöglich überall
die Juden einmal durch die Sendboten desselben aufgesucht
werden sollten , galt es für dieselben auch manche fremde Sprache
zu lernen. Schultz hatte ein angeborenes Sprachentalent und
brachte es ausser seiner deutschen und polnischen Muttersprache
auch zum Sprechen im Lateinischen, Alt- und Neugriechischen,
Hebräischen und Rabbinischen, Englischen, Französischen, Hollän-
dischen, Italienischen, Illyrischen, Türkischen, Arabischen, Syrischen,
Persischen, Armenischen, Koptischen und der Lingua franca des
Morgenlandes. Theils während der Zeit, welche er vorübergehend
in Halle zubrachte, theils auf seinen Reisen erlernte er diese
Sprachen. In 3 bis 4 Monaten hatte er z. B. das Türkische
bemeistert. Am Tage zog er missionirend umher und des Nachts
finden wir ihn dann oft über einer neuen Sprache studirend.
Im Bayerischen traf er einmal unter einer Anzahl von
Juden einen polnischen Rabbi. Das Zeugniss des Missionars
von der Busse und dem Glauben war dem Manne unangenehm,
und er stellte sich desshalb an , als ob er von der ganzen
Unterhaltung nichts verstünde. Plötzlich redete Schultz ihn an,
der Rabbi aber entschuldigte sich in polnischer Sprache, dass
er deutsch nicht verstehe. Da setzte Schultz die Unterhaltung
polnisch fort, der Rabbi aber suchte dem Gespräch damit ein
Ende zu machen , dass er rabbinisch zu reden begann ; aber auch
hierin folgte ihm der Missionar. In grösster Verlegenheit wechselte
nun der Jude fortwährend zwischen den drei Sprachen, aber
Schultz hielt mit ihm gleichen Schritt, bis der Rabbi die Waffen
streckte und jetzt bereitwillig die ihm von Schultz angebotenen
Missionschriften annahm.
— 313 —
Gewöhnlich waren es die Wintermonate, welche eine Unter-
brechung des Reisewerkes herbeiführten. Setzte nun Schultz
während dieser Zeit seine sprachlichen und theologischen Studien
fort, so beschränkte er sich jedoch darauf nicht, sondern hielt,
mehrfach geäusserten Wünschen entsprechend, auch Vorlesungen
an der Universität in Halle über arabische Sprache, die muham-
medanische Religion, rabbinische und griechische Sprache, über
einige alt- und neutestamentliche Bücher und ein syrisches über
das Evangelium des Matthäus, so dass es wohl erklärlich ist,
wenn ihm zuerst in Königsberg und hernach noch mehrfach
Universitätsprofessuren für die orientalischen Sprachen angetragen
wurden.
Missionirend durchzog Schultz dann von 1740 bis 1741
das westliche und südliche Deutschland, 1742 Nordwestdeutsch-
land, Holstein, Schleswig und Dänemark, 1743 Norddeutschland
und Preussen, 1744 Süddeutschland und die Schweiz, 1745 einige
Theile Deutschlands, Schweden und Theile des heutigen Russ-
lands, 1746 zog er von Königsberg bis zum Rhein, 1747 bereiste
er Polen, Schlesien und Ungarn, 1748 Dänemark, 1749 Holland,
England, hernach Süddeutschland und kam bis Venedig, 1750
Italien bis nach Rom hin, die Schweiz und Süddeutschland,
1751 Elsass und Baden, 1752 Oesterreich, Italien, die Türkei
und Klein- Asien, 1753 die Türkei, Klein- Asien und Aegypten,
1754 Palästina und kam bis Aleppo, 1755 den Lybanon, Syrien
und die Inseln Klein- Asiens, 1756 kehrte er nach Halle zurück.
Der Tod seines Collegen Woltersdorf beschleunigte seine
Rückkehr. Der ursprüngliche Plan aber war gewesen, dass die
Missionare, um gewissermassen eine Forschungsreise, die fest-
stellen sollte, wie weit Juden wohnten und wo überall also die
Arbeit an denselben nöthig wäre, auszuführen, von Palästina
durch Syrien nach Armenien und weiter durch Mittelasien bis
nach China, von dort zurück über Ispahan in Persien und über
Bagdad den Euphrat und Tigris hinunter nach Balsora gehen,
von hier die indischen Küsten Madras und Coromandel besuchen
und durch das Rothe Meer nach Abessinien übersetzen sollten.
Von Abessinien war es ins Auge gefasst, den Rückweg über
Aegypten nach Jerusalem zu nehmen, von dort zu Schiff nach
Italien zu gehen, Frankreich und Spanien zu besuchen und von
hier aus nach Amerika überzusetzen. Die Rückkehr nach Halle
sollte dann zuletzt über Eno-land geschehen.
— 314 —
So sollte denn praktisch der Anfang mit der Ausführung
des Planes, die ganze Judenschaft der Welt in den Bereich der
Missionswirksamkeit zu ziehen, gemacht werden. Die Reisen
nach Asien und Afrika sollten zunächst einen orientirenden
Charakter tragen und die Möglichkeit einer Missionswirksamkeit
daselbst feststellen. Abenteurerei lag hierbei Niemandem ferner
als dem prosaischen Callenberg. Schon in früherer Zeit hatte
ja der Professor die weiteste Ausdehnung der Missionsreisen ins
Auge gefasst, weil ihn sein scharfes Missionspfüchtgefühl hierzu
bestimmte. Aber dass nun der Plan in jenem grossen Umfange,
wie es oben bezeichnet worden ist, zur Ausführung kam, ist
wesentlich dem Einflüsse von St. Schultz zu danken. Callenberg
hatte sich , als Schultz ihm den dahin zielenden Vorschlag machte,
anfangs gegen denselben gesträubt, weil er nach den Erfahrungen
in Böhmen für seine Missionare bangte. Aber die Freudigkeit
von Schultz und der Hinweis desselben, dass alle seine früheren
Reisen glücklich abgelaufen seien, überwanden hernach seine
Bedenken und er gab dann freudig seine Zustimmung zu einer
Missionsreise in so grosser Ausdehnung.
Die Reise sollte übrigens nicht bloss den Juden gelten, son-
dern, der Grundidee des Institutum entsprechend, auch den
Muhammedanern und orientalischen Christen zugute kommen; und
eben daher ist es geschehen, dass auch Gegenden, in denen nur
wenige Juden, dafür aber desto mehr Muhammedaner und orien-
talischen Christen wohnten, in das Programm dieser Reise mit
aufgenommen wurden. Die Berichte der Missionare von der
fraglichen Reise enthalten dem entsprechend auch viele Mitthei-
lungen, welche die Muhammedaner und orientalischen Christen
betreffen.
Die Armseligkeit der zur Ausführung eines solchen Unter
nehmens zu Gebote stehenden Mittel macht dasselbe um so
bewunderungswürdiger, und an der Geringfügigkeit dieser Mittel
ist es denn auch nicht gescheitert. Ausgeführt wurde ja vielmehr
der oben erwähnte Plan zu einem bedeutenden Theile, und ledig-
lich der Heimgang von Woltersdorf verhinderte es, dass er
nicht noch weiter ins Werk gesetzt werden konnte. Damit ist
aber zugleich für alle Zeiten der Judenmission der Beweis geliefert
worden, was geleistet werden kann, wenn die rechten Leute sie
in die Hand nehmen und in ihr verwandt werden. Schultz war
— 315 —
jedesfalls der Mann, mit welchem alle Aufgaben der Judenmission
ausgerichtet werden konnten.
Wie seine Genossen, aber mit einer alle anderen über-
ragenden Begabung trat er überall an die Juden heran. Besonders
gern lenkte er seine Schritte zu den Synagogen hin, und es
wurde dies damals von den Juden für gewöhnlich nicht so übel
empfunden wie heutiges Tages. In der Synagoge schlug er den
biblischen Tagesabschnitt auf und sah dann bald Schaaren von
Juden um sich versammelt. In Mitau legte er dem sogenannten
jüdischen Landtage die Tageslektion aus und sprach nach An-
leitung derselben über den Weg der Busse und des Glaubens.
„Mit einer Predigt habe ich so in das ganze Land hineingearbeitet."
In einer Londoner Synagoge sahen ihn die Juden den an der
Reihe befindlichen Abschnitt aufschlagen. Der Vorsteher frug
ihn: „Woher weiss der Herr die Schrift?" Schultz antwortete:
„Woher vergasst ihr die Schrift?" Die unerwartete Antwort
machte alle begierig von dem Fremden mehr zu hören. Sie
baten ihn, einige ihrer Fragen über den vorliegenden Text zu
beantworten. „Warum ruft der Herr im ersten Verse desselben
Himmel und Erde auf?" Schultz entgegenete: „Weil ihr eure
Ohren verstopft und zwar mit Lumpen oder Kleidern oder
Kupfer, Blei, Zinn, Geldwechseln und dergleichen." So ging es
weiter; die einen waren voller Empörung, die anderen fühlten
sich ungemein angeregt, so dass man den Missionar zuletzt frug,
woher er denn die Schrift so gut verstünde? Schultz antwortete
ihnen: „Darum weil der Messias oder seine Boten die Lehre vom
Leben unter die Völker gebracht haben, Jesaia 49, 1 — 6." Und
hiernach durfte er, während alle schweigend zuhörten, ihnen das
Evangelium vom Messias Jesus Christus ausführlich verkündigen.
Aehnliches erlebte Schultz wiederholt in Synagogen. Der Vor-
steher in Rheda (Westfalen) gebot geradeswegs allen anwesenden
Juden Stille, damit der Missionar ununterbrochen sein Zeugniss
in ihrer Mitte ablegen könne.
Die Juden vom Talmud auf den Boden des Alten Testa-
mentes zurückzuführen, um ihnen von diesem her das Verständniss
des Neuen Testamentes zu erwecken, erklärte St. Schultz z. B.
dem Grafen Zaluski in Warschau als die erste seiner Aufgaben.
In den Gesprächen mit den Juden gälte es dann vor allem, ihnen
durch das Alte Testament den Ernst der Heiligkeit Gottes zu
Gemüthe zu führen , im Uebrigen aber je nach den Umständen
— 3i6 —
die Gelegenheit zu benützen, um die Seelen auf das eine Not-
wendige hinzuweisen. Und Schultz besass hierfür eine seltene
Gabe. Verstand, Herz und Gewissen wusste er in gleicher
Weise zu erreichen, und nicht leicht ging ein Jude, der ihm
begegnete, von dannen, ohne dass er ihm, selbst wenn er es oft
nur mit einem Worte hatte thun können, einen Haken ins Herz
geworfen hätte.
Die Umstände des Augenblicks wusste dieser Missionar in
seltener Weise zu benützen. Bei einem jüdischen Kaufmann in
Krakau kaufte er einen Flor und kam mit ihm in ein Gespräch,
welches schliesslich zu der Frage führte, was er denn habe, um
mit Gott versöhnt zu werden? Da der Missionar dem Manne
alle seine Versöhnungsmittel zu Schanden machte, berief sich
derselbe schliesslich auf die Herlesung der Opfergebete in der
Synagoge, welche ihrem Volke dieselbe Sühnung gewähre, die
ihm sonst die wirklich dargebrachten Opfer eingetragen hätten.
Schultz frug hierauf nach dem Preise des Flors, und als ihm
50 Kreuzer genannt waren, schrieb er diese Summe auf eine
Tafel, las etwa zehnmal die Worte „50 Kreuzer kostet der Flor"
her und schickte sich dann an, den Laden zu verlassen. Der
Kaufmann jedoch hielt ihn zurück und forderte Bezahlung; Schultz
antwortete ihm, dass er ihm ja die Summe vorgelesen und ihn
also bezahlt habe. Da fühlte sich der Jude beschämt und Hess
sich nun nach Jesaia 53 auf das rechte Opfer hinweisen, welches
die wahre Zahlung für seine Sünden geleistet habe.
Die Einwürfe der Juden wusste er mit eben so vieler Wahr-
heit und Gerechtigkeit als Ueberzeugungskraft zu beantworten
und von den Menschen führte er sie stets zu Jesu hin, den er
ihnen in der lebendigsten Weise vor die Augen und vor das
Gewissen stellte. Dabei besass Schultz eine merkwürdige Kraft
die Geister zu beherrschen; ja er war es so gewöhnt, sie in seine
Bahnen hinein zu leiten, dass er im späteren Leben -retwas Her-
risches und Rechthaberisches annahm. Er ist hierdurch seinen
Amtsgenossen wie den Missionaren, welche während seines Direk-
toriums im Institutum unter ihm standen, oft recht schwer geworden.
Die Zukunft des Volkes Israel in der Weiterentwicklung
des Reiches Gottes Hessen weder Callenberg noch seine Missionare
in ihrem Werke besonders hervortreten oder sich von derselben
in ihrer Wirksamkeit bestimmen, wiewohl sie sich zu der Lehre
der Schrift von derselben durchaus nicht ablehnend verhielten.
— 317 —
Nur Widmann wurde von dem Gedanken an die Massenbekehrung
der Juden praktisch beinflusst und Missionar Bennewitz durch
die Erwartung des tausendjährigen Reiches verwirrt, so dass er
an der Mission verzweifelte, weil dieselbe seine chiliastischen
Hoffnungen nicht erfüllte. Sonst verlor man im Institutum nie
die Nüchternheit über der Lehre vom Ende und wusste sie doch
recht zu verwerthen. „Auf Hoffnung Gefangene" nennt Schultz
.die Juden gern und redete von der letzten Bekehrung des jüdischen
Volkes mit rechter Bewegung seines Herzens. Einem grossen
Kreise von Juden in Polen legte er auf ihre Frage nach der
Zukunft der Juden dieselbe in ergreifender Weise nach der
Schrift dar, indem er ihnen zuerst auseinandersetzte, wie es ihnen
bisher ergangen sei, sodann, wie es ihnen jetzt ergehe, und end-
lich, wie es ihnen hernach ergehen werde. „Ja, es ist alles so
gekommen", hatten die Juden bekannt, als sie die Worte von
Schultz über ihre Vergangenheit und Gegenwart vernommen
hatten , und sie drängten sich nun begierig zusammen , um zu
hören, was er ihnen weiter von ihrer Zukunft verkündigen werde.
Das that Schultz nach Moses und den Propheten: „Wenn über
euch die Flüche kommen werden, so werdet ihr in euren Herzen
einkehren, und wenn ihr die Ursache des Elends sucht, werdet
ihr sie finden. Dann werden die Kinder Israel umkehren und
den Herrn, ihren Gott und ihren König suchen und zu der Güte
des Herrn mit Furcht und Zittern kommen. Ihr werdet anfangen
eure Schmach zu tragen und nicht mehr sagen „wir haben Recht
gehabt", sondern mit Weinen und Heulen kommen und zu dem
Herrn aus dem grossen Feuer der Trübsal wie aus der Tiefe
rufen. Ihr werdet auf den sehen, den eure Väter und ihr selbst
durchstochen habt. Gott aber wird dann über euch den Geist
der Gnade und der Abbitte ergiessen; er wird das steinere Herz
von euch nehmen und euch ein fleischernes Herz geben. Das
übriggebliebene Theil von euch wird er ins Feuer führen und es
läutern wie Silber und prüfen wie Gold und euer unbeschnittenes
Herz wird sich demüthigen. So werdet ihr sehen das Zeichen
des Menschensohnes und werdet euch zu ihm nahen; er aber
wird euch, wie er zugesagt, die Gnaden Davids empfangen lassen;
die Todtengebeine werden leben, und der Davidssohn wird einen
ewigen Bund des Friedens mit euch aufrichten."
Guten Muths und dankbaren Herzens verrichtete dazu
Schultz sein schweres Missionsamt. Einem Professor in Leer,
- 3i3 -
der ihn um der Beschwerlichkeit seines Berufes willen bedauerte,
antwortete er, dass die Wagschale der Annehmlichkeiten in dem-
selben die der Beschwerlichkeiten weit überwiege. Kämen auf
die letztere immerhin: die Armuth, welche ihnen auferlegt sei,
das Wandern zu Fuss durch Dick und Dünn, über Berg und
Thal, über Stock und Stein, oft in nassen Kleidern und durch
grundlose Wege; das schlechte Lager, das man für sie, die arm-
selig aussehenden Menschen oft nur übrig haben wolle; der
hungrige Magen, wenn das Geld knapp geworden sei; die rohe
Behandlung durch die Polizei, welche sie oft für Vagabunden
oder Bettelstudenten ansehe; die Unterredungen bis in die tiefe
Xacht hinein, so dass der müde Leib zuletzt seinen Dienst völlig
versagen wolle; endlich Schmach und Hohn, Spott und Schläge,
Gefahr zu Wasser und zu Lande, unter Mördern und auch wohl
unter falschen Brüdern; der Aufruhr unter den Juden und das
innere Leid, welches ihr Beruf mit sich bringe — so müsse er
auf der andern Seite aber wieder geltend machen: bei der armen
Gestalt und dem wenigen Gelde seien auch weniger Sorgen,
und der Eingang sowohl bei Juden als bei Christen leichter; mit
den Leiden für Jesum verbinde sich auch der Sieg desselben;
und hielte das alles schon dem Unangenehmen das Gleich-
gewicht, so steige die Wagschale der Annehmlichkeiten sofort,
wenn er das Vergnügen bedenke, Land und Leute von
allerlei Art, die anderen nur durch Bücher bekannt seien, persönlich
kennen lernen zu dürfen; dazu mit so vielen Tausenden aus
allen Kirchen und in allen Theilen der Erde sich eins zu sehen
in dem Glauben an denselben Jesus; das Wort Gottes an grossen
und kleinen Orten, in Kirchen und Schulen, bezeugen zu können;
und endlich die selige Lust, eine Saat unter den Juden auszu-
säen, die ihre Ernte an dem grossen Tage, der alles offenbart,
auch einmal sichtbar zeigen werde.
Eine höchst praktisch angelegte Natur wusste sich Schultz
auch in den schwierigsten Lagen zu helfen. Durch seine medi-
zinischen Kenntnisse verschaffte er sich besonders im Orient oft
auf die leichteste Weise den Eingang bei den Leuten. Die
Sicherheit und Ruhe seines Glaubens führte wiederholt auf See-
fahrten die bei heftigen Stürmen verzweifelte Schiffsmannschaft
zur Besonnenheit zurück und rettete einmal alle vom Schiftbruch,
als der Kapitän bereits völlig den Kopf verloren hatte.
— 319 —
Unter katholischen, griechischen und orientalischen Christen
wie unter Muhammedanern wusste er durch seine ruhige Klar-
heit dem evangelischen Zeugnisse oft Gehör zu verschaffen. Er
verleugnete nie den Lutheraner, aber im Missionsberufe, der ihn
unter so viele Andersgläubige geführt hatte, war es ihm zur
Regel geworden: „Mit gegenseitigen Religionsparteien unter den
Christen muss man nicht mit ketzermacherischen Disputationen
handeln, sondern mit der Wahrheit, die in Christo ist, und doch
braucht man dabei nicht indifferent zu sein. Der rechtmässige
Eifer für die wahre Religion, die in dem Worte Gottes allein
gegründet ist, kann bis aufs Blut vertheidigt, aber die Liebe
gegen die Irrenden und in der Hauptsache, der Versöhnung-
Christi Stehenden muss nicht geschwächt werden."
Zwar misshandelte ihn einmal ein Franzose, dessen Knechten
er ein evangelisches Buch gegeben hatte, aber Fälle dieser Art
waren die Ausnahme. Er hat mit vielen katholischen Geistlichen
eingehende Besprechungen über die Fragen des Glaubens gehabt
und bei ihnen gewöhnlich grosse Theilnahme für sein Werk
gefunden. Der armenische Patriarch in Constantinopel wurde
für ihn so eingenommen, dass er ihm einen Empfehlungsbrief
an den Patriarchen in Jerusalem mitgab. Aehnliches erlebte er
mit griechischen, nestorianischen und abessinischen Würdenträgern,
und Muhammedaner haben sich vielfach von ihm ruhig das
Evangelium predigen lassen.
Im lebendigen Gebetsumgange mit Gott hat er stets von
Neuem die Kraft, um sein viele Ausdauer, Geduld, Muth, Kraft
und Weisheit forderndes Werk auszuführen, gefunden. Ihm war
die Gabe des Glaubens in seltenem Maasse geschenkt und so
hat er denn auch ganz wunderbare Gebetserhörungen erlebt.
Kurz, Dr. Kaikar sagt mit gutem Recht in seiner 2. Auflage
von „Israel og Kerken" S. 231, dass keiner von allen Juden-
missionaren so viele Vergleichungspunkte mit dem Apostel Paulus
bietet als Stephan Schultz. 2. Corinther 11, 23 — 33 ist in der
That fast völlig auch auf diesen Missionar anzuwenden.
Mit welchen Entbehrungen er oft zu kämpfen hatte, wird
klar werden, wenn der Thatsache Erwähnung geschieht, dass er
und seine Gefährten während ihrer Reise in Lithauen und Polen
stets einen Topf mit Grütze und Brot bei sich tragen mussten,
weil sie sonst oft nichts zu essen gehabt hätten.
— 320 —
An der ungarischen Grenze wurden er und sein Genosse
visitirt. Die jüdischen, arabischen, türkischen und griechischen
Bücher, welche die Missionare mit sich führten, erschienen als
eine gefährliche Waare, und die Beiden wurden arretirt. Ein
baumstarker Mensch trieb sie mit einem Knittel meilenweit vor
sich her und sperrte sie dann des Abends in eine polnische
Hütte ein, die keinen Ofen besass, sondern durch ein auf der
Erde angezündetes Feuer erwärmt wurde. Der Rauch, welcher
von diesem Feuer aufstieg, erfüllte den ganzen Raum und drohte
die Missionare zu ersticken. 40 Stunden brachten beide hustend
in dieser Weise zu. Trotzdem begann Schultz mit den Kindern
des Besitzers der Hütte ein Gespräch und redete ihnen so zu
Herzen, dass es auch die Wirthsleute ergriff und sie den
Gefangenen etwas zu essen vorsetzten.
Am nächsten Tage ging die Wanderung weiter. Auf den
Begleiter hatte die ganze Art und Weise der Missionare nun
doch einen Eindruck gemacht, und er nahm schliesslich von ihnen
nicht Abschied, als bis sie die Hände auf sein Haupt gelegt und
über ihn die Absolution im Namen des dreieinigen Gottes
gesprochen hatten. Der Richter, vor welchen sie dann geführt
wurden, erkannte sogleich die Thorheit derer, welche die Beiden
gefangen genommen hatten, und entliess sie mit grosser Freund-
lichkeit. Doch nicht immer verliefen die Dinge so gut. Dafür,
dass Schultz in Pressburg unter strömendem Regen am Thore
stehend, schnellere Erledigung seiner Passuntersuchung forderte,
erhielt er von der Wache einen Schlag über den Kopf, der ihm
eine tiefe Wunde verursachte; und als er sich darüber beschwerte,
antwortete ihm der Vorgesetzte: „daran ist nicht viel gelegen".
Der weitere Versuch von Schultz, sein Recht zu behaupten,
bekam ihm noch übler, denn er wurde nun in ein finsteres Loch
gesperrt. Hierdurch unerschüttert, Hess er sich ein Licht kaufen,
und las dann sofort den die Wache haltenden Soldaten die
Schriftstelle vor: „in deinem Licht sehen wir das Licht" und
setzte ihnen den Unterschied von Kindern des Lichtes und der
Finsterniss auseinander. Beschämt schlich sich einer der Soldaten
von dannen, um dem Missionar Bennewitz, der in die Stadt
gegangen war, mitzutheilen, wo Schultz sich befände. Noch
rechtzeitig kam derselbe mit einem evangelischen Stadtgeistlichen,
dessen Hilfe er rasch angerufen hatte, herbei und befreite den
Freund aus dem Gefängniss und von 30 Knutenhieben, die er
— 321 —
soeben erhalten sollte. Unmittelbar darauf aber finden wir Schultz
mit seiner Kopfwunde draussen stehen und sich mit 2 Jesuiten
lebhaft über religiöse Dinge besprechen.
Die Reihe der Fälle, in denen er Todesgefahr zu bestehen
hatte, ist eine stattliche. In Polen wurde er mit seinem Gefährten
von berittenen Räubern überfallen und allein auf ganz wunderbare
Weise errettet. Ebenso entkam er allein mit genauer Noth aus
einer Mörderhöhle in Lublin (Polen) und fast wäre er im Adria-
tischen Meere ertrunken. 1752 sagte er dem holländischen
Gesandten in Konstantinopel, dass ihn Gott aus mehr als 20
Lebensgefahren errettet habe.
Mitten in der Arbeit, die er unter solchen Nöthen und
Gefahren that, erhielt er 1745 den Ruf an die Universität
Königsberg als Professor der Theologie, aber er schlug ihn aus,
damit das Callenberg'sche Institutum nicht ohne Arbeiter wäre.
Ebenso lehnte er Pfarrstellen in Nürnberg, Smyrna und im Haag
und eine Professur an der neu zu errichtenden Universität Bützow
(Mecklenburg) ab. Er wusste hoch und niedrig zu sein. 1749
wollte ihn und seinen Gefährten der Thorschreiber in Darmstadt
nicht einlassen und bot die Wache gegen die beiden Vagabunden
auf. Dann aber verliessen die Missionare die Stadt im Wagen
eines Prinzen, und die WTache trat hierbei vor ihnen ins Gewehr.
Schultz aber setzt, indem er dies mittheilt, hinzu: „Bei über-
flüssigen Wohlthaten nicht hochmüthig und bei Mangel nicht
niederträchtig zu sein, ist eine Kunst, die allein das wahre
Christenthum lehrt". Er hat sie verstanden und hat sie treulich
geübt.
Im Oktober 1756 kehrte Schultz nach 4 Va jähriger Abwesen-
heit von seiner orientalischen Reise, auf welcher er seinen lieben
Gefährten Woltersdorf verloren hatte, nach Halle zurück. Auf
den Wunsch Callenberg's wirkte er dann ein Jahr lang auf der
dortigen Universität. Um diese Zeit wurde ihm das Oberdiakonat
an der Ulrichskirche in Halle angeboten. Callenberg, welcher
seine Kräfte abnehmen fühlte, bat ihn, diese Stelle anzunehmen,
damit er ihm am Institutum behilflich sein könne, und Schultz
that es. In seinem Predigtamt sammelte er dann um sich eine
grosse Gemeinde. Aber die aus dem Missionsberufe her gewöhnte
Freiheit und die Selbständigkeit seines Charakters, welche ihn
dazu führten, sich manche Willkür zu erlauben, Hessen ihn mehr-
fach die engen Grenzen, welche das Pfarramt jener Zeit zog,
J. F. A. de le Roi, Missionsbeziehungen. 21
— 322 —
überschreiten, so dass er wiederholt in Streitigkeiten mit seinen
Amtsgenossen, die über Eingriffe in ihr Amt klagten, verwickelt
wurde, und einige Zeit hindurch die Stimmung der Collegen an
der Kirche gegen ihn eine ziemlich erregte war.
1760 verlieh ihm die theologische Facultät der Halle'-
schen Universität die Magisterwürde, und nach dem im Jahre
1760 erfolgten Tod Callenbergs übernahm er das Direktorat
des Institutum, nachdem Professor Knapp dasselbe abgelehnt
hatte. Callenberg bestimmte aber, dass sein Sohn Adjunctus
von Schultz in der Verwaltung des Institutum würde. Die
Zwistigkeiten zwischen Schultz und den Amtsgenossen im Pfarr-
amt scheinen den ängstlichen Callenberg sehr bedrückt und mit
der Furcht erfüllt zu haben, dass Schultz als Direktor des Insti-
tutum zu sehr seinem eigenen Kopfe folgen werde.
Im Jahre 1765 verheirathete sich Schultz mit Margaretha
Barbara Birkmann, einer Tochter des Seniors zu St. Aegidien
in Nürnberg. Dieselbe war eine zweimal gekrönte Dichterin und
eine gelehrte Frau, welche ihren Mann in seinen Arbeiten auf's
trefflichste unterstützte, verstand sie doch selbst die Grundsprachen
der Bibel. Die Ehe blieb kinderlos.
Ueber die Frucht der Missionsarbeit von St. Schultz wird
nachher die Rede sein, wenn die Erfolge, welche die Wirksam-
keit des Institutum überhaupt erzielt hat, besprochen werden.
Die direktoriale Thätigkeit von Schultz an der Anstalt fällt erst
in die zweite Hälfte des Jahrhunderts und wird also auch erst
dann behandelt werden müssen.
Nie aber wohl seit der Apostel Tagen wurde ein Juden-
missionar so weit unter Juden und Christen bekannt als Stephan
Schultz. Noch später, nachdem er den Missionsdienst verlassen
hatte, finden wir ihn im Briefwechsel mit Juden, denen er auf
seinen Reisen begegnet war. Und unter den Christen jener Zeit
hat er weithin ein reges Missionsinteresse geweckt. Die bedeu-
tendsten Persönlichkeiten verkehrten mit ihm. Von den 5 Theilen
seiner „Leitungen des Höchsten" durfte er den ersten der
Gemahlin Friedrich des Grossen, Königin Elisabeth Christine
von Preussen widmen, den zweiten der Königin Luise Ulrike
von Schweden, den dritten der Markgräfin Luise Karoline von
Badcn-Durlach, den vierten dem Fürsten Karl Georg Leberecht
von Anhalt-Cöthen, und den fünften dem dänischen Staatsminister
Grafen von Bernsdorf.
— 323 —
Als Prediger und Docent suchte er auch später das Missions-
interesse besonders in Halle rege zu erhalten. Seine Vorlesungen
waren zahlreich besucht, noch 1775 las er ein Collegium anti-
judaicum, ein jüdisch-deutsches und ein Judaico-Scriptorium mit
vielem Beifall.
Die Literatur des Institutum hat er nicht wesentlich ver-
mehrt. Vielfach wurde sein hebräisches Sendschreiben an die
Juden „Von der geistlichen Pilgrimschaft" verbreitet, besonders
aber haben seine „Leitungen des Höchsten" die Kenntniss der
Mission des Institutum bis in die Gegenwart hineingetragen. Er
starb, nachdem seine Kräfte zuletzt völlig gesunken waren, den
13. Dezember 1776 am Marasmus senilis in einem Alter von
62 Jahren 10 Monaten.
Die Mission der heutigen Tage aber empfängt noch immer
kräftige Anregung durch das lebendige Andenken an die Missions-
thätigkeit dieses Mannes; sein Einfluss ist in der That auf dem
Missionsgebiete noch heute ein fortwirkender und hat alle Aus-
sicht, in der Folgezeit des ferneren zu wachsen.
i. Zur weiteren Geschichte des Institutum.
Im Jahre 1735 forderte Callenberg den damals in Halle
studirenden Johann Caspar Horst aus dem hessischen Aisleben
auf, als Mitarbeiter in das Institutum einzutreten. Nach einjähriger
treuer Wirksamkeit in demselben wurde er aber auf die Bitte
des Direktors der darmstädtischen Proselytenanstalt , Johann
Philipp Fresenius, diesem von Callenberg überlassen. Nach
Auflösung dieser Anstalt hat Horst dann zunächst als Lehrer in
Lindheim amtirt und hernach, seit 1745, eine Pfälzer Gemeinde
Camp und Rhynsberg im nordamerikanischen Staate New- York
als Prediger bedient; seit 1749 aber wird er wieder als Geist-
licher in der Gegend von Frankfurt am Main genannt und sein
Eifer, mit den Juden zu verkehren, gerühmt. Er ist denn auch
stets ein treuer Förderer des Institutum geblieben und hat mit
seinem 13jährigen Sohne bereits den talmudischen Traktat „Pirke
Aboth" gelesen. Oeser's (Glaubrecht) „Graf Zinzendorf in der
Wetterau" enthält (S. 66 ff.) eine liebliche Geschichte von einer
durch Horst während seines Pfarramtes an einem Juden voll-
zogenen Taufe, die hernach unter dem Titel „Eine seltene Juden-
taufe und seltene Judenliebe" 1872, Barmen, noch besonders
erschienen ist.
— 324 —
Ein Begleiter von St. Schultz war der Candidat Hentzen,
der i34 Jahre, von 1743 — 17-15? am Institutum gearbeitet hat
und dann Stiftsprediger zu Fischbeck bei Hameln wurde. Der
Missionsanstalt bewahrte er stets ein reges Interesse, starb aber
schon 1753.
Ein Jahr reiste mit Schultz auch Plessing oder Blessing
in der nämlichen Zeit wie Hentzen, worauf er Pastor im Anhalti-
schen wurde. Gleichfalls nur ein Jahr wirkte am Institutum
Muthmann aus Pösenek, um dann Hofkaplan in Grünstadt
(Pfalz) zu werden. Bennewitz missionirte mit Schultz während
der Jahre 1746 bis Ende 1748, wo er wegen chiliastischer An-
sichten vom Institutum abtrat; er war ein kränklicher Mensch
und starb bald nach seinem Abgange in Königsberg.
Zu den trefflichsten der Halle'schen Missionare gehört
Albrecht Friedrich Woltersdorf.*) Er ist 1729 geboren in
Friedrichsfelde bei Berlin, wo sein Vater Geistlicher war, hernach
bekleidete der letztere das Pfarramt an der Georgen - Kirche in
Berlin. Der Vater war ein besonders frommer Mann und sein
Sinn herrschte in seiner ganzen Familie. Sehr bekannt ist dessen
Sohn Ernst Gottlieb Woltersdorf, der Schöpfer des Bunzlauer
Waisenhauses und Verfasser des Fliegenden Briefes an die
Jugend, geworden; Albrecht Friedrich war der jüngere Bruder.
Die erste Anregung für die Mission erhielt, wie schon vor-
her bemerkt, der letztere bereits als 9 jähriger Knabe bei einer
Reise von Schultz durch Berlin. Als Bennewitz vom Insti-
tutum abtrat, studirte der damals erst 19 Jahre gewordene
Albrecht Friedrich Woltersdorf in Halle. Dort hatte er sich
unter Anleitung eines Proselyten, der nur mit dem Anfangsbuch-
staben F. genannt wird, Frommann aber nicht sein kann, da
dieser damals bereits todt war, mit besonderem Eifer auf das
Hebräische und Jüdisch-deutsche gelegt und es hierin zu solcher
Fertigkeit gebracht, dass jener Proselyt ihm einmal zurief: „Sie
müssen ein Judenmissionar werden". Eben derselbe Proselyt
machte Callenberg auf Woltersdorf aufmerksam, und Anfang
1749 frug der Professor den jungen Studirenden, ob er bereit
wäre, ein Mitarbeiter an seiner Anstalt zu werden? Der Vater,
dem der Sohn dies mittheilte, war anfangs nicht geneigt, dem
jungen Menschen die Erlaubniss zu einem so beschwerlichen
r) Dibre Emeth 1875 s- 57 ff-> l878 S. 60 ff. Saat 1863, 1, 23 ff.
— 325 —
Berufe zu geben; denn er glaubte, dass er in seinem Alter dem-
selben nicht gewachsen sei und dass er auch noch nicht
die nöthigen Kenntnisse in den orientalischen Sprachen besitze;
wenn er dagegen auch später noch denselben Wunsch hege und
es Gottes Wille sei, wolle er ihm dann nicht in den Weg treten.
Da aber dem Vater von Halle aus weitere Vorstellungen gemacht
wurden, rief er den Sohn zu sich, und „gleich den Abend war
die Sache richtig."
Im Mai dieses Jahres 1 749 begann alsdann A. F. Wolters-
dorf, also erst 20 Jahre alt, mit Schultz seine erste Missionsreise,
welche sie über Holland nach England führte , die zweite nach
Italien, die dritte nach dem Rhein, die vierte über Wien in die
europäische Türkei, Klein- Asien, Aegypten und von hier nach
Palästina bis St. Jean d'Acre.
Der junge Mann war ein tiefgegründeter Christ und durch
edle Lebhaftigkeit und Elastizität des Geistes ausgezeichnet,
Eigenschaften, welche ihn für den Missionsberuf in hohem
Maasse geeignet machten. Auch wissenschaftlich und sprachlich
war er der Aufgabe durchaus gewachsen, den Juden in so ver-
schiedenen Ländern das Evangelium zu verkündigen. Ausser in
den alten klassischen Sprachen vermochte er sich mit den Juden
fiiessend in den Sprachen der von ihm besuchten Länder zu
unterhalten, und so brachte er es denn auch im Englischen,
Italienischen, Neugriechischen, Türkischen, Arabischen und
Armenischen zum Sprechen.
Die Strapazen, welche der Missionsberuf mit sich brachte, zu er-
tragen, wurde für ihn, der schwächlichen Körpers war, eine doppelt
schwere Aufgabe. Aber die Liebe Christi Hess ihn dies für nichts
achten. Mörderhand und Schiffbruch haben ihn, wie seinen
Gefährten Schultz, wiederholt bedroht und in Konstantinopel
wäre er beinahe von den wilden Hunden jener türkischen Haupt-
stadt zerrissen worden; aber vom Missionsberufe schreckte ihn
dies nicht ab.
Ueberaus schön war das Verhältniss zu dem älteren Reise-
gefährten; Achtung und Liebe verband die Beiden aufs innigste
mit einander. Das Vorbild von St. Schultz bestimmte den jüngeren
Genossen in seiner Thätigkeit, von ihm lernte er und dies in
solchem Maasse, dass man oft den einen von dem andern in der
Weise des Wirkens nicht unterscheiden kann. Woltersdorfs
Zeugniss aber prägte sich in das Herz vieler Juden tief ein, und
— 326 —
sie lernten an ihm die Macht einer christlichen Persönlichkeit
empfinden, an welche man nicht das Recht habe, das Maass der
Jahre anzulegen.
Katholische Geistliche insbesondere mussten wiederholt vor
den treffenden Antworten des jungen evangelischen Missionars
verstummen oder ihr Heil in der Flucht vor ihm suchen. Als
er mit St. Schultz in die Kuppel der Peterskirche in Rom hinauf-
gestiegen war und von dort oben herabblickte, fühlte er sein
evangelisches Bewusstsein so lebendig in sich erwachen, dass
er auf dem höchsten Punkte des grossen Domes der päpstlichen
Kirche aus voller Brust das Lutherlied „Ein' feste Burg ist unser
Gott" anstimmte, in das St. Schultz kräftig mit einfiel.
Seiner Arbeit wurde ein unerwartes Ende gesetzt. Bei der
Besteigung der Pyramiden in Aegypten hatte er sich einen Bein-
schaden zugezogen , der sich schnell verschlimmerte. Die Aerzte
von Cairo, Aleppo, Jerusalem und St. Jean d'Acre versuchten
vergeblich an ihm ihre beste Kunst. Nach jedem Marsche zu
Fuss oder zu Kameel brach er halbtodt zusammen; pfundweise
wurde ihm der Eiter herausgenommen, aber Besserung stellte
sich nicht ein. Schultz pflegte ihn 4 Monate hindurch in St. Jean
d'Acre mit der zärtlichsten Sorgfalt und unterzog sich den ekel-
haftesten Arbeiten, die kein Dienstbote mehr verrichten wollte,
für ihn. Glücklicherweise aber hatten die beiden Missionare
liebevolle Aufnahme in dem Hause des englischen Consuls Usgate
gefunden, dessen Gemahlin eine gläubige, vortreffliche Proselytin
aus dem Judenthum war.
Am 12. August 1756 erfolgte die Auflösung des Kranken,
der nur ein Alter von 25 Jahren erreicht hat. Woltersdorf hatte
mit eigenen Gefühlen und mit dem Gebet, dass er gewürdigt
werden möge, dem armen Heilande in seinen Fusstapfen nach-
zufolgen, den asiatischen Boden betreten. Das Gebet ist erhört
worden. Er hat seinen Herrn lebendig durch Leiden bezeugt.
Die Nähe Christi und der heilige Friede der Ewigkeit erfüllten
ihn in seiner Krankheit so mächtig, dass der ihn pflegende
Maronit Hanna Me riech hierdurch ganz überwältigt wurde. Die
Kunde von diesem geduldigen Kranken drang zu den Ohren vieler.
Juden, Muhammedaner und Christen kamen, um es selbst mit
Augen anzusehen, wie dieser junge Mann sterbend die Wahrheit
des Evangeliums bezeugte. Und wenn dieselben nun zu ihm
kamen, that sich sein Mund voll Freudigkeit auf, um ihnen den
— 327 —
Herrn zu verkünden, dessen friedebringende Gegenwart ihm so
gewiss war. Das Zeugniss, welches er auf diese Weise that,
wurde denn auch für viele Juden und Muhammedaner zur herz-
andringlichsten Predigt. Als er die Besinnung verlor, rief er noch
einige Male in arabischer Sprache aus: „Ich bin dein Knecht 1"
und so verschied er.
An seinem Begräbnisse betheiligte sich selbst der griechische
Weihbischof mit seiner Geistlichkeit. Der englische Consul und
seine Gattin setzten ihm als Denkmal einen Marmorstein, welcher
den Namen, Geburtsort und das Sterbedatum des Heimgegangenen
enthielt. Ein Testament aber in Versen, welches er vor seiner
Reise in den Orient aufgesetzt hatte, ist ein anderes Denkmal
von dem Leben in Gott, das dieser junge Mann stets geführt
hat. Er ist eine der anziehendsten Erscheinungen auf dem ganzen
Gebiete der Judenmission.
Allen seinen Sendboten wandte Callenberg treue Sorge zu.
Er forderte von ihnen viel, aber das war für die Sache nur gut.
Treulich wachte er über ihrem geistlichen Leben und hielt z. B.
mit ihnen, wenn sie sich in Halle aufhielten, regelmässige Gebets-
konferenzen ab. Ebenso war er darauf bedacht, dass sie Zeit
zu innerer Sammlung und Stärkung fanden, und wollte besonders,
dass sie hierzu die Zeit ihrer Einkehr in Halle benützten.
Die Schriften des Institutum wurden theils durch die Mis-
sionare, theils durch andere Christen in den verschiedensten
Ländern unter Christen und Juden verbreitet. Den Callenberg'-
schen Berichten zufolge sind seit 1731 noch eine ganze Reihe
von Schriften im Institutum erschienen. Ein Verzeichniss derselben
steht im Anhange zur Fortsetzung 13 der Berichte, im Anhange
des 6. Stücks der Relationen und im Anhange zu der Nachricht
über das muhammedanische Institut.
Früher bereits ist erwähnt worden, nach welchem Plane
Callenberg's diese Literatur des Institutum entstand. Eine Anzahl
der von demselben herausgegebenen Schriften ist nun schon
genannt worden; jetzt sind noch hervorzuheben:
In Jüdisch-deutsch: Freylinghausen, von der wahren
Kindschaft Abrahams, die Augsburgische Konfession mit Anmer-
kungen, die von D. Zeltner verfasste Schrift „Lehrer der
Erkenntniss", die Widmann jüdisch- deutsch übersetzt hat, aber
auch hochdeutsch erschienen ist, und der Juden -Katechismus
von Calvoer, von dem auch einzelne Stücke erschienen.
— 3=8 —
Sodann die hebräische Uebersetzung des Hebräer-Briefes
von Fr. Alb. Christiani.
Kurze Anleitung zum Jüdisch- deutschen und ein jüdisch-
deutsches Wörterbuch. Für Kinder: „Thor der Hoffnung", Sprüche
auf den Messias bezüglich.
Hugo Grotius, von der göttlichen Autorität des Neuen
Testamentes für die orientalischen Juden und ebenso ein Stück
aus seinem Werke: „Von der Wahrheit der christlichen Religion",
arabisch.
Von Callenberg selbst: ein lateinischer Brief an einen
Engländer über das Institutum. Jesaia 53 übersetzt und mit An-
merkungen. Gregorius Magnus, über die Bekehrung der Juden
zu Christo. Stellen verschiedener Skribenten, die Bekehrung der
Juden betreffend (Schadaeus, Spener). Jüdische Zeugnisse, welche
die christliche Auslegung der vom Messias handelnden Weissagun-
gen des Alten Testamentes bestätigen. Nachlese, die Begeben-
heiten des Institutum betreffend. Schreiben eines verstorbenen
Proselyten über seine Bekehrung an seinen Gerichtsherrn.
