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Die
Fortschritte der Kriegsheilkunde,
besonders
im Gebiete der Infectionskrankheiten.
R e d e,
gehalten
zur Feier des Stiftungstages der militär-ärztlichen
Bildungs- Anstalten am 2. August 1874
Rudolf Virchow.
Berlin, 1874.
Verlag von August Hirschwald.
Unter den Linden 68.
Jahrestage, wie der heutige, wo eine grosse Anstalt des
Staates das Gedächtniss ihrer Stiftung begeht, gelten nicht
bloss der Erinnerung. Wenn das prüfende Auge auch eines
strengen Richters mit Freude, ja mit Dankbarkeit den lan-
gen Zeitraum von fast acht Decennien durchmustert hat, wäh-
rend dessen diese Anstalt dem Heere in immer vollkomm-
nerer Weise ein für dasselbe unentbehrliches Personal zu-
führte, so wird es sich doch auch vor der weiteren Unter-
suchung nicht verschliessen dürfen, ob die Ausbildung, welche
die Anstalt ihren Zöglingen gewährt, eine solche Breite und
Sicherheit sowohl in wissenschaftlicher, als in praktischer
Beziehung erreicht, dass das Heer darauf zählen darf, in
allen Wechselfällen des Krieges und des Friedens zuver-
lässige Helfer und Berather in dieser Jugend erwarten zu
dürfen. Nicht ohne tieferen Sinn wurde der Anstalt bei
ihrer Gründung der Name der Pepiniere beigelegt. Sie
sollte eine Pflanzschule sein, in welcher die Zöglinge zu
etwas Höherem, als zur bloss praktischen Routine, erzogen
würden. Sie sollte die damals tief erniedrigte Chirurgie
durch' ihre Vereinigung mit der Gesammtheit der medicini-
schen Disciplinen erheben; sie sollte dem Heere nicht bloss
Feldscherer, sondern Aerzte liefern, welche schon in ihrer
1
_ 4 —
Vorbildung die Elemente wahrer Humanität in sich aufge
nommen hätten und welche in ihrer technischen Entwicke-
lung zu der Fähigkeit gelangt seien, nicht nur die über-
lieferten Lehren treulich auszuführen, sondern auch an dem
fortschreitenden Gange der Wissenschaft mit Verständniss
und Bewusstsein Theil zu nehmen.
Es war dies eine grosse Aufgabe. Sie ist gelöst worden.
Aber indem sie für die Anstalt gelöst wurde, ward zugleich
ein anderes, \'iel allgemeineres Ziel erreicht. Jene aus dem
Mittelalter überkommene Scheidung in Wundärzte und Aerzte,
welche in einem gewissen Sinne in England noch heute er-
halten ist, wurde allmählich überhaupt beseitigt, und die
Einheit der gesammten Medicin, diese Signatur der neueren
Zeit, ist nicht ohne den bestimmenden Einfluss der preussi-
schen militärärztlichen Einrichtungen gewonnen worden.
Die moderne Medicin — und auch das ist gewiss ein
bemerkenswerther Umstand — ist kaum so alt, als diese
Anstalt. Die grossen Autoritäten des vorigen Jahrhunderts
sind heut zu Tage fast vergessen. Friedr. Hoffmann und
Ernst Stahl, van Swieten, Sauvages und Cullen —
sie erregen nur noch das Interesse des Historikers. Unter
der mächtigen Erregung der französischen Revolution, nach-
dem schon für die übrigen Naturwissenschaften, besonders
für die Chemie ganz neue Grundlagen der allgemeinen An-
schauung gewonnen worden waren, begannen auch die Vor-
arbeiten für den JSTeubau der Medicin. Gerade in diese
Epoche fällt die Gründung der Pepiniere. Sie war wie eine
Vorahnung der kommenden Zeit. Seitdem ist eine medici-
nische Schule nach der anderen aufgestanden, eine jede mit
vollkommneren Methoden und mit besseren Hülf smitteln ; von
Decennium zu Decennium ist die Summe des Wissens, die
Zahl der Möglichkeiten für das Können grösser geworden. An
die Stelle philosophischer Spekulation ist ein wohlgeordnetes
empirisches Wissen getreten: die Diagnose hat die Sicher-
heit der pathologisch-anatomisclien Grundlagen, die Prognose
die Zuverlässigkeit der Statistik gewonnen, und in der Be-
handlung sowohl der chirurgischen, als der inneren Schäden
werden die dogmatischen, meist auf willkürlichen Voraus-
setzungen begründeten und generali sirenden Indikationen mehr
und mehr durch erfahrungsmässige, zum grossen Theil localisi-
rende Heilanzeigen ersetzt. Nirgends ist der Gegensatz von
Sonst und Jetzt schroffer, als gerade in der Therapie. Während
die chirurgische Behandlung immer mehr in die Tiefe dringt
und das Gebiet, welches bis dahin der sogenannten inneren
Medicin vorbehalten war, auf eine noch vor Kurzem unglaub-
lich erscheinende Weise schmälert, während die einzelnen
Operationen an Kühnheit und Umfang weit über das früher
erlaubte Maass hinausgehen, so hat gerade in der äusseren
Chirurgie, welche den verletzten Soldaten hauptsächlich an-
geht, eine so conservirende Richtung Platz gegriffen, dass
es als ein alleräusserstes Mittel angesehen wird, einen Theil
des Körpers gänzlich, zu entfernen. Und so auch in der inneren
Medicin. Noch zur Zeit der Befreiungskriege galt der Ader-
lass als ein nicht nur zulässiges, sondern sogar nützliches und
daher vielfach anzuwendendes Heilmittel im Typhus, Gegen-
wärtig hält man es für ein Verbrechen, überhaupt Blut zu
vergiessen, w^o es sich irgend vermeiden lässt: nicht nur der
Typhus, sondern auch die Lungenentzündung wird ohne Ader-
lass geheilt. Ja, man beschäftigt sich ernstlich damit, selbst
die grossen Operationen, welche im engeren Sinne „blutige"
genannt werden, in unblutige zu verwandeln.
Derselben conservirenden , aber keineswegs conserva-
tiven Richtung ist es zu danken, wenn sich die Aufmerk-
samkeit der Geister mehr und mehr einer früher fast ganz
vernachlässigten Seite der Behandlung, der präventiven oder
prophylaktischen zuw^endet. Es ist dieselbe, welche in
grossem Styl als öffentliche Gesundheitspflege auftritt. Hier
begegnet sich der Arzt mit dem Verwaltungsbeamten, ja er
theilt gewisse Aufgaben mit dem militärischen Führer selbst.
Die Sorge für reine Luft und reines Trinkwasser, für ge-
sunde Nahrung und gesunde Aufenthaltsplätze liegt nicht
bloss der Medicinalverwaltung ob. In vielen Stücken ist
die Einwirkung der Militär-Intendantur eine noch viel mehr
entscheidende, und selbst der Truppencommandeur, welcher
weiss, dass es „vermeidliche" Krankheiten giebt, die ein Heer
decimiren können, wenn sie sich einmal festsetzen, wird
vielfach in Krieg und Frieden zu erwägen haben, ob seine
Befehle mit den Regeln der Gesundheitspflege im Einklang
stehen oder nicht.
So grosse Veränderungen — und es Hesse sich noch
manches andere Beispiel aufführen — sind wesentlich her-
beigeführt durch die Fortschritte der Wissenschaft. Man
könnte freilich auch sagen, es sei die bittere Noth gewesen,
diese herbste aller Lehrmeisterinneu, welche durch die
schwersten Heimsuchungen die Augen der Menschen geöffnet
habe, auf dass sie sehen mussten, was sie eigentlich
nicht sehen wollten. Ja, gewiss, es ist entsetzlich, welche
Schule der Leiden die Armeen haben durchmachen müssen,
ehe die Wahrheit allgemein anerkannt wurde! Noch im
Krym-Kriege verlor die französische Armee 1 Mann auf 3
des Gesammtbestandes , und man rechnet, dass von den
95,Gi5 Mann, welche ihr Leben einbüssten, nur 10,240 vor
dem Feinde fielen. Ungefähr eben so viele Verwundete star-
ben in den Hospitälern. Der Rest, mehr als 75,000 Mann,
fiel Seuchen zum Opfer. Im amerikanischen Secessionskriege
rechnet man 97,000 Todesfälle auf die Schlachten und 1 84,000
auf die Seuchen und Krankheiten. Welches Unmaass von
Leid und Schmerz, welches Meer von Blut und Thränen
liegt in diesen Zahlen verschlossen! Aber auch welche Fülle
von fehlerhaften Maassregeln, von Vorurtheilen und Miss-
verständnissen! Es ist nicht nöthig, hier die lange Liste
dieser Fehler und Sünden aufzumachen; sie ist glücklicher-
— 7 —
weise bekannt genug geworden, um Andern als Schreckbild
zu dienen.
Aber das muss hier gesagt werden, dass es nicht die
Noth allein war, welche das Uebel aufdeckte und die Hülfe
brachte. Dass die Franzosen in der Krym wenig oder
nichts gelernt haben und die Nordamerikaner in ihrem Bür-
gerkriege so viel, dass von da an eine neue Aera der Mi-
litärmedicin beginnt, das liegt nicht in der Grösse der Noth,
welche die Amerikaner zu erleiden hatten, denn diese war
nicht beträchtlicher, als sie die Franzosen in der Krym
erfuhren. Es war vielmehr der kritische, acht wissen-
schaftliche Geist, der offene Sinn, der gesunde und prak-
tische Verstand, der in America nach und nach alle Kreise
der Armee- Verwaltung durchdrang und der unter der wun-
dervollen Beihülfe eines ganzen Volkes das Höchste erreichte,
was bis dahin jemals in einem grossen Kriege an humaner
Leistung erzielt worden war. Wer die umfangreichen Publi-
kationen des amerikanischen Militär-Medicinalstabs zur Hand
nimmt und durchsieht, der wird immer wieder von Neuem
in Erstaunen gesetzt werden durch den Reichthum der Er-
fahrungen, welche darin niedergelegt sind. Die äusserste Ge-
nauigkeit im Detail, eine bis ins Kleinste sorgsame Sta-
tistik, eine alle Seiten der medicinischen Erfahrung umfas-
sende, gelehrte Darstellung sind hier vereinigt, um der
Nach- und Mitwelt das um so theureu Preis erkaufte Wis-
sen möglichst vollständig zu erhalten und zu überliefern.