Nach einander erschienen die sämmtlichen Schriften des
Neuen und Alten Testamentes jüdisch-deutsch, im Neuen Testa-
mente zum Theil nach der Uebersetzung Frommanns, zum Theil
nach Molter, im Alten Testamente nach Luthers Uebersetzung,
wobei die Verbesserungen des Lange'schen Bibelwerkes berück-
sichtigt sind.
Frommanns hebräische Uebersetzung zunächst der ersten
und alsdann auch der zweiten Hälfte des Evangelium Lukas mit
rabbinischen Anmerkungen und ebenso eine Ausgabe ohne An-
merkungen. Frommann, der Jude im Herzen oder geistlich
gesinnte Jude. Von Frommann stammt überhaupt eine ganze
Reihe zum Theil vortrefflicher jüdisch-deutscher Schriften. In den
Anfängen Roms tritt er der jüdischen Darstellung der Geschichte
Roms gegenüber und ebenso Hess er eine Widerlegung der
jüdischen Fabeln vom Kaiser Titus erscheinen. Ferner: Von der
in Rom ursprünglich geschehenen Annahme des Messias. Wie
man durch den Glauben gerecht wird. Entdeckung des skandalösen
Lebens einiger Hauptlehrer des verfallenen Judenthums. Dass
ein Gott sei. Wie unverschämt sich oft die Rabbiner eine Gott
allein zukommende Autorität anmaassen. Ueber die Abgötterei,
zur Abwehr der jüdischen Behauptung, dass die christliche Lehre
Abgötterei einführe. Vom Endzweck des mosaischen Gesetzes.
— 329 —
Dass der Messias am jüngsten Tage der oberste Richter sein
werde. Dass Gott eine genaue Erfüllung des Gesetzes fordere.
Was das Ebenbild Gottes im Menschen gewesen sei. Vom falschen
Vertrauen auf die äusserliche Beschneidung.
Heinrich Horche, Praeco salutis oder Prediger des Heils,
hebräisch. Ebenso hebräisch: Der suchende Messias, eine Schrift,
die einen Prälaten zum Verfasser hat, von welchem auch stammt :
Jesus der Messias nach der Uebereinstimmung von Matthäus und
den Propheten.
Johann Arndt 's Erklärung von Lukas 24, 13 — 35 jüdisch-
deutsch. Theile von Bunyan's Pilgerreise deutsch.
Callenberg's Mission war selbst vorurtheilsfrei genug, eine
Schrift des katholischen Bischofs Adolf von Raab: Der Zeuge
und Lehrer, weil dieselbe die allgemeine christliche Wahrheit
trefflich aussprach, besonders unter den polnischen Juden zu
verbreiten.
So ist also die Schrift beider Testamente im Ganzen wie
in einzelnen Büchern vom Institutum besonders in jüdisch-deutscher
Sprache verbreitet worden; unter den orientalischen Juden aber
auch Theile derselben in türkischer, arabischer, syrischer und
persischer und Theile des Neuen Testamentes in hebräischer
Sprache. Mit ganz richtigem Blick hatte es Callenberg erkannt,
dass es vor allem darauf ankäme, den Juden die Heilige Schrift
in die Hände zu legen. Denn das Alte Testament war vom
Talmud unter ihnen fast verdrängt, lasen doch die Juden dasselbe
gewöhnlich nur als Kinder, um sich dann zur Mischna und
Gemara zu wenden; und das Neue Testament war unter ihnen
so gut wie gar nicht gekannt.
Durch Selbständigkeit zeichnen sich die Schriften Frommann's
aus, die theils gegen die Fabeln, Thorheiten und die Selbstüber-
hebung des rabbinischen Judenthums gerichtet sind, theils sich
bemühen, den Herzen der Juden den heiligen Ernst Gottes fühl-
bar zu machen. Und ebenso war es zu loben, dass die Arbeiten
älterer und neuerer Theologen, wie des Gregorius Magnus, Hugo
Grotius, Arndt, Bunyan, Calvör, Adolf und Freylinghausen verwerthet
wurden. Die Auflagen der Callenberg'schen Missionsschriften
zählten der Regel nach 2000 Exemplare, oft aber auch noch mehr.
Bedenkt man übrigens, dass alle diese Schriften in einem
Zeitraum von etwa 30 Jahren erschienen sind, und dass die
Mittel des Institutum doch verhältnissmässig geringe waren, so
— 330 —
wird man nicht anders sagen können, als dass in jenem früheren
Zeiträume die Anstalt auch literarisch sehr rührig war und mit
aller Anspannung der Kräfte arbeitete. Ebenso wird anerkannt
werden müssen, dass die vom Institutum ausgegebenen Schriften
wohl geeignet waren, unter den Juden jener Zeit ihren Missions-
zweck auszurichten. Jüdisch-deutsch war die Sprache, welche die
Juden Deutschlands , des ganzen mittleren und Ost-Europas ver-
standen. Sie musste gewählt werden, wenn ein nachhaltiges
Werk unter ihnen geschehen sollte.
War also Callenberg gleich selbst literarisch durchaus nicht
schöpferisch, so hat er doch der literarischen Produktion des
Institutum die Wege gewiesen, sie angeregt und darauf gehalten,
dass sie den Bedürfnissen der Zeit angepasst würde. Die Schriften
dieser Mission konnten ihren Lesern denn auch sowohl zur Gewis-
sensmahnung als zur Erkenntnissförderung in hinreichendem Maasse
dienen. Sie suchten die Juden jener Zeit in der ihnen bekannten
und von ihnen eingenommenen Geisteswelt auf und waren bemüht,
sie von dort aus auf das Evangelium hinzuweisen.
Von Wichtigkeit waren sodann die Mittheilungen, die
Callenberg in den schon mehrfach erwähnten Berichten, Relationen
und ihren Fortsetzungen über die Weiterentwicklung des von ihm
ins Leben gerufenen Werkes gab. Dieselben erschienen gewöhnlich
in einer Auflage von 2000 Exemplaren, ein Beweis, dass ihre
Mittheilungen immerhin eine für jene Zeit, die nicht so viel und
allgemein las, beachtenswerthe Theilnahme fanden. Stücke aus
diesen Berichten wurden ins Englische, in Ostindien auch ins
Holländische und Portugiesische übersetzt, um unter den dortigen
Juden verbreitet zu werden.
Die Einnahmen des Institutum erreichten in diesem Zeit-
räume ihre höchste Höhe. Gaben kamen aus der gesammten
evangelischen Christenheit ein, selbst aus Sibirien wurden solche
wiederholt nach Halle gesandt. Mehrfach wurden Collekten für das
Institutum veranstaltet und Legate für dasselbe ausgesetzt, ein Kreis
von Handwerksburschen in Berlin hielt sonntägliche Erbauungs-
stunden zur Förderung der Callenberg'schen Mission ab, und
Aehnliches wird mehrfach vermeldet.
Dennoch hat das Institutum nur über sehr bescheidene
Summen zu verfügen gehabt. So weit die Jahreseinnahmen fest-
zustellen sind, betrugen sie z. B. 1734 und 1735 etwa 4100 Mark,
1745 2600 Mark, also, wenn auch der Werth des Geldes damals
— 33i —
ein viel höherer war, durchaus unbedeutende Summen. Aber
desto grössere Bewunderung verdient es, wenn man sieht, was
bei diesen beschränkten Mitteln ausgerichtet worden ist. Das
Haushalten und die beste Verwerthung dessen, was ihm in die
Hände gelegt worden war, verstand Callenberg in ausserordent-
lichem Maasse. Es ist ja fast unglaublich und gewiss sonst noch nie
wieder erreicht worden, dass der Jahresaufwand für einen Missionar
nie 350 Mark überstieg. Die Kosten der Erhaltung eines Mis-
sionars berechnete auch Schultz später auf „nicht unter 100
Thalern", und findet es nöthig, hinzuzufügen, dass diese 300 Mark
„bei ihren mühsamen Reisen und der jetzigen durchgängigen
Theuerung" schon aufgewandt werden müssten. Hätte Callenberg
eben so viel Muth zum Vorwärtsgehen als Treue in der Benützung
des Gegebenen gezeigt, dann würde der Einfluss des Institutum
für Juden und Christen noch weit fühlbarer geworden sein, als
es thatsächlich schon der Fall war.
1745 konnte von den Ersparnissen des Institutum für das-
selbe in Halle ein Haus angekauft werden, und dies geschah
für den Preis von 3450 Mark. In demselben befanden sich dann
die Anstaltsbuchdruckerei, die Bibliothek und einzelne Zimmer
für die Missionare während der Zeit ihres Aufenthaltes in Halle.
Die Bibliothek erhielt aus den verschiedensten Ländern Schriften
zugesandt, welche für das Institutum und seine Mitarbeiter von
Interesse sein mussten, und gelangte allmählich in den Besitz
einer stattlichen Zahl von Büchern der hier einschlagenden
Literatur. Callenberg war auch im Stande, ein Bauerngut in
Lettin bei Halle zu kaufen, das jedoch durch den Krieg und
durch Viehseuchen sehr litt, so dass es beim Ableben des Pro-
fessors nur eine Pacht von 300 Mark brachte. Diese Pachtsumme
und die 150 Mark des Degenfeld'schen Kapitals bildeten die
einzige feste Einnahme des Institutum.
Die Fürsorge für die Katechumenen und die Pflege der
Proselyten wurde auch weiter vom Institutum nicht aus den
Augen gelassen. Stets war die Anstalt bemüht, Juden, die den
empfangenen Eindrücken folgend, weitere Belehrung über das
Christenthum oder den Taufunterricht bei ihr erbaten, hierzu
behülflich zu sein; und es gelang auch Callenberg immer wieder,
Städte und Kirchenkollegien zu finden, welche die geistliche und
leibliche Versorgung von Katechumenen bis zu ihrer Taufe über-
nahmen. Ebenso aber hielt er darauf, dass man diese Personen dann
— 332 —
auch in irgend einen Lebensberuf, zu dem sie taugten, einführte.
An das Studium wurde fast gar nicht für sie gedacht, sondern
man wollte, dass sich die Bekehrten auf eine einfache Weise ihr
Brot erwerben lernten.
Ueberhaupt hat man in der Behandlung der Katechumenen
sehr gesunde Grundsätze verfolgt. Ein Aufsatz „Von Besorgung
der Katechumenen" in Fortsetzung 10, 52 ff. der Nachrichten
spricht sich über diesen Punkt des Näheren aus. Hier erklärt
Callenberg, dass keinem, welcher Unterricht begehre, derselbe
abzuschlagen, dann aber auf gründliche Bekehrung zu dringen
sei. Heuchelei und Abfall dürften nicht an der Verbindlichkeit
gegen andere irre machen, üble Nachrede scheue man nicht.
Den Katechumenen werde das Notwendigste verabreicht, aber
nicht mehr, damit alles, was zum Uebertritt locken und reizen
könne, vermieden werde. Man gehe auch nicht alsbald zu weit
im Vertrauen gegen solche Personen, sondern sei sehr vorsichtig.
Jeder Katechumene müsse sogleich in eine Profession eingeführt
werden und dürfe nicht eher die Taufe erlangen, als bis er sich
hier treu und fleissig bewiesen habe. Das Pathengeld gebe man
dem Täufling nicht in die Hände, sondern lege es für ihn an.
Keinem Proselyten gebe man einen Taufschein oder Empfehlungs-
brief, damit er nicht auf Grund desselben betteln gehe. An Orte,
wo man für einen Katechumenen Aufnahme gefunden habe,
sende man nicht sobald einen anderen, sondern suche andere
Städte dafür zu gewinnen , dass sie einem solchen den Unterhalt
gewährten; selbstverständlich aber falle dem Ortsgeistlichen der
Unterricht und die hauptsächliche Pflege dieser Personen zu.
Nach wie vor wurden sodann an den Orten, welche die
Missionare bereisten, die dort wohnhaften Proselyten von den-
selben besucht, und das haben ihnen die meisten von ihnen
herzlich gedankt. Die Arbeiter des Institutum redeten dabei
den Christen vielfach dafür ernst ins Gewissen, dass sie die
Proselyten in ihrer Umgebung nur zu oft vernachlässigten oder
verkümmern liessen, oder dass man denselben wohl gar ihr früheres
Judenthum fort und fort vorwürfe.
Viele Proselyten erkannten das Verdienst des Institutum an
und erwiesen demselben herzliche Theilnahme. So mancher der-
selben unterstützte die Anstalt durch Geldbeiträge; andere
wünschten, dass ihre Söhne derselben dienen möchten, sie gingen
Callenbere in ernsten Fällen um seine Vermittlung an und holten
— 333 —
sich in ihren Gewissensnöthen bei ihm Rath. Der Professor er-
hielt z. B. einmal von einem Proselyten 240 Thaler, damit er
dieselben einem Manne zurückgäbe, den der Absender früher
übervortheilt hatte.
Es that den Proselyten überaus wohl, dass sie nunmehr der
Gegenstand der Sorge und liebenden Aufmerksamkeit eines
ganzen Instituts geworden waren. So mancher unter ihnen hat
sein Herz den Missionaren ausgeschüttet und hat in seinem geist-
lichen Leben einen neuen Aufschwung genommen, nachdem er
mit den Halle'schen Sendboten zusammengetroffen war; so mancher
hat danach bösen Gewohnheiten entsagt und es wieder gelernt,
sich treuer an Gottes Wort zu halten. Uebrigens aber versichert
Callenberg, dass obwohl er manchen Proselyten kenne, der nicht
lebe, wie er solle, doch nur verschwindend selten der Fall vor-
gekommen sei, dass Proselyten wieder zum Judenthum zurück-
gekehrt wären; ihm selbst und seinen Missionaren sei überhaupt
ein sicherer Fall dieser Art nicht begegnet, und beide kannten
doch die Verhältnisse in besonderem Maasse.
In etwas besserte sich auch die Lage mancher Proselyten.
Aber freilich eine verhältnissmässig bedeutende Zahl und besonders
unter denen, welche sich um ihres vorgerückteren Alters oder
um ihres bisherigen Lebensganges willen nicht mehr recht in
einen neuen Lebensberuf schickten, suchte sich von Betteln zu
ernähren.
Die Sache hat Callenberg und seine Freunde sowohl unter
den Christen als unter den Proselyten vielfach beschäftigt, aber
Callenbergs Zaghaftigkeit, welche ihn ein entschiedenes Hervor-
treten immer gern vermeiden Hess , hat es verhindert , dass er
für diesen wichtigen Zweig der Judenmission etwas Erhebliches
geleistet hat.
Doch würde es ungerecht sein, wenn man die erste Schuld
in diesem Stücke auf ihn würfe; denn die christliche Gemeinde
und die Kirche überhaupt wollten sich nicht recht aufraffen, um dem
alt eingefressenen Uebel zu steuern. Callenberg hätte nur nachdrück-
licher und lauter in der Oeftentlichkeit sein Zeugniss gegen diesen
Schaden erheben sollen. Das ganze Elend des Proselytenwesens war
ihm ja wohl genug bekannt. Er klagt im Jahre 1746 über dasselbe.
Die Einrichtung, welche er getroffen hatte, getaufte Juden, die
Halle durchreisten, für kurze Zeit daselbst zu behalten, um sie
dort geistlich zu stärken und sie womöglich in einen festen
- 334 —
Lebensberuf einzuführen, hatte sich nicht bewährt. Schaaren von
Proselyten waren auf die Nachricht von Callenbergs Fürsorge
für sie nach Halle gekommen, die aber nur die Liebesgaben des
Institutum in Empfang nahmen und dann die Stadt durchbettelten.
Als daher der die Proselyten unterrichtende Candidat Leichner
1745 starb, und viele Beschwerden der Halle'schen Einwohner
gegen den Proselytenbettel einliefen, wurden von der Stadt
scharfe Maassregeln gegen denselben ergriffen, und Callenberg
liess die frühere Einrichtung fallen.
k. Wirkungen der Halle'schen Mission in diesem
Zeiträume.
Die Bedeutung dessen, dass jetzt aus der evangelischen
Kirche her eine eigentliche Mission unter den Juden getrieben
wurde, empfanden die letzteren selbst und auch viele Christen
aus den anderen Kirchen wohl. Die Juden sahen sich damit
lebendig vor die Thatsache gestellt, dass sie von der evangelischen
Kirche aufgesucht wurden und dass man sie für das Christenthum
ernstlich in Anspruch nahm. Was auch bisher geschehen war,
um da und dort einzelne Juden mit dem Evangelium zu erreichen,
hatte doch auf sie nicht den Eindruck gemacht, dass es mit dem
Gedanken ein wirklicher Ernst wäre, sie für das Christenthum
zu gewinnen. Die überall unter ihnen umherziehenden, sie in so
verschiedenen Ländern aufsuchenden, ja ihnen oft eigentlich auf
Schritt und Tritt nachgehenden Missionare dagegen brachten es
ihnen zum Bewusstsein, dass innerhalb der evangelischen Christen-
heit die Ueberzeugung erwacht sei, die Juden gehörten ganz
ebenso wie die Völker, unter denen sie wohnten, in die christ-
liche Kirche.
Thatsächlich gehört es denn auch zu der bleibenden Bedeu-
tung der Halle'schen Mission, dass sie es der Judenschaft weithin
fühlbar gemacht hat, innerhalb der evangelischen Christenheit
wenigstens habe man das Vertrauen und den Willen und fühle
man auch die Kraft, sie dem Christenthum zuzuführen. Man
habe hier das Verlangen, mit ihnen innerlich verbunden zu werden;
aber man wisse es auch, dass dem unter ihnen verkündigten
Evangelium es gelingen werde, bei einer immer grösseren Schaar
von ihnen dieses Ziel zu erreichen.
Das Erscheinen der Missionare in ihrer Mitte wurde daher
auch von den Juden jener Zeit lebhaft empfunden, und dieselben
— 335 —
sind bei den Glaubensboten durchaus nicht gleichgiltig vorüber-
gegangen; vielmehr hat man jüdischerseits bis in die entlegensten
Gegenden hin von diesen Männern geredet. Ihre Bücher theilte
man sich überall unter einander mit, ja Juden handelten sogar
mit Schriften des Institutum, weil eben die Nachfrage nach den-
selben in ihren Gemeinden eine sehr rege geworden war. Oft
wurden Warnungen vor den Missionaren in ganzen Distrikten
durch die Rabbiner erlassen, ihre Bücher wurden des öfteren zer-
rissen oder verbrannt, oder der Bann über sie ausgesprochen,
und ebenso der Verkehr mit den Missionaren bei Strafe des
Bannes verboten,
Heftige Auftritte gegen die Missionare kamen nicht selten
vor, selbst äusserst tumultuarische Scenen ereigneten sich, und
verschiedene der Missionare geriethen mehrfach in Lebensgefahr
unter den Juden. Die Mission wurde gewissermaassen ein Grad-
messer dafür, wie weit bereits in der grossen Masse der Juden-
schaft eine Empfänglichkeit für das Christenthum vorhanden war
oder nicht. Dem durch ihre Boten klar und freundlich, ernst
und eindringlich gepredigten Evangelium gegenüber trat es hand-
greiflich zu Tage, dass die grosse Masse der Juden nach ihrer
ganzen inneren Verfassung der Heilsbotschaft gegenüber noch
immer die gleiche ablehnende Haltung einnehme wie früher.
Nicht auf dem geraden Wege des Gehorsams gegen das
ihnen nunmehr wirklich gepredigte und bezeugte Evangelium
wollte es mit der grossen jüdischen Masse vorwärts kommen:
das hat diese Missionszeit offenbart, das ist auch ein Theii der
grossen geschichtlichen Bedeutung derselben innerhalb des Reiches
Gottes und innerhalb der Geschichte der nachchristlichen Juden.
Die Zeit war für sie noch nicht erfüllt, dies trat jetzt klar zu
Tage, sondern es musste noch ein anderes hinzukommen, um
sie in ihrer Stellung völlig zu erschüttern. Diese Missionsperiode
sollte nicht die letzte für das Christo widerstrebende Israel sein,
sondern einer anderen die Wege bereiten , die zunächst freilich
das Ziel der Bekehrung Israels ferner denn je rücken zu wollen
schien.
Doch zeigte es sich jetzt gerade auch, wo ein so bedeutender
Theil der Judenschaft von dem lebendigen, dem einzelnen persön-
lich entgegengebrachten christlichen Zeugnisse erreicht wurde,
dass es höchst ungerecht wäre, an den Juden verzagen zu wollen.
Die Möglichkeit einer Bekehrung der Juden hat vielmehr diese
— 336 —
Missionszeit als unumstössliche Thatsache zu Tage gebracht, und
das ist die andere Bedeutung und der andere Gewinn derselben.
Empfänglichkeit für das Evangelium trat überall unter den
Juden, sowohl unter denen Europas, als unter denen Afrikas und
Asiens den Halle'schen Missionaren entgegen, wenngleich sich
dieselbe in sehr verschiedenem Grade und in mannigfachen Ab-
stufungen zeigte. Mit jener Kälte und Gleichgiltigkeit, welche
gar nicht einmal den Stachel des Evangeliums empfindet, hatten
die Missionare verhältnissmässig selten zu thun. Kalte Gleich-
giltigkeit war so wenig als rauhe, trotzige oder fanatische Ab-
weisung die Regel für die Art und Weise, wie die Missionare
unter den Juden aufgenommen wurden. Im Allgemeinen konnten
sie darauf rechnen, dass man auf die Fragen einging, welche sie
den Gemüthern nahe brachten.
Die grösste Zahl der Juden, mit welchen es die Glaubens-
boten des Institutum zu thun hatten, behandelte also dieselben
nicht als Eindringlinge und wies sie nicht von vornherein ab,
als hätten sie kein Recht, sich um ihren Herzenszustand und um
ihr religiöses Denken und Streben zu bekümmern. Auch das
Gefühl, dass die christliche Religion tief unter der jüdischen, und
die Christen selbst tief unter den Juden stünden, so dass die
letzteren für die ersteren unnahbar seien, milderte sich da überall
unter den Juden ungemein, wo die Halle'schen Missionare öfter
ihre Wirksamkeit entfalteten. Denn die Juden konnten sich dort
dem Eindrucke dessen nicht entziehen, dass diese christlichen
Prediger mit ihnen auf der gleichen Grundlage des Alten Testa-
mentes standen und dass sie mit besonderem Eifer für dasselbe
kämpften. Dass die christliche Religion, dass zumal der evangelische
Glaube sich am Alten Testamente nährte , und dass also von
Hause aus zwischen dem Glauben der Christen und dem der
Juden eine Verwandtschaft bestünde, lernten grosse Schaaren von
Juden eigentlich erst durch die lebendige Berührung mit den
Halle'schen Missionaren erkennen. Das Vorurtheil, dass Christen-
thum nur eine Art des Heidenthums oder der Vielgötterei sei,
schwand bei vielen Juden, welche mit den Arbeitern des Insti-
tutum verkehrt hatten. Die Möglichkeit einer Verständigung
zwischen den getrennten Religionsbekenntnissen, welche vordem
den allermeisten Juden gar nicht einmal in den Sinn gekommen
war, erschien jetzt sehr vielen unter ihnen nicht mehr als ein
ungeheuerlicher Gedanke.
— 337 —
Besonders aber machten es die Missionare den Juden weit-
hin wieder fühlbar, dass nur dann, wenn ihre Religion die Prüfung
des Alten Testamentes ertrage, dieselbe einen Anspruch auf
Wahrheit erheben könne. Mit den Talmudwaffen konnten die
Juden gegen die Missionare nichts ausrichten, und ebenso gaben
sich auch die Halle'schen Arbeiter nur sehr wenig die Mühe,
den Juden die Richtigkeit der christlichen Glaubensanschauungen
aus dem Talmud zu beweisen. Nur nebenbei machten sie von
der talmudischen und rabbinischen Literatur, obwohl einige der
Missionare dieselbe sehr wohl kannten, Gebrauch. Sie hielten
grundsätzlich daran fest, dass, wenn den Juden geholfen werden
solle, sie vom Talmud auf den Boden des Alten Testamentes
zurückgeführt werden müssten.
Zu den bedeutendsten Erfolgen der Wirksamkeit dieser
Missionare gehört es denn auch, dass durch dieselben vielen
Juden die Augen über die Unsicherheit des Fundamentes, auf
dem ihr Glaube ruhe, geöffnet wurde. Die Voraussetzung, dass
die Rabbinen im Namen des Moses und der Propheten und im
Namen Jehovahs selber zu ihnen geredet hätten, und dass die
Lehre ihrer Autoritäten auf dem alten biblischen Grunde ruhe,
wurde bei vielen erschüttert. Fiel auch die allergrösste Zahl der
Juden, welche die Missionare gehört hatten, denselben keineswegs
zu, und waren gleich die allermeisten durchaus nicht geneigt,
das anzunehmen, was diese ihnen Positives boten, so kam doch
jetzt der Glaube vieler Juden sehr ins Schwanken, dass sie die
Autorität des Alten Testamentes für sich hätten und dass sie
mit dieser Autorität das Christenthum und seine Ansprüche zu
bekämpfen im Stande wären.
Ebenso aber haben erst die Missionare des Institutum die
Juden in grösserem Maasse mit dem Neuen Testamente bekannt
gemacht. Von da ab, wo dieselben ihre Wirksamkeit entfalteten
und die Bücher des Neuen Testamentes in einer ihnen verständ-
lichen Sprache Jahr aus Jahr ein unter ihnen verbreiteten, sehen
wir die Juden viel mehr Bekanntschaft mit dem Inhalte des Neuen
Testamentes gewinnen als jemals vorher. Die Missionare machten
davon selbst die lebendigste Erfahrung in ihren Gesprächen mit
den Juden. Der christliche Glaube, den die Juden nur aus den
Entstellungen der Rabbinen und aus dem thörichten Gerede des
Volksmundes kannten, trat ihnen jetzt aus dem heiligen Buche
der Christen in seiner wirklichen Gestalt entgegen, und auch auf
J. F. A. de le Roi, Missionsbeziehungen. 22
333 -
diese Weise gewannen nunmehr viele Juden eine ganz andere
Vorstellung vom Christenthum.
Man hat die Halle'sche Mission in der neueren Geschichte
der Juden ziemlich übersehen, weil man den Blick bei Beurtheilung
der neueren Entwickelung der Juden nach einer falschen Richtung
hin lenkte. Man sah die Missionare nicht mit Taufen beschäftigt
— dasselbe überliessen sie den ordentlichen Geistlichen der be-
stehenden Kirchen — und sah nicht viele angesehene oder gelehrte
Juden auf ihr Zeugniss hin zum Christenthum übertreten, und so
war man schnell mit dem Urtheil der Erfolglosigkeit jener Missions-
thätiekeit fertig. Aber freilich kannte man auch die Berichte
des Institutum nicht oder verstand sie nicht zu lesen. Weil die-
selben auf den ersten Blick als eine blosse Häufung von Kleinig-
keiten erscheinen, gab man sich nicht die Mühe, die innere
Tragweite dessen, wovon sie berichten, sich zu vergegenwärtigen.
Thatsächlich steht die Sache so, dass besonders das deutsche
Judenthum nicht so schnell und so plötzlich in der folgenden
Periode dem neueren philosophischen Humanismus verfallen wäre,
wenn es nicht die Halle'sche Mission ein Vierteljahrhundert hin-
durch wohl bis in seine letzten Gemeinden und Gemeindlein
hinein so gewaltig zu erschüttern geholfen hätte.
Die Mission hatte ja ebensowohl die gelehrtesten und
berühmtesten Führer der damaligen deutschen Juden als die ein-
fachsten und ungelehrtesten unter ihnen aufgesucht; und vielfach
hatten die Juden selbst sich nicht anders zu helfen gewusst, als
dass sie gerade ihre Leiter gegen die Missionare aufboten, um
ihre Sache, welche sie unter den Angriffen derselben wanken
sahen, zu halten und zu stützen.
Es verhält sich in der That so, dass die, wie wir es jetzt
wissen, am Schlüsse der eigentlichen talmudischen und rabbi-
nischen Periode des Judenthums auftretende Halle'sche Mission
das Ende derselben und zumal in Deutschland, dem Hauptplatz
der Wirksamkeit des Institutum, beschleunigt hat. Diese Mission
hat unleugbar dazu wesentlich beigetragen, die starke Position
des nachchristlichen Judenthums zu erschüttern und so die neuere
Zeit anzubahnen, in welcher sich die Juden bemühen, den Halt,
welchen ihnen das Alte bot, in unreligiösen Stützen anderer Art
zu suchen.
Der bedeutendste Erfolg der Wirksamkeit des Institutum
besteht also darin, dass es wesentlich mitgewirkt hat, das
— 339 —
Ende der talmudischen und rabbinischen Periode des Judenthums
zu beschleunigen, und dass es einer anderen Beurtheilung des
Christenthums inmitten der Juden die Wege gebahnt hat.
Aber daneben treten uns auch manche beachtenswerthe
Einwirkungen der Halle'schen Missionare auf einzelne Juden
entgegen.
Ganz besonders erregt haben sich die Amsterdamer Juden
bei den wiederholten Besuchen der Arbeiter des Institutum in
ihrer Stadt gezeigt. Die allgemeine Missionswirksamkeit und die
der Hallenser insbesondere wurden hier so stark gefühlt, dass im
Jahre 1749 berichtet werden kann, gegen 400 Juden seien in
Amsterdam eigentlich mit dem Judenthum zerfallen und dem
Christenthum geneigt. Die übrige Judenschaft fürchtete daher
die Missionare in dem Grade, dass sie wiederholt zu Tumulten
gegen sie vorschritt. Taufen aber geschahen gerade zu dieser
Zeit sehr häufig in der holländischen Hauptstadt.
In Frankfurt a. M. traten zu derselben Zeit nach und nach
16 Glieder aus einer Verwandtschaft zum Christenthum über.
Gegen den Missionar Bennewitz äusserte im Jahre 1746 ein
Prediger in polnisch Preussen, dass in seiner Gegend in der
kurzen Zeit, welche das Institutum bestehe, mehr Juden getauft
worden seien, als sonst wohl in einem Jahrhunderte.
Oft, wenn die Missionare und besonders St. Schultz eine
Gegend besucht hatten, trafen danach Berichte in Halle ein,
welche Uebertritte meldeten. Nachdem Manitius und Widmann
in Franken gewesen waren, wurde ihnen von dort aus mit-
getheilt, dass sich ein Jude mit seinem Sohne in Burg Farrenbach
habe taufen lassen und die Tochter eines jüdischen Vorsängers.
Seine Bekehrung führt der Arzt David Isaak Kahn aus Uhlefeld,
hernach Christfreund genannt, direkt auf die Schriften des In-
stitutum zurück. Er wurde 1739 in Cadolzburg mit seinem
ganzen Hause getauft, auch der damals allein noch zurück-
gebliebene älteste Sohn folgte später nach. Aus Schwabach
wird nach Anwesenheit der Missionare in jener Gegend gemeldet,
dass in derselben 8 Juden getauft worden seien und 2 andere im
Unterricht stünden. 1736 traten nach dem Aufenthalte der Mis-
sionare in Posen 8 Juden und ein anderes Mal 1 8 Haushaltungen
zum Christenthum über. Die Zahl der Proselyten in Berlin,
welches damals nur eine kleine jüdische Gemeinde zählte, wird
1 73 5 auf 60 Personen geschätzt.
— 340 —
Viele durch die Missionare zum Nachdenken gebrachte Juden
kamen nach Halle aus verschiedenen Ländern, um dort weitere
Antwort auf die in ihnen erweckten Fragen zu rinden oder Unter-
richt zu erbitten. Durch Schultz angeregt stellten sich in Breslau
anf einmal 17 Juden aus Polen ein und baten in der christlichen
Religion unterwiesen zu werden.
In den 60er Jahren des Jahrhunderts kann Schultz hernach
erklären (Kurze Nachricht Seite 47): „Man könnte bei gar nicht
mühsamer Nachrechnung die Zahl der durch diese Anstalt zuerst
erweckten und dann getauften Juden auf ein Tausend Personen
setzen." Und das schreibt dieser Missionar eben nicht leichtfertig
hin, sondern aus der Kenntniss der Verhältnisse heraus, die ihm
noch dadurch erleichtert wurde, dass sein Amtsgenosse und
Freund Manitius ein genaues Register der Proselyten führte.
Auch tiefer haben die Missionare des Institutum wenigstens
in einem Falle eingegriffen und zwar unter polnischen Juden.*)
Widmann, Manitius, St. Schultz und Bennewitz hatten in
Polen mehrfach eine sehr rege Thätigkeit entfaltet. Gerade in jener
Zeit aber standen die Gemüther jener Juden noch recht lebhaft
unter den Nachwirkungen der Sabbathai-Zebischen Bewegung und
der Chasidismus gewann dort immer zahlreichere Anhänger.
Die Erscheinung der Missionare in ihrer Mitte, die mit neuen
religiösen Fragen unter sie traten, erregte sie daher in ausser-
ordentlichem Maasse. Es fand ein förmliches Zusammenströmen
zu ihnen statt, und man wurde nicht müde, ihnen immer neue
Fragen vorzulegen. Viele sogen ihnen die Worte förmlich von
den Lippen, überall daselbst wusste und erzählte man von ihnen,
und dankbarere Zuhörer haben die Halle'schen Sendboten in der
That nirgends als unter den Juden des Ostens gefunden.
1747 nun zog Schultz mit Bennewitz unter den Juden Polens
und Lithauens hin und her; selbst viele Dörfer, in denen Juden
wohnten, wurden von ihnen besucht. Im polnischen Chronice
hatte St. Schultz besonders eingehende Unterredungen mit Juden.
Ein Rabbiner zumal hörte ihm mit der grössten Andacht zu, und
als Schultz in hebräischen Worten den Segen bei Tische sprach,
erbat sich der Rabbi von ihm dieses Gebet. Schultz erfüllte die
Bitte. Aber nun wünschte der Rabbi noch ein anderes Gebet
*) Frank und die Frankisten Dr. H. Graetz 1868. Dibre Emeth 1869.
S. 19 ff. 46 ff. St. Schultz von J. de le Roi S. 102 ff.
— 341 —
vom Missionar zu erhalten, das er täglich beten könne. Schultz
setzte ihm darauf folgendes Gebet in hebräischer Sprache auf
(„Leitungen des Höchsten" 2, 161 ff., „Christliche Bereisung der
Judenörter" i, 156 ff.): „Gelobet seist du Gott, du Herr Himmels
und der Erde, der du mich erschaffen hast in deinem Bilde.
Da ich aber in Adam dieses kostbare Bild verloren habe und
noch täglich dazu sündige, so sollte ich ewig verloren gehen.
Aber du hast dich in Gnaden erbarmet und den andern Adam,
den Menschen, in Gnaden zu senden verheissen durch deine
Knechte Moses und die Propheten, und hast ihn in der Fülle
der Zeit gesandt. Ich aber habe ihn noch nicht erkannt. So
bitte ich dich Herr um Gnade und um den Geist der Gnaden
und des Gebets, dass ich möge um die Vergebung meiner Sünden
recht beten lernen und dass ich den Mann erkenne, durch welchen
die Welt versöhnt ist, damit ich zu der Gerechtigkeit komme,
welche vor dir gilt. Und weil ich höre,' dass Jesus von Nazareth
derselbe Mann ist, so bitte ich in seinem Namen und auf sein
Verdienst, du wollest mir Gnade zur rechten Busse schenken."
Der Rabbi aber nahm dieses Gebet mit Dank an, versprach
es sorgfältig zu verwahren und es fieissig zu beten.
Wenige Jahre darauf entstand in eben diesen von religiösen
Fragen erfüllten und erregten Gegenden Polens und Lithauens
eine grosse Bewegung, welche dann aber der falsche Messias
Jakob Frank in seine Bahnen zu lenken wusste. Zunächst freilich
ging diese Bewegung nicht von ihm aus, sondern er fand sie
bereits vor, aber er hat sie hernach benutzt und sie in seine Hände
zu spielen gewusst. Und dass ihm dies gelang, war kein Wunder;
denn Niemand hat den von halb christlichen und halb jüdisch-
mystischen Gedanken bewegten Leuten mit hinreichender Unter-
weisung beigestanden.
Jene Juden schwankten damals hin und her, ehe sie Frank
zufielen und wussten nicht, wohin sich wenden. Das bezeugt
z.B. eine Nachricht aus dem Jahre 1753. Unter dem 5. November
dieses Jahres theilte der frühere Rabbi Leopold Emmanuel Jakob
de Dort, Lektor der orientalischen Sprachen, der 1745 in Aachen
katholisch getauft und 1752 zur evangelischen Kirche übergetreten
war, aus Osnabrück dem Herrn von Loen in Lingen mit, ein
polnischer Edelmann habe an ihn geschrieben, dass er eine Zu-
schrift von vielen Juden in Polen erhalten habe, die das Judenthum
verlassen möchten, aber nicht wüssten, wohin alsdann sich wenden.
— 342 —
Sie wollten desshalb ihn, den Proselyten um Rath fragen und
von ihm zumal erfahren, welche denn die wahre christliche Kirche
sei. de Dort war aber von der Sektirerei des Herrn von Loen
angesteckt und wollte nun das Buch desselben: „Die einzige
Religion", welches die verkehrten Meinungen Loens zum Ausdrucke
brachte, mit den jüdischen Abgeordneten, die er aus Polen er-
wartete, übersetzen und die Juden, welche jene obige Anfrage
an ihn gerichtet hatten , zu der hier gepredigten Religion
bekehren.
Gleichzeitig berichtet übrigens de Dort auch von einem
Concil, in welchem, nach den ihm aus Polen zugegegangenen
Mittheilungen, eine grosse Anzahl von Rabbinen, die dem
Christenthum geneigt wären, ein Bekenntniss zur Dreieinigkeit
und zur Messianität Jesu aufgestellt hätten. Abgesandte derselben
sollten besonders nach Danzig und Amsterdam gehen und dort
ihre Ueberzeugungen bekannt machen.
Ganz unabhängig hiervon und doch damit im Wesentlichen
übereinstimmend lesen wir aber in den nicht gedruckten, sondern
als Manuscript im Archiv der Brüdergemeine zu Herrnhut vor-
handenen Mittheilungen der älteren Brüdergemeine, von ganz
ähnlichen Ereignissen in jenen polnischen Gegenden. Es heisst
in diesen Nachrichten: „In Folge einiger Nachrichten, welche
über Bewegungen unter den Juden in Polen einliefen, bekam der
Bruder David Kirchhoff, selbst ein geborener Jude, der nach
seiner Taufe Mitglied der Brüdergemeine geworden war, 1758
den Auftrag, diejenigen unter ihnen aufzusuchen, die dem erhaltenen
Bericht zufolge gläubig geworden sein sollen. Er kam auch an
einen Ort in Klein-Polen, wo er eine Anzahl Juden beisammen
fand, die ihm bezeugten, dass sie glaubten, der Messias müsse
schon gekommen sein, übrigens aber Jesum als den Messias noch
nicht erkannten. Er beschrieb ihnen denselben nach Jesaia 53
als den Versöhner der Sünden aller Welt und gab ihnen eine
Nachricht von der Brüdergemeine, wofür sie sich dankbar erzeigten
und versprachen, Gott zu bitten, dass er ihnen den rechten
Messias offenbaren wolle. Er hätte sich länger bei ihnen auf-
gehalten in Hoffnung, dass sein Zeugniss von Jesu ihnen zum
Segen sein könne; allein die widrig gesinnten Juden fingen
schon Unruhen an, so dass er es für rathsam hielt, nach einem
kurzen Aufenthalt wieder abzureisen."
— 343 —
Die Nachrichten von de Dort werden aber auch weiter
durch den Bericht David Kirchhofes bestätigt. Letzterer schreibt:
„Im Anfange der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts erhielt man
Nachricht, dass eine grosse Anzahl von Juden, die sich nach
einigen auf 15000 Personen belaufen sollten, worunter gegen 50
Rabbiner, sich öffentlich erklärt haben sollten, sie wären überzeugt,
dass der wahre Messias schon gekommen, und dass Jesus von
Nazareth der verheissene Messias sei. Die gläubigen Juden,
welche in Polen, Ungarn, der Moldau, Wallachei und anderen
Ländern zerstreut wohnten, waren entschlossen, sich öffentlich
zum Christenthum zu wenden und in christliche Länder zu ziehen.
Weil sie aber bei der Verschiedenheit der christlichen Religion
nicht gewusst, in welcher sie die reine evangelische Wahrheit
antreffen würden, so gingen ihre Bemühungen fürs erste dahin,
davon Gewissheit zu erlangen. Allein die Verfolgungen der
übrigen Juden, die durch ihre eben angeführte Erklärung aufs
Aeusserste erbittert worden waren, Hessen ihnen nicht Zeit, ihre
Untersuchung fortzusetzen. Bei diesen Umständen erwählten sie
den kürzesten Weg und gingen grösstentheils zur katholischen
Religion über."
Schon der eine Umstand, dass unter den Juden, die sich
mit dem Gedanken des Uebertritts zum Christenthum beschäftigten,
die Frage verhandelt wurde, wo die eigentliche und reine evan-
gelische Wahrheit zu finden und welche der christlichen Kirchen
von ihnen zu erwählen sei, weist darauf hin, dass hier nicht
bloss römische, sondern auch christliche Einwirkungen von anderer
Seite her stattgefunden haben. Die Anfragen in Deutschland
aber und bei jenem de Dort, welcher den polnischen Juden als
Protestant bekannt war, lassen es erkennen, dass jene von dem
Unterschied katholischen und evangelischen Christenthums wussten.
Von Missionsbemühungen der wenigen Protestanten, welche in
den fraglichen Gebieten wohnten , unter den Juden hören wir aber
nichts. Dieselben waren ja auch so ungemein bedrückt und ver-
folgt, dass sie sich völlig auf die Erhaltung ihrer eigenen Gemein-
schaft beschränkten und an Missioniren unter Andersgläubigen
gar nicht dachten.
Die Halle'schen Missionare dagegen waren durch mehrere
Reisen in jenen Gegenden Tausenden und aber Tausenden bekannt
geworden und hatten mit denselben eingehend alle Fragen des
Glaubens besprochen. Es ist also gewiss nicht eine zu gewagte
— 344 —
Annahme, dass die christlichen Anregungen, welche unter den
Juden jener Jahre zu bemerken sind, ganz besonders eine Folge
der Wirksamkeit der Missionare gewesen sein mögen, und dass
der Verkehr mit denselben auch die Frage, welche Kirche denn nun
die rechte christliche Kirche sei, den Juden nahe gelegt haben wird.
Noch ein besonderer Umstand aber weist bei dieser Bewegung
auf die Arbeit der Missionare des Institutum und besonders auf
St. Schultz hin. Die brüdergemeindliche Nachricht aus dem Jahre
1758 enthält auch folgende Mittheilung:
„Viele unter ihnen (den polnischen Juden) waren auf den
Gedanken gekommen, ob nicht Jesus der Messias sei, weil sie
bei aufmerksamer Betrachtung der Weissagungen in den Propheten
besonders des Daniel zugestehen müssen, dass die Zeit, da der
Messias erscheinen soll, längst verflossen ist. An einigen Orten
bedienen sie sich, wiewohl ganz im Geheimen, eines von einem
ihrer eigenen Rabbiner aufgesetzten Sterbegebetes, dass, wenn
es mit der Behauptung der Christen, dass der Messias schon
gekommen sei, seine Richtigkeit habe, Gott ihnen ihren Irrthum
vergeben wolle."
Zweierlei ist hierbei merkwürdig. Weder Sabbathai Zebi
noch Frank haben ein Interesse daran gehabt, auf Daniel'sche
Zeitbestimmungen über das Kommen des Messias hinzuweisen;
denn dieselben hätten geradeswegs, wie man auch rechnen mochte,
ihre Ansprüche völlig zu Schanden gemacht. Sohar und Kabbala
waren ihre Hauptstützen, von der Schrift und den Propheten
schwiegen sie gänzlich. Ebenso unbequem aber waren Daniel
und alle Propheten den Gegnern der neuen Bewegung, den Tal-
mudisten, welche eben die Ihrigen völlig an den Talmud banden.
Weder von der einen noch von der anderen Seite trat das
Zeugniss der Propheten den Juden entgegen. Wohl aber hat
die Halle'sche Mission die Juden überall mit besonderem Nach-
druck auf die Propheten und Daniel hingewiesen; und es ist
zumal erklärlich, dass jenen mit ihren rabbinischen Volksgenossen
zerfallenen Juden von den Sendboten des Institutum vielfach die
Propheten und Daniel vorgehalten wurden.
Ebenso aber wird man ganz unwillkürlich, wenn man die
Angaben der brüdergemeindlichen Nachrichten über das in jenen
Gegenden unter den Juden aufgekommene Sterbegebet liest, an
das Gebet erinnert, das St. Schultz dem Rabbi in Chronice auf-
setzte und hebräisch geschrieben übergab. Freilich wird in jenem
— 345 —
Berichte ein Rabbi als Verfasser desselben genannt, aber das darf
nicht Wunder nehmen. Ein Rabbi war es gewesen, welcher von
Schultz das früher erwähnte Gebet erhielt; und wenn es dann
von demselben auch seinen Gesinnungsgenossen mitgetheilt wurde,
und in den Kreisen derer, welche die Messiasfrage beschäftigte,
von Hand zu Hand ging, dann war nichts natürlicher, als dass
auch der Rabbi für den Verfasser desselben gehalten wurde.
In kleinen Einzelheiten entspricht ja nun freilich das Schultze'sche
Gebet den allgemein gehaltenen Angaben des brüdergemeindlichen
Berichtes nicht, wohl dagegen in der Hauptsache, nämlich in der
bedingungsweisen Anerkennung Jesu Christi als des Messias.
Dieses Stück ist dem Schultze'schen und dem Gebet, von welchem
die Brüdernachrichten erzählen, gemeinsam. Und so wird man
von den verschiedensten Punkten aus dahin gedrängt, eine Ein-
wirkung der Halle'schen Mission bei jener merkwürdigen Bewegung
anzunehmen und anzuerkennen.
Doch freilich nur eine Anregung evangelischerseits erhielten
jene Juden und nicht auch evangelische Pflege. Die römische
Kirche würde eine solche aber freilich auch sehr bald zu ver-
hindern gewusst haben. Verschiedene einzelne Juden waren wohl
durch das, was sie von den Missionaren gehört hatten, innerlich
tief bewegt geworden, so dass diese z. B. bald nach ihrer Heim-
kehr in Halle die Nachricht aus Breslau erhielten, es seien dort
17 Juden aus Polen eingetroffen, welche ausdrücklich bekannten,
durch das von den Missionaren des Institutum Gehörte zur Aus-
wanderung bewogen worden zu sein. Denn es habe ihnen keine
Ruhe mehr gelassen, sondern sie hätten Klarheit über die in
ihnen entstandenen Fragen erhalten müssen; und eben um solche
zu erlangen, trafen sie in Breslau ein, wo sie den Taufunterricht
erbaten.
Sich selbst in ihren religiösen Fragen überlassen, fanden
nun natürlich jene Juden, die in ihrer Heimath blieben, nicht ein
noch aus, sondern geriethen nur in rathlose Verwirrung. Da trat
Jakob Frank, 1755 aus der Türkei kommend, unter sie. Er
deutete ihnen, da er sah, dass sie eine bereits erfolgte Erscheinung
des Messias glaubten, an, dass er der wiedergekommene Christus
sei, und fand leicht bei ihnen Eingang. Das konnte aber um
so eher geschehen, als die römische Kirche herzlich wenig that,
um diesen in ihren Gewissen beunruhigten und in ihrer Erkenntniss
verwirrten Juden beizustehen. Nur der Bischof von Kaminiec,
— 346 —
hernachmaliger Erzbischof von Lemberg, Graf Dembowski,
nahm sich ihrer treulich und entschieden an, derselbe starb aber
bereits 1757, und in ihm verloren sie ihren einzigen, es auf-
richtig meinenden Freund. Hernach wussten die Talmudisten
durch den jüdischen Hofagenten Jawan den König von Polen
für sich zu gewinnen. Den Talmudisten wurden seitdem ihre
Gegner preisgegeben und letztere von jenen ausgeplündert, von
ihren Wohnsitzen vertrieben und ins Gefängniss geworfen. Endlich,
nach vielen vergeblichen Vorstellungen und Bitten, erlangten sie
es, dass ihnen eine Disputation mit ihren Widersachern in Lemberg
bewilligt wurde, an deren Schluss einige Tausende von ihnen
zur römischen Kirche übertraten. Dies geschah im Juli 1759,
auch Jakob Frank nahm etwas später die Taufe an.
Hernach aber brach über Frank und seine Anhänger eine
Verfolgung wegen geheimer Ketzerei aus; denn man hatte so
gut wie nichts gethan, um gesunde christliche Erkenntniss unter
ihnen zu pflanzen, sondern sich am Abtaufen genügen lassen;
und so verfielen diese Leute theils den Machinationen Frank's,
der auf seine Messiasrolle trotz des Uebertritts nicht verzichtete,
theils den eigenen verkehrten Meinungen, die ein trübes Gemisch
von Christenthum, jüdischer Kabbala und verkehrtem Messianismus
waren. Frank wurde mit vielen seiner Genossen ins Gefängniss
geworfen. Aus demselben befreit, zog er nach Offenbach, wo
er 1791 starb. Seine Anhänger sind allmählich in die katholische
Bevölkerung Polens aufgegangen.
Das Beste in dieser ganzen Bewegung ist jedesfalls von
der Halle'schen Mission ausgegangen. Aber dieser Fall zeigt es
auch aufs Klarste, dass, wenn die Mission nicht einen Rückhalt
an einer Kirche hat, welche den zu Bekehrenden und den Bekehrten
den bleibenden Halt und Stützpunkt, genügende Geistesnahrung
und Pflege, Erziehung und Stärkung, Ueberwachung und Warnung
zur rechten Zeit angedeihen lässt, die besten Unternehmungen
der Mission leicht scheitern und hoffnungsvolle Anfänge ohne
befriedigenden Fortgang bleiben, vielmehr elend verkümmern
oder völlig zu Grunde gehen. Die Judenmission wird denn in
der That auch dann nur Rechtes leisten, wenn sie in reger Ver-
bindung mit der Kirche steht und nicht auf ihre eigene Kraft
allein angewiesen bleibt. Die Mission soll anregen, aber nicht
das Ein und Alles bleiben, sie soll den Acker autbrechen, aber
— 347 —
den aufgebrochenen muss dann die Kirche weiter zu besäen, zu
bewässern und zu behüten sich angelegen sein lassen; sonst wird
das Unkraut leicht alles wieder überwuchern und das aufkeimende
Leben ersticken. Jenes Stück polnisch-jüdischer Geschichte will
hier eine bleibende Lehre für die Mission und die Kirche sein.
Die Halle'schen Missionare waren sich denn auch dessen
klar bewusst, dass es von der grössten Wichtigkeit sei, wenn
die Sache an und mit den Juden gelingen solle, die christliche
Gemeinde zur Arbeit an denselben 'heranzuziehen. Dieselben
Hessen es sich aber auch ernstlich angelegen sein, überall die
Geistlichen und die Gemeinden für das Werk an den Juden zu
erwärmen; und so viele evangelische Christen wie damals sind
auch nie wieder mit der Judenmission bekannt gemacht worden.
Bei vielen Christen schwand aber auch, wenn sie es selbst mit
Augen sahen, welchen Eingang die Missionare unter den Juden
fanden, das Vorurtheil, als ob die Juden für das Evangelium
völlig unnahbar und unempfänglich seien, und als könne nur
Strenge und Härte gegen dieselben etwas ausrichten. Gar nicht
selten haben die Missionare das Bekenntniss aus dem Munde
von Christen gehört, dass sie es nun erkannt hätten, es sei die
allgemeine Aufgabe und Pflicht aller Christen, den Juden das
Wort Gottes zu bringen, und die Erfüllung derselben werde auch
zum Segen für alle Theile gereichen.
Sehr bereitwillig wurden den Missionaren der Regel nach
Predigten in den Kirchen und Ansprachen in Schulen gewährt,
damit so Alte und Junge mit dem Missionswerk bekannt gemacht
würden; und der rege Briefverkehr, welcher in jener Zeit von
Hohen und Geringen mit Callenberg und seinen Missionaren
erhalten wurde, zeigt am besten, dass in vieler Herzen der Trieb
erwacht war, den Juden religiöse Förderung angedeihen zu lassen,
und dass sie gern an der Arbeit des Institutum mitwirken wollten.
Häufig fand nun auch in den Kirchen die Fürbitte für die
Juden statt. In mehreren grossen Städten, wie z. B. in Augsburg,
Dresden u. s. w. finden wir jetzt Proselyten-Katecheten bestellt,
denen die sich zum Unterricht meldenden Juden überwiesen
wurden. Der Frankfurter Senior Dr. Münden, welcher die
Callenberg'sche Anstalt besonders lieb hatte, verfasste ein köstliches
Schulgebet, welches die Bekehrung der Juden erflehte, und die
Missionare fanden dasselbe dann auf gar manchem Gymnasium
— 343 —
in Gebrauch.*) Im Cleve'schen veranstaltete ein Pastor Abend-
gottesdienste, in welchen er Predigten hielt, welche die Juden
mit dem Evangelio bekannt machen sollten. Er hatte dieselben
auf eine recht späte Stunde gelegt, damit die Juden, welche
kommen wollten, sich vor den Ihrigen und vor den Christen
weniger scheuen sollten, in jenen Predigten zu erscheinen, und „es
haben sich der Juden nicht wenige eingefunden."
Aus allen Ständen meldeten sich im Gebiete der evange-
lischen Kirche Callenberg-und seinen Missionaren Personen an,
die sich zur Mitarbeit an ihrem Werke auf die eine oder die andere
Weise bereit erklärten. Wir sehen Fürsten, Prinzen, Prinzessinnen,
Generäle und Offiziere, wie z. B. im böhmischen Kriege, hohe
Staatsbeamte, sehr viele Geistliche und Lehrer, sehr viele Kauf-
leute und einfache Handwerker Schriften des Institutum erbitten,
weil dieselben den WTunsch hegten, diese selbst unter den Juden
zu verbreiten. So mancher Prediger lernte auch das Jüdisch-
deutsche und Hess sich Schriften des Institutum schicken, um
es aus ihnen zu erfahren, wie er mit Juden verkehren und
wie er ihnen die christliche Wahrheit bezeugen solle. Ein Juwelier,
dem das Werk besonders theuer geworden war, prägte 2 Medaillen
zu Ehren des Institutum und schickte sie Callenberg.
Selbst Sektirer empfanden jetzt den Trieb, den Juden nach-
zugehen. So wanderte ein blinder Gärtner, Heinrich Fitzner,
aus der Blankenburger Gegend, 1736 unter den Juden umher
und verkündigte ihnen, dass die Zeit ihrer Bekehrung nahe sei.
Die Separatisten Danzigs und der Wetterau bewiesen den Juden
viele Theilnahme und zogen auch deren Aufmerksamkeit auf sich ;
und ganz im Allgemeinen erhielten überhaupt die Juden der ersten
Jahrzehnte des Institutum den Eindruck, dass sich allerwärts die
Augen in der evangelischen Christenheit auf sie gerichtet hätten.
Insbesondere hat die Halle'sche Mission den Vorzug genossen,
dass sie weithin unter den Evangelischen der verschiedensten
Länder und nicht bloss Deutschlands, unter Lutheranern wie unter
Reformirten als ein der ganzen evangelischen Kirche gemeinsames
Werk betrachtet wurde, und dass über der ersten Judenmission
das Gefühl evangelischer Gemeinschaft vielfach erwachte. Das
Institutum war in der That ein lieber Pflegling der Angehörigen
sehr verschiedener evangelischer Kirchen. Die Gräflich Stolberer'sche
*) Schultz, Fernere Nachricht, Vorrede. Dihre Emeth 1879. S.
— 349 ~
Familie in Wernigerode veranstaltete eine lange Reihe von Jahren
hindurch zum Besten der Halle'schen Mission eine Tischkollekte,
deren Ertrag sie monatlich an das Institutum einsandte. Bitten
um die Uebersendung von Schriften zur Vertheilung unter den
Juden und um Ueberschickung der Berichte liefen nicht bloss aus
ganz Deutschland, sondern auch aus England, Dänemark, Schweden,
Italien, Frankreich, der Schweiz, Oesterreich, Ungarn, Polen,
Russland, der Türkei, Klein-Asien, Amerika, Sibirien und Ost-
indien ein und diesen Bitten wurde bereitwilligst stattgegeben.
Ueber Taufen und was sonst Erwähnenswerthes unter den
Juden geschah, wurde fleissig nach Halle berichtet. Callenberg
aber brachte, was ihm mitgetheilt wurde, soweit es räthlich er-
schien, vor die Oeffentlichkeit. So vielgelesene Zeitschriften
wie die Weimar'schen „Acta ecclesiae temporis nostri" Hessen
es sich angelegen sein, durch fortlaufende Mittheilungen aus den
Berichten des Institutum die Theilnahme für dasselbe in den
weitesten Kreisen und besonders auch in der theologischen Welt
wach zu erhalten. Ueberhaupt aber nahm die zeitgenössische
theologische Literatur überall auf die Callenberg'sche Anstalt
Rücksicht. Viele der bedeutendsten Theologen jener Tage sehen
wir dieselbe lobend erwähnen und zur Unterstützung empfehlen.
Die angesehene und bedeutende Londoner Society for promoting
Christian Knowledge überschickte Callenberg ausser einem Geld-
beitrage eine Anzahl ihrer kostbarsten Werke für die Bibliothek
des Institutum und gleichzeitig ihren Katalog mit der Aufforderung,
ihr zu melden, was Callenberg von ihren Büchern noch zu besitzen
wünsche. Ihrerseits erbat sich die Gesellschaft hinwiederum die
Schriften des Institutum und Hess von den letzteren „Das Licht
am Abend" und den „Brief von der Vergebung der Sünden"
ins Englische übersetzen. Die Halle'schen Missionare mussten
bei ihrer Ankunft in England vor der Gesellschaft erscheinen
und wurden von derselben mit besonderer Liebe und Hochachtung
aufgenommen.
Regelmässig Hessen sich die Halle'schen Heidenmissionare
in Ostindien die Berichte des Institutum zusenden. Sie standen
in lebhaftem Briefwechsel mit Callenberg, suchten auch unter den
Christen in jenem fernen Lande Theilnahme für das Werk an
den Juden zu erwecken und wandten sich sowohl in Gesprächen
als mit Schriften des Institutum an die Juden, die in ihrer Um-
— 350 —
gebung lebten.*) Ebenso berichteten die brüdergemeindlichen
Missionare in Surinam nach Halle, was sie für die dortigen Juden
thaten und mit welcher Begier oft ihre Zeugnisse von denselben
aufgenommen wurden.
Aber selbst über den Bereich der evangelischen Kirche
hinaus reichte der Einfluss der Halle'schen Mission. Häufig
sprachen Katholiken ihre Freude an dem Werke derselben aus,
ja es wurden sogar Schriften des Institutum von ihnen erbeten,
um dieselben unter den Juden zu verbreiten. An Callenberg
richtete selbst eine ganze Anzahl katholischer Prälaten Anfragen,
was sie wohl thun könnten, um das Missionswerk unter den
Juden zu befördern; und es wurde ihm alsdann mitgetheilt, wie
man seine Schriften, die er freundlichst übersandt oder die man
sich sonst zu verschaffen gewusst habe, unter den Juden verbreitet
oder welche Erfahrungen man mit Juden, denen man das Evan-
gelium zu bezeugen versucht hatte, gemacht habe.
Ausdrücklich haben wiederholt römische Bischöfe und
Bischöfe der orientalischen Kirche ihre Zustimmung zu der Arbeit
des Institutum während der ersten Hälfte des iS. Jahrhunderts
ausgesprochen. Besonders in Polen und Warschau haben viele
römische und zum Theil sehr hochstehende Geistliche aufs
freundlichste mit den Missionaren verkehrt und den Eifer der-
selben für ihr Werk rühmend anerkannt.
Kurz die Thatsache, dass es nun eine wirkliche Mission
unter den Juden gab, wurde in den ersten Jahrzehnten des
Institutum weithin in der Christenheit und nicht bloss in der
evangelischen Kirche ziemlich lebhaft empfunden, Im weitesten
und besten Sinne hat also das Halle'sche Institutum Anregungen
für ein Missionswerk unter den Juden gegeben; und es ist eine
wahrhafte Freude zu sehen, wie damals der Muth und die Lust
für eine ordentliche und ihrem Zweck entsprechende Arbeit an
den Juden erwachte.
Verfehlt hat also das Institutum am allerwenigsten seine
Aufgabe, wie es kurzsichtige Beurtheiler desselben gemeint haben;
und es kam nur darauf an, dass dem guten kleinen Anfange ein
kräftiger Fortgang entsprach. Dass dies nicht geschah, lag, wie
schon gesagt, zum Theil an den Schwächen Callenbergs und
seiner Nachfolger in der Leitung der Anstalt, zum grösseren
*) Saat auf Hoffnung, Johanni-Heft 64 S. 19 ff.
— 35i —
Theile jedoch daran, dass die rationalistische Folgezeit je länger
desto unfähiger wurde, Missionsgedanken zu fassen und ein
Missionswerk zu treiben.
Es ist aber der früheren Geschichte des Institutum an diesem
Orte darum ein so weiter Raum gegeben worden, weil dieselbe
das lehrreichste Missionsbeispiel für alle Folgezeit ist, und weil
sie auf die für unser Gebiet wichtigsten Fragen ein helles Licht
wirft. Wer diese Geschichte mit ihren merkwürdigen Einzelheiten
und Persönlichkeiten näher betrachtet, wird in ihr einen bedeutenden
Beitrag für das rechte Verständniss der Judenfrage und für die
Wege, auf welche dieselbe die christlichen Völker und ihre Kirchen
den Juden gegenüber weist, finden.
1. Anderweitige Missionsbemühungen des Zeitraumes.
Die vielfältigen Ermahnungen der einflussreichsten Theologen
und besonders das praktische Vorgehen Callenbergs führten in
der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht allein dazu, dass
man in Deutschland vielen einzelnen Juden näher trat, sondern
liess auch den Gedanken erwachen, dass man Einrichtungen
treffen möchte, welche die Bekehrung der Juden überhaupt zu
befördern im Stande seien.
Einen hoffnungsreichen Anfang nahm eine bedeutend an-
gelegte Proselyten- Anstalt, welche Johann Philipp Fresenius
ins Leben rief, die aber nun doch nicht einen längeren Bestand
hatte. Callenbergs Relationen 9 S. i ff., 52 ff., Saat auf Hoffnung
1879 Forts. 3, 185 ff. erzählen von ihr. Johann Philipp Fresenius
theilt aber auch selbst in seinen Betrachtungen von Christo,
Züllichau 1743, des Näheren mit, wie er dazu gekommen sei,
sich der Juden anzunehmen. Als er Prediger im pfälzischen
Niederwiesa war, liess ihn 1732 der hernachmalige Rheingraf zu
Grumbach wissen, dass er einen Juden, der unter seinem Schutze
wohne, taufen lassen wolle. Bei dieser Taufe nun sollten alle
Juden seines Gebietes zugegen sein, um die Ansprache zu
hören, welche bei dieser Gelegenheit gehalten werden würde.
Denn er wolle am Gerichtstage die Verantwortung nicht tragen,
als habe er die Juden nur dem Leibe nach geschützt und für
ihre Seelen keine Sorge getragen. Fresenius unterzog sich dem
ihm gewordenen Auftrage. Des Abends vorher in Grumbach an-
gekommen, erschienen jedoch bei ihm viele Juden im Schlosshofe
und baten ihn, dass es ihnen nicht zugemuthet werden möge,
— 352 —
in die Kirche zu gehen. Da Fresenius ihnen aber zuredete,
dass sie gehorchen möchten, suchten sie ihn durch Geld der
Gewährung ihrer Bitte geneigter zu machen, selbstverständlich
ohne Erfolg.
So stellten sich denn die Juden des Tages darauf vor der
Kirche ein und hörten vor der Thür derselben ein Schreiben verlesen,
dass sie nicht beschimpft werden sollten, sondern der Landesherr
nur im Gefühl seiner Verantwortung ihnen die Gelegenheit geben
wolle, die Wahrheit zu hören. Keiner von ihnen solle gezwungen
werden, zum Christenthum überzutreten, sondern jeder dürfe auch
noch ferner als Jude unter seinem Schutze wohnen bleiben; doch
wünsche er, dass sie jetzt aufmerksam zuhörten.
Fresenius predigte darauf vor ihnen über Haggai 2, 7 — 10,
über welche Weissagung er schon früher wiederholt ernste Unter-
redungen mit Juden gehabt hatte. Seine Ansprache dauerte
nicht weniger als 3 Stunden. Die Juden hörten jetzt, da sie über
die Folgen beruhigt waren, in der That aufmerksam zu, und ein
Greis unter ihnen wurde so bewegt, dass die übrigen in Angst
geriethen und ihn „übertäubten".
Diesem Vortrage von Fresenius hatten auch viele Christen
beigewohnt und einen lebhaften Eindruck von dem ganzen Vor-
gange empfangen , insbesondere aber war die Predigt selbst
manchem Christen zu Herzen gegangen. Ein vornehmer Herr
schrieb diesem Tage seine eigene Bekehrung zu und wurde das
Mittel auch andere seiner Standesgenossen auf neue Wege zu
führen. Fresenius wurde von jenem Mann um den Druck seiner
Predigt ersucht, erklärte demselben aber, dass er den Gegenstand
ausführlicher behandeln wolle, und schrieb dem Geheimrath zu-
nächst nur die Hauptpunkte nieder, welche er ihm auch zu
lesen gab.
Die Sorge um die Juden beschäftigte dann Fresenius noch
weiter. Lange, so sagt er hernach in seiner Schrift, habe er
eine grosse Neigung und einen unauslöschlichen Trieb, an den
Juden zu arbeiten, empfunden. Ebenso aber habe ihn der Gedanke
gedrückt, wie er selbst und wie die christliche Obrigkeit am
jüngsten Tage bestehen würden, wenn sie ihre Pflicht gegen die
in ihrem Gebiete wohnenden Juden vergässen. Christus und seine
Apostel hätten keine Marter für uns gescheut, und wir sollten
den Juden dafür nicht auch eine Gefälligkeit erweisen? Der
Heiland habe sich nach seinem eigenen Zeugniss unter grosser
— 353 —
Mühe zu sich zu sammeln gesucht. Dächte jeder an seinem
Theile hieran, so würden sich Tausende von Juden jetzt sammeln
lassen.
Von Niederwiesa als Prediger nach Giessen berufen, ver-
folgte Fresenius alsdann, durch die inzwischen erschienenen Berichte
Callenbergs hierzu angeregt, besonders die Frage der Eingliederung
der Proselyten in das allgemeine bürgerliche Leben der Christen.
Ihm kam der Gedanke, dass Manufakturen für die zum Christen-
thum sich wendenden Juden angelegt werden möchten, und
man versprach ihm auch Beiträge, wenn ein Proselytenhaus zu
Stande käme.
1736 dann nach Darmstadt als Hofdiakonus versetzt, suchte
er nun die Kreise der Hauptstadt und den Hof für ein weiteres
Vorgehen in dieser Angelegenheit zu erwärmen. Er predigte
1737 einmal in der Schlosskirche über Matthäus 9 von der Liebe
Jesu in der Aufnahme armer Sünder, wobei er besonders auch
der Fürsorge für die bekehrten Juden gedachte und die üblichen
Einwürfe gegen dieselben widerlegte. Der Minister Wieger
wurde durch diese Predigt bewegt und bat Fresenius, seine
Gedanken über diesen Gegenstand schriftlich aufzusetzen. Dieser
that das, und Wieger legte dann den fraglichen Aufsatz dem
Geheimrathscollegium vor, welches denselben dem Fürsten zur
Kenntnissnahme überreichte.
Der Fürst nahm den Plan mit Freuden auf und erliess bei
Gelegenheit seines 50jährigen Jubiläums 1 738 eine Verordnung
über eine nach den Vorschlägen von Fresenius zu errichtende
Anstalt, für deren Herstellung er selbst 15,000 Gulden spendete.
Ueber diese Anstalt wurde ein Collegium von weltlichen und
geistlichen Räthen gesetzt, als geistlicher Direktor Fresenius und
zu dessen Unterstützung 2 Gehilfen, der Bruder des Direktors,
Johann Friedrich Fresenius, und der bisherige Mitarbeiter am
Institutum Johann Caspar Horst angestellt. Ein Oekonom sollte
für den leiblichen Unterhalt der Proselyten sorgen und ausserdem
dem Rechnungswesen der Anstalt vorstehen.
Die Aufzunehmenden, nämlich Christen aus der römischen
Kirche, welche zur evangelischen übertraten, und Juden sollten
in der Anstalt so lange verweilen dürfen, bis sie konfirmirt oder
weiter versorgt wären. Zur Erbauung der nöthigen Gebäude
und zur Erhaltung der Anstalt wurden Liebesgaben erbeten und
J. F. A. de le Roi, Missionsbeziehungen. 2~l
— 354 —
solche kamen auch von vielen Seiten, besonders aber auf einer
Kollektenreise ein, welche der jüngere Fresenius unternahm.
Nach den Regeln der Anstalt sollten alle sich Meldenden,
so weit die Mittel reichten, angenommen und Niemand von vorn
herein abgewiesen werden. Jeder sollte dann zunächst eine
Probezeit durchmachen, in welcher er unter geistliche Pflege
genommen, aber auch zu körperlicher Arbeit angehalten werden
sollte. Die sich in dieser Zeit bewährten, sollten dann länger
in der Anstalt verbleiben dürfen, bis sie in die evangelische
Kirche aufgenommen und bis auch für ihre weitere Unterbringung
in irgend einem bestimmten Lebensberufe gesorgt wäre.
Sobald die Errichtung dieser Anstalt bekannt geworden
war, schickte man nun von allen Seiten und aus allen Gegenden
her ihr Juden zu, welche die Aufnahme in die christliche Kirche
erbaten. Natürlich war dieselbe nicht im Stande, so ungemes-
senen Ansprüchen zu genügen. Es wurde desshalb die übrigens
doch nur sehr massige Forderung gestellt, dass, wer eine Person
nach Darmstadt schicke, gleichzeitig 1 2 Thaler einzusenden habe,
damit der Ankömmling dafür 12 Wochen in der Anstalt ver-
weilen dürfe. Für diesen billigen Preis sollten ihm Kost, Quartier
und Bett gewährt werden. Zeige sich nun der Ankömmling
redlich und fleissig, so könne er in diesem Zeiträume „einen
genügsamen Grund vom Evangelium fassen" und solle dann
weiter behalten, im anderen Falle aber weggeschickt werden.
Geschähe das letztere, so werde man das noch übrig gebliebene
Geld zum Besten eines anderen, welcher von demselben Wohl-
thäter gesandt werden dürfte, aufbewahrt werden.
Betrüger wurden in der Anstalt fast stets sehr bald durch-
schaut. Praktischerweise legte man ein Verzeichniss der ordent-
lichen und unordentlichen Proselyten an und führte genaue Corre-
spondenz über jede einzelne Persönlichkeit. Im Uebrigen aber
hatte man den richtigen Grundsatz, dass man auch üble Erfah-
rungen nicht scheuen dürfe. „Wolle man diese nicht ertragen,
so müssten das Predigt- und Lehramt und alle Obrigkeit auf-
hören. Christus und seine Apostel haben alle gerufen, wenn es
gleich vergeblich war. Viele der Bekehrten des Paulus sind
wieder abgefallen. Das hat er aber nicht für eine Schmach
gehalten und darum sein Amt nicht niedergelegt. Richtig sei es,
dass viele in der Anstalt nur den leiblichen Unterhalt suchten,
aber zu Christo seien die meisten Leute auch nur aus demselben
— 355 —
Grunde gekommen, und doch habe er sich ihrer angenommen.
Die Gelegenheit, den Herrn zu finden, solle man Keinem vorent-
halten. Man lasse sich aber auch nicht durch die Besorgniss,
Heuchler heranzuziehen, schrecken; denn die Arbeit der Anstalt
ziele eben darauf ab, alle, wie immerhin ihre Gesinnung von
Hause aus sein möge, zu Himmelskindern zu machen."
Thatsächlich machte die Anstalt auch ganz überwiegend
günstige und erfreuliche Erfahrungen. Als Fresenius am 28. Ok-
tober 1742 nach Giessen versetzt wurde, um eine Stelle als Pro-
fessor der Theologie an der dortigen Universität zu übernehmen,
konnte er in seiner Abschiedsrede bezeugen: „Endlich hat mir
Gott an dem hiesigen Orte eine grosse Menge von solchen
Seelen zugeführt, welche vorher entweder ganz in der jüdischen
Finsterniss oder in einem falschen Lichte (Katholiken) gewandelt
haben. An vielen hat mich Gott die Freude erleben lassen, dass
sie wahrhaftig bekehrt wurden, und bei vielen anderen ist es zu
einer weiteren besseren Hoffnung gekommen, als wir leider von
unseren meisten Namenchristen nimmermehr haben können."
Die Zahl der durch Fresenius in seiner Anstalt der evan-
gelischen Kirche in dem Zeiträume von 4 Jahren aus dem Katho-
licismus und dem Judenthum zugeführten Personen beläuft sich
auf nicht weniger als 400; die grössere Zahl derselben waren
Katholiken, aber ein ansehnlicher Theil auch Juden.
Leider ist mit dem Abzüge von Fresenius aus Darmstadt
die Anstalt auch eingegangen. Wie dies gekommen ist, wird
uns nicht mitgetheilt. Möglich, dass Ludwig VIII., welcher 1739
Ludwig VII. folgte, nicht den gleichen Missionssinn hatte und
daher eine Fortführung der Anstalt nicht beliebte. Die Fonds
derselben wurden allerdings zunächst noch hauptsächlich ihrem
ursprünglichen Zwecke entsprechend verwandt, im 19. Jahrhundert
dann aber anderen Kassen zugewiesen, besonders dem Pfarrei-
besserungs-, dem Schul- und Pädagogenfond. Den letzten Rest
von 95 Pfennigen sendet jährlich das Darmstädter Ober-Consi-
storium an den Verein der Freunde Israels in Basel ein.
Ein solches Schicksal hatte die Anstalt nicht verdient,
sondern der Versuch von Fresenius hätte wohl zu ihrer Fort-
setzung ermuntern können. Es kam nur darauf an, Männer zu
gewinnen, welche wie Fresenius willig genug waren, der gedul-
digen Arbeit der Erziehung und Pflege der Taufbewerber sich
zu unterziehen, dann versprach das Werk einen guten Fortgang.
23*
- 35" —
Die Anstalt war überdem auch dadurch günstiger als andere
Judenmissionsanstalten veranlagt, dass sie nicht bloss jüdische,
sondern ebenso christliche Personen aufnahm. Unter diesen
letzteren gab es viele ernste Seelen, welche den jüdischen Kate-
chumenen ein Halt wurden. Jüdische Taufbewerber allein auf
einander in derartigen Anstalten angewiesen, unterliegen sehr
vielen Versuchungen und Gefahren und finden in sehr vielen
Fällen an einander nicht die genügende Stütze, die rechte Mahnung
und Reizung zum Vorwärtsdringen oder die Bewährung, welche
sie in der Uebergangszeit besonders nöthig haben ; sie haben vor
einander sehr leicht auch nicht die nöthige Scheu. In Darmstadt
war dies anders, wo sie eine erhebliche Zahl von Christen in
der gemeinsamen Anstalt neben sich sahen, unter denen, neben
unlauteren Elementen, doch eben auch viele mit ernst christlichem
Sinne erfüllte Personen sich befanden.
In Giessen blieb Fresenius nur ein Jahr und wurde hierauf
Senior in Frankfurt a. M. Er fuhr aber auch in diesen beiden
Stellungen fort, für das Heil der Juden zu wirken. Das that er
besonders durch seine Schrift: „Betrachtungen von Christo".
Mehrere dieser Betrachtungen sind ausdrücklich auf Juden berechnet.
So die dritte, welche den Beweis aus dem Alten Testamente
führt, dass Jesus der Messias sei. Im Voraus bemerkt Fresenius
hier, er wolle in dieser Schrift besonders Studirenden zeigen,
wie man die Juden angreifen und sie zu überzeugen suchen müsse.
Ebenso wolle er lernbegierigen Juden und Proselyten gründlich
und treulich in einem Büchlein zusammenstellen, wie sie selbst
zur nöthigen Erkenntniss gelangen, andere in derselben befestigen
und von ihren gewöhnlichen Ausflüchten und Vorurtheilen befreien
könnten. Durch deutsche und kleinere Bücher aber erreiche man
diesen Zweck eher, als durch lateinische, grosse und gelehrte
Schriften. Nach seiner Erfahrung käme man mit den Juden am
weitesten, wenn man sich ihnen gegenüber so viel immer möglich
allein der Heiligen Schrift bediene und sich nicht in ihre talmu-
dischen und rabbinischen Schwärmereien einlasse. Er vermeide
es daher möglichst, in seinem Buche derartige Zeugnisse anzu-
führen. „Hören sie Moses und die Propheten nicht, so werden
sie auch den Zeugnissen des Talmud nicht glauben."
Hierauf tritt Fresenius den Beweis für die Messianität Jesu
aus dem Alten Testamente an. Er behandelt zunächst die Natur
und Beschaffenheit der auf den Messias abzielenden Weissagungen
— 357 —
des Alten Testamentes überhaupt; sodann, dass der Messias
nach den verschiedenen Stellen des Alten Testamentes, auf die
besonders eingegangen wird, schon vor 1 700 Jahren hätte kommen
müssen und thatsächlich auch gekommen sei. Die Einwendungen
hiergegen werden widerlegt. Kapitel 3 führt aus, dass Jesus
der Messias sei, und auch der Beweis hierfür wird aus dem
Alten Testamente erbracht. In der vierten Betrachtung wird sodann
das Neue Testament benützt; denn man dürfe es bei dem Alten
nicht bewenden lassen, sondern solle die Juden auch durch das
Neue überführen, dass sie Jesum als ihren Erlöser verehren
müssen. Was für das Alte Testament und seine Propheten, das
spreche auch für das Neue Testament und seine Apostel. Dre
Charakter Jesu endlich, die Gewissheit seiner Auferstehung, welche
das Zeugniss so vieler Menschen für sich habe, und die wunder-
bare Ausbreitung des Reiches Christi müsse die Juden im Gewissen
überführen, dass Jesus ihr Messias sei.
In seiner lateinischen Disputation „über die pastorale Klug-
heit, dargestellt nach den Zeichen der Zeit", gedenkt Fresenius
ebenfalls der Juden und des Callenberg'schen Instituts, das er
eben so sehr empfiehlt, als er die Saumseligkeit der Christen bei
der Arbeit an den Juden beklagt. Stets blieb er ein warmer
Freund der Halle'schen Anstalt und hat in seinem Wirkungskreise
auch immer der Juden gedacht.
Scheiterte die Darmstädter Anstalt daran, dass man es
christlicherseits nicht zu rechter Beständigkeit in der Sorge für
die Katechumenen und Proselyten brachte, so zeigt auch noch
ein anderer Fall, warum Missionsunternehmungen unter den Juden
oft nicht gelingen wollen.
1735 trat in Berlin der Rabbiner Wolf Salomon zur refor-
mirten Kirche über und erhielt in der Taufe die Namen Christian
Friedrich August. Der König Friedrich Wilhelm I. von Preussen
ertheilte ihm darauf die Erlaubniss, an der Universität Halle die
orientalischen Sprachen zu lehren und wies ihm auf dem Refor-
mirten Gymnasium einen Freitisch an. Während so für ihn selbst
gesorgt war, sah er dagegen viele andere Proselyten wandernd
umherirren und geistlich wie leiblich verkommen. Er richtete
desshalb 1736 eine Schrift an den König von Preussen, in welcher
er denselben um die Errichtung eines Hauses bat, in welchem
Proselyten und Taufbewerber Aufnahme finden, und so die Juden
nicht länger durch das Schicksal ihrer früheren Glaubensgenossen
- 353 -
von der Taufe abgeschreckt werden möchten. Chr. Fr. August
schlug die Errichtung einer Leinen- oder Wollenfabrik vor, in
welcher die Aufgenommenen sich ihr Brod verdienen und zugleich
geistliche Pflege geniessen sollten. Auch weibliche Personen
müssten zugelassen und mit weiblichen Arbeiten beschäftigt werden.
Für sich selbst erbat er die Stelle eines Unterinspectors an der
Anstalt, um als solcher seinen Brüdern geistliche Handreichung
zu thun. Sein Vorschlag fand bei König Friedrich Wilhelm I.
kein Gehör.
Später wiederholte Chr. Fr. August denselben dem Herzog
Ernst August von Sachsen-Weimar gegenüber. Dieser ging auf
den Plan ein und erklärte sich bereit, in der Bergstadt Dorenberg
eine derartige Manufaktur zu errichten und für die kirchliche
Versorgung der Proselyten und Katechumenen eine reformirte
Proselytenkirche zu erbauen. 1 74 1 erliess der Herzog eine öffentliche
Aufforderung , dass man ihm zur Ausführung seines Planes eine
Beisteuer gewähren wolle, und forderte zugleich Christen auf,
nach Dorenberg zu ziehen, um an der betreffenden Manufaktur
zu arbeiten. Die dem Rufe Folge leisten würden, sollten eine
zwölfjährige Abgabenfreiheit erhalten. Ein Kaufmann Joh. Heinr.
Kr eil mann und Chr. Fr. August sollten dem Werke vorstehen
und beide zunächst auf einer Collektenreise die Mittel für dasselbe
sammeln. Der Aufruf des Herzogs hatte aber einen sehr geringen
Erfolg, und dazu liefen in Weimar beim Hofe Gerüchte ein, dass
August, der sich auf die Collektenreise begeben hatte, die Gelder
veruntreue. Schon als der genannte Proselyt sich in Berlin befand,
geschah dies. Ein Rechtfertigungsschreiben desselben scheint
die Besorgniss des Herzogs einstweilen beschwichtigt zu haben.
Jedesfalls Hess er August weiter reisen. Derselbe kam dann auch
bis Holland, hernach aber wird seiner nicht mehr Erwähnung
gethan, sondern es heisst, er sei mit den ihm anvertrauten Geldern
davongelaufen. Ob diess der Fall gewesen ist oder nicht, lässt
sich jetzt nicht mehr ermitteln. Der Herzog war fest überzeugt,
dass August ein Betrüger war, Hess das Unternehmen sofort
fallen und hielt von da ab alle Proselyten für Heuchler und
Schurken, so dass er es nicht gestatten wollte, einen Juden in
seinem Lande zu taufen.
Man war in dem Unternehmen nicht mit der rechten Weis-
heit vorgegangen und hatte den Plan desselben sofort zu umfang-
reich angelegt, statt klein zu beginnen und dann vorwärts zu
— 359 —
schreiten. August hatte man in eine verführerische Lage gebracht
und alsdann unbesehens dem allgemeinen Verdachte gegen
Proselyten Raum gegeben; in ähnliche Fehler aber verfällt man
noch jetzt sehr oft den Proselyten gegenüber.
m. Die Brüdergemeine.
Zinzendorf, der Passagier in Sonderbare Gespräche 1739,
neu herausgegeben von Dr. A. Petersen. Jena, Fromann 1880.
Saat auf Hoffnung, Ostern 1864. Geschichten und Charakterzüge
aus Graf Zinzendorfs und der ersten Brüdergemeine Verhältnisse
zu den Juden. Saat 79, Forts. 3, 177 ff. Dibre Emeth 1871,
43 ff. Dober, Lieberkühn und andere S. 65 ff. S. 97 ff.
Lieberkühn, Zinzendorf, D. Kirchhof und dessen Frau (Esther
Grünbeck) 1880 S. 135 ff. Graf Zinzendorf und Samuel Lieber-
kühn von C. Axenfeld. Köln 1873. Vormbaum, Zeitschrift
1872 Forts. 2. Rheinisch-westphälisches Missionsblatt 1875 Nr. 5.
Der Einfiuss von Spener und Franke, unter dem Graf
Zinzendorf von Jugend auf stand, hat in demselben auch schon
früh Missionsgedanken wach gerufen. Der Knabe bereits stiftete
auf dem Halle'schen Pädagogium unter seinen Altersgenossen
einen Senfkornorden, der die Bekehrung der Juden und Heiden
auf das Herz nahm. Und es waren nicht bloss jugendliche Ein-
fälle oder Schwärmereien gewesen, welche ihn zu solchen Gedanken
und Unternehmungen brachten, sondernder zum Manne Herangereifte
führte hernach aus, was der Knabe geplant hatte.
Zinzendorf hat denn auch später nicht bloss der Heiden-
mission seine Theilnahme zugewandt, sondern die Bekehrung der
Juden ist ihm ein stetes Anliegen geblieben. Das Callenberg'sche
Vorgehen besonders zog seine Aufmerksamkeit auf sich und wies
ihn in ernsterer Weise auf die Juden hin. Schon früh sehen wir
ihn die Schriften des Institutum zur Verbreitung unter den Juden
erbitten und ebenso den Juden selbst mit dem mündlichen
Zeugnisse entgegentreten. Im Jahre 173 1 wird z. B. nach Halle
berichtet (Bericht 6, 5 ff.), dass eine gewisse Standesperson in
Franken von der Judenschaft durch Deputirte ersucht worden sei,
ihnen zu erlauben, dass sie den erbaulichen Versammlungen auf
dem Schlosse beiwohnen dürften. Als sie die Erlaubniss bekommen,
seien bei 20 Juden, Jüdinnen und Kinder erschienen, zu deren
Unterricht eine vornehme Person eine Rede gehalten über Mel-
— 36o —
chisedek nach i Mose 14, 17 — 20 und den 110. Psalm von
ihrem ewigen Mittler und Hohenpriester. Sie habe alle ihre
Beweisgründe aus dem Alten Testamente genommen und dabei
immer auf das Zeugniss des Herzens, den Busskampf und den
Sieg mit Jakobs Waffen nach Hosea 2, 2. 4 gedrungen. Die
Juden seien theils bis zu Thränen gerührt worden.
Unter dieser vornehmen Person ist, wie es Spange nberg
und hernach Zinzendorf selbst mitgetheilt haben, der Graf zu
verstehen, der 1730 in Berleburg verweilte.
Von da ab blieb Zinzendorf im Verkehr mit vielen Juden,
besonders in jener Gegend. 1736 kam er, aus Sachsen verbannt,
nach der Wetterau. In den verfallenen Mauern der Ronneburg,
welche ihm der Graf Isenburg als Wohnsitz anwies, hatten sich
56 Familien Juden, Zigeuner und verdächtige Leute angesiedelt.
An diesen allen und besonders an den Juden arbeitete er nun
mit der ganzen Kraft und Innigkeit seines liebewarmen und um
die Seligkeit Aller ringenden Herzens. Es war ihm wie wenigen
Menschen gegeben, die Herzen Anderer zu bewegen; das erfuhren
auch die Juden, welche dort sein Zeugniss vernahmen. Glaub-
recht schildert in seinem Buche: „Zinzendorf in der Wetterau"
diesen Verkehr Zinsendorfs mit den dortigen Juden und die
Bekehrung eines alten Israeliten Abraham.