Die deutschen Heere hatten in dem letzten französi-
schen Kriege auf ein Total von 913,967 Mann einen Ge-
sammtabgang von 44,890 Mann. Davon sind vor dem Feinde
gefallen 17,572, später an ihren Wunden erlegen 10,710,
Krankheiten und Seuchen zum Opfer gefallen 12,253, —
gewiss ein sehr günstiges Verhältniss. Aber wir hatten die
Erfahrungen zweier kurz vorhergegangener Kriege für uns,
welche wissenschaftlich und administrativ wohl erörtert und
benutzt waren; wir besassen die unschätzbaren Erfahrungen
der Amerikaner, und endlich — wir hatten die deutsche '
Wissenschaft.
Freilich die deutsche Wissenschaft hatte in 50 Jahren
des Friedens, dessen letzte Jahre durch einige kleinere Feld-
züge und mehrere Mobilmachungen nur vorübergehend unter-
brochen waren, den Zusammenhang mit den Aufgaben des
Krieges fast ganz verloren. Selbst die Chirurgie, die doch
ihrer Natur nach zu allen Zeiten einen grossen Theil ihrer
Beschäftigungen den Verletzungen zuzuwenden hat, war so
sehr in die Hände der eigentlichen Fachmänner zurückge-
gangen, dass, als der Ruf zu den Waffen erscholl, es nöthig
erschien, überall auch die Lehrer des Faches als aktive
Elemente der Militärchirurgie heranzuziehen. Noch schHm-
raer sah es auf dem Felde der inneren Medicin aus. Der
Skorbut war so vollständig aus den Krankenhäusern ver-
schwunden, dass man sich daran gewöhnt hatte, ihn zu den
ausgestorbenen Krankheiten zu zählen, und erst der Krieg
in der Krym und der Ostsee musste den Nachweis Hefern,
dass gleiche Ursachen immer noch gleiche Wirkungen her-
vorbringen. Der ansteckende Kriegstyphus, der von dem
Feldzuge von 1812 her noch in schlimmster Ej-innerung
war, damals das russische Fieber genannt, war auf dem
Continent so selten geworden, dass man ihn allmähch mit
dem Abdominaltyphus verwechselte; erst die Hungerpest
in Oberschlesien 1848 machte ihn wieder zu einem wirk-
lichen Gegenstande ärztlicher Forschung in Deutschland.
Nur in einem Punkte war die Aufmerksamkeit immer
wach erhalten worden, in demjenigen, welcher in fast gleicher
Weise alle Zweige der Medicin berührt. Das waren die
eigentlichen Hospital- oder Nosokomialkrankheiten. Die
bösartigen Wundfieber der Chirurgen, die Eiterfieber der
Mediciner, die Puerperalfieber der Gynäkologen, — sie führ-
ten sämmtlich auf dasselbe dunkle Gebiet, auf dem die
— 9 —
Wissenschaft und die Praxis gleich machtlos einer ebenso
dunklen, als übermächtigen Gewalt gegenüber standen. Die-
selbe Krankheit, welche die Verwundeten des Krieges in
den Lazaretten dahinraffte, wüthete in bald grösseren, bald
geringeren Epidemien Jahr aus, Jahr ein in den stehenden
Kranken- und Gebärhäusern. Nur die Vorstellungen über
ihr Wesen und demgemäss auch der Name, welchen man
ihr beilegte, wechselten. Zur Zeit der Befreiungskriege
hatte man sie noch den adynamischen Fiebern zugerechnet.
Als aber durch Broussais und Schönlein die Lehre von
den essentiellen Fiebern zu Grabe getragen wurde, als die
pathologisch-anatomische Forschung auch dieses Gebiet zu
erobern begann, da entstand der Name der Phlebitis, weil
man in den Venen den eigentlichen Sitz und Ausgangspunkt
des Uebels zu erkennen glaubte. Selbst als der zweideutige
Name der Pyämie ^hinzugefügt wurde, blieb doch die Vor-
stellung von der ursprünglichen Venenaffection so sehr die
bestimmende, dass der grosse französische Forscher Cru-
veilhier den Ausspruch that: la phlebite domine toute la
Pathologie.
Es war um diese Zeit, als ich selbst durch den damali-
gen Leiter dieser Anstalt, den jetzigen hochverdienten Chef des
deutschen Militär-Medicinalwesens, berufen ward, die wissen-
schaftlichen Untersuchungen an der hiesigen Charite zu
übernehmen, und ich darf wohl am heutigen Tage daran
erinnern, dass es mir gestattet war, als am 2. August 1845
diese Anstalt die Feier ihres ersten halben Säculums beging,
in einer Festrede die erste Mittheilung meiner Untersuchun-
gen über Phlebitis und Pyämie von dieser Stelle aus vor-
zutragen^). Schon damals konnte ich den Nachweis führen,
dass weder der Name der Phlebitis, noch der Name der Pyämie
passend sei, dass es sich vielmehr einerseits um Gerinnungen
des Blutes in den Gefässen und deren weitere Geschichte, ande-
rerseits um eine Infection des Blutes durch unreine, zuweilen
— 10 —
faulige Stoffe handle, was ich später als Thrombose und Embo-
lia, Ichorrhämie und Sephthämie bezeichnete. Aber ich ver-
mochte nicht genau zu sagen, welche Schädlichkeit es sei,
welche diese Ichorrhämie und Sephthämie hervorbringe.
Daran schloss sich alsbald eine andere Erörterung.
Eine grosse Keihe der schlimmsten Erkrankungsformen, wie
das Puerperalfieber, die Ruhr, selbst der Hospitalbrand, bil-
den an den befallenen Stellen Pseudomembranen, von
welchen die weitere Zerstörung der Gewebe ausgeht.
Rokitansky hatte die Mehrzahl von ihnen als croupöse
bezeichnet. Eine feinere mikroskopische Untersuchung lehrte
jedoch einen durchgreifenden Unterschied. Während die
Croupmembran sich als eine Ausscheidung von Faserstoff
zu erkennen giebt, welche als eine abstreifbare Haut neben
der erkrankten Oberfläche liegt, diese selbst aber unversehrt
lässt, zeigt sich in jener anderen Reihe von Fällen eine aus
feinsten Körnern bestehende Einlagerung in das Gewebe
selbst, welche nicht ohne Substanzverlust trennbar ist.
Unter ihrer Ausbreitung stirbt das Gewebe ab, und wenn
es sich als „Haut" löst, so hinterlässt es ein Geschwür,
welches durch immer neue Einlagerung sich nur zu leicht
in die Tiefe ausbrütet. Ich nannte diese ganze Gruppe von
Erkrankungen mit einem zuerst von Bretonneau für eine
einzige Localität gewählten Ausdrucke diphtheritische^).
Die grosse Cholera-Epidemie von 1848 gab sehr bald
Gelegenheit, diese selbige Diphtherie im Darm, in der
Gallenblase, der Scheide und an anderen Schleimhäuten nach-
zuweisen''). Ich fand sie bei Pocken und Scharlach, ja bei
den mannichfaltigsteu infectiösen Prozessen; ihr Zusammen-
hang mit den bösartigen Rosen, den tiefgreifenden brandig-
phlegmonösen Erkrankungen, mit schlimmen Formen innerer
Entzündungen trat zu Tage*), und so kam ich endlich auf
einem zweiten Wege zu einer Form der Infection, welche
— 11 —
noch viel mehr, als die nach Thrombose, einen ichorösen
oder fauligen Charakter hatte.
Schon die Alten dachten bei solchen Zuständen an eine
Verunreinigung der Säfte. Sie nannten die verunreinigende
Substanz Miasma (von /iuaivw^ inficio). Ich habe deshalb
die ganze Klasse Infectionskrankheiten genannt. Andere
haben eine andere, gleichfalls antike Vorstellung vorgezogen,
nehmlich die Vergleichung mit der Gährung, fermentatio,
i^xj/iLwo-iQ^ hergenommen von der Säuerung und Gährung des
Brodes. Sie gebrauchen den Namen der zymotischen Krank-
heiten. Eine gewisse Zahl von diesen Krankheiten ist zu-
gleich contagiös: sie pflanzen sich von Mensch zu Mensch
fort, gleich einem Brande, der von Haus zu Haus weiter-
greift, durch „Ansteckung".
Was ist nun aber dieses Miasma oder gar dieses Con-
tagium? Seit Jahrhunderten erhebt sich immer von Neuem
die Vermuthung, dass es ein selbständiges Wesen mit
eigenem Leben und eigener Fortpflanzungsfähigkeit sei. Die
Lehre von dem Contagium vivum s. animatum, so oft schon
zurückgeworfen, taucht mit immer verstärkter Gewalt wie-
der auf, so oft die naturwissenschaftliche Forschung auf dem
Gebiete der Pathologie sich neu belebt. Freilich hat die
Neigung der Menschen zu vorzeitiger Verallgemeinerung
einer in beschränkterer Weise gültigen Erfahrung sie auch
hier nur zu oft irre geführt. Die Entdeckung der Krätz-
milbe, der Nachweis von der parasitären Natur der Krank-
heit der Seidenraupen haben noch in unserem Jahrhundert'
gezeigt, wie leicht. der Sinn auch sonst ruhiger Beobachter
bethört wird und wie schnell sie geneigt sind, der neuen
Erfahrung eine zur Zeit unberechtigte Breite der Geltung
zuzugestehen. Aber am Ende, wer will sie tadeln, wenn
ihre Vorahnung sich doch bestätigt?
Eine solche erste und grösste Bestätigung hat die Ge-
schichte des Milzbrandes geliefert, einer ursprünglich bei
— 12 —
pflanzenfressenden Säugethieren auftretenden, meist epizooti-
schen Krankheit, welche sich sehr leicht auch dem Men-
schen mittheilt. Die jüngste Seuche unter dem Damwilde
im Grunewald hat uns Allen diese Gefahr ganz nahe vor
Augen gerückt. Im Jahre 1855 veröffentlichte Peilender
die ersten Mittheilungen über das Vorkommen mikrosko-
pischer Stäbchen im Blute milzbrandkranken Rindviehes;
Brauell und Davaine erweiterten sehr bald die Kenntniss
dieser Gebilde, und niemand zweifelt jetzt mehr, dass es
sich hier um kleinste Pflanzenformen von dem Geschlechte
Bacterium handelt. Sie finden sich im Blute, in der Milz,
in der gelben Sülze und den Carbunkeln der äusseren Theile.
Ihre Uebertragung auf dem Wege der Impfung heisst so
viel als Uebertragung der Krankheit. Das Milzbrand-Miasma,
das Milzbrand- Contagium, so schliesst man, ist also das
Bacterium, eine niederste Pflanze von unermesslicher Ver-
mehrungsfähigkeit.
Eine nicht minder überraschende Beobachtung wurde
erst im vorigen Jahre bei einer epidemischen Krankheit
des Menschen, dem sogenannten Rückfallsfieber (Febris re-
currens) von meinem leider so früh seinem wissenschaft-
lichen Eifer erlegenen Assistenten, dem Dr. Obermeier
gemacht. Bei dieser merkwürdigen Krankheit, dem gewöhn-
lichen Vorläufer und Begleiter des ansteckenden Typhus, ge-
lang es ihm, während der Anfälle ein kleinstes, höchst be-
wegliches, in schnellster Vibration schwingendes Pflänzchen,
Spirochaete, im Blute aufzufinden, das mit dem Anfalle wie-
der verschwindet.
Sowohl der Milzbrand, als das Rückfallsfieber haben das
Ausgezeichnete, dass die Pflänzchen im Blute selbst vor-
kommen und dass ihre eigenthümliche Gestalt, ihre relative
Grösse die Erkenntniss sehr erleichtern. Das Mikroskop
zeigt uns aber in zahlreichen anderen Infectionskrankheiten,
um nicht zu sagen, in allen, mit mehr oder weniger Con-
— 13 -
stanz ungleich kleinere und ungleich weniger bestimmt cha-
rakterisirte Gebilde von bald rundlicher, bald länglicher Ge-
stalt, einzeln, aufgereiht und in grossen Gruppen, theils in
Absonderungsflüssigkeiten, theils im Gewebe des Körpers
selbst, bald beweglich, bald ruhend. Vor einem Decennium
pflegte man sie dem damals für thierisch angesehenen Ge-
schlechte Vibrio anzuschliessen; seit dem Auftreten Hallier's
ist der Name Micrococcus und die Meinung von ihrer pflanz-
lichen Natur gangbar geworden, bis Ferdinand Cohn sie
unter der Bezeichnung der Kugelbakterien den Stäbchen-
bakterien an die Seite gestellt hat. Viele von ihnen, auch
wohl Punktbakterien genannt, sind von so winziger Grösse,
dass sie auch bei den stärksten Vergrösserungen an der
Grenze der Sichtbarkeit sich befinden.
Noch ist es nicht gelungen, für diese allerkleinsten
Gebilde bestimmte Merkmale aufzufinden, durch welche es
unter allen Umständen möglich wäre, dieselben als leben-
dige Elemente, als feinste Organismen zu erkennen. Ihre
Unterscheidung von blossen Körnchen, kleinsten Partikelchen
unbelebter organischer Substanz ist daher vielfach unmöglich,
und der gute Glaube sowohl des Beobachters, als des Nach-
beters ergänzt das, was an thatsächlichen Beweisen fehlt.
Mancher Tag wird wahrscheinlich noch dahingehen, bevor
eine wahrhaft wissenschaftliche Ueberzeugung für alle Fälle
festgestellt und eine allgemeine Einigung über die Grenzen des
mikroparasitären Gebietes gewonnen sein wird. Aber auch
jetzt schon, wenn man die zweifelhaften Fälle ausscheidet,
bleibt eine grosse Zahl der wichtigsten Thatsachen bestehen,
und gerade die Militärmedicin sollte an ihrer Verwerthung
in hohem Maasse betheiligt sein.
Vornehmlich sind hier zu nennen die diphtherischen
Prozesse und im Anschlüsse an sie die rosenartigen, na-
mentlich das Erysipelas malignum. Jene körnige Einlage-
rung in die diphtherisch ergriffenen Gewebe, von der ich
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früher sprach, hat sich mehr und mehr als eine parasitäre
enthüllt. Was wir ehedem als blosse organische Körnchen,
als ein einfaches Infiltrat oder Exsudat ansahen, das erweist
sich als eine dichte Anhäufung von Mikrorganismen , mag
man sie nun Vibrionen, Mikrokocken oder Kugelbakterien
nennen. Sie dringen in die Gewebe und zwar in die Zel-
len selbst ein und ertödten sie. Schon vor zwanzig Jahren
sprach der berühmte italienische Anatom Pacini von den
Milliarden von Vibrionen, welche den Darm der Cholera-
kranken erfüllen und von welchen er annahm, dass sie die
Darmzotten abweideten. Keber hat sie in der Pocken-
lymphe aufgefunden. Basch, der Leibarzt des unglück-
lichen Kaisers Maximilian, erkannte sie im Darm mexikani-
kanischer Kuhrkranker. Jedes Jahr hat neue Beispiele ge-
bracht, und wir können nunmehr wohl sagen, dass in den
Infectionszuständen des Menschen und der Thiere ein ganz
neues, ungeheures Gebiet selbständigen Lebens erschlos-
sen ist.
Es ist dieses Gebiet eine Provinz der medicinischen
Botanik. Denn es ist im Grossen und Ganzen richtig
dass diese inficirenden Organismen den niedersten Pflanzen-
formen näher stehen, als irgend einer Thierform, mögen sie
auch selbständige Bewegungserscheinungen wahrnehmen las-
sen. Wir sind längst über die Zeit hinaus, wo selbständige
Bewegung als ein bezeichnendes Merkmal der thierischen
Natur angesehen und wo alle kleinsten Wesen mit solcher
Bewegung Infusorien genannt wurden. Selbständige Bewe-
gung ist noch lange nicht willkürliche Bewegung und nur
diese ist ein untrügliches Kennzeichen des Thieres. Der
Versuch Häckel's, zwischen Thieren und Pflanzen ein be-
sonderes Zwischenreich, das der Protisten, aufzurichten,
mag für andere Wesen seine Berechtigung haben; die Pa-
rasiten, welche uns beschäftigen, stehen den Schimmelformen,
welche in die Klasse der Pilze gehören, am nächsten, und
- 15 —
manche der am meisten charaeteristischen Arten zeigen sclion
in ihrer äuseren Erscheinung ähnliche Eigenschaften und
Anordnung, wie sie vom Schimmel bekannt sind.
Ich erwähne in dieser Beziehung die farbigen Schim-
melformen, von denen einzelne so auffällige Zeichen her-
vorbringen, dass sie in früherer Zeit als wirkliche Wunder
betrachtet wurden. Von dem Blutschimmel, der auf Brod
und anderen stärkemehlhaltigen Stoffen in Form von Tropfen
und Flecken, nicht selten ganz plötzlicli und massenhaft,
wächst, hat schon Ehrenberg gezeigt, dass er dem alten
Mirakel von „dem Erscheinen des Blutes auf Hostien" zu
Grunde liegt. Die von diesem Altmeister der Mikroskopie
aufgestellte Gattung Monas prodigiosa gehört demselben Ge-
biete der Kugelbakterien an, welches uns beschäftigt. Es
ist ein kleinstes und einfachstes Pflänzchen, das sich mit
unglaublicher Schnelligkeit vermehrt und dabei einen eigen-
thümlichen vegetabilischen Farbstoff absondert, der freilich
dem Blutfarbstoffe äusserlich sehr ähnlich ist, sich jedoch
in "Wirklichkeit vollkommen von demselben unterscheidet.
Andere, unter pathologischen Verhältnissen am menschlichen
Körper vorkommende Schimmel, namentlich solche, die an
eiternden Wunden sich entwickeln, erzeugen einen blauen,
andere einen schwärzlichen, andere wieder einen orange-
farbenen Farbstoff. Für Jemand, der die verschieden ge-
färbten Pilze an den Blättern und Stämmen der Bäume,
Sträucher und anderer Gewächse zu betrachten gewohnt ist
eine keineswegs auffallende Thatsache.