In dieser Zeit und in Folge der hier gemachten Erfahrungen
richtete Zinzendorf an die Juden jener Gegend, zu denen besonders
auch ein gewisser Nunez d'Acosta gehörte, den er unter grossen
eigenen Entbehrungen aus Amerika mit herüber genommen hatte,
einen Brief, welcher seinen Verkehr mit den Juden und seine
eigentliche Geistesart in besonderem Maasse kennzeichnet, über-
dem aber zu den bedeutendsten Zeugnissen gehört, die jemals
wahrer Missionssinn den Juden entgegengebracht hat. Derselbe
lautet :
„Ihr lieben Juden in dieser Gegend. Ich wollte euch gern
sehr loben wegen eurer bisherigen und nun so vielhundertjährigen
Pünktlichkeit in eurem Gesetz; ich wollte mich mit euch über
unseres Königs und Gottes erstaunliche Härte wundern, der euch
nach eurem grossen und himmelschreienden Götzendienst, Ver-
gehungen und Greueln nie über 70 Jahre hat zappeln lassen, nun
aber bald 1700 Jahre in der äussersten Verlegenheit ohne Tempel
und Opfer lässt, da ihr gar nichts gethan habt und nur eifriger
in eurer Religion gewesen seid als vor und nach eurer Verstörung:
— 3öi —
wenn euch nicht euer eigenes Herz sagte — so viel euer vor
Nahrungssorgen, vor Blindheit oder Widrigkeit gegen die soge-
nannten, auch mit allem Recht abominablen Christen zum Nach-
denken fähig sind — dass eure jetzige hartnäckige Andacht die
Ursache seines Grimmes über euch sei.
Denn weil es der eigentliche Charakter der Juden ist, alle-
mal zu widerstreben — das Zeugniss geben euch eure eigenen
Propheten, Moses nennt euch schon ein halsstarriges Volk —
so habt ihr immer, wenn ihr einen Gott habt anbeten sollen,
etliche haben wollen; wenn ihr hörtet, er wäre unsichtbar, so
wolltet ihr ihn sehen. Seitdem ihr hört, er habe sich dreifach
geoffenbart, so dringt ihr auf die Einigkeit seiner Natur; und
seitdem man euch sagt, er habe sich unter den Menschen sehen
lassen, so dringt ihr darauf, dass Niemand ihn sehen könne.
Als er euch in den Tempel wies, so liefet ihr auf alle Berge
hinaus; nun er euch Freiheit giebt, allenthalben zu beten, so hättet
ihr gern einen besonderen Ort.
Da er euch seine Gebote und Rechte lehrte, sagten eure
Väter zu Mose: „wir wollen", und es war nicht ihr Ernst; zu
Jeremia: „wir wollen nicht", und was sie auch thaten, das hiess
Last, unerträgliche Last. Seitdem er euch versprochen hat, er
wolle euch nicht mehr zwingen, sondern einen Bund mit euch
machen, der ganz anders sein soll, als der vorige, euer Herz
solle willig und heilig werden, so wollt ihr lieber 600 Gesetze
halten, als das selige Herz annehmen, das ihr haben könnt, und
die Freiheit, die euch gegönnt ist.
Ihr wollt lieber Israel, das doch eine Kreatur ist, vergöttern
und ihm Namen beilegen (lesaia 53), die Niemand als Gott zu-
kommen, als dass ihr einen Messias ansehen wollt, wo er ist,
und erkennen, dass er zuerst in einer armen Gestalt und darnach
erst herrlich erscheinen wird.
Das ist die Ursache, warum ich euch bisher noch nichts
von meinem Lamme gesagt, das ich doch in so vielen Gegenden
der Welt predige und predigen lasse, und das mir doch nie aus
Herz und Munde kommt. Das ist die Ursache, warum ich meinem
Nunez d'Acosta so wenig als euch davon vorsage, ob er gleich
in meinem Hause und Brote ist und mich gewiss als seine
Seele liebt.
Ihr müsst erst euren Sinn ändern, ihr müsst erst Kinder
werden, ihr rnüsst erst eure Selbstgerechtigkeit fahren lassen und
— 362 —
glauben, dass ihr verlorene Sünder seid, die Jemand brauchen,
der sich ihrer erbarme zeitlich und ewig.
Alsdann, meine um der Väter willen geehrte Väter, und um
meines auch um euch geschlachteten Lammes willen innig ge-
liebte Freunde, will ich euch mit Freuden- und Liebesthränen
von dem vorsagen, ohne den ich weder leben noch selig werden
will, und mit dem ich lieber in der Hölle, als ohne ihn im Himmel
sein wollte. Ihr wisst wohl, wen ich meine."
Dieser Brief kennzeichnet nach allen Seiten die Art, wie
Zinzendorf Mission unter den Juden trieb. Auf dem Schiffe, das
ihn mit Nunez d'Acosta nach Europa herüberführte, überliess
er diesem und seiner Frau seine Cajüte, weil die letztere leidend
war, und schlief selbst schlecht gebettet unter der ganzen Menge
des gewöhnlichen Schiffsvolkes. Er enthielt sich sodann selbst
aus freiem Entschluss aller der Speisen, welche den Juden ver-
boten sind, und beobachtete auch den Sonnabend neben dem
Sonntage als Ruhetag. Den Juden war er recht eigentlich ein
Jude geworden, um ihrer etliche zu gewinnen.
Den vielbetretenen Weg der blossen Verstandesüberführung
vermied er, dafür wandte er sich desto ernstlicher und eindring-
licher an ihre Gewissen. Er hatte es klar erkannt, dass ihre
Selbstgerechtigkeit, ihre Hoffahrt und die Vergötterung, welche
sie mit ihrem Volke trieben, der Anerkennung Jesu als des
Heilandes, Erlösers und Versöhners unter ihnen am meisten im
Wege stünden. Für diesen ihren tiefsten und so fest gewurzelten
Schaden suchte er ihnen desshalb vor allem die Augen zu öffnen
und hierzu besonders das Schriftzeugniss ihren Herzen nahe zu
bringen. Dabei ging er aber auch in pädagogischer Weise zu
Werke. Er trat ihnen nicht mit der fertigen Dogmatik entgegen,
deren Anerkennung er alsbald von ihnen gefordert hätte, sondern
suchte in ihnen ein Gefühl dafür zu erwecken, dass sich in Wahr-
heit nur durch Christum die Fragen des Herzens und die Räthsel
des Lebens, besonders aber auch die Räthsel ihrer Geschichte in
Vergangenheit und Gegenwart lösten, und allein die Bekehrung
zu Jesu ihnen Hilfe zu bringen vermöge.
Von solchen Grundsätzen geleitet, verfasste er auch die bei-
den von den Juden handelnden Gespräche (12 und 13) in der
Schrift : „Der Passagier oder Sonderbare Gespräche u. s. w."
2. Aufl. Altona 1739. Tm 12. Gespräch tritt er zunächst der
Missachtung und Misshandlung entgegen, die man damals den
— 363 —
Juden widerfahren Hess, und zeigt sodann, wie sich unter den
Christen leicht eine pharisäische Gesinnung über die Juden erhebe,
während man es doch selbst nicht besser mache. Endlich weist
er aber darauf hin, warum Christen Ursache hätten, die Juden
noch mit anderen Augen anzusehen.
Im 13. Gespräch wird die Sache mit einem Juden selbst
geführt. Das Elend, in welchem sie sich befinden, werde aufhören,
wenn sie es lernen wollten, sich vor dem Messias zu demüthigen,
welchen Jesaia 53 bezeugt. Dort sei der Messias verheissen,
welcher die Sünde davontragen und darüber sein Leben zum Opfer
darbringen, auf diese Weise aber auch die Vielen gerecht machen
werde. Von eben solchem Messias rede und handle das Neue
Testament und nenne also den, welcher nichts anderes als eine
Bestätigung der Propheten sei, während der Talmud einen Messias
predige, den kein Prophet so beschrieben habe, und von dem das
Alte Testament nichts wisse. Freilich verklage man jüdischer-
seits den Messias des Neuen Testamentes, dass er das Gesetz
aufgehoben habe und dass er so ein Verführer Israels habe
werden wollen. Aber er habe vielmehr, obwohl er für seine
Person das ganze Gesetz pünktlich gehalten, den verheissenen neuen
Bund aufgerichtet; und also sei es nur eine Sache der Freiheit
für den einzelnen Juden, ob er noch das alttestamentliche Gesetz
beobachten wolle oder nicht. „Darüber disputire ich nicht, weil
ich z. B. gute Seelen unter uns kenne , die aus Liebe zu euch
sich aller der Speisen enthalten, die euch verboten sind."
Wiederholt hat er dann in seinen Reden an die Gemeine
dieselbe auf die Juden hingewiesen, und die Hindernisse bezeichnet,
welche der Bekehrung der Juden und dem geistlichen Wachsthum
der Getauften im Wege stünden. Dass so viele Proselyten
hernach innerlich wieder zurückgingen, habe besonders in dem
tiefen Hochmuth der Juden und zumal der Gelehrten unter ihnen
seinen Grund. „Sie nehmen die christliche Wahrheit an, weil sie
sich aus der Bibel legitimirt, aber sie haben nicht das gehörige
Gefühl, das Feuer in den Gebeinen über den auf ihnen liegenden
Fluch über der Blutschuld an ihrem Schöpfer. Es muss bei
einem bekehrten Juden noch immer über dem Denkmal der
Schuld seines Volks blutige Zähren setzen." Um so mehr Hess
er sich bei solcher Erkenntniss die geistliche Pflege der zur
Brüdergemeine gekommenen Juden angelegen sein.
— 364 —
Als eine Anzahl von Juden und Proselyten zur Gemeine
übertrat , nahm die Hoffnung Zinzendorfs für die Juden eine
weitere, etwas überschwängliche Gestalt an. Er hoffte aus den-
selben eine besondere juden-christliche Gemeinschaft inmitten der
allgemeinen Brüdergemeine bilden zu können, welche dann eine
ganz besondere Anziehung auf die Juden ausüben werde. Aber
die Erfahrung belehrte Zinzendorf und die Seinen, dass Erwar-
tungen und Hoffnungen solcher Art noch nicht an der Zeit seien,
und so wurde denn auch der Plan, eine derartige Gemeinde zu
stiften, hernach wieder fallen gelassen.
Bis an sein Ende erhielt jedoch Zinzendorf den Juden seine
Theilnahme. Noch am Jahresschluss 1759, also ein Jahr vor
seinem Tode, äusserte er: „Die Arbeit an den Juden ist auch
fortgegangen, und ich habe sie in keinem Jahre angenehmer ge-
funden als in diesem. Es ist bei ihren Besuchen in Zeist oft
gründliche Nachfrage geschehen, und es ist ein merklicher Unter-
schied gegen alle bisherigen."
Solche Gesinnung gegen die Juden blieb aber allerdings nicht
auf Zinzendorf selbst beschränkt, sondern übertrug sich auch auf
die Gemeine, die in seine Gedanken und Bestrebungen gern
einging, weil sein Geist in ihr lebte. Zuerst von allen evangeli-
schen Kirchen hat die Brüdergemeine die Juden in ihre sonntäg-
liche Litanei eingeschlossen. Besonders wurde ihrer während
der früheren Zeit der Gemeine am Jörn Kippur, dem jüdischen
Versöhnungstage gedacht. Knieend wurde hier für Israels Be-
kehrung von der ganzen Gemeine gebetet. Das tiefergreifende
Gebet, welches Zinzendorf am Versöhnungstage 1739 in ge-
bundener Rede vor der Versammlung knieend darbrachte, ist
noch erhalten, und das Gesangbuch der Brüdergemeine enthielt
schon früh Lieder, welche die Bekehrung der Juden erflehten.
Ganz besonders aber verdient es Erwähnung und Aner-
kennung, dass die Brüdergemeine die erste evangelische Kirche
gewesen ist, welche die Judenmission als ein Werk ihrer Kirche
selbst trieb, und welche es nicht der privaten Liebesthätigkeit
überliess. In ihrem Namen und Auftrage gingen ebenso wie
unter die Heiden Missionare unter die Juden. Hier zuerst wurde
die Mission ein kirchliches Werk.
Die erste eigentliche und direkte Missionsarbeit in der jungen
Kirche wurde Johann Leonhard Dober, der auch ihr erster
Heidenmissionar gewesen ist, übertragen. Nach seiner Rückkehr
- 365 —
aus Westindien, wo er unter den Negern gearbeitet hatte, er-
hielt er den Auftrag, 1738 nach Holland zu gehen, um dort be-
sonders den Juden das Evangelium zu bezeugen. Ein und ein
halbes Jahr arbeitete er denn auch unter den Juden von Amster-
dam. Mit demselben Eifer und von demselben gewaltigen
Liebesdrange getrieben, wie zuvor unter den Negern, sehn wir
ihn im Judenhoeck jener grossen Stadt wirken, während er sich
zu gleicher Zeit mit seinen Händen unter saurer Mühe sein täe-
liches Brod erwarb; und dadurch nicht minder als durch sein
Wortzeugniss wurde er eine gewaltige Predigt an die Herzen der
Juden. 1739 aber wurde er von diesem Arbeitsposten abgerufen
und erhielt in Samuel Lieberkühn einen Nachfolger, der seiner
Aufgabe in besonderem Maasse gewachsen war und nicht bloss
der bedeutendste Judenmissionar der Brüdergemeine geworden
ist, sondern überhaupt auch als ein hervorragender Zeuge Christi
unter den Juden stets genannt werden wird.
Samuel Lieberkühn ist 17 10 in Berlin geboren. Als
Kind hatte er Freundlichkeiten durch Juden erfahren und von
da ab stets eine besondere Zuneigung zu ihnen empfunden. Sein
Vater, der Hofgoldschmied des Königs Friedrich Wilhelm I. von
Preussen war, stand mit Spener, Franke, Schade und den
bedeutendsten Pietisten in reger Verbindung. Desshalb sandte er
denn auch später seinen Sohn ins Franke'sche Waisenhaus, von
welchem aus er auf die Universitäten Halle und Jena ging, um
Theologie zu studiren. Schon während seiner Studienzeit ver-
kehrte er mit mehreren Gliedern der Brüdergemeine. 1732 aber
sah er, auf der Universität Jena studirend, seine Aufmerksam-
keit von Neuem auf die Juden gerichtet. Die vertriebenen
Salzburger Protestanten kamen damals durch jene Stadt, und
Lieberkühn entschloss sich, sie als ihr Reiseprediger bis nach
Königsberg zu begleiten. Als die Schaaren der Emigranten aber
durch Jena zogen, legten die Juden für dieselben eine besondere
Theilnahme an den Tag, und einer derselben rief beim Anblicke
der dahinziehenden Menge aus, dass sie an die Zeit erinnert wür-
den, wo der Messias erscheinen und sie in solchen Haufen nach
Kanaan führen werde.
Diesen Ausspruch jenes Mannes hörte Lieberkühn und der-
selbe führte ihn zu weiteren Unterhaltungen mit Juden, in welchen
sich dieselben auf die Schrift dafür beriefen, dass ihnen noch eine
Rückkehr in ihr Land bevorstehe. Lieberkühn las hierauf die
366
Verheissungen der Schrift für Israel nach, und das veranlasste
ihn, fortan den Juden eine weitere Fürsorge zuzuwenden. Schon
auf seiner Reise mit den Salzburgern trat er desshalb überall mit
den Juden in Verkehr und erlernte dazu das Jüdisch - deutsche.
Auch nachdem er 1735 Mitglied der Brüdergemeine ge-
worden war, blieb er seiner Neigung für die Juden treu. Er
begleitete den Grafen Zinzendorf unter die Juden der Wetterau
und suchte sie in Franken auf. Viele derselben gewannen ihn
bei dieser Gelegenheit so lieb, dass sie ihm schriftlich dankten
und es bekannten, es sei noch Niemand mit ihnen so liebreich
umgegangen. Im folgenden Jahre besuchte er die Juden der
Mark Brandenburg und 1737 von Herrnhut aus die in Böhmen.
Hier erhielt er dann den Auftrag, nach Amsterdam zu gehen.
In Holland widmete er sich ganz dem Dienste der Juden.
Um recht mit ihnen verkehren zu können, Hess er sich durch
einen Rabbi in das Gebrauchthum der Juden einführen und be-
suchte fast täglich ihre Gottesdienste. Dadurch eignete er sich
eine solche Kenntniss alles Jüdischen an, dass ihn die Juden bald
für einen Proselyten, der wieder zu ihnen zurückkehren wolle, und
bald für einen Kundschafter hielten, der Material gegen sie zu
sammeln beabsichtige, bald wieder für einen Menschen, welcher
die Ihrigen zum Abfall verleiten wolle, so dass er einmal nur mit
Noth grober Misshandlung entging.
Befragt, was er unter ihnen wolle, antwortete er den Juden,
er sei ihr Freund und wolle sehen, ob Jemand unter ihnen den
Weg zum Leben kenne, damit er sich mit demselben vertraulich
besprechen möchte. Der Rabbi, welcher ihn unterrichtete, fühlte
den Einfluss , welchen Lieberkühns Umgang auf ihn ausübte, so
tief, dass er ihm erklärte, nach der Ueberzeugung seines Herzens
könne er nicht Jude bleiben.
Allgemein erwiesen ihm die Juden ein besonderes Vertrauen
und er wurde selbst in eine jüdische Gesellschaft als ordentliches
Mitglied aufgenommen. Um ihnen aber recht nahe zu kommen,
vermied er alles, was ihnen Anstoss geben konnte, und genoss
desshalb selbst die Speisen nicht, welche den Juden verboten
sind. Durch das alles hatte er sich denn auch ein solche
Achtung unter den Juden Hollands erworben, dass ihn dieselben
ganz allgemein den Rabbi Samuel nannten und ihn einmal selbst
in Groningen zu einem öffentlichen Vortrage in der Synagoge
aufforderten.
— 3^7 —
174° fand Lieberkühn auch in England Eingang. Als er
1 75 1 in Zeist Brüderprediger wurde, besuchten die dortigen Juden
fleissig seine Predigten. 1756 reiste er unter den Juden Böhmens
umher. In demselben Jahre aber kehrte er noch einmal nach
Amsterdam zurück und wurde von den dortigen Juden mit be-
sondererer Freude aufgenommen. Damit schloss er seine eigent-
liche Missionsthätigkeit in Holland, die also im Dienst der Brüder-
gemeine 20 Jahre hindurch geschehen war. Doch war er nun
durch sein Wirken unter den Juden so weit bekannt geworden,
dass er in der Folgezeit überall, wo er sich aufhielt, selbst von
ihnen aufgesucht wurde, und das geschah besonders durch polnische
Juden, als er von 1765 — 1777 Prediger im schlesischen Neusalz war.
Lieberkühn hatte aber auch eine besondere Weise, mit den
Juden umzugehen. Den Disputationsweg schlug er in seinem
Verkehr mit ihnen gar nicht ein, sondern seine Erfahrung führte
ihn auf andere Bahnen. Er hat, von der Brüderunität hierzu auf-
gefordert, im Jahre 1764 „nach dreissigjährigem Umgang mit den
Juden" selbst seine sogenannte Methode, mit den Juden umzu-
gehen, schriftlich niedergelegt, und dieselbe verdient bei allen,
welche Mission unter den Juden treiben oder auf sie geistlich
einwirken wollen, wenn auch nicht alles in ihr die gleiche Zu-
stimmung finden kann, besondere Beachtung. Lieberkühn spricht
sich unter anderem so aus :
„Die Juden müssen fühlen, dass man selbst eine brennende
Liebe zu seinem Heilande und eine aufrichtige Liebe zu seinem
Volke Israel habe. Die Methode, deren ich mich in den Unter-
redungen mit ihnen bediene, habe ich aus der Apostelgeschichte
erlernt, und sie besteht in folgenden 4 Punkten. Zuerst: dass
Jesus der Gekreuzigte der Messias ist, der uns durch seinen Tod
mit Gott versöhnt hat, und durch welchen wir allein Gnade und
Vergebung der Sünden erlangen. Von diesem Punkte lasse ich
mich nicht abbringen, und wenn sie mich in eine andere Materie
hineinziehen wollen, z. B. von der Dreieinigkeit, so zeige ich
ihnen, dass man davon miteinander nicht reden kann, bis man
erst an Jesum glaubt. Die Erfahrung, dass es nutzlos ist, die
Messianität Jesu aus den Weissagungen zu beweisen, weil die un-
gläubigen Juden, nachdem sie gesehen haben, dass die Christen
diese Stellen gegen sie gebrauchen und anführen, dieselben alle
verdreht und auf etwas anderes gedeutet haben, hat mich dahin
geführt, dass ich die Wahrheit von der Messianität Jesu nur mit
- 368 -
dem Argumente darthue, „weil er selbst es gesagt hat." Dieses
Selbstzeugniss habe Jesus mit seinem Tode besiegelt, die Gewiss-
heit seiner Auferstehung aber trügen unzählige Christen in
sich selbst.
Sodann gebe ich 2) zu, dass die Verheissungen des Alten
Testamentes von ihrer Erlösung aus der jetzigen Gefangenschaft
noch nicht erfüllt sind, aber in Erfüllung gehen werden, und zwar
wieder allein durch Jesum Christum, der ihnen alles Gute thun
werde, ob sie ihn gleich jetzt nicht lieb haben.
3) Soll man ihnen einräumen, dass sie ihr Gesetz behalten
können, wenn sie an Jesum gläubig geworden sind; denn die
Gerechtigkeit kommt nicht aus dem Gesetz, sondern bei Juden
und Heiden aus dem Glauben an Jesum.
4) Müssen die Juden «inen rechten Begriff von dem Volke
Gottes unter den Goim bekommen, damit das Aergerniss auf-
höre, welches sie an den Christen haben.
Nach dieser Methode habe ich bisher meinen Umgang mit
Juden eingerichtet, und es hat zuletzt auch in Zeist einen schönen
Anschein bekommen, dass noch ein Segen für dieses Volk her-
auskommen werde."
Auch den orthodoxen jüdischen Glauben seiner Zeit stellte
Lieberkühn in einem kurzen Bekenntnisse dar.
Zinzendorf hatte ganz recht, wenn er in der Jahresschluss-
ansprache von 1759 über das Wirken Lieberkühns das Urtheil
fällte: „Ich glaube gewiss, dass unser Bruder Samuel seinen Zweck
erhält, dass in der ganzen jüdischen Nation, so weit er gelangt
ist, ein Aufmerken auf das ist, was der liebe Gott in Zukunft
thun wird."
Auch die Callenberg'schen Berichte erzählen von lebhafter
Verhandlung der christlichen Fragen unter den Juden Hollands
während jenes Zeitraumes. Und dass dies der Fall war, muss>
neben der Einwirkung holländischer Christen auf die Juden ihrer
Umgebung, besonders den Bemühungen der Halle'schen Missionare
und Lieberkühns zugeschrieben werden. In den Callenberg'schen
Berichten aus der Zeit der Wirksamkeit Lieberkühns in Holland
begegnen wir denn auch den Spuren der Thätigkeit desselben in
jenem Lande. So wird Callenberg 1754 von einem Proselyten Philipp
Johann Christ aus Stettin besucht. Dieser erzählt dem Professor
von einem Manne mit Pockennarben in Amsterdam, welcher auf
sein eigenes inneres Leben und das des jüdischen Herrn, be-
— 369 —
dem er dort früher diente, den nachhaltigsten Einfluss ausgeübt
hat. Ob jener, der ein reicher Wechsler war, auch zur christ-
lichen Kirche übergetreten ist, erfahren wir nicht, wohl aber ist
dies mit dem eben erwähnten Christ geschehen. Er hat das,
was er von Lieberkühn gehört hat, nicht mehr vergessen können
und nicht eher Ruhe gefunden, als bis er die Taufe empfangen
hatte. Missionar Pauli aber fand in Amsterdam ein Jahrhundert
später noch die Spuren der Wirksamkeit Lieberkühns vor. Er
traf dort einen gelehrten Juden an, dessen Grossvater durch
Lieberkühns Zeugniss für das Christenthum gewonnen worden
war, und den die Juden dafür auf die Seite gebracht haben. In
dem Enkel desselben wiederholte sich hernach der Seelenkampf,
welchen der Grossvater in sich selbst durchgestritten hatte.
Lieberkühn besass übrigens auch eine besondere Gabe, die
Jugend anzufassen. Er galt als der tüchtigste Katechet der
Brüdergemeine, und sein Lehrbüchlein für Kinder wie seine Har-
monie der 4 Evangelisten sind lange im Gebrauch der Gemeine
geblieben. In seinen letzten Jahren bediente er verschiedene
Gemeinden, die zu Herrnhag, Zeist, Herrnhut und Neusalz und
starb 1777. Sein Name war für die Brüdergemeine eine Er-
innerung , der Juden nicht zu vergessen. Nachdem Lieberkühn
von Amsterdam abgerufen war, wurde in dieser Stadt Otto
Wilhelm Hesse sein Nachfolger im Missionsberuf; doch starb
derselbe bald. Der Diakon der Gemeinde erhielt dann von Zeit
zu Zeit den Auftrag sich auch der Juden in Amsterdam anzunehmen.
Die Arbeit der Brüdergemeine an den Juden trug ganz den
Charakter ihrer übrigen Thätigkeit Sie ging in stiller Weise
vor sich, richtete sich mit grosser Sorgfalt auf einzelne hin und
war von dem Bestreben geleitet, den Juden möglichst geräuschlos
nahezukommen. Als etwas ganz Besonderes wird es in den
brüdergemeinlichen Berichten erwähnt, dass Lieberkühn einmal
in einer Synagoge die versammelten Juden angeredet habe. Bei
den Missionaren des Institutum kam dies so häufig vor, dass wir
uns nicht erst die Mühe geben dürfen, die einzelnen Fälle nach-
zuzählen. Die Hauptaufgabe der Brüderkirche lag aber darin, dass
sie bereits getaufte Juden in ihre Pflege und Erziehung nahm;
in diesem Stücke hat sie mehr als die anderen zeitgenössischen
Kirchengemeinschaften geleistet. Und es scheint überhaupt, als
ob der Brüdergemeine noch mehr als die Gabe, unter die Juden
selbst missionirend zu treten, jene andere verliehen worden sei,
J. F. A. de le Roi, Missionsbeziehungen. 24
— 370 --
unter treuer Pflege das christliche Leben und den christlichen
Charakter von Proselyten zu bilden. Je wichtiger gerade dieser
Theil der Mission ist, desto mehr möchte man wünschen, dass
die Brüdergemeine auch weiter auf denselben ihr Augenmerk
richtete. Und zu bedauern bleibt es, dass die erste evangelische
Kirche, welche die Arbeit an den Juden als eine Aufgabe der
Kirche selbst behandelt hat, diese ihre Stellung in späterer Zeit
verliess.
Von Proselyten aus dem Judenthum inmitten der früheren
Brüdergemeine sind einige zu erwähnen. Aus jüdischem Geschlecht
stammte Magdalena Auguste Navrazky oder Naferoffsky.
Ihr Vater war Johannes Navrazky oder Naferoffsky.*) Derselbe,
geboren 1672 in Posen, hiess als Jude Isaak und war der Sohn
eines Mosche Bar Chaim. Der Vater, Pächter bei einem pol-
nischen Edelmann, starb früh, und der Sohn genoss gar keinen
Unterricht. Als die Mutter die Pacht aufgeben wollte, wurden
ihr falsche Rechnungen geschrieben, und sie wurde, nachdem sie
ausgeplündert worden war, weggejagt. Der Sohn aber wurde
von einem Edelmann mit Gewalt zurückbehalten und hernach,
ohne gefragt zu werden, in der katholischen Kirche getauft. Als
die Sachsen nach Polen kamen, tauschte ihn ein sächsischer
Offizier von dem Edelmann gegen einen Hund ein. Bei dem
Offizier genoss er nun eine sehr liebreiche Behandlung, die ihm
nach der früheren barbarischen doppelt wohl that. Sein jetziger
Herr war auch um sein Seelenheil bekümmert, starb aber sehr
bald. In dieser Zeit lutherisch geworden, zog er in den nächsten
Jahren als Proselyt bettelnd umher, Hess sich dann in Gotha bei
der Miliz anwerben und heirathete später eine frühere Wärterin
der herzoglichen Kinder. Jetzt nährte er sich redlich von einem
Handel und wurde ein wahrhaft frommer Christ. Erstarb 1750.
Seine Tochter Magdalena Auguste liess schon als Kind ein
sehr frommes Gemüth erkennen. Darum und weil sie eine über-
aus liebliche Erscheinung war, wurde sie an den Hof gezogen
und hatte mit den heranwachsenden Prinzessinnen den vertrau-
testen Umgang. Von vielen Seiten zur Frau begehrt, reichte
sie, 17 Jahre alt, dem Bildhauer Michael Grünbeck ihre Hand.
Durch ihre Brüder wurde sie mit der Brüdergemeine und Zinzen.
*) M. Fr. Albr. August!, Frommer Proselyten Trost u. s. w. 1755. Lebens-
bild 15.
— J?i —
dorf bekannt, sammelte jetzt, von Anna Xit seh mann, dieser
hervorragenden Frau der damaligen Brüdergemeine, dazu an-
geregt, viele Frauen zu gemeinsamer Erbauung um sich und übte
auf viele Gemüther einen grossen, wohlthuenden Einfluss aus.
Seit 1735 rechnete sie Zinzendorf zur Brüdergemeine, in deren
Dienst sie hernach mehrere wichtige Aemter verwaltet hat, und
wurde bald zur Aeltesten der Schwestern eingesegnet; ihr Mann,
der sie innig verehrte, folgte ihr gern.
Erst in dieser Zeit erfuhr sie es, dass sie jüdischer Ab-
stammung sei, zeigte nun aber auch eine besondere Liebe für
das jüdische Volk. Als ihr erster Mann starb, glaubte Zinzen-
dorf die Sammlung und Stiftung eines Juden - christlichen
Kreises in der Gemeine besonders durch ihre Mithilfe bewerk-
stelligen zu können und schlug ihr desshalb vor, den Proselyten
Benjamin David Kirchhoff zu heirathen. Sie that es, um das
Werk, welches dem Grafen sehr am Herzen lag, zu fördern.
1746 fand die zweite Trauung statt, und bei dieser Gelegenheit
gab ihr Zinzendorf den Namen Esther, unter dem sie noch heute
in der Brüdergemeine bekannt ist. Die Trauung geschah nach
einem Ritus, der halb jüdisch halb christlich war. Die aus dieser
Ehe geborenen Söhne erhielten aittestamentliche Namen. Sie
starb im Jahre 1796. In der Brüdergemeine genoss sie ganz
besondere Liebe und Hochachtung und ist vielen Seelen inner-
halb derselben zum Segen geworden. Durch ihre Lieder lebt sie
noch heute und nicht bloss in ihrer engeren Kirchengemeinschaft
fort. Besonders bekannt sind „Gnade ist ein schönes Wort" und
„Dem blutigen Lamme". Aber auch der Juden gedachte sie in
ihren Dichtungen , und als eigentliche Judenmissionslieder sind
noch heute „Ach blutiger Immanuel" und „Herr, auf den so viele
Juden hoffen" in Gebrauch.
Ihr zweiter Mann, Benjamin David Kirchhoff, ist 1716 zu
Kunzpolie in Polen geboren. Um einer Heirath, die man ihm, als
er erst 14 Jahre alt war, zugedacht hatte, zu entfliehen, verliess
er sein Vaterhaus und wanderte, jüdische Kinder unterrichtend,
hin und her. Er durchzog Polen, Deutschland, Holland, Däne-
mark und Schweden. Ein Vetter von ihm, mit dem er auf
seiner Wanderung zusammentraf, hatte christliche Anregungen
empfangen und liess sich taufen. Die innere Unruhe, welche
während der ganzen Zeit ihrer Zerstreuung so viele Juden an
ihrem Orte nicht bleiben lässt, sondern sie auf Wanderwege
24*
— 3/2 —
führt, ist überhaupt für Tausende derselben das Mittel geworden,
sie dahin zu führen, dass sie in christliche Umgebung kamen,
christliche Luft athmeten, Vergleiche zwischen Judenthum und
Christenthum anstellen lernten, die Falschheit der jüdischen An-
sichten über das Christenthum erfuhren, und die herzbewegende
Macht des Evangeliums an sich selbst erlebten. Nicht wenige
Juden, die hernach ausgezeichnete Männer in der Christenheit
geworden sind, hat die christliche Kirche dadurch gewonnen,
dass sie einst den Wanderstab ergriffen hatten und in die Welt
hinausgegangen waren, um etwas, sie wussten selbst nicht was,
zu suchen, das sie recht befriedigen möchte, da sie es in ihren
bisherigen Verhältnissen nicht gefunden hatten.
Aehnlich erging es Kirchhoff. Er hörte auf seiner Wande-
rung so Manches vom Christenthum und empfand in dieser Zeit
auch bereits, dass in demselben die Wahrheit zu finden sei,
wollte aber diesem Eindrucke nicht nachgeben und in der Flucht
vor sich selbst wechselte er fortwährend seinen Beruf. Es gelang
ihm jedoch nicht, seine Ueberzeugung zu ersticken und so Hess
er sich 1739 in Leipzig taufen. Dort wurde er mit Studenten
bekannt, die der Brüdergemeine angehörten, und schloss sich
darauf selbst 1740 dieser Kirche an. Hier wurde er nun in ganz
einfachen Diensten verwandt, 1 746 aber an Esther Grünbeck ver-
heirathet. 1757 schickte man ihn nach Polen, um sich über die
daselbst stattfindende Bewegung zu unterrichten, und unter den
Juden jener Gegend hat er bei dieser Gelegenheit missionirend
gewirkt. Er starb 1789.
n. Proselyten in Deutschland.
Der Einfluss des Pietismus, welcher sich vor allem an die
Herzen und Gewissen der Juden richtete, und die Missionsarbeit
des Halle'schen Institutum treten auch darin zu Tage, dass die
Zahl der Proselyten in diesem Zeiträume eine entschieden grössere
als früher ist.
Besonders in Orten und Gegenden, in denen der Pietismus
ein regeres geistliches Leben erweckt hatte, sehen wir viele
Uebertritte geschehen. Recht lehrreich hierfür ist der Fall der
Bekehrung von 3 jüdischen Kindern in Berlin*), von 13, 9 und
*) Schuck, Jüdische Merkwürdigkeiten 4, 2, 274 ff. Friedensbote für
Israel, März 1863.
— 373 —
8 Jahren, die durch Christenkinder, welche mit ihnen spielten
und sie dabei das Vaterunser, den Glauben und christliche Lieder
lehrten, bewogen wurden, den Prediger an der Marienkirche,
M. Kahmann, flehentlich um die Ertheilung der Taufe zu bitten.
Der Geistliche wollte nicht eigenmächtig handeln und wandte sich
desshalb an seine vorgesetzte Behörde. Auf königlichen Befehl
wurde desshalb eine Kommission bestellt, welche die Sache unter-
suchen sollte. Die Kommission that alles, um die Kinder auf
die Probe zu stellen und sie zur Rückkehr zu den Eltern zu
bewegen, wie es denn auch den Eltern selbst gestattet wurde,
den Kindern alle beliebigen Vorstellungen zu machen. Als diese
aber auf ihrem Vorsatz beharrten, entschied die Obrigkeit dahin,
dass man die Kinder nicht zur Rückkehr zu den Eltern zwingen
dürfe, ihre Taufe aber noch nicht vorgenommen, sondern bis
auf ein weiteres Alter derselben verschoben werden solle. Zwei
Jahre wurden also dieselben unterrichtet und am n. April 171 7
getauft, wobei sie Hirtentreu, Konstantina Friederika, Sophia
Johanna und Maria Christina genannt wurden. Das Kirchenbuch
von St. Marien meldet später auch die Verheirathung derselben
mit christlichen Handwerksmeistern.
Uebertritte geschahen jetzt so häufig, dass die Halle'schen
Missionare z. B. 1749 einen Proselyten erwähnen, aus dessen
Familie bereits 16 Personen in das Christenthum aufgenommen
seien. Aus der Hoflieferant Haynemann'schen Familie in Sachsen
wurden nacheinander 9 Personen getauft. Ansehnlich war die Zahl
der getauften Juden in Berlin und in Hamburg, wo Archidiakonus
Schubart z. B. 1744 eine Familie von 7 Personen taufte, wobei
er zugleich bezeugte, dass der grösste Theil der auch sonst von
ihm getauften Juden „dem Guten anhange". Zahlreichere Ueber-
tritte geschahen ebenso in Frankfurt a. M., wo besonders der
Senior Dr. Münden, welcher das Missionswerk eifrig förderte,
viele Juden getauft hat. Aehnliches geschah in Breslau, nachdem
es zu Preussen gekommen war, in Greifswald, im Anspach'schen
und Fränkischen. Die Halle'schen Missionare wraren oft über die
grosse Zahl von Proselyten verwundert, welche sie in den ver-
schiedensten Städten fanden. Trotz der äusserlich ungünstigen
Verhältnisse, in denen sich der grösste Theil der Proselyten befand,
geschahen damals doch so viele Uebertritte, weil der lebendige
Hauch, der vom Pietismus her Deutschland durchwehte, auch
von vielen Juden empfunden wurde.
— 374 —
Unter den zur evangelischen Kirche damals gekommenen
Juden in Deutschland verdienen besonders die Proselytengeistlichen
Beachtung. Zunächst begegnet uns hier Christian Albert Christ-
hold.*) Derselbe ist 1687 geboren. Seine Mutter Hess sich mit
ihm taufen, als er erst 3 Jahre alt war. Der überaus begabte
Knabe lernte schon ganz früh ein kurzes christliches Glaubens-
bekenntniss und legte dasselbe öffentlich ab. Nachdem er die
Schule zu Oettingen besucht hatte, studirte er in Tübingen, um
hernach 1709 zuerst Conrektor und 1710 Rektor am Seminar
(Gymnasium) in Oettingen zu werden. Als solcher veröffentlichte
er in einem Programm eine lateinische Abhandlung darüber, dass
man die Juden im Staate dulden müsse, und bekannte sich hier
gleichzeitig zu der Hoffnung auf eine allgemeine Judenbekehrung.
1 7 1 6 übernahm er die Pfarrei Appetzhofen und wurde später
hierselbst Superintendent und Consistorialrath. St. Schultz berichtet
in seinen „Leitungen des Höchsten" 1, 236 von dem Eindruck,
den dieser Mann bei einem Besuche im Jahre 1744 auf ihn
gemacht habe. Er schildert ihn als einen Geistlichen, der es bei
hervorragender Gabe für die Predigt und die Katechese mit
seinem Amte so ernst und gewissenhaft nehme, dass er erklären
muss: „Ich habe bisher seines Gleichen noch nicht gefunden'1.
Selbst als er das Alter von 87 Jahren bereits erreicht hatte, Hess
er es sich nicht nehmen, sein Amt ganz allein zu verwalten, und
erst im letzten Lebensjahre gestattete er es, dass man ihm einen
Vikar zur Seite stellte, ohne dass er jedoch zu wirken aufgehört
hätte. Nach 63Jährigem Dienst in Schule und Kirche starb
er 1772.
Eine Verwandte Christholds war Christiane Sophie Magdalena,
welche als Jüdin Judith hiess, hernach aber von ihrem Verwandten
den Namen Christhold erhielt. Nach dem Tode ihrer Eltern von
ihren Grosseltern zu Oettingen ins Haus genommen, lernte das
9 jährige Kind bei einer christlichen Familie das Nähen und fühlte
bei dem Tischgebet derselben zuerst den Trieb, Christin zu werden,
in sich erwachen. Derselbe wuchs hernach immer mehr unter den
Misshandlungen, mit welchen man die bald entdeckte Neigung
zu ersticken suchte und welche sie dann besonders erfuhr, wenn
sie christliche Lieder sang, die zu hören sie oft den Christen
*) Wolff B. II. 3 N. 1895 C. Saat, Michaelis. 66 S. 89 ff. Kaikar
180, 181.
— 375 —
nachgeschlichen war. Als sie hierbei nach der Bedeutung des
Namens Jesu frug und ihr dieselbe mitgetheilt wurde, kam sie
zu der Erkenntniss, dass auch sie selbst ohne Jesum nicht selig
werden könne, und entdeckte sich darauf einem christlichen
Prediger. Durch diesen hörte ihr Verwandter Christhold von ihr.
Letzterer und seine Frau nahmen sich darauf in liebreichster Weise
ihrer an, in 4 Wochen lernte sie bei ihnen Deutsch lesen und
schreiben und wurde von Christhold selbst nach 9 monatlichem
Unterricht 17 14 getauft. 1721 kam sie an den Hof der Mark-
gräfin und heirathete 1730 den Pfarrer Ernst Wilhelm Christfels,
Sohn des bekannten Kammerraths. Das war der erste Fall in
Deutschland, dass ein Proselyt in besserer Lebensstellung eine
Proselytin ehelichte. Frau Christfels ist übrigens auch die zweite
Pfarrfrau unter den Proselytinnen in Deutschland. Sie wurde
Mutter von 14 Kindern, verlor 1758 ihren Mann und starb
selbst 1781.
Zu nennen ist sodann Gottfried Thomas Zeit mann.*)
Derselbe ist der Sohn des Rabbi Mardochai in Krakau und wurde
1696 daselbst geboren, mit seinem jüdischen Namen hiess er
Herschel. Den Vater vertrieb der schwedische Krieg aus Polen,
den Sohn aber Hess er bei der Grossmutter zurück, die ihn liebevoll
erzog, dann jedoch während der Belagerung Krakaus im Elende
starb. Als der Vater, der inzwischen Lehrer in Lorch am Rhein
geworden war, davon hörte, Hess er die belagernden Schweden
um Herausgabe seines Sohnes bitten, aber vergeblich. Bei der
Uebergabe der Stadt gerieth der 6jährige Knabe selbst in grosse
Lebensgefahr. Ein Jude Chaim sah ihn auf der Strasse umher-
irren, erbarmte sich seiner und nahm ihn mit sich auf die Wander-
schaft, die der Kleine halb laufend halb getragen durch ganz
Deutschland bis nach Frankfurt a. M. mitmachen musste. Aus
Frankfurt wollte ihn dann 1703 sein Vater abholen; doch Hess
er, von den jüdischen Baumeistern der Stadt dazu bewogen,
denselben im Frankfurter jüdischen Armenhause, bis 1705 der
Vater selbst nach Frankfurt zog. In diesem Jahre verlor der
*) Von Dr. Conrad Hieronymus Martin herausgegeben unter dem Titel:
„Der treue Zeuge Christi Zeitmann" die Selbstbiographie desselben. Und
nach dieser Schrift Acta eccles. temp. nostri. Band i Nachtrag. Jewish Intelligence
März 1873. Kalkar 173, 174. Dibre Emeth 1879, 3 u. 4. Rheinisch- West-
phälisches Missionsblatt 1879, 2, 3.
— 376 -
junge Herschel seine Mutter und von dieser Zeit an war er stets
traurig.
Der 9 jährige Knabe aber fühlte sich bereits von der jüdischen
Religion abgestossen und von der christlichen, insbesondere von
den christlichen Gesängen angezogen, wurde aber von dem Vater,
als derselbe dies erfuhr, dafür hart gezüchtigt. Die Neigung zum
Christenthum wurde damit in dem Knaben nicht ertödtet, und
bei einem christlichen Begräbnisse, welchem er 1706 beiwohnte,
überkam ihn so gewaltig der Trieb, sich taufen zu lassen, dass
er auch seine Kameraden hierzu laut aufforderte. Von denselben
dafür verfolgt, rettete er sich zu den Christen und wurde, da er
zu den Juden nicht zurückkehren wollte, durch den Bürgermeister
der Stadt dem christlichen Armenhause übergeben. Die Be-
mühungen des Vaters, den Sohn zur Rückkehr zu bewegen,
hatten keinen Erfolg. Der Knabe wurde unterrichtet und am 3.
November 1707, also 11 Jahre alt, getauft; bei dieser Gelegenheit
erhielt er den Namen Zeitmann.
Ein Versuch des Vaters, 1709 den Sohn mit Gewalt zu
rauben, misslang; seine Wohlthäter aber schickten ihn jetzt, seiner
eigenen Sicherheit halber, aus Frankfurt hinweg und nach Augs-
burg. Dort wurde er auf das Gymnasium Anneanum gethan
und machte in den Wissenschaften gute Fortschritte, litt aber,
da er über seine äussere Lage stets sehr verschwiegen war, die
grösste Noth, die seinem vorzüglichsten Wohlthäter, dem Resi-
denten Gullmann aus Frankfurt erst bei einem Besuche in Augs-
burg offenbar wurde. Dies hatte zur Folge, dass man den fast
zusammenbrechenden Jüngling nach Frankfurt zurückbrachte.