Leider ist jedoch diese Provinz der Botanik noch wenig
angebaut. Die ungemeine Kleinheit der Gegenstände , die
Schwierigkeit ihrer Isolirung von einander, die überaus häu-
fige Vermischung mehrerer oder gar vieler Arten an der-
selben Steile hindern ein zuverlässiges Studium in ganz un-
gewöhnlicher Weise. Die mit peinlichster Sorgfalt ange-
stellten „Keinculturen", unternommen in der Absicht, die
— 16 —
gesammte Geschichte des einzelnen Pilzchens von dem er-
sten Keim bis zu seiner vollständigen Entwickelung und
Fruchtbildung zu verfolgen, scheitern immer und immer wie-
der an dem Auftreten neuer Pilzarten, deren Keime man vor-
her nicht wahrgenommen hatte, in den Culturbeeten. Ja, der
Gedanke, dass aus der organischen Substanz, in welcher
die Cultur vorgenommen wird, durch einen Akt der Schöpfung
oder, wie man es etwas illoyal genannt hat, durch Gene-
ratio aequivoca die neuen Keime erst gebildet werden, findet
immer wieder neue Anhänger. In der That hat der specu-
lativ so berechtigte Gedanke einer Epigenesis oder, wie man
neuerlichst sich ausgedrückt hat, einer Abiogenesis nirgends
so viel Wahrscheinlichkeit für sich, als gerade gegenüber
diesen, zum Theil kaum sichtbaren Wesen.
Die nüchterne Erfahrung, gestützt auf das Experiment,
weist alle diese Hoffnungen zurück. Jeder Versuch der Epi-
genesisten wird durch einen noch besseren Versuch der Pan-
spermatiker widerlegt. Die aprioristische Möglichkeit, so
viel sich philosophisch für sie sagen lässt, findet keine em-
pirische Begründung. Auch der kleinste Organismus ent-
steht im Wege regelmässiger Erbfolge von einem früheren,
und wenn dieser Organismus im Sinne des Pathologen ein
Miasma oder ein Contagium ist, so folgt daraus, dass kein
solches Miasma oder Contagium de novo entsteht. Irgendwo
in der Welt muss es schon gegeben sein, und wenn wir es
hier auffinden und vernichten könnten, so raüsste auch die
davon abhängige Krankheit zu Ende gehen.
Sonderbarerweise zeigt die Geschichte der Epidemien
ein Verhalten, welches scheinbar dieser Auffassung gerade
entgegengesetzt ist. Kein Theil der Geschichte ist mehr
geeignet, dies darzulegen, als die Kriegsgeschichte. Nur zu
oft sind es Feldzüge, Belagerungen, Truppenanhäufungen
der verschiedensten Art gewesen, welche die Heerde grosser
und zuweilen unerhörter Epidemien schufen. Von der Bela-
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gerung Troja's und den Perserkriegen, von den Feldzügen
Alexander's und MarcAurel's bis zu den Belagerungen
von Sewastopol, Gaeta und Metz, bis zu den nordamerika-
nischen und böhmischen Feldzügen, — wie viele Mal sind
schwere Seuchen unter den Kriegern ausgebrochen und durch
die fortziehenden Schaaren, durch Kranke und Nachzügler
weit und breit unter die übrigen Leute verschleppt worden !
Wenn man sich die Infectionskrankheiten , unter denen
die Heere zu leiden haben, genauer ansieht, so lassen sie
sich ganz natürlich in zwei grosse Gruppen eintheilen, wel-
che ich als die der einheimischen und die der exotischen
bezeichnen möchte. In die letztere Reihe gehören die Pest,
die Blattern und die Cholera. Nichts berechtigt zu der An-
nahme, dass eine dieser Krankheiten jemals auf europäischem
Boden, entstanden sei. Man kann über die Zeit ihres ersten
Einbrechens in Europa streiten und die eine oder andere
dunkle Stelle eines alten Schriftstellers auf sie beziehen.
Aber man darf sich nicht im Fanatismus der historischen
Forschung verlocken lassen, zu glauben, es habe zu allen
Zeiten Epidemien dieser Art gegeben. Die erste Invasion
der orientalischen oder sagen wir lieber, der ägyptischen
Pest in Europa fällt in das Jahr 543; wahrscheinlich bald
nachher erscheinen die Blattern, deren erstes Auftreten in
Arabien etwa um die Mitte des 6. Jahrhunderts gesetzt wird;
die erste europäische Cholera -Epidemie trat erst im Jahre
1830 auf, nachdem sie schon seit 1817 von ihrer indischen
Heimath aus ihren Verwüstungszug begonnen hatte. Alle
diese Krankheiten sind ansteckend, wenngleich in sehr ver-
schiedener Weise ansteckend. Es wird ein Streit um des Kaisers
Bart, wenn man, wie früher bei der Pest, so jetzt bei der
Cholera, die Unterschiede ihrer Contagiosität von anderen,
uns geläufigen contagiösen Krankheiten so sehr betont, dass
darüber die Contagiosität selbst in Frage gestellt wird. Mag
zwischen dem ersten erkrankten Individuum und dem zweiten
2
— 18 —
ein gewisses Zwischenglied liegen, das kann man nicht
hinwegdisputiren , dass der Krankheitskeim von dem ersten
Individuum ausgeht und zu dem zweiten gelangt.
Die Pest ist gegenwärtig nahezu eine Krankheit der
Vergangenheit. Wenngleich noch in den letzten Tagen die
Nachricht von neuen Eruptionen dieser Seuche am Euphrat
und an der Libyschen Küste die Gemüther beunruhigt hat,
den Trost besitzen wir, zu wissen, dass mit der Einführung
geordneter socialer Zustände in ihrem alten Heimathlande
Aegypten die gefahrdrohenden Epidemien aufgehört haben.
Dagegen die Gefahren der Cholera hat erst der böhmische Feld- .
zug von 1866, die Gefahren der Blattern der französische
von 1870 und 1871 dargelegt, im ersteren Falle für die
Armee selbst, im letzteren für die Kriegsgefangenen und die
sesshafte Bevölkerung.
Die andere Gruppe ist die der einheimischen Infections-
krankheiten. Ich will die Frage ununtersucht lassen, ob der
ansteckende Typhus, das sogenannte Fleckfieber oder der
eigentliche Kriegstyphus, mit seinem Genossen, dem Rück-
fallsfieber in diese Kategorie gehört, worüber sich bis zu
einem gewissen Maasse wohl eine abweichende Meinung ver-
theidigen lässt. Nach den amtlichen Tabellen sind es haupt-
sächlich drei Krankheiten, welche hier in Betracht kommen:
die Diphtherie, der Abdominaltyphus und die Ruhr. Im
Jahre 1868 zählte die Armee im Frieden 2358 Erkran-
kungsfälle an Diphtherie, 3006 an Abdominaltyphus (abge-
sehen von 4850 Fällen an gastrischem Fieber), 327 an Ruhr.
Im Jahre 1869 werden 1769 Fälle von Diphtherie, 2234 von
Abdominaltyphus (ungerechnet 2260 von gastrischem Fieber)
und 65 von Ruhr aufgeführt.. Von erheblicher Bedeutungist da-
her eigentlich nur der Abdominaltyphus , zumal wegen seiner
grossen Einwirkung auf die Sterblichkeit. Denn die Armee
verlor 1868 daran 529, 1869 338 Mann; die Krankheit er-
reichte also eine Sterblichkeit von 17,5 und 15,1 pCt. Ja,
— 19 —
im ersten Armeeeorps . betrug sie im Jahre 1868 sogar
20 pCt.
Im Kriege gestalten sich die Verhältnisse natürlich
anders. So ergiebt die Statistik des letzten französischen
Krieges, dass von den 12,253 an Krankheiten Gestorbenen
mehr als die Hälfte dem Typhus erlegen ist, nehmlich 6965;
an der Ruhr starben 2000 Mann, etwa ein Sechstel. Alle
anderen tödtlichen Krankheiten umfassen also nur ein Drittel
des Gesammtverlustes. Rechnen wir dazu von den in Folge
ihrer Wunden verstorbenen 10,710 Mann den grösseren
Theil, insofern wohl angenommen werden darf, dass die
Mehrzahl derselben an bösartigen Wundkrankheiten zu Grunde
gegangen ist, so erhalten wir eine Summe von nahezu
20,000 Mann, welche der einen oder der anderen Art der
Infection erlegen sind.
Es verlohnt sich also recht sehr der Mühe zu unter-
suchen, wodurch denn eigentlich diese Infection hervorge-
bracht wird.
Nun sind sowohl die Pocken und die Cholera, als auch
der Typhus und die Ruhr, die Diphtheritis und die Wund-
krankheiten verdächtig, durch jene feinsten Pflanzenformen,
die vorher den Gegenstand meiner Besprechung bildeten, er-
zeugt zu werden. Es finden sich bei ihnen allen kleine
Bakterien und Mikrokocken in grosser Zahl, und zwar bei
den meisten jener Krankheiten im Ernährungskanal, nament-
lich bei Cholera, Typhus und Ruhr im Darm, bei der Diph-
theritis im Rachen. Die Ruhr darf als ein im Wesentlichen ört-
licher Erkrankungsprocess der Darmschleimhaut betrachtet
werden; bei der Cholera treten schon die Allgemeinerscheinun-
gen stärker in den Vordergrund ; bei dem Typhus ist dies im
höchsten Grade der Fall. Sind nun in der That die Mikrorga-
nismen der eigentliche Grund oder, wie man wohl etwas
eilig sich ausdrückt, das Wesen dieser Krankheiten?
Ein erstes erhebliches Bedenken gegen diese Auffassung
2*
— 20 —
bilden die vorliommenden Mikrorganismen selbst. Es ist
bisher nicht gelungen, so durchgreifende Unterschiede zwi-
schen den Parasiten der Cholera und denen der Ruhr, zwi-
scben den Bakteridien der Blattern und denen der Diphtheritis
zu finden, dass man bei jeder dieser Krankheiten besondere
Pflänzchen nach bestimmten Merkmalen zu erkennen und
im technischen Sinne zu diagnosticiren vermöchte. Die-
selben Formen von Mikrokocken und Bakterien, welche
der Cholerastuhl zeigt, habe ich in Darmausleerun-
gen von Kranken mit Fleckfieber, ja bei einfacher chro-
nischer Diarrhoe in cholerafreier Zeit gesehen'^). Noch
vielmehr war ich überrascht durch ein anderes Vor-
kommen derselben. Es ist ein schwieriges Problem, in
Cholerazeiten eine Arsenikvergiftung zu diagnosticiren, weil
die Symptome in beiden Fällen sehr ähnlich sein können.
Die Seuche verhüllt gleichsam das Verbrechen. Ich hoffte,
einen Unterschied in den Darmausleerungen entdecken zu
können. Aber zu meinem grössten Erstaunen fand ich^)
auch im Darm von Arsenikleichen dieselben Mikrorganis-
men, welche die Cholera charakterisiren sollen. Ebensowenig
giebt es meines Wissens bis jetzt eine Möglichkeit, durch
die besonderen Eigenschaften der vorkommenden Kugelbak-
terien eine variolöse Rachendiphtherie von einer einfachen
oder von einer scarlatinösen zu unterscheiden.
Gerade die diphtherischen Localprocesse bilden aber ein
sehr auifälliges Verbindungsglied zwischen den verschiedenen
Infectionskrankheiten. So habe ich schon in der grossen
Pockenepidemie von ] 858 nachgewiesen, dass die sogenannte
Delle der Pockenpusteln dadurch bedingt wird, dass an
dieser Stelle eine diphtherische Infiltration der Haut statt-
findet; ähnliche Zustände bilden sich in der Schleimhaut
der Luftwege und der Speiseröhre der Pockenkranken'').
So finden wir selbst bei Abdominaltyphus gelegentlich nicht
bloss Darmdiphtherie, sondern auch diphtherische Zustände
der Harnwege und der Nieren. Im Puerperalfieber haben
„ 21 —
zuweilen selbst die Bauchfell- und Brustfellentzündung,
welche sich im Laufe desselben entwickeln, einen diphtheri-
schen Charakter.
Könnte es nicht sein, dass die Diphtherie in allen diesen
Fällen nur eine Complication darstellt? So fassten wir Alle
in früherer Zeit das Verhältniss auf. Die Diphtherie er-
schien uns als der höchste Grad einer örtlichen Entzündung
von bösartigem Charakter, bedingt durch die Heftigkeit des ört-
lichen Vorganges, auch wohl durch eine schlechte Beschaifenheit
des betroffenen Gewebes oder Individuums. Schon die älteren
Schriftsteller hatten alle diese Formen unter dem Namen
der brandigen Entzündungen zusammengefasst. Seitdem sich
nun gezeigt hat, dass die diphtherische TnOltration eine para-
sitäre ist, ändert sich freilich die theoretische Vorstellung
von dem Wesen des Localprocesses, obwohl nicht die Vor-
stellung von seiner Wirkung, die stets als eine ertödtende
und insofern brandige (nekrotisirende, gangränescirende) wird
anerkannt werden müssen. Wäre es aber trotzdem nicht
möglich, dass auch diese parasitäre Affektion nur eine Com-
plication ist? Wir kennen ähnliche Verhältnisse vom Soor,
einer durch einen wohlausgebildeten Fadenpilz, das Oidium
albicans, hervorgebrachten Erkrankung der Mund-, Rachen-
und Speiseröhrenschleimhaut. Während sie bei kleinen Kin-
dern unter dem Namen der Schwämmchen oder Aphthen
als ein für sich bestehendes und selbständiges Leiden be-
kannt ist, findet sie sich als häufige Complication bei
Schwindsüchtigen und, was ganz besonders wichtig ist, bei
Typhösen. In ähnlicher Weise Hesse sich recht wohl die
Diphtherie als ein besonderer Zufall betrachten, der die
Summe der schon vorhandenen Störungen in den Infections-
krankheiten noch vermehrt. Ja, es erscheint eine solche
Auffassung sogar berechtigt, wenn man erwägt, dass nicht
jeder Fall von Cholera, Typhus oder Ruhr wirkliche Dipht-
herie zeigt.
— 22 "~
Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung kann man noch
auf einem anderen Wege gelangen. Auch die faulige Zer-
setzung ausserhalb des Körpers ist, wie die Gährung, von
der Entwickelung kleiner Pflänzchen begleitet. Daher for-
mulirte schon E. Mitscherlich zu einer Zeit, da man nur
die Gährungspilze als Pflanzen, dagegen die Vibrionen, Mo-
naden und Bakterien als Thiere ansah, den Unterschied beider
Zersetzungsprocesse dahin, dass die Gährung durch Pilze,
die Fäulniss durch Infusorien bedingt sei. Wäre es nun
nicht zulässig, anzunehmen, wie es die älteren Aerzte in
der Annahme eines Status putridus und .einer Febris pu-
trida, des so sehr gefürchteten Faulfiebers, thaten, dass alle
diese Infectionskrankheiten ein gleichartiges fauliges Element
enthielten? und dass sie sowohl in den Absonderungen, als
in den Geweben des Körpers eine gewisse chemische Con-
stitution hervorbrächten, welche der Zersetzung, dem Zerfall
günstig ist und die schnelle Vermehrung der in diese Theile
gelangenden Fäulnissorganismen nach sich zieht?
Unter den Absonderungen giebt es keine, welche so
sehr eine zur Fäulniss prädisponirte Constitution besitzt,
als der Harn. Ausserhalb des Körpers genügt irgend
eine Beimischung fauliger Substanz zum Harn, um ihn
schnell zu alkalischem Zerfall zu bringen ; mit grösster
Schnelligkeit tritt alsdann in ihm eine unermessliche
Menge pflanzlicher Organismen der kleinsten Art auf.
Aber auch innerhalb des Körpers geschieht das selbe.
Diese, wie man wohl sagt, alkalische oder Harnstoff-
gährung ist eine der gewöhnlichsten Complicationen der
Blasenleiden, sowohl beim Manne, als bei der Frau, und
jedesmal zeigt sich unter solchen Verhältnissen eine Neigung
zur Diphtheritis der Blase selbst, ja sogar der Nieren.
Nichts ist häufiger und zugleich lästiger, als die Diphtheri-
tis der Scheide bei solchen Frauen, welche an Blasenscheiden-
fisteln leiden.
- 23 —
Nächst dem Harn sind die Abgänge des Darmes zn
nennen. Ausserhalb und innerhalb des Körpers „tendiren"
die Fäcalstoife zur fauligen Zersetzung und zur Massenpro-
duction von Fäulnissorganismen. Kein Theil des Körpers
aber ist so sehr zu diphtherischen Erkrankungen prädispo-
nirt, als derjenige Abschnitt des Darms, welcher die be-
reits in den fäculenten Zustand übergegangenen, zum Aus-
wurf bestimmten Stoffe enthält, nehmlich der Dickdarm.
Hier ist der eigentliche Sitz der ßuhr, hier finden sich vor-
zugsweise die diphtherischen Zustände der Cholera, hier
zeigt sich nicht selten die Diphtherie der Wöchnerinnen und
der sogenannten Pyämischen. Aber hier ist auch zugleich
der Prädilectionssitz , der Locus minoris resistentiae für die
Diphtheritis der Schwindsüchtigen und, was gewiss sehr be-
zeichnend ist, für die der ürämiker. Alle diese Formen aber
sehen sich anatomisch so ähnlich, dass sie vielfach unter
dem gemeinsamen Namen der dysenterischen Processe oder
kurzweg der Ruhr zusammengefasst werden, — ein Ver-
fahren, dem ich mich immer widersetzt habe, weil der Be-
griff der Ruhr ein klinischer oder ein ätiologischer, aber nicht
ein anatomischer ist, und weil die wahre Ruhr ausser der
diphtherischen Form, die ich selbst zuerst als solche nach-
gewiesen habe, noch in einer davon verschiedenen katarrha-
lisch-folliculären Form auftritt.
Um so mehr habe ich aber immer darauf bestanden,
dass man auch für die wahre Ruhr anerkenne, von wie
grosser Bedeutung für ihre Entwickelung und örtliche Aus-
bildung die Zurückhaltung und Zersetzung der Fäcalstoffe
sei ^). Es würde zu weit führen, wenn ich alle Einzelheiten
in dem anatomischen Verlaufe des Processes hier darstellen
wollte; es mag genügeUj hervorzuheben, dass in dieser Er-
kenntniss zugleich die theoretische Erklärung für jenes ur-
alte, empirische und auf den ersten Blick so widerspruchs-
volle Heilverfahren bei der Ruhr, Abführmittel zu reichen,
- 24 -
gegeben ist. Das aber muss ich noch erwähnen, dass bei
krankhaften Verengerungen des Dickdarms, gleichviel wel-
cher Art sie sind, über der verengten Stelle, wo eine oft
sehr lange andauernde Anstauung der Fäcalstoife erfolgt,
sehr leicht eine diphtherische Erkrankung eintritt, welche
an Heftigkeit des örtlichen Verlaufes nur von der puerpe-
ralen erreicht wird, indem Totalnekrosen der Darmwand mit
vollständiger Durchlöcherung derselben entstehen. Was kann
hier anders für ein Entstehungsgrund angerufen werden, als
die faulige Zersetzung der stagnirenden Fäcalstofife?
Eine solche Reihe von Betrachtungen führt scheinbar
folgerichtig zu der Vorstellung von der einheitlichen Natur
aller derjenigen Prozesse, welche in der Diphtherie ihren
anatomischen oder örtlichen Ausdruck finden. Man sollte
meinen, es erübrige dann nur noch, auch die einheitliche
Natur der Fäulnissorganismen darzuthun. Dies hat kürzlich
in einer für den heutigen Gang der wissenschaftlichen Un-
tersuchung in der Chirurgie höchst bezeichnenden botanischen
Arbeit Billroth versucht, indem er sämmtliche unter dem
Namen von Vibrionen, Monaden, Mikrokocken, Bakterien
u. s. f. aufgeführten Erscheinungsformen von einer einzigen
Mutterpflanze, die er Coccobacteria septica nennt, ableitet.