Nachdem er hier wieder seine Gesundheit erlangt hatte, vollendete
er das Gymnasium in Giessen und verliess 17 16 dasselbe, in einer
lateinischen Abschiedsrede die wahre Weisheit preisend.
Inzwischen war sein Vater gestorben, der vor seinem Tode
ein grosses Verlangen nach dem Christ gewordenen Sohne ge-
äussert und die Brüder, freilich vergeblich, ermahnt hatte, ihm
alle Liebe zu erweisen.
Nach seinem Abgange vom Gymnasium bezog Zeitmann
zuerst die Universität Giessen und alsdann Jena. 1721 wurde
er Erzieher im Gullmann'schen Hause und predigte jetzt vielfach
in Frankfurt und in der Nachbarschaft desselben. 1725 wurde
er als ordentlicher Kandidat am Frankfurter Armenhause angestellt,
172S wurde er Pastor in Oberrode, 1736 in Sachsenhausen, kam
377 ~
dann an St. Peter und 1743 endlich an das Hospital und die
Katharinenkirche. Aus seiner Ehe mit Elisabeth Sophie, Tochter
des Bürgerkapitäns Bansa, entsprossen 1 1 Kinder, von denen ihn
7 überlebten. Er starb, erst 50 Jahre alt, 1747. Man rühmt
ihn als einen gründlichen Gelehrten, einen mit Geist und Kraft
begabten Prediger, einen überaus treuen Seelsorger und einen
grossen Wohlthäter der Armen. Auch das Heil seiner Stammes-
genossen hat er nicht vergessen, und es ist ihm gewährt worden,
eine Anzahl derselben zu taufen.
Zu den besten Proselyten-Familien des Zeitraumes gehört
die Chris tfels'sche.*) Philipp Ernst Christfels ist 1671 zu Neu-
haus im Aischgrunde geboren. Sein Vater, Moses Schemaja,
nannte ihn Mardochai. Er wurde als Knabe nicht bloss im He-
bräischen und Jüdisch-deutschen, sondern, was damals nicht
gewöhnlich war, auch im Deutsch Lesen und Schreiben unterrichtet.
Zur Fortsetzung seiner Studien begab er sich auf die Wanderung
und kam nach Prag, Mähren, Polen und der heutigen Provinz
Posen. Auf diesen seinen Wanderungen wurde er einmal von
Räubern überfallen und schwer verwundet, aber durch einen aus
Feuchtwangen stammenden frommen Zimmermann gerettet und
treu verpflegt. Von seinen Geschwistern, die ihn baten, für sie
zu sorgen, nach Haus zurückgerufen, erhielt er, da ihm der Rufeines
grossen Gelehrten vorausgegangen war, in der Heimath an ver-
schiedenen Orten Schulstellen und war ein vielbegehrter Richter
bei Rechtshändeln der Juden.
Voll Eifers für sein Judenthum suchte er in derselben Zeit
öfters christliche Lehrer und Geistliche auf, um ihre Lehre besser
kennen und darlegen zu lernen. Während seiner Amtswirksamkeit
in Oberndorf bei Bopfingen disputirte er besonders mit den
Geistlichen in Feuchtwangen und Bopfingen. Das erschien den
Juden gefährlich und sie brachten ihn von Oberndorf hinweg
nach W"ittelshofen. Aber auch hier setzte er den Verkehr mit
christlichen Geistlichen fort. An dem neuen Orte nahm man ihm
dies nicht so übel, und das wieder gewonnene Vertrauen der
Juden verschaffte ihm sogar eine Stelle in dem damals als Hoch-
burg des Judenthums berühmten Fürth, wo er sich auch verheirathete.
*) Acta eccl. , Theil 30, 914. Das alte Judenthum von Philipp Ernst
Christfels mit Vorrede von Wibel. Wolff B. H. 3 , 4 Nr. 1830 b. Schudt,
Denkwürdigkeiten 4, 2, 287 ff. Saat 1866, Forts. 3 S. 191 ff. Kaikar, 176, 177,
- 37S -
Sein strenges Leben, besonders sein eifriges Fasten trug ihm hier
den Ruf hoher Frömmigkeit ein, so dass ihm die Fürther
Hochschule als Hochzeitsgeschenk den Titel eines Morenu oder
Doktor der Theologie verlieh. Als solcher unterrichtete er die
studirende Jugend, war aber, um sich eine genügende Existenz
zu verschaffen, gleichzeitig genöthigt, einen Juwelenhandel zu treiben.
Sein Umgang mit Christen, insbesondere mit den Fürther
und Nürnberger Geistlichen und den Professoren der Universität
Altorf erlitt auch jetzt keine Unterbrechung. Mit Wagenseil
zumal disputirte er viel. In dieser Zeit aber rieth ihm ein sehr
gelehrter Rabbi, Hirsch Fromm, welcher einen gewissen Zug
zu den Christen empfand, das Neue Testament zu lesen. Mar-
dochai folgte dem Rath. Um aber ein Gegengewicht gegen diese
Lektüre zu haben, studirte er gleichzeitig Lippmanns Sepher
Nizzachon, eins der schärfsten Bücher, welche wider das Neue
Testament geschrieben sind.
In dieser Zeit nun kam ein kabbalistischer Rabbi, Abraham
Reviga, aus Italien. Christfels und 2 andere Juden nahmen bei
demselben Unterricht. Zunächst las er mit ihnen Sohar und
zeigte ihnen , dass in demselben die 3 obersten Sephiroth des
kabbalistischen Baumes für göttlich und eins angesehen würden,
die sogenannte Binah aber für den Sohn Gottes gehalten werde.
Christfels erklärte, das sei ja die christliche Lehre. Der Rabbi
antwortete ihm darauf nichts, äusserte sich aber gegen die anderen
Anwesenden, dass dieser Mann gewiss noch ein Min (Ketzer)
und sich schmadden (taufen) lassen werde.
In Folge dieses Ausspruches jenes Rabbi überkam Christ-
fels eine grosse Unruhe. Den Juden fiel dies auf, und er wurde
ihnen verdächtig. Um ihren Argwohn von sich abzuwälzen,
beschnitt er selbst sein in dieser Zeit ihm geborenes Söhnchen,
konnte aber dadurch den einmal gegen ihn erwachten Verdacht
nicht mehr beschwichtigen. Seine Frau zumal fürchtete für ihn
und warf sein Neues Testament ins Feuer; nur mit Mühe rettete
er dasselbe aus den Flammen.
Christfels empfand diese Behandlung durch die Seinigen
sehr bitter und begann jetzt einen gewissen Ekel vor den-
selben zu empfinden. Daher wandte er sich nun an den im
Rabbinischen wohl erfahrenen Diakonus Knoll in Fürth. Letz-
terer that sein Bestes , um ihn von der Wahrheit des Christen-
thums zu überzeugen und wies ihn überdem wieder an einige
— 379 ~
Nürnberger Prediger, sowie an die Professoren Wagen seil und
Lange in Altorf, mit denen er dann auch viele Gespräche über
Glaubenssachen hatte, die ihn schliesslich völlig davon über-
zeugten, dass Jesus Christus der von der Schrift verheissene
Messias sei.
In seinem Wohnorte, dessen Juden über ihn aufs Furcht-
barste empört waren, wollte er seinen Uebertritt nicht vollziehen
und wandte sich desshalb, freilich unter fortwährenden und
schweren inneren Kämpfen, an den jetzt in Kadolzburg wohnenden
Pfarrer Bernhold. Dieser wies ihn jedoch, da er fürchtete,
dass er später im Anspach'schen nicht sein Fortkommen finden
werde, nach Wilhelmsdorf, wo die verwittwete Gräfin Franziska
Barbara von Hohenlohe wohnte. Die Gräfin hatte schon
verschiedene Juden , die sich zur Taufe meldeten , in ihrem
Gebiete aufgenommen und unterstützt. Zu ihr entschloss sich
Christfels zu gehen und verliess desshalb Frau und Kinder, nach-
dem er 3 Monate lang einen ergreifenden Briefwechsel mit dem
Pfarrer von W^ilhelmsdorf, Andreas Kliebhahn, unterhalten
hatte. Nach 8/4 jährigem Unterricht wurde er, jetzt 28 Jahre alt,
von diesem Geistlichen am 10. Juli 1701, dem Tage der Ver-
mählung seiner Beschützerin mit dem Fürsten von Hohenlohe-
Schillingsfürst, getauft. Beide fürstliche Personen gehörten zu
seinen Pathen; den Namen Christfels erbat er sich selbst.
Die Juden machten verzweifelte Anstrengungen, ihn zu sich
zurückzuführen. Zuerst freilich wollten sie ihn ermorden; aber
da sie sich selbst eingestehen mussten, dass sie hierfür die grösste
Strafe erleiden würden, versuchten sie es mit Bestechungen, ohne
jedoch damit zum Ziele zu kommen. Seine Frau sagte sich von ihm
los und floh mit beiden Kindern nach Amsterdam. Aber man
unterstützte sie dort nicht genügend, so dass sie zurückzukehren
genöthigt war. Auf ihrer Durchreise durch den hessischen Ort
Butzbach nahm ihr ein jüdischer Schulmeister das Mädchen ab,
um es zu erziehen, ihren Sohn Moses dagegen wollte Niemand
annehmen. 2 Jahre zog die Mutter mit demselben herum, ehe
sie nach Fürth kam. Als dies jedoch geschehen war, verrieth
ein alter Freund von Christfels es demselben , dass seine Frau
und sein Sohn in jener Stadt seien. Der Vater nahm sofort die
Hilfe der Obrigkeit in Anspruch, um sein Kind wieder zu er-
langen. Als die Mutter dies erfuhr, floh sie; ihr Söhnlein Hess
sie unter einer Dachkammer zurück, wo es beinahe Hungertodes
— 38o —
gestorben wäre. Endlich wurde es bei der Durchsuchung des
ganzen Hauses gefunden und hatte nun eine längere Krankheit zu
bestehen, von der es nur allmählig genas. Gesund geworden,
wurde es dann getauft. Bald darauf tauchte die Frau von Christ-
fels wieder auf und trug selbst auf Scheidung an; von Versöh-
nung mit ihrem Manne wollte sie nichts wissen, und so fand die
Scheidung statt. Seine Tochter hat Christfels nicht wieder finden
können.
Er selbst verheirathete sich dann 1703 mit einer vortreff-
lichen Christin, einer geborenen Unfug. In demselben Jahre
wurde er Verwalter der Fürstlichen Glashütte und des Bauwesens,
1725 Burgvoigt und endlich fürstlicher Kammerrath.
Als Jude und als Christ hat er verschiedene Schriften ver-
fasst. Als Jude schrieb er hebräisch Rephuah Hanephesch
(Seelenarznei). Nachdem er Christ geworden war, wurden unter
seiner Aufsicht die 5 Bücher Moses mit Targumim und dem
Commentar von Jarchi gedruckt. 17 18 Informationen über den
Judeneid. Die Bekehrung der Juden war ein Gegenstand seiner
eifrigsten Bemühungen, wie er denn auch ein besonderer Freund
und Beförderer des Halle'schen Institutum war. Die Callenberg'-
schen Nachrichten enthalten einen Brief desselben an die Pro-
selyten, in welchem er dieselben zur Treue ermahnt (9 Forts. S. 97 ff.).
Grösseren Umfangs ist sein Werk „Das neue Judenthum"
in 6 Theilen von 1735 — 1738, mit Vorrede von Zeltner und
Wibel. Aus dem Alten Testamente wird hier bewiesen, dass
man dort nur ein geschriebenes und kein mündliches Gesetz
gekannt hat, und dann in trefflicher Weise einerseits die Ver-
schiedenheit des alttestamentlichen und des rabbinischen Glaubens
an einer ganzen Reihe von Lehrstücken nachgewiesen, anderseits
aber auch aus der eigenen Literatur den Juden gezeigt, dass im
Christenthum gerade die alte jüdische Lehre zur Anerkennung
gekommen sei, das neuere Judenthum dagegen diese alte Lehre
umgestossen habe.
Ferner erschien 1739 „Das alte Judenthum", in dem er
Stellen des Alten Testamentes über den Messias durchgeht und
eine Bestätigung der alttestamentlichen Lehre aus dem Targum
Jonathan und dem Jerusalemischen, Jarchi, Aben Esra, Kimchi
und Baal Haturim herbeibringt. Sodann eine jüdisch -deutsche
Uebersetzung des Sepher Sebul Olam, 1736, unter Wagenseils
Exercitationes befindlich, und 1738 Gespräche aus dem Reiche
- 38i -
der Todten zwischen Luther und Jarchi. Hier stellt er die Thor-
heit der Auslegungen der Rabbinen dar und diesen die Lehren
Luthers gegenüber. Auch durch vielfache Unterredungen mit
Juden und durch Vorträge in der Synagoge, die man ihm her-
nachmals gestattete, suchte er für die Bekehrung seiner früheren
Glaubensgenossen, die ihn später hoch achteten, zu wirken.
Christfels starb 1759 in einem Alter von 88 Jahren. Der
Sohn desselben Ernst Wilhelm Christoph wurde Pfarrer in Ober-
wechingen. Er beschäftigte sich fleissig mit jüdischen Studien
und legte davon schon, als er noch Student in Altorf war, 1725,
in einer Disputation ein Zeugniss ab. 1730 kam er ins Pfarramt
Dessen Sohn Philipp Albrecht war Rektor des Gymnasiums zu
Oettingen, ein sehr gelehrter Mann, gern gelesener Schriftsteller
und tüchtiger Pädagog. Das Gymnasium in Oettingen blühte
unter ihm sehr auf.
Als nächster unter den Proselyten, welche das evangelische
Pfarramt bekleideten, begegnet uns Anton August Pauli.*) Die
Nachrichten über denselben sind aber ziemlich dürftige. Wir
wissen nur, dass er sich noch mit 18 Jahren in Prag als Jude
studirend authielt. 1733 finden wir ihn im Pfarramte an der
Claus bei Schöningen im Herzogthum Braunschweig, so dass er
schon eine Reihe von Jahren vorher Christ geworden sein muss.
Er wird als „ein aufrichtiger und eifriger Bekenner der christ-
lichen Religion" gerühmt. 1782 starb er. Der jüngste Sohn
desselben, Johann Christian, wurde Gutspächter und Amtsvervvalter
des preussischen Amtes Schlanstedt.
Genaueres ist uns über den viel bedeutenderen Friedrich
Albrecht Augusti bekannt, welcher zu den hervorragendsten
Proselyten dieses Zeitraumes gehört. Das Leben desselben ist
häufig beschrieben worden.**)
Augusti hiess als Jude Josua Herschel und ist 1691 ge-
boren. Sein Vater Abraham Herschel war Juwelier in Frank-
furt a. O. Die Eltern waren wohlhabende Leute, der Vater ein
jüdisch gelehrter Mann. Der Knabe musste bei ihm in jeder
Woche einen Psalm auswendig lernen, und in Folge dessen hat
*) Dibre Emeth 1880. S. 129 ff.
**) Acta eccl. von 1743, VI. S. 983 ff. Saat 66, 3, 148. Im Leben von
den Todten von Axenfeld, Barmen 1734 durch P. L. Wesselhoff, ebenso in
Traktaten der Londoner und Berliner Gesellschaft deutsch und englisch. Kalkar
177 ff.
382 —
.sich Augusti von früh auf gewöhnt, nicht bloss den Talmud, son-
dern auch die Schrift in Glaubenssachen zu Rathe zu ziehen. Der
gelehrige Knabe erfreute die Eltern öfters durch selbstgefertigte
kleine Reden und wurde von den Bekannten des Hauses seiner
Begabung wegen bewundert. Beim Baden in der Oder wäre er
fast einmal ertrunken. Im 10. Jahre verlor er seinen Vater; die
Mutter wollte ihn da einen Handelsmann werden lassen, aber
vergeblich; denn er wollte in Lithauen studiren und dann nach
Jerusalem wandern, um alle die Vortheile zu gemessen, mit
welchen der jüdische Aberglaube den Aufenthalt in der heiligen
Stadt der Väter verband.
Da kam ein babylonischer Jude, Aron Bar Jekuthiel als
Abgeordneter der Jerusalemischen Glaubensgenossen, um Gelder
für die in türkischer Gefangenschaft lebenden Brüder zu sammeln,
auch nach Frankfurt a. O. , und dieser gewann das ganze Herz
des jungen Josua. Nur mit Gewalt konnte derselbe davon zurück-
gehalten werden, jenem Manne sogleich zu folgen. Als Jekuthiel
aber ein halbes Jahr später wieder durch Frankfurt kam, be-
stürmte der i ijährige kräftige Knabe die Mutter so lange , bis
ihm dieselbe die Erlaubniss erteilte, dem verehrten Manne zu
folgen und mit ihm nach Jerusalem zu reisen. Beide wanderten
nun durch Preussen, Lithauen und Galizien, um dann weiter nach
dem Süden zu gehen. Josua erwarb sich unterwegs von Jekuthiel
viele talmudische und kabbalistische, aber nicht diese allein,
sondern auch naturgeschichtliche und ärztliche Kenntnisse, mit
welchen jener jüdische Gelehrte wohl ausgerüstet war.
Bis an die Grenze der Tartarei kamen die beiden Wanderer
unversehrt. Der Krieg Karls XII. von Schweden mit den Russen
hatte aber jene südlichen Gegenden so unsicher gemacht, dass
Jekuthiel über Moskau nach Astrachan wandern wollte. Er
schloss sich also einer grossen Reisegesellschaft an und zog mit
derselben durch unwirthliche Gegenden. Josua erkrankte unter-
wegs schwer und musste eine Zeit lang bei einem Tartaren zu-
rückbleiben. Jekuthiel sah sich hernach genöthigt, nach Moskau
zurückzukehren und wollte nun auf einem anderen Wege nach
der Türkei zu gelangen suchen.
Mit einander weiterziehend, kamen beide bis Kiew, wo Je-
kuthiel durch glückliche ärztliche Curen viel Geld erwarb. Ein
von ihm geheilter türkischer Kaufmann versprach ihm, wenn er
ihm bis Kaffa folgen wolle, ihn von dort nach Jerusalem zu
— 383 -
schaffen. Mit einer Carawane machten sich also Jekuthiel und
Josua in Begleitung des Kaufmannes auf den Weg, wurden aber
in der Nähe von Otschakow von tartarischen Räubern überfallen
und alle zu Sklaven gemacht. Der jetzt 13jährige Josua wurde
auf ein Pferd fest über den Sattelknopf gebunden, während |seine
Hände gefesselt herunterhingen, und so fortgeführt. Die Stricke
schnitten so fest ein, dass die Wunden erst spät heilten; von
dem Drucke des Sattelknopfes aber behielt er zeitlebens eine
Krümmung des Brustbeines.
Getrennt von Jekuthiel, den er nie wieder sah, wurde er
dann unter beständigen Misshandlungen seines Herrn an das
Schwarze Meer gebracht und dort von demselben für 3 Va Thaler
verkauft. Auf einem Schiffe weiter transportirt, versuchte es der
Dolmetscher auf demselben, ein alter Renegat, vergeblich, ihn
durch Versprechungen und Drohungen zu bewegen, auch ein
Muhammedaner zu werden. Das Schiff aber strandete nach furcht-
barem Sturme, Josua wurde kaum ans Land gerettet und nun
sogleich verkauft; ein Kaufmann erstand ihn. In der Carawane,
welche ihn weiter führte, traf er mit einem Kaufmann zusammen,
der nur scheinbar den Muhammedanismus angenommen hatte
und im Geheimen noch Jude war. Dieser kaufte ihn und nahm
ihn nach längerer Zeit mit sich nach Smyrna. Die Juden dieser
Stadt kauften dann Josua, der inzwischen 22 Jahre alt geworden
war, für 120 Löwenthaler los. 6 Monate darauf kehrte er nach
Europa zurück. Unterwegs von der Pest befallen, genas er doch
von derselben und gelangte im Frühjahr 171 4 bei Verwandten
in Brzesc an, bei denen er sich zu seiner Erholung einige Zeit
aulhalten wollte. Der Verkehr mit den gelehrten Juden dieser
Stadt aber befriedigte ihn so wenig, dass ihn die alte Sehnsucht
nach Jerusalem und Jekuthiel befiel, und er sich von Neuem auf
den Weg nach der heiligen Stadt machte. In Siebenbürgen aber
gerieth er in Räuberhände, wurde ausgeplündert und übel zuge-
richtet, so dass er nur eben mit dem Leben davon kam. Da
gab er den Plan, nach Jerusalem zu gehen, auf. Hin und her
wandernd, um für seine unbefriedigte Seele etwas zu finden, wäre
er dann fast wieder beim Uebersetzen über die Nidda ertrunken.
Das Studium auf den berühmten jüdischen Hochschulen in Krakau
und Prag brachte ihm auch nicht, was er suchte; sein jüdisches
Wissen aber war ein so tüchtiges geworden, dass er 1 719 in
Prag zum Morenu ernannt wurde.
- 384 -
Jetzt beschloss Josua Herschel sich auf die kabbalistischen
Studien zu werfen, besuchte aber vorher, nunmehr 30 Jahre alt
geworden, seine Mutter in Frankfurt a. O. Auf seiner Reise
nach Hamburg kam er durch Halberstadt, wo ihn ein Fieber auf
das Krankenbett warf. In den jüdischen Gemeinden von Halber-
stadt und der heutigen Provinz Sachsen walteten damals Streitig-
keiten, und man berief Josua Herschel, dieselben zu schlichten.
In der That gelang es ihm auch, im Hause des Hofjuden Wallich
zu Sondershausen eine völlige Aussöhnung zwischen den streitenden
Gemeinden herbeizuführen, und Wallich hielt ihn nun in seinem
Hause zurück, das durch seine grosse Bibliothek einen besonderen
Reiz für Herschel bot. Hier aber wurde er 1720 von Räubern
überfallen und halb todt geschlagen. Darüber erwachte allge-
meine Theilnahme für ihn, und auch Fürst Günther, sowie der
Leibarzt und Hofapotheker desselben nahmen sich seiner hilf-
reich an.
Die Liebe, welche ihm viele Christen während seiner Krank-
heit erwiesen, machte auf Herschel einen eigenthümlichen Ein-
druck. Auf seinen vielen Reisen war ihm. obwohl er von ganzem
Heizen am Judenthum hing, ein Licht darüber aufgegangen, dass
Vieles in seiner Religion unhaltbar sei. Mollers jüdisch-deutsches
Neues Testament, das er in Prag gefunden, hatte ihm überdem
bereits die Lehre des Evangeliums in einem milderen Lichte er-
scheinen lassen; aber der Gekreuzigte war ihm noch immer ein
Stein des Anstosses.
Zu derselben Zeit starb ein Prinz des Schwarzburger Hauses.
Wallich bezeugte dem Fürsten sein Beileid und sprach bei dieser
Gelegenheit vom „hochseligen Prinzen." Fürst Günther sah dies
als eine Heuchelei an, Wallich aber berief sich auf Herschel da-
für, dass Juden auch von Christen glaubten, sie könnten selig
werden. Dieser desshalb vor den Fürsten berufen, bestätigte
Wallichs Aeusserungen, und der Fürst wies nun Herschel zu
weiterem Verkehr an den Superintendenten Reinhard. Die
reichen jüdischen und hebräischen Kenntnisse dieses Geistlichen
erweckten bei Herschel ein gewisses Vertrauen zu demselben,
und es entspannen sich zwischen beiden lebhafte Unterhaltungen
über die Fragen des Glaubens. Besonders Jesaia 53 bewies
wieder seine Macht. Es folgten schwere Seelenkämpfe für
Herschel, und Reinhard, der ihn auf die Probe stellen wollte,
machte ihm den Uebertritt nicht leicht. Aber nach und nach
- 335 -
wurde sich Herschel seiner Sache völlig gewiss und so verlangte
er selbst, den Seinigen in der Synagoge seinen Entschluss, Christ
zu werden, mitzutheilen. Dies geschah auch in Gegenwart von
Reinhard und einem Hofrath.
Die Juden konnten diesen Schlag nicht verwinden und
forderten ihn nach einigen Wochen zu einer Disputation in
Dessau auf. Gern ging Herschel hierauf ein und bekannte in
der Dessauer Synagoge seinen Glauben; alle Einwendungen schlug
er vor der versammelten grossen Gemeinde siegreich nieder, und
die Juden gingen überwunden vom Kampfplatze heim. Die Folge
war, dass auch zwei andere Juden unter denen, welche der Ver-
sammlung beigewohnt hatten, das Christenthum an anderen Orten
annahmen.
Die Zeit bis zur Taufe war für Herschel noch eine Zeit
vieler Seelennöthe. Besonders suchten ihn die Juden noch
fortwährend für sich zurückzuerobern; aber in den Kämpfen
mit ihnen wurde er seiner selbst nur desto gewisser. Am 2.
Weihnachtstage 1722 wurde er getauft und erhielt den Namen
Friedrich Albrecht Augusti, sechs fürstliche Personen waren seine
Pathen. Einer derselben, Friedrich IL von Gotha wies ihm eine
Freistelle auf dem Gothaer Cymnasium an, das unter dem be-
kannten Rektor Vockerodt stand, und schon nach 3 Jahren
konnte er diese Schule verlassen, bei welcher Gelegenheit er in
einer lateinischen Abschiedsrede über die Kunst wohl zu leben
und wohl zu sterben sprach. Er besuchte dann die Universitäten
Jena und Leipzig. In letzterer Stadt wurde er wegen seiner aus-
gebreiteten Sprachkenntnisse öfters zu Rathe gezogen, unter-
richtete Studenten in den orientalischen Sprachen und gehörte
zu den Mitarbeitern an Sartorius ungarischem Gesangbuch.
Nach 3 J/2 jährigem Studium erwarb er sich die Freiheit,
Vorlesungen zu halten. Er las über hebräische Grammatik, einige
biblische Bücher und Theile der Mischna. Den Ruf A. H. Frankes
als Missionar nach Indien zu gehen, schlug er nur darum aus,
weil seine Freunde dies widerriethen. Verschiedene Anstellungen
wussten Verläumder zu hintertreiben, und nahm er dann, weil
er ganz seine Wohlthäter über sich entscheiden lassen wollte,
zuerst mit einer Hilfslehrerstelle am Gymnasium zu Gotha vorlieb.
Einer Berufung an die neu zu gründende Universität Göttingen
kam Herzog Friedrich III. mit dem Antrage zuvor, die Stelle
eines Pastor substitutus in Eschenberge zu übernehmen. Dort
J. A. F. d e 1 e Roi, Missionsbeziehungen. 25
- 386 -
wurde er 1734 eingeführt, 5 Jahre später, nach Ableben des
alten Pastors, erhielt er das Pfarramt selbst. Jetzt verheirathete
er sich auch und zwar mit einer Tochter des früheren Amtmanns
Schaper. Er war ein überaus treuer Geistlicher und ein sehr
begabter Prediger. Die deutsche Sprache wusste er, obwohl er
das reine Deutsch erst als Mann gelernt hatte, vortrefflich zu
handhaben und übertraf im Stil viele Zeitgenossen.
Für seine früheren Glaubensbrüder, von denen er zwei selbst
taufen durfte, behielt er stets ein warmes Herz, und seine Liebe
zu ihnen minderte es nicht, dass ihm von denselben viele Unbill
zugefügt wurde und zweimal sogar durch solche ein Mordversuch
auf ihn geschah. Mit Proselyten blieb er in stetem Verkehr
und Callenbergs Institutum begünstigte er, so viel er konnte.
Auch als Schriftsteller war er sehr fleissig und wurde von der
Chur - Mainzischen Akademie der Wissenschaften zu ihrem Mit-
gliede ernannt. Besondere Erwähnung verdient sein Buch „Frommer
Proselyten Trost und Ermunterung zur Glaubensbeständigkeit"
Erfurt 1755, in welchem er Biographieen treuer Proselyten liefert.
Er starb , nachdem es ihm noch vergönnt worden war , sein
50jähriges Amtsjubiläum zu feiern, im Jahre 1782.
Von seinen Kindern heirathete eine Tochter den Kanzler
Brückner in Gotha und eine andere den Archidiakonus Mirus
in Jena. „Nachrichten" über ihn hat sein Sohn Ernst Friedrich
Augusti hinterlassen, der seines Vaters Amtsgehilfe und dann
Superintendent in Ichterhausen wurde. Dessen Sohn Johann
Christian Wilhelm Augusti, geboren 1772 in Eschwege, wurde
nach einander Professor der Philosophie, der orientalischen
Sprachen und der Theologie ; er starb als Professor der Theologie
und Consistorialrath in Bonn im Jahre 1841.
Als Geistlicher aus jüdischem Geschlechte ist noch Christian
Fürchtegott Liepmann*) zu nennen. Geboren 1708 zu Königs-
berg in der Neumark hiess er als Jude Copilia und studirte in
Prag , Metz und in anderen Städten jüdische Wissenschaft.
Fleissiges Lesen in der Bibel Hess ihn die Verschiedenheit
zwischen derselben und dem rabbinischen Schriftthum erkennen
und den Gedanken in ihm erwachen, dass der Messias schon
gekommen sein müsse. Als er dies noch während seines Studirens
auf der jüdischen Akademie vor seinen Gaubensgenossen aus-
fj Acta eccles. von 1741. Theil 27. Dibre Emeth 1880 S. 71.
- 337 -
sprach, wurde er dafür empfindlich gestraft und verlor in
Folge dessen die Neigung zum Amte eines Rabbiners ; dess-
halb wandte er sich jetzt dem Handelsstande zu und lernte
Deutsch lesen und schreiben. Von einem Geistlichen erhielt er
dann auf seine Bitte eine deutsche Bibel, die er auch auf seinen
Handelsreisen beständig mit sich führte und fieissig las. Auf
diese Weise kam er zu der Ueberzeugung, dass seine jüdische
Religion unhaltbar sei.
In Cleve entdeckte er sich dem Prediger Johann Daniel
von Mann und wurde durch dessen Unterweisung dahin geführt,
die christliche Lehre als die biblisch richtige anzuerkennen. Aber
er zauderte noch eine ganze Zeit, den entscheidenden Schritt des
Uebertritts zu thun, und reiste mit der Unruhe im Herzen und
Gewissen hin und her. Eine schwere Erkrankung in Jever, welche
ihn dem Tode nahe führte, Hess ihn das Unrecht, das er sich
selbst zufügte, erkennen, und von der Krankheit genesen, erbat
er desshalb sofort vom Superintendenten Christian Reuter zu
Jever die Taufe. Dieser Geistliche nahm ihn auch in seinen Unter-
richt. Als die Juden dies erfuhren, brachten sie eine ganze Reihe
von Verleumdungen über ihn aus, die viele Erkundigungen des
gewissenhaften Geistlichen nöthig machten, welche 14 Monate in
Anspruch nahmen. Als auf diese Weise aber nun seine Unschuld
auch aufs klarste offenbar geworden war, ertheilte ihm Reuter
1736 die Taufe mit desto grösserer Bereitwilligkeit.
Das Taufexamen, welches der fortan Christian Fürchtegott
Liepmann heissende Katechumen bei dieser Gelegenheit bestand
brachte ein so grosses Schriftwissen und eine so klare christliche
Erkenntniss desselben zu Tage, dass allgemein der Wunsch aus-
gesprochen wurde, der Täufling möge fortan Theologie studiren.
Rektor Wessel Eilers am Gymnasium in Jever nahm den 28jährigen
Liepmann als Schüler an, und Prinz Johann Ludwig, Statthalter
zu Jever bewilligte die Mittel für seinen Unterhalt auf dem Gym-
nasium. 1739 durfte er die Schule verlassen, bei welcher Ge-
legenheit Rektor Wessel Eilers eine zuerst lateinisch und dann
in deutscher Uebersetzung erschienene Einladungsschrift zu der
feierlichen Entlassung der abgehenden Schüler ausgab, welche
den Titel trug: „Geschichtlicher Brief, in welchem der Schulrektor
W. E. den ehemaligen Rabbi Copilia und nachherigen Christen
Chr. F. L., der von nun an die evangelische Theologie studiren
will, darstellt." Oldenburg 1739.
25*
— 333 -
Liepmann studirte dann die Theologie in Jena und Witten-
berg, wurde 1741 Prediger auf der Insel Wangeroge, 1751 zweiter
Prediger in Waddewarden bei Jever und 1771 Oberprediger in
dem Nachbarorte Sillenstede. Von seinen in zwei Ehen ihm ge-
borenen Kindern überlebte ihn keins, er selbst starb 1779. Bei
seiner Gemeinde stand er in hoher Achtung.
Ausser diesen Geistlichen verdienen Männer in verschiedenen
Lebensstellungen Erwähnung. Christian Friedrich Ka atz ,*) 1702
in Berlin getauft, gab 1703 heraus „Des 12jährigen Jesu von
Nazareth Verstand im Fragen und Antworten, darüber sich die
Juden verwundern"; ferner „Erkannte göttliche Wahrheit aus
der Schrift Alten und Neuen Testamentes", Waidenburg 1716
und 1720 einen Katechismus für Juden. Sein Wohnsitz war
Meerane im Sächsischen. Ein Sohn desselben studirte Theologie
in Jena. Wir wissen von dem letzteren, dass er sein Studium
auch beendet hat und dann Informator bei einem Minister war,
sind aber nicht im Stande, etwas über seinen ferneren Lebens-
gang zu sagen.
Johannes Christlieb Heilbrunner**) aus Krakau, als Jude
Moses Prager genannt, wurde 1709 in Heilbronn vom Mag. Jo.
Phlp. Storr getauft, während ihm seine Frau 1714 in Pirna
nachfolgte. Er lehrte an verschiedenen Universitäten das Hebräische
und Talmudische. Von ihm stammt ein deutscher Traktat über
Jesaia 53, Tübingen 1710, welches Kapitel ihn besonders zur
Annahme des Christenthums bewogen hatte. Ferner „Klare
Beweisthümer über Jesum Christum, dass er der wahre Messias
und Sohn Gottes ist, aus dem Alten Testamente, der Rabbinen
und Kabbalisten Schriften nachgewiesen mit einem Anhang, was
für einen Messias die Juden erwarten", Dresden 171 5. Eine
Widerlegung der Einwürfe der Juden gegen die Geschlechts-
register Christi, besonders wider die Schrift Chisuk Emunah
gerichtet, folgte Hamburg 171 8. In Dresden fand er endlich sein
bleibendes Unterkommen. Wolf rühmt ihn als einen von der
christlichen Wahrheit vollkommen überzeugten und unter allen
Trübsalen bewährten Proselyten.
Einer der ausgezeichnetsten Proselyten in der ersten Hälfte
des 1 8. Jahrhunderts ist der Arzt Dr. Heinrich Christian Immanuel
*) Wolf 15. II. II S. 1008. IV N. 1897 d.
►*) Wolf 15. II. III N. 823 c!.
— 389 -
Frommann. Sein jüdischer Name und seine früheren Verhältnisse
sind nicht bekannt. Was seine Heimath betrifft, so glaubt Biesen-
thal,*) dass sie Schlesien war; seine ärztliche Dissertationschrift
aber nennt ihn H. Chr. Im. Frommann aus Gera. Durch den
Ruf des Rabbi David Fränkel in Dessau angezogen, begab er
sich auf die dortige jüdische Hochschule. Dort wurde er für den
christlichen Glauben gewonnen. St. Schultz theilt hierüber in
seinen „Leitungen des Höchsten" 3, 14 das Nähere mit. Ein
christlicher Schneider, bei dem sich der junge Student ein Kleid
bestellte, fing in seiner Gegenwart zu weinen an. Nach dem
Grunde dessen gefragt, erklärte der Meister, dass ihn der
Gedanke, ein so schöner junger Mensch sollte verloren gehen,
innerlichst beunruhigte. Die unwillige Abweisung, welche der
Schneider hierauf erfuhr, schüchterte denselben nicht ein, sondern
er bat den Studenten dringend, das Neue Testament zu lesen,
weil ihn dies zur Erkenntniss der Wahrheit führen werde. Der
Vorfall ging Frommann weiter nach und beschäftigte ihn innerlich,
so dass er nach einigen Tagen zu dem Schneider ging, um von
demselben ein Neues Testament zu erbitten. Da dasselbe aber
in deutscher Sprache geschrieben war, die er nicht lesen konnte,
warf es der Jüngling ärgerlich auf den Tisch. Der Schneider
jedoch bat ihn, die deutsche Schrift zu lernen, da er noch ein
so junger Mensch sei und ihm dies nicht schwer fallen könne.
Frommann wollte sich hierauf von einem christlichen Buchbinder
eine deutsche Bibel kaufen; der elende Mann aber forderte von
ihm einen halben Thaler, so dass ihn der junge Student voll
Unwillens über die Betrügereien der Christen verliess. Aber die
Bitten und Thränen des Schneiders Hessen ihm keine Ruhe, und
so kaufte er später dennoch die Bibel, lernte bei Nacht Deutsch
lesen und lieh sich dann von dem Schneider das Neue Testament.
Zweimal 24 Stunden schloss er sich hierauf bei Wasser und Brot
ein und las in dieser Zeit das ganze Neue Testament durch,
den Römer-Brief sogar zweimal. Dem Schneider gab er darauf
sein Buch zurück, ohne sich etwas merken zu lassen; als aber
sein nächster Wechsel einlief, ging er nach Gotha, bat dort
in das Christenthum aufgenommen zu werden, und wurde daselbst
*) Biesenthal in Dibre Emeth 1855 N. I, 2. Saat, Ostern 1869 S. 217 ff.
Biesenthal in Axenfelds Leben von den Todten, Barmen 1874 S. 1 ff. Kaikar 268.
— 39Q —
unterrichtet und getauft. Das wird in den Jahren 1722 bis 1723
geschehen sein.
Er durfte hierauf das Gymnasium in Gotha beziehen, dessen
trefflicher Rektor Vockerodt auf ihn sehr günstig einwirkte. Viele
Wahrscheinlichkeit hat die Vermuthung Biesenthals für sich, dass
auf seinen Lebensgang Augusti nicht ohne Einfluss gewesen ist.
Gerade in jener Zeit hatte ja die Disputation des Letzteren in
Dessau stattgefunden, und von dem damals alle jüdischen Gemüther
in jener Stadt und Gegend beschäftigenden Ereigniss wird auch
Frommann nicht unberührt geblieben sein. Der Entschluss des-
selben, gerade nach Gotha zu gehen, spricht ebenso für diese
Vermuthung; denn dass Augusti in Gotha weilte, war bekannt,
und dass Frommann von diesem Manne Förderung für seine
neuen Wege erwartet haben wird, ist eine sich von selbst er-
gebende Annahme. Mit Augusti, der gerade in dieser Zeit das
Gymnasium in Gotha besuchte, wird dann auch Frommann näher
verkehrt haben und von ihm innerlich gefördert worden sein.
Nach der Gymnasialzeit besuchte Frommann die Universität
Halle. Sein anfänglicher Plan, Theologie zu studiren, stiess dort
auf Schwierigkeiten, und so wählte er das medizinische Studium.
1727 finden wir ihn bereits in Halle und in Verbindung mit
Callenberg, der ihn seinen „Freund" nennt und seiner in den
ersten Nachrichten des Institutum öfters Erwähnung thut. Pastor
Müller in Gotha und Vockerodt mögen Frommann an Callenberg,
der ja gleichfalls der Schüler jener Beiden gewesen war, gewiesen
haben, und das lebhafte Herzensinteresse, welches Callenberg
schon in der früheren Zeit seines Aufenthaltes in Halle für die
Juden empfunden, wird durch den Verkehr mit Frommann
doppelte Nahrung erhalten haben. Denn allerdings war, wie es
die Callenberg'schen Berichte beweisen, das Heil der Juden ein
steter Gegenstand ihrer gemeinsamen Besprechungen und Bera-
tungen. Frommann fühlte fortwährend ein brennendes Verlangen,
seinem Volke zu dienen, und Callenberg hätte sich von den
Schwierigkeiten, die dem Plane, das Wohl der Juden zu befördern,
entgegentraten, des öfteren übermannen lassen, wenn ihm nicht
gerade in jener ersten Zeit der Entstehung des Institutum From-
mann ermuthigend und antreibend zur Seite gestanden hätte.
Dass die Halle'sche Mission ins Leben trat, ist in der That in
nicht geringem Grade auch Frommann zu danken. Und ein edler
Proselyt ist in Wahrheit mit der Geschichte jenes Werkes in
— 39i —
der Christenheit ganz besonders verknüpft, das seines Volkes
Heil ernster, als es Jahrhunderte hindurch geschehen war, suchte,
und das aller Folgezeit die Noth wendigkeit und Pflicht, der Juden
bleibendes Beste zu schaffen, zum Bewusstsein gebracht hat.
Zur Herausgabe des Müller'schen Traktates „Das Licht am
Abend" wurde Callenberg vornehmlich auch dadurch ermuntert,
dass Frommann, als sich kein Verleger finden wollte, in den
Professor drang, jüdische Lettern zu kaufen, und durch ihn, der
zu diesem Zwecke das Setzen lernte, das Buch drucken zu lassen.
Am Tage seinen Studien obliegend, verrichtete Frommann damals
in der Nacht die Arbeit eines Druckers. Von da an aber stand
er überhaupt ununterbrochen Callenberg aufs Thätigste zur Seite
und griff besonders schriftstellerisch tief in das Werk des Institutum
ein; viele der wichtigsten, folgenreichsten und wirksamsten
Schriften der Anstalt stammen gerade aus seiner Feder.
Noch als Student übersetzte er 1730 das Evangelium des
Lukas ins Jüdisch-deutsche unter Callenbergs Aufsicht. Voran-
geschickt wurde eine von Pastor Müller verfasste Vorrede, welche
eine vollständige Nachricht vom Leben und von der Lehre Jesu
gab und eine Aufforderung an die Juden richtete, dieses Evan-
gelium nun auch zu lesen. Schwere Stellen des Evangeliums
versah Frommann mit Anmerkungen. Ebenso übersetzte er ins
Jüdisch -deutsche die Apostel-Geschichte und Freylinghausens
Sermon von der wahren Kindschaft Abrahams. Da in diese Zeit
die Vertreibung der evangelischen Salzburger durch den Erz-
bischof Firmian fiel, und dies viele Juden gegen das Christenthum
erregte, übersetzte Frommann das Augsburgische Glaubens-
bekenntniss der Evangelischen ins Jüdisch-deutsche und versah
es mit Bemerkungen; es sollten die Juden hierdurch Gelegenheit
finden, den Unterschied evangelischer und katholischer Kirche
kennen zu lernen. Ebenso verfertigte er eine jüdisch-deutsche
Uebersetzung der Missionsschrift : „Lehrer der Erkenntniss". Die
Abhandlung über die jüdisch-deutsche Schreibart in Calvörs
Juden-Katechismus verbesserte er, übersetzte 1734, inzwischen
Doktor geworden, das Evangelium des Johannes ins Jüdisch-deutsche,
ebenso wie den Hebräerbrief, die er mit Erklärungen versah, und
siess in gleicher Uebersetzung die zwei Briefe an die Korinther
und den Brief an die Galater erscheinen.
Frommann veranstaltete aber auch eine hebräische Ueber-
letzung des Evangelium Lucä, deren ersten Theil er selbst noch
- 392 —
mit rabbinischen Erklärungen versah. Diese Uebersetzung erntete
nicht bloss in jener Zeit über Deutschland hinaus und besonders
in England vieles Lob, sondern hat auch in unserer Zeit die An-
erkennung von Professor Delitzsch gefunden. Callenberg erwähnt
ferner, dass Frommann eine hebräische Uebersetzung der Apostel-
geschichte und christlicher Lieder, die auch nach den betreffenden
christlichen Melodieen zu singen waren, im Manuskript hinterlassen
habe, aber dasselbe ist nicht vorgefunden worden.