Da diese Pflanze sich überall in der Natur vorfindet, da sie
im menschlichen Körper selbst, namentlich im Darm, auch
bei Gesunden fast immer vorhanden ist, so bedarf es gar
nicht erst einer Zuführung derselben, einer Ansteckung und
üebertragung : sie ist schon da und es ist nur nöthig, dass
günstige Bedingungen für ihre Fortpflanzung und weitere
Ausbildung eintreten.
Ohne mir in diesem Augenblicke ein Urtheil über die
Richtigkeit der botanischen Abschnitte dieser bedeutungs^
vollen Arbeit anmaassen zu wollen, muss ich doch sagen,
dass sie mit meinem eigenen Gedankengange nur zum Theil
zusammentrifft. Ich halte es allerdings für richtig, dass
— 25 —
die gewöhnlichen Fäulnis sorganismen ausreichen, um einen
grossen Theil der localen und einen gewissen Theil der all-
gemeinen Infectionskrankheiten zu erklären. Es ist dies
das schon immer von uns zugestandene Gebiet der putriden
Infection, deren höchste Entwickelung die Sephthämie ist.
Mit dieser Gruppe tritt mindestens ein grosser Theil der
diphtherischen Prozesse, deren Verwandtschaft mit den fau-
ligen wir längst ausgesprochen haben, in eine allerdings
nähere Verbindung, als bisher gewöhnlich angenommen
wurde, ja wahrscheinlich in eine viel nähere, als selbst
Billroth zuzugestehen bis jetzt geneigt ist.
Für die Kriegsheilkunde kommen hier vorzugsweise in
Betracht die Wundfieber, die Ruhr und der Abdominaltyphus,
vielleicht auch die ßachendiphtherie, also die früher als ein-
heimisch bezeichneten Infectionskrankheiten. Ihr Auftreten
knüpft sich ganz besonders an gewisse Oertlichkeiten , und
sie gewinnen daher leicht einen wahrhaft endemischen Cha-
rakter. Seit lange haben gewisse Länder und Landestheile,
sowie gewisse Festungen in der Kriegsgeschichte einen beson-
ders schlimmen Euf. Wenn die deutschen Könige auf ihren
Römerzügen die Alpen passirt hatten und mit ihren Heeren
in die lombardische Ebene hinabstiegen, so stiessen sie neben
dem offenen Feinde fast jedesmal auf einen geheimen, aber
um so mehr tückischen Feind, auf irgend ein „Fieber".
Mehr als ein deutsches Heer ist diesem geheimen Feinde
erlegen, nachdem es den offenen Feind siegreich niederge-
worfen hatte. Vor keiner Feste aber haben die deutschen
Armeen schlimmere Erfahrungen gemacht, als vor Metz.
1552 und 1870 sind die Grenzmarken für eine lange Local-
geschichte von Krieg, Hunger und Pestilenz^). Noch im
letzten Kriege verlor unser Heer vor Metz allein durch
Typhus und Ruhr 2 1 57 Mann, und wer zählt die Fälle, wo
die Gesundheit der festesten Männer durch die dort erlittene
Erkrankung für das ganze Leben gebrochen worden ist!
- 26 —
Erst nach Jahren werden die Listen der milden Stiftungen
darüber genügende Ausweise geben können. Nirgends aber
ist der Zusammenhang der genannten beiden Krankheiten für
die Militärmedicin in so schlimmen Zahlen hervorgetreten,
als in dem nordamerikanischen Secessionskriege. Schon im
ersten Jahre desselben stieg die Zahl der Erkrankungen an
Abdominaltyphus auf 21,977 und die der Todesfälle auf
5608, im zweiten betrugen die Erkrankungen 31,874 und
die Todesfälle 10,467. In der gleichen Zeit ergriff die Ruhr
34,848 Mann, von denen 474 starben.
Bei allen solchen Erlebnissen richtet sich der Blick zu-
erst auf den Boden selbst als auf die Quelle des Miasma.
Der Gedanke, dass aus dem Boden ein giftiger Stoff, eine
Malaria sich erhebe, welche die Menschen krank macht und
tödtet, liegt so nahe, dass er sich mit ebenso grosser Be-
ständigkeit immer wieder äussert, wie in der Geschichte
der eingeschleppten Epidemien der Gedanke der Brunnenver-
giftung. Unzweifelhaft liegt dem einen, wie dem anderen
eine richtiges instinktives Gefühl zu Grunde. Aber erst die
neueste Forschung hat gelehrt, dass es sich bei diesen
Seuchen am wenigsten um ein Gift handelt, welches ein für
allemal im Boden haftet, oder welches fremde Bosheit in
die Brunnen einbringt; es sind vielmehr die Menschen selbst,
welche den Boden und von da aus die Brunnen und die Luft
vorübergehend verunreinigen durch ihre Auswurfsstoffe, na-
mentlich durch Harn und Roth. Noch sind nicht alle Sta-
dien dieser Verunreinigung, dieser künstlichen Infection von
Boden, Wasser und Luft so genau festgestellt, dass wir
alle Einzelheiten derselben besprechen könnten, aber die
Hauptfrage ist erledigt und ,die wachsende Erkenntniss von
den grossen Aufgaben der öffentlichen Gesundheitspflege tritt
in dem immer regeren Bestreben der Gemeinden um Reini-
gung der Städte, in dem heftigen Streit um Kanalisation
und Abfuhr deutlich genug zu Tage.
— 27 —
Im Kriege, wie im Frieden ersehen wir aber zugleich,
dass derartige Verunreinigungen gewöhnlich nicht allgemeine
Eigenschaften des ganzen Bodens oder alles Wassers sind;
mag der Wind das Miasma uns anwehen, es ist doch nicht
in der ganzen Luft enthalten. Vielmehr giebt es auf jedem
infecten Terrain noch wieder gewisse Einzeiheerde. Am
häufigsten sind dies die menschlichen Wohnplätze. Das
Gebundensein der bösartigen Wund- und Wochenbettfieber
an die Krankenhäuser und Lazarette hat zuerst die Auf-
merksamkeit auf das Wohnungs- und Hausmiasma gelenkt.
Man hat sich dann bei weiterer Aufmerksamkeit überzeugt,
dass manches Gift in den eng umschlossenen Grenzen des
Gebäudes oder des Hofes aus selbstgeschafFenen ünreinig-
keiten entsteht, welche der Mensch zu träge ist rechtzeitig
zu entfernen. Die eigene Nachlässigkeit und Unwissenheit
sollte man daher anschuldigen, statt in fremder Schuld den
Grund des Uebels zu suchen.
Darf man nun annehmen, dass das Wohnungs-Miasma,
das "Hospital-Miasma, das Lager-Miasma ein identisches ist?
dass dasselbe Miasma je nach Umständen Abdominaltyphus
und Ruhr, Diphtherie und Rosen, Hospitalbrand und Sephth-
ämie hervorbringt? dass es von den gewöhnlichen Fäulniss-
organismen herstammt und in einer bestimmten Pilz- oder
Algenart seinen Ausdruck findet? Zu der Bejahung solcher
Fragen würde mit Folgerichtigkeit die Annahme Billroth's
von dem Zusammenhange aller der erwähnten parasitären
Pflanzen als blosser Vegetationsformen der Coccobacteria sep-
tica führen, sobald man überhaupt den parasitären Pflanzen
pathogenetische Eigenschaften beilegt. Aber ich möchte hin-
zusetzen: Mit fast gleichem Rechte könnte man dann auch
noch die Cholera anschliessen. Schon in meinen Vorträgen
vom Jahre 1848 habe ich gezeigt, dass die Reihe von Sym-
ptomen und von anatomischen Veränderungen, welche man
bei Thieren durch künstliche Injection faulender Flüssig-
— 28 —
keiten in das Blut hervorbringen kann, im höchsten Maasse
derjenigen gleicht, welche beim Menschen durch das Cholera-
gift erzeugt wird; ich schloss damals aus dieser Uebereinstim-
mung, dass das Choleragift den Fäulnisskörpern nahe verwandt
sein müsse. Dazu kommt, dass die diphtherischen Vorgänge
bei der Cholera von denen bei den einheimischen Infections-
krankheiten nicht zu unterscheiden sind und dass die so-
genannten Cholerapilze einheimischen Diarrhoepilzen zum
Verwechseln gleichen.
Es scheint mir unzweifelhaft, dass gegenüber diesen
Erfahrungen nur zweierlei Erklärungen möglich sind. Ent-
weder sind die Mikrorganismen aller der genannten Infections-
krankheiten identisch, und dann wird man, wie es auch bei
Billroth geschieht, auf besondere giftige Substanzen hin-
gewiesen, welche noch neben den Pilzen oder Algen vor-
handen sein und unabhängig von ihnen entstehen müssen.
Oder die Mikrorganismen sind trotz ihrer anscheinenden üeber-
einstimmung verschieden und bilden die Träger und Erreger
der gefährlichsten Vorgänge im Körper, sie sind die eigent-
lichen Krankheitsursachen. Ein Drittes scheint mir nicht
möglich. Nur lässt die oben erwähnte zweite Hypothese
noch wieder eine doppelte Anwendung zu.
Die Rolle, welche den Mikrorganismen in der Krankheit
zugeschrieben wird, kann nehmlich verschieden gedeutet
werden. Es ist denkbar, dass diese Wesen direct durch
ihre Thätigkeit die lebenden Theile des Körpers angreifen
und zerstören, aber auch, dass sie einen schädlichen Stoff,
ein Gift hervorbringen, welches das Leben bedroht. In der
ersteren Weise dachte sich Pacini die Thätigkeit der Vi-
brionen in der Cholera. Aehnlich lassen manche der Neueren,
wie Hüter und Klebs bei den Wundfiebern, die Monaden oder
Mikrospuren von der Oberfläche her in den Leib des Menschen
eindringen , in die farblosen Blutkörperchen oder das Blut
selbst gelangen und durch dieselben zu den inneren Or-
— 29 —
ganen getragen werden, um dort ihre zerstörende Thätig-
keit auszuüben. Nach der zweiten Erklärungsart ist der
parasitäre Körper nicht im mechanischen Sinne gefährlich, son-
dern er ist Gifterzeuger. Dabei kann man wiederum zweierlei
mögliche Fälle unterscheiden, je nachdem der Parasit das
Gift in sich erzeugt und selbst giftig wird, oder dasselbe
absondert, also selbst unschädlich bleibt. Anders ausge-
drückt, würde dies heissen: Entweder giebt es auch unter
den mikroskopischen Pilzen giftige Arten, wie sie unter den
grossen Pilzen seit langer Zeit bekannt sind, oder die Fäul-
nissorganismen verhalten sich zu d^n faulenden Stoffen und
dem fauligen Gift, wie die Gährungspilze zu den gährenden
und den gegohrenen Steifen, sie sind Fermente.
Man muss sich die grosse Verschiedenheit dieser an
sich möglichen Erklärungsweisen klar machen, um die Ge-
fahr einer einseitigen Deutung zu verstehen. Keine dieser
Erklärungsweisen oder Hypothesen ist eine bloss erdachte;
für jede derselben bietet die Erfahrung bestimmte Anhalts-
punkte. Die Pilzkrankheiten der äusseren Haut, wie der Grind
(Favus), und die der oberflächlichen Kanäle, wie der Soor
und die Schimmelkrankheiten des Gehörganges, sind ganz
örtlicher Natur; es ist weder etwas Giftiges, noch etwas
Fermentatives dabei. Vielmehr wirken die Pilze örtlich rei-
zend und zerstörend, indem sie das menschliche Gewebe,
durchwachsen und zerfressen, wie der zerstörende „Schwamm"
das Holz. In ähnlicher Weise könnte man sich auch die
Wirkung der Pilze innerlich denken und ein Versuch Grohe's
ist sehr geeignet, eine solche Möglichkeit auch für innere
Vorgänge als wirklich zulässig erscheinen zu lassen. Er
brachte nehmlich einen bekannten grossstengeligen Schimmel-
pilz, den Aspergillus in das Innere lebender Thiere und sah
darnach in kurzer Zeit in den verschiedensten Organen Heerde
entstehen, welche gänzlich aus Aspergillusfäden bestanden.
Diese Fäden durchsetzten das Gewebe, drangen zwischen
— 30 —
den Elementen fort und zerstörten sie endlich. Ganz ähn-
lich denkt sich Klebs die Wirkung des von ihm mit dem
Namen des Microsporon septicum bezeichneten Parasiten,
den er als specifische Ursache der bösartigen Wundfieber in
den Lazaretten des letzten Krieges nachgewiesen zu haben
glaubt. Selbst der Milzbrand ist in der letzten Zeit ge-
wöhnlich in dieser Weise erklärt worden. Indem das Bacte-
rium anthracis in das Blut eindringe und sich darin so ver-
mehre, dass nach einer Berechnung in jedem Tropfen 8 bis
10 Millionen davon vorkommen, so bemächtige es sich ver-
möge seiner grossen chemischen Affinität des gesammten zu-
strömenden Sauerstoffes; die Blutkörperchen könnten nicht
mehr athmen und das Thier ersticke. An sich eine ganz
plausible Erklärung! Darnach würden die Blutkörperchen
gleichsam belagert von den Bakterien, welche ihnen jede
Zufuhr von aussen abschnitten. Allein die Erfahrung lehrt,
dass das Milzbrandblut oft sehr arm an Bakterien ist. Noch
in der letzten Epizootie unter den Damhirschen des Grune-
waldes habe ich mit der gelben Lymphe, welche die Lymph-
drüsen des Halses bei einem gefallenen Thiere umgab und
welche höchst winzige und äusserst spärliche Mikrorga-
nismen enthielt, Kaninchen geimpft; der Tod erfolgte vor
dem Ablaufe von 24 Stunden auf die Einbringung mini-
maler Mengen der Lymphe, und das Blut des gestorbenen
Thieres zeigte fast gar keine Beimischung von Parasiten.
Die mechanische Hypothese ist daher für diesen Fall
gänzlich unzulässig. Wenn trotzdem die Einbringung eines
einzigen, aus der Drosselader jenes gefallenen Kaninchens
entnommenen Blutstropfens in die Rückenwunde eines an-
dern Kaninchens genügte, um dasselbe gleichfalls noch vor
dem Ablaufe des Impftages zu tödten, und wenn auch
hier die Menge der im Blut vorgefundenen Bakteridien eine
sehr geringe war, so bleibt meiner Meinung nach für diese
FUUe nur die Annahme eines chemischen Giftes übrig.
— 31 —
Ich leugne also die Zulässigkeit der mechanischen Hy-
pothese an sich gar nicht; im Gegentheil, ich halte sie für
zulässig und correct für gewisse Fälle. Aber ich halte sie
nicht für richtig für die grossen Infectionskrankheiten , am
wenigsten für die epidemischen. Vielmehr scheint mir die
Annahme, welche ich in meinem Vortrage vom 2. August
1845 machte, dass es sich hier um eine Reihe von chemi-
schen Veränderungen handelt, eine Annahme, welche in der
Aufstellung der Ichorrhämie und Sephthämie ihren Ausdruck
gefunden hat, für diese grossen Krankheitsformen immer
noch die allein zulässige. Dass es giftige Mikrorganismen
giebt, welche, wie der Fliegenschwamm, wenn sie genossen
werden, schädlich wirken, will ich nicht bestreiten; bestimmte
Thatsächen für diese Annahme scheinen mir jedoch bisher
nicht in genügender Zahl vorzuliegen. Es bleibt daher nur
die fermentative oder zymotische Theorie übrig. Danach
würde der Mikrorganismus durch seine Vegetation aus
Stoffen, welche er der Nachbarschaft entzieht und welche
er bei dem Aufbau seines Leibes und bei seiner Vermehrung
verwendet, neue Stoffe erzeugen, wobei als Abfall und Aus-
wurfsstoff ein Körper von bestimmten schädlichen Eigen-
schaften entsteht. So erzeugt der Pilz des Mutterkorns
das sogenannte Ergotin, eine höchst wirksame giftige Sub-
stanz; so der Gährungspilz den Alkohol, dessen schädliche
Wirkungen hinreichend bekannt sind.
Diese abgesonderten Gifte sind begreiflicherweise
auch trennbar von den Mikrorganismen, welche sie er-
zeugt haben; ihre Wirksamkeit ist nicht gebunden an die
Anwesenheit der Pilze, gerade so wenig wie die Pilze selbst
giftiger Natur sind. Hefe, welche ganz aus Gährungspilzen
besteht, hat man gelegentlich Kranken in so grossen Mengen
gegeben, wie Salat von Gesunden genossen wird, und doch
zeigte sich kein bedenkliches Symptom. Es ist daher sehr
wohl denkbar, dass an einer Impfstelle oder an der Stelle
— 32 -
einer Verletzung im menschlichen Körper sich ein Pilzheerd
bildet, der in grosser Menge Gift absondert, welches nicht
bloss die Nachbargewebe tödtet, sondern auch in Blut und
Lymphe übergeht und das Leben des Individuums gefährdet,
ohne dass die Pilze selbst in das Blut gelangen und ohne
dass die etwa in dasselbe gelangten jedesmal eine pathoge-
netische Bedeutung haben. Nachdem es Panum gelungen
ist, aus faulenden Flüssigkeiten ein neugebildetes Gift wirk-
lich zu .isoliren, so kann es nicht mehr zweifelhaft sein, dass
die faulige Infection, die Sephthämie nicht auf die mecha-
nischen Störungen durch Mikrorganismen bezogen wer-
den darf.
Daraus folgt jedoch keineswegs, dass auch die Erzeu-
gung des Fäulnissgiftes ohne die Anwesenheit der Fäulniss-
organismen möglich sei, oder dass wir von den Mikrorga-
nismen ganz absehen dürften. Im Gegentheil, je genauer wir
untersuchen, um so mehr stellt sich heraus, dass es gerade
diese Organismen sind, welche die Schädlichkeit erzeugen.
Freilich darf man diese Erfahrung nicht ins üngemessene
ausdehnen, und, wie es schon hie und da geschieht, jede
Fermentwirkung auf Pilze beziehen. Jede organische Zelle
hat die Fähigkeit, für ihre eigene Entwickelung und Thätig-
keit gewisse Stoffe aus der Nachbarschaft anzuziehen, in
sich aufzunehmen und zu verarbeiten, während sie andere,
verbrauchte und häufig recht schädliche Stoffe aus sich aus-
scheidet. Bei sehr reichlicher Zellenbildung erreicht auch
die Grösse dieser Umsetzungen ein hohes Maass, und es
liegt gar kein Bedürfniss vor, für die Entstehung der Ab-
fallsstoffe noch wieder auf die Hülfe von Pilzen zurückzu-
gehen. Selbst da, wo wirkliche Fermentkörper erzeugt wer-
den, finden wir vielfach nur gewöhnliche Zellen an der Arbeit.