Alle diese schriftlichen Arbeiten fertigte Frommann in der
kurzen Zeit von 5 Jahren an, in denen er zum Theil noch Student
war, und hernach die Mühe der ersten Einrichtung in seinem
ärztlichen Amte zu bestehen hatte. Beweis genug dafür, dass
der ebenso tüchtige und wissenschaftlich angelegte als fromme
junge Mann von ausserordentlichem Eifer für das Missionswerk
unter seinen früheren Glaubensgenossen erfüllt war.
Frommann übersetzte dann 1733 noch den Brief an die
Römer, welcher besonders entscheidend auf ihn eingewirkt hatte,
ins Jüdisch-deutsche, und die Bemerkungen, welche er dieser
Uebersetzung beigab, haben sich hernach als eine wahre Fundgrube
für die Unterweisung von Juden in der christlichen Lehre erwiesen.
Callenberg zog aus diesen Erklärungen nicht weniger als 14
besondere Missionsschriften heraus, die alle in jüdisch-deutscher
Sprache erschienen und bereits auf Seite 264 ff. erwähnt worden sind.
Im April 1733 erhielt Frommann von der medizinischen
Fakultät in Halle die Doktorwürde. Seine Dissertationsschrift
vom 6. Juli jenes Jahres handelte über das Thema De necessario
sanis medico, dass der Arzt auch den Gesunden nöthig sei, und
enthält am Schlüsse Gedichte zu seiner Ehre von Professor Dr.
Jo. Heinr. Michaelis, Professor Callenberg, dem Rektor des Halle'-
schen Gymnasiums Jo. Mich. Gasser und dem Lehrer am dortigen
Pädagogium Carl Heinr. Theune. Schultz sagt in seinen „Leitungen
des Höchsten" 3, j6, dass Frommann als Arzt eine gute Praxis
gehabt habe, obwohl er doch nur 2 Jahre lang als solcher in
Halle wirkte. Er war verheirathet und hinterliess eine Wittwe,
sein Kind ging ihm im Tode voran. Er selbst starb am 2. Januar
1735 an einem Fleckfieber. Noch in seinen letzten Phantasieen
beschäftigte er sich mit der Apostelgeschichte, die von ganz
besonderer Bedeutung für sein inneres Leben geworden war.
Mit den Worten: „Ach Jesu, ja Jesu, ja Jesu, mein Jesu!" ent-
schlief er.
— 393 —
Frommann gehört zu den edelsten Gestalten unter den
Proselyten nicht bloss seiner Tage, sondern aller Zeiten; und er
hat es wohl verdient, dass sein Name noch fort und fort in den
Missionskreisen mit liebender, herzlicher Anerkennung genannt
wird. Er hat sich völlig verzehrt im Dienste seines Gottes und
im Dienste seiner Brüder nach dem Fleisch. Bei ihm zeigt sich
in solcher Reinheit wie selten sonst volle christliche Klarheit,
unbedingter Ernst in der Geltendmachung der Wahrheit gegen sein
Volk, völlige Freiheit von allem Bedecken, Verschweigen und
Entschuldigen der jüdischen Sünde, völliges Fernsein von aller
Verherrlichung der jüdischen Rasse und ebenso brünstige Liebe
zu seinen Volksgenossen, die Jesu zuzuführen seine Arbeit und
sein Sehnen bis zu seinem letzten Odemzuge geblieben ist.
Auch in diesem Zeiträume begegnet uns sodann eine ganze
Reihe von Proselyten, welche unter den Juden Rabbiner oder
Lehrer gewesen waren und die sich nun als Christen durch ge-
lehrte oder literarische Thätigkeit zu erhalten suchten. Wir finden
also wieder verschiedene Lektoren der orientalischen Sprachen
und der rabbinischen Literatur an den Universitäten, und andere,
welche ihre Kenntnisse theils zur Erweisung der Wahrheit des
Christenthums vor ihren Glaubensgenossen, theils zu ihrer Ueber-
führung zu verwerthen suchten. Die grösste Zahl dieser Prose-
lyten hat hierin nur sehr Mittelmässiges geleistet, und recht
vielen Erzeugnissen dieser Art merkt man es an, dass sie des
Broterwerbes wegen geschrieben sind. Die Noth drängte eben
in nur zu vielen Fällen zur Feder. Immerhin aber erkennt man,
dass manche dieser Proselyten doch auch ein Eifer für die
Bekehrung der übrigen Juden erfüllte, und dass ihnen diese eine
Herzenssache war.
Wir erwähnen nur beispielsweise unter den Männern, welche
auf solche Weise den schriftstellerischen Weg betraten: Johann
Friedrich Mentes in Greifswald, Friedrich Christian Meier,
getauft in Altona, Ernst Maximilian Borg, getauft in Breslau,
Christoph Gustav Christian in Nürnberg, ein sehr redlicher
Mann, Abraham Ben Raphael de Lonsano, als Christ Wilhelm
Heinr. Neumann, in Idstein getauft, der Theile einer hebräischen
Grammatik schrieb, Walther Philipp, getauft in Hamburg, der
ein sog. deutsch-hebräisches Wörterbuch verfasste, das aber nur
von der Schreibweise, dem Lesen und der Aussprache des
Hebräischen handelt, und der dann auch über den jüdisch-deutschen
— 394 —
Dialekt schrieb. Möglicherweise ist dieser Walther Philipp der
Vater des Studiosus der Theologie Gottlieb Georg Philipp, den
1 75 1 die Schultz'schen Ferneren Nachrichten i, 5, 6 nennen.
Hier wird ein Philipp aus Oberstein, also aus der Gegend, da
der früher genannte lebte, erwähnt und von ihm gesagt, dass er
1 73 5 gestorben sei. Von dem Studenten schreibt Schultz, dass
er den Herrn redlich zu fürchten scheine, und fügt hinzu, dass ein
Bruder desselben das Halle'sche Waisenhaus besuche. Ueber beide
Brüder aber waren nähere Nachrichten nicht zu erlangen.
Wir begegnen ferner einem Karl Gottlieb Willig, der 1723
mit Frau und sieben Kindern in Greifs wald getauft wurde und zwei
Katechismen, einen grösseren und einen kleineren zur Unterweisung
der Juden verfasste. Jakob Michael August ist in Breslau getauft.
Ihm folgten später auch seine Frau und Kinder, und wurde er
Lektor der orientalischen Sprachen in Leipzig. Johann Friedrich
Gutherz, getauft in Breslau, und Christian Gottlieb Hamburger,
171 8 in Leipzig getauft, gaben eine Beschreibung der jüdischen
Ceremonien und der Gebräuche der heutigen Juden heraus.
Oefters werden jetzt Theologie studirende Proselyten genannt,
deren weiteren Lebensgang wir aber nicht verfolgen können.
So ein Rabbi Israel Moses Präger oder Prager, der, 1741 von
Senior Münden in Frankfurt getauft, als Christ Johann Christian
Neu mann hiess. Derselbe studirte Theologie in Leipzig und
Jena, hernach verlieren aber wir ihn aus den Augen. Er wie so viele
andere Proselyten erhielten in der Taufe Namen, welche ihren
neuen Christenstand recht deutlich bezeichnen sollten; Und sehr
viele der heutigen Neumanns oder der Personen, welche mit
Christ verbundene Namen in Deutschland tragen, sind Nach-
kommen von Proselyten.
Erwähnt sei auch Mauritius Wilhelm Christian Keys er*)
aus Prag, Rabbi in Schleusingen und daselbst vom Superintendenten
Fried. Ernst Meis 171 5 getauft. Er hielt als Christ Vorlesungen in
Altorf und später über jüdische Alterthümer in Regensburg. Dort
hatte sich der Superintendent Georg Serpilius eine Synagoge
genau nach den jüdischen Vorschriften erbauen lassen. Keyser
beschrieb dieselbe und gab hierbei überhaupt genauere Nach-
richten über die Einrichtungen der jüdischen Gotteshäuser. Später
ertheilte er in Bremen Unterricht im Talmud und Rabbinischen.
Wolf B. H. 3, 4, N. 1365 b.
— 395 —
Allem Anscheine nach hat er dann in der Anstalt des Mercatus
in Schleswig ein Asyl gefunden. Wolf nennt ihn einen gelehrten,
redlichen und sittenstrengen Mann.
Philipp Nicodemus Leberecht*) aus Calbe an der Saale
wurde 171 5 von Pastor Seufert in Pforzheim getauft. Seufert
diktirte ihm einen kurzen Auszug seines Katechismus in die
Feder, den er dann ins Jüdisch-deutsche übersetzte. Das Buch
trägt den Titel „Eckstein des wahren Glaubens" 1 719 Leipzig
und Dresden. Ausserdem erschien von Leberecht „Der geistig
todte Jude" in 2 Theilen, Magdeburg, die Lehre von den beiden
Messiasen der Juden und ihre Widerlegung enthaltend. Das Beste
in diesen Schriften ist Gersons Talmud entnommen, von der
Hardt aber in der Schrift Leberechts „Ein Zicklein" über die
Osterliturgie der Juden benutzt. Verständigere Wege schlug
Leberecht in einer Schrift über die Tekuphoth oder die Bluts-
tropfen, welche viermal des Jahres zum Zeichen und Denkmal
unter den Juden vom Himmel fallen sollen, ein; denn er erklärte,
dass er von solchen Blutstropfen nichts bemerkt habe. Leberecht
fand nie eine sichere Existenz und gehört zu denen, welche es beson-
ders deutlich zeigen, dass in jener Zeit so mancher der Proselyten,
wenn er selbst guten Willen hatte, nichtvorwärts kommen konnte,
weil man sich zu wenig Mühe gab, sie in den socialen Organismus
der christlichen Gemeinde einzugliedern, so dass sie in der Luft
schweben blieben und sich wesentlich von Almosen erhalten
mussten. Aehnliches ist von Joh. Christ. Meyer zu sagen, der
1747 mit seiner Frau in Hamburg getauft wurde und ein wirklich
inniger Christ war, wie es seine kleine Schrift „Die Gestalt eines
gläubigen Juden vor, in und nach seiner Bekehrung", Tübingen
1754, zeigt. Auch dieser treffliche Mann hatte stets den Kampf
um das Dasein zu führen.
Ein anderer Christian Meier**) war ein angesehener, reicher
Mann unter den Juden in Hamburg und Vorsteher einer höheren
jüdischen Schule gewesen. Nachdem er zu der Ueberzeugung
gekommen war, dass er als Jude im Irrthum lebe, Hess er sich
in Bremen taufen, suchte dann aber vergeblich ein feste Anstellung
unter den Christen zu gewinnen und sah sich desshalb zu wandern
genöthigt. So kam er nach Holland, wo er sich die Gunst von
*) Wolf B. H. 3, 4, N. 1830 d.
►*) Wolf B. H. 3 N. 1897 b.
— 396 —
verschiedenen Gelehrten erwarb. D. Joh. Meyer in Hardenvyk,
Camp. Vitringa in Franeker, H. van Alphen in Utrecht,
Verbrugge in Groningen, Surenhuis in Amsterdam neben
Bashuysen in Zerbst lobten seine christliche Lauterkeit und
sein hebräisches Wissen und halfen ihm auch dazu, dass mehrere
seiner Schriften gedruckt wurden, die theils in holländischer,
theils in deutscher Sprache erschienen, aber zu einem gewissen
Brote gelangte er trotz der Empfehlungen dieser Gelehrten auch
nicht. Beachtung verdient seine Schrift Vera Immanuelis gene-
ratio ex virgine viro desponsata secundum Jesaia 7, 14, Amster-
dam 1722. Die Londoner Missionsgesellschaft hat eine neue
Ausgabe derselben veranstaltet, weil sie in ganz tüchtiger Weise
die wahre Gottheit Christi gegen die jüdischen Einwürfe ver-
theidigt. Eine andere gelehrte lateinische Schrift desselben Ver-
fassers behandelt die Zeit des letzten Passahmahles Christi: Quo
tempore Christus Pascha celebraverit , quod ex Joanne 18, 28
secundum ritus ecclesiae Judaicae factum esse probatur. Da
Chr. Meier nicht lateinisch verstand, was denn auch seinem Fort-
kommen besonders im Wege gestanden haben mag, Hess Professor
Johann Meyer das hebräisch und jüdisch -deutsch geschriebene
Manuscript erst ins Lateinische übersetzen. Dies hat aber manche
Unzuträglichkeiten mit sich gebracht. Christ. Meiers spätere Schick-
sale sind uns nicht bekannt, ein Vierteljahrhundert hindurch aber
sehen wir ihn mit den schwierigsten Verhältnissen ringen, ohne
desshalb seinem Glauben untreu zu werden.
Zu den besseren Proselyten des Zeitraums gehört ein früherer
Rabbi im polnischen Bar, der als Christ Christoph David Bern-
hard*) hiess. Derselbe wurde durch Pfarrer M. Storr in Heilbronn
für das Christenthum gewonnen. Er war hernach Lektor des
Hebräischen in Jena und später in Tübingen. Dr. Pfaff gibt ihm
das Zeugniss, dass er ein aufrichtiger Israelit ohne Falsch sei
und genug Proben eines wahren Christenthums gegeben habe.
Im Talmudischen und Rabbinischen besitze er eine unvergleichliche
Einsicht, eine ganz andere, als die meisten übrigen Proselyten,
und habe mit grossem Ruhme docirt. Der nachmalige Professor
der morgenländischen Sprachen, Joh. Gottfried Tympe, z. B.,
welcher ihn in Jena hörte, erklärte, dass er von Bernhard besonders
*) Wolf B. II. 3 , 4 N. 1895 d. 4 S. 519, 20. Kaikar 176. Wissen-
schaft, Kunst u. s. \v. von Franz Delitzsch S. 304.
— 397 —
viel gelernt habe. Am bekanntesten ist seine „Hütte Davids,
oder grammatische Regeln der hebräischen Sprache", Tübingen
1722 geworden. Das Werk ist eine kurze aber beachtenswerthe
hebräische Grammatik mit gespaltenen Kolumnen, auf der einen
Seite den hebräischen Text, auf der anderen die deutsche Ueber-
setzung enthaltend. Zu Grunde gelegt ist die hebräische Grammatik
des R. Salomon Ben Jehuda, welche durch Bernhard aber eine
verbesserte Gestalt erhalten hat.
Wider falsche Beschuldigungen, die gegen die Juden erhoben
wurden, erhob er treulich seine Stimme. So widerlegte er den
Proselyten Michael Paul, der die thörichte Fabel von den vier
jüdischen Blutstropfen weiter verbreitete, und liess „Eine unpar-
teiische Beurtheilung des Eidschwures eines Juden gegen einen
Christen" erscheinen. Hier wies er gründlich nach, dass ein solcher
Eid auch Christen gegenüber unter bestimmten Voraussetzungen
von den Juden als durchaus bindend betrachtet werde, zugleich
aber, dass Vorsichtsmaassregeln nöthig seien, damit den allerdings
vielfach beliebten Betrügereien vorgebeugt werde. Ausserdem
liess er noch verschiedene andere Schriften erscheinen, welche
die Juden zur Anerkennung des Evangeliums führen sollten.
Genannt mögen werden: „Das erste Wort Davids" über die Mensch-
werdung Christi nach Jesaia 7, und „Das letzte Wort Davids"
oder eine Erklärung von Daniel 9, 24 — 27 und über Jesaia 53.
Ferner Makkel David über 1 Samuelis 17, 40. Nicht in
den Druck gekommen sind: Magen David, eine Widerlegung
des Buches Chisuk Emunah, sodann Emunah David, eine
Widerlegung des Buches Ikkarim von Jos. Albo, eine Auslegung
Davids, eine Auslegung von Hiob und ein Spiegel Davids, welcher
eine kurze hebräische Grammatik enthielt. Im Jahre 1743 wird
von Bernhard in A. C. Zellers Merkwürdigkeiten der Universität
Tübingen gesagt, dass er nun bereits 25 Jahre Docent des
Rabbinischen und Talmudischen sei. Er starb 1754 oder 1755.
Ein ergreifendes Beispiel dafür, auf welchen wunderbaren
Wegen Juden zur Erkenntniss Christi geführt werden , und mit
welcher Treue dann auch so manche unter ihnen die einmal
gewonnene Glaubensüberzeugung in den einfachsten Verhältnissen
festhalten, ist Abraham Herz,*) als Christ Christoph Leberecht,
*) Berichte von Beyer 1783, 7, 20 ff. Dibre Emeth 1878, 156 ff. Traktat
der Berliner Gesellschaft.
— 39S -
getauft 174-1 zu Balga bei Königsberg, gestorben 1776 in
Königsberg.
Gegen den Vorkämpfer des Rationalismus J. C. Edelmann
und dessen Schriften wider das Christenthum trat der Proselyt
Christian Immanuel Reinwolle, preussischer Accisebeamter in
Berlin, mit einer Schrift: „Vernünftige und gründliche Widerlegung
des berüchtigten Edelmann" 1747 auf. Leipzig und Frankfurt
Edelmann hatte sich der Hilfe eines Proselyten bei Abfassung
seiner Schrift bedient, und diesen Schimpf fühlte Reinwolle so
tief, das er mit jener Gegenschrift in die Schranken trat; sein
Zeugniss fand damals auch viele Zustimmung.
Adam Rudolf Georg Christoph Matthaei,*) als Jude
Schimon genannt, ist 171 5 in Fürth geboren. Sein Vater Jaidel
war ein tüchtiger Talmudkenner und wirkte als Lehrer am
Bethhamidrasch des Rabbi Bärmann Frankel in Fürth und hernach
in Prag, wo auch der Sohn talmudischen Studien oblag. Später
wurde der Sohn Lehrer an der Fürther jüdischen Hochschule
und danach an Rabbi Salomon Isaak Fränkels Bethhamidrasch.
Seine Studien führten ihn allmählig zu der Ueberzeugung, dass
die jüdischen Lehren und Gebräuche sehr wenig mit denen des
Alten Testamentes übereinstimmten. Die Unhaltbarkeit des Juden-
thums und die Wahrheit des Christenthums wurden ihm zuletzt
zu so fester Gewissheit, dass er sich im April 1748 zu den
Geistlichen in Fürth begab und sich denselben offenbarte. Auf
ihren Rath begab er sich nach Nürnberg und nahm auch sein
dreijähriges Söhnchen mit sich. Als er dann aber von hier aus
an seine Frau schrieb, ihm zu folgen, schafften die Juden dieselbe
an einen geheimgehaltenen Ort, wo sie von einer Tochter ent-
bunden wurde. 1756 erhielt der Vater durch die Bemühungen
des Magistrates von Nürnberg auch dieses Kind; einige tausend
Gulden dagegen, welche er sich früher erspart hatte, wussten
ihm die Juden vorzuenthalten.
Am 20. September 1748 wurden der Vater und sein Söhnlein
getauft. Vom Tauftage, dem Matthäi-Tage, erhielten beide den
Xamen Matthäi. Der Sohn Karl Johann Conrad wurde später
auf das Aegidien-Gymnasium in Nürnberg gebracht, der Vater
aber erhielt die Stelle eines Messners an der dortigen Dominikaner-
und hernach an der Sebaldus-Kirche. Er starb 1779-
*) Saat. Ostern 1873. S. 113 ff.
— 399 —
Matthaei war ein frommer und gelehrter Mann. Seine
Schriften über jüdische Gegenstände zeichnen sich durch Selb-
ständigkeit und reiche Kenntniss der Literatur aus. Der Zweck,
für den sie Matthaei schrieb, war, die jüdischen Angriffe gegen
das Christenthum zu widerlegen und die Seinen zur Annahme
des Christenthums zu bewegen.
Von diesen Schriften, die zum Theil mehrere Auflagen er-
lebten, verdienen insbesondere Erwähnung: Die Verderbniss des
heutigen Judenthums nach ihrer wahren Beschaffenheit aus tal-
mudischen und rabbinischen Schriften. Onolzbach 175 1. Er
zeigt hier ohne Bitterkeit, aber sehr klar in 8 Capiteln, wie das
jüdishe Gesetz aus lauter Menschensatzungen bestehe. Beschreibung
des jüdischen Sabbaths aus talmudischen und rabbinischen Schriften.
Nürnberg 1752. Hier weist er die Widersprüche zwischen der
Lehre der Schrift vom Sabbath und den jüdischen Sabbathsge-
setzen in 13 Capiteln nach. 1758 erliess er am zehnten Jahres-
tage seiner Taufe ein an die Scholarchen von Nürnberg gerichtetes
Danksagungsschreiben, welches eine Beschreibung des jüdischen
Neujahrs- und Purim-Festes enthält, und eine Abhandlung über
den jüdischen Versöhnungstag. Dann vertheidigte er unter an-
derem die lutherische Abendmahlslehre in einem Gespräche
zwischen Hermann und dem Proselyten Frommann, verfasste
1768 eine Erklärung von 1 Mose 49, 10 zum Andenken an den
20. Jahrestag seiner Taufe, wobei er den Nachweiss führte, dass
die alten Rabbinen unter dem Schiloh den Messias verstanden
hätten, und 1770 „Beweis der Uebereinstimmung der jüdischen
und christlichen Lehre über den unerschaffenen Engel." Im
Ganzen werden 19 Schriften von Matthaei genannt, die fast alle
einen Missionszweck hatten, wie er denn auch ein besonderer
Freund von St. Schultz war.
Viele Theilnahme fand Johann Adam Gottfried*) der seine
eigene Lebensgeschichte veröfi entlicht hat. Die betreffende Schrift
desselben führt den Titel „Wahrhaftiger Bericht von Gottfrieds
wunderbarer Bekehrung vom Judenthum, die im Jahre 1750 zu
Christian Erlangen geschah, bis hierher von ihm selbst aufgesetzt
und dem Druck überleben". Ein Freund hat diesen Bericht noch
*) Beyer. Fortgesetzte Nachrichten, 8, 15 ff. Freund Israels. Berlin
1825. Hausmeister, Merkwürdige Lebens- und Bekehrungsgeschichten. Saat
1872. Michaelis S. 211 ff. Kaikar S. 181.
— 400 —
einmal kurz wiederholt und bis zum Tode Gottfrieds ergänzt.
„Kurzgefasste Lebensgeschichte des seligen Magister Joh. Adam
Gottfried zu Anspach nebst dessen letzten Stunden" 3 Aufl.
Onolzbach 1780.
Gottfried ist 1726 in Altona geboren und hiess als Jude
Nathan. Als er, 9 Jahre alt, seinen Vater verlor, schickte ihn die
Mutter zu einem Oheim in London, der dort Diamantschleifer
war, um dessen Kunst zu erlernen; er wurde aber bald von ihm
zurückgesandt. Mit der Mutter kam der Sohn dann zunächst
nach Eisenstadt in Ungarn und von dort zu dem ihm verwandten
Rabbi Koppel Fränkel in Fürth, bei dem er so gute Fortschritte
machte, dass er von der Gemeinde Roth im Anspach'schen
schon mit 17 Jahren als Lehrer angenommen wurde; von Roth
kam er später nach Sulzberg. Schon dem 9jährigen Knabe wurde
in London der Name Jesu lieb. Dem 15jährigen sagte sein
Lehrer, Rabbi Ichhausen, dass er sich noch einmal werde
taufen lassen, und ebenso erklärte ihm sein anderer Lehrer, Rabbi
Löwe Hene, dass er sicher vom jüdischen Glauben abfallen
werde. Diese Zeugnisse versetzten Nathan für einige Zeit in
tiefe Unruhe, über die er erst allmählig Herr wurde.
Von dem Gesänge in der evangelischen Kirche zu Sulzberg,
bei welcher er während eines Gottesdienstes vorüberging, wurde
dann der 21jährige so mächtig ergriffen, dass ihm fortan das
Christenthum in einem freundlichen Lichte erschien. Von
jetzt ab fing er an, über dasselbe weiter nachzuforschen und las
besonders Jesaia 53, weil er gehört hatte, dass sich die Christen
auf dieses Kapitel besonders beriefen; und dasselbe wirkte auch
entscheidend auf ihn ein. Sein Autenthalt unter den Juden wurde
ihm jetzt unerträglich, er wandte sich desshalb 1748 nach Nürn-
berg und bat hier um Aufnahme in die evangelische Kirche;
aber dieselbe wurde ihm anfangs verweigert. Doch Hess er sich
dadurch nicht abschrecken, sondern ging nach Erlangen und
wurde dort auch 1750 von D. Pfeiffer getauft, wobei er den
Namen Gottfried erhielt.
Gottfried wollte nun Theolog werden, und man bahnte ihm
die Wege hierzu. Er besuchte die Schulen in Neustadt a. d. Aisch
und zu St. Lorenz in Nürnberg und konnte bereits 1753 die
Universität Erlangen beziehen. Der Tod des Lektor Bernhard
in Tübingen bestimmte ihn dann, sich um die Stelle desselben
an jener Universität zu bewerben, aber trotz der besten Empfeh-
— 401 —
lungen wurde ihm dieselbe nicht zu Theil. Nach 2 Jahren neuen
Studiums in Tübingen wurde er daselbst Magister und trug an
jener Universität die hebräische Formenlehre vor, ging aber 1758
nach Gerabronn im Anspach'schen , um hier so lange zu unter-
richten und sich mit wissenschaftlichen Arbeiten zu beschäftigen,
bis er ein Pfarramt erlangen würde. Doch nur einmal, im Jahr
1759 fand er den Muth zu predigen und von da ab nicht wieder;
er konnte seine angeborene Schüchternheit nicht überwinden.
Ueberaus demüthig schreibt er selbst, dass Gott es damit nur
gut gemacht habe, da er Jesum als den Sünderheiland doch in
der früheren Zeit seines Christenlebens nicht erkannt habe, son-
dern zu dieser Erkenntniss erst allmählig gelangt sei; „ohren-
juckendes Geschwätz" aber zieme sich nicht für die Kanzel.
Er wurde nun völlig Literat und verheirathete sich 1758
mit Sibylla Juliana de la M a g d a 1 e i n e , einer Tochter des
Professor L. L. de la Magdaleine in Stuttgart, aus welcher Ehe
5 Kinder stammten. Durch Unterrichtgeben an verschiedenen
Orten in lateinischer, hebräischer, griechischer und französischer
Sprache und durch Bücherschreiben erhielt er sich und seine
Familie nur schwer, war aber stets dankbar, und sein Sterbebett
var ein wahres Siegesbett. Er starb 1773.
Es erschien eine Reihe von Schriften aus seiner Feder.
In Tübingen 1753 „Der trostlose Jude in der letzten Todesstunde",
nebst einem Ermahnungsschreiben an Rabbi Koppel Fränkel in
Fürth. Hier spricht er seinem früheren Lehrer den herzlichsten
Dank aus und bezeugt auch, dass er sich gedrungen fühle, ihm
die schuldige Liebe öffentlich zu beweisen, worauf er ihn ehrer-
bietig bittet, die christliche Lehre noch einmal nach dem Alten
Testamente zu prüfen. Die Schrecken aber, welche der Tod
für die Juden habe, und die vergeblichen Trostgründe, mit denen
sie sich zu beruhigen suchten, sollten sie veranlassen, den wahren
Trost anzunehmen, welchen allein das Evangelium ihnen bieten
könne.
An seine früheren Glaubensgenossen richtete er aber auch
noch eine andere Schrift, die in demselben gewinnenden Tone
geschrieben ist und 1753 in Basel erschien, „Der bussfertige
Sünder". 1759 kam in Anspach heraus „Schriftmässige Vor-
stellung und freundschaftliche Ermahnung an sämmtliche Prose-
lyten der jetzigen Zeit", unter Zugrundelegung von Col. I, 12 — 14»
und Rührungen eines jüdischen Proselyten in den ersten Augen-
J. F. A. de Ie Roi, Missionsbeziehungen. 26
— 402
blicken seiner Bekehrung, Lindau 1759. Sodann veröffentlichte
er „Venünftiger Unterricht über die natürliche Religion und
deren vornehmste Streitigkeiten und über die christliche Religion",
eine Schrift, die bis 1766 bereits 3 Auflagen erlebt hatte. Schnelle
Bekehrung eines wider Jesum erbitterten Juden 1771. Welche
Sünde der heutigen Christenheit mag wohl die wahre und einige
Ursache der jetzt hereinbrechenden Gerichte Gottes sein. Frank-
furt und Leipzig 1772. Ein Charfreitagsconfekt, und endlich
Sammlung aller im gemeinen Leben nothwendigen französischen
Wörter und Redensarten, Onolzbach 1773.
Zur Stellung eines ordentlichen Professors der Philosophie
an der Universität Helmstädt gelangte Dr. Carl Anton.*) Der-
selbe ist 1722 in Mitau geboren und hiess als Jude Mosche Gerson
Kohen. Er stammte aus einem priesterlichen Geschlecht, das
viele berühmte Schriftsteller der Juden erzeugt hat, so dass es
unter denselben den Namen „der goldenen Kette" führte. Zu
seinen Vorfahren väterlicherseits gehörte z. B. Bartenora, der
bekannte Glossator der Mischna, zu denen seiner Mutter der
kabbalistische Rabbi Chaim Vital und Lipmann Hell er. Anton
studirte 7 Jahre in Prag unter Jonathan Eibeschütz, der her-
nach in Hamburg und Altona als Oberrabbiner wirkte. Später
ging er auf Reisen nach Constantinopel und wurde dort sehr
krank. In der Zeit seiner Krankheit war er um das Heil seiner
Seele sehr bekümmert und wurde noch unruhiger, als er während
derselben die Stelle im Daniel über die 70 Wochen las, welche
ihm alle jüdischen Erklärungen nicht zu deuten vermochten. Er
vermuthete damals schon, dass nur durch Christum die Lösung zu
finden sein werde, und war entschlossen, die christliche Lehre
jetzt sorgfältig zu prüfen. So kam er nach Wolfenbüttel, wo er
wieder von grosser körperlicher Schwachheit befallen wurde. Da
erwachte die alte Angst von Neuem in ihm, und er entschloss sich
daher jetzt in jener Stadt um den christlichen Unterricht zu bitten.
Der Herzog liess ihn durch P. Meyers unterrichten und 1748
wurde er von demselben getauft. Der Fürst wollte sein reiches
rabbinisches Wissen verwerthen und desshalb stellte er ihn als
Lektor der rabbinischen Literatur an der Universität Helmstädt
mit auskömmlichem Gehalte an.
*) Saat 1S71. Michaeli S. 214 ff. Kaikar 176.
— 403 —
Von Anton erschien: Kurzer Entwurf der Erklärung jüdischer
Gebräuche zum Gebrauche akademischer Vorlesungen entworfen,
3 Theile, Braunschweig 1752 — 1754, mit einem Anhange über
die jüdische Sittenlehre. Die Gebräuche der Juden stellt er im
Zusammenhange nach den Kategorien der Wolf'schen Philosophie
dar und vertheidigt dabei warm und eifrig die Juden gegen die
falschen Beschuldigungen , dass sie Christenblut gebrauchten,
Brunnen vergifteten u. s. w. Zeigt daneben diese Schrift auch
die Neigung, den Talmudismus in manchen Stücken mehr, als
es billig und recht ist, in Schutz zu nehmen, so räumt doch
Anton hier auch manche Schäden desselben, den Zwiespalt in
seinen sittlichen Anschauungen und eine trübe Mischung von
Gutem und Bösem in demselben ein. In seiner Kurzen Nachricht
von dem falschen Messias Sabbathai Zebi, Wolfenbüttel 1752,
nimmt er sich seines Lehrers Jonathan Eibeschütz gegen die ihn
bedrängenden und befehdenden Juden an; seine Vorliebe für
diesen der Kabbala ergebenen jüdischen Gelehrten geht aber
bereits über das rechte Maass hinaus. 1756 gab er als ordent-
licher Professor Abraham Jageis Gute Lehre und eine Einleitung
in die rabbinischen Rechte nebst einer Abhandlung über den
Judeneid heraus, Braunschweig. Diese Schrift sollte sich besonders
gegen das Eisenmenger'sche Werk richten. Schön bezeugt
er auch bei dieser Gelegenheit seine Liebe zu seinen Brüdern
nach dem Fleisch und erklärt, dass er täglich ihre Bekehrung
wünsche. Seine Verteidigung der Juden gegen Eisenmenger ist
eine recht ausführliche, aber hier zeigt sich noch mehr eine
bedenkliche Neigung, die Gerechtigkeit zu Gunsten der Juden zu
beugen und selbst das Unentschuldbare zu entschuldigen. Er
geht hier so weit, dass er sogar die thatsächlich überaus laxe
Auffassung des Eides unter den Juden seiner Zeit in möglichst
günstigem Lichte darzustellen bemüht ist.
Je älter Anton wird, desto weniger vermag man ihm in seinen
Schriften mit rechter und voller Zustimmung zu folgen, und eben
dies scheint auch für die Behauptung zu sprechen, dass Anton
später wieder Jude geworden sei. In den ferneren Nachrichten
von St. Schultz 11, 50 schreibt ein Geistlicher an diesen, dass
es ihm an mehreren Orten versichert worden sei, Anton sei zum
Judenthum zurückgekehrt, und Professor Dav. Fr. Meg erlin in
Frankfurt a. M. behauptet 1773 in seiner Schrift „Liebreiche An-
reizung der zerstreuten Judenschaft zur endlichen Annehmung
26*
— _]04 —
der Religion des einigen Mittlers Jesu" S. 16 das Gleiche. Für
Anton ist dasselbe verhängnissvoll geworden, was nicht wenigen
Proselyten unserer Gegenwart verderblich zu werden droht, dass
der Stammespatriotismus in ihnen über ihrem Christenthum steht.
Während aber für Anton die falsche Volksvorliebe zur
Klippe geworden ist, so bei einigen anderen Proselyten ein trauriger
Hass gegen ihre früheren Glaubensgenossen oder die ebenso
hässliche Sucht, sich durch Feindseligkeit gegen ihr Volk die
Gunst der Christen zu erwerben. Die Proselyten dieser Art haben
je und je viel dazu beigetragen, dass die Antipathie der Christen
gegen die Juden desto stärker wurde, und man den letzteren
alles mögliche Schändliche zutraute. Für sich selbst aber haben
jene Menschen keinen Gewinn davon gehabt, denn man lernte
sie bald als unzuverlässige Leute kennen, und viele Christen
hielten nunmehr am Liebsten alle Proselyten für Heuchler und
Betrüger.
Einen schlechten Namen durch solche Gehässigkeit gegen
die früheren Glaubensgenossen hat sich z. B. Paul Wilhelm Hirsch
gemacht.*) Derselbe unterrichtete in den orientalischen Sprachen
in Berlin und schrieb 171 7 ein Buch: „Entdeckung der Tekuphoth
oder des schädlichen Blutes, welches über die Juden viermal des
Jahres kommt, laut ihrer eigenen Kalender." Hirsch gab an,
dass die Juden zur Strafe für die Kreuzigung Christi nicht bloss
an Hämorrhoiden litten, sondern auch viermal des Jahres ihre
Gefässe mit Blut sich füllen sähen, welches alle Speisen verdürbe.
Mit derselben Anklage trat Michael Paul hervor, welcher zuerst
Katholik war und 1 726 in Wittenberg lutherisch wurde. Christian
Wilhelm Christlieb**) gab 1745 in Fürth einen kurzen Auszug
aus den Selichoth oder jüdischen Bussgebeten heraus, in welchem
er die Juden der Lästerung Christi und der Christenheit beschuldigt.
Auf die Bitte, welche die Judenschaft an die Halle'sche theologische
Facultät um ein Gutachten über diese Schrift richtete, lieferten
die Professoren Jakob Baumgarten und Christian Benedikt
Michaelis 1745 ein solches, und beiden stimmte die Altorfer
Fakultät bei. Eben dies<-"i Gutachten aber zeigen, wie sich besonders
unter dem Einflüsse des Pietismus und des Institutum Judaicum
•) Wolff B. II. 5 Xr. 1S10 b.
*•) Kaikar 168.
— 405 —
das Urtheil über die Juden allmählig gemildert hat, und wie
sehr man jetzt geneigt war, Gerechtigkeit gegen dieselben zu üben.
Die Schrift von Michaelis trägt den Titel: „Bedenken über
des Proselyten Christ. Wilh. Christlieb kurzen Auszug aus den
Selichoth oder jüdischen Bussgebeten, betreffend die Lästerung
Christi und des Christenthums auf Erfordern der Judenschaft
gestellt", die von Baumgarten „Theologisches Bedenken über die
gewissenhafte Duldung der Juden und ihres Gottesdienstes unter
den Christen und über den kurzen Auszug u. s. w." Die Hallenser
wie die Altorfer sprachen die Juden von der Beschuldigung, dass
in den betreffenden Gebeten eine Lästerung Christi und des
Christenthums enthalten sei, im Allgemeinen frei. Aber auch die
Leipziger theologische Facultät erkannte z. B. in einem Gutachten
vom Jahr 1714 die Grundlosigkeit der Beschuldigung, dass die
Juden Christenblut gebrauchten, ausdrücklich an. Die herzlichste
Theilnahme für die Juden sprach sich besonders in dem Gutachten
von Baumgarten aus. Zwar wolle er, so lautet sein Bekenntniss,
nicht leugnen, dass Lästerungen in den von Christlieb angezogenen
Stellen enthalten seien, aber die schlimmsten Stellen kämen in
den alten Gebetbüchern nicht vor, und für einen Proselyten
gezieme es sich am wenigsten, die Obrigkeit zum gewaltsamen
Einschreiten gegen seine früheren Glaubensgenossen aufzurufen.
Hartes Verfahren gegen die Juden sei überhaupt vom Uebel, und
auch die Obrigkeit müsse dasselbe vermeiden, während sie da-
gegen die Juden anders als die Christen werde halten müssen,
an denen sie freilich viel bessere Unterthanen habe.
Auch unter den Proselyten dieses Zeitraumes gab es einige
gewöhnliche Betrüger. So werden Fälle erwähnt, in denen Ge-
taufte noch einmal die Taufe begehrten, um das übliche Pathen-
geld wiederholt zu erlangen. Paulus Christianus Kirchner, der
eine Zeitlang am reformirten Gymnasium in Halle hebräischen
Unterricht ertheilte, und dessen jüdisches Ceremoniel Sebast. Jak.
Jugendres 1724 mit Bildern versehen herausgab, gehört zu jenen
unlauteren Menschen und soll zuletzt wieder Jude geworden sein.
Fr. Wilh. Christoph Taufenburg, der sich bei Christen durch
Schriften gegen die Juden einzuschmeicheln suchte, endete im
Gefängniss.
Erfahrungen solcher Art haben das preussische Edikt vom
Jahre 1744 veranlasst, welches für das Königreich bestimmte,
dass kein Jude mehr zum Unterricht in der christlichen Religion
— 406 —
angenommen werden solle, ehe man nicht Gewissheit über seinen
früheren Wandel erlangt habe.
Ein Abenteurer war Martin Caspar Brenk.*) Von Hause
aus Christ ging er die verschiedensten Wandelungen durch. Er war
zuerst Jurist, kam 1736 nach Anspach, genoss die Gunst des
Senatspräsidenten Frh. v. Seckendorf, arbeitete an einer Wider-
legung der Wertheimer Bibel, floh, weil er in Händel gerieth,
nach Norddeutschland und wurde dort Notar, dann Hofmeister,
ging 1 749 nach Amsterdam, wurde Jude, dann aber wieder Christ,
Legationssekretär in Kassel und wohnte zuletzt in Schobdach bei
Wassertrüdingen bei der Gattin des Dekans v. d. Lith. Er sollte
in Halle Professor, in Göttingen Lektor des Hebräischen, in
Anspach Sitteninspektor aut dem Gymnasium, in Sicilien Auditeur
werden und wollte die Wallachei colonisiren und dort ein König-
reich errichten.
Unstät ist aber auch das Leben so mancher Proselyten
dieses Zeitraumes. Weil sie keine gewisse Existenz fanden, zogen
sie mit ihrem Taafzeugnisse bettelnd von Ort zu Ort. Wohl
besass Hamburg in dem Vermächtniss von Edzard und Placcius
einige Mittel, um einer gewissen Anzahl der Bekehrten zu einer
neuen Existenz zu helfen; und auch sonst kommen Vermächtnisse
für Proselyten vor, wie das von Hermann Allendörfer zu Frank-
furt a. M. 1 703 , welches verordnete , dass die Zinsen eines
Kapitals von 300 Gulden stets zum Besten eines Proselyten ver-
wandt werden sollten. Aber auch nur entfernt hinreichende
Mittel, um dem Proselytenelend ein Ziel zu setzen, waren nicht
vorhanden. Um so mehr fordert es Beachtung, dass die Zahl
der Rückfälligen nur eine ganz kleine ist, während viele selbst
unter den in grösster Armuth dahinlebenden Proselyten oft rührende
Bekenntnisse von ihrem Glauben abgelegt und ihr Joch würdig
getragen haben. Das Christwerden brachte den Proselyten der
damaligen Zeit keine Vortheile, die zum Uebertritt wirklich
reizen konnten, sondern verschlimmerte sehr oft nur ihre bürger-
liche Lage und stürzte sie recht oft aus geordneten in die un-
sichersten Verhältnisse. Wenn also trotzdem ihre Zahl damals
eine verhältnissmässig ansehnliche war, so ist das ein deutlicher
Beweis dafür, dass es vielen von ihnen mit ihrem Christenthum
ein wirklicher Ernst war. In der That war es zu jener Zeit
.Saat. Weihnacht 1868. S. 172.
- 407 —
dem evangelischen Deutschland gegeben, in das Gewissen vieler
Juden mit der religiösen Frage einzudringen ; die Aufgabe dagegen,
die Gewonnenen christlich und bürgerlich zu erziehen und ihr
Leben in der rechten Weise neu zu gestalten, hat dasselbe nur
in sehr geringem Maasse gelöst.
Eine Thatsache will jedoch noch besonders hervorgehoben
sein, nämlich die, dass es das evangelische Deutschland gewesen
ist, welches von der Reformation an und in stets wachsendem
Maasse die Führerrolle in der Bewegung übernommen hat, welche
die Judenfrage in heilsamer Weise für Juden und Christen zu
lösen bestrebt war. Alle anderen Länder traten auf diesem
Gebiete hinter dem evangelischen Deutschland der früheren Zeit
entschieden zurück und dies zumal in der ersten Hälfte des 18.
Jahrhunderts. Nirgends ist auch ein innerer Fortschritt in diesem
Stücke so klar und deutlich zu erkennen als hier und nirgends
hat man die Tragweite dessen, um was es sich handele, so tief,
so nüchtern und wahr als auf deutsch-evangelischem Boden erkannt.
Die allmählige innere Erschütterung des rabbinischen Juden-
thums ist denn auch in besonderem Maasse durch die Einwirkungen,
die von dem evangelischen Deutschland auf dasselbe ausgingen,
geschehen. Und es war kein Zufall, sondern das einfache Er-
gebniss der geschichtlichen Entwickelung , dass im deutschen
Judenthum jene neue Zeit anbrach, welche die Auflösung und
geschichtliche Ueberwindung des rabbinischen Judenthums bedeutete.
Das neuere Judenthum und seinen Gang wird denn auch nur
derjenige verstehen, welcher die frühere evangelische Kirche und
zumal die Deutschlands in ihrem Verhältniss zu den Juden ver-
stehen eelernt hat.
4. Die Schweiz.
Die Schweiz blieb, obgleich sich Juden nur in der Graf-
schaft Baden im Aargau aufhalten durften, nicht unbetheiligt an
dem Missionswerke der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Die Taufe konnten dort freilich nur ausnahmsweise solche
Juden erlangen, denen zum Zweck der Ertheilung christlichen
Unterrichtes die Erlaubnis zum Aufenthalt im Lande gewährt
wurde. Die Zeit des Eifers für die taldmudischen und rabbini-
schen Studien war in der Hauptsache vorüber, und auch hier
— 408 —
wandte sich das Interesse, so weit es überhaupt erwachte, über-
wiegend den Personen der Juden selbst zu.