Das lehrt namentlich die Geschichte der Verdauungsstoffe. Das
Pepsin, wie die so wirksamen Fermente des Mund- und des
Bauchspeichels sind Zellerzeugnisse, an deren Bildung kein
— 33 —
Pilz betheiligt ist. Wer dies bezweifelt, der könnte ebenso gut
auf den Gedanken kommen, die wirksamen Tlieile des Samens
seien nicht die Samenfäden, sondern besondere Pilze. So
wird auch die Pathologie neben den Pilzen noch immer die
Wirksamkeit der gewöhnlichen Zellen und der durch sie her-
vorgebrachten, häufig inficirenden Stoffe als pathogenetisches
Moment festhalten müssen. Dies gilt nicht nur für entzünd-
liche Prozesse, welche verdiente Pathologen der neuesten
Zeit, wie Burdon Sander so n, gleichfalls der Pilzdoctrin
in weitestem Umfange zugänglich machen wollen, sondern
selbst für die Syphilis, bei der trotz der zahlreichsten Ver-
suche und trotz einer in der besonderen Stärke ihrer Con-
tagiosität begründeten Wahrscheinlichkeit bis jetzt ein mikro-
parasitäres Element nicht hat ermittelt werden können.
Allein solche Reservation ist nicht zulässig bei den fau-
ligen Vorgängen. Die Mikrorganismen sind hier überall
mit Leichtigkeit nachzuweisen und ihr Einfluss auf den
Gang der Zersetzung ist bequem zu beobachten. Die Schwie-
rigkeit eines Verständnisses der pathologischen Bedeutung
dieser Vorgänge würde nur dann unüberwindMch erscheinen,
wenn in der That eine einzige Pflanze die mannichf altigen
Formen der Fäulnissorganismen erzeugte. Allein es bleibt,
wie mir scheint, auch gegenüber dem scheinbar sichersten
Ergebniss der morphologischen Untersuchung, der praktische
Versuch immer noch in Bezug auf die physiologische oder
pathologische Wirkung entscheidend. Bringen dieselben Form-
elemente ganz verschiedene Wirkungen hervor, so müssen sie
innerlich verschieden sein. Können wir diese innere Verschie-
denheit an so feinen Körpern, wie die Vibrionen und Bakterien
es sind, nicht direct sehen, so werden wir uns daran erinnern
müssen, dass an den Bildungszellen des Ei's und zahlreicher
pathologischer Gewächse, trotzdem dass sie neben Vibrionen als
förmliche Riesen erseheinen, auch nicht im Voraus gesehen
werden kann, was aus ihnen werden wird. Ja, die Eier selbst
3
— 34 —
sind vielfach einander so ähnlich, dass die Verschiedenheit der
Thiere, welche aus ihnen hervorgehen werden, auch nicht im
Entferntesten geahnt werden kann. Ergiebt sich daher durch
eine Impfung oder durch den pathologischen Zufall, dass
durch Bakterien, welche denen gewöhnlicher faulender Infu-
sionen vollständig gleichen, Milzbrand entsteht, während die
Bakterien der gewöhnlichen Infusionen ihn nicht erzeugen,
so werden wir immer schliessen müssen, dass die Bakterien
des Milzbrandes von den Bakterien der Infusion mindestens
so verschieden sein müssen, wie Schierling von Petersilie.
Die Wissenschaft bedarf aber, um sichere Resultate zu
gewinnen, einer gewissen Mannichfaltigkeit der üntersuchungs-
methoden. Nur bei vollständiger Concordanz der verschie-
denen, für einen gegebenen Fall anwendbaren Methoden kann
die Untersuchung als abgeschlossen gelten. Ist dies nicht
der Fall, so wird diejenige Methode für das vorläufige Ur-
theil den Vorzug verdienen, bei welcher wir die wirksam-
sten Hülfsmittel in Anwendung bringen können." Verfahren
wir nach diesen Grundsätzen bei der . Beurtheilung der In-
fectionskrankheiten , so wird nicht der morphologische Weg
als der vorzüglichere erscheinen, denn die Anwendung des
Mikroskops findet verhältnissmässig bald ihre Grenze in der
Unmöglichkeit einer weiteren optischen Auflösung der mecha-
nischen Anordnungsverhältnisse der Substanz. üeber die
Infection entscheidet • allein das Experiment. Dem haben
wir uns unterzuordnen. Ueberdies ist der Widerspruch
zwischen der morphologischen und der physiologischen Unter-
suchungsweise, welcher übrig bleibt, möglicherweise ein nur
scheinbarer, denn wenn die eine Methode wegen erkannter
Insufficienz der Hülfsmittel überhaupt ein vollkommenes Re-
sultat nicht liefern kann, so darf man ihr für diesen Fall
auch nicht einen so grossen Werth beilegen, um immer neue
Bedenken aus einer nachgewiesenen Unvollkommenheit her-
zuleiten.
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Allein der Mensch gesteht nicht gern ein, dass seine
Erkenntnissmittel beschränkt sind. Resignation ist eine
schwere Tugend. Und doch muss sie geübt werden und vor
allen Dingen in der Wissenschaft. Es mag paradox er-
scheinen, von jemand Entsagung zu fordern, der die volle
Wahrheit sucht. Aber die Paradoxie liegt nur in der Ein-
seitigkeit des Weges, den er verfolgt. Viele Wege führen
nach Rom, aber nicht alle. Und so darf ich, der ich im
Beginne meiner wissenschaftlichen Laufbahn die damals über-
aus harte Forderung an die wissenschaftliche Medicin ge-
stellt habe, die Anschauung von den pathologischen Vor-
gängen auf die mikroskopische Betrachtung zu gründen und
diesen Vorgängen mindestens um 300mal näher zu treten,
jetzt, wo man ihnen schon um 900 und um 1200mal näher
getreten ist, wohl darauf aufmerksam machen, dass die
Morphologie nur die eine Seite der Biologie darstellt und
dass jenseits des Kreises der Morphologie ein grosses Ge-
biet mechanischer und chemischer Vorgänge liegt, dessen
Erforschung andere Hülfsmittel erfordert, als der Morpholog
sie zu bieten vermag.
Sei es auch hier gesagt, dass die morphologischen Dis-
ciplinen nicht die letzten Aufschlüsse über das Wesen der
Dinge geben und geben können. Wie der Grund aller
menschlichen Anschauung, selbst die Gestaltung der religiö-
sen Vorstellungen, abhängig ist von den herrschenden Be-
griffen über die Einrichtung der Substanz selbst und die be-
stimmenden Kräfte in derselben, so ist auch der letzte Grund
alles pathologischen Wissens in der Physik und Chemie zu
suchen. Das sind die grundlegenden Wissenschaften, und
ihre Einführung in den täglichen Gebrauch der Aerzte war
der grösste und sicherste Fortschritt, den die Medicin je ge-
macht hat. Darin liegt die Erklärung für die Thatsache,
dass in der immerhin kurzen Zeit des Bestehens dieser An-
stalt eine grössere Veränderung in der medicinischen An-
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schaiuings- nnd Handlungsweise eingetreten ist, als in den
2000 Jahren von Hippocrates bis auf Harvey.
Möge die erleuchtete Verwaltung, welche diese Anstalt
so segensreich entwickelt hat, niemals übersehen, dass nur
bei freiester Darbietung aller Hülfsmittel des Studiums die
Entwickelung des einzelnen Studirenden so weit gefördert
werden kann, dass er im Laufe der wenigen Studienjahre
die unermesslichen Schätze der wissenschaftlichen Erfahrung
wenigstens in ihren Hauptzügen kennen zu lernen vermag,
dass aber eine sichere Kenntniss wenigstens der Hauptsachen
allein den Arzt vor dem traurigen Loose sichert, nach we-
nigen Jahren der Praxis von dem Verständniss der fort-
schreitenden Wissenschaft abgeschnitten und der Möglichkeit
der Selbsthülfe beraubt zu sein. Wenigstens einmal in sei-
nem Leben muss jeder wissenschaftliche Mann sich in voller
Kenntniss des gegenwärtigen Zustandes seines Faches und
der grundlegenden Wissenschaften befunden haben. Sonst
ist er veraltet, nachdem er kaum angefangen hat, selbstän-
dig zu arbeiten. Möge gerade unsere Militärverwaltung,
welche jede wissenschaftliche Leistung auf ihrem Gebiete so
umsichtig für die Zwecke des Staates zu nutzen strebt, sich
stets der Erfahrung bewusst bleiben, dass die Medicin als
eine angewandte Naturwissenschaft nur auf dem breiten
Grunde der gesammten Naturwissenschaften gedeiht, dass
sie aber auf diesem Grunde auch die reichsten Früchte bringt.
Dann werden wir hoffen dürfen, dass, gleichwie die deutsche
Medicin überhaupt die Führung hat übernehmen können, auch
die deutsche Militärmedicin, welche schon jetzt einen so
hohen Rang einnimmt, geistig fortarbeiten werde zum Heile
der Armee und zum Ruhme des Vaterlandes.
Anmerkungen.
1) Gesammelte Abhandhmgen ziir wissenschaftlichen Medicin. Frankf.
1856. S. 478.
2) Archiv für path. Anat., Phys. u. Min. Medicin. 1847. Bd. I. S. 253.
Handb. der spec. Pathologie u. Therapie. Erlangen, 1856. Bd. I. S. 292.
3) Medicinische Reform. 1848. S. 64, 89.
4) Gesammelte Abhandl. S. 70 1 ff.
5) Mein Archiv. 1869. Bd. 45. S. 280-
6) Mein Archiv. 1869. Bd. 47. S. 524. Vgl. 0. E. E. Hofmann.
Ebendaselbst. 1870. Bd. 50. S. 455.
7) Deutsche Klinik. 1858. S. 306.
8) Mein Archiv. 1853. Bd. 4. S. 348. 1871. Bd. 52 S. 19.
9) Mein Archiv. 1870. Bd. 51. S. 128. 187). Bd. 52. S. 31.
Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin.
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