Unter den Gelehrten, welche noch das jüdisch -literarische
Feld bebauten, ist zunächst neben dem Urenkel Buxtorfs der
zweite Hottinger zu nennen. Joh. Jakob Hottinger aus Zürich
begab sich zur besseren Erlernung des Talmudischen und Rabbini-
schen nach Amsterdam, wo er mit gelehrten Rabbinen verkehrte,
ihre Synagogen besuchte und sich mit grossen Kosten einen
Rabbi hielt, um von demselben den Talmud zu lernen. Unter
dessen Leitung hat er denn auch den Traktat Chagiga der
Gemara lateinisch übersezt und ihn mit Erläuterungen aus den
Rabbinen begleitet. Er wurde dann 1705 Professor in Marburg,
wo er unter grossem Beifall über die Mischna und über jüdische
Alterthümer las, später reformirter Pfarrer in Frankenthal und
endlich Professor in Heidelberg. Von ihm stammt eine in
lateinischer Sprache zu Utrecht erschienene Fünfzahl biblisch-
chronologischer Untersuchungen, welche gegen die Juden und
besonders gegen Orobio den Beweis aus der Schrift erbringen
sollten, dass der Messias bereits erschienen sei, und ebenso in
lateinischer Sprache eine zu Zürich 1709 gedruckte Abhandlung:
Wahrheit der Auferstehung Christi zur Ueberzeugung der Juden
und zur Befestigung der Christen.
Joh. Jakob Huldrich oder Ulrich, Pfarrer am Waisen-
hause und Professor an der Schule in Zürich, der sich vielfach
mit dem Talmud beschäftigte, Hess 1705 in Leiden aus einem
nicht gedruckten Manuscript in lateinischer Uebersetzung und
mit Erklärungen ausgestattet die jüdische Lästerschrift Sepher
Tholedoth Jeschu erscheinen; aber der Christushass, welchen
dieselbe athmet, erstickte trotzdem in ihm nicht die Hoffnung
für die Juden, sondern jenes Buch wurde für ihn vielmehr zum
Anlass, desto ernster und eifriger ihre Rettung zu erflehen, und
mit festem Glauben hielt er an der Hoffnung der Bekehrung
Israels fest. Er blieb auch stets ein warmer Freund der Juden
und gab noch 1744 eine Schrift über die Verleumdung der Juden
durch die Heiden heraus.
Von Werenfels stammt eine lateinische Schrift: Klage
der von den Papisten geärgerten Juden, Basel 17 10. Alphons
Turretin in Genf dagegen vertheidigte die Wahrheit der christ-
lichen Religion gegen die Juden. Genf 171 7. Stücke des Abra-
vanelschen Commentars bearbeitete Eggers, Basel 17 19. Samuel
— ■ 4°9 —
Lucius bespricht in seiner 1729 zu Bern erschienenen Schrift mit
besonderer Lebhaftigkeit die Bekehrung des jüdischen Volkes
und das neue Leben, welches mit derselben in die absterbende
Christenheit eindringen werde. Benedict Pictet, Pastor und
Professor in Genf verfasste in französischer Sprache eine Prüfung
der verschiedenen Religionen, die B. W. Marperger deutsch
übersetzte, Dresden und Leipzig 1730. Das Buch ist unbedeutend,
desto besser seine lateinischen Dissertationen über die Vortreff-
lichkeit der christlichen Religion, Genf 17 19, in welchen er zeigt,
dass im Christenthume alles, was die jüdische Religion Gutes
habe, viel besser vorhanden sei. Joh. Fr. Stapfer zu Bern ging
im dritten Theile der Institutiones theol. polemicae universae, Zürich
1745 auch auf das Judenthum ausführlich ein und wies demselben
gegenüber die Wahrheit des Christenthums nach. Die Sammlung
auserlesener Schweizer Kanzelredner, welche sich über wichtige
Stücke aus der Lehre Jesu geäussert haben, gesammelt von Joh.
Georg Altmann, Zürich 1746, gedenkt auch derjenigen unter
den Schweizer Theologen, welche öffentlich eine zukünftige all-
gemeine Bekehrung der Juden gelehrt haben. Conrad Herli-
b erger in Zürich schrieb, durch den Uebertritt des hernach noch
zu nennenden J. Hirschlein dazu veranlasst, 1745 über denselben
Gegenstand und bekannte sich freudig zu der Hoffnung auf den
letzten friedsamen Ausgang der Geschichte Israels.
Ein anderer Schweizer Theolog, dessen Name aber nicht
zu ermitteln gelungen ist, übersetzte das Evangelium des Marcus ins
Hebräische. Callenbergs Berichte nennen auch eine hebräische
Uebersetzung des Evangelium Matthäi und Johannis, die ein
Professor in Lausanne, dessen Name nicht genannt wird, veran-
staltet habe. Die Callenberg'sche Mission fand viele Freunde
in der Schweiz und die Arbeiter derselben fanden desshalb dort
sehr freundliche Aufnahme. Professor Ruchat in Lausanne
übersetzte das Licht am Abend ins Französische
Von den Proselyten der Schweiz erwähnen wir Rudolph
Bernhard, der unter dem Titel Lekach Tob einen Brief 1705
an die Juden richtete, in welchem er sie zur Annahme des
Christenthums zu bewegen suchte. Derselbe versprach auch eine
jüdisch-deutsche Uebersetzung des Neuen Testamentes zu liefern,
die aber nicht zu Stande gekommen ist. Ebenso forderte der
Proselyt Samuel Felix Gunzen burger aus Prag, der 1740 in
Basel getauft wurde, seine früheren Glaubensgenossen auf, seinem
— 410 —
Beispiel zu folgen. Der Plan seiner Freunde war, ihn studiren
zu lassen, wir wissen aber nichts über seinen weiteren Lebensgang.
Ein innerlich tief gegründeter Christ wurde der in ganz
einfachen Verhältnissen lebende Jachiel Hirschlein von Buchau,
welcher 1746 in Zürich getauft wurde und als Christ Christian
Gottleb oder Gottlieb hiess. Seine Geschichte, die neuerdings
Dibre Emeth 1883 No. 9U. 10 gebracht hat, erschien zuerst in einer
eigenen Schrift des Proselyten „Bezeugung und Ermahnung", die
er, von Callenberg unterstützt, 1 747 zu Halle in jüdisch-deutscher
Sprache zum Drucke beförderte. Dieselbe wurde 1748 ins Hoch-
deutsche und bald darauf auch ins Holländische zu Rotterdam
übertragen. Bereits 1746 war nach seinen Aufzeichnungen sein
Lebensgang in einer Schwäbischen Schrift mitgetheilt worden,
Callenberg that dies noch ausführlicher in Stück 1 — 3 der fort-
währenden Bemühungen um das Heil des jüdischen Volkes über-
haupt, und in einer Beilage zum Briefwechsel des Institutum vom
11. Januar 1747. Oberkonsistorialrath Süssmilch in Berlin Hess
endlich 1754 Callenbergs Schrift mit einigen Veränderungen neu
ausgehen. Schon hieraus ersieht man, dass Hirschlein eine be-
sondere Theilnahme unter den Zeitgenossen gefunden hat.
Derselbe war 1706 im schwäbischen Buchau geboren. Von
früh auf zeigte er sich sehr ernst gerichtet. Als er Mann ge-
worden und verheirathet war, befiel ihn eine so grosse Angst
um seiner Sünden willen, dass seine Frau um ihn ordentlich be-
sorgt wurde. Die gewöhnlichen jüdischen Schriften genügten
ihm nicht mehr und er sah sich auf das Alte Testament ge-
wiesen. Von diesem fühlte er sich gefesselt, besonders von
Jesaia 53. Aber der leidende Messias bei Jesaia erweckte nun
in ihm auch Zweifel an der Richtigkeit der jüdischen Lehre.
Diese Zweifel kamen ihm damals jedoch als Gottlosigkeit vor,
und zu ihrer Besiegung entschloss er sich 1741 auf den Rath
von Freunden 3 Jahre zu reisen, um strenge Busse zu thun. Er
casteite sich während dieser Zeit oft und hart, enthielt sich Tage
lang aller Speise, schlief in keinem Bette, sondern legte sich auf
Holzscheite am Boden, badete sich während des Winters im
kalten Wasser und hoffte auf diese Weise von den zweifelnden
Gedanken loszukommen. Aber den verlorenen Frieden erlangte
er durch das alles nicht wieder. Seine Reisen führten ihn nach
Frankfurt a. M. Dort blieb er zwei Jahre und war wegen seines
strengen, exemplarischen Lebens bei den Juden sehr beliebt. Er
— 4H -
nahm hier arme Judenkinder bei sich auf, welche er verpflegte und
unterrichtete. Als er dann Frankfurt verliess, um für die armen
Waisenkinder zu sammeln, ging ihm bereits der Ruf seiner Heilig-
keit voraus, und so fand er in Franken, der Pfalz, Schwaben,
Elsass und der Schweiz die freundlichste Aufnahme. Ueberall
trat er als Bussprediger unter die Juden und viele derselben
wurden durch sein Zeugniss erschüttert. Eine Schrift desselben
über die Busse wurde denn auch in der ganzen Judenschaft jener
Gegenden gelesen. Zur Ruhe aber kennte er noch immer nicht
gelangen.
Auf einer Reise traf er dann in Wangen am Untersee in
einem jüdischen Hause Schriften des Institutum an , welche St.
Schultz dort gelassen hatte. Hirschlein wurde hierüber sehr er-
regt und verklagte besonders den Rabbi Benjamin, welcher sie
gelesen hatte, bei einem berühmten Rabbinen , der jenen auch
zur Verantwortung vor sich forderte. Aber ein Traum, welchen
Hirschlein gerade in dieser Zeit seines jüdischen Eiferns hatte,
ergriff ihn aufs Tiefste. Er erinnerte sich jetzt des „Licht am
Abend", welches er in Wangen gelesen, und das ihn damals
mit dem grössten Zorn erfüllt hatte. Der Inhalt dieser Schrift
trat jetzt in einem ganz anderen Lichte vor seine Seele; er fühlte,
dass er diesem Zeugnisse nicht widerstehen könne, und dass ihm
kein anderer Weg als der , sich zu Christo zu wenden , ge-
lassen sei.
Desshalb begab er sich jetzt zunächst zu einem katholischen
Pfarrer, wie er dies auch schon früher einmal gethan hatte. Dieser
bot ihm aber nicht, was ihn innerlich zu befriedigen vermochte. Da-
her wandte er sich nun an einen evangelischen Geistlichen in
Basel, von welchem er an einen anderen gewiesen wurde, der
ein grosser Freund der Callenberg'schen Anstalt war. Dieser nahm
ihn einige Zeit bei sich auf. Juden, die dort zu ihm kamen, um
ihn zur Rückkehr zu bewegen, richteten nichts mehr bei ihm aus,,
sondern er bezeugte ihnen vielmehr Jesum als den einigen Heiland
aller Menschen. Später wurde er an Archidiakonus Werdmüller
in Zürich gewiesen und von diesem getauft. Er nährte sich dann
von einem kleinen Handel und führte, wie Berichte aus jener Zeit
sagen, ein erbauliches Leben. Seine Frau und Kinder verliessen
ihn, und so heirathete er als Christ eine andere Frau.
Mit heisser Liebe gedachte er stets seiner jüdischen Brüder..
Ein junger Jude, den Augusti 1749 taufte, Joh. Lud. Emmanuel
4 1 2 —
Hartmann, und ein Rabbi Schittenhoven, als Christ Darn-
mann genannt, sind vor allem durch das Zeugniss Hirschleins
gewonnen worden. 1763 traf ihn Missionar Burgmann bei
einem Besuche in der Schweiz und fand in ihm einen treuen
Christen, und Joh. Caspar Ulrichs Sammlung jüdischer Geschichten
in der Schweiz, Basel 1768, spricht ebenso über ihn in anerken-
nendster Weise.
In verschiedenen Städten der Schweiz wird eine Proselyten-
Commission erwähnt, und die reformirte Kirche jenes Landes hat
mit dieser Einrichtung also bezeugt, dass sie auch an ihrem
Theile Handreichung zu dem Werke der Judenmission thun wolle.
5. Holland.
Die äussere Lage der Juden war hier eine gleich günstige
wie im vorigen Jahrhundert geblieben. Die von Sabbathai Zebi
ausgegangene Bewegung dauerte aber unter ihnen auch noch
jetzt fort und erregte viele Gemüther. Das Interesse der refor-
mirten Kirche des Landes wandte sich gleichfalls den Juden
weiter zu, wenn auch jene literarische Thätigkeit, welche im
vorigen Zeitraum zu ihrer Bekehrung entfaltet worden war, all-
mählig erlahmte. Mit Vorliebe suchte man jedoch noch unter
Benützung der talmudischen und rabbinischen Literatur den Juden
nahe zu kommen. Man bediente sich hierbei gewöhnlich der
lateinischen Sprache; doch wurde nun auch das Holländische in
wachsendem Maasse für die den Juden geltenden Schriften gewählt.
Justus Christophorus Dithmar aus Hessen richtete seine
Studien auf Maimonides, über den er auch schrieb, Leyden 1 707.
Desselben Rabbi Traktat über die rothe Kuh fand in Andreas
Christoph Zell er einen Bearbeiter; er behandelte diese Schrift
des jüdischen Gelehrten aber, um den Juden zu zeigen, dass die
rothe Kuh ein Typus des Opfers auf Golgatha sei. Alex. S ost-
mann verfasste eine lateinische Abhandlung, dass Jesus der
wahre Messias sei, und über die wahren Ursachen des Unglaubens
der Juden, Leyden 1710.
Joh. Meyer in Harderwyk liess eine lateinische Schrift über
das Geheimniss der Dreieinigkeit nach der heiligen Schrift, den
Rabbinen und besonders der Kabbala ausgehen. Letzere sollte
vor allem die christliche Lehre bestätigen und erklären. Daniel
le Roy, Prediger in Rotterdam, behandelte 1720 in holländischer
— 4*3 —
Schrift den jüdischen Festkalender. Als besonderer Kenner der
rabbinischen Literatur war Adrian Reland bekannt. Von ihm
stammen Analecta rabbinica, 2. Aufl. Utrecht 1723, die Anwei-
sungen über den Gebrauch und die Erklärung rabbinischer Com-
mentare enthalten. Derselbe empfiehlt die jüdischen Commentare
und den Talmud zur Auslegung des Alten und Neuen Testa-
mentes, räumt aber ein, dass diese jüdische Literatur auch viel
Thörichtes und Fabelhaftes enthalte. Relands Nachfolger war
Dav. Millius. Er gab Catalecta rabbinica, Utrecht 1728, heraus,
in welchen er von der rabbinischen Mundart handelte. Wie
Reland Hess auch Millius Stücke aus den besten jüdischen
Schriften erscheinen, um die Kenntniss derselben den Studirenden
zu erleichtern. Millius empfiehlt das rabbinische Studium den
Theologen warm. Allerdings enthalte die rabbinische Literatur
viel Verkehrtes und besonders über Christum und seine Apostel
viele Lügen, aber des Guten in denselben sei auch nicht wenig.
Für die Erklärung mancher dunklen Stelle der Schrift werde hier
das Mittel geboten, und die Fabeln im Talmud legten die Juden
selbst bildlich aus. Millius besass eine hervorragende Kenntniss
der talmudischen und rabbinischen Literatur, aber ähnlich wie
.sein Vorgänger Reland nicht ein genügend klares Auge für die
Schäden derselben.
La Mere Chretienne, 1723 Haag, weist nach, dass der
Messias die Hoffnung der Sünder von Anfang an war, und dass
sich sein Bild in einer langen Reihe von Personen des Alten
Testamentes vor Israel zunächst habe abspiegeln sollen.
In den 30er und 40er Jahren versiegt allmählig die den
Juden geltende Literatur Hollands, dieselbe war auch ihrer Auf-
gabe zu wenig gewachsen gewesen und unterscheidet sich un-
vortheilhaft von der des vorigen Jahrhunderts in Holland; es
herrschte in ihr zu viel trockene Gelehrsamkeit.
Doch tritt in einigen der Missionssinn lebendiger zu Tage.
Bernh. Picard beschrieb die Ceremonien und religiösen Gebräuche
der Völker aller Welt französich, Amsterdam 1723. In. seinem
Werke behandelte er auch die Juden und wandte sich hier sowohl
gegen ihre Verfolger als gegen ihre Rabbinen, welche sie nicht
zur Erkenntniss der Schrift kommen Hessen. Ueber die Verhältnisse
der Amsterdamer Juden gibt er genauere Auskunft.
In erfolgreiche Verbindung trat Hero Sibersma, Prediger
in Amsterdam, mit den Juden. Er erklärte das Evangelium Jo-
— 4M —
hannis aus Mose und den Propheten zum Dienst des alten und
neuen Israel. Die so betitelte Schrift erschien 171 7 in Amsterdam
holländisch und 1718 in Basel deutsch. Hero Sibersma Hess auch
1724 in Amsterdam Merkteekens van de Messias erscheinen.
Ueber die Merkmale des Messias wird in einem Gespräche zwischen
Rabbi Gamaliel und Nikodemus verhandelt. Durch diesen Geist-
lichen wurde der tüchtige Proselyt Fonseca für das Christenthum
gewonnen. Um des Eifers willen, mit dem er das Werk der
Bekehrung der Juden verfolgte, erschien ein Lobgedicht auf ihn,
das mit einem Gebet um die Bekehrung Israels endet.
Zu nennen ist sodann das Gespräch und der Briefwechsel
zwischen dem jüdischen Rabbi Soesmann und einem früheren
reformirten Prediger Joh. Wilhelm Kais und dem Proselyten
Jakob Fundam. Die zwei Unterredungen, welche 174 1 inAmsterdam
stattfanden, sind auch in demselben Jahre daselbst gedruckt worden,
der Briefwechsel enthält nicht weniger als 34 Briefe aus dem
folgenden Jahre; an diesen Briefen ist auch Fundam betheiligt.
Die zwei Unterredungen galten den 13 jüdischen Glaubensartikeln,
dem Talmud, dem jüdischen Buche Abkath Rochel und anderen
Schriften der Juden.
Viele einzelne Personen suchten religiöse Gespräche mit
Juden auf, wie die Halle'schen Missionare dies rühmend hervor-
heben. Sie nennen besonders eine unverheirathete Dame Ross-
kampf, welche die lateinische, griechische, hebräische und ara-
bische Sprache verstand und Personen beider Geschlechter, besonders
aber weibliche, im Hebräischen unterrichtete. So lebhaft war das
Interesse für die Juden in den ernsteren christlichen Kreisen Hollands.
Doch auch die allgemeine Kirche beschäftigte der Ge-
danke an ihre Pflicht gegen die Juden. Aus dem Jahre 1724
liegt ein Entwurf der Beschlüsse einer Synode, die Arbeit
an der Bekehrung der Juden betreffend, vor. Die Klasse von
Gouda hatte den Gegenstand in der allgemeinen Synode angeregt
und wurde dafür von derselben ausdrücklich gelobt. Beschlossen
wurden „öffentliche und sonderliche Gebete", welche die Gemeinden
erwecken sollten, für die Bekehrung der Juden zu wirken, und
die den Juden beweisen sollten, dass man um ihr Seligwerden
Sorge trage. Was ihre Bekehrung hindern könne, solle ver-
mieden, eben desshalb alles papistische Wesen von der reformirten
Kirche fern gehalten, der Entheiligung des göttlichen Namens
mit Ernst entgegengetreten, die Sonntagsfeier und Sonntagsruhe
— 41$ —
mit Strenge inne gehalten, unnütze Streitigkeiten in der Kirche
unterdrückt und dem prophetischen Worte grössere Aufmerksamkeit
geschenkt werden. Sodann aber sollten die Rabbinen und andere
Juden „mit freundlichem Benehmen" zu Konferenzen genöthigt
werden, in denen die Hauptpunkte des Glaubens mit ihnen
besprochen werden müssten. Den Predigern sei aufzugeben, sich
täglich in der hebräischen Sprache zu üben und die Gemeinden
wie die Jugend im Unterricht und in der Predigt mit der heiligen
Schrift genau bekannt zu machen, damit so die Christen geschickt
würden, selbst Hand an das Werk unter den Juden zu legen.
Die Professoren sollten die Studenten besser für das Zeugniss-
ablegen vor den Juden ausrüsten, und bei den Prüfungen der
Studenten solle besonders darauf geachtet werden, ob sie sich
die nöthigen Kenntnisse in diesem Fache angeeignet hätten. Der
Staat sei zu ersuchen, an der Universität besondere Lehrstühle
für die Unterweisung in den jüdischen Wissenschaften und ein
Kollegium zu erhalten, in welchem die Studenten mit jenen be-
sonders bekannt gemacht würden. Die Gesetzgebung aber solle
dafür Sorge tragen, dass die Bekehrten von ihren Verwandten
nicht beschädigt würden, und dass arme Proselyten ihren Unter-
halt fänden.
Wie viel von diesen Beschlüssen ins Leben getreten ist,
wissen wir nicht. Jedesfalls machte die Unsicherheit, welche sich
in Folge der messianischen Bewegung vieler Juden Hollands
bemächtigt hatte, nicht wenige zu näherem Verkehr mit den
Christen geneigt, der denn auch von manchen der letzteren mit
Eifer gepflegt wurde. Als St. Schultz 1749 in Amsterdam ver-
weilte, fand er dort und in Holland überhaupt nicht bloss eine
ziemliche Anzahl von Proselyten vor, sondern auch die Juden
der Hauptstadt unter sich selbst sehr gespalten. Hunderte der-
selben glaubten, dass der Messias bereits gekommen sei, und
waren innerlich mit dem jüdischen Glauben zerfallen, so dass sie
sich auch von der Synagoge fern hielten und von den übrigen
als Ketzer angesehen wurden. Die grösste Zahl derselben trat
zwar nicht zum Christenthum über, aber aus ihrer Mitte Hessen
sich doch nicht wenige taufen.
Unter den Proselyten dieser Zeit nennen wir zuerst die
beiden Brüder Fonseca,*) Isaak Dias und Aaron Dias. Die-
Callenberg Relation 7, 88 ff, Saat Johanni 1864 S. 24 ff. Kaikar 97.
— 4iö —
selben sind von portugiesischen Eltern geboren und bei den
gelehrtesten Rabbinen in den Unterricht gegangen. Bei fleissigem
Studium des Mosaischen Gesetzes und der Propheten erkannten
de, dass die Rabbinen die Festtage verändert hätten, und also
das mündliche Gesetz, welches diese Aenderungen getroffen habe,
nicht von Gott sein könne. Was sie selbst entdeckt hatten,
theilten sie anderen ihrer Freunde mit. Dies erregte dieselben
zuerst gegen jene beiden Brüder; denn es war ihnen fremd, dass
die Schrift gegen den Talmud aufgerufen wurde, und dass die
Lehre der Schrift eine höhere Bedeutung als die mündliche Lehre
der Juden haben sollte, zumal sie gelernt hatten, dass die Worte
der Schriftgelehrten über die des Gesetzes gingen. Allmählig
aber fanden sie Eingang bei einigen der Ihrigen.
Es kam dahin, dass sich noch zehn andere mit ihnen zu-
sammenthaten, die nun gemeinsam Fragen an die Rabbinen auf-
setzten, um deren Beantwortung sie baten. Die Antwort blieb
man ihnen jedoch schuldig. Die Folge war, dass sich etwa drei-
hundert andere den beiden Brüdern anschlössen, die nun drei
Jahre lang miteinander ihre Untersuchungen und Forschungen
fortsetzten. Auf eine Anzeige beim Oberrabbi aber wurden die
Brüder vor denselben geladen und ihnen hier Abweichungen vom
Judenthum in 4 Punkten vorgeworfen, die besonders ihre Ver-
werfung des mündlichen Gesetzes betrafen; und sie wurden dann
um desswillen als widerspenstige und gottlose Ketzer verurtheilt.
Eine Beschwerde beim Vorstande half ihnen nichts, und es wurde
ihnen zunächst der Besuch der Synagoge verboten. Tags darauf,
den 26. Februar 171 2, befahl ihnen ihr Vater aus seinem Hause
7,u ziehen, zwei Tage später wurden sie in den Bann gethan und
jeder von ihnen „als viermal verflucht und verdammt ausgerufen",
so dass ausser ihrem Vater und ihren Schwestern Niemand mit
ihnen reden durfte. Den Christen aber verdächtigte man sie als
Atheisten , um sie auf solche Weise auch von diesen fern
zu halten.
Nachdem die Dinge so weit gekommen waren, baten sie
den durch seine Liebe zu den Juden bekannten Prediger Hero
Sibersma, sie zu prüfen. Dieser that es und erklärte sie für
aufrichtige Anhänger des Alten Testamentes. Er forderte sie
nun zu weiterem Verkehre mit sich auf und gab ihnen auch zu
ihrer weiteren Belehrung Schriften, insbesondere die von ihm
selbst geschriebenen. Auf diese Weise gelangten sie allmählig
— 41/ —
zu der Erkenntniss, dass Jesus der wahre Messias sei. Sie er-
baten nun die Taufe. Man Hess sie deshalb zunächst vor dem
Kirchenrath und dann auch vor den weltlichen Abgeordneten
Rechenschaft von ihrem Glauben ablegen. Als dies zu aller Zu-
friedenheit geschehen war, wurden sie am 25. August getauft.
Die Taufrede Sibersmas erschien im Druck unter dem Titel
„Het oude Geloof." Angeschlossen ist derselben das Bekenntniss
der Proselyten „De opgaande Morgenstond van Israels Bekeeringe."
Hier werden die Lehren vom Sabbath, der Beschneidung, dem
Osterfest und der Dreieinigkeit, die in der Geschichte der beiden
Brüder ihre besondere Bedeutung gehabt hatten, abgehandelt.
Sehr nachdrücklich ist ihr Zeugniss gegen das mündliche
Gesetz, und ernstlich dringen sie in die Juden, nicht länger an
Menschengeboten zu halten, sondern aufrichtige Schriftgläubige
zu werden. Dieses Bekenntniss hat denn auch nicht verfehlt,
manchem Juden ins Gewissen zu reden, und hat etliche derselben
zu Christo geführt, von denen einer hernach Geistlicher wurde.
Aaron Fonseca ist nach seinem Uebertritt Lehrer an
der portugiesischen Gemeinde in Batavia und Isaak Rathsherr
im ostindischen Negapatnam geworden. Einer der älteren Halle'-
schen Heidenmissionare in Ostindien Walther lernte Isaak 1733
kennen und wurde ebenso sehr durch die Freudigkeit seines Be-
kenntnisses zu Christo als durch seine herzliche Sorge um die
Bekehrung seiner früheren Glaubensgenossen aufs Angenehmste
berührt.
Der vorher erwähnte Geistliche, welcher erst durch die
Schrift Fonseca's für das Christenthum gewonnen wurde, ist wahr-
scheinlich Vieri a. Manitius erwähnt (Relation 11, 101) den-
selben während seines Aufenthaltes in Holland. IJ34 habe
er ihn in Leyden gesprochen, jetzt aber, 1739, sei er
nach Surinam als evangelischer Prediger gegangen. Ein an-
derer Prediger aus jüdischem Geschlecht wird uns in diesen
Jahren in Holland nicht genannt, und da auch die Zeitbestim-
mung passt, so wird gewiss Vieria der hier genannte sein. Leider
ist es nicht möglich gewesen, über diesen Mann Näheres zu
erfahren.
Als Verwandte desselben werden an der nämlichen Steile
von Manitius 2 Brüder Fun dam genannt, welche gleichfalls das
Christenthum angenommen haben. Jakob Fundam wird auch in
Wolfs B. H. 4 N. 1095 b erwähnt. Derselbe schrieb in hollän-
J. F. A. de le Roi, Missionsbeziehungen. 27
— 418 —
discher Sprache eine Schrift „Vorst Messias opgespoort uit de
Rolle der Propheten". Gezeigt wird in derselben, wie die christ-
liche Kirche den Messias in den Schriften der Propheten gefunden
und erkannt habe, während die Juden über denselben lauter
Irrthümliches lehrten. Wie auch sonst Fundam bemüht war, die
Seinigen zum rechten Glauben zu führen, ist bereits vorher (S. 414)
erwähnt worden.
Hero Sibersma führt in seiner früher genannten Taufpredigt
auch einen Proselyten Daniel le Cor e seh*) an und nennt ihn
einen unterrichteten, in verschiedenen Sprachen und besonders
im Hebräischen sehr erfahrenen Mann. 1727 Hess derselbe zu
Amsterdam eine Schrift in lateinischer Sprache : „Quinque aperti
flores collecti ex horto malogranatorum et in fascicula digesti"
erscheinen. In diesen 5 geöffneten und zu einem Strausse zu-
sammengebundenen Blüthen aus dem Granatapfelgarten erwähnt
er , dass er bereits 1 5 Jahre als Christ in Amsterdam lebe. Er
behandelt in seiner Schrift 5 Stellen des Alten Testamentes
in kabbalistischer Weise, aber seine Schreibweise ist eine sehr
wenig klare.
Ein bald Paul, bald Joh. Christoph Gottfried**) genannter
Proselyt verfasste in holländischer Sprache (Amsterdam 1724)
eine Schrift über den ursprünglichen Glauben an den Messias,
in welcher er aus Sohar Bereschit die Gottheit Christi beweisen
wollte. In längerer Vorrede führt er aus, dass die Juden nur
durch den Messias von dem auf ihnen ruhenden Fluche erlöst
werden können. Den Professor Meyer in Harderwyk hatte er
vergeblich um ein Zeugniss für sich in der Vorrede gebeten; er
wird also wohl jenem Gelehrten nicht als eine recht zuverlässige
Persönlichkeit erschienen sein.
Auch in Holland haben sich in der ersten Hälfte des 18.
Jahrhunderts die Judentaufen gemehrt. Die Abnahme einer ge-
lehrten Literatur auf dem Missionsfelde hat dem Missionswerke
selbst nicht geschadet. In wie weit an demselben in Holland
auch die Mission Callenbergs und der Brüdergemeinde betheiligt
war, ist an den betreffenden Stellen bereits erwähnt worden.
*) Wolf B. II. 4 N. 807 c.
**) Wolf H. B. 3 N. 1808 und 4823 c.
— 419 —
6. Grossbritannien.
Nur allmählich wuchs die Zahl der Juden im britischen
Inselreiche. Man schätzt die jüdische Bevölkerung daselbst während
unseres Zeitraumes auf nicht mehr als 8000 Seelen. Doch gab
es unter denselben einige sehr reiche Familien, die mit ihrer
Umgebung in lebhaften Verkehr traten. Eine Parlamentsakte vom
Jahre 1723 erklärte sie für britische Unterthanen, und zwar sollten
sie als solche anerkannt werden, auch wenn sie nicht den Eid
auf den wahren Glauben eines Christen schwörten. Eine Akte
vom Jahre 1 740 verlieh dasselbe Recht den in britischen Kolonien
Geborenen und denjenigen Juden, welche als Seeleute während
des Krieges 2 Jahre hindurch auf britischen Schiffen gedient hätten.
Eine Parlamentsakte vom Jahre 171 5 dagegen setzte fest, dass
jüdische Eltern ihren zum Christenthum übertretenden Kindern
ein bestimmtes Pflichttheil von ihrem Erbe nicht entziehen dürften.
Der Methodismus hatte in England viele Gemüther mit der
Sorge um die Seligkeit ihrer Mitmenschen erfüllt und hat zur
Erweckung des Missionssinnes in jenem Lande viel beigetragen.
So war es denn auch ganz natürlich,, dass die Juden für viele
fromme Christen daselbst ein Gegenstand christlicher Sorge wurden.
Ueberdem sahen sie sich durch die fleissig von ihnen gelesene
Bibel stets von Neuem auf die Juden hingewiesen. In gesunder
wie in ungesunder Weise hatte dies auch während der ersten
Hälfte des 18. Jahrhunderts wieder seine Folgen. Indem man
mit besonderer Vorliebe das alte Testament las, in welchem die
Juden überall als Nation erscheinen, und in dem ihnen durch die
Propheten grosse nationale Verheissungen gegeben werden, übte
das ganz von selbst seinen Einfluss auf die bibelgläubigen Leser
aus. Man lernte die Bedeutung Israels als einer besonderen
Nation im Reiche Gottes erkennen und lieben, und in diesem
Punkte übertrafen die gläubigen englischen Kreise die anderer
Völker. Aber man verstand es dort im Allgemeinen zu wenig,
eine neutestamentliche Erfüllung alttestamentlicher Verheissungen
auch im neutestamentlichen Sinne zu erfassen und so der geschicht-
lichen Entwickelung im Reiche Gottes gerecht zu werden. Die
englische Bibelauffassung sank zu leicht auf die alttestamentliche
Vorstufe zurück und es gelang ihr oft durchaus nicht genügend,
die Hüllen und Schranken des Alten Testamentes zu durchbrechen.
Man fiel nicht selten in der Erfüllung auf das Alte und Abgethane
27*
— 420 —
zurück und glaubte, der Inspiration erst dann wahrhaft gerecht
zu werden, wenn man sich wieder in das Schattenhafte und
Elementare der alttestamentlichen Oekonomie hineinzwängte.
Das Zukunftsbild des Reiches Gottes erhielt so hier vielfach einen
alttestamentlich jüdischen Anstrich, der sich wenig von den
talmudischen und rabbinischen Erwartungen unterschied.
Schlimmer noch war es, dass man die so gedachte Zukunft
Israels auf die Gegenwart der Juden übertrug und diese daher
in einer Weise idealisirte, welche mit dem armen Sünderevangelium
in immer grelleren Widerspruch trat. Unbesehens verwandelten
sich die unter der furchtbaren Schuld und dem ernsten Gericht
der Verstockung dahingehenden Juden in das Israel, welches seine
letzte höchste Stufe im Reiche Gottes zu erreichen auf dem besten
Wege ist. Nicht wenige betrachteten die Juden, als wären sie
die lebendigen Bekenner des Glaubens der Propheten, denen es
nur fehle, dass sie auch noch die letzte Erkenntniss, die
der bereits erfolgten Ankunft des Messias, gewännen. Dass die-
selben gerade den Glauben des Alten Testamentes verlassen
hatten, und auf die Wege nationaler Selbstgerechtigkcit und
Selbstvergötterung abgeirrt waren, dass sie aus diesem Grunde
hartnäckiger als alle anderen Völker Gott und seinem Worte den
Gehorsam versagten, kam recht vielen britischen Freunden der
Juden gar nicht zum Bewusstsein. Sie sahen viel mehr ein Israel
vor ihren Augen, welches das letzte Ende und Ziel seines Weges
bald erreicht habe, als die Juden, welche vor allem noch den
ersten Schritt auf der Bahn des Heils, den Schritt der Busse
thun sollten.
Jene Verherrlichung der Juden, welche sich später in Gross-
britannien so schmerzlich breit gemacht hat, und welche heute in
nicht seltenen Fällen bis an den Verrath der christlichen Sache
streift, fing schon damals an, sich so mancher Gemüther zu be-
mächtigen. Aber allerdings nur in angeregteren gläubigen Kreisen
fand eine derartige Verirrung statt. Im eigentlichen britischen
Volke stand es anders. Hier hatte man entweder ein gesunderes
christliches Urtheil, oder es herrschte hier sogar noch gerades-
wegs eine judenfeindliche Stimmung. Eine in ihrer Art fleischliche
Vorliebe für die Juden hat die, welche das Ungesunde und Un-
christliche derselben erkannten, desto mehr darin bestärkt, alle
ihre Sympathie den Juden zu entziehen und ihre Christenpflicht
denselben gegenüber zu vergessen.
— J2I —
Jener Richtung der früheren Zeit, welche sich den Juden
vor allem in literarischem Interesse zuwandte, ist besonders noch
Robert Clavering ergeben, der 1705 in Oxford Traktate des
Maimonides herausgab, lateinisch übersetzte und erläuterte.
J. Crullius bearbeitete die jüdische Geschichte vom Anfange bis
zur Gegenwart, London 1708, und berücksichtigte hierbei auch
die rabbinische Literatur. Wilhelm Wotton lenkte sein Studium
besonders auf beide Talmude; verschiedene Schriften von Saadja
Gaon bearbeitete zur selben Zeit Jo. Gagner in Oxford.
Aus rationalistischen Beweggründen trat Joh. Toland für
die Juden wiederholt ein, so in seinen Reasons for naturalizing
the Jews, London 1714. Er fordert hier volle bürgerliche Gleich-
stellung für dieselben, um damit seinen glaubensfeindlichen An-
sichten auf praktische Weise zum Siege zu verhelfen. 1 7 1 8 liess
er zu dem gleichen Zwecke seine Schrift Nazarenus oder Jewish,
Gentile and Mahometan Christianity erscheinen; alle Religionen
sind nach seinen Ausführungen einander gleich. Die englischen
Deisten studirten, wie Bischof Kid der bezeugt, eifrig die jüdischen
Schriften gegen das Christenthum und holten sich dort die Waffen
gegen dasselbe. Die Juden aber verbreiteten dann nicht minder
angelegentlich die deistischen Bücher, besonders die von Wool-
ston, Collin und Morgan.
Ein merkwürdiges Buch ist die englische Uebersetzung von
Theilen des Eisenmenger'schen Werkes: The Traditions of the
Jews von John Peter Stehelin, London 1732 und 1743. Die
Einleitung des Verfassers enthält eine fast ungemessene Recht-
fertigung des rabbinischen Schriftthums, während die hernach aus
Eisenmenger entnommenen Proben dieser Literatur erwarten
Hessen, dass über dieselbe das allerschärfste Urtheil gefällt
werden würde.
Aus dem Janre 1 7 1 7 liegt vor : The Farmers Advice to the
unbelieving Jews von John Grind ley, eine Bekehrungsschrift,
die sich im Style eines pietistischen Erbauungsbuches an die
Juden richtet. Eine Dame, die Frau des Rev. Newcom zu
London liess „An Evidence of the evidence of Christian religion"
in jener Stadt erscheinen. 1732 erlebte diese Schrift eine neue
Auflage, die in Cap. 1 1 den Juden den Nachweis führt, dass sie
die Göttlichkeit des Alten Testamentes nicht zu behaupten ver-
möchten, wenn sie Jesum Christum nicht als ihren Messias an-
erkennten.
— 422
Von Robert Miliar erschien in London 1730 eine Geschichte
der Kirche im Alten Bunde. Es schliefst sich daran eine
Geschichte der heidnischen Völker vor Christo und der Zustände
der Juden seit der babylonischen Gefangenschaft bis zur Gegen-
wart. Als Anhang folgt: A Discourse to promote the conversion
of the Jews to Christianity, R. Miliar beklagt, dass die
für die Bekehrung der Juden vorhandene Literatur ihrem Zwecke
nicht genügend entspreche. Die Geschichte selbst widerlege die
Juden am meisten, die Schrift verheisse ihnen jedoch noch eine
Enderlösung aus ihrem kläglichen Zustande. In der Gegenwart
müsse man ernstlich an ihrer Bekehrung arbeiten. Auf ihre Ein-
würfe sei sorgfältig einzugehen, vor allem aber für sie zu beten
und die Jugend mit ihrer Literatur bekannt zu machen. Eine
unbeschränkte Freiheit der Juden sei nicht rathsam. Mit einer
herzlichen Anrede an die Juden und mit der Bitte, Jesum zu
ergreifen, da sie ohne denselben keine Versöhnung für ihre Sünden
fänden, schliesst das Werk. Eine eigentliche Geschichte der
Juden in England lieferte in dieser Zeit D. Blossiers Tovey
zu Oxford, 1738 unter dem Titel „Anglia Judaica".
W. Warburton, damals Hofprediger des Prinzen von
Wales, verfasste ein Werk: The divine legislation of Mose 1738
und 1741, das von Joh. Christ. Schmidt, Consistorialrath in
Baireuth, 1752 ins Deutsche übersetzt wurde. Der zweite Theil
enthält eine Widmung an die Juden, in welcher er denselben er-
klärt, dass aus der Giltigkeit der Religion des Moses auch die
der Religion Jesu folge. Die Juden hätten aber stets geglaubt,
dass die Religion des Moses hinreiche, den geistlichen Mängeln
des Menschen abzuhelfen und die menschliche Natur zum Genüsse
des höchsten Gutes zuzubereiten, sie hierzu tüchtig zu machen
und ihr den Besitz desselben zu verschaffen. Ebenso hätten sie
angenommen, dass die Anwendung der Weissagungen auf Jesum
Christum falsch sei, und dieselben in ganz anderer Weise aus-
gelegt. Ihren Irrthum in beiden Beziehungen nun weist er ihnen
eingehend nach. Hierauf aber geht er dazu über, ihnen zu zeigen,
dass ihre ganze alttestamentliche Vorgeschichte nur durch die
Erlösung Jesu Christi verständlich sei. Jene habe den Zweck
gehabt, für die Erziehung der ganzen Menschheit zu dienen, und
gerade das sei ihr Werth. Das sollten nun aber auch die Juden
zu Herzen nehmen und damit sich selber den Segen gönnen,
— 423 —
•welchen ihnen das Neue Testament noch für ihre Bekehrung
vorbehalte.
Ein anderer Hofkaplan des Prinzen von Wales, Arthur
Bedford, hielt nach einer von Frau Moyer errichteten Stiftung
aus den Zeugnissen der ältesten Juden und besonders aus den
Targumim acht Predigten zur Vertheidigung der Dreieinigkeit
und der Menschwerdung des Sohnes Gottes in der St. Pauls-
Kirche zu London, die 1741 erschienen.
Für die endliche Bekehrung der Juden legte ein Arzt, Paul
Lewis, London 1744 in „A final call to the Jews" ein Zeugniss
ab. Dasselbe Thema behandelt, aber in wahrhaft abschreckender
Weise, die Schrift: „A Treatise of the future restoration of the
Jews and Israelites to their own land, addressed to the Jews"
1747 London. Der ungenannte Verfasser hat nichts als honig-
süsse Worte für die Juden, die er direkt anredet, und zu denen
er nur von der Herrlichkeit spricht, welche ihnen demnächst als
Erfüllung der Verheissungen werde zu Theil werden. Die Juden-
verherrlichung hat hier einen Grad erreicht, wie nur in wenigen
nicht jüdischen Schriften.
Ins Deutsche übersetzte F. E. Rambach 1751 Bischof
Chandlers Vertheidigung der christlichen Religion aus den
Weissagungen der Propheten. Unter Benützung der rabbinischen
Literatur weist Chandlers nach , dass sich nur die christliche
Auslegung der Propheten als die richtige empfehle, und dass
eine endliche Bekehrung der Juden zu erwarten stehe. Zu dieser
Hoffnung bekennt sich ebenso der Dissenterprediger Nath.
L ardner, dessen Ausführungen um so bemerkenswerther sind,
als sie vielfach bereits den Einfluss des damaligen Deismus ver-
rathen. Joh. Gebhard P f e i 1 übersetzte Lardners Schrift ins Deutsche,
Magdeburg 1754.
Unter den Proselyten, welche dieser Zeitraum in Gross-
britannien aufweist, ist Philipp Levy zu nennen.*) Derselbe gab
in englischer Sprache eine hebräische Grammatik für Anfänger
heraus. Oxford 1705. Am Schlüsse derselben wird auch von
den Elementen des Chaldäischen , soweit dasselbe für das Alte
Testament in Betracht kommt, gehandelt. Erwähnung verdient
sonst Jonas Ben. Jakob Xeres**) aus Nordafrika, der durch
*) Wolf B. H. 1, 5 N. 183t ".
f*) Wolf B. H. 1, 4 N. 823.
— 424 —
d'Allix für das Christenthum gewonnen wurde. Xeres hatte
eine vortreffliche Erziehung genossen und war im Hebräischen,
Chaldäischen und Arabischen wohl erfahren. In seiner Heimath
kam er mit englischen Kaufleuten vielfach in Verkehr und hatte
mit denselben häufig Unterredungen über religiöse Dinge. Das
führte ihn zu der Frage, ob nicht der Messias bereits gekommen
sei. Aber er konnte längere Zeit über dieselbe nicht zur Klar-
heit kommen, weil ihn das römische Christenthum , welches ihm
auf seinen Handelsreisen in Spanien und Portugal entgegentrat,
abstiess. Das ganze Wesen der englischen Kaufieute dagegen
hatte ihn wohlthuend berührt, und so beschloss er nach England
zu gehen. 1707 kam er nach London und wurde dort mit
d'Allix bekannt, der ihn unterrichtete und 1709 taufte. Nach
seiner Taufe richtete John Xeres eine Ansprache an die Juden
„Address to the Jews containing his reasons for leaving the Jewish
and embracing Christian religion." London 17 ig. Er redet hier
seine früheren Glaubensgenossen in sehr gewinnender Sprache
an. Sie hätten ihm alle Liebe bewiesen, daher fühle er auch nur
Dankbarkeit gegen sie und wünsche darum desto mehr, dass auch
sie das Heil in Christo an sich selbst erlebten. Er legt dann den
Seinen alles vor, was ihm Zweifel am Judenthum bereitet und
was ihm zum Anstoss an der christlichen Religion gedient habe.
Ueber das alles habe ihm d'Allix den rechten Aufschluss gegeben.
Jetzt kenne er den Ungrund des talmudischen Judenthums, und
aus dem Alten Testamente beweist er dies nun auch den Seinen.
Man habe ihm das Neue Testament gegeben und dasselbe habe
er mit den jüdischen Büchern verglichen. Da habe er gefunden,
dass die Bücher des Neuen Testamentes in einem ganz anderen
Zusammenhange mit dem Alten Testamente stünden als die
talmudischen und rabbinischen Schriften. Aber selbst „das Alte
Testament war nur das Gerüst ; seit nun das Haus fertig dasteht,
ist das Gerüst hinweggenommen worden."
Darauf bespricht Xeres die Messiaslehre, den Unterschied
Jesu Christi von allen falschen Messiasen und zeigt, wie sich die
ganze Geschichte Israels und die ganze Prophetie auf Christum
hingestreckt hätten. Das schwerste Bedenken gegen das Christen-
thum sei ihm die Lehre von der Dreieinigkeit gewesen ; in desto
schönerer Weise aber thut er jetzt den Juden dar, wie sich ihm
auch dieses Bedenken nach der Schrift gelöst habe. Manche
Verheissungen derselben endlich stünden allerdings noch aus,
- 425 —
aber dies allein darum, weil sie vom Glauben abhängig seien,
und zum Glauben ruft er daher jetzt desto angelegentlicher die
Seinigen.
Die Halle'schen Missionare haben später Xeres wiederholt
in England besucht und ihm stets das Lob eines frommen und
treuen Christen ertheilt.
Ein Proselyt Abraham Bar Jakob veranstaltete eine Ueber-
setzung der englischen Liturgie ins Hebräische, welche die Biblio-
thek des Erzbischofs Marsh im Manuscript enthielt, während
sich eine andere, aber gleichfalls nur im Manuscript vorhanden,
von einem anderen Verfasser in der Bibliothek des Trinity
Colleg zu Dublin befand. Die Abraham'sche Uebersetzung
wird als nicht frei von Fehlern bezeichnet, immerhin aber als
ein Zeugniss von der Gelehrsamkeit ihres Verfassers anerkannt.
Moses Marcus,*) in London 1701 geboren, war der Sohn
reicher jüdischer Eltern, die ihn zur Vollendung seiner Erziehung
nach Hamburg sandten. Hier machte er die Bekanntschaft mehrerer
evangelischer Prediger, mit denen er sich viel über Glaubenssachen
unterhielt. Das Neue Testament wurde das Mittel, ihn völlig
zu überzeugen. 1721 war indess sein Vater mit unermesslichem
Reichthum aus Indien nach England zurückgekehrt und forderte
jetzt den Sohn auf, zu ihm nach London zu kommen. Dort nun
theilte derselbe seinem Vater die Veränderung, welche indess
seine religiösen Ueberzeugungen erfahren hatten, mit; letzterer
erschrack darüber und wollte ihn gänzlich enterben, ja er drohte
ihn umzubringen, wenn er sich taufen Hesse, und warf thatsäch-
lich auch einmal nach ihm mit einem grossen Messer. Dem
Sohne war jedoch das Evangelium zu tief ins Herz gedrungen,
und 1723 empfing er die Taufe. 1724 setzte er in einer zu
London erschienenen Schrift „Principal motives to leave the
Jewish faith" auseinander, welche Gründe ihn zum Verlassen des
Judenthums bestimmt hätten, obwohl er dadurch in sehr be-
drängte Lage gerieth. Er war aber innerlichst von der neu er-
langten Erkenntniss erfüllt und suchte für dieselbe nun auch
andere Juden zu gewinnen. In jener eben genannten Schrift be-
wies er den Juden die Messianität Jesu und mehrere Lehren der
christlichen Kirche aus dem Alten Testamente, während er gleich-
zeitig das Verkehrte vieler talmudischen Lehren darthat, und be-
f) Wolf B. H. 4 N. i6o6d. Rhem.-Westphäl. Misslonsblatt 1846 N. 5.
— 426 —
sonders darauf hinwies, dass die Juden in Folge ihrer Verwerfung
Jesu so vielen betrügerischen Messiasen verfallen seien. Ebenso
aber war Marcus über die Angriffe, welche das Alte Testament
in freidenkerischen Kreisen Englands zu erfahren begann, äusserst
entrüstet. Zur Bekämpfung von Will. Whiston übersetzte er
Theil 2 der Critica sacra des D. Jo. Gottlob Carpzov ins Eng-
lische, die Uebersetzung gleichzeitig mit Bemerkungen für seine
Leser begleitend. London 1729.
Callenbergs Berichte (1492) nennen sodann einen Proselyten
Abraham Juda, der als Professor in Dublin wirkte und dort
auch auf andere Juden Einfluss ausübte, wie er denn einen
Christoph Salomo, der aus Polen stammte, zum Christenthum
geführt hat. Lehrer der orientalischen, italienischen, spanischen
und portugiesischen Sprachen in London war David Abo ab,
der 1750 daselbst: Short, piain and well grounded introduction
to Christianity with the fundamental maxims of a true Christian,
published at first at Venice in Arabic and Italian, in lateinischer
Uebersetzung herausgab. Der eigentliche Verfasser des Buches
war ein Jesuit, welcher unter den Muhammedanern als Missionar
gewirkt und hierbei erkannt hatte , dass zur Bekehrung der
Muhammedaner eine bessere Religion als die römisch-katholische
nothwendig sei, dadurch zum Protestantismus geführt wurde und
nun zur Unterweisung von Muhammedanern und Juden im
Christenthum das genannte Buch verfasste. Die Beweise in dem-
selben sind allein dem Alten Testamente entnommen und lassen
es deutlich erkennen, dass jener frühere Jesuit zu einem inner-
lichen Christenthum hindurchgedrungen war. Der Uebersetzer
Aboab hat eine ziemliche Meinung von sich selbst, und seine
Uebertragungen alttestamentlicher Stellen, die er hinzufügt, sind
zum Theil wunderlicher Art. Dass er aber eine Schrift, die sehr
ernst auf wahre Busse, wahren Glauben und wahre Heiligung
dringt, herausgab, war ein Verdienst desselben. Im Anfange des
Buches theilt er ein Gedicht über die Bekehrung des Apostel
Paulus mit, welches Rev. Sam. Say zur Warnung der Juden ge-
dichtet hatte.
Eine edle Proselytin war die Frau des englischen Consuls
Usgate in St. Jean d'Acre (Ptolemais), welche St. Schultz und den
erkrankten Woltersdorf Monate lang überaus freundlich in ihrem
Hause beherbergte. Dieselbe ist auf dem Berge Karmel getauft wor-
den und hatte zum Dank dafür das Gelübde gethan, alle Jahre, wenn
— 427 —
es möglich wäre, einmal ihre Taufstätte zu besuchen. Von dem
Heile, welches sie selbst erfahren, legte sie auch vor anderen Juden
Zeugniss ab, und es gelang ihr z. B. in jener asiatischen Stadt einen
früheren Glaubensgenossen für das Christenthum zu gewinnen.
Dafür erntete sie freilich den bitteren Hass der anderen dortigen
Juden, welche selbst die muhammedanische Bevölkerung gegen
sie aufzuregen suchten. Als sich ihr Gesinde weigerte, die leinenen
Lappen, welche auf die eiternden Wunden Wolters dorfs gelegt
wurden, weiter zu waschen, weil dieselben einen entsetzlichen
Geruch verbreiteten, that es diese edle Dame wiederholt selbst.
Schultz schreibt: „Sie that das, wovor die geringste Magd sich
scheute". Sie wollte den Missionaren, welche ihrem Volke das
Heil verkündigten, zeigen, wie hoch sie dieselben für diesen ihren
Dienst schätze. Nach Woltersdorfs Tode sorgte sie dafür, dass
dessen Begräbniss recht feierlich gehalten wurde, und dass sein
Grab einen schönen Denkstein erhielt.
Trotz der kleinen Zahl von Juden in England gab es damals
dort nicht wenige Proselyten, ein Beweis für den Eifer, mit
welchem sich viele Christen des Landes die Bekehrung der Juden
angelegen sein Hessen. Die Callenberg'schen Missionare fanden
denn auch in England besonders warme Freunde, und die dortige
Gesellschaft für Verbreitung christlicher Erkenntniss unterstützte
Callenberg gern. Rev. Dr. Doddrige veranlasste eine englische
Uebersetzung der früheren Nachrichten des Institutum und sprach
sich besonders über St. Schultz uneemein lobend aus.
7. Dänemark, Schleswig und Holstein.
Die Zahl der Juden blieb auch in diesem Zeitraum in
Dänemark eine geringe, aber an Theilnahme für sie fehlte es hier
nicht, sondern dieselbe gewann in diesem Lande, welches durch
den Pietismus in wohithätiger Weise beeinfiusst wurde und das
nun auch die Missionsinteressen desselben theilte, sogar eine
rechte Wärme.
Johannes Lundius aus Tondern schrieb „Jüdische Heilig-
thümer", die Dr. H. Muhlius mit einer Vorrede vom Jahre 1701
versehen dann herausgab. Lundius wie Muhlius, der holstein'scher
General-Superintendent war, waren von lebhafter Sorge für die
Juden, mit deren Literatur sie sich auch eifrig beschäftigten,
erfüllt. Doch hat Lundius in derselben allerdings nicht selbständige
- 42S -
Forschungen angestellt, sondern überwiegend und mit Fleiss die
Arbeiten anderer benutzt. Was aber Lundius zum Studium der
jüdischen Literatur besonders trieb, war das Verlangen, dass
Israel bekehrt werden möchte ; seine Vorrede sagt dies ausdrücklich.
Nach einem Gebete zu Gott, dass er bald eine allgemeine Be-
kehrung Israels zuwegebringen und alle christlichen Obrigkeiten
regieren möge, sich der Juden anzunehmen, bittet er alle jetzt
lebenden Juden und deren Nachkommen, „den rechten Messias
anzunehmen, auf dass endlich mit uns armen Heiden das ganze
Israel selig werde, um des alleredelsten Juden, unseres Herrn
und Heilandes Jesu Christi willen, der aus den jüdischen Vätern
herstammt nach dem Fleisch und zugleich Gott ist über alles,
hochgelobt in Ewigkeit".
Die talmudische Literatur fand Bearbeiter in den beiden
W öl dicke zu Kopenhagen, Georg und Markus, welche von 1722
bis 1738 mehrere Traktate ins Lateinische übersetzten und
commentirten und auf Maimonides ihre Studien richteten.
J. W a n d a 1 i n u s in Kopenhagen sprach in einer lateinischen Ab-
handlung 1 722 seine freudige Zuversicht zu einer letzten allgemeinen
Bekehrung der Juden aus. Ueber die allgemeine Judenbekehrung
entstand ein lebhafter Streit zwischen den jütländischen Geistlichen
Hans Guldager und Lassen Tychonius, von denen der Letztere
für dieselbe energisch eintrat. Peter Wessel Hess 1721 in
Kopenhagen eine Schrift „Geistlich todter Jude" erscheinen. Er
besprach in derselben besonders eingehend die Gründe, welche
der Bekehrung der Juden entgegen stünden und redete den
Christen ernst ins Herz, dass sie sich die geistliche und leibliche
Versorgung der Prosclyten mehr sollten angelegen sein lassen.
Ein Beweis dafür, dass den Juden zu dieser Zeit besondere
Aufmerksamkeit in Dänemark geschenkt wurde, ist auch des
Freiherrn Ludwig Holberg Jüdische Geschichte von Erschaffung
der Welt bis auf die Gegenwart, die Georg Aug. Detharding
aus dem Dänischen 1747 ins Deutsche übersetzte. Das Buch
aber enthält nicht bloss die Geschichte der Juden im engeren Sinne,
sondern auch die ihrer Gebräuche und religiösen Ansichten; in
allen seinen Urtheilen zeigt es grosse Mässigung und ist hierdurch
ein Beweis, wie weit schon die Umwandlung zum Besseren auch
in diesem evangelischen Lande vorgeschritten war.
Eine Verordnung von Friedrich IV. 1728 bestimmte, dass
die Juden in Kopenhagen alle Donnerstage das Waisenhaus be-
— 429 —
suchen und eine christliche Predigt daselbst anhören sollten. Die
Geistlichen Dürkop, Schreiber und Königsmann theilten sich
in diese Predigten. Die Gegenvorstellungen der Juden wurden
auf den Betrieb des Schlosspredigers Hersieb abgewiesen, aber
ein Brand im Waisenhause setzte den Predigten bald ein Ziel.
Die Einrichtung derselben wurde dem Einfluss eines Professors,
welcher vordem Jude war, zugeschrieben. Wer dieser Professor
gewesen ist, wird aber nicht erwähnt, Clausberg, der am Hofe
unterrichtete, kam erst 1 73 3 nach Kopenhagen. Der letztgenannte
gehört zu den hervorragenderen Proselyten der früheren evange-
lischen Kirche.
Christlieb von Clausberg,*) dessen jüdischer Name uns nicht
bekannt ist, wurde 1689 in Posen geboren. Ueber seine früheren
Verhältnisse als Jude lässt er sich in seiner Schrift „Licht und
Recht der Kaufmannschaft" Danzig, 1724 bis 1726, welche An-
gaben über seinen bisherigen Lebensgang enthält, nicht aus.
1716 finden wir ihn in Clausthal, wo er von dem Superintendenten
Caspar Calvör, welcher 17 10 den bekannten Juden-Katechismus
geschrieben hat, unterrichtet wurde. Diesen Katechismus hat
Calvör der Unterweisung jüdischer Katechumenen, die ihm öfters
vorkam, zu Grunde gelegt, und auch Clausberg hat aus demselben
die christliche Lehre kennen gelernt. Seinen Namen erhielt er
von der Stadt, in welcher er 1716 getauft wurde. 1722 finden
wir ihn dann in Danzig, wo er sein Buch Licht und Recht der
Kaufmannschaft erscheinen Hess, welches Reduktionstabellen der
verschiedenen Münzsorten, Wechsel und Waarentabellen enthält.
Er erhielt sich in dieser Stadt durch Unterrichtgeben im Hebräischen,
Talmudischen, Rabbinischen und der Rechenkunst. Seine mathe-
matischen Kenntnisse halfen ihm hernach auch weiter, und seine
demonstrative Rechenkunst erlebte noch 44 Jahre nach seinem
Tode, 1795, eine neue, die fünfte Auflage.
Er kam 1733 nach Kopenhagen, und sein Rechentalent
zog dort die Aufmerksamkeit des Hofes auf sich. Christian VI.
bestellte ihn zum Lehrer des Kronprinzen in der Arithmetik,
Finanzwissenschaft und hebräischen Literatur, später auch zum
Revisor der Königlichen Privatkasse. In dieser Stellung erwarb
er sich die Zufriedenheit des Monarchen in solchem Grade, dass
er zum Staatsrath, Baron und Ritter des Danebrogordens ernannt
*) Dibre Emeth 81 S. 26 ff.
- 43° —
wurde. Dies scheint i/.er erste Fall zu sein, dass ein evangelischer
Proselyt geadelt wurde. Nach dem Tode des Königs aus dem
Dienst entlassen, starb er 1 75 1 in einem Alter von 62 Jahren.
Er hinterliess eine Wittwe, die Tochter eines Offiziers, und
mehrere Kinder. Die Wittwe heirathete hernach einen Herrn
v. Bothmer.
Ueber die Entwicklung seines inneren Lebens sprach er sich
gegen die Halle'schen Missionare St. Schultz und Bennewitz
bei ihrer Anwesenheit in Kopenhagen während des Jahres 1748
in ungemein schöner Weise aus. „Ich bin über 30 Jahre (dem
Namen nach ein Christ gewesen, aber ich habe wahrlich nicht
gewusst, was das wahre Christenthum sei. Nun ich aber in
die Stille komme, lerne ich es erst. So viel ist mir gewiss: wenn
auch kein Mensch glaubte, dass Jesus der Messias sei, so glaube
ich es. Allein das wahre Leben habe ich nicht erfahren gehabt,
darin bin ich jetzt noch ein kleines Kind." Mit besonderem
Ernst bekannte er es auch, dass man den Proselyten gegenüber
meistens zu sorglos sei und glaube, dass sie keines weiteren
Unterrichts bedürften, wenn sie getauft seien. Seine früheren
Glaubensgenossen blieben ihm stets ein Gegenstand treuer Sorge,
und wo sich die Gelegenheit dazu bot, bezeugte er ihnen die
Notwendigkeit ihrer Bekehrung.
Von dem reichen portugiesischen Juden Texeira de Matos,
der Agent der Königin Christine in Hamburg war, soll eine christ-
liche adlige Familie in Jütland abstammen. Ein Proselyt, nur
mit dem Anfangsbuchstaben K oder R bezeichnet, der früher in
Callenbergs Druckerei beschäftigt war, wird 1751 als Katechet
in Kopenhagen angeführt.
Der Eifer, mit welchem man sich der Juden in Kopenhagen
annahm, blieb nicht ohne Frucht. Obwohl die Zahl der Juden
in dieser Stadt nicht gross war, wurden doch, wie St. Schultz in
Leitungen 1, 176 aus dem Jahre 1742 erzählt, in einigen Jahren
daselbst 20 Juden getauft, von denen aber freilich nur wenige
rechtes Vertrauen erweckten. Im Jahre 1750 trat eine Familie
von fünf erwachsenen Personen, die den Namen Neumann an-
nahmen, zum Christenthum über. Kopenhagen gehörte damals
zu den Städten, in welchen Judentaufen ganz besonders zahlreich
stattfanden, und die Halle'schen Missionare fanden in der däni-
schen Hauptstadt wie im ganzen Lande für ihr Werk eine
besonders herzliche Theilnahme. Das Beispiel, welches der
— -131 —
fromme Hof gab, wirkte hierzu besonders mit. Eine ungewöhnliche
Langmuth und Liebe legte besonders der Consistorialrath Rohn*)
den Proselyten gegenüber an den Tag. Hätte es viele Männer
seiner Art gegeben, dann wäre der Eingang des Evangeliums
unter den Juden auch stets ein leichterer gewesen.
Die Sammlungen zum Bau des Reiches Gottes, Leipzig und
Frankfurt vom Jahre 1732, berichten über eine Proselyten- und
Exulantenanstalt des Pastors an der Domkirche in Schles-
wig, Paul Mercatus, dessen Waisenanstalt schon mehrere
Jahre bestand; an die letztere schloss dieser Geistliche das neue
Unternehmen an. Ein dänischer Rath schenkte ihm zu diesem
Zweck sein an der Domkirche gelegenes geräumiges und sehr
bequemes Haus mit einem Hofe. Nachdem ein um seines Glaubens
willen vertriebener Prediger hier ein Asyl gefunden, nahm Mercatus
nun auch Juden, die Christen werden wollten, daselbst auf und
bot ihnen in seiner Anstalt die Gelegenheit, sich ihr eigenes Brot
zu erwerben. Mercatus Hess dann eine Nachricht von dem, was
er begonnen, in die Öffentlichkeit ergehen und versprach, sein
Unternehmen zu vergrössern, wenn ihm die Mittel hierzu gewährt
würden. In einer Fortsetzung seines Berichtes aber gab er
besonders Mittheilungen über zwei Proselyten, die durch seine
Anstalt gewonnen worden waren oder dort Aufnahme gefunden
hatten, einen ehemaligen Rabbiner aus Schlesien, mit Namen
Moritz Wilhelm Christian Keyser und Friedrich Lud. Gotthold,
einen jüdischen Handelsmann aus Wildungen. Spätere Nachrichten
über den Fortgang und die Schicksale dieser Anstalt waren nicht
zu ermitteln, und wir finden derselben auch später nicht weiter
Erwähnung gethan, so dass wir annehmen müssen, dieselbe
sei bald wieder eingegangen. Erkundigungen in Schleswig selbst
führten gleichfalls zu keinem Ereebniss.
8. Die nordischen Länder.
In Schweden und Norwegen durften die Juden auch während
der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts sich noch nicht nieder-
lassen, aber das Interesse an denselben erlahmte trotzdem nicht.
Die rabbinischen Studien fanden nach wie vor in Upsala und
Stockholm eifrige Freunde besonders unter den Professoren.
') Freund Israels. Berlin 1825, 2, 150. Dibre Emeth 1883 S. 1 79-
— 432 —
Sal. Ibn M e lech zumal war ihr Lieb ling. Ueber Theile seiner Com-
mentare schrieben Joh. Schult in Upsala 1708 und in Stockholm
J. Fahlander 1706, Olav Norberg 1708 und N. Brodberg
1 7 1 1 . Stridzberg bearbeitete Abarbanel, dessen Auslegung
von Jesaia 2 er 1731 in lateinischer Uebersetzung und Erklärung
herausgab.
Andreas Norrelius verlegte sich auf die jüdische Geheim-
lehre und Hess 1720 in Amsterdam den Phosphorus orthodoxae
fidei veterum cabbalistarum erscheinen, in welcher Schrift er
sowohl die Gedanken des Proselyten Joh. Kemper als auch
seine eigenen Ansichten über das Geheimniss der Dreieinigkeit
und der Gottmenschheit des Messias im Sohar niederlegte.
Beide waren fest überzeugt, im Sohar die christliche Lehre fast
völlig wieder zu finden, und Norrelius wollte darum, dass seine
Schrift als Missionsschrift zur Bekehrung der Juden verwandt würde.
Da es einer besonderen Erlaubniss für die Juden, die
Christen werden wollten, bedurfte, um Aufnahme in Schweden
zu finden , so konnte die Zahl der Proselyten daselbst keine
grosse sein. Wir nennen von solchen Simon Rosenbohm,*)
der früher Rabbi unter den Seinigen war und sich dann um
1720 als Lehrer des Hebräischen auf der Universität Upsala
aufhielt. Bei der Krönung König Friedrichs hielt er öffentlich
eine rabbinische Rede, und eine andere ebensolche bei Gelegen-
heit des Friedensschlusses zwischen den Königen von England,
Dänemark und Preussen.
Eine längere Reihe von Jahren hindurch war auch Christian
Peter Löwe oder Lebh,**) Docent der orientalischen Sprachen
an der Universität Upsala. Er unterrichtete viele Studenten in
diesem Fache. Später wollte er in schwedischer Sprache einen
„Spiegel der jüdischen Religion" herausgeben, der, nach dem
vorliegenden Plane, in 58 Kapiteln die Gebräuche der Juden
jener Zeit schildern sollte. Ob das Buch, dessen Erscheinen da-
mals die gelehrten Zeitungen vorbereiteten, wirklich herausge-
kommen ist, war nicht zu ermitteln. Die Absicht von Löwe war,
durch dieses Buch die Christen mit dem Judenthum bekannt zu
machen, und den Juden den Beweis zu führen, das Jesus der
*;• Wolf B. H. 3 N. 2138 c.
**) Wolf B. H. 4 N. 1897 g.
— 433 —
Messias sei , nebst den Gründen , aus denen sie sich an Jesu
ärgerten.
Schweden fehlte auch unter den Ländern nicht, welche das
Callenberg'sche Unternehmen mit Freuden begrüssten und dasselbe
beförderten.
In Kurland, das den Juden die Thorc noch nicht geöffnet
hatte, bestritt Superintendent D. Wölfer 1745 die Lehre von
der allgemeinen Bekehrung der Juden am Ende der Zeiten gegen
einen anderen Geistlichen des Landes, Hesseiberg, welcher
dieselbe in einer besonderen Schrift vertheidigt hatte. Unter den
Geistlichen aber gab es manche, die ein Herz flir die Juden
hatten, und so kam es, dass, obwohl im Herzogthum Juden
nicht wohnen durften, man daselbst wiederholt solche und be-
sonders aus Polen, die ein Verlangen nach der Taufe äusserten,
aufnahm. Alexander Gräve, Superintendent des Herzogthums,
Consistorialrath und Oberpre-diger in Mitau z. B., der 1 746 starb,
hat nicht weniger als 18 Juden getauft.
9. Nord-Amerika.
In den britischen und holländischen Besitzungen Nord- und
Süd- Amerikas, auf dem Festlande wie auf den Inseln wohnten,
wenngleich nicht viele Juden, in Nord-Amerika besonders war
ihre Zahl keine grosse.
Der geistliche Einfluss Englands war in Nord-Amerika immer
deutlich zu verspüren, und von dort her wurde auch manches
evangelische Gemüth für die Juden erwärmt. Dass man in den
ernsteren Kreisen Nord-Amerikas in dieser Zeit ein Herz für die
Juden hatte, tritt besonders bei Gelegenheit der ersten Taufe,
welche man von dorther zu melden weiss, an den Tag. Der
Täufling hiess Rabbi Juda Monis in Boston.*) Rev. Benjamin
C ollmann, welcher denselben taufte, bezeugt, dass man in
Amerika oft um die Erleuchtung der Juden bete, und dass Gott
wohl mit denselben grosse Absichten vorhaben möge. Mit
heiliger Ungeduld und grossem Verlangen hofften sie auf die
täglich erbetene Rettung Israels. Die Juden werden der Christen-
*) Geschichte der Juden von Hannah Adams in Boston, 2, 243 ff. Jewish
Expositor von 1821 S. 41. 81. 125. 165. 245. 285. 325 fl*. Dibre Emeth 1880
S. 154. 192 ff.
J. F. A. d e 1 e R o i, Missionsbeziehungen. 28
— 434 —
heit einst das Leben aus den Todten bringen; was sie jetzt
noch hindere, sei, dass ihnen die Decke über dem Alten
Testamente liege.
Was Monis selbst betrifft, so war er vorher ein Rabbi ge-
wesen, in Algier geboren und in Italien erzogen. Nach seiner
Taufe erhielt er das Amt eines hebräischen Lehrers am Harvard
Collegium im amerikanischen Cambridge. 1761 legte er nach
dem Tode seiner Frau dieses Amt nieder und starb 1764 in
einem Alter von 81 Jahren. Er war ein tüchtiger Hebräer und
auch in anderen Wissenschaften wohl bewandert. Bei seinem
Tode hinterliess er ausser dem Erbe für seine Frau 5 bis 600
Dollars zur Unterstützung von Wittwen armer Geistlichen. Die
Lauterkeit seiner Bekehrung und sein tadelloser Wandel werden
besonders hervorgehoben.
Bei seiner Taufe richtete er an seine früheren Glaubens-
genossen eine Reihe von Abhandlungen, die den Titel „The
Truth, The whole Truth, Nothing but the Truth" trugen. In
diesen Schriften, welche also die Wahrheit, die ganze Wahrheit
und nichts als die Wahrheit bezeugen sollten, stellte er 9 Gründe
auf, mit denen die Rabbinen die Ankunft des Messias bestreiten.
Auf dieselben antwortete er nicht allein mit christlichen Gründen,
sondern auch mit solchen, die er rabbinischen Schriften entnahm.
Der Anhang enthält sein Glaubensbekenntniss. Increase Mather
hat das Ganze mit einer Vorrede versehen.
In der Zueignung an seine Brüder nach dem Fleisch spricht
Monis die Hoffnung aus, sie würden ihn trotz seines Uebertrittes
nicht hassen, sondern bereit sein, aufmerksam seine Ausführungen
zu prüfen. Er habe im Alten Testamente das ganze Leben und
Wesen Jesu Christi beschrieben gefunden. Die christliche, die
protestantische Religion wenigstens stütze sich völlig auf die
Schrift und sei frei von Aberglauben; auch die Lehre von der
Dreieinigkeit sei dem Alten Testamente gemäss. Was für Mosen
spreche, spreche auch für Christum. Aber auch viele ältere
Rabbinen hätten das Alte Testament so ausgelegt, wie es christ-
licherseits geschehen.
Danach geht er zur Abhandlung über. Er führt aus:
Jedes Ding, das Bestand haben soll, muss ein sicheres Fundament
haben. Die Kirche Gottes hat Jesum Christum zum Fundament,
und dasselbe hat sich bisher bewährt, es werde sich aber auch
weiter bewähren. Früher hat die Kirche Gottes an sein Kommen
— 435 —
hottend geglaubt, jetzt glaubt sie an sein bereits erfolgtes Kommen.
Die Juden behaupten , der Messias solle noch erst erscheinen.
Aber der Kirche ist es mit ihrem Glauben gelungen, die Juden
dagegen sind mit ihrer Leugnung Jesu Christi als religiöse und
politische Gemeinschaft gesunken; sie werden auch nicht eher
wieder eine geistlich und leiblich blühende Nation werden, als
bis sie sich zu Christo bekehren. Dies haben die Propheten bereits
vorausgesagt. So Hosea 3, 4. 5. Die Juden sind nun schon so
viele Jahrhunderte alles dessen beraubt, was nach dem Zeugnisse
Hoseas ihnen genommen werden sollte, und sind in den von
diesem Propheten ihnen angedrohten Zustand gerathen. Daher
glaube er aber auch an die Erfüllung der eben daselbst ausge-
sprochenen Verheissung, dass sie ihren König suchen und ihn
anschauen würden, den sie durchbohrt haben.
Monis geht dann auf die jüdischen Einwürfe gegen die bereits
erfolgte Ankunft des Messias ein, die er eben sowohl mit Gründen
der Schrift als der jüdischen Literatur widerlegt.
In der 2. Abhandlung The whole Truth bespricht er die
Gründe, welche die Juden von der Person Jesu Christi fern halten,
worauf er dann die Bibel und die jüdischen Schriften den Beweis
für die Gottheit des Messias liefern lässt.
In der 3. Abtheilung Nothing but the Truth führt Monis
aus, dass die Lehre von der Dreieinigkeit im Alten Testamente
und in der kabbalistischen Literatur der Juden ebenfalls enthalten
und keine Neuerung der Christen sei. In der kabbalistischen
Literatur war Monis offenbar sehr bewandert und dieselbe hat
auch für ihn einen grossen Reiz gehabt.
Später gab Monis eine hebräische Grammatik heraus. Seine
Aeusserungen machen den Eindruck eines durchaus aufrichtigen
und nachdenkenden Mannes.
In Surinam liess es sich die Brüdergemeine angelegen sein
den dortigen Juden das Evangelium nahe zu bringen, und nach
ihren Berichten hat sie hiebei willige Hörer gefunden. In Nord-
Amerika aber und in den Colonien Süd-Amerikas erbat man sich
wiederholt Schriften des Halle'schen Institutum, und wurden solche
auch öfters dahin gesandt. In der Unterstützung des Institutum
vereinigten sich bis zu einem gewissen Grade die hauptsächlichsten
evangelischen Kirchen jener Zeit zu einem gemeinsamen evange-
lischen Judenmissionswerke.
— 4$6 —
10. Gesammt-Ergebniss der älteren Periode.
In dem ganzen Zeitraum bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts
stand es bei den evangelischen Völkern ebenso unbedingt wie den
römisch- und griechisch-katholischen fest, dass ihre Zugehörigkeit
zur christlichen Kirche und ihr christlicher Volkscharakter auch
ihr gesammtes Verhältniss zu den Juden in ihrer Mitte entscheidend
zu bestimmen hätten. Damit hatte dieses Verhältniss aber eine
klare und sichere Grundlage , die auch allen Anspruch auf Halt-
barkeit besass, wenn man sich dessen nur recht bewusst wurde,
welche Aufgaben und Forderungen das Wesen einer christlichen
Volksgemeinschaft mit sich bringe. Hierüber nun fand ein Ringen
in dem ganzen Zeiträume der ersten 2V2 Jahrhunderte innerhalb
der protestantischen Welt statt.
Es ist dabei aber vor allem die bedeutsame Thatsache
geltend zu machen, dass die evangelische Kirche schon in ihren
allerersten Anfängen die Sorge für die Juden empfand, und dass
in ihrem Bewusstsein der Gedanke an eine Missionsaufgabe an
denselben von Anbeginn erwachte.
Nach der Zeit ihres ersten Werdens beschäftigt man sich
alsdann eingehend in der evangelischen Kirche mit den Juden
und zwar zunächst vorherrschend von dem Gesichtspunkte geleitet,
wie stark die eigene evangelische Sache und wie schwach die
der Juden sei. Man gewinnt aber nach und nach eine immer
innerlichere Stellung zu den Juden und sucht nun vielfach mit
herzlichem Verlangen ihr Heil.
Den ganzen früheren Zeitraum hindurch wird jedesfalls die
Judenfrage als eine Frage, die einen religösen Inhalt habe und
religiöse Forderungen stelle, empfunden, und deren Lösung be-
schäftigt stets wachsende Kreise der evangelischen Christenheit.
Die römisch- und griechisch-katholischen Völker, welche doch
den grössten Theil der Juden unter sich wohnen hatten, sind
auch nicht entfernt so tief von dem Gedanken bewegt worden,
was sie zu thun hätten, damit sie sich an den Juden als christ-
liche Völker beweisen möchten. Das Inschrankenhalten der Juden
durch äussere Mittel und das Gehenlassen derselben, so weit es
das religiöse Verhältniss betraf, waren dort offenbar die haupt-
sächlichsten und die leitenden Grundsätze.
Die evangelische Christenheit dagegen hat in ihren wichtigtsen
Gliedern wenigstens von Anfang an das Gefühl gehabt, dass ihr
— 437 —
Verhältniss zu den Juden einen positiven Inhalt haben müsse.
Thatsächlich haben auch überall in ihr, wo eine lebhaftere Be-
rührung mit den Juden stattfand , die verschiedensten Kreise
wenngleich in verschiedenem Grade und in sehr verschiedener
Weise, die Nothwcndigkeit empfunden, für das Beste der Juden
zu wirken. Es brachte der evangelischen Welt nun doch einen
Vortheil, dass hier die Kirche nicht allein die christlichen Aufgaben
zu bestimmen und nicht sie allein anzugeben hatte, wie dieselben
erfüllt werden müssten, sondern ihre einzelnen Glieder sowohl in
der bürgerlichen als in der religiösen Gemeinschaft eine ihnen
selbständig zukommende christliche Pflicht kannten. Viele Fürsten
und Obrigkeiten in grossen wie in kleineren Gemeinwesen
wussten daher auch von einer heiligen Verantwortung, die sie in
ihrem Amte und in ihrer Aufgabe den Juden gegenüber hätten,
und unter den Theologen empfand man dies in noch höherem Grade.
Der Schäden, an welchen das ganze Verhältniss zu den
Juden in der bisherigen Zeit litt, wurde man sich unter den
Evangelischen mit grösserem Gerechtigkeitsgefühle bewusst, und
dies sowohl, wenn man die religiöse, als wenn man die bürger-
liche Seite desselben ins Auge fasste. Es gibt denn auch keinen
Punkt desselben, an dem nicht das Richtige des Oefteren klar
und schön bezeugt worden wäre.
Die Wirkung dessen blieb nicht aus, sondern das Zeugniss
der Wahrheit übte auch seine Macht hin und her. Zunächst half
es die eigene Stellung der Juden wenigstens in der Mitte und
im Westen Europas erschüttern, und dieser negative Erfolg ist
ein überaus bedeutsamer ; denn er sollte einer besseren Zukunft
die Wege bahnen. Das war, wenn die Gesammtheit der Juden
ins Auge gefasst wird, die nächste Frucht der Thätigkcit, welche
evangelischerseits unter den Juden entfaltet wurde.
Aber freilich lag in der Art, wie nun die evangelische Welt
an die Judenfrage herantrat, noch so manches, was ihre eigene
Wirksamkeit und ihre Kraft auf diesem Gebiete auch lähmte.
Man erhob sich vor allem zu keinem Gesammtwirken und zu
keinem rechten Aufnehmen des hier gebotenen Werkes durch die
eigentlich dazu verpflichteten grossen Gemeinschaften.
Allerdings wurden viele einzelne Stimmen, welche auf die
nothwendig zu gehenden Wege hinwiesen, laut, viele einzelne
Bemühungen geschahen , um etwas Gesundes zu Stande zu
bringen, viele Samenkörner wurden ausgestreut, die allmählig
- 43* -
auch aufgingen. Die innere Stellung zu den Juden wandelte
sich darüber wahrend der ersten 2 l/a Jahrhunderte zu den Juden
sichtlich, und die evangelische Christenheit becinflusste, obwohl
man sich gegenseitig dessen nicht immer so klar bewusst wurde,
auch die katholische in diesem Punkte. Der Fortschritt ist ein
ganz unverkennbarer. Und diese innere Wandlung geschah inner-
halb der evangelischen Welt allein dadurch, dass man in ihr das
Schriftwort die Macht sein lassen wollte, der man auch den
Juden gegenüber Gehorsam leisten müsse. Eben desshalb kam
man hier in christlicher Weise vorwärts. Wiewohl sich nicht zu
einem gemeinsamen Werke zusammenschliessend, fühlten sich
doch die Theologen, die Männer der Wissenschaft, die einzelnen
Kirchgemeinden, die weltlichen Machthaber, ja auch die einzelnen
politischen Gemeinden zumeist gedrungen, eine Aufgabe an den
Juden, soweit sie dieselbe verstanden und sie in ihren Bereich zu
fallen schien, auszurichten. Der deutsche Pietismus besonders
und seine Geistesverwandten in anderen Ländern aber verbreiteten
das Bewusstsein, dass eine positive christliche Pflicht an den
Juden zu erfüllen sei, auch in weitere Kreise des evangelischen
Volkes hinein.
Aber alles dies geschah nun eben doch viel zu vereinzelt
und viel zu wenig zusammenhängend, viel zu sehr als eine
jeweilige da und dort auftauchende und nicht als ein beständig
in gleicher Weise zu erfüllende Aufgabe. Die Stärke wie die
Schwäche des Protestantismus trat auch auf diesem Gebiete zu
Tage. Vielen Eifer und Ernst erblicken wir bei einzelnen
Personen, aber einer ruhig und stetig fortschreitenden Arbeit, die
von der evangelischen Gesammtheit getragen worden wäre, be-
gegnen wir nicht.
Das Gewissen erwachte, besonders seitdem der Pietismus
in Deutschland und seine Geistesgenossen unter anderen Völkern
ihren Einfluss in der evangelischen Welt geltend machten, in
vielen Personen den Juden gegenüber; und es kam nur darauf
an, dass die aufspriessenden Keime auch recht erwuchsen und
erstarkten; aber die Gefahr, dass alles zu persönlich blieb, lag
überall nahe. Der Pietismus, dem es am meisten gelang, die
Juden ihrer Umgebung zu einem Gegenstande ernsterer Herzens-
sorge zu machen, behielt seine Kraft nun doch allein in der
persönlichen Anregung einzelner Personen oder kleiner Kreise.
Er hat nie Kraft genug gezeigt, die bestehenden grossen Ge-
— 439 —
mcinschaften des kirchlichen wie cles bürgerlichen Lebens zu
einer Erfüllung ihres christlichen Berufes aufzurütteln oder zu
befähigen. Er beschränkte sich darauf, den Leitern dieser Ge-
meinschaften sein Zeugniss entgegenzuhalten, schreckte aber davor
zurück, sie selbst in ihren Bahnen vorwärts zu führen. Der
Pietismus trug in sich selbst nicht die Zuversicht und das Ver-
mögen, wegeweisend und wegebahnend an die Spitze der Kirche
und des evangelischen Volks zu treten , sondern nur kleinere
Kreise des Gemeinschaftslebens hoffte er tiefer bestimmen zu
können.
Darum war es nöthig, dass der Pietismus von einer anderen
religiösen Strömung abgelöst würde, welche mit der persönlichen
Gewissenhaftigkeit und der Sorge für das Gedeihen einzelner
auch den Muth, die Zuversicht und die Kraft verbände, das all-
gemeinere Leben mit reicherem Inhalte zu durchdringen und mit
grösserer Stärke auszurüsten. Sollte insbesondere die evangelische
Christenheit an den Juden eine höhere Macht beweisen , dann
war es noth, dass noch manches ernstlich in Angriff genommen
wurde, woran man bis dahin höchstens in schwächlichen Versuchen
getreten war.
Freilich war es ein Fortschritt, dass man im 18. Jahrhundert
allmählig dahingekommen war, den Juden das Zeugniss des
Evangeliums auf eine praktische Weise nahe zu bringen. Aber
es war schon ein Mangel, dass dies ganz überwiegend eine blosse
Privatthätigkeit blieb, und die Kirche sich nicht dazu aufraffte,
selbst ihren Zeugenberuf an den Juden auszurichten. Manche welt-
liche Obrigkeit hat in diesem Punkte die Kirche beschämt; denn
mögen sie es mit ihren Judenpredigten noch so verkehrt ange-
fangen haben, so war es doch ein grosses Ding, dass sie ihr
Amt als christliche Obrigkeit so hoch auffassten. Weder die
erste Reformationszeit, noch die Orthodoxie noch der Pietismus
haben die Kirche hier zur rechten Erfüllung ihrer Aufgabe geführt.
Und dazu konnte man mit den Juden nicht weiter kommen,
wenn man sie in den traurigen bürgerlichen Verhältnissen Hess,
welche an ihrem Marke zehrfen. Gewiss war es ein schwerer,
verhängnissvoller und für alle Theile gleich verderblicher Irrthum
der Folgezeit, es zu vergessen, dass auch die bürgerliche Gemein-
schaft und die Völker christliche Aufgaben zu erfüllen haben, so
dass eben desshalb die Juden nicht in derselben Weise, wie die
Christen, als Glieder dem bürgerlichen Gemeindewesen eingefügt
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werden können ; aber ebenso gewiss war es für die evangelische
Christenheit eine Nothwendigkeit, sich eine völlige Umgestaltung
des verkümmerten socialen Lebens der Juden angelegen sein zu
lassen. Hierin ist jedoch in unserem Zeitraum sehr viel weniger
als auf dem Gebiete des Zeugnisses an die Juden geschehen und
blieb fast alles noch zu thun, ja, an dieser Stelle zeigte sich die
Klippe, an welcher das Werk der früheren Zeic immer wieder zu
scheitern drohte.
Ungerecht wäre es jedoch, wenn man nicht anerkennen
wollte, dass von Anfang an in der evangelischen Kirche gerade
von ihren hervorragendsten geistlichen Führern mit allem Nach-
druck die Forderung erhoben worden ist, dass man zur Abstellung
dieses Schadens schreite. Was die Folgezeit in dieser Beziehung
Gutes geleistet hat, ist die Frucht des unermüdlichen Zeugnisses
jener Männer. Entwickelten sich also die evangelische Kirche
und die evangelischen Völker nur weiter nach dem, was die
gesunden Grundsätze in ihnen waren, dann gelangten beide auch
mit den Juden zu einem besseren Ergebniss, und dann gestaltete
sich das Zusammenleben mit denselben in der rechten Weise.
Ein Bruch mit den evangelischen Grundsätzen war das schlechteste,
was geschehen konnte. Nothwendig war vielmehr eine Ueber-
windung dessen, was noch unevangelisch war, von innen heraus
und ein Erstarken der eigenen Principien, damit sich die christ-
lichen Lebenskräfte in dieser Kirche und ihren Völkern weiter
entfalteten, und dies auch zum Heile der Juden.
Aber es sollte anders kommen, und die Erkenntniss dessen,
was hier noth thäte, erst, nachdem viele falsche Wege ein-
geschlagen waren, in den Gemüthern zu erwachen beginnen.
Zugleich jedoch hat die Geschichte gelehrt, dass, wenn
überhaupt die christlichen Völker es lernen sollen, die rechte
Stellung zu den Juden zu finden, dies nur vom evangelischen
Boden aus geschehen kann, das römische und griechische Christen-
thum dagegen sie hierzu nicht führen werden.
